Bundesverfassungsgericht Urteil, 21. Juni 2016 - 2 BvE 13/13, 2 BvR 2728/13, 2 BvR 2729/13, 2 BvR 2730/13, 2 BvR 2731/13

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2016:rs20160621.2bvr272813
21.06.2016

Tenor

1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. Die Verfassungsbeschwerden werden in dem unter C.II. genannten Umfang verworfen. Im Übrigen werden sie nach Maßgabe der unter D.II.3. genannten Gründe zurückgewiesen.

3. Die Anträge im Organstreitverfahren werden in dem unter C.III.2. genannten Umfang verworfen. Im Übrigen werden sie nach Maßgabe der unter D.II.3. genannten Gründe zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren richten sich gegen zwei Programme zum Ankauf von börsengängigen Schuldtiteln, insbesondere Staatsanleihen von Mitgliedstaaten der Eurozone, durch das Eurosystem.

I.

2

Im Zuge der Staatsschuldenkrise legte das Eurosystem, bestehend aus der Europäischen Zentralbank und den nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Art. 282 Abs. 1 Satz 2 AEUV), mehrere Ankaufprogramme für Vermögenswerte auf.

3

1. Durch Beschluss vom 14. Mai 2010 (EZB/2010/5, ABl L 124 vom 20. Mai 2010, S. 8 f.) führte der Rat der Europäischen Zentralbank ein "Programm für die Wertpapiermärkte" ("Securities Markets Programme" - SMP) ein. Dieses Programm sah den Ankauf von öffentlichen und privaten Schuldverschreibungen auf den Sekundärmärkten durch die nationalen Zentralbanken des Eurosystems entsprechend ihrem prozentualen Anteil am Kapitalschlüssel der Europäischen Zentralbank und durch diese selbst vor. Zur Begründung hieß es, es bestehe eine "außergewöhnliche[.] Situation auf den Finanzmärkten, die durch starke Spannungen in einigen Marktsegmenten geprägt ist, die den geldpolitischen Transmissionsmechanismus und damit auch die effektive Durchführung einer auf mittelfristige Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik beeinträchtigen" (2. Erwägungsgrund des Beschlusses vom 14. Mai 2010). Ziel des Programms war es, "Störungen an den Wertpapiermärkten zu beheben und einen angemessenen geldpolitischen Transmissionsmechanismus wiederherzustellen" (3. Erwägungsgrund des Beschlusses vom 14. Mai 2010).

4

Das SMP wurde zwischen Mai 2010 und März 2011 und zwischen August 2011 und Februar 2012 durchgeführt. Der höchste Abwicklungsbetrag, der insgesamt für das SMP-Portfolio verbucht wurde, belief sich auf 219,5 Mrd. Euro (Europäische Zentralbank, Jahresbericht 2012, S. 88). Das SMP wurde mit Beschluss vom 6. September 2012 eingestellt (siehe Rn. 8).

5

Die Deutsche Bundesbank hatte ihre Rückstellungen mit Blick auf die mit dem SMP-Programm verbundenen Risiken von 7,7 Mrd. Euro Ende 2011 auf 14,4 Mrd. Euro Ende 2012 erhöht (Deutsche Bundesbank, Geschäftsbericht 2012, S. 161, Geschäftsbericht 2014, S. 90 f.). Ende 2015 beliefen sich die Bestände des SMP der nationalen Zentralbanken des Eurosystems auf 114 Mrd. Euro, wovon die Deutsche Bundesbank 27,7 Mrd. Euro hielt (Deutsche Bundesbank, Geschäftsbericht 2015, S. 83 f.). Zum 5. Februar 2016 waren die bilanziellen Wertpapierbestände, bedingt durch Fälligkeiten und unter Berücksichtigung einer vierteljährlichen Neubewertung, auf insgesamt 122 Mrd. Euro gesunken (Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Februar 2016, S. 25).

6

2. In seiner 340. Sitzung am 6. September 2012 in Frankfurt am Main beschloss der Rat der Europäischen Zentralbank technische Merkmale eines Programms zur Durchführung von Offenmarktgeschäften ("Outright Monetary Transactions" - OMT). Im Protokoll der Sitzung vom 5. und 6. September 2012 heißt es insoweit:

With regard to Outright Monetary Transactions (OMT), on a proposal from the President, the Governing Council:

(b) approved the main parameters of the Outright Monetary Transactions (OMT), which would be set out in a press release to be published after the meeting (Thursday, 6 September 2012).

7

Die im OMT-Beschluss festgelegten Rahmenbedingungen sehen den Ankauf von Staatsanleihen ausgewählter Mitgliedstaaten in unbegrenzter Höhe vor, wenn und solange diese Mitgliedstaaten zugleich an einem mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) vereinbarten Reformprogramm teilnehmen. Künftige Reformprogramme müssen dabei die Möglichkeit vorsehen, dass Anleihen des betroffenen Mitgliedstaats auf dem Primärmarkt angekauft werden können (Primärmarkt-Unterstützungsfazilität, vgl. Art. 17 des Vertrages zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 2. Februar 2012 - ESMV -, BGBl II 2012, S. 981 ff.). Das OMT-Programm erstreckt sich daneben auch auf Mitgliedstaaten, die sich zum Zeitpunkt des Beschlusses der technischen Rahmenbedingungen bereits unter einem makroökonomischen Anpassungsprogramm befanden, wenn diese wieder Zugang zum Anleihemarkt erhalten. Erklärtes Ziel des OMT-Programms ist die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen geldpolitischen Transmission und der Einheitlichkeit der Geldpolitik.

8

Die zum Beschluss der technischen Rahmenbedingungen veröffentlichte Pressemitteilung vom 6. September 2012 hat folgenden Wortlaut:

Technical features of Outright Monetary Transactions - 6 September 2012

As announced on 2 August 2012, the Governing Council of the European Central Bank (ECB) has today taken decisions on a number of technical features regarding the Eurosystem's outright transactions in secondary sovereign bond markets that aim at safeguarding an appropriate monetary policy transmission and the singleness of the monetary policy. These will be known as Outright Monetary Transactions (OMTs) and will be conducted within the following framework:

Conditionality

A necessary condition for Outright Monetary Transactions is strict and effective conditionality attached to an appropriate European Financial Stability Facility/European Stability Mechanism (EFSF/ESM) programme. Such programmes can take the form of a full EFSF/ESM macroeconomic adjustment programme or a precautionary programme (Enhanced Conditions Credit Line), provided that they include the possibility of EFSF/ESM primary market purchases. The involvement of the IMF shall also be sought for the design of the country-specific conditionality and the monitoring of such a programme.

The Governing Council will consider Outright Monetary Transactions to the extent that they are warranted from a monetary policy perspective as long as programme conditionality is fully respected, and terminate them once their objectives are achieved or when there is non-compliance with the macroeconomic adjustment or precautionary programme.

Following a thorough assessment, the Governing Council will decide on the start, continuation and suspension of Outright Monetary Transactions in full discretion and acting in accordance with its monetary policy mandate.

Coverage

Outright Monetary Transactions will be considered for future cases of EFSF/ESM macroeconomic adjustment programmes or precautionary programmes as specified above. They may also be considered for Member States currently under a macroeconomic adjustment programme when they will be regaining bond market access.

Transactions will be focused on the shorter part of the yield curve, and in particular on sovereign bonds with a maturity of between one and three years.

No ex ante quantitative limits are set on the size of Outright Monetary Transactions.

Creditor treatment

The Eurosystem intends to clarify in the legal act concerning Outright Monetary Transactions that it accepts the same (pari passu) treatment as private or other creditors with respect to bonds issued by euro area countries and purchased by the Eurosystem through Outright Monetary Transactions, in accordance with the terms of such bonds.

Sterilisation

The liquidity created through Outright Monetary Transactions will be fully sterilised.

Transparency

Aggregate Outright Monetary Transaction holdings and their market values will be published on a weekly basis. Publication of the average duration of Outright Monetary Transaction holdings and the breakdown by country will take place on a monthly basis.

Securities Markets Programme

Following today's decision on Outright Monetary Transactions, the Securities Markets Programme (SMP) is herewith terminated. The liquidity injected through the SMP will continue to be absorbed as in the past, and the existing securities in the SMP portfolio will be held to maturity.

9

Der OMT-Beschluss ist bislang nicht umgesetzt worden.

II.

10

1. Der Beschwerdeführer zu I. ist der Auffassung, die Europäische Zentralbank überschreite mit dem OMT-Beschluss und mit den Ankäufen von Staatsanleihen im Rahmen des SMP ihre Kompetenzen. Damit verstoße sie gegen das Demokratieprinzip und verletze den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 38 Abs. 1 GG. Die Deutsche Bundesbank sei daher nicht berechtigt, sich an der Durchführung des OMT-Programms zu beteiligen. Hilfsweise trägt er vor, dass die Bundesregierung ihn in seinem Grundrecht aus Art. 38 Abs. 1 GG verletze, indem sie es unterlasse, gegen die Europäische Zentralbank Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu erheben.

11

a) Der Antrag auf Feststellung der Kompetenzüberschreitung der Europäischen Zentralbank durch den Beschluss über das OMT-Programm und die fortgesetzten Ankäufe richte sich gegen die Europäische Zentralbank als Organ der Europäischen Union. Der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank sei ein Akt der - wenn auch nicht deutschen - öffentlichen Gewalt. Dies gelte entsprechend für die Anleihekäufe. Im Maastricht-Urteil habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Akte öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG auch solche der Europäischen Union sein könnten. Daran änderten die einschränkenden Voraussetzungen der im Lissabon-Urteil formulierten Identitätskontrolle und der in der Honeywell-Rechtsprechung konturierten Ultra-vires-Rüge nichts. Im Gegenteil: Sie seien sinnlos, wenn es bei Maßnahmen von Unionsorganen bereits an einem Akt öffentlicher Gewalt fehlte.

12

Die besonderen Voraussetzungen für eine Ultra-vires- und für eine Identitätskontrolle lägen vor. Die in der Honeywell-Entscheidung entwickelten Kriterien des offensichtlich kompetenzwidrigen Handelns der Unionsgewalt sowie ein damit verbundener Eingriff von erheblichem Gewicht in das Kompetenzgefüge zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und der rechtsstaatlichen Gesetzesbindung könnten im vorliegenden Fall allerdings nicht unbesehen herangezogen werden, da es hier an einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union fehle. Da Individualklagen gegen die hier in Rede stehenden Maßnahmen der Europäischen Zentralbank vor dem Gerichtshof der Europäischen Union nicht zulässig seien, stelle die Verfassungsbeschwerde den einzigen Rechtsbehelf dar, mit dem ein Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 GG geltend gemacht werden könne. Die Honeywell-Rechtsprechung müsse so verstanden werden, dass nach Bejahung der allgemeinen Zulässigkeitsfragen ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof gerichtet werden müsse und erst an dessen Entscheidung die besonderen Prüfungsmaßstäbe der Ultra-vires-Kontrolle angelegt werden dürften. Gleiches gelte für die Identitätskontrolle.

13

Evidenz und Gewichtigkeit der gerügten Kompetenzüberschreitung seien zu bejahen. Evidenz im Sinne der Honeywell-Kriterien bedeute nicht, dass es allgemeine Auffassung sein müsse, dass ein Verstoß vorliege, oder sogar, dass dieser buchstäblich auf der Hand liege. Evident sei ein Verstoß vielmehr bereits dann, wenn er klar und eindeutig feststehe, wobei die stets vorhandene Auslegungsbedürftigkeit der Kompetenzvorschriften dem nicht entgegenstehe. Andernfalls liefe die Ultra-vires-Kontrolle leer. Die angegriffenen Rechtsakte der Europäischen Zentralbank seien nicht als einmalige oder sporadische, sondern als dauerhafte Inanspruchnahme nicht vorhandener Kompetenzen seitens der Europäischen Zentralbank ohne demokratische Legitimation anzusehen und stellten zugleich eine äußerst schwerwiegende Überschreitung der zugewiesenen Kompetenzen dar.

14

Der Beschwerdeführer zu I. hält sich auch für beschwerdebefugt, weil die von ihm geltend gemachten Rechte aus Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG durch die angegriffenen Akte verletzt sein könnten. Da der Einzelne nach der Rechtsprechung des Senats das Recht habe, die Entleerung des parlamentarischen Budgetrechts durch die Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 GG zu rügen, müsse es erst recht möglich sein, die Usurpation solcher Hoheitsrechte durch ein Organ der Europäischen Union, der der Bundestag nicht zugestimmt habe, zur Überprüfung zu stellen. Mit dem betragsmäßig wie auch zeitlich unbegrenzten OMT-Programmgehe die Europäische Zentralbank Milliardenrisiken ein, die letztlich auch die nationalen Haushalte belasteten und damit das Budgetrecht des Bundestages beeinträchtigen könnten.

15

b) Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet.

16

aa) Zentrales Element der als Stabilitätsunion konzipierten Währungsunion sei das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung durch das Eurosystem, womit Anleiheankäufe am Primärmarkt und größtenteils auch am Sekundärmarkt ausgeschlossen würden. Letztere seien nur im Rahmen der Geldpolitik erlaubt, dürften jedoch nicht der Staatsfinanzierung dienen. Dies habe das Bundesverfassungsgericht bereits unter Rückgriff auf die Definition in der Verordnung (EG) Nr. 3603/93 klargestellt.

17

Die Abgrenzung von Geld- und Fiskalpolitik richte sich nach folgenden Kriterien: Die Geldpolitik müsse auf den gesamten Euroraum bezogen und bezüglich der einzelnen Eurostaaten diskriminierungsfrei sein. Sie müsse vorrangig der Wahrung der Preisstabilität dienen, wobei es nicht zu den Aufgaben der Europäischen Zentralbank gehöre, unterschiedliche Teuerungsraten in den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu harmonisieren. Geldpolitische Maßnahmen seien bedingungsfeindlich, weshalb eine Verknüpfung mit politischen Bedingungen unzulässig sei. Schließlich dürfe die Notenbank nur marktgängige Papiere erwerben. Geldpolitische Offenmarktgeschäfte seien durch ein nur vorübergehendes und kurzfristiges Halten von Wertpapieren gekennzeichnet. Außerdem sei ein Ankauf von Wertpapieren, der sich auf Staatsanleihen konzentriere, ein Indiz für eine monetäre Haushaltsfinanzierung.

18

Nach diesen Kriterien verstießen die Anleihekäufe vorliegend offenkundig gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung. Sowohl das OMT-Programm als auch das SMP verletzten den Grundsatz der geldpolitischen Nichtdiskriminierung, weil das Eurosystem Staatsanleihen gezielt nur von denjenigen Staaten kaufe, die sich entweder am Markt nicht mehr refinanzieren könnten oder für deren Anleihen der Marktzins auf ein politisch unerwünschtes Niveau gestiegen sei. Gegen den Grundsatz der Marktgängigkeit werde verstoßen, weil in großem Maße Staatsanleihen gekauft würden, für die es am Markt keine Käufer mehr gebe. Der Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit sei verletzt, da der Aufkauf von Staatsanleihen die Teilnahme an einem EFSF- oder ESM-Programm voraussetze. Damit übernehme die Europäische Zentralbank die Aufgaben eines "Rettungsschirms", indem sie die im ESM-Vertrag vorgesehenen Maßnahmen durchführe. Wie am ESM sei die Bundesrepublik Deutschland auch an der Europäischen Zentralbank mit 27 % beteiligt, so dass die Haftungshöhe gleich ausfalle. Der wesentliche Unterschied bestehe jedoch darin, dass es der Europäischen Zentralbank für den OMT-Beschluss an jeglicher parlamentarischer Legitimation fehle.

19

Bei den Ankäufen handele es sich um Akte einer verbotenen monetären Staatsfinanzierung und damit um ein Handeln ultra vires, das bereits am 10. Mai 2010 mit dem SMP angekündigt und seither ständig wiederholt worden sei. Die Europäische Zentralbank maße sich mit der Rettung überschuldeter Staaten eine ihr primärrechtlich nicht zugewiesene Zuständigkeit an und beeinträchtige damit dauerhaft und schwerwiegend das Kompetenzgefüge zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten.

20

Der Ultra-vires-Akt verletze das im Maastricht- und Lissabon-Urteil aus Art. 38 Abs. 1 GG entwickelte Individualrecht auf Teilhabe an der demokratischen Legitimation der Staatsgewalt. Mit der Überschreitung der vertragsmäßig zugewiesenen Kompetenzen entfalle die rechtliche Legitimation durch das Zustimmungsgesetz, so dass die Organe der Europäischen Union ohne demokratische Legitimation handelten.

21

bb) Darüber hinaus stellten die Ankäufe von Staatsanleihen und die ihnen zugrundeliegenden Beschlüsse des Rates der Europäischen Zentralbank eine dauerhafte und schwerwiegende Verletzung des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG dar und beeinträchtigten die Verfassungsidentität im Sinne von Art. 79 Abs. 3 GG. Mit dem seit Mai 2010 erfolgten Ankauf von Staatsanleihen für über 200 Mrd. Euro habe die Europäische Zentralbank ohne Mandat letztlich Steuergelder für einen "Bail Out" der Banken eingesetzt, weil bei ihr anfallende Verluste von den Mitgliedstaaten, etwa im Falle eines Schuldenschnittes, ausgeglichen werden müssten.

22

Der Europäischen Zentralbank fehle es für die Fiskalpolitik jedoch an demokratischer Legitimation. Wegen ihrer Unabhängigkeit und im Hinblick auf die vom Europäischen Rat gewählten Direktoren, deren demokratische Legitimation stark abgeschwächt sei, könne die im Maastricht-Urteil geforderte Rückkoppelung nicht gewährleistet werden. Zudem sei die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Zentralbank nur zugelassen worden, weil die sachgerechte Erfüllung der ihr übertragenen Aufgabe, die Preisstabilität sicherzustellen, einer besonderen Sachkompetenz bedürfe. Mit der Überschreitung ihrer Kompetenzen fehle somit zugleich der besondere Sachgrund, der nach Art. 88 Satz 2 GG die mangelnde demokratische Legitimation der Europäischen Zentralbank rechtfertige. Das damit verbundene demokratische Defizit werde durch die unterproportionale Repräsentation der Bundesrepublik Deutschland im Rat der Europäischen Zentralbank noch verstärkt.

23

Die Ankaufpolitik der Europäischen Zentralbank sei mit dem Demokratieprinzip auch deshalb unvereinbar, weil sie aufgrund des sowohl zeitlich als auch betragsmäßig unbeschränkten Ankaufs von Staatsanleihen zu einem unzulässigen Haftungsautomatismus führe. Dabei komme es weniger auf die Frage an, ob ein inter- oder supranationaler Mechanismus überhaupt zu einer Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten führe, als darauf, ob es ohne konstitutive Zustimmung des Bundestages zu einer Verfügung Dritter über Haushaltsmittel in größerem Umfang komme. Eben darauf laufe der Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank jedoch hinaus. Die Identitätsrüge sei somit auch unabhängig vom Vorliegen eines Ultra-vires-Aktes begründet, weil die Eingehung von Haushaltsrisiken in Billionenhöhe durch das Handeln der Europäischen Zentralbank von den Mitgliedstaaten weder vorausgesehen worden noch gewollt gewesen sei und letztlich auch nicht legitimierbar wäre.

24

c) Auch der auf die Feststellung eines verfassungswidrigen Unterlassens der Bundesregierung gerichtete Antrag sei begründet. Der Bundesregierung obliege eine aus Art. 20 Abs. 3 GG sowie aus Art. 64 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 56 GG abzuleitende Pflicht, die Verfassungsidentität des Grundgesetzes zu schützen. Diese Pflicht bestehe auch im Hinblick auf die Überwachung des Integrationsprogramms und seine Einhaltung durch die Organe der Europäischen Union. Die Bundesregierung hätte vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Nichtigkeitsklage erheben müssen.

25

2. Die Beschwerdeführer zu II. machen geltend, die Maßnahmen zum Ankauf von Staatsanleihen durch das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) seien ausbrechende Rechtsakte und verletzten die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 20 Abs. 4 GG. Hilfsweise verweisen sie auf eine Verpflichtung der Bundesregierung, Nichtigkeitsklage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu erheben.

26

Die Vorgehensweise des Eurosystems, entweder am Sekundärmarkt Staatsanleihen von Mitgliedstaaten aufzukaufen, die mit den marktüblichen Zinsen überfordert seien, oder diese als Sicherheiten für besonders zinsgünstige Zentralbankkredite ungeachtet ihrer weitgehenden Wertlosigkeit zu akzeptieren, verstoße gegen Art. 127 Abs. 1 AEUV. Nach dieser Vorschrift sei es primäre Aufgabe des ESZB, die Preisstabilität zu gewährleisten. Nur soweit dies ohne Beeinträchtigungen des Ziels der Preisstabilität möglich sei, dürfe das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union unterstützen, wobei die Finanzierung notleidender Staatshaushalte weder die Preisstabilität gewährleiste noch der allgemeinen Wirtschaftspolitik diene. Diese Form der Staatsfinanzierung führe zumindest mittelbar zu einer Belastung des Bundeshaushalts wie der Privathaushalte.

27

Die Europäische Zentralbank habe durch die Zurverfügungstellung von Zentralbankgeld zu sehr günstigen Zinsen und unter Hinnahme von Sicherheiten, die bis dahin niemals in Europa zentralbankfähig gewesen seien, eine klassische Inflationspolitik betrieben, wie auch die Aufblähung ihrer Bilanz auf über drei Billionen Euro zeige. Dies verstoße gegen das Primärrecht, verletze die Eigentumsgewährleistung aus Art. 14 Abs. 1 GG und widerspreche dem nach Art. 88 GG auch für die Bundesbank vorrangigen Ziel der Preisstabilität. Die angegriffenen Maßnahmen brächen aus dem Ermächtigungsrahmen aus und stellten einen klaren Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung dar.

28

Insgesamt seien die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank sowohl vertrags- als auch verfassungswidrig. Geldpolitik finde ihren Zweck darin, die Preisstabilität zu gewährleisten, ohne dass die entsprechenden Maßnahmen an Bedingungen geknüpft werden dürften, die vom Verhalten Dritter abhängig seien. Das OMT-Programm gehöre daher nicht zur Geldpolitik und widerspreche zugleich der vertrags- und verfassungsrechtlich festgeschriebenen Unabhängigkeit des ESZB. Überdies fehle es der Europäischen Zentralbank an der demokratischen Legitimation für das angegriffene Verhalten.

29

3. Die Beschwerdeführer zu III. wenden sich in erster Linie dagegen, dass die Bundesregierung nicht auf die Aufhebung des Beschlusses des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 hinwirke, und begehren die Feststellung, dass die Bundesregierung alles zu unterlassen habe, was der Umsetzung dieses Beschlusses diene. "Vorsorglich" begehren sie ferner die Feststellung einer Verpflichtung der Bundesregierung sicherzustellen, dass die Haftung der Bundesrepublik Deutschland aus den Anleihekäufen auf die Summe ihrer Zahlungsverpflichtungen aus dem ESM-Vertrag begrenzt werde sowie, dass der Deutsche Bundestag ESM-Hilfsmaßnahmen nur zustimmen dürfe, wenn er zuvor umfassend über Art und Umfang der Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank informiert worden sei.

30

Schließlich wenden sich auch die Beschwerdeführer zu III. unmittelbar gegen den OMT-Beschluss. Im Urteil vom 7. September 2011 habe der Senat ein Verbot des unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln öffentlicher Einrichtungen durch die Europäische Zentralbank und das Verbot einer Haftungsübernahme formuliert. Beide Verbote würden durch den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen realisiert. Dafür fehle es der Europäischen Zentralbank an der notwendigen Legitimation. Deren Unabhängigkeit sei als Modifikation des Demokratieprinzips mit diesem nur solange vereinbar, wie sich ihre Aufgaben strikt auf die Währungspolitik begrenzten und ihr eine Fiskalpolitik untersagt sei. Mit der Umgehung des Verbots monetärer Staatsfinanzierung habe die Europäische Zentralbank die Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG überschritten, da mit dem unbegrenzten Erwerb von Staatsanleihen die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages zwangsläufig berührt werde.

31

Vor diesem Hintergrund verlangen die Beschwerdeführer zu III., die Bundesregierung möge auf eine Aufhebung des Beschlusses vom 6. September 2012 hinwirken. Dieser führe dazu, dass - ungeachtet seiner Qualifikation als kompetenzloser oder ausbrechender Hoheitsakt - die verfassungsrechtlich gebotenen Bemühungen, die Risiken aus ESM und EFSF im Interesse der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung einzugrenzen, entwertet würden.

32

4. Die Beschwerdeführer zu IV. wenden sich unmittelbar gegen den OMT-Beschluss.

33

a) Dabei handele es sich um einen tauglichen Beschwerdegegenstand im Sinne des § 90 BVerfGG. Es obliege insoweit dem Bundesverfassungsgericht, den Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 EUV festzustellen, zumal Einzelpersonen vor den Gerichten der Europäischen Union keine Rechtsschutzmöglichkeit hätten. Die Beschwerdeführer seien auch antragsbefugt, da sie in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG verletzt würden. Der Beschluss sei ein ausbrechender Rechtsakt. Die unbegrenzte Höhe des Ankaufvolumens stelle auch einen Eingriff in die Budgethoheit dar. Zudem werde durch den in Widerspruch zu Art. 88 Satz 2 GG stehenden Beschluss Art. 14 GG verletzt, weil die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank eine bereits in der Entstehung begriffene Inflation förderten und zugleich eine nicht mehr kontrollierbare Haftungserweiterung der Mitgliedstaaten bewirkten. Die Beschwerdeführer seien auch noch hinreichend selbst betroffen, wenngleich sie selbst nicht Adressaten der angegriffenen Beschlüsse seien. Zwischen dem ESM und der EFSF einerseits und dem angegriffenen Beschluss andererseits bestehe eine sehr enge Beziehung. Durch diese Rechtsakte und die hieraus erwachsenden immensen Risiken würden die Budget- und die Fiskalhoheit beseitigt.

34

b) Die Beschwerdeführer zu IV. halten ihre Verfassungsbeschwerde auch für begründet, weil die beschlossene Zusammenarbeit von ESM und Europäischer Zentralbank sowohl unionsrechts- als auch verfassungswidrig sei und auf eine verbotene monetäre Staatsfinanzierung ziele. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch die Europäische Zentralbank seien bisher davon ausgegangen, dass der ESM kein Geschäftspartner des Eurosystems im Sinne von Art. 18 ESZB-Satzung sein und sich somit nicht bei der Europäischen Zentralbank refinanzieren könne. Demgegenüber zielten die bisherigen Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank weniger auf eine erlaubte Intervention zum Zwecke der Zinsglättung als auf monetäre Staatsfinanzierung. Das in Art. 123 AEUV normierte Verbot des direkten Erwerbs von Staatsanleihen werde so umgangen. Dies laufe der vom Bundesverfassungsgericht betonten Annahme zuwider, der ESM diene gerade dazu, den Tätigkeitsbereich der Europäischen Zentralbank unionsrechtlich einzuhegen.

35

Die Europäische Zentralbank handele außerhalb ihres Mandates. Es fehle bereits an einer ökonomischen Rechtfertigung des OMT-Programms, dieses sei aber auch rechtlich gesehen völlig unhaltbar. In tatsächlicher Hinsicht fehle es schon an den für eine Intervention der Europäischen Zentralbank erforderlichen Verwerfungen auf den Staatsschuldenmärkten in Form unnatürlicher Marktstörungen. Die von den Anlegern für längerfristige Anleihen einzelner Mitgliedstaaten geforderten Zinsen entsprächen den Erwartungen der Anleger und gewichteten lediglich das mit den Papieren verbundene Risiko. Das sei nicht anormal, zumal in keinem dieser Staaten, mit Ausnahme von Irland, der Sanierungskurs sicher und nachhaltig sei. Somit laufe die Politik der Europäischen Zentralbank auf eine Suspendierung der Marktmechanismen hinaus, wie sie von Art. 125 AEUV gerade nicht gewollt sei, und setze deren Wirksamkeit gegenüber dem fiskalischen Fehlverhalten der betroffenen Mitgliedstaaten dauerhaft außer Kraft.

36

Die Europäische Zentralbank habe kein Mandat zur Verteidigung des Euro schlechthin. Dies obliege allein den Regierungen der Mitgliedstaaten. Als demokratisch in keiner Weise legitimierte Einrichtung habe sich die Europäische Zentralbank zum Souverän des finanzpolitischen Ausnahmezustandes aufgeschwungen, wobei die Mehrheit des Rates der Europäischen Zentralbank für sich in Anspruch nehme, Ausnahmetatbestände mit Blick auf das geldpolitische Mandat zu erweitern, frei darüber zu entscheiden, wann selbst definierte Ausnahmetatbestände vorlägen, und ebenso diskretionär darüber zu befinden, wie lange diese Ausnahmezustände andauerten.

37

Durch das OMT-Programm werde ferner die Verfassungsidentität des Grundgesetzes verletzt. Es verstoße durch die zwischen ESM und Europäischer Zentralbank vorgesehene Arbeitsteilung gegen Art. 123 und 125 AEUV und ziele auf eine verbotene Staatsfinanzierung. Zum einen würden die Anleihekäufe nicht sterilisiert, zum andern umgehe die Europäische Zentralbank das Verbot des Erwerbs von Staatsanleihen auf dem Primärmarkt dadurch, dass sie gerade diejenigen Anleihen erwerbe, die zuvor durch ESM oder EFSF direkt von den Emittenten angekauft worden seien. Die Europäische Zentralbank agiere somit außerhalb ihres Mandates und verletze die Beschwerdeführer in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, weil sie das Primärrecht derart offensichtlich verletze, dass sogar der Präsident der Bundesbank seine Neinstimme öffentlich mache, das Ende der im Mai 2010 begonnenen Politik der unionsrechtswidrigen Selbstermächtigung der Europäischen Zentralbank nicht absehbar sei und diese systemische Verwerfungen mit sich bringe.

38

Die nunmehr festgelegte Arbeitsteilung zwischen ESM und Europäischer Zentralbank verstärke den Eingriff in die durch Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Rechte, weil gegenüber dem Volk allein der Bundestag für die Summe der Belastungen der Bürger sowie die wesentlichen Aufgaben des Staates, einschließlich der Kreditaufnahme, verantwortlich sei. Demgegenüber setze das OMT-Programm den im Rahmen der Eurorettungspolitik beschrittenen irreversiblen Weg zur Zerrüttung der gesamtstaatlichen Finanzen fort und beseitige damit die innere finanzielle Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. Die vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 12. September 2012 gezogenen Grenzen hinsichtlich der Konditionierung der Zustimmung des Bundestages für die Arbeitsteilung würden ebenso umgangen wie das Verbot, die Höhe der Haftung Deutschlands von der Entscheidung Dritter abhängig zu machen. Letztlich drohe eine Überforderung der deutschen Volkswirtschaft, der deutschen Finanzen und schließlich auch die nachhaltige Schwächung der Eurozone.

39

Schließlich sei auch die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG verletzt, weil Art. 123, 125 und 126 AEUV als Schutzschilde vor Inflation und kollektiver Schuldübernahme umgangen würden. Dass die Europäische Zentralbank die Inflation selbst fördere, verstoße nicht zuletzt deshalb gegen Art. 14 in Verbindung mit Art. 88 GG, weil die von dieser zusätzlich zur Verfügung gestellte Liquidität nicht sofort sterilisiert werden könne.

40

5. Die Antragstellerin zu V. begehrt die Feststellung, dass der Antragsgegner verpflichtet sei, zur Sicherung seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung darauf hinzuwirken, dass der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 aufgehoben wird, sowie hilfsweise, dass er seine Zustimmung zu den - als Bedingung für den Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank erforderlichen - Anpassungsprogrammen im Rahmen der EFSF oder des ESM durch einen zur Sicherung seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung notwendigen konstitutiven Parlamentsbeschluss nur erteilen darf, wenn er über die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank zuvor nach Art, Umfang und Dauer sowie über die damit verbundenen Haftungsrisiken hinreichend informiert worden und wenn durch wirksame Vorkehrungen gewährleistet sei, dass die Haftung der Bundesrepublik Deutschland aus diesen Anleihekäufen die Summe ihrer Zahlungsverpflichtungen aus Art. 8 Abs. 5 Satz 1 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, wie sie sich aus Anhang II des Vertrages ergibt, nicht übersteige.

41

Die Anträge seien zulässig. Die Antragsbefugnis der Antragstellerin ergebe sich aus der Erwägung, dass der unbegrenzte Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank als Umgehung des Verbots monetärer Haushaltsfinanzierung nach Art. 123 AEUV die Rechte des Bundestages aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 79 Abs. 3 GG unmittelbar gefährden könne. Zudem treffe den Deutschen Bundestag die Verpflichtung, einer Missachtung seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung entgegenzuwirken. Dieser Verpflichtung sei er bisher nicht nachgekommen, was die Antragstellerin im Wege der Prozessstandschaft rügen könne. Hilfsweise werde die Sicherung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung durch eine Begrenzung der Haftung der Bundesrepublik Deutschland für Verluste der Europäischen Zentralbank im Zusammenhang mit dem Erwerb von Staatsanleihen angestrebt.

42

Die Anträge seien auch begründet. Bei dem geplanten Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank handele es sich nicht um eine geldpolitische Maßnahme, sondern um monetäre Haushaltsfinanzierung, die nach Art. 123 AEUV unzulässig sei. Bis zu dessen Änderung seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, Maßnahmen gegen das Unterlaufen des Haftungsverbots zu ergreifen. Insoweit sei auch der Hilfsantrag begründet, weil mit dem unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen ein zunehmendes Haftungsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland entstehe. Eine vollständige Information des Bundestages sei dabei umso wichtiger, als die finanziellen Rettungsmaßnahmen von EFSF und ESM durch den Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank weitgehend funktionslos würden. Zugleich werde dadurch die für den ESM festgelegte Haftungsgrenze unterlaufen.

III.

43

Der Bundespräsident, der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und alle Landesregierungen hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

44

1. Die Bundesregierung hält die Verfassungsbeschwerden sowie den Antrag im Organstreitverfahren für unzulässig, jedenfalls für unbegründet.

45

a) Bereits im Urteil vom 7. September 2011 habe das Bundesverfassungsgericht zu den im Wesentlichen gleich gerichteten Anträgen entschieden, dass es sich bei den bis dahin erfolgten Ankäufen von Staatsanleihen durch das Eurosystem um keine tauglichen Beschwerdegegenstände handele, da diese keine mit der Verfassungsbeschwerde angreifbaren Hoheitsakte deutscher öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG seien. Für das nunmehr angegriffene OMT-Programm, das derzeit nur als Ankündigung des Präsidenten der Europäischen Zentralbank existiere, müsse Gleiches gelten. Selbst wenn diese Rechtsprechung aufgegeben würde, wären die Voraussetzungen einer Ultra-vires-Rüge nicht erfüllt. Es fehle an Ausführungen, weswegen ein kompetenzwidriges Handeln der Unionsgewalt offensichtlich sei und warum der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Union im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sowie die rechtsstaatliche Gesetzesbindung erheblich ins Gewicht falle.

46

Indem der Beschwerdeführer zu I. für alle Fälle einer Ultra-vires-Rüge eine Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Union postuliere, entwerte er das Vorlageverfahren. Die Beschwerdeführer zu II. trügen nicht vor, weshalb es sich bei den Ankäufen von Staatsanleihen am Sekundärmarkt offensichtlich nicht um geldpolitische Maßnahmen handeln solle. Die schlüssige Darlegung einer Kompetenzüberschreitung durch die Europäische Zentralbank fehle insoweit. Gleiches gelte für die Beschwerdeführer zu IV. Schließlich seien auch die Hilfsanträge des Beschwerdeführers zu I. sowie der Antragstellerin zu V., die auf eine Einwirkung von Bundesregierung und Bundestag auf die Europäische Zentralbank zielten, mangels Erfüllung der Darlegungsobliegenheiten an eine Ultra-vires-Rüge unzulässig.

47

b) Die Anträge seien aber auch unbegründet. Die Europäische Zentralbank überschreite nicht in dem vom Bundesverfassungsgericht geforderten Maße die ihr übertragenen Kompetenzen. Art. 127 Abs. 1 Satz 1 und Art. 282 Abs. 2 Satz 2 AEUV verpflichteten die Europäische Zentralbank auf das vorrangige Ziel der Preisstabilität. Jenseits dessen unterstütze das Eurosystem die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union.

48

Maßgebliche Vorschrift sei insoweit Art. 123 Abs. 1 AEUV. Dieser verbiete den Zentralbanken die Kreditvergabe an die Europäische Union und die Mitgliedstaaten sowie den unmittelbaren Erwerb ihrer Schuldtitel. Ein solcher Erwerb sei mit dem SMP jedoch nicht beabsichtigt gewesen, weil dieses nur Käufe am Sekundärmarkt vorgesehen habe. Auch die im 7. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 3603/93 vorgesehenen Maßnahmen stünden dem SMP nicht entgegen, da Adressat dieser Verordnung lediglich die Mitgliedstaaten seien, nicht aber die Europäische Zentralbank. Das Bundesverfassungsgericht habe zudem festgestellt, dass ein Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank nur dann als Umgehung des Verbots monetärer Haushaltsfinanzierung untersagt sei, wenn er auf eine von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten ziele. Der Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank ziele indes nicht auf eine Staatsfinanzierung, sondern bezwecke geldpolitische Wirkungen. Die Währungspolitik umfasse neben der Wechselkurspolitik auch die Geldpolitik, unter der üblicherweise die Steuerungsmaßnahmen verstanden würden, die auf den Binnenraum einer Währung bezogen seien. Während sich die Europäische Zentralbank die Wechselkurspolitik mit den anderen Organen der Europäischen Union teile, weise Art. 127 Abs. 2 1. Spiegelstrich AEUV die Geldpolitik ausschließlich dem ESZB zu. In diesem Zusammenhang gäben Art. 17 ff. ESZB-Satzung der Europäischen Zentralbank die Instrumente an die Hand, mit denen die Geldpolitik gestaltet werde. Dabei ermächtige Art. 20 Abs. 1 ESZB-Satzung den Rat der Europäischen Zentralbank, über zusätzliche Instrumente zu entscheiden. Demgemäß dürfe die Europäische Zentralbank als Reaktion auf unerwartete Entwicklungen neue Instrumente schaffen.

49

Die Europäische Zentralbank verfüge insoweit über einen weiten Einschätzungsspielraum, der nur überschritten werde, wenn die Maßnahme zur Erreichung des damit verfolgten Ziels offensichtlich ungeeignet sei. Dies habe neben dem Gerichtshof der Europäischen Union auch das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen vom 7. September 2011 und 12. September 2012 bestätigt. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts seien so zu verstehen, dass der Europäischen Zentralbank bei der Festlegung und Ausführung der Geldpolitik eine flexible und situationsangemessene Reaktion zuzugestehen sei. Ihre Unabhängigkeit habe das Gericht nicht nur als eine mit Art. 79 Abs. 3 GG zu vereinbarende Modifikation des Demokratieprinzips angesehen, sondern zugleich als wesentliches Element verstanden, das die Ausgestaltung der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft absichere. Der Spielraum der Europäischen Zentralbank dürfe daher bei geldpolitischen Maßnahmen nicht durch eine gerichtliche Überprüfung - sei es durch den Gerichtshof der Europäischen Union, sei es durch das Bundesverfassungsgericht - eingeschränkt werden. Unter Berücksichtigung ihres Einschätzungsspielraums sei eine offensichtliche Kompetenzüberschreitung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts daher von vornherein ausgeschlossen.

50

2. Auch der Deutsche Bundestag, der im Detail nur auf die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu I. eingeht, hält die Verfassungsbeschwerden sowie den im Organstreitverfahren gestellten Antrag für unzulässig, jedenfalls für unbegründet.

51

a) Der Antrag des Beschwerdeführers zu I. sei unzulässig, weil es bereits an einem tauglichen Beschwerdegegenstand fehle. Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG könnten grundsätzlich nur Akte deutscher Hoheitsgewalt mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Daran habe das Maastricht-Urteil nichts geändert. Mit der Öffnung der Verfassungsbeschwerde gegen supranationale Hoheitsakte im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes sei keine generelle Gleichstellung von Akten deutscher und unionaler Hoheitsgewalt beabsichtigt gewesen. Wesentliche Intention sei vielmehr gewesen, ein Absinken des unionalen Grundrechtsstandards unter ein dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbares Niveau zu verhindern und insoweit eine Grundrechtskontrolle zu ermöglichen. Mit der Ultra-vires-Rüge könnten daher nur verfassungswidrige Kompetenzübertragungen auf die Europäische Union oder deutsche Hoheitsakte, die auf einem Ultra-vires-Akt der Europäischen Union beruhten, angegriffen werden. Dies werde durch die Honeywell-Rechtsprechung belegt. Auch in der Entscheidung zur Griechenlandhilfe habe das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass zumindest die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank nicht mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar seien. Entsprechende Erwägungen gälten hinsichtlich der Identitätsrüge, da andernfalls eine vom Bundesverfassungsgericht nicht gewollte "Popularklage gegen Europa" eröffnet werde.

52

Ferner sei zweifelhaft, ob die angegriffenen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank eine hinreichende rechtliche Wirkung entfalteten. Der OMT-Beschluss besitze für sich genommen keine rechtlichen Wirkungen. Zudem habe die Europäische Zentralbank lediglich ihre Absicht bekundet, gegebenenfalls zu handeln. Bloße Absichtserklärungen seien nicht angreifbar. Dem Beschluss fehle es zudem an der erforderlichen Rechtswirkung gegenüber Dritten, weil er sich allein an die nationalen Zentralbanken richte und die rechtliche Sphäre des Eurosystems somit nicht verlasse.

53

Dem Beschwerdeführer zu I. fehle es auch an der erforderlichen Beschwerdebefugnis. Art. 38 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG vermittelten keinen Anspruch auf eine umfassende Recht- oder Verfassungsmäßigkeitskontrolle, sondern schützten allein vor einem Substanzverlust der vom Wahlbürger ausgehenden Herrschaftsgewalt durch Übertragung hoheitlicher Aufgaben und Befugnisse auf supranationale Einrichtungen. Dieser Schutz umfasse lediglich die abschließend definierten Konstellationen des Verlustes der deutschen Staatlichkeit, die Entstehung einer demokratischen Anforderungen nicht mehr entsprechenden Herrschaftsordnung sowie eine übermäßige Aushöhlung der Kompetenzen des Bundestages. Die erhobene Ultra-vires-Rüge sei in diesem Kontext weder prozessual noch materiell-rechtlich umfassend, weshalb nicht jeder Verstoß gegen das Unionsrecht und jedes kompetenzwidrige Verhalten von Organen der Europäischen Union gerügt werden könnten. Insoweit fehle es an einer prozessualen Gleichsetzung von Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 38 GG. Der Beschwerdeführer zu I. habe auch nicht hinreichend aufgezeigt, inwieweit die gerügten Maßnahmen die Konzeption der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft gefährdeten. Hinsichtlich der geldpolitischen Entscheidungen des Rates der Europäischen Zentralbank habe das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 12. September 2012 betont, dass nicht jede Entscheidung, die Risiken für die Preisstabilität in sich berge, allein deshalb verfassungswidrig sei.

54

Darüber hinaus gelinge keinem der Beschwerdeführer die Darlegung, dass ein herausgehobener Bereich des Identitätsschutzes berührt sei. Auf die im Lissabon-Urteil entwickelten Grenzen komme es dabei nicht an, da die Währungshoheit der Europäischen Union bereits als ausschließliche Kompetenz übertragen worden sei und eine weitere Vertragsänderung nicht vorliege. Der Beschwerdeführer zu I. habe noch nicht einmal aufgezeigt, dass das parlamentarische Budgetrecht durch die gerügten Maßnahmen der Europäischen Zentralbank gefährdet sei. Die bloße Behauptung einer Gefährdung der Stabilität der Währungsunion sowie die Gefahr einer Inflation reichten nicht aus. Eine drohende Überschuldung des Bundeshaushalts habe der Beschwerdeführer zu I. nicht dargelegt und könne dies auch nicht vor dem Hintergrund, dass Verluste der Europäischen Zentralbank die nationalen Notenbanken automatisch träfen. Im Übrigen treffe den Bund für die Bundesbank keine Anstaltslast oder Gewährträgerhaftung, womit eine unmittelbar haushaltswirksame Verpflichtung des Bundes aus den Ankäufen von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank ausgeschlossen sei. Eine Erstreckung der Identitätskontrolle auf Maßnahmen von Organen der Europäischen Union sei nicht veranlasst, da die Maßnahme Auswirkungen auf die Verfassungsidentität des Grundgesetzes haben müsse, die von den Beschwerdeführern jedoch nicht nachgewiesen worden sei. Die allein behauptete Kompetenzanmaßung von Hoheitsrechten durch die Europäische Zentralbank könne eine Identitätskontrolle nicht auslösen.

55

Die angegriffenen Maßnahmen erfüllten auch nicht die in der Honeywell-Rechtsprechung entwickelten Kriterien. Der entsprechende Antrag des Beschwerdeführers zu I. sei bereits unzulässig. Außerdem fehle es an einer offensichtlichen und erheblichen Kompetenzüberschreitung. Selbst wenn im Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt auf der Grundlage des OMT-Beschlusses eine Kompetenzüberschreitung gesehen werden könne, sei diese angesichts der im ganz überwiegenden Schrifttum vertretenen Auffassung, dass der Ankauf rechtmäßig sei, doch zumindest nicht offensichtlich. Jedenfalls sei ein Kompetenzverstoß nicht erheblich. Daher sei auch der Hilfsantrag des Beschwerdeführers zu I. unzulässig, mit welchem er ein Tätigwerden der Bundesregierung verlange.

56

b) Die Verfassungsbeschwerde sei im Übrigen unbegründet.

57

aa) Die Europäische Zentralbank halte sich mit ihrem Beschluss vom 6. September 2012 in den unionsrechtlich gezogenen Grenzen. Zwischen der Wirtschafts- und Fiskalpolitik auf der einen und der Geldpolitik auf der anderen Seite bestünden Wechselwirkungen. Der Begriff der Preisstabilität sei nicht völlig bestimmt, weshalb der Europäischen Zentralbank ein Entscheidungsspielraum zukomme. Da sie diesen nicht überschritten habe, stehe ihr Handeln auch im Einklang mit dem deutschen Verfassungsrecht.

58

Art. 130 und Art. 282 Abs. 3 Satz 3 AEUV sowie Art. 88 Satz 2 GG garantierten zudem die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, was zur Abschirmung der Währungspolitik unverzichtbar sei. Dies führe zwar nicht zu einer Lösung der Europäischen Zentralbank aus dem Rechtsrahmen der Europäischen Union, verleihe ihr jedoch die Befugnis, ihr Verständnis von angemessener Währungspolitik zu verwirklichen und entziehe dieses einer Kontrolle über die "richtige" oder vorzugswürdige Geldpolitik. Solange sie sich innerhalb ihres rechtlichen Mandates bewege, könnten ökonomische Entscheidungen der Europäischen Zentralbank aufgrund ihrer Unabhängigkeit nicht angegriffen werden. Ein Überschreiten dieses Mandates könne nicht bereits dann angenommen werden, wenn ergriffene Maßnahmen nicht mit der herrschenden ökonomischen Lehre übereinstimmten. Erst wenn Maßnahmen der Europäischen Zentralbank eindeutig über ihr Mandat hinausgingen, seien sie einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich. Dies setze voraus, dass die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank nach jeder methodisch tragbaren Interpretation des Unionsrechts gegen das Primärrecht verstießen, wie dies etwa beim Ankauf von Staatsanleihen auf dem Primärmarkt oder der Kreditvergabe an den ESM der Fall sei. Dagegen lasse sich der Formulierung des Art. 123 Abs. 1, 2. Alt. AEUV kein Verbot des Erwerbs von Staatsanleihen am Sekundärmarkt entnehmen. Art. 18.1 ESZB-Satzung erlaube dem Eurosystem vielmehr ausdrücklich den Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt als Instrument der Offenmarktpolitik.

59

Mit dem Beschluss vom 6. September 2012 verlasse die Europäische Zentralbank nicht das Gebiet der Geldpolitik, da sie lediglich den geldpolitischen Transmissionsmechanismus wieder effektivieren wolle. Auch fehle es an einer Entkoppelung von Fiskalpolitik und Märkten, weil die Europäische Zentralbank nicht in Aussicht gestellt habe, alle ihr angebotenen Anleihen zu kaufen. Ein solcher Ankauf würde zudem nur zu Marktpreisen erfolgen. Die Europäische Zentralbank habe schließlich betont, dass sie sich bei ihren Entscheidungen über die Aufnahme und Einstellung des Ankaufprogramms nicht an die Einschätzungen der politisch handelnden Akteure gebunden fühle und sich zudem allein auf den Bereich kurzfristiger Staatsanleihen beschränken wolle. Eine eindeutige Inflationswirkung der von der Europäischen Zentralbank betriebenen Politik sei weder vorgetragen noch anderweitig dargelegt. Dies sei angesichts ihres Festhaltens am Ziel der Preisstabilität auch nicht zu erwarten. Die vom Beschwerdeführer zu I. angegriffene Politik der Europäischen Zentralbank stelle sich allenfalls als ähnliches "Nicht-Standard-Instrument" dar, wie es von der Bundesbank bereits in den 1970er Jahren angewandt worden sei. Darin liege keine mit dem Kompetenzgefüge der Europäischen Union unvereinbare Mandatsüberschreitung.

60

bb) Auch die mit Blick auf eine nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages erhobene Identitätsrüge sei unbegründet. Die vom Beschwerdeführer zu I. bemühte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unvereinbarkeit eines Haftungsautomatismus mit der Budgethoheit des Bundestages sei im Falle der Europäischen Zentralbank insoweit nicht einschlägig, als mit der Errichtung der Europäischen Zentralbank als unabhängige Zentralbank bereits eine Grundsatzentscheidung getroffen worden sei, die eine parlamentarische Einflussnahme auf deren Entscheidungen ausschließe. Es fehle zudem an einer unmittelbaren Verknüpfung der Geschäftstätigkeit der Europäischen Zentralbank mit dem Bundeshaushalt. Die Haftung für Verluste der Europäischen Zentralbank treffe unmittelbar weder die Bundesbank noch den Bundeshaushalt.

61

Ein Anspruch auf Einschreiten der Bundesregierung gegen den Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank bestehe nicht. Es fehle bereits an der Gefährdung eines verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgutes. Überdies stehe der Bundesregierung ein weiter Prognose- und Gestaltungsspielraum zu, der lediglich einer Evidenzkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterliege.

62

c) Auch die Anträge der Antragstellerin zu V. seien unzulässig, soweit sie sich gegen die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank auf der Grundlage des Beschlusses vom 6. September 2012 wendeten. Insoweit fehle es an einem tauglichen Antragsgegenstand, weil nach § 64 Abs. 1 BVerfGG nur Maßnahmen oder Unterlassungen des Bundestages und nicht der Europäischen Zentralbank angegriffen werden könnten. Unzulässig sei auch der Antrag, dass der Bundestag auf eine Revidierung der Beschlüsse der Europäischen Zentralbank hinwirken solle, da nach Art. 263 AEUV eine Nichtigkeitsklage nur von der Bundesregierung angestrengt werden könne.

63

Der Antragstellerin fehle aber auch die Antragsbefugnis, weil sie als Fraktion im Deutschen Bundestag keine eigenen Rechte geltend mache, sondern solche des gesamten Bundestages, ohne dass diese durch die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank verletzt oder auch nur unmittelbar gefährdet würden. Das Bundesverfassungsgericht habe wiederholt ausgeführt, dass das in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleistete Demokratieprinzip kein Recht des Bundestages sei. Zwar habe die Antragstellerin zunächst eine Entledigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung im Zusammenhang mit der Errichtung des ESM rügen können; hinsichtlich der Maßnahmen der Europäischen Zentralbank sei dies jedoch nicht möglich. Es fehle insoweit an einer verfassungsrechtlich kontrollierbaren Übertragung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung durch oder aufgrund der Maßnahmen der Europäischen Zentralbank. Soweit die Antragstellerin im Hilfsantrag die Feststellung begehre, der Bundestag dürfe seine Zustimmung zu den Hilfsprogrammen nur nach ausreichender Information durch die Europäische Zentralbank erteilen, sei der Antrag zu unbestimmt.

64

Die Anträge seien auch unbegründet. Ein Anspruch des Bundestages gegenüber der Europäischen Zentralbank auf Auskünfte und Informationen bestehe nicht. Der Bundestag sei auch nicht verpflichtet, seine Mitwirkung an Hilfsprogrammen zu verweigern, solange diese nicht seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung beeinträchtigten. Eine solche Beeinträchtigung setze voraus, dass sich aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG eine bezifferbare Obergrenze für die vom Deutschen Bundestag hinnehmbaren Lasten ergebe. Das sei jedoch nicht der Fall.

IV.

65

1. Durch Beschluss vom 17. Dezember 2013 (BVerfGE 134, 357) hat der Senat die vorliegenden Verfahren von ursprünglich umfassenderen Verfahren abgetrennt, die sich zunächst auch gegen deutsche und europäische Rechtsakte im Zusammenhang mit der Errichtung des ESM und dem Abschluss des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, gegen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank sowie gegen Unterlassungen des Bundesgesetzgebers und der Bundesregierung in dem genannten Zusammenhang richteten. Zuvor hatte der Senat am 11. und 12. Juni 2013 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Über die nicht abgetrennten Verfahrensteile hat der Senat durch Urteil vom 18. März 2014 abschließend entschieden (BVerfGE 135, 317).

66

2. Die vorliegenden Verfahren hat der Senat durch Beschluss vom 14. Januar 2014 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 AEUV zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt (BVerfGE 134, 366<369 ff.>):

1. a) Ist der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 über Technical features of Outright Monetary Transactions mit Artikel 119 und Artikel 127 Absätze 1 und 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie mit Artikel 17 bis 24 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank unvereinbar, weil er über das in den genannten Vorschriften geregelte Mandat der Europäischen Zentralbank zur Währungspolitik hinausgeht und in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten übergreift?

Ergibt sich eine Überschreitung des Mandates der Europäischen Zentralbank insbesondere daraus, dass der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012

aa) an wirtschaftspolitische Hilfsprogramme der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus anknüpft (Konditionalität)?

bb) den Ankauf von Staatsanleihen nur einzelner Mitgliedstaaten vorsieht (Selektivität)?

cc) den Ankauf von Staatsanleihen der Programmländer zusätzlich zu Hilfsprogrammen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus vorsieht (Parallelität)?

dd) Begrenzungen und Bedingungen der Hilfsprogramme der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus unterlaufen könnte (Umgehung)?

b) Ist der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 über Technical features of Outright Monetary Transactions mit dem in Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verankerten Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung unvereinbar?

Steht der Vereinbarkeit mit Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union insbesondere entgegen, dass der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012

aa) keine quantitative Begrenzung des Ankaufs von Staatsanleihen vorsieht (Volumen)?

bb) keinen zeitlichen Abstand zwischen der Emission von Staatsanleihen am Primärmarkt und ihrem Ankauf durch das Europäische System der Zentralbanken am Sekundärmarkt vorsieht (Marktpreisbildung)?

cc) es zulässt, dass sämtliche erworbenen Staatsanleihen bis zur Fälligkeit gehalten werden (Eingriff in die Marktlogik)?

dd) keine spezifischen Anforderungen an die Bonität der zu erwerbenden Staatsanleihen enthält (Ausfallrisiko)?

ee) eine Gleichbehandlung des Europäischen Systems der Zentralbanken mit privaten und anderen Inhabern von Staatsanleihen vorsieht(Schuldenschnitt)?

2. Hilfsweise für den Fall, dass der Gerichtshof den Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 über Technical features of Outright Monetary Transactions als Handlung eines Organs der Europäischen Union nicht als tauglichen Gegenstand eines Ersuchens nach Artikel 267 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ansehen sollte:

a) Sind Artikel 119 und Artikel 127 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie Artikel 17 bis 24 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank so auszulegen, dass sie es dem Eurosystem - alternativ oder kumulativ - gestatten,

aa) den Ankauf von Staatsanleihen von der Existenz und Einhaltung wirtschaftspolitischer Hilfsprogramme der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus abhängig zu machen (Konditionalität)?

bb) Staatsanleihen nur einzelner Mitgliedstaaten anzukaufen (Selektivität)?

cc) Staatsanleihen von Programmländern zusätzlich zu Hilfsprogrammen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus anzukaufen (Parallelität)?

dd) Begrenzungen und Bedingungen der Hilfsprogramme der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu unterlaufen (Umgehung)?

b) Ist Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union mit Blick auf das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung so auszulegen, dass es dem Eurosystem - alternativ oder kumulativ - erlaubt ist,

aa) Staatsanleihen ohne quantitative Begrenzung anzukaufen (Volumen)?

bb) Staatsanleihen ohne zeitlichen Mindestabstand zu ihrer Emission von Staatsanleihen am Primärmarkt anzukaufen (Marktpreisbildung)?

cc) sämtliche erworbenen Staatsanleihen bis zur Fälligkeit zu halten (Eingriff in die Marktlogik)?

dd) Staatsanleihen ohne Mindestanforderung an die Bonität zu erwerben (Ausfallrisiko)?

ee) eine Gleichbehandlung des Europäischen Systems der Zentralbanken mit privaten und anderen Inhabern von Staatsanleihen hinzunehmen(Schuldenschnitt)?

ff) durch die Äußerung von Kaufabsichten oder auf andere Weise in zeitlichem Zusammenhang mit der Emission von Staatsanleihen von Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes Einfluss auf die Preisbildung zu nehmen (Ermutigung zum Ersterwerb)?

67

3. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats mit Urteil vom 16. Juni 2015 entschieden, dass Art. 119 AEUV, Art. 123 Abs. 1 AEUV und Art. 127 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV sowie die Art. 17 bis 24 des Protokolls (Nr. 4) über die Satzung des ESZB und der Europäischen Zentralbank (ESZB-Satzung) dahin auszulegen seien, dass sie das Europäische System der Zentralbanken dazu ermächtigten, ein Programm für den Ankauf von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten wie dasjenige zu beschließen, das in der Pressemitteilung angekündigt worden sei, die im Protokoll der 340. Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank vom 5. und 6. September 2012 genannt sei (Urteil vom 16. Juni 2015, Gauweiler, C-62/14, EU:C:2015:400, Rn. 128).

68

Das Vorabentscheidungsersuchen hat der Gerichtshof auf der Grundlage der vom Senat im Vorlagebeschluss im Einzelnen dargelegten Voraussetzungen und Folgen einer Ultra-vires-Kontrolle für statthaft und zulässig gehalten und entsprechende Einwände mehrerer Beteiligter zurückgewiesen (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 11 bis 31). Er hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung die vorlegenden Gerichte an die Rechtsprechung des Gerichtshofs gebunden seien (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 16).

69

Soweit der Gerichtshof auf die vom Senat vorgelegten Fragen explizit eingegangen ist, hat er ausgeführt (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 33 ff.):

Zu den Art. 119 AEUV und 127 Abs. 1 und 2 AEUV sowie den Art. 17 bis 24 des Protokolls über das ESZB und die EZB

33 Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob ein Programm für den Ankauf von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten wie das in der Pressemitteilung angekündigte unter die im Primärrecht vorgesehenen Befugnisse des ESZB fallen kann.

- Zu den Befugnissen des ESZB

34 Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Art. 119 Abs. 2 AEUV die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union eine einheitliche Währung, den Euro, sowie die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld- und Wechselkurspolitik umfasst (Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 48).

35 Was speziell die Währungspolitik betrifft, hat die Union nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c AEUV eine ausschließliche Zuständigkeit in diesem Bereich für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 50).

36 Nach Art. 282 Abs. 1 AEUV bilden die EZB und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, das Eurosystem und betreiben die Währungspolitik der Union (vgl. Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 49). Nach Art. 282 Abs. 4 AEUV erlässt die EZB die für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Maßnahmen nach den Art. 127 AEUV bis 133 AEUV und 138 AEUV und nach Maßgabe der Satzung des ESZB und der EZB.

37 In diesem Rahmen ist es gemäß Art. 127 Abs. 2 AEUV Sache des ESZB, diese Politik festzulegen und auszuführen.

38 Insbesondere ergibt sich aus Art. 129 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 des Protokolls über das ESZB und die EZB, dass der EZB-Rat die Geldpolitik der Union festlegt und das Direktorium der EZB diese Politik gemäß den Leitlinien und Beschlüssen des EZB-Rates ausführt.

39 Weiter geht aus Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 3 dieses Protokolls hervor, dass die EZB, soweit dies möglich und sachgerecht erscheint, zur Durchführung von Geschäften, die zu den Aufgaben des ESZB gehören, die nationalen Zentralbanken in Anspruch nimmt, die gemäß Art. 14 Abs. 3 des Protokolls gemäß den Leitlinien und Weisungen der EZB zu handeln haben.

40 Des Weiteren ergibt sich aus Art. 130 AEUV, dass das ESZB seine Aufgabe der Festlegung und Ausführung der Währungspolitik der Union in unabhängiger Weise wahrnimmt. Aus dem Wortlaut dieses Artikels ergibt sich, dass er das ESZB und seine Beschlussorgane vor externen Einflussnahmen schützen soll, die mit der Wahrnehmung der Aufgaben in Konflikt geraten könnten, die der AEU-Vertrag und das Protokoll über das ESZB und die EZB dem ESZB übertragen. So soll dieser Artikel das ESZB im Wesentlichen vor jedem politischen Druck schützen, damit es die für seine Aufgaben gesetzten Ziele durch die unabhängige Ausübung der spezifischen Befugnisse, über die es zu diesen Zwecken nach dem Primärrecht verfügt, wirksam verfolgen kann (vgl. in diesem Sinne Kommission/EZB, C-11/00, EU:C:2003:395, Rn. 134).

41 Gemäß dem in Art. 5 Abs. 2 EUV niedergelegten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung hat das ESZB innerhalb der Grenzen der Befugnisse zu handeln, die ihm das Primärrecht verleiht, und es kann daher nicht in gültiger Weise ein Programm beschließen und durchführen, das über den Bereich hinausgeht, der der Währungspolitik durch das Primärrecht zugewiesen wird. Um die Einhaltung dieses Grundsatzes zu gewährleisten, unterliegen die Handlungen des ESZB nach Maßgabe der in den Verträgen festgelegten Voraussetzungen der gerichtlichen Kontrolle durch den Gerichtshof (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/EZB, C-11/00, EU:C:2003:395, Rn. 135).

42 Insoweit ist festzustellen, dass der AEU-Vertrag keine genaue Definition der Währungspolitik enthält, sondern zugleich die Ziele der Währungspolitik und die Mittel festlegt, über die das ESZB zur Ausführung dieser Politik verfügt (vgl. in diesem Sinne Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 53).

43 So ist nach Art. 127 Abs. 1 AEUV und Art. 282 Abs. 2 AEUV das vorrangige Ziel der Währungspolitik der Union die Gewährleistung der Preisstabilität. Diese Bestimmungen sehen ferner vor, dass das ESZB ohne Beeinträchtigung dieses Ziels die allgemeine Wirtschaftspolitik der Union unterstützt, um zur Verwirklichung der in Art. 3 EUV definierten Ziele der Union beizutragen (vgl. in diesem Sinne Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 54).

44 Das Protokoll über das ESZB und die EZB ist somit durch ein klares Mandat gekennzeichnet, mit dem vorrangig das Ziel verfolgt wird, die Preisstabilität zu gewährleisten. Die Spezifizität dieses Mandats wird durch die Verfahren zur Reform bestimmter Teile der Satzung des ESZB und der EZB noch verstärkt.

45 Was die dem ESZB durch das Primärrecht zur Verwirklichung dieser Ziele zugewiesenen Mittel angeht, ist hervorzuheben, dass das Kapitel IV des Protokolls über das ESZB und die EZB, das die währungspolitischen Aufgaben und Operationen des ESZB festlegt, die Instrumente aufführt, deren sich das ESZB im Rahmen der Währungspolitik bedienen kann.

- Zur Abgrenzung der Währungspolitik

46 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht hervor, dass für die Entscheidung über die Frage, ob eine Maßnahme zur Währungspolitik gehört, hauptsächlich auf die Ziele dieser Maßnahme abzustellen ist. Die Mittel, die die Maßnahme zur Erreichung dieser Ziele einsetzt, sind ebenfalls erheblich (vgl. in diesem Sinne Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 53 und 55).

47 Was erstens die Ziele angeht, die mit einem Programm wie dem in den Ausgangsverfahren streitigen verfolgt werden, lässt sich der Pressemitteilung entnehmen, dass dieses Programm zugleich eine ordnungsgemäße geldpolitische Transmission und die Einheitlichkeit der Geldpolitik sicherstellen soll.

48 Zum einen aber trägt das Ziel, die Einheitlichkeit der Geldpolitik zu gewährleisten, zur Erreichung der Ziele dieser Politik bei, da diese nach Art. 119 Abs. 2 AEUV "einheitlich" sein muss.

49 Zum anderen ist das Ziel der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Transmission der Geldpolitik zugleich geeignet, die Einheitlichkeit dieser Politik zu gewährleisten und zu deren vorrangigem Ziel beizutragen, das in der Gewährleistung der Preisstabilität besteht.

50 Die Fähigkeit des ESZB, durch seine geldpolitischen Entscheidungen die Preisentwicklung zu beeinflussen, hängt nämlich in weitem Umfang von der Übertragung der Impulse ab, die es auf dem Geldmarkt an die verschiedenen Wirtschaftssektoren aussendet. Eine Störung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus ist daher geeignet, die Entscheidungen des ESZB in einem Teil des Euro-Währungsgebiets ins Leere gehen zu lassen und damit die Einheitlichkeit der Geldpolitik zu beeinträchtigen. Im Übrigen wird, da eine Störung des Transmissionsmechanismus die Wirksamkeit der vom ESZB beschlossenen Maßnahmen beeinträchtigt, dadurch zwangsläufig dessen Fähigkeit beeinträchtigt, die Preisstabilität zu gewährleisten. Daher können Maßnahmen, die diesen Transmissionsmechanismus erhalten sollen, dem in Art. 127 Abs. 1 AEUV festgelegten vorrangigen Ziel zugerechnet werden.

51 Der Umstand, dass ein Programm wie das in der Pressemitteilung angekündigte möglicherweise geeignet ist, auch zur Stabilität des Euro-Währungsgebiets beizutragen, die zur Wirtschaftspolitik gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 56), kann diese Beurteilung nicht in Frage stellen.

52 Eine währungspolitische Maßnahme kann nämlich nicht allein deshalb einer wirtschaftspolitischen Maßnahme gleichgestellt werden, weil sie mittelbare Auswirkungen auf die Stabilität des Euro-Währungsgebiets haben kann (vgl. entsprechend Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 56).

53 Was zweitens die Mittel betrifft, die zur Erreichung der Ziele eines Programms wie des in der Pressemitteilung angekündigten eingesetzt werden sollen, steht fest, dass dessen Durchführung geldpolitische Outright-Geschäfte an den Sekundärmärkten für Staatsanleihen beinhaltet.

54 Aus Art. 18 Abs. 1 des Protokolls über das ESZB und die EZB, der zu dessen Kapitel IV gehört, geht jedoch eindeutig hervor, dass die EZB und die nationalen Zentralbanken zur Erreichung der Ziele des ESZB und zur Erfüllung seiner Aufgaben, wie sie sich aus dem Primärrecht ergeben, grundsätzlich auf den Finanzmärkten tätig werden können, indem sie auf Euro lautende börsengängige Wertpapiere endgültig kaufen und verkaufen. Folglich wird mit den Geschäften, die der EZB-Rat in der Pressemitteilung in Aussicht genommen hat, eines der geldpolitischen Instrumente genutzt, die das Primärrecht vorsieht.

55 Was die Selektivität des in der Pressemitteilung angekündigten Programms angeht, ist darauf hinzuweisen, dass dieses Programm Störungen des geldpolitischen Transmissionsmechanismus beheben soll, die durch die besondere Situation der Staatsanleihen bestimmter Mitgliedstaaten hervorgerufen werden. Unter diesen Umständen kann die alleinige Tatsache, dass sich das fragliche Programm spezifisch auf diese Staatsanleihen beschränkt, nicht als solche bedeuten, dass die vom ESZB verwendeten Instrumente nicht zur Währungspolitik gehören. Im Übrigen schreibt keine Bestimmung des AEU-Vertrags dem ESZB vor, auf den Finanzmärkten durch allgemeine Maßnahmen zu intervenieren, die notwendigerweise sämtliche Staaten des Euro-Währungsgebiets betreffen.

56 Im Licht dieser Gesichtspunkte ist festzustellen, dass ein Programm wie das in der Pressemitteilung angekündigte in Anbetracht seiner Ziele und der zu ihrer Erreichung vorgesehenen Mittel zum Bereich der Währungspolitik gehört.

57 Der Umstand, dass die Durchführung eines solchen Programms von der vollständigen Einhaltung makroökonomischer Anpassungsprogramme der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (im Folgenden: EFSF) und des Europäischen Stabilitätsmechanismus (im Folgenden: ESM) abhängig ist, vermag an dieser Feststellung nichts zu ändern.

58 Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass ein Programm für den Ankauf von Staatsanleihen, das ein solches Merkmal aufweist, geeignet ist, inzident den Anreiz zur Einhaltung solcher Anpassungsprogramme zu stärken, und damit in gewissem Maße die Erreichung der mit diesen verfolgten wirtschaftspolitischen Ziele begünstigen kann.

59 Solche mittelbaren Auswirkungen können jedoch nicht bedeuten, dass ein solches Programm als eine wirtschaftspolitische Maßnahme einzustufen wäre, da sich aus Art. 119 Abs. 2 AEUV, Art. 127 Abs. 1 AEUV und Art. 282 Abs. 2 AEUV ergibt, dass das ESZB ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union unterstützt.

60 Es ist hinzuzufügen, dass das ESZB dadurch, dass es in voller Unabhängigkeit die Durchführung des in der Pressemitteilung angekündigten Programms von der vollständigen Einhaltung makroökonomischer Anpassungsprogramme der EFSF oder des ESM abhängig macht, gewährleistet, dass seine Währungspolitik den Mitgliedstaaten, deren Staatsanleihen es ankauft, keine Finanzierungsmöglichkeiten eröffnet, die es ihnen erlaubten, von den Anpassungsprogrammen, denen sie zugestimmt haben, abzuweichen. Das ESZB vermeidet auf diese Weise, dass die von ihm beschlossenen währungspolitischen Maßnahmen der Wirksamkeit der von den Mitgliedstaaten verfolgten Wirtschaftspolitik zuwiderlaufen.

61 Da sich das ESZB ferner gemäß Art. 127 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 119 Abs. 3 AEUV an den richtungweisenden Grundsatz zu halten hat, dass die öffentlichen Finanzen gesund sein müssen, können die in einem Programm, wie es in der Pressemitteilung angekündigt wurde, festgelegten Voraussetzungen, durch die vermieden werden kann, dass dieses Programm dazu beiträgt, für die Mitgliedstaaten einen Anreiz zur Verschlechterung ihrer Haushaltslage zu schaffen, nicht den Schluss rechtfertigen, dass dieses Programm den Rahmen überschritte, den das Primärrecht der Währungspolitik vorgibt.

62 Es ist zudem hervorzuheben, dass es als Voraussetzung für das Tätigwerden des ESZB im Rahmen eines Programms, wie es in der Pressemitteilung angekündigt wurde, nicht genügt, dass der betreffende Mitgliedstaat die Verpflichtungen aus einem Anpassungsprogramm, dem er zugestimmt hat, vollständig einhält, da ein solches Tätigwerden in strikter Weise weiterhin voraussetzt, dass Störungen des geldpolitischen Transmissionsmechanismus oder der Einheitlichkeit der Geldpolitik aufgetreten sind.

63 Deshalb wird durch den Umstand, dass der Ankauf von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten unter der Bedingung, dass ein makroökonomisches Anpassungsprogramm eingehalten wird, als zur Wirtschaftspolitik gehörend angesehen werden konnte, wenn dieser Ankauf vom ESM vorgenommen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 60), nicht impliziert, dass es sich ebenso verhalten müsste, wenn dieses Instrument vom ESZB im Rahmen eines Programms wie des in der Pressemitteilung angekündigten eingesetzt wird.

64 Insoweit ist nämlich der Unterschied zwischen den Zielen des ESM und des ESZB von entscheidender Bedeutung. Während sich aus den Rn. 48 bis 52 des vorliegenden Urteils ergibt, dass ein Programm wie das in den Ausgangsverfahren fragliche nur in dem Umfang durchgeführt werden darf, in dem es zur Gewährleistung der Preisstabilität erforderlich ist, zielt das Tätigwerden des ESM auf die Wahrung der Stabilität des Euro-Währungsgebiets, wobei dieses letztgenannte Ziel nicht zur Währungspolitik gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 56).

65 Diese Beurteilung lässt auch die Möglichkeit ausscheiden, dass ein Programm wie das in der Pressemitteilung angekündigte dazu dienen könnte, die Bedingungen zu umgehen, die die Tätigkeit des ESM an den Sekundärmärkten beschränken, da die Intervention des ESZB nicht an die Stelle einer Intervention des ESM treten soll, um dessen Ziele zu verwirklichen, sondern sie vielmehr in unabhängiger Weise nach Maßgabe der Ziele durchzuführen ist, die der Währungspolitik eigen sind.

- Zur Verhältnismäßigkeit

66 Aus Art. 119 Abs. 2 AEUV und Art. 127 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 5 Abs. 4 EUV geht hervor, dass ein zur Währungspolitik gehörendes Programm für den Ankauf von Anleihen nur in gültiger Weise beschlossen und durchgeführt werden kann, wenn die von ihm umfassten Maßnahmen in Anbetracht der Ziele dieser Politik verhältnismäßig sind.

67 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Handlungen der Unionsorgane zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet sind und nicht über die Grenzen dessen hinausgeht, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Association Kokopelli, C-59/11, EU:C:2012:447, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68 Was die gerichtliche Nachprüfung der Einhaltung dieser Voraussetzungen anbelangt, ist dem ESZB, da es bei der Ausarbeitung und Durchführung eines Programms für Offenmarktgeschäfte, wie es in der Pressemitteilung angekündigt wurde, Entscheidungen technischer Natur treffen und komplexe Prognosen und Beurteilungen vornehmen muss, in diesem Rahmen ein weites Ermessen einzuräumen (vgl. entsprechend Urteile Afton Chemical, C-343/09, EU:C:2010:419, Rn. 28, sowie Billerud Karlsborg und Billerud Skärblacka, C-203/12, EU:C:2013:664, Rn. 35).

69 Indessen kommt in Fällen, in denen ein Unionsorgan über ein weites Ermessen verfügt, der Kontrolle der Einhaltung bestimmter verfahrensrechtlicher Garantien wesentliche Bedeutung zu. Zu diesen Garantien gehört die Verpflichtung des ESZB, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen und seine Entscheidungen hinreichend zu begründen.

70 Insoweit ist zu beachten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die durch Art. 296 Abs. 2 AEUV vorgeschriebene Begründung eines Rechtsakts der Union zwar die Überlegungen des Urhebers dieses Rechtsakts so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die getroffene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann, jedoch nicht sämtliche rechtlich oder tatsächlich erheblichen Gesichtspunkte enthalten muss. Die Beachtung der Begründungspflicht ist im Übrigen nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen, sondern auch anhand seines Kontexts und sämtlicher Rechtsvorschriften, die das betreffende Gebiet regeln (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Rat, C-63/12, EU:C:2013:752, Rn. 98 und 99 und die dort angeführte Rechtsprechung).

71 Im vorliegenden Fall ist, auch wenn eine Prüfung der Einhaltung der Begründungspflicht nur auf der Grundlage eines förmlich erlassenen Beschlusses möglich ist, gleichwohl festzustellen, dass die Pressemitteilung sowie die Entwürfe für Rechtsakte, die in der Sitzung des EZB-Rates geprüft wurden, in der auch die Pressemitteilung genehmigt wurde, die wesentlichen Elemente eines Programms wie des in der Pressemitteilung angekündigten erkennen lassen und geeignet sind, dem Gerichtshof die Ausübung seiner Kontrolle zu ermöglichen.

72 Was erstens die Eignung eines Programms wie des in der Pressemitteilung angekündigten zur Erreichung der vom ESZB verfolgten Ziele anbelangt, geht aus dieser Pressemitteilung und den Erläuterungen der EZB hervor, dass dieses Programm auf einer Analyse der wirtschaftlichen Lage im Euro-Währungsgebiet beruht, der zufolge zum Zeitpunkt der Ankündigung dieses Programms die Zinssätze für die Staatsanleihen verschiedener Staaten des Euro-Währungsgebiets eine hohe Volatilität und extreme Unterschiede aufwiesen. Nach den Ausführungen der EZB beruhten diese Unterschiede nicht nur auf makroökonomischen Unterschieden zwischen diesen Staaten, sondern hatten ihre Ursache teilweise darin, dass für die Anleihen bestimmter Mitgliedstaaten überhöhte Risikoaufschläge verlangt worden seien, mit denen der Gefahr eines Auseinanderbrechens des Euro-Währungsgebiets habe begegnet werden sollen.

73 Diese besondere Lage habe den geldpolitischen Transmissionsmechanismus des ESZB erheblich geschwächt und eine Fragmentierung bei den Refinanzierungsbedingungen der Banken und der Darlehenskosten bewirkt, was die Wirksamkeit der vom ESZB an die Wirtschaft ausgesendeten Impulse in einem erheblichen Teil des Euro-Währungsgebiets stark verringert habe.

74 In Anbetracht der dem Gerichtshof im vorliegenden Verfahren unterbreiteten Informationen ist nicht ersichtlich, dass diese Analyse der Wirtschaftslage des Euro-Währungsgebiets, die zum Zeitpunkt der Ankündigung des in den Ausgangsverfahren fraglichen Programms gegeben war, mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler behaftet wäre.

75 Insoweit kann der vom vorlegenden Gericht angeführte Umstand, dass gegen diese mit einer Begründung versehene Analyse Einwände erhoben wurden, als solcher nicht genügen, um diese Beurteilung in Frage zu stellen, da vom ESZB mit Rücksicht darauf, dass geldpolitische Fragen gewöhnlich umstritten sind und es über ein weites Ermessen verfügt, nicht mehr als der Einsatz seines wirtschaftlichen Sachverstands und der ihm zur Verfügung stehenden notwendigen technischen Mittel verlangt werden kann, um diese Analyse mit aller Sorgfalt und Genauigkeit durchzuführen.

76 In einer Lage wie der in den Rn. 72 und 73 des vorliegenden Urteils beschriebenen ist der Ankauf von Staatsanleihen der Mitgliedstaaten, die von den durch die EZB als extrem betrachteten Zinssätzen betroffen sind, an den Sekundärmärkten geeignet, die Senkung dieser Zinssätze zu befördern, indem er unbegründete Befürchtungen eines Auseinanderbrechens des Euro-Währungsgebiets zerstreut, und so zu dem Rückgang oder sogar Wegfallen der überhöhten Risikozuschläge beizutragen.

77 In diesem Zusammenhang war das ESZB zu der Annahme berechtigt, dass eine solche Entwicklung der Zinssätze geeignet ist, die geldpolitische Transmission des ESZB zu begünstigen und die Einheitlichkeit der Geldpolitik zu wahren.

78 So ist unstreitig, dass die Zinssätze der Staatsanleihen eines gegebenen Staates für die Festsetzung der für die verschiedenen Wirtschaftsteilnehmer dieses Staates geltenden Zinssätze, für den Wert der Portfolios der solche Anleihen besitzenden Finanzinstitute und für deren Fähigkeit, sich Liquidität zu beschaffen, eine maßgebliche Rolle spielen. Deshalb kann durch eine Eliminierung oder Verringerung überhöhter Risikozuschläge, die für die Staatsanleihen eines Mitgliedstaats verlangt werden, vermieden werden, dass deren Volatilität und Höhe ein Hindernis für die Übertragung der Wirkungen der geldpolitischen Entscheidungen des ESZB auf die Wirtschaft dieses Staates bilden und die Einheitlichkeit der Geldpolitik in Frage stellen.

79 Im Übrigen ist die Behauptung der EZB, dass allein die Ankündigung des in den Ausgangsverfahren fraglichen Programms genügt habe, um die angestrebte Wirkung, d. h. die Wiederherstellung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus und der Einheitlichkeit der Geldpolitik, zu erzielen, im Verlauf des vorliegenden Verfahrens nicht bestritten worden.

80 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass unter wirtschaftlichen Bedingungen, wie sie die EZB zum Zeitpunkt der Pressemitteilung beschrieben hat, das ESZB rechtmäßig zu der Beurteilung gelangen konnte, dass ein Programm wie das in der Pressemitteilung angekündigte geeignet ist, zu den vom ESZB verfolgten Zielen und damit zur Gewährleistung der Preisstabilität beizutragen.

81 Demnach ist zweitens zu prüfen, ob ein solches Programm nicht offensichtlich über das hinausgeht, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.

82 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich aus dem Wortlaut der Pressemitteilung eindeutig ergibt, dass das in den Ausgangsverfahren fragliche Programm den Ankauf von Staatsanleihen nur in dem Umfang gestattet, in dem er zur Erreichung der Ziele dieses Programms erforderlich ist, und dass diese Ankäufe beendet werden, sobald diese Ziele erreicht sein werden.

83 Es ist auch zu beachten, dass der Ankündigung des in den Ausgangsverfahren fraglichen Programms mittels der Pressemitteilung gegebenenfalls eine zweite Phase folgen wird, nämlich die der Durchführung dieses Programms, die von einer umfassenden Beurteilung der geldpolitischen Erfordernisse abhängen wird.

84 Im Übrigen ist festzustellen, dass das in den Ausgangsverfahrenfragliche Programm mehr als zwei Jahre nach seiner Ankündigung nicht durchgeführt worden ist, da seine Umsetzung nach Ansicht des EZB-Rates durch die wirtschaftliche Lage im Euro-Währungsgebiet nicht gerechtfertigt war.

85 Über die strikte Bindung der Durchführung eines Programms, wie es in der Pressemitteilung angekündigt wurde, an die mit ihm verfolgten Ziele hinaus ist darauf hinzuweisen, dass das potenzielle Ausmaß dieses Programms in mehrfacher Weise beschränkt wird.

86 So darf das ESZB im Rahmen eines solchen Programms nur Staatsanleihen von Mitgliedstaaten erwerben, die an einem makroökonomischen Anpassungsprogramm teilnehmen und erneut Zugang zum Anleihemarkt haben. Überdies konzentriert sich ein Programm wie das in den Ausgangsverfahren fragliche auf Staatsanleihen mit einer Laufzeit von weniger als drei Jahren, wobei sich das ESZB die Möglichkeit vorbehält, die erworbenen Anleihen jederzeit wieder zu verkaufen.

87 Aus diesen Gesichtspunkten ergibt sich zum einen, dass ein Programm wie das in der Pressemitteilung angekündigte letztlich nur einen begrenzten Teil der von den Staaten des Euro-Währungsgebiets begebenen Staatsanleihen betrifft, so dass die Verpflichtungen, die die EZB mit der Durchführung eines solchen Programms voraussichtlich eingeht, tatsächlich eingegrenzt und beschränkt sind. Zum anderen kann ein solches Programm nur zur Anwendung gelangen, wenn die Lage bestimmter dieser Staaten bereits eine Intervention des ESM gerechtfertigt hat, die noch fortdauert.

88 Unter diesen Umständen konnte ein Programm, dessen Volumen in dieser Weise beschränkt ist, vom ESZB in gültiger Weise beschlossen werden, ohne vor seiner Durchführung eine quantitative Beschränkung festzulegen, zumal eine solche geeignet erschiene, die Wirksamkeit dieses Programms zu schwächen.

89 Im Übrigen ist, soweit das vorlegende Gericht die Frage der Selektivität eines solchen Programms aufwirft, daran zu erinnern, dass dieses Programm die Störungen der Geldpolitik des ESZB beheben soll, die durch die besondere Lage der Anleihen bestimmter Mitgliedstaaten hervorgerufen werden. Unter diesen Umständen konnte das ESZB zu Recht annehmen, dass sich ein selektives Programm des Anleihekaufs als erforderlich erweisen kann, um diese Störungen dadurch auszuräumen, dass das ESZB seine Tätigkeit auf die von diesen Störungen besonders betroffenen Teile des Euro-Währungsgebiets konzentriert und es so vermeidet, den Umfang des Programms über das hinaus, was zur Erreichung seiner Ziele erforderlich ist, unnötig zu vergrößern oder seine Wirksamkeit zu verringern.

90 Es muss zudem festgestellt werden, dass ein Programm wie das in der Pressemitteilung angekündigte die Mitgliedstaaten, deren Anleihen erworben werden können, auf der Grundlage von Kriterien identifiziert, die an die verfolgten Ziele geknüpft sind, und nicht im Wege einer willkürlichen Auswahl.

91 Drittens ist zu konstatieren, dass das ESZB die verschiedenen beteiligten Interessen in der Weise gegeneinander abgewogen hat, dass tatsächlich vermieden wird, dass sich bei der Durchführung des fraglichen Programms Nachteile ergeben, die offensichtlich außer Verhältnis zu dessen Zielen stehen.

92 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass ein Programm wie das in der Pressemitteilung angekündigte nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.

Zu Art. 123 Abs. 1 AEUV

93 Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob ein Programm für den Ankauf von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten wie das in der Pressemitteilung angekündigte mit Art. 123 Abs. 1 AEUV vereinbar ist.

94 Aus dem Wortlaut von Art. 123 Abs. 1 AEUV geht hervor, dass diese Bestimmung der EZB und den Zentralbanken der Mitgliedstaaten verbietet, öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen der Union und der Mitgliedstaaten Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten zu gewähren oder unmittelbar von ihnen Schuldtitel zu erwerben (vgl. Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 123).

95 Folglich verbietet diese Bestimmung jede finanzielle Unterstützung des ESZB zugunsten eines Mitgliedstaats (vgl. in diesem Sinne Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 132), ohne indessen in allgemeiner Weise die für das ESZB bestehende Möglichkeit auszuschließen, von Gläubigern eines solchen Staates Schuldtitel zu erwerben, die dieser Staat zuvor ausgegeben hat.

96 So gestattet Art. 18 Abs. 1 des Protokolls über das ESZB und die EZB dem ESZB, zur Erreichung seiner Ziele und zur Erfüllung seiner Aufgaben auf den Finanzmärkten tätig zu werden, indem es u. a. börsengängige Wertpapiere, zu denen Staatsanleihen gehören, endgültig kauft und verkauft, ohne dass diese Ermächtigung an besondere Bedingungen geknüpft ist, sofern nicht der Charakter von Offenmarktgeschäften als solcher missachtet wird.

97 Gleichwohl kann das ESZB nicht rechtmäßig Staatsanleihen an den Sekundärmärkten unter Voraussetzungen erwerben, die seinem Tätigwerden in der Praxis die gleiche Wirkung wie ein unmittelbarer Erwerb von Staatsanleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten verleihen, und auf diese Weise die Wirksamkeit des in Art. 123 Abs. 1 AEUV festgelegten Verbots in Frage stellen.

98 Ferner ist zur Klärung der Frage, welche Formen des Ankaufs von Staatsanleihen mit dieser Bestimmung vereinbar sind, auf den Zweck dieser Bestimmung abzustellen (vgl. entsprechend Urteil Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 133).

99 Insoweit ist daran zu erinnern, dass das in Art. 123 AEUV festgelegte Verbot auf Art. 104 EG-Vertrag (später Art. 101 EG) zurückgeht, der mit dem Maastrichter Vertrag in den EG-Vertrag eingefügt wurde.

100 Aus den Vorarbeiten für den Maastrichter Vertrag ergibt sich, dass Art. 123 AEUV die Mitgliedstaaten dazu anhalten soll, eine gesunde Haushaltspolitik zu befolgen, indem vermieden wird, dass eine monetäre Finanzierung öffentlicher Defizite oder Privilegien der öffentlichen Hand auf den Finanzmärkten zu einer übermäßigen Verschuldung oder überhöhten Defiziten der Mitgliedstaaten führen (vgl. Entwurf eines Vertrags zur Änderung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Hinblick auf die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 2/91, S. 25 und 56).

101 Daher dürfen Ankäufe an dem Sekundärmarkt nicht eingesetzt werden, um das mit Art. 123 AEUV verfolgte Ziel zu umgehen, wie im siebten Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 3603/93 des Rates vom 13. Dezember 1993 zur Festlegung der Begriffsbestimmungen für die Anwendung der in [Art. 123 AEUV] und Art. [125 Abs. 1 AEUV] vorgesehenen Verbote (ABl. L 332, S. 1) bekräftigt worden ist.

102 Folglich muss die EZB, wie der Generalanwalt in Nr. 227 seiner Schlussanträge betont hat, wenn sie Staatsanleihen an den Sekundärmärkten erwirbt, ihr Tätigwerden mit hinreichenden Garantien versehen, um sicherzustellen, dass es mit dem in Art. 123 Abs. 1 AEUV festgelegten Verbot der monetären Finanzierung in Einklang steht.

103 Hinsichtlich eines Programms wie des in der Pressemitteilung angekündigten ist erstens darauf hinzuweisen, dass das ESZB im Rahmen eines solchen Programms Staatsanleihen nicht unmittelbar von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten, sondern nur mittelbar an den Sekundärmärkten erwerben darf. Das Tätigwerden des ESZB im Rahmen eines Programms, wie es in den Ausgangsverfahren in Frage steht, kann daher nicht einer finanziellen Unterstützungsmaßnahme für einen Mitgliedstaat gleichgestellt werden.

104 Indessen ist zweitens hervorzuheben, dass das Tätigwerden des ESZB in der Praxis die gleiche Wirkung wie der unmittelbare Erwerb von Staatsanleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten haben könnte, wenn die Wirtschaftsteilnehmer, die möglicherweise Staatsanleihen auf dem Primärmarkt erwerben, die Gewissheit hätten, dass das ESZB diese Anleihen binnen eines Zeitraums und unter Bedingungen ankaufen würde, die es diesen Wirtschaftsteilnehmern ermöglichten, faktisch als Mittelspersonen des ESZB für den unmittelbaren Erwerb dieser Anleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen des betreffenden Mitgliedstaats zu agieren.

105 Jedoch ist den Erläuterungen der EZB im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zu entnehmen, dass die Durchführung eines Programms, wie es in der Pressemitteilung angekündigt wurde, Bedingungen unterliegen muss, mit denen vermieden werden soll, dass die Interventionen des ESZB an den Sekundärmärkten die gleiche Wirkung wie der unmittelbare Erwerb von Staatsanleihen an den Primärmärkten haben.

106 In dieser Hinsicht ergibt sich aus den von der EZB im vorliegenden Verfahren vorgelegten Entwürfen für einen Beschluss und Leitlinien, dass der EZB-Rat dafür zuständig zu sein hätte, über den Umfang, den Beginn, die Fortsetzung und die Aussetzung der in einem solchen Programm vorgesehenen Interventionen an den Sekundärmärkten zu entscheiden. Überdies hat die EZB vor dem Gerichtshof klargestellt, dass das ESZB zum einen beabsichtigt, eine Mindestfrist zwischen der Ausgabe eines Schuldtitels auf dem Primärmarkt und seinem Ankauf an den Sekundärmärkten einzuhalten, und dass zum anderen eine vorherige Ankündigung seiner Entscheidung, solche Ankäufe vorzunehmen, oder des Volumens der geplanten Ankäufe ausgeschlossen sein soll.

107 Da sich durch diese Garantien verhindern lässt, dass die Emissionsbedingungen für Staatsanleihen durch die Gewissheit verfälscht werden, dass diese Anleihen nach ihrer Ausgabe durch das ESZB erworben werden, kann durch sie ausgeschlossen werden, dass die Durchführung eines Programms wie des in der Pressemitteilung angekündigten in der Praxis die gleiche Wirkung hat wie der unmittelbare Erwerb von Staatsanleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten.

108 Zwar bleibt trotz dieser Garantien, wie das vorlegende Gericht dargelegt hat, das Tätigwerden des ESZB geeignet, einen gewissen Einfluss auf die Funktionsweise des Primärmarkts und der Sekundärmärkte für Staatsanleihen auszuüben. Dieser Umstand ist aber nicht entscheidend, weil dieser Einfluss, wie der Generalanwalt in Nr. 259 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine Wirkung ist, die den vom AEU-Vertrag erlaubten Ankäufen an den Sekundärmärkten inhärent ist. Im Übrigen ist diese Wirkung unerlässlich, um solche Ankäufe im Rahmen der Geldpolitik wirksam einsetzen zu können.

109 Drittens würde mit einem Programm, wie es in der Pressemitteilung angekündigt wurde, das in Rn. 100 des vorliegenden Urteils genannte Ziel von Art. 123 Abs. 1 AEUV umgangen, wenn es geeignet wäre, den betreffenden Mitgliedstaaten den Anreiz zu nehmen, eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen. Da nämlich aus Art. 119 Abs. 2 AEUV, Art. 127 Abs. 1 AEUV und Art. 282 Abs. 2 AEUV hervorgeht, dass das ESZB ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union unterstützt, darf die Tätigkeit des ESZB auf der Grundlage von Art. 123 AEUV nicht dergestalt sein, dass sie der Wirksamkeit dieser Politik zuwiderläuft, indem den Mitgliedstaaten der Anreiz genommen wird, eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen.

110 Im Übrigen beinhaltet die Geldpolitik fortlaufend, dass auf die Zinssätze und die Refinanzierungsbedingungen der Banken eingewirkt wird, was zwangsläufig Konsequenzen für die Finanzierungsbedingungen des Haushaltsdefizits der Mitgliedstaaten hat.

111 Jedenfalls wird durch die Merkmale eines Programms wie des in der Pressemitteilung angekündigten ausgeschlossen, dass es als geeignet angesehen werden kann, den Mitgliedstaaten den Anreiz zur Verfolgung einer gesunden Haushaltspolitik zu nehmen.

112 Insoweit ist als Erstes darauf hinzuweisen, dass dieses Programm den Ankauf von Staatsanleihen nur in dem Umfang vorsieht, der für die Erhaltung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus und der Einheitlichkeit der Geldpolitik erforderlich ist, und dass die Ankäufe eingestellt werden, sobald diese Ziele erreicht sein werden.

113 Diese Begrenzung des Tätigwerdens des ESZB bedeutet zum einen, dass sich die Mitgliedstaaten bei der Festlegung ihrer Haushaltspolitik nicht auf die Gewissheit stützen können, dass ihre Staatsanleihen künftig vom ESZB an den Sekundärmärkten angekauft werden, und zum anderen, dass dieses Programm nicht in einer Weise durchgeführt werden kann, durch die eine Harmonisierung der Zinssätze für die Staatsanleihen der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets unabhängig von den Unterschieden bewirkt würde, die sich aus der makroökonomischen Lage oder der Haushaltslage dieser Staaten ergeben.

114 Durch den Erlass und die Durchführung eines solchen Programms wird den Mitgliedstaaten daher weder ermöglicht, eine Haushaltspolitik zu verfolgen, die die Tatsache unberücksichtigt ließe, dass sie im Fall eines Defizits nach einer Finanzierung auf dem Markt zu suchen haben werden, noch können sie sich dadurch vor den Konsequenzen schützen, die die Entwicklung ihrer makroökonomischen Lage oder ihrer Haushaltslage unter diesem Aspekt mit sich bringen kann.

115 Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass ein Programm wie das in den Ausgangsverfahren fragliche mit einer Reihe von Garantien versehen ist, die seine Auswirkungen auf den Anreiz, eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen, begrenzen sollen.

116 So hat die EZB dadurch, dass sie dieses Programm auf bestimmte Arten von Anleihen beschränkt hat, die nur von Mitgliedstaaten ausgegeben worden sind, die an einem strukturellen Anpassungsprogramm teilnehmen und erneut Zugang zum Anleihemarkt haben, faktisch das Volumen der Staatsanleihen beschränkt, die im Rahmen dieses Programms erworben werden können, und damit die Intensität der Auswirkungen dieses Programms auf die Finanzierungsbedingungen der Staaten des Euro-Währungsgebiets begrenzt.

117 Im Übrigen werden die Auswirkungen, die ein Programm wie das in der Pressemitteilung angekündigte auf den Anreiz hat, eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen, auch durch die für das ESZB bestehende Möglichkeit beschränkt, die erworbenen Anleihen jederzeit wieder zu verkaufen. Denn daraus ergibt sich, dass die Folgen, die daraus entstehen, dass diese Anleihen vom Markt genommen werden, potenziell vorübergehender Art sind. Diese Möglichkeit erlaubt es dem ESZB auch, sein Programm nach Maßgabe der Haltung des betreffenden Mitgliedstaats anzupassen, so insbesondere durch eine Einschränkung oder Aussetzung der Ankäufe von Staatsanleihen, wenn ein Mitgliedstaat sein Emissionsverhalten dahin ändert, dass er mehr Anleihen mit kurzer Laufzeit ausgibt, um seinen Haushalt mittels Anleihen zu finanzieren, die potenziell unter die Intervention des ESZB fallen.

118 Dass das ESZB auch die Möglichkeit hat, die erworbenen Anleihen bis zum Eintritt ihrer Fälligkeit zu behalten, spielt insoweit keine ausschlaggebende Rolle, weil diese Möglichkeit voraussetzt, dass eine solche Handlungsweise zur Verwirklichung der angestrebten Ziele erforderlich ist, und jedenfalls den beteiligten Wirtschaftsteilnehmern nicht die Gewissheit gewährt, dass das ESZB von dieser Option Gebrauch machen wird. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Vorgehensweise durch Art. 18 Abs. 1 des Protokolls über das ESZB und die EZB keineswegs ausgeschlossen wird und keinen Verzicht darauf bedeutet, dass der Mitgliedstaat, der die Anleihe ausgegeben hat, bei Eintritt ihrer Fälligkeit seine Schuld begleicht.

119 Überdies schließt das ESZB dadurch, dass es einen Erwerb von Staatsanleihen nur von Mitgliedstaaten vorsieht, die erneut Zugang zum Anleihemarkt haben, von dem vorgesehenen Programm in der Praxis diejenigen Mitgliedstaaten aus, deren finanzielle Lage derart zerrüttet ist, dass sie keine Finanzierung mehr auf dem Markt erhalten könnten.

120 Schließlich wird dadurch, dass der Ankauf von Staatsanleihen von der vollständigen Einhaltung der strukturellen Anpassungsprogramme abhängt, denen die betreffenden Staaten unterliegen, ausgeschlossen, dass ein Programm wie das in der Pressemitteilung angekündigte diese Staaten dazu veranlassen könnte, auf eine Sanierung ihrer öffentlichen Finanzen zu verzichten, indem sie sich auf die Finanzierungsmöglichkeiten stützen, die ihnen die Durchführung eines solchen Programms eröffnen könnte.

121 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass ein Programm wie das in der Pressemitteilung angekündigte nicht bewirkt, dass den betreffenden Mitgliedstaaten der Anreiz genommen würde, eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen. Folglich verbietet es Art. 123 Abs. 1 AEUV dem ESZB nicht, ein solches Programm unter Voraussetzungen zu beschließen und durchzuführen, unter denen dem Tätigwerden des ESZB nicht die gleiche Wirkung zukommt wie dem unmittelbaren Erwerb von Staatsanleihen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten.

122 Die vom vorlegenden Gericht speziell angesprochenen Merkmale eines solchen Programms, die im Rahmen der in den vorstehenden Randnummern wiedergegebenen Beurteilung nicht erörtert worden sind, vermögen dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen.

123 So werden dadurch, dass dieses Programm - wenn dies als zutreffend unterstellt wird - die EZB einem erheblichen Verlustrisiko aussetzen könnte, in keiner Weise die Garantien geschwächt, mit denen dieses Programm versehen ist, um zu vermeiden, dass den Mitgliedstaaten der Anreiz genommen wird, eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen.

124 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass diese Garantien auch geeignet sind, das von der EZB eingegangene Verlustrisiko zu verringern.

125 Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass eine Zentralbank wie die EZB verpflichtet ist, Entscheidungen zu treffen, die, wie Offenmarktgeschäfte, unvermeidlich ein Verlustrisiko für sie mit sich bringen. Art. 33 des Protokolls über das ESZB und die EZB enthält gerade eine Regelung dafür, wie die Verluste der EZB aufzuteilen sind, ohne in besonderer Weise die Risiken einzugrenzen, die die EZB zur Verwirklichung ihrer währungspolitischen Ziele eingehen darf.

126 Auch wenn im Übrigen der Verzicht auf eine privilegierte Gläubigerstellung die EZB möglicherweise einer Verlustquote aussetzt, über die die übrigen Gläubiger des betreffenden Mitgliedstaats entscheiden, ist festzustellen, dass es sich hierbei um ein Risiko handelt, das jedem Anleihekauf an den Sekundärmärkten innewohnt, der von den Verfassern der Verträge gleichwohl zugelassen wurde, ohne vorauszusetzen, dass der EZB eine privilegierte Gläubigerstellung eingeräumt wird.

127 Im Licht der Gesamtheit der vorstehenden Erwägungen ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 119 AEUV, Art. 123 Abs. 1 AEUV und Art. 127 Abs. 1 und 2 AEUV sowie die Art. 17 bis 24 des Protokolls über das ESZB und die EZB dahin auszulegen sind, dass sie das ESZB dazu ermächtigen, ein Programm für den Ankauf von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten wie das in der Pressemitteilung angekündigte zu beschließen.

70

4. Der Senat hat am 16. Februar 2016 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Beteiligten ihr Vorbringen vertieft und ergänzt haben. Zur Aktualität des OMT-Programms, zu den Umsetzungsmodalitäten des OMT-Beschlusses sowie zu dem möglichen Volumen des Programms und dessen Risiken für den Bundeshaushalt wurden der Präsident der Deutschen Bundesbank, Dr. Jens Weidmann, und das Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank Yves Mersch gehört.

B.

I.

