Arbeitsgericht Düsseldorf Urteil, 01. Okt. 2015 - 10 Ca 4027/15

ECLI:ECLI:DE:ARBGD:2015:1001.10CA4027.15.00
01.10.2015

Tenor

1.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 13.08.2015 nicht aufgelöst ist.

2.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Restlohn in Höhe von 3.350,00 Euro brutto abzüglich gezahlter 1.032,77 Euro netto zu zahlen.

3.Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein wohlwollendes und qualifiziertes Schlusszeugnis zu erteilen.

4.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5.Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 57 % und die Beklagte zu 43 % zu tragen.

6.Streitwert: 32.417,23 Euro.


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(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 24. Oktober 2012 - 9 Sa 214/12 - teilweise aufgehoben. Das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 20. Dezember 2011 - 14 Ca 4955/11 - wird teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger aufgrund einer Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft bei einem Bewerbungsverfahren geltend macht.

2

Der am 2. Januar 1959 geborene Kläger ist schwerbehinderter Mensch mit einem GdB 50. Nach vorausgegangener Banklehre hat er von 1982 bis 1989 ein Studium der Betriebswirtschaftslehre absolviert und als Diplom-Kaufmann abgeschlossen. Er hat diverse Fortbildungsmaßnahmen im Bereich Controlling und Rechnungswesen absolviert.

3

Mit E-Mail-Schreiben vom 16. Juni 2010 bewarb der Kläger sich auf die Stelle eines/einer „Projektkoordinators/in eines Programms zur Förderung von Frauen in der Qualifikationsphase“ im Prorektorat für Akademische Karriere, Diversität und Internationales. Der Bewerbung war ein 34-seitiges Anlagenkonvolut beigefügt, mit dem „auf Seite 29 der Schwerbehindertenausweis überreicht“ wurde. Die verantwortliche Mitarbeiterin entdeckte diesen Hinweis auf die Schwerbehinderung, unterrichtete die Schwerbehindertenvertretung und der Kläger wurde schließlich von der für das damalige Einstellungsverfahren zuständigen Stelle, der Prorektorin für Akademische Karriere, Diversität und Internationales zu einem Vorstellungsgespräch am 28. Juni 2010 eingeladen. Der Kläger erhielt unter dem 17. August 2010 eine Absage auf diese Bewerbung.

4

Mit Bewerbungsschluss am 26. Juli 2010 schrieb die Beklagte eine auf drei Jahre befristete Vollzeitstelle eines/r wissenschaftlichen Mitarbeiters/in am Staatswissenschaftlichen Seminar der Universität zu K, Stiftungsprofessur für Energiewirtschaft - Prof. Dr. B - aus, wobei Bewerbungen an diese Stiftungsprofessur des Staatswissenschaftlichen Seminars zu richten waren. Die Beklagte hatte diese Stelle am 12. Juli 2010 der Bundesagentur für Arbeit gemeldet. Unter dem 25. Juli 2010 bewarb sich der Kläger auch für diese Stelle. Weder das Bewerbungsanschreiben noch der Lebenslauf enthielten einen Hinweis auf die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers. Der Bewerbung waren 29 Seiten Anlagen, im Wesentlichen chronologisch von 2009 bis 1978 geordnet, ohne Inhaltsverzeichnis beigefügt. Als Blatt 24 dieser Anlagen - eingefügt zwischen zwei Fotokopien von Dokumenten aus dem Jahr 1985 - befand sich eine Kopie der Vorderseite des Schwerbehindertenausweises des Klägers.

5

Die Beklagte bestätigte unter dem 26. Juli 2010 den Eingang der Bewerbung des Klägers. Sodann führte sie am 29. und 30. Juli 2010 Vorstellungsgespräche mit anderen Bewerbern durch, zu denen der Kläger nicht eingeladen wurde. Das Auswahlverfahren zu der ausgeschriebenen Stelle wurde nach Angaben der Beklagten in der ersten Augusthälfte beendet und die nicht berücksichtigten Bewerber erhielten Absagen. Der Kläger erhielt keine Absage.

6

Unter dem 1. Oktober 2010 bewarb sich der Kläger für eine dritte Stelle. Auch diese Bewerbung blieb erfolglos.