71

Über die Verfassungsbeschwerden und die Anträge im Organstreitverfahren hatte der Senat in seiner gegenwärtigen Besetzung zu entscheiden. Zwar sind die Richterin König und der Richter Maidowski erst nach der mündlichen Verhandlung vom 11. und 12. Juni 2013 (siehe oben Rn. 65), dem Beschluss über die Abtrennung der vorliegenden Verfahren vom 17. Dezember 2013 (BVerfGE 134, 357) und dem Beschluss über die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 14. Januar 2014 (BVerfGE 134, 366) in den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts eingetreten. Auch können nach § 15 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG nach Beginn der Beratung einer Sache weitere Richter nicht hinzutreten. Dieses Hinzutrittsverbot soll verhindern, dass Richter an der Beratung und Entscheidung beteiligt sind, die nicht über den bis dahin erarbeiteten Diskussionsstand verfügen und insofern auf einer anderen Grundlage mitberaten und mitentscheiden müssen als die von Anfang an beteiligten Richter (vgl. Mellinghoff, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 15 Rn. 37 ).

72

§ 15 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG findet allerdings keine Anwendung, wenn mit der Beratung neu begonnen wurde. Ein solcher Neubeginn ist nicht nur in den Fällen des § 15 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG (vgl. BVerfGE 133, 241 <258 Rn. 41 f.>) angezeigt. Anlass, die Beratung neu zu beginnen, kann auch bestehen, wenn nach Beginn der ursprünglichen Beratung das Plenum des Bundesverfassungsgerichts angerufen wurde und dieses gemäß § 16 BVerfGG entschieden hat oder eine andere externe Zwischenentscheidung eingeholt worden ist, wie das insbesondere bei einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV der Fall ist. Ein Neubeginn der Beratung ist schließlich erforderlich, wenn die vorangegangene Beratung aus anderen Gründen so lange zurückliegt, dass der Beratungsstand nicht mehr hinreichend präsent ist (vgl. Mellinghoff, a.a.O., § 15 Rn. 44 ; Diehm, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2015, § 15 Rn. 22; Eschelbach, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 15 Rn. 101).

II.

73

Über die Frage, ob ein Neubeginn erforderlich ist, hatte der Senat in seiner ursprünglichen Besetzung ohne Beteiligung der beiden neu hinzugetretenen Senatsmitglieder, Richterin König und Richter Maidowski, zu entscheiden (§ 15 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 133, 241 <258 Rn. 42>). Der Senat hat am 3. Juni 2015 beschlossen, erneut in die Beratung einzutreten. Das auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 14. Januar 2014 ergangene Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. Juni 2015, das die unionsrechtliche Tragweite des Grundsatzbeschlusses des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 definiert und damit auch die Grundlage für die Ultra-vires-Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts konkretisiert hat, stellt eine inhaltliche Zäsur dar, weil auf seiner Grundlage die wesentlichen, im Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen neu zu beurteilen sind.

74

Ob nach dem Neubeginn der Beratung eine - gegebenenfalls abermalige - mündliche Verhandlung durchzuführen ist, war nach den allgemeinen Regeln des § 25 BVerfGG zu entscheiden (vgl. auch BVerfGE 133, 241 <258 Rn. 42 f.>).

III.

75

Der Beschluss vom 3. Juni 2015 ist mit 5:1 Stimmen ergangen.

C.

76

Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig, soweit sie sich gegen das Unterlassen der Bundesregierung richten, gegen den Grundsatzbeschluss des Rates der Europäischen Zentralbank über das OMT-Programm vom 6. September 2012 vorzugehen (I.). Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig (II.). Die im Organstreitverfahren gestellten Anträge sind nur zulässig, soweit sie die Feststellung begehren, der Deutsche Bundestag sei verpflichtet, auf eine Aufhebung des Grundsatzbeschlusses über das OMT-Programm vom 6. September 2012 hinzuwirken. Im Übrigen sind sie unzulässig (III.).

I.

77

Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I., II. und III. sind zulässig, soweit sie rügen, die Bundesregierung verletze durch ihre Untätigkeit, gegen den Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm vorzugehen, die Beschwerdeführer in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG. Soweit sie eine hinreichend qualifizierte Kompetenzüberschreitung der Europäischen Zentralbank durch den Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm und seine etwaige Umsetzung darlegen, geht aus ihrem Vortrag jedenfalls die Möglichkeit einer solchen Grundrechtsverletzung hervor (1.). Dasselbe gilt, soweit der Beschwerdeführer zu I. darüber hinaus eine die Verfassungsidentität verletzende Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages aufzeigt (2.).

78

1. Die Beschwerdeführer zu I., II. und III. tragen hinreichend substantiiert vor (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG), dass sie durch ein Unterlassen der Bundesregierung, das tauglicher Beschwerdegegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein kann (§ 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 10, 302 <306>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 30. Juni 2015 - 2 BvR 1282/11 -, juris, Rn. 82; stRspr), in einem nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG beschwerdefähigen Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht (a) selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt sein könnten (b).

79

a) Aus dem Vortrag der Beschwerdeführer zu I., II. und III. geht die Möglichkeit hervor, dass der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm vom 6. September 2012 und seine etwaige Umsetzung hinreichend qualifizierte Kompetenzüberschreitungen der Europäischen Zentralbank darstellen, die - von den Beschwerdeführern einklagbare - Reaktionspflichten der Bundesregierung nach sich ziehen können.

80

aa) Das Wahlrecht vermittelt dem Bürger in seinem durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kern ein Recht darauf, dass Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union nur solche Zuständigkeiten ausüben, die ihnen vom Integrationsgesetzgeber nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 1 GG übertragen worden sind (1). Daraus kann sich ein Anspruch gegenüber den Verfassungsorganen ergeben, im Rahmen ihrer Integrationsverantwortung Zuständigkeitsüberschreitungen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union entgegenzutreten (2).

81

(1) Das durch Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Wahlrecht zum Deutschen Bundestag gewährleistet als grundrechtsgleiches Recht die politische Selbstbestimmung der Bürger und garantiert ihnen die freie und gleiche Teilhabe an der Legitimation der in Deutschland ausgeübten Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 37, 271 <279>; 73, 339 <375>; 123, 267 <340>; 132, 195 <238 Rn. 104>; 135, 317 <399 Rn. 159>). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erschöpft sich das Wahlrecht nicht in einer formalen Legitimation der (Bundes-) Staatsgewalt, sondern vermittelt dem Einzelnen einen Anspruch darauf, mit seiner Wahlentscheidung Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen und etwas bewirken zu können. Im Anwendungsbereich von Art. 23 GG schützt es den Bürger davor, dass die durch die Wahl bewirkte Legitimation von Staatsgewalt und die Einflussnahme auf deren Ausübung durch die Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Deutschen Bundestages auf die europäische Ebene so entleert wird, dass das Demokratieprinzip verletzt wird (vgl. BVerfGE 89, 155 <172>; 123, 267 <330>; 134, 366 <396 Rn. 51>).

82

Vermittelt Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG dem einzelnen Wahlberechtigten zur Sicherung seiner demokratischen Einflussmöglichkeit im Prozess der europäischen Integration grundsätzlich ein Recht darauf, dass eine Verlagerung von Hoheitsrechten nur in den dafür vorgesehenen Formen von Art. 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3, Art. 79 Abs. 2 GG geschieht, so kann dieses Recht durch eine eigenmächtige Inanspruchnahme hoheitlicher Befugnisse durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union verletzt werden, weil der demokratische Entscheidungsprozess, den die Art. 23 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 2 GG gewährleisten, in einem solchen Fall unterlaufen werden kann. Dies kann den zur Verfassungsidentität des Grundgesetzes zählenden Grundsatz der Volkssouveränität aus Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG, demzufolge jede in Deutschland ausgeübte öffentliche Gewalt einer auf die Wählerinnen und Wähler zurückführbaren Legitimation bedarf, verletzen (vgl. BVerfGE 83, 37 <50 f.>; 89, 155 <182>; 93, 37 <66>; 130, 76 <123>; 137, 185 <232 f. Rn. 131>; 139, 194 <224 Rn. 106>).

83

(2) Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG gewährt deshalb auch Schutz vor hinreichend qualifizierten Kompetenzüberschreitungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union. Der objektivrechtlich begründeten Reaktionspflicht von Bundesregierung und Bundestag, sich als Ausfluss der ihnen obliegenden Integrationsverantwortung (vgl. BVerfGE 123, 267 <351 ff., 389 ff., 413 ff.>; 126, 286 <307>; 129, 124 <181>; 132, 195 <238 f. Rn. 105>; 134, 366 <394 f. Rn. 47>) aktiv mit der Frage auseinanderzusetzen, wie im Falle eines Ultra-vires-Handelns von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union die Kompetenzordnung wiederhergestellt werden kann, entspricht insoweit auch ein subjektives Recht des Bürgers (vgl. Rn. 166 f.). Voraussetzung der Zulässigkeit einer hierauf gestützten Verfassungsbeschwerde ist allerdings die Darlegung der aus dem Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes fließenden besonderen Anforderungen einer Ultra-vires-Rüge.

84

Für die Geltendmachung des aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden Rechts ist nur insoweit Raum, als der Entleerung des Wahlrechts nicht auf andere Weise - durch die Anrufung von Fachgerichten oder die Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union - abgeholfen worden ist.

85

bb) Das Vorbringen der Beschwerdeführer zu I., II. und III. genügt hinsichtlich des OMT-Programms diesen Anforderungen.

86

Der Beschwerdeführer zu I. setzt sich eingehend mit den besonderen Voraussetzungen der Ultra-vires-Rüge auseinander. Er erläutert, warum das OMT-Programm die Kompetenzen der Europäischen Zentralbank seiner Auffassung nach überschreite und dass es allein wegen seiner möglichen Größenordnung und den daraus resultierenden Risiken für den Bundeshaushalt die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtige. Die geldpolitische Zuständigkeit der Europäischen Zentralbank grenzt er von der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit für die Fiskalpolitik im Einzelnen ab und legt, darauf aufbauend, dar, warum Anleihekäufe auf der Grundlage des Grundsatzbeschlusses über das OMT-Programm als fiskalpolitische Maßnahmen die Kompetenzen der Europäischen Zentralbank überschritten und der Beschwerdeführer zu I. deshalb durch das Fehlen einer Reaktion der Bundesregierung in seinem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG beeinträchtigt sei. Dass der Antrag auf ein konkretes Tätigwerden der Bundesregierung - Erhebung einer Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union - zielt, macht ihn nicht unzulässig. Aus der Begründung des Antrags geht hervor, dass die Verfassungsbeschwerde auf die Aufhebung des Beschlusses vom 6. September 2012 zielt und sich intensiv mit diesbezüglichen Handlungsoptionen der Bundesregierung auseinandersetzt. Zur Ermittlung des wahren Rechtsschutzziels ist der Antrag daher entsprechend auszulegen (vgl. BVerfGE 103, 242 <257>; im Übrigen BVerfGE 134, 366 <372 Rn. 1>).

87

Auch die Beschwerdeführer zu II. und III. rügen die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank als ausbrechende Rechtsakte, die zu einer Strukturveränderung im Gefüge zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten führten und den Bundeshaushalt zumindest mittelbar belasteten. Sie legen dar, warum der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm auf eine gegen das Unionsrecht verstoßende Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank hinauslaufe und dass sich Verluste der Europäischen Zentralbank ohne hinreichende parlamentarische Kontrolle auf den Bundeshaushalt auswirken könnten.

88

Die damit aufgezeigte Möglichkeit einer qualifizierten Kompetenzüberschreitung ist eine hinreichende Bedingung für eine Aktivierung der Integrationsverantwortung der Bundesregierung, die auf dieser Grundlage verpflichtet sein könnte, auf eine Beendigung der behaupteten Kompetenzüberschreitung hinzuwirken. Da aus einer Pflicht zum Handeln - den grundrechtlichen Schutzpflichten nicht unähnlich - in der Regel kein Anspruch auf ein konkretes Tätigwerden folgt, genügt die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu II. und III. auch insoweit den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung, als sie vortragen, dass jedenfalls die vollständige Untätigkeit verfassungsrechtlich nicht hinzunehmen sei und dass etwa mit der Möglichkeit der Klageerhebung vor dem Gerichtshof der Europäischen Union eine konkrete Reaktionsmöglichkeit tatsächlich bestehe.

89

b) Die Beschwerdeführer zu I., II. und III. haben auch dargelegt, dass sie durch das angegriffene Unterlassen der Bundesregierung selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen sind. Sind der Grundsatzbeschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 und dessen Umsetzung möglicherweise qualifizierte Kompetenzüberschreitungen, ist die Bundesregierung aufgrund ihrer Integrationsverantwortung zum Handeln verpflichtet. Dass der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm bislang nicht umgesetzt worden ist, ändert daran nichts.

90

aa) Der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm vom 6. September 2012 stellt sich, wie aus dem Protokoll der Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank und der Pressemitteilung ersichtlich ist, als Beschluss im Rechtssinne dar (vgl. Art. 132 Abs. 1 2. Spiegelstrich AEUV), der die technischen Rahmenbedingungen künftiger Anleihekäufe festlegt. Dies wurde von den Vertretern der Europäischen Zentralbank und der Deutschen Bundesbank im vorliegenden Verfahren bestätigt. Wie sich in dessen Verlauf gezeigt hat und vom Vertreter der Europäischen Zentralbank in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2016 ebenfalls bestätigt worden ist, hatten dieser Beschluss und die darin konkretisierte Ankündigung künftiger Anleihekäufe, unterstützt von der Kommunikation der Europäischen Zentralbank, bereits als solche erhebliche Auswirkungen auf die Finanzmärkte (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 76, 79, 88). Darin liegt eine eigenständige und beabsichtigte Wirkung des OMT-Programms.

91

bb) Darüber hinaus ist, wie die Europäische Zentralbank und die Deutsche Bundesbank in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2016 ebenfalls dargelegt haben, eine Umsetzung des Grundsatzbeschlusses über das OMT-Programm noch immer möglich. Er ist insbesondere nicht durch jüngere Ankaufprogramme obsolet geworden. Die nach wie vor bestehende Umsetzungsmöglichkeit ist, wie der Präsident der Deutschen Bundesbank aufgezeigt hat, der eigentliche Grund für die anhaltende Wirkung des Grundsatzbeschlusses über das OMT-Programm vom 6. September 2012 auf den Finanzmärkten. Seine konkrete Umsetzung kann jederzeit und innerhalb kürzester Fristen erfolgen. Insofern sind - wie auch mit Blick auf die nicht mehr korrigierbaren Folgen einer Umsetzung - die Voraussetzungen für die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes erfüllt (vgl. BVerfGE 134, 366 <391 f. Rn. 34 f.>).

92

cc) Dem steht nicht entgegen, dass die Durchführung des OMT-Programms - wie die Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2016 erstmals vorgetragen hat - mittelbar von einer Zustimmung des Bundestages abhängen könnte. Zwar scheinen konkrete Anleihekäufe nach dem Wortlaut des Grundsatzbeschlusses über das OMT-Programm entweder an ein Stabilitätsprogramm oder eine vorläufige Finanzhilfe von EFSF oder ESM anzuknüpfen, wenn diese die Möglichkeit von Primärmarktkäufen vorsehen (vgl. Art. 17 ESMV). In diesem Fall setzte die für derartige Programme notwendige einstimmige Entscheidung des ESM-Gouverneursrates (Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 6 Buchstabe f, Art. 13 Abs. 2 ESMV) in der Tat eine Zustimmung des Bundesministers der Finanzen voraus, die ihrerseits nur möglich ist, wenn der Deutsche Bundestag zuvor einen zustimmenden Beschluss gefasst hat (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 2 ESMFinG; vgl. auch BVerfGE 132, 195 <265 f. Rn. 170>; 135, 317 <421 f. Rn. 217, 424 ff. Rn. 223 ff.>). Öffentliche Äußerungen des Bundesministers der Finanzen legen auch nahe, dass die Bundesregierung solchen Hilfsprogrammen nicht zustimmen würde.

93

Abgesehen davon, dass der Regelungsgehalt des Grundsatzbeschlusses insofern unklar ist, gilt die Beschränkung des OMT-Programms auf Hilfsprogramme mit Primärmarkt-Unterstützungsfazilität jedenfalls nur für künftige, nicht jedoch für bereits bestehende makroökonomische Anpassungsprogramme, die solche Primärmarktfazilitäten nach Auskunft der Bundesregierung bislang nicht enthalten haben. Andernfalls machte weder die Erstreckung auf die EFSF noch die Regelung über bestehende Anpassungsprogramme Sinn. Das lässt sich auch der schriftlichen Einlassung der Europäischen Zentralbank entnehmen.

94

2. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu I. ist auch insoweit zulässig, als sie eine verfassungswidrige Untätigkeit der Bundesregierung im Hinblick auf eine mögliche Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages rügt. Sie legt unter Bezugnahme auf die Senatsrechtsprechung zu Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG hinreichend substantiiert dar, dass das OMT-Programm zu erheblichen Risiken für den Bundeshaushalt führen könne, so dass in großem Umfang ohne konstitutive Zustimmung des Bundestages über Haushaltsmittel entschieden würde. Die Verfassungsbeschwerde führt ferner aus, dass es der Europäischen Zentralbank insoweit an demokratischer Legitimation fehle. Die Grenzen für eine zulässige Modifikation des Demokratieprinzips auf der Grundlage von Art. 88 GG, die das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil aufgezeigt habe, würden dadurch überschritten, dass sich die Europäische Zentralbank nicht länger auf die Sicherung der Geldwertstabilität beschränke, sondern Wirtschaftspolitik betreibe. Damit legt der Beschwerdeführer zu I. hinreichend substantiiert dar, dass die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages beeinträchtigt werde und er dadurch, dass die Bundesregierung trotz ihrer Integrationsverantwortung untätig geblieben sei, in seinen Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG verletzt sei (vgl. BVerfGE 132, 195 <234 Rn. 91>; 135, 317 <384 f. Rn. 122>; zur Zulässigkeit und zu den Anforderungen an die Substantiierung der Identitätsrüge vgl. BVerfGE 129, 124 <167 ff.>).

II.

95

Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig.

96

1. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und III. sind unzulässig, soweit sie sich gegen den Grundsatzbeschluss vom 6. September 2012 über das OMT-Programm richten. Das gilt auch für die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu IV., die sich ausschließlich gegen diesen Beschluss wendet. Ebenfalls unzulässig sind die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II., soweit sie sich gegen bereits erfolgte und künftige Ankäufe von Vermögenswerten durch die Europäische Zentralbank im Rahmen des SMP und des OMT-Programms wenden. Den Verfassungsbeschwerden liegen insoweit keine tauglichen Beschwerdegegenstände zugrunde.

97

Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union sind keine Akte deutscher öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG und daher auch nicht unmittelbarer Beschwerdegegenstand im Verfahren der Verfassungsbeschwerde (vgl. BVerfGE 129, 124 <175 f.>; vgl. Wollenschläger, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 23 Rn. 170). Das gilt auch für Maßnahmen der Europäischen Zentralbank.

98

Solche Maßnahmen können im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde jedoch - als Vorfrage - Gegenstand der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht sein, soweit sie die Grundrechtsberechtigten in Deutschland betreffen. Sie berühren die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben (BVerfGE 89, 155 <175>).

99

Eine solche Prüfungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf Maßnahmen nichtdeutscher Hoheitsträger besteht daher nur insoweit, als diese Maßnahmen entweder Grundlage von Handlungen deutscher Staatsorgane sind (vgl. BVerfGE 134, 366 <382 Rn. 23>) oder aus der Integrationsverantwortung folgende Reaktionspflichten deutscher Verfassungsorgane auslösen (vgl. BVerfGE 134, 366 <394 ff. Rn. 44 ff.>; 135, 317 <393 f. Rn. 146>). Insofern prüft das Bundesverfassungsgericht mittelbar auch Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union daraufhin, ob sie durch das auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG durch das Zustimmungsgesetz gebilligte Integrationsprogramm gedeckt sind oder gegen die der europäischen Integration durch das Grundgesetz sonst gezogenen Grenzen verstoßen (vgl. BVerfGE 73, 339 <374 ff.>; 102, 147 <161 ff.>; 118, 79 <95 ff.>; 123, 267 <354>; 126, 286 <298 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015 - 2 BvR 2735/14 -, juris, Rn. 36 ff.).

100

Danach sind hier weder das SMP noch das OMT-Programm als solche tauglicher Gegenstand der Verfassungsbeschwerde, wohl aber eine ihre Integrationsverantwortung verletzende Untätigkeit deutscher Verfassungsorgane in Ansehung des Zustandekommens und der Ausführung dieser Programme sowie die Mitwirkung deutscher Stellen an der Umsetzung, soweit dadurch unmittelbar mit der Verfassungsbeschwerde rügefähige Rechte berührt werden (vgl. BVerfGE 134, 366 <394 Rn. 44 ff.>).

101

2. Soweit die Beschwerdeführer zu III. die Feststellung begehren, die Bundesregierung sei verpflichtet, alles zu unterlassen, was der Umsetzung des OMT-Beschlusses diene, ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls unzulässig. Wie die Beschwerdeführer selbst feststellen, wirkt die Bundesregierung an der Umsetzung des OMT-Beschlusses nicht mit.

102

3. Die Beschwerdeführer zu III. sind schließlich auch insoweit nicht beschwerdebefugt, als sie Maßnahmen oder Unterlassungen deutscher Staatsorgane mit Blick auf eine mögliche Verletzung der Verfassungsidentität im Sinne von Art. 79 Abs. 3 GG rügen. Die Verfassungsbeschwerde genügt insoweit nicht den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ergebenden Anforderungen an ihre Begründung, weil sie nicht hinreichend substantiiert darlegt, inwiefern aus dem Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm vom 6. September 2012 die behauptete "Haftungsübernahme der Bundesrepublik Deutschland für finanzwirksame Willensentschließungen der Währungsunion" folgen könnte. Insbesondere wird nicht deutlich, wie und in welcher Höhe sich Haftungsrisiken ergeben könnten.

103

Das gilt auch für die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu II., soweit diese die Verpflichtung der Bundesregierung begehren, die Begrenzung der Haftung der Bundesrepublik Deutschland auf die aus dem ESM-Vertrag resultierenden Zahlungsverpflichtungen sicherzustellen. Sie ist bereits unzulässig, weil sie keine hinreichenden Angaben zu Umfang und Wahrscheinlichkeit möglicher Haftungsrisiken für den Bundeshaushalt enthält.

104

4. Nicht hinreichend substantiiert im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ist schließlich die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu III., soweit sie die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu einem Anpassungsprogramm nach Art. 13 ff. ESMV an seine vorherige Information über Art und Umfang von Anleihekäufen gebunden wissen wollen. Zwar hat auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2016 auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sich aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ein Anspruch auf eine derartige Koppelung von Maßnahmen im Rahmen des ESM und solchen der mit Unabhängigkeit ausgestatteten Europäischen Zentralbank (Art. 88 Satz 2 GG, Art. 130 Satz 1 AEUV) ergeben könnte. Der Senat hat in seinem Urteil vom 12. September 2012 vielmehr entschieden, dass die Tätigkeit des ESM und der Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank grundsätzlich zu unterscheiden sind und sich aufgrund der unionalen Kompetenzverteilung auch nicht beliebig verknüpfen lassen (vgl. BVerfGE 132, 195 <266 ff. Rn. 172 ff.>). Daran ist festzuhalten.

III.

105

1. Die im Organstreitverfahren gestellten Anträge sind zulässig, soweit sie die Feststellung der Verpflichtung des Deutschen Bundestages begehren, auf eine Aufhebung des Beschlusses vom 6. September 2012 hinzuwirken.

106

a) Die Antragstellerin ist als Fraktion des Deutschen Bundestages im Organstreitverfahren gemäß § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG parteifähig und berechtigt, im eigenen Namen Rechte geltend zu machen, die dem Deutschen Bundestag zustehen (vgl. BVerfGE 1, 351 <359>; 2, 143 <165>; 104, 151 <193>; 118, 244 <254 f.>; 121, 135 <150>; 123, 267 <337 f.>; 124, 78 <106>; 131, 152 <190>; 139, 194 <220 Rn. 96>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 23. September 2015 - 2 BvE 6/11 -, juris, Rn. 56; stRspr). Dies gilt auch dann, wenn eine Fraktion - wie vorliegend - Rechte und Pflichten des Deutschen Bundestages gegenüber dem Parlament selbst geltend macht (vgl. BVerfGE 123, 267 <338 f.>; 132, 195 <247 Rn. 125>; 134, 366 <397 Rn. 54>). Es ist gerade Sinn und Zweck der in § 64 BVerfGG geregelten Prozessstandschaft, der Parlamentsminderheit die Befugnis zur Geltendmachung der Rechte des Bundestages auch dann zu erhalten, wenn die Mehrheit seiner Mitglieder sie, insbesondere im Verhältnis zu der von ihr getragenen Bundesregierung, nicht wahrnehmen will. Die in § 64 BVerfGG geregelte Prozessstandschaft ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60, 319 <325 f.>; 68, 1 <77 f.>; 121, 135 <151>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 23. September 2015 - 2 BvE 6/11 -, juris, Rn. 59) und wurzelt insofern im aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleiteten Status der Fraktionen, denen als organisierte parlamentarische Minderheit und Gegenspieler der Regierungsmehrheit der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet wird, um die Geltendmachung der dem Parlament im Verfassungsgefüge zukommenden Rechte tatsächlich zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 90, 286 <344>; 117, 359 <367 f.>).

107

b) Der Bundestag ist nach § 63 BVerfGG möglicher Antragsgegner. Seine der Sache nach gerügte Unterlassung, auf die Aufhebung des Grundsatzbeschlusses vom 6. September 2012 hinzuwirken, ist nach § 64 Abs. 1 BVerfGG tauglicher Gegenstand eines Organstreitverfahrens (vgl. BVerfGE 121, 135 <150>; 139, 194 <220 Rn. 98>; stRspr).

108

Das Maß der erforderlichen Konkretisierung der beanstandeten Unterlassung hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab. Kommen zur Erreichung des vom Antragsteller begehrten Ziels verschiedene Maßnahmen in Betracht, ohne dass das dem Antragsgegner zustehende Ermessen offensichtlich auf eine dieser Maßnahmen beschränkt ist, genügt zur erforderlichen Konkretisierung die Bezeichnung des begehrten Ziels (vgl. BVerfGE 118, 244 <256>: "rechtserheblicher Protest"). Dies gilt erst recht in Fällen, in denen dem Antragsgegner ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, weil Grundlage der behaupteten Handlungspflicht eine Verantwortung für die Abwehr von Beeinträchtigungen verfassungsrechtlicher Schutzgüter ist.

109

Mit dem Antrag, der Bundestag müsse auf die Aufhebung des Beschlusses hinwirken, ist das angegriffene Unterlassen daher hinreichend konkretisiert (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfGE 57, 1 <5>; 68, 1 <74 f.>; 80, 188 <209>; 96, 264 <277>; 97, 408 <414>; 103, 81 <86>; 134, 141 <194 Rn. 158>; vgl. auch BVerfGE 118, 244 <257>; 131, 152 <190>).

110

c) Die Antragstellerin ist antragsbefugt. In der Sache rügt sie, anders als mit Blick auf das ESM-Finanzierungsgesetz (vgl. BVerfGE 135, 317 <395 ff. Rn. 150 ff.>), nicht die Verletzung materieller fraktionsspezifischer Rechte, die - ebenso wie der Status der Abgeordneten - aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleiten sind (vgl. BVerfGE 70, 324 <362 f.>; 112, 118 <135>; 135, 317 <396 Rn. 153>), sondern die Beeinträchtigung von Befugnissen des Antragsgegners selbst, namentlich seines Gesetzgebungsrechts aus Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG und seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung, durch seine Untätigkeit gegenüber dem Beschluss vom 6. September 2012. Insofern wird sie im Wege der Prozessstandschaft tätig. Sie behauptet in substantiierter Weise jedenfalls die Möglichkeit, dass durch das gerügte Unterlassen die genannten Rechte des Antragsgegners verletzt werden.

111

aa) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass die in Art. 23 GG verankerte Integrationsverantwortung (siehe Rn. 163 ff.) Rechte und Pflichten des Deutschen Bundestages umfasst, deren Verletzung die Fraktionen im Wege der Prozessstandschaft (§ 64 Abs. 1 BVerfGG) im eigenen Namen auch gegenüber dem Parlament selbst geltend machen können (BVerfGE 132, 195<247 Rn. 125>; 134, 366 <397 Rn. 54>). Das gilt namentlich für die Verpflichtung des Bundestages, auf seine im Rahmen der europäischen Integration bestehenden Rechte und Pflichten nicht zu verzichten und gegenüber einer drohenden Erosion seiner Gestaltungsmacht durch Kompetenzanmaßungen von Organen, Einrichtungen und Stellen der Europäischen Union nicht untätig zu bleiben (vgl. BVerfGE 134, 366 <397 f. Rn. 54>).

112

bb) Die Antragstellerin legt hinreichend dar, dass der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm vom 6. September 2012 die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Antragsgegners verletzen und dadurch dessen Integrationsverantwortung auslösen könnte. Unter Rückgriff auf die einschlägige Rechtsprechung des Senats zeigt sie auf, inwiefern das OMT-Programm Haftungsrisiken für die Bundesrepublik Deutschland erzeugen könnte, über die das Parlament nicht mehr eigenverantwortlich entscheiden könnte. Das Parlament werde in die Rolle des bloßen Nachvollzugs von Entscheidungen der Europäischen Zentralbank versetzt und finanzwirksamen Mechanismen ausgesetzt, die zu nicht mehr überschaubaren Belastungen des Haushalts führen könnten. Der Bundestag werde einem nicht an strikte Vorgaben gebundenen und in seinen Auswirkungen nicht begrenzten Gewährleistungs- und Haftungsautomatismus ausgeliefert, der von ihm nicht mehr zu kontrollieren sei. Fielen erworbene Schuldtitel aus, könne dies zu Verlusten der Europäischen Zentralbank führen, für die letzten Endes auch Deutschland anteilig einzustehen habe. Die Höhe etwaiger Verluste veranschaulicht die Antragstellerin durch einen Vergleich mit dem Volumen des SMP.

113

2. Unzulässig ist das Organstreitverfahren hingegen insoweit, als die Antragstellerin die Feststellung der Verpflichtung des Deutschen Bundestages begehrt, alles zu unterlassen, was der Umsetzung des Grundsatzbeschlusses über das OMT-Programm dient. Damit ist ausweislich der Antragsbegründung die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der Zustimmung zu EFSF- und ESM-Hilfsprogrammen gemeint, die nur unter bestimmten Konditionen erfolgen soll. Wie dargelegt, hat der Senat in seinem Urteil vom 12. September 2012 ausgesprochen, dass die Tätigkeit des ESM und der Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank grundsätzlich zu unterscheiden sind und sich aufgrund der unionalen Kompetenzverteilung auch nicht beliebig verknüpfen lassen (vgl. Rn. 104). Die beantragte Verknüpfung enthöbe den Deutschen Bundestag nicht seiner Pflicht, auf die Beseitigung eines möglichen Ultra-vires-Handelns hinzuwirken.

D.

114

Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren sind, soweit zulässig, unbegründet. Unter Beachtung der unter D.II.3. näher bezeichneten Maßgaben verletzt die Untätigkeit von Bundesregierung und Bundestag in Ansehung des Grundsatzbeschlusses der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG und werden die im Rahmen der europäischen Integration bestehenden Rechte und Pflichten des Bundestages einschließlich seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung dadurch nicht beeinträchtigt.

I.

115

Hoheitsakte der Europäischen Union und - soweit sie durch das Unionsrecht determiniert werden - Akte der deutschen öffentlichen Gewalt sind mit Blick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts grundsätzlich nicht am Maßstab des Grundgesetzes zu messen. Der Anwendungsvorrang findet seine Grenze jedoch in dem im Zustimmungsgesetz zu den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG) und in den durch Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Grundsätzen der Art. 1 und 20 GG (1.). Das gilt namentlich für das in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG verankerte Demokratieprinzip. Dieses verbietet nicht nur eine substantielle Erosion der Gestaltungsmacht des Deutschen Bundestages, sondern gewährleistet in seiner Konkretisierung im Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) zudem, dass auch das in Deutschland zur Anwendung gelangende Unionsrecht über ein hinreichendes Maß an demokratischer Legitimation verfügt; es schützt insoweit vor offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union (2.). Deutsche Staatsorgane dürfen sich am Zustandekommen solcher Maßnahmen ebenso wenig beteiligen wie an ihrer Umsetzung, Vollziehung oder Operationalisierung (3.). Die Verfassungsorgane trifft aufgrund der ihnen obliegenden Integrationsverantwortung (Art. 23 GG) die Pflicht, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Einhaltung des Integrationsprogramms hinzuwirken (4.).

116

1. Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG wirkt die Bundesrepublik Deutschland an der Gründung und Fortentwicklung der Europäischen Union mit. Die dazu vom Grundgesetz ermöglichte Öffnung der deutschen Rechtsordnung (a) findet ihre Grenze jedoch in dem vom Deutschen Bundestag verantworteten Integrationsprogramm sowie in der nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG unverfügbaren Identität der Verfassung (b).

117

a) Mit der Verpflichtung Deutschlands auf die Gründung und Fortentwicklung der Europäischen Union enthält Art. 23 Abs. 1 GG zugleich ein Wirksamkeits- und Durchsetzungsversprechen für das Unionsrecht (vgl. BVerfGE 126, 286 <302>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015, a.a.O., Rn. 37). Für den Erfolg der Europäischen Union und die Erreichung ihrer vertraglichen Ziele ist die einheitliche Geltung ihres Rechts von zentraler Bedeutung (vgl. BVerfGE 73, 339 <368>; 123, 267 <399>; 126, 286 <301 f.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015, a.a.O., Rn. 37). Als Rechtsgemeinschaft von derzeit 28 Mitgliedstaaten könnte sie nicht bestehen, wenn dessen einheitliche Geltung und Wirksamkeit nicht gewährleistet wäre (vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Costa/ENEL, 6/64, Slg. 1964, S. 1251 <1269 f.>).

118

Mit der in Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Ermächtigung, Hoheitsrechte auf die Europäische Union zu übertragen, billigt das Grundgesetz daher auch die im Zustimmungsgesetz zu den Verträgen enthaltene Einräumung eines Anwendungsvorrangs zugunsten des Unionsrechts. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht gilt grundsätzlich auch mit Blick auf entgegenstehendes nationales Verfassungsrecht (vgl. BVerfGE 129, 78 <100>) und führt bei einer Kollision in aller Regel zur Unanwendbarkeit des nationalen Rechts im konkreten Fall (vgl. BVerfGE 126, 286 <301>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015, a.a.O., Rn. 38; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. November 2015 - 2 BvR 282/13, 2 BvQ 52 BvQ 56/12 -, juris, Rn. 15, 19).

119

Auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 GG kann der Integrationsgesetzgeber nicht nur Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union, soweit sie in Deutschland öffentliche Gewalt ausüben, von einer umfassenden Bindung an die Gewährleistungen des Grundgesetzes freistellen, sondern auch deutsche Stellen, die Recht der Europäischen Union durchführen (vgl. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 247 ff.). Das gilt sowohl für die Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene, wenn diese Sekundär- oder Tertiärrecht umsetzen, ohne dabei über einen Gestaltungsspielraum zu verfügen(vgl. BVerfGE 118, 79 <95>; 122, 1 <20>), als grundsätzlich auch für Behörden und Gerichte.

120

b) Der Anwendungsvorrang reicht jedoch nur soweit, wie das Grundgesetz und das Zustimmungsgesetz die Übertragung von Hoheitsrechten erlauben oder vorsehen (vgl. BVerfGE 73, 339 <375 f.>; 89, 155 <190>; 123, 267 <348 ff.>; 126, 286 <302>; 129, 78 <99>; 134, 366 <384 Rn. 26>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015, a.a.O., Rn. 40). Der im Zustimmungsgesetz enthaltene Rechtsanwendungsbefehl kann nur im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung erteilt werden (vgl. BVerfGE 123, 267 <402>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015, a.a.O., Rn. 40). Grenzen für die Öffnung deutscher Staatlichkeit ergeben sich daher ausweislich des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG aus der in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Verfassungsidentität des Grundgesetzes und dem gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG im Zustimmungsgesetz niedergelegten Integrationsprogramm, das dem Unionsrecht für Deutschland erst die notwendige demokratische Legitimation verleiht.

121

2. Das in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG verankerte Demokratieprinzip gehört in seinen Grundsätzen zu der in Art. 79 Abs. 3 GG für änderungsfest und in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG auch für integrationsfest erklärten Verfassungsidentität des Grundgesetzes. Es vermittelt dem Bürger in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur Schutz vor einer substantiellen Erosion der Gestaltungsmacht des Deutschen Bundestages, sondern auch vor offensichtlich und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union (a). Ob Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union die durch Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze der Art. 1 und Art. 20 GG berühren, prüft das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Identitätskontrolle (b), ob sie die Grenzen des demokratisch legitimierten Integrationsprogramms nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG offensichtlich und in strukturell bedeutsamer Weise überschreiten und dadurch gegen den Grundsatz der Volkssouveränität verstoßen, im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle (c). Identitäts- und Ultra-vires-Kontrolle leiten sich aus Art. 79 Abs. 3 GG ab, sind aber eigenständige Kontrollverfahren, die unterschiedliche Maßstäbe anwenden (d). Beide Kontrollvorbehalte sind zurückhaltend und europarechtsfreundlich auszuüben (e).

122

a) Maßnahmen, die die Grundsätze des in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG verankerten Demokratieprinzips berühren, können den Bürger in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen (aa). Der Anspruch auf Teilhabe an der demokratischen Legitimation der in Deutschland ausgeübten Staatsgewalt gilt im Grundsatz auch in Bezug auf die Europäische Union (bb).

123

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erschöpft sich das dem Einzelnen in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG garantierte Wahlrecht zum Deutschen Bundestag nicht in einer formalen Legitimation der (Bundes-) Staatsgewalt, sondern umfasst auch dessen grundlegenden demokratischen Gehalt (vgl. BVerfGE 89, 155 <171>; 129, 124 <168>; 134, 366 <396 Rn. 51>) (1). Dazu gehört namentlich der in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Grundsatz der Volkssouveränität und der damit zusammenhängende Anspruch des Bürgers, nur einer öffentlichen Gewalt ausgesetzt zu sein, die er auch legitimieren und beeinflussen kann (2).

124

(1) Für die vom Grundgesetz verfasste Staatsordnung ist eine durch Wahlen und Abstimmungen betätigte Selbstbestimmung des Volkes nach dem Mehrheitsprinzip konstitutiv. Das Grundgesetz geht vom Eigenwert und der Würde des zur Freiheit befähigten Menschen aus und verbürgt im Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die sie betreffende öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen, einen menschenrechtlichen Kern des Demokratieprinzips. Dieser ist in der Würde des Menschen verankert (vgl. BVerfGE 123, 267 <341>; 129, 124 <169>; 135, 317 <386 Rn. 125>; vgl. Häberle, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 22 Rn. 61 ff.; Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 252 ff.; Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 6 Rn. 19 f.). Der Mensch ist danach eine zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung begabte "Persönlichkeit". Er wird als fähig angesehen und es wird ihm demgemäß abgefordert, seine Interessen und Ideen mit denen der anderen auszugleichen. Um seiner Würde willen muss ihm eine möglichst weitgehende Entfaltung seiner Persönlichkeit gesichert werden. Für den politisch-sozialen Bereich bedeutet das, dass es nicht genügt, wenn eine "Obrigkeit" sich bemüht, noch so gut für das Wohl von "Untertanen" zu sorgen; der Einzelne soll vielmehr in möglichst weitem Umfange verantwortlich auch an den Entscheidungen für die Gesamtheit mitwirken (BVerfGE 5, 85 <204 f.>).

125

Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die wahlberechtigten Bürger daher vor einem Substanzverlust ihrer im verfassungsstaatlichen Gefüge maßgeblichen Herrschaftsgewalt dadurch, dass die Rechte des Bundestages wesentlich geschmälert werden und damit die Gestaltungsmacht desjenigen Verfassungsorgans verloren geht, das unmittelbar nach den Grundsätzen freier und gleicher Wahl zustande gekommen ist (vgl. BVerfGE 123, 267 <341>; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 146 ; Morlok, in: Dreier, a.a.O., Art. 38 Rn. 56, 59 ff.).

126

Der in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte Anspruch des Bürgers auf demokratische Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 89, 155 <187>; 123, 267 <340>; 129, 124 <169, 177>; 132, 195 <238 Rn. 104>; 135, 317 <386 Rn. 125>) ist allerdings strikt auf den in der Würde des Menschen wurzelnden Kern des Demokratieprinzips begrenzt (Art. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG). Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gewährt dagegen keinen Anspruch auf eine über dessen Sicherung hinausgehende Rechtmäßigkeitskontrolle demokratischer Mehrheitsentscheidungen. Er dient nicht der inhaltlichen Kontrolle demokratischer Prozesse, sondern ist auf deren Ermöglichung gerichtet (vgl. BVerfGE 129, 124<168>; 134, 366 <396 f. Rn. 52>). Als Grundrecht auf Mitwirkung an der demokratischen Selbstherrschaft des Volkes verleiht Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG daher grundsätzlich keine Beschwerdebefugnis gegen Parlamentsbeschlüsse, insbesondere Gesetzesbeschlüsse (BVerfGE 129, 124<168>). Sein Gewährleistungsbereich beschränkt sich vielmehr auf Strukturveränderungen im staatsorganisationsrechtlichen Gefüge, wie sie etwa bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union oder andere supranationale Einrichtungen eintreten können (vgl. BVerfGE 129, 124 <169>).

127

(2) Der in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Grundsatz der Volkssouveränität und der damit zusammenhängende Anspruch des Bürgers, nur einer öffentlichen Gewalt ausgesetzt zu sein, die er auch legitimieren und beeinflussen kann, stellt eine verfassungsunmittelbare Konkretisierung des Demokratieprinzips dar. Auch sie erklärt das Grundgesetz in Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar (vgl. BVerfGE 89, 155 <182>; 123, 267 <330>; 129, 124 <169>; Morlok, in: Dreier, a.a.O., Art. 38 Rn. 61).

128

Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG stellt den Zusammenhang zwischen dem Wahlrecht und der Ausübung der Staatsgewalt her. Jede in Deutschland ausgeübte öffentliche Gewalt muss danach auf den Bürger zurückführbar sein (vgl. BVerfGE 83, 37 <50 f.>; 93, 37 <66>; 130, 76 <123>; 137, 185 <232 Rn. 131>; 139, 194 <224 Rn. 106>). Mit dem Grundsatz der Volkssouveränität (vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 8; Unger, a.a.O., S. 288; Dreier, in: ders., a.a.O., Art. 20 Rn. 82; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 60 ) gewährleistet das Grundgesetz einen Anspruch aller Bürger auf freie und gleiche Teilhabe an der Legitimation und Beeinflussung der sie betreffenden Hoheitsgewalt. Dies schließt es aus, dass die Bürger einer politischen Gewalt unterworfen werden, der sie nicht ausweichen können und die sie nicht prinzipiell personell und sachlich zu gleichem Anteil in Freiheit zu bestimmen vermögen (vgl. BVerfGE 123, 267 <341>).

129

bb) Der in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG verankerte Anspruch des Bürgers auf demokratische Selbstbestimmung gilt ausweislich von Art. 23 Abs. 1 GG grundsätzlich auch in Ansehung der europäischen Integration (1). Er vermittelt dem Bürger nicht nur Schutz vor einer substantiellen Erosion der Gestaltungsmacht des Deutschen Bundestages, sondern auch vor offensichtlich und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union (2).

130

(1) Im Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 1 GG schützt Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG davor, dass die durch die Wahl bewirkte Legitimation von Staatsgewalt und Einflussnahme auf deren Ausübung durch die Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Deutschen Bundestages auf die europäische Ebene entleert wird (vgl. BVerfGE 89, 155 <172>; 123, 267 <330>; 134, 366 <396 Rn. 51>). Das Grundgesetz untersagt daher nicht nur die Übertragung der Kompetenz-Kompetenz auf die Europäische Union oder im Zusammenhang mit ihr geschaffene Einrichtungen (vgl. BVerfGE 89, 155 <187 f., 192, 199>; vgl. auch BVerfGE 58, 1 <37>; 104, 151 <210>; 123, 267 <349>; 132, 195 <238 Rn. 105>); auch Blankettermächtigungen zur Ausübung öffentlicher Gewalt dürfen die deutschen Verfassungsorgane nicht erteilen (vgl. BVerfGE 58, 1 <37>; 89, 155 <183 f., 187>; 123, 267 <351>; 132, 195 <238 Rn. 105>). Dynamische Vertragsvorschriften müssen, wenn sie noch in einer Weise ausgelegt werden können, die die Grenzen des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG wahrt, jedenfalls an geeignete Sicherungen zur effektiven Wahrnehmung der den deutschen Verfassungsorganen obliegenden Integrationsverantwortung geknüpft werden. Für Grenzfälle des noch verfassungsrechtlich Zulässigen muss der Gesetzgeber gegebenenfalls mit seinen die Zustimmung begleitenden Gesetzen wirksame Vorkehrungen dafür treffen, dass sich seine Integrationsverantwortung hinreichend entfalten kann (BVerfGE 123, 267 <353>; 132, 195 <239 Rn. 105>; 135, 317 <399 Rn. 160>).

131

Zwar ist der Vollzug des Integrationsprogramms im Hinblick auf Mehrheitsentscheidungen im Rat (Art. 238 AEUV), die Möglichkeit unionaler Eigenverwaltung (Art. 298 AEUV) und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (Art. 130 AEUV) mit mehreren Einflussknicken (zum Begriff Wagener, in: ders., Verselbständigung von Verwaltungsträgern, 1976, Bd. 1, S. 31 <40>; Mann, in: ders./Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, 3. Aufl. 2011, § 46 Rn. 21; Wendel, Permeabilität im europäischen Verfassungsrecht, 2011, S. 354) verbunden, die das demokratische Legitimationsniveau von Maßnahmen der europäischen öffentlichen Gewalt unter dem Blickwinkel von Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG absenken können (vgl. BVerfGE 89, 155 <182 ff.>). Diese Maßnahmen werden dabei allerdings durch andere Legitimationsstränge auf supranationaler Ebene gestützt (vgl. BVerfGE 123, 267 <342, 344 f., 347 f., 351 f., 353 f., 365 ff., 367 ff., 369>), die dieser Ebene Rechnung tragen. An dem grundsätzlichen Erfordernis, dass auch solche Maßnahmen durch eine hinreichend bestimmte Ermächtigung des Integrationsgesetzgebers legitimiert sein müssen, ändert dies jedoch nichts. Soweit nicht das Volk selbst zur Entscheidung berufen ist, ist demokratisch legitimiert nur, was parlamentarisch verantwortet werden kann (BVerfGE 123, 267 <351>; vgl. BVerfGE 89, 155 <212>). Andernfalls wäre die Disposition über die vertraglichen Grundlagen auch insoweit auf die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union verlagert, als deren Rechtsverständnis und -praxis im Ergebnis auf eine Vertragsänderung oder Kompetenzausweitung hinausliefe (vgl. BVerfGE 123, 267 <354 f.>; 126, 286 <302 ff.>; 134, 366 <384 Rn. 26>). Diese besäßen jedenfalls der Sache nach eine Kompetenz-Kompetenz, die ihnen nicht übertragen werden darf (vgl. BVerfGE 89, 155 <187 f.>; 123, 267 <349>; 132, 195 <238 Rn. 105>; 134, 366 <395 Rn. 48>; 135, 317 <399 Rn. 160>).

132

Eine Ausübung öffentlicher Gewalt durch Organe, Stellen und sonstige Einrichtungen der Europäischen Union verletzt daher den Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG), wenn sie nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation durch das im Zustimmungsgesetz niedergelegte Integrationsprogramm verfügt.

133

(2) Der Kern des aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG folgenden "Anspruchs auf Demokratie" steht auch in Ansehung von Maßnahmen der Europäischen Union nicht zur Disposition.

134

Zur Sicherung seiner demokratischen Einflussmöglichkeiten im Prozess der europäischen Integration hat der Bürger ferner grundsätzlich ein Recht darauf, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten nur in den vom Grundgesetz dafür vorgesehenen Formen der Art. 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3, Art. 79 Abs. 2 GG erfolgt (vgl. BVerfGE 134, 366 <397 Rn. 53>). Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG wird verletzt, wenn ein Gesetz nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG in die dem Bundestag vorbehaltenen Befugnisse etwa im Bereich der Haushalts- oder Wehrpolitik (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 f.>; 108, 34 <44>; 121, 135 <154>; 123, 267 <340 ff., 360 ff.>; 126, 55 <70>; 129, 124 <177>; 132, 195 <239 Rn. 106>; 135, 317 <399 f. Rn. 161>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 23. September 2015 - 2 BvE 6/11 -, juris, Rn. 67) eingreift oder das beabsichtigte Integrationsprogramm nicht hinreichend bestimmbar festlegt, weil dies die Inanspruchnahme nicht benannter Aufgaben und Befugnisse durch die Europäische Union ermöglichte und einer Generalermächtigung gleichkäme (vgl. BVerfGE 89, 155 <187>; 123, 267 <351>).

135

Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG schützt vor einer eigenmächtigen Inanspruchnahme hoheitlicher Befugnisse durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäische Union, weil durch ein solches Verhalten der demokratische Entscheidungsprozess, den Art. 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 und Abs. 3 GG gewährleisten, unterlaufen wird (vgl. BVerfGE 134, 366 <397 Rn. 53>; Morlok, in: Dreier, a.a.O., Art. 38 Rn. 61). Usurpieren Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen Aufgaben und Befugnisse, die ihnen das im Zustimmungsgesetz niedergelegte Integrationsprogramm nicht übertragen hat, so verletzen sie damit den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kern der Volkssouveränität, weil sie den Bürger einer öffentlichen Gewalt aussetzen, die er nicht legitimiert hat und auf die er angesichts des institutionellen Gefüges zwischen den Organen der Europäischen Union (vgl. BVerfGE 123, 267 <372>; 129, 300 <336 ff.>; 135, 259 <294 Rn. 71>; Calliess, in: Bauer/Huber/Sommermann, Demokratie in Europa, 2005, S. 281 <288 ff.>; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 214 Rn. 102 f.) auch nicht in Freiheit und Gleichheit wirkungsvoll Einfluss nehmen kann.

136

b) Die in Art. 1 und Art. 20 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG garantierten Grundsätze sind auch bei der Anwendung des Unionsrechts in Deutschland zu gewährleisten. Darauf zielt die Identitätskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht (aa). Diese Kontrolle ist mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) vereinbar (bb); im Verfassungsrecht anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union finden sich vergleichbare Grenzen (cc).

137

aa) Soweit Maßnahmen von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union Auswirkungen zeitigen, die die in den Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegte Verfassungsidentität berühren, gehen sie über die grundgesetzlichen Grenzen offener Staatlichkeit hinaus. Auf einer primärrechtlichen Ermächtigung kann eine derartige Maßnahme nicht beruhen, weil auch der mit der Mehrheit des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG entscheidende Integrationsgesetzgeber der Europäischen Union keine Hoheitsrechte übertragen kann, mit deren Inanspruchnahme eine Berührung der von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität einherginge (vgl. BVerfGE 113, 273 <296>; 123, 267 <348>; 134, 366 <384 Rn. 27>).

138

Im Rahmen der Identitätskontrolle prüft das Bundesverfassungsgericht, ob die durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze bei der Übertragung von Hoheitsrechten durch den deutschen Gesetzgeber oder durch eine Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union berührt werden (vgl. BVerfGE 123, 267 <344, 353 f.>; 126, 286 <302>; 129, 78 <100>; 134, 366 <384 f. Rn. 27>). Das betrifft die Wahrung des Menschenwürdekerns der Grundrechte (Art. 1 GG; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015, a.a.O., Rn. 48) ebenso wie die Grundsätze, die das Demokratie-, Rechts-, Sozial- und Bundesstaatsprinzip im Sinne des Art. 20 GG prägen. Mit Blick auf das Demokratieprinzip ist unter anderem sicherzustellen, dass dem Deutschen Bundestag bei einer Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 GG eigene Aufgaben und Befugnisse von substantiellem politischem Gewicht verbleiben (vgl. BVerfGE 89, 155 <182>; 123, 267 <330, 356>) und dass er in der Lage bleibt, seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung wahrzunehmen (vgl. BVerfGE 123, 267 <359>; 129, 124 <177>; 132, 195 <239 Rn. 106>; 135, 317 <399 f. Rn. 161>).

139

Die Identitätskontrolle verhindert nicht nur, dass der Europäischen Union Hoheitsrechte jenseits des für eine Übertragung offen stehenden Bereichs eingeräumt werden, sondern auch, dass Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union umgesetzt werden, die eine entsprechende Wirkung entfalten und jedenfalls faktisch einer mit dem Grundgesetz unvereinbaren Kompetenzübertragung gleichkämen (vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 88; K. Schneider, AöR 139 <2014>, S. 196 <245 f.>; Morlok, in: Dreier, a.a.O., Art. 38 Rn. 61; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Abs. I Rn. 137 f. ; a.A. Ingold, AöR 140 <2015>, S. 1 <11 f.>).

140

bb) Die Identitätskontrolle verstößt, wie der Senat in seinem Beschluss vom 15. Dezember 2015 im Einzelnen dargelegt hat (BVerfG, a.a.O., Rn. 44), nicht gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit im Sinne von Art. 4 Abs. 3 EUV. Sie ist vielmehr in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV der Sache nach angelegt (vgl. zur Berücksichtigung der nationalen Identität auch EuGH, Urteil vom 2. Juli 1996, Kommission/Luxemburg, C-473/93, SIg. 1996, I-3207, Rn. 35; Urteil vom 14. Oktober 2004, Omega, C-36/02, Slg. 2004, I-9609, Rn. 31 ff.; Urteil vom 12. Juni 2014, Digibet und Albers, C-156/13, EU:C:2014:1756, Rn. 34) und entspricht insoweit auch den institutionellen Gegebenheiten der Europäischen Union. Die Europäische Union ist ein Staaten-, Verfassungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungsverbund, der seine Grundlagen in völkerrechtlichen Verträgen der Mitgliedstaaten findet. Als Herren der Verträge entscheiden diese durch nationale Geltungsanordnungen darüber, ob und inwieweit das Unionsrecht im jeweiligen Mitgliedstaat Geltung und Vorrang beanspruchen kann (vgl. BVerfGE 75, 223 <242>; 89, 155 <190>; 123, 267 <348 f., 381 ff.>; 126, 286 <302 f.>; 134, 366 <384 Rn. 26>). Nicht entscheidend ist, ob die Geltungsanordnung - wie in Frankreich (Art. 55 FrzVerf.), Österreich (Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, BGBl für die Republik Österreich Nr. 744/1994) oder Spanien (Art. 96 Abs. 1 SpanVerf.) - im nationalen Verfassungsrecht oder - wie in Großbritannien - im Zustimmungsgesetz (European Communities Act 1972; vgl. Court of Appeal, Macarthys v. Smith, <1981> 1 All ER 111 <120>; Macarthys v. Smith, <1979> 3 All ER 325 <329>; House of Lords, Garland v. British Rail Engineering, <1982> 2 All ER 402 <415>) ausdrücklich niedergelegt ist, ob sie - wie in Deutschland - aufgrund einer systematischen, teleologischen und historischen Auslegung dem Zustimmungsgesetz entnommen oder ob die Nachrangigkeit des nationalen Rechts gegenüber dem Unionsrecht - wie in Italien - durch eine einzelfallbezogene Handhabung des nationalen Rechts erreicht wird (vgl. Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 170/1984, Granital, EuGRZ 1985, S. 98).

141

Es bedeutet daher keinen Widerspruch zur Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (Präambel, Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG), wenn das Bundesverfassungsgericht unter eng begrenzten Voraussetzungen die Maßnahme eines Organs oder einer Stelle der Europäischen Union für in Deutschland ausnahmsweise nicht anwendbar erklärt (vgl. BVerfGE 37, 271 <280 ff.>; 73, 339 <374 ff.>; 75, 223 <235, 242>; 89, 155 <174 f.>; 102, 147 <162 ff.>; 123, 267 <354, 401>; BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015, a.a.O., Rn. 45).

142

cc) Auch im Verfassungsrecht zahlreicher anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union finden sich Vorkehrungen zum Schutz der Verfassungsidentität und der Grenzen der Übertragung von Souveränitätsrechten auf die Europäische Union (vgl. insoweit BVerfGE 134, 366 <387 Rn. 30>). Die weitaus überwiegende Zahl der Verfassungs- und Höchstgerichte der anderen Mitgliedstaaten teilt für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass der (Anwendungs-)Vorrang des Unionsrechts nicht unbegrenzt gilt, sondern dass ihm durch das nationale (Verfassungs-)Recht Grenzen gezogen werden (vgl. für das Königreich Dänemark: Højesteret, Urteil vom 6. April 1998 - I 361/1997 -, Abschn. 9.8; für die Republik Estland: Riigikohus, Urteil vom 12. Juli 2012 - 3-4-1-6-12 -, Abs.-Nr. 128, 223; für die Französische Republik: Conseil Constitutionnel, Entscheidung Nr. 2006-540 DC vom 27. Juli 2006, 19. Erwägungsgrund; Entscheidung Nr. 2011-631 DC vom 9. Juni 2011, 45. Erwägungsgrund; Conseil d'État, Urteil vom 8. Februar 2007, Nr. 287110 , Société Arcelor Atlantique et Lorraine, EuR 2008, S. 57 <60 f.>; für Irland: Supreme Court of Ireland, Crotty v. An Taoiseach, <1987>, I.R. 713 <783>; S.P.U.C. Ltd. v. Grogan, <1989>, I.R. 753 <765>; für die Italienische Republik: Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 98/1965, Acciaierie San Michele, EuR 1966, S. 146; Entscheidung Nr. 183/1973, Frontini, EuR 1974, S. 255; Entscheidung Nr. 170/1984, Granital, EuGRZ 1985, S. 98; Entscheidung Nr. 232/1989, Fragd; Entscheidung Nr. 168/1991; Entscheidung Nr. 117/1994, Zerini; für die Republik Lettland: Satversmes tiesa, Urteil vom 7. April 2009 - 2008-35-01 -, Abs.-Nr. 17; für die Republik Polen: Trybunal Konstytucyjny, Urteile vom 11. Mai 2005 - K 18/04 -, Rn. 4.1., 10.2.; vom 24. November 2010 - K 32/09 -, Rn. 2.1. ff.; vom 16. November 2011 - SK 45/09 -, Rn. 2.4., 2.5.; für das Königreich Spanien: Tribunal Constitucional, Erklärung vom 13. Dezember 2004, DTC 1/2004, Punkt 2 der Entscheidungsgründe, EuR 2005, S. 339 <343> und Entscheidung vom 13. Februar 2014, STC 26/2014, Punkt 3 der Entscheidungsgründe, HRLJ 2014, S. 475 <477 f.>; für die Tschechische Republik: Ústavni Soud, Urteil vom 8. März 2006, Pl. ÚS 50/04, Abschn. VI.B.; Urteil vom 3. Mai 2006, Pl. ÚS 66/04, Rn. 53; Urteil vom 26. November 2008, Pl. ÚS 19/08, Rn. 97, 113, 196; Urteil vom 3. November 2009, Pl. ÚS 29/09, Rn. 110 ff.; Urteil vom 31. Januar 2012, Pl. ÚS 5/12, Abschn. VII.; für das Vereinigte Königreich: High Court, Urteil vom 18. Februar 2002, Thoburn v. Sunderland City Council, <2002> EWHC 195 , Abs.-Nr. 69; UK Supreme Court, Urteil vom 22. Januar 2014, R v. The Secretary of State for Transport, <2014> UKSC 3, Abs.-Nr. 79, 207; Urteil vom 25. März 2015, Pham v. Secretary of State for the Home Department, <2015> UKSC 19, Abs.-Nr. 54, 58, 72 bis 92).

143

c) Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union, die ultra vires ergehen, verletzen das im Zustimmungsgesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG niedergelegte Integrationsprogramm. Der Abwendung derartiger Rechtsverletzungen dient das Institut der Ultra-vires-Kontrolle (aa). Mit ihr überprüft das Bundesverfassungsgericht, ob eine Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union das Integrationsprogramm in hinreichend qualifizierter Weise überschreitet und ihr deshalb in Deutschland die demokratische Legitimation fehlt (bb). Das dient zugleich der Gewährleistung des Rechtsstaatsprinzips (cc).

144

aa) Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft (Art. 2 Satz 1 EUV; EuGH, Urteil vom 23. April 1986, Les Verts/Parlament, Rs. 294/83, Slg. 1986, S. 1339, Rn. 23). Sie ist insbesondere durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EUV; vgl. BVerfGE 75, 223 <242>; 89, 155 <187 f., 192, 199>; 123, 267 <349>; vgl. auch BVerfGE 58, 1 <37>; 68, 1 <102>; 77, 170 <231>; 104, 151 <195>; 118, 244 <260>; 126, 286 <302>; 134, 366 <384 Rn. 26>) und die europäischen Grundrechtsgewährleistungen gebunden und achtet die Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten, auf denen sie beruht (vgl. im Einzelnen Art. 4 Abs. 2 Satz 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 EUV; vgl. BVerfGE 126, 286 <303>). Das Unionsrecht bleibt - auch soweit es als autonome (Teilrechts-)Ordnung verstanden wird - von der vertraglichen Ermächtigung abhängig. Für die Erweiterung ihrer Befugnisse bleiben die Organe, Einrichtungen und Stellen der Europäischen Union auf Vertragsänderungen angewiesen, die von den Mitgliedstaaten nach Maßgabe der für sie jeweils geltenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen vorgenommen und verantwortet werden (vgl. insbesondere Art. 48 Abs. 4 UAbs. 2, Abs. 6 UAbs. 2 Satz 3, Abs. 7 UAbs. 3 EUV).

145

Kompetenzüberschreitungen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union können den Grundsatz der Volkssouveränität und das in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene Recht des Einzelnen verletzen, keiner Hoheitsgewalt ausgesetzt zu werden, die er nicht legitimieren und auf die er nicht in Freiheit und Gleichheit Einfluss nehmen kann. Insoweit ist es Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Einhaltung des im Zustimmungsgesetz niedergelegten Integrationsprogramms zu überprüfen und bei dessen Vollzug ein hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau sicherzustellen (vgl. Dederer, JZ 2014, S. 313 <315>; K. Schneider, AöR 139 <2014>, S. 196 <209 ff.>; Morlok, in: Dreier, a.a.O., Art. 38 Rn. 59 ff.). Die Ultra-vires-Kontrolle ist im Hinblick auf Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG daher nicht verzichtbar (vgl. BVerfGE 134, 366 <384 Rn. 26>).

146

Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union, deren Rechtmäßigkeitsmaßstab das Unionsrecht ist (vgl. Ingold, AöR 140 <2015>, S. 1 <11 f.>; Schwerdtfeger, EuR 2015, S. 290 <303>), hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle (nur) daraufhin zu überprüfen, ob sie vom Integrationsprogramm (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG) gedeckt sind und insoweit am Anwendungsvorrang des Unionsrechts teilhaben.

147

bb) Eine solche Prüfung kommt - wegen der engen inhaltlichen Begrenzung des in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten "Rechts auf Demokratie" - allerdings nur bei hinreichend qualifizierten Kompetenzüberschreitungen in Betracht. Nur dann kann davon die Rede sein, dass die Bürger in Ansehung einer Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union einer politischen Gewalt unterworfen sind, der sie nicht ausweichen können und die sie nicht prinzipiell personell und sachlich zu gleichem Anteil in Freiheit zu bestimmen vermögen. Eine qualifizierte Kompetenzüberschreitung in diesem Sinne muss daher offensichtlich (1) und für die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten von struktureller Bedeutung sein (2).

148

(1) Die Annahme eines Ultra-vires-Akts setzt - ohne Rücksicht auf den betroffenen Sachbereich - voraus, dass eine Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union offensichtlich außerhalb der übertragenen Kompetenzen liegt (vgl. BVerfGE 123, 267 <353, 400>; 126, 286 <304>; 134, 366 <392 Rn. 37>).

149

Das ist der Fall, wenn sich die Kompetenz - bei Anwendung allgemeiner methodischer Standards (siehe Rn. 158 ff.) - unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründen lässt (vgl. BVerfGE 126, 286 <308>; siehe auch Pötters/Traut, EuR 2011, S. 580 <587>; Wendel, ZaöRV 2014, S. 615 <631 f.>; Klement, JZ 2015, S. 754 <756 f.>). Dieses Verständnis von Offensichtlichkeit folgt aus dem Gebot, die Ultra-vires-Kontrolle zurückhaltend auszuüben (siehe Rn. 154 ff.). Bezogen auf den Gerichtshof der Europäischen Union folgt es zudem aus der Unterschiedlichkeit der Aufgaben und Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht einerseits und der Gerichtshof der Europäischen Union andererseits zu erfüllen oder anzuwenden haben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Gerichtshof Anspruch auf Fehlertoleranz hat (BVerfGE 126, 286 <307>). Eine Grenze findet dieser mit der Aufgabenzuweisung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV notwendig verbundene Spielraum erst bei einer offensichtlich schlechterdings nicht mehr nachvollziehbaren und daher objektiv willkürlichen Auslegung der Verträge. Erst wenn der Gerichtshof diese Grenze überschritte, wäre auch sein Handeln nicht mehr durch Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV gedeckt, fehlte seiner Entscheidung für Deutschland das gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG erforderliche Mindestmaß an demokratischer Legitimation.

150

Die Annahme einer offensichtlichen Kompetenzüberschreitung setzt allerdings nicht voraus, dass keine unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu dieser Frage vertreten werden. Dass - nicht selten interessierte - Stimmen im Schrifttum, in der Politik oder den Medien einer Maßnahme Unbedenklichkeit attestieren, hindert die Feststellung einer offensichtlichen Kompetenzüberschreitung grundsätzlich nicht. "Offensichtlich" kann die Kompetenzüberschreitung auch dann sein, wenn sie das Ergebnis einer sorgfältigen und detailliert begründeten Auslegung ist. Insoweit gelten im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle die allgemeinen Grundsätze (siehe etwa zu § 24 Satz 1 BVerfGG BVerfGE 82, 316<319 f.>; 89, 243 <250>; 89, 291 <300>; 95, 1 <14 f.>; 103, 332 <358 ff.>).

151

(2) Eine strukturell bedeutsame Verschiebung zulasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen (vgl. BVerfGE 126, 286 <309>) kann nur vorliegen, wenn die Kompetenzüberschreitung ein für das Demokratieprinzip und die Volkssouveränität erhebliches Gewicht besitzt. Das ist etwa der Fall, wenn sie geeignet ist, die kompetenziellen Grundlagen der Europäischen Union zu verschieben (vgl. Wischmeyer, AöR 140 <2015>, S. 415 <456 f.>) und so das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu unterlaufen. Davon ist auszugehen, wenn die Inanspruchnahme der Kompetenz durch das Organ, die Einrichtung oder sonstige Stelle der Europäischen Union eine Vertragsänderung nach Art. 48 EUV oder die Inanspruchnahme einer Evolutivklausel erforderte (vgl. EuGH, Gutachten 2/94 vom 28. März 1996, EMRK-Beitritt, Slg. 1996, I-1759, Rn. 30), für Deutschland also ein Tätigwerden des Gesetzgebers, sei es nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG, sei es nach Maßgabe des Integrationsverantwortungsgesetzes (vgl. schon dazu Art. 235 EWGV a.F.; BVerfGE 89, 155 <210>; Gött, EuR 2014, S. 514 <525>).

152

cc) Die Ultra-vires-Kontrolle dient darüber hinaus der Gewährleistung des Rechtsstaatsprinzips. Im innerstaatlichen Recht verlangt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eine gültige Aufgabenzuweisung und für Eingriffe in den Rechtskreis des Einzelnen auch eine begrenzte und näher bestimmte gesetzliche Ermächtigung der Exekutive (vgl. BVerfGE 107, 59 <102>; stRspr). Dies gilt entsprechend für die durch die Europäische Union ausgeübte öffentliche Gewalt (EuGH, Urteil vom 22. März 1961, SNUPAT/Hohe Behörde, 42 und 49/59, Slg. 1961, S. 101 <172>; Urteil vom 21. September 1989, Hoechst/Kommission, 46/87 und 227/88, Slg. 1989, S. 2859, Rn. 19; Urteil vom 17. Oktober 1989, Dow Chemical Ibérica/Kommission, 97-99/87, Slg. 1989, S. 3165, Rn. 16; Urteil vom 3. September 2008, Kadi, C-402/05 P und C-415/05 P, Slg. 2008, I-6351, Rn. 281; Urteil vom 31. März 2011, Aurubis Balgaria, C-546/09, Slg. 2011, I-2531, Rn. 42; vgl. auch Art. 263 Abs. 1 Satz 1 AEUV; Schmahl, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl. 2015, § 6 Rn. 36 ff.). Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union, die auf Kompetenzüberschreitungen beruhen, lassen sich weder auf eine gültige Aufgabenzuweisung durch die Verträge in Verbindung mit dem jeweiligen Zustimmungsgesetz stützen (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV) noch sind sie in der Lage, Eingriffe in die Rechtssphäre der Bürger zu rechtfertigen. Sie sind daher - wie im nationalen Bereich - rechtswidrig und verletzen insoweit immer auch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. BVerfGE 134, 366 <388 Rn. 30>).

153

d) Die Identitätskontrolle einerseits und die Ultra-vires-Kontrolle andererseits stehen als eigenständige Prüfverfahren nebeneinander. Da hinreichend qualifizierte Kompetenzüberschreitungen zugleich die Identität der Verfassung berühren (vgl. Rn. 121 ff.), stellt die Ultra-vires-Kontrolle einen besonderen, an das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG anknüpfenden Anwendungsfall des allgemeinen Schutzes der Verfassungsidentität durch das Bundesverfassungsgericht dar (vgl. Schneider, AöR 139 <2014>, S. 196 <245 f.>; Morlok, in: Dreier, a.a.O., Art. 38 Rn. 61). Auch wenn sich beide Kontrollvorbehalte auf Art. 79 Abs. 3 GG zurückführen lassen, liegt ihnen ein jeweils unterschiedlicher Prüfungsansatz zugrunde. So überprüft das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle, ob das Handeln der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union von den im Zustimmungsgesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Vorgaben des Integrationsprogramms gedeckt ist oder die Maßnahme aus dem vom parlamentarischen Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen ausbricht (vgl. BVerfGE 75, 223 <235, 242>; 89, 155 <188>; 123, 267 <353>; 126, 286 <302 ff.>; 134, 366 <382 ff. Rn. 23 ff.>). Da Kompetenzen gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG nur in den Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG auf die Europäische Union übertragen werden dürfen, tritt neben die Ultra-vires-Kontrolle die Identitätskontrolle (vgl. BVerfGE 123, 267 <353>; 126, 286 <302>; 133, 277 <316>; 134, 366 <382 Rn. 22>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015, a.a.O., Rn. 40 ff.). Anders als die Ultra-vires-Kontrolle betrifft die Identitätskontrolle nicht die Einhaltung der Reichweite der übertragenen Zuständigkeit. Vielmehr wird die in Rede stehende Maßnahme der Europäischen Union in materieller Hinsicht an der "absoluten Grenze" der Grundsätze der Art. 1 und Art. 20 GG gemessen (vgl. BVerfGE 123, 267 <343, 348>; 134, 366 <386 Rn. 29>).

154

e) Ultra-vires- und Identitätskontrolle sind - als je eigenständige Kontrollinstrumente - gleichermaßen zurückhaltend und europarechtsfreundlich auszuüben (vgl. BVerfGE 126, 286 <303>; 134, 366 <383 Rn. 24>; BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015, a.a.O., Rn. 46). Sie sind dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten (aa). Dieses legt, soweit erforderlich, seiner Prüfung die Maßnahme in der Auslegung zugrunde, die ihr in einem Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV durch den Gerichtshof der Europäischen Union gegeben wurde (bb). Dabei sind die unionseigenen Methoden der Rechtsfindung, die der Gerichtshof entwickelt hat und die der Eigenart der Verträge und ihren Zielen Rechnung tragen sollen, grundsätzlich zu respektieren (cc). Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, bei Auslegungsfragen, die im üblichen rechtswissenschaftlichen Diskussionsrahmen zu verschiedenen Ergebnissen führen können, seine Auslegung an die Stelle derjenigen des Gerichtshofs zu setzen (dd).

155

aa) Da die Ultra-vires- und die Identitätskontrolle im Ergebnis dazu führen können, dass Unionsrecht in begrenzten Einzelfällen in Deutschland für unanwendbar erklärt werden muss, verlangt der Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Unionsrechtsordnung und bei Beachtung des in Art. 100 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens, dass die Feststellung einer Verletzung der Verfassungsidentität oder des Vorliegens eines Ultra-vires-Akts dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten bleibt (vgl. BVerfGE 123, 267 <354>; BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015, a.a.O., Rn. 43). Dafür spricht auch die Regelung des Art. 100 Abs. 2 GG, nach der bei Zweifeln, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt, das Bundesverfassungsgericht angerufen werden muss (vgl. BVerfGE 37, 271 <285>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2015, a.a.O., Rn. 43).

156

bb) Eine zurückhaltende und europarechtsfreundliche Anwendung der Ultra-vires- und der Identitätskontrolle setzt zunächst voraus, dass der Gerichtshof der Europäischen Union, soweit erforderlich, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV mit der Sache befasst wird und das Bundesverfassungsgericht seiner Prüfung die Maßnahme in der Auslegung zugrunde legt, die ihr in dem Vorabentscheidungsverfahren durch den Gerichtshof gegeben wird (vgl. BVerfGE 126, 286 <304>).

157

Im Rahmen des Kooperationsverhältnisses zwischen Bundesverfassungsgericht und Gerichtshof bei der Ultra-vires-Kontrolle obliegt letzterem daher die Entscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der Maßnahme; das Bundesverfassungsgericht hat hingegen sicherzustellen, dass Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union das Integrationsprogramm nicht in offensichtlicher und strukturell bedeutsamer Weise überschreiten und dadurch gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 2, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 und Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen (vgl. hierzu EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 14 f., 24 ff.).

158

cc) Die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts einschließlich der Bestimmung der dabei anzuwendenden Methode ist zuvörderst Aufgabe des Gerichtshofs, dem es gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV obliegt, bei der Auslegung und Anwendung der Verträge das Recht zu wahren.

159

Die vom Gerichtshof entwickelten Methoden richterlicher Rechtskonkretisierung beruhen dabei auf den gemeinsamen (Verfassungs-)Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten (vgl. auch Art. 6 Abs. 3 EUV, Art. 340 Abs. 2 AEUV), wie sie sich nicht zuletzt in der Rechtsprechung ihrer Verfassungs- und Höchstgerichte sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte niedergeschlagen haben (vgl. Lenaerts/Gutiérrez-Fons, EUI Working Papers AEL 2013/9, S. 35 ff.; von Danwitz, Fordham International Law Review 37 <2014>, S. 1311 <1317 ff.>). Insofern haben jedenfalls der Wortlaut einer Norm, die freilich in mehreren Sprachfassungen verbindlich ist (Art. 55 EUV, Art. 358 AEUV; Art. 1 VO Nr. 1/58 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft; siehe Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 122 ff.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. 2, 3. Aufl. 2012, Rn. 9 ff.; Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, S. 337 ff.), der von ihr verfolgte Regelungszweck (effet utile; vgl. EuGH, Urteil vom 8. März 2007, Gerlach, C-44/06, Slg. 2007, I-2071, Rn. 28; Urteil vom 21. Oktober 2015, Gogova, C-215/15, EU:C:2015:710, Rn. 45) und der systematische Kontext, in dem sie sich befindet, besonderes Gewicht (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Van Gend & Loos, 26/62, Slg. 1963, S. 3 <24>; Urteil vom 21. Februar 1973, Europemballage Corporation und Continental Can Company/Kommission, 6/72, Slg. 1973, S. 215 <244>). Ausnahmevorschriften sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eng auszulegen (vgl. EuGH, Urteil vom 28. Oktober 1975, Rutili, 36/75, Slg. 1975, S. 1219, Rn. 26/28; Urteil vom 17. Juni 1981, Kommission/Irland, 113/80, Slg. 1981, S. 1625, Rn. 7; Urteil vom 17. März 2016, Aspiro, C-40/15, EU:C:2016:172, Rn. 20). In materiell-rechtlicher Hinsicht hat der Gerichtshof etwa den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (EuGH, Urteil vom 22. März 1961, SNUPAT/Hohe Behörde, 42 und 49/59, Slg. 1961, S. 111 <172>; Urteil vom 21. September 1989, Hoechst/Kommission, 46/87 und 227/88, Slg. 1989, S. 2859, Rn. 19; Urteil vom 17. Oktober 1989, Dow Chemical Ibérica/Kommission, 97-99/87, Slg. 1989, S. 3165, Rn. 16; vgl. auch Art. 263 Abs. 1 Satz 1 AEUV), den Bestimmtheitsgrundsatz (EuGH, Urteil vom 9. Juli 1981, Gondrand und Garancini, 169/80, Slg. 1981, S. 1931, Rn. 17) und das Verhältnismäßigkeitsprinzip (EuGH, Urteil vom 17. Mai 1984, Denkavit Nederland, 15/83, Slg. 1984, S. 2171, Rn. 25; Urteil vom 18. Juni 2015, Estland/Parlament und Rat, C-508/13, EU:C:2015:403, Rn. 28; vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 EUV) anerkannt (zum Rechtsstaatsprinzip siehe von Danwitz, a.a.O., S. 1311 ff.). Etabliert sind auch Beurteilungs- und Ermessensspielräume der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union, denen freilich materielle und verfahrensrechtliche Grenzen gesetzt sind (EuGH, Urteil vom 18. Juni 2015, Estland/Parlament und Rat, C-508/13, EU:C:2015:403, Rn. 29).

160

Die Handhabung dieser Methoden und Grundsätze kann - und muss - derjenigen durch innerstaatliche Gerichte nicht vollständig entsprechen, sie kann sich über diese aber auch nicht ohne weiteres hinwegsetzen (vgl. Pescatore, RIDC 32 <1980>, S. 332 <352 ff.>; Lenaerts, ICLQ 52 <2003>, S. 873 <878 ff.>; ders./Gutiérrez-Fons, EUI Working Papers AEL 2013/9, S. 35 ff.). Die Eigentümlichkeiten des Unionsrechts bedingen allerdings nicht unbeträchtliche Abweichungen hinsichtlich der Bedeutung und Gewichtung der unterschiedlichen Interpretationsmittel (Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 19 Rn. 12). Eine offenkundige Außerachtlassung der im europäischen Rechtsraum überkommenen Auslegungsmethoden oder allgemeiner, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamer Rechtsgrundsätze (Art. 6 Abs. 3 EUV), ist vom Mandat des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV nicht umfasst.

161

dd) Es ist vor diesem Hintergrund nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, bei Auslegungsfragen im Unionsrecht, die auch bei methodengerechter Bewältigung im üblichen rechtswissenschaftlichen Diskussionsrahmen zu verschiedenen Ergebnissen führen können, seine Auslegung an die Stelle derjenigen des Gerichtshofs zu setzen (BVerfGE 126, 286 <307>). Es muss eine richterliche Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof vielmehr auch dann respektieren, wenn dieser zu einer Auffassung gelangt, der sich mit gewichtigen Argumenten entgegentreten ließe, solange sie sich auf anerkannte methodische Grundsätze zurückführen lässt und nicht objektiv willkürlich erscheint. Dies gilt im Rahmen sowohl der Identitäts- als auch der Ultra-vires-Kontrolle.

162

3. Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union, die die durch das Integrationsprogramm in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG definierte Grenze überschreiten, haben als Ultra-vires-Akte am Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht teil. Da sie in Deutschland unanwendbar sind, entfalten sie für deutsche Staatsorgane keine Rechtswirkungen. Deutsche Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte dürfen weder am Zustandekommen noch an Umsetzung, Vollziehung oder Operationalisierung von Ultra-vires-Akten mitwirken (vgl. BVerfGE 89, 155 <188>; 126, 286 <302 ff.>; 134, 366 <387 f. Rn. 30>). Sie sind verpflichtet, die Voraussetzungen eines Ultra-vires-Aktes in eigener Verantwortung zu prüfen und haben hierüber gegebenenfalls eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen.

163

4. Die Verfassungsorgane trifft aufgrund der ihnen obliegenden Integrationsverantwortung darüber hinaus eine Verpflichtung, Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union, die eine Identitätsverletzung bewirken, sowie Ultra-vires-Akten, auch wenn sie nicht den gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG integrationsfesten Bereich betreffen, entgegenzutreten (a). Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gewährt dem wahlberechtigten Bürger gegenüber Bundesregierung und Bundestag einen Anspruch darauf, dass diese sich in Ansehung möglicher identitätsverletzender oder Ultra-vires-Akte von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union ein zuverlässiges Urteil über die Reichweite und die Möglichkeiten der Erfüllung ihrer Integrationsverantwortung bilden (b). Bei der Konkretisierung dieser Pflicht kommt den Verfassungsorganen ein weiter politischer Gestaltungsspielraum zu (c).

164

a) Aus der Integrationsverantwortung folgt nicht nur die Pflicht der Verfassungsorgane, bei der Übertragung von Hoheitsrechten und bei der Ausgestaltung von Entscheidungsverfahren dafür Sorge zu tragen, dass sowohl das politische System Deutschlands als auch dasjenige der Europäischen Union demokratischen Grundsätzen im Sinne des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG entsprechen (vgl. BVerfGE 123, 267 <356>; 134, 366 <395 Rn. 48>) und die weiteren Vorgaben des Art. 23 GG eingehalten werden. Der Vorrang der Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet sie darüber hinaus, auch bei der Mitwirkung am Vollzug des Integrationsprogramms sowie bei dessen näherer Ausgestaltung und Fortentwicklung dafür Sorge zu tragen, dass dessen Grenzen gewahrt werden (vgl. BVerfGE 123, 267 <351 ff., 435>; 129, 124 <180 f.>; 135, 317 <399 ff. Rn. 159 ff.>).

165

Zur Integrationsverantwortung gehört darüber hinaus eine dauerhafte Verantwortung für die Einhaltung des Integrationsprogramms durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union (vgl. BVerfGE 123, 267 <352 ff., 389 ff., 413 ff.>; 126, 286 <307>; 129, 124 <181>; 132, 195 <238 f. Rn. 105>; 134, 366 <394 f. Rn. 47>). Diese Verantwortung können die Verfassungsorgane nur wahrnehmen, wenn sie den Vollzug des Integrationsprogramms im Rahmen ihrer Kompetenzen kontinuierlich beobachten. Derartige, auch in anderen rechtlichen Zusammenhängen bestehende verfassungsrechtliche Beobachtungspflichten (vgl. BVerfGE 25, 1 <12 f.>; 35, 79 <117>; 49, 89 <130>; 88, 203 <310 f.>; 95, 267 <314 f.>; 110, 141 <158>; 111, 333 <355 f.>; 127, 87 <116>; 130, 263 <300>; 133, 168 <235 f.>) zielen bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union oder andere supra- oder internationale Einrichtungen auch auf die Sicherung des demokratischen Legitimationszusammenhangs. Dies gilt in gesteigertem Maße dann, wenn öffentliche Gewalt durch Stellen ausgeübt wird, die nur über eine schwache demokratische Legitimation verfügen (vgl. BVerfGE 130, 76 <123 f.>; 136, 194 <266 f.>).

166

b) Die Integrationsverantwortung verpflichtet die Verfassungsorgane - den grundrechtlichen Schutzpflichten nicht unähnlich -, sich dort schützend und fördernd vor die durch Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Rechtspositionen des Einzelnen zu stellen, wo dieser nicht selbst für ihre Integrität sorgen kann (vgl. allgemein zu Schutzpflichten BVerfGE 125, 39 <78>; stRspr). Der Verpflichtung der Verfassungsorgane zur Wahrnehmung ihrer Integrationsverantwortung entspricht daher ein in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verankertes Recht des wahlberechtigten Bürgers, dass die Verfassungsorgane dafür sorgen, dass die mit dem Vollzug des Integrationsprogramms ohnehin schon verbundenen Einflussknicke und Einschränkungen seines "Rechts auf Demokratie" nicht weitergehen, als sie durch die zulässige Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union gerechtfertigt sind, und er keiner politischen Gewalt unterworfen wird, der er nicht ausweichen kann und die er nicht prinzipiell personell und sachlich zu gleichem Anteil in Freiheit zu bestimmen vermag (vgl. BVerfGE 123, 267 <341>).

167

Dieser Anspruch richtet sich vor allem gegen die im Bereich der auswärtigen Gewalt mit besonderen Kompetenzen ausgestatteten Verfassungsorgane Bundesregierung und Bundestag (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 ff.>; 121, 135 <156 ff.>; 131, 152 <195 ff.>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 23. September 2015 - 2 BvE 6/11 -, juris, Rn. 67 ff.). Sie haben über die Einhaltung des Integrationsprogramms zu wachen und bei Identitätsverletzungen ebenso wie bei offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen außerhalb des gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG integrationsfesten Bereichs aktiv auf seine Befolgung und die Beachtung seiner Grenzen hinzuwirken (BVerfGE 134, 366<395 Rn. 49>; Gött, EuR 2014, S. 514 <522 ff.>; Wollenschläger, a.a.O., Art. 23 Rn. 175). In Ansehung solcher Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union haben sie sich daher aktiv mit der Frage auseinanderzusetzen, wie die Identität gewahrt oder die Kompetenzordnung wiederhergestellt werden kann, und eine positive Entscheidung darüber herbeizuführen, welche Wege dafür beschritten werden sollen (BVerfGE 134, 366 <397 Rn. 53>).

168

c) Der aus der Integrationsverantwortung der Verfassungsorgane folgenden Reaktionspflicht und dem schutzpflichtähnlichen Anspruch des wahlberechtigten Bürgers steht nicht entgegen, dass dem Grundgesetz in der Regel keine konkreten Handlungsanweisungen zu entnehmen sind.

169

aa) So ist für die Grundrechte allgemein anerkannt, dass die zuständigen (Verfassungs-)Organe grundsätzlich in eigener Verantwortung entscheiden, wie sie die ihnen obliegenden Schutzpflichten erfüllen (zu Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG BVerfGE 96, 56<64>; zu Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG BVerfGE 66, 39<61>; 77, 170 <214>; 79, 174 <202>; 85, 191 <212>; zu Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG BVerfGE 125, 39<78>; zu Art. 12 Abs. 1 GG BVerfGE 92, 26<47>). Dabei kommt ihnen ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (BVerfGE 125, 39 <78>). Solche Gestaltungsspielräume bestehen nicht nur dort, wo es um die Berücksichtigung widerstreitender Grundrechtspositionen geht (BVerfGE 96, 56 <64>). Auch im Bereich der Außenpolitik obliegt es grundsätzlich der pflichtgemäßen politischen Entscheidung und Verantwortung der zuständigen Verfassungsorgane, welche Maßnahmen ergriffen werden. Bestehende Risiken sind in die Erwägungen einzubeziehen und politisch zu verantworten (vgl. BVerfGE 66, 39 <61>; siehe auch BVerfGE 4, 157 <168 f.>; 40, 141 <178>; 53, 164 <182>; 55, 349 <365>; 66, 39 <60 f.>; 68, 1 <97>; 84, 90 <128>; 94, 12 <35>; 95, 39 <46>; 121, 135 <158, 168 f.>). Dies gilt auch für die Frage, in welcher Weise der Schutzpflicht des Staates in Bezug auf Grundrechte im Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik gegenüber nicht deutscher Hoheitsgewalt genügt wird (vgl. BVerfGE 53, 164 <182>; 55, 349 <364 f.>; 66, 39 <61>; 92, 26 <47>; 77, 170 <214 f.>; BVerfGK 14, 192 <200 f.>; vgl. auch BVerfGE 131, 152 <195>). Eine Verletzung von Schutzpflichten liegt erst dann vor, wenn überhaupt keine Schutzvorkehrungen getroffen werden, die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (vgl. BVerfGE 77, 170 <214 f.>; 85, 191 <212>; 88, 203 <254 f.>; 92, 26 <46>; 125, 39 <78 f.>).

170

Für die - der Sicherung von Demokratie und Volkssouveränität dienende - Integrationsverantwortung bedeutet dies, dass die Verfassungsorgane im Falle offensichtlicher und strukturell bedeutsamer Kompetenzüberschreitungen und sonstiger Verletzungen der Verfassungsidentität durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union aktiv auf die Einhaltung des Integrationsprogramms hinzuwirken haben. Sie können Kompetenzüberschreitungen gegebenenfalls zwar nachträglich legitimieren, indem sie eine - die Grenzen von Art. 79 Abs. 3 GG wahrende - Änderung des Primärrechts anstoßen (vgl. BVerfGE 123, 267 <365>; 134, 366 <395 Rn. 49>) und die ultra vires in Anspruch genommenen Hoheitsrechte im Verfahren nach Art. 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GG förmlich übertragen. Soweit dies jedoch nicht möglich oder nicht gewollt ist, sind sie verpflichtet, im Rahmen ihrer Kompetenzen mit rechtlichen oder politischen Mitteln auf die Aufhebung der vom Integrationsprogramm nicht gedeckten Maßnahmen hinzuwirken sowie - solange die Maßnahmen fortwirken - geeignete Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die innerstaatlichen Auswirkungen der Maßnahmen so weit wie möglich begrenzt bleiben (vgl. BVerfGE 134, 366 <395 f. Rn. 49>). Insoweit sind geeignete Möglichkeiten zu ergreifen, um die Wahrung des Integrationsprogramms sicherzustellen (vgl. BVerfGE 123, 267 <353, 364 f., 389 f., 391 f., 413 f., 419 f.>; 134, 366 <395 f. Rn. 49, 397 Rn. 53>).

171

Dazu zählen mit Blick auf die Bundesregierung insbesondere eine Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (Art. 263 Abs. 1 AEUV), die Beanstandung der fraglichen Maßnahme gegenüber den handelnden und den sie kontrollierenden Stellen, das Stimmverhalten in den Entscheidungsgremien der Europäischen Union einschließlich der Ausübung von Vetorechten und der Berufung auf den Luxemburger Kompromiss (vgl. Streinz, Die Luxemburger Vereinbarung, 1984), Vorstöße zu Vertragsänderungen (vgl. Art. 48 Abs. 2, 50 EUV) sowie Weisungen an nachgeordnete Stellen, die in Rede stehende Maßnahme nicht anzuwenden. Der Deutsche Bundestag kann sich insbesondere seines Frage-, Debatten- und Entschließungsrechts bedienen, das ihm zur Kontrolle des Handelns der Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union zusteht (vgl. Art. 23 Abs. 2 GG, BVerfGE 131, 152<196>), sowie - je nach Angelegenheit - auch der Subsidiaritätsklage (Art. 23 Abs. 1a GG i.V.m. Art. 12 Buchstabe b EUV und Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll), des Enquêterechts (Art. 44 GG) oder des Misstrauensvotums (Art. 67 GG) (vgl. Gött, EuR 2014, S. 514 <527 ff.>).

172

bb) Wie eine grundrechtliche Schutzpflicht kann sich allerdings auch die Integrationsverantwortung unter bestimmten rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen zu einer konkreten Handlungspflicht verdichten. Da es im vorliegenden Zusammenhang letztlich auch um eine Berührung des zur Verfassungsidentität des Art. 79 Abs. 3 GG rechnenden Grundsatzes der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) geht, muss der Bundestag unverzüglich jedenfalls nach einer entsprechenden Feststellung des Bundesverfassungsgerichts darüber befinden, wie der in Rede stehenden Maßnahme zu begegnen ist.

173

Diese Befassung hat grundsätzlich im Plenum zu erfolgen; eine Befassung von - in der Regel nicht öffentlich tagenden - Ausschüssen genügt der Integrationsverantwortung dagegen nicht. Der Deutsche Bundestag ist das unmittelbare Repräsentationsorgan des Volkes. Er besteht aus den als Vertretern des ganzen Volkes gewählten Abgeordneten, die insgesamt die Volksvertretung bilden. Der durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete repräsentative Status der Abgeordneten (vgl. BVerfGE 4, 144 <149>; 80, 188 <217>) ist Grundlage für die repräsentative Stellung des Bundestages, der als "besonderes Organ" (Art. 20 Abs. 2 GG) die vom Volk ausgehende Staatsgewalt ausübt (vgl. BVerfGE 44, 308 <316>; 56, 396 <405>; 80, 188 <217>; 130, 318 <342>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 22. September 2015 - 2 BvE 1/11 -, juris, Rn. 91). Seine Repräsentationsfunktion nimmt der Deutsche Bundestag grundsätzlich in seiner Gesamtheit wahr, durch die Mitwirkung aller seiner Mitglieder (vgl. BVerfGE 44, 308 <316>; 56, 396 <405>; 80, 188 <218>; 130, 318 <342>; 131, 230 <235>; 131, 152 <204 f.>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 22. September 2015, a.a.O., Rn. 91), nicht durch einzelne Abgeordnete, eine Gruppe von Abgeordneten oder die parlamentarische Mehrheit. Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus. Das im parlamentarischen Verfahren gewährleistete Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet nicht nur Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen, es schafft vor allem auch die Voraussetzungen für eine Kontrolle durch die Bürger (vgl. BVerfGE 40, 237 <249>; 70, 324 <355>; 131, 152 <205>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 22. September 2015, a.a.O., Rn. 92). Entscheidungen von erheblicher Tragweite wie die Entschließung darüber, welche Wege zur Wiederherstellung der Kompetenzordnung beschritten werden sollen (vgl. BVerfGE 134, 366 <397 Rn. 53>), muss deshalb grundsätzlich ein Verfahren vorausgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen in öffentlicher Debatte zu klären (vgl. BVerfGE 85, 386 <403 f.>; 95, 267 <307 f.>; 108, 282 <312>; 130, 318 <344>; 131, 152 <205>).

II.

174

Nach diesen Maßstäben sind die Verfassungsbeschwerden und der im Organstreitverfahren gestellte Antrag, soweit zulässig, unbegründet. Unter Berücksichtigung der nachfolgend bezeichneten Maßgaben verletzt die Untätigkeit von Bundesregierung und Bundestag in Ansehung des Grundsatzbeschlusses der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG und werden die im Rahmen der europäischen Integration bestehenden Rechte und Pflichten des Bundestages einschließlich seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung dadurch nicht beeinträchtigt. Der Grundsatzbeschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 und seine mögliche Durchführung stellen unter den Bedingungen, die der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 16. Juni 2015 formuliert hat, keine qualifizierten Überschreitungen der in Art. 119, 127 ff. AEUV, Art. 17 ff. ESZB-Satzung der Europäischen Zentralbank zugewiesenen Kompetenzen dar (1.) und verstoßen auch nicht gegen das in Art. 123 AEUV niedergelegte Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung (2.). Die Deutsche Bundesbank darf sich an der Durchführung des OMT-Beschlusses nur beteiligen, wenn der vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgezeigte Rahmen eingehalten wird. Sollte dies nicht der Fall sein, wären Bundesregierung und Bundestag zum Einschreiten verpflichtet (3.). Ein Risiko für die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages, das Bundesregierung und Bundestag verpflichten würde, zur Wahrung der Verfassungsidentität gegen das OMT-Programm vorzugehen, ist bei Beachtung der durch den Gerichtshof der Europäischen Union formulierten Bedingungen ebenfalls nicht erkennbar (4.). Diesen obliegt allerdings eine Pflicht, bei einer etwaigen Durchführung des OMT-Programms die Einhaltung dieser Bedingungenkontinuierlich zu beobachten, um möglichen Risiken für die Einhaltung des Integrationsprogramms oder die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages frühzeitig zu begegnen (5.).

175

1. In der vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommenen Auslegung sind der Grundsatzbeschluss über die technischen Rahmenbedingungen des OMT-Programms und dessen mögliche Durchführung mit Blick auf Art. 119 und Art. 127 ff. AEUV sowie Art. 17 ff. ESZB-Satzung nicht als Ultra-vires-Maßnahmen zu qualifizieren. In dieser Auslegung, die das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich bindet (a), bestehen gegen den Grundsatzbeschluss des Rates der Europäischen Zentralbank über das OMT-Programm vom 6. September 2012 trotz gewichtiger Bedenken (b) letztlich keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Einwände (c).

176

a) Das Bundesverfassungsgericht legt seiner Prüfung die Auslegung des OMT-Beschlusses zugrunde, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 16. Juni 2015 vorgenommen hat (vgl. BVerfGE 123, 267 <353>; 126, 286 <304>; 134, 366 <385 Rn. 27>; BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015, a.a.O., Rn. 46). Die Auffassung des Gerichtshofs, der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm sei kompetenzgemäß und verstoße nicht gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung (siehe dazu unter 2.), bewegt sich noch innerhalb des dem Gerichtshof erteilten Mandates aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV (vgl. auch Classen, EuR 2015, S. 477 ff.; Ohler, NVwZ 2015, S. 1001 <1004>; a.A. Klement, JZ 2015, S. 754 <759>; R. Schmidt, JZ 2015, S. 317 <326>).

177

Der Gerichtshof der Europäischen Union stützt seine Auffassung maßgeblich auf die von der Europäischen Zentralbank angegebene Zielsetzung des OMT-Programms, auf die dazu eingesetzten Mittel und die aus seiner Sicht lediglich mittelbaren Auswirkungen des Programms auf die Wirtschaftspolitik. Anders als der Senat legt der Gerichtshof seiner Prüfung nicht nur den Grundsatzbeschluss über die technischen Merkmale vom 6. September 2012 zugrunde, sondern leitet insbesondere aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit weitere Rahmenbedingungen ab, die einer etwaigen Durchführung des OMT-Programms verbindliche Grenzen setzen. Das ist im Ergebnis zumindest vertretbar und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs.

178

Nach seiner gefestigten Rechtsprechung stellt der Gerichtshof bei der Abgrenzung von Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten im Allgemeinen auf die Ziele der fraglichen Maßnahme ab (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 1993, Kommission/Rat, C-155/91, Slg. 1993, I-939, Rn. 20; Urteil vom 23. Februar 1999, Parlament/Rat, C-42/97, Slg. 1999, I-869, Rn. 36, 38), bei der Abgrenzung von Wirtschafts- und Währungspolitik darüber hinaus auch auf die eingesetzten Mittel (Urteil vom 27. November 2012, Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 55, 60). Dies entspricht der finalen Kompetenzzuweisung, von der das Primärrecht geprägt ist (vgl. Art. 3, Art. 5 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 UA 1, Abs. 4 EUV; Art. 127 Abs. 1 Satz 1 AEUV; siehe zur Finalität des Integrationsprogramms Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Bd. I, Art. 3 Rn. 18 ff. ). Lediglich mittelbare Auswirkungen einer Maßnahme für andere Bereiche hält der Gerichtshof bei der Kompetenzabgrenzung nicht für ausschlaggebend (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 1993, Kommission/Rat, C-155/91, Slg. 1993, I-939, Rn. 18 ff.; Urteil vom 23. Februar 1999, Parlament/Rat, C-42/97, Slg. 1999, I-869, Rn. 39 ff.; Urteil vom 27. November 2012, Pringle, C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 56). Entsprechend ist er auch im vorliegenden Fall vorgegangen (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 42 ff.).

179

Da der Gerichtshof den Organen der Europäischen Union bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben stets einen weiten Einschätzungs- und Ermessensspielraum zuerkennt und nur die Einhaltung äußerster Grenzen ("offensichtlicher Irrtum", "Ermessensmissbrauch", "Grenzen des Ermessensspielraums") überprüft (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Mai 1978, Racke, 136/77, Slg. 1978, S. 1245, Rn. 4; Urteil vom 29. Oktober 1980, Roquette Frères/Rat, 138/79, Slg. 1980, S. 3333, Rn. 25; Urteil vom 25. Oktober 1977, Metro/Kommission, 26/76, Slg. 1977, S. 1875, Rn. 50; Urteil vom 17. Dezember 1981, De Hoe/Kommission, C-151/80, Slg. 1981, S. 3161, Rn. 9; Urteil vom 22. April 1999, Kernkraftwerke Lippe-Ems/Kommission, C-161/97 P, Slg. 1999, I-2057, Rn. 97; Urteil vom 11. Februar 2010, Hoesch Metals and Alloys, C-373/08, Slg. 2010, I-951, Rn. 61 f.), hat er auf der Ebene der Kompetenzausübung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 EUV) als begrenzendes Korrektiv entfaltet (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Februar 1979, Buitoni, 122/78, Slg. 1979, S. 677, Rn. 16/18; Urteil vom 17. Mai 1984, Denkavit Nederland, 15/83, Slg. 1984, S. 2171, Rn. 25 ff.; Urteil vom 13. November 1990, FEDESA, C-331/88, Slg. 1990, I-4023, Rn. 13; Urteil vom 5. Oktober 1994, Crispoltoni, C-133, 300 und 362/93, Slg. 1994, I-4863, Rn. 41; Urteil vom 8. Juni 2010, Vodafone, C-58/08, Slg. 2010, I-4999, Rn. 51 ff.; Urteil vom 12. Mai 2011, Luxemburg/Parlament und Rat, C-176/09, Slg. 2011, I-3727, Rn. 61 ff.; Urteil vom 18. Juni 2015, Estland/Parlament und Rat, C-508/13, EU:C:2015:403, Rn. 28 ff.;Trstenjak/Beysen, EuR 2012, S. 265 <266>). Hinzu kommt das Erfordernis einer die gerichtliche Kontrolle (Art. 263 Abs. 1 AEUV, Art. 35.1 Satz 1 ESZB-Satzung) ermöglichenden Begründung von Rechtsakten (Art. 296 Abs. 2 AEUV; vgl. EuGH, Urteil vom 21. November 1991, TU München, C-269/90, Slg. 1991, I-5469, Rn. 14; Urteil vom 19. November 2013, Kommission/Rat, C-63/12, EU:C:2013:752, Rn. 98 f.). Auf diesen kompetenzbegrenzenden Parametern liegt auch der Schwerpunkt der Kontrolle durch den Gerichtshof im vorliegenden Fall (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 66 ff.).

180

Darüber hinaus bekräftigt der Gerichtshof - deutlicher als bislang (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juli 2003, Kommission/EZB, C-11/00, Slg. 2003, I-7147, Rn. 135) -, dass auch das Handeln der Europäischen Zentralbank - als in Art. 263 Abs. 1 AEUV und Art. 35.1 Satz 1 ESZB-Satzung zum Ausdruck kommende zwingende Konsequenz des Rechtsstaatsprinzips - der gerichtlichen Kontrolle unterliegt, insbesondere mit Blick auf die Einhaltung der Grundsätze der begrenzten Einzelermächtigung und der Verhältnismäßigkeit (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 41 und 66; zur umstrittenen Reichweite der gerichtlichen Kontrolle der Europäischen Zentralbank Herrmann, EuZW 2012, S. 805 <810>; Thiele, EuZW 2014, S. 694 <696>; Ukrow, ZEuS 2014, S. 119 <133 f.>; Wendel, ZaöRV 2014, S. 615 <664>; Simon, EuR 2015, S. 107 <122>; für eine grundsätzlich autonome Definition der Kompetenzen der Europäischen Zentralbank Mayer, EuR 2014, S. 473 <485>).

181

b) Die dem Urteil vom 16. Juni 2015 zugrundeliegende Art und Weise richterlicher Rechtskonkretisierung begegnet aus der Sicht des Senats gleichwohl gewichtigen Einwänden mit Blick auf die Erhebung des Sachverhalts (aa), das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (bb) und die gerichtliche Kontrolle der Europäischen Zentralbank bei der Bestimmung ihres Mandates (cc).

182

aa) Das gilt zunächst für den Umstand, dass der Gerichtshof die - im vorliegenden Verfahren substantiiert bestrittene - Behauptung einer geldpolitischen Zielsetzung des OMT-Programms hinnimmt, ohne die zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen zu hinterfragen oder zumindest im Einzelnen nachzuvollziehen und ohne diese Annahmen mit den Indizien in Beziehung zu setzen, die offensichtlich gegen einen geldpolitischen Charakter sprechen, insbesondere die Selektivität der Anleihekäufe (BVerfGE 134, 366 <406 f. Rn. 73>; vgl. R. Schmidt, in: Festschrift für Helmut Köhler, 2014, S. 645 <649 ff.>) und deren Parallelität zu EFSF- und ESM-Hilfsprogrammen (BVerfGE 134, 366 <407 f. Rn. 74 ff.>; vgl. Klement, JZ 2015, S. 754 <759>). Der Gerichtshof setzt sich nicht damit auseinander, dass einer Beschränkung auf eine geldpolitische, der Wiederherstellung des Transmissionsmechanismus dienenden Zielsetzung entgegen stehen könnte, dass nach dem Grundsatzbeschluss ein Ankauf von Staatsanleihen bei einem fehlenden Zugang zum Anleihemarkt oder bei der Nichteinhaltung eines laufenden makroökonomischen Anpassungsprogramms ohne Rücksicht auf die Auswirkungen auf den Transmissionsmechanismus regelmäßig ausscheidet und dass die Quantifizierbarkeit des nicht makroökonomisch bedingten Anteils an den Zinssätzen - etwa seitens der Bundesbank - bestritten wurde, obwohl dies Voraussetzung für die Bestimmung des geldpolitisch zu rechtfertigenden Volumens bei der Durchführung des Programms wäre.

183

bb) Es gilt ferner für den Umstand, dass der Gerichtshof für die kompetenzmäßige Zuordnung des OMT-Programms zur Währungspolitik trotz der von ihm selbst angenommenen Überschneidungen von Wirtschafts- und Währungspolitik im Wesentlichen auf die von dem zu kontrollierenden Organ angegebene Zielsetzung der Maßnahme und den Rückgriff auf das in Art. 18 ESZB-Satzung vorgesehene Instrument des Ankaufs von Staatsanleihen abstellt, die gegen diese Zuordnung sprechenden Indikatoren jedoch ausschließlich isoliert anspricht und nicht darauf eingeht, ob sie auch in ihrer Summe - auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. BVerfGE 134, 366 <416 f. Rn. 99>) - unionsrechtlichen Vorgaben genügen.

184

Die großzügige Hinnahme behaupteter Zielsetzungen verbunden mit weiten Bewertungsspielräumen der Stellen der Europäischen Union und einer erheblichen Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte ist geeignet, den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union eine eigenständige Disposition über die Reichweite der ihnen von den Mitgliedstaaten zur Ausübung überlassenen Kompetenzen zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 123, 267 <349 ff.>). Ein solches Kompetenzverständnis trägt jedoch der verfassungsrechtlichen Dimension des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung nicht hinreichend Rechnung.

185

Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ist nicht nur ein unionsrechtlicher Grundsatz, sondern nimmt mitgliedstaatliche Verfassungsprinzipien auf (vgl. BVerfGE 123, 267 <350>). Es ist die maßgebliche Rechtfertigung für den Einschnitt in das demokratische Legitimationsniveau der durch die Europäische Union ausgeübten öffentlichen Gewalt, der in Deutschland nicht nur objektive Grundprinzipien der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) berührt, sondern auch das Wahlrecht der Bürger und ihren "Anspruch auf Demokratie" (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG). Die Wahrung der kompetenziellen Grundlagen der Europäischen Union hat daher entscheidende Bedeutung für die Gewährleistung des demokratischen Prinzips des Grundgesetzes. Insbesondere darf die Finalität des Integrationsprogramms nicht dazu führen, dass das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung als eines der Fundamentalprinzipien der Union faktisch außer Kraft gesetzt wird (vgl. Art. 3 Abs. 6, Art. 4 Abs. 1 EUV, Art. 7 AEUV; siehe auch EuGH, Gutachten 2/94 vom 28. März 1996, EMRK-Beitritt, Slg. 1996, I-1759, Rn. 30; vgl. ferner die Erklärung Nr. 42 zur Schlussakte der Regierungskonferenz zu Art. 352 AEUV). Insoweit sind das unionsrechtliche Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die unionsrechtliche Pflicht zur Identitätsachtung Ausdruck der vertraglichen Grundlegung der Unionsgewalt (vgl. BVerfGE 123, 267 <350>).

186

Die Schnittstellenfunktion des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung muss Rückwirkungen auf die methodische Kontrolle seiner Einhaltung haben. Sind fundamentale Belange der Mitgliedstaaten berührt, wie dies hinsichtlich der Verbandskompetenz in der Regel der Fall ist, darf die gerichtliche Kontrolle die behaupteten Absichten der Organe der Europäischen Union nicht unbesehen übernehmen.

187

cc) Ohne Antwort bleibt schließlich das dem Gerichtshof vom Senat unterbreitete Problem (vgl. BVerfGE 134, 366 <399 f. Rn. 59>), dass die der Europäischen Zentralbank eingeräumte Unabhängigkeit (Art. 130 AEUV) zu einer spürbaren Senkung des demokratischen Legitimationsniveaus ihres Handelns führt und daher Anlass für eine restriktive Auslegung und besonders strikte gerichtliche Kontrolle ihres Mandates sein müsste.

188

Dies gilt umso mehr, wenn, wie vorliegend, mit dem Demokratieprinzip und dem Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) die Verfassungsidentität eines Mitgliedstaats betroffen ist, zu deren Achtung die Europäische Union verpflichtet ist (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV). Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank wie auch der nationalen Notenbanken löst die von ihnen ausgeübte Hoheitsgewalt aus der unmittelbaren staatlichen oder supranationalen parlamentarischen Verantwortlichkeit. Ihre durch Art. 130 und Art. 282 Abs. 3 Sätze 3 und 4 AEUV garantierte Unabhängigkeit bei der Wahrnehmung der unionsrechtlichen Befugnisse steht daher in einem deutlichen Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip und zum Grundsatz der Volkssouveränität. Ein wesentlicher Politikbereich, der mit dem Geldwert die individuelle Freiheit stützt und mit der Geldmenge auch das öffentliche Finanzwesen und die davon abhängigen Politikbereiche bestimmt, wird damit der Weisungsbefugnis der unmittelbar demokratisch legitimierten Repräsentanten und zugleich der gesetzgeberischen Kontrolle von Aufgabenbereichen und Handlungsmitteln entzogen.

189

Diese Einschränkung der von den Wählern ausgehenden demokratischen Legitimation ist als solche zwar als eine in Art. 88 Satz 2 GG vorgesehene Modifikation des Demokratieprinzips durch spezifische Rahmenbedingungen der Währungspolitik gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 89, 155 <207 ff.>). Kompensatorisch gebieten Demokratieprinzip und Volkssouveränität jedoch eine restriktive Auslegung des währungspolitischen Mandates der Europäischen Zentralbank und eine strenge gerichtliche Kontrolle seiner Einhaltung, um das abgesenkte demokratische Legitimationsniveau ihres Handelns zumindest auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken (vgl. Hinarejos, European Constitutional Law Review 11 <2015>, S. 563 <571 ff.>).

190

c) Ungeachtet dieser Einwände bewegt sich der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm in der vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommenen Auslegung jedoch nicht "offensichtlich" außerhalb der der Europäischen Zentralbank zugewiesenen Kompetenzen im Sinne des Ultra-vires-Kontrollvorbehalts. Der Gerichtshof geht von den Zielen aus, denen das OMT-Programm nach Angaben der Europäischen Zentralbank dienen soll, und den Mitteln, die dafür eingesetzt werden (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 47 ff.). Das stimmt, wie dargestellt, mit dem Wortlaut der primärrechtlichen Grundlagen und seiner bisherigen Rechtsprechung überein. Anders als der Senat hinterfragt der Gerichtshof die angegebenen Ziele zwar nicht und beurteilt die Indizien, die aus Sicht des Senats gegen die behauptete Zielsetzung sprechen, jeweils isoliert, anstatt sie auch in ihrer Gesamtheit zu bewerten. Dies kann jedoch deshalb noch hingenommen werden, weil der Gerichtshof die vom Senat für möglich gehaltene einschränkende Auslegung des Grundsatzbeschlusses (vgl. BVerfGE 134, 366 <416 f. Rn. 99 f.>) der Sache nach auf Ebene der Kompetenzausübung vorgenommen hat. Diese vom Gerichtshof für eine Umsetzung des Grundsatzbeschlusses identifizierten Parameter sind rechtsverbindlich (aa) und führen zu einer hinreichenden Begrenzung der Reichweite des Beschlusses (bb).

191

aa) Der Gerichtshof unterscheidet zwischen dem Grundsatzbeschluss vom 6. September 2012, der die technischen Rahmenbedingungen des OMT-Programms festlegt, und der Durchführung des Programms (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 83 und 88, ferner Rn. 53, 60, 68, 91, 105, 107, 114 und 120). An den Grundsatzbeschluss, das OMT-Programm aufzulegen, stellt er dabei weniger strenge Anforderungen mit dem Argument, die vollständige Offenlegung aller technischen Merkmale könne die Wirksamkeit des Programms schwächen (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 88). Mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit des OMT-Programms und die Erfüllung der Begründungspflichten geht der Gerichtshof dagegen über die im Grundsatzbeschluss angekündigten Rahmenbedingungen hinaus von weiteren Einschränkungen aus, denen eine Durchführung des OMT-Programms zwingend unterliegt. Auf Grundlage dieser einschränkenden Konditionen, die sich auch in unveröffentlichten Entwürfen künftiger konkretisierender Rechtsakte der Europäischen Zentralbank finden, kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass eine gerichtliche Kontrolle möglich und die Europäische Zentralbank ihren Begründungspflichten nachgekommen sei (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 68 ff.). Die wesentlichen Elemente des Programms seien erkennbar, weshalb der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben könne (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 71). Unter Berücksichtigung dieser Konditionen verstoße das Programm nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 92).

192

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Gerichtshof die von ihm herausgestellten, den Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm vom 6. September 2012 in seiner Reichweite einschränkenden Konditionen als rechtsverbindliche Kriterien ansieht, deren Missachtung einen Kompetenzverstoß - aus Sicht des Gerichtshofs einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 EUV - darstellte (vgl. Hinarejos, European Constitutional Law Review 11 <2015>, S. 563 <574>). Das haben auch die mündliche Verhandlung des Senats vom 16. Februar 2016 und die Stellungnahme der Europäischen Zentralbank ergeben.

193

bb) Legt man die vom Gerichtshof herausgestellten Bedingungen zugrunde, so bewegen sich der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm und dessen etwaige Durchführung jedenfalls nicht offensichtlich außerhalb der der Europäischen Zentralbank zugewiesenen Kompetenzen. Wie der Senat schon in seinem Vorlagebeschluss vom 14. Januar 2014 ausgeführt hat, kann der Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm im Lichte der Art. 119 und Art. 127 ff. AEUV sowie Art. 17 ff. ESZB-Satzung so ausgelegt oder in seiner Gültigkeit beschränkt werden, dass er die Konditionalität der Hilfsprogramme von EFSF und ESM nicht unterläuft und einen die Wirtschaftspolitik in der Union nur unterstützenden Charakter aufweist (BVerfGE 134, 366 <417 Rn. 100>). Bei der gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung entspricht der einschränkend ausgelegte Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm im Wesentlichen den vom Senat insoweit aufgestellten Anforderungen (vgl. BVerfGE 134, 366 <416 f. Rn. 99 f.>).

194

Die vom Gerichtshof anerkannte gerichtliche Kontrolle der Handlungen der Europäischen Zentralbank (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 41) und die bestehenden Begründungpflichten, denen künftige Rechtsakte über die Durchführung des Programms unterliegen (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 69), gewährleisten, dass das vom Senat aufgezeigte nahezu unbegrenzte und weit in die Wirtschaftspolitik übergreifende Potential des Grundsatzbeschlusses (vgl. BVerfGE 134, 366 <404 ff. Rn. 69 ff.>) beschränkt wird. Nur die Gewährleistung der Preisstabilität, nicht aber die Gewährleistung der Stabilität des Euro-Währungsgebiets darf dabei ein die Durchführung des OMT-Programms lenkendes Motiv sein (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 64). Die Europäische Zentralbank darf das OMT-Programm ausschließlich an der Gewährleistung der Preisstabilität ausrichten. Insoweit ist sie begründungspflichtig. Die von ihr geschuldete "umfassende[.] Beurteilung der geldpolitischen Erfordernisse", von der eine Durchführung des OMT-Programms abhängt (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 83), unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Zumindest ex post lässt sich daher überprüfen, ob die "strikte Bindung der Durchführung eines Programms, wie es in der Pressemitteilung angekündigt wurde, an die mit ihm verfolgten Ziele" (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 85), das heißt an die Beseitigung von Störungen des geldpolitischen Transmissionsmechanismus oder die Sicherung der Einheitlichkeit der Geldpolitik (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 62), eingehalten worden ist. Das Programm muss "strikt" auf diese Ziele beschränkt sein und eingestellt werden, sobald sie erreicht sind (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 112).

195

Zentrale Bedeutung für die Reduzierung der Gefahr, dass das OMT-Programm die Konditionalität der Hilfsprogramme von EFSF und ESM unterläuft, und für die Wahrung eines die Wirtschaftspolitik in der Union nur unterstützenden Charakters hat eine Begrenzung des Volumens der im Rahmen des OMT-Programms möglichen Ankäufe (vgl. BVerfGE 134, 366 <417 Rn. 100; 410 f. Rn. 83>). Im Gegensatz zu den aus dem Grundsatzbeschluss vom 6. September 2012 und der damit verbundenen Kommunikation durch die Europäische Zentralbank hervorgehenden Parametern erteilt das Urteil des Gerichtshofs einer unbegrenzten Ausdehnung des Ankaufprogramms eine Absage. Das Volumen künftiger Ankäufe muss vorab verbindlich festgelegt werden und darf das zur Wiederherstellung des Transmissionsmechanismus erforderliche Maß nicht überschreiten. Die Entscheidung, Anleiheankäufe tatsächlich durchzuführen, und das vorab festgelegte Volumen der geplanten Ankäufe dürfen nicht angekündigt werden (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 106). Dies mindert das Risiko, dass durch die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets Anleihen gerade mit dem Ziel des Ankaufs durch das System der Europäischen Zentralbanken ausgeben werden. Ändern die betroffenen Staaten nach Aufnahme der Programmdurchführung ihr Ausgabeverhalten, muss die Europäische Zentralbank darauf reagieren, wenn andernfalls die geldpolitische Zielsetzung nicht mehr als handlungsleitend erschiene (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 117). Auf Grundlage der umfassenden geldpolitischen Beurteilung, mit der die Durchführungsentscheidung zu begründen ist (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 83), muss gerichtlich überprüfbar sein, ob die Entscheidungen über die Durchführung des Programms und über sein Volumen geldpolitisch motiviert waren (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 112 bis 114). Demgemäß muss die Beschränkung des Programms auf das zur Wiederherstellung des Transmissionsmechanismus Erforderliche nachvollziehbar sein. Die vom Gerichtshof grundsätzlich angenommene Möglichkeit, Anleihen bis zur Endfälligkeit zu halten (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 118), darf nur dann genutzt werden, wenn sie geldpolitisch begründbar ist. Eine zeitlich und volumenmäßig unbegrenzte Nutzung dieser Möglichkeit dürfte in der Regel geldpolitisch nicht zu begründen sein, so dass ein regelmäßiges Halten der Anleihen bis zur Endfälligkeit ein Indiz für die Motivation sein kann, Ausfallrisiken übernehmen zu wollen. Konsequenterweise ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die Folgen, die daraus entstünden, dass durch das Kaufprogramm Anleihen vom Markt genommen würden, "potenziell vorübergehender Art sind" (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 117).

196

Mit dieser primär verfahrensrechtlichen Einhegung durch die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes greift der Gerichtshof das Problem des nahezu unbegrenzten Potentials des Beschlusses vom 6. September 2012 auf. Zwar beseitigen die vom Gerichtshof insoweit entwickelten beschränkenden Parameter den in die Wirtschaftspolitik übergreifenden Charakter des OMT-Programms nicht vollständig. Zusammen mit den im Beschluss vom 6. September 2012 festgelegten Konditionen - insbesondere die Teilnahme der Mitgliedstaaten an Anpassungsprogrammen, deren Zugang zum Anleihemarkt, die Fokussierung auf Anleihen mit geringer (Rest-)Laufzeit - lassen sie die Annahme eines jedenfalls im Schwerpunkt geldpolitischen Charakters des OMT-Programms aber als vertretbar erscheinen.

197

2. In der vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommenen Auslegung verstoßen der Grundsatzbeschluss über die technischen Rahmenbedingungen des OMT-Programms und dessen mögliche Durchführung auch nicht offensichtlich gegen das in Art. 123 AEUV niedergelegte Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung. Während der Gerichtshof den Grundsatzbeschluss selbst ohne weitere Konkretisierung für zulässig erachtet, muss dessen Durchführung näheren Bedingungen genügen, wenn nicht das Ankaufprogramm gegen das Unionsrecht verstoßen soll (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., insbesondere Rn. 88 und 102 ff.).

198

a) In seinem Urteil vom 16. Juni 2015 bekräftigt der Gerichtshof nicht nur, dass den Verträgen ein Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung zugrunde liegt; er erkennt auch an, dass sich aus Art. 123 Abs. 1 AEUV ein Umgehungsverbot ableiten lässt. Staatsanleihen dürften auch am Sekundärmarkt nicht erworben werden, wenn dies die gleiche Wirkung wie ein unmittelbarer Erwerb von den emittierenden Körperschaften habe (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 97). Zur Gewährleistung der Einhaltung dieses Verbots "muss die EZB, wie der Generalanwalt in Nr. 227 seiner Schlussanträge betont hat, wenn sie Staatsanleihen an den Sekundärmärkten erwirbt, ihr Tätigwerden mit hinreichenden Garantien versehen, um sicherzustellen, dass es mit dem in Art. 123 Abs. 1 AEUV festgelegten Verbot der monetären Finanzierung in Einklang steht" (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 102). Daraus sowie aus den in Bezug genommenen Ausführungen des Generalanwalts (Schlussanträge GA Cruz Villalón vom 14. Januar 2015 zu EuGH, Gauweiler, C-62/14, EU:C:2015:7, Rn. 227) ergibt sich, dass der Gerichtshof diese einschränkenden Parameter als rechtsverbindliche Maßgaben ansieht.

199

Zu deren näherer Bestimmung lässt sich der Gerichtshof von dem mit Art. 123 AEUV verfolgten Zweck leiten (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 98 ff.). Aus diesem Zweck leitet er ab, dass Anleihen nicht am Primärmarkt erworben werden dürfen, der Erwerb am Sekundärmarkt den betroffenen Mitgliedstaaten nicht die Gewissheit geben darf, dass ihre Anleihen durch das ESZB erworben werden, und dass der Erwerb den betroffenen Mitgliedstaaten nicht den Anreiz nehmen darf, eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 103, 104 und 107). Unabhängig davon, dass das Programm nach Auffassung des Gerichtshofs nicht in einer Weise durchgeführt werden darf, durch die eine Harmonisierung der Zinssätze unabhängig von den Unterschieden bewirkt würde, die sich aus der makroökonomischen Lage oder der Haushaltslage der Staaten ergeben (EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 113), lassen sich dem Urteil des Gerichtshofs folgende Maßgaben für das OMT-Programm entnehmen:

- Ankäufe dürfen nicht angekündigt werden (Rn. 106).

- Das Volumen der Ankäufe ist zu begrenzen (Rn. 106).

- Zwischen der Emission eines Schuldtitels und seinem Ankauf durch das ESZB muss eine im Voraus festgelegte Mindestfrist liegen, die verhindert, dass die Emissionsbedingungen verfälscht werden (Rn. 106 f.).

- Es dürfen nur Schuldtitel von Mitgliedstaaten erworben werden, die einen ihre Finanzierung ermöglichenden Zugang zum Anleihemarkt haben (Rn. 116 und 119).

- Erworbene Schuldtitel dürfen nur ausnahmsweise bis zur Endfälligkeit gehalten werden (Rn. 117 f.).

- Ankäufe müssen begrenzt oder eingestellt, erworbene Schuldtitel müssen wieder dem Markt zugeführt werden, wenn eine Fortsetzung der Intervention oder ein weiteres Halten der Schuldtitel zur Verwirklichung der geldpolitischen Ziele nicht erforderlich ist (Rn. 112 ff., 117 ff.).

200

Da diese Maßgaben sicherstellen sollen, dass die emittierenden Mitgliedstaaten keine Gewissheit haben, dass ihre Anleihen durch das ESZB erworben werden (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 104 und 106), können sie nur so verstanden werden, dass die Rahmenbedingungen einer bestimmten Sekundärmarktintervention solange nicht veröffentlicht werden dürfen, bis diese abgeschlossen ist.

201

b) In dieser Auslegung entspricht das OMT-Programm bei wertender Gesamtbetrachtung den Anforderungen, die der Senat im Vorlagebeschluss vom 14. Januar 2014 formuliert hat (vgl. BVerfGE 134, 366 <416 f. Rn. 99 f.>). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem in Art. 123 Abs. 1 AEUV normierten Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung um eine fundamentale Regel der Währungsunion handelt (vgl. BVerfGE 134, 366 <394 Rn. 43>), deren Ausnahmen nach den allgemeinen, vom Gerichtshof anerkannten Grundsätzen (siehe Rn. 159) eng auszulegen sind (vgl. Schlussanträge GA Cruz Villalón vom 14. Januar 2015, a.a.O., Rn. 219).

202

aa) Eingriffe in die Preisbildung am Markt werden in ihrer Wirkung dadurch reduziert, dass die Entscheidung, bestimmte Anleihen zu erwerben, und das Volumen der geplanten Ankäufe nicht angekündigt werden dürfen (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 106). Ferner muss zwischen der Emission eines Schuldtitels und dessen Ankauf im Rahmen des OMT-Programms eine im Voraus festgelegte Mindestfrist liegen, die verhindert, dass die Emissionsbedingungen verfälscht werden (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 106 f.). Schließlich dürfen die Marktteilnehmer keine Gewissheit haben, dass erworbene Anleihen bis zur Endfälligkeit gehalten werden (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 117 f.). Dies setzt ebenso wie das Verbot, durch ein Halten bis zur Endfälligkeit gezielt Ausfallrisiken zu übernehmen, voraus, dass der nur vorübergehende Erwerb die Regel bleibt.

203

bb) Eine Begrenzung des Volumens des Ankaufs von Anleihen einzelner Mitgliedstaaten wird, über die in den am 6. September 2012 beschlossenen Rahmenbedingungen hinaus, dadurch erreicht, dass der Umfang einer Sekundärmarktintervention vorab festgelegt werden muss, aber nicht angekündigt werden darf (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 106). Ändert der betroffene Mitgliedstaat sein Ausgabeverhalten, muss darauf gegebenenfalls reagiert werden (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 117).

204

cc) Zwar sieht der Gerichtshof, anders als der Senat (vgl. BVerfGE 134, 366 <412 f. Rn. 88 f.>), in der Möglichkeit eines Schuldenschnitts kein Spannungsverhältnis zum Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 126; anders Steinbach, The Yale Journal of International Law Online 39 <2013>, S. 15 <30>; vgl. auch Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik in der Währungsunion, 2015, § 4 Rn. 76). Allerdings seien Ankäufe von Staatsanleihen nur solcher Mitgliedstaaten zulässig, die Zugang zum Anleihemarkt hätten (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 86), womit der Gerichtshof über die im Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm formulierten Rahmenbedingungen hinausgeht, die diese Anforderung nur für bestimmte Fälle vorsehen. Das schlösse Anleihen von Mitgliedstaaten in zerrütteter finanzieller Lage aus (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 119; Ohler, NVwZ 2015, S. 1001 <1005>). Dass die Europäische Zentralbank, wie ihr Vertreter in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2016 dargelegt hat, einem Schuldenschnitt nicht zustimmen würde, spricht für eine solche Einschätzung.

205

3. Da sich das OMT-Programm vor diesem Hintergrund nur dann nicht als Ultra-vires-Akt darstellt, wenn der vom Gerichtshof bestimmte Rahmen beachtet wird, darf sich die Deutsche Bundesbank an seiner Durchführung nur beteiligen, wenn sich die Durchführungsakte innerhalb des vom Gerichtshof aufgezeigten Rahmens halten (a). Sollten bei Durchführung des OMT-Programms diese Maßgaben nicht beachtet werden, wären Bundesregierung und Bundestag zum Einschreiten verpflichtet (b).

206

a) Die Deutsche Bundesbank darf sich an einer künftigen Durchführung des OMT-Programms nur beteiligen, wenn und soweit die vom Gerichtshof aufgestellten Maßgaben (Rn. 199) erfüllt sind, das heißt wenn

- Ankäufe nicht angekündigt werden,

- das Volumen der Ankäufe im Voraus begrenzt ist,

- zwischen der Emission eines Schuldtitels und seinem Ankauf durch das ESZB eine im Voraus festgelegte Mindestfrist liegt, die verhindert, dass die Emissionsbedingungen verfälscht werden,

- nur Schuldtitel von Mitgliedstaaten erworben werden, die einen ihre Finanzierung ermöglichenden Zugang zum Anleihemarkt haben,

- die erworbenen Schuldtitel nur ausnahmsweise bis zur Endfälligkeit gehalten werden und

- die Ankäufe begrenzt oder eingestellt werden und erworbene Schuldtitel wieder dem Markt zugeführt werden, wenn eine Fortsetzung der Intervention nicht erforderlich ist.

207

Sollte eine Durchführung des Grundsatzbeschlusses des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 diese Konditionen nicht erfüllen, stellte sie sich als hinreichend qualifizierte Kompetenzüberschreitung im Sinne der Ultra-vires-Kontrolle dar (vgl. BVerfGE 134, 366 <392 ff. Rn. 36 ff., 398 ff. Rn. 55 ff.>).

208

b) Da es sich beim Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm vom 6. September 2012 in der vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommenen und hier zugrundegelegten Konkretisierung nicht um einen Ultra-vires-Akt handelt, bestand auch keine Verpflichtung von Bundesregierung und Bundestag, diesem Beschluss im Rahmen ihrer Integrationsverantwortung entgegenzutreten.

209

Sollten die vom Gerichtshof formulierten Maßgaben für den Ankauf von Staatsanleihen bei der Durchführung des OMT-Programms allerdings nicht beachtet werden, so wären Bundesregierung und Bundestag verpflichtet, dagegen mit geeigneten Mitteln (vgl. Rn. 171) vorzugehen und - solange die Maßnahmen fortwirken - geeignete Vorkehrungen dafür zu treffen, dass ihre innerstaatlichen Auswirkungen so weit wie möglich begrenzt bleiben (vgl. BVerfGE 134, 366 <395 f. Rn. 49>).

210

4. Ihre Integrationsverantwortung verpflichtet Bundesregierung und Bundestag auch nicht, mit Blick auf die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages gegen das OMT-Programm vorzugehen. Diese gehört zwar zur Verfassungsidentität des Grundgesetzes (a). Sie kann durch ein Ankaufprogramm des ESZB für Staatsanleihen auch grundsätzlich beeinträchtigt werden (b). Eine Gefährdung des Budgetrechts durch das bislang nicht umgesetzte OMT-Programm ist jedoch nicht ersichtlich (c).

211

a) Die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand ist grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat (vgl. BVerfGE 123, 267 <359>; 132, 195 <239 Rn. 106>; 135, 317 <399 f. Rn. 161>). Der Bundestag muss deshalb dem Volk gegenüber verantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheiden. Insofern stellt das Budgetrecht ein zentrales Element der demokratischen Willensbildung dar (vgl. BVerfGE 70, 324 <355 f.>; 79, 311 <329>; 129, 124 <177>; 132, 195 <239 Rn. 106>; 135, 317 <400 Rn. 161>), das auch in einem System intergouvernementalen Regierens Beachtung verlangt (vgl. BVerfGE 135, 317 <400 Rn. 161>).

212

Mit der Öffnung für die internationale Zusammenarbeit und die europäische Integration bindet sich die Bundesrepublik Deutschland nicht nur rechtlich, sondern auch finanzpolitisch. Für die Einhaltung des Demokratiegebots kommt es entscheidend darauf an, dass der Bundestag der Ort bleibt, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten (vgl. BVerfGE 129, 124 <177>; 130, 318 <344>; 131, 152 <205 f.>; 132, 195 <239 f. Rn. 107>; 135, 317 <400 Rn. 162>). Würde über wesentliche haushaltspolitische Fragen ohne konstitutive Zustimmung des Bundestages entschieden oder würden überstaatliche Rechtspflichten ohne entsprechende Willensentscheidung des Bundestages begründet, so geriete das Parlament in die Rolle des bloßen Nachvollzugs und könnte die haushaltspolitische Gesamtverantwortung im Rahmen seines Budgetrechts nicht mehr wahrnehmen (BVerfGE 129, 124 <178 f.>; 130, 318 <344 f.>; 132, 195 <240 Rn. 107>; 135, 317 <400 f. Rn. 162>).

213

Der Bundestag darf sich daher keinen finanzwirksamen Mechanismen ausliefern, die - sei es aufgrund ihrer Gesamtkonzeption, sei es aufgrund einer Gesamtwürdigung der Einzelmaßnahmen - zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne vorherige konstitutive Zustimmung führen können, seien es Ausgaben oder Einnahmeausfälle. Dieses Verbot, sich der Budgetverantwortung zu entäußern, beschränkt nicht etwa unzulässig die Haushaltskompetenz des Gesetzgebers, sondern zielt gerade auf deren Bewahrung (vgl. BVerfGE 129, 124 <179>; 132, 195 <240 Rn. 108>; 135, 317 <401 Rn. 163>).

214

Eine notwendige Bedingung für die Sicherung politischer Freiräume im Sinne des Identitätskerns der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 79 Abs. 3 GG) besteht darin, dass der Haushaltsgesetzgeber seine Entscheidungen über Einnahmen und Ausgaben frei von Fremdbestimmung seitens der Organe und anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union trifft und dauerhaft "Herr seiner Entschlüsse" bleibt (vgl. BVerfGE 129, 124 <179 f.>; 132, 195 <240 Rn. 109>; 135, 317 <401 Rn. 164>). Aus der demokratischen Verankerung der Haushaltsautonomie folgt, dass der Bundestag einem intergouvernemental oder supranational vereinbarten, nicht an strikte Vorgaben gebundenen und in seinen Auswirkungen nicht begrenzten Bürgschafts- oder Leistungsautomatismus nicht zustimmen darf, der - einmal in Gang gesetzt - seiner Kontrolle und Einwirkung entzogen ist (BVerfGE 129, 124 <180>; 132, 195 <241 Rn. 109>; 135, 317 <401 f. Rn. 164>).

215

b) Der Ankauf von Staatsanleihen durch das Eurosystem ist grundsätzlich geeignet, zu haushaltsbedeutsamen Ausgaben oder Einnahmeausfällen zu führen.

216

Offenmarktgeschäften wohnt stets ein Verlustrisiko inne (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 125). Wie die Europäische Zentralbank im vorliegenden Verfahren dargelegt hat, haben die Mitgliedstaaten, die bislang unter das OMT-Programm fallen können, Anleihen in einem Volumen emittiert, dessen auf die Deutsche Bundesbank entfallender Anteil deren Kapital und die dort gebildeten Rückstellungen um ein Vielfaches übersteigt. Bereits ein teilweiser Ausfall der Anleihen beeinträchtigte nicht nur den an den Bund abzuführenden Reingewinn (vgl. § 27 BBankG), sondern könnte auch zu einem negativen Eigenkapital der Bundesbank führen. Dies wäre, wie die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank im vorliegenden Verfahren dargelegt haben, jedenfalls im Falle seiner Verfestigung geeignet, das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Deutschen Bundesbank zu erschüttern, das unabdingbare Voraussetzung ihrer Funktionsfähigkeit ist (siehe auch Europäische Zentralbank, Konvergenzbericht 2014, S. 36). Entsprechendes gilt für die Europäische Zentralbank, für die eine Regelung der Verlustzuweisung nur insoweit besteht, als Verluste aus einem allgemeinen Reservefonds und aus den monetären Einkünften ausgeglichen werden können (vgl. Art. 33.2 ESZB-Satzung). Eine Regelung für den Ausgleich darüber hinausgehender Verluste besteht hingegen nicht.

217

Die Bundesrepublik Deutschland ist verfassungsrechtlich verpflichtet, die Funktionsfähigkeit der Deutschen Bundesbank zu gewährleisten. Art. 88 Satz 1 GG enthält eine institutionelle Garantie (vgl. Blanke, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 88 Rn. 4; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 88 Rn. 29 ), die sich nicht darin erschöpft, die bloße Existenz der Deutschen Bundesbank zu statuieren. Sie umfasst vielmehr auch die Verpflichtung, diese so auszustatten, dass sie ihre verfassungsrechtlichen Aufgaben, die auch durch Art. 88 Satz 2 GG determiniert werden, erfüllen kann. Insofern folgt aus Art. 88 GG auch eine Anstaltslast, die die Bundesrepublik Deutschland als Anstaltsträger verpflichtet, die Funktionsfähigkeit der Deutschen Bundesbank als bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts (vgl. § 2 BBankG) zu gewährleisten. Einer einfachgesetzlichen Anordnung der Anstaltslast bedarf es vor diesem Hintergrund nicht (BVerwG, Urteil vom 23. November 2011 - 8 C 20/10 -, juris, Rn. 25; Kemmler, DVBl. 2003, S. 100 <103 f.>; Hummel, DVBl. 2012, S. 747 <750>; anders noch BVerwGE 64, 248 <257 f.>; 75, 318 <324 f.>). Ist die Funktionsfähigkeit der Deutschen Bundesbank daher aufgrund eines nicht hinreichenden oder sogar negativen Nettoeigenkapitals gefährdet, kann die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sein, Kapital nachzuschießen. Das kann im Übrigen auch unionsrechtlich geboten sein (vgl. Europäische Zentralbank, Konvergenzbericht 2014, S. 28 f.).

218

c) In der durch den Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommenen Auslegung birgt das OMT-Programm jedoch kein verfassungsrechtlich relevantes Risiko für das Budgetrecht des Bundestages. Insofern ist auch eine Gefährdung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung durch eine etwaige Durchführung des OMT-Programms gegenwärtig nicht festzustellen.

219

Es ist derzeit nicht absehbar, ob und inwieweit sich dem OMT-Programm innewohnende Risiken überhaupt verwirklichen werden. Die vom Gerichtshof vorgesehenen Beschränkungen tragen jedenfalls dazu bei, diese Risiken zu mindern. Von Bedeutung ist insbesondere das Verbot, Anleihen mit erheblichen Ausfallrisiken zu erwerben (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 116 und 119), zumal Anleihen in der Regel auch nicht bis zur Endfälligkeit gehalten werden dürfen (vgl. EuGH, Gauweiler, a.a.O., Rn. 117 f.). Insofern ist etwa festzustellen, dass die Hellenische Republik, deren Anleihen ein erhöhtes Ausfallrisiko zugeschrieben wird, seit dem Grundsatzbeschluss über das OMT-Programm vom 6. September 2012 durchgängig nicht über einen Zugang zum Anleihemarkt verfügt hat (vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Konsequenzen aus der Griechenland-Krise für einen stabileren Euro-Raum, Sondergutachten, Juli 2015, Rn. 54), sowie, dass die Deutsche Bundesbank mit Blick auf Bestände, die aus dem mittlerweile beendeten SMP und den derzeit aktiven Ankaufprogrammen herrühren, die allgemeine Risikolage als rückläufig bewertet (vgl. Deutsche Bundesbank, Geschäftsbericht 2015, S. 89 f.).

220

5. Bundesregierung und Deutscher Bundestag sind aufgrund der ihnen obliegenden Integrationsverantwortung allerdings verpflichtet, eine etwaige Durchführung des OMT-Programms dauerhaft zu beobachten. Diese Beobachtungspflicht ist nicht nur darauf gerichtet, ob die oben formulierten Maßgaben eingehalten werden, sondern auch darauf, ob insbesondere aus dem Volumen und der Risikostruktur der erworbenen Anleihen, die sich auch nach ihrem Erwerb ändern kann, ein konkretes Risiko für den Bundeshaushalt erwächst. Gegebenenfalls ist die Bundesregierung gehalten, sich Informationen, über die sie nicht selbst verfügt, zu beschaffen. Ein insoweit geeignetes Mittel kann etwa die gegenüber der Bundesregierung bestehende Beratungs- und Auskunftspflicht der Deutschen Bundesbank (§ 13 Abs. 1 BBankG) sein.

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(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:

1.
über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2.
bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
2a.
bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
3.
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4.
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a.
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
4b.
über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
4c.
über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
5.
in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Abs. 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Die Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2 im Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.

(3) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Der Bundespräsident leistet bei seinem Amtsantritt vor den versammelten Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates folgenden Eid:

"Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."
Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:

1.
über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2.
bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
2a.
bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
3.
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4.
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a.
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
4b.
über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
4c.
über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
5.
in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Abs. 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Die Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2 im Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.

(3) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:

1.
über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2.
bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
2a.
bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
3.
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4.
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a.
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
4b.
über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
4c.
über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
5.
in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Abs. 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Die Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2 im Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.

(3) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.

(1) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, daß er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist.

(2) Im Antrag ist die Bestimmung des Grundgesetzes zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners verstoßen wird.

(3) Der Antrag muß binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden.

(4) Soweit die Frist bei Inkrafttreten dieses Gesetzes verstrichen ist, kann der Antrag noch binnen drei Monaten nach Inkrafttreten gestellt werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und der Vizepräsident führen den Vorsitz in ihrem Senat. Sie werden von dem dienstältesten, bei gleichem Dienstalter von dem lebensältesten anwesenden Richter des Senats vertreten.

(2) Jeder Senat ist beschlußfähig, wenn mindestens sechs Richter anwesend sind. Ist ein Senat in einem Verfahren von besonderer Dringlichkeit nicht beschlußfähig, ordnet der Vorsitzende ein Losverfahren an, durch das so lange Richter des anderen Senats als Vertreter bestimmt werden, bis die Mindestzahl erreicht ist. Die Vorsitzenden der Senate können nicht als Vertreter bestimmt werden. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.

(3) Nach Beginn der Beratung einer Sache können weitere Richter nicht hinzutreten. Wird der Senat beschlußunfähig, muß die Beratung nach seiner Ergänzung neu begonnen werden.

(4) Im Verfahren gemäß § 13 Nummer 1, 2, 2a, 4 und 9 bedarf es zu einer dem Antragsgegner nachteiligen Entscheidung in jedem Fall einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Senats. Im übrigen entscheidet die Mehrheit der an der Entscheidung mitwirkenden Mitglieder des Senats, soweit nicht das Gesetz etwas anderes bestimmt. Bei Stimmengleichheit kann ein Verstoß gegen das Grundgesetz oder sonstiges Bundesrecht nicht festgestellt werden.

(1) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der in einer Entscheidung des anderen Senats enthaltenen Rechtsauffassung abweichen, so entscheidet darüber das Plenum des Bundesverfassungsgerichts.

(2) Es ist beschlußfähig, wenn von jedem Senat zwei Drittel seiner Richter anwesend sind.

(1) Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und der Vizepräsident führen den Vorsitz in ihrem Senat. Sie werden von dem dienstältesten, bei gleichem Dienstalter von dem lebensältesten anwesenden Richter des Senats vertreten.

(2) Jeder Senat ist beschlußfähig, wenn mindestens sechs Richter anwesend sind. Ist ein Senat in einem Verfahren von besonderer Dringlichkeit nicht beschlußfähig, ordnet der Vorsitzende ein Losverfahren an, durch das so lange Richter des anderen Senats als Vertreter bestimmt werden, bis die Mindestzahl erreicht ist. Die Vorsitzenden der Senate können nicht als Vertreter bestimmt werden. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.

(3) Nach Beginn der Beratung einer Sache können weitere Richter nicht hinzutreten. Wird der Senat beschlußunfähig, muß die Beratung nach seiner Ergänzung neu begonnen werden.

(4) Im Verfahren gemäß § 13 Nummer 1, 2, 2a, 4 und 9 bedarf es zu einer dem Antragsgegner nachteiligen Entscheidung in jedem Fall einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Senats. Im übrigen entscheidet die Mehrheit der an der Entscheidung mitwirkenden Mitglieder des Senats, soweit nicht das Gesetz etwas anderes bestimmt. Bei Stimmengleichheit kann ein Verstoß gegen das Grundgesetz oder sonstiges Bundesrecht nicht festgestellt werden.

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung, es sei denn, daß alle Beteiligten ausdrücklich auf sie verzichten.

(2) Die Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung ergeht als Urteil, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung als Beschluß.

(3) Teil- und Zwischenentscheidungen sind zulässig.

(4) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergehen "im Namen des Volkes".

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Anträge, die das Verfahren einleiten, sind schriftlich beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Sie sind zu begründen; die erforderlichen Beweismittel sind anzugeben.

(2) Der Vorsitzende oder, wenn eine Entscheidung nach § 93c in Betracht kommt, der Berichterstatter stellt den Antrag dem Antragsgegner, den übrigen Beteiligten sowie den Dritten, denen nach § 27a Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird, unverzüglich mit der Aufforderung zu, sich binnen einer zu bestimmenden Frist dazu zu äußern.

(3) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann jedem Beteiligten aufgeben, binnen einer zu bestimmenden Frist die erforderliche Zahl von Abschriften seiner Schriftsätze und der angegriffenen Entscheidungen für das Gericht und für die übrigen Beteiligten nachzureichen.

In der Begründung der Beschwerde sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen.

(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt.

(2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück.

(3) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:

1.
über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2.
bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
2a.
bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
3.
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4.
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a.
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
4b.
über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
4c.
über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
5.
in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Abs. 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Die Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2 im Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.

(3) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) In Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, wird diese vom Plenum des Deutschen Bundestages wahrgenommen. Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung ist insbesondere betroffen

1.
bei der Entscheidung nach Artikel 13 Absatz 2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Vertragspartei des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf deren Hilfeersuchen Stabilitätshilfe in Form einer im Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgesehenen Finanzhilfefazilität zu gewähren,
2.
bei der Annahme einer Vereinbarung über die Finanzhilfefazilität nach Artikel 13 Absatz 3 Satz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, einer Zustimmung zu einem entsprechenden Memorandum of Understanding nach Artikel 13 Absatz 4 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im Falle der Gewährung einer direkt an Finanzinstitute gewährten Finanzhilfe bei der Annahme einer institutsspezifischen Vereinbarung,
3.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Veränderung des genehmigten Stammkapitals sowie des maximalen Darlehensvolumens nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus; Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibt unberührt,
4.
bei Beschlüssen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus über die Festlegung und Änderung von Obergrenzen der für ein bestimmtes Finanzhilfeinstrument insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel.

(2) In den Fällen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, darf die Bundesregierung einem Beschlussvorschlag in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch ihren Vertreter nur zustimmen oder sich bei einer Beschlussfassung enthalten, nachdem das Plenum hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Ohne einen solchen Beschluss des Plenums muss der deutsche Vertreter den Beschlussvorschlag ablehnen. Der Vertreter der Bundesregierung hat an der Beschlussfassung teilzunehmen.

(3) Werden gemäß Artikel 5 Absatz 6 Buchstabe m des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Aufgaben des Gouverneursrates auf das Direktorium übertragen, gelten die §§ 3 bis 6 entsprechend.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:

1.
über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2.
bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
2a.
bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
3.
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4.
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a.
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
4b.
über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
4c.
über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
5.
in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Abs. 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Die Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2 im Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.

(3) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

Tenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. November 2014 - III - 3 Ausl 108/14 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit er die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig erklärt; er wird in diesem Umfang aufgehoben. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. November 2014 - III - 3 Ausl 108/14 - gegenstandslos.

2. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Italien auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls, der zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Beschwerdeführers ergangenen Strafurteils erlassen wurde.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Vereinigten Staaten von Amerika. Mit rechtskräftigem Urteil der Corte di Appello von Florenz aus dem Jahr 1992 wurde er in Abwesenheit wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie der Einfuhr und des Besitzes von Kokain zu einer Freiheitsstrafe von 30 Jahren verurteilt. Im Jahr 2014 wurde er aufgrund eines Auslieferungsersuchens der Italienischen Republik, das sich auf einen Europäischen Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft bei der Corte di Appello von Florenz aus demselben Jahr stützt, in Deutschland festgenommen.

3

a) Mit dem Europäischen Haftbefehl wird die Auslieferung des Beschwerdeführers zur Vollstreckung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe begehrt. Aus dem Europäischen Haftbefehl geht hervor, dass dem Beschwerdeführer das zugrunde liegende Urteil aus dem Jahr 1992 nicht persönlich zugestellt wurde. Das Formblatt zum Europäischen Haftbefehl lautet insoweit:

d) Geben Sie an, ob die Person zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, persönlich erschienen ist:

1. Ja, die Person ist zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, persönlich erschienen.

2. Nein, die Person ist zu der Verhandlung, die zur Entscheidung geführt hat, nicht persönlich erschienen.

3. Bitte geben Sie zu der unter Nummer 2 angekreuzten Möglichkeit an, dass eine der folgenden Möglichkeiten zutrifft:

3.4 der Person wurde die Entscheidung nicht persönlich zugestellt, aber

- sie wird die Entscheidung unverzüglich nach der Übergabe zugestellt erhalten, und

- sie wird bei der Zustellung der Entscheidung ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt werden, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann, und

- sie wird von der Frist in Kenntnis gesetzt werden, über die sie verfügt, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren zu beantragen, die … Tage beträgt.

4

Punkt 3.4 hatte die Generalstaatsanwaltschaft Florenz angekreuzt. Punkt 2, wonach die ersuchende Behörde bestätigt, dass die auszuliefernde Person zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, nicht persönlich erschienen ist, ließ sie hingegen offen. Die Länge der in Punkt 3.4 des Formblatts zum Europäischen Haftbefehl genannten Antragsfrist gab die Generalstaatsanwaltschaft Florenz ebenfalls nicht an.

5

b) Buchstabe d, Punkt 3.4 des Formblatts zum Europäischen Haftbefehl geht auf Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl EU Nr. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl EU Nr. L 81 vom 27. März 2009, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl bzw. RbEuHb) zurück. Art. 4a Abs. 1 RbEuHb lautet:

Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die Person nicht persönlich erschienen ist

(1) Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellten Europäischen Haftbefehls auch verweigern, wenn die Person nicht persönlich zu der Verhandlung erschienen ist, die zu der Entscheidung geführt hat, es sei denn, aus dem Europäischen Haftbefehl geht hervor, dass die Person im Einklang mit den weiteren verfahrensrechtlichen Vorschriften des einzelstaatlichen Rechts des Ausstellungsmitgliedstaats

a) rechtzeitig

i) entweder persönlich vorgeladen wurde und dabei von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, die zu der Entscheidung geführt hat, oder auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort dieser Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, und zwar auf eine Weise, dass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass sie von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte,

und

ii) davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint;

oder

b) in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen Rechtsbeistand, der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat bestellt wurde, erteilt hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und bei der Verhandlung von diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden ist;

oder

c) nachdem ihr die Entscheidung zugestellt und sie ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann:

i) ausdrücklich erklärt hat, dass sie die Entscheidung nicht anficht;

oder

ii) innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. kein Berufungsverfahren beantragt hat;

oder

d) die Entscheidung nicht persönlich zugestellt erhalten hat, aber

i) sie unverzüglich nach der Übergabe persönlich zugestellt erhalten wird und ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt werden wird, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann

und

ii) von der Frist in Kenntnis gesetzt werden wird, über die sie gemäß dem einschlägigen Europäischen Haftbefehl verfügt, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren zu beantragen.

6

Italien hat eine nach Artikel 8 Absatz 3 des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI zulässige Erklärung abgegeben (ABl Nr. L 97 vom 16. April 2009, S. 26), infolge derer der Rahmenbeschluss spätestens ab dem 1. Januar 2014 Anwendung findet auf die Anerkennung und Durchführung von Entscheidungen der zuständigen italienischen Behörden, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, bei der die betroffene Person nicht anwesend war.

7

c) Die für die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls maßgeblichen nationalen Vorschriften finden sich im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG - (BGBl I 1982 S. 2071). In der hier anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1721) lauteten § 73 und § 83:

§ 73 Grenze der Rechtshilfe

Die Leistung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Bei Ersuchen nach dem Achten, Neunten und Zehnten Teil ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig, wenn die Erledigung zu den in Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde.

§ 83 Ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzungen

Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn

3. bei Ersuchen zur Vollstreckung das dem Ersuchen zugrunde liegende Urteil in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist und der Verfolgte zu dem Termin nicht persönlich geladen oder nicht auf andere Weise von dem Termin, der zu dem Abwesenheitsurteil geführt hat, unterrichtet worden war, es sei denn, dass der Verfolgte in Kenntnis des gegen ihn gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder ihm nach seiner Überstellung das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend überprüft wird, und auf Anwesenheit bei der Gerichtsverhandlung eingeräumt wird … .

8

d) Mit Beschluss vom 14. August 2014 entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf, dass mit Blick auf das Vorliegen eines Abwesenheitsurteils die sich aus § 83 Nr. 3 IRG ergebenden Voraussetzungen derzeit nicht feststellbar seien.

9

Aus den Angaben der italienischen Behörden folge nicht mit der erforderlichen Sicherheit, dass der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit habe, nachträglich eine umfassende gerichtliche Überprüfung der in seiner Abwesenheit erfolgten Verurteilung im Sinne einer neuen tatsächlichen Überprüfung der Feststellungen zum Schuldvorwurf und der erkannten Rechtsfolge zu erreichen. Dem Europäischen Haftbefehl lasse sich nicht entnehmen, dass der Beschwerdeführer dies durch einen einfachen Rechtsbehelf erreichen könne, der nicht an besondere Voraussetzungen geknüpft sei und der ihm keine Beweislast auferlege. Die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß Art. 630 ff. CPP (Codice di procedura penale - italienische Strafprozessordnung) sei als außerordentlicher Rechtsbehelf ein Instrument mit Ausnahmecharakter und als solches an streng geregelte Wiederaufnahmegründe - insbesondere das Vorliegen neuer Beweise - gebunden. Das Oberlandesgericht forderte von den italienischen Behörden deshalb ergänzende Auskünfte zur tatsächlichen Kenntnis des Beschwerdeführers vom Verhandlungstermin und seiner anwaltlichen Vertretung sowie eine Zusicherung, dass ihm nach seiner Überstellung vorbehaltlos das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren in seiner Anwesenheit eingeräumt werde, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend geprüft werde.

10

Mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 teilte die Generalstaatsanwaltschaft Florenz mit, dass nach Art. 175 CPP der Verurteilte innerhalb von dreißig Tagen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Rechtsmittelfrist beantragen könne, welche im Fall der Auslieferung aus dem Ausland mit dem Datum der Überstellung beginne. Über diesen Antrag werde der Richter entscheiden, der bei Antragstellung tätig sei, im Falle einer Verurteilung der Richter, der für die Rechtsmitteleinlegung zuständig sei. Gegen die Anordnung, die den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückweise, könne Kassationsbeschwerde eingelegt werden. Ferner heißt es (zitiert nach der im Ausgangsverfahren in Auftrag gegebenen Übersetzung):

Falls dem Antrag stattgegeben wird, muss erneut eine Hauptverhandlung gegen den Verurteilten stattfinden, welcher erneut durch Anordnung geladen wird. Dem Verurteilten wird sein Verteidigungsrecht ohne Vorbehalt zugesichert.

11

Außerdem fügte die Generalstaatsanwaltschaft den Wortlaut des Art. 175 CPP in der Fassung des Gesetzes Nr. 60 vom 22. April 2005, also in der vor der Strafprozessreform aus dem Jahr 2014 geltenden Fassung, bei. Dieser lautet auszugsweise (zitiert nach der im Ausgangsverfahren in Auftrag gegebenen Übersetzung):

2. Falls ein Versäumnisurteil oder ein Strafbefehl erlassen wurde, wird der Verurteilte auf seinen Antrag in die Rechtmittelfristen oder Einspruchsfristen wiedereingesetzt, es sei denn, dass dieser in Kenntnis des Verfahrens oder der Verfügung war und freiwillig auf Einspruch oder Rechtsmittel verzichtet hat. Zu diesem Zwecke wird die Justizbehörde jede erforderliche Prüfung vornehmen.

12

Über die Kenntnis des Beschwerdeführers vom Verhandlungstermin und seine anwaltliche Vertretung gab die Generalstaatsanwaltschaft Florenz keine näheren Auskünfte.

13

e) Mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2014 machte der Beschwerdeführer geltend, er sei in Abwesenheit und ohne seine Kenntnis verurteilt worden. Ferner trug er unter Berufung auf deutschsprachige Literatur vor, die Wiedereinsetzung zur Einlegung eines Rechtsmittels stehe einem Recht auf das entzogene erstinstanzliche Verfahren nicht gleich. Die "verspätete" Berufung genüge wegen der beschränkten Prüfungskompetenz grundsätzlich nicht den Anforderungen an eine nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs. Im Regelfall finde in der Hauptverhandlung keine erneute Beweisaufnahme statt. Es handele sich um ein reines Aktenverfahren, in dem eine Beweisaufnahme nur in Ausnahmefällen möglich sei. Nach aktueller Gesetzeslage sei eine erneute Beweisaufnahme im Falle einer Abwesenheitsverurteilung nicht vorgesehen. Der Beschwerdeführer teilte dem Oberlandesgericht den Inhalt des einschlägigen Art. 603 CPP in italienischer und deutscher Sprache mit. Dieser ist in seinen Absätzen 1 bis 3 seit seinem Inkrafttreten 1988 unverändert und lautet (Italienische Strafprozeßordnung, Zweisprachige Ausgabe, Bauer/König/Kreuzer/Riz/Zanon, 1991):

1. Hat eine Partei in der Berufungsschrift oder in den gemäß Artikel 585 Absatz 4 hinterlegten Gründen die neuerliche Aufnahme von Beweisen, die bereits im Verfahren erster Instanz aufgenommen worden sind, oder die Aufnahme neuer Beweise beantragt, so ordnet das Gericht, wenn es der Ansicht ist, dass es auf Grund der Aktenlage nicht entscheiden kann, die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung an.

2. Sind die neuen Beweise erst nach dem Verfahren erster Instanz entstanden oder aufgefunden worden, so ordnet das Gericht in den in Artikel 495 Absatz 1 vorgesehenen Grenzen die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung an.

3. Die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung wird von Amts wegen angeordnet, wenn das Gericht sie für unumgänglich notwendig erachtet (604 Abs. 6).

14

Der Beschwerdeführer machte geltend, nach dem möglicherweise anwendbaren (mittlerweile allerdings durch Gesetz vom 28. April 2014 abgeschafften) Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 werde eine neue Gerichtsverhandlung nur durchgeführt, wenn der Verurteilte nachweise, dass er von dem gegen ihn geführten Verfahren in keiner Weise und zu keinem Zeitpunkt Kenntnis gehabt und diesen Umstand auch nicht zu vertreten habe. Der Beschwerdeführer teilte auch den Inhalt von Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 in italienischer und deutscher Sprache mit. Dieser lautet (Italienische Strafprozeßordnung, Zweisprachige Ausgabe, Bauer/König/Kreuzer/Riz/Zanon, 1991):

4. Das Gericht ordnet außerdem die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung an, wenn der in erster Instanz säumige Angeklagte einen entsprechenden Antrag stellt und den Beweis erbringt, dass er wegen Zufalls, wegen höherer Gewalt oder deswegen, weil er keine Kenntnis vom Ladungsdekret erhalten hatte, nicht erscheinen konnte, freilich vorausgesetzt, dass dieser Umstand im gegebenen Fall nicht auf sein Verschulden zurückzuführen ist oder dass er sich, wenn die Ladung zum Verfahren erster Instanz durch Aushändigung an den Verteidiger in den in Artikeln 159, 161, Absatz 4, und 169 vorgesehenen Fällen erfolgt ist, nicht willentlich der Kenntnisnahme von den Verfahrenshandlungen entzogen hat.

15

Die in Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 geregelte Beweis- und Darlegungslast sei identisch mit der Regelung in den früheren (vor 2005 geltenden) Fassungen des Art. 175 Abs. 2 CPP. Diese hätten dem Verurteilten die Beweis- und Darlegungslast hinsichtlich seiner Nichtkenntnis über das Verfahren auferlegt, was nach der einhelligen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ein Auslieferungshindernis begründet habe. Es liege nahe, dass Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 auf ihn anwendbar sei, weil nach einer Entscheidung der italienischenCorte di Cassazione vom 17. Juli 2014 (No. 36848) auf Abwesenheitsverfahren, die vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 28. April 2014 durchgeführt worden seien, die alte Rechtslage Anwendung finde. Die Entscheidung der Corte di Cassazione teilte der Beschwerdeführer dem Oberlandesgericht im Wortlaut mit. Dass Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 auf ihn anwendbar sei, werde auch dadurch belegt, dass die Generalstaatsanwaltschaft Florenz den Wortlaut des Art. 175 CPP in der vor der Strafprozessreform des Jahres 2014 geltenden Fassung von 2005 übersandt habe.

16

f) Mit dem angegriffenen Beschluss vom 7. November 2014 erklärte das Oberlandesgericht die Auslieferung für zulässig. § 83 Nr. 3 IRG stehe ihr nicht entgegen. Nach den ergänzenden Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 gehe der Senat davon aus, dass der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren habe, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend überprüft werde und in dem ihm auch ein Recht auf Anwesenheit zustehe. Eine solche Überprüfung des Anklagevorwurfs sei durch den Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 175 CPP in der dort mitgeteilten Fassung gewährleistet. Danach werde der Verurteilte "auf seinen Antrag in die Rechtsmittel- oder Einspruchsfristen wieder eingesetzt, es sei denn, dass dieser in Kenntnis des Verfahrens oder der Verfügung" gewesen sei "und freiwillig auf den Einspruch oder Rechtsmittel verzichtet" habe.

17

Es sei davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer ein tatsächlich wirksamer, von seinem Antrag abhängiger und nicht im Ermessen der italienischen Justizbehörden stehender Rechtsbehelf auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Verfügung stehe. Zugleich sei eine umfassende Überprüfung des Abwesenheitsurteils gewährleistet. Offen bleiben könne, ob diese Prüfung im Rahmen einer Berufungshauptverhandlung oder in einem neuen erstinstanzlichen Verfahren stattfinde. Es sei schon fraglich, ob der Einwand des Beschwerdeführers, das Berufungsverfahren nach italienischem Recht biete keine umfassende Überprüfung im Sinne des § 83 Nr. 3 IRG, überhaupt durchgreifen könne. Selbst wenn - wie vom Beschwerdeführer vorgetragen - im Rahmen des italienischen Berufungsverfahrens ("appello", Art. 593 ff. CPP) in der Hauptverhandlung im Regelfall keine erneute Beweisaufnahme stattfinde, so handele es sich doch um ein Rechtsmittel, mit dem sowohl die Tat- als auch die Rechtsfrage der erneuten Prüfung unterworfen würden (unter Verweis auf Maiwald, Einführung in das italienische Strafrecht und Strafprozessrecht, 2009, S. 237). Daraus ergebe sich, dass in der Sache eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung des Abwesenheitsurteils stattfinde, in deren Rahmen eine erneute Beweisaufnahme "jedenfalls nicht ausgeschlossen" sei.

18

Ein solches Verfahren genüge den Anforderungen des § 83 Nr. 3 IRG. Die Vorschrift gehe auf Art. 5 Nr. 1 RbEuHb (in der Fassung vom 13. Juni 2002, ABl EU Nr. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1) zurück. Bei dessen Umsetzung in deutsches Recht seien (zwar) die Voraussetzungen, unter denen ein Abwesenheitsurteil Grundlage der Auslieferung sein könne, an die von Rechtsprechung und Schrifttum zu § 73 IRG entwickelten Grundsätze angenähert worden. Aus den zu § 73 IRG entwickelten Grundsätzen ergebe sich indes kein Anspruch auf ein neues Gerichtsverfahren im Sinne einer vollständigen ersten Tatsachen- und Rechtsinstanz. Vielmehr reiche die Möglichkeit, sich nach Erlangung der Kenntnis von dem Urteil rechtliches Gehör verschaffen und wirksam verteidigen zu können. Dass mit der Einführung von § 83 Nr. 3 IRG eine Anhebung des zu § 73 IRG entwickelten Standards habe verbunden werden sollen, sei nicht ersichtlich.

19

Unabhängig von diesen allgemeinen Erwägungen ergebe sich für den vorliegenden Fall auch aus dem Antwortschreiben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 hinreichend deutlich, dass der Vorwurf gegen den Beschwerdeführer in einem neuen Gerichtsverfahren umfassend überprüft werde. Nach diesem Schreiben bestehe im Falle der Wiedereinsetzung ausdrücklich ein Anspruch auf eine neue Hauptverhandlung und eine erneute Ladung; auch werde dem Beschwerdeführer sein Verteidigungsrecht ohne Vorbehalt zugesichert. Auf die Frage, ob dieser gegebenenfalls einen Anspruch auf Nichtigkeitsfeststellung und/oder auf eine Wiederaufnahme gemäß Art. 603 Abs. 4 CPP habe, komme es nach alledem nicht mehr an. Die Einholung eines Rechtsgutachtens zur aktuellen Rechtslage in Italien sei nicht erforderlich gewesen.

20

2. a) Mit Gegenvorstellung vom 13. November 2014 machte der Beschwerdeführer geltend, mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Art. 175 CPP könne er nach italienischem Strafprozessrecht überhaupt nur erreichen, in die Rechtsmittelfrist einer Berufung eingesetzt zu werden. Das ergebe sich bereits aus dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft vortrage, es werde erneut eine Hauptverhandlung gegen den Verurteilten stattfinden, könne damit nur die Durchführung einer Berufungshauptverhandlung (Art. 593 ff. CPP) gemeint sein, da Art. 175 CPP lediglich die Wiedereinsetzung in eine Rechtsmittelfrist der Berufung ermögliche. Das Recht, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen oder die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten, hätte der Beschwerdeführer nach italienischem Strafprozessrecht nur ganz ausnahmsweise, da er die Beweislast dafür trage, dass er von dem damaligen Verfahren keine Kenntnis gehabt habe. Ob eine erneute Beweisaufnahme stattfinde oder nicht, stehe zudem im Ermessen des Richters.

21

b) Mit Beschluss vom 27. November 2014 wies das Oberlandesgericht die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers als unbegründet zurück. Der Senat halte an seiner Auffassung fest, dass dem Beschwerdeführer bereits mit der - effektiv gegebenen - Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist des italienischen Berufungsverfahrens die Möglichkeit einer umfassenden Überprüfung des gegen ihn gerichteten Vorwurfs im Sinne von § 83 Nr. 3 IRG zur Verfügung stehe, da auf diese Weise eine vollständige Überprüfung der Stichhaltigkeit des gegen den Beschwerdeführer erhobenen Vorwurfs nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht gewährleistet sei. Dass die Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers gemäß Art. 6 Abs. 3 EMRK im Rahmen der Berufungshauptverhandlung eingeschränkt wären, vermöge der Senat mit Blick auf die ergänzende Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 nicht zu erkennen. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestehe im Übrigen bei einem in erster Instanz ergangenen Abwesenheitsurteil kein Anspruch auf Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens; vielmehr solle eine Neuverhandlung vor einem Rechtsmittelgericht genügen.

22

Dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahre 1985 die verspätete Berufung nach italienischem Recht als nicht ausreichende Überprüfungsmöglichkeit angesehen habe, führe vorliegend zu keiner anderen Beurteilung. Nach den damals maßgeblichen Vorschriften habe das Berufungsgericht über die Stichhaltigkeit der Anklage unter tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten nur entscheiden dürfen, wenn es der Ansicht gewesen sei, dass ein Verstoß der zuständigen Behörden gegen die bei der Erklärung einer strafverfolgten Person für "latitante" (untergetaucht) oder gegen die bei der Zustellung von Verfahrensdokumenten zu beachtenden Bestimmungen vorgelegen habe; zudem habe der Angeklagte beweisen müssen, dass er sich der Gerechtigkeit nicht habe entziehen wollen.

23

Eine derartige Beschränkung des italienischen Berufungsgerichts vermöge der Senat jedoch auch unter Berücksichtigung der von dem Beschwerdeführer vorgebrachten Bedenken für das auf diesen nunmehr anwendbare Berufungsverfahren nicht zu erkennen. Die danach jedenfalls bestehende Möglichkeit einer erneuten Erhebung bereits in erster Instanz erhobener Beweise bei der Überprüfung des Abwesenheitsurteils genüge den vom Senat in seinem Beschluss vom 7. November 2014 bereits ausführlich dargelegten Anforderungen an eine umfassende Überprüfung des Anklagevorwurfs im Sinne des § 83 Nr. 3 IRG. Die konkrete Ausgestaltung und Praxis des Berufungsverfahrens nach deutschem Recht könne im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union insoweit kein Maßstab sein.

II.

24

Auf den mit der Verfassungsbeschwerde verbundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die 3. Kammer des Zweiten Senats mit Beschluss vom 27. November 2014 entschieden, die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden der Italienischen Republik bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen auszusetzen. Mit Beschluss vom 13. Mai 2015 hat die 3. Kammer des Zweiten Senats und mit Beschluss vom 3. November 2015 der Zweite Senat die einstweilige Anordnung vom 27. November 2014 für die Dauer von jeweils weiteren sechs Monaten, längstens jedoch bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, wiederholt (§ 32 Abs. 6 Satz 2 BVerfGG).

III.

25

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2, Art. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG, seines Grundrechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 3 EMRK), eine Verletzung der nach Art. 25 GG verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards sowie einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 EMRK. Er habe zu keinem Zeitpunkt davon Kenntnis gehabt, dass in Italien ein Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahren gegen ihn geführt worden sei. Zudem sei nicht gewährleistet, dass ihm nach seiner Auslieferung das Recht auf ein Gerichtsverfahren eingeräumt werde, in dem die Tatvorwürfe in seiner Anwesenheit erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüft würden.

26

Eine ausreichende Zusicherung der italienischen Regierung liege insoweit nicht vor. Dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 komme nicht die notwendige völkerrechtliche Verbindlichkeit zu. Das Oberlandesgericht habe die fehlende ausdrückliche Zusicherung nicht durch eine eigenständige Würdigung des Schreibens der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 ersetzen dürfen. Es hätte überprüfen müssen, ob dieser Zusicherung mit absoluter Sicherheit vertraut werden könne. Bestehende Aufklärungsmöglichkeiten, etwa die Einholung eines Sachverständigengutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, habe es nicht ausgeschöpft.

27

Dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Florenz lasse sich auch nicht entnehmen, in welcher Weise und in welchem Rechtszug neu verhandelt würde. Da Art. 175 CPP nur die Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist gewähre, sei nach italienischem Strafverfahrensrecht (Art. 593 ff. CPP) eine erneute Beweisaufnahme nicht garantiert. Das Berufungsverfahren sei ein reines "Aktenverfahren", bei dem es nur in Ausnahmefällen zu einer erneuten Beweisaufnahme komme. Dies hänge davon ab, ob dem Beschwerdeführer der Nachweis der Unkenntnis von dem in Abwesenheit gegen ihn geführten Verfahren gelinge. Ob eine neue Beweisaufnahme durchgeführt werde, stehe zudem im Ermessen des Richters. Dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft lasse sich nicht entnehmen, dass mit der neuen Verhandlung eine erstinstanzliche Hauptverhandlung gemeint sei.

IV.

28

Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Senat vorgelegen. Der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, alle Landesregierungen, der Generalbundesanwalt und die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hatten Gelegenheit zur Äußerung. Von den Äußerungsberechtigten hat nur der Generalbundesanwalt Stellung genommen. Er hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.

29

Die Rechtsanwendung durch das Oberlandesgericht sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Die fachgerichtliche Würdigung der Erklärungen der italienischen Strafverfolgungsbehörden sei jedenfalls vertretbar. Die Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 habe das Oberlandesgericht als völkerrechtlich verbindliche Zusicherung eines neuen Verfahrens unter Wahrung der vollständigen Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers verstehen dürfen. Die Erklärung enthalte sowohl die Zusicherung eines Verfahrens, in welchem der Tatvorwurf in tatsächlicher Hinsicht geprüft werde, als auch der Wahrung der Verteidigungsrechte.

30

Das Oberlandesgericht sei verfassungsrechtlich nicht gehalten gewesen, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Es sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht der Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vertraue. Italien sei ein Mitgliedstaat der Europäischen Union, der bei der Anwendung seiner nationalen Rechtsnormen an die Vorgaben der Rahmenbeschlüsse der Europäischen Union und die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden sei. Dass Italien die eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzen würde, habe das Oberlandesgericht nicht unterstellen müssen, zumal dies dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zuwiderlaufe, der das Recht der Europäischen Union präge.

31

Der Einwand des Beschwerdeführers, das Oberlandesgericht habe die Regelungen des italienischen Strafverfahrensrechts unzureichend interpretiert, gehe fehl. Die Behauptung, aus der Rechtsprechung der italienischen Corte di Cassazione ergebe sich, dass auf Verurteilungen, die vor dem 28. April 2014 erfolgt seien, Art. 175 CPP in seiner früheren Fassung anzuwenden sei, greife nicht durch. Eine solche Lesart sei im Antragsvorbringen nicht belegt. Dass die italienische Corte di Cassazione - unter eklatantem Bruch der Europäischen Menschenrechtskonvention und entgegen dem eindeutigen Willen des italienischen Gesetzgebers - zu der vor 2005 geltenden Rechtslage zurückgekehrt sei, erscheine derart fernliegend, dass es keiner weiteren Ausführungen hierzu bedurft habe. Zudem bezögen sich die Darlegungen des Beschwerdeführers primär auf die - offenbar im Jahr 2014 aufgehobene - Regelung zum Nichtigkeitsverfahren.

32

Der vom Beschwerdeführer behaupteten Umkehr der Beweislast zu seinen Lasten stehe jedenfalls die Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 entgegen, die die Anwendbarkeit der Beweislastregeln in der seit 2005 geltenden Fassung von Art. 175 CPP bestätigt habe. Dieser Fassung sei eine Beweislast zum Nachteil des Angeklagten nicht zu entnehmen. Das Oberlandesgericht habe deshalb keinen Grund zu der Annahme gehabt, der Antragsteller müsse - im Wiederaufnahmeverfahren - seine fehlende Kenntnis von dem gegen ihn in Abwesenheit geführten Verfahren beweisen.

33

In Anbetracht der Zusicherung der italienischen Behörden habe das Oberlandesgericht auch nicht der Frage nachgehen müssen, ob dem Beschwerdeführer die neue Hauptverhandlung in einem erstinstanzlichen Verfahren oder - bei mangelndem Erfolg eines Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit des Abwesenheitsurteils aus dem Jahre 1992 - in einem Berufungsverfahren eröffnet würde. Es habe entscheidend darauf abstellen dürfen, dass der gegen den Beschwerdeführer erhobene Tatvorwurf nach seiner Überstellung in einer Tatsacheninstanz unter Wahrung sämtlicher Verteidigungsrechte geprüft werde. Die Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 sichere dies unter Buchstabe d zu. Im Übrigen genüge es den verfassungsrechtlichen Vorgaben, wenn der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und wirksame Verteidigung in einem Verfahren wahrnehmen könne. Die Einhaltung dieser Mindestvoraussetzungen habe das Oberlandesgericht angesichts der vorliegenden Zusicherung als gewährleistet betrachten dürfen.

B.

34

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Die strengen Voraussetzungen für eine Identitätskontrolle (vgl. Rn. 49) sind erfüllt. Im Kern zutreffend setzt sich die Beschwerdeschrift mit den verfassungsrechtlichen Aspekten von in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteilen sowie mit den damit zusammenhängenden Aufklärungspflichten der Gerichte auseinander. Aus der Verfassungsbeschwerde ergibt sich nachvollziehbar die Möglichkeit, dass dem Beschwerdeführer nach seiner Überstellung nach Italien kein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen wird, durch den das in seiner Abwesenheit ergangene Strafurteil in einer Weise angefochten werden kann, die seine nach dem Grundgesetz unabdingbaren und von der Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG umfassten Verteidigungsrechte gewährleistet (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Wird die Verletzung der Menschenwürdegarantie geltend gemacht, so prüft das Bundesverfassungsgericht - ungeachtet der bisherigen Rechtsprechung zur Unzulässigkeit von Verfassungsbeschwerden und Vorlagen, mit denen die Verletzung in Grundrechten des Grundgesetzes durch sekundäres Gemeinschafts- beziehungsweise Unionsrecht gerügt wurde (vgl. BVerfGE 73, 339 <378 ff.>; 102, 147 <161 ff.>) - einen solchen schwerwiegenden Grundrechtsverstoß im Rahmen der Identitätskontrolle (vgl. BVerfGE 113, 273 <295 ff.>; 123, 267 <344, 353 f.>; 126, 286 <302 f.>; 129, 78 <100>; 134, 366 <384 f. Rn. 27>; dazu sogleich unter C.I.2.bis 5.).

C.

35

Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 3 und Art. 79 Abs. 3 GG.

I.

36

Hoheitsakte der Europäischen Union und - soweit sie durch das Unionsrecht determiniert werden - Akte der deutschen öffentlichen Gewalt sind mit Blick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts grundsätzlich nicht am Maßstab der im Grundgesetz verankerten Grundrechte zu messen (1.). Der Anwendungsvorrang findet seine Grenze jedoch in den durch Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Grundsätzen der Verfassung (2.). Dazu gehören namentlich die Grundsätze des Art. 1 GG einschließlich des in der Menschenwürdegarantie verankerten Schuldprinzips im Strafrecht (3.). Die Gewährleistung dieser Grundsätze ist auch bei der Anwendung des Rechts der Europäischen Union oder unionsrechtlich determinierter Vorschriften durch die deutsche öffentliche Gewalt im Einzelfall sicherzustellen (4.). Eine Verletzung dieses unabdingbaren Maßes an Grundrechtsschutz kann vor dem Bundesverfassungsgericht allerdings nur gerügt werden, wenn substantiiert dargelegt wird, dass die Würde des Menschen im konkreten Fall tatsächlich beeinträchtigt wird (5.).

37

1. Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG wirkt die Bundesrepublik Deutschland an der Gründung und Fortentwicklung der Europäischen Union mit. Für den Erfolg der Europäischen Union ist die einheitliche Geltung ihres Rechts von zentraler Bedeutung (vgl. BVerfGE 73, 339 <368>; 123, 267 <399>; 126, 286 <301 f.>). Als Rechtsgemeinschaft von derzeit 28 Mitgliedstaaten könnte sie nicht bestehen, wenn die einheitliche Geltung und Wirksamkeit ihres Rechts nicht gewährleistet wäre (vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Costa/ENEL, 6/64, Slg. 1964, S. 1251 <1269 f.>). Art. 23 Abs. 1 GG enthält insoweit auch ein Wirksamkeits- und Durchsetzungsversprechen für das unionale Recht (vgl. BVerfGE 126, 286 <302>).

38

Mit der in Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Ermächtigung, Hoheitsrechte auf die Europäische Union zu übertragen, billigt das Grundgesetz daher die im Zustimmungsgesetz zu den Verträgen enthaltene Einräumung eines Anwendungsvorrangs zugunsten des Unionsrechts. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht gilt grundsätzlich auch mit Blick auf entgegenstehendes nationales Verfassungsrecht (vgl. BVerfGE 129, 78 <100>) und führt bei einer Kollision im konkreten Fall in aller Regel zu dessen Unanwendbarkeit (vgl. BVerfGE 126, 286 <301>).

39

Auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 GG kann der Integrationsgesetzgeber nicht nur Organe und Stellen der Europäischen Union, soweit sie in Deutschland öffentliche Gewalt ausüben, von einer umfassenden Bindung an die Grundrechte und andere Gewährleistungen des Grundgesetzes freistellen, sondern auch deutsche Stellen, die Recht der Europäischen Union vollziehen (vgl. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 247 ff.). Das gilt nicht zuletzt für die Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene, wenn diese Sekundär- oder Tertiärrecht umsetzen, ohne dabei über einen Gestaltungsspielraum zu verfügen (vgl. BVerfGE 118, 79 <95>; 122, 1 <20>). Umgekehrt sind die bei Bestehen eines Gestaltungsspielraums zur Ausfüllung erlassenen Rechtsakte einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich (vgl. BVerfGE 122, 1 <20 f.>; 129, 78 <90 f.>).

40

2. Der Anwendungsvorrang reicht jedoch nur soweit, wie das Grundgesetz und das Zustimmungsgesetz die Übertragung von Hoheitsrechten erlauben oder vorsehen (vgl. BVerfGE 73, 339 <375 f.>; 89, 155 <190>; 123, 267 <348 ff.>; 126, 286 <302>; 129, 78 <99>; 134, 366 <384 Rn. 26>). Der im Zustimmungsgesetz enthaltene Rechtsanwendungsbefehl kann nur im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung erteilt werden (vgl. BVerfGE 123, 267 <402>). Grenzen für die Öffnung deutscher Staatlichkeit ergeben sich - jenseits des im Zustimmungsgesetz niedergelegten Integrationsprogramms in seiner konkreten Ausgestaltung - aus der in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Verfassungsidentität des Grundgesetzes (a). Dies ist mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) vereinbar (b) und wird auch dadurch bestätigt, dass sich im Verfassungsrecht der meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vergleichbare Grenzen finden (c).

41

a) Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts wird im Wesentlichen durch die in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG verfassungsänderungs- und integrationsfest ausgestaltete Verfassungsidentität des Grundgesetzes begrenzt (aa). Zu deren Sicherstellung dient die Identitätskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht (bb).

42

aa) Soweit Maßnahmen eines Organs oder einer sonstigen Stelle der Europäischen Union Auswirkungen zeitigen, die die durch Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit den in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätzen geschützte Verfassungsidentität berühren, gehen sie über die grundgesetzlichen Grenzen offener Staatlichkeit hinaus. Auf einer primärrechtlichen Ermächtigung kann eine derartige Maßnahme nicht beruhen, weil auch der mit der Mehrheit des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG entscheidende Integrationsgesetzgeber der Europäischen Union keine Hoheitsrechte übertragen kann, mit deren Inanspruchnahme eine Berührung der von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität einherginge (vgl. BVerfGE 113, 273 <296>; 123, 267 <348>; 134, 366 <384 Rn. 27>). Auf eine Rechtsfortbildung zunächst verfassungsmäßiger Einzelermächtigungen kann sie ebenfalls nicht gestützt werden, weil das Organ oder die Stelle der Europäischen Union damit ultra vires handelte (vgl. BVerfGE 134, 366 <384 Rn. 27>).

43

bb) Im Rahmen der Identitätskontrolle ist zu prüfen, ob die durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze durch eine Maßnahme der Europäischen Union berührt werden (vgl. BVerfGE 123, 267 <344, 353 f.>; 126, 286 <302>; 129, 78 <100>; 134, 366 <384 f. Rn. 27>). Diese Prüfung kann - wie der Solange-Vorbehalt (vgl. BVerfGE 37, 271 <277 ff.>; 73, 339 <387>; 102, 147 <161 ff.>) oder die Ultra-vires-Kontrolle (BVerfGE 58, 1 <30 f.>; 75, 223 <235, 242>; 89, 155 <188>; 123, 267 <353 ff.>; 126, 286 <302 ff.>; 134, 366 <382 ff. Rn. 23 ff.>) - im Ergebnis dazu führen, dass Unionsrecht in Deutschland in eng begrenzten Einzelfällen für unanwendbar erklärt werden muss. Um zu verhindern, dass sich deutsche Behörden und Gerichte ohne weiteres über den Geltungsanspruch des Unionsrechts hinwegsetzen, verlangt die europarechtsfreundliche Anwendung von Art. 79 Abs. 3 GG zum Schutz der Funktionsfähigkeit der unionalen Rechtsordnung und bei Beachtung des in Art. 100 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens aber, dass die Feststellung einer Verletzung der Verfassungsidentität dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten bleibt (vgl. BVerfGE 123, 267 <354>). Dies wird auch durch die Regelung des Art. 100 Abs. 2 GG unterstrichen, nach der bei Zweifeln, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt, das Bundesverfassungsgericht angerufen werden muss (vgl. BVerfGE 37, 271 <285>). Mit der Identitätskontrolle kann das Bundesverfassungsgericht auch im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) befasst werden (vgl. BVerfGE 123, 267 <354 f.>).

44

b) Die Identitätskontrolle verstößt nicht gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit im Sinne von Art. 4 Abs. 3 EUV. Sie ist vielmehr in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV der Sache nach angelegt (vgl. zur Berücksichtigung der nationalen Identität auch EuGH, Urteil vom 2. Juli 1996, Kommission/Luxemburg, C-473/93, SIg. 1996, I-3207, Rn. 35; Urteil vom 14. Oktober 2004, Omega, C-36/02, Slg. 2004, I-9609, Rn. 31 ff.; Urteil vom 12. Juni 2014, Digibet und Albers, C-156/13, EU:C:2014:1756, Rn. 34) und entspricht insoweit auch den besonderen Gegebenheiten der Europäischen Union. Die Europäische Union ist ein Staaten-, Verfassungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungsverbund, der seine Grundlagen letztlich in völkerrechtlichen Verträgen der Mitgliedstaaten findet. Als Herren der Verträge entscheiden diese durch nationale Geltungsanordnungen darüber, ob und inwieweit das Unionsrecht im jeweiligen Mitgliedstaat Geltung und Vorrang beanspruchen kann (vgl. BVerfGE 75, 223 <242>; 89, 155 <190>; 123, 267 <348 f., 381 ff.>; 126, 286 <302 f.>; 134, 366 <384 Rn. 26>). Nicht entscheidend ist, ob die Geltungsanordnung - wie in Frankreich (Art. 55 FrzVerf.), Österreich (Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, BGBl für die Republik Österreich Nr. 744/1994) oder Spanien (Art. 96 Abs. 1 SpanVerf.) - im nationalen Verfassungsrecht oder - wie in Großbritannien - im Zustimmungsgesetz (European Communities Act 1972; vgl. Court of Appeal, Macarthys v. Smith, <1981> 1 All ER 111 <120>; Macarthys v. Smith, <1979> 3 All ER 325 <329>; House of Lords, Garland v. British Rail Engineering, <1982> 2 All ER 402 <415>) ausdrücklich niedergelegt ist, ob sie - wie in Deutschland - aufgrund einer systematischen, teleologischen und historischen Auslegung dem Zustimmungsgesetz entnommen oder ob die Nachrangigkeit des nationalen Rechts gegenüber dem Unionsrecht - wie in Italien - durch eine einzelfallbezogene Handhabung des nationalen Rechts erreicht wird (vgl. Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 170/1984, Granital, EuGRZ 1985, S. 98).

45

Es bedeutet daher keinen Widerspruch zur Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (Präambel, Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG), wenn das Bundesverfassungsgericht unter eng begrenzten Voraussetzungen die Maßnahme eines Organs oder einer Stelle der Europäischen Union für in Deutschland ausnahmsweise nicht anwendbar erklärt (vgl. BVerfGE 37, 271 <280 ff.>; 73, 339 <374 ff.>; 75, 223 <235, 242>; 89, 155 <174 f.>; 102, 147 <162 ff.>; 123, 267 <354, 401>).

46

Eine substantielle Gefahr für die einheitliche Anwendung des Unionsrechts ergibt sich daraus nicht. Zum einen wird gerade im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Grundsätze des Art. 1 GG eine Verletzung schon deshalb nur selten vorkommen, weil Art. 6 EUV, die Charta der Grundrechte und die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Regel einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union gewährleisten (vgl. nur EuGH, Urteil vom 9. November 2010, Schecke und Eifert, C-92/09 und C-93/09, Slg. 2010, I-11063, Rn. 43 ff.; Urteil vom 8. April 2014, Digital Rights Ireland und Seitlinger, C-293/12 und C-594/12, EU:C:2014:238, Rn. 23 ff.; Urteil vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google, C-131/12, EU:C:2014:317, Rn. 42 ff., 62 ff., 89 ff.; Urteil vom 6. Oktober 2015, Schrems, C-362/14, EU:C:2015:650, Rn. 91 ff.). Zum anderen sind die dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltenen Kontrollbefugnisse zurückhaltend und europarechtsfreundlich auszuüben (vgl. BVerfGE 126, 286 <303>). Soweit erforderlich, legt es seiner Prüfung dabei die Maßnahme in der Auslegung zugrunde, die ihr in einem Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV durch den Gerichtshof der Europäischen Union gegeben wurde. Das gilt nicht nur im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle, sondern auch vor der Feststellung der Unanwendbarkeit einer Maßnahme von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union in Deutschland wegen einer Berührung der durch Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 1 und 20 GG geschützten Verfassungsidentität (vgl. BVerfGE 123, 267 <353>; 126, 286 <304>; 134, 366 <385 Rn. 27>).

47

c) Die Vereinbarkeit der verfassungsgerichtlichen Identitätskontrolle mit dem Unionsrecht wird zusätzlich dadurch unterstrichen, dass sich, mit Modifikationen im Detail, auch im Verfassungsrecht zahlreicher anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union Vorkehrungen zum Schutz der Verfassungsidentität und der Grenzen der Übertragung von Souveränitätsrechten auf die Europäische Union finden (vgl. insoweit BVerfGE 134, 366 <387 Rn. 30>). Die weitaus überwiegende Zahl der Verfassungs- und Obergerichte der anderen Mitgliedstaaten teilt für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass der (Anwendungs-)Vorrang des Unionsrechts nicht unbegrenzt gilt, sondern dass ihm durch das nationale (Verfassungs-)Recht Grenzen gezogen werden (vgl. für das Königreich Dänemark: Højesteret, Urteil vom 6. April 1998 - I 361/1997 -, Abschn. 9.8; für die Republik Estland: Riigikohus, Urteil vom 12. Juli 2012 - 3-4-1-6-12 -, Abs.-Nr. 128, 223; für die Französische Republik: Conseil Constitutionnel, Entscheidung Nr. 2006-540 DC vom 27. Juli 2006, 19. Erwägungsgrund; Entscheidung Nr. 2011-631 DC vom 9. Juni 2011, 45. Erwägungsgrund; Conseil d'État, Urteil vom 8. Februar 2007, Nr. 287110 , Société Arcelor Atlantique et Lorraine, EuR 2008, S. 57 <60 f.>; für Irland: Supreme Court of Ireland, Crotty v. An Taoiseach, <1987>, I.R. 713 <783>; S.P.U.C. Ltd. v. Grogan, <1989>, I.R. 753 <765>; für die Italienische Republik: Corte Costituzionale, Entscheidung Nr. 98/1965, Acciaierie San Michele, EuR 1966, S. 146; Entscheidung Nr. 183/1973, Frontini, EuR 1974, S. 255; Entscheidung Nr. 170/1984, Granital, EuGRZ 1985, S. 98; Entscheidung Nr. 232/1989, Fragd; Entscheidung Nr. 168/1991; Entscheidung Nr. 117/1994, Zerini; für die Republik Lettland: Satversmes tiesa, Urteil vom 7. April 2009 - 2008-35-01 -, Abs.-Nr. 17; für die Republik Polen: Trybunal Konstytucyjny, Urteile vom 11. Mai 2005 - K 18/04 -, Rn. 4.1., 10.2.; vom 24. November 2010 - K 32/09 -, Rn. 2.1. ff.; vom 16. November 2011 - SK 45/09 -, Rn. 2.4., 2.5.; für das Königreich Spanien: Tribunal Constitucional, Erklärung vom 13. Dezember 2004, DTC 1/2004, Punkt 2 der Entscheidungsgründe, EuR 2005, S. 339 <343> und Entscheidung vom 13. Februar 2014, STC 26/2014, Punkt 3 der Entscheidungsgründe, HRLJ 2014, S. 475 <477 f.>; für die Tschechische Republik: Ústavni Soud, Urteil vom 8. März 2006, Pl. ÚS 50/04, Abschn. VI.B.; Urteil vom 3. Mai 2006, Pl. ÚS 66/04, Rn. 53; Urteil vom 26. November 2008, Pl. ÚS 19/08, Rn. 97, 113, 196; Urteil vom 3. November 2009, Pl. ÚS 29/09, Rn. 110 ff.; Urteil vom 31. Januar 2012, Pl. ÚS 5/12, Abschn. VII.; für das Vereinigte Königreich: High Court, Urteil vom 18. Februar 2002, Thoburn v. Sunderland City Council, <2002> EWHC 195 , Abs.-Nr. 69; UK Supreme Court, Urteil vom 22. Januar 2014, R v. The Secretary of State for Transport, <2014> UKSC 3, Abs.-Nr. 79, 207; Urteil vom 25. März 2015, Pham v. Secretary of State for the Home Department, <2015> UKSC 19, Abs.-Nr. 54, 58, 72 bis 92).

48

3. Zu den Schutzgütern der in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten Verfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch die supranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt sind, gehören die Grundsätze des Art. 1 GG, also die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), aber auch der in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 123, 267 <413>).

49

4. Die in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Schutzgüter dulden auch keine Relativierung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 113, 273 <295 ff.>; 123, 267 <344>; 126, 286 <302 f.>; 129, 78 <100>; 129, 124 <177 ff.>; 132, 195 <239 ff. Rn. 106 ff.>; 134, 366 <384 ff. Rn. 27 ff.>). Dies gilt insbesondere mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG. Die Menschenwürde stellt den höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung dar (vgl. BVerfGE 27, 1 <6>; 30, 173 <193>; 32, 98 <108>; 117, 71 <89>). Ihre Achtung und ihr Schutz gehören zu den Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 131, 268 <286>; stRspr), denen auch der in der Präambel und in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG zum Ausdruck kommende Integrationsauftrag und die Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 123, 267 <354>; 126, 286 <303>; 129, 124 <172>; 132, 287 <292 Rn. 11>) Rechnung tragen müssen. Vor diesem Hintergrund gewährleistet das Bundesverfassungsgericht im Wege der Identitätskontrolle den gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 und Art. 1 Abs. 1 GG unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz uneingeschränkt und im Einzelfall.

50

5. Die strengen Voraussetzungen für eine Aktivierung der Identitätskontrolle schlagen sich in erhöhten Zulässigkeitsanforderungen an entsprechende Verfassungsbeschwerden nieder. Es muss im Einzelnen substantiiert dargelegt werden, inwieweit im konkreten Fall die durch Artikel 1 GG geschützte Garantie der Menschenwürde verletzt ist.

II.

51

Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts überschreitet die durch Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 3 und Art. 79 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen. Der Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl betrifft das Schuldprinzip, das in der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelt und Teil der unverfügbaren Verfassungsidentität des Grundgesetzes ist (1.). Dies rechtfertigt und gebietet eine auf dieses Schutzgut beschränkte Prüfung der Entscheidung des Oberlandesgerichts am Maßstab des Grundgesetzes, obwohl diese unionsrechtlich determiniert ist (2.). Zwar genügen die der Entscheidung zugrunde liegenden Vorgaben des Unionsrechts und das zu dessen Umsetzung ergangene deutsche Recht den Anforderungen des Art. 1 Abs. 1 GG, da sie die notwendigen Rechte des Verfolgten bei Auslieferungen zur Vollstreckung von in Abwesenheit ergangenen Strafurteilen gewährleisten und eine angemessene Sachverhaltsaufklärung der mit der Auslieferung befassten Gerichte nicht nur zulassen, sondern fordern (3.). Ihre Anwendung durch das Oberlandesgericht verletzt das Schuldprinzip und damit den Beschwerdeführer jedoch in seinem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG, weil sie der Bedeutung und Tragweite der Menschenwürde bei der Auslegung der Bestimmungen des Rahmenbeschlusses und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen nicht hinreichend Rechnung trägt (4.).

52

1. Durch den Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl kann Art. 1 Abs. 1 GG verletzt werden, weil bei einer Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils eine strafrechtliche Reaktion auf ein sozialethisches Fehlverhalten durchgesetzt wird, die ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar wäre (a). Auch in dem unionsrechtlich determinierten Verfahren der Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls müssen daher die der Ermittlung des wahren Sachverhalts dienenden rechtsstaatlichen Mindestgarantien an Verfahrensrechten des Beschuldigten sichergestellt sein, die zur Verwirklichung des materiellen Schuldprinzips erforderlich sind (b).

53

a) Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz (BVerfGE 123, 267 <413>; 133, 168 <197 Rn. 53>). Dieser den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrschende Grundsatz ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert (vgl. BVerfGE 45, 187 <259 f.>; 86, 288 <313>; 95, 96 <140>; 120, 224 <253 f.>; 130, 1 <26>; 133, 168 <197 Rn. 53>). Mit seiner Grundlage in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG gehört der Schuldgrundsatz zu der wegen Art. 79 Abs. 3 GG unverfügbaren Verfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch die supranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt ist (vgl. BVerfGE 123, 267 <413>). Er muss daher auch bei einer Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils gewahrt werden.

54

aa) Der Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld" (nulla poena sine culpa) setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann. Dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 123, 267 <413>; 133, 168 <197 Rn. 54>). Deshalb bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG auf dem Gebiet der Strafrechtspflege die Auffassung vom Wesen der Strafe und dem Verhältnis von Schuld und Sühne (vgl. BVerfGE 95, 96 <140>) sowie den Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 80, 367 <378>; 90, 145 <173>; 123, 267 <413>; 133, 168 <197 f. Rn. 54>). Mit der Strafe wird dem Täter ein sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 110, 1 <13>; 133, 168 <198 Rn. 54>). Das damit verbundene Unwerturteil berührt den Betroffenen in seinem in der Menschenwürde wurzelnden Wert- und Achtungsanspruch (vgl. BVerfGE 96, 245 <249>; 101, 275 <287>). Eine solche staatliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 133, 168 <198 Rn. 54>).

55

bb) Der Schuldgrundsatz ist somit zugleich ein zwingendes Erfordernis des Rechtsstaatsprinzips. Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes (BVerfGE 20, 323 <331>; 133, 168 <198 Rn. 55>). Es sichert den Gebrauch der Freiheitsrechte, indem es Rechtssicherheit gewährt, die Staatsgewalt an das Gesetz bindet und Vertrauen schützt (BVerfGE 95, 96 <130>). Das Rechtsstaatsprinzip umfasst als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit (vgl. BVerfGE 7, 89 <92>; 7, 194 <196>; 45, 187 <246>; 74, 129 <152>; 122, 248 <272>) und schließt den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate ein (vgl. BVerfGE 84, 90 <121>). Für den Bereich des Strafrechts werden diese rechtsstaatlichen Anliegen in dem Grundsatz aufgenommen, dass keine Strafe ohne Schuld verwirkt wird (BVerfGE 95, 96 <130 f.>; 133, 168 <198 Rn. 55>). Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit müssen Straftatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 25, 269 <286>; 27, 18 <29>; 50, 205 <214 f.>; 120, 224 <241>; stRspr). Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 45, 187 <228>; 50, 5 <12>; 73, 206 <253>; 86, 288 <313>; 96, 245 <249>; 109, 133 <171>; 110, 1 <13>; 120, 224 <254>; 133, 168 <198 Rn. 55>). In diesem Sinne hat die Strafe die Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BVerfGE 45, 187 <253 f.>; 109, 133 <173>; 120, 224 <253 f.>; 133, 168 <198 Rn. 55>).

56

b) Die Verwirklichung des Schuldgrundsatzes ist gefährdet, wenn die Ermittlung des wahren Sachverhalts nicht sichergestellt ist (aa). Die Zumessung einer angemessenen Strafe, die zugleich einen sittlich-ethischen Vorwurf darstellt, setzt die Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Angeklagten und damit grundsätzlich dessen Anwesenheit voraus. Der Schuldgrundsatz macht daher Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten im Strafprozess erforderlich, durch die gewährleistet wird, dass der Beschuldigte Umstände vorbringen und prüfen lassen kann, die zu seiner Entlastung führen oder für die Strafzumessung relevant sein können (bb). Diese Garantien müssen auch bei der Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils gewahrt werden (cc).

57

aa) Die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt, ist zentrales Anliegen des Strafprozesses (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 118, 212 <231>; 122, 248 <270>; 130, 1 <26>; 133, 168 <199 Rn. 56>). Dessen Aufgabe ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf, zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen (vgl. BVerfGE 122, 248 <270>; 133, 168 <199 Rn. 56>). Dem Täter müssen Tat und Schuld prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden (vgl. BVerfGE 9, 167 <169>; 74, 358 <371>; 133, 168 <199 Rn. 56>). Bis zum Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (vgl. BVerfGE 35, 311 <320>; 74, 358 <371>; stRspr).

58

bb) Ziel und Aufgabe des Strafverfahrens ist es, die dem Täter und der Tat angemessene Strafe auszusprechen. Im deutschen Rechtskreis ist mit Strafe weit mehr als ein belastender Rechtseingriff oder ein Übel, das den Täter trifft, gemeint. Als Charakteristikum der Kriminalstrafe wird hier neben einem solchen Eingriff oder Übel mit dem Strafausspruch auch ein Tadel oder Vorwurf zum Ausdruck gebracht. Es handelt sich um einen sozial-ethischen Vorwurf oder um eine besondere sittliche Missbilligung. Mit Strafe im Sinne des Grundgesetzes ist also nicht nur der Vorwurf irgendeiner Rechtsverletzung gemeint, sondern die Verletzung eines Teils des Rechts, das eine tiefere, nämlich eine sozial-ethische Fundierung besitzt (vgl. BVerfGE 25, 269 <286>; 90, 145 <200 - abw. M.>; 95, 96 <140>; 96, 10 <25>; 96, 245 <249>; 109, 133 <167>; 109, 190 <217>; 120, 224 <240>; 123, 267 <408>; siehe im Vergleich hierzu die Bewertung von Geldbußen in BVerfGE 42, 261 <263>; aus der Literatur siehe nur Weigend, in: Leipziger Kommentar, Band 1, 12. Aufl. 2007, Einleitung Rn. 1; Radtke, in: MüKo, StGB, 2. Aufl. 2012, Vorbem. zu §§ 38 ff., Rn. 14; ders., GA 2011, S. 636 <646>; Roxin, Strafrecht AT, Band 1, 4. Aufl. 2006, § 3 Rn. 46, S. 89). Daraus folgt aber, dass eine Strafe, die die Persönlichkeit des Täters nicht umfassend berücksichtigt, keine der Würde des Angeklagten angemessene Strafe sein kann. Dies wiederum setzt grundsätzlich voraus, dass das Gericht in der öffentlichen Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten einen Einblick in seine Persönlichkeit, seine Beweggründe, seine Sicht der Tat, des Opfers und der Tatumstände erhält. Jedenfalls muss für den Angeklagten das Recht gewährleistet sein, insbesondere rechtfertigende, entschuldigende oder strafmildernde Umstände dem Gericht persönlich, im Gegenüber von Angeklagtem und Richter, darzulegen. Denn der Vorwurf eines sozial-ethischen Fehlverhaltens ist ein die Persönlichkeit des Verurteilten treffender Vorwurf (vgl. BVerfGE 96, 245 <249>; 101, 275 <287>), der ihn in seinem Wert- und Achtungsanspruch, der in der Menschenwürde wurzelt, berührt.

59

cc) Die durch den Schuldgrundsatz gebotenen Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten im Strafprozess sind auch bei der Entscheidung über die Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils zu beachten (1). Die deutschen Gerichte trifft insoweit eine "Gewährleistungsverantwortung" mit Blick auf den ersuchenden Staat (2).

60

(1) In ständiger Rechtsprechung geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass bei der Auslieferung zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 ff.>; BVerfGK 3, 27 <32>; 3, 314 <317>; 6, 13 <18>; 6, 334 <341 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. November 1986 - 2 BvR 1255/86 -, NJW 1987, S. 830 <830>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 1991 - 2 BvR 1704/90 -, NJW 1991, S. 1411 <1411>) beziehungsweise der unverzichtbare Bestand der deutschen öffentlichen Ordnung (BVerfGE 63, 332 <338>) zu beachten sind. Der Senat hat daher die Auslieferung zur Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen ausländischen Strafurteils für unzulässig erklärt, sofern der Verfolgte weder über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des betreffenden Verfahrens unterrichtet noch ihm eine tatsächlich wirksame Möglichkeit eröffnet war, sich nach Erlangung dieser Kenntnis nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und effektiv zu verteidigen (vgl. BVerfGE 63, 332 <338>; BVerfGK 3, 27 <32 f.>; 3, 314 <318>; 6, 13 <18>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 1991 - 2 BvR 1704/90 -, NJW 1991, S. 1411 <1411>).

61

Soll der Verfolgte im ersuchenden Staat nicht zum bloßen Objekt eines ihn betreffenden staatlichen Verfahrens gemacht werden, muss er die Möglichkeit haben, auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen sowie deren Nachprüfung und gegebenenfalls auch Berücksichtigung zu erreichen.