7

Wegen der Stelle am Staatswissenschaftlichen Seminar fragte der Kläger mit E-Mail vom 14. Dezember 2010 nach. Schließlich wurde ihm auf telefonische weitere Nachfrage am 24. Januar 2011 mitgeteilt, dass er bei der schon im August 2010 getroffenen Entscheidung keine Berücksichtigung gefunden habe.

8

Der Kläger machte mit Telefax vom 24. März 2011 einen Entschädigungsanspruch geltend und erhob mit Eingang bei Gericht am 24. Juni 2011 Entschädigungsklage.

9

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden. Die Beklagte sei ihrer Verpflichtung nach § 82 Satz 2 SGB IX, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, nicht nachgekommen. Von seiner Schwerbehinderung habe er die Beklagte bei dieser Bewerbung ordnungsgemäß unterrichtet, da die Beklagte von seiner Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch Kenntnis hätte erlangen können, wenn sie seine Bewerbungsunterlagen vollständig zur Kenntnis genommen hätte. Eines Hinweises an exponierter Stelle bedürfe es nicht. Dies zeige die Beklagte selbst, da sie auf einen ähnlichen Hinweis bei seiner ersten Bewerbung mit der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch reagiert habe. Seine Bewerbung sei ernsthaft.

10

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch nicht unter 10.757,16 Euro liegen sollte, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22. April 2011 zu zahlen.

11

Ihren Antrag auf Klageabweisung hat die Beklagte damit begründet, dass sich der Kläger nicht ernsthaft auf die Stellen beworben habe. Der Hinweis auf seine Schwerbehinderung sei jeweils an versteckter Stelle erfolgt, nach den Absagen seien dann Entschädigungsklagen erhoben worden. Der Kläger sei gehalten gewesen, auf seine Schwerbehinderteneigenschaft im Bewerbungsanschreiben, jedenfalls aber an exponierter Stelle hinzuweisen.

12

Das Arbeitsgericht hat der Klage iHv. 1.000,00 Euro stattgegeben. Unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht auf die Anschlussberufung des Klägers die Entschädigungssumme um weitere 4.378,58 Euro erhöht. Mit der auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten durch Beschluss vom 22. August 2013 - 8 AZN 230/13 - vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel einer Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision ist begründet. Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat bei der Besetzung der Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters am Staatswissenschaftlichen Seminar nicht gegen das Verbot verstoßen, einen schwerbehinderten Bewerber wegen seiner Behinderung zu benachteiligen (§ 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, §§ 7, 1 AGG). Dem Kläger steht daher kein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX zu.

14

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

15

Der objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignete Kläger sei durch die Aussonderung vor der eigentlichen Auswahlentscheidung benachteiligt worden. Dies sei wegen seiner Behinderung geschehen. Denn die Beklagte habe ihn als schwerbehinderten Bewerber entgegen ihrer Verpflichtung als öffentliche Arbeitgeberin nach § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, was die Vermutung auslöse, die Benachteiligung stehe im ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung. Dem könne die Beklagte nicht entgegenhalten, die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers nicht gekannt zu haben. Aufgrund der Bewerbungsunterlagen hätte sie sich Kenntnis von der Schwerbehinderung verschaffen können. Die Vorlage des gerade zum Nachweis im Rechtsverkehr ausgestellten Schwerbehindertenausweises genüge. Dies bestätige das eigene Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit der ersten Bewerbung, bei der eine Einladung zum Vorstellungsgespräch erfolgt sei. Aus der damals erfolgten Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gehe hervor, dass im ersten Bewerbungsverfahren die Beklagte in der Lage gewesen sei, den Hinweis des Klägers aufzunehmen. Als Entschädigung sei die Hälfte des vom Kläger begehrten Entschädigungsbetrages, also 11/2 Bruttomonatsgehälter, angemessen.

16

B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

17

I. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Als Bewerber ist der Kläger „Beschäftigter“ nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG. Da die Beklagte um Bewerbungen für das von ihr angestrebte Beschäftigungsverhältnis nachgesucht hat, ist sie Arbeitgeberin iSd. § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG(BAG 23. Januar 2014 - 8 AZR 118/13 - Rn. 17; 21. Juni 2012 - 8 AZR 188/11 - Rn. 18, BAGE 142, 143; 19. August 2010 - 8 AZR 370/09 - Rn. 23).

18

II. Seinen auf die Benachteiligung wegen Schwerbehinderung gestützten Entschädigungsanspruch hat der Kläger innerhalb der Fristen der § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.