62

(2) Die zuständigen Auslieferungsgerichte tragen insoweit auch für die Behandlung des Verfolgten im ersuchenden Staat Verantwortung. Zwar endet die grundrechtliche Verantwortlichkeit der deutschen öffentlichen Gewalt grundsätzlich dort, wo ein Vorgang in seinem wesentlichen Verlauf von einem fremden souveränen Staat nach dessen eigenem, von der Bundesrepublik Deutschland unabhängigen Willen gestaltet wird (vgl. BVerfGE 66, 39 <56 ff., 63 f.>). Gleichwohl darf die deutsche Hoheitsgewalt die Hand nicht zu Verletzungen der Menschenwürde durch andere Staaten reichen (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 f.>; 60, 348 <355 ff.>; 63, 332 <337 f.>; 75, 1 <19>; 108, 129 <136 f.>; 113, 154 <162 f.>).

63

Das über die Auslieferung entscheidende Gericht trifft deshalb eine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts, die ebenfalls dem Schutz von Art. 1 Abs. 1 GG unterfällt (a). Dies gilt unbeschadet des den europäischen Auslieferungsverkehr beherrschenden Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens (b).

64

(a) Inhalt und Umfang der prozessualen Aufklärungspflicht im gerichtlichen Auslieferungsverfahren lassen sich nicht abstrakt-generell festlegen, sondern hängen von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab.

65

Zu dem von den deutschen Gerichten zu ermittelnden Sachverhalt gehört insbesondere die Behandlung, die der Verfolgte im ersuchenden Staat zu erwarten hat. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung haben sie grundsätzlich die ihnen möglichen Ermittlungen zur Aufklärung einer behaupteten Verletzung der verfassungsrechtlichen Grundsätze von Amts wegen durchzuführen; den Betroffenen trifft insoweit keine Beweislast (vgl. BVerfGE 8, 81 <84 f.>; 52, 391 <406 f.>; 63, 215 <225>; 64, 46 <59>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96 -, EuGRZ 1996, S. 324 <326>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Dezember 1996 - 2 BvR 2407/96 -, juris, Rn. 6; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. September 2000 - 2 BvR 1560/00 -, NJW 2001, S. 3111 <3112>).

66

Umfang und Ausmaß der Ermittlungen, zu deren Vornahme das Gericht im Hinblick auf die Einhaltung des Schuldprinzips verpflichtet ist, richten sich nach Art und Gewicht der vom Verfolgten vorgetragenen Anhaltspunkte für eine Unterschreitung des durch Art. 1 Abs. 1 GG gebotenen Mindeststandards. Als Beweismittel kommen dabei sämtliche Erkenntnismittel in Betracht, die nach den Grundsätzen der Logik, allgemeiner Erfahrung oder wissenschaftlicher Erkenntnis geeignet sind oder geeignet sein können, die Überzeugung des Gerichts vom Vorhandensein entscheidungserheblicher Tatsachen und von der Richtigkeit einer Beurteilung oder Wertung von Tatsachen zu begründen (vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 98 Rn. 3; Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 30 Rn. 22). Auch bietet sich eine Anfrage beim ersuchenden Staat an (vgl. § 30 Abs. 1, § 78 Abs. 1 IRG). Gegebenenfalls kann es erforderlich werden, ein Gutachten oder eine amtliche Auskunft einzuholen.

67

(b) Dies bedeutet nicht, dass die Grundlagen eines Auslieferungsersuchens von deutschen Gerichten stets umfassend nachvollzogen werden müssten. Gerade im europäischen Auslieferungsverkehr gilt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Dieses Vertrauen kann jedoch erschüttert werden. Die Grundsätze, die den Auslieferungsverkehr auf völkerrechtlicher Grundlage beherrschen (aa), sind auf Auslieferungen im Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl im hier in Rede stehenden Umfang übertragbar (bb).

68

(aa) Im Auslieferungsverkehr zwischen Deutschland und anderen Staaten ist dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Dieser Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens kann so lange Geltung beanspruchen, wie er nicht durch entgegenstehende Tatsachen erschüttert wird (vgl. BVerfGE 109, 13 <35 f.>; 109, 38 <61>). Ausnahmen sind nur in besonders gelagerten Fällen gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 60, 348 <355 f.>; 63, 197 <206>; 109, 13 <33>; 109, 38 <59>).

69

Der Verfolgte hat - wie auch im asylrechtlichen Verfahren - eine Darlegungslast, mit der er den an der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung beteiligten Stellen hinreichende Anhaltspunkte für ihre Ermittlungen geben muss (vgl. BVerfGK 6, 334 <342>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96 -, EuGRZ 1996, S. 324 <326>). Anlass zur Prüfung, ob die Auslieferung und die ihr zugrunde liegenden Akte mit dem vom Grundgesetz geforderten Mindeststandard an Grundrechtsschutz vereinbar sind, kann insbesondere bestehen, wenn ein ausländisches Strafurteil, zu dessen Vollstreckung ausgeliefert werden soll, in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 ff.>; 63, 332 <337>; BVerfGK 3, 27 <31 f.>; 6, 13 <17>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Januar 1991 - 2 BvR 1704/90 -, NJW 1991, S. 1411 <1411>).

70

Eine entsprechende, im Auslieferungsverfahren erteilte, völkerrechtlich verbindliche Zusicherung ist grundsätzlich geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird (vgl. BVerfGE 63, 215 <224>; 109, 38 <62>; BVerfGK 2, 165 <172 f.>; 3, 159 <165>; 6, 13 <19>; 6, 334 <343>; 13, 128 <136>; 13, 557 <561>; 14, 372 <377>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2008 - 2 BvR 2386/08 -, juris, Rn. 16).

71

Die von einem Verfolgten behauptete Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung steht einer Auslieferung nicht schon dann entgegen, wenn sie aufgrund eines bekanntgewordenen früheren Vorfalls nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Vielmehr müssen begründete Anhaltspunkte für die Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung vorliegen (vgl. BVerfGE 108, 129 <138>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Juni 1992 - 2 BvR 1901/91 -, juris, Rn. 4; vom 31. Mai 1994 - 2 BvR 1193/93 -, NJW 1994, S. 2883 <2884>; vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96 -, EuGRZ 1996, S. 324 <326>). Es müssen stichhaltige Gründe gegeben sein, nach denen gerade im konkreten Fall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass in dem ersuchenden Staat die völkerrechtlichen Mindeststandards nicht beachtet werden. Auf konkrete Anhaltspunkte kommt es in der Regel nur dann nicht an, wenn in dem ersuchenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht. Die Auslieferung in Staaten, die eine ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen aufweisen, wird regelmäßig die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der elementaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung begründen (vgl. BVerfGE 108, 129 <138 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Oktober 2007 - 2 BvR 1680/07 -, NVwZ 2008, S. 71 <72>).

72

(bb) Dies gilt, soweit es um die Gewährleistung des Schuldprinzips geht, auch für Auslieferungen, die auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl stattfinden.

73

Zwar ist einem Mitgliedstaat der Europäischen Union im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich besonderes Vertrauen entgegenzubringen. Die Europäische Union bekennt sich zur Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören (vgl. Art. 2 EUV). Ihre Mitgliedstaaten haben sich sämtlich der Europäischen Menschenrechtskonvention unterstellt. Soweit sie Unionsrecht durchführen, sind sie überdies an die Gewährleistungen der Charta der Grundrechte gebunden (vgl. Art. 51 Abs. 1 GRCh). Das Vertrauen in die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes umfasst namentlich die im Europäischen Haftbefehl getätigten Angaben des um Auslieferung ersuchenden Mitgliedstaats. Das für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zuständige Gericht ist daher grundsätzlich nicht verpflichtet, bestehende Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen oder positiv festzustellen, dass dem um Auslieferung ersuchenden Mitgliedstaat hinsichtlich der Wahrung des Schuldprinzips vertraut werden kann.

74

Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens wird jedoch dann erschüttert, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Falle einer Auslieferung die unverzichtbaren Anforderungen an den Schutz der Menschenwürde nicht eingehalten würden. Das über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheidende Gericht trifft insoweit die Pflicht, Ermittlungen hinsichtlich der Rechtslage und der Praxis im ersuchenden Mitgliedstaat vorzunehmen, wenn der Betroffene hinreichende Anhaltspunkte für solche Ermittlungen dargelegt hat. Anlass zur Prüfung, ob die Auslieferung mit der Verfassungsidentität des Grundgesetzes vereinbar ist, besteht nicht allein deswegen, weil das Strafurteil, zu dessen Vollstreckung ausgeliefert werden soll, in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist. Ein Mitgliedstaat, der um die Auslieferung zur Vollstreckung einer in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Entscheidung nach Art. 4a Abs. 1 RbEuHb ersucht, erklärt durch seine ordnungsgemäß getätigten Angaben im Formblatt, dass der Verfolgte entweder tatsächlich von der Verhandlung und davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch in seiner Abwesenheit ergehen kann (vgl. Art. 4a Abs. 1 Buchstabe a RbEuHb), dass der Verfolgte in Kenntnis der Verhandlung von einem Rechtsbeistand vertreten wurde (vgl. Art. 4a Abs. 1 Buchstabe b RbEuHb) oder dass der Verfolgte berechtigt ist, einen Rechtsbehelf gegen die Verurteilung einzulegen, bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann (vgl. Art. 4a Abs. 1 Buchstabe c und d RbEuHb).

75

Stellt sich nach Abschluss der Ermittlungen heraus, dass der vom Grundgesetz geforderte Mindeststandard vom ersuchenden Mitgliedstaat nicht eingehalten wird, darf das zuständige Gericht die Auslieferung nicht für zulässig erklären.

76

2. Die Absicherung des integrationsfesten Schuldprinzips rechtfertigt und gebietet eine auf diese verfahrensrechtlichen Mindestgarantien beschränkte Prüfung der Entscheidung des Oberlandesgerichts am Maßstab des Grundgesetzes, obwohl diese unionsrechtlich determiniert ist. Dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl kommt in der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich Anwendungsvorrang zu (a). Dieser enthält nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Bezug auf die Auslieferung bei Abwesenheitsurteilen eine abschließende Regelung (b). Das entbindet das Oberlandesgericht jedoch nicht von der Verpflichtung, auch bei einer Auslieferung auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls die Grundsätze des Art. 1 Abs. 1 GG in der Ausprägung des Schuldgrundsatzes sicherzustellen (c).

77

a) Am Anwendungsvorrang des Unionsrechts nehmen auch Rahmenbeschlüsse teil. In diesem Zusammenhang verlangt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von dem Rahmenbeschluss verfolgten Ziel in Einklang steht (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer, C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835, Rn. 115 f.; Urteil vom 5. September 2012, Lopes Da Silva Jorge, C-42/11, EU:C:2012:517, Rn. 56).

78

In der Sache hat der Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt, dass die nationalen Justizbehörden die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nur in den im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorgesehenen Fällen ablehnen können (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008, Leymann und Pustovarov, C-388/08 PPU, Slg. 2008, I-8993, Rn. 51; Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 36 m.w.N.). In der Rechtssache Melloni hat er betont, dass die Geltung des Rahmenbeschlusses nicht dadurch beeinträchtigt werden könne, dass ein Staat Vorschriften des nationalen Rechts, und hätten sie auch Verfassungsrang, gegen diesen ins Feld führt (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C-399/11, EU:C:2013:107, Rn. 59). Grenzen einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts hat er bislang nicht thematisiert, obwohl das spanische Tribunal Constitucional seine Vorlage damit begründet hatte, dass die Auslieferung zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen eine Verletzung des Wesensgehalts eines fairen Verfahrens im Sinne der spanischen Verfassung in einer Weise darstellen könne, die die Menschenwürde berühre (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 20; das spanische Tribunal Constitucional hat daraufhin allerdings betont, dass für den Fall, dass das Recht der Europäischen Union in seiner weiteren Entwicklung nicht mehr mit der spanischen Verfassung in Einklang zu bringen wäre, die Wahrung der Souveränität des spanischen Volkes und der Vorherrschaft, mit der sich die Verfassung versehen hat, in letzter Instanz verlangen könnten, die Probleme über die einschlägigen verfassungsrechtlichen Verfahren anzugehen, so Entscheidung vom 13. Februar 2014, STC 26/2014, Punkt 3 der Entscheidungsgründe, HRLJ 2014, S. 475 <478>).

79

b) Art. 4a RbEuHb regelt die Bedingungen, von denen Auslieferungen zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen abhängig gemacht werden können, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs abschließend.

80

Nach Art. 1 Abs. 2 RbEuHb vollstrecken die Mitgliedstaaten einen Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses. Sie sind grundsätzlich verpflichtet, einem Europäischen Haftbefehl Folge zu leisten, und dürfen seine Vollstreckung nur in den Fällen an Bedingungen knüpfen, die in den Art. 3 bis 5 des Rahmenbeschlusses aufgeführt sind (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008, Leymann und Pustovarov, C-388/08 PPU, Slg. 2008, I-8993, Rn. 51; Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 36 m.w.N.).

81

Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls darf - wie im 10. Erwägungsgrund der Präambel zum Rahmenbeschluss vorgesehen - nach Auffassung des Gerichtshofs daher nur ausgesetzt werden, wenn eine schwere und anhaltende Verletzung der in Art. 6 Abs. 1 EUV enthaltenen Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt und diese vom Rat gemäß Art. 7 Abs. 1 EUV mit den Folgen von Art. 7 Abs. 2 EUV festgestellt worden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 49). Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruhe auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf, dass die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in der Lage seien, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unionsebene und insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte zu bieten. Daher müssten Personen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl erlassen worden sei, etwaige Rechtsschutzmöglichkeiten im Ausstellungsmitgliedstaat nutzen, um die Rechtmäßigkeit des Verfahrens der Strafverfolgung, der Strafvollstreckung oder der Verhängung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung oder auch des strafrechtlichen Hauptverfahrens, das zur Verhängung dieser Strafe oder Maßregel geführt habe, in Frage zu stellen (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010, Aguirre Zarraga, C-491/10 PPU, Slg. 2010, I-14247, Rn. 70 f.).

82

In der Rechtssache Melloni hat der Gerichtshof speziell mit Blick auf Art. 4a RbEuHb entschieden, dass die Vollstreckung eines Haftbefehls nicht von der Bedingung abhängig gemacht werden dürfe, dass die in Abwesenheit ausgesprochene Verurteilung im Ausstellungsmitgliedstaat überprüft werden könne (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C-399/11, EU:C:2013:107, Rn. 46), wenn der Betroffene einer der vier in dieser Bestimmung aufgeführten Fallgestaltungen unterfalle (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 61). Überdies gestatte es auch Art. 53 GRCh den Mitgliedstaaten nicht, die Übergabe einer in Abwesenheit verurteilten Person von der Bedingung abhängig zu machen, dass die Verurteilung im Ausstellungsmitgliedstaat einer Überprüfung unterworfen werden könne (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 64).

83

c) Diese Vorgaben entbinden deutsche Behörden und Gerichte jedoch nicht von der Verpflichtung, auch bei einer Auslieferung zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls die Grundsätze des Art. 1 Abs. 1 GG sicherzustellen (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG). Sie sind vielmehr gehalten, beim Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen sicherzustellen, dass die von Art. 1 Abs. 1 GG geforderten Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten auch im ersuchenden Mitgliedstaat beachtet werden, oder - wo dies nicht möglich ist - von einer Auslieferung abzusehen. Insoweit wird der den europäischen Auslieferungsverkehr beherrschende Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens durch die Garantie der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG begrenzt. In diesem Umfang trifft das Gericht auch die beschriebene verfassungsrechtliche Ermittlungspflicht.

84

3. Einer unter Rückgriff auf Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG begründeten Begrenzung des dem Rahmenbeschluss zukommenden Anwendungsvorrangs bedarf es im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht, weil sowohl der Rahmenbeschluss selbst (a) als auch das diesen umsetzende Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (b) eine Auslegung gebieten, die den von Art. 1 Abs. 1 GG geforderten Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten bei einer Auslieferung Rechnung trägt. Insofern genügen die einschlägigen Vorgaben des Unionsrechts den durch das Grundgesetz zur Absicherung des integrationsfesten Schuldprinzips gebotenen Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten.

85

a) Die Pflicht, einem Europäischen Haftbefehl Folge zu leisten, ist schon unionsrechtlich begrenzt (vgl. Vogel, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Bd. I, Art. 82 AEUV Rn. 37 ; Gaede, NJW 2013, S. 1279 <1280>). Das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, das ausweislich des 10. Erwägungsgrundes der Präambel des Rahmenbeschlusses Grundlage für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls ist, kann erschüttert werden; erhebliche Grundrechtsverletzungen im Einzelfall sind selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen grundsätzlich in der Lage sind, einen dem Grundgesetz gleichwertigen und wirksamen Schutz der Grundrechte zu bieten. Einem Europäischen Haftbefehl ist auch nach unionsrechtlichen Maßstäben nicht Folge zu leisten, wenn er den Anforderungen des Rahmenbeschlusses nicht genügt (aa) oder die Auslieferung mit einer Verletzung der unionalen Grundrechte einherginge (bb). Auch aus der Sicht des Unionsrechts gilt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens insoweit nicht unbegrenzt (cc), so dass die Verweigerung der Auslieferung wegen eines Europäischen Haftbefehls zur Vollstreckung eines in Abwesenheit ergangenen Strafurteils unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann (dd).

86

aa) Nach Art. 4a Abs. 1 RbEuHb kann die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ausgestellten Europäischen Haftbefehls verweigern, wenn nicht bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

87

Art. 4a Abs. 1 Buchstabe a und b RbEuHb sieht eine Pflicht zur Auslieferung zwecks Vollstreckung von Entscheidungen vor, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht persönlich erschienen ist, wenn diese Person tatsächlich offiziell von der Verhandlung und davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch bei Abwesenheit ergehen kann, beziehungsweise diese Person in Kenntnis der Verhandlung von einem Rechtsbeistand vertreten wurde. Insofern handelt es sich um Fälle, in denen die Person auf ihr persönliches Anwesenheitsrecht aus freiem Willen und unmissverständlich verzichtet hat.

88

Art. 4a Abs. 1 Buchstabe c und d RbEuHb erfasst dagegen Konstellationen, in denen die betroffene Person berechtigt ist, einen Rechtsbehelf gegen die Verurteilung einzulegen, bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann. Dem Angeklagten wird es in diesen Fällen also ermöglicht, die ihm zur Last gelegten Vorwürfe durch ein Gericht auch in tatsächlicher Hinsicht überprüfen zu lassen. Das setzt voraus, dass auch das für ein eventuelles Rechtsbehelfsverfahren zuständige Gericht den Angeklagten anhört und prozessrechtlich dazu in der Lage ist, die ihm zur Last gelegten Vorwürfe nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht zu prüfen. Soweit Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d (i) RbEuHb ein Verfahren vorschreibt, bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und die ursprüngliche Entscheidung aufgehoben werden "kann", wird dem mit der Sache befassten Gericht damit kein Ermessen eingeräumt. Das in Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d (i) RbEuHb verwendete Verb "kann" dient vielmehr der Kennzeichnung der Befugnisse des Gerichts und bedeutet so viel wie "in der Lage ist". Treffender ist in der englischen Fassung von einem "retrial, or an appeal, in which the person has the right to participate and which allows the merits of the case, including fresh evidence, to be re-examined", die Rede oder in der französischen Fassung von einer "nouvelle procédure de jugement ou (…) une procédure d'appel, à laquelle l'intéressé a le droit de participer et qui permet de réexaminer l'affaire sur le fond, en tenant compte des nouveaux éléments de preuve".

89

Dieses Verständnis von Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d (i) RbEuHb entspricht auch dem Willen des europäischen Gesetzgebers. Die Regelung wurde durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 zur Änderung der Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist (ABl. Nr. L 81 vom 27. März 2009, S. 24 - "Rahmenbeschluss über Abwesenheitsurteile") in den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl eingefügt. Ziel des Rahmenbeschlusses war es gemäß dessen Art. 1 Abs. 1, die Verfahrensrechte von Personen, gegen die ein Strafverfahren anhängig ist, zu stärken, zugleich die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zu erleichtern und insbesondere die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern. Erwägungsgrund 11 des Rahmenbeschlusses über Abwesenheitsurteile lautet:

Die gemeinsamen Lösungen in Bezug auf die Gründe für die Nichtanerkennung in den einschlägigen geltenden Rahmenbeschlüssen sollten den unterschiedlichen Gegebenheiten in Bezug auf das Recht der betroffenen Person auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren Rechnung tragen. Eine solche Wiederaufnahme des Verfahrens oder Berufung bezweckt die Wahrung der Verteidigungsrechte und ist durch folgende Aspekte gekennzeichnet: Die betroffene Person hat das Recht, anwesend zu sein, der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, wird (erneut) geprüft und das Verfahren kann zur Aufhebung der ursprünglich ergangenen Entscheidung führen.

Die Formulierung "der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, wird (erneut) geprüft" zeigt, dass der Rat ersichtlich nicht von einem Ermessen des mit dem Berufungs- oder Wiederaufnahmeverfahren betrauten Richters, sondern davon ausging, dass die betroffene Person einen Anspruch darauf hat, dass die Beweismittel, die sie zu ihrer Entlastung vorbringt, erneut oder erstmals geprüft werden.

90

Teleologische Überlegungen erhärten diesen Befund. Könnte das Gericht von einer erneuten Prüfung des Sachverhalts gegen den Willen des in Abwesenheit Verurteilten absehen, könnte es eine erneute Prüfung der ihm zur Last gelegten Vorwürfe vereiteln. Der Verteidigung würde die Möglichkeit genommen, in einem Wiederaufnahmeverfahren die Zulassung neuer Beweise zu beantragen (vgl. EGMR, Jones v. Vereinigtes Königreich, Entscheidung vom 9. September 2003, Nr. 30900/02; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 85). Die prozessuale Möglichkeit, das Abwesenheitsurteil anzufechten, würde sich in diesem Fall als unwirksam erweisen (vgl. auch EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 30; Medenica v. Schweiz, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 55).

91

bb) Auch die Bindung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union an die Grundrechte (1), die Ausstrahlungswirkung der Grundrechtecharta auf das Sekundärrecht (2) sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofes für Menschenrechte, die für die Bestimmung der sachlichen Tragweite des Art. 4a Abs. 1 RbEuHb beachtlich ist, sprechen für die dargelegte Auslegung des Art. 4a Abs. 1 Buchstabe d (i) RbEuHb (3).

92

(1) Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dürfen - ungeachtet des Art. 7 EUV - einander nicht die Hand zu Menschenrechtsverletzungen reichen (Art. 6 Abs. 1 EUV; vgl. OLG München, Beschluss vom 15. Mai 2013 - OLG Ausl 31 Ausl A 442/13 <119/13> -, StV 2013, S. 710 <711>). Bei der Durchführung des Unionsrechts müssen sie die Unionsgrundrechte beachten (vgl. Art. 51 Abs. 1 GRCh; EuGH, Urteil vom 12. November 1969, Stauder, 29/69, Slg. 1969, S. 419, Rn. 7; Urteil vom 13. Juli 1989, Wachauf, 5/88, Slg. 1989, S. 2609, Rn. 19; Urteil vom 16. Juni 2005, Pupino, C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 58 f.). Diese sind daher auch für die Auslegung (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1983, Kommission/Rat, C-218/82, Slg. 1983, S. 4063, Rn. 15; Urteil vom 16. Juni 2005, Pupino, C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 58 ff.) und Rechtmäßigkeit (vgl. Art. 263, 267 Abs. 1 Buchstabe b AEUV; Art. 51 Abs. 1 GRCh; EuGH, Urteil vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld, C-303/05, Slg. 2007, I-3633, Rn. 45; Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C-399/11, EU:C:2013:107, Rn. 48 ff.) des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl maßgeblich.

93

In diesem Sinne heißt es in Art. 1 Abs. 3 RbEuHb ausdrücklich, dass der Rahmenbeschluss nicht die Pflicht berührt, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Art. 6 EUV niedergelegt sind, zu achten. Nach dem 12. Erwägungsgrund achtet der Rahmenbeschluss die Grundrechte und wahrt die in Art. 6 EUV anerkannten Grundsätze, die in der Grundrechtecharta, insbesondere in deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommen (Satz 1). Konsequenterweise darf keine Bestimmung des Rahmenbeschlusses in dem Sinne ausgelegt werden, dass eine Pflicht zur Übergabe einer Person besteht, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der genannte Haftbefehl zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache oder politischen Überzeugung oder sexuellen Ausrichtung erlassen wurde oder dass die Stellung dieser Person aus einem dieser Gründe beeinträchtigt werden kann (Satz 2). Gemäß dem 13. Erwägungsgrund soll zudem niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.

94

Vor diesem Hintergrund ist ein Europäischer Haftbefehl dann nicht zu vollstrecken, wenn dem die gegenüber dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorrangige Grundrechtecharta entgegensteht (vgl. Kommissionsdokumente KOM <2006> 8 endgültig vom 24. Januar 2006, S. 7 und KOM <2011> 175 endgültig vom 11. April 2011, S. 7; BTDrucks 15/1718, S. 14; BRDrucks 70/06, S. 31; Schlussanträge GA Bot zu EuGH, Wolzenburg, C-123/08, Slg. 2009, I-9621, Rn. 147 ff. und zu EuGH, Mantello, C-261/09, Slg. 2010, I-11477, Rn. 87 f.; GA Cruz Villalón zu EuGH, I.B., C-306/09, Slg. 2010, I-10341, Rn. 43 f.; GA Mengozzi zu EuGH, Lopes da Silva Jorge, C-42/11, EU:C:2012:151, Rn. 28; GA Sharpston zu EuGH, Radu, C-396/11, EU:C:2012:648, Rn. 69 ff.).

95

Das wird durch die Entstehungsgeschichte des Rahmenbeschlusses bestätigt. Zwar konnte sich der Vorschlag, als weiteren Ablehnungsgrund vorzusehen, dass das Auslieferungsersuchen mit den Grundprinzipien des Vollstreckungsstaats oder der öffentlichen Ordnung unvereinbar ist, nicht durchsetzen. Dieser Vorschlag fand allerdings nur deshalb keinen Niederschlag im Text des Rahmenbeschlusses, weil sowohl in Art. 1 Abs. 3 RbEuHb als auch in den Erwägungsgründen 10, 12, 13 und 14 darauf verwiesen wird, dass für die strikte Wahrung der Grundrechte und individuellen Freiheiten, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet sind und sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben (Art. 6 Abs. 2 EUV), Sorge zu tragen ist (vgl. RatsDok 14867/01 vom 4. Dezember 2001, S. 3).

96

(2) Die Grundrechtecharta verlangt im Hinblick auf Auslieferungen zur Vollstreckung von Abwesenheitsverurteilungen, dass auch das für ein eventuelles Rechtsbehelfsverfahren zuständige Gericht den Angeklagten hört und prozessrechtlich in der Lage ist, die diesem zur Last gelegten Vorwürfe nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht zu prüfen.

97

Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Mai 1986, Johnston, C-222/84, Slg. 1986, S. 1651, Rn. 19; Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl EU Nr. C 303 vom 14. Dezember 2007, S. 17 <29>). Dazu gehört - als Teilgewährleistung - auch der Anspruch auf rechtliches Gehör in einem gerichtlichen Verfahren nach Art. 47 GRCh (vgl. Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, nach Art. 6 EUV Rn. 369 ). Dieser Anspruch gewährleistet, dass der Richter erst nach der Anhörung der Parteien und der Würdigung der Beweismittel über den Antrag entscheidet und seine Entscheidung begründet (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 1998, Schröder und Thamann/Kommission, C-221/97 P, Slg. 1998, I-8255, Rn. 24).

98

(3) Nach Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GRCh haben die Rechte der Grundrechtecharta, soweit sie den durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der Konvention verliehen wird. Das Recht der Union kann zwar einen weitergehenden Schutz gewähren (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 2 GRCh); das Schutzniveau nach der Grundrechtecharta darf jedoch nicht unter jenes der Konvention sinken. Nach den Erläuterungen zur Grundrechtecharta entspricht Art. 47 Abs. 2 GRCh dem Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 48 GRCh dem Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK (vgl. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl EU Nr. C 303 vom 14. Dezember 2007, S. 17 <30>). Vor diesem Hintergrund stellen die Garantien des Art. 6 EMRK in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Mindestgarantien auch für den Rahmenbeschluss auf, hinter die dieser nicht zurückfallen darf.

99

Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention ist eine Auslieferung unzulässig, wenn begründete Tatsachen ("substantial grounds") für die Annahme vorliegen, dass die betreffende Person im Falle ihrer Auslieferung einem realen Risiko ("real risk") der Folter, einer unmenschlichen oder herabwürdigenden Behandlung ausgesetzt wird (vgl. EGMR , Soering vs. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 7. Juli 1989, Nr. 14038/88, § 91) oder eine eklatante Verweigerung eines fairen Verfahrens droht ("risks suffering a flagrant denial of a fair trial"; vgl. EGMR , Soering vs. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 7. Juli 1989, Nr. 14038/88, § 113).

100

Insoweit verpflichtet Art. 6 EMRK jedes nationale Gericht zur Prüfung, ob der Verfolgte Kenntnis vom Verfahren erlangt hat (vgl. EGMR, Somogyi v. Italien, Urteil vom 18. Mai 2004, Nr. 67972/01, § 72). Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährt zudem einen Anspruch auf rechtliches Gehör und in der Sache ein Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren. Jede Partei muss grundsätzlich die Möglichkeit haben, Beweise anzubieten, und sich zu allen erbrachten Beweisen oder Vorbringen äußern können, die darauf gerichtet sind, die Entscheidung des Gerichts zu beeinflussen (vgl. EGMR, Mantovanelli v. Frankreich, Urteil vom 18. März 1997, Nr. 21497/93, § 33). Das Gericht hat die Pflicht, die Ausführungen und Beweisangebote der Parteien ernsthaft zu prüfen (vgl. EGMR, Van de Hurk v. Niederlande, Urteil vom 19. April 1994, Nr. 16034/90, § 59). In einem Strafverfahren bedeutet dies, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung die Möglichkeit haben müssen, zu Vortrag und Beweismitteln der anderen Seite Stellung zu nehmen (vgl. EGMR, Lietzow v. Deutschland, Urteil vom 13. Februar 2001, Nr. 24479/94, § 44).

101

Für ein faires Strafverfahren ist es von zentraler Bedeutung, dass der Angeklagte persönlich am Verfahren teilnimmt (vgl. EGMR, Poitrimol v. Frankreich, Urteil vom 23. November 1993, Nr. 14032/88, § 35). Das dient nicht nur allgemein seinem Anspruch auf rechtliches Gehör, sondern gibt dem Gericht auch die Möglichkeit, die Stichhaltigkeit seiner Aussagen zu prüfen und sie mit denen des Opfers und der Zeugen zu vergleichen (vgl. EGMR, a.a.O., § 35). Auch wenn dies nicht ausdrücklich in Art. 6 Abs. 1 EMRK angeführt wird, so folgt doch aus Sinn und Zweck dieses Rechts, dass eine Person, die einer Straftat angeklagt ist, das Recht hat, an der Verhandlung teilzunehmen (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 27). Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten können allerdings mit der Konvention vereinbar sein, wenn dieser auf sein Anwesenheits- und Verteidigungsrecht verzichtet hat oder ein Gericht die ihm zur Last gelegten Vorwürfe erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüft, nachdem es den Angeklagten gehört hat (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 29 f.; Medenica v. Schweiz, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 55).

102

Die Anwesenheit der Strafverteidigung - sei es im Ausgangsverfahren oder bei nochmaliger Prüfung - gehört zu den wesentlichen Anforderungen von Art. 6 EMRK. Ist es der Verteidigung in einem Wiederaufnahmeverfahren gestattet, an der Verhandlung vor dem (Berufungs-)Gericht teilzunehmen und die Zulassung neuer Beweise zu beantragen, ist eine neue Bewertung des Schuldvorwurfs in faktischer und rechtlicher Hinsicht möglich. Das Verfahren kann dann in seiner Gesamtheit als fair angesehen werden (vgl. EGMR, Jones v. Vereinigtes Königreich, Entscheidung vom 9. September 2003, Nr. 30900/02; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 85). Umgekehrt führt die Weigerung des Gerichts, das Verfahren wiederzueröffnen, im Falle einer Abwesenheitsverurteilung - von den erwähnten Ausnahmen abgesehen - regelmäßig zu einem Verstoß gegen Art. 6 EMRK und die ihm zugrunde gelegten Prinzipien (vgl. EGMR, Stoichkov v. Bulgarien, Urteil vom 24. März 2005, Nr. 9808/02, § 56).

103

Ein Rechtsmittel muss in dieser Hinsicht effektiv sein. Deshalb darf dem Angeklagten nicht der Nachweis dafür obliegen, dass er sich einer Verurteilung nicht entziehen wollte oder seine Abwesenheit auf höhere Gewalt zurückgeht (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 30). Den nationalen Behörden bleibt es allerdings unbenommen zu prüfen, ob der Angeklagte gute Gründe für seine Abwesenheit hatte oder ob sich in seiner Prozessakte etwas findet, das eine unverschuldete Abwesenheit stützt (vgl. EGMR, Medenica v. Schweiz, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 57; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 88).

104

Verzichtet eine Person aus freiem Willen ausdrücklich oder konkludent auf die Garantie eines fairen Verfahrens, stehen dem weder Wortlaut noch Geist von Art. 6 EMRK entgegen (vgl. EGMR, Kwiatkowska v. Italien, Entscheidung vom 30. November 2000, Nr. 52868/99; Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 86). Der Verzicht muss allerdings unmissverständlich ausgedrückt werden und gewissen Mindestanforderungen genügen (vgl. EGMR, Jones v. Vereinigtes Königreich, Entscheidung vom 9. September 2003, Nr. 30900/02). Dass ein Angeklagter, der nicht persönlich informiert wurde, auf mangelhafter faktischer Grundlage als flüchtig ("latitante") eingestuft wird, rechtfertigt jedenfalls nicht die Annahme eines freiwilligen Verzichts auf Anwesenheits- und Verteidigungsrechte (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 28; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 87).

105

cc) Dass der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens auch nach Unionsrecht nicht schrankenlos ist, bedeutet zugleich, dass die nationalen Justizbehörden bei entsprechenden Anhaltspunkten unionsrechtlich berechtigt und verpflichtet sind, die Einhaltung der rechtsstaatlichen Anforderungen zu prüfen, selbst wenn der Europäische Haftbefehl in formaler Hinsicht den Voraussetzungen des Rahmenbeschlusses entspricht (vgl. Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Vor § 78 Rn. 26, 35 ). Das Unionsrecht steht daher Ermittlungen hinsichtlich der Wahrung der in der Grundrechtecharta garantierten rechtsstaatlichen Anforderungen durch die nationalen Justizbehörden nicht nur nicht im Wege, es verlangt sie. Zu Recht entfällt nach Ansicht der Europäischen Kommission die Pflicht zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, wenn die vollstreckende Justizbehörde unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls davon überzeugt ist, dass die Übergabe zu einem Verstoß gegen die Grundrechte des Betroffenen führen würde (vgl. Kommissionsdokument KOM <2011> 175 endgültig vom 11. April 2011, S. 7). Entstehende Verzögerungen im Auslieferungsverkehr sind hinzunehmen, auch wenn dies dem Ziel des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl zuwiderläuft, die Auslieferung zu beschleunigen (vgl. Erwägungsgrund 1 und 5 Präambel RbEuHb). Dementsprechend sieht der Rahmenbeschluss auch keine starren Fristen für die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls vor (vgl. Art. 17 Abs. 2<"sollte">, Abs. 3 <"sollte">, Abs. 4 <"Sonderfällen">, Abs. 7 <"bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände"> RbEuHb).

106

Ausweislich des 12. Erwägungsgrunds belässt der Rahmenbeschluss den Mitgliedstaaten unter anderem die Freiheit zur Anwendung ihrer verfassungsmäßigen Regelungen über ein ordnungsgemäßes und faires Gerichtsverfahren (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 53). Außerdem müssen Entscheidungen zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls einer ausreichenden Kontrolle durch die Gerichte der Mitgliedstaaten unterliegen (8. Erwägungsgrund; vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013, F., C-168/13 PPU, EU:C:2013:358, Rn. 46). Eine effektive gerichtliche Kontrolle im Sinne der Art. 47, 52 Abs. 3 GRCh, Art. 6, 13 EMRK setzt jedoch auch aus der Sicht des Unionsrechts voraus, dass das zuständige Gericht in der Lage ist, entsprechende Ermittlungen anzustellen, solange nur die praktische Wirksamkeit des durch den Rahmenbeschluss errichteten Auslieferungssystems nicht in Frage gestellt wird (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 53; zum parallelen Problem im Asylrecht: EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S., C-411/10 und C-493/10, Slg. 2011, I-13905, Rn. 94).

107

dd) Damit bleiben die unionsrechtlichen Anforderungen an die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nicht hinter denjenigen zurück, die das Grundgesetz als von Art. 1 Abs. 1 GG gebotene Mindestgarantien von Beschuldigtenrechten enthält. Ob und inwieweit zur Auslegung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl auf Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV zurückzugreifen ist, wonach die Europäische Union die jeweilige nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten achtet, und der Rahmenbeschluss daher unter Berücksichtigung der mitgliedstaatlichen Rechtslage auszulegen ist (vgl. v. Bogdandy/Schill, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Bd. I, Art. 4 EUV Rn. 13 ), kann deshalb offen bleiben.

108

b) Auch das den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl umsetzende Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen begegnet im Hinblick auf den Schuldgrundsatz und seine in der Garantie der Menschenwürde verankerten Gewährleistungsinhalte insoweit keinen Bedenken. § 73 Satz 2 IRG sieht vor, dass bei Ersuchen nach dem Achten Teil ("Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union") die Leistung von Rechtshilfe unzulässig ist, wenn die Erledigung zu den in Art. 6 EUV enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde. Wie immer diese Verweisung im Einzelnen zu verstehen sein mag, hindert sie Behörden und Gerichte jedenfalls nicht daran, bei der Auslegung der §§ 78 ff. IRG den norminternen Direktiven des Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen (vgl. allgemein BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; 115, 320 <367>; stRspr).

109

4. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts wird diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang gerecht. Zwar hat es zutreffend gesehen, dass die Auslieferung des Beschwerdeführers nur zulässig ist, wenn ihm nach seiner Überstellung ein effektiver Rechtsbehelf zur Verfügung steht. Es hat jedoch den Umfang der ihm obliegenden Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts und damit Bedeutung und Tragweite von Art. 1 Abs. 1 GG (a) verkannt. Der Beschwerdeführer hat substantiiert dargelegt, dass ihm das italienische Prozessrecht nicht die Möglichkeit eröffne, eine erneute Beweisaufnahme im Berufungsverfahren zu erwirken. Dem ist das Oberlandesgericht nicht in ausreichendem Maße nachgegangen. Es hat sich damit zufrieden gegeben, dass eine erneute Beweisaufnahme in Italien "jedenfalls nicht ausgeschlossen sei". Dies verletzt die Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 1 Abs. 1 GG (b).

110

a) Beim Vollzug des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen müssen die Gerichte im Einzelfall sicherstellen, dass die Rechte des Verfolgten zumindest insoweit gewahrt werden, als sie am Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG teilhaben. Mit Blick auf den in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Schuldgrundsatz gehört dazu, dass dem Verfolgten, der in Abwesenheit verurteilt wurde und nicht über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des betreffenden Verfahrens unterrichtet war, zumindest die tatsächliche Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Kenntniserlangung wirksam zu verteidigen, insbesondere Umstände vorzubringen und prüfen zu lassen, die zu seiner Entlastung führen können. Das über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheidende Gericht trifft eine Pflicht, Ermittlungen hinsichtlich der Rechtslage und Praxis im ersuchenden Staat vorzunehmen, wenn der Verfolgte hinreichende Anhaltspunkte für entsprechende Ermittlungen dargelegt hat. Inhalt und Umfang dieser Aufklärungspflicht bemessen sich nach den vom Verfolgten vorgebrachten Anhaltspunkten für eine Unterschreitung des durch die Menschenwürde garantierten Mindeststandards. Stellt sich nach Abschluss der Ermittlungen heraus, dass dieser Mindeststandard vom ersuchenden Mitgliedstaat nicht eingehalten wird, darf das zuständige Gericht die Auslieferung nicht für zulässig erklären.

111

b) Zwar ist der Italienischen Republik - wie allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union - auch im Auslieferungsverkehr grundsätzlich Vertrauen im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes entgegenzubringen. Im vorliegenden Fall haben sich jedoch Fragen ergeben, die eine weitere Aufklärung des Sachverhalts erforderlich gemacht hätten.

112

Die Generalstaatsanwaltschaft Florenz hat mit dem Europäischen Haftbefehl erklärt, dass dem Beschwerdeführer die Entscheidung, mit der die Freiheitsstrafe gegen ihn verhängt worden ist, nicht persönlich zugestellt worden sei, er diese aber unverzüglich nach der Übergabe erhalten werde. Der Beschwerdeführer habe zudem ein Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren, an dem er teilnehmen könne und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden könne. Sie hat damit konkludent erklärt, dass es dem Beschwerdeführer ermöglicht werde, die ihm zur Last gelegten Vorwürfe nach Anhörung durch ein Gericht in faktischer und rechtlicher Hinsicht überprüfen zu lassen. Darüber hinaus hat die Generalstaatsanwaltschaft Florenz mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 erklärt, dass der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Rechtsmittelfrist innerhalb von dreißig Tagen beantragen und sich ohne Vorbehalt verteidigen könne.

113

Das allein genügte im vorliegenden Fall jedoch nicht, um den von Art. 1 Abs. 1 GG gebotenen Mindeststandard an Beschuldigtenrechten und damit die Subjektstellung des Beschwerdeführers in dem in Italien durchzuführenden Strafprozess sicherzustellen. Denn der Beschwerdeführer hat begründete Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass ihm trotz der Zusicherung der Generalstaatsanwaltschaft Florenz keine tatsächlich wirksame Möglichkeit eröffnet sei, sich zu verteidigen, insbesondere Umstände vorzubringen und prüfen zu lassen, die zu seiner Entlastung führen können (aa). Die Begründung des Oberlandesgerichts, es reiche aus, dass im Berufungsverfahren eine erneute Beweisaufnahme "jedenfalls nicht ausgeschlossen" sei, ist nicht geeignet, die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Bedenken auszuräumen (bb). Auch mit Blick auf weitere Umstände hätte für das Oberlandesgericht Anlass bestanden, die Wahrung des dem Beschwerdeführer zustehenden Mindestbestands an prozessualen Verteidigungsmöglichkeiten eingehender zu prüfen (cc).

114

aa) Der Beschwerdeführer hat gegenüber dem Oberlandesgericht mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2014 erklärt, dass er in Abwesenheit und ohne seine Kenntnis verurteilt worden sei, ohne auf sein Anwesenheitsrecht aus freiem Willen und unmissverständlich verzichtet zu haben. Dabei hat er plausibel dargelegt, dass er mit der ihm nach italienischem Recht eröffneten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur erreichen könne, in die Rechtsmittelfrist für eine Berufung eingesetzt zu werden. Auch hat er unter Hinweis auf Fundstellen zum italienischen Strafprozessrecht in der deutschsprachigen Literatur vorgetragen, dass die nach italienischem Recht mögliche verspätete Berufung den Anforderungen an eine nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs wegen der beschränkten Prüfungskompetenz des Rechtsmittelgerichts nicht genüge, weil in der Berufungshauptverhandlung im Regelfall keine erneute Beweisaufnahme stattfinde. Um dies zu belegen, hat er dem Oberlandesgericht den Inhalt von Art. 603 CPP in der Fassung des Gesetzes vom 28. April 2014 wie auch nach der Gesetzeslage vor Inkrafttreten dieses Gesetzes in italienischer und deutscher Sprache mitgeteilt.

115

Aus dem Wortlaut des Art. 603 CPP scheint zu folgen, dass im Berufungsverfahren grundsätzlich keine Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung stattfindet. Nach dessen Absatz 3 wird die erneute Durchführung des Beweisverfahrens von Amts wegen nur angeordnet, wenn sie das Gericht für unbedingt erforderlich hält. Beantragt eine Partei die Erhebung von Beweisen, verfügt das Gericht die Beweisaufnahme, wenn es nicht in der Lage ist, aufgrund der Aktenlage zu entscheiden (Abs. 1), oder die neuen Beweise erst nach dem Verfahren erster Instanz entstanden sind oder entdeckt wurden (Abs. 2). Nach Art. 603 Abs. 4 CPP a.F. (1988), der nach Angaben des Beschwerdeführers erst durch Gesetz vom 28. April 2014 abgeschafft worden ist, verfügt der Richter die Erneuerung des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung nur dann, wenn der in der ersten Instanz abwesende Beschuldigte dies beantragt und nachweist, dass er nicht in der Lage war, vor Gericht zu erscheinen, und zwar aufgrund von Ereignissen zufälligen Charakters oder höherer Gewalt oder weil er keine Kenntnis von der Ladungsschrift erhalten hat, sofern dies nicht durch seine Schuld geschehen ist, oder er sich nicht aus freiem Willen der Kenntnisnahme des Verfahrens entzogen hat. Der Beschwerdeführer hat plausibel dargelegt, dass Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 auf ihn Anwendung finden könnte. Zur Begründung hat er auch auf eine Entscheidung ("Sentenza") der italienischen Corte di Cassazione vom 17. Juli 2014 verwiesen, wonach für Rechtsmittel gegen Verurteilungen in Abwesenheit, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 28. April 2014 ergangen seien, die alte Rechtslage gelte. Diese Entscheidung hat er dem Oberlandesgericht im Wortlaut mitgeteilt. Dass im vorliegenden Fall tatsächlich die alte Rechtslage gelten könnte, erscheint auch deshalb nicht fernliegend, weil die Generalstaatsanwaltschaft Florenz in ihrem Schreiben vom 7. Oktober 2014 den Wortlaut des Art. 175 CPP in der vor der Strafprozessreform des Jahres 2014 geltenden Fassung übersandt hat. Auch hierauf hat der Beschwerdeführer das Oberlandesgericht hingewiesen.

116

Das Vorbringen des Beschwerdeführers lässt daher befürchten, dass ihm die Möglichkeit, eine erneute Beweisaufnahme im Berufungsverfahren zu erwirken, nach italienischem Recht nicht sicher eröffnet ist. Findet Art. 603 Abs. 4 CPP 1988 Anwendung, müsste er den negativen Beweis erbringen, dass er wegen Zufalls, wegen höherer Gewalt oder deswegen, weil er keine Kenntnis von der Ladungsschrift erhalten hat, nicht in der Lage war, vor Gericht zu erscheinen, vorausgesetzt, dass dies nicht durch seine Schuld geschehen ist oder - wenn die Ladungsschrift vom Gericht erster Instanz mittels Übergabe an den Verteidiger zugestellt wurde - er sich nicht aus freiem Willen der Kenntnisnahme des Verfahrens entzogen hat. Diese Formel entspricht jener des Art. 175 CPP in der bis 2005 geltenden Fassung. Hiernach konnte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung eines Rechtsmittels vom Angeklagten beantragt werden, wenn dieser nachwies, dass er von der Verfügung tatsächlich keine Kenntnis erlangt hatte, sofern der Umstand nicht auf eigenes Verschulden zurückzuführen war, oder er sich nicht bewusst der Kenntnisnahme der Verfahrenshandlungen entzogen hatte, wenn das Säumnisurteil durch Aushändigung an den Verteidiger zugestellt worden war (vgl. Italienische Strafprozeßordnung, Zweisprachige Ausgabe, Bauer/König/Kreuzer/Riz/Zanon, 1991). Da ein Beweis von Negativtatsachen kaum zu führen ist, wurde die alte Fassung des Art. 175 CPP von den Oberlandesgerichten (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 19. Dezember 1991 - Ausl A 413/91 -, StV 1993, S. 207; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. Juli 1997 - Ausl. 9/97 -, StV 1997, S. 648 <649>; ThürOLG, Beschluss vom 2. Februar 1998 - Ausl 2/97 -, StV 1999, S. 265 <267 f.>; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. August 1998 - 4 Ausl (A) 201/98 - 259 - 250/98 III -, StV 1999, S. 270 <272>; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. August 1998 - 1 AK 14/98 -, StV 1999, S. 268 <270>; OLG Köln, Beschluss vom 15. Januar 2003 - Ausl 913/01 -, juris, Rn. 38; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. September 2004 - 1 AK 0/04 -, juris, Rn. 10; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. September 2004 - 1 AK 6/04 -, StV 2004, S. 547 <548>), vom Bundesgerichtshof (vgl. BGHSt 47, 120 <126>) sowie von der Ersten Sektion und der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit Blick auf die hier in Rede stehenden Schutzgüter beanstandet (vgl. EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 10. November 2004, Nr. 56581/00, § 40; EGMR , Sejdovic v. Italien, Urteil vom 1. März 2006, Nr. 56581/00, § 103 ff.). Schon 1985 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Sache Colozza v. Italien die Wirksamkeit des Rechtsmittels der "scheinbar verspäteten Berufung" nach italienischem Recht gerügt, weil das Berufungsgericht unter tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten nur entscheiden durfte, wenn die betreffende Person beweisen konnte, dass sie sich der Justiz nicht habe entziehen wollen (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 31).

117

Selbst wenn Art. 603 CPP in seiner durch Gesetz vom 28. April 2014 geänderten Fassung Anwendung finden sollte, ist denkbar, dass dem Beschwerdeführer keine wirksame Möglichkeit eröffnet wird, sich zu verteidigen. Nach Art. 603 CPP findet eine Beweisaufnahme nämlich nur statt, wenn die Beweise erst nach dem Urteil erster Instanz entstanden oder entdeckt worden sind (Abs. 2), wenn der Richter nicht in der Lage ist, nach dem Stand der Akten zu entscheiden (Abs. 1) oder wenn er die Durchführung einer Beweisaufnahme für unbedingt erforderlich hält (Abs. 3). Der Wortlaut von Art. 603 CPP in der der Entscheidung des Oberlandesgerichts zugrunde gelegten Version legt nahe, dass dem Berufungsgericht ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung über eine erneute Beweisaufnahme zukommt. Eine Pflicht des Berufungsgerichts, auf Antrag des Verfolgten überhaupt Beweis zu erheben, ergibt sich daraus nicht. Jedenfalls ist mit Blick auf den wenig bestimmten Wortlaut des Art. 603 Abs. 1 bis 3 CPP unklar, ob der Pflicht zur Ermittlung der Wahrheit im Strafverfahren hinreichend Rechnung getragen wird.

118

Die vom Beschwerdeführer mit Blick auf das italienische Berufungsverfahren vorgetragenen Bedenken werden dadurch verstärkt, dass in der Vergangenheit mehrere Oberlandesgerichte die Auslieferung nach Italien aufgrund einer Abwesenheitsverurteilung mit der Begründung abgelehnt haben, dass nach italienischem Recht in der Berufungsinstanz eine erneute umfassende gerichtliche Überprüfung der Sachentscheidung nicht stattfinde (vgl. OLG Frankfurt, 2 Ausl. 54/82, 2. September 1983, Nr. U 75, in: Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung 1949-1992, 2. Aufl. 1993, S. 285 <288 f.>; OLG München, OLG Ausl. 77/85, 26. Juni 1985, Nr. U 112, in: Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung 1949-1992, 2. Aufl. 1993, S. 412 <416>; KG Berlin, (4) Ausl. A. 277/85 (143/85), 24. März 1986, Nr. U 123, in: Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung 1949-1992, 2. Aufl. 1993, S. 435 <438>; SchlHOLG, Beschluss vom 14. Januar 1994 - 1 Ausl 8/93 -, StV 1996, S. 102 <103>). Die damit verbundenen Bedenken werden auch in der Literatur geteilt (vgl. Schomburg/Hackner und Lagodny, jeweils in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 15 IRG Rn. 33e bzw. § 73 IRG Rn. 86).

119

bb) Den substantiierten und plausiblen Einwänden des Beschwerdeführers hätte das Oberlandesgericht nachgehen müssen. Seine Ermittlungen stellen sich als unzureichend dar.

120

Das Oberlandesgericht versucht, die Bedenken des Beschwerdeführers mit dem Argument auszuräumen, es genüge, wenn im italienischen Berufungsverfahren in der Sache eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung der Abwesenheitsverurteilung stattfinde, im Rahmen derer eine erneute Beweisaufnahme "jedenfalls nicht ausgeschlossen" sei. Damit ist jedoch nicht sichergestellt, dass dem Beschwerdeführer tatsächlich eine Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Erlangung der Kenntnis von der Abwesenheitsverurteilung wirksam zu verteidigen, insbesondere entlastende Umstände vorzutragen und deren umfassende und erschöpfende Nachprüfung und gegebenenfalls Berücksichtigung zu erreichen.

121

Der Einwand, dass es sich, selbst wenn im italienischen Berufungsverfahren im Regelfall keine erneute Beweisaufnahme stattfinde, doch um ein Rechtsmittel handele, mit dem sowohl die Tat- als auch die Rechtsfrage der erneuten Prüfung unterworfen würden, vermag ebenso wenig zu überzeugen. Wie eine umfassende Überprüfung der Tatfrage ohne Beweisaufnahme erfolgen soll, erschließt sich nicht. Darüber hinaus stützt sich das Oberlandesgericht für seine Ansicht lediglich auf eine einzige Quelle (Maiwald, Einführung in das italienische Strafrecht und Strafprozessrecht, 2009, S. 237). Eine genaue Darstellung des strafrechtlichen Berufungsverfahrens nach italienischem Recht lässt sich dieser Fundstelle nicht entnehmen. Vielmehr wird auch hier darauf hingewiesen, dass das Verfahren in zweiter Instanz grundsätzlich ein Aktenverfahren sei und keine erneute Beweisaufnahme stattfinde. Wie sich dieser Umstand mit einer erneuten Prüfung der Tatfrage vereinbaren lässt, wird nicht erläutert. Dass in der Sache eine umfassende tatsächliche Überprüfung des Abwesenheitsurteils stattfinde und die uneingeschränkte Möglichkeit einer erneuten Erhebung von bereits in erster Instanz erhobenen Beweisen bestehe, wie vom Oberlandesgericht angenommen, ergibt sich aus der zitierten Quelle nicht.

122

Der Hinweis des Oberlandesgerichts in seinem Beschluss vom 27. November 2014, dass bei einem in erster Instanz ergangenen Abwesenheitsurteil kein Anspruch auf Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens bestehe, vielmehr eine Neuverhandlung vor einem Rechtsmittelgericht ausreiche, trägt seine Entscheidung ebenfalls nicht. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die bei der Auslegung auch der Grundrechte des Grundgesetzes zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <317>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <367 f.>), ist geklärt, dass das Gericht verpflichtet ist, die dem Verurteilten zur Last gelegten Vorwürfe erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen, nachdem es diesen gehört hat (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 29; Einhorn v. Frankreich, Entscheidung vom 16. Oktober 2001, Nr. 71555/01, § 33). Zudem müssen sich die prozeduralen Möglichkeiten nach Recht und Praxis des Vertragsstaates als effektiv erweisen (vgl. EGMR, Colozza v. Italien, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 30; Medenica v. Schweiz, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 55). Zwar folgt aus der Entscheidung in der Sache Colozza v. Italien, wie das Oberlandesgericht zutreffend feststellt, dass bei einem in erster Instanz ergangenen Abwesenheitsurteil kein Anspruch auf Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens besteht. Der Entscheidung kann allerdings nicht entnommen werden, dass dem in Abwesenheit Verurteilten, der keine Kenntnis von dem erstinstanzlichen Verfahren hatte, von vornherein kein Recht auf Durchführung einer Beweisaufnahme zustünde. Vielmehr betont der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung das aus Art. 6 Abs. 1 EMRK fließende Recht, Beweis anzubieten und sich zu allen erbrachten Beweisen oder Vorbringen, die darauf gerichtet sind, die Entscheidung des Gerichts zu beeinflussen, äußern zu können (vgl. EGMR, Mantovanelli v. Frankreich, Urteil vom 18. März 1997, Nr. 21497/93, § 33; Lietzow v. Deutschland, Urteil vom 13. Februar 2001, Nr. 24479/94, § 44).

123

Die Auffassung des Oberlandesgerichts, es genüge, wenn im italienischen Berufungsverfahren in der Sache eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung des Abwesenheitsurteils stattfinde, im Rahmen derer eine erneute Beweisaufnahme "jedenfalls nicht ausgeschlossen" sei, greift insoweit zu kurz.

124

cc) Darüber hinaus ist mit Blick auf die Aufklärungspflicht des Oberlandesgerichts zu bedenken, dass die Rechtslage in Italien angesichts der in der Vergangenheit erfolgten Beanstandungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und der zahlreichen Änderungen des italienischen Codice Penale für einen deutschen Richter nicht ohne weiteres zu überblicken ist. Auch hat die Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Florenz vom 7. Oktober 2014 nur wenig zur Aufklärung beigetragen. Die italienischen Justizbehörden wurden vom Oberlandesgericht gebeten, ergänzende Auskunft über die tatsächliche Kenntnis des Beschwerdeführers vom Verhandlungstermin und dessen anwaltlicher Vertretung beziehungsweise eine Zusicherung zu erteilen, dass dem Beschwerdeführer nach seiner Überstellung vorbehaltlos das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren in seiner Anwesenheit eingeräumt wird, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend geprüft werden wird. Ergänzende Auskunft über die Kenntnis des Beschwerdeführers vom Verhandlungstermin und dessen anwaltlicher Vertretung gab die Generalstaatsanwaltschaft Florenz nicht, obwohl sie im Europäischen Haftbefehl nicht angegeben hatte, ob der Beschwerdeführer zu der Verhandlung, die zu seiner Verurteilung geführt hat, persönlich erschienen war oder nicht. Eine Zusicherung, dass dem Beschwerdeführer nach seiner Überstellung vorbehaltlos das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren in seiner Anwesenheit eingeräumt wird, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend geprüft werden wird, erteilte sie ebenfalls nicht. Trotz des präzisen Ersuchens um Auskunft und Zusicherung durch das Oberlandesgericht wies sie lediglich abstrakt darauf hin, dass unter der Bedingung, dass "dem Antrag stattgegeben wird", erneut eine Hauptverhandlung gegen den Verurteilten stattfinden werde. Dem Verurteilten wurde sein Verteidigungsrecht zwar ohne Vorbehalt zugesichert; der Umfang dieses Verteidigungsrechts blieb jedoch unklar.

D.

125

Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV bedarf es nicht. Die richtige Anwendung des Unionsrechts ist derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt ("acte clair", vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, C.I.L.F.I.T., C-283/81, Slg. 1982, S. 3415, Rn. 16 ff.). Das Unionsrecht gerät mit dem Menschenwürdeschutz des Grundgesetzes nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG im vorliegenden Fall nicht in Konflikt. Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verpflichtet, wie dargelegt, deutsche Gerichte und Behörden nicht, einen Europäischen Haftbefehl ohne Prüfung auf seine Vereinbarkeit mit den aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen zu vollstrecken. Dass die Grenzen der Ermittlungspflicht, insbesondere mit Blick auf den Umfang der nach Unionsrecht zulässigen Ermittlungen und der hiermit verbundenen Verzögerungen beim Vollzug des Haftbefehls in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht geklärt sind, ändert daran nichts. Jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall ist kein Anhaltspunkt erkennbar, dass Unionsrecht einer Pflicht des Oberlandesgerichts, die Wahrung der Rechte des Beschwerdeführers eingehender zu prüfen, entgegen stand. Das gilt vor allem mit Blick auf die substantiierten Anhaltspunkte, die der Beschwerdeführer dem Oberlandesgericht dafür vorgetragen hat, dass ihm nach italienischem Prozessrecht keine Möglichkeit eröffnet sei, sich wirksam zu verteidigen.

E.

126

Da die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet ist, sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG vollständig zu erstatten.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Anträge, die das Verfahren einleiten, sind schriftlich beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Sie sind zu begründen; die erforderlichen Beweismittel sind anzugeben.

(2) Der Vorsitzende oder, wenn eine Entscheidung nach § 93c in Betracht kommt, der Berichterstatter stellt den Antrag dem Antragsgegner, den übrigen Beteiligten sowie den Dritten, denen nach § 27a Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird, unverzüglich mit der Aufforderung zu, sich binnen einer zu bestimmenden Frist dazu zu äußern.

(3) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann jedem Beteiligten aufgeben, binnen einer zu bestimmenden Frist die erforderliche Zahl von Abschriften seiner Schriftsätze und der angegriffenen Entscheidungen für das Gericht und für die übrigen Beteiligten nachzureichen.

In der Begründung der Beschwerde sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen.

(1) Anträge, die das Verfahren einleiten, sind schriftlich beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Sie sind zu begründen; die erforderlichen Beweismittel sind anzugeben.

(2) Der Vorsitzende oder, wenn eine Entscheidung nach § 93c in Betracht kommt, der Berichterstatter stellt den Antrag dem Antragsgegner, den übrigen Beteiligten sowie den Dritten, denen nach § 27a Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird, unverzüglich mit der Aufforderung zu, sich binnen einer zu bestimmenden Frist dazu zu äußern.

(3) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann jedem Beteiligten aufgeben, binnen einer zu bestimmenden Frist die erforderliche Zahl von Abschriften seiner Schriftsätze und der angegriffenen Entscheidungen für das Gericht und für die übrigen Beteiligten nachzureichen.

In der Begründung der Beschwerde sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

Gründe

A.

1

Das Organstreitverfahren betrifft die Frage, ob die Antragsgegnerin aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts verpflichtet war, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.

I.

2

1. a) Unter dem Einfluss der Unruhen in einigen Nachbarländern eskalierte ab Mitte Februar 2011 in Libyen der innenpolitische Konflikt zwischen der Regierung und ihren Gegnern zu einem bewaffneten Aufstand gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi. Ein Zentrum der gewalttätigen Auseinandersetzungen waren zunächst die ostlibyschen Landesteile, insbesondere die im Nordosten gelegene Hafenstadt Bengasi. Der Krisenstab im Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes befasste sich seit dem 20. Februar 2011 in fortan täglichen, ressortübergreifenden Sitzungen mit den Entwicklungen in Libyen. Im Bundesministerium der Verteidigung und im Einsatzführungskommando der Bundeswehr wurden frühzeitig Vorbereitungen für diplomatische und militärische Evakuierungen deutscher Staatsangehöriger auf dem Luft- oder Seeweg getroffen. Unbewaffnete Soldaten der Bundeswehr flogen am 22. Februar 2011 mit zwei Transall C-160 Transportmaschinen und am 23. Februar 2011 mit einem Airbus A310 deutsche Staatsbürger und Angehörige anderer Staaten aus Tripolis aus. Gleichzeitig verließen Deutsche und weitere Ausländer die im Nordwesten Libyens gelegene Hauptstadt mit einer Sondermaschine einer zivilen deutschen Luftfahrtgesellschaft. Der Leiter der Europaabteilung im libyschen Ministerium des Auswärtigen hatte der deutschen Botschaft am Abend des 22. Februar 2011 zur Nutzung des Internationalen Flughafens Tripolis durch deutsche Militärmaschinen mitgeteilt, die dafür zuständige Civil Aviation Authority habe für Evakuierungsflüge eine generelle Lande- und Starterlaubnis erteilt, die sogenannte Diplo-Clearance.

3

b) Parallel zu den ungesicherten Luftabholungen durch die Bundeswehr wurden im Mittelmeerraum Kräfte aus Heer, Luftwaffe und Marine zu einem Einsatzverband für eine militärische Evakuierungsoperation zusammengeführt. Nach den vom Bundesministerium der Verteidigung am 23. Februar 2011 veranlassten Planungen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr sollten bis zu 1000 Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Operation "Pegasus" isolierte oder gewaltsam bedrohte deutsche Staatsbürger aus ganz Libyen evakuieren und retten oder gegebenenfalls befreien. Die vom Einsatzführungskommando erlassene "Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN" (Stand: 02/2011) betreffend "Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt" sah nicht nur ein Recht auf Selbstverteidigung und Nothilfe, sondern auch ein Recht auf Einsatz militärischer Gewalt gegen Personen und Sachen zur Durchsetzung militärischer Evakuierungen vor. Der maritime Teil des Einsatzverbandes, bestehend aus den Fregatten "Brandenburg" und "Rheinland-Pfalz", dem Einsatzgruppenversorger "Berlin" und dem Flottendienstboot "Oker", war vor der Ostküste Libyens am 27. Februar 2011 ab 3:00 Uhr, die nach Kreta verlegten Kräfte für schnelle Luftevakuierungen waren ab 15:00 Uhr einsatzbereit.

4

2. a) Der Osten Libyens befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend in der Hand der Regimegegner. Der durch den Bürgerkrieg bedingte Zerfall der staatlichen Strukturen ging dort mit steigender Kriminalität einher, insbesondere auch Überfällen auf die Camps westlicher Unternehmen. Der Krisenstab im Auswärtigen Amt war noch am 23. Februar 2011 davon ausgegangen, dass die Mitarbeiter deutscher Firmen aus dem Camp in Nafurah, einem 400 Kilometer südlich von Bengasi in der Nähe eines Ölfeldes gelegenen ostlibyschen Wüstenort, ohne größere Schwierigkeiten über den Landweg würden ausreisen können. Diese Einschätzung konnte bereits am 24. Februar 2011 nicht mehr aufrechterhalten werden, nachdem mehrere Versuche, das Camp zu verlassen, aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden mussten. Die Verbindungsstraßen von Nafurah zum nächsten Hafen und in das Nachbarland Ägypten führten durch umkämpfte Gebiete; auch wären die zur Verfügung stehenden Kraftfahrzeuge von großem Wert für die bewaffneten rivalisierenden Stämme in der Region gewesen. In der Gegend um Nafurah gab es bewaffnete marodierende Banden. Im Camp selbst, das durch ebenfalls bewaffnete Ortskräfte geschützt wurde, hatten Auseinandersetzungen um Wasser und Nahrungsmittel begonnen. Da eine private Firmenmaschine die gut ausgebaute Landebahn in Nafurah zuletzt problemlos hatte nutzen können und es im Umkreis von 50 Kilometern keine militärischen Einrichtungen und im Umkreis von 100 Kilometern keine Flugabwehrsysteme gab, beschloss der Krisenstab, die "in akuter Gefahr Befindlichen" (Prot. der Krisenstabssitzung vom 24. Februar 2011) möglichst am folgenden Tag, dem 25. Februar 2011, bei Tagesanbruch von der Bundeswehr mit den auf Malta stationierten Transall C-160 ausfliegen zu lassen. Eine Begleitung durch bewaffnete Einsatzkräfte wurde nicht für erforderlich gehalten.

5

b) Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr kam aufgrund einer Bedrohungsanalyse am 25. Februar 2011 insoweit allerdings zu einem anderen Ergebnis. Die öffentliche Ordnung in Libyen sei vollkommen zusammengebrochen. Der Osten des Landes befinde sich zum größten Teil in der Hand bewaffneter Bürgerkomitees sowie übergelaufener Streit- und Sicherheitskräfte, eine übergeordnete Kontrolle sei nicht erkennbar. Da sich die Versorgung der Bevölkerung stetig verschlechtere, steige zunehmend das Risiko krimineller Aktionen, auch gegen westliche Ausländer. Die libyschen Streitkräfte hätten über eine Vielzahl von Systemen zur Flugabwehr verfügt, deren Dislozierung im Raum nicht bekannt sei. Im Bereich Bengasi befänden sich jedoch einsatzbereite Flugabwehrsysteme mit einer Reichweite von 300 Kilometern, die wahrscheinlich von oppositionellen Kräften kontrolliert würden. Aufgrund der Unberechenbarkeit der regionalen Machtverhältnisse sei weiterhin von einer landesweiten Bedrohung durch diese Systeme auszugehen. Daher sei für die Evakuierung aus Nafurah der Einsatz von Transall C-160 ESS, die mit einer Zusatzausstattung zum passiven Selbstschutz gegen Radarerfassung und gegen Flugabwehrraketen ausgerüstet sind, unabdingbar. Da sich Teile der libyschen Zivilbevölkerung Waffen aus militärischen Beständen angeeignet hätten, sei am Boden zudem mit einer Gefährdung der Lufttransportmittel durch Handwaffen, Panzerabwehrhandwaffen oder auf Fahrzeugen montierte Maschinengewehre zu rechnen. Der Einsatz begleitender und bewaffneter Schutzkräfte sei daher zwingend erforderlich.

6

c) Das Bundesministerium der Verteidigung war in einer eigenen Analyse zur Lage in Libyen ebenfalls zu der Einschätzung gelangt, für eine Operation von Streitkräften sei von einer mittleren bis erheblichen Bedrohung an Land und in der Luft auszugehen. Zwei Transall C-160 ESS mit ihrer jeweiligen Besatzung sowie zwölf Fallschirmjäger einer für militärische Evakuierungsoperationen und Operationen gegen irreguläre Kräfte besonders befähigten Luftlandebrigade und acht Feldjäger, sämtlich Teil der für die Operation "Pegasus" vorgesehenen Kräfte und Fähigkeiten, wurden daher noch am 25. Februar 2011 von Deutschland nach Chania/Kreta verlegt. Die daraus resultierende zeitliche Verschiebung der geplanten Evakuierung um einen Tag auf den 26. Februar 2011 wurde im Rahmen einer Gesamtabwägung in Kauf genommen.

7

3. a) Am späten Abend des 25. Februar 2011 stimmte die Bundeskanzlerin der von den Bundesministern der Verteidigung und des Auswärtigen vorgeschlagenen Evakuierung aus Nafurah zu. Da Einsätze der Bundeswehr in Libyen zur Rettung und Evakuierung einem strikten Leitungsvorbehalt seines Hauses unterlagen, erteilte anschließend der Bundesminister der Verteidigung die Operationsfreigabe. Zuvor hatte der Bundesminister des Auswärtigen unter Berufung auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag telefonisch über den "unmittelbar bevorstehenden Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland" (Telefonvermerk des Auswärtigen Amtes vom 25. Februar 2011) unterrichtet und dringend um Vertraulichkeit gebeten. Die Obleute der Fraktionen im Verteidigungsausschuss waren durch den Generalinspekteur der Bundeswehr entsprechend informiert worden.

8

b) Am 26. Februar 2011 blieb ein diplomatisches Ersuchen in Form einer Verbalnote der deutschen Botschaft in Tripolis um Genehmigung der Landung zweier Flugzeuge der Bundeswehr in Nafurah für eine humanitäre Hilfsaktion zur Evakuierung deutscher Bürger von libyscher Seite unbeantwortet. Libyschen Regierungsvertretern war das Vorhaben jedoch bekannt, da der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born mit ihnen in ständigem Kontakt stand.

9

c) Der Evakuierungseinsatz am Nachmittag des 26. Februar 2011 wurde direkt aus dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr geführt, weil sich das Führungselement des Einsatzverbandes "Pegasus" zu diesem Zeitpunkt noch in der Phase der Verlegung befand. Der Chef des Einsatzstabes für Militärische Evakuierungsoperationen im Einsatzführungskommando der Bundeswehr wies die eingesetzten Soldaten vor dem Abflug aus Chania darauf hin, dass bisher kein ausländisches Flugzeug im libyschen Luftraum bedroht worden sei. Eine kurzzeitige Radarabstrahlung der Stellung eines Boden-Luft-Raketensystems bei der ostlibyschen Hafenstadt Tobruk habe am Vormittag des Vortages aufgeklärt werden können. Nach den von dem Sicherheitsbeauftragten eines deutschen Unternehmens laufend übermittelten Informationen aus dem Camp sei die Lage in Nafurah selbst derzeit ruhig, bewaffnete Ortskräfte schützten die Firmenangehörigen. Im Fall einer Veränderung, bei unklarer oder gefährlicher Lage, würden zur Warnung ein oder mehrere Fahrzeuge auf die Landebahn gestellt. Die Landebahn sei zurzeit noch durch ausgebrachte Pipelinerohre blockiert. Ziel war es, eine Landung von Flugzeugen der Bürgerkriegsparteien zu verhindern.

10

d) Aufgrund der hohen Zahl der aus Nafurah zu Evakuierenden hatten sich neben der Bundesregierung auch Großbritannien und die Niederlande für eine jeweils national verantwortete Beteiligung an der Luftevakuierung entschieden. Die um 13:30 Uhr zuerst in Nafurah einfliegende niederländische Militärmaschine brach den Anflug ab und kehrte auf ihren Stützpunkt nach Sizilien zurück, nachdem die libyschen Behörden trotz Anfrage keine Landegenehmigung erteilt hatten. Das britische Transportflugzeug landete kurze Zeit später sicher in Nafurah und flog eigene und Staatsangehörige anderer Länder nach Malta aus. Daraufhin starteten um 14:17 Uhr die beiden deutschen Transall C-160 ESS in Chania.

11

e) Der erweiterte Selbstschutz der eingesetzten Transportmaschinen beinhaltete Maßnahmen zum passiven Schutz durch Scheinziele in Form von 720 "Flares" gegen Lenkwaffen mit Infrarotsuchkopf und 960 "Chaffs" zur Störung von Radargeräten. Die Besatzungen der Transall C-160 ESS bestanden aus insgesamt elf Soldaten zur Durchführung des Flugauftrages und einem Mediziner. Sie führten 15 Pistolen P8 mit 450 Patronen mit sich. An Bord jeder Maschine befanden sich zusätzlich sechs Fallschirmjäger und vier Feldjäger. Die Fallschirmjäger sollten sowohl die Lufttransportmittel nach der Landung oder einer eventuellen Notlandung wie auch die zu Evakuierenden beim Anbordgehen sichern (BTDrucks 17/6564, S. 3). Die "Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN" betreffend "Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt", die auch zur Durchsetzung von Evakuierungen legitimierte, war ihnen gegenüber nicht zurückgenommen worden. Die Fallschirmjäger waren mit ihren persönlichen Ausstattungsgegenständen (Uniformteile, Gefechtshelm und Rucksack) sowie Schutzwesten der Schutzklasse 4 ausgerüstet und führten insgesamt zwei Maschinengewehre MG3 mit 960 Patronen, zwei Gewehre G3 mit Zielfernrohren und 200 Patronen, zehn Gewehre G36 mit 1500 Patronen, vier Pistolen P8 mit 120 Patronen, eine Signalpistole 2A1 mit fünf Patronen und vier Funkgeräte mit sich. Die Feldjäger hatten den Auftrag, die Besatzung nach der Landung in Nafurah bei der Kontrolle der zu Evakuierenden und auf dem Rückflug nach Kreta durch die Wahrnehmung von Luftsicherheitsaufgaben an Bord zu unterstützen. Sie waren jeweils mit Gefechtsanzug, einer Schutzweste der Schutzklasse 4, einem Funkgerät SEM 52 S, Einmannverpflegungspaketen sowie einem Kampfrucksack oder einer Kampftragetasche ausgerüstet und mit ihren Handwaffen, insgesamt vier Gewehren G36 mit 600 Patronen und vier Pistolen P8 mit 180 Patronen, bewaffnet.

12

f) Die deutschen Transall C-160 ESS flogen um 14:59 Uhr in den libyschen Luftraum ein und landeten um 16:30 Uhr in Nafurah. Nach der Landung sicherten die zwölf Fallschirmjäger mit G3- und G36-Gewehren die beiden nebeneinander stehenden Luftfahrzeuge in einem Abstand von 25 Metern, um deren Umfeld lückenlos beobachten zu können. Anschließend setzten sechs Fallschirmjäger die Überwachung fort, während die anderen sechs die acht Feldjäger bei der Identifizierung der zu Evakuierenden und deren Verbringung in die Transportmaschinen unterstützten. Die Maschinengewehre verblieben in den Luftfahrzeugen. 22 deutsche und 110 Bürger anderer Staaten wurden an Bord genommen. Die beiden Transall verließen um 17:10 Uhr und 17:16 Uhr Nafurah sowie gegen 18:25 Uhr den libyschen Luftraum. Um 19:29 Uhr landeten sie in Chania auf Kreta. Zu weiteren Evakuierungen aus Libyen durch deutsche Soldaten kam es in der Folgezeit nicht.

13

g) Am 27. Februar 2011 wurden drei niederländische Marineinfanteristen, Besatzungsmitglieder einer vor der libyschen Küste ankernden niederländischen Fregatte, von regimetreuen Truppen angegriffen und gefangen genommen, als sie versuchten, Landsleute aus der nordlibyschen Hafenstadt Sirte per Hubschrauber zu evakuieren.

14

4. a) Der Bundesminister des Auswärtigen hatte am Abend des 26. Februar 2011 umgehend die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag über Verlauf und Abschluss der Evakuierung aus Nafurah in Kenntnis gesetzt. Die Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und die Obleute des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages wurden unter dem Datum 26. Februar 2011 schriftlich durch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr über die durchgeführte Evakuierung unterrichtet. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born informierte am 27. Februar 2011 die Obleute der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss, dessen Vorsitzenden und seinen Stellvertreter auch telefonisch.

15

In der Regierungspressekonferenz am 28. Februar 2011 erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes zu der Evakuierung aus Nafurah (Mitschrift der Regierungspressekonferenz vom 28. Februar 2011, S. 4):

"[…] In diesem Falle war es so, dass ein bewaffneter Einsatz bevorgestanden haben könnte. Nachträglich war es ein gesicherter Evakuierungseinsatz mit humanitärer Zielsetzung, also kein bewaffneter Einsatz. Demzufolge muss auch nachträglich keine Zustimmung des Bundestages eingeholt werden."

16

b) Der damalige Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Antragstellerin forderte die Bundesregierung mit Schreiben vom 3. März 2011 an den Bundesminister des Auswärtigen auf, ein nachträgliches parlamentarisches Mandat für den Evakuierungseinsatz einzuholen. In seiner Antwort vom 11. März 2011 teilte der Bundesminister mit, dass er den Einsatz für einen humanitären halte, der der Zustimmung des Deutschen Bundestages nicht bedürfe.

17

Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt hatte zuvor, mit Datum vom 4. März 2011, den Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Obleuten des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages eine schriftliche Unterrichtung über die Evakuierung aus Nafurah zugeleitet.

18

c) In der Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages am 16. März 2011 erklärte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born in Übereinstimmung mit dem Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung Wolf, die Evakuierung aus Nafurah sei kein Unternehmen gewesen, bei dem man Waffen habe einsetzen müssen. Vielmehr habe man von Anfang an erwartet, dass eine militärische Aktion nicht notwendig werden würde. Die Bundesregierung sei von einer zumindest konkludenten Genehmigung der Evakuierung durch die libyschen Behörden ausgegangen. Mit Blick auf die Lage in Nafurah habe es sich im Grunde genommen um eine Evakuierung ähnlich wie die zuvor aus Tripolis gehandelt, nicht jedoch um eine bewaffnete Unternehmung im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Verteidigungsausschuss, Prot. Nr. 83, S. 22 ff.).

19

d) Abgeordnete der Fraktion Die LINKE und die Fraktion selbst stellten in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 24. März 2011 folgenden Antrag auf Beschlussfassung zur Abstimmung (BTDrucks 17/5175):

"I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 26. Februar 2011 hat die Bundesregierung unter Berufung auf Gefahr im Verzug einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr zur Evakuierung deutscher und anderer europäischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus Libyen durchgeführt. Ein solcher Evakuierungseinsatz fällt unter die entsprechenden Bestimmungen von § 5 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes. Daran hat auch die Bundesregierung keinen Zweifel gelassen, in dem sie im Vorfeld und nach der Operation die Fraktionsvorsitzenden und Obleute des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages direkt gemäß § 5 Abs. 2 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes unterrichtet hat - im Unterschied zu anderen Einsätzen der Bundeswehr, bei denen nicht mit der Anwendung militärischer Gewalt zu rechnen war, wie z.B. bei der Verlegung von Fregatten vor die libysche Küste. Zudem wurde die Entsendung einer bewaffneten Sicherheitskomponente für die Evakuierungsoperation von mehr als 20 Soldatinnen und Soldaten mit der Entstehung einer neuen Gefährdungslage begründet. Unter diesen Voraussetzungen sieht das ,Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz)' unter § 5 Abs. 3 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes vor, dass ein Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachzuholen ist. Diesen Vorgaben ist die Bundesregierung bislang nicht gefolgt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich gemäß § 5 Abs. 3 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes dem Bundestag ein Mandat für den Evakuierungseinsatz vom 26. Februar 2011 in Libyen vorzulegen."

20

Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (BGBl 2005 I S. 775) regelt Form und Ausmaß der Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ParlBG).

In § 5 ParlBG ist bestimmt:

(1) Einsätze bei Gefahr im Verzug, die keinen Aufschub dulden, bedürfen keiner vorherigen Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen, solange durch die öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde.

(2) Der Bundestag ist vor Beginn und während des Einsatzes in geeigneter Weise zu unterrichten.

(3) Der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist unverzüglich nachzuholen. Lehnt der Bundestag den Antrag ab, ist der Einsatz zu beenden.

21

Der Deutsche Bundestag lehnte es am 24. März 2011 ab, auch gegen die Stimmen der Antragstellerin, den beantragten Beschluss zu fassen (Deutscher Bundestag, Plenprot. 17/99, Stenografischer Bericht, S. 11444).

22

e) Der Bundesminister des Auswärtigen antwortete am 5. April 2011 auf ein Schreiben des damaligen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der Antragstellerin vom 17. März 2011, in welchem dieser erneut die Notwendigkeit einer nachträglichen Zustimmung des Deutschen Bundestages zu dem Evakuierungseinsatz vorgetragen hatte, wie folgt:

"Das Parlamentsbeteiligungsgesetz findet nur bei einem Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland Anwendung. Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nicht anzunehmen, wenn deutsche Soldatinnen und Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung nicht einbezogen sind und eine solche Einbeziehung nach den konkreten Umständen des Einsatzes nicht zu erwarten ist. Dies war bei der Evakuierungsaktion Nafura der Fall.

Das Bundesverfassungsgericht hält in dem von Ihnen zitierten Urteil vom 7. Mai 2008 fest, dass, erst die qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen zur parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit eines Auslandseinsatzes deutscher Soldaten' führt. ,Die bloße Möglichkeit', so das Gericht, ,dass es bei einem Einsatz zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, reicht hierfür nicht aus […], weil die theoretische Möglichkeit einer solchen Auseinandersetzung sich, wo Streitkräfte operieren, kaum je von vornherein wird ausschließen lassen' [BVerfGE 121, 135 (163 ff.)]. Wenn also, wie Sie schreiben, aus der ,ex-ante-Sicht nicht ohne Weiteres erwartet werden [konnte], dass Soldatinnen und Soldaten nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden' würden, so begründet dies noch keinen Einsatz im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes."

23

f) Die Bundesregierung hatte in diesem Sinne bereits mit Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 31. März 2011 eine am 9. März 2011 gestellte Kleine Anfrage zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen" von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion selbst (BTDrucks 17/5002) beantwortet. Aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannten Bedrohungslage habe die klare Erwartung bestanden, dass die eingesetzten Soldaten durch libysche Kräfte nicht bedroht seien, ihre Waffen nicht würden einsetzen müssen und mithin nicht in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen werden würden. Die Unterrichtung des Bundestages habe - wie der Bundesminister des Auswärtigen in seinen Telefonaten vor und nach der Operation auch betont habe - stattgefunden, um gegenüber dem Deutschen Bundestag volle Transparenz zu gewährleisten (BTDrucks 17/5359 vom 4. April 2011, S. 6).

24

g) Ähnlich äußerte sich das Bundesministerium der Verteidigung namens der Bundesregierung in der am 7. Juli 2011 übermittelten Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 10. Juni 2011 (BTDrucks 17/6196), gestellt von Abgeordneten der Antragstellerin und der Antragstellerin selbst zum "Evakuierungseinsatz ,Pegasus' der Bundeswehr in Libyen" (BTDrucks 17/6564 vom 11. Juli 2011, S. 2).

II.

25

Die Antragstellerin hat am 11. August 2011 ihren Antrag im Organstreitverfahren gestellt. Zu dessen Begründung trägt sie vor:

26

1. Der Antrag sei zulässig. Als Fraktion des Deutschen Bundestages sei sie im Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG antragsberechtigt und die Bundesregierung zulässige Antragsgegnerin. Als zulässiger Antragsgegenstand sei in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die im Rahmen eines bewaffneten Einsatzes der Bundeswehr unterlassene Anrufung des Deutschen Bundestages ausdrücklich anerkannt (BVerfGE 121, 135 <150>). Die Antragsgegnerin habe hier in einem an den Parlamentarischen Geschäftsführer der Antragstellerin gerichteten Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 5. April 2011 klargestellt, dass sie nicht mehr beabsichtige, den Bundestag um eine nachträgliche Zustimmung zu dem Evakuierungseinsatz in Libyen zu ersuchen. Die Antragsbefugnis folge aus der möglich erscheinenden Nichtbeachtung der Zustimmungspflicht des Deutschen Bundestages im Rahmen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts angesichts des streitgegenständlichen Einsatzes, der im Ausland und mit bewaffneten Angehörigen der Bundeswehr durchgeführt worden sei. Rechte des Bundestages könne sie als Fraktion für diesen in Prozessstandschaft geltend machen. Das notwendige Rechtsschutzinteresse liege vor. Ihr bleibe zur Durchsetzung ihres Anliegens kein anderes politisches Mittel, insbesondere sei sie nicht gehalten, vor der Einleitung eines Organstreitverfahrens selbst die Zustimmung des Bundestages zu dem Einsatz zu beantragen. Der Bundestag habe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit keine entsprechende Initiativbefugnis, vielmehr müsse in jedem Fall die Bundesregierung - auch bei einem bereits abgeschlossenen Einsatz - das Parlament befassen (BVerfGE 90, 286 <388>). Dies folge auch aus der verfassungskonkretisierenden Regelung des § 3 Abs. 1 ParlBG, nach der es allein der Antragsgegnerin obliege, die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Die Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt. Das Unterlassen der Antragsgegnerin könne mit dem Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 5. April 2011, frühestens mit dessen Schreiben vom 11. März 2011, als abgeschlossen gelten. Die Antragsschrift sei weniger als sechs Monate nach dem streitgegenständlichen Einsatz beim Bundesverfassungsgericht eingereicht worden.

27

2. Der Antrag sei auch begründet. Die Antragsgegnerin habe die Rechte des Deutschen Bundestages aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt verletzt.

28

a) Die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages im Falle einer Entsendung von Soldaten der Bundeswehr ins Ausland seien in verfassungskonkretisierender Weise im Parlamentsbeteiligungsgesetz geregelt. Dieses könne eine verfassungsrechtliche Auslegung der Voraussetzungen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, insbesondere des Begriffs "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" nicht ersetzen, aber im Einzelfall Hinweise für seine verfassungsunmittelbare Reichweite geben (BVerfGE 121, 135 <156>).

29

aa) Der Parlamentsvorbehalt sei aus einer ex-ante-Perspektive zu bestimmen. Aus § 2 Abs. 1, 2. Alt. ParlBG folge, dass ein tatsächlicher Waffengebrauch durch die Bundeswehr in einem konkreten Einsatz nicht Voraussetzung für das Vorliegen einer bewaffneten Unternehmung und damit für die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit sei, sondern die Erwartung dessen ausreiche. Dies ergebe sich bei systematischer Betrachtung zudem zwingend daraus, dass im gesetzlichen Regelfall die Zustimmung im Vorhinein erteilt werden müsse und damit zu einem Zeitpunkt, bevor bekannt sein könne, ob Waffen tatsächlich zum Einsatz kämen oder nicht. Ein gefährlicher Einsatz mit genuin militärischen Mitteln in einem Konfliktgebiet löse daher den Parlamentsvorbehalt aus. Der zu einem solchen bewaffneten Streitkräfteeinsatz im Gegensatz stehende und vom Gesetz verwendete Begriff des humanitären Hilfsdienstes umfasse nach dem Willen des Gesetzgebers Aktionen der Bundeswehr, die auch von zivilen Organisationen übernommen werden könnten, wie zum Beispiel Unterstützung bei Hungersnöten oder Naturkatastrophen. Führten die Soldaten bei derartigen Missionen Waffen allein zur Selbstverteidigung mit sich, sei der Zustimmungsvorbehalt grundsätzlich nicht berührt. Nach § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBG seien aber auch humanitäre Einsätze nicht vom Parlamentsvorbehalt ausgeschlossen, sondern zustimmungspflichtig, wenn zu erwarten sei, dass die Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden könnte. Dann sei es unerheblich, ob Waffen nur zur Selbstverteidigung getragen würden, weil andernfalls das parlamentarische Mandat zum Bundeswehreinsatz notwendig ein Mandat zum Angriff sei. Diesem Gesetzesverständnis entspreche es, dass nach § 4 Abs. 3, 1. Spiegelstrich ParlBG das vereinfachte Zustimmungsverfahren für Einsätze von geringer Intensität auch anzuwenden sei, wenn Waffen lediglich zur Selbstverteidigung getragen würden. Von besonderer Bedeutung sei schließlich die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG, der bei Gefahr im Verzug eine nachträgliche Zustimmung des Bundestages auch für "Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen" ermögliche. Eine solche militärische Rettungsaktion werde vom Gesetz damit ausdrücklich als zustimmungspflichtig behandelt.

30

bb) Das Bundesverfassungsgericht habe als auslösendes Tatbestandsmerkmal des von ihm entwickelten wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts den "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" bezeichnet und als Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen näher konkretisiert. Dabei komme es nicht darauf an, ob tatsächlich Waffengewalt zur Anwendung gelange, denn dann könne die Parlamentsbeteiligung nur noch ex post sinnvoll ausgestaltet werden, was der verfassungsrechtlichen Bedeutung eines gestaltenden parlamentarischen Einflusses nicht gerecht werde. Der Vorbehalt werde durch die "qualifizierte Erwartung" einer Teilnahme an bewaffneten Auseinandersetzungen ausgelöst. Dafür bedürfe es hinreichender greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte, dass ein Einsatz in die Anwendung von Waffengewalt münden könne, und einer besonderen Nähe zur Anwendung von Waffengewalt (BVerfGE 121, 135 <165 ff.>). Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beziehe sich auf Fallkonstellationen im Rahmen eines auf Grundlage einer integrierten NATO-Planung erfolgten Einsatzes und sei von dem Bedürfnis getragen, den Einfluss des Bundestages auch dann wirksam zu erhalten, wenn die militärische Arbeitsteilung der Bündnisstaaten dazu führe, dass die Bundeswehr nicht unmittelbar militärische Gewalt anwende. Insbesondere aus dem Urteil des Zweiten Senats vom 7. Mai 2008 (BVerfGE 121, 135), welches die Beteiligungsrechte bei einer unmittelbaren, jedoch nicht physischen Einbeziehung in Kampfhandlungen definiere, ergebe sich im Umkehrschluss, dass die vorhersehbar wahrscheinliche unmittelbare körperliche Verwicklung der Bundeswehr in Kampfhandlungen zum tatbestandlichen Kernbereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gehöre. Der Entscheidung könne entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht entnommen werden, dass eine parlamentarische Zustimmung erst erforderlich werde, wenn die Bundesrepublik durch einen Einsatz in eine andauernde größere militärische Auseinandersetzung einbezogen werde. Hierzu sei nochmals auf die maßgeblich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägten, namentlich in der Definition eines im vereinfachten Verfahren zustimmungsbedürftigen Einsatzes nach § 4 Abs. 2 und in Abs. 3, 1. Spiegelstrich ParlBG zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertungen zu verweisen. Die Rechtsprechung und die ihr folgende Gesetzgebung seien von der historischen Erfahrung geprägt, dass auch kleine bewaffnete Auseinandersetzungen zu einem großen militärischen Konflikt führen könnten; deshalb solle der Bundestag frühzeitig die Verantwortung für eine Einsatzentscheidung übernehmen.

31

cc) Aus der Staatspraxis sei auf die mit der Operation "Libelle" im Jahr 1997 erfolgte Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Albanien hinzuweisen. Seinerzeit hätten Bundesregierung und Bundestag die Zustimmung des Parlaments für erforderlich gehalten, obwohl - anders als hier - keine weitergehenden kriegerischen Handlungen im Krisengebiet stattgefunden hätten.

32

b) Bei Anwendung dieser Maßstäbe sei von einer Verletzung der Rechte des Deutschen Bundestages auszugehen.

33

aa) Die Bundeswehr habe am 26. Februar 2011 im Sinne von § 2 Abs. 1 ParlBG mit genuin militärischen Mitteln einen Auftrag ausgeführt, der allein durch die Streitkräfte zu bewältigen gewesen sei, denn sie sei in den Luftraum eines fremden Landes eingedrungen, um Menschen zu evakuieren. Der Einsatz sei innerhalb eines militärischen Krisengebietes und aufgrund der militärischen Krise erfolgt, die die zu Evakuierenden bedroht habe. Er sei mit einer vergleichsweise hohen Gefahr eines konkreten Waffeneinsatzes durch die eingesetzten Soldaten verbunden gewesen, weil völlig offen gewesen sei, wer den Luftraum über Libyen kontrolliert habe. Die Bitte der Antragsgegnerin, den Flug in den libyschen Luftraum zu gestatten, sei unbeantwortet geblieben, der Einsatz daher ohne Einwilligung Libyens durchgeführt worden. Auch die Bundeswehr, die vor diesem Hintergrund das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht zur Rechtfertigung des Einsatzes bemüht habe, habe eine physische Auseinandersetzung ernsthaft für möglich gehalten. Dies zeige die Ausstattung der Transall-Maschinen mit Waffen und Täuschkörpern, die Verwendung einer Eliteeinheit, die Bewaffnung dieser Fallschirmjäger mit Kriegswaffen, konkret mit Maschinengewehren des 11,5 Kilogramm schweren Typs MG3 und mit weiteren Gewehren. Entsprechend habe die bundeswehrinterne Berichterstattung von einem "scharfen Einsatz" gesprochen. Gleiches ergebe sich aus der Anzahl weiterer militärischer Einsatzmittel, insbesondere der über 1000 Soldatinnen und Soldaten, die auf Kreta und im Mittelmeer, dort unter anderem auf zwei Fregatten, bereitgestellt worden seien, um die Evakuierungsaktion im Zweifelsfall zu unterstützen. Diese Einschätzung werde ferner durch den Umstand bestätigt, dass eine am Folgetag von niederländischen Soldaten durchgeführte ähnliche Aktion zu deren Gefangennahme durch libysche Soldaten geführt habe. Bei der Evakuierung aus Nafurah habe es sich nicht um einen humanitären Einsatz gehandelt, weil die Aufgabe nicht durch medizinische oder technische Zivilkräfte hätte übernommen werden können. Es sei gerade auf die Möglichkeit des Einsatzes militärischer Gewalt angekommen. Selbst wenn ein humanitärer Einsatz vorgelegen hätte, wäre er nach § 2 Abs. 2 Satz 3, 2. Alt. ParlBG nachträglich zustimmungspflichtig gewesen, weil die begründete Erwartung eines konkreten Waffeneinsatzes bestanden habe.

34

bb) Der Einsatz löse aus den genannten Gründen auch den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt aus. Die deutschen Soldaten seien in ein aktuelles Bürgerkriegsgebiet verlegt worden, in dem auch nach Planung der Bundeswehr mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer unmittelbaren Verwicklung in bewaffnete Kampfhandlungen mit libyschen Truppen zu rechnen gewesen sei.

III.

35

Die Antragsgegnerin hält den Antrag für zulässig, aber unbegründet. Die Evakuierung aus Nafurah sei kein der parlamentarischen Zustimmung bedürftiger "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Parlamentsbeteiligungsgesetzes gewesen.

36

1. a) Maßgeblich sei die Bestimmung der zustimmungsrelevanten Schwelle möglicher militärischer Konfrontation im Zusammenhang mit Evakuierungsoperationen, zu der sich das Bundesverfassungsgericht bisher nicht habe verhalten müssen. Der Begriff der "Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen" benötige scharfe und verlässliche Konturen und setze ein beachtliches Maß an militärischem Einsatzpotential und Konfliktträchtigkeit voraus, denn der Parlamentsvorbehalt sei "auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten" (BVerfGE 108, 34 <42 f.>). Im modernen Völkerrecht sei an die Stelle des "Krieges" der "bewaffnete Konflikt" getreten, dessen Vorliegen eine direkte Gewaltanwendung zwischen staatlichen Streitkräften, eine anhaltende Gewalttätigkeit zwischen einem Staat und einer nichtstaatlichen Partei oder zwischen nichtstaatlichen Gruppierungen voraussetze. Ein nach Operationszweck und Konfiguration der Einsatzkräfte weitab von dieser Schwelle angesiedelter Einsatz stelle keine zustimmungspflichtige Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen dar.

37

b) Der vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Parlamentsvorbehalt beruhe auf richterlicher Rechtsfortbildung und stelle rechtssystematisch eine Durchbrechung der alleinigen Verantwortlichkeit der Exekutive im auswärtigen Bereich dar. Eine extensive Handhabung verbiete sich daher. Entsprechend knüpfe das Bundesverfassungsgericht den Parlamentsvorbehalt an das Risiko einer "größere[n] und länger währende[n] Auseinandersetzung […] bis hinein in einen umfänglichen Krieg" (BVerfGE 121, 135 <161>), unterhalb dessen die Einsatzentscheidung in die alleinige Kompetenz der Exekutive falle. Dabei sei von Relevanz, ob eine bewaffnete Konfrontation mit Streitkräften anderer Staaten oder allenfalls eine vereinzelte Auseinandersetzung mit Einzelpersonen oder einer Bande drohe und ob die Stellung und das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Staatengemeinschaft oder deren Ordnung berührt werden könnten.

38

c) Unabhängig vom Leitbild des Kriegseintritts fehle es an dem für eine Zustimmungspflicht maßgeblichen "militärischen Gepräge" insbesondere dann, wenn die Operation der Bundeswehr nach der Ausrüstung der Soldaten, dem Einsatzzweck sowie der Befehlslage und begleitenden Maßnahmen darauf ausgerichtet sei, ohne den Einsatz spezifisch militärischer Machtmittel durchgeführt zu werden, und die Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung möglichst vermieden werden solle. Dies sei dann der Fall, wenn sich die bei einem humanitären Einsatz aus einer Gefahrenlage zu befreienden Personen nicht in der Gewalt Dritter befänden und die Operation nicht darauf angelegt sei, vorausgesetzten oder mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarteten Widerstand mit militärischen Mitteln zu überwinden. Die Rechtsprechung verbinde in diesem Sinne das militärische Gepräge auch mit einer offensiven Anwendung von Waffengewalt. Bei humanitären Einsätzen unter Mitführung von Waffen zur Gefahrenvorsorge sei daher eine parlamentarische Zustimmung nicht erforderlich. Dies entspreche der Wertung in § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBG. Eine ausdrückliche, konkludente oder mutmaßliche Zustimmung des von einem Einsatz betroffenen Staates bedeute ebenfalls, dass kein militärisches Gepräge der Operation vorliege.

39

d) Bei dem Evakuierungseinsatz in Albanien im Jahr 1997 seien mehrere Transportflugzeuge, Hubschrauber mit über hundert Soldaten und eine Fregatte mit über zweihundert Soldaten beteiligt gewesen. Die Bundesregierung habe die Sicherheitslage als anarchisch beschrieben, und es sei zu einem Schusswechsel mit nichtstaatlichen Akteuren gekommen. Dennoch gehe eine beachtliche Rechtsansicht davon aus, dass eine Zustimmung des Bundestages für diese Evakuierung nicht erforderlich gewesen sei. Es habe auch keine Kontroversen gegeben, als zur Bekämpfung der Flutkatastrophe in Mosambik im Jahr 2000 über hundert mit Handfeuerwaffen ausgerüstete Soldaten eingesetzt wurden und keine parlamentarische Zustimmung eingeholt worden sei.

40

2. a) Der Parlamentsvorbehalt verlange die "qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen" (BVerfGE 121, 135 <165>) und setze voraus, dass der Waffeneinsatz Teil der operativen Logik sei, nicht bloß Element der Gefahrenvorsorge. Weiter müsse die Einbeziehung "unmittelbar zu erwarten sein" (BVerfGE 121, 135 <166>), was nur der Fall sei, wenn die militärische Gewalt zeitlich nahe bevorstehe oder zumindest wahrscheinlich sei (BVerfGE 121, 135 <166>). Nur so sei die Verknüpfung des Parlamentsvorbehalts mit dem historischen Bild des Kriegseintritts gegeben.

41

b) Ein Höchstmaß an Gefahrenvorsorge auch für unwahrscheinliche Bedrohungslagen - etwa das Vorhalten von Reservekräften - könne die Zustimmungspflicht nicht auslösen. Anderenfalls entspräche der dadurch geschaffene Anreiz für die Exekutive zu gesteigerter Risikobereitschaft weder der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der Regierung für die Streitkräfte noch der Schutzpflicht für die Soldaten und Schutzbefohlenen. Für die notwendige scharfe Konturierung der "qualifizierten Erwartung" müsse die Beurteilung zum Zeitpunkt des Einsatzbefehls entscheidend sein.

42

c) Das Bundesverfassungsgericht habe die qualifizierte Erwartung einer bewaffneten Auseinandersetzung dann angenommen, wenn ein irreversibler, quasi automatisch zu einer militärischen Verstrickung führender Kausalverlauf in Gang gesetzt werde. Mit Blick auf das von der Rechtsprechung ebenfalls thematisierte Eskalationspotential lieferten Umfang und Dauer einer Operation insoweit wesentliche Beurteilungskriterien. Wenn eine Aktion selbst bei unerwartetem Verlauf mit Einsatz von Waffengewalt keine Folgeauseinandersetzungen und auch keine Rückwirkungen auf die außenpolitischen Beziehungen befürchten lasse, werde die Schwelle der Zustimmungsbedürftigkeit nicht überschritten. Dies gelte insbesondere, wenn geplant sei, einen Einsatz in wenigen Stunden mit sehr beschränkten Mitteln durchzuführen, und gewaltsamer Widerstand und die Berührung mit fremden Streitkräften nicht erwartet werde.

43

d) Weiter seien für die maßgebliche ex-ante-Beurteilung vorausgegangene und völlig konfliktfrei verlaufene Operationen ähnlicher Art zu berücksichtigen. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sei dagegen unerheblich, ob es nach Abschluss des Einsatzes bei Evakuierungsoperationen anderer Staaten an anderen Orten zu Verwicklungen gekommen sei.

44

e) Ferner müsse der Exekutive trotz der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit der tatbestandlichen Voraussetzungen des Parlamentsvorbehalts im Falle von Gefahr im Verzug eine Einschätzungsprärogative überlassen werden, denn die zu treffende Prognose werde auch voluntativ durch die Exekutive selbst bestimmt. Die militärische und außenpolitische Einschätzung der Bundesregierung sowie die alternative Einsatzplanung für bestimmte Operationsverläufe seien sowohl Teil der objektiven Lage als auch des Risikopotentials.

45

f) Zwar sei der tatsächliche Waffeneinsatz insoweit nicht maßgeblich, ein tatsächlicher Einsatzverlauf ohne Waffengewalt begründe indes die Vermutung, dass die qualifizierte Erwartung einer bewaffneten Unternehmung nicht bestanden habe. Die Vermutung dürfte sogar unwiderleglich sein, wenn es auch sonst nicht zu risikorelevanten Abweichungen im Ablauf gekommen, der Nichteinsatz von militärischen Machtmitteln also nicht auf glückliche Umstände zurückzuführen sei.

46

3. Die Evakuierung aus Nafurah stelle nach diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben keinen zustimmungsbedürftigen Einsatz bewaffneter Streitkräfte dar, sondern sei geradezu ein Gegenbeispiel zum entsprechenden Leitbild der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

47

a) Der Einsatz habe nach Zweck und Ausgestaltung kein spezifisch "militärisches Gepräge" aufgewiesen. Sein Zweck habe den einige Tage zuvor mit Transportmaschinen der Bundeswehr und einem zivilen Flugzeug durchgeführten Evakuierungen aus Tripolis entsprochen. Die eingesetzten Lufttransportmittel der Bundeswehr seien nicht bewaffnet, sondern lediglich mit einem passiven Schutzsystem im Hinblick auf die latente landesweite Bedrohung durch Flugabwehrsysteme ausgestattet gewesen. Die Sicherungsgruppe habe nur über leichte Waffen zur Selbstverteidigung verfügt, die konkret zur Überwachung des Umfeldes eingesetzten Fallschirmjäger in Nafurah hätten ihre Handwaffen in deeskalierender Position getragen. Die mitgeführten Maschinengewehre seien stets in den beiden Transall verblieben. Alle Sicherheitsvorkehrungen ließen sich ausschließlich als Maßnahme der Gefahrenvorsorge qualifizieren.

48

b) Der dem Einsatz zugrunde liegende Auftrag habe eine nicht-militärische Zielrichtung gehabt und sei im Kern auch mit nicht spezifisch militärischen Mitteln - mit unbewaffneten Flugzeugen - zu bewältigen gewesen. Die militärischen Komponenten hätten sich ausschließlich auf flankierende Maßnahmen mit Vorsorgecharakter beschränkt. Soweit die Antragstellerin den militärischen Charakter auf "das Eindringen in den Luftraum eines fremden Landes" zu stützen versuche, verkenne sie, dass die Bundesregierung bei allen Evakuierungsflügen von einer konkludenten Zustimmung Libyens habe ausgehen dürfen und die deutsche Botschaft in Tripolis am 22. Februar 2011 von einer generellen Start- und Landeerlaubnis für sämtliche Evakuierungsflüge unterrichtet worden sei. Ferner sei der Einsatz den libyschen Behörden durch Verbalnote mitgeteilt worden, und das Auswärtige Amt habe in ständigem Kontakt mit libyschen Regierungsvertretern gestanden. Infolge dieses Einvernehmens mit den zuständigen libyschen Stellen habe es auch keiner völkerrechtlichen Rechtfertigung des Einsatzes bedurft.

49

c) Die Gefahrenanalyse im unmittelbaren Vorfeld der Evakuierung habe eine militärische Konfrontation keinesfalls erwarten lassen. Der lokale Sicherheitsbeauftragte eines deutschen Unternehmens habe verlässliche Informationen aus Nafurah geliefert. Das Lagebild, insbesondere die Nutzung der dortigen Landebahn durch eine private Maschine in den Tagen vor dem Einsatz, die unmittelbar vor dem Start der deutschen Militärmaschinen von den Briten problemlos durchgeführte Luftevakuierung aus dem Camp und die Unterstützung der zu Evakuierenden durch die Gegend kontrollierende Ortskräfte hätten eine konkrete Bedrohung oder bewaffnete Konfrontation als denkbar, aber zugleich als außerordentlich unwahrscheinlich erscheinen lassen. Die flankierenden Sicherheitsvorkehrungen einschließlich des Einsatzes von bewaffneten Soldaten seien den Unwägbarkeiten in der Gesamtsituation Libyens aus der Distanz der operativen Führung sowie der Fürsorgepflicht und grundrechtlichen Schutzverantwortung des deutschen Staates geschuldet gewesen.

50

d) Die Annahme einer drohenden militärischen Konfrontation könne auch nicht mit der Verlegung größerer Truppenteile in den Mittelmeerraum gerechtfertigt werden. Der damit angesprochene Einsatzverband "Pegasus" sei erst am 27. Februar 2011 einsatzbereit gewesen und weder bei der Evakuierung aus Nafurah noch zu einem späteren Zeitpunkt zum Einsatz gekommen.

51

e) Die "Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN", die die Durchsetzung des Auftrags mit militärischer Gewalt erlaubt habe, weise ebenfalls nicht auf eine konkrete Erwartung ex ante hin, in Nafurah in eine bewaffnete Operation einbezogen zu werden. Bei dieser handele es sich um eine Weisung des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, die für alle denkbaren Maßnahmen im Rahmen der Operation "Pegasus" herausgegeben worden sei. Nachdem bei der kurzfristig vorab notwendig gewordenen Rückführung aus Nafurah ein bewaffneter Streitkräfteeinsatz nicht zu erwarten gewesen sei, sei eine etwaige Änderung oder Anpassung der bereits vorliegenden Weisung gegenüber den bei der Evakuierung eingesetzten Soldaten schon aus Zeitgründen nicht mehr kommunizierbar gewesen. Rechtlich sei dies auch nicht erforderlich gewesen, weil die in der Weisung beschriebenen abstrakten Befugnisse immer in Abhängigkeit von der konkreten Lage anzuwenden seien. Die Weisung enthalte keine spezifischen operativen Vorgaben, dass militärische Gewalt anzuwenden sei. Überdies seien für die Frage der parlamentarischen Zustimmung allein der Kenntnis- und Erwartungsstand der Bundesregierung und deren darauf beruhende Bewertung maßgeblich.

IV.

52

Der Bundespräsident, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat wurden von dem Verfahren in Kenntnis gesetzt (§ 65 Abs. 2 BVerfGG).

V.

53

In der mündlichen Verhandlung am 28. Januar 2015 haben die Beteiligten ihr schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt. Zur Vorbereitung der Operation "Pegasus" und den Einzelheiten der Evakuierung aus Nafurah wurden der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, und der seinerzeitige Krisenbeauftragte des Auswärtigen Amtes, Botschafter Michael Klor-Berchtold, gehört.

VI.

54

Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 3. März 2015 die dem Senat auf Anforderung bereits zuvor vorgelegten Weisungen, Befehle und sonstigen Dokumente zur Operation "Pegasus" und der Evakuierung aus Nafurah durch Vorlage weiterer Weisungen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr ergänzt. Diese wurden nach Eingang beim Bundesverfassungsgericht dem Bevollmächtigten der Antragstellerin zur Kenntnisnahme gegeben.

B.

55

Der Antrag ist zulässig.

I.

56

Die Antragstellerin ist als Fraktion des Deutschen Bundestages im Organstreitverfahren gemäß § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG parteifähig und berechtigt, im eigenen Namen Rechte geltend zu machen, die dem Deutschen Bundestag gegenüber der Bundesregierung zustehen (vgl. BVerfGE 1, 351 <359>; 2, 143 <165>; 104, 151 <193>; 118, 244 <254 f.>; 121, 135 <150>; 131, 152 <190>; stRspr). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG mögliche Antragsgegnerin. Die gerügte Unterlassung der Antragsgegnerin, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr die nachträgliche Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen, ist nach § 64 Abs. 1 BVerfGG tauglicher Gegenstand eines Organstreitverfahrens (vgl. BVerfGE 121, 135 <150>).

II.

57

Die Antragstellerin ist antragsbefugt.

58

1. Die Antragstellerin hat in substantiierter Weise die Möglichkeit vorgetragen, dass der Deutsche Bundestag in seinen Rechten verletzt wurde, weil die Antragsgegnerin es ablehnte, für die Evakuierung deutscher und anderer Staatsbürger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich seine Zustimmung einzuholen (§ 64 Abs. 1 BVerfGG). In seinem Urteil vom 12. Juli 1994 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass "Einsätze bewaffneter Streitkräfte" im Ausland von Verfassungs wegen der grundsätzlich vorherigen konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages unterliegen und der Bundestag umgehend nachträglich mit einem bewaffneten Außeneinsatz zu befassen ist, wenn ihn die Bundesregierung bei Gefahr im Verzug ausnahmsweise allein beschlossen hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <383 ff.>). Den verfassungsrechtlichen Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" und damit die Reichweite der parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit hat der Senat in einem weiteren Urteil vom 7. Mai 2008 konkretisiert (vgl. BVerfGE 121, 135 <163 ff.>). Beide Entscheidungen befassen sich mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Rahmen von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Es ist bislang nicht ausdrücklich geklärt, ob und inwieweit die bisherige Rechtsprechung auf von der Exekutive angeordnete, vor einer möglichen Parlamentsbefassung bereits abgeschlossene unilaterale Evakuierungseinsätze der Bundeswehr anzuwenden ist. Deshalb ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass es aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts einer nachträglichen Befassung des Deutschen Bundestages mit dem Einsatz deutscher Soldaten in Libyen bedurfte.

59

2. Der Deutsche Bundestag hat mit der Ablehnung des von der Fraktion DIE LINKE initiierten Antrags zur nachträglichen Mandatierung des Evakuierungseinsatzes in Libyen am 24. März 2011 nicht auf die Ausübung seiner Rechte verzichtet. Es ist gerade Sinn und Zweck der in § 64 BVerfGG geregelten Prozessstandschaft, der Parlamentsminderheit die Befugnis zur Geltendmachung der Rechte des Bundestages auch dann zu erhalten, wenn die Mehrheit seiner Mitglieder sie, insbesondere im Verhältnis zu der von ihr getragenen Bundesregierung, nicht wahrnehmen will. Dies ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60, 319 <325 f.>; 68, 1 <77 f.>; 121, 135 <151>).

III.

60

Für die Antragstellerin besteht ein Rechtsschutzbedürfnis.

61

1. Zwischen den Beteiligten sind Umfang und Grenzen des sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergebenden wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts (vgl. BVerfGE 90, 286 <390>; 108, 34 <42>; 121, 135 <152>) umstritten. Es herrscht Unklarheit darüber, unter welchen Voraussetzungen das Recht auf Beteiligung und die Pflicht zur Beteiligung des Deutschen Bundestages ausgelöst werden.

62

2. Für das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin ist es ohne Bedeutung, ob die Antragsgegnerin dem von ihr verlangten Handeln über eine längere Zeit hinweg nicht nachgekommen ist (fortdauerndes Unterlassen) oder ob die behauptete Verpflichtung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erfüllen war. Denn das Rechtsschutzbedürfnis im Organstreit entfällt grundsätzlich nicht deshalb, weil eine beanstandete Rechtsverletzung abgeschlossen ist (BVerfGE 1, 372 <379>; 41, 291 <303>; 121, 135 <152>; 131, 152 <193>). Ob besondere Umstände im Sinne eines "Fortsetzungsfeststellungsinteresses" erforderlich sind, damit über eine in der Vergangenheit liegende und abgeschlossene Rechtsverletzung entschieden werden kann, bedarf keiner Entscheidung; solche Umstände sind hier in Form eines objektiven Interesses an der weiteren Klärung der Reichweite des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts und in Form einer Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 131, 152 <193 f.>) gegeben. Die Antragsgegnerin hat ihre von der Antragstellerin gerügte Rechtsauffassung bereits vorprozessual vertreten und im Verfahren wiederholt, so dass ein gleichgerichtetes Vorgehen in zukünftigen vergleichbaren Situationen erwartet werden kann.

63

3. Die Antragstellerin hat, indem sie im Deutschen Bundestag am 24. März 2011 den Antrag der Fraktion DIE LINKE unterstützte, der auf die nachträgliche Einholung der Zustimmung des Bundestages für den Evakuierungseinsatz in Libyen gerichtet war, über die sie im Organstreit treffenden Obliegenheiten hinaus (vgl. BVerfGE 90, 286 <338 f.>; 104, 151 <198>; 129, 356 <374 f.>) Schritte unternommen, den Bundestag dazu zu veranlassen, seine Rechte geltend zu machen (vgl. BVerfGE 121, 135 <153>).

IV.

64

Die Antragsfrist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG ist gewahrt. Da der Evakuierungseinsatz in Nafurah am 26. Februar 2011 stattfand und die unterlassene Maßnahme in Form einer Beteiligung des Deutschen Bundestages gegebenenfalls nachträglich hätte erfolgen müssen, war die sechsmonatige Frist am 11. August 2011, als der Antrag beim Bundesverfassungsgericht einging, noch nicht abgelaufen.

C.

65

Der Antrag ist unbegründet. Die Antragsgegnerin hat das wehrverfassungsrechtliche Beteiligungsrecht des Deutschen Bundestages in Form des konstitutiven Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht dadurch verletzt, dass sie es unterließ, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich die Zustimmung des Bundestages einzuholen.

I.

66

Der konstitutive wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist nicht auf Einsätze bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit beschränkt, sondern gilt darüber hinaus allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher Soldaten im Ausland (1.). Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt nicht erst dann vor, wenn eine Unternehmung im Ausland unter Einbeziehung deutscher Soldaten einen kriegerischen oder kriegsähnlichen Charakter aufweist (2.). Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. Sie muss das Parlament in einem solchen Fall umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen (3.). Die Fragen, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen vorlag und ob Gefahr im Verzug gegeben war, sind verfassungsgerichtlich voll überprüfbar (4.). Ist ein von der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz bewaffneter Streitkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt nachträglicher Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen und eine parlamentarische Einflussnahme auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte deshalb nicht mehr möglich, muss die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unverzüglich und qualifiziert über die Grundlagen ihrer Einsatzentscheidung und den Verlauf des Einsatzes unterrichten (5.).

67

1. Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Gesamtzusammenhang wehrverfassungsrechtlicher Vorschriften und vor dem Hintergrund der deutschen Verfassungstradition seit 1918 dem Grundgesetz ein allgemeines Prinzip entnommen, nach dem jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven, grundsätzlich vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 ff.>; 100, 266 <269>; 104, 151 <208>; 108, 34 <43>; 121, 135 <154>; 126, 55 <69 f.>; stRspr). Die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen des Grundgesetzes sind darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern sie als "Parlamentsheer" in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 f.>; 108, 34 <44>; 121, 135 <154>; 123, 267 <422>; 126, 55 <70>). Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt gilt allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte (a)) und ist parlamentsfreundlich auszulegen (vgl. BVerfGE 121, 135 <162>; b)).

68

a) Der unmittelbar kraft Verfassung geltende wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt (BVerfGE 90, 286 <390>; 121, 135 <156>) begründet ein wirksames Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der auswärtigen Gewalt. Die parlamentarische Zustimmung ist grundsätzlich vor Beginn eines Einsatzes einzuholen. Der Bundestag kann nicht ohne die Bundesregierung einen Streitkräfteeinsatz verfügen, weil der Parlamentsvorbehalt ein Zustimmungsvorbehalt ist, der keine Initiativbefugnis verleiht (vgl. BVerfGE 90, 286 <388 f.>; 121, 135 <154>).

69

Das Erfordernis parlamentarischer Mitwirkung gilt sowohl für bewaffnete Außeneinsätze deutscher Soldaten innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG, wie sie Gegenstand bisheriger Entscheidungen des Senats waren (vgl. BVerfGE 90, 286 <351 ff.>; 121, 135 <156 f.>), als auch allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte (vgl. BVerfGE 90, 286 <381>; 121, 135 <153>), unabhängig von dessen materiell-rechtlicher Grundlage (vgl. § 2 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG). Auch jeder unilaterale Auslandseinsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bedarf somit der grundsätzlich vorherigen parlamentarischen Zustimmung. Die Bundeswehr wäre kein Parlamentsheer, wenn aus dem Anwendungsbereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gerade die allein national verantworteten Streitkräfteeinsätze im Ausland ausgeklammert wären, denen kein Prozess konsensualer Willensbildung innerhalb eines Bündnissystems vorausgeht, in welches sich Deutschland bereits mit Zustimmung des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 90, 286 <351>; 104, 151 <194>; 118, 244 <258>) eingeordnet hat. Das gilt unabhängig von der in diesem Organstreit nicht zu klärenden Frage nach der Ermächtigungsgrundlage solcher Einsätze.

70

b) Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist angesichts seiner Funktion und Bedeutung parlamentsfreundlich auszulegen. Insbesondere kann das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts nicht unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der Exekutive maßgeblich von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht werden (vgl. BVerfGE 121, 135 <162 f.>). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Streitkräfteeinsatz innerhalb eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolgt oder national verantwortet wird. Denn der Entscheidungsverbund von Parlament und Regierung stellt hier wie dort keine Durchbrechung der alleinigen Verantwortlichkeit der Exekutive im auswärtigen Bereich dar; er ist vielmehr ein prägender Teil der grundgesetzlichen Gewaltenteilung. Soweit dem Grundgesetz eine Zuständigkeit des Deutschen Bundestages in Form eines wehrverfassungsrechtlichen Mitentscheidungsrechts entnommen werden kann, besteht kein eigenverantwortlicher Entscheidungsraum der Bundesregierung (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>).In diesem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, ob das Parlament sein Mitentscheidungsrecht - wie grundsätzlich geboten - vor dem Einsatz wahrnimmt oder ausnahmsweise erst nach dessen Beginn, weil die Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug die Einsatzentscheidung einstweilen allein getroffen hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>). Die Eilkompetenz verschafft der Bundesregierung nur das Recht zur Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, nicht aber die von der Antragsgegnerin angenommenen Auslegungsspielräume hinsichtlich der Frage, ob ein solcher Einsatz gegeben ist und damit ein Mitwirkungsrecht des Bundestages besteht (vgl. BVerfGE 121, 135 <168 f.>). Anderenfalls drohte aus der Ausnahmebefugnis (vgl. BVerfGE 121, 135 <154>) der Exekutive zur vorläufigen Alleinentscheidung in Gefahrensituationen systemwidrig eine regelhafte Befugnis zur endgültigen Alleinentscheidung zu werden.

71

2. Gegenstand der Parlamentsbeteiligung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" (BVerfGE 90, 286 <387 f.>; 121, 135 <154>). Es handelt sich dabei um einen verfassungsrechtlichen Begriff, dessen Konkretisierung von der völkerrechtlichen (vgl. BVerfGE 90, 286 <387>) oder verfassungsrechtlichen Grundlage des konkreten Einsatzes nicht unmittelbar abhängt und der auch nicht von einem im Rang unter der Verfassung stehenden Gesetz (vgl. § 2 ParlBG) verbindlich konkretisiert werden kann, wenn auch die gesetzliche Ausgestaltung des Instituts im Einzelfall Hinweise für seine verfassungsunmittelbare Reichweite zu geben vermag (vgl. BVerfGE 121, 135 <156>; a)). Mit dem Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" ist eine einheitliche rechtliche Schwelle parlamentarischer Zustimmungsbedürftigkeit definiert. Für eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle im Einzelfall ist insoweit kein Raum (b)).

72

a) Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte in diesem Sinne liegt vor, wenn deutsche Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>). Dafür kommt es nicht darauf an, ob bewaffnete Auseinandersetzungen sich bereits im Sinne eines Kampfgeschehens verwirklicht haben, sondern ob die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen qualifiziert zu erwarten ist (vgl. BVerfGE 121, 135 <164 f.>; aa)). Das Führen von Waffen im Ausland und die Ermächtigung zu ihrem Gebrauch können Anhaltspunkte für eine drohende Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen sein (bb)).

73

aa) Die qualifizierte Erwartung der Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen unterscheidet sich in zweifacher Hinsicht von der bloßen Möglichkeit, dass es zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen könnte:

74

(1) Zum einen bedarf es hinreichender greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass ein Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden kann. Hierfür muss aus den Umständen des Falles und der politischen Gesamtlage heraus eine konkrete militärische Gefahrenlage bestehen, die eine hinreichende sachliche Nähe zur Anwendung von Waffengewalt und damit zur Verwicklung deutscher Streitkräfte in eine bewaffnete Auseinandersetzung aufweist (BVerfGE 121, 135 <165>).

75

(2) Zum anderen ist eine besondere Nähe der Anwendung von Waffengewalt erforderlich; die Einbeziehung von Bundeswehrsoldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen muss unmittelbar zu erwarten sein. Steht die Anwendung von Waffengewalt zeitlich nahe bevor, begründet dies bereits für sich genommen die qualifizierte Erwartung der Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen; sie wird jedoch regelmäßig mit der Verdichtung tatsächlicher Umstände einhergehen, die auf kommende militärische Auseinandersetzungen hindeuten. Aber auch eine Betrachtung der Einsatzplanung und der Einsatzbefugnisse kann ergeben, dass eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich ist und praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf abhängt (vgl. BVerfGE 121, 135 <166>).

76

bb) Anhaltspunkte für die drohende Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen bestehen, wenn sie im Ausland Waffen mit sich führen und ermächtigt sind, von ihnen Gebrauch zu machen. Denn es kann dadurch je nach dem Verlauf des tatsächlichen Geschehens dazu kommen, dass die Bewaffnung in die Anwendung von Waffengewalt mündet. Solange es sich allerdings rechtlich nur um eine Ermächtigung zur Selbstverteidigung handelt und der Einsatz selbst einen nicht-militärischen Charakter hat, ist die Schwelle zur Zustimmungsbedürftigkeit nicht schon durch diese Ermächtigung erreicht (vgl. BVerfGE 121, 135 <167 f.>).

77

b) Der Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" als Ausdruck qualifizierter Erwartung einer Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen legt für alle Einsätze der Bundeswehr im Ausland, seien sie konsensual in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit oder national verantwortet, eine einheitliche Schwelle parlamentarischer Zustimmungsbedürftigkeit fest. Eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle ist im konkreten Einzelfall nicht zu überwinden (aa)). Auch Einsätze, die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind, können dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallen (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; 121, 135 <166>; bb)).

78

aa) Grundsätzlich unterliegt jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt ist in der Begründung zwar auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten (vgl. BVerfGE 108, 34 <42 f.> unter Verweis auf BVerfGE 90, 286 <383>), in seiner Funktion aber nicht auf eine parlamentarische Mitentscheidung bei kriegerischen oder kriegsähnlich ausgerichteten Außeneinsätzen beschränkt. Ein rechtlich erheblicher Einfluss des Bundestages auf die Verwendung der Streitkräfte muss nach den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen zur Organkompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt auch unterhalb dieser Schwelle gewährleistet sein, die sich überdies einer präzisen Bestimmung entzieht.

79

Unter den heutigen politischen Bedingungen, in denen Kriege in der Regel nicht mehr förmlich erklärt werden, steht eine sukzessive Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen dem offiziellen Kriegseintritt gleich (vgl. BVerfGE 108, 34 <43>). Jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte kann von der begrenzten Einzelaktion in eine größere und länger währende militärische Auseinandersetzung münden, bis hinein in einen umfänglichen Krieg (BVerfGE 121, 135 <161>). Gerade in politisch und militärisch instabilen Regionen bedarf es zudem häufig nur eines geringen Anlasses, um eine eskalierende Konfliktdynamik in Gang zu setzen. All dies trifft gleichermaßen auf national verantwortete bewaffnete Außeneinsätze der Bundeswehr zu, wie auf Einsätze innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit, anhand derer das Bundesverfassungsgericht die Tatbestandsvoraussetzungen eines "Einsatzes bewaffneter Streitkräfte" definiert hat (vgl. BVerfGE 121, 135 <161 ff.>).

80

Die verfassungsrechtlich gebotene Wahrnehmung konstitutiver parlamentarischer Verantwortung für jedweden bewaffneten Auslandseinsatz der Bundeswehr beginnt daher entgegen der von der Antragsgegnerin vertretenen Auffassung nicht erst dann, wenn ein von der Bundesregierung geplanter Einsatz von vornherein dem Leitbild eines Kriegseintritts entspricht. Ein Streitkräfteeinsatz muss - jenseits der qualifizierten Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen - im Einzelfall daher keine bestimmte militärische Erheblichkeitsschwelle überschreiten oder einen auf offensive Gewaltanwendung angelegten Charakter aufweisen, um den Parlamentsvorbehalt auszulösen; humanitäre Zielsetzungen als solche suspendieren das Erfordernis parlamentarischer Zustimmung nicht.

81

bb) Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 festgestellt, dass bei Einsätzen bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von Resolutionen des Sicherheitsrates die vorherige Zustimmung des Bundestages unabhängig davon erforderlich ist, ob den Streitkräften Zwangsbefugnisse nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen (BGBl 1973 II S. 430) eingeräumt sind, weil die Grenzen zwischen den traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden sind und der Begriff der Selbstverteidigung, die schlichten Friedenstruppen erlaubt ist, bereits in einem aktiven Sinne dahin definiert wird, dass sie auch den Widerstand gegen gewaltsame Versuche einschließt, die Truppen an der Durchführung ihres Auftrags zu hindern (vgl. BVerfGE 90, 286 <387 f.>). Auch die Verwendung von Personal der Bundeswehr für bloße Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland kann der parlamentarischen Zustimmung bedürfen, sofern die Soldaten dabei in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <155>). Generell können auch Einsätze, die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind, dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallen (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; 121, 135 <166>).

82

Bei dem konstitutiven Parlamentsvorbehalt geht es um die grundgesetzlich vorgegebene Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung bei der Entscheidung über die Verwendung der Streitkräfte als Machtpotential, die dem Deutschen Bundestag unabhängig von der Bedeutung des Einsatzes einen insoweit rechtserheblichen Einfluss sichern soll (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 f.>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>). Dem einheitlich zu definierenden verfassungsrechtlichen Begriff eines zustimmungsbedürftigen "Einsatzes bewaffneter Streitkräfte" können deshalb qualitativ unterschiedliche Arten der Verwendung der Bundeswehr unterfallen. Es ist Sache des Gesetzgebers, Form und Ausmaß parlamentarischer Mitwirkung je nach Anlass und Rahmenbedingungen des Einsatzes näher auszugestalten (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; vgl. auch § 4 ParlBG).

83

3. Ohne vorherige parlamentarische Zustimmung ist ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte unter dem Grundgesetz grundsätzlich nicht zulässig. Die im Entscheidungsverbund mit der Bundesregierung dem Einsatz vorausgehende Beteiligung des Deutschen Bundestages schont die Kompetenzen beider Verfassungsorgane (a)). Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, vorläufig allein den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu beschließen, etwa damit die Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik durch den Parlamentsvorbehalt nicht in Frage gestellt wird (b)). Sie muss jedoch in einem solchen Fall den Deutschen Bundestag umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen (c)).

84

a) Besteht die aus den konkreten Umständen hinreichend belegbare Erwartung einer unmittelbaren Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen, ist die vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages schon deshalb erforderlich, weil nur so vermieden werden kann, dass das Parlament in eine Art Ratifikationslage gerät, die eine eigenverantwortliche Entscheidung erschwert. Die vorherige Beteiligung ist gegenüber einem späteren parlamentarischen Rückruf deutscher Soldaten (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>) auch zugleich die für die außenpolitische Handlungs- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland schonendere Alternative (vgl. BVerfGE 90, 286 <363 f., 388>; 108, 34 <44 f.>; 121, 135 <167>).

85

Bundesregierung und Bundestag trifft daher eine Verpflichtung, sicherzustellen, dass die Zustimmung des Parlaments in der Regel zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die materielle Entscheidung über eine Anwendung von Waffengewalt noch nicht getroffen ist und auch nicht vor dem Abschluss des Zustimmungsverfahrens getroffen wird (vgl. BVerfGE 121, 135 <167>).

86

b) Nur ausnahmsweise ist die Bundesregierung - bei Gefahr im Verzug - berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. Der Beschluss der Bundesregierung bedarf keiner Genehmigung durch den Deutschen Bundestag, sondern der Bundestag muss dem Einsatz umgehend zustimmen, damit dieser fortgesetzt werden darf (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>).

87

Im Fall von Gefahr im Verzug ist der Bundesregierung eine auf den Einzelfall bezogene Eilzuständigkeit zur Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte eröffnet. Obwohl die Wahrnehmung der exekutiven Eilkompetenz stets eine Beeinträchtigung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts darstellt, bedarf diese Anordnung keiner rückwirkenden rechtsgestaltenden Legitimierung durch den Bundestag. Die gebotene unverzügliche parlamentarische Befassung nach Beginn des Einsatzes (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) hat nicht die Wirkung einer Genehmigung mit der Folge, dass im Falle einer Versagung der parlamentarischen Zustimmung der Einsatz von Anfang an rechtswidrig wäre (vgl. Baldus, Schriftliche Stellungnahme [S. 37 f.], Sten. Prot. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 17. Juni 2004, S. 77 f.). Die Eilentscheidung der Bundesregierung entfaltet vielmehr die gleiche Rechtswirkung wie die unter regulären Umständen im Verbund mit dem Bundestag getroffene Einsatzentscheidung. Für eine konstitutive parlamentarische Zustimmung ist bei einem von der Exekutive im Eilfall beschlossenen und bereits begonnenen Einsatz daher nur ex nunc Raum. Durch die Verweigerung der Zustimmung wird die Bundesregierung verpflichtet, den Einsatz zu beenden und die Streitkräfte zurückzurufen. Die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland werden auf diese Weise gesichert, und zugleich wird dem Interesse der eingesetzten deutschen Soldaten Rechnung getragen, nur aufgrund einer rechtlich verlässlichen und nicht etwa schwebend unwirksamen Anordnung in einen bewaffneten Auslandseinsatz entsandt zu werden.

88

c) Durch die als Ausnahmebefugnis im Notfall konzipierte Eilkompetenz der Bundesregierung für die Einsatzentscheidung (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) werden das wehrverfassungsrechtliche Recht und die Pflicht zur parlamentarischen Verantwortungsübernahme nicht aufgegeben. Wie sich in der Verpflichtung der Bundesregierung zur umgehenden nachträglichen Befassung des Bundestages mit dem Einsatz (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) zeigt, soll die exekutive Eilkompetenz lediglich in einer kurzfristigen Ausnahmesituation die militärpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland sichern. Das Recht der Exekutive zur vorläufigen Alleinentscheidung bei Gefahr im Verzug steht daher nicht gleichrangig neben dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt. Als Durchbrechung des originären parlamentarischen Mitentscheidungsrechts ist es vielmehr eine diesem gegenüber subsidiäre Kompetenz der stets handlungsfähigen Bundesregierung, deren Sinn es nicht etwa ist, der Exekutive insoweit eigene verteidigungspolitische Gestaltungsspielräume zu eröffnen. Der nachträglichen Parlamentsbefassung muss deshalb eine vor dem Streitkräfteeinsatz beginnende und diesen begleitende Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung vorausgehen (vgl. § 5 Abs. 2 ParlBG).

89

4. Die Konzeption der Eilkompetenz hat zur Folge, dass die Bundesregierung selbst über die Voraussetzungen ihrer (vorläufigen) Alleinzuständigkeit zu entscheiden hat. Im Streitfall unterliegen jedoch nicht nur die Feststellung einer Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen der vollen verfassungsgerichtlichen Kontrolle (a)), sondern auch die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals "Gefahr im Verzug" (b)).

90

a) Die - der Frage nach der Eilkompetenz vorausgehende - Frage, ob bei einem Auslandseinsatz eine Einbeziehung deutscher Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Unternehmungen besteht, ist gerichtlich voll überprüfbar. Ein vom Bundesverfassungsgericht nicht oder nur eingeschränkt nachprüfbarer Einschätzungs- oder Prognosespielraum ist der Bundesregierung nicht eröffnet (vgl. BVerfGE 121, 135 <168 f.>).

91

b) Bei der Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals "Gefahr im Verzug" kommt der Bundesregierung ein solcher Einschätzungs- oder Prognosespielraum ebenfalls nicht zu. Allerdings verbleibt ihr ein Einschätzungsspielraum im Eilfall (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>) hinsichtlich der politischen und militärischen Zweckmäßigkeit des bewaffneten Streitkräfteeinsatzes.

92

aa) Das Tatbestandsmerkmal "Gefahr im Verzug" legt die Voraussetzungen einer Eilzuständigkeit der Bundesregierung für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte fest. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum. Die prognostischen Elemente des Gefahrbegriffs geben insoweit für eine andere Sichtweise nichts her. Sie sind nichts weiter als Elemente der Unbestimmtheit von Rechtsbegriffen und rechtfertigen - wie auch in anderen der Gefahrenabwehr dienenden Befugnisnormen - nicht schon von sich aus eine Kontrollbeschränkung der Gerichte (vgl. in Bezug auf Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 103, 142<157> m.w.N.).

93

Der Gesetzgeber kann zwar innerhalb der von der Verfassung gezogenen Grenzen Durchbrechungen des Grundsatzes vollständiger gerichtlicher Nachprüfung von Entscheidungen der Exekutive vorsehen (vgl. BVerfGE 129, 1 <21 ff.>). Der unmittelbar im Grundgesetz verankerte wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt räumt ihm jedoch einen derartigen Gestaltungsfreiraum bei der Regelung der Eilkompetenz der Bundesregierung nicht ein. Der Parlamentsvorbehalt garantiert dem Deutschen Bundestag grundsätzlich ein wirksames Mitentscheidungsrecht über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte, bevor das militärische Unternehmen beginnt und dann maßgeblich zu einer Frage militärischer Zweckmäßigkeit wird (vgl. BVerfGE 121, 135 <161>). Jeder einer richterlichen Kontrolle entzogene exekutive Spielraum bei der Feststellung von Gefahr im Verzug würde demgegenüber die Möglichkeiten einer Inanspruchnahme der Eilkompetenz erweitern und damit den konstitutiven parlamentarischen Zustimmungsvorbehalt über das unerlässliche Maß hinaus schwächen (vgl. BVerfGE 103, 142 <158>). Innerhalb eines wesentlichen Einsatzspektrums hätte allein und abschließend die Bundesregierung darüber zu befinden, ob der Deutsche Bundestag einem Streitkräfteeinsatz in rechtserheblicher Weise vor dessen Beginn zustimmen muss oder erst danach, wenn bereits geschaffene oder doch vorentschiedene Fakten den Entscheidungsraum zu einem Parlamentsnachvollzug verengen. Die durch den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt vorgegebene Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt lässt eine derartige Ermächtigung der Exekutive zur materiellen Entwertung der parlamentarischen Mitentscheidungskompetenz nicht zu (vgl. BVerfGE 121, 135 <167>). Die Rechte, die das Grundgesetz den einzelnen Verfassungsorganen verleiht, stehen weder zu ihrer eigenen Disposition noch zur Disposition des Gesetzgebers (vgl. E. Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, § 28 Rn. 990). Dieser ist hier vielmehr darauf beschränkt, die Voraussetzungen eines Gefahr im Verzug begründenden Notfalls und das dabei zu beobachtende Verfahren näher zu regeln (vgl. BVerfGE 90, 286 <388 ff.>). Dem entsprechen Wortlaut und Begründung von § 5 ParlBG (BTDrucks 15/2742, S. 5 f.), der die Eilkompetenz der Bundesregierung und das Verfahren nachträglicher parlamentarischer Mitwirkung bei Gefahr im Verzug regelt.

94

bb) Eine verfassungsgerichtliche Kontrolle des Merkmals "Gefahr im Verzug" stößt hier auch nicht an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 84, 34 <50>; 129, 1 <23>). Derartige Funktionsgrenzen sind namentlich für das politische Ermessen im Bereich der auswärtigen Gewalt (vgl. BVerfGE 40, 141 <178>; 55, 349 <364 f.>) sowie in verteidigungspolitischen Fragen (vgl. BVerfGE 68, 1 <97>) anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. August 2013 - 2 BvR 2660/06, 2 BvR 487/07 -, EuGRZ 2013, S. 563 <568>). Die tatsächliche und rechtliche Wertung der Bundesregierung bei der Annahme von Gefahr im Verzug ist jedoch keine politische Entscheidung, sondern eine anhand objektiver Kriterien überprüfbare Subsumtion eines Sachverhalts unter die tatbestandliche Voraussetzung einer Eilkompetenz (vgl. BVerfGE 45, 1 <39>), die der Bundesregierung erst den Raum für eine einstweilen alleinige (politische) Entscheidung über den bewaffneten Außeneinsatz der Bundeswehr erschließt. Für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung kommt es dabei auf die Sachlage an, wie sie sich der Bundesregierung zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung darstellt.

95

5. Ist ein von der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz bewaffneter Streitkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer nachträglichen Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen, kann der Deutsche Bundestag einen konstitutiven, rechtserheblichen Einfluss auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte (vgl. BVerfGE 89, 38 <46 f.>; 90, 286 <382>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>) nicht mehr ausüben (a)). In diesem Fall muss die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unverzüglich und qualifiziert über den Einsatz unterrichten (b)).

96

a) Der Senat hatte in seinen bisherigen Entscheidungen zum wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt die Frage, ob ein von der Bundesregierung zu Recht wegen Gefahr im Verzug angeordneter und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer Parlamentsbefassung bereits abgeschlossener Einsatz einer nachträglichen Beteiligung des Deutschen Bundestages bedarf, nicht zu beantworten. Die Bundesregierung muss zwar in jedem Fall das Parlament umgehend mit einem von ihr wegen Gefahr im Verzug beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte zurückrufen, wenn es der Bundestag verlangt (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>). Ob indes eine nachträgliche Parlamentsbefassung auch erforderlich ist, wenn die Möglichkeit zur parlamentarischen Rückholung der Streitkräfte nicht mehr besteht, war bisher nicht Gegenstand verfassungsgerichtlicher Verfahren.

97

aa) Die Auffassung des Gesetzgebers zu dieser Frage lässt sich aus dem Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht eindeutig entnehmen. In § 5 ParlBG ist bestimmt, dass nach exekutiver Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte wegen Gefahr im Verzug der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachzuholen und der Einsatz zu beenden ist, wenn der Bundestag den Antrag ablehnt (Abs. 3). Die Gesetzesbegründung spricht insoweit von einer "zwingende[n] Nachholung der Beteiligung des Parlaments" (vgl. BTDrucks 15/2742, S. 6), ohne darauf einzugehen, ob dies auch gelten soll, wenn der Einsatz zum Zeitpunkt unverzüglicher Parlamentsbefassung bereits beendet ist.

98

bb) Das wehrverfassungsrechtliche Schrifttum misst zwar überwiegend einem nachträglichen Parlamentsbeschluss bei abgeschlossenen Streitkräfteeinsätzen keine rechtserhebliche Wirkung bei, hält aber eine Befassung des Deutschen Bundestages aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gleichwohl für geboten (vgl. Dau, NZWehrr 1998, S. 89 <99>; Hans H. Klein, in: Festschrift für Walter Schmitt Glaeser, 2003, S. 245 <263>; Lutze, DÖV 2003, S. 972 <978>; Baldus, a.a.O., S. 78, Fn. 115; F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis, 2005, S. 280 f.; Sigloch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, 2006, S. 308; Tobias M. Wagner, Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2010, S. 149 f.; Payandeh, DVBl 2011, S. 1325 <1329 f.>).

99

cc) Die kompetenzielle Funktion des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, aufgrund derer dem Deutschen Bundestag eine grundlegende, konstitutive Mitentscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorbehalten und damit ein rechtserheblicher Einfluss auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte garantiert ist (vgl. BVerfGE 89, 38 <46 f.>; 90, 286 <382>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>), kann bei einem abgeschlossenen Einsatz jedoch nicht mehr zum Tragen kommen. Ist ein Einsatz beendet, ist für eine konstitutive Zustimmung des Bundestages, für eine Mitverantwortung und -entscheidung kein Raum mehr. Hat die Bundesregierung einen zeitlich eng begrenzten und vor einer möglichen Parlamentsbefassung abgeschlossenen Einsatz angeordnet, bedarf diese Entscheidung trotz der Subsidiarität der exekutiven Eilkompetenz zu ihrer Wirksamkeit oder Rechtmäßigkeit keiner nachträglichen Genehmigung durch den Bundestag (vgl. Rn. 87). Das Parlament kann bei einem abgeschlossenen Einsatz zudem weder die Fortdauer des Streitkräfteeinsatzes noch dessen Beendigung und die Rückholung der eingesetzten Soldaten beschließen. Der Bundestag ist auch nicht dazu berufen, über die Rechtmäßigkeit des exekutiven Handelns verbindlich zu urteilen; dies ist - auf Antrag - dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass einem nachträglichen parlamentarischen Beschluss keine Rechtserheblichkeit mehr zukommen kann (a.A. Wiefelspütz, Der Auslandseinsatz der Bundeswehr und das Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2. Aufl. 2012, S. 498).

100

Demgemäß verpflichtet der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt die Bundesregierung in einem derartigen Fall nicht, eine Entscheidung des Bundestages über den beendeten Einsatz herbeizuführen (vgl. Kreß, in ZaöRV 57 [1997], S. 329 <355>; Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, 2005, S. 287 ff.; Scherrer, Das Parlament und sein Heer, 2010, S. 288 ff.). Die Entscheidungskompetenz der Bundesregierung modifiziert insoweit das der Wehrverfassung zugrunde liegende Prinzip der konstitutiven parlamentarischen Mitentscheidung. Der konstitutive parlamentarische Zustimmungsvorbehalt ist als prägender Teil der grundgesetzlichen Gewaltenteilung (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>) durch seine kompetenzbegründende Funktion determiniert und verändert sich nicht, wenn der Bundestag aus tatsächlichen Gründen seine Kompetenz nicht ausüben kann.

101

b) Vielmehr ist es Aufgabe des Deutschen Bundestages selbst und seiner Untergliederungen, im Falle eines von der Exekutive wegen Gefahr im Verzug beschlossenen und vor einer möglichen Parlamentsbefassung beendeten Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, seine parlamentarischen Kontrollbefugnisse wahrzunehmen. Das parlamentarische Regierungssystem stellt ihm auch für diesen Fall geeignete Instrumente zur politischen Kontrolle der Bundesregierung zur Verfügung. Er kann sein Frage-, Antrags-, Debatten- und Entschließungsrecht ausüben und dadurch auf zukünftige Entscheidungen der Regierung einwirken oder durch die Wahl eines neuen Bundeskanzlers die Regierung stürzen, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 131, 152 <196>).

102

Um dem Deutschen Bundestag eine uneingeschränkte Kontrolle des Einsatzes der Streitkräfte zu ermöglichen, ist die Bundesregierung allerdings, als Ausfluss des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, verpflichtet, ihn unverzüglich und qualifiziert über den abgeschlossenen Streitkräfteeinsatz zu unterrichten.

103

aa) Gegenstand der Pflicht zu förmlicher Unterrichtung der Bundesregierung sind die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Einsatzentscheidung sowie Verlauf und Ergebnis des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte. Nur in Kenntnis der genannten, allein der Bundesregierung vorliegenden Informationen zu einem abgeschlossenen Auslandseinsatz der Bundeswehr ist der Bundestag in der Lage, diesen politisch zu bewerten und parlamentarische Kontrolle, auch mit Blick auf die im hier gegebenen Zusammenhang stets zu beantwortenden Kompetenzfragen, effektiv auszuüben.

104

bb) Die Unterrichtung des Bundestages muss in sachlicher Hinsicht umfassend sein und sich in ihrer Intensität an der militärischen und politischen Bedeutung des Streitkräfteeinsatzes orientieren. In zeitlicher Hinsicht ist der parlamentarische Informationsanspruch unverzüglich zu erfüllen, denn eine Kontrolle ist umso wirkungsvoller, je geringer der zeitliche Abstand zu dem zu kontrollierenden Handeln ist. Die Bundesregierung muss das Parlament darüber hinaus in einer zweckgerechten Weise unterrichten. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer, damit sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Informationen über den Streitkräfteeinsatz den Abgeordneten in klarer, vollständiger und reproduzierbarer Form zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 131, 152 <202 ff.>).

II.

105

Nach diesen Maßstäben war die am 26. Februar 2011 von Soldaten der Bundeswehr durchgeführte Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah in Libyen ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Sinne des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts. Die Antragsgegnerin war jedoch nicht verpflichtet, den Bundestag nachträglich um eine rechtlich unverbindliche politische Billigung des abgeschlossenen Einsatzes zu ersuchen. Die Frage einer Verletzung des parlamentarischen Anspruchs auf unverzügliche qualifizierte Unterrichtung über den abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nicht Gegenstand des hier zu entscheidenden Organstreits.

106

1. Die in nationaler Alleinverantwortung von Soldaten der Bundeswehr durchgeführte Evakuierung aus Nafurah ist tauglicher Gegenstand des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts. Dies gilt unabhängig davon, ob Evakuierungs- und Rettungsaktionen der Streitkräfte, wie im Schrifttum diskutiert wird (vgl. Wiefelspütz, a.a.O., S. 448 f.; Röben, ZaöRV 63 [2003], S. 585 <586, Fn. 4>), materiell-funktional als polizeiliche Unternehmen mit humanitärer Zielsetzung oder als im engeren Sinne "militärisch" zu charakterisieren sind. Derartige Differenzierungen hindern weder eine Subsumtion unter den verfassungsrechtlichen Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" noch die sich daraus notwendig ergebende Anwendung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts (vgl. Epping, in: BeckOK GG, Edition 25, Art. 87a Rn. 32.4; Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Rn. 82).

107

2. Ein grundsätzlich nur auf der Grundlage einer konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages zulässiger Einsatz bewaffneter Streitkräfte lag vor, weil ungeachtet des tatsächlichen Ausbleibens von Kampfhandlungen die qualifizierte Erwartung bestand, dass deutsche Soldaten mit der Teilnahme an der Evakuierung aus Nafurah in bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen werden könnten.

108

a) Zum Zeitpunkt der Einsatzentscheidung bestanden hinreichende greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine drohende Verstrickung der eingesetzten deutschen Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung.

109

aa) Die Evakuierung aus Nafurah am 26. Februar 2011 war in zeitlich-örtlicher Hinsicht in einen kriegerischen Gesamtkontext eingebunden, der bei der Beantwortung der Frage, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen zu erwarten war, nicht außer Betracht bleiben kann.

110

In den Tagen vor der Evakuierung hatten sich die innenpolitischen bewaffneten Auseinandersetzungen in Libyen zu einem Bürgerkrieg ausgeweitet, der mit dem Zerfall der staatlichen Ordnung einherging. Die sich innerhalb kurzer Zeit rapide verschlechternde Sicherheitslage hatte auf deutscher Seite Anlass zu Vorbereitungen für die großangelegte militärische Operation "Pegasus" zur Evakuierung, Rettung und gegebenenfalls gewaltsamen Befreiung deutscher Staatsbürger aus ganz Libyen gegeben, welche am 26. Februar 2011 allerdings noch nicht abgeschlossen waren. Die von Kampfhandlungen besonders betroffenen ostlibyschen Landesteile waren an diesem Tag überwiegend bereits in der Hand der Regimegegner, darunter zahlreiche übergelaufene Streit- und Sicherungskräfte. Sie verfügten über schwere Waffen und Gefechtsfahrzeuge und kontrollierten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die im Raum Bengasi stationierten einsatzbereiten Luftabwehrsysteme mit einer Reichweite von 300 Kilometern. Auf ihrem Weg von Chania/Kreta nach Nafurah und zurück mussten die beiden für die Evakuierung eingesetzten deutschen Transportmaschinen - als Teil einer fremden Staatsmacht - jeweils diesen Flugabwehrgürtel durchfliegen. Eine etwaige konkludente Einwilligung regimetreuer staatlicher libyscher Stellen in die Evakuierungsmaßnahme und damit in die Nutzung des libyschen Luftraums hätte dabei keinerlei Sicherheit gewährleistet, denn sie wäre von den oppositionellen Kräften nicht als verbindlich erachtet worden. Die Antragsgegnerin konnte überdies trotz ihrer Kontakte zu libyschen Regierungsvertretern nicht von einer solchen Einwilligung ausgehen. Das Bundesministerium der Verteidigung wie auch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr waren im Vorfeld der Evakuierung in ihren jeweiligen Bedrohungsanalysen zu dem Ergebnis gekommen, dass die staatlichen Strukturen in Libyen vollkommen zusammengebrochen waren. Es gab somit keinen funktionsfähigen libyschen Staat mehr, dem etwaige Willenserklärungen staatlicher Verantwortungsträger hätten zugerechnet werden und der Garant für deren Einhaltung hätte gewesen sein können. Ein Angriff mittels Boden-Luft-Raketen auf die deutschen Militärmaschinen und damit eine zunächst passive Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen musste in einem Umfeld eskalierender Gewalttätigkeiten aufgrund dieser konkreten Umstände ernsthaft für möglich erachtet werden, auch wenn bis zum Beginn der Evakuierungsoperation kein ausländisches Flugzeug im libyschen Luftraum bedroht worden war. Das Bundesministerium der Verteidigung war daher von einer mittleren bis erheblichen Bedrohung an Land und in der Luft bei Operationen von deutschen Streitkräften in Libyen ausgegangen. Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr hatte - anders als bei den vorausgegangenen ungesicherten Luftabholungen aus Tripolis - wegen der Bedrohung durch Flugabwehrsysteme den Einsatz passiv geschützter Transall C-160 ESS für unabdingbar gehalten, was dazu führte, dass die als besonders eilbedürftig qualifizierte, ursprünglich bereits für den 25. Februar 2011 vorgesehene Evakuierung aus Nafurah auf den Folgetag verschoben wurde, um sie mit den geschützten Lufttransportmitteln durchführen zu können. Die darin zum Ausdruck kommende Gefahrenvorsorge spricht für eine nicht nur theoretische, sondern tatsächliche Gefahr eines militärischen Angriffs auf die beteiligten Luftfahrzeuge.

111

bb) Der Einsatz einer insgesamt zwanzig Soldaten umfassenden, bewaffneten Sicherungsgruppe neben den Besatzungen der Transportmaschinen spiegelt die Gefahrenlage am Boden wider, aufgrund derer die Anwendung militärischer Gewalt hätte erforderlich werden können. Die Lage in Nafurah war am 26. Februar 2011 zwar ruhig, umliegende Camps waren aber bereits von militärisch bewaffneten Banden angegriffen und ausgeplündert worden. Auf der Grundlage von Vereinbarungen mit den in Nafurah ansässigen deutschen Unternehmen hatten bewaffnete Mitglieder örtlicher Stämme deshalb den Schutz des dortigen Camps und der Landebahn übernehmen müssen. Auf dem Flugfeld ausgebrachte Pipelinerohre sollten die Landung von Flugzeugen der Bürgerkriegsparteien verhindern, von deren wirtschaftlichem Interesse an den Ölfeldern in der Region auszugehen war und deren Aggression sich durchaus auch gegen militärische Evakuierungsmaßnahmen anderer Staaten zu richten drohte, wie die Gefangennahme niederländischer Soldaten durch regimetreue Truppen in Sirte nur einen Tag später, am 27. Februar 2011, bestätigte. Nach der Räumung der Pipelinerohre hätten die Besatzungen der zur Evakuierung in Nafurah eingesetzten Militärmaschinen durch auf der Landebahn abgestellte Kraftfahrzeuge gewarnt werden sollen, falls sich die Lage in Nafurah kurzfristig verschlechtert hätte.

112

Nicht allein Gründe der allgemeinen Vorsicht und Vorsorge, sondern die Verhältnisse am Boden, die situativ jederzeit in Richtung eines Angriffs oder Überfalls auf das Camp hätten wechseln können, gaben daher konkreten Anlass, zum Zwecke der Evakuierung nicht nur - wie am 22. und 23. Februar in Tripolis - die Organisationsstruktur der Bundeswehr in Anspruch zu nehmen, sondern auch deren spezifisches Droh- und Gewaltpotential. Mit insgesamt 12 Fallschirmjägern stellten die Mitglieder einer auf Rettungs-, Evakuierungs- und Schutzoperationen sowie Einsätze gegen irreguläre Kräfte spezialisierten Kampftruppe der Bundeswehr den Hauptteil der zusätzlich zu den nur mit Pistolen ausgerüsteten Besatzungen der Transall C-160 ESS eingesetzten Sicherungsgruppe, die mit ihren Gewehren G3 und G36 sowie zwei Maschinengewehren MG3 über Kriegswaffen verfügte. Die Soldaten kamen vorzeitig zum Einsatz, denn die Evakuierung aus Nafurah erschien derart dringlich, dass eine nochmalige Verschiebung auf den Folgetag, bis zur Einsatzbereitschaft des Einsatzverbandes "Pegasus" am 27. Februar 2011, nicht in Betracht gezogen wurde.

113

Die Einsatzbefugnisse der Fallschirmjäger waren korrespondierend damit bereits auf eine mögliche Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung ausgerichtet. Es war deren Aufgabe, sowohl die Lufttransportmittel nach der Landung oder einer eventuellen Notlandung wie auch die zu Evakuierenden beim Anbordgehen zu sichern. Die Waffen wurden gerade auch dazu mitgeführt, den Operationszweck abzusichern. Nach Auftrag und Bewaffnung waren die Soldaten nicht auf eine Selbstverteidigung im engeren, nur die eigene Verteidigung betreffenden Sinn beschränkt. Sie hatten vielmehr die Befugnis und die Pflicht, Leib und Leben gefährdende Angriffe gegen die zu Evakuierenden sowie Angriffe gegen die Transportmaschinen mit militärischer Gewalt abzuwehren. Auch wenn der Evakuierungseinsatz mit dem Ziel angeordnet wurde, eine bewaffnete Auseinandersetzung zu vermeiden, war die Verpflichtung zu einer solch erweiterten Selbstverteidigung angesichts der nicht nur abstrakten militärischen Gefahrenlage vom Recht auf Überwindung gewaltsamen Widerstands gegen die Evakuierung mit militärischen Mitteln nicht schlüssig zu trennen. Beides war zudem durch die für die Soldaten geltende Verhaltensanweisung für die Anwendung militärischer Gewalt gedeckt, die Maßnahmen militärischer Gewalt bis hin zur Durchsetzung einer Evakuierung gestattete.

114

Derartige aufgrund der Gesamtlage konkret drohende gewaltsame Maßnahmen der eingesetzten deutschen Soldaten gegen militärisch bewaffnete Angreifer während der von libyschen Stellen nicht sicher genehmigten Evakuierungsoperation hätten angesichts ihres ungewissen Ausgangs und der unüberschaubaren gruppenspezifischen Loyalitäten in dem durch Bürgerkrieg destabilisierten Land ein nicht unerhebliches militärisches Eskalations- oder doch Verstrickungspotential geborgen, auch im Hinblick auf den ab dem 27. Februar 2011 vor der Küste Libyens und auf Kreta einsatzbereiten Einsatzverband "Pegasus" mit seinem Kräfteaufgebot von rund 1000 Soldatinnen und Soldaten.

115

b) Darüber hinaus war zum Zeitpunkt der Einsatzentscheidung der Exekutive von einer besonderen Nähe zur Anwendung von Waffengewalt auszugehen.

116

Mit dieser Entscheidung waren die Weichen hinsichtlich der aufgrund greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte für möglich erachteten Anwendung bewaffneter Gewalt gegen und durch deutsche Soldaten bereits gestellt. Zwar bestand Unsicherheit darüber, ob tatsächlich mit einem Angriff auf die Transportmaschinen im libyschen Luftraum zu rechnen war und ob militärische Reaktionen der eingesetzten Soldaten am Boden erforderlich werden würden. Auch wäre ein Abbruch der Evakuierungsoperation vor Einflug in den libyschen Luftraum im Falle auffälliger Radaraktivitäten der dortigen, in ihrer konkreten Dislozierung im Raum nicht bekannten Flugabwehrstellungen möglich gewesen und hätten die Transall C-160 ESS vor der Landung in Nafurah abdrehen können, falls zur Warnung der Flugzeugbesatzung Kraftfahrzeuge auf der Landebahn abgestellt worden wären. Nach dem Eindringen in den libyschen Luftraum und auf libysches Territorium hing jedoch die Einbeziehung deutscher Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung im Wesentlichen nur noch davon ab, ob und wann militärisch bewaffnete libysche Akteure in dem bürgerkriegsbefangenen Land die zu Evakuierenden oder die deutschen Lufttransportmittel angreifen würden. Ein solcher Angriff hätte, entsprechend den Einsatzbefugnissen der Sicherungsgruppe, unmittelbare Abwehrmaßnahmen ausgelöst, ohne dass die Bundesregierung hierauf noch hätte Einfluss nehmen können.

117

3. Zwischen den Beteiligten ist nicht im Streit, dass die Antragsgegnerin aufgrund von Gefahr im Verzug berechtigt war, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Nafurah am 26. Februar 2011 ohne vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestages zu beschließen.

118

4. Wenn ein rechtserheblicher parlamentarischer Einfluss auf den konkreten Einsatz der Streitkräfte aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich ist, ergibt sich aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt keine Pflicht der Bundesregierung, eine Beschlussfassung des Bundestages herbeizuführen. Zu einer nachträglichen Befassung des Deutschen Bundestages mit dem noch am 26. Februar 2011 abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte war die Antragsgegnerin deshalb nicht verpflichtet.

119

5. Eine Verletzung des aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt abzuleitenden parlamentarischen Anspruchs, von der Bundesregierung über von ihr wegen Gefahr im Verzug angeordnete und bereits abgeschlossene Einsätze bewaffneter Streitkräfte unverzüglich und qualifiziert unterrichtet zu werden, hat die Antragstellerin nicht zum Gegenstand des Organstreits gemacht.

120

Zwar kann grundsätzlich ein Antrag auf Feststellung einer Kompetenzverletzung zugleich den weniger weitgehenden Antrag auf Feststellung der Verletzung eines damit in Zusammenhang stehenden Anspruchs auf Unterrichtung enthalten (vgl. BVerfGE 1, 14 <39>; 7, 99 <105 f.>; 68, 1 <68>). Die Antragstellerin hat jedoch weder in ihrem verfahrenseinleitenden Antrag noch in dessen Begründung einen Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Unterrichtungspflicht ausdrücklich geltend gemacht. Auch der im Wege der Auslegung zu ermittelnde eigentliche Sinn des mit dem Antrag verfolgten prozessualen Begehrens (vgl. BVerfGE 68, 1 <68>) gibt keinen Anlass, von einem entsprechenden subsidiären Rechtsschutzziel der Antragstellerin auszugehen.

121

a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bundesminister des Auswärtigen die Vorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen im Auftrag der Bundesregierung nach der Beendigung der Evakuierung aus Nafurah noch am Abend des 26. Februar 2011 über deren Verlauf und Abschluss telefonisch informiert hatte. Die Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Obleute des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages waren - jeweils schriftlich - mit Datum vom 26. Februar 2011 vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr und mit Datum vom 4. März 2011 vom Staatssekretär im Auswärtigen Amt über den Einsatz unterrichtet worden. Die Obleute der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, dessen Vorsitzenden und seinen Stellvertreter hatte der Staatssekretär am 27. Februar 2011 auch telefonisch informiert. Er und der Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung hatten darüber hinaus in der Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages am 16. März 2011 für die Bundesregierung Bericht zu dem Evakuierungseinsatz erstattet.

122

Am 4. April 2011 war die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen" von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion selbst als Bundestagsdrucksache an die Mitglieder des Deutschen Bundestages verteilt worden (BTDrucks 17/5359). Darin äußerte sich die Bundesregierung insbesondere zu den tatsächlichen und rechtlichen Hintergründen und dem Verlauf der Evakuierung aus Nafurah.

123

Die Antwort der Bundesregierung auf die am 10. Juni 2011 gestellte Kleine Anfrage von Abgeordneten der Antragstellerin und der Antragstellerin selbst zum "Evakuierungseinsatz ,Pegasus' der Bundeswehr in Libyen" erhielten die Mitglieder des Deutschen Bundestages am 11. Juli 2011 (BTDrucks 17/6564). Weitere Einzelheiten zur Wahl der militärischen Mittel, zur Bewaffnung der eingesetzten Soldaten sowie zu den militärischen Planungen und Abläufen bildeten den Schwerpunkt der von der Bundesregierung erteilten Auskünfte.

124

b) Die Antragstellerin hat diese zwar umfängliche, aber sukzessive, zunächst auf Funktionsträger und Mitglieder bestimmter Ausschüsse beschränkte, zum Teil erst auf Befragung erfolgte Unterrichtung des Deutschen Bundestages über die Evakuierung aus Nafurah vorprozessual nicht gerügt. Eine - im Sinne der hier entwickelten Anforderungen - weitergehende Unterrichtungspflicht hat sie gegenüber der Antragsgegnerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht geltend gemacht und dieser damit keine Veranlassung gegeben, derartige Rechte des Parlaments zu prüfen und ihnen gegebenenfalls zu entsprechen (vgl. BVerfGE 129, 356 <374 f.>). Vielmehr hat die Antragstellerin, auch dies erst einige Monate nach dem Evakuierungseinsatz, mit der Kleinen Anfrage vom 10. Juni 2011 eine ihr zur Verfügung stehende politisch-parlamentarische Handlungsmöglichkeit ergriffen und konkrete zusätzliche Informationen von der Bundesregierung erbeten. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sie mit der Antwort der Bundesregierung vom 11. Juli 2011 und der vorhergehenden Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen" vom 4. April 2011 (BTDrucks 17/5359) den Anspruch des Bundestages auf Unterrichtung nicht als hinreichend erfüllt ansah. Der verfahrenseinleitende Antrag ist angesichts dessen keiner Auslegung dahingehend zugänglich, die Antragstellerin beanstande auch die Verletzung des parlamentarischen Rechts auf unverzügliche und qualifizierte Unterrichtung über einen abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte.

D.

125

Besondere Billigkeitsgründe, die die Anordnung einer Auslagenerstattung nach § 34a Abs. 3 BVerfGG ausnahmsweise angezeigt erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 96, 66 <67>), liegen nicht vor.

(1) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, daß er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist.

(2) Im Antrag ist die Bestimmung des Grundgesetzes zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners verstoßen wird.

(3) Der Antrag muß binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden.

(4) Soweit die Frist bei Inkrafttreten dieses Gesetzes verstrichen ist, kann der Antrag noch binnen drei Monaten nach Inkrafttreten gestellt werden.

Gründe

A.

1

Das Organstreitverfahren betrifft die Frage, ob die Antragsgegnerin aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts verpflichtet war, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.

I.

2

1. a) Unter dem Einfluss der Unruhen in einigen Nachbarländern eskalierte ab Mitte Februar 2011 in Libyen der innenpolitische Konflikt zwischen der Regierung und ihren Gegnern zu einem bewaffneten Aufstand gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi. Ein Zentrum der gewalttätigen Auseinandersetzungen waren zunächst die ostlibyschen Landesteile, insbesondere die im Nordosten gelegene Hafenstadt Bengasi. Der Krisenstab im Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes befasste sich seit dem 20. Februar 2011 in fortan täglichen, ressortübergreifenden Sitzungen mit den Entwicklungen in Libyen. Im Bundesministerium der Verteidigung und im Einsatzführungskommando der Bundeswehr wurden frühzeitig Vorbereitungen für diplomatische und militärische Evakuierungen deutscher Staatsangehöriger auf dem Luft- oder Seeweg getroffen. Unbewaffnete Soldaten der Bundeswehr flogen am 22. Februar 2011 mit zwei Transall C-160 Transportmaschinen und am 23. Februar 2011 mit einem Airbus A310 deutsche Staatsbürger und Angehörige anderer Staaten aus Tripolis aus. Gleichzeitig verließen Deutsche und weitere Ausländer die im Nordwesten Libyens gelegene Hauptstadt mit einer Sondermaschine einer zivilen deutschen Luftfahrtgesellschaft. Der Leiter der Europaabteilung im libyschen Ministerium des Auswärtigen hatte der deutschen Botschaft am Abend des 22. Februar 2011 zur Nutzung des Internationalen Flughafens Tripolis durch deutsche Militärmaschinen mitgeteilt, die dafür zuständige Civil Aviation Authority habe für Evakuierungsflüge eine generelle Lande- und Starterlaubnis erteilt, die sogenannte Diplo-Clearance.

3

b) Parallel zu den ungesicherten Luftabholungen durch die Bundeswehr wurden im Mittelmeerraum Kräfte aus Heer, Luftwaffe und Marine zu einem Einsatzverband für eine militärische Evakuierungsoperation zusammengeführt. Nach den vom Bundesministerium der Verteidigung am 23. Februar 2011 veranlassten Planungen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr sollten bis zu 1000 Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Operation "Pegasus" isolierte oder gewaltsam bedrohte deutsche Staatsbürger aus ganz Libyen evakuieren und retten oder gegebenenfalls befreien. Die vom Einsatzführungskommando erlassene "Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN" (Stand: 02/2011) betreffend "Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt" sah nicht nur ein Recht auf Selbstverteidigung und Nothilfe, sondern auch ein Recht auf Einsatz militärischer Gewalt gegen Personen und Sachen zur Durchsetzung militärischer Evakuierungen vor. Der maritime Teil des Einsatzverbandes, bestehend aus den Fregatten "Brandenburg" und "Rheinland-Pfalz", dem Einsatzgruppenversorger "Berlin" und dem Flottendienstboot "Oker", war vor der Ostküste Libyens am 27. Februar 2011 ab 3:00 Uhr, die nach Kreta verlegten Kräfte für schnelle Luftevakuierungen waren ab 15:00 Uhr einsatzbereit.

4

2. a) Der Osten Libyens befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend in der Hand der Regimegegner. Der durch den Bürgerkrieg bedingte Zerfall der staatlichen Strukturen ging dort mit steigender Kriminalität einher, insbesondere auch Überfällen auf die Camps westlicher Unternehmen. Der Krisenstab im Auswärtigen Amt war noch am 23. Februar 2011 davon ausgegangen, dass die Mitarbeiter deutscher Firmen aus dem Camp in Nafurah, einem 400 Kilometer südlich von Bengasi in der Nähe eines Ölfeldes gelegenen ostlibyschen Wüstenort, ohne größere Schwierigkeiten über den Landweg würden ausreisen können. Diese Einschätzung konnte bereits am 24. Februar 2011 nicht mehr aufrechterhalten werden, nachdem mehrere Versuche, das Camp zu verlassen, aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden mussten. Die Verbindungsstraßen von Nafurah zum nächsten Hafen und in das Nachbarland Ägypten führten durch umkämpfte Gebiete; auch wären die zur Verfügung stehenden Kraftfahrzeuge von großem Wert für die bewaffneten rivalisierenden Stämme in der Region gewesen. In der Gegend um Nafurah gab es bewaffnete marodierende Banden. Im Camp selbst, das durch ebenfalls bewaffnete Ortskräfte geschützt wurde, hatten Auseinandersetzungen um Wasser und Nahrungsmittel begonnen. Da eine private Firmenmaschine die gut ausgebaute Landebahn in Nafurah zuletzt problemlos hatte nutzen können und es im Umkreis von 50 Kilometern keine militärischen Einrichtungen und im Umkreis von 100 Kilometern keine Flugabwehrsysteme gab, beschloss der Krisenstab, die "in akuter Gefahr Befindlichen" (Prot. der Krisenstabssitzung vom 24. Februar 2011) möglichst am folgenden Tag, dem 25. Februar 2011, bei Tagesanbruch von der Bundeswehr mit den auf Malta stationierten Transall C-160 ausfliegen zu lassen. Eine Begleitung durch bewaffnete Einsatzkräfte wurde nicht für erforderlich gehalten.

5

b) Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr kam aufgrund einer Bedrohungsanalyse am 25. Februar 2011 insoweit allerdings zu einem anderen Ergebnis. Die öffentliche Ordnung in Libyen sei vollkommen zusammengebrochen. Der Osten des Landes befinde sich zum größten Teil in der Hand bewaffneter Bürgerkomitees sowie übergelaufener Streit- und Sicherheitskräfte, eine übergeordnete Kontrolle sei nicht erkennbar. Da sich die Versorgung der Bevölkerung stetig verschlechtere, steige zunehmend das Risiko krimineller Aktionen, auch gegen westliche Ausländer. Die libyschen Streitkräfte hätten über eine Vielzahl von Systemen zur Flugabwehr verfügt, deren Dislozierung im Raum nicht bekannt sei. Im Bereich Bengasi befänden sich jedoch einsatzbereite Flugabwehrsysteme mit einer Reichweite von 300 Kilometern, die wahrscheinlich von oppositionellen Kräften kontrolliert würden. Aufgrund der Unberechenbarkeit der regionalen Machtverhältnisse sei weiterhin von einer landesweiten Bedrohung durch diese Systeme auszugehen. Daher sei für die Evakuierung aus Nafurah der Einsatz von Transall C-160 ESS, die mit einer Zusatzausstattung zum passiven Selbstschutz gegen Radarerfassung und gegen Flugabwehrraketen ausgerüstet sind, unabdingbar. Da sich Teile der libyschen Zivilbevölkerung Waffen aus militärischen Beständen angeeignet hätten, sei am Boden zudem mit einer Gefährdung der Lufttransportmittel durch Handwaffen, Panzerabwehrhandwaffen oder auf Fahrzeugen montierte Maschinengewehre zu rechnen. Der Einsatz begleitender und bewaffneter Schutzkräfte sei daher zwingend erforderlich.

6

c) Das Bundesministerium der Verteidigung war in einer eigenen Analyse zur Lage in Libyen ebenfalls zu der Einschätzung gelangt, für eine Operation von Streitkräften sei von einer mittleren bis erheblichen Bedrohung an Land und in der Luft auszugehen. Zwei Transall C-160 ESS mit ihrer jeweiligen Besatzung sowie zwölf Fallschirmjäger einer für militärische Evakuierungsoperationen und Operationen gegen irreguläre Kräfte besonders befähigten Luftlandebrigade und acht Feldjäger, sämtlich Teil der für die Operation "Pegasus" vorgesehenen Kräfte und Fähigkeiten, wurden daher noch am 25. Februar 2011 von Deutschland nach Chania/Kreta verlegt. Die daraus resultierende zeitliche Verschiebung der geplanten Evakuierung um einen Tag auf den 26. Februar 2011 wurde im Rahmen einer Gesamtabwägung in Kauf genommen.

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3. a) Am späten Abend des 25. Februar 2011 stimmte die Bundeskanzlerin der von den Bundesministern der Verteidigung und des Auswärtigen vorgeschlagenen Evakuierung aus Nafurah zu. Da Einsätze der Bundeswehr in Libyen zur Rettung und Evakuierung einem strikten Leitungsvorbehalt seines Hauses unterlagen, erteilte anschließend der Bundesminister der Verteidigung die Operationsfreigabe. Zuvor hatte der Bundesminister des Auswärtigen unter Berufung auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag telefonisch über den "unmittelbar bevorstehenden Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland" (Telefonvermerk des Auswärtigen Amtes vom 25. Februar 2011) unterrichtet und dringend um Vertraulichkeit gebeten. Die Obleute der Fraktionen im Verteidigungsausschuss waren durch den Generalinspekteur der Bundeswehr entsprechend informiert worden.

8

b) Am 26. Februar 2011 blieb ein diplomatisches Ersuchen in Form einer Verbalnote der deutschen Botschaft in Tripolis um Genehmigung der Landung zweier Flugzeuge der Bundeswehr in Nafurah für eine humanitäre Hilfsaktion zur Evakuierung deutscher Bürger von libyscher Seite unbeantwortet. Libyschen Regierungsvertretern war das Vorhaben jedoch bekannt, da der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born mit ihnen in ständigem Kontakt stand.

9

c) Der Evakuierungseinsatz am Nachmittag des 26. Februar 2011 wurde direkt aus dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr geführt, weil sich das Führungselement des Einsatzverbandes "Pegasus" zu diesem Zeitpunkt noch in der Phase der Verlegung befand. Der Chef des Einsatzstabes für Militärische Evakuierungsoperationen im Einsatzführungskommando der Bundeswehr wies die eingesetzten Soldaten vor dem Abflug aus Chania darauf hin, dass bisher kein ausländisches Flugzeug im libyschen Luftraum bedroht worden sei. Eine kurzzeitige Radarabstrahlung der Stellung eines Boden-Luft-Raketensystems bei der ostlibyschen Hafenstadt Tobruk habe am Vormittag des Vortages aufgeklärt werden können. Nach den von dem Sicherheitsbeauftragten eines deutschen Unternehmens laufend übermittelten Informationen aus dem Camp sei die Lage in Nafurah selbst derzeit ruhig, bewaffnete Ortskräfte schützten die Firmenangehörigen. Im Fall einer Veränderung, bei unklarer oder gefährlicher Lage, würden zur Warnung ein oder mehrere Fahrzeuge auf die Landebahn gestellt. Die Landebahn sei zurzeit noch durch ausgebrachte Pipelinerohre blockiert. Ziel war es, eine Landung von Flugzeugen der Bürgerkriegsparteien zu verhindern.

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d) Aufgrund der hohen Zahl der aus Nafurah zu Evakuierenden hatten sich neben der Bundesregierung auch Großbritannien und die Niederlande für eine jeweils national verantwortete Beteiligung an der Luftevakuierung entschieden. Die um 13:30 Uhr zuerst in Nafurah einfliegende niederländische Militärmaschine brach den Anflug ab und kehrte auf ihren Stützpunkt nach Sizilien zurück, nachdem die libyschen Behörden trotz Anfrage keine Landegenehmigung erteilt hatten. Das britische Transportflugzeug landete kurze Zeit später sicher in Nafurah und flog eigene und Staatsangehörige anderer Länder nach Malta aus. Daraufhin starteten um 14:17 Uhr die beiden deutschen Transall C-160 ESS in Chania.

11

e) Der erweiterte Selbstschutz der eingesetzten Transportmaschinen beinhaltete Maßnahmen zum passiven Schutz durch Scheinziele in Form von 720 "Flares" gegen Lenkwaffen mit Infrarotsuchkopf und 960 "Chaffs" zur Störung von Radargeräten. Die Besatzungen der Transall C-160 ESS bestanden aus insgesamt elf Soldaten zur Durchführung des Flugauftrages und einem Mediziner. Sie führten 15 Pistolen P8 mit 450 Patronen mit sich. An Bord jeder Maschine befanden sich zusätzlich sechs Fallschirmjäger und vier Feldjäger. Die Fallschirmjäger sollten sowohl die Lufttransportmittel nach der Landung oder einer eventuellen Notlandung wie auch die zu Evakuierenden beim Anbordgehen sichern (BTDrucks 17/6564, S. 3). Die "Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN" betreffend "Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt", die auch zur Durchsetzung von Evakuierungen legitimierte, war ihnen gegenüber nicht zurückgenommen worden. Die Fallschirmjäger waren mit ihren persönlichen Ausstattungsgegenständen (Uniformteile, Gefechtshelm und Rucksack) sowie Schutzwesten der Schutzklasse 4 ausgerüstet und führten insgesamt zwei Maschinengewehre MG3 mit 960 Patronen, zwei Gewehre G3 mit Zielfernrohren und 200 Patronen, zehn Gewehre G36 mit 1500 Patronen, vier Pistolen P8 mit 120 Patronen, eine Signalpistole 2A1 mit fünf Patronen und vier Funkgeräte mit sich. Die Feldjäger hatten den Auftrag, die Besatzung nach der Landung in Nafurah bei der Kontrolle der zu Evakuierenden und auf dem Rückflug nach Kreta durch die Wahrnehmung von Luftsicherheitsaufgaben an Bord zu unterstützen. Sie waren jeweils mit Gefechtsanzug, einer Schutzweste der Schutzklasse 4, einem Funkgerät SEM 52 S, Einmannverpflegungspaketen sowie einem Kampfrucksack oder einer Kampftragetasche ausgerüstet und mit ihren Handwaffen, insgesamt vier Gewehren G36 mit 600 Patronen und vier Pistolen P8 mit 180 Patronen, bewaffnet.

12

f) Die deutschen Transall C-160 ESS flogen um 14:59 Uhr in den libyschen Luftraum ein und landeten um 16:30 Uhr in Nafurah. Nach der Landung sicherten die zwölf Fallschirmjäger mit G3- und G36-Gewehren die beiden nebeneinander stehenden Luftfahrzeuge in einem Abstand von 25 Metern, um deren Umfeld lückenlos beobachten zu können. Anschließend setzten sechs Fallschirmjäger die Überwachung fort, während die anderen sechs die acht Feldjäger bei der Identifizierung der zu Evakuierenden und deren Verbringung in die Transportmaschinen unterstützten. Die Maschinengewehre verblieben in den Luftfahrzeugen. 22 deutsche und 110 Bürger anderer Staaten wurden an Bord genommen. Die beiden Transall verließen um 17:10 Uhr und 17:16 Uhr Nafurah sowie gegen 18:25 Uhr den libyschen Luftraum. Um 19:29 Uhr landeten sie in Chania auf Kreta. Zu weiteren Evakuierungen aus Libyen durch deutsche Soldaten kam es in der Folgezeit nicht.

13

g) Am 27. Februar 2011 wurden drei niederländische Marineinfanteristen, Besatzungsmitglieder einer vor der libyschen Küste ankernden niederländischen Fregatte, von regimetreuen Truppen angegriffen und gefangen genommen, als sie versuchten, Landsleute aus der nordlibyschen Hafenstadt Sirte per Hubschrauber zu evakuieren.

14

4. a) Der Bundesminister des Auswärtigen hatte am Abend des 26. Februar 2011 umgehend die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag über Verlauf und Abschluss der Evakuierung aus Nafurah in Kenntnis gesetzt. Die Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und die Obleute des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages wurden unter dem Datum 26. Februar 2011 schriftlich durch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr über die durchgeführte Evakuierung unterrichtet. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born informierte am 27. Februar 2011 die Obleute der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss, dessen Vorsitzenden und seinen Stellvertreter auch telefonisch.

15

In der Regierungspressekonferenz am 28. Februar 2011 erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes zu der Evakuierung aus Nafurah (Mitschrift der Regierungspressekonferenz vom 28. Februar 2011, S. 4):

"[…] In diesem Falle war es so, dass ein bewaffneter Einsatz bevorgestanden haben könnte. Nachträglich war es ein gesicherter Evakuierungseinsatz mit humanitärer Zielsetzung, also kein bewaffneter Einsatz. Demzufolge muss auch nachträglich keine Zustimmung des Bundestages eingeholt werden."

16

b) Der damalige Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Antragstellerin forderte die Bundesregierung mit Schreiben vom 3. März 2011 an den Bundesminister des Auswärtigen auf, ein nachträgliches parlamentarisches Mandat für den Evakuierungseinsatz einzuholen. In seiner Antwort vom 11. März 2011 teilte der Bundesminister mit, dass er den Einsatz für einen humanitären halte, der der Zustimmung des Deutschen Bundestages nicht bedürfe.

17

Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt hatte zuvor, mit Datum vom 4. März 2011, den Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Obleuten des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages eine schriftliche Unterrichtung über die Evakuierung aus Nafurah zugeleitet.

18

c) In der Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages am 16. März 2011 erklärte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born in Übereinstimmung mit dem Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung Wolf, die Evakuierung aus Nafurah sei kein Unternehmen gewesen, bei dem man Waffen habe einsetzen müssen. Vielmehr habe man von Anfang an erwartet, dass eine militärische Aktion nicht notwendig werden würde. Die Bundesregierung sei von einer zumindest konkludenten Genehmigung der Evakuierung durch die libyschen Behörden ausgegangen. Mit Blick auf die Lage in Nafurah habe es sich im Grunde genommen um eine Evakuierung ähnlich wie die zuvor aus Tripolis gehandelt, nicht jedoch um eine bewaffnete Unternehmung im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Verteidigungsausschuss, Prot. Nr. 83, S. 22 ff.).

19

d) Abgeordnete der Fraktion Die LINKE und die Fraktion selbst stellten in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 24. März 2011 folgenden Antrag auf Beschlussfassung zur Abstimmung (BTDrucks 17/5175):

"I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 26. Februar 2011 hat die Bundesregierung unter Berufung auf Gefahr im Verzug einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr zur Evakuierung deutscher und anderer europäischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus Libyen durchgeführt. Ein solcher Evakuierungseinsatz fällt unter die entsprechenden Bestimmungen von § 5 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes. Daran hat auch die Bundesregierung keinen Zweifel gelassen, in dem sie im Vorfeld und nach der Operation die Fraktionsvorsitzenden und Obleute des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages direkt gemäß § 5 Abs. 2 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes unterrichtet hat - im Unterschied zu anderen Einsätzen der Bundeswehr, bei denen nicht mit der Anwendung militärischer Gewalt zu rechnen war, wie z.B. bei der Verlegung von Fregatten vor die libysche Küste. Zudem wurde die Entsendung einer bewaffneten Sicherheitskomponente für die Evakuierungsoperation von mehr als 20 Soldatinnen und Soldaten mit der Entstehung einer neuen Gefährdungslage begründet. Unter diesen Voraussetzungen sieht das ,Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz)' unter § 5 Abs. 3 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes vor, dass ein Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachzuholen ist. Diesen Vorgaben ist die Bundesregierung bislang nicht gefolgt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich gemäß § 5 Abs. 3 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes dem Bundestag ein Mandat für den Evakuierungseinsatz vom 26. Februar 2011 in Libyen vorzulegen."

20

Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (BGBl 2005 I S. 775) regelt Form und Ausmaß der Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ParlBG).

In § 5 ParlBG ist bestimmt:

(1) Einsätze bei Gefahr im Verzug, die keinen Aufschub dulden, bedürfen keiner vorherigen Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen, solange durch die öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde.

(2) Der Bundestag ist vor Beginn und während des Einsatzes in geeigneter Weise zu unterrichten.

(3) Der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist unverzüglich nachzuholen. Lehnt der Bundestag den Antrag ab, ist der Einsatz zu beenden.

21

Der Deutsche Bundestag lehnte es am 24. März 2011 ab, auch gegen die Stimmen der Antragstellerin, den beantragten Beschluss zu fassen (Deutscher Bundestag, Plenprot. 17/99, Stenografischer Bericht, S. 11444).

22

e) Der Bundesminister des Auswärtigen antwortete am 5. April 2011 auf ein Schreiben des damaligen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der Antragstellerin vom 17. März 2011, in welchem dieser erneut die Notwendigkeit einer nachträglichen Zustimmung des Deutschen Bundestages zu dem Evakuierungseinsatz vorgetragen hatte, wie folgt:

"Das Parlamentsbeteiligungsgesetz findet nur bei einem Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland Anwendung. Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nicht anzunehmen, wenn deutsche Soldatinnen und Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung nicht einbezogen sind und eine solche Einbeziehung nach den konkreten Umständen des Einsatzes nicht zu erwarten ist. Dies war bei der Evakuierungsaktion Nafura der Fall.

Das Bundesverfassungsgericht hält in dem von Ihnen zitierten Urteil vom 7. Mai 2008 fest, dass, erst die qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen zur parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit eines Auslandseinsatzes deutscher Soldaten' führt. ,Die bloße Möglichkeit', so das Gericht, ,dass es bei einem Einsatz zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, reicht hierfür nicht aus […], weil die theoretische Möglichkeit einer solchen Auseinandersetzung sich, wo Streitkräfte operieren, kaum je von vornherein wird ausschließen lassen' [BVerfGE 121, 135 (163 ff.)]. Wenn also, wie Sie schreiben, aus der ,ex-ante-Sicht nicht ohne Weiteres erwartet werden [konnte], dass Soldatinnen und Soldaten nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden' würden, so begründet dies noch keinen Einsatz im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes."

23

f) Die Bundesregierung hatte in diesem Sinne bereits mit Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 31. März 2011 eine am 9. März 2011 gestellte Kleine Anfrage zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen" von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion selbst (BTDrucks 17/5002) beantwortet. Aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannten Bedrohungslage habe die klare Erwartung bestanden, dass die eingesetzten Soldaten durch libysche Kräfte nicht bedroht seien, ihre Waffen nicht würden einsetzen müssen und mithin nicht in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen werden würden. Die Unterrichtung des Bundestages habe - wie der Bundesminister des Auswärtigen in seinen Telefonaten vor und nach der Operation auch betont habe - stattgefunden, um gegenüber dem Deutschen Bundestag volle Transparenz zu gewährleisten (BTDrucks 17/5359 vom 4. April 2011, S. 6).

24

g) Ähnlich äußerte sich das Bundesministerium der Verteidigung namens der Bundesregierung in der am 7. Juli 2011 übermittelten Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 10. Juni 2011 (BTDrucks 17/6196), gestellt von Abgeordneten der Antragstellerin und der Antragstellerin selbst zum "Evakuierungseinsatz ,Pegasus' der Bundeswehr in Libyen" (BTDrucks 17/6564 vom 11. Juli 2011, S. 2).

II.

25

Die Antragstellerin hat am 11. August 2011 ihren Antrag im Organstreitverfahren gestellt. Zu dessen Begründung trägt sie vor:

26

1. Der Antrag sei zulässig. Als Fraktion des Deutschen Bundestages sei sie im Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG antragsberechtigt und die Bundesregierung zulässige Antragsgegnerin. Als zulässiger Antragsgegenstand sei in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die im Rahmen eines bewaffneten Einsatzes der Bundeswehr unterlassene Anrufung des Deutschen Bundestages ausdrücklich anerkannt (BVerfGE 121, 135 <150>). Die Antragsgegnerin habe hier in einem an den Parlamentarischen Geschäftsführer der Antragstellerin gerichteten Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 5. April 2011 klargestellt, dass sie nicht mehr beabsichtige, den Bundestag um eine nachträgliche Zustimmung zu dem Evakuierungseinsatz in Libyen zu ersuchen. Die Antragsbefugnis folge aus der möglich erscheinenden Nichtbeachtung der Zustimmungspflicht des Deutschen Bundestages im Rahmen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts angesichts des streitgegenständlichen Einsatzes, der im Ausland und mit bewaffneten Angehörigen der Bundeswehr durchgeführt worden sei. Rechte des Bundestages könne sie als Fraktion für diesen in Prozessstandschaft geltend machen. Das notwendige Rechtsschutzinteresse liege vor. Ihr bleibe zur Durchsetzung ihres Anliegens kein anderes politisches Mittel, insbesondere sei sie nicht gehalten, vor der Einleitung eines Organstreitverfahrens selbst die Zustimmung des Bundestages zu dem Einsatz zu beantragen. Der Bundestag habe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit keine entsprechende Initiativbefugnis, vielmehr müsse in jedem Fall die Bundesregierung - auch bei einem bereits abgeschlossenen Einsatz - das Parlament befassen (BVerfGE 90, 286 <388>). Dies folge auch aus der verfassungskonkretisierenden Regelung des § 3 Abs. 1 ParlBG, nach der es allein der Antragsgegnerin obliege, die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Die Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt. Das Unterlassen der Antragsgegnerin könne mit dem Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 5. April 2011, frühestens mit dessen Schreiben vom 11. März 2011, als abgeschlossen gelten. Die Antragsschrift sei weniger als sechs Monate nach dem streitgegenständlichen Einsatz beim Bundesverfassungsgericht eingereicht worden.

27

2. Der Antrag sei auch begründet. Die Antragsgegnerin habe die Rechte des Deutschen Bundestages aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt verletzt.

28

a) Die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages im Falle einer Entsendung von Soldaten der Bundeswehr ins Ausland seien in verfassungskonkretisierender Weise im Parlamentsbeteiligungsgesetz geregelt. Dieses könne eine verfassungsrechtliche Auslegung der Voraussetzungen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, insbesondere des Begriffs "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" nicht ersetzen, aber im Einzelfall Hinweise für seine verfassungsunmittelbare Reichweite geben (BVerfGE 121, 135 <156>).

29

aa) Der Parlamentsvorbehalt sei aus einer ex-ante-Perspektive zu bestimmen. Aus § 2 Abs. 1, 2. Alt. ParlBG folge, dass ein tatsächlicher Waffengebrauch durch die Bundeswehr in einem konkreten Einsatz nicht Voraussetzung für das Vorliegen einer bewaffneten Unternehmung und damit für die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit sei, sondern die Erwartung dessen ausreiche. Dies ergebe sich bei systematischer Betrachtung zudem zwingend daraus, dass im gesetzlichen Regelfall die Zustimmung im Vorhinein erteilt werden müsse und damit zu einem Zeitpunkt, bevor bekannt sein könne, ob Waffen tatsächlich zum Einsatz kämen oder nicht. Ein gefährlicher Einsatz mit genuin militärischen Mitteln in einem Konfliktgebiet löse daher den Parlamentsvorbehalt aus. Der zu einem solchen bewaffneten Streitkräfteeinsatz im Gegensatz stehende und vom Gesetz verwendete Begriff des humanitären Hilfsdienstes umfasse nach dem Willen des Gesetzgebers Aktionen der Bundeswehr, die auch von zivilen Organisationen übernommen werden könnten, wie zum Beispiel Unterstützung bei Hungersnöten oder Naturkatastrophen. Führten die Soldaten bei derartigen Missionen Waffen allein zur Selbstverteidigung mit sich, sei der Zustimmungsvorbehalt grundsätzlich nicht berührt. Nach § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBG seien aber auch humanitäre Einsätze nicht vom Parlamentsvorbehalt ausgeschlossen, sondern zustimmungspflichtig, wenn zu erwarten sei, dass die Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden könnte. Dann sei es unerheblich, ob Waffen nur zur Selbstverteidigung getragen würden, weil andernfalls das parlamentarische Mandat zum Bundeswehreinsatz notwendig ein Mandat zum Angriff sei. Diesem Gesetzesverständnis entspreche es, dass nach § 4 Abs. 3, 1. Spiegelstrich ParlBG das vereinfachte Zustimmungsverfahren für Einsätze von geringer Intensität auch anzuwenden sei, wenn Waffen lediglich zur Selbstverteidigung getragen würden. Von besonderer Bedeutung sei schließlich die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG, der bei Gefahr im Verzug eine nachträgliche Zustimmung des Bundestages auch für "Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen" ermögliche. Eine solche militärische Rettungsaktion werde vom Gesetz damit ausdrücklich als zustimmungspflichtig behandelt.

30

bb) Das Bundesverfassungsgericht habe als auslösendes Tatbestandsmerkmal des von ihm entwickelten wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts den "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" bezeichnet und als Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen näher konkretisiert. Dabei komme es nicht darauf an, ob tatsächlich Waffengewalt zur Anwendung gelange, denn dann könne die Parlamentsbeteiligung nur noch ex post sinnvoll ausgestaltet werden, was der verfassungsrechtlichen Bedeutung eines gestaltenden parlamentarischen Einflusses nicht gerecht werde. Der Vorbehalt werde durch die "qualifizierte Erwartung" einer Teilnahme an bewaffneten Auseinandersetzungen ausgelöst. Dafür bedürfe es hinreichender greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte, dass ein Einsatz in die Anwendung von Waffengewalt münden könne, und einer besonderen Nähe zur Anwendung von Waffengewalt (BVerfGE 121, 135 <165 ff.>). Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beziehe sich auf Fallkonstellationen im Rahmen eines auf Grundlage einer integrierten NATO-Planung erfolgten Einsatzes und sei von dem Bedürfnis getragen, den Einfluss des Bundestages auch dann wirksam zu erhalten, wenn die militärische Arbeitsteilung der Bündnisstaaten dazu führe, dass die Bundeswehr nicht unmittelbar militärische Gewalt anwende. Insbesondere aus dem Urteil des Zweiten Senats vom 7. Mai 2008 (BVerfGE 121, 135), welches die Beteiligungsrechte bei einer unmittelbaren, jedoch nicht physischen Einbeziehung in Kampfhandlungen definiere, ergebe sich im Umkehrschluss, dass die vorhersehbar wahrscheinliche unmittelbare körperliche Verwicklung der Bundeswehr in Kampfhandlungen zum tatbestandlichen Kernbereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gehöre. Der Entscheidung könne entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht entnommen werden, dass eine parlamentarische Zustimmung erst erforderlich werde, wenn die Bundesrepublik durch einen Einsatz in eine andauernde größere militärische Auseinandersetzung einbezogen werde. Hierzu sei nochmals auf die maßgeblich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägten, namentlich in der Definition eines im vereinfachten Verfahren zustimmungsbedürftigen Einsatzes nach § 4 Abs. 2 und in Abs. 3, 1. Spiegelstrich ParlBG zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertungen zu verweisen. Die Rechtsprechung und die ihr folgende Gesetzgebung seien von der historischen Erfahrung geprägt, dass auch kleine bewaffnete Auseinandersetzungen zu einem großen militärischen Konflikt führen könnten; deshalb solle der Bundestag frühzeitig die Verantwortung für eine Einsatzentscheidung übernehmen.

31

cc) Aus der Staatspraxis sei auf die mit der Operation "Libelle" im Jahr 1997 erfolgte Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Albanien hinzuweisen. Seinerzeit hätten Bundesregierung und Bundestag die Zustimmung des Parlaments für erforderlich gehalten, obwohl - anders als hier - keine weitergehenden kriegerischen Handlungen im Krisengebiet stattgefunden hätten.

32

b) Bei Anwendung dieser Maßstäbe sei von einer Verletzung der Rechte des Deutschen Bundestages auszugehen.

33

aa) Die Bundeswehr habe am 26. Februar 2011 im Sinne von § 2 Abs. 1 ParlBG mit genuin militärischen Mitteln einen Auftrag ausgeführt, der allein durch die Streitkräfte zu bewältigen gewesen sei, denn sie sei in den Luftraum eines fremden Landes eingedrungen, um Menschen zu evakuieren. Der Einsatz sei innerhalb eines militärischen Krisengebietes und aufgrund der militärischen Krise erfolgt, die die zu Evakuierenden bedroht habe. Er sei mit einer vergleichsweise hohen Gefahr eines konkreten Waffeneinsatzes durch die eingesetzten Soldaten verbunden gewesen, weil völlig offen gewesen sei, wer den Luftraum über Libyen kontrolliert habe. Die Bitte der Antragsgegnerin, den Flug in den libyschen Luftraum zu gestatten, sei unbeantwortet geblieben, der Einsatz daher ohne Einwilligung Libyens durchgeführt worden. Auch die Bundeswehr, die vor diesem Hintergrund das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht zur Rechtfertigung des Einsatzes bemüht habe, habe eine physische Auseinandersetzung ernsthaft für möglich gehalten. Dies zeige die Ausstattung der Transall-Maschinen mit Waffen und Täuschkörpern, die Verwendung einer Eliteeinheit, die Bewaffnung dieser Fallschirmjäger mit Kriegswaffen, konkret mit Maschinengewehren des 11,5 Kilogramm schweren Typs MG3 und mit weiteren Gewehren. Entsprechend habe die bundeswehrinterne Berichterstattung von einem "scharfen Einsatz" gesprochen. Gleiches ergebe sich aus der Anzahl weiterer militärischer Einsatzmittel, insbesondere der über 1000 Soldatinnen und Soldaten, die auf Kreta und im Mittelmeer, dort unter anderem auf zwei Fregatten, bereitgestellt worden seien, um die Evakuierungsaktion im Zweifelsfall zu unterstützen. Diese Einschätzung werde ferner durch den Umstand bestätigt, dass eine am Folgetag von niederländischen Soldaten durchgeführte ähnliche Aktion zu deren Gefangennahme durch libysche Soldaten geführt habe. Bei der Evakuierung aus Nafurah habe es sich nicht um einen humanitären Einsatz gehandelt, weil die Aufgabe nicht durch medizinische oder technische Zivilkräfte hätte übernommen werden können. Es sei gerade auf die Möglichkeit des Einsatzes militärischer Gewalt angekommen. Selbst wenn ein humanitärer Einsatz vorgelegen hätte, wäre er nach § 2 Abs. 2 Satz 3, 2. Alt. ParlBG nachträglich zustimmungspflichtig gewesen, weil die begründete Erwartung eines konkreten Waffeneinsatzes bestanden habe.

34

bb) Der Einsatz löse aus den genannten Gründen auch den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt aus. Die deutschen Soldaten seien in ein aktuelles Bürgerkriegsgebiet verlegt worden, in dem auch nach Planung der Bundeswehr mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer unmittelbaren Verwicklung in bewaffnete Kampfhandlungen mit libyschen Truppen zu rechnen gewesen sei.

III.

35

Die Antragsgegnerin hält den Antrag für zulässig, aber unbegründet. Die Evakuierung aus Nafurah sei kein der parlamentarischen Zustimmung bedürftiger "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Parlamentsbeteiligungsgesetzes gewesen.

36

1. a) Maßgeblich sei die Bestimmung der zustimmungsrelevanten Schwelle möglicher militärischer Konfrontation im Zusammenhang mit Evakuierungsoperationen, zu der sich das Bundesverfassungsgericht bisher nicht habe verhalten müssen. Der Begriff der "Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen" benötige scharfe und verlässliche Konturen und setze ein beachtliches Maß an militärischem Einsatzpotential und Konfliktträchtigkeit voraus, denn der Parlamentsvorbehalt sei "auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten" (BVerfGE 108, 34 <42 f.>). Im modernen Völkerrecht sei an die Stelle des "Krieges" der "bewaffnete Konflikt" getreten, dessen Vorliegen eine direkte Gewaltanwendung zwischen staatlichen Streitkräften, eine anhaltende Gewalttätigkeit zwischen einem Staat und einer nichtstaatlichen Partei oder zwischen nichtstaatlichen Gruppierungen voraussetze. Ein nach Operationszweck und Konfiguration der Einsatzkräfte weitab von dieser Schwelle angesiedelter Einsatz stelle keine zustimmungspflichtige Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen dar.

37

b) Der vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Parlamentsvorbehalt beruhe auf richterlicher Rechtsfortbildung und stelle rechtssystematisch eine Durchbrechung der alleinigen Verantwortlichkeit der Exekutive im auswärtigen Bereich dar. Eine extensive Handhabung verbiete sich daher. Entsprechend knüpfe das Bundesverfassungsgericht den Parlamentsvorbehalt an das Risiko einer "größere[n] und länger währende[n] Auseinandersetzung […] bis hinein in einen umfänglichen Krieg" (BVerfGE 121, 135 <161>), unterhalb dessen die Einsatzentscheidung in die alleinige Kompetenz der Exekutive falle. Dabei sei von Relevanz, ob eine bewaffnete Konfrontation mit Streitkräften anderer Staaten oder allenfalls eine vereinzelte Auseinandersetzung mit Einzelpersonen oder einer Bande drohe und ob die Stellung und das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Staatengemeinschaft oder deren Ordnung berührt werden könnten.

38

c) Unabhängig vom Leitbild des Kriegseintritts fehle es an dem für eine Zustimmungspflicht maßgeblichen "militärischen Gepräge" insbesondere dann, wenn die Operation der Bundeswehr nach der Ausrüstung der Soldaten, dem Einsatzzweck sowie der Befehlslage und begleitenden Maßnahmen darauf ausgerichtet sei, ohne den Einsatz spezifisch militärischer Machtmittel durchgeführt zu werden, und die Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung möglichst vermieden werden solle. Dies sei dann der Fall, wenn sich die bei einem humanitären Einsatz aus einer Gefahrenlage zu befreienden Personen nicht in der Gewalt Dritter befänden und die Operation nicht darauf angelegt sei, vorausgesetzten oder mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarteten Widerstand mit militärischen Mitteln zu überwinden. Die Rechtsprechung verbinde in diesem Sinne das militärische Gepräge auch mit einer offensiven Anwendung von Waffengewalt. Bei humanitären Einsätzen unter Mitführung von Waffen zur Gefahrenvorsorge sei daher eine parlamentarische Zustimmung nicht erforderlich. Dies entspreche der Wertung in § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBG. Eine ausdrückliche, konkludente oder mutmaßliche Zustimmung des von einem Einsatz betroffenen Staates bedeute ebenfalls, dass kein militärisches Gepräge der Operation vorliege.

39

d) Bei dem Evakuierungseinsatz in Albanien im Jahr 1997 seien mehrere Transportflugzeuge, Hubschrauber mit über hundert Soldaten und eine Fregatte mit über zweihundert Soldaten beteiligt gewesen. Die Bundesregierung habe die Sicherheitslage als anarchisch beschrieben, und es sei zu einem Schusswechsel mit nichtstaatlichen Akteuren gekommen. Dennoch gehe eine beachtliche Rechtsansicht davon aus, dass eine Zustimmung des Bundestages für diese Evakuierung nicht erforderlich gewesen sei. Es habe auch keine Kontroversen gegeben, als zur Bekämpfung der Flutkatastrophe in Mosambik im Jahr 2000 über hundert mit Handfeuerwaffen ausgerüstete Soldaten eingesetzt wurden und keine parlamentarische Zustimmung eingeholt worden sei.

40

2. a) Der Parlamentsvorbehalt verlange die "qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen" (BVerfGE 121, 135 <165>) und setze voraus, dass der Waffeneinsatz Teil der operativen Logik sei, nicht bloß Element der Gefahrenvorsorge. Weiter müsse die Einbeziehung "unmittelbar zu erwarten sein" (BVerfGE 121, 135 <166>), was nur der Fall sei, wenn die militärische Gewalt zeitlich nahe bevorstehe oder zumindest wahrscheinlich sei (BVerfGE 121, 135 <166>). Nur so sei die Verknüpfung des Parlamentsvorbehalts mit dem historischen Bild des Kriegseintritts gegeben.

41

b) Ein Höchstmaß an Gefahrenvorsorge auch für unwahrscheinliche Bedrohungslagen - etwa das Vorhalten von Reservekräften - könne die Zustimmungspflicht nicht auslösen. Anderenfalls entspräche der dadurch geschaffene Anreiz für die Exekutive zu gesteigerter Risikobereitschaft weder der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der Regierung für die Streitkräfte noch der Schutzpflicht für die Soldaten und Schutzbefohlenen. Für die notwendige scharfe Konturierung der "qualifizierten Erwartung" müsse die Beurteilung zum Zeitpunkt des Einsatzbefehls entscheidend sein.

42

c) Das Bundesverfassungsgericht habe die qualifizierte Erwartung einer bewaffneten Auseinandersetzung dann angenommen, wenn ein irreversibler, quasi automatisch zu einer militärischen Verstrickung führender Kausalverlauf in Gang gesetzt werde. Mit Blick auf das von der Rechtsprechung ebenfalls thematisierte Eskalationspotential lieferten Umfang und Dauer einer Operation insoweit wesentliche Beurteilungskriterien. Wenn eine Aktion selbst bei unerwartetem Verlauf mit Einsatz von Waffengewalt keine Folgeauseinandersetzungen und auch keine Rückwirkungen auf die außenpolitischen Beziehungen befürchten lasse, werde die Schwelle der Zustimmungsbedürftigkeit nicht überschritten. Dies gelte insbesondere, wenn geplant sei, einen Einsatz in wenigen Stunden mit sehr beschränkten Mitteln durchzuführen, und gewaltsamer Widerstand und die Berührung mit fremden Streitkräften nicht erwartet werde.