19

1. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 15 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Im Falle einer Bewerbung beginnt die Frist grundsätzlich mit dem Zugang der Ablehnung (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG)zu laufen, nicht jedoch vor dem Zeitpunkt, in dem der Bewerber von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt (vgl. BAG 15. März 2012 - 8 AZR 37/11 - Rn. 55, BAGE 141, 48 = AP AGG § 15 Nr. 11). Dabei genügt eine telefonische Benachrichtigung, soweit sie hinreichend klar und individualisiert ist (vgl. v. Roetteken AGG Stand Juli 2014 § 15 Rn. 89 f.).

20

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger in dem Telefonat vom 24. Januar 2011 erfahren, dass seine Bewerbung schon im August 2010 abgelehnt wurde. Mit der Revision hat die Beklagte diese Feststellung nicht, auch nicht mit einer zulässigen Verfahrensrüge angegriffen. Der Eingang des Geltendmachungsschreibens des Klägers am 24. März 2011 bei der Beklagten ist unstreitig.

21

Soweit die Beklagte „mit Nichtwissen bestritten“ hat, dass dem Kläger ihr Absageschreiben nicht schon im August 2010 zugegangen sei, hat sie daran im Berufungsrechtszug nicht festgehalten. Im Übrigen war ein solches Bestreiten mit Nichtwissen unzulässig, weil die Darlegungs- und Beweislast für einen früheren Zugang der Absage bei der Beklagten selbst liegt. Dass die Beklagte nicht für einen Zustellungsnachweis der Absage gesorgt hat, bedeutet nicht, dass sie über den früheren Zugang einer Absage nicht auch hätte Kenntnis haben können.

22

2. Die am 24. Juni 2011 bei dem Arbeitsgericht Köln eingegangene Klage wahrte die Drei-Monats-Frist nach § 61b Abs. 1 ArbGG. Die Zustellung an die Beklagte erfolgte am 4. Juli 2011, also „demnächst“ iSv. § 167 ZPO.

23

III. Die Beklagte hat den Kläger unmittelbar benachteiligt. Eine solche Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Der Kläger erfuhr eine weniger günstige Behandlung als der tatsächlich eingestellte, erfolgreiche Bewerber. Ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung, insbesondere bei einer Einstellung oder Beförderung, liegt bereits dann vor, wenn der Bewerber oder Beschäftigte - wie hier der Kläger - nicht in die (End-)Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgenommen und vorzeitig aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen wird. Hier liegt die Benachteiligung in der Versagung einer Chance (BAG 23. August 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 22; 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 -; 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 24; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 29).

24

IV. Der Kläger befand sich mit dem letztlich ausgewählten Bewerber in einer vergleichbaren Situation (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG). Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte in Abrede gestellt hätte, dass der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war. Die entsprechende Würdigung im Berufungsurteil (dort unter II 1 c bb der Gründe) hat die Revision nicht angegriffen.

25

V. Die Beklagte behandelte den Kläger aber nicht „wegen“ seiner Behinderung weniger günstig. Es fehlt an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der ihn benachteiligenden Handlung - Ablehnung - und dem Merkmal der Behinderung.

26

1. Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG(zur Bezugnahme auf die Voraussetzungen in § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG - ohne die des Verschuldens nach § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG -: vgl. BAG 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 24; 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 30; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 25; BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16.10 - Rn. 14, BVerwGE 139, 135). Nach näherer Maßgabe des AGG sind Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund, hier also wegen einer Behinderung, in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zu unselbstständiger Erwerbstätigkeit, einschließlich der Auswahlkriterien und der Einstellungsbedingungen, unabhängig vom Tätigkeitsfeld und von der beruflichen Position unzulässig(§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Eine verbotene (§ 7 AGG) unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

27

2. Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal der Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund - die Behinderung - das ausschließliche Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das „verpönte Merkmal“ Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat (st. Rspr., BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 32, BAGE 142, 158; 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 42, AP AGG § 22 Nr. 4). Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es - wie erwähnt - nicht an (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - aaO). Die Behinderung muss mithin nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; eine bloße Mitursächlichkeit genügt.