43

d) Weiter seien für die maßgebliche ex-ante-Beurteilung vorausgegangene und völlig konfliktfrei verlaufene Operationen ähnlicher Art zu berücksichtigen. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sei dagegen unerheblich, ob es nach Abschluss des Einsatzes bei Evakuierungsoperationen anderer Staaten an anderen Orten zu Verwicklungen gekommen sei.

44

e) Ferner müsse der Exekutive trotz der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit der tatbestandlichen Voraussetzungen des Parlamentsvorbehalts im Falle von Gefahr im Verzug eine Einschätzungsprärogative überlassen werden, denn die zu treffende Prognose werde auch voluntativ durch die Exekutive selbst bestimmt. Die militärische und außenpolitische Einschätzung der Bundesregierung sowie die alternative Einsatzplanung für bestimmte Operationsverläufe seien sowohl Teil der objektiven Lage als auch des Risikopotentials.

45

f) Zwar sei der tatsächliche Waffeneinsatz insoweit nicht maßgeblich, ein tatsächlicher Einsatzverlauf ohne Waffengewalt begründe indes die Vermutung, dass die qualifizierte Erwartung einer bewaffneten Unternehmung nicht bestanden habe. Die Vermutung dürfte sogar unwiderleglich sein, wenn es auch sonst nicht zu risikorelevanten Abweichungen im Ablauf gekommen, der Nichteinsatz von militärischen Machtmitteln also nicht auf glückliche Umstände zurückzuführen sei.

46

3. Die Evakuierung aus Nafurah stelle nach diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben keinen zustimmungsbedürftigen Einsatz bewaffneter Streitkräfte dar, sondern sei geradezu ein Gegenbeispiel zum entsprechenden Leitbild der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

47

a) Der Einsatz habe nach Zweck und Ausgestaltung kein spezifisch "militärisches Gepräge" aufgewiesen. Sein Zweck habe den einige Tage zuvor mit Transportmaschinen der Bundeswehr und einem zivilen Flugzeug durchgeführten Evakuierungen aus Tripolis entsprochen. Die eingesetzten Lufttransportmittel der Bundeswehr seien nicht bewaffnet, sondern lediglich mit einem passiven Schutzsystem im Hinblick auf die latente landesweite Bedrohung durch Flugabwehrsysteme ausgestattet gewesen. Die Sicherungsgruppe habe nur über leichte Waffen zur Selbstverteidigung verfügt, die konkret zur Überwachung des Umfeldes eingesetzten Fallschirmjäger in Nafurah hätten ihre Handwaffen in deeskalierender Position getragen. Die mitgeführten Maschinengewehre seien stets in den beiden Transall verblieben. Alle Sicherheitsvorkehrungen ließen sich ausschließlich als Maßnahme der Gefahrenvorsorge qualifizieren.

48

b) Der dem Einsatz zugrunde liegende Auftrag habe eine nicht-militärische Zielrichtung gehabt und sei im Kern auch mit nicht spezifisch militärischen Mitteln - mit unbewaffneten Flugzeugen - zu bewältigen gewesen. Die militärischen Komponenten hätten sich ausschließlich auf flankierende Maßnahmen mit Vorsorgecharakter beschränkt. Soweit die Antragstellerin den militärischen Charakter auf "das Eindringen in den Luftraum eines fremden Landes" zu stützen versuche, verkenne sie, dass die Bundesregierung bei allen Evakuierungsflügen von einer konkludenten Zustimmung Libyens habe ausgehen dürfen und die deutsche Botschaft in Tripolis am 22. Februar 2011 von einer generellen Start- und Landeerlaubnis für sämtliche Evakuierungsflüge unterrichtet worden sei. Ferner sei der Einsatz den libyschen Behörden durch Verbalnote mitgeteilt worden, und das Auswärtige Amt habe in ständigem Kontakt mit libyschen Regierungsvertretern gestanden. Infolge dieses Einvernehmens mit den zuständigen libyschen Stellen habe es auch keiner völkerrechtlichen Rechtfertigung des Einsatzes bedurft.

49

c) Die Gefahrenanalyse im unmittelbaren Vorfeld der Evakuierung habe eine militärische Konfrontation keinesfalls erwarten lassen. Der lokale Sicherheitsbeauftragte eines deutschen Unternehmens habe verlässliche Informationen aus Nafurah geliefert. Das Lagebild, insbesondere die Nutzung der dortigen Landebahn durch eine private Maschine in den Tagen vor dem Einsatz, die unmittelbar vor dem Start der deutschen Militärmaschinen von den Briten problemlos durchgeführte Luftevakuierung aus dem Camp und die Unterstützung der zu Evakuierenden durch die Gegend kontrollierende Ortskräfte hätten eine konkrete Bedrohung oder bewaffnete Konfrontation als denkbar, aber zugleich als außerordentlich unwahrscheinlich erscheinen lassen. Die flankierenden Sicherheitsvorkehrungen einschließlich des Einsatzes von bewaffneten Soldaten seien den Unwägbarkeiten in der Gesamtsituation Libyens aus der Distanz der operativen Führung sowie der Fürsorgepflicht und grundrechtlichen Schutzverantwortung des deutschen Staates geschuldet gewesen.

50

d) Die Annahme einer drohenden militärischen Konfrontation könne auch nicht mit der Verlegung größerer Truppenteile in den Mittelmeerraum gerechtfertigt werden. Der damit angesprochene Einsatzverband "Pegasus" sei erst am 27. Februar 2011 einsatzbereit gewesen und weder bei der Evakuierung aus Nafurah noch zu einem späteren Zeitpunkt zum Einsatz gekommen.

51

e) Die "Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN", die die Durchsetzung des Auftrags mit militärischer Gewalt erlaubt habe, weise ebenfalls nicht auf eine konkrete Erwartung ex ante hin, in Nafurah in eine bewaffnete Operation einbezogen zu werden. Bei dieser handele es sich um eine Weisung des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, die für alle denkbaren Maßnahmen im Rahmen der Operation "Pegasus" herausgegeben worden sei. Nachdem bei der kurzfristig vorab notwendig gewordenen Rückführung aus Nafurah ein bewaffneter Streitkräfteeinsatz nicht zu erwarten gewesen sei, sei eine etwaige Änderung oder Anpassung der bereits vorliegenden Weisung gegenüber den bei der Evakuierung eingesetzten Soldaten schon aus Zeitgründen nicht mehr kommunizierbar gewesen. Rechtlich sei dies auch nicht erforderlich gewesen, weil die in der Weisung beschriebenen abstrakten Befugnisse immer in Abhängigkeit von der konkreten Lage anzuwenden seien. Die Weisung enthalte keine spezifischen operativen Vorgaben, dass militärische Gewalt anzuwenden sei. Überdies seien für die Frage der parlamentarischen Zustimmung allein der Kenntnis- und Erwartungsstand der Bundesregierung und deren darauf beruhende Bewertung maßgeblich.

IV.

52

Der Bundespräsident, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat wurden von dem Verfahren in Kenntnis gesetzt (§ 65 Abs. 2 BVerfGG).

V.

53

In der mündlichen Verhandlung am 28. Januar 2015 haben die Beteiligten ihr schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt. Zur Vorbereitung der Operation "Pegasus" und den Einzelheiten der Evakuierung aus Nafurah wurden der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, und der seinerzeitige Krisenbeauftragte des Auswärtigen Amtes, Botschafter Michael Klor-Berchtold, gehört.

VI.

54

Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 3. März 2015 die dem Senat auf Anforderung bereits zuvor vorgelegten Weisungen, Befehle und sonstigen Dokumente zur Operation "Pegasus" und der Evakuierung aus Nafurah durch Vorlage weiterer Weisungen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr ergänzt. Diese wurden nach Eingang beim Bundesverfassungsgericht dem Bevollmächtigten der Antragstellerin zur Kenntnisnahme gegeben.

B.

55

Der Antrag ist zulässig.

I.

56

Die Antragstellerin ist als Fraktion des Deutschen Bundestages im Organstreitverfahren gemäß § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG parteifähig und berechtigt, im eigenen Namen Rechte geltend zu machen, die dem Deutschen Bundestag gegenüber der Bundesregierung zustehen (vgl. BVerfGE 1, 351 <359>; 2, 143 <165>; 104, 151 <193>; 118, 244 <254 f.>; 121, 135 <150>; 131, 152 <190>; stRspr). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG mögliche Antragsgegnerin. Die gerügte Unterlassung der Antragsgegnerin, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr die nachträgliche Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen, ist nach § 64 Abs. 1 BVerfGG tauglicher Gegenstand eines Organstreitverfahrens (vgl. BVerfGE 121, 135 <150>).

II.

57

Die Antragstellerin ist antragsbefugt.

58

1. Die Antragstellerin hat in substantiierter Weise die Möglichkeit vorgetragen, dass der Deutsche Bundestag in seinen Rechten verletzt wurde, weil die Antragsgegnerin es ablehnte, für die Evakuierung deutscher und anderer Staatsbürger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich seine Zustimmung einzuholen (§ 64 Abs. 1 BVerfGG). In seinem Urteil vom 12. Juli 1994 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass "Einsätze bewaffneter Streitkräfte" im Ausland von Verfassungs wegen der grundsätzlich vorherigen konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages unterliegen und der Bundestag umgehend nachträglich mit einem bewaffneten Außeneinsatz zu befassen ist, wenn ihn die Bundesregierung bei Gefahr im Verzug ausnahmsweise allein beschlossen hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <383 ff.>). Den verfassungsrechtlichen Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" und damit die Reichweite der parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit hat der Senat in einem weiteren Urteil vom 7. Mai 2008 konkretisiert (vgl. BVerfGE 121, 135 <163 ff.>). Beide Entscheidungen befassen sich mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Rahmen von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Es ist bislang nicht ausdrücklich geklärt, ob und inwieweit die bisherige Rechtsprechung auf von der Exekutive angeordnete, vor einer möglichen Parlamentsbefassung bereits abgeschlossene unilaterale Evakuierungseinsätze der Bundeswehr anzuwenden ist. Deshalb ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass es aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts einer nachträglichen Befassung des Deutschen Bundestages mit dem Einsatz deutscher Soldaten in Libyen bedurfte.

59

2. Der Deutsche Bundestag hat mit der Ablehnung des von der Fraktion DIE LINKE initiierten Antrags zur nachträglichen Mandatierung des Evakuierungseinsatzes in Libyen am 24. März 2011 nicht auf die Ausübung seiner Rechte verzichtet. Es ist gerade Sinn und Zweck der in § 64 BVerfGG geregelten Prozessstandschaft, der Parlamentsminderheit die Befugnis zur Geltendmachung der Rechte des Bundestages auch dann zu erhalten, wenn die Mehrheit seiner Mitglieder sie, insbesondere im Verhältnis zu der von ihr getragenen Bundesregierung, nicht wahrnehmen will. Dies ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60, 319 <325 f.>; 68, 1 <77 f.>; 121, 135 <151>).

III.

60

Für die Antragstellerin besteht ein Rechtsschutzbedürfnis.

61

1. Zwischen den Beteiligten sind Umfang und Grenzen des sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergebenden wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts (vgl. BVerfGE 90, 286 <390>; 108, 34 <42>; 121, 135 <152>) umstritten. Es herrscht Unklarheit darüber, unter welchen Voraussetzungen das Recht auf Beteiligung und die Pflicht zur Beteiligung des Deutschen Bundestages ausgelöst werden.

62

2. Für das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin ist es ohne Bedeutung, ob die Antragsgegnerin dem von ihr verlangten Handeln über eine längere Zeit hinweg nicht nachgekommen ist (fortdauerndes Unterlassen) oder ob die behauptete Verpflichtung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erfüllen war. Denn das Rechtsschutzbedürfnis im Organstreit entfällt grundsätzlich nicht deshalb, weil eine beanstandete Rechtsverletzung abgeschlossen ist (BVerfGE 1, 372 <379>; 41, 291 <303>; 121, 135 <152>; 131, 152 <193>). Ob besondere Umstände im Sinne eines "Fortsetzungsfeststellungsinteresses" erforderlich sind, damit über eine in der Vergangenheit liegende und abgeschlossene Rechtsverletzung entschieden werden kann, bedarf keiner Entscheidung; solche Umstände sind hier in Form eines objektiven Interesses an der weiteren Klärung der Reichweite des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts und in Form einer Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 131, 152 <193 f.>) gegeben. Die Antragsgegnerin hat ihre von der Antragstellerin gerügte Rechtsauffassung bereits vorprozessual vertreten und im Verfahren wiederholt, so dass ein gleichgerichtetes Vorgehen in zukünftigen vergleichbaren Situationen erwartet werden kann.

63

3. Die Antragstellerin hat, indem sie im Deutschen Bundestag am 24. März 2011 den Antrag der Fraktion DIE LINKE unterstützte, der auf die nachträgliche Einholung der Zustimmung des Bundestages für den Evakuierungseinsatz in Libyen gerichtet war, über die sie im Organstreit treffenden Obliegenheiten hinaus (vgl. BVerfGE 90, 286 <338 f.>; 104, 151 <198>; 129, 356 <374 f.>) Schritte unternommen, den Bundestag dazu zu veranlassen, seine Rechte geltend zu machen (vgl. BVerfGE 121, 135 <153>).

IV.

64

Die Antragsfrist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG ist gewahrt. Da der Evakuierungseinsatz in Nafurah am 26. Februar 2011 stattfand und die unterlassene Maßnahme in Form einer Beteiligung des Deutschen Bundestages gegebenenfalls nachträglich hätte erfolgen müssen, war die sechsmonatige Frist am 11. August 2011, als der Antrag beim Bundesverfassungsgericht einging, noch nicht abgelaufen.

C.

65

Der Antrag ist unbegründet. Die Antragsgegnerin hat das wehrverfassungsrechtliche Beteiligungsrecht des Deutschen Bundestages in Form des konstitutiven Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht dadurch verletzt, dass sie es unterließ, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich die Zustimmung des Bundestages einzuholen.

I.

66

Der konstitutive wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist nicht auf Einsätze bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit beschränkt, sondern gilt darüber hinaus allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher Soldaten im Ausland (1.). Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt nicht erst dann vor, wenn eine Unternehmung im Ausland unter Einbeziehung deutscher Soldaten einen kriegerischen oder kriegsähnlichen Charakter aufweist (2.). Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. Sie muss das Parlament in einem solchen Fall umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen (3.). Die Fragen, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen vorlag und ob Gefahr im Verzug gegeben war, sind verfassungsgerichtlich voll überprüfbar (4.). Ist ein von der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz bewaffneter Streitkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt nachträglicher Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen und eine parlamentarische Einflussnahme auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte deshalb nicht mehr möglich, muss die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unverzüglich und qualifiziert über die Grundlagen ihrer Einsatzentscheidung und den Verlauf des Einsatzes unterrichten (5.).

67

1. Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Gesamtzusammenhang wehrverfassungsrechtlicher Vorschriften und vor dem Hintergrund der deutschen Verfassungstradition seit 1918 dem Grundgesetz ein allgemeines Prinzip entnommen, nach dem jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven, grundsätzlich vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 ff.>; 100, 266 <269>; 104, 151 <208>; 108, 34 <43>; 121, 135 <154>; 126, 55 <69 f.>; stRspr). Die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen des Grundgesetzes sind darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern sie als "Parlamentsheer" in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 f.>; 108, 34 <44>; 121, 135 <154>; 123, 267 <422>; 126, 55 <70>). Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt gilt allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte (a)) und ist parlamentsfreundlich auszulegen (vgl. BVerfGE 121, 135 <162>; b)).

68

a) Der unmittelbar kraft Verfassung geltende wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt (BVerfGE 90, 286 <390>; 121, 135 <156>) begründet ein wirksames Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der auswärtigen Gewalt. Die parlamentarische Zustimmung ist grundsätzlich vor Beginn eines Einsatzes einzuholen. Der Bundestag kann nicht ohne die Bundesregierung einen Streitkräfteeinsatz verfügen, weil der Parlamentsvorbehalt ein Zustimmungsvorbehalt ist, der keine Initiativbefugnis verleiht (vgl. BVerfGE 90, 286 <388 f.>; 121, 135 <154>).

69

Das Erfordernis parlamentarischer Mitwirkung gilt sowohl für bewaffnete Außeneinsätze deutscher Soldaten innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG, wie sie Gegenstand bisheriger Entscheidungen des Senats waren (vgl. BVerfGE 90, 286 <351 ff.>; 121, 135 <156 f.>), als auch allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte (vgl. BVerfGE 90, 286 <381>; 121, 135 <153>), unabhängig von dessen materiell-rechtlicher Grundlage (vgl. § 2 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG). Auch jeder unilaterale Auslandseinsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bedarf somit der grundsätzlich vorherigen parlamentarischen Zustimmung. Die Bundeswehr wäre kein Parlamentsheer, wenn aus dem Anwendungsbereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gerade die allein national verantworteten Streitkräfteeinsätze im Ausland ausgeklammert wären, denen kein Prozess konsensualer Willensbildung innerhalb eines Bündnissystems vorausgeht, in welches sich Deutschland bereits mit Zustimmung des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 90, 286 <351>; 104, 151 <194>; 118, 244 <258>) eingeordnet hat. Das gilt unabhängig von der in diesem Organstreit nicht zu klärenden Frage nach der Ermächtigungsgrundlage solcher Einsätze.

70

b) Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist angesichts seiner Funktion und Bedeutung parlamentsfreundlich auszulegen. Insbesondere kann das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts nicht unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der Exekutive maßgeblich von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht werden (vgl. BVerfGE 121, 135 <162 f.>). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Streitkräfteeinsatz innerhalb eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolgt oder national verantwortet wird. Denn der Entscheidungsverbund von Parlament und Regierung stellt hier wie dort keine Durchbrechung der alleinigen Verantwortlichkeit der Exekutive im auswärtigen Bereich dar; er ist vielmehr ein prägender Teil der grundgesetzlichen Gewaltenteilung. Soweit dem Grundgesetz eine Zuständigkeit des Deutschen Bundestages in Form eines wehrverfassungsrechtlichen Mitentscheidungsrechts entnommen werden kann, besteht kein eigenverantwortlicher Entscheidungsraum der Bundesregierung (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>).In diesem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, ob das Parlament sein Mitentscheidungsrecht - wie grundsätzlich geboten - vor dem Einsatz wahrnimmt oder ausnahmsweise erst nach dessen Beginn, weil die Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug die Einsatzentscheidung einstweilen allein getroffen hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>). Die Eilkompetenz verschafft der Bundesregierung nur das Recht zur Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, nicht aber die von der Antragsgegnerin angenommenen Auslegungsspielräume hinsichtlich der Frage, ob ein solcher Einsatz gegeben ist und damit ein Mitwirkungsrecht des Bundestages besteht (vgl. BVerfGE 121, 135 <168 f.>). Anderenfalls drohte aus der Ausnahmebefugnis (vgl. BVerfGE 121, 135 <154>) der Exekutive zur vorläufigen Alleinentscheidung in Gefahrensituationen systemwidrig eine regelhafte Befugnis zur endgültigen Alleinentscheidung zu werden.

71

2. Gegenstand der Parlamentsbeteiligung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" (BVerfGE 90, 286 <387 f.>; 121, 135 <154>). Es handelt sich dabei um einen verfassungsrechtlichen Begriff, dessen Konkretisierung von der völkerrechtlichen (vgl. BVerfGE 90, 286 <387>) oder verfassungsrechtlichen Grundlage des konkreten Einsatzes nicht unmittelbar abhängt und der auch nicht von einem im Rang unter der Verfassung stehenden Gesetz (vgl. § 2 ParlBG) verbindlich konkretisiert werden kann, wenn auch die gesetzliche Ausgestaltung des Instituts im Einzelfall Hinweise für seine verfassungsunmittelbare Reichweite zu geben vermag (vgl. BVerfGE 121, 135 <156>; a)). Mit dem Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" ist eine einheitliche rechtliche Schwelle parlamentarischer Zustimmungsbedürftigkeit definiert. Für eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle im Einzelfall ist insoweit kein Raum (b)).

72

a) Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte in diesem Sinne liegt vor, wenn deutsche Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>). Dafür kommt es nicht darauf an, ob bewaffnete Auseinandersetzungen sich bereits im Sinne eines Kampfgeschehens verwirklicht haben, sondern ob die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen qualifiziert zu erwarten ist (vgl. BVerfGE 121, 135 <164 f.>; aa)). Das Führen von Waffen im Ausland und die Ermächtigung zu ihrem Gebrauch können Anhaltspunkte für eine drohende Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen sein (bb)).

73

aa) Die qualifizierte Erwartung der Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen unterscheidet sich in zweifacher Hinsicht von der bloßen Möglichkeit, dass es zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen könnte:

74

(1) Zum einen bedarf es hinreichender greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass ein Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden kann. Hierfür muss aus den Umständen des Falles und der politischen Gesamtlage heraus eine konkrete militärische Gefahrenlage bestehen, die eine hinreichende sachliche Nähe zur Anwendung von Waffengewalt und damit zur Verwicklung deutscher Streitkräfte in eine bewaffnete Auseinandersetzung aufweist (BVerfGE 121, 135 <165>).

75

(2) Zum anderen ist eine besondere Nähe der Anwendung von Waffengewalt erforderlich; die Einbeziehung von Bundeswehrsoldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen muss unmittelbar zu erwarten sein. Steht die Anwendung von Waffengewalt zeitlich nahe bevor, begründet dies bereits für sich genommen die qualifizierte Erwartung der Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen; sie wird jedoch regelmäßig mit der Verdichtung tatsächlicher Umstände einhergehen, die auf kommende militärische Auseinandersetzungen hindeuten. Aber auch eine Betrachtung der Einsatzplanung und der Einsatzbefugnisse kann ergeben, dass eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich ist und praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf abhängt (vgl. BVerfGE 121, 135 <166>).

76

bb) Anhaltspunkte für die drohende Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen bestehen, wenn sie im Ausland Waffen mit sich führen und ermächtigt sind, von ihnen Gebrauch zu machen. Denn es kann dadurch je nach dem Verlauf des tatsächlichen Geschehens dazu kommen, dass die Bewaffnung in die Anwendung von Waffengewalt mündet. Solange es sich allerdings rechtlich nur um eine Ermächtigung zur Selbstverteidigung handelt und der Einsatz selbst einen nicht-militärischen Charakter hat, ist die Schwelle zur Zustimmungsbedürftigkeit nicht schon durch diese Ermächtigung erreicht (vgl. BVerfGE 121, 135 <167 f.>).

77

b) Der Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" als Ausdruck qualifizierter Erwartung einer Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen legt für alle Einsätze der Bundeswehr im Ausland, seien sie konsensual in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit oder national verantwortet, eine einheitliche Schwelle parlamentarischer Zustimmungsbedürftigkeit fest. Eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle ist im konkreten Einzelfall nicht zu überwinden (aa)). Auch Einsätze, die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind, können dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallen (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; 121, 135 <166>; bb)).

78

aa) Grundsätzlich unterliegt jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt ist in der Begründung zwar auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten (vgl. BVerfGE 108, 34 <42 f.> unter Verweis auf BVerfGE 90, 286 <383>), in seiner Funktion aber nicht auf eine parlamentarische Mitentscheidung bei kriegerischen oder kriegsähnlich ausgerichteten Außeneinsätzen beschränkt. Ein rechtlich erheblicher Einfluss des Bundestages auf die Verwendung der Streitkräfte muss nach den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen zur Organkompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt auch unterhalb dieser Schwelle gewährleistet sein, die sich überdies einer präzisen Bestimmung entzieht.

79

Unter den heutigen politischen Bedingungen, in denen Kriege in der Regel nicht mehr förmlich erklärt werden, steht eine sukzessive Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen dem offiziellen Kriegseintritt gleich (vgl. BVerfGE 108, 34 <43>). Jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte kann von der begrenzten Einzelaktion in eine größere und länger währende militärische Auseinandersetzung münden, bis hinein in einen umfänglichen Krieg (BVerfGE 121, 135 <161>). Gerade in politisch und militärisch instabilen Regionen bedarf es zudem häufig nur eines geringen Anlasses, um eine eskalierende Konfliktdynamik in Gang zu setzen. All dies trifft gleichermaßen auf national verantwortete bewaffnete Außeneinsätze der Bundeswehr zu, wie auf Einsätze innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit, anhand derer das Bundesverfassungsgericht die Tatbestandsvoraussetzungen eines "Einsatzes bewaffneter Streitkräfte" definiert hat (vgl. BVerfGE 121, 135 <161 ff.>).

80

Die verfassungsrechtlich gebotene Wahrnehmung konstitutiver parlamentarischer Verantwortung für jedweden bewaffneten Auslandseinsatz der Bundeswehr beginnt daher entgegen der von der Antragsgegnerin vertretenen Auffassung nicht erst dann, wenn ein von der Bundesregierung geplanter Einsatz von vornherein dem Leitbild eines Kriegseintritts entspricht. Ein Streitkräfteeinsatz muss - jenseits der qualifizierten Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen - im Einzelfall daher keine bestimmte militärische Erheblichkeitsschwelle überschreiten oder einen auf offensive Gewaltanwendung angelegten Charakter aufweisen, um den Parlamentsvorbehalt auszulösen; humanitäre Zielsetzungen als solche suspendieren das Erfordernis parlamentarischer Zustimmung nicht.

81

bb) Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 festgestellt, dass bei Einsätzen bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von Resolutionen des Sicherheitsrates die vorherige Zustimmung des Bundestages unabhängig davon erforderlich ist, ob den Streitkräften Zwangsbefugnisse nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen (BGBl 1973 II S. 430) eingeräumt sind, weil die Grenzen zwischen den traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden sind und der Begriff der Selbstverteidigung, die schlichten Friedenstruppen erlaubt ist, bereits in einem aktiven Sinne dahin definiert wird, dass sie auch den Widerstand gegen gewaltsame Versuche einschließt, die Truppen an der Durchführung ihres Auftrags zu hindern (vgl. BVerfGE 90, 286 <387 f.>). Auch die Verwendung von Personal der Bundeswehr für bloße Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland kann der parlamentarischen Zustimmung bedürfen, sofern die Soldaten dabei in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <155>). Generell können auch Einsätze, die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind, dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallen (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; 121, 135 <166>).

82

Bei dem konstitutiven Parlamentsvorbehalt geht es um die grundgesetzlich vorgegebene Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung bei der Entscheidung über die Verwendung der Streitkräfte als Machtpotential, die dem Deutschen Bundestag unabhängig von der Bedeutung des Einsatzes einen insoweit rechtserheblichen Einfluss sichern soll (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 f.>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>). Dem einheitlich zu definierenden verfassungsrechtlichen Begriff eines zustimmungsbedürftigen "Einsatzes bewaffneter Streitkräfte" können deshalb qualitativ unterschiedliche Arten der Verwendung der Bundeswehr unterfallen. Es ist Sache des Gesetzgebers, Form und Ausmaß parlamentarischer Mitwirkung je nach Anlass und Rahmenbedingungen des Einsatzes näher auszugestalten (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; vgl. auch § 4 ParlBG).

83

3. Ohne vorherige parlamentarische Zustimmung ist ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte unter dem Grundgesetz grundsätzlich nicht zulässig. Die im Entscheidungsverbund mit der Bundesregierung dem Einsatz vorausgehende Beteiligung des Deutschen Bundestages schont die Kompetenzen beider Verfassungsorgane (a)). Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, vorläufig allein den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu beschließen, etwa damit die Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik durch den Parlamentsvorbehalt nicht in Frage gestellt wird (b)). Sie muss jedoch in einem solchen Fall den Deutschen Bundestag umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen (c)).

84

a) Besteht die aus den konkreten Umständen hinreichend belegbare Erwartung einer unmittelbaren Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen, ist die vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages schon deshalb erforderlich, weil nur so vermieden werden kann, dass das Parlament in eine Art Ratifikationslage gerät, die eine eigenverantwortliche Entscheidung erschwert. Die vorherige Beteiligung ist gegenüber einem späteren parlamentarischen Rückruf deutscher Soldaten (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>) auch zugleich die für die außenpolitische Handlungs- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland schonendere Alternative (vgl. BVerfGE 90, 286 <363 f., 388>; 108, 34 <44 f.>; 121, 135 <167>).

85

Bundesregierung und Bundestag trifft daher eine Verpflichtung, sicherzustellen, dass die Zustimmung des Parlaments in der Regel zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die materielle Entscheidung über eine Anwendung von Waffengewalt noch nicht getroffen ist und auch nicht vor dem Abschluss des Zustimmungsverfahrens getroffen wird (vgl. BVerfGE 121, 135 <167>).

86

b) Nur ausnahmsweise ist die Bundesregierung - bei Gefahr im Verzug - berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. Der Beschluss der Bundesregierung bedarf keiner Genehmigung durch den Deutschen Bundestag, sondern der Bundestag muss dem Einsatz umgehend zustimmen, damit dieser fortgesetzt werden darf (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>).

87

Im Fall von Gefahr im Verzug ist der Bundesregierung eine auf den Einzelfall bezogene Eilzuständigkeit zur Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte eröffnet. Obwohl die Wahrnehmung der exekutiven Eilkompetenz stets eine Beeinträchtigung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts darstellt, bedarf diese Anordnung keiner rückwirkenden rechtsgestaltenden Legitimierung durch den Bundestag. Die gebotene unverzügliche parlamentarische Befassung nach Beginn des Einsatzes (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) hat nicht die Wirkung einer Genehmigung mit der Folge, dass im Falle einer Versagung der parlamentarischen Zustimmung der Einsatz von Anfang an rechtswidrig wäre (vgl. Baldus, Schriftliche Stellungnahme [S. 37 f.], Sten. Prot. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 17. Juni 2004, S. 77 f.). Die Eilentscheidung der Bundesregierung entfaltet vielmehr die gleiche Rechtswirkung wie die unter regulären Umständen im Verbund mit dem Bundestag getroffene Einsatzentscheidung. Für eine konstitutive parlamentarische Zustimmung ist bei einem von der Exekutive im Eilfall beschlossenen und bereits begonnenen Einsatz daher nur ex nunc Raum. Durch die Verweigerung der Zustimmung wird die Bundesregierung verpflichtet, den Einsatz zu beenden und die Streitkräfte zurückzurufen. Die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland werden auf diese Weise gesichert, und zugleich wird dem Interesse der eingesetzten deutschen Soldaten Rechnung getragen, nur aufgrund einer rechtlich verlässlichen und nicht etwa schwebend unwirksamen Anordnung in einen bewaffneten Auslandseinsatz entsandt zu werden.

88

c) Durch die als Ausnahmebefugnis im Notfall konzipierte Eilkompetenz der Bundesregierung für die Einsatzentscheidung (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) werden das wehrverfassungsrechtliche Recht und die Pflicht zur parlamentarischen Verantwortungsübernahme nicht aufgegeben. Wie sich in der Verpflichtung der Bundesregierung zur umgehenden nachträglichen Befassung des Bundestages mit dem Einsatz (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) zeigt, soll die exekutive Eilkompetenz lediglich in einer kurzfristigen Ausnahmesituation die militärpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland sichern. Das Recht der Exekutive zur vorläufigen Alleinentscheidung bei Gefahr im Verzug steht daher nicht gleichrangig neben dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt. Als Durchbrechung des originären parlamentarischen Mitentscheidungsrechts ist es vielmehr eine diesem gegenüber subsidiäre Kompetenz der stets handlungsfähigen Bundesregierung, deren Sinn es nicht etwa ist, der Exekutive insoweit eigene verteidigungspolitische Gestaltungsspielräume zu eröffnen. Der nachträglichen Parlamentsbefassung muss deshalb eine vor dem Streitkräfteeinsatz beginnende und diesen begleitende Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung vorausgehen (vgl. § 5 Abs. 2 ParlBG).

89

4. Die Konzeption der Eilkompetenz hat zur Folge, dass die Bundesregierung selbst über die Voraussetzungen ihrer (vorläufigen) Alleinzuständigkeit zu entscheiden hat. Im Streitfall unterliegen jedoch nicht nur die Feststellung einer Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen der vollen verfassungsgerichtlichen Kontrolle (a)), sondern auch die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals "Gefahr im Verzug" (b)).

90

a) Die - der Frage nach der Eilkompetenz vorausgehende - Frage, ob bei einem Auslandseinsatz eine Einbeziehung deutscher Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Unternehmungen besteht, ist gerichtlich voll überprüfbar. Ein vom Bundesverfassungsgericht nicht oder nur eingeschränkt nachprüfbarer Einschätzungs- oder Prognosespielraum ist der Bundesregierung nicht eröffnet (vgl. BVerfGE 121, 135 <168 f.>).

91

b) Bei der Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals "Gefahr im Verzug" kommt der Bundesregierung ein solcher Einschätzungs- oder Prognosespielraum ebenfalls nicht zu. Allerdings verbleibt ihr ein Einschätzungsspielraum im Eilfall (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>) hinsichtlich der politischen und militärischen Zweckmäßigkeit des bewaffneten Streitkräfteeinsatzes.

92

aa) Das Tatbestandsmerkmal "Gefahr im Verzug" legt die Voraussetzungen einer Eilzuständigkeit der Bundesregierung für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte fest. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum. Die prognostischen Elemente des Gefahrbegriffs geben insoweit für eine andere Sichtweise nichts her. Sie sind nichts weiter als Elemente der Unbestimmtheit von Rechtsbegriffen und rechtfertigen - wie auch in anderen der Gefahrenabwehr dienenden Befugnisnormen - nicht schon von sich aus eine Kontrollbeschränkung der Gerichte (vgl. in Bezug auf Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 103, 142<157> m.w.N.).

93

Der Gesetzgeber kann zwar innerhalb der von der Verfassung gezogenen Grenzen Durchbrechungen des Grundsatzes vollständiger gerichtlicher Nachprüfung von Entscheidungen der Exekutive vorsehen (vgl. BVerfGE 129, 1 <21 ff.>). Der unmittelbar im Grundgesetz verankerte wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt räumt ihm jedoch einen derartigen Gestaltungsfreiraum bei der Regelung der Eilkompetenz der Bundesregierung nicht ein. Der Parlamentsvorbehalt garantiert dem Deutschen Bundestag grundsätzlich ein wirksames Mitentscheidungsrecht über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte, bevor das militärische Unternehmen beginnt und dann maßgeblich zu einer Frage militärischer Zweckmäßigkeit wird (vgl. BVerfGE 121, 135 <161>). Jeder einer richterlichen Kontrolle entzogene exekutive Spielraum bei der Feststellung von Gefahr im Verzug würde demgegenüber die Möglichkeiten einer Inanspruchnahme der Eilkompetenz erweitern und damit den konstitutiven parlamentarischen Zustimmungsvorbehalt über das unerlässliche Maß hinaus schwächen (vgl. BVerfGE 103, 142 <158>). Innerhalb eines wesentlichen Einsatzspektrums hätte allein und abschließend die Bundesregierung darüber zu befinden, ob der Deutsche Bundestag einem Streitkräfteeinsatz in rechtserheblicher Weise vor dessen Beginn zustimmen muss oder erst danach, wenn bereits geschaffene oder doch vorentschiedene Fakten den Entscheidungsraum zu einem Parlamentsnachvollzug verengen. Die durch den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt vorgegebene Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt lässt eine derartige Ermächtigung der Exekutive zur materiellen Entwertung der parlamentarischen Mitentscheidungskompetenz nicht zu (vgl. BVerfGE 121, 135 <167>). Die Rechte, die das Grundgesetz den einzelnen Verfassungsorganen verleiht, stehen weder zu ihrer eigenen Disposition noch zur Disposition des Gesetzgebers (vgl. E. Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, § 28 Rn. 990). Dieser ist hier vielmehr darauf beschränkt, die Voraussetzungen eines Gefahr im Verzug begründenden Notfalls und das dabei zu beobachtende Verfahren näher zu regeln (vgl. BVerfGE 90, 286 <388 ff.>). Dem entsprechen Wortlaut und Begründung von § 5 ParlBG (BTDrucks 15/2742, S. 5 f.), der die Eilkompetenz der Bundesregierung und das Verfahren nachträglicher parlamentarischer Mitwirkung bei Gefahr im Verzug regelt.

94

bb) Eine verfassungsgerichtliche Kontrolle des Merkmals "Gefahr im Verzug" stößt hier auch nicht an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 84, 34 <50>; 129, 1 <23>). Derartige Funktionsgrenzen sind namentlich für das politische Ermessen im Bereich der auswärtigen Gewalt (vgl. BVerfGE 40, 141 <178>; 55, 349 <364 f.>) sowie in verteidigungspolitischen Fragen (vgl. BVerfGE 68, 1 <97>) anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. August 2013 - 2 BvR 2660/06, 2 BvR 487/07 -, EuGRZ 2013, S. 563 <568>). Die tatsächliche und rechtliche Wertung der Bundesregierung bei der Annahme von Gefahr im Verzug ist jedoch keine politische Entscheidung, sondern eine anhand objektiver Kriterien überprüfbare Subsumtion eines Sachverhalts unter die tatbestandliche Voraussetzung einer Eilkompetenz (vgl. BVerfGE 45, 1 <39>), die der Bundesregierung erst den Raum für eine einstweilen alleinige (politische) Entscheidung über den bewaffneten Außeneinsatz der Bundeswehr erschließt. Für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung kommt es dabei auf die Sachlage an, wie sie sich der Bundesregierung zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung darstellt.

95

5. Ist ein von der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz bewaffneter Streitkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer nachträglichen Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen, kann der Deutsche Bundestag einen konstitutiven, rechtserheblichen Einfluss auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte (vgl. BVerfGE 89, 38 <46 f.>; 90, 286 <382>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>) nicht mehr ausüben (a)). In diesem Fall muss die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unverzüglich und qualifiziert über den Einsatz unterrichten (b)).

96

a) Der Senat hatte in seinen bisherigen Entscheidungen zum wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt die Frage, ob ein von der Bundesregierung zu Recht wegen Gefahr im Verzug angeordneter und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer Parlamentsbefassung bereits abgeschlossener Einsatz einer nachträglichen Beteiligung des Deutschen Bundestages bedarf, nicht zu beantworten. Die Bundesregierung muss zwar in jedem Fall das Parlament umgehend mit einem von ihr wegen Gefahr im Verzug beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte zurückrufen, wenn es der Bundestag verlangt (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>). Ob indes eine nachträgliche Parlamentsbefassung auch erforderlich ist, wenn die Möglichkeit zur parlamentarischen Rückholung der Streitkräfte nicht mehr besteht, war bisher nicht Gegenstand verfassungsgerichtlicher Verfahren.

97

aa) Die Auffassung des Gesetzgebers zu dieser Frage lässt sich aus dem Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht eindeutig entnehmen. In § 5 ParlBG ist bestimmt, dass nach exekutiver Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte wegen Gefahr im Verzug der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachzuholen und der Einsatz zu beenden ist, wenn der Bundestag den Antrag ablehnt (Abs. 3). Die Gesetzesbegründung spricht insoweit von einer "zwingende[n] Nachholung der Beteiligung des Parlaments" (vgl. BTDrucks 15/2742, S. 6), ohne darauf einzugehen, ob dies auch gelten soll, wenn der Einsatz zum Zeitpunkt unverzüglicher Parlamentsbefassung bereits beendet ist.

98

bb) Das wehrverfassungsrechtliche Schrifttum misst zwar überwiegend einem nachträglichen Parlamentsbeschluss bei abgeschlossenen Streitkräfteeinsätzen keine rechtserhebliche Wirkung bei, hält aber eine Befassung des Deutschen Bundestages aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gleichwohl für geboten (vgl. Dau, NZWehrr 1998, S. 89 <99>; Hans H. Klein, in: Festschrift für Walter Schmitt Glaeser, 2003, S. 245 <263>; Lutze, DÖV 2003, S. 972 <978>; Baldus, a.a.O., S. 78, Fn. 115; F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis, 2005, S. 280 f.; Sigloch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, 2006, S. 308; Tobias M. Wagner, Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2010, S. 149 f.; Payandeh, DVBl 2011, S. 1325 <1329 f.>).

99

cc) Die kompetenzielle Funktion des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, aufgrund derer dem Deutschen Bundestag eine grundlegende, konstitutive Mitentscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorbehalten und damit ein rechtserheblicher Einfluss auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte garantiert ist (vgl. BVerfGE 89, 38 <46 f.>; 90, 286 <382>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>), kann bei einem abgeschlossenen Einsatz jedoch nicht mehr zum Tragen kommen. Ist ein Einsatz beendet, ist für eine konstitutive Zustimmung des Bundestages, für eine Mitverantwortung und -entscheidung kein Raum mehr. Hat die Bundesregierung einen zeitlich eng begrenzten und vor einer möglichen Parlamentsbefassung abgeschlossenen Einsatz angeordnet, bedarf diese Entscheidung trotz der Subsidiarität der exekutiven Eilkompetenz zu ihrer Wirksamkeit oder Rechtmäßigkeit keiner nachträglichen Genehmigung durch den Bundestag (vgl. Rn. 87). Das Parlament kann bei einem abgeschlossenen Einsatz zudem weder die Fortdauer des Streitkräfteeinsatzes noch dessen Beendigung und die Rückholung der eingesetzten Soldaten beschließen. Der Bundestag ist auch nicht dazu berufen, über die Rechtmäßigkeit des exekutiven Handelns verbindlich zu urteilen; dies ist - auf Antrag - dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass einem nachträglichen parlamentarischen Beschluss keine Rechtserheblichkeit mehr zukommen kann (a.A. Wiefelspütz, Der Auslandseinsatz der Bundeswehr und das Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2. Aufl. 2012, S. 498).

100

Demgemäß verpflichtet der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt die Bundesregierung in einem derartigen Fall nicht, eine Entscheidung des Bundestages über den beendeten Einsatz herbeizuführen (vgl. Kreß, in ZaöRV 57 [1997], S. 329 <355>; Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, 2005, S. 287 ff.; Scherrer, Das Parlament und sein Heer, 2010, S. 288 ff.). Die Entscheidungskompetenz der Bundesregierung modifiziert insoweit das der Wehrverfassung zugrunde liegende Prinzip der konstitutiven parlamentarischen Mitentscheidung. Der konstitutive parlamentarische Zustimmungsvorbehalt ist als prägender Teil der grundgesetzlichen Gewaltenteilung (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>) durch seine kompetenzbegründende Funktion determiniert und verändert sich nicht, wenn der Bundestag aus tatsächlichen Gründen seine Kompetenz nicht ausüben kann.

101

b) Vielmehr ist es Aufgabe des Deutschen Bundestages selbst und seiner Untergliederungen, im Falle eines von der Exekutive wegen Gefahr im Verzug beschlossenen und vor einer möglichen Parlamentsbefassung beendeten Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, seine parlamentarischen Kontrollbefugnisse wahrzunehmen. Das parlamentarische Regierungssystem stellt ihm auch für diesen Fall geeignete Instrumente zur politischen Kontrolle der Bundesregierung zur Verfügung. Er kann sein Frage-, Antrags-, Debatten- und Entschließungsrecht ausüben und dadurch auf zukünftige Entscheidungen der Regierung einwirken oder durch die Wahl eines neuen Bundeskanzlers die Regierung stürzen, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 131, 152 <196>).

102

Um dem Deutschen Bundestag eine uneingeschränkte Kontrolle des Einsatzes der Streitkräfte zu ermöglichen, ist die Bundesregierung allerdings, als Ausfluss des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, verpflichtet, ihn unverzüglich und qualifiziert über den abgeschlossenen Streitkräfteeinsatz zu unterrichten.

103

aa) Gegenstand der Pflicht zu förmlicher Unterrichtung der Bundesregierung sind die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Einsatzentscheidung sowie Verlauf und Ergebnis des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte. Nur in Kenntnis der genannten, allein der Bundesregierung vorliegenden Informationen zu einem abgeschlossenen Auslandseinsatz der Bundeswehr ist der Bundestag in der Lage, diesen politisch zu bewerten und parlamentarische Kontrolle, auch mit Blick auf die im hier gegebenen Zusammenhang stets zu beantwortenden Kompetenzfragen, effektiv auszuüben.

104

bb) Die Unterrichtung des Bundestages muss in sachlicher Hinsicht umfassend sein und sich in ihrer Intensität an der militärischen und politischen Bedeutung des Streitkräfteeinsatzes orientieren. In zeitlicher Hinsicht ist der parlamentarische Informationsanspruch unverzüglich zu erfüllen, denn eine Kontrolle ist umso wirkungsvoller, je geringer der zeitliche Abstand zu dem zu kontrollierenden Handeln ist. Die Bundesregierung muss das Parlament darüber hinaus in einer zweckgerechten Weise unterrichten. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer, damit sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Informationen über den Streitkräfteeinsatz den Abgeordneten in klarer, vollständiger und reproduzierbarer Form zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 131, 152 <202 ff.>).

II.

105

Nach diesen Maßstäben war die am 26. Februar 2011 von Soldaten der Bundeswehr durchgeführte Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah in Libyen ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Sinne des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts. Die Antragsgegnerin war jedoch nicht verpflichtet, den Bundestag nachträglich um eine rechtlich unverbindliche politische Billigung des abgeschlossenen Einsatzes zu ersuchen. Die Frage einer Verletzung des parlamentarischen Anspruchs auf unverzügliche qualifizierte Unterrichtung über den abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nicht Gegenstand des hier zu entscheidenden Organstreits.

106

1. Die in nationaler Alleinverantwortung von Soldaten der Bundeswehr durchgeführte Evakuierung aus Nafurah ist tauglicher Gegenstand des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts. Dies gilt unabhängig davon, ob Evakuierungs- und Rettungsaktionen der Streitkräfte, wie im Schrifttum diskutiert wird (vgl. Wiefelspütz, a.a.O., S. 448 f.; Röben, ZaöRV 63 [2003], S. 585 <586, Fn. 4>), materiell-funktional als polizeiliche Unternehmen mit humanitärer Zielsetzung oder als im engeren Sinne "militärisch" zu charakterisieren sind. Derartige Differenzierungen hindern weder eine Subsumtion unter den verfassungsrechtlichen Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" noch die sich daraus notwendig ergebende Anwendung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts (vgl. Epping, in: BeckOK GG, Edition 25, Art. 87a Rn. 32.4; Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Rn. 82).

107

2. Ein grundsätzlich nur auf der Grundlage einer konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages zulässiger Einsatz bewaffneter Streitkräfte lag vor, weil ungeachtet des tatsächlichen Ausbleibens von Kampfhandlungen die qualifizierte Erwartung bestand, dass deutsche Soldaten mit der Teilnahme an der Evakuierung aus Nafurah in bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen werden könnten.

108

a) Zum Zeitpunkt der Einsatzentscheidung bestanden hinreichende greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine drohende Verstrickung der eingesetzten deutschen Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung.

109

aa) Die Evakuierung aus Nafurah am 26. Februar 2011 war in zeitlich-örtlicher Hinsicht in einen kriegerischen Gesamtkontext eingebunden, der bei der Beantwortung der Frage, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen zu erwarten war, nicht außer Betracht bleiben kann.

110

In den Tagen vor der Evakuierung hatten sich die innenpolitischen bewaffneten Auseinandersetzungen in Libyen zu einem Bürgerkrieg ausgeweitet, der mit dem Zerfall der staatlichen Ordnung einherging. Die sich innerhalb kurzer Zeit rapide verschlechternde Sicherheitslage hatte auf deutscher Seite Anlass zu Vorbereitungen für die großangelegte militärische Operation "Pegasus" zur Evakuierung, Rettung und gegebenenfalls gewaltsamen Befreiung deutscher Staatsbürger aus ganz Libyen gegeben, welche am 26. Februar 2011 allerdings noch nicht abgeschlossen waren. Die von Kampfhandlungen besonders betroffenen ostlibyschen Landesteile waren an diesem Tag überwiegend bereits in der Hand der Regimegegner, darunter zahlreiche übergelaufene Streit- und Sicherungskräfte. Sie verfügten über schwere Waffen und Gefechtsfahrzeuge und kontrollierten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die im Raum Bengasi stationierten einsatzbereiten Luftabwehrsysteme mit einer Reichweite von 300 Kilometern. Auf ihrem Weg von Chania/Kreta nach Nafurah und zurück mussten die beiden für die Evakuierung eingesetzten deutschen Transportmaschinen - als Teil einer fremden Staatsmacht - jeweils diesen Flugabwehrgürtel durchfliegen. Eine etwaige konkludente Einwilligung regimetreuer staatlicher libyscher Stellen in die Evakuierungsmaßnahme und damit in die Nutzung des libyschen Luftraums hätte dabei keinerlei Sicherheit gewährleistet, denn sie wäre von den oppositionellen Kräften nicht als verbindlich erachtet worden. Die Antragsgegnerin konnte überdies trotz ihrer Kontakte zu libyschen Regierungsvertretern nicht von einer solchen Einwilligung ausgehen. Das Bundesministerium der Verteidigung wie auch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr waren im Vorfeld der Evakuierung in ihren jeweiligen Bedrohungsanalysen zu dem Ergebnis gekommen, dass die staatlichen Strukturen in Libyen vollkommen zusammengebrochen waren. Es gab somit keinen funktionsfähigen libyschen Staat mehr, dem etwaige Willenserklärungen staatlicher Verantwortungsträger hätten zugerechnet werden und der Garant für deren Einhaltung hätte gewesen sein können. Ein Angriff mittels Boden-Luft-Raketen auf die deutschen Militärmaschinen und damit eine zunächst passive Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen musste in einem Umfeld eskalierender Gewalttätigkeiten aufgrund dieser konkreten Umstände ernsthaft für möglich erachtet werden, auch wenn bis zum Beginn der Evakuierungsoperation kein ausländisches Flugzeug im libyschen Luftraum bedroht worden war. Das Bundesministerium der Verteidigung war daher von einer mittleren bis erheblichen Bedrohung an Land und in der Luft bei Operationen von deutschen Streitkräften in Libyen ausgegangen. Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr hatte - anders als bei den vorausgegangenen ungesicherten Luftabholungen aus Tripolis - wegen der Bedrohung durch Flugabwehrsysteme den Einsatz passiv geschützter Transall C-160 ESS für unabdingbar gehalten, was dazu führte, dass die als besonders eilbedürftig qualifizierte, ursprünglich bereits für den 25. Februar 2011 vorgesehene Evakuierung aus Nafurah auf den Folgetag verschoben wurde, um sie mit den geschützten Lufttransportmitteln durchführen zu können. Die darin zum Ausdruck kommende Gefahrenvorsorge spricht für eine nicht nur theoretische, sondern tatsächliche Gefahr eines militärischen Angriffs auf die beteiligten Luftfahrzeuge.

111

bb) Der Einsatz einer insgesamt zwanzig Soldaten umfassenden, bewaffneten Sicherungsgruppe neben den Besatzungen der Transportmaschinen spiegelt die Gefahrenlage am Boden wider, aufgrund derer die Anwendung militärischer Gewalt hätte erforderlich werden können. Die Lage in Nafurah war am 26. Februar 2011 zwar ruhig, umliegende Camps waren aber bereits von militärisch bewaffneten Banden angegriffen und ausgeplündert worden. Auf der Grundlage von Vereinbarungen mit den in Nafurah ansässigen deutschen Unternehmen hatten bewaffnete Mitglieder örtlicher Stämme deshalb den Schutz des dortigen Camps und der Landebahn übernehmen müssen. Auf dem Flugfeld ausgebrachte Pipelinerohre sollten die Landung von Flugzeugen der Bürgerkriegsparteien verhindern, von deren wirtschaftlichem Interesse an den Ölfeldern in der Region auszugehen war und deren Aggression sich durchaus auch gegen militärische Evakuierungsmaßnahmen anderer Staaten zu richten drohte, wie die Gefangennahme niederländischer Soldaten durch regimetreue Truppen in Sirte nur einen Tag später, am 27. Februar 2011, bestätigte. Nach der Räumung der Pipelinerohre hätten die Besatzungen der zur Evakuierung in Nafurah eingesetzten Militärmaschinen durch auf der Landebahn abgestellte Kraftfahrzeuge gewarnt werden sollen, falls sich die Lage in Nafurah kurzfristig verschlechtert hätte.

112

Nicht allein Gründe der allgemeinen Vorsicht und Vorsorge, sondern die Verhältnisse am Boden, die situativ jederzeit in Richtung eines Angriffs oder Überfalls auf das Camp hätten wechseln können, gaben daher konkreten Anlass, zum Zwecke der Evakuierung nicht nur - wie am 22. und 23. Februar in Tripolis - die Organisationsstruktur der Bundeswehr in Anspruch zu nehmen, sondern auch deren spezifisches Droh- und Gewaltpotential. Mit insgesamt 12 Fallschirmjägern stellten die Mitglieder einer auf Rettungs-, Evakuierungs- und Schutzoperationen sowie Einsätze gegen irreguläre Kräfte spezialisierten Kampftruppe der Bundeswehr den Hauptteil der zusätzlich zu den nur mit Pistolen ausgerüsteten Besatzungen der Transall C-160 ESS eingesetzten Sicherungsgruppe, die mit ihren Gewehren G3 und G36 sowie zwei Maschinengewehren MG3 über Kriegswaffen verfügte. Die Soldaten kamen vorzeitig zum Einsatz, denn die Evakuierung aus Nafurah erschien derart dringlich, dass eine nochmalige Verschiebung auf den Folgetag, bis zur Einsatzbereitschaft des Einsatzverbandes "Pegasus" am 27. Februar 2011, nicht in Betracht gezogen wurde.

113

Die Einsatzbefugnisse der Fallschirmjäger waren korrespondierend damit bereits auf eine mögliche Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung ausgerichtet. Es war deren Aufgabe, sowohl die Lufttransportmittel nach der Landung oder einer eventuellen Notlandung wie auch die zu Evakuierenden beim Anbordgehen zu sichern. Die Waffen wurden gerade auch dazu mitgeführt, den Operationszweck abzusichern. Nach Auftrag und Bewaffnung waren die Soldaten nicht auf eine Selbstverteidigung im engeren, nur die eigene Verteidigung betreffenden Sinn beschränkt. Sie hatten vielmehr die Befugnis und die Pflicht, Leib und Leben gefährdende Angriffe gegen die zu Evakuierenden sowie Angriffe gegen die Transportmaschinen mit militärischer Gewalt abzuwehren. Auch wenn der Evakuierungseinsatz mit dem Ziel angeordnet wurde, eine bewaffnete Auseinandersetzung zu vermeiden, war die Verpflichtung zu einer solch erweiterten Selbstverteidigung angesichts der nicht nur abstrakten militärischen Gefahrenlage vom Recht auf Überwindung gewaltsamen Widerstands gegen die Evakuierung mit militärischen Mitteln nicht schlüssig zu trennen. Beides war zudem durch die für die Soldaten geltende Verhaltensanweisung für die Anwendung militärischer Gewalt gedeckt, die Maßnahmen militärischer Gewalt bis hin zur Durchsetzung einer Evakuierung gestattete.

114

Derartige aufgrund der Gesamtlage konkret drohende gewaltsame Maßnahmen der eingesetzten deutschen Soldaten gegen militärisch bewaffnete Angreifer während der von libyschen Stellen nicht sicher genehmigten Evakuierungsoperation hätten angesichts ihres ungewissen Ausgangs und der unüberschaubaren gruppenspezifischen Loyalitäten in dem durch Bürgerkrieg destabilisierten Land ein nicht unerhebliches militärisches Eskalations- oder doch Verstrickungspotential geborgen, auch im Hinblick auf den ab dem 27. Februar 2011 vor der Küste Libyens und auf Kreta einsatzbereiten Einsatzverband "Pegasus" mit seinem Kräfteaufgebot von rund 1000 Soldatinnen und Soldaten.

115

b) Darüber hinaus war zum Zeitpunkt der Einsatzentscheidung der Exekutive von einer besonderen Nähe zur Anwendung von Waffengewalt auszugehen.

116

Mit dieser Entscheidung waren die Weichen hinsichtlich der aufgrund greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte für möglich erachteten Anwendung bewaffneter Gewalt gegen und durch deutsche Soldaten bereits gestellt. Zwar bestand Unsicherheit darüber, ob tatsächlich mit einem Angriff auf die Transportmaschinen im libyschen Luftraum zu rechnen war und ob militärische Reaktionen der eingesetzten Soldaten am Boden erforderlich werden würden. Auch wäre ein Abbruch der Evakuierungsoperation vor Einflug in den libyschen Luftraum im Falle auffälliger Radaraktivitäten der dortigen, in ihrer konkreten Dislozierung im Raum nicht bekannten Flugabwehrstellungen möglich gewesen und hätten die Transall C-160 ESS vor der Landung in Nafurah abdrehen können, falls zur Warnung der Flugzeugbesatzung Kraftfahrzeuge auf der Landebahn abgestellt worden wären. Nach dem Eindringen in den libyschen Luftraum und auf libysches Territorium hing jedoch die Einbeziehung deutscher Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung im Wesentlichen nur noch davon ab, ob und wann militärisch bewaffnete libysche Akteure in dem bürgerkriegsbefangenen Land die zu Evakuierenden oder die deutschen Lufttransportmittel angreifen würden. Ein solcher Angriff hätte, entsprechend den Einsatzbefugnissen der Sicherungsgruppe, unmittelbare Abwehrmaßnahmen ausgelöst, ohne dass die Bundesregierung hierauf noch hätte Einfluss nehmen können.

117

3. Zwischen den Beteiligten ist nicht im Streit, dass die Antragsgegnerin aufgrund von Gefahr im Verzug berechtigt war, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Nafurah am 26. Februar 2011 ohne vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestages zu beschließen.

118

4. Wenn ein rechtserheblicher parlamentarischer Einfluss auf den konkreten Einsatz der Streitkräfte aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich ist, ergibt sich aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt keine Pflicht der Bundesregierung, eine Beschlussfassung des Bundestages herbeizuführen. Zu einer nachträglichen Befassung des Deutschen Bundestages mit dem noch am 26. Februar 2011 abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte war die Antragsgegnerin deshalb nicht verpflichtet.

119

5. Eine Verletzung des aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt abzuleitenden parlamentarischen Anspruchs, von der Bundesregierung über von ihr wegen Gefahr im Verzug angeordnete und bereits abgeschlossene Einsätze bewaffneter Streitkräfte unverzüglich und qualifiziert unterrichtet zu werden, hat die Antragstellerin nicht zum Gegenstand des Organstreits gemacht.

120

Zwar kann grundsätzlich ein Antrag auf Feststellung einer Kompetenzverletzung zugleich den weniger weitgehenden Antrag auf Feststellung der Verletzung eines damit in Zusammenhang stehenden Anspruchs auf Unterrichtung enthalten (vgl. BVerfGE 1, 14 <39>; 7, 99 <105 f.>; 68, 1 <68>). Die Antragstellerin hat jedoch weder in ihrem verfahrenseinleitenden Antrag noch in dessen Begründung einen Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Unterrichtungspflicht ausdrücklich geltend gemacht. Auch der im Wege der Auslegung zu ermittelnde eigentliche Sinn des mit dem Antrag verfolgten prozessualen Begehrens (vgl. BVerfGE 68, 1 <68>) gibt keinen Anlass, von einem entsprechenden subsidiären Rechtsschutzziel der Antragstellerin auszugehen.

121

a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bundesminister des Auswärtigen die Vorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen im Auftrag der Bundesregierung nach der Beendigung der Evakuierung aus Nafurah noch am Abend des 26. Februar 2011 über deren Verlauf und Abschluss telefonisch informiert hatte. Die Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Obleute des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages waren - jeweils schriftlich - mit Datum vom 26. Februar 2011 vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr und mit Datum vom 4. März 2011 vom Staatssekretär im Auswärtigen Amt über den Einsatz unterrichtet worden. Die Obleute der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, dessen Vorsitzenden und seinen Stellvertreter hatte der Staatssekretär am 27. Februar 2011 auch telefonisch informiert. Er und der Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung hatten darüber hinaus in der Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages am 16. März 2011 für die Bundesregierung Bericht zu dem Evakuierungseinsatz erstattet.

122

Am 4. April 2011 war die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen" von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion selbst als Bundestagsdrucksache an die Mitglieder des Deutschen Bundestages verteilt worden (BTDrucks 17/5359). Darin äußerte sich die Bundesregierung insbesondere zu den tatsächlichen und rechtlichen Hintergründen und dem Verlauf der Evakuierung aus Nafurah.

123

Die Antwort der Bundesregierung auf die am 10. Juni 2011 gestellte Kleine Anfrage von Abgeordneten der Antragstellerin und der Antragstellerin selbst zum "Evakuierungseinsatz ,Pegasus' der Bundeswehr in Libyen" erhielten die Mitglieder des Deutschen Bundestages am 11. Juli 2011 (BTDrucks 17/6564). Weitere Einzelheiten zur Wahl der militärischen Mittel, zur Bewaffnung der eingesetzten Soldaten sowie zu den militärischen Planungen und Abläufen bildeten den Schwerpunkt der von der Bundesregierung erteilten Auskünfte.

124

b) Die Antragstellerin hat diese zwar umfängliche, aber sukzessive, zunächst auf Funktionsträger und Mitglieder bestimmter Ausschüsse beschränkte, zum Teil erst auf Befragung erfolgte Unterrichtung des Deutschen Bundestages über die Evakuierung aus Nafurah vorprozessual nicht gerügt. Eine - im Sinne der hier entwickelten Anforderungen - weitergehende Unterrichtungspflicht hat sie gegenüber der Antragsgegnerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht geltend gemacht und dieser damit keine Veranlassung gegeben, derartige Rechte des Parlaments zu prüfen und ihnen gegebenenfalls zu entsprechen (vgl. BVerfGE 129, 356 <374 f.>). Vielmehr hat die Antragstellerin, auch dies erst einige Monate nach dem Evakuierungseinsatz, mit der Kleinen Anfrage vom 10. Juni 2011 eine ihr zur Verfügung stehende politisch-parlamentarische Handlungsmöglichkeit ergriffen und konkrete zusätzliche Informationen von der Bundesregierung erbeten. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sie mit der Antwort der Bundesregierung vom 11. Juli 2011 und der vorhergehenden Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen" vom 4. April 2011 (BTDrucks 17/5359) den Anspruch des Bundestages auf Unterrichtung nicht als hinreichend erfüllt ansah. Der verfahrenseinleitende Antrag ist angesichts dessen keiner Auslegung dahingehend zugänglich, die Antragstellerin beanstande auch die Verletzung des parlamentarischen Rechts auf unverzügliche und qualifizierte Unterrichtung über einen abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte.

D.

125

Besondere Billigkeitsgründe, die die Anordnung einer Auslagenerstattung nach § 34a Abs. 3 BVerfGG ausnahmsweise angezeigt erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 96, 66 <67>), liegen nicht vor.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

Antragsteller und Antragsgegner können nur sein: der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe.

(1) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, daß er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist.

(2) Im Antrag ist die Bestimmung des Grundgesetzes zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners verstoßen wird.

(3) Der Antrag muß binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden.

(4) Soweit die Frist bei Inkrafttreten dieses Gesetzes verstrichen ist, kann der Antrag noch binnen drei Monaten nach Inkrafttreten gestellt werden.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, daß er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist.

(2) Im Antrag ist die Bestimmung des Grundgesetzes zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners verstoßen wird.

(3) Der Antrag muß binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden.

(4) Soweit die Frist bei Inkrafttreten dieses Gesetzes verstrichen ist, kann der Antrag noch binnen drei Monaten nach Inkrafttreten gestellt werden.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

Gründe

A.

1

Das Organstreitverfahren betrifft die Frage, ob die Antragsgegnerin aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts verpflichtet war, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.

I.

2

1. a) Unter dem Einfluss der Unruhen in einigen Nachbarländern eskalierte ab Mitte Februar 2011 in Libyen der innenpolitische Konflikt zwischen der Regierung und ihren Gegnern zu einem bewaffneten Aufstand gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi. Ein Zentrum der gewalttätigen Auseinandersetzungen waren zunächst die ostlibyschen Landesteile, insbesondere die im Nordosten gelegene Hafenstadt Bengasi. Der Krisenstab im Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes befasste sich seit dem 20. Februar 2011 in fortan täglichen, ressortübergreifenden Sitzungen mit den Entwicklungen in Libyen. Im Bundesministerium der Verteidigung und im Einsatzführungskommando der Bundeswehr wurden frühzeitig Vorbereitungen für diplomatische und militärische Evakuierungen deutscher Staatsangehöriger auf dem Luft- oder Seeweg getroffen. Unbewaffnete Soldaten der Bundeswehr flogen am 22. Februar 2011 mit zwei Transall C-160 Transportmaschinen und am 23. Februar 2011 mit einem Airbus A310 deutsche Staatsbürger und Angehörige anderer Staaten aus Tripolis aus. Gleichzeitig verließen Deutsche und weitere Ausländer die im Nordwesten Libyens gelegene Hauptstadt mit einer Sondermaschine einer zivilen deutschen Luftfahrtgesellschaft. Der Leiter der Europaabteilung im libyschen Ministerium des Auswärtigen hatte der deutschen Botschaft am Abend des 22. Februar 2011 zur Nutzung des Internationalen Flughafens Tripolis durch deutsche Militärmaschinen mitgeteilt, die dafür zuständige Civil Aviation Authority habe für Evakuierungsflüge eine generelle Lande- und Starterlaubnis erteilt, die sogenannte Diplo-Clearance.

3

b) Parallel zu den ungesicherten Luftabholungen durch die Bundeswehr wurden im Mittelmeerraum Kräfte aus Heer, Luftwaffe und Marine zu einem Einsatzverband für eine militärische Evakuierungsoperation zusammengeführt. Nach den vom Bundesministerium der Verteidigung am 23. Februar 2011 veranlassten Planungen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr sollten bis zu 1000 Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Operation "Pegasus" isolierte oder gewaltsam bedrohte deutsche Staatsbürger aus ganz Libyen evakuieren und retten oder gegebenenfalls befreien. Die vom Einsatzführungskommando erlassene "Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN" (Stand: 02/2011) betreffend "Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt" sah nicht nur ein Recht auf Selbstverteidigung und Nothilfe, sondern auch ein Recht auf Einsatz militärischer Gewalt gegen Personen und Sachen zur Durchsetzung militärischer Evakuierungen vor. Der maritime Teil des Einsatzverbandes, bestehend aus den Fregatten "Brandenburg" und "Rheinland-Pfalz", dem Einsatzgruppenversorger "Berlin" und dem Flottendienstboot "Oker", war vor der Ostküste Libyens am 27. Februar 2011 ab 3:00 Uhr, die nach Kreta verlegten Kräfte für schnelle Luftevakuierungen waren ab 15:00 Uhr einsatzbereit.

4

2. a) Der Osten Libyens befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend in der Hand der Regimegegner. Der durch den Bürgerkrieg bedingte Zerfall der staatlichen Strukturen ging dort mit steigender Kriminalität einher, insbesondere auch Überfällen auf die Camps westlicher Unternehmen. Der Krisenstab im Auswärtigen Amt war noch am 23. Februar 2011 davon ausgegangen, dass die Mitarbeiter deutscher Firmen aus dem Camp in Nafurah, einem 400 Kilometer südlich von Bengasi in der Nähe eines Ölfeldes gelegenen ostlibyschen Wüstenort, ohne größere Schwierigkeiten über den Landweg würden ausreisen können. Diese Einschätzung konnte bereits am 24. Februar 2011 nicht mehr aufrechterhalten werden, nachdem mehrere Versuche, das Camp zu verlassen, aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden mussten. Die Verbindungsstraßen von Nafurah zum nächsten Hafen und in das Nachbarland Ägypten führten durch umkämpfte Gebiete; auch wären die zur Verfügung stehenden Kraftfahrzeuge von großem Wert für die bewaffneten rivalisierenden Stämme in der Region gewesen. In der Gegend um Nafurah gab es bewaffnete marodierende Banden. Im Camp selbst, das durch ebenfalls bewaffnete Ortskräfte geschützt wurde, hatten Auseinandersetzungen um Wasser und Nahrungsmittel begonnen. Da eine private Firmenmaschine die gut ausgebaute Landebahn in Nafurah zuletzt problemlos hatte nutzen können und es im Umkreis von 50 Kilometern keine militärischen Einrichtungen und im Umkreis von 100 Kilometern keine Flugabwehrsysteme gab, beschloss der Krisenstab, die "in akuter Gefahr Befindlichen" (Prot. der Krisenstabssitzung vom 24. Februar 2011) möglichst am folgenden Tag, dem 25. Februar 2011, bei Tagesanbruch von der Bundeswehr mit den auf Malta stationierten Transall C-160 ausfliegen zu lassen. Eine Begleitung durch bewaffnete Einsatzkräfte wurde nicht für erforderlich gehalten.

5

b) Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr kam aufgrund einer Bedrohungsanalyse am 25. Februar 2011 insoweit allerdings zu einem anderen Ergebnis. Die öffentliche Ordnung in Libyen sei vollkommen zusammengebrochen. Der Osten des Landes befinde sich zum größten Teil in der Hand bewaffneter Bürgerkomitees sowie übergelaufener Streit- und Sicherheitskräfte, eine übergeordnete Kontrolle sei nicht erkennbar. Da sich die Versorgung der Bevölkerung stetig verschlechtere, steige zunehmend das Risiko krimineller Aktionen, auch gegen westliche Ausländer. Die libyschen Streitkräfte hätten über eine Vielzahl von Systemen zur Flugabwehr verfügt, deren Dislozierung im Raum nicht bekannt sei. Im Bereich Bengasi befänden sich jedoch einsatzbereite Flugabwehrsysteme mit einer Reichweite von 300 Kilometern, die wahrscheinlich von oppositionellen Kräften kontrolliert würden. Aufgrund der Unberechenbarkeit der regionalen Machtverhältnisse sei weiterhin von einer landesweiten Bedrohung durch diese Systeme auszugehen. Daher sei für die Evakuierung aus Nafurah der Einsatz von Transall C-160 ESS, die mit einer Zusatzausstattung zum passiven Selbstschutz gegen Radarerfassung und gegen Flugabwehrraketen ausgerüstet sind, unabdingbar. Da sich Teile der libyschen Zivilbevölkerung Waffen aus militärischen Beständen angeeignet hätten, sei am Boden zudem mit einer Gefährdung der Lufttransportmittel durch Handwaffen, Panzerabwehrhandwaffen oder auf Fahrzeugen montierte Maschinengewehre zu rechnen. Der Einsatz begleitender und bewaffneter Schutzkräfte sei daher zwingend erforderlich.

6

c) Das Bundesministerium der Verteidigung war in einer eigenen Analyse zur Lage in Libyen ebenfalls zu der Einschätzung gelangt, für eine Operation von Streitkräften sei von einer mittleren bis erheblichen Bedrohung an Land und in der Luft auszugehen. Zwei Transall C-160 ESS mit ihrer jeweiligen Besatzung sowie zwölf Fallschirmjäger einer für militärische Evakuierungsoperationen und Operationen gegen irreguläre Kräfte besonders befähigten Luftlandebrigade und acht Feldjäger, sämtlich Teil der für die Operation "Pegasus" vorgesehenen Kräfte und Fähigkeiten, wurden daher noch am 25. Februar 2011 von Deutschland nach Chania/Kreta verlegt. Die daraus resultierende zeitliche Verschiebung der geplanten Evakuierung um einen Tag auf den 26. Februar 2011 wurde im Rahmen einer Gesamtabwägung in Kauf genommen.

7

3. a) Am späten Abend des 25. Februar 2011 stimmte die Bundeskanzlerin der von den Bundesministern der Verteidigung und des Auswärtigen vorgeschlagenen Evakuierung aus Nafurah zu. Da Einsätze der Bundeswehr in Libyen zur Rettung und Evakuierung einem strikten Leitungsvorbehalt seines Hauses unterlagen, erteilte anschließend der Bundesminister der Verteidigung die Operationsfreigabe. Zuvor hatte der Bundesminister des Auswärtigen unter Berufung auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag telefonisch über den "unmittelbar bevorstehenden Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland" (Telefonvermerk des Auswärtigen Amtes vom 25. Februar 2011) unterrichtet und dringend um Vertraulichkeit gebeten. Die Obleute der Fraktionen im Verteidigungsausschuss waren durch den Generalinspekteur der Bundeswehr entsprechend informiert worden.

8

b) Am 26. Februar 2011 blieb ein diplomatisches Ersuchen in Form einer Verbalnote der deutschen Botschaft in Tripolis um Genehmigung der Landung zweier Flugzeuge der Bundeswehr in Nafurah für eine humanitäre Hilfsaktion zur Evakuierung deutscher Bürger von libyscher Seite unbeantwortet. Libyschen Regierungsvertretern war das Vorhaben jedoch bekannt, da der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born mit ihnen in ständigem Kontakt stand.

9

c) Der Evakuierungseinsatz am Nachmittag des 26. Februar 2011 wurde direkt aus dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr geführt, weil sich das Führungselement des Einsatzverbandes "Pegasus" zu diesem Zeitpunkt noch in der Phase der Verlegung befand. Der Chef des Einsatzstabes für Militärische Evakuierungsoperationen im Einsatzführungskommando der Bundeswehr wies die eingesetzten Soldaten vor dem Abflug aus Chania darauf hin, dass bisher kein ausländisches Flugzeug im libyschen Luftraum bedroht worden sei. Eine kurzzeitige Radarabstrahlung der Stellung eines Boden-Luft-Raketensystems bei der ostlibyschen Hafenstadt Tobruk habe am Vormittag des Vortages aufgeklärt werden können. Nach den von dem Sicherheitsbeauftragten eines deutschen Unternehmens laufend übermittelten Informationen aus dem Camp sei die Lage in Nafurah selbst derzeit ruhig, bewaffnete Ortskräfte schützten die Firmenangehörigen. Im Fall einer Veränderung, bei unklarer oder gefährlicher Lage, würden zur Warnung ein oder mehrere Fahrzeuge auf die Landebahn gestellt. Die Landebahn sei zurzeit noch durch ausgebrachte Pipelinerohre blockiert. Ziel war es, eine Landung von Flugzeugen der Bürgerkriegsparteien zu verhindern.

10

d) Aufgrund der hohen Zahl der aus Nafurah zu Evakuierenden hatten sich neben der Bundesregierung auch Großbritannien und die Niederlande für eine jeweils national verantwortete Beteiligung an der Luftevakuierung entschieden. Die um 13:30 Uhr zuerst in Nafurah einfliegende niederländische Militärmaschine brach den Anflug ab und kehrte auf ihren Stützpunkt nach Sizilien zurück, nachdem die libyschen Behörden trotz Anfrage keine Landegenehmigung erteilt hatten. Das britische Transportflugzeug landete kurze Zeit später sicher in Nafurah und flog eigene und Staatsangehörige anderer Länder nach Malta aus. Daraufhin starteten um 14:17 Uhr die beiden deutschen Transall C-160 ESS in Chania.

11

e) Der erweiterte Selbstschutz der eingesetzten Transportmaschinen beinhaltete Maßnahmen zum passiven Schutz durch Scheinziele in Form von 720 "Flares" gegen Lenkwaffen mit Infrarotsuchkopf und 960 "Chaffs" zur Störung von Radargeräten. Die Besatzungen der Transall C-160 ESS bestanden aus insgesamt elf Soldaten zur Durchführung des Flugauftrages und einem Mediziner. Sie führten 15 Pistolen P8 mit 450 Patronen mit sich. An Bord jeder Maschine befanden sich zusätzlich sechs Fallschirmjäger und vier Feldjäger. Die Fallschirmjäger sollten sowohl die Lufttransportmittel nach der Landung oder einer eventuellen Notlandung wie auch die zu Evakuierenden beim Anbordgehen sichern (BTDrucks 17/6564, S. 3). Die "Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN" betreffend "Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt", die auch zur Durchsetzung von Evakuierungen legitimierte, war ihnen gegenüber nicht zurückgenommen worden. Die Fallschirmjäger waren mit ihren persönlichen Ausstattungsgegenständen (Uniformteile, Gefechtshelm und Rucksack) sowie Schutzwesten der Schutzklasse 4 ausgerüstet und führten insgesamt zwei Maschinengewehre MG3 mit 960 Patronen, zwei Gewehre G3 mit Zielfernrohren und 200 Patronen, zehn Gewehre G36 mit 1500 Patronen, vier Pistolen P8 mit 120 Patronen, eine Signalpistole 2A1 mit fünf Patronen und vier Funkgeräte mit sich. Die Feldjäger hatten den Auftrag, die Besatzung nach der Landung in Nafurah bei der Kontrolle der zu Evakuierenden und auf dem Rückflug nach Kreta durch die Wahrnehmung von Luftsicherheitsaufgaben an Bord zu unterstützen. Sie waren jeweils mit Gefechtsanzug, einer Schutzweste der Schutzklasse 4, einem Funkgerät SEM 52 S, Einmannverpflegungspaketen sowie einem Kampfrucksack oder einer Kampftragetasche ausgerüstet und mit ihren Handwaffen, insgesamt vier Gewehren G36 mit 600 Patronen und vier Pistolen P8 mit 180 Patronen, bewaffnet.

12

f) Die deutschen Transall C-160 ESS flogen um 14:59 Uhr in den libyschen Luftraum ein und landeten um 16:30 Uhr in Nafurah. Nach der Landung sicherten die zwölf Fallschirmjäger mit G3- und G36-Gewehren die beiden nebeneinander stehenden Luftfahrzeuge in einem Abstand von 25 Metern, um deren Umfeld lückenlos beobachten zu können. Anschließend setzten sechs Fallschirmjäger die Überwachung fort, während die anderen sechs die acht Feldjäger bei der Identifizierung der zu Evakuierenden und deren Verbringung in die Transportmaschinen unterstützten. Die Maschinengewehre verblieben in den Luftfahrzeugen. 22 deutsche und 110 Bürger anderer Staaten wurden an Bord genommen. Die beiden Transall verließen um 17:10 Uhr und 17:16 Uhr Nafurah sowie gegen 18:25 Uhr den libyschen Luftraum. Um 19:29 Uhr landeten sie in Chania auf Kreta. Zu weiteren Evakuierungen aus Libyen durch deutsche Soldaten kam es in der Folgezeit nicht.

13

g) Am 27. Februar 2011 wurden drei niederländische Marineinfanteristen, Besatzungsmitglieder einer vor der libyschen Küste ankernden niederländischen Fregatte, von regimetreuen Truppen angegriffen und gefangen genommen, als sie versuchten, Landsleute aus der nordlibyschen Hafenstadt Sirte per Hubschrauber zu evakuieren.

14

4. a) Der Bundesminister des Auswärtigen hatte am Abend des 26. Februar 2011 umgehend die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag über Verlauf und Abschluss der Evakuierung aus Nafurah in Kenntnis gesetzt. Die Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und die Obleute des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages wurden unter dem Datum 26. Februar 2011 schriftlich durch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr über die durchgeführte Evakuierung unterrichtet. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born informierte am 27. Februar 2011 die Obleute der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss, dessen Vorsitzenden und seinen Stellvertreter auch telefonisch.

15

In der Regierungspressekonferenz am 28. Februar 2011 erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes zu der Evakuierung aus Nafurah (Mitschrift der Regierungspressekonferenz vom 28. Februar 2011, S. 4):

"[…] In diesem Falle war es so, dass ein bewaffneter Einsatz bevorgestanden haben könnte. Nachträglich war es ein gesicherter Evakuierungseinsatz mit humanitärer Zielsetzung, also kein bewaffneter Einsatz. Demzufolge muss auch nachträglich keine Zustimmung des Bundestages eingeholt werden."

16

b) Der damalige Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Antragstellerin forderte die Bundesregierung mit Schreiben vom 3. März 2011 an den Bundesminister des Auswärtigen auf, ein nachträgliches parlamentarisches Mandat für den Evakuierungseinsatz einzuholen. In seiner Antwort vom 11. März 2011 teilte der Bundesminister mit, dass er den Einsatz für einen humanitären halte, der der Zustimmung des Deutschen Bundestages nicht bedürfe.

17

Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt hatte zuvor, mit Datum vom 4. März 2011, den Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Obleuten des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages eine schriftliche Unterrichtung über die Evakuierung aus Nafurah zugeleitet.

18

c) In der Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages am 16. März 2011 erklärte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born in Übereinstimmung mit dem Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung Wolf, die Evakuierung aus Nafurah sei kein Unternehmen gewesen, bei dem man Waffen habe einsetzen müssen. Vielmehr habe man von Anfang an erwartet, dass eine militärische Aktion nicht notwendig werden würde. Die Bundesregierung sei von einer zumindest konkludenten Genehmigung der Evakuierung durch die libyschen Behörden ausgegangen. Mit Blick auf die Lage in Nafurah habe es sich im Grunde genommen um eine Evakuierung ähnlich wie die zuvor aus Tripolis gehandelt, nicht jedoch um eine bewaffnete Unternehmung im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Verteidigungsausschuss, Prot. Nr. 83, S. 22 ff.).

19

d) Abgeordnete der Fraktion Die LINKE und die Fraktion selbst stellten in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 24. März 2011 folgenden Antrag auf Beschlussfassung zur Abstimmung (BTDrucks 17/5175):

"I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 26. Februar 2011 hat die Bundesregierung unter Berufung auf Gefahr im Verzug einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr zur Evakuierung deutscher und anderer europäischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus Libyen durchgeführt. Ein solcher Evakuierungseinsatz fällt unter die entsprechenden Bestimmungen von § 5 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes. Daran hat auch die Bundesregierung keinen Zweifel gelassen, in dem sie im Vorfeld und nach der Operation die Fraktionsvorsitzenden und Obleute des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages direkt gemäß § 5 Abs. 2 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes unterrichtet hat - im Unterschied zu anderen Einsätzen der Bundeswehr, bei denen nicht mit der Anwendung militärischer Gewalt zu rechnen war, wie z.B. bei der Verlegung von Fregatten vor die libysche Küste. Zudem wurde die Entsendung einer bewaffneten Sicherheitskomponente für die Evakuierungsoperation von mehr als 20 Soldatinnen und Soldaten mit der Entstehung einer neuen Gefährdungslage begründet. Unter diesen Voraussetzungen sieht das ,Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz)' unter § 5 Abs. 3 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes vor, dass ein Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachzuholen ist. Diesen Vorgaben ist die Bundesregierung bislang nicht gefolgt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich gemäß § 5 Abs. 3 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes dem Bundestag ein Mandat für den Evakuierungseinsatz vom 26. Februar 2011 in Libyen vorzulegen."

20

Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (BGBl 2005 I S. 775) regelt Form und Ausmaß der Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ParlBG).

In § 5 ParlBG ist bestimmt:

(1) Einsätze bei Gefahr im Verzug, die keinen Aufschub dulden, bedürfen keiner vorherigen Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen, solange durch die öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde.

(2) Der Bundestag ist vor Beginn und während des Einsatzes in geeigneter Weise zu unterrichten.

(3) Der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist unverzüglich nachzuholen. Lehnt der Bundestag den Antrag ab, ist der Einsatz zu beenden.

21

Der Deutsche Bundestag lehnte es am 24. März 2011 ab, auch gegen die Stimmen der Antragstellerin, den beantragten Beschluss zu fassen (Deutscher Bundestag, Plenprot. 17/99, Stenografischer Bericht, S. 11444).

22

e) Der Bundesminister des Auswärtigen antwortete am 5. April 2011 auf ein Schreiben des damaligen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der Antragstellerin vom 17. März 2011, in welchem dieser erneut die Notwendigkeit einer nachträglichen Zustimmung des Deutschen Bundestages zu dem Evakuierungseinsatz vorgetragen hatte, wie folgt:

"Das Parlamentsbeteiligungsgesetz findet nur bei einem Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland Anwendung. Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nicht anzunehmen, wenn deutsche Soldatinnen und Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung nicht einbezogen sind und eine solche Einbeziehung nach den konkreten Umständen des Einsatzes nicht zu erwarten ist. Dies war bei der Evakuierungsaktion Nafura der Fall.

Das Bundesverfassungsgericht hält in dem von Ihnen zitierten Urteil vom 7. Mai 2008 fest, dass, erst die qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen zur parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit eines Auslandseinsatzes deutscher Soldaten' führt. ,Die bloße Möglichkeit', so das Gericht, ,dass es bei einem Einsatz zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, reicht hierfür nicht aus […], weil die theoretische Möglichkeit einer solchen Auseinandersetzung sich, wo Streitkräfte operieren, kaum je von vornherein wird ausschließen lassen' [BVerfGE 121, 135 (163 ff.)]. Wenn also, wie Sie schreiben, aus der ,ex-ante-Sicht nicht ohne Weiteres erwartet werden [konnte], dass Soldatinnen und Soldaten nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden' würden, so begründet dies noch keinen Einsatz im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes."

23

f) Die Bundesregierung hatte in diesem Sinne bereits mit Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 31. März 2011 eine am 9. März 2011 gestellte Kleine Anfrage zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen" von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion selbst (BTDrucks 17/5002) beantwortet. Aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannten Bedrohungslage habe die klare Erwartung bestanden, dass die eingesetzten Soldaten durch libysche Kräfte nicht bedroht seien, ihre Waffen nicht würden einsetzen müssen und mithin nicht in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen werden würden. Die Unterrichtung des Bundestages habe - wie der Bundesminister des Auswärtigen in seinen Telefonaten vor und nach der Operation auch betont habe - stattgefunden, um gegenüber dem Deutschen Bundestag volle Transparenz zu gewährleisten (BTDrucks 17/5359 vom 4. April 2011, S. 6).

24

g) Ähnlich äußerte sich das Bundesministerium der Verteidigung namens der Bundesregierung in der am 7. Juli 2011 übermittelten Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 10. Juni 2011 (BTDrucks 17/6196), gestellt von Abgeordneten der Antragstellerin und der Antragstellerin selbst zum "Evakuierungseinsatz ,Pegasus' der Bundeswehr in Libyen" (BTDrucks 17/6564 vom 11. Juli 2011, S. 2).

II.

25

Die Antragstellerin hat am 11. August 2011 ihren Antrag im Organstreitverfahren gestellt. Zu dessen Begründung trägt sie vor:

26

1. Der Antrag sei zulässig. Als Fraktion des Deutschen Bundestages sei sie im Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG antragsberechtigt und die Bundesregierung zulässige Antragsgegnerin. Als zulässiger Antragsgegenstand sei in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die im Rahmen eines bewaffneten Einsatzes der Bundeswehr unterlassene Anrufung des Deutschen Bundestages ausdrücklich anerkannt (BVerfGE 121, 135 <150>). Die Antragsgegnerin habe hier in einem an den Parlamentarischen Geschäftsführer der Antragstellerin gerichteten Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 5. April 2011 klargestellt, dass sie nicht mehr beabsichtige, den Bundestag um eine nachträgliche Zustimmung zu dem Evakuierungseinsatz in Libyen zu ersuchen. Die Antragsbefugnis folge aus der möglich erscheinenden Nichtbeachtung der Zustimmungspflicht des Deutschen Bundestages im Rahmen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts angesichts des streitgegenständlichen Einsatzes, der im Ausland und mit bewaffneten Angehörigen der Bundeswehr durchgeführt worden sei. Rechte des Bundestages könne sie als Fraktion für diesen in Prozessstandschaft geltend machen. Das notwendige Rechtsschutzinteresse liege vor. Ihr bleibe zur Durchsetzung ihres Anliegens kein anderes politisches Mittel, insbesondere sei sie nicht gehalten, vor der Einleitung eines Organstreitverfahrens selbst die Zustimmung des Bundestages zu dem Einsatz zu beantragen. Der Bundestag habe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit keine entsprechende Initiativbefugnis, vielmehr müsse in jedem Fall die Bundesregierung - auch bei einem bereits abgeschlossenen Einsatz - das Parlament befassen (BVerfGE 90, 286 <388>). Dies folge auch aus der verfassungskonkretisierenden Regelung des § 3 Abs. 1 ParlBG, nach der es allein der Antragsgegnerin obliege, die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Die Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt. Das Unterlassen der Antragsgegnerin könne mit dem Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 5. April 2011, frühestens mit dessen Schreiben vom 11. März 2011, als abgeschlossen gelten. Die Antragsschrift sei weniger als sechs Monate nach dem streitgegenständlichen Einsatz beim Bundesverfassungsgericht eingereicht worden.

27

2. Der Antrag sei auch begründet. Die Antragsgegnerin habe die Rechte des Deutschen Bundestages aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt verletzt.

28

a) Die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages im Falle einer Entsendung von Soldaten der Bundeswehr ins Ausland seien in verfassungskonkretisierender Weise im Parlamentsbeteiligungsgesetz geregelt. Dieses könne eine verfassungsrechtliche Auslegung der Voraussetzungen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, insbesondere des Begriffs "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" nicht ersetzen, aber im Einzelfall Hinweise für seine verfassungsunmittelbare Reichweite geben (BVerfGE 121, 135 <156>).

29

aa) Der Parlamentsvorbehalt sei aus einer ex-ante-Perspektive zu bestimmen. Aus § 2 Abs. 1, 2. Alt. ParlBG folge, dass ein tatsächlicher Waffengebrauch durch die Bundeswehr in einem konkreten Einsatz nicht Voraussetzung für das Vorliegen einer bewaffneten Unternehmung und damit für die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit sei, sondern die Erwartung dessen ausreiche. Dies ergebe sich bei systematischer Betrachtung zudem zwingend daraus, dass im gesetzlichen Regelfall die Zustimmung im Vorhinein erteilt werden müsse und damit zu einem Zeitpunkt, bevor bekannt sein könne, ob Waffen tatsächlich zum Einsatz kämen oder nicht. Ein gefährlicher Einsatz mit genuin militärischen Mitteln in einem Konfliktgebiet löse daher den Parlamentsvorbehalt aus. Der zu einem solchen bewaffneten Streitkräfteeinsatz im Gegensatz stehende und vom Gesetz verwendete Begriff des humanitären Hilfsdienstes umfasse nach dem Willen des Gesetzgebers Aktionen der Bundeswehr, die auch von zivilen Organisationen übernommen werden könnten, wie zum Beispiel Unterstützung bei Hungersnöten oder Naturkatastrophen. Führten die Soldaten bei derartigen Missionen Waffen allein zur Selbstverteidigung mit sich, sei der Zustimmungsvorbehalt grundsätzlich nicht berührt. Nach § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBG seien aber auch humanitäre Einsätze nicht vom Parlamentsvorbehalt ausgeschlossen, sondern zustimmungspflichtig, wenn zu erwarten sei, dass die Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden könnte. Dann sei es unerheblich, ob Waffen nur zur Selbstverteidigung getragen würden, weil andernfalls das parlamentarische Mandat zum Bundeswehreinsatz notwendig ein Mandat zum Angriff sei. Diesem Gesetzesverständnis entspreche es, dass nach § 4 Abs. 3, 1. Spiegelstrich ParlBG das vereinfachte Zustimmungsverfahren für Einsätze von geringer Intensität auch anzuwenden sei, wenn Waffen lediglich zur Selbstverteidigung getragen würden. Von besonderer Bedeutung sei schließlich die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG, der bei Gefahr im Verzug eine nachträgliche Zustimmung des Bundestages auch für "Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen" ermögliche. Eine solche militärische Rettungsaktion werde vom Gesetz damit ausdrücklich als zustimmungspflichtig behandelt.

30

bb) Das Bundesverfassungsgericht habe als auslösendes Tatbestandsmerkmal des von ihm entwickelten wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts den "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" bezeichnet und als Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen näher konkretisiert. Dabei komme es nicht darauf an, ob tatsächlich Waffengewalt zur Anwendung gelange, denn dann könne die Parlamentsbeteiligung nur noch ex post sinnvoll ausgestaltet werden, was der verfassungsrechtlichen Bedeutung eines gestaltenden parlamentarischen Einflusses nicht gerecht werde. Der Vorbehalt werde durch die "qualifizierte Erwartung" einer Teilnahme an bewaffneten Auseinandersetzungen ausgelöst. Dafür bedürfe es hinreichender greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte, dass ein Einsatz in die Anwendung von Waffengewalt münden könne, und einer besonderen Nähe zur Anwendung von Waffengewalt (BVerfGE 121, 135 <165 ff.>). Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beziehe sich auf Fallkonstellationen im Rahmen eines auf Grundlage einer integrierten NATO-Planung erfolgten Einsatzes und sei von dem Bedürfnis getragen, den Einfluss des Bundestages auch dann wirksam zu erhalten, wenn die militärische Arbeitsteilung der Bündnisstaaten dazu führe, dass die Bundeswehr nicht unmittelbar militärische Gewalt anwende. Insbesondere aus dem Urteil des Zweiten Senats vom 7. Mai 2008 (BVerfGE 121, 135), welches die Beteiligungsrechte bei einer unmittelbaren, jedoch nicht physischen Einbeziehung in Kampfhandlungen definiere, ergebe sich im Umkehrschluss, dass die vorhersehbar wahrscheinliche unmittelbare körperliche Verwicklung der Bundeswehr in Kampfhandlungen zum tatbestandlichen Kernbereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gehöre. Der Entscheidung könne entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht entnommen werden, dass eine parlamentarische Zustimmung erst erforderlich werde, wenn die Bundesrepublik durch einen Einsatz in eine andauernde größere militärische Auseinandersetzung einbezogen werde. Hierzu sei nochmals auf die maßgeblich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägten, namentlich in der Definition eines im vereinfachten Verfahren zustimmungsbedürftigen Einsatzes nach § 4 Abs. 2 und in Abs. 3, 1. Spiegelstrich ParlBG zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertungen zu verweisen. Die Rechtsprechung und die ihr folgende Gesetzgebung seien von der historischen Erfahrung geprägt, dass auch kleine bewaffnete Auseinandersetzungen zu einem großen militärischen Konflikt führen könnten; deshalb solle der Bundestag frühzeitig die Verantwortung für eine Einsatzentscheidung übernehmen.

31

cc) Aus der Staatspraxis sei auf die mit der Operation "Libelle" im Jahr 1997 erfolgte Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Albanien hinzuweisen. Seinerzeit hätten Bundesregierung und Bundestag die Zustimmung des Parlaments für erforderlich gehalten, obwohl - anders als hier - keine weitergehenden kriegerischen Handlungen im Krisengebiet stattgefunden hätten.

32

b) Bei Anwendung dieser Maßstäbe sei von einer Verletzung der Rechte des Deutschen Bundestages auszugehen.

33

aa) Die Bundeswehr habe am 26. Februar 2011 im Sinne von § 2 Abs. 1 ParlBG mit genuin militärischen Mitteln einen Auftrag ausgeführt, der allein durch die Streitkräfte zu bewältigen gewesen sei, denn sie sei in den Luftraum eines fremden Landes eingedrungen, um Menschen zu evakuieren. Der Einsatz sei innerhalb eines militärischen Krisengebietes und aufgrund der militärischen Krise erfolgt, die die zu Evakuierenden bedroht habe. Er sei mit einer vergleichsweise hohen Gefahr eines konkreten Waffeneinsatzes durch die eingesetzten Soldaten verbunden gewesen, weil völlig offen gewesen sei, wer den Luftraum über Libyen kontrolliert habe. Die Bitte der Antragsgegnerin, den Flug in den libyschen Luftraum zu gestatten, sei unbeantwortet geblieben, der Einsatz daher ohne Einwilligung Libyens durchgeführt worden. Auch die Bundeswehr, die vor diesem Hintergrund das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht zur Rechtfertigung des Einsatzes bemüht habe, habe eine physische Auseinandersetzung ernsthaft für möglich gehalten. Dies zeige die Ausstattung der Transall-Maschinen mit Waffen und Täuschkörpern, die Verwendung einer Eliteeinheit, die Bewaffnung dieser Fallschirmjäger mit Kriegswaffen, konkret mit Maschinengewehren des 11,5 Kilogramm schweren Typs MG3 und mit weiteren Gewehren. Entsprechend habe die bundeswehrinterne Berichterstattung von einem "scharfen Einsatz" gesprochen. Gleiches ergebe sich aus der Anzahl weiterer militärischer Einsatzmittel, insbesondere der über 1000 Soldatinnen und Soldaten, die auf Kreta und im Mittelmeer, dort unter anderem auf zwei Fregatten, bereitgestellt worden seien, um die Evakuierungsaktion im Zweifelsfall zu unterstützen. Diese Einschätzung werde ferner durch den Umstand bestätigt, dass eine am Folgetag von niederländischen Soldaten durchgeführte ähnliche Aktion zu deren Gefangennahme durch libysche Soldaten geführt habe. Bei der Evakuierung aus Nafurah habe es sich nicht um einen humanitären Einsatz gehandelt, weil die Aufgabe nicht durch medizinische oder technische Zivilkräfte hätte übernommen werden können. Es sei gerade auf die Möglichkeit des Einsatzes militärischer Gewalt angekommen. Selbst wenn ein humanitärer Einsatz vorgelegen hätte, wäre er nach § 2 Abs. 2 Satz 3, 2. Alt. ParlBG nachträglich zustimmungspflichtig gewesen, weil die begründete Erwartung eines konkreten Waffeneinsatzes bestanden habe.

34

bb) Der Einsatz löse aus den genannten Gründen auch den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt aus. Die deutschen Soldaten seien in ein aktuelles Bürgerkriegsgebiet verlegt worden, in dem auch nach Planung der Bundeswehr mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer unmittelbaren Verwicklung in bewaffnete Kampfhandlungen mit libyschen Truppen zu rechnen gewesen sei.

III.

35

Die Antragsgegnerin hält den Antrag für zulässig, aber unbegründet. Die Evakuierung aus Nafurah sei kein der parlamentarischen Zustimmung bedürftiger "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Parlamentsbeteiligungsgesetzes gewesen.

36

1. a) Maßgeblich sei die Bestimmung der zustimmungsrelevanten Schwelle möglicher militärischer Konfrontation im Zusammenhang mit Evakuierungsoperationen, zu der sich das Bundesverfassungsgericht bisher nicht habe verhalten müssen. Der Begriff der "Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen" benötige scharfe und verlässliche Konturen und setze ein beachtliches Maß an militärischem Einsatzpotential und Konfliktträchtigkeit voraus, denn der Parlamentsvorbehalt sei "auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten" (BVerfGE 108, 34 <42 f.>). Im modernen Völkerrecht sei an die Stelle des "Krieges" der "bewaffnete Konflikt" getreten, dessen Vorliegen eine direkte Gewaltanwendung zwischen staatlichen Streitkräften, eine anhaltende Gewalttätigkeit zwischen einem Staat und einer nichtstaatlichen Partei oder zwischen nichtstaatlichen Gruppierungen voraussetze. Ein nach Operationszweck und Konfiguration der Einsatzkräfte weitab von dieser Schwelle angesiedelter Einsatz stelle keine zustimmungspflichtige Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen dar.

37

b) Der vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Parlamentsvorbehalt beruhe auf richterlicher Rechtsfortbildung und stelle rechtssystematisch eine Durchbrechung der alleinigen Verantwortlichkeit der Exekutive im auswärtigen Bereich dar. Eine extensive Handhabung verbiete sich daher. Entsprechend knüpfe das Bundesverfassungsgericht den Parlamentsvorbehalt an das Risiko einer "größere[n] und länger währende[n] Auseinandersetzung […] bis hinein in einen umfänglichen Krieg" (BVerfGE 121, 135 <161>), unterhalb dessen die Einsatzentscheidung in die alleinige Kompetenz der Exekutive falle. Dabei sei von Relevanz, ob eine bewaffnete Konfrontation mit Streitkräften anderer Staaten oder allenfalls eine vereinzelte Auseinandersetzung mit Einzelpersonen oder einer Bande drohe und ob die Stellung und das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Staatengemeinschaft oder deren Ordnung berührt werden könnten.

38

c) Unabhängig vom Leitbild des Kriegseintritts fehle es an dem für eine Zustimmungspflicht maßgeblichen "militärischen Gepräge" insbesondere dann, wenn die Operation der Bundeswehr nach der Ausrüstung der Soldaten, dem Einsatzzweck sowie der Befehlslage und begleitenden Maßnahmen darauf ausgerichtet sei, ohne den Einsatz spezifisch militärischer Machtmittel durchgeführt zu werden, und die Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung möglichst vermieden werden solle. Dies sei dann der Fall, wenn sich die bei einem humanitären Einsatz aus einer Gefahrenlage zu befreienden Personen nicht in der Gewalt Dritter befänden und die Operation nicht darauf angelegt sei, vorausgesetzten oder mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarteten Widerstand mit militärischen Mitteln zu überwinden. Die Rechtsprechung verbinde in diesem Sinne das militärische Gepräge auch mit einer offensiven Anwendung von Waffengewalt. Bei humanitären Einsätzen unter Mitführung von Waffen zur Gefahrenvorsorge sei daher eine parlamentarische Zustimmung nicht erforderlich. Dies entspreche der Wertung in § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBG. Eine ausdrückliche, konkludente oder mutmaßliche Zustimmung des von einem Einsatz betroffenen Staates bedeute ebenfalls, dass kein militärisches Gepräge der Operation vorliege.

39

d) Bei dem Evakuierungseinsatz in Albanien im Jahr 1997 seien mehrere Transportflugzeuge, Hubschrauber mit über hundert Soldaten und eine Fregatte mit über zweihundert Soldaten beteiligt gewesen. Die Bundesregierung habe die Sicherheitslage als anarchisch beschrieben, und es sei zu einem Schusswechsel mit nichtstaatlichen Akteuren gekommen. Dennoch gehe eine beachtliche Rechtsansicht davon aus, dass eine Zustimmung des Bundestages für diese Evakuierung nicht erforderlich gewesen sei. Es habe auch keine Kontroversen gegeben, als zur Bekämpfung der Flutkatastrophe in Mosambik im Jahr 2000 über hundert mit Handfeuerwaffen ausgerüstete Soldaten eingesetzt wurden und keine parlamentarische Zustimmung eingeholt worden sei.

40

2. a) Der Parlamentsvorbehalt verlange die "qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen" (BVerfGE 121, 135 <165>) und setze voraus, dass der Waffeneinsatz Teil der operativen Logik sei, nicht bloß Element der Gefahrenvorsorge. Weiter müsse die Einbeziehung "unmittelbar zu erwarten sein" (BVerfGE 121, 135 <166>), was nur der Fall sei, wenn die militärische Gewalt zeitlich nahe bevorstehe oder zumindest wahrscheinlich sei (BVerfGE 121, 135 <166>). Nur so sei die Verknüpfung des Parlamentsvorbehalts mit dem historischen Bild des Kriegseintritts gegeben.

41

b) Ein Höchstmaß an Gefahrenvorsorge auch für unwahrscheinliche Bedrohungslagen - etwa das Vorhalten von Reservekräften - könne die Zustimmungspflicht nicht auslösen. Anderenfalls entspräche der dadurch geschaffene Anreiz für die Exekutive zu gesteigerter Risikobereitschaft weder der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der Regierung für die Streitkräfte noch der Schutzpflicht für die Soldaten und Schutzbefohlenen. Für die notwendige scharfe Konturierung der "qualifizierten Erwartung" müsse die Beurteilung zum Zeitpunkt des Einsatzbefehls entscheidend sein.

42

c) Das Bundesverfassungsgericht habe die qualifizierte Erwartung einer bewaffneten Auseinandersetzung dann angenommen, wenn ein irreversibler, quasi automatisch zu einer militärischen Verstrickung führender Kausalverlauf in Gang gesetzt werde. Mit Blick auf das von der Rechtsprechung ebenfalls thematisierte Eskalationspotential lieferten Umfang und Dauer einer Operation insoweit wesentliche Beurteilungskriterien. Wenn eine Aktion selbst bei unerwartetem Verlauf mit Einsatz von Waffengewalt keine Folgeauseinandersetzungen und auch keine Rückwirkungen auf die außenpolitischen Beziehungen befürchten lasse, werde die Schwelle der Zustimmungsbedürftigkeit nicht überschritten. Dies gelte insbesondere, wenn geplant sei, einen Einsatz in wenigen Stunden mit sehr beschränkten Mitteln durchzuführen, und gewaltsamer Widerstand und die Berührung mit fremden Streitkräften nicht erwartet werde.

43

d) Weiter seien für die maßgebliche ex-ante-Beurteilung vorausgegangene und völlig konfliktfrei verlaufene Operationen ähnlicher Art zu berücksichtigen. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sei dagegen unerheblich, ob es nach Abschluss des Einsatzes bei Evakuierungsoperationen anderer Staaten an anderen Orten zu Verwicklungen gekommen sei.

44

e) Ferner müsse der Exekutive trotz der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit der tatbestandlichen Voraussetzungen des Parlamentsvorbehalts im Falle von Gefahr im Verzug eine Einschätzungsprärogative überlassen werden, denn die zu treffende Prognose werde auch voluntativ durch die Exekutive selbst bestimmt. Die militärische und außenpolitische Einschätzung der Bundesregierung sowie die alternative Einsatzplanung für bestimmte Operationsverläufe seien sowohl Teil der objektiven Lage als auch des Risikopotentials.

45

f) Zwar sei der tatsächliche Waffeneinsatz insoweit nicht maßgeblich, ein tatsächlicher Einsatzverlauf ohne Waffengewalt begründe indes die Vermutung, dass die qualifizierte Erwartung einer bewaffneten Unternehmung nicht bestanden habe. Die Vermutung dürfte sogar unwiderleglich sein, wenn es auch sonst nicht zu risikorelevanten Abweichungen im Ablauf gekommen, der Nichteinsatz von militärischen Machtmitteln also nicht auf glückliche Umstände zurückzuführen sei.

46

3. Die Evakuierung aus Nafurah stelle nach diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben keinen zustimmungsbedürftigen Einsatz bewaffneter Streitkräfte dar, sondern sei geradezu ein Gegenbeispiel zum entsprechenden Leitbild der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

47

a) Der Einsatz habe nach Zweck und Ausgestaltung kein spezifisch "militärisches Gepräge" aufgewiesen. Sein Zweck habe den einige Tage zuvor mit Transportmaschinen der Bundeswehr und einem zivilen Flugzeug durchgeführten Evakuierungen aus Tripolis entsprochen. Die eingesetzten Lufttransportmittel der Bundeswehr seien nicht bewaffnet, sondern lediglich mit einem passiven Schutzsystem im Hinblick auf die latente landesweite Bedrohung durch Flugabwehrsysteme ausgestattet gewesen. Die Sicherungsgruppe habe nur über leichte Waffen zur Selbstverteidigung verfügt, die konkret zur Überwachung des Umfeldes eingesetzten Fallschirmjäger in Nafurah hätten ihre Handwaffen in deeskalierender Position getragen. Die mitgeführten Maschinengewehre seien stets in den beiden Transall verblieben. Alle Sicherheitsvorkehrungen ließen sich ausschließlich als Maßnahme der Gefahrenvorsorge qualifizieren.

48

b) Der dem Einsatz zugrunde liegende Auftrag habe eine nicht-militärische Zielrichtung gehabt und sei im Kern auch mit nicht spezifisch militärischen Mitteln - mit unbewaffneten Flugzeugen - zu bewältigen gewesen. Die militärischen Komponenten hätten sich ausschließlich auf flankierende Maßnahmen mit Vorsorgecharakter beschränkt. Soweit die Antragstellerin den militärischen Charakter auf "das Eindringen in den Luftraum eines fremden Landes" zu stützen versuche, verkenne sie, dass die Bundesregierung bei allen Evakuierungsflügen von einer konkludenten Zustimmung Libyens habe ausgehen dürfen und die deutsche Botschaft in Tripolis am 22. Februar 2011 von einer generellen Start- und Landeerlaubnis für sämtliche Evakuierungsflüge unterrichtet worden sei. Ferner sei der Einsatz den libyschen Behörden durch Verbalnote mitgeteilt worden, und das Auswärtige Amt habe in ständigem Kontakt mit libyschen Regierungsvertretern gestanden. Infolge dieses Einvernehmens mit den zuständigen libyschen Stellen habe es auch keiner völkerrechtlichen Rechtfertigung des Einsatzes bedurft.

49

c) Die Gefahrenanalyse im unmittelbaren Vorfeld der Evakuierung habe eine militärische Konfrontation keinesfalls erwarten lassen. Der lokale Sicherheitsbeauftragte eines deutschen Unternehmens habe verlässliche Informationen aus Nafurah geliefert. Das Lagebild, insbesondere die Nutzung der dortigen Landebahn durch eine private Maschine in den Tagen vor dem Einsatz, die unmittelbar vor dem Start der deutschen Militärmaschinen von den Briten problemlos durchgeführte Luftevakuierung aus dem Camp und die Unterstützung der zu Evakuierenden durch die Gegend kontrollierende Ortskräfte hätten eine konkrete Bedrohung oder bewaffnete Konfrontation als denkbar, aber zugleich als außerordentlich unwahrscheinlich erscheinen lassen. Die flankierenden Sicherheitsvorkehrungen einschließlich des Einsatzes von bewaffneten Soldaten seien den Unwägbarkeiten in der Gesamtsituation Libyens aus der Distanz der operativen Führung sowie der Fürsorgepflicht und grundrechtlichen Schutzverantwortung des deutschen Staates geschuldet gewesen.

50

d) Die Annahme einer drohenden militärischen Konfrontation könne auch nicht mit der Verlegung größerer Truppenteile in den Mittelmeerraum gerechtfertigt werden. Der damit angesprochene Einsatzverband "Pegasus" sei erst am 27. Februar 2011 einsatzbereit gewesen und weder bei der Evakuierung aus Nafurah noch zu einem späteren Zeitpunkt zum Einsatz gekommen.

51

e) Die "Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN", die die Durchsetzung des Auftrags mit militärischer Gewalt erlaubt habe, weise ebenfalls nicht auf eine konkrete Erwartung ex ante hin, in Nafurah in eine bewaffnete Operation einbezogen zu werden. Bei dieser handele es sich um eine Weisung des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, die für alle denkbaren Maßnahmen im Rahmen der Operation "Pegasus" herausgegeben worden sei. Nachdem bei der kurzfristig vorab notwendig gewordenen Rückführung aus Nafurah ein bewaffneter Streitkräfteeinsatz nicht zu erwarten gewesen sei, sei eine etwaige Änderung oder Anpassung der bereits vorliegenden Weisung gegenüber den bei der Evakuierung eingesetzten Soldaten schon aus Zeitgründen nicht mehr kommunizierbar gewesen. Rechtlich sei dies auch nicht erforderlich gewesen, weil die in der Weisung beschriebenen abstrakten Befugnisse immer in Abhängigkeit von der konkreten Lage anzuwenden seien. Die Weisung enthalte keine spezifischen operativen Vorgaben, dass militärische Gewalt anzuwenden sei. Überdies seien für die Frage der parlamentarischen Zustimmung allein der Kenntnis- und Erwartungsstand der Bundesregierung und deren darauf beruhende Bewertung maßgeblich.

IV.

52

Der Bundespräsident, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat wurden von dem Verfahren in Kenntnis gesetzt (§ 65 Abs. 2 BVerfGG).

V.

53

In der mündlichen Verhandlung am 28. Januar 2015 haben die Beteiligten ihr schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt. Zur Vorbereitung der Operation "Pegasus" und den Einzelheiten der Evakuierung aus Nafurah wurden der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, und der seinerzeitige Krisenbeauftragte des Auswärtigen Amtes, Botschafter Michael Klor-Berchtold, gehört.

VI.

54

Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 3. März 2015 die dem Senat auf Anforderung bereits zuvor vorgelegten Weisungen, Befehle und sonstigen Dokumente zur Operation "Pegasus" und der Evakuierung aus Nafurah durch Vorlage weiterer Weisungen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr ergänzt. Diese wurden nach Eingang beim Bundesverfassungsgericht dem Bevollmächtigten der Antragstellerin zur Kenntnisnahme gegeben.

B.

55

Der Antrag ist zulässig.

I.

56

Die Antragstellerin ist als Fraktion des Deutschen Bundestages im Organstreitverfahren gemäß § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG parteifähig und berechtigt, im eigenen Namen Rechte geltend zu machen, die dem Deutschen Bundestag gegenüber der Bundesregierung zustehen (vgl. BVerfGE 1, 351 <359>; 2, 143 <165>; 104, 151 <193>; 118, 244 <254 f.>; 121, 135 <150>; 131, 152 <190>; stRspr). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG mögliche Antragsgegnerin. Die gerügte Unterlassung der Antragsgegnerin, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr die nachträgliche Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen, ist nach § 64 Abs. 1 BVerfGG tauglicher Gegenstand eines Organstreitverfahrens (vgl. BVerfGE 121, 135 <150>).

II.

57

Die Antragstellerin ist antragsbefugt.

58

1. Die Antragstellerin hat in substantiierter Weise die Möglichkeit vorgetragen, dass der Deutsche Bundestag in seinen Rechten verletzt wurde, weil die Antragsgegnerin es ablehnte, für die Evakuierung deutscher und anderer Staatsbürger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich seine Zustimmung einzuholen (§ 64 Abs. 1 BVerfGG). In seinem Urteil vom 12. Juli 1994 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass "Einsätze bewaffneter Streitkräfte" im Ausland von Verfassungs wegen der grundsätzlich vorherigen konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages unterliegen und der Bundestag umgehend nachträglich mit einem bewaffneten Außeneinsatz zu befassen ist, wenn ihn die Bundesregierung bei Gefahr im Verzug ausnahmsweise allein beschlossen hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <383 ff.>). Den verfassungsrechtlichen Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" und damit die Reichweite der parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit hat der Senat in einem weiteren Urteil vom 7. Mai 2008 konkretisiert (vgl. BVerfGE 121, 135 <163 ff.>). Beide Entscheidungen befassen sich mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Rahmen von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Es ist bislang nicht ausdrücklich geklärt, ob und inwieweit die bisherige Rechtsprechung auf von der Exekutive angeordnete, vor einer möglichen Parlamentsbefassung bereits abgeschlossene unilaterale Evakuierungseinsätze der Bundeswehr anzuwenden ist. Deshalb ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass es aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts einer nachträglichen Befassung des Deutschen Bundestages mit dem Einsatz deutscher Soldaten in Libyen bedurfte.

59

2. Der Deutsche Bundestag hat mit der Ablehnung des von der Fraktion DIE LINKE initiierten Antrags zur nachträglichen Mandatierung des Evakuierungseinsatzes in Libyen am 24. März 2011 nicht auf die Ausübung seiner Rechte verzichtet. Es ist gerade Sinn und Zweck der in § 64 BVerfGG geregelten Prozessstandschaft, der Parlamentsminderheit die Befugnis zur Geltendmachung der Rechte des Bundestages auch dann zu erhalten, wenn die Mehrheit seiner Mitglieder sie, insbesondere im Verhältnis zu der von ihr getragenen Bundesregierung, nicht wahrnehmen will. Dies ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60, 319 <325 f.>; 68, 1 <77 f.>; 121, 135 <151>).

III.

60

Für die Antragstellerin besteht ein Rechtsschutzbedürfnis.

61

1. Zwischen den Beteiligten sind Umfang und Grenzen des sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergebenden wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts (vgl. BVerfGE 90, 286 <390>; 108, 34 <42>; 121, 135 <152>) umstritten. Es herrscht Unklarheit darüber, unter welchen Voraussetzungen das Recht auf Beteiligung und die Pflicht zur Beteiligung des Deutschen Bundestages ausgelöst werden.

62

2. Für das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin ist es ohne Bedeutung, ob die Antragsgegnerin dem von ihr verlangten Handeln über eine längere Zeit hinweg nicht nachgekommen ist (fortdauerndes Unterlassen) oder ob die behauptete Verpflichtung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erfüllen war. Denn das Rechtsschutzbedürfnis im Organstreit entfällt grundsätzlich nicht deshalb, weil eine beanstandete Rechtsverletzung abgeschlossen ist (BVerfGE 1, 372 <379>; 41, 291 <303>; 121, 135 <152>; 131, 152 <193>). Ob besondere Umstände im Sinne eines "Fortsetzungsfeststellungsinteresses" erforderlich sind, damit über eine in der Vergangenheit liegende und abgeschlossene Rechtsverletzung entschieden werden kann, bedarf keiner Entscheidung; solche Umstände sind hier in Form eines objektiven Interesses an der weiteren Klärung der Reichweite des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts und in Form einer Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 131, 152 <193 f.>) gegeben. Die Antragsgegnerin hat ihre von der Antragstellerin gerügte Rechtsauffassung bereits vorprozessual vertreten und im Verfahren wiederholt, so dass ein gleichgerichtetes Vorgehen in zukünftigen vergleichbaren Situationen erwartet werden kann.

63

3. Die Antragstellerin hat, indem sie im Deutschen Bundestag am 24. März 2011 den Antrag der Fraktion DIE LINKE unterstützte, der auf die nachträgliche Einholung der Zustimmung des Bundestages für den Evakuierungseinsatz in Libyen gerichtet war, über die sie im Organstreit treffenden Obliegenheiten hinaus (vgl. BVerfGE 90, 286 <338 f.>; 104, 151 <198>; 129, 356 <374 f.>) Schritte unternommen, den Bundestag dazu zu veranlassen, seine Rechte geltend zu machen (vgl. BVerfGE 121, 135 <153>).

IV.

64

Die Antragsfrist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG ist gewahrt. Da der Evakuierungseinsatz in Nafurah am 26. Februar 2011 stattfand und die unterlassene Maßnahme in Form einer Beteiligung des Deutschen Bundestages gegebenenfalls nachträglich hätte erfolgen müssen, war die sechsmonatige Frist am 11. August 2011, als der Antrag beim Bundesverfassungsgericht einging, noch nicht abgelaufen.

C.

65

Der Antrag ist unbegründet. Die Antragsgegnerin hat das wehrverfassungsrechtliche Beteiligungsrecht des Deutschen Bundestages in Form des konstitutiven Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht dadurch verletzt, dass sie es unterließ, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich die Zustimmung des Bundestages einzuholen.

I.

66

Der konstitutive wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist nicht auf Einsätze bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit beschränkt, sondern gilt darüber hinaus allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher Soldaten im Ausland (1.). Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt nicht erst dann vor, wenn eine Unternehmung im Ausland unter Einbeziehung deutscher Soldaten einen kriegerischen oder kriegsähnlichen Charakter aufweist (2.). Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. Sie muss das Parlament in einem solchen Fall umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen (3.). Die Fragen, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen vorlag und ob Gefahr im Verzug gegeben war, sind verfassungsgerichtlich voll überprüfbar (4.). Ist ein von der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz bewaffneter Streitkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt nachträglicher Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen und eine parlamentarische Einflussnahme auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte deshalb nicht mehr möglich, muss die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unverzüglich und qualifiziert über die Grundlagen ihrer Einsatzentscheidung und den Verlauf des Einsatzes unterrichten (5.).

67

1. Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Gesamtzusammenhang wehrverfassungsrechtlicher Vorschriften und vor dem Hintergrund der deutschen Verfassungstradition seit 1918 dem Grundgesetz ein allgemeines Prinzip entnommen, nach dem jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven, grundsätzlich vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 ff.>; 100, 266 <269>; 104, 151 <208>; 108, 34 <43>; 121, 135 <154>; 126, 55 <69 f.>; stRspr). Die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen des Grundgesetzes sind darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern sie als "Parlamentsheer" in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 f.>; 108, 34 <44>; 121, 135 <154>; 123, 267 <422>; 126, 55 <70>). Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt gilt allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte (a)) und ist parlamentsfreundlich auszulegen (vgl. BVerfGE 121, 135 <162>; b)).

68

a) Der unmittelbar kraft Verfassung geltende wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt (BVerfGE 90, 286 <390>; 121, 135 <156>) begründet ein wirksames Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der auswärtigen Gewalt. Die parlamentarische Zustimmung ist grundsätzlich vor Beginn eines Einsatzes einzuholen. Der Bundestag kann nicht ohne die Bundesregierung einen Streitkräfteeinsatz verfügen, weil der Parlamentsvorbehalt ein Zustimmungsvorbehalt ist, der keine Initiativbefugnis verleiht (vgl. BVerfGE 90, 286 <388 f.>; 121, 135 <154>).

69

Das Erfordernis parlamentarischer Mitwirkung gilt sowohl für bewaffnete Außeneinsätze deutscher Soldaten innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG, wie sie Gegenstand bisheriger Entscheidungen des Senats waren (vgl. BVerfGE 90, 286 <351 ff.>; 121, 135 <156 f.>), als auch allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte (vgl. BVerfGE 90, 286 <381>; 121, 135 <153>), unabhängig von dessen materiell-rechtlicher Grundlage (vgl. § 2 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG). Auch jeder unilaterale Auslandseinsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bedarf somit der grundsätzlich vorherigen parlamentarischen Zustimmung. Die Bundeswehr wäre kein Parlamentsheer, wenn aus dem Anwendungsbereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gerade die allein national verantworteten Streitkräfteeinsätze im Ausland ausgeklammert wären, denen kein Prozess konsensualer Willensbildung innerhalb eines Bündnissystems vorausgeht, in welches sich Deutschland bereits mit Zustimmung des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 90, 286 <351>; 104, 151 <194>; 118, 244 <258>) eingeordnet hat. Das gilt unabhängig von der in diesem Organstreit nicht zu klärenden Frage nach der Ermächtigungsgrundlage solcher Einsätze.

70

b) Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist angesichts seiner Funktion und Bedeutung parlamentsfreundlich auszulegen. Insbesondere kann das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts nicht unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der Exekutive maßgeblich von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht werden (vgl. BVerfGE 121, 135 <162 f.>). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Streitkräfteeinsatz innerhalb eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolgt oder national verantwortet wird. Denn der Entscheidungsverbund von Parlament und Regierung stellt hier wie dort keine Durchbrechung der alleinigen Verantwortlichkeit der Exekutive im auswärtigen Bereich dar; er ist vielmehr ein prägender Teil der grundgesetzlichen Gewaltenteilung. Soweit dem Grundgesetz eine Zuständigkeit des Deutschen Bundestages in Form eines wehrverfassungsrechtlichen Mitentscheidungsrechts entnommen werden kann, besteht kein eigenverantwortlicher Entscheidungsraum der Bundesregierung (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>).In diesem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, ob das Parlament sein Mitentscheidungsrecht - wie grundsätzlich geboten - vor dem Einsatz wahrnimmt oder ausnahmsweise erst nach dessen Beginn, weil die Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug die Einsatzentscheidung einstweilen allein getroffen hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>). Die Eilkompetenz verschafft der Bundesregierung nur das Recht zur Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, nicht aber die von der Antragsgegnerin angenommenen Auslegungsspielräume hinsichtlich der Frage, ob ein solcher Einsatz gegeben ist und damit ein Mitwirkungsrecht des Bundestages besteht (vgl. BVerfGE 121, 135 <168 f.>). Anderenfalls drohte aus der Ausnahmebefugnis (vgl. BVerfGE 121, 135 <154>) der Exekutive zur vorläufigen Alleinentscheidung in Gefahrensituationen systemwidrig eine regelhafte Befugnis zur endgültigen Alleinentscheidung zu werden.

71

2. Gegenstand der Parlamentsbeteiligung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" (BVerfGE 90, 286 <387 f.>; 121, 135 <154>). Es handelt sich dabei um einen verfassungsrechtlichen Begriff, dessen Konkretisierung von der völkerrechtlichen (vgl. BVerfGE 90, 286 <387>) oder verfassungsrechtlichen Grundlage des konkreten Einsatzes nicht unmittelbar abhängt und der auch nicht von einem im Rang unter der Verfassung stehenden Gesetz (vgl. § 2 ParlBG) verbindlich konkretisiert werden kann, wenn auch die gesetzliche Ausgestaltung des Instituts im Einzelfall Hinweise für seine verfassungsunmittelbare Reichweite zu geben vermag (vgl. BVerfGE 121, 135 <156>; a)). Mit dem Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" ist eine einheitliche rechtliche Schwelle parlamentarischer Zustimmungsbedürftigkeit definiert. Für eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle im Einzelfall ist insoweit kein Raum (b)).

72

a) Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte in diesem Sinne liegt vor, wenn deutsche Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>). Dafür kommt es nicht darauf an, ob bewaffnete Auseinandersetzungen sich bereits im Sinne eines Kampfgeschehens verwirklicht haben, sondern ob die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen qualifiziert zu erwarten ist (vgl. BVerfGE 121, 135 <164 f.>; aa)). Das Führen von Waffen im Ausland und die Ermächtigung zu ihrem Gebrauch können Anhaltspunkte für eine drohende Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen sein (bb)).

73

aa) Die qualifizierte Erwartung der Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen unterscheidet sich in zweifacher Hinsicht von der bloßen Möglichkeit, dass es zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen könnte:

74

(1) Zum einen bedarf es hinreichender greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass ein Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden kann. Hierfür muss aus den Umständen des Falles und der politischen Gesamtlage heraus eine konkrete militärische Gefahrenlage bestehen, die eine hinreichende sachliche Nähe zur Anwendung von Waffengewalt und damit zur Verwicklung deutscher Streitkräfte in eine bewaffnete Auseinandersetzung aufweist (BVerfGE 121, 135 <165>).

75

(2) Zum anderen ist eine besondere Nähe der Anwendung von Waffengewalt erforderlich; die Einbeziehung von Bundeswehrsoldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen muss unmittelbar zu erwarten sein. Steht die Anwendung von Waffengewalt zeitlich nahe bevor, begründet dies bereits für sich genommen die qualifizierte Erwartung der Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen; sie wird jedoch regelmäßig mit der Verdichtung tatsächlicher Umstände einhergehen, die auf kommende militärische Auseinandersetzungen hindeuten. Aber auch eine Betrachtung der Einsatzplanung und der Einsatzbefugnisse kann ergeben, dass eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich ist und praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf abhängt (vgl. BVerfGE 121, 135 <166>).

76

bb) Anhaltspunkte für die drohende Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen bestehen, wenn sie im Ausland Waffen mit sich führen und ermächtigt sind, von ihnen Gebrauch zu machen. Denn es kann dadurch je nach dem Verlauf des tatsächlichen Geschehens dazu kommen, dass die Bewaffnung in die Anwendung von Waffengewalt mündet. Solange es sich allerdings rechtlich nur um eine Ermächtigung zur Selbstverteidigung handelt und der Einsatz selbst einen nicht-militärischen Charakter hat, ist die Schwelle zur Zustimmungsbedürftigkeit nicht schon durch diese Ermächtigung erreicht (vgl. BVerfGE 121, 135 <167 f.>).

77

b) Der Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" als Ausdruck qualifizierter Erwartung einer Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen legt für alle Einsätze der Bundeswehr im Ausland, seien sie konsensual in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit oder national verantwortet, eine einheitliche Schwelle parlamentarischer Zustimmungsbedürftigkeit fest. Eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle ist im konkreten Einzelfall nicht zu überwinden (aa)). Auch Einsätze, die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind, können dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallen (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; 121, 135 <166>; bb)).

78

aa) Grundsätzlich unterliegt jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt ist in der Begründung zwar auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten (vgl. BVerfGE 108, 34 <42 f.> unter Verweis auf BVerfGE 90, 286 <383>), in seiner Funktion aber nicht auf eine parlamentarische Mitentscheidung bei kriegerischen oder kriegsähnlich ausgerichteten Außeneinsätzen beschränkt. Ein rechtlich erheblicher Einfluss des Bundestages auf die Verwendung der Streitkräfte muss nach den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen zur Organkompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt auch unterhalb dieser Schwelle gewährleistet sein, die sich überdies einer präzisen Bestimmung entzieht.

79

Unter den heutigen politischen Bedingungen, in denen Kriege in der Regel nicht mehr förmlich erklärt werden, steht eine sukzessive Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen dem offiziellen Kriegseintritt gleich (vgl. BVerfGE 108, 34 <43>). Jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte kann von der begrenzten Einzelaktion in eine größere und länger währende militärische Auseinandersetzung münden, bis hinein in einen umfänglichen Krieg (BVerfGE 121, 135 <161>). Gerade in politisch und militärisch instabilen Regionen bedarf es zudem häufig nur eines geringen Anlasses, um eine eskalierende Konfliktdynamik in Gang zu setzen. All dies trifft gleichermaßen auf national verantwortete bewaffnete Außeneinsätze der Bundeswehr zu, wie auf Einsätze innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit, anhand derer das Bundesverfassungsgericht die Tatbestandsvoraussetzungen eines "Einsatzes bewaffneter Streitkräfte" definiert hat (vgl. BVerfGE 121, 135 <161 ff.>).

80

Die verfassungsrechtlich gebotene Wahrnehmung konstitutiver parlamentarischer Verantwortung für jedweden bewaffneten Auslandseinsatz der Bundeswehr beginnt daher entgegen der von der Antragsgegnerin vertretenen Auffassung nicht erst dann, wenn ein von der Bundesregierung geplanter Einsatz von vornherein dem Leitbild eines Kriegseintritts entspricht. Ein Streitkräfteeinsatz muss - jenseits der qualifizierten Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen - im Einzelfall daher keine bestimmte militärische Erheblichkeitsschwelle überschreiten oder einen auf offensive Gewaltanwendung angelegten Charakter aufweisen, um den Parlamentsvorbehalt auszulösen; humanitäre Zielsetzungen als solche suspendieren das Erfordernis parlamentarischer Zustimmung nicht.

81

bb) Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 festgestellt, dass bei Einsätzen bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von Resolutionen des Sicherheitsrates die vorherige Zustimmung des Bundestages unabhängig davon erforderlich ist, ob den Streitkräften Zwangsbefugnisse nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen (BGBl 1973 II S. 430) eingeräumt sind, weil die Grenzen zwischen den traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden sind und der Begriff der Selbstverteidigung, die schlichten Friedenstruppen erlaubt ist, bereits in einem aktiven Sinne dahin definiert wird, dass sie auch den Widerstand gegen gewaltsame Versuche einschließt, die Truppen an der Durchführung ihres Auftrags zu hindern (vgl. BVerfGE 90, 286 <387 f.>). Auch die Verwendung von Personal der Bundeswehr für bloße Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland kann der parlamentarischen Zustimmung bedürfen, sofern die Soldaten dabei in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <155>). Generell können auch Einsätze, die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind, dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallen (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; 121, 135 <166>).

82

Bei dem konstitutiven Parlamentsvorbehalt geht es um die grundgesetzlich vorgegebene Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung bei der Entscheidung über die Verwendung der Streitkräfte als Machtpotential, die dem Deutschen Bundestag unabhängig von der Bedeutung des Einsatzes einen insoweit rechtserheblichen Einfluss sichern soll (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 f.>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>). Dem einheitlich zu definierenden verfassungsrechtlichen Begriff eines zustimmungsbedürftigen "Einsatzes bewaffneter Streitkräfte" können deshalb qualitativ unterschiedliche Arten der Verwendung der Bundeswehr unterfallen. Es ist Sache des Gesetzgebers, Form und Ausmaß parlamentarischer Mitwirkung je nach Anlass und Rahmenbedingungen des Einsatzes näher auszugestalten (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; vgl. auch § 4 ParlBG).

83

3. Ohne vorherige parlamentarische Zustimmung ist ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte unter dem Grundgesetz grundsätzlich nicht zulässig. Die im Entscheidungsverbund mit der Bundesregierung dem Einsatz vorausgehende Beteiligung des Deutschen Bundestages schont die Kompetenzen beider Verfassungsorgane (a)). Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, vorläufig allein den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu beschließen, etwa damit die Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik durch den Parlamentsvorbehalt nicht in Frage gestellt wird (b)). Sie muss jedoch in einem solchen Fall den Deutschen Bundestag umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen (c)).

84

a) Besteht die aus den konkreten Umständen hinreichend belegbare Erwartung einer unmittelbaren Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen, ist die vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages schon deshalb erforderlich, weil nur so vermieden werden kann, dass das Parlament in eine Art Ratifikationslage gerät, die eine eigenverantwortliche Entscheidung erschwert. Die vorherige Beteiligung ist gegenüber einem späteren parlamentarischen Rückruf deutscher Soldaten (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>) auch zugleich die für die außenpolitische Handlungs- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland schonendere Alternative (vgl. BVerfGE 90, 286 <363 f., 388>; 108, 34 <44 f.>; 121, 135 <167>).

85

Bundesregierung und Bundestag trifft daher eine Verpflichtung, sicherzustellen, dass die Zustimmung des Parlaments in der Regel zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die materielle Entscheidung über eine Anwendung von Waffengewalt noch nicht getroffen ist und auch nicht vor dem Abschluss des Zustimmungsverfahrens getroffen wird (vgl. BVerfGE 121, 135 <167>).

86

b) Nur ausnahmsweise ist die Bundesregierung - bei Gefahr im Verzug - berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. Der Beschluss der Bundesregierung bedarf keiner Genehmigung durch den Deutschen Bundestag, sondern der Bundestag muss dem Einsatz umgehend zustimmen, damit dieser fortgesetzt werden darf (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>).

87

Im Fall von Gefahr im Verzug ist der Bundesregierung eine auf den Einzelfall bezogene Eilzuständigkeit zur Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte eröffnet. Obwohl die Wahrnehmung der exekutiven Eilkompetenz stets eine Beeinträchtigung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts darstellt, bedarf diese Anordnung keiner rückwirkenden rechtsgestaltenden Legitimierung durch den Bundestag. Die gebotene unverzügliche parlamentarische Befassung nach Beginn des Einsatzes (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) hat nicht die Wirkung einer Genehmigung mit der Folge, dass im Falle einer Versagung der parlamentarischen Zustimmung der Einsatz von Anfang an rechtswidrig wäre (vgl. Baldus, Schriftliche Stellungnahme [S. 37 f.], Sten. Prot. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 17. Juni 2004, S. 77 f.). Die Eilentscheidung der Bundesregierung entfaltet vielmehr die gleiche Rechtswirkung wie die unter regulären Umständen im Verbund mit dem Bundestag getroffene Einsatzentscheidung. Für eine konstitutive parlamentarische Zustimmung ist bei einem von der Exekutive im Eilfall beschlossenen und bereits begonnenen Einsatz daher nur ex nunc Raum. Durch die Verweigerung der Zustimmung wird die Bundesregierung verpflichtet, den Einsatz zu beenden und die Streitkräfte zurückzurufen. Die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland werden auf diese Weise gesichert, und zugleich wird dem Interesse der eingesetzten deutschen Soldaten Rechnung getragen, nur aufgrund einer rechtlich verlässlichen und nicht etwa schwebend unwirksamen Anordnung in einen bewaffneten Auslandseinsatz entsandt zu werden.

88

c) Durch die als Ausnahmebefugnis im Notfall konzipierte Eilkompetenz der Bundesregierung für die Einsatzentscheidung (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) werden das wehrverfassungsrechtliche Recht und die Pflicht zur parlamentarischen Verantwortungsübernahme nicht aufgegeben. Wie sich in der Verpflichtung der Bundesregierung zur umgehenden nachträglichen Befassung des Bundestages mit dem Einsatz (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) zeigt, soll die exekutive Eilkompetenz lediglich in einer kurzfristigen Ausnahmesituation die militärpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland sichern. Das Recht der Exekutive zur vorläufigen Alleinentscheidung bei Gefahr im Verzug steht daher nicht gleichrangig neben dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt. Als Durchbrechung des originären parlamentarischen Mitentscheidungsrechts ist es vielmehr eine diesem gegenüber subsidiäre Kompetenz der stets handlungsfähigen Bundesregierung, deren Sinn es nicht etwa ist, der Exekutive insoweit eigene verteidigungspolitische Gestaltungsspielräume zu eröffnen. Der nachträglichen Parlamentsbefassung muss deshalb eine vor dem Streitkräfteeinsatz beginnende und diesen begleitende Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung vorausgehen (vgl. § 5 Abs. 2 ParlBG).

89

4. Die Konzeption der Eilkompetenz hat zur Folge, dass die Bundesregierung selbst über die Voraussetzungen ihrer (vorläufigen) Alleinzuständigkeit zu entscheiden hat. Im Streitfall unterliegen jedoch nicht nur die Feststellung einer Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen der vollen verfassungsgerichtlichen Kontrolle (a)), sondern auch die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals "Gefahr im Verzug" (b)).

90

a) Die - der Frage nach der Eilkompetenz vorausgehende - Frage, ob bei einem Auslandseinsatz eine Einbeziehung deutscher Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Unternehmungen besteht, ist gerichtlich voll überprüfbar. Ein vom Bundesverfassungsgericht nicht oder nur eingeschränkt nachprüfbarer Einschätzungs- oder Prognosespielraum ist der Bundesregierung nicht eröffnet (vgl. BVerfGE 121, 135 <168 f.>).

91

b) Bei der Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals "Gefahr im Verzug" kommt der Bundesregierung ein solcher Einschätzungs- oder Prognosespielraum ebenfalls nicht zu. Allerdings verbleibt ihr ein Einschätzungsspielraum im Eilfall (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>) hinsichtlich der politischen und militärischen Zweckmäßigkeit des bewaffneten Streitkräfteeinsatzes.

92

aa) Das Tatbestandsmerkmal "Gefahr im Verzug" legt die Voraussetzungen einer Eilzuständigkeit der Bundesregierung für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte fest. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum. Die prognostischen Elemente des Gefahrbegriffs geben insoweit für eine andere Sichtweise nichts her. Sie sind nichts weiter als Elemente der Unbestimmtheit von Rechtsbegriffen und rechtfertigen - wie auch in anderen der Gefahrenabwehr dienenden Befugnisnormen - nicht schon von sich aus eine Kontrollbeschränkung der Gerichte (vgl. in Bezug auf Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 103, 142<157> m.w.N.).

93

Der Gesetzgeber kann zwar innerhalb der von der Verfassung gezogenen Grenzen Durchbrechungen des Grundsatzes vollständiger gerichtlicher Nachprüfung von Entscheidungen der Exekutive vorsehen (vgl. BVerfGE 129, 1 <21 ff.>). Der unmittelbar im Grundgesetz verankerte wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt räumt ihm jedoch einen derartigen Gestaltungsfreiraum bei der Regelung der Eilkompetenz der Bundesregierung nicht ein. Der Parlamentsvorbehalt garantiert dem Deutschen Bundestag grundsätzlich ein wirksames Mitentscheidungsrecht über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte, bevor das militärische Unternehmen beginnt und dann maßgeblich zu einer Frage militärischer Zweckmäßigkeit wird (vgl. BVerfGE 121, 135 <161>). Jeder einer richterlichen Kontrolle entzogene exekutive Spielraum bei der Feststellung von Gefahr im Verzug würde demgegenüber die Möglichkeiten einer Inanspruchnahme der Eilkompetenz erweitern und damit den konstitutiven parlamentarischen Zustimmungsvorbehalt über das unerlässliche Maß hinaus schwächen (vgl. BVerfGE 103, 142 <158>). Innerhalb eines wesentlichen Einsatzspektrums hätte allein und abschließend die Bundesregierung darüber zu befinden, ob der Deutsche Bundestag einem Streitkräfteeinsatz in rechtserheblicher Weise vor dessen Beginn zustimmen muss oder erst danach, wenn bereits geschaffene oder doch vorentschiedene Fakten den Entscheidungsraum zu einem Parlamentsnachvollzug verengen. Die durch den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt vorgegebene Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt lässt eine derartige Ermächtigung der Exekutive zur materiellen Entwertung der parlamentarischen Mitentscheidungskompetenz nicht zu (vgl. BVerfGE 121, 135 <167>). Die Rechte, die das Grundgesetz den einzelnen Verfassungsorganen verleiht, stehen weder zu ihrer eigenen Disposition noch zur Disposition des Gesetzgebers (vgl. E. Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, § 28 Rn. 990). Dieser ist hier vielmehr darauf beschränkt, die Voraussetzungen eines Gefahr im Verzug begründenden Notfalls und das dabei zu beobachtende Verfahren näher zu regeln (vgl. BVerfGE 90, 286 <388 ff.>). Dem entsprechen Wortlaut und Begründung von § 5 ParlBG (BTDrucks 15/2742, S. 5 f.), der die Eilkompetenz der Bundesregierung und das Verfahren nachträglicher parlamentarischer Mitwirkung bei Gefahr im Verzug regelt.

94

bb) Eine verfassungsgerichtliche Kontrolle des Merkmals "Gefahr im Verzug" stößt hier auch nicht an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 84, 34 <50>; 129, 1 <23>). Derartige Funktionsgrenzen sind namentlich für das politische Ermessen im Bereich der auswärtigen Gewalt (vgl. BVerfGE 40, 141 <178>; 55, 349 <364 f.>) sowie in verteidigungspolitischen Fragen (vgl. BVerfGE 68, 1 <97>) anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. August 2013 - 2 BvR 2660/06, 2 BvR 487/07 -, EuGRZ 2013, S. 563 <568>). Die tatsächliche und rechtliche Wertung der Bundesregierung bei der Annahme von Gefahr im Verzug ist jedoch keine politische Entscheidung, sondern eine anhand objektiver Kriterien überprüfbare Subsumtion eines Sachverhalts unter die tatbestandliche Voraussetzung einer Eilkompetenz (vgl. BVerfGE 45, 1 <39>), die der Bundesregierung erst den Raum für eine einstweilen alleinige (politische) Entscheidung über den bewaffneten Außeneinsatz der Bundeswehr erschließt. Für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung kommt es dabei auf die Sachlage an, wie sie sich der Bundesregierung zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung darstellt.

95

5. Ist ein von der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz bewaffneter Streitkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer nachträglichen Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen, kann der Deutsche Bundestag einen konstitutiven, rechtserheblichen Einfluss auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte (vgl. BVerfGE 89, 38 <46 f.>; 90, 286 <382>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>) nicht mehr ausüben (a)). In diesem Fall muss die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unverzüglich und qualifiziert über den Einsatz unterrichten (b)).

96

a) Der Senat hatte in seinen bisherigen Entscheidungen zum wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt die Frage, ob ein von der Bundesregierung zu Recht wegen Gefahr im Verzug angeordneter und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer Parlamentsbefassung bereits abgeschlossener Einsatz einer nachträglichen Beteiligung des Deutschen Bundestages bedarf, nicht zu beantworten. Die Bundesregierung muss zwar in jedem Fall das Parlament umgehend mit einem von ihr wegen Gefahr im Verzug beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte zurückrufen, wenn es der Bundestag verlangt (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>). Ob indes eine nachträgliche Parlamentsbefassung auch erforderlich ist, wenn die Möglichkeit zur parlamentarischen Rückholung der Streitkräfte nicht mehr besteht, war bisher nicht Gegenstand verfassungsgerichtlicher Verfahren.

97

aa) Die Auffassung des Gesetzgebers zu dieser Frage lässt sich aus dem Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht eindeutig entnehmen. In § 5 ParlBG ist bestimmt, dass nach exekutiver Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte wegen Gefahr im Verzug der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachzuholen und der Einsatz zu beenden ist, wenn der Bundestag den Antrag ablehnt (Abs. 3). Die Gesetzesbegründung spricht insoweit von einer "zwingende[n] Nachholung der Beteiligung des Parlaments" (vgl. BTDrucks 15/2742, S. 6), ohne darauf einzugehen, ob dies auch gelten soll, wenn der Einsatz zum Zeitpunkt unverzüglicher Parlamentsbefassung bereits beendet ist.

98

bb) Das wehrverfassungsrechtliche Schrifttum misst zwar überwiegend einem nachträglichen Parlamentsbeschluss bei abgeschlossenen Streitkräfteeinsätzen keine rechtserhebliche Wirkung bei, hält aber eine Befassung des Deutschen Bundestages aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gleichwohl für geboten (vgl. Dau, NZWehrr 1998, S. 89 <99>; Hans H. Klein, in: Festschrift für Walter Schmitt Glaeser, 2003, S. 245 <263>; Lutze, DÖV 2003, S. 972 <978>; Baldus, a.a.O., S. 78, Fn. 115; F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis, 2005, S. 280 f.; Sigloch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, 2006, S. 308; Tobias M. Wagner, Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2010, S. 149 f.; Payandeh, DVBl 2011, S. 1325 <1329 f.>).

99

cc) Die kompetenzielle Funktion des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, aufgrund derer dem Deutschen Bundestag eine grundlegende, konstitutive Mitentscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorbehalten und damit ein rechtserheblicher Einfluss auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte garantiert ist (vgl. BVerfGE 89, 38 <46 f.>; 90, 286 <382>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>), kann bei einem abgeschlossenen Einsatz jedoch nicht mehr zum Tragen kommen. Ist ein Einsatz beendet, ist für eine konstitutive Zustimmung des Bundestages, für eine Mitverantwortung und -entscheidung kein Raum mehr. Hat die Bundesregierung einen zeitlich eng begrenzten und vor einer möglichen Parlamentsbefassung abgeschlossenen Einsatz angeordnet, bedarf diese Entscheidung trotz der Subsidiarität der exekutiven Eilkompetenz zu ihrer Wirksamkeit oder Rechtmäßigkeit keiner nachträglichen Genehmigung durch den Bundestag (vgl. Rn. 87). Das Parlament kann bei einem abgeschlossenen Einsatz zudem weder die Fortdauer des Streitkräfteeinsatzes noch dessen Beendigung und die Rückholung der eingesetzten Soldaten beschließen. Der Bundestag ist auch nicht dazu berufen, über die Rechtmäßigkeit des exekutiven Handelns verbindlich zu urteilen; dies ist - auf Antrag - dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass einem nachträglichen parlamentarischen Beschluss keine Rechtserheblichkeit mehr zukommen kann (a.A. Wiefelspütz, Der Auslandseinsatz der Bundeswehr und das Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2. Aufl. 2012, S. 498).

100

Demgemäß verpflichtet der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt die Bundesregierung in einem derartigen Fall nicht, eine Entscheidung des Bundestages über den beendeten Einsatz herbeizuführen (vgl. Kreß, in ZaöRV 57 [1997], S. 329 <355>; Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, 2005, S. 287 ff.; Scherrer, Das Parlament und sein Heer, 2010, S. 288 ff.). Die Entscheidungskompetenz der Bundesregierung modifiziert insoweit das der Wehrverfassung zugrunde liegende Prinzip der konstitutiven parlamentarischen Mitentscheidung. Der konstitutive parlamentarische Zustimmungsvorbehalt ist als prägender Teil der grundgesetzlichen Gewaltenteilung (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>) durch seine kompetenzbegründende Funktion determiniert und verändert sich nicht, wenn der Bundestag aus tatsächlichen Gründen seine Kompetenz nicht ausüben kann.

101

b) Vielmehr ist es Aufgabe des Deutschen Bundestages selbst und seiner Untergliederungen, im Falle eines von der Exekutive wegen Gefahr im Verzug beschlossenen und vor einer möglichen Parlamentsbefassung beendeten Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, seine parlamentarischen Kontrollbefugnisse wahrzunehmen. Das parlamentarische Regierungssystem stellt ihm auch für diesen Fall geeignete Instrumente zur politischen Kontrolle der Bundesregierung zur Verfügung. Er kann sein Frage-, Antrags-, Debatten- und Entschließungsrecht ausüben und dadurch auf zukünftige Entscheidungen der Regierung einwirken oder durch die Wahl eines neuen Bundeskanzlers die Regierung stürzen, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 131, 152 <196>).

102

Um dem Deutschen Bundestag eine uneingeschränkte Kontrolle des Einsatzes der Streitkräfte zu ermöglichen, ist die Bundesregierung allerdings, als Ausfluss des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, verpflichtet, ihn unverzüglich und qualifiziert über den abgeschlossenen Streitkräfteeinsatz zu unterrichten.

103

aa) Gegenstand der Pflicht zu förmlicher Unterrichtung der Bundesregierung sind die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Einsatzentscheidung sowie Verlauf und Ergebnis des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte. Nur in Kenntnis der genannten, allein der Bundesregierung vorliegenden Informationen zu einem abgeschlossenen Auslandseinsatz der Bundeswehr ist der Bundestag in der Lage, diesen politisch zu bewerten und parlamentarische Kontrolle, auch mit Blick auf die im hier gegebenen Zusammenhang stets zu beantwortenden Kompetenzfragen, effektiv auszuüben.

104

bb) Die Unterrichtung des Bundestages muss in sachlicher Hinsicht umfassend sein und sich in ihrer Intensität an der militärischen und politischen Bedeutung des Streitkräfteeinsatzes orientieren. In zeitlicher Hinsicht ist der parlamentarische Informationsanspruch unverzüglich zu erfüllen, denn eine Kontrolle ist umso wirkungsvoller, je geringer der zeitliche Abstand zu dem zu kontrollierenden Handeln ist. Die Bundesregierung muss das Parlament darüber hinaus in einer zweckgerechten Weise unterrichten. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer, damit sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Informationen über den Streitkräfteeinsatz den Abgeordneten in klarer, vollständiger und reproduzierbarer Form zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 131, 152 <202 ff.>).

II.

105

Nach diesen Maßstäben war die am 26. Februar 2011 von Soldaten der Bundeswehr durchgeführte Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah in Libyen ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Sinne des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts. Die Antragsgegnerin war jedoch nicht verpflichtet, den Bundestag nachträglich um eine rechtlich unverbindliche politische Billigung des abgeschlossenen Einsatzes zu ersuchen. Die Frage einer Verletzung des parlamentarischen Anspruchs auf unverzügliche qualifizierte Unterrichtung über den abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nicht Gegenstand des hier zu entscheidenden Organstreits.

106

1. Die in nationaler Alleinverantwortung von Soldaten der Bundeswehr durchgeführte Evakuierung aus Nafurah ist tauglicher Gegenstand des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts. Dies gilt unabhängig davon, ob Evakuierungs- und Rettungsaktionen der Streitkräfte, wie im Schrifttum diskutiert wird (vgl. Wiefelspütz, a.a.O., S. 448 f.; Röben, ZaöRV 63 [2003], S. 585 <586, Fn. 4>), materiell-funktional als polizeiliche Unternehmen mit humanitärer Zielsetzung oder als im engeren Sinne "militärisch" zu charakterisieren sind. Derartige Differenzierungen hindern weder eine Subsumtion unter den verfassungsrechtlichen Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" noch die sich daraus notwendig ergebende Anwendung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts (vgl. Epping, in: BeckOK GG, Edition 25, Art. 87a Rn. 32.4; Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Rn. 82).

107

2. Ein grundsätzlich nur auf der Grundlage einer konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages zulässiger Einsatz bewaffneter Streitkräfte lag vor, weil ungeachtet des tatsächlichen Ausbleibens von Kampfhandlungen die qualifizierte Erwartung bestand, dass deutsche Soldaten mit der Teilnahme an der Evakuierung aus Nafurah in bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen werden könnten.

108

a) Zum Zeitpunkt der Einsatzentscheidung bestanden hinreichende greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine drohende Verstrickung der eingesetzten deutschen Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung.

109

aa) Die Evakuierung aus Nafurah am 26. Februar 2011 war in zeitlich-örtlicher Hinsicht in einen kriegerischen Gesamtkontext eingebunden, der bei der Beantwortung der Frage, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen zu erwarten war, nicht außer Betracht bleiben kann.

110

In den Tagen vor der Evakuierung hatten sich die innenpolitischen bewaffneten Auseinandersetzungen in Libyen zu einem Bürgerkrieg ausgeweitet, der mit dem Zerfall der staatlichen Ordnung einherging. Die sich innerhalb kurzer Zeit rapide verschlechternde Sicherheitslage hatte auf deutscher Seite Anlass zu Vorbereitungen für die großangelegte militärische Operation "Pegasus" zur Evakuierung, Rettung und gegebenenfalls gewaltsamen Befreiung deutscher Staatsbürger aus ganz Libyen gegeben, welche am 26. Februar 2011 allerdings noch nicht abgeschlossen waren. Die von Kampfhandlungen besonders betroffenen ostlibyschen Landesteile waren an diesem Tag überwiegend bereits in der Hand der Regimegegner, darunter zahlreiche übergelaufene Streit- und Sicherungskräfte. Sie verfügten über schwere Waffen und Gefechtsfahrzeuge und kontrollierten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die im Raum Bengasi stationierten einsatzbereiten Luftabwehrsysteme mit einer Reichweite von 300 Kilometern. Auf ihrem Weg von Chania/Kreta nach Nafurah und zurück mussten die beiden für die Evakuierung eingesetzten deutschen Transportmaschinen - als Teil einer fremden Staatsmacht - jeweils diesen Flugabwehrgürtel durchfliegen. Eine etwaige konkludente Einwilligung regimetreuer staatlicher libyscher Stellen in die Evakuierungsmaßnahme und damit in die Nutzung des libyschen Luftraums hätte dabei keinerlei Sicherheit gewährleistet, denn sie wäre von den oppositionellen Kräften nicht als verbindlich erachtet worden. Die Antragsgegnerin konnte überdies trotz ihrer Kontakte zu libyschen Regierungsvertretern nicht von einer solchen Einwilligung ausgehen. Das Bundesministerium der Verteidigung wie auch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr waren im Vorfeld der Evakuierung in ihren jeweiligen Bedrohungsanalysen zu dem Ergebnis gekommen, dass die staatlichen Strukturen in Libyen vollkommen zusammengebrochen waren. Es gab somit keinen funktionsfähigen libyschen Staat mehr, dem etwaige Willenserklärungen staatlicher Verantwortungsträger hätten zugerechnet werden und der Garant für deren Einhaltung hätte gewesen sein können. Ein Angriff mittels Boden-Luft-Raketen auf die deutschen Militärmaschinen und damit eine zunächst passive Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen musste in einem Umfeld eskalierender Gewalttätigkeiten aufgrund dieser konkreten Umstände ernsthaft für möglich erachtet werden, auch wenn bis zum Beginn der Evakuierungsoperation kein ausländisches Flugzeug im libyschen Luftraum bedroht worden war. Das Bundesministerium der Verteidigung war daher von einer mittleren bis erheblichen Bedrohung an Land und in der Luft bei Operationen von deutschen Streitkräften in Libyen ausgegangen. Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr hatte - anders als bei den vorausgegangenen ungesicherten Luftabholungen aus Tripolis - wegen der Bedrohung durch Flugabwehrsysteme den Einsatz passiv geschützter Transall C-160 ESS für unabdingbar gehalten, was dazu führte, dass die als besonders eilbedürftig qualifizierte, ursprünglich bereits für den 25. Februar 2011 vorgesehene Evakuierung aus Nafurah auf den Folgetag verschoben wurde, um sie mit den geschützten Lufttransportmitteln durchführen zu können. Die darin zum Ausdruck kommende Gefahrenvorsorge spricht für eine nicht nur theoretische, sondern tatsächliche Gefahr eines militärischen Angriffs auf die beteiligten Luftfahrzeuge.

111

bb) Der Einsatz einer insgesamt zwanzig Soldaten umfassenden, bewaffneten Sicherungsgruppe neben den Besatzungen der Transportmaschinen spiegelt die Gefahrenlage am Boden wider, aufgrund derer die Anwendung militärischer Gewalt hätte erforderlich werden können. Die Lage in Nafurah war am 26. Februar 2011 zwar ruhig, umliegende Camps waren aber bereits von militärisch bewaffneten Banden angegriffen und ausgeplündert worden. Auf der Grundlage von Vereinbarungen mit den in Nafurah ansässigen deutschen Unternehmen hatten bewaffnete Mitglieder örtlicher Stämme deshalb den Schutz des dortigen Camps und der Landebahn übernehmen müssen. Auf dem Flugfeld ausgebrachte Pipelinerohre sollten die Landung von Flugzeugen der Bürgerkriegsparteien verhindern, von deren wirtschaftlichem Interesse an den Ölfeldern in der Region auszugehen war und deren Aggression sich durchaus auch gegen militärische Evakuierungsmaßnahmen anderer Staaten zu richten drohte, wie die Gefangennahme niederländischer Soldaten durch regimetreue Truppen in Sirte nur einen Tag später, am 27. Februar 2011, bestätigte. Nach der Räumung der Pipelinerohre hätten die Besatzungen der zur Evakuierung in Nafurah eingesetzten Militärmaschinen durch auf der Landebahn abgestellte Kraftfahrzeuge gewarnt werden sollen, falls sich die Lage in Nafurah kurzfristig verschlechtert hätte.

112

Nicht allein Gründe der allgemeinen Vorsicht und Vorsorge, sondern die Verhältnisse am Boden, die situativ jederzeit in Richtung eines Angriffs oder Überfalls auf das Camp hätten wechseln können, gaben daher konkreten Anlass, zum Zwecke der Evakuierung nicht nur - wie am 22. und 23. Februar in Tripolis - die Organisationsstruktur der Bundeswehr in Anspruch zu nehmen, sondern auch deren spezifisches Droh- und Gewaltpotential. Mit insgesamt 12 Fallschirmjägern stellten die Mitglieder einer auf Rettungs-, Evakuierungs- und Schutzoperationen sowie Einsätze gegen irreguläre Kräfte spezialisierten Kampftruppe der Bundeswehr den Hauptteil der zusätzlich zu den nur mit Pistolen ausgerüsteten Besatzungen der Transall C-160 ESS eingesetzten Sicherungsgruppe, die mit ihren Gewehren G3 und G36 sowie zwei Maschinengewehren MG3 über Kriegswaffen verfügte. Die Soldaten kamen vorzeitig zum Einsatz, denn die Evakuierung aus Nafurah erschien derart dringlich, dass eine nochmalige Verschiebung auf den Folgetag, bis zur Einsatzbereitschaft des Einsatzverbandes "Pegasus" am 27. Februar 2011, nicht in Betracht gezogen wurde.

113

Die Einsatzbefugnisse der Fallschirmjäger waren korrespondierend damit bereits auf eine mögliche Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung ausgerichtet. Es war deren Aufgabe, sowohl die Lufttransportmittel nach der Landung oder einer eventuellen Notlandung wie auch die zu Evakuierenden beim Anbordgehen zu sichern. Die Waffen wurden gerade auch dazu mitgeführt, den Operationszweck abzusichern. Nach Auftrag und Bewaffnung waren die Soldaten nicht auf eine Selbstverteidigung im engeren, nur die eigene Verteidigung betreffenden Sinn beschränkt. Sie hatten vielmehr die Befugnis und die Pflicht, Leib und Leben gefährdende Angriffe gegen die zu Evakuierenden sowie Angriffe gegen die Transportmaschinen mit militärischer Gewalt abzuwehren. Auch wenn der Evakuierungseinsatz mit dem Ziel angeordnet wurde, eine bewaffnete Auseinandersetzung zu vermeiden, war die Verpflichtung zu einer solch erweiterten Selbstverteidigung angesichts der nicht nur abstrakten militärischen Gefahrenlage vom Recht auf Überwindung gewaltsamen Widerstands gegen die Evakuierung mit militärischen Mitteln nicht schlüssig zu trennen. Beides war zudem durch die für die Soldaten geltende Verhaltensanweisung für die Anwendung militärischer Gewalt gedeckt, die Maßnahmen militärischer Gewalt bis hin zur Durchsetzung einer Evakuierung gestattete.

114

Derartige aufgrund der Gesamtlage konkret drohende gewaltsame Maßnahmen der eingesetzten deutschen Soldaten gegen militärisch bewaffnete Angreifer während der von libyschen Stellen nicht sicher genehmigten Evakuierungsoperation hätten angesichts ihres ungewissen Ausgangs und der unüberschaubaren gruppenspezifischen Loyalitäten in dem durch Bürgerkrieg destabilisierten Land ein nicht unerhebliches militärisches Eskalations- oder doch Verstrickungspotential geborgen, auch im Hinblick auf den ab dem 27. Februar 2011 vor der Küste Libyens und auf Kreta einsatzbereiten Einsatzverband "Pegasus" mit seinem Kräfteaufgebot von rund 1000 Soldatinnen und Soldaten.

115

b) Darüber hinaus war zum Zeitpunkt der Einsatzentscheidung der Exekutive von einer besonderen Nähe zur Anwendung von Waffengewalt auszugehen.

116

Mit dieser Entscheidung waren die Weichen hinsichtlich der aufgrund greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte für möglich erachteten Anwendung bewaffneter Gewalt gegen und durch deutsche Soldaten bereits gestellt. Zwar bestand Unsicherheit darüber, ob tatsächlich mit einem Angriff auf die Transportmaschinen im libyschen Luftraum zu rechnen war und ob militärische Reaktionen der eingesetzten Soldaten am Boden erforderlich werden würden. Auch wäre ein Abbruch der Evakuierungsoperation vor Einflug in den libyschen Luftraum im Falle auffälliger Radaraktivitäten der dortigen, in ihrer konkreten Dislozierung im Raum nicht bekannten Flugabwehrstellungen möglich gewesen und hätten die Transall C-160 ESS vor der Landung in Nafurah abdrehen können, falls zur Warnung der Flugzeugbesatzung Kraftfahrzeuge auf der Landebahn abgestellt worden wären. Nach dem Eindringen in den libyschen Luftraum und auf libysches Territorium hing jedoch die Einbeziehung deutscher Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung im Wesentlichen nur noch davon ab, ob und wann militärisch bewaffnete libysche Akteure in dem bürgerkriegsbefangenen Land die zu Evakuierenden oder die deutschen Lufttransportmittel angreifen würden. Ein solcher Angriff hätte, entsprechend den Einsatzbefugnissen der Sicherungsgruppe, unmittelbare Abwehrmaßnahmen ausgelöst, ohne dass die Bundesregierung hierauf noch hätte Einfluss nehmen können.

117

3. Zwischen den Beteiligten ist nicht im Streit, dass die Antragsgegnerin aufgrund von Gefahr im Verzug berechtigt war, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Nafurah am 26. Februar 2011 ohne vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestages zu beschließen.

118

4. Wenn ein rechtserheblicher parlamentarischer Einfluss auf den konkreten Einsatz der Streitkräfte aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich ist, ergibt sich aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt keine Pflicht der Bundesregierung, eine Beschlussfassung des Bundestages herbeizuführen. Zu einer nachträglichen Befassung des Deutschen Bundestages mit dem noch am 26. Februar 2011 abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte war die Antragsgegnerin deshalb nicht verpflichtet.

119

5. Eine Verletzung des aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt abzuleitenden parlamentarischen Anspruchs, von der Bundesregierung über von ihr wegen Gefahr im Verzug angeordnete und bereits abgeschlossene Einsätze bewaffneter Streitkräfte unverzüglich und qualifiziert unterrichtet zu werden, hat die Antragstellerin nicht zum Gegenstand des Organstreits gemacht.

120

Zwar kann grundsätzlich ein Antrag auf Feststellung einer Kompetenzverletzung zugleich den weniger weitgehenden Antrag auf Feststellung der Verletzung eines damit in Zusammenhang stehenden Anspruchs auf Unterrichtung enthalten (vgl. BVerfGE 1, 14 <39>; 7, 99 <105 f.>; 68, 1 <68>). Die Antragstellerin hat jedoch weder in ihrem verfahrenseinleitenden Antrag noch in dessen Begründung einen Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Unterrichtungspflicht ausdrücklich geltend gemacht. Auch der im Wege der Auslegung zu ermittelnde eigentliche Sinn des mit dem Antrag verfolgten prozessualen Begehrens (vgl. BVerfGE 68, 1 <68>) gibt keinen Anlass, von einem entsprechenden subsidiären Rechtsschutzziel der Antragstellerin auszugehen.

121

a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bundesminister des Auswärtigen die Vorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen im Auftrag der Bundesregierung nach der Beendigung der Evakuierung aus Nafurah noch am Abend des 26. Februar 2011 über deren Verlauf und Abschluss telefonisch informiert hatte. Die Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Obleute des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages waren - jeweils schriftlich - mit Datum vom 26. Februar 2011 vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr und mit Datum vom 4. März 2011 vom Staatssekretär im Auswärtigen Amt über den Einsatz unterrichtet worden. Die Obleute der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, dessen Vorsitzenden und seinen Stellvertreter hatte der Staatssekretär am 27. Februar 2011 auch telefonisch informiert. Er und der Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung hatten darüber hinaus in der Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages am 16. März 2011 für die Bundesregierung Bericht zu dem Evakuierungseinsatz erstattet.

122

Am 4. April 2011 war die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen" von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion selbst als Bundestagsdrucksache an die Mitglieder des Deutschen Bundestages verteilt worden (BTDrucks 17/5359). Darin äußerte sich die Bundesregierung insbesondere zu den tatsächlichen und rechtlichen Hintergründen und dem Verlauf der Evakuierung aus Nafurah.

123

Die Antwort der Bundesregierung auf die am 10. Juni 2011 gestellte Kleine Anfrage von Abgeordneten der Antragstellerin und der Antragstellerin selbst zum "Evakuierungseinsatz ,Pegasus' der Bundeswehr in Libyen" erhielten die Mitglieder des Deutschen Bundestages am 11. Juli 2011 (BTDrucks 17/6564). Weitere Einzelheiten zur Wahl der militärischen Mittel, zur Bewaffnung der eingesetzten Soldaten sowie zu den militärischen Planungen und Abläufen bildeten den Schwerpunkt der von der Bundesregierung erteilten Auskünfte.

124

b) Die Antragstellerin hat diese zwar umfängliche, aber sukzessive, zunächst auf Funktionsträger und Mitglieder bestimmter Ausschüsse beschränkte, zum Teil erst auf Befragung erfolgte Unterrichtung des Deutschen Bundestages über die Evakuierung aus Nafurah vorprozessual nicht gerügt. Eine - im Sinne der hier entwickelten Anforderungen - weitergehende Unterrichtungspflicht hat sie gegenüber der Antragsgegnerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht geltend gemacht und dieser damit keine Veranlassung gegeben, derartige Rechte des Parlaments zu prüfen und ihnen gegebenenfalls zu entsprechen (vgl. BVerfGE 129, 356 <374 f.>). Vielmehr hat die Antragstellerin, auch dies erst einige Monate nach dem Evakuierungseinsatz, mit der Kleinen Anfrage vom 10. Juni 2011 eine ihr zur Verfügung stehende politisch-parlamentarische Handlungsmöglichkeit ergriffen und konkrete zusätzliche Informationen von der Bundesregierung erbeten. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sie mit der Antwort der Bundesregierung vom 11. Juli 2011 und der vorhergehenden Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen" vom 4. April 2011 (BTDrucks 17/5359) den Anspruch des Bundestages auf Unterrichtung nicht als hinreichend erfüllt ansah. Der verfahrenseinleitende Antrag ist angesichts dessen keiner Auslegung dahingehend zugänglich, die Antragstellerin beanstande auch die Verletzung des parlamentarischen Rechts auf unverzügliche und qualifizierte Unterrichtung über einen abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte.

D.

125

Besondere Billigkeitsgründe, die die Anordnung einer Auslagenerstattung nach § 34a Abs. 3 BVerfGG ausnahmsweise angezeigt erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 96, 66 <67>), liegen nicht vor.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

Unzulässige oder offensichtlich unbegründete Anträge können durch einstimmigen Beschluß des Gerichts verworfen werden. Der Beschluß bedarf keiner weiteren Begründung, wenn der Antragsteller vorher auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit oder Begründetheit seines Antrags hingewiesen worden ist.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

Gründe

A.

1

Das Organstreitverfahren betrifft die Frage, ob die Antragsgegnerin aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts verpflichtet war, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.

I.

2

1. a) Unter dem Einfluss der Unruhen in einigen Nachbarländern eskalierte ab Mitte Februar 2011 in Libyen der innenpolitische Konflikt zwischen der Regierung und ihren Gegnern zu einem bewaffneten Aufstand gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi. Ein Zentrum der gewalttätigen Auseinandersetzungen waren zunächst die ostlibyschen Landesteile, insbesondere die im Nordosten gelegene Hafenstadt Bengasi. Der Krisenstab im Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes befasste sich seit dem 20. Februar 2011 in fortan täglichen, ressortübergreifenden Sitzungen mit den Entwicklungen in Libyen. Im Bundesministerium der Verteidigung und im Einsatzführungskommando der Bundeswehr wurden frühzeitig Vorbereitungen für diplomatische und militärische Evakuierungen deutscher Staatsangehöriger auf dem Luft- oder Seeweg getroffen. Unbewaffnete Soldaten der Bundeswehr flogen am 22. Februar 2011 mit zwei Transall C-160 Transportmaschinen und am 23. Februar 2011 mit einem Airbus A310 deutsche Staatsbürger und Angehörige anderer Staaten aus Tripolis aus. Gleichzeitig verließen Deutsche und weitere Ausländer die im Nordwesten Libyens gelegene Hauptstadt mit einer Sondermaschine einer zivilen deutschen Luftfahrtgesellschaft. Der Leiter der Europaabteilung im libyschen Ministerium des Auswärtigen hatte der deutschen Botschaft am Abend des 22. Februar 2011 zur Nutzung des Internationalen Flughafens Tripolis durch deutsche Militärmaschinen mitgeteilt, die dafür zuständige Civil Aviation Authority habe für Evakuierungsflüge eine generelle Lande- und Starterlaubnis erteilt, die sogenannte Diplo-Clearance.

3

b) Parallel zu den ungesicherten Luftabholungen durch die Bundeswehr wurden im Mittelmeerraum Kräfte aus Heer, Luftwaffe und Marine zu einem Einsatzverband für eine militärische Evakuierungsoperation zusammengeführt. Nach den vom Bundesministerium der Verteidigung am 23. Februar 2011 veranlassten Planungen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr sollten bis zu 1000 Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Operation "Pegasus" isolierte oder gewaltsam bedrohte deutsche Staatsbürger aus ganz Libyen evakuieren und retten oder gegebenenfalls befreien. Die vom Einsatzführungskommando erlassene "Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN" (Stand: 02/2011) betreffend "Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt" sah nicht nur ein Recht auf Selbstverteidigung und Nothilfe, sondern auch ein Recht auf Einsatz militärischer Gewalt gegen Personen und Sachen zur Durchsetzung militärischer Evakuierungen vor. Der maritime Teil des Einsatzverbandes, bestehend aus den Fregatten "Brandenburg" und "Rheinland-Pfalz", dem Einsatzgruppenversorger "Berlin" und dem Flottendienstboot "Oker", war vor der Ostküste Libyens am 27. Februar 2011 ab 3:00 Uhr, die nach Kreta verlegten Kräfte für schnelle Luftevakuierungen waren ab 15:00 Uhr einsatzbereit.

4

2. a) Der Osten Libyens befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend in der Hand der Regimegegner. Der durch den Bürgerkrieg bedingte Zerfall der staatlichen Strukturen ging dort mit steigender Kriminalität einher, insbesondere auch Überfällen auf die Camps westlicher Unternehmen. Der Krisenstab im Auswärtigen Amt war noch am 23. Februar 2011 davon ausgegangen, dass die Mitarbeiter deutscher Firmen aus dem Camp in Nafurah, einem 400 Kilometer südlich von Bengasi in der Nähe eines Ölfeldes gelegenen ostlibyschen Wüstenort, ohne größere Schwierigkeiten über den Landweg würden ausreisen können. Diese Einschätzung konnte bereits am 24. Februar 2011 nicht mehr aufrechterhalten werden, nachdem mehrere Versuche, das Camp zu verlassen, aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden mussten. Die Verbindungsstraßen von Nafurah zum nächsten Hafen und in das Nachbarland Ägypten führten durch umkämpfte Gebiete; auch wären die zur Verfügung stehenden Kraftfahrzeuge von großem Wert für die bewaffneten rivalisierenden Stämme in der Region gewesen. In der Gegend um Nafurah gab es bewaffnete marodierende Banden. Im Camp selbst, das durch ebenfalls bewaffnete Ortskräfte geschützt wurde, hatten Auseinandersetzungen um Wasser und Nahrungsmittel begonnen. Da eine private Firmenmaschine die gut ausgebaute Landebahn in Nafurah zuletzt problemlos hatte nutzen können und es im Umkreis von 50 Kilometern keine militärischen Einrichtungen und im Umkreis von 100 Kilometern keine Flugabwehrsysteme gab, beschloss der Krisenstab, die "in akuter Gefahr Befindlichen" (Prot. der Krisenstabssitzung vom 24. Februar 2011) möglichst am folgenden Tag, dem 25. Februar 2011, bei Tagesanbruch von der Bundeswehr mit den auf Malta stationierten Transall C-160 ausfliegen zu lassen. Eine Begleitung durch bewaffnete Einsatzkräfte wurde nicht für erforderlich gehalten.

5

b) Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr kam aufgrund einer Bedrohungsanalyse am 25. Februar 2011 insoweit allerdings zu einem anderen Ergebnis. Die öffentliche Ordnung in Libyen sei vollkommen zusammengebrochen. Der Osten des Landes befinde sich zum größten Teil in der Hand bewaffneter Bürgerkomitees sowie übergelaufener Streit- und Sicherheitskräfte, eine übergeordnete Kontrolle sei nicht erkennbar. Da sich die Versorgung der Bevölkerung stetig verschlechtere, steige zunehmend das Risiko krimineller Aktionen, auch gegen westliche Ausländer. Die libyschen Streitkräfte hätten über eine Vielzahl von Systemen zur Flugabwehr verfügt, deren Dislozierung im Raum nicht bekannt sei. Im Bereich Bengasi befänden sich jedoch einsatzbereite Flugabwehrsysteme mit einer Reichweite von 300 Kilometern, die wahrscheinlich von oppositionellen Kräften kontrolliert würden. Aufgrund der Unberechenbarkeit der regionalen Machtverhältnisse sei weiterhin von einer landesweiten Bedrohung durch diese Systeme auszugehen. Daher sei für die Evakuierung aus Nafurah der Einsatz von Transall C-160 ESS, die mit einer Zusatzausstattung zum passiven Selbstschutz gegen Radarerfassung und gegen Flugabwehrraketen ausgerüstet sind, unabdingbar. Da sich Teile der libyschen Zivilbevölkerung Waffen aus militärischen Beständen angeeignet hätten, sei am Boden zudem mit einer Gefährdung der Lufttransportmittel durch Handwaffen, Panzerabwehrhandwaffen oder auf Fahrzeugen montierte Maschinengewehre zu rechnen. Der Einsatz begleitender und bewaffneter Schutzkräfte sei daher zwingend erforderlich.

6

c) Das Bundesministerium der Verteidigung war in einer eigenen Analyse zur Lage in Libyen ebenfalls zu der Einschätzung gelangt, für eine Operation von Streitkräften sei von einer mittleren bis erheblichen Bedrohung an Land und in der Luft auszugehen. Zwei Transall C-160 ESS mit ihrer jeweiligen Besatzung sowie zwölf Fallschirmjäger einer für militärische Evakuierungsoperationen und Operationen gegen irreguläre Kräfte besonders befähigten Luftlandebrigade und acht Feldjäger, sämtlich Teil der für die Operation "Pegasus" vorgesehenen Kräfte und Fähigkeiten, wurden daher noch am 25. Februar 2011 von Deutschland nach Chania/Kreta verlegt. Die daraus resultierende zeitliche Verschiebung der geplanten Evakuierung um einen Tag auf den 26. Februar 2011 wurde im Rahmen einer Gesamtabwägung in Kauf genommen.

7

3. a) Am späten Abend des 25. Februar 2011 stimmte die Bundeskanzlerin der von den Bundesministern der Verteidigung und des Auswärtigen vorgeschlagenen Evakuierung aus Nafurah zu. Da Einsätze der Bundeswehr in Libyen zur Rettung und Evakuierung einem strikten Leitungsvorbehalt seines Hauses unterlagen, erteilte anschließend der Bundesminister der Verteidigung die Operationsfreigabe. Zuvor hatte der Bundesminister des Auswärtigen unter Berufung auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag telefonisch über den "unmittelbar bevorstehenden Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland" (Telefonvermerk des Auswärtigen Amtes vom 25. Februar 2011) unterrichtet und dringend um Vertraulichkeit gebeten. Die Obleute der Fraktionen im Verteidigungsausschuss waren durch den Generalinspekteur der Bundeswehr entsprechend informiert worden.

8

b) Am 26. Februar 2011 blieb ein diplomatisches Ersuchen in Form einer Verbalnote der deutschen Botschaft in Tripolis um Genehmigung der Landung zweier Flugzeuge der Bundeswehr in Nafurah für eine humanitäre Hilfsaktion zur Evakuierung deutscher Bürger von libyscher Seite unbeantwortet. Libyschen Regierungsvertretern war das Vorhaben jedoch bekannt, da der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born mit ihnen in ständigem Kontakt stand.

9

c) Der Evakuierungseinsatz am Nachmittag des 26. Februar 2011 wurde direkt aus dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr geführt, weil sich das Führungselement des Einsatzverbandes "Pegasus" zu diesem Zeitpunkt noch in der Phase der Verlegung befand. Der Chef des Einsatzstabes für Militärische Evakuierungsoperationen im Einsatzführungskommando der Bundeswehr wies die eingesetzten Soldaten vor dem Abflug aus Chania darauf hin, dass bisher kein ausländisches Flugzeug im libyschen Luftraum bedroht worden sei. Eine kurzzeitige Radarabstrahlung der Stellung eines Boden-Luft-Raketensystems bei der ostlibyschen Hafenstadt Tobruk habe am Vormittag des Vortages aufgeklärt werden können. Nach den von dem Sicherheitsbeauftragten eines deutschen Unternehmens laufend übermittelten Informationen aus dem Camp sei die Lage in Nafurah selbst derzeit ruhig, bewaffnete Ortskräfte schützten die Firmenangehörigen. Im Fall einer Veränderung, bei unklarer oder gefährlicher Lage, würden zur Warnung ein oder mehrere Fahrzeuge auf die Landebahn gestellt. Die Landebahn sei zurzeit noch durch ausgebrachte Pipelinerohre blockiert. Ziel war es, eine Landung von Flugzeugen der Bürgerkriegsparteien zu verhindern.

10

d) Aufgrund der hohen Zahl der aus Nafurah zu Evakuierenden hatten sich neben der Bundesregierung auch Großbritannien und die Niederlande für eine jeweils national verantwortete Beteiligung an der Luftevakuierung entschieden. Die um 13:30 Uhr zuerst in Nafurah einfliegende niederländische Militärmaschine brach den Anflug ab und kehrte auf ihren Stützpunkt nach Sizilien zurück, nachdem die libyschen Behörden trotz Anfrage keine Landegenehmigung erteilt hatten. Das britische Transportflugzeug landete kurze Zeit später sicher in Nafurah und flog eigene und Staatsangehörige anderer Länder nach Malta aus. Daraufhin starteten um 14:17 Uhr die beiden deutschen Transall C-160 ESS in Chania.

11

e) Der erweiterte Selbstschutz der eingesetzten Transportmaschinen beinhaltete Maßnahmen zum passiven Schutz durch Scheinziele in Form von 720 "Flares" gegen Lenkwaffen mit Infrarotsuchkopf und 960 "Chaffs" zur Störung von Radargeräten. Die Besatzungen der Transall C-160 ESS bestanden aus insgesamt elf Soldaten zur Durchführung des Flugauftrages und einem Mediziner. Sie führten 15 Pistolen P8 mit 450 Patronen mit sich. An Bord jeder Maschine befanden sich zusätzlich sechs Fallschirmjäger und vier Feldjäger. Die Fallschirmjäger sollten sowohl die Lufttransportmittel nach der Landung oder einer eventuellen Notlandung wie auch die zu Evakuierenden beim Anbordgehen sichern (BTDrucks 17/6564, S. 3). Die "Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN" betreffend "Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt", die auch zur Durchsetzung von Evakuierungen legitimierte, war ihnen gegenüber nicht zurückgenommen worden. Die Fallschirmjäger waren mit ihren persönlichen Ausstattungsgegenständen (Uniformteile, Gefechtshelm und Rucksack) sowie Schutzwesten der Schutzklasse 4 ausgerüstet und führten insgesamt zwei Maschinengewehre MG3 mit 960 Patronen, zwei Gewehre G3 mit Zielfernrohren und 200 Patronen, zehn Gewehre G36 mit 1500 Patronen, vier Pistolen P8 mit 120 Patronen, eine Signalpistole 2A1 mit fünf Patronen und vier Funkgeräte mit sich. Die Feldjäger hatten den Auftrag, die Besatzung nach der Landung in Nafurah bei der Kontrolle der zu Evakuierenden und auf dem Rückflug nach Kreta durch die Wahrnehmung von Luftsicherheitsaufgaben an Bord zu unterstützen. Sie waren jeweils mit Gefechtsanzug, einer Schutzweste der Schutzklasse 4, einem Funkgerät SEM 52 S, Einmannverpflegungspaketen sowie einem Kampfrucksack oder einer Kampftragetasche ausgerüstet und mit ihren Handwaffen, insgesamt vier Gewehren G36 mit 600 Patronen und vier Pistolen P8 mit 180 Patronen, bewaffnet.

12

f) Die deutschen Transall C-160 ESS flogen um 14:59 Uhr in den libyschen Luftraum ein und landeten um 16:30 Uhr in Nafurah. Nach der Landung sicherten die zwölf Fallschirmjäger mit G3- und G36-Gewehren die beiden nebeneinander stehenden Luftfahrzeuge in einem Abstand von 25 Metern, um deren Umfeld lückenlos beobachten zu können. Anschließend setzten sechs Fallschirmjäger die Überwachung fort, während die anderen sechs die acht Feldjäger bei der Identifizierung der zu Evakuierenden und deren Verbringung in die Transportmaschinen unterstützten. Die Maschinengewehre verblieben in den Luftfahrzeugen. 22 deutsche und 110 Bürger anderer Staaten wurden an Bord genommen. Die beiden Transall verließen um 17:10 Uhr und 17:16 Uhr Nafurah sowie gegen 18:25 Uhr den libyschen Luftraum. Um 19:29 Uhr landeten sie in Chania auf Kreta. Zu weiteren Evakuierungen aus Libyen durch deutsche Soldaten kam es in der Folgezeit nicht.

13

g) Am 27. Februar 2011 wurden drei niederländische Marineinfanteristen, Besatzungsmitglieder einer vor der libyschen Küste ankernden niederländischen Fregatte, von regimetreuen Truppen angegriffen und gefangen genommen, als sie versuchten, Landsleute aus der nordlibyschen Hafenstadt Sirte per Hubschrauber zu evakuieren.

14

4. a) Der Bundesminister des Auswärtigen hatte am Abend des 26. Februar 2011 umgehend die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag über Verlauf und Abschluss der Evakuierung aus Nafurah in Kenntnis gesetzt. Die Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und die Obleute des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages wurden unter dem Datum 26. Februar 2011 schriftlich durch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr über die durchgeführte Evakuierung unterrichtet. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born informierte am 27. Februar 2011 die Obleute der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss, dessen Vorsitzenden und seinen Stellvertreter auch telefonisch.

15

In der Regierungspressekonferenz am 28. Februar 2011 erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes zu der Evakuierung aus Nafurah (Mitschrift der Regierungspressekonferenz vom 28. Februar 2011, S. 4):

"[…] In diesem Falle war es so, dass ein bewaffneter Einsatz bevorgestanden haben könnte. Nachträglich war es ein gesicherter Evakuierungseinsatz mit humanitärer Zielsetzung, also kein bewaffneter Einsatz. Demzufolge muss auch nachträglich keine Zustimmung des Bundestages eingeholt werden."

16

b) Der damalige Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Antragstellerin forderte die Bundesregierung mit Schreiben vom 3. März 2011 an den Bundesminister des Auswärtigen auf, ein nachträgliches parlamentarisches Mandat für den Evakuierungseinsatz einzuholen. In seiner Antwort vom 11. März 2011 teilte der Bundesminister mit, dass er den Einsatz für einen humanitären halte, der der Zustimmung des Deutschen Bundestages nicht bedürfe.

17

Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt hatte zuvor, mit Datum vom 4. März 2011, den Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Obleuten des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages eine schriftliche Unterrichtung über die Evakuierung aus Nafurah zugeleitet.

18

c) In der Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages am 16. März 2011 erklärte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born in Übereinstimmung mit dem Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung Wolf, die Evakuierung aus Nafurah sei kein Unternehmen gewesen, bei dem man Waffen habe einsetzen müssen. Vielmehr habe man von Anfang an erwartet, dass eine militärische Aktion nicht notwendig werden würde. Die Bundesregierung sei von einer zumindest konkludenten Genehmigung der Evakuierung durch die libyschen Behörden ausgegangen. Mit Blick auf die Lage in Nafurah habe es sich im Grunde genommen um eine Evakuierung ähnlich wie die zuvor aus Tripolis gehandelt, nicht jedoch um eine bewaffnete Unternehmung im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Verteidigungsausschuss, Prot. Nr. 83, S. 22 ff.).

19

d) Abgeordnete der Fraktion Die LINKE und die Fraktion selbst stellten in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 24. März 2011 folgenden Antrag auf Beschlussfassung zur Abstimmung (BTDrucks 17/5175):

"I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 26. Februar 2011 hat die Bundesregierung unter Berufung auf Gefahr im Verzug einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr zur Evakuierung deutscher und anderer europäischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus Libyen durchgeführt. Ein solcher Evakuierungseinsatz fällt unter die entsprechenden Bestimmungen von § 5 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes. Daran hat auch die Bundesregierung keinen Zweifel gelassen, in dem sie im Vorfeld und nach der Operation die Fraktionsvorsitzenden und Obleute des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages direkt gemäß § 5 Abs. 2 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes unterrichtet hat - im Unterschied zu anderen Einsätzen der Bundeswehr, bei denen nicht mit der Anwendung militärischer Gewalt zu rechnen war, wie z.B. bei der Verlegung von Fregatten vor die libysche Küste. Zudem wurde die Entsendung einer bewaffneten Sicherheitskomponente für die Evakuierungsoperation von mehr als 20 Soldatinnen und Soldaten mit der Entstehung einer neuen Gefährdungslage begründet. Unter diesen Voraussetzungen sieht das ,Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz)' unter § 5 Abs. 3 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes vor, dass ein Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachzuholen ist. Diesen Vorgaben ist die Bundesregierung bislang nicht gefolgt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich gemäß § 5 Abs. 3 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes dem Bundestag ein Mandat für den Evakuierungseinsatz vom 26. Februar 2011 in Libyen vorzulegen."

20

Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (BGBl 2005 I S. 775) regelt Form und Ausmaß der Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ParlBG).

In § 5 ParlBG ist bestimmt:

(1) Einsätze bei Gefahr im Verzug, die keinen Aufschub dulden, bedürfen keiner vorherigen Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen, solange durch die öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde.

(2) Der Bundestag ist vor Beginn und während des Einsatzes in geeigneter Weise zu unterrichten.

(3) Der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist unverzüglich nachzuholen. Lehnt der Bundestag den Antrag ab, ist der Einsatz zu beenden.

21

Der Deutsche Bundestag lehnte es am 24. März 2011 ab, auch gegen die Stimmen der Antragstellerin, den beantragten Beschluss zu fassen (Deutscher Bundestag, Plenprot. 17/99, Stenografischer Bericht, S. 11444).

22

e) Der Bundesminister des Auswärtigen antwortete am 5. April 2011 auf ein Schreiben des damaligen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der Antragstellerin vom 17. März 2011, in welchem dieser erneut die Notwendigkeit einer nachträglichen Zustimmung des Deutschen Bundestages zu dem Evakuierungseinsatz vorgetragen hatte, wie folgt:

"Das Parlamentsbeteiligungsgesetz findet nur bei einem Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland Anwendung. Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nicht anzunehmen, wenn deutsche Soldatinnen und Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung nicht einbezogen sind und eine solche Einbeziehung nach den konkreten Umständen des Einsatzes nicht zu erwarten ist. Dies war bei der Evakuierungsaktion Nafura der Fall.

Das Bundesverfassungsgericht hält in dem von Ihnen zitierten Urteil vom 7. Mai 2008 fest, dass, erst die qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen zur parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit eines Auslandseinsatzes deutscher Soldaten' führt. ,Die bloße Möglichkeit', so das Gericht, ,dass es bei einem Einsatz zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, reicht hierfür nicht aus […], weil die theoretische Möglichkeit einer solchen Auseinandersetzung sich, wo Streitkräfte operieren, kaum je von vornherein wird ausschließen lassen' [BVerfGE 121, 135 (163 ff.)]. Wenn also, wie Sie schreiben, aus der ,ex-ante-Sicht nicht ohne Weiteres erwartet werden [konnte], dass Soldatinnen und Soldaten nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden' würden, so begründet dies noch keinen Einsatz im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes."

23

f) Die Bundesregierung hatte in diesem Sinne bereits mit Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 31. März 2011 eine am 9. März 2011 gestellte Kleine Anfrage zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen" von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion selbst (BTDrucks 17/5002) beantwortet. Aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannten Bedrohungslage habe die klare Erwartung bestanden, dass die eingesetzten Soldaten durch libysche Kräfte nicht bedroht seien, ihre Waffen nicht würden einsetzen müssen und mithin nicht in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen werden würden. Die Unterrichtung des Bundestages habe - wie der Bundesminister des Auswärtigen in seinen Telefonaten vor und nach der Operation auch betont habe - stattgefunden, um gegenüber dem Deutschen Bundestag volle Transparenz zu gewährleisten (BTDrucks 17/5359 vom 4. April 2011, S. 6).

24

g) Ähnlich äußerte sich das Bundesministerium der Verteidigung namens der Bundesregierung in der am 7. Juli 2011 übermittelten Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 10. Juni 2011 (BTDrucks 17/6196), gestellt von Abgeordneten der Antragstellerin und der Antragstellerin selbst zum "Evakuierungseinsatz ,Pegasus' der Bundeswehr in Libyen" (BTDrucks 17/6564 vom 11. Juli 2011, S. 2).

II.

25

Die Antragstellerin hat am 11. August 2011 ihren Antrag im Organstreitverfahren gestellt. Zu dessen Begründung trägt sie vor:

26

1. Der Antrag sei zulässig. Als Fraktion des Deutschen Bundestages sei sie im Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG antragsberechtigt und die Bundesregierung zulässige Antragsgegnerin. Als zulässiger Antragsgegenstand sei in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die im Rahmen eines bewaffneten Einsatzes der Bundeswehr unterlassene Anrufung des Deutschen Bundestages ausdrücklich anerkannt (BVerfGE 121, 135 <150>). Die Antragsgegnerin habe hier in einem an den Parlamentarischen Geschäftsführer der Antragstellerin gerichteten Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 5. April 2011 klargestellt, dass sie nicht mehr beabsichtige, den Bundestag um eine nachträgliche Zustimmung zu dem Evakuierungseinsatz in Libyen zu ersuchen. Die Antragsbefugnis folge aus der möglich erscheinenden Nichtbeachtung der Zustimmungspflicht des Deutschen Bundestages im Rahmen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts angesichts des streitgegenständlichen Einsatzes, der im Ausland und mit bewaffneten Angehörigen der Bundeswehr durchgeführt worden sei. Rechte des Bundestages könne sie als Fraktion für diesen in Prozessstandschaft geltend machen. Das notwendige Rechtsschutzinteresse liege vor. Ihr bleibe zur Durchsetzung ihres Anliegens kein anderes politisches Mittel, insbesondere sei sie nicht gehalten, vor der Einleitung eines Organstreitverfahrens selbst die Zustimmung des Bundestages zu dem Einsatz zu beantragen. Der Bundestag habe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit keine entsprechende Initiativbefugnis, vielmehr müsse in jedem Fall die Bundesregierung - auch bei einem bereits abgeschlossenen Einsatz - das Parlament befassen (BVerfGE 90, 286 <388>). Dies folge auch aus der verfassungskonkretisierenden Regelung des § 3 Abs. 1 ParlBG, nach der es allein der Antragsgegnerin obliege, die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Die Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt. Das Unterlassen der Antragsgegnerin könne mit dem Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 5. April 2011, frühestens mit dessen Schreiben vom 11. März 2011, als abgeschlossen gelten. Die Antragsschrift sei weniger als sechs Monate nach dem streitgegenständlichen Einsatz beim Bundesverfassungsgericht eingereicht worden.

27

2. Der Antrag sei auch begründet. Die Antragsgegnerin habe die Rechte des Deutschen Bundestages aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt verletzt.

28

a) Die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages im Falle einer Entsendung von Soldaten der Bundeswehr ins Ausland seien in verfassungskonkretisierender Weise im Parlamentsbeteiligungsgesetz geregelt. Dieses könne eine verfassungsrechtliche Auslegung der Voraussetzungen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, insbesondere des Begriffs "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" nicht ersetzen, aber im Einzelfall Hinweise für seine verfassungsunmittelbare Reichweite geben (BVerfGE 121, 135 <156>).

29

aa) Der Parlamentsvorbehalt sei aus einer ex-ante-Perspektive zu bestimmen. Aus § 2 Abs. 1, 2. Alt. ParlBG folge, dass ein tatsächlicher Waffengebrauch durch die Bundeswehr in einem konkreten Einsatz nicht Voraussetzung für das Vorliegen einer bewaffneten Unternehmung und damit für die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit sei, sondern die Erwartung dessen ausreiche. Dies ergebe sich bei systematischer Betrachtung zudem zwingend daraus, dass im gesetzlichen Regelfall die Zustimmung im Vorhinein erteilt werden müsse und damit zu einem Zeitpunkt, bevor bekannt sein könne, ob Waffen tatsächlich zum Einsatz kämen oder nicht. Ein gefährlicher Einsatz mit genuin militärischen Mitteln in einem Konfliktgebiet löse daher den Parlamentsvorbehalt aus. Der zu einem solchen bewaffneten Streitkräfteeinsatz im Gegensatz stehende und vom Gesetz verwendete Begriff des humanitären Hilfsdienstes umfasse nach dem Willen des Gesetzgebers Aktionen der Bundeswehr, die auch von zivilen Organisationen übernommen werden könnten, wie zum Beispiel Unterstützung bei Hungersnöten oder Naturkatastrophen. Führten die Soldaten bei derartigen Missionen Waffen allein zur Selbstverteidigung mit sich, sei der Zustimmungsvorbehalt grundsätzlich nicht berührt. Nach § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBG seien aber auch humanitäre Einsätze nicht vom Parlamentsvorbehalt ausgeschlossen, sondern zustimmungspflichtig, wenn zu erwarten sei, dass die Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden könnte. Dann sei es unerheblich, ob Waffen nur zur Selbstverteidigung getragen würden, weil andernfalls das parlamentarische Mandat zum Bundeswehreinsatz notwendig ein Mandat zum Angriff sei. Diesem Gesetzesverständnis entspreche es, dass nach § 4 Abs. 3, 1. Spiegelstrich ParlBG das vereinfachte Zustimmungsverfahren für Einsätze von geringer Intensität auch anzuwenden sei, wenn Waffen lediglich zur Selbstverteidigung getragen würden. Von besonderer Bedeutung sei schließlich die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG, der bei Gefahr im Verzug eine nachträgliche Zustimmung des Bundestages auch für "Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen" ermögliche. Eine solche militärische Rettungsaktion werde vom Gesetz damit ausdrücklich als zustimmungspflichtig behandelt.

30

bb) Das Bundesverfassungsgericht habe als auslösendes Tatbestandsmerkmal des von ihm entwickelten wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts den "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" bezeichnet und als Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen näher konkretisiert. Dabei komme es nicht darauf an, ob tatsächlich Waffengewalt zur Anwendung gelange, denn dann könne die Parlamentsbeteiligung nur noch ex post sinnvoll ausgestaltet werden, was der verfassungsrechtlichen Bedeutung eines gestaltenden parlamentarischen Einflusses nicht gerecht werde. Der Vorbehalt werde durch die "qualifizierte Erwartung" einer Teilnahme an bewaffneten Auseinandersetzungen ausgelöst. Dafür bedürfe es hinreichender greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte, dass ein Einsatz in die Anwendung von Waffengewalt münden könne, und einer besonderen Nähe zur Anwendung von Waffengewalt (BVerfGE 121, 135 <165 ff.>). Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beziehe sich auf Fallkonstellationen im Rahmen eines auf Grundlage einer integrierten NATO-Planung erfolgten Einsatzes und sei von dem Bedürfnis getragen, den Einfluss des Bundestages auch dann wirksam zu erhalten, wenn die militärische Arbeitsteilung der Bündnisstaaten dazu führe, dass die Bundeswehr nicht unmittelbar militärische Gewalt anwende. Insbesondere aus dem Urteil des Zweiten Senats vom 7. Mai 2008 (BVerfGE 121, 135), welches die Beteiligungsrechte bei einer unmittelbaren, jedoch nicht physischen Einbeziehung in Kampfhandlungen definiere, ergebe sich im Umkehrschluss, dass die vorhersehbar wahrscheinliche unmittelbare körperliche Verwicklung der Bundeswehr in Kampfhandlungen zum tatbestandlichen Kernbereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gehöre. Der Entscheidung könne entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht entnommen werden, dass eine parlamentarische Zustimmung erst erforderlich werde, wenn die Bundesrepublik durch einen Einsatz in eine andauernde größere militärische Auseinandersetzung einbezogen werde. Hierzu sei nochmals auf die maßgeblich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägten, namentlich in der Definition eines im vereinfachten Verfahren zustimmungsbedürftigen Einsatzes nach § 4 Abs. 2 und in Abs. 3, 1. Spiegelstrich ParlBG zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertungen zu verweisen. Die Rechtsprechung und die ihr folgende Gesetzgebung seien von der historischen Erfahrung geprägt, dass auch kleine bewaffnete Auseinandersetzungen zu einem großen militärischen Konflikt führen könnten; deshalb solle der Bundestag frühzeitig die Verantwortung für eine Einsatzentscheidung übernehmen.

31

cc) Aus der Staatspraxis sei auf die mit der Operation "Libelle" im Jahr 1997 erfolgte Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Albanien hinzuweisen. Seinerzeit hätten Bundesregierung und Bundestag die Zustimmung des Parlaments für erforderlich gehalten, obwohl - anders als hier - keine weitergehenden kriegerischen Handlungen im Krisengebiet stattgefunden hätten.

32

b) Bei Anwendung dieser Maßstäbe sei von einer Verletzung der Rechte des Deutschen Bundestages auszugehen.

33

aa) Die Bundeswehr habe am 26. Februar 2011 im Sinne von § 2 Abs. 1 ParlBG mit genuin militärischen Mitteln einen Auftrag ausgeführt, der allein durch die Streitkräfte zu bewältigen gewesen sei, denn sie sei in den Luftraum eines fremden Landes eingedrungen, um Menschen zu evakuieren. Der Einsatz sei innerhalb eines militärischen Krisengebietes und aufgrund der militärischen Krise erfolgt, die die zu Evakuierenden bedroht habe. Er sei mit einer vergleichsweise hohen Gefahr eines konkreten Waffeneinsatzes durch die eingesetzten Soldaten verbunden gewesen, weil völlig offen gewesen sei, wer den Luftraum über Libyen kontrolliert habe. Die Bitte der Antragsgegnerin, den Flug in den libyschen Luftraum zu gestatten, sei unbeantwortet geblieben, der Einsatz daher ohne Einwilligung Libyens durchgeführt worden. Auch die Bundeswehr, die vor diesem Hintergrund das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht zur Rechtfertigung des Einsatzes bemüht habe, habe eine physische Auseinandersetzung ernsthaft für möglich gehalten. Dies zeige die Ausstattung der Transall-Maschinen mit Waffen und Täuschkörpern, die Verwendung einer Eliteeinheit, die Bewaffnung dieser Fallschirmjäger mit Kriegswaffen, konkret mit Maschinengewehren des 11,5 Kilogramm schweren Typs MG3 und mit weiteren Gewehren. Entsprechend habe die bundeswehrinterne Berichterstattung von einem "scharfen Einsatz" gesprochen. Gleiches ergebe sich aus der Anzahl weiterer militärischer Einsatzmittel, insbesondere der über 1000 Soldatinnen und Soldaten, die auf Kreta und im Mittelmeer, dort unter anderem auf zwei Fregatten, bereitgestellt worden seien, um die Evakuierungsaktion im Zweifelsfall zu unterstützen. Diese Einschätzung werde ferner durch den Umstand bestätigt, dass eine am Folgetag von niederländischen Soldaten durchgeführte ähnliche Aktion zu deren Gefangennahme durch libysche Soldaten geführt habe. Bei der Evakuierung aus Nafurah habe es sich nicht um einen humanitären Einsatz gehandelt, weil die Aufgabe nicht durch medizinische oder technische Zivilkräfte hätte übernommen werden können. Es sei gerade auf die Möglichkeit des Einsatzes militärischer Gewalt angekommen. Selbst wenn ein humanitärer Einsatz vorgelegen hätte, wäre er nach § 2 Abs. 2 Satz 3, 2. Alt. ParlBG nachträglich zustimmungspflichtig gewesen, weil die begründete Erwartung eines konkreten Waffeneinsatzes bestanden habe.

34

bb) Der Einsatz löse aus den genannten Gründen auch den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt aus. Die deutschen Soldaten seien in ein aktuelles Bürgerkriegsgebiet verlegt worden, in dem auch nach Planung der Bundeswehr mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer unmittelbaren Verwicklung in bewaffnete Kampfhandlungen mit libyschen Truppen zu rechnen gewesen sei.

III.

35

Die Antragsgegnerin hält den Antrag für zulässig, aber unbegründet. Die Evakuierung aus Nafurah sei kein der parlamentarischen Zustimmung bedürftiger "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Parlamentsbeteiligungsgesetzes gewesen.

36

1. a) Maßgeblich sei die Bestimmung der zustimmungsrelevanten Schwelle möglicher militärischer Konfrontation im Zusammenhang mit Evakuierungsoperationen, zu der sich das Bundesverfassungsgericht bisher nicht habe verhalten müssen. Der Begriff der "Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen" benötige scharfe und verlässliche Konturen und setze ein beachtliches Maß an militärischem Einsatzpotential und Konfliktträchtigkeit voraus, denn der Parlamentsvorbehalt sei "auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten" (BVerfGE 108, 34 <42 f.>). Im modernen Völkerrecht sei an die Stelle des "Krieges" der "bewaffnete Konflikt" getreten, dessen Vorliegen eine direkte Gewaltanwendung zwischen staatlichen Streitkräften, eine anhaltende Gewalttätigkeit zwischen einem Staat und einer nichtstaatlichen Partei oder zwischen nichtstaatlichen Gruppierungen voraussetze. Ein nach Operationszweck und Konfiguration der Einsatzkräfte weitab von dieser Schwelle angesiedelter Einsatz stelle keine zustimmungspflichtige Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen dar.

37

b) Der vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Parlamentsvorbehalt beruhe auf richterlicher Rechtsfortbildung und stelle rechtssystematisch eine Durchbrechung der alleinigen Verantwortlichkeit der Exekutive im auswärtigen Bereich dar. Eine extensive Handhabung verbiete sich daher. Entsprechend knüpfe das Bundesverfassungsgericht den Parlamentsvorbehalt an das Risiko einer "größere[n] und länger währende[n] Auseinandersetzung […] bis hinein in einen umfänglichen Krieg" (BVerfGE 121, 135 <161>), unterhalb dessen die Einsatzentscheidung in die alleinige Kompetenz der Exekutive falle. Dabei sei von Relevanz, ob eine bewaffnete Konfrontation mit Streitkräften anderer Staaten oder allenfalls eine vereinzelte Auseinandersetzung mit Einzelpersonen oder einer Bande drohe und ob die Stellung und das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Staatengemeinschaft oder deren Ordnung berührt werden könnten.

38

c) Unabhängig vom Leitbild des Kriegseintritts fehle es an dem für eine Zustimmungspflicht maßgeblichen "militärischen Gepräge" insbesondere dann, wenn die Operation der Bundeswehr nach der Ausrüstung der Soldaten, dem Einsatzzweck sowie der Befehlslage und begleitenden Maßnahmen darauf ausgerichtet sei, ohne den Einsatz spezifisch militärischer Machtmittel durchgeführt zu werden, und die Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung möglichst vermieden werden solle. Dies sei dann der Fall, wenn sich die bei einem humanitären Einsatz aus einer Gefahrenlage zu befreienden Personen nicht in der Gewalt Dritter befänden und die Operation nicht darauf angelegt sei, vorausgesetzten oder mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarteten Widerstand mit militärischen Mitteln zu überwinden. Die Rechtsprechung verbinde in diesem Sinne das militärische Gepräge auch mit einer offensiven Anwendung von Waffengewalt. Bei humanitären Einsätzen unter Mitführung von Waffen zur Gefahrenvorsorge sei daher eine parlamentarische Zustimmung nicht erforderlich. Dies entspreche der Wertung in § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBG. Eine ausdrückliche, konkludente oder mutmaßliche Zustimmung des von einem Einsatz betroffenen Staates bedeute ebenfalls, dass kein militärisches Gepräge der Operation vorliege.

39

d) Bei dem Evakuierungseinsatz in Albanien im Jahr 1997 seien mehrere Transportflugzeuge, Hubschrauber mit über hundert Soldaten und eine Fregatte mit über zweihundert Soldaten beteiligt gewesen. Die Bundesregierung habe die Sicherheitslage als anarchisch beschrieben, und es sei zu einem Schusswechsel mit nichtstaatlichen Akteuren gekommen. Dennoch gehe eine beachtliche Rechtsansicht davon aus, dass eine Zustimmung des Bundestages für diese Evakuierung nicht erforderlich gewesen sei. Es habe auch keine Kontroversen gegeben, als zur Bekämpfung der Flutkatastrophe in Mosambik im Jahr 2000 über hundert mit Handfeuerwaffen ausgerüstete Soldaten eingesetzt wurden und keine parlamentarische Zustimmung eingeholt worden sei.

40

2. a) Der Parlamentsvorbehalt verlange die "qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen" (BVerfGE 121, 135 <165>) und setze voraus, dass der Waffeneinsatz Teil der operativen Logik sei, nicht bloß Element der Gefahrenvorsorge. Weiter müsse die Einbeziehung "unmittelbar zu erwarten sein" (BVerfGE 121, 135 <166>), was nur der Fall sei, wenn die militärische Gewalt zeitlich nahe bevorstehe oder zumindest wahrscheinlich sei (BVerfGE 121, 135 <166>). Nur so sei die Verknüpfung des Parlamentsvorbehalts mit dem historischen Bild des Kriegseintritts gegeben.

41

b) Ein Höchstmaß an Gefahrenvorsorge auch für unwahrscheinliche Bedrohungslagen - etwa das Vorhalten von Reservekräften - könne die Zustimmungspflicht nicht auslösen. Anderenfalls entspräche der dadurch geschaffene Anreiz für die Exekutive zu gesteigerter Risikobereitschaft weder der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der Regierung für die Streitkräfte noch der Schutzpflicht für die Soldaten und Schutzbefohlenen. Für die notwendige scharfe Konturierung der "qualifizierten Erwartung" müsse die Beurteilung zum Zeitpunkt des Einsatzbefehls entscheidend sein.

42

c) Das Bundesverfassungsgericht habe die qualifizierte Erwartung einer bewaffneten Auseinandersetzung dann angenommen, wenn ein irreversibler, quasi automatisch zu einer militärischen Verstrickung führender Kausalverlauf in Gang gesetzt werde. Mit Blick auf das von der Rechtsprechung ebenfalls thematisierte Eskalationspotential lieferten Umfang und Dauer einer Operation insoweit wesentliche Beurteilungskriterien. Wenn eine Aktion selbst bei unerwartetem Verlauf mit Einsatz von Waffengewalt keine Folgeauseinandersetzungen und auch keine Rückwirkungen auf die außenpolitischen Beziehungen befürchten lasse, werde die Schwelle der Zustimmungsbedürftigkeit nicht überschritten. Dies gelte insbesondere, wenn geplant sei, einen Einsatz in wenigen Stunden mit sehr beschränkten Mitteln durchzuführen, und gewaltsamer Widerstand und die Berührung mit fremden Streitkräften nicht erwartet werde.

43

d) Weiter seien für die maßgebliche ex-ante-Beurteilung vorausgegangene und völlig konfliktfrei verlaufene Operationen ähnlicher Art zu berücksichtigen. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sei dagegen unerheblich, ob es nach Abschluss des Einsatzes bei Evakuierungsoperationen anderer Staaten an anderen Orten zu Verwicklungen gekommen sei.

44

e) Ferner müsse der Exekutive trotz der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit der tatbestandlichen Voraussetzungen des Parlamentsvorbehalts im Falle von Gefahr im Verzug eine Einschätzungsprärogative überlassen werden, denn die zu treffende Prognose werde auch voluntativ durch die Exekutive selbst bestimmt. Die militärische und außenpolitische Einschätzung der Bundesregierung sowie die alternative Einsatzplanung für bestimmte Operationsverläufe seien sowohl Teil der objektiven Lage als auch des Risikopotentials.

45

f) Zwar sei der tatsächliche Waffeneinsatz insoweit nicht maßgeblich, ein tatsächlicher Einsatzverlauf ohne Waffengewalt begründe indes die Vermutung, dass die qualifizierte Erwartung einer bewaffneten Unternehmung nicht bestanden habe. Die Vermutung dürfte sogar unwiderleglich sein, wenn es auch sonst nicht zu risikorelevanten Abweichungen im Ablauf gekommen, der Nichteinsatz von militärischen Machtmitteln also nicht auf glückliche Umstände zurückzuführen sei.

46

3. Die Evakuierung aus Nafurah stelle nach diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben keinen zustimmungsbedürftigen Einsatz bewaffneter Streitkräfte dar, sondern sei geradezu ein Gegenbeispiel zum entsprechenden Leitbild der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

47

a) Der Einsatz habe nach Zweck und Ausgestaltung kein spezifisch "militärisches Gepräge" aufgewiesen. Sein Zweck habe den einige Tage zuvor mit Transportmaschinen der Bundeswehr und einem zivilen Flugzeug durchgeführten Evakuierungen aus Tripolis entsprochen. Die eingesetzten Lufttransportmittel der Bundeswehr seien nicht bewaffnet, sondern lediglich mit einem passiven Schutzsystem im Hinblick auf die latente landesweite Bedrohung durch Flugabwehrsysteme ausgestattet gewesen. Die Sicherungsgruppe habe nur über leichte Waffen zur Selbstverteidigung verfügt, die konkret zur Überwachung des Umfeldes eingesetzten Fallschirmjäger in Nafurah hätten ihre Handwaffen in deeskalierender Position getragen. Die mitgeführten Maschinengewehre seien stets in den beiden Transall verblieben. Alle Sicherheitsvorkehrungen ließen sich ausschließlich als Maßnahme der Gefahrenvorsorge qualifizieren.

48

b) Der dem Einsatz zugrunde liegende Auftrag habe eine nicht-militärische Zielrichtung gehabt und sei im Kern auch mit nicht spezifisch militärischen Mitteln - mit unbewaffneten Flugzeugen - zu bewältigen gewesen. Die militärischen Komponenten hätten sich ausschließlich auf flankierende Maßnahmen mit Vorsorgecharakter beschränkt. Soweit die Antragstellerin den militärischen Charakter auf "das Eindringen in den Luftraum eines fremden Landes" zu stützen versuche, verkenne sie, dass die Bundesregierung bei allen Evakuierungsflügen von einer konkludenten Zustimmung Libyens habe ausgehen dürfen und die deutsche Botschaft in Tripolis am 22. Februar 2011 von einer generellen Start- und Landeerlaubnis für sämtliche Evakuierungsflüge unterrichtet worden sei. Ferner sei der Einsatz den libyschen Behörden durch Verbalnote mitgeteilt worden, und das Auswärtige Amt habe in ständigem Kontakt mit libyschen Regierungsvertretern gestanden. Infolge dieses Einvernehmens mit den zuständigen libyschen Stellen habe es auch keiner völkerrechtlichen Rechtfertigung des Einsatzes bedurft.

49

c) Die Gefahrenanalyse im unmittelbaren Vorfeld der Evakuierung habe eine militärische Konfrontation keinesfalls erwarten lassen. Der lokale Sicherheitsbeauftragte eines deutschen Unternehmens habe verlässliche Informationen aus Nafurah geliefert. Das Lagebild, insbesondere die Nutzung der dortigen Landebahn durch eine private Maschine in den Tagen vor dem Einsatz, die unmittelbar vor dem Start der deutschen Militärmaschinen von den Briten problemlos durchgeführte Luftevakuierung aus dem Camp und die Unterstützung der zu Evakuierenden durch die Gegend kontrollierende Ortskräfte hätten eine konkrete Bedrohung oder bewaffnete Konfrontation als denkbar, aber zugleich als außerordentlich unwahrscheinlich erscheinen lassen. Die flankierenden Sicherheitsvorkehrungen einschließlich des Einsatzes von bewaffneten Soldaten seien den Unwägbarkeiten in der Gesamtsituation Libyens aus der Distanz der operativen Führung sowie der Fürsorgepflicht und grundrechtlichen Schutzverantwortung des deutschen Staates geschuldet gewesen.

50

d) Die Annahme einer drohenden militärischen Konfrontation könne auch nicht mit der Verlegung größerer Truppenteile in den Mittelmeerraum gerechtfertigt werden. Der damit angesprochene Einsatzverband "Pegasus" sei erst am 27. Februar 2011 einsatzbereit gewesen und weder bei der Evakuierung aus Nafurah noch zu einem späteren Zeitpunkt zum Einsatz gekommen.

51

e) Die "Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN", die die Durchsetzung des Auftrags mit militärischer Gewalt erlaubt habe, weise ebenfalls nicht auf eine konkrete Erwartung ex ante hin, in Nafurah in eine bewaffnete Operation einbezogen zu werden. Bei dieser handele es sich um eine Weisung des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, die für alle denkbaren Maßnahmen im Rahmen der Operation "Pegasus" herausgegeben worden sei. Nachdem bei der kurzfristig vorab notwendig gewordenen Rückführung aus Nafurah ein bewaffneter Streitkräfteeinsatz nicht zu erwarten gewesen sei, sei eine etwaige Änderung oder Anpassung der bereits vorliegenden Weisung gegenüber den bei der Evakuierung eingesetzten Soldaten schon aus Zeitgründen nicht mehr kommunizierbar gewesen. Rechtlich sei dies auch nicht erforderlich gewesen, weil die in der Weisung beschriebenen abstrakten Befugnisse immer in Abhängigkeit von der konkreten Lage anzuwenden seien. Die Weisung enthalte keine spezifischen operativen Vorgaben, dass militärische Gewalt anzuwenden sei. Überdies seien für die Frage der parlamentarischen Zustimmung allein der Kenntnis- und Erwartungsstand der Bundesregierung und deren darauf beruhende Bewertung maßgeblich.

IV.

52

Der Bundespräsident, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat wurden von dem Verfahren in Kenntnis gesetzt (§ 65 Abs. 2 BVerfGG).

V.

53

In der mündlichen Verhandlung am 28. Januar 2015 haben die Beteiligten ihr schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt. Zur Vorbereitung der Operation "Pegasus" und den Einzelheiten der Evakuierung aus Nafurah wurden der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, und der seinerzeitige Krisenbeauftragte des Auswärtigen Amtes, Botschafter Michael Klor-Berchtold, gehört.

VI.

54

Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 3. März 2015 die dem Senat auf Anforderung bereits zuvor vorgelegten Weisungen, Befehle und sonstigen Dokumente zur Operation "Pegasus" und der Evakuierung aus Nafurah durch Vorlage weiterer Weisungen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr ergänzt. Diese wurden nach Eingang beim Bundesverfassungsgericht dem Bevollmächtigten der Antragstellerin zur Kenntnisnahme gegeben.

B.

55

Der Antrag ist zulässig.

I.

56

Die Antragstellerin ist als Fraktion des Deutschen Bundestages im Organstreitverfahren gemäß § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG parteifähig und berechtigt, im eigenen Namen Rechte geltend zu machen, die dem Deutschen Bundestag gegenüber der Bundesregierung zustehen (vgl. BVerfGE 1, 351 <359>; 2, 143 <165>; 104, 151 <193>; 118, 244 <254 f.>; 121, 135 <150>; 131, 152 <190>; stRspr). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG mögliche Antragsgegnerin. Die gerügte Unterlassung der Antragsgegnerin, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr die nachträgliche Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen, ist nach § 64 Abs. 1 BVerfGG tauglicher Gegenstand eines Organstreitverfahrens (vgl. BVerfGE 121, 135 <150>).

II.

57

Die Antragstellerin ist antragsbefugt.

58

1. Die Antragstellerin hat in substantiierter Weise die Möglichkeit vorgetragen, dass der Deutsche Bundestag in seinen Rechten verletzt wurde, weil die Antragsgegnerin es ablehnte, für die Evakuierung deutscher und anderer Staatsbürger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich seine Zustimmung einzuholen (§ 64 Abs. 1 BVerfGG). In seinem Urteil vom 12. Juli 1994 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass "Einsätze bewaffneter Streitkräfte" im Ausland von Verfassungs wegen der grundsätzlich vorherigen konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages unterliegen und der Bundestag umgehend nachträglich mit einem bewaffneten Außeneinsatz zu befassen ist, wenn ihn die Bundesregierung bei Gefahr im Verzug ausnahmsweise allein beschlossen hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <383 ff.>). Den verfassungsrechtlichen Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" und damit die Reichweite der parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit hat der Senat in einem weiteren Urteil vom 7. Mai 2008 konkretisiert (vgl. BVerfGE 121, 135 <163 ff.>). Beide Entscheidungen befassen sich mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Rahmen von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Es ist bislang nicht ausdrücklich geklärt, ob und inwieweit die bisherige Rechtsprechung auf von der Exekutive angeordnete, vor einer möglichen Parlamentsbefassung bereits abgeschlossene unilaterale Evakuierungseinsätze der Bundeswehr anzuwenden ist. Deshalb ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass es aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts einer nachträglichen Befassung des Deutschen Bundestages mit dem Einsatz deutscher Soldaten in Libyen bedurfte.

59

2. Der Deutsche Bundestag hat mit der Ablehnung des von der Fraktion DIE LINKE initiierten Antrags zur nachträglichen Mandatierung des Evakuierungseinsatzes in Libyen am 24. März 2011 nicht auf die Ausübung seiner Rechte verzichtet. Es ist gerade Sinn und Zweck der in § 64 BVerfGG geregelten Prozessstandschaft, der Parlamentsminderheit die Befugnis zur Geltendmachung der Rechte des Bundestages auch dann zu erhalten, wenn die Mehrheit seiner Mitglieder sie, insbesondere im Verhältnis zu der von ihr getragenen Bundesregierung, nicht wahrnehmen will. Dies ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60, 319 <325 f.>; 68, 1 <77 f.>; 121, 135 <151>).

III.

60

Für die Antragstellerin besteht ein Rechtsschutzbedürfnis.

61

1. Zwischen den Beteiligten sind Umfang und Grenzen des sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergebenden wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts (vgl. BVerfGE 90, 286 <390>; 108, 34 <42>; 121, 135 <152>) umstritten. Es herrscht Unklarheit darüber, unter welchen Voraussetzungen das Recht auf Beteiligung und die Pflicht zur Beteiligung des Deutschen Bundestages ausgelöst werden.

62

2. Für das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin ist es ohne Bedeutung, ob die Antragsgegnerin dem von ihr verlangten Handeln über eine längere Zeit hinweg nicht nachgekommen ist (fortdauerndes Unterlassen) oder ob die behauptete Verpflichtung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erfüllen war. Denn das Rechtsschutzbedürfnis im Organstreit entfällt grundsätzlich nicht deshalb, weil eine beanstandete Rechtsverletzung abgeschlossen ist (BVerfGE 1, 372 <379>; 41, 291 <303>; 121, 135 <152>; 131, 152 <193>). Ob besondere Umstände im Sinne eines "Fortsetzungsfeststellungsinteresses" erforderlich sind, damit über eine in der Vergangenheit liegende und abgeschlossene Rechtsverletzung entschieden werden kann, bedarf keiner Entscheidung; solche Umstände sind hier in Form eines objektiven Interesses an der weiteren Klärung der Reichweite des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts und in Form einer Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 131, 152 <193 f.>) gegeben. Die Antragsgegnerin hat ihre von der Antragstellerin gerügte Rechtsauffassung bereits vorprozessual vertreten und im Verfahren wiederholt, so dass ein gleichgerichtetes Vorgehen in zukünftigen vergleichbaren Situationen erwartet werden kann.

63

3. Die Antragstellerin hat, indem sie im Deutschen Bundestag am 24. März 2011 den Antrag der Fraktion DIE LINKE unterstützte, der auf die nachträgliche Einholung der Zustimmung des Bundestages für den Evakuierungseinsatz in Libyen gerichtet war, über die sie im Organstreit treffenden Obliegenheiten hinaus (vgl. BVerfGE 90, 286 <338 f.>; 104, 151 <198>; 129, 356 <374 f.>) Schritte unternommen, den Bundestag dazu zu veranlassen, seine Rechte geltend zu machen (vgl. BVerfGE 121, 135 <153>).

IV.

64

Die Antragsfrist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG ist gewahrt. Da der Evakuierungseinsatz in Nafurah am 26. Februar 2011 stattfand und die unterlassene Maßnahme in Form einer Beteiligung des Deutschen Bundestages gegebenenfalls nachträglich hätte erfolgen müssen, war die sechsmonatige Frist am 11. August 2011, als der Antrag beim Bundesverfassungsgericht einging, noch nicht abgelaufen.

C.

65

Der Antrag ist unbegründet. Die Antragsgegnerin hat das wehrverfassungsrechtliche Beteiligungsrecht des Deutschen Bundestages in Form des konstitutiven Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht dadurch verletzt, dass sie es unterließ, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich die Zustimmung des Bundestages einzuholen.

I.

66

Der konstitutive wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist nicht auf Einsätze bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit beschränkt, sondern gilt darüber hinaus allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher Soldaten im Ausland (1.). Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt nicht erst dann vor, wenn eine Unternehmung im Ausland unter Einbeziehung deutscher Soldaten einen kriegerischen oder kriegsähnlichen Charakter aufweist (2.). Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. Sie muss das Parlament in einem solchen Fall umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen (3.). Die Fragen, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen vorlag und ob Gefahr im Verzug gegeben war, sind verfassungsgerichtlich voll überprüfbar (4.). Ist ein von der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz bewaffneter Streitkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt nachträglicher Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen und eine parlamentarische Einflussnahme auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte deshalb nicht mehr möglich, muss die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unverzüglich und qualifiziert über die Grundlagen ihrer Einsatzentscheidung und den Verlauf des Einsatzes unterrichten (5.).

67

1. Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Gesamtzusammenhang wehrverfassungsrechtlicher Vorschriften und vor dem Hintergrund der deutschen Verfassungstradition seit 1918 dem Grundgesetz ein allgemeines Prinzip entnommen, nach dem jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven, grundsätzlich vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 ff.>; 100, 266 <269>; 104, 151 <208>; 108, 34 <43>; 121, 135 <154>; 126, 55 <69 f.>; stRspr). Die auf die Streitkräfte bezogenen Regelungen des Grundgesetzes sind darauf angelegt, die Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern sie als "Parlamentsheer" in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 f.>; 108, 34 <44>; 121, 135 <154>; 123, 267 <422>; 126, 55 <70>). Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt gilt allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte (a)) und ist parlamentsfreundlich auszulegen (vgl. BVerfGE 121, 135 <162>; b)).

68

a) Der unmittelbar kraft Verfassung geltende wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt (BVerfGE 90, 286 <390>; 121, 135 <156>) begründet ein wirksames Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der auswärtigen Gewalt. Die parlamentarische Zustimmung ist grundsätzlich vor Beginn eines Einsatzes einzuholen. Der Bundestag kann nicht ohne die Bundesregierung einen Streitkräfteeinsatz verfügen, weil der Parlamentsvorbehalt ein Zustimmungsvorbehalt ist, der keine Initiativbefugnis verleiht (vgl. BVerfGE 90, 286 <388 f.>; 121, 135 <154>).

69

Das Erfordernis parlamentarischer Mitwirkung gilt sowohl für bewaffnete Außeneinsätze deutscher Soldaten innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG, wie sie Gegenstand bisheriger Entscheidungen des Senats waren (vgl. BVerfGE 90, 286 <351 ff.>; 121, 135 <156 f.>), als auch allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte (vgl. BVerfGE 90, 286 <381>; 121, 135 <153>), unabhängig von dessen materiell-rechtlicher Grundlage (vgl. § 2 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG). Auch jeder unilaterale Auslandseinsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bedarf somit der grundsätzlich vorherigen parlamentarischen Zustimmung. Die Bundeswehr wäre kein Parlamentsheer, wenn aus dem Anwendungsbereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gerade die allein national verantworteten Streitkräfteeinsätze im Ausland ausgeklammert wären, denen kein Prozess konsensualer Willensbildung innerhalb eines Bündnissystems vorausgeht, in welches sich Deutschland bereits mit Zustimmung des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 90, 286 <351>; 104, 151 <194>; 118, 244 <258>) eingeordnet hat. Das gilt unabhängig von der in diesem Organstreit nicht zu klärenden Frage nach der Ermächtigungsgrundlage solcher Einsätze.

70

b) Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist angesichts seiner Funktion und Bedeutung parlamentsfreundlich auszulegen. Insbesondere kann das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts nicht unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der Exekutive maßgeblich von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht werden (vgl. BVerfGE 121, 135 <162 f.>). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Streitkräfteeinsatz innerhalb eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolgt oder national verantwortet wird. Denn der Entscheidungsverbund von Parlament und Regierung stellt hier wie dort keine Durchbrechung der alleinigen Verantwortlichkeit der Exekutive im auswärtigen Bereich dar; er ist vielmehr ein prägender Teil der grundgesetzlichen Gewaltenteilung. Soweit dem Grundgesetz eine Zuständigkeit des Deutschen Bundestages in Form eines wehrverfassungsrechtlichen Mitentscheidungsrechts entnommen werden kann, besteht kein eigenverantwortlicher Entscheidungsraum der Bundesregierung (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>).In diesem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, ob das Parlament sein Mitentscheidungsrecht - wie grundsätzlich geboten - vor dem Einsatz wahrnimmt oder ausnahmsweise erst nach dessen Beginn, weil die Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug die Einsatzentscheidung einstweilen allein getroffen hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>). Die Eilkompetenz verschafft der Bundesregierung nur das Recht zur Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, nicht aber die von der Antragsgegnerin angenommenen Auslegungsspielräume hinsichtlich der Frage, ob ein solcher Einsatz gegeben ist und damit ein Mitwirkungsrecht des Bundestages besteht (vgl. BVerfGE 121, 135 <168 f.>). Anderenfalls drohte aus der Ausnahmebefugnis (vgl. BVerfGE 121, 135 <154>) der Exekutive zur vorläufigen Alleinentscheidung in Gefahrensituationen systemwidrig eine regelhafte Befugnis zur endgültigen Alleinentscheidung zu werden.

71

2. Gegenstand der Parlamentsbeteiligung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" (BVerfGE 90, 286 <387 f.>; 121, 135 <154>). Es handelt sich dabei um einen verfassungsrechtlichen Begriff, dessen Konkretisierung von der völkerrechtlichen (vgl. BVerfGE 90, 286 <387>) oder verfassungsrechtlichen Grundlage des konkreten Einsatzes nicht unmittelbar abhängt und der auch nicht von einem im Rang unter der Verfassung stehenden Gesetz (vgl. § 2 ParlBG) verbindlich konkretisiert werden kann, wenn auch die gesetzliche Ausgestaltung des Instituts im Einzelfall Hinweise für seine verfassungsunmittelbare Reichweite zu geben vermag (vgl. BVerfGE 121, 135 <156>; a)). Mit dem Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" ist eine einheitliche rechtliche Schwelle parlamentarischer Zustimmungsbedürftigkeit definiert. Für eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle im Einzelfall ist insoweit kein Raum (b)).

72

a) Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte in diesem Sinne liegt vor, wenn deutsche Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>). Dafür kommt es nicht darauf an, ob bewaffnete Auseinandersetzungen sich bereits im Sinne eines Kampfgeschehens verwirklicht haben, sondern ob die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen qualifiziert zu erwarten ist (vgl. BVerfGE 121, 135 <164 f.>; aa)). Das Führen von Waffen im Ausland und die Ermächtigung zu ihrem Gebrauch können Anhaltspunkte für eine drohende Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen sein (bb)).

73

aa) Die qualifizierte Erwartung der Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen unterscheidet sich in zweifacher Hinsicht von der bloßen Möglichkeit, dass es zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen könnte:

74

(1) Zum einen bedarf es hinreichender greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass ein Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden kann. Hierfür muss aus den Umständen des Falles und der politischen Gesamtlage heraus eine konkrete militärische Gefahrenlage bestehen, die eine hinreichende sachliche Nähe zur Anwendung von Waffengewalt und damit zur Verwicklung deutscher Streitkräfte in eine bewaffnete Auseinandersetzung aufweist (BVerfGE 121, 135 <165>).

75

(2) Zum anderen ist eine besondere Nähe der Anwendung von Waffengewalt erforderlich; die Einbeziehung von Bundeswehrsoldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen muss unmittelbar zu erwarten sein. Steht die Anwendung von Waffengewalt zeitlich nahe bevor, begründet dies bereits für sich genommen die qualifizierte Erwartung der Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen; sie wird jedoch regelmäßig mit der Verdichtung tatsächlicher Umstände einhergehen, die auf kommende militärische Auseinandersetzungen hindeuten. Aber auch eine Betrachtung der Einsatzplanung und der Einsatzbefugnisse kann ergeben, dass eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich ist und praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf abhängt (vgl. BVerfGE 121, 135 <166>).

76

bb) Anhaltspunkte für die drohende Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen bestehen, wenn sie im Ausland Waffen mit sich führen und ermächtigt sind, von ihnen Gebrauch zu machen. Denn es kann dadurch je nach dem Verlauf des tatsächlichen Geschehens dazu kommen, dass die Bewaffnung in die Anwendung von Waffengewalt mündet. Solange es sich allerdings rechtlich nur um eine Ermächtigung zur Selbstverteidigung handelt und der Einsatz selbst einen nicht-militärischen Charakter hat, ist die Schwelle zur Zustimmungsbedürftigkeit nicht schon durch diese Ermächtigung erreicht (vgl. BVerfGE 121, 135 <167 f.>).

77

b) Der Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" als Ausdruck qualifizierter Erwartung einer Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen legt für alle Einsätze der Bundeswehr im Ausland, seien sie konsensual in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit oder national verantwortet, eine einheitliche Schwelle parlamentarischer Zustimmungsbedürftigkeit fest. Eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle ist im konkreten Einzelfall nicht zu überwinden (aa)). Auch Einsätze, die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind, können dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallen (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; 121, 135 <166>; bb)).

78

aa) Grundsätzlich unterliegt jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt ist in der Begründung zwar auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten (vgl. BVerfGE 108, 34 <42 f.> unter Verweis auf BVerfGE 90, 286 <383>), in seiner Funktion aber nicht auf eine parlamentarische Mitentscheidung bei kriegerischen oder kriegsähnlich ausgerichteten Außeneinsätzen beschränkt. Ein rechtlich erheblicher Einfluss des Bundestages auf die Verwendung der Streitkräfte muss nach den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen zur Organkompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt auch unterhalb dieser Schwelle gewährleistet sein, die sich überdies einer präzisen Bestimmung entzieht.

79

Unter den heutigen politischen Bedingungen, in denen Kriege in der Regel nicht mehr förmlich erklärt werden, steht eine sukzessive Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen dem offiziellen Kriegseintritt gleich (vgl. BVerfGE 108, 34 <43>). Jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte kann von der begrenzten Einzelaktion in eine größere und länger währende militärische Auseinandersetzung münden, bis hinein in einen umfänglichen Krieg (BVerfGE 121, 135 <161>). Gerade in politisch und militärisch instabilen Regionen bedarf es zudem häufig nur eines geringen Anlasses, um eine eskalierende Konfliktdynamik in Gang zu setzen. All dies trifft gleichermaßen auf national verantwortete bewaffnete Außeneinsätze der Bundeswehr zu, wie auf Einsätze innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit, anhand derer das Bundesverfassungsgericht die Tatbestandsvoraussetzungen eines "Einsatzes bewaffneter Streitkräfte" definiert hat (vgl. BVerfGE 121, 135 <161 ff.>).

80

Die verfassungsrechtlich gebotene Wahrnehmung konstitutiver parlamentarischer Verantwortung für jedweden bewaffneten Auslandseinsatz der Bundeswehr beginnt daher entgegen der von der Antragsgegnerin vertretenen Auffassung nicht erst dann, wenn ein von der Bundesregierung geplanter Einsatz von vornherein dem Leitbild eines Kriegseintritts entspricht. Ein Streitkräfteeinsatz muss - jenseits der qualifizierten Erwartung einer Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen - im Einzelfall daher keine bestimmte militärische Erheblichkeitsschwelle überschreiten oder einen auf offensive Gewaltanwendung angelegten Charakter aufweisen, um den Parlamentsvorbehalt auszulösen; humanitäre Zielsetzungen als solche suspendieren das Erfordernis parlamentarischer Zustimmung nicht.

81

bb) Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 festgestellt, dass bei Einsätzen bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von Resolutionen des Sicherheitsrates die vorherige Zustimmung des Bundestages unabhängig davon erforderlich ist, ob den Streitkräften Zwangsbefugnisse nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen (BGBl 1973 II S. 430) eingeräumt sind, weil die Grenzen zwischen den traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden sind und der Begriff der Selbstverteidigung, die schlichten Friedenstruppen erlaubt ist, bereits in einem aktiven Sinne dahin definiert wird, dass sie auch den Widerstand gegen gewaltsame Versuche einschließt, die Truppen an der Durchführung ihres Auftrags zu hindern (vgl. BVerfGE 90, 286 <387 f.>). Auch die Verwendung von Personal der Bundeswehr für bloße Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland kann der parlamentarischen Zustimmung bedürfen, sofern die Soldaten dabei in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <155>). Generell können auch Einsätze, die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind, dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallen (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; 121, 135 <166>).

82

Bei dem konstitutiven Parlamentsvorbehalt geht es um die grundgesetzlich vorgegebene Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung bei der Entscheidung über die Verwendung der Streitkräfte als Machtpotential, die dem Deutschen Bundestag unabhängig von der Bedeutung des Einsatzes einen insoweit rechtserheblichen Einfluss sichern soll (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 f.>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>). Dem einheitlich zu definierenden verfassungsrechtlichen Begriff eines zustimmungsbedürftigen "Einsatzes bewaffneter Streitkräfte" können deshalb qualitativ unterschiedliche Arten der Verwendung der Bundeswehr unterfallen. Es ist Sache des Gesetzgebers, Form und Ausmaß parlamentarischer Mitwirkung je nach Anlass und Rahmenbedingungen des Einsatzes näher auszugestalten (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; vgl. auch § 4 ParlBG).

83

3. Ohne vorherige parlamentarische Zustimmung ist ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte unter dem Grundgesetz grundsätzlich nicht zulässig. Die im Entscheidungsverbund mit der Bundesregierung dem Einsatz vorausgehende Beteiligung des Deutschen Bundestages schont die Kompetenzen beider Verfassungsorgane (a)). Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, vorläufig allein den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu beschließen, etwa damit die Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik durch den Parlamentsvorbehalt nicht in Frage gestellt wird (b)). Sie muss jedoch in einem solchen Fall den Deutschen Bundestag umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen (c)).

84

a) Besteht die aus den konkreten Umständen hinreichend belegbare Erwartung einer unmittelbaren Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen, ist die vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages schon deshalb erforderlich, weil nur so vermieden werden kann, dass das Parlament in eine Art Ratifikationslage gerät, die eine eigenverantwortliche Entscheidung erschwert. Die vorherige Beteiligung ist gegenüber einem späteren parlamentarischen Rückruf deutscher Soldaten (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>) auch zugleich die für die außenpolitische Handlungs- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland schonendere Alternative (vgl. BVerfGE 90, 286 <363 f., 388>; 108, 34 <44 f.>; 121, 135 <167>).

85

Bundesregierung und Bundestag trifft daher eine Verpflichtung, sicherzustellen, dass die Zustimmung des Parlaments in der Regel zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die materielle Entscheidung über eine Anwendung von Waffengewalt noch nicht getroffen ist und auch nicht vor dem Abschluss des Zustimmungsverfahrens getroffen wird (vgl. BVerfGE 121, 135 <167>).

86

b) Nur ausnahmsweise ist die Bundesregierung - bei Gefahr im Verzug - berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. Der Beschluss der Bundesregierung bedarf keiner Genehmigung durch den Deutschen Bundestag, sondern der Bundestag muss dem Einsatz umgehend zustimmen, damit dieser fortgesetzt werden darf (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>).

87

Im Fall von Gefahr im Verzug ist der Bundesregierung eine auf den Einzelfall bezogene Eilzuständigkeit zur Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte eröffnet. Obwohl die Wahrnehmung der exekutiven Eilkompetenz stets eine Beeinträchtigung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts darstellt, bedarf diese Anordnung keiner rückwirkenden rechtsgestaltenden Legitimierung durch den Bundestag. Die gebotene unverzügliche parlamentarische Befassung nach Beginn des Einsatzes (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) hat nicht die Wirkung einer Genehmigung mit der Folge, dass im Falle einer Versagung der parlamentarischen Zustimmung der Einsatz von Anfang an rechtswidrig wäre (vgl. Baldus, Schriftliche Stellungnahme [S. 37 f.], Sten. Prot. der 25. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 17. Juni 2004, S. 77 f.). Die Eilentscheidung der Bundesregierung entfaltet vielmehr die gleiche Rechtswirkung wie die unter regulären Umständen im Verbund mit dem Bundestag getroffene Einsatzentscheidung. Für eine konstitutive parlamentarische Zustimmung ist bei einem von der Exekutive im Eilfall beschlossenen und bereits begonnenen Einsatz daher nur ex nunc Raum. Durch die Verweigerung der Zustimmung wird die Bundesregierung verpflichtet, den Einsatz zu beenden und die Streitkräfte zurückzurufen. Die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland werden auf diese Weise gesichert, und zugleich wird dem Interesse der eingesetzten deutschen Soldaten Rechnung getragen, nur aufgrund einer rechtlich verlässlichen und nicht etwa schwebend unwirksamen Anordnung in einen bewaffneten Auslandseinsatz entsandt zu werden.

88

c) Durch die als Ausnahmebefugnis im Notfall konzipierte Eilkompetenz der Bundesregierung für die Einsatzentscheidung (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) werden das wehrverfassungsrechtliche Recht und die Pflicht zur parlamentarischen Verantwortungsübernahme nicht aufgegeben. Wie sich in der Verpflichtung der Bundesregierung zur umgehenden nachträglichen Befassung des Bundestages mit dem Einsatz (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) zeigt, soll die exekutive Eilkompetenz lediglich in einer kurzfristigen Ausnahmesituation die militärpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland sichern. Das Recht der Exekutive zur vorläufigen Alleinentscheidung bei Gefahr im Verzug steht daher nicht gleichrangig neben dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt. Als Durchbrechung des originären parlamentarischen Mitentscheidungsrechts ist es vielmehr eine diesem gegenüber subsidiäre Kompetenz der stets handlungsfähigen Bundesregierung, deren Sinn es nicht etwa ist, der Exekutive insoweit eigene verteidigungspolitische Gestaltungsspielräume zu eröffnen. Der nachträglichen Parlamentsbefassung muss deshalb eine vor dem Streitkräfteeinsatz beginnende und diesen begleitende Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung vorausgehen (vgl. § 5 Abs. 2 ParlBG).

89

4. Die Konzeption der Eilkompetenz hat zur Folge, dass die Bundesregierung selbst über die Voraussetzungen ihrer (vorläufigen) Alleinzuständigkeit zu entscheiden hat. Im Streitfall unterliegen jedoch nicht nur die Feststellung einer Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen der vollen verfassungsgerichtlichen Kontrolle (a)), sondern auch die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals "Gefahr im Verzug" (b)).

90

a) Die - der Frage nach der Eilkompetenz vorausgehende - Frage, ob bei einem Auslandseinsatz eine Einbeziehung deutscher Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Unternehmungen besteht, ist gerichtlich voll überprüfbar. Ein vom Bundesverfassungsgericht nicht oder nur eingeschränkt nachprüfbarer Einschätzungs- oder Prognosespielraum ist der Bundesregierung nicht eröffnet (vgl. BVerfGE 121, 135 <168 f.>).

91

b) Bei der Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals "Gefahr im Verzug" kommt der Bundesregierung ein solcher Einschätzungs- oder Prognosespielraum ebenfalls nicht zu. Allerdings verbleibt ihr ein Einschätzungsspielraum im Eilfall (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>) hinsichtlich der politischen und militärischen Zweckmäßigkeit des bewaffneten Streitkräfteeinsatzes.

92

aa) Das Tatbestandsmerkmal "Gefahr im Verzug" legt die Voraussetzungen einer Eilzuständigkeit der Bundesregierung für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte fest. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum. Die prognostischen Elemente des Gefahrbegriffs geben insoweit für eine andere Sichtweise nichts her. Sie sind nichts weiter als Elemente der Unbestimmtheit von Rechtsbegriffen und rechtfertigen - wie auch in anderen der Gefahrenabwehr dienenden Befugnisnormen - nicht schon von sich aus eine Kontrollbeschränkung der Gerichte (vgl. in Bezug auf Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 103, 142<157> m.w.N.).

93

Der Gesetzgeber kann zwar innerhalb der von der Verfassung gezogenen Grenzen Durchbrechungen des Grundsatzes vollständiger gerichtlicher Nachprüfung von Entscheidungen der Exekutive vorsehen (vgl. BVerfGE 129, 1 <21 ff.>). Der unmittelbar im Grundgesetz verankerte wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt räumt ihm jedoch einen derartigen Gestaltungsfreiraum bei der Regelung der Eilkompetenz der Bundesregierung nicht ein. Der Parlamentsvorbehalt garantiert dem Deutschen Bundestag grundsätzlich ein wirksames Mitentscheidungsrecht über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte, bevor das militärische Unternehmen beginnt und dann maßgeblich zu einer Frage militärischer Zweckmäßigkeit wird (vgl. BVerfGE 121, 135 <161>). Jeder einer richterlichen Kontrolle entzogene exekutive Spielraum bei der Feststellung von Gefahr im Verzug würde demgegenüber die Möglichkeiten einer Inanspruchnahme der Eilkompetenz erweitern und damit den konstitutiven parlamentarischen Zustimmungsvorbehalt über das unerlässliche Maß hinaus schwächen (vgl. BVerfGE 103, 142 <158>). Innerhalb eines wesentlichen Einsatzspektrums hätte allein und abschließend die Bundesregierung darüber zu befinden, ob der Deutsche Bundestag einem Streitkräfteeinsatz in rechtserheblicher Weise vor dessen Beginn zustimmen muss oder erst danach, wenn bereits geschaffene oder doch vorentschiedene Fakten den Entscheidungsraum zu einem Parlamentsnachvollzug verengen. Die durch den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt vorgegebene Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt lässt eine derartige Ermächtigung der Exekutive zur materiellen Entwertung der parlamentarischen Mitentscheidungskompetenz nicht zu (vgl. BVerfGE 121, 135 <167>). Die Rechte, die das Grundgesetz den einzelnen Verfassungsorganen verleiht, stehen weder zu ihrer eigenen Disposition noch zur Disposition des Gesetzgebers (vgl. E. Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, § 28 Rn. 990). Dieser ist hier vielmehr darauf beschränkt, die Voraussetzungen eines Gefahr im Verzug begründenden Notfalls und das dabei zu beobachtende Verfahren näher zu regeln (vgl. BVerfGE 90, 286 <388 ff.>). Dem entsprechen Wortlaut und Begründung von § 5 ParlBG (BTDrucks 15/2742, S. 5 f.), der die Eilkompetenz der Bundesregierung und das Verfahren nachträglicher parlamentarischer Mitwirkung bei Gefahr im Verzug regelt.

94

bb) Eine verfassungsgerichtliche Kontrolle des Merkmals "Gefahr im Verzug" stößt hier auch nicht an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 84, 34 <50>; 129, 1 <23>). Derartige Funktionsgrenzen sind namentlich für das politische Ermessen im Bereich der auswärtigen Gewalt (vgl. BVerfGE 40, 141 <178>; 55, 349 <364 f.>) sowie in verteidigungspolitischen Fragen (vgl. BVerfGE 68, 1 <97>) anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. August 2013 - 2 BvR 2660/06, 2 BvR 487/07 -, EuGRZ 2013, S. 563 <568>). Die tatsächliche und rechtliche Wertung der Bundesregierung bei der Annahme von Gefahr im Verzug ist jedoch keine politische Entscheidung, sondern eine anhand objektiver Kriterien überprüfbare Subsumtion eines Sachverhalts unter die tatbestandliche Voraussetzung einer Eilkompetenz (vgl. BVerfGE 45, 1 <39>), die der Bundesregierung erst den Raum für eine einstweilen alleinige (politische) Entscheidung über den bewaffneten Außeneinsatz der Bundeswehr erschließt. Für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung kommt es dabei auf die Sachlage an, wie sie sich der Bundesregierung zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung darstellt.

95

5. Ist ein von der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz bewaffneter Streitkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer nachträglichen Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen, kann der Deutsche Bundestag einen konstitutiven, rechtserheblichen Einfluss auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte (vgl. BVerfGE 89, 38 <46 f.>; 90, 286 <382>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>) nicht mehr ausüben (a)). In diesem Fall muss die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unverzüglich und qualifiziert über den Einsatz unterrichten (b)).

96

a) Der Senat hatte in seinen bisherigen Entscheidungen zum wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt die Frage, ob ein von der Bundesregierung zu Recht wegen Gefahr im Verzug angeordneter und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer Parlamentsbefassung bereits abgeschlossener Einsatz einer nachträglichen Beteiligung des Deutschen Bundestages bedarf, nicht zu beantworten. Die Bundesregierung muss zwar in jedem Fall das Parlament umgehend mit einem von ihr wegen Gefahr im Verzug beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte zurückrufen, wenn es der Bundestag verlangt (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>). Ob indes eine nachträgliche Parlamentsbefassung auch erforderlich ist, wenn die Möglichkeit zur parlamentarischen Rückholung der Streitkräfte nicht mehr besteht, war bisher nicht Gegenstand verfassungsgerichtlicher Verfahren.

97

aa) Die Auffassung des Gesetzgebers zu dieser Frage lässt sich aus dem Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht eindeutig entnehmen. In § 5 ParlBG ist bestimmt, dass nach exekutiver Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte wegen Gefahr im Verzug der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachzuholen und der Einsatz zu beenden ist, wenn der Bundestag den Antrag ablehnt (Abs. 3). Die Gesetzesbegründung spricht insoweit von einer "zwingende[n] Nachholung der Beteiligung des Parlaments" (vgl. BTDrucks 15/2742, S. 6), ohne darauf einzugehen, ob dies auch gelten soll, wenn der Einsatz zum Zeitpunkt unverzüglicher Parlamentsbefassung bereits beendet ist.

98

bb) Das wehrverfassungsrechtliche Schrifttum misst zwar überwiegend einem nachträglichen Parlamentsbeschluss bei abgeschlossenen Streitkräfteeinsätzen keine rechtserhebliche Wirkung bei, hält aber eine Befassung des Deutschen Bundestages aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gleichwohl für geboten (vgl. Dau, NZWehrr 1998, S. 89 <99>; Hans H. Klein, in: Festschrift für Walter Schmitt Glaeser, 2003, S. 245 <263>; Lutze, DÖV 2003, S. 972 <978>; Baldus, a.a.O., S. 78, Fn. 115; F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis, 2005, S. 280 f.; Sigloch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, 2006, S. 308; Tobias M. Wagner, Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2010, S. 149 f.; Payandeh, DVBl 2011, S. 1325 <1329 f.>).

99

cc) Die kompetenzielle Funktion des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, aufgrund derer dem Deutschen Bundestag eine grundlegende, konstitutive Mitentscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorbehalten und damit ein rechtserheblicher Einfluss auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte garantiert ist (vgl. BVerfGE 89, 38 <46 f.>; 90, 286 <382>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>), kann bei einem abgeschlossenen Einsatz jedoch nicht mehr zum Tragen kommen. Ist ein Einsatz beendet, ist für eine konstitutive Zustimmung des Bundestages, für eine Mitverantwortung und -entscheidung kein Raum mehr. Hat die Bundesregierung einen zeitlich eng begrenzten und vor einer möglichen Parlamentsbefassung abgeschlossenen Einsatz angeordnet, bedarf diese Entscheidung trotz der Subsidiarität der exekutiven Eilkompetenz zu ihrer Wirksamkeit oder Rechtmäßigkeit keiner nachträglichen Genehmigung durch den Bundestag (vgl. Rn. 87). Das Parlament kann bei einem abgeschlossenen Einsatz zudem weder die Fortdauer des Streitkräfteeinsatzes noch dessen Beendigung und die Rückholung der eingesetzten Soldaten beschließen. Der Bundestag ist auch nicht dazu berufen, über die Rechtmäßigkeit des exekutiven Handelns verbindlich zu urteilen; dies ist - auf Antrag - dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass einem nachträglichen parlamentarischen Beschluss keine Rechtserheblichkeit mehr zukommen kann (a.A. Wiefelspütz, Der Auslandseinsatz der Bundeswehr und das Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2. Aufl. 2012, S. 498).

100

Demgemäß verpflichtet der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt die Bundesregierung in einem derartigen Fall nicht, eine Entscheidung des Bundestages über den beendeten Einsatz herbeizuführen (vgl. Kreß, in ZaöRV 57 [1997], S. 329 <355>; Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, 2005, S. 287 ff.; Scherrer, Das Parlament und sein Heer, 2010, S. 288 ff.). Die Entscheidungskompetenz der Bundesregierung modifiziert insoweit das der Wehrverfassung zugrunde liegende Prinzip der konstitutiven parlamentarischen Mitentscheidung. Der konstitutive parlamentarische Zustimmungsvorbehalt ist als prägender Teil der grundgesetzlichen Gewaltenteilung (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>) durch seine kompetenzbegründende Funktion determiniert und verändert sich nicht, wenn der Bundestag aus tatsächlichen Gründen seine Kompetenz nicht ausüben kann.

101

b) Vielmehr ist es Aufgabe des Deutschen Bundestages selbst und seiner Untergliederungen, im Falle eines von der Exekutive wegen Gefahr im Verzug beschlossenen und vor einer möglichen Parlamentsbefassung beendeten Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, seine parlamentarischen Kontrollbefugnisse wahrzunehmen. Das parlamentarische Regierungssystem stellt ihm auch für diesen Fall geeignete Instrumente zur politischen Kontrolle der Bundesregierung zur Verfügung. Er kann sein Frage-, Antrags-, Debatten- und Entschließungsrecht ausüben und dadurch auf zukünftige Entscheidungen der Regierung einwirken oder durch die Wahl eines neuen Bundeskanzlers die Regierung stürzen, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 131, 152 <196>).

102

Um dem Deutschen Bundestag eine uneingeschränkte Kontrolle des Einsatzes der Streitkräfte zu ermöglichen, ist die Bundesregierung allerdings, als Ausfluss des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, verpflichtet, ihn unverzüglich und qualifiziert über den abgeschlossenen Streitkräfteeinsatz zu unterrichten.

103

aa) Gegenstand der Pflicht zu förmlicher Unterrichtung der Bundesregierung sind die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Einsatzentscheidung sowie Verlauf und Ergebnis des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte. Nur in Kenntnis der genannten, allein der Bundesregierung vorliegenden Informationen zu einem abgeschlossenen Auslandseinsatz der Bundeswehr ist der Bundestag in der Lage, diesen politisch zu bewerten und parlamentarische Kontrolle, auch mit Blick auf die im hier gegebenen Zusammenhang stets zu beantwortenden Kompetenzfragen, effektiv auszuüben.

104

bb) Die Unterrichtung des Bundestages muss in sachlicher Hinsicht umfassend sein und sich in ihrer Intensität an der militärischen und politischen Bedeutung des Streitkräfteeinsatzes orientieren. In zeitlicher Hinsicht ist der parlamentarische Informationsanspruch unverzüglich zu erfüllen, denn eine Kontrolle ist umso wirkungsvoller, je geringer der zeitliche Abstand zu dem zu kontrollierenden Handeln ist. Die Bundesregierung muss das Parlament darüber hinaus in einer zweckgerechten Weise unterrichten. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer, damit sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Informationen über den Streitkräfteeinsatz den Abgeordneten in klarer, vollständiger und reproduzierbarer Form zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 131, 152 <202 ff.>).

II.

105

Nach diesen Maßstäben war die am 26. Februar 2011 von Soldaten der Bundeswehr durchgeführte Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah in Libyen ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Sinne des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts. Die Antragsgegnerin war jedoch nicht verpflichtet, den Bundestag nachträglich um eine rechtlich unverbindliche politische Billigung des abgeschlossenen Einsatzes zu ersuchen. Die Frage einer Verletzung des parlamentarischen Anspruchs auf unverzügliche qualifizierte Unterrichtung über den abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nicht Gegenstand des hier zu entscheidenden Organstreits.

106

1. Die in nationaler Alleinverantwortung von Soldaten der Bundeswehr durchgeführte Evakuierung aus Nafurah ist tauglicher Gegenstand des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts. Dies gilt unabhängig davon, ob Evakuierungs- und Rettungsaktionen der Streitkräfte, wie im Schrifttum diskutiert wird (vgl. Wiefelspütz, a.a.O., S. 448 f.; Röben, ZaöRV 63 [2003], S. 585 <586, Fn. 4>), materiell-funktional als polizeiliche Unternehmen mit humanitärer Zielsetzung oder als im engeren Sinne "militärisch" zu charakterisieren sind. Derartige Differenzierungen hindern weder eine Subsumtion unter den verfassungsrechtlichen Begriff "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" noch die sich daraus notwendig ergebende Anwendung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts (vgl. Epping, in: BeckOK GG, Edition 25, Art. 87a Rn. 32.4; Baldus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Rn. 82).

107

2. Ein grundsätzlich nur auf der Grundlage einer konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages zulässiger Einsatz bewaffneter Streitkräfte lag vor, weil ungeachtet des tatsächlichen Ausbleibens von Kampfhandlungen die qualifizierte Erwartung bestand, dass deutsche Soldaten mit der Teilnahme an der Evakuierung aus Nafurah in bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen werden könnten.

108

a) Zum Zeitpunkt der Einsatzentscheidung bestanden hinreichende greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine drohende Verstrickung der eingesetzten deutschen Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung.

109

aa) Die Evakuierung aus Nafurah am 26. Februar 2011 war in zeitlich-örtlicher Hinsicht in einen kriegerischen Gesamtkontext eingebunden, der bei der Beantwortung der Frage, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen zu erwarten war, nicht außer Betracht bleiben kann.

110

In den Tagen vor der Evakuierung hatten sich die innenpolitischen bewaffneten Auseinandersetzungen in Libyen zu einem Bürgerkrieg ausgeweitet, der mit dem Zerfall der staatlichen Ordnung einherging. Die sich innerhalb kurzer Zeit rapide verschlechternde Sicherheitslage hatte auf deutscher Seite Anlass zu Vorbereitungen für die großangelegte militärische Operation "Pegasus" zur Evakuierung, Rettung und gegebenenfalls gewaltsamen Befreiung deutscher Staatsbürger aus ganz Libyen gegeben, welche am 26. Februar 2011 allerdings noch nicht abgeschlossen waren. Die von Kampfhandlungen besonders betroffenen ostlibyschen Landesteile waren an diesem Tag überwiegend bereits in der Hand der Regimegegner, darunter zahlreiche übergelaufene Streit- und Sicherungskräfte. Sie verfügten über schwere Waffen und Gefechtsfahrzeuge und kontrollierten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die im Raum Bengasi stationierten einsatzbereiten Luftabwehrsysteme mit einer Reichweite von 300 Kilometern. Auf ihrem Weg von Chania/Kreta nach Nafurah und zurück mussten die beiden für die Evakuierung eingesetzten deutschen Transportmaschinen - als Teil einer fremden Staatsmacht - jeweils diesen Flugabwehrgürtel durchfliegen. Eine etwaige konkludente Einwilligung regimetreuer staatlicher libyscher Stellen in die Evakuierungsmaßnahme und damit in die Nutzung des libyschen Luftraums hätte dabei keinerlei Sicherheit gewährleistet, denn sie wäre von den oppositionellen Kräften nicht als verbindlich erachtet worden. Die Antragsgegnerin konnte überdies trotz ihrer Kontakte zu libyschen Regierungsvertretern nicht von einer solchen Einwilligung ausgehen. Das Bundesministerium der Verteidigung wie auch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr waren im Vorfeld der Evakuierung in ihren jeweiligen Bedrohungsanalysen zu dem Ergebnis gekommen, dass die staatlichen Strukturen in Libyen vollkommen zusammengebrochen waren. Es gab somit keinen funktionsfähigen libyschen Staat mehr, dem etwaige Willenserklärungen staatlicher Verantwortungsträger hätten zugerechnet werden und der Garant für deren Einhaltung hätte gewesen sein können. Ein Angriff mittels Boden-Luft-Raketen auf die deutschen Militärmaschinen und damit eine zunächst passive Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen musste in einem Umfeld eskalierender Gewalttätigkeiten aufgrund dieser konkreten Umstände ernsthaft für möglich erachtet werden, auch wenn bis zum Beginn der Evakuierungsoperation kein ausländisches Flugzeug im libyschen Luftraum bedroht worden war. Das Bundesministerium der Verteidigung war daher von einer mittleren bis erheblichen Bedrohung an Land und in der Luft bei Operationen von deutschen Streitkräften in Libyen ausgegangen. Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr hatte - anders als bei den vorausgegangenen ungesicherten Luftabholungen aus Tripolis - wegen der Bedrohung durch Flugabwehrsysteme den Einsatz passiv geschützter Transall C-160 ESS für unabdingbar gehalten, was dazu führte, dass die als besonders eilbedürftig qualifizierte, ursprünglich bereits für den 25. Februar 2011 vorgesehene Evakuierung aus Nafurah auf den Folgetag verschoben wurde, um sie mit den geschützten Lufttransportmitteln durchführen zu können. Die darin zum Ausdruck kommende Gefahrenvorsorge spricht für eine nicht nur theoretische, sondern tatsächliche Gefahr eines militärischen Angriffs auf die beteiligten Luftfahrzeuge.

111

bb) Der Einsatz einer insgesamt zwanzig Soldaten umfassenden, bewaffneten Sicherungsgruppe neben den Besatzungen der Transportmaschinen spiegelt die Gefahrenlage am Boden wider, aufgrund derer die Anwendung militärischer Gewalt hätte erforderlich werden können. Die Lage in Nafurah war am 26. Februar 2011 zwar ruhig, umliegende Camps waren aber bereits von militärisch bewaffneten Banden angegriffen und ausgeplündert worden. Auf der Grundlage von Vereinbarungen mit den in Nafurah ansässigen deutschen Unternehmen hatten bewaffnete Mitglieder örtlicher Stämme deshalb den Schutz des dortigen Camps und der Landebahn übernehmen müssen. Auf dem Flugfeld ausgebrachte Pipelinerohre sollten die Landung von Flugzeugen der Bürgerkriegsparteien verhindern, von deren wirtschaftlichem Interesse an den Ölfeldern in der Region auszugehen war und deren Aggression sich durchaus auch gegen militärische Evakuierungsmaßnahmen anderer Staaten zu richten drohte, wie die Gefangennahme niederländischer Soldaten durch regimetreue Truppen in Sirte nur einen Tag später, am 27. Februar 2011, bestätigte. Nach der Räumung der Pipelinerohre hätten die Besatzungen der zur Evakuierung in Nafurah eingesetzten Militärmaschinen durch auf der Landebahn abgestellte Kraftfahrzeuge gewarnt werden sollen, falls sich die Lage in Nafurah kurzfristig verschlechtert hätte.

112

Nicht allein Gründe der allgemeinen Vorsicht und Vorsorge, sondern die Verhältnisse am Boden, die situativ jederzeit in Richtung eines Angriffs oder Überfalls auf das Camp hätten wechseln können, gaben daher konkreten Anlass, zum Zwecke der Evakuierung nicht nur - wie am 22. und 23. Februar in Tripolis - die Organisationsstruktur der Bundeswehr in Anspruch zu nehmen, sondern auch deren spezifisches Droh- und Gewaltpotential. Mit insgesamt 12 Fallschirmjägern stellten die Mitglieder einer auf Rettungs-, Evakuierungs- und Schutzoperationen sowie Einsätze gegen irreguläre Kräfte spezialisierten Kampftruppe der Bundeswehr den Hauptteil der zusätzlich zu den nur mit Pistolen ausgerüsteten Besatzungen der Transall C-160 ESS eingesetzten Sicherungsgruppe, die mit ihren Gewehren G3 und G36 sowie zwei Maschinengewehren MG3 über Kriegswaffen verfügte. Die Soldaten kamen vorzeitig zum Einsatz, denn die Evakuierung aus Nafurah erschien derart dringlich, dass eine nochmalige Verschiebung auf den Folgetag, bis zur Einsatzbereitschaft des Einsatzverbandes "Pegasus" am 27. Februar 2011, nicht in Betracht gezogen wurde.

113

Die Einsatzbefugnisse der Fallschirmjäger waren korrespondierend damit bereits auf eine mögliche Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung ausgerichtet. Es war deren Aufgabe, sowohl die Lufttransportmittel nach der Landung oder einer eventuellen Notlandung wie auch die zu Evakuierenden beim Anbordgehen zu sichern. Die Waffen wurden gerade auch dazu mitgeführt, den Operationszweck abzusichern. Nach Auftrag und Bewaffnung waren die Soldaten nicht auf eine Selbstverteidigung im engeren, nur die eigene Verteidigung betreffenden Sinn beschränkt. Sie hatten vielmehr die Befugnis und die Pflicht, Leib und Leben gefährdende Angriffe gegen die zu Evakuierenden sowie Angriffe gegen die Transportmaschinen mit militärischer Gewalt abzuwehren. Auch wenn der Evakuierungseinsatz mit dem Ziel angeordnet wurde, eine bewaffnete Auseinandersetzung zu vermeiden, war die Verpflichtung zu einer solch erweiterten Selbstverteidigung angesichts der nicht nur abstrakten militärischen Gefahrenlage vom Recht auf Überwindung gewaltsamen Widerstands gegen die Evakuierung mit militärischen Mitteln nicht schlüssig zu trennen. Beides war zudem durch die für die Soldaten geltende Verhaltensanweisung für die Anwendung militärischer Gewalt gedeckt, die Maßnahmen militärischer Gewalt bis hin zur Durchsetzung einer Evakuierung gestattete.

114

Derartige aufgrund der Gesamtlage konkret drohende gewaltsame Maßnahmen der eingesetzten deutschen Soldaten gegen militärisch bewaffnete Angreifer während der von libyschen Stellen nicht sicher genehmigten Evakuierungsoperation hätten angesichts ihres ungewissen Ausgangs und der unüberschaubaren gruppenspezifischen Loyalitäten in dem durch Bürgerkrieg destabilisierten Land ein nicht unerhebliches militärisches Eskalations- oder doch Verstrickungspotential geborgen, auch im Hinblick auf den ab dem 27. Februar 2011 vor der Küste Libyens und auf Kreta einsatzbereiten Einsatzverband "Pegasus" mit seinem Kräfteaufgebot von rund 1000 Soldatinnen und Soldaten.

115

b) Darüber hinaus war zum Zeitpunkt der Einsatzentscheidung der Exekutive von einer besonderen Nähe zur Anwendung von Waffengewalt auszugehen.

116

Mit dieser Entscheidung waren die Weichen hinsichtlich der aufgrund greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte für möglich erachteten Anwendung bewaffneter Gewalt gegen und durch deutsche Soldaten bereits gestellt. Zwar bestand Unsicherheit darüber, ob tatsächlich mit einem Angriff auf die Transportmaschinen im libyschen Luftraum zu rechnen war und ob militärische Reaktionen der eingesetzten Soldaten am Boden erforderlich werden würden. Auch wäre ein Abbruch der Evakuierungsoperation vor Einflug in den libyschen Luftraum im Falle auffälliger Radaraktivitäten der dortigen, in ihrer konkreten Dislozierung im Raum nicht bekannten Flugabwehrstellungen möglich gewesen und hätten die Transall C-160 ESS vor der Landung in Nafurah abdrehen können, falls zur Warnung der Flugzeugbesatzung Kraftfahrzeuge auf der Landebahn abgestellt worden wären. Nach dem Eindringen in den libyschen Luftraum und auf libysches Territorium hing jedoch die Einbeziehung deutscher Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung im Wesentlichen nur noch davon ab, ob und wann militärisch bewaffnete libysche Akteure in dem bürgerkriegsbefangenen Land die zu Evakuierenden oder die deutschen Lufttransportmittel angreifen würden. Ein solcher Angriff hätte, entsprechend den Einsatzbefugnissen der Sicherungsgruppe, unmittelbare Abwehrmaßnahmen ausgelöst, ohne dass die Bundesregierung hierauf noch hätte Einfluss nehmen können.

117

3. Zwischen den Beteiligten ist nicht im Streit, dass die Antragsgegnerin aufgrund von Gefahr im Verzug berechtigt war, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Nafurah am 26. Februar 2011 ohne vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestages zu beschließen.

118

4. Wenn ein rechtserheblicher parlamentarischer Einfluss auf den konkreten Einsatz der Streitkräfte aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich ist, ergibt sich aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt keine Pflicht der Bundesregierung, eine Beschlussfassung des Bundestages herbeizuführen. Zu einer nachträglichen Befassung des Deutschen Bundestages mit dem noch am 26. Februar 2011 abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte war die Antragsgegnerin deshalb nicht verpflichtet.

119

5. Eine Verletzung des aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt abzuleitenden parlamentarischen Anspruchs, von der Bundesregierung über von ihr wegen Gefahr im Verzug angeordnete und bereits abgeschlossene Einsätze bewaffneter Streitkräfte unverzüglich und qualifiziert unterrichtet zu werden, hat die Antragstellerin nicht zum Gegenstand des Organstreits gemacht.

120

Zwar kann grundsätzlich ein Antrag auf Feststellung einer Kompetenzverletzung zugleich den weniger weitgehenden Antrag auf Feststellung der Verletzung eines damit in Zusammenhang stehenden Anspruchs auf Unterrichtung enthalten (vgl. BVerfGE 1, 14 <39>; 7, 99 <105 f.>; 68, 1 <68>). Die Antragstellerin hat jedoch weder in ihrem verfahrenseinleitenden Antrag noch in dessen Begründung einen Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Unterrichtungspflicht ausdrücklich geltend gemacht. Auch der im Wege der Auslegung zu ermittelnde eigentliche Sinn des mit dem Antrag verfolgten prozessualen Begehrens (vgl. BVerfGE 68, 1 <68>) gibt keinen Anlass, von einem entsprechenden subsidiären Rechtsschutzziel der Antragstellerin auszugehen.

121

a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bundesminister des Auswärtigen die Vorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen im Auftrag der Bundesregierung nach der Beendigung der Evakuierung aus Nafurah noch am Abend des 26. Februar 2011 über deren Verlauf und Abschluss telefonisch informiert hatte. Die Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Obleute des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages waren - jeweils schriftlich - mit Datum vom 26. Februar 2011 vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr und mit Datum vom 4. März 2011 vom Staatssekretär im Auswärtigen Amt über den Einsatz unterrichtet worden. Die Obleute der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, dessen Vorsitzenden und seinen Stellvertreter hatte der Staatssekretär am 27. Februar 2011 auch telefonisch informiert. Er und der Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung hatten darüber hinaus in der Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages am 16. März 2011 für die Bundesregierung Bericht zu dem Evakuierungseinsatz erstattet.

122

Am 4. April 2011 war die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen" von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion selbst als Bundestagsdrucksache an die Mitglieder des Deutschen Bundestages verteilt worden (BTDrucks 17/5359). Darin äußerte sich die Bundesregierung insbesondere zu den tatsächlichen und rechtlichen Hintergründen und dem Verlauf der Evakuierung aus Nafurah.

123

Die Antwort der Bundesregierung auf die am 10. Juni 2011 gestellte Kleine Anfrage von Abgeordneten der Antragstellerin und der Antragstellerin selbst zum "Evakuierungseinsatz ,Pegasus' der Bundeswehr in Libyen" erhielten die Mitglieder des Deutschen Bundestages am 11. Juli 2011 (BTDrucks 17/6564). Weitere Einzelheiten zur Wahl der militärischen Mittel, zur Bewaffnung der eingesetzten Soldaten sowie zu den militärischen Planungen und Abläufen bildeten den Schwerpunkt der von der Bundesregierung erteilten Auskünfte.

124

b) Die Antragstellerin hat diese zwar umfängliche, aber sukzessive, zunächst auf Funktionsträger und Mitglieder bestimmter Ausschüsse beschränkte, zum Teil erst auf Befragung erfolgte Unterrichtung des Deutschen Bundestages über die Evakuierung aus Nafurah vorprozessual nicht gerügt. Eine - im Sinne der hier entwickelten Anforderungen - weitergehende Unterrichtungspflicht hat sie gegenüber der Antragsgegnerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht geltend gemacht und dieser damit keine Veranlassung gegeben, derartige Rechte des Parlaments zu prüfen und ihnen gegebenenfalls zu entsprechen (vgl. BVerfGE 129, 356 <374 f.>). Vielmehr hat die Antragstellerin, auch dies erst einige Monate nach dem Evakuierungseinsatz, mit der Kleinen Anfrage vom 10. Juni 2011 eine ihr zur Verfügung stehende politisch-parlamentarische Handlungsmöglichkeit ergriffen und konkrete zusätzliche Informationen von der Bundesregierung erbeten. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sie mit der Antwort der Bundesregierung vom 11. Juli 2011 und der vorhergehenden Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen" vom 4. April 2011 (BTDrucks 17/5359) den Anspruch des Bundestages auf Unterrichtung nicht als hinreichend erfüllt ansah. Der verfahrenseinleitende Antrag ist angesichts dessen keiner Auslegung dahingehend zugänglich, die Antragstellerin beanstande auch die Verletzung des parlamentarischen Rechts auf unverzügliche und qualifizierte Unterrichtung über einen abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte.

D.

125

Besondere Billigkeitsgründe, die die Anordnung einer Auslagenerstattung nach § 34a Abs. 3 BVerfGG ausnahmsweise angezeigt erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 96, 66 <67>), liegen nicht vor.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

(1a) Der Bundestag und der Bundesrat haben das Recht, wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage zu erheben. Der Bundestag ist hierzu auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet. Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für die Wahrnehmung der Rechte, die dem Bundestag und dem Bundesrat in den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eingeräumt sind, Ausnahmen von Artikel 42 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 52 Abs. 3 Satz 1 zugelassen werden.

(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich.

(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.

(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

(1) Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Der Bundespräsident muß dem Ersuchen entsprechen und den Gewählten ernennen.

(2) Zwischen dem Antrage und der Wahl müssen achtundvierzig Stunden liegen.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

Der Reingewinn ist in nachstehender Reihenfolge zu verwenden:

1.
zwanzig vom Hundert des Gewinns, jedoch mindestens zweihundertfünfzig Millionen Euro, sind einer gesetzlichen Rücklage, soweit sie den Betrag von 2,5 Milliarden Euro unterschreitet, bis zu ihrer Auffüllung zuzuführen; die gesetzliche Rücklage darf nur zum Ausgleich von Wertminderungen und zur Deckung anderer Verluste verwendet werden;
2.
der Restbetrag ist an den Bund abzuführen.

Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.

Die Deutsche Bundesbank ist eine bundesunmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechts. Ihr Grundkapital im Betrage von 2,5 Milliarden Euro steht dem Bund zu. Die Bank hat ihren Sitz in Frankfurt am Main.

Tatbestand

1

Die Klägerin, ein Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitut sowie Wertpapierhandelsunternehmen, unterliegt der Aufsicht der beklagten Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bundesanstalt). Sie wendet sich gegen die Festsetzung von Umlagevorauszahlungen für das Jahr 2009, soweit damit Ansprüche Dritter gegen die Bundesanstalt aus Amtspflichtverletzung finanziert werden.

2

Die Beklagte wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juli 2006 gegenüber einem früheren Vorstandsmitglied eines Kreditinstituts als schadensersatzpflichtig erachtet. Zuvor hatte das Verwaltungsgericht Berlin mit rechtskräftigem Urteil vom 18. September 2001 das Verlangen des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen - Rechtsvorgängerin der Beklagten -, das Vorstandsmitglied abzuberufen, als rechtswidrig angesehen. Zur Deckung des voraussichtlich zu leistenden Schadensersatzes stellte die Beklagte in den Haushaltsplan 2009 unter dem Titel "Gerichts- und ähnliche Kosten" einen im Vergleich zum Haushaltsansatz des Vorjahres um 2,2 Mio. € höheren Betrag von insgesamt 2,45 Mio. € ein.

3

Mit drei Bescheiden der Beklagten vom 12. bzw. 17. Dezember 2008 wurde die Klägerin zu Umlagevorauszahlungen für das Jahr 2009 im Aufsichtsbereich Wertpapierhandel in Höhe von 929 063 €, für den Bereich Kredit-, Finanzdienstleistungs- und inländisches Investmentwesen in Höhe von 95 605 € und für den Bereich Wertpapierhandel "Emittenten" in Höhe von 2 342 € herangezogen.

4

Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin gegen die Vorauszahlungsbescheide Klagen erhoben, die sich ausschließlich gegen die anteilige Umlage bezüglich der Kosten aus Amtshaftungsansprüchen richten. Sie ist der Auffassung, dass § 16 Abs. 1 Satz 1 FinDAG eindeutig gegen die Einbeziehung von Amtshaftungsaufwand in die Kostenumlage der Bundesanstalt spreche. Außerdem treffe sie keine Finanzierungsverantwortung für die Folgen amtspflichtwidrigen Verhaltens.

5

Mit Urteilen vom 30. September 2010 wies das Verwaltungsgericht die Klagen ab. Die Vorauszahlungsbescheide seien im angefochtenen Umfang rechtmäßig. Die Bundesanstalt dürfe Kosten, die nicht durch Gebühren, gesonderte Erstattungen oder sonstige Einnahmen gedeckt seien, anteilig auf die beaufsichtigten Institute umlegen. Die Umlage sei vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß angesehen worden. Sie wahre die finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen an Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion, indem sie der Finanzierung der Aufsicht über die abgabepflichtigen Unternehmen und damit einem über die bloße Mittelbeschaffung hinausgehenden Zweck diene. Sie ermögliche die Bewältigung von Risiken, die von einem unreglementierten Tätigwerden von Finanzinstituten ausgingen, und stärke das Vertrauen der Anleger in die Solidität und Lauterkeit dieser Unternehmen, also in einen funktionsfähigen Finanzmarkt. Die beaufsichtigten Unternehmen stellten eine homogene, von der Allgemeinheit hinreichend abgrenzbare Gruppe dar, die besondere Verantwortung für den Finanzmarkt trage. Die Gesetzesbegründung belege, dass sich die Bundesanstalt selbst finanzieren solle. Dies verlange grundsätzlich eine vollständige Tragung aller Kosten durch Gebühren sowie durch die Umlage und verbiete einen Rückgriff auf allgemeine Haushaltsmittel. Es sei deshalb nicht zu beanstanden, wenn insofern auch Aufwendungen für Amtshaftungsansprüche umgelegt würden. Nicht auszuschließen sei, dass bei der Aufgabenerledigung im Einzelfall eine rechtswidrige Entscheidung getroffen werde, weshalb die Klägerin mit dem Einwand, Amtshaftungsforderungen auslösende Tätigkeiten der Beklagten lägen außerhalb ihres Aufgabengebiets, nicht durchdringe. Die Möglichkeit von Fehlentscheidungen sei jedem Geschäft immanent. Zu ihnen könne es insbesondere bei rechtlich schwierigen und komplexen Sachverhalten kommen. Die vom Oberlandesgericht festgestellte Amtspflichtverletzung lasse auf eine leichte Fahrlässigkeit schließen. Gröbliche Schuldvorwürfe lägen dem nicht zugrunde, so dass die Einbeziehung der Amtshaftungsforderung in keiner Weise unangemessen oder unverhältnismäßig erscheine. Wie vorsätzliches Fehlverhalten oder gar kriminell-betrügerische Vorgänge zu beurteilen wären, habe das Gericht nicht zu entscheiden. Die Höhe der veranschlagten Forderung von 2,2 Mio. € habe mit einem Ausmaß von etwa 2 % des gesamten Umlagevolumens keine erdrosselnde oder die Existenz einzelner Institute gefährdende Wirkung.

6

Mit ihren Sprungrevisionen rügt die Klägerin eine fehlerhafte Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Finanzdienstleistungsgesetzes und der dazu ergangenen Kostenverordnung. Die Beklagte könne nur den Aufwand auf die beaufsichtigten Unternehmen und Institute umlegen, der zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich sei. Hierfür sprächen der Gesetzeswortlaut, die Historie des Gesetzes und seine Systematik. Rechtswidriges Aufsichtshandeln sei aber keinesfalls erforderlich. Ersatzpflichten hierfür zählten deshalb ihrer Art nach nicht zu den umlagefähigen Kosten. Darüber hinaus verbiete Art. 34 Satz 1 GG eine Auslagerung von Amtshaftungslasten aus dem Staatshaushalt. Die Umlage stelle bezüglich des Amtshaftungsaufwandes eine Sonderabgabe dar, die nicht gerechtfertigt sei, weil die Klägerin für das rechtswidrige Aufsichtshandeln nicht verantwortlich sei. Es fehle am erforderlichen Verursachungszusammenhang. Im Übrigen werde die Umlage auch nicht gruppennützig verwendet.

7

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 30. September 2010 zu ändern und die Bescheide der Beklagten vom 12. Dezember 2008 und 17. Dezember 2008 sowie deren Widerspruchsbescheide vom 26. und 31. März 2010 dahin zu ändern, dass die jeweils festgesetzten Vorauszahlungsbeträge jeweils durch von der Beklagten unter Ausschluss von Ausgaben für Amtshaftungsansprüche neu zu berechnende Beträge ersetzt werden

und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren jeweils für notwendig zu erklären.

8

Die Beklagte beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

9

Sie verteidigt die angegriffenen Urteile.

10

Der Senat hat die drei Revisionsverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Entscheidungsgründe

11

Die Revisionen der Klägerin haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen.

12

1. Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die drei Vorauszahlungsbescheide sind das Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz - FinDAG) vom 22. April 2002 (BGBl I S. 1310) und die dazu ergangene Verordnung über die Erhebung von Gebühren und die Umlegung von Kosten nach dem Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (Finanzdienstleistungskostenverordnung - FinDAGKostV) vom 29. April 2002 (BGBl I S. 1504, 1847), jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (Geldwäschebekämpfungsergänzungsgesetz - GwBekErgG) vom 13. August 2008 (BGBl I S. 1690). Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 FinDAG deckt die Bundesanstalt ihre Kosten grundsätzlich aus eigenen Einnahmen nach Maßgabe der §§ 14 bis 16. Soweit die Kosten nicht durch Gebühren nach § 14, gesonderte Erstattung nach § 15 oder sonstige Einnahmen gedeckt werden, sind sie gemäß § 16 Abs. 1 FinDAG einschließlich der Fehlbeträge und der nicht eingegangenen Beträge des Vorjahres anteilig auf die in der Vorschrift näher bezeichneten beaufsichtigten Institute und Unternehmen nach Maßgabe eines geeigneten Verteilungsschlüssels umzulegen. Diesen Verteilungsschlüssel legen §§ 5 und 6 FinDAGKostV fest. § 11 FinDAGKostV regelt das Umlageverfahren und erlaubt die Erhebung von Vorauszahlungen auf die Umlagebeträge des nächstfolgenden Jahres, sobald die für dieses Umlagejahr zu berücksichtigenden Veränderungen der Kosten nach dem Haushaltsplan absehbar sind.

13

Zu den Kosten, die hiernach im Wege der Umlage finanziert werden dürfen, rechnen auch Aufwendungen der Beklagten zur Erfüllung von Schadensersatzansprüchen, die Dritten gegen die Beklagte aus Amtspflichtverletzungen zustehen. Der Kostenbegriff der §§ 13 und 16 FinDAG ist umfassend. Dementsprechend bezeichnet § 5 Satz 1 FinDAGKostV als Kosten im Sinne des § 16 FinDAG "die Ausgaben eines Haushaltsjahres". Dazu gehören sowohl institutionelle wie operative Kosten. Zu letzteren zählt sämtlicher Aufwand, der der Bundesanstalt durch die Wahrnehmung ihrer Aufgaben entsteht. Verletzt die Beklagte bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben Rechte Dritter und führt dies dazu, dass sie diesen Dritten zum Schadensersatz verpflichtet ist, so sind auch derartige Ersatzpflichten durch die Aufgabenwahrnehmung verursacht und damit Kosten der Beklagten.

14

Die Klägerin möchte den Kostenbegriff der §§ 13 und 16 FinDAG enger fassen, indem sie ihn auf denjenigen Aufwand reduziert, der zur Aufgabenwahrnehmung "erforderlich" ist. Sie verbindet dies mit der weiteren These, dass rechtswidriges Handeln zur Aufgabenwahrnehmung von vornherein nicht erforderlich sein könne; Aufwendungen zur Erfüllung von Schadensersatzpflichten stellten deshalb eine besondere Kostenart dar, die außerhalb des Finanzierungskonzepts der §§ 13 ff. FinDAG stünde. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Eine solche Auslegung lässt sich weder aus dem systematischen Zusammenhang der einschlägigen Vorschriften des Gesetzes noch aus ihrer Entstehungsgeschichte herleiten; die erklärte Absicht des Gesetzgebers spricht deutlich dagegen.

15

In systematischer Hinsicht verweist die Klägerin darauf, dass § 16 Abs. 1 FinDAG eine anteilige Umlage der Kosten nach Maßgabe eines geeigneten Verteilungsschlüssels auf die jeweiligen Aufsichtsbereiche vorsieht, der in §§ 5 und 6 FinDAGKostV näher bestimmt ist. Hieraus folgt jedoch nicht, dass Ausgaben für Zahlungen aus Amtspflichtverletzungen generell nicht auf die beaufsichtigten Unternehmen abgewälzt werden dürften. Die Klägerin zieht diesen Schluss, weil nur die Kosten, die einem der genannten Aufsichtsbereiche zugeordnet werden könnten, umlagefähig seien, Amtshaftungslasten diese Voraussetzung jedoch nicht erfüllten. Beides ist nicht richtig. Es trifft schon nicht zu, dass sich Amtshaftungslasten ihrer Art nach keinem Aufsichtsbereich zuordnen ließen; entstehen Ersatzpflichten aus einer - wenn auch rechtswidrigen - Aufsichtsführung gegenüber bestimmten Unternehmen, so lassen sie sich zwanglos dessen jeweiligem Aufsichtsbereich zuordnen. Ebenso wenig ist richtig, dass Kosten, die sich keinem Aufsichtsbereich zuordnen lassen, allein deshalb aus der Umlagefähigkeit herausfielen. Es handelt sich dann um Gemeinkosten, die nach § 5 Satz 4, § 6 Abs. 1 Satz 1 und 4 FinDAGKostV ebenfalls umlagefähig sind.

16

Unergiebig ist auch der Hinweis der Klägerin auf § 1 Abs. 3 und § 4 Abs. 4 FinDAG. Aus diesen Vorschriften lässt sich nicht schließen, der Gesetzgeber habe Amtshaftungslasten der Beklagten nicht bedacht oder gar für ausgeschlossen gehalten. Das Gegenteil ist richtig. Nach § 4 Abs. 4 FinDAG nimmt die Beklagte ihre Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr. Damit wollte der Gesetzgeber Amtshaftungsansprüche von Anlegern und Kunden der beaufsichtigten Institute ausschließen, keinesfalls aber Amtshaftungsansprüche der beaufsichtigten Institute oder von deren Mitarbeitern. Amtshaftungsansprüche wegen fehlerhafter Aufgabenwahrnehmung sind damit nicht ausgeschlossen (BGH, Urteile vom 20. Januar 2005 - III ZR 48/01 - BGHZ 162, 49 und vom 2. Juni 2005 - III ZR 365/03 - DVBl 2006, 114 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2004 - Rs. C-222/02, Paul u.a. - Slg. 2004, I-9460 Rn. 46 f.). Dass § 1 Abs. 3 Satz 1 FinDAG den allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten bestimmt, ohne den besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO zu erwähnen, lässt ebenfalls nicht darauf schließen, dass der Gesetzgeber Amtshaftungsklagen und damit Amtshaftungslasten hätte ausklammern wollen (vgl. Urteil vom 29. April 1993 - BVerwG 7 A 3.92 - BVerwGE 92, 263 <265> = Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 196).

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Auch aus der Regelungsgeschichte kann die Klägerin nichts für sich herleiten. § 16 FinDAG hat im Grundsatz die zuvor geltenden Regelungen übernommen. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass die umlagepflichtigen Unternehmen nunmehr die Kosten der Aufsicht - soweit diese nicht durch Gebühren und Erstattungen gedeckt sind - vollständig tragen und der Staatshaushalt nicht mehr belastet wird. Im Gegensatz dazu sahen die Vorgängerbestimmungen für die früheren Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen (§ 51 Abs. 1 und 4 KWG), für das Versicherungswesen (§ 101 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 VAG in der bis zum 1. Juni 2007 geltenden Fassung) und für den Wertpapierhandel (§ 11 Abs. 1 Satz 1 WphG in der bis zum 30. April 2002 geltenden Fassung) nur eine Kostendeckung aus der Umlage in Höhe von 90 % vor. Daraus lässt sich nicht schließen, dass nach dem alten Recht etwaige Amtshaftungslasten stets auf den zehnprozentigen "Staatsanteil" zu verbuchen gewesen wären und dass das neue Recht an dieser "Umlagefreiheit" solcher Amtshaftungslasten nichts habe ändern wollen. Allein aus einer Aufteilung der zu deckenden Kosten zwischen einem Umlage- und einem Steueranteil lässt sich nicht schließen, welche Kostenpositionen welchem Anteil zugedacht sein sollen. Anderes ließe sich allenfalls dann annehmen, wenn der eine von mehreren Anteilen nach seiner Größe gerade mit Blick auf bestimmte Kostenpositionen bemessen worden wäre. Dafür fehlt aber jeglicher Anhaltspunkt.

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Gerade die erwähnte Erhöhung der Umlage von 90 % auf 100 % der nicht anderweit gedeckten Kosten spricht gegen die Ansicht der Klägerin, der Kostenbegriff der §§ 13 und 16 FinDAG spare Amtshaftungslasten aus. Diese Ansicht hätte zur Konsequenz, dass die Beklagte derartige Kosten nur aus dem Bundeshaushalt refinanzieren könnte. Gerade dies wollte der Gesetzgeber aber ausdrücklich ausschließen. Ziel des Gesetzes über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht vom 22. April 2002 (BGBl I S. 1310), dessen Kernstück das Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist, war es, in Deutschland eine neue staatliche Aufsicht über Banken, Versicherungsunternehmen und Finanzdienstleistungsinstitute zu schaffen, die sektorenübergreifend den gesamten Finanzmarkt umfasst. Es galt, die Effizienz der Aufsicht zu stärken und das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Aufsicht insgesamt zu verbessern. Die Finanzierung der neuen Bundesanstalt sollte auch aus diesem Grunde - im Gegensatz zur früheren Rechtslage - vollständig durch die Umlage der Kosten auf die beaufsichtigten Unternehmen erfolgen (BTDrucks 14/7033 S. 37, 14/7088 S. 2). Damit wird deutlich, dass der Gesetzgeber dem Kostenbegriff der §§ 13 und 16 FinDAG keine begrenzende Funktion beigemessen hat.

19

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Gesetzgeber später, nämlich durch das Gesetz vom 15. Dezember 2004 (BGBl I S. 3416) in § 16 FinDAG neben die Gebühren, gesonderten Erstattungen und die Umlage als weitere Einnahmequelle der Beklagten "sonstige Einnahmen" gestellt hat. Damit sollten lediglich bislang vernachlässigte Nebeneinnahmen aus Zwangsgeldern, Zinsen und ähnliches erfasst werden (BTDrucks 15/3976 S. 36). Auf einen Willen des Gesetzgebers, den Grundsatz der vollständigen Eigenfinanzierung der Beklagten ohne Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt aufzugeben, lässt das nicht schließen.

20

2. Die Klägerin meint, die Erwähnung "sonstiger Einnahmen" in § 16 FinDAG erlaube doch immerhin eine Auslegung des Gesetzes dahin, dass Amtshaftungslasten aus dem Bundeshaushalt zu refinanzieren seien, wenn dies durch Verfassungsrecht geboten sei. Ob dem gefolgt werden könnte, mag offen bleiben. Verfassungsrecht steht einer Einbeziehung von Amtshaftungslasten in die Umlage nicht entgegen.

21

a) Entgegen der Ansicht der Klägerin gebietet Art. 34 GG nicht, Amtshaftungslasten aus dem allgemeinen Staatshaushalt zu finanzieren.

22

Art. 34 Satz 1 GG leitet die aufgrund einer Verletzung einer Amtspflicht durch § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB begründete Haftung eines öffentlichen Bediensteten auf den Staat oder die Körperschaft über, in deren Dienst der Amtsträger steht. Ersatzpflichtig ist nicht der Staat als solcher, sondern grundsätzlich die Anstellungskörperschaft des Amtsträgers. Das kann auch eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts sein, wenn sie - wie die Beklagte - dienstherrnfähig ist (BGH, Urteile vom 2. Juni 2005 a.a.O. und vom 11. März 2004 - III ZR 90/03 - BGHZ 158, 253 <258> für die Treuhandanstalt; Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand Januar 2009, Art. 34 GG Rn. 289, 292 f., 295 f.; Seidel, DB 2005, 651 <656>; Fricke, VersR 2007, 300 <302 f.>).

23

Art. 34 GG trifft keine Regelung darüber, welcher Träger öffentlicher Gewalt die finanziellen Aufwendungen aus Amtshaftungsansprüchen letztlich zu tragen hat. Namentlich lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen, dass Amtshaftungslasten einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts stets durch deren Anstaltsträger zu refinanzieren seien. Die Klägerin meint zwar, Art. 34 GG diene einer verbesserten Gewähr für die Rechtmäßigkeit des Staatshandelns; dem laufe zuwider, wenn der Staat Einrichtungen der mittelbaren Staatsverwaltung ausgründe und sich dabei zugleich der Einstandspflicht für deren Amtspflichtverletzungen entledigen könne. Ob dieser allgemeinen staatsorganisationsrechtlichen Erwägung beizupflichten wäre, betrifft eine rechtspolitische Frage. Dass Art. 34 GG einer Auslagerung von Amtspflichten auf Einrichtungen der mittelbaren Staatsverwaltung entgegenstünde oder sie doch nur zuließe, wenn der Staat etwaige Amtshaftungslasten der Einrichtung auf sich behielte, etwa um so einen Anreiz zu schaffen, seine Aufsichtsführung über die Einrichtung zu intensivieren und effektiver zu gestalten, lässt sich nicht erkennen. Aus dem Wortlaut ergibt sich hierfür nichts. Art. 34 Satz 2 GG erwähnt nur die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen bei dem Amtsträger Rückgriff zu nehmen. Das hat sicherlich disziplinierende Wirkung, auch wenn dieser Effekt nicht das hauptsächliche Ziel der Regelung ist (zur Zwecksetzung der Vorschrift vgl. Urteil vom 26. August 2010 - BVerwG 3 C 35.09 - BVerwGE 137, 377 Rn. 22 m.w.N. = Buchholz 11 Art. 34 GG Nr. 5). Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist aber auf den handelnden Amtswalter beschränkt; über anderweitige Rückgriffsmöglichkeiten, namentlich solche der haftenden Anstalt gegenüber ihrem Anstaltsträger, sagt Art. 34 GG nichts.

24

Sinn und Zweck von Art. 34 Satz 1 GG gebieten auch nicht, Ansprüche aus Amtspflichtverletzungen grundsätzlich aus Steuern zu finanzieren, weil eine Finanzierung im Wege einer Umlage in bestimmten Fällen einer Selbstfinanzierung durch den Geschädigten gleichkäme. Dieser Einwand müsste gleichermaßen gegen eine Finanzierung aus Steuern erhoben werden, weil der Geschädigte zugleich steuerpflichtig ist. Er greift aber weder gegen eine Finanzierung aus Steuern noch gegen eine solche aus Umlagen durch. Art. 34 Satz 1 GG gewährleistet einen - ungeschmälerten - Ersatzanspruch gegen den Dienstherrn des Amtswalters, und zwar unabhängig davon, ob der Anspruchsberechtigte zugleich als Steuerpflichtiger oder als Umlageschuldner zur Finanzierung der Ausgaben des Staates beizutragen hat, zu denen auch Ersatzleistungen gehören. Eine darüber hinausgehende Funktion kommt Art. 34 Satz 1 GG im Hinblick auf die Art der Finanzierung der Aufwendungen des Ersatzpflichtigen nicht zu.

25

b) Auch aus dem Institut der Anstaltslast ergibt sich keine Verpflichtung des Staates als Anstaltsträger, rechtsfähige Anstalten, die seiner Aufsicht unterliegen, von Amtshaftungslasten freizustellen. Die nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1, Art. 86 Satz 2 GG zulässige Errichtung von bundesunmittelbaren Anstalten des öffentlichen Rechts verpflichtet den Bund als Anstaltsträger zwar zu deren hinreichender Ausstattung mit finanziellen Mitteln. Das Institut der Anstaltslast geht jedoch über die Verpflichtung, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Anstalt durch eine ausreichende Finanzausstattung aufrechtzuerhalten, nicht hinaus (Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. 3, 5. Aufl. 2004, § 88 Rn. 13 f.; Kemmler, DVBl 2003, 100; Stelkens, DVBl 2003, 22). Da sich die Beklagte durch Gebühren und Erstattungen sowie im Wege der Umlage ihrer ungedeckten Kosten auf die beaufsichtigten Institute und Unternehmen vollständig selbst finanzieren kann, verfügt sie über eine ausreichende finanzielle Ausstattung. Darüber hinaus begründen die Grundsätze der Anstaltslast keine unmittelbare Haftung des Anstaltsträgers (Urteile vom 10. Dezember 1981 - BVerwG 3 C 1.81 - BVerwGE 64, 248 <257> = Buchholz 437.1 BetrAVG Nr. 1 und vom 15. Januar 1987 - BVerwG 3 C 3.81 - BVerwGE 75, 318 <324 f.> = Buchholz 437.1 BetrAVG Nr. 5; Oebbecke, DVBl 1981, 960).

26

c) Die Einbeziehung von Amtshaftungslasten in die Umlage ist schließlich auch mit den Zulässigkeitsanforderungen vereinbar, die sich für nichtsteuerliche Abgaben aus der Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung ergeben.

27

Art. 105 GG begründet als spezielle finanzverfassungsrechtliche Norm die Gesetzgebungskompetenz für Steuern. Für nichtsteuerliche Abgaben wie die Finanzierungsumlage der Beklagten richtet sich die Gesetzgebungskompetenz nach den allgemeinen Regeln über die Sachgesetzgebungskompetenz (BVerfG, Beschlüsse vom 17. Juli 2003 - 2 BvL 1/99 u.a. - BVerfGE 108, 186 <212> und vom 18. Mai 2004 - 2 BvR 2374/99 - BVerfGE 110, 370 <384>). Allerdings ist dem Grundgesetz der Grundsatz zu entnehmen, dass der staatliche Aufwand im Regelfall aus Steuern zu finanzieren ist. Auf nichtsteuerliche Abgaben, die - anders als Vorzugslasten - ähnlich wie Steuern "voraussetzungslos" erhoben werden, darf nur ausnahmsweise zurückgegriffen werden. Drei grundlegende Vorgaben der Finanzverfassung begrenzen in diesem Sinne die Auferlegung derartiger nichtsteuerlicher Abgaben: Erstens erfordert die Inanspruchnahme einer Sachgesetzgebungskompetenz eine besondere sachliche Rechtfertigung. Der Gesetzgeber darf sich der Abgabe deshalb nur im Rahmen der Verfolgung eines Sachzwecks bedienen, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht. Zweitens bedarf es eines hinlänglichen sachlichen Grundes, die Abgabepflichtigen neben ihrer allgemeinen Steuerpflicht noch zusätzlich zu der Sonderabgabe heranzuziehen. Deshalb darf mit der Abgabe nur eine homogene Gruppe belegt werden, die in einer spezifischen Beziehung (Sachnähe) zu dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck steht und der deshalb eine besondere Finanzierungsverantwortung zugerechnet werden kann. Schließlich darf die Erhebung der Sonderabgabe nicht den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Haushaltsrechts zuwiderlaufen. Das Abgabenaufkommen darf deshalb nicht in den allgemeinen Staatshaushalt fließen, sondern muss gruppennützig verwendet werden. Zusätzlich muss der Gesetzgeber im Interesse wirksamer parlamentarisch-demokratischer Legitimation und Kontrolle die erhobenen Sonderabgaben haushaltsrechtlich vollständig dokumentieren und ihre sachliche Rechtfertigung in angemessenen Zeitabständen überprüfen (BVerfG, Urteil vom 3. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 - BVerfGE 122, 316 <334>; Beschlüsse vom 12. Mai 2009 - 2 BvR 743/01 - BVerfGE 123, 132 <141> und vom 16. September 2009 - 2 BvR 852/07 - BVerfGE 124, 235 <244>; jeweils m.w.N.; aus der Literatur nur P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof , Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, 3. Aufl. 2007, § 119 Rn. 71 ff.).

28

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 16. September 2009 - 2 BvR 852/07 - (BVerfGE 124, 235) entschieden, dass die Umlage zur Finanzierung der Beklagten mit den finanzverfassungsrechtlichen Anforderungen an Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion vereinbar ist. Die Abgabe, die durch Bundesgesetz auf der Grundlage der Art. 72 Abs. 2, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG erhoben wird, dient einem Sachzweck, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht. Sie ist der Bewältigung derjenigen Risiken gewidmet, die von einem unreglementierten Tätigwerden der beaufsichtigten Unternehmen ausgehen können, und soll das Vertrauen der Anleger in die Solidität und Lauterkeit dieser Unternehmen als notwendige Rahmenbedingungen für einen funktionsfähigen Finanzmarkt stärken. Dieser Schutzzweck unterscheidet die Aufsichtstätigkeit der Beklagten deutlich von anderen Bereichen der Wirtschaftsaufsicht. Im Hinblick auf diesen Zweck handelt es sich bei den beaufsichtigten Unternehmen um eine homogene Gruppe, die durch gemeinsame Gegebenheiten und Interessen verbunden ist, die sie von der Allgemeinheit und anderen Gruppen unterscheiden. Diese Gruppe steht zum Sachzweck der Abgabe auch in einer spezifischen Beziehung. Die gesonderte Überwälzung der Finanzierungslast findet ihre Rechtfertigung in einer Verantwortlichkeit für die Folgen gruppenspezifischer Zustände und Verhaltensweisen. Das Abgabenaufkommen wird schließlich gruppennützig verwendet; seine zweckentsprechende Verwendung wirkt zugleich gruppennützig, weil es die Gesamtgruppe der Abgabenschuldner von einer ihrem Verantwortungsbereich zuzurechnenden Aufgabe entlastet (BVerfG, Beschluss vom 16. September 2009 a.a.O. S. 245 ff.).

29

Für Amtshaftungslasten gilt nichts anderes; auch sie sind umlagefähig. Die Umlage dient auch insofern ihrem besonderen Sachzweck der Finanzdienstleistungsaufsicht. Entgegen der Ansicht der Klägerin geht es nicht um die Finanzierung einer allgemeinen Staatsaufgabe "Staatshaftung", die von der besonderen Aufgabe der Finanzdienstleistungsaufsicht zu unterscheiden wäre. Die Pflicht, für Fehler bei der Aufgabenwahrnehmung einzustehen, lässt sich nicht von der Aufgabenwahrnehmung abheben, sondern zählt zu deren Bestandteilen; Amtstätigkeit in Wahrnehmung einer Sachaufgabe ist nicht nur rechtmäßiges, sondern ggf. auch rechtswidriges Handeln. Der nötige Zusammenhang mit der Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe der Beklagten wird auch nicht dann durchtrennt, wenn eine Amtstätigkeit im Einzelfall nicht nur rechtswidrig, sondern obendrein schuldhaft ist. Es wäre auch nicht einzusehen, weshalb die Folgen einer Amtspflichtverletzung unter dem Gesichtspunkt der Finanzverfassung unterschiedlich zu behandeln sein sollten, je nachdem ob das Staatshaftungsrecht für die Ersatzpflicht des Staates Verschulden voraussetzt oder bloße Rechtswidrigkeit genügen lässt. Ob anderes zu gelten hat, wenn ein Amtsträger bewusst unter Missbrauch seiner Amtsstellung seine Befugnisse überschreitet und dadurch Dritten Schaden zufügt, bedarf keiner Entscheidung; derartiges Handeln "ultra vires" steht hier nicht in Rede.

30

Dass die - in sich homogene und von anderen abgrenzbare - Gruppe der beaufsichtigten Institute und Unternehmen der Finanzdienstleistungsaufsicht, welche die Beklagte wahrnimmt, signifikant näher steht als die Allgemeinheit der Steuerzahler, hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Auch insofern gilt für Amtshaftungslasten nichts anderes. Die Klägerin bezweifelt zu Unrecht, dass die vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobene "besondere Finanzierungsverantwortung" der Gruppe auch Amtshaftungslasten umfasst. Gegenstand der Finanzierungsverantwortung der abgabenbelasteten Gruppe sind die Kosten, die durch die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe verursacht sind; Grund ihrer Verantwortung ist ihre besondere Sachnähe zu dieser Aufgabe. Auch unter dem Gesichtspunkt des Verantwortungszusammenhangs lässt sich dies nicht auf rechtmäßiges Tun beschränken. Ob nach dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip die Zuweisung von Verantwortung stets die Möglichkeit der Einflussnahme voraussetzt, wie die Klägerin meint, bedarf keiner Erörterung. Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Amtsführung der Bundesanstalt genügen lassen, welche das Gesetz dem Verwaltungsrat der Beklagten einräumt und in dem die beaufsichtigten Unternehmen und Institute repräsentiert sind (BVerfG, Beschluss vom 16. September 2009 a.a.O. S. 248 f.). Diese Möglichkeit der Einflussnahme erstreckt sich auf die gesamte Aufsichtstätigkeit der Beklagten und schließt Vorkehrungen gegen Amtspflichtverletzungen ein.

31

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Finanzierungspflicht der Gruppe der aufsichtsunterworfenen Unternehmen auch nicht deshalb auf rechtmäßiges Amtshandeln beschränkt, weil die Finanzierungspflicht für rechtswidriges Amtshandeln einer anderen Gruppe zugewiesen ist. Ohne Erfolg beruft sie sich hierfür auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2335, 2391/95 - zum Solidarfonds Abfallrückführung (BVerfGE 113, 128). Dieser hatte kein Gruppenrisiko finanziert, sondern die Kosten des Fehlverhaltens anderer Exporteure, für die der Staat aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtung einzustehen hat. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass diese sich rechtswidrig verhaltenden Exporteure nicht zu der mit der Umlage belasteten Gruppe gehören, welche auf die sich rechtmäßig verhaltenden Exporteure beschränkt sei; insofern sprach das Gericht von gruppenfremdem Fehlverhalten (BVerfG, Urteil vom 6. Juli 2005 a.a.O. S. 152). Daraus kann die Klägerin für ihren Standpunkt nichts gewinnen. Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Kosten des Fehlverhaltens gruppenfremder privater Dritter, sondern um die Kosten des Fehlverhaltens der Bundesanstalt bei der Wahrnehmung der finanzierten Aufgabe selbst. Dazu verhält sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Solidarfonds Abfallrückführung nicht. Im vorliegenden Fall könnte jeder der Abgabepflichtigen Anlass zu Aufsichtsmaßnahmen bieten, und jeder profitiert vom Bestehen der Aufsicht; das begründet den besonderen Zurechnungszusammenhang. Ob eine Aufsichtsmaßnahme im Einzelfall rechtswidrig ist und Schaden verursacht, ist eine zweite Frage. Allein dieser Umstand stellt die Klägerin und alle anderen Aufsichtsunterworfenen nicht gewissermaßen außerhalb des Kreises der Abgabepflichtigen.

32

Richtig ist schließlich, dass die Umlage der Höhe nach nicht mehr erbringen darf, als zur Wahrnehmung der Aufgabe erforderlich ist (BVerfG, Beschlüsse vom 17. Juli 2003 a.a.O. S. 228, vom 18. Mai 2004 a.a.O. S. 390 f. und vom 16. September 2009 a.a.O. S. 249). Auch dies meint aber nichts anderes als den bereits erwähnten Verursachungsgedanken: Es darf nur um die Finanzierung der besonderen Aufgabe der Finanzdienstleistungsaufsicht gehen, während die Aufbringung von Mitteln, die nicht der Wahrnehmung dieser Aufgabe dienen, unzulässig ist. Hingegen bietet die Umlagepflicht kein Instrument zu einer ins einzelne gehenden Aufgabenwahrnehmungskritik; dem einzelnen Umlagepflichtigen steht nicht das Recht zu, einzelne Maßnahmen, die in Wahrnehmung der Aufgabe getroffen wurden, daraufhin zu prüfen, ob sie erforderlich (oder etwa rechtswidrig) gewesen seien. Etwas anderes kann nicht daraus hergeleitet werden, dass das Bundesverfassungsgericht das Wort "erforderlich" verwendet. Dies geschieht mit Blick auf die Begrenzungsfunktion der Finanzverfassung und soll die Abgrenzung der Sonderabgabe von der Steuer sichern; es soll deshalb verhindert werden, dass mit der Sonderabgabe - in Anknüpfung an einen Sachzweck, der die Erhebung der Abgabe dem Grunde nach zu rechtfertigen vermag - gleichwohl Mittel aufgebracht werden, die für den gruppenbezogenen besonderen Sachzweck nicht benötigt werden und deshalb einem darüber hinausgreifenden allgemeinen Finanzierungszweck dienen. Darum geht es hier nicht.

33

3. Die Klägerin wird auch nicht in Grundrechten verletzt. Anhaltspunkte für eine ungleiche Verteilung der Abgabenlast auf die Umlagepflichtigen (Art. 3 Abs. 1 GG) bestehen nicht. Die Belastung durch die Umlage ist auch mit dem Grundrecht der Klägerin auf freie Berufsausübung (Art. 19 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 GG) vereinbar. Zwar stellt die Belastung eine Beeinträchtigung der Berufsausübung dar (BVerfG, Beschluss vom 16. September 2009 a.a.O. S. 242 f.). Sie genügt aber den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine solche Beeinträchtigung, belastet die Klägerin namentlich nicht übermäßig. Das liegt angesichts des geringen Mehrbetrags, der auf die allein strittigen Amtshaftungslasten der Beklagten entfällt, auf der Hand und wird von der Klägerin auch nicht bezweifelt.

(1) Die Deutsche Bundesbank hat die Bundesregierung in Angelegenheiten von wesentlicher währungspolitischer Bedeutung zu beraten und ihr auf Verlangen Auskunft zu geben.

(2) Die Bundesregierung soll den Präsidenten der Deutschen Bundesbank zu ihren Beratungen über Angelegenheiten von währungspolitischer Bedeutung zuziehen.