28

3. Hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen Nachteil und verpöntem Merkmal ist in § 22 AGG eine Beweislastregelung getroffen, die sich zugleich auf die Darlegungslast auswirkt. Ein erfolgloser Bewerber genügt danach seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines unzulässigen Merkmals vermuten lassen. Dies ist dann der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen - aus objektiver Sicht und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit - darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung zumindest auch wegen jenes Merkmals erfolgt ist. Denn durch die Verwendung der Begriffe „Indizien“ und „vermuten“ bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass es hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen einem der in § 1 AGG genannten Gründe und einer ungünstigeren Behandlung genügt, Hilfstatsachen vorzutragen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität zulassen, die aber gleichwohl die Annahme rechtfertigen, dass die Kausalität gegeben ist(BAG 23. August 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 32, AP AGG § 3 Nr. 9; 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - Rn. 29, AP AGG § 22 Nr. 3).

29

Besteht eine derartige Vermutung für die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

30

4. Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von einem Bewerber vorgetragenen und unstreitigen oder bewiesenen (Hilfs-)Tatsachen eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen, ist nur beschränkt revisibel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene Überzeugung bzw. Nichtüberzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen einem verpönten Merkmal und einem Nachteil kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 34, BAGE 142, 158; 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 36).

31

5. § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG verbietet eine Benachteiligung wegen einer Behinderung. Damit sind jedenfalls alle iSv. § 2 Abs. 1 SGB IX behinderten Menschen vor einer Ungleichbehandlung aufgrund dieses Merkmals geschützt. Seit dem Inkrafttreten des AGG können sich behinderte Menschen, die nicht iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX als schwerbehinderte Menschen anerkannt sind oder die nicht iSv. § 2 Abs. 3 SGB IX diesen gleichgestellt wurden, nicht auf die Verletzung von Verfahrensvorschriften, etwa der §§ 81, 82 SGB IX als Vermutungstatsachen iSd. § 22 AGG berufen, weil diese nur für schwerbehinderte oder diesen gleichgestellte behinderte Menschen gelten(§ 68 Abs. 1 SGB IX; vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - Rn. 32; Beyer jurisPR-ArbR 35/2011 Anm. 2).

32

a) Rechtsfehlerfrei ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass für die Mitteilung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch eines Bewerbers an sich die „Vorlage“ des Schwerbehindertenausweises ausreichend ist.

33

Zwar hat der Kläger nicht „seinen Schwerbehindertenausweis vorgelegt“, sondern unter seine Bewerbungsunterlagen nur die Kopie der Vorderseite seines Schwerbehindertenausweises gemischt, aus der sein GdB nicht hervorgeht. Nach der Ausweisverordnung Schwerbehindertengesetz (SchwbAwV vom 25. Juli 1991, BGBl. I S. 1739, 1743), die für die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises, wie ihn der Kläger hat, noch maßgeblich ist, ist gemäß dem Muster 1 zu § 1 SchwbAwV der GdB auf der Rückseite des Ausweises anzugeben. Nach § 69 Abs. 5 Satz 1 SGB IX wird aber ein Schwerbehindertenausweis nur ausgestellt, wenn die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch festgestellt oder aber, bei einem geringeren Grad der Behinderung, eine Gleichstellung erfolgt ist, § 68 Abs. 1 SGB IX iVm. § 2 Abs. 2 und Abs. 3 SGB IX. Mit anderen Worten: Zeigt der Bewerber an, dass er im Besitz eines Schwerbehindertenausweises ist, indem er seine Inhaberschaft nachweist, so genügt die Kopie der Ausweisvorderseite, um die Anwendungspflicht der besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen auszulösen (Teil 2 des SGB IX, §§ 68 ff. SGB IX). Erfolgt allerdings der Nachweis des Besitzes eines Schwerbehindertenausweises nicht, wozu keine Pflicht besteht (BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 40), so muss die Schwerbehinderung mit dem Grad der Behinderung und, bei einem geringeren Grad als 50, auch die erfolgte Gleichstellung mitgeteilt werden (BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 30), um den Schutz der §§ 68 ff. SGB IX zu erlangen.

34

b) Jedoch stellte die Übermittlung einer Kopie des Schwerbehindertenausweises als Blatt 24 der Anlage zur Bewerbung keine ordnungsgemäße Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers dar.

35

Will ein Bewerber seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen, so hat er den Arbeitgeber über seine Schwerbehinderteneigenschaft regelmäßig im Bewerbungsschreiben selbst unter Angabe des GdB, ggf. einer Gleichstellung zu informieren. Jedenfalls ist der Arbeitgeber gehalten, bei jeder Bewerbung das eigentliche Bewerbungsschreiben zur Kenntnis zu nehmen (vgl. BAG 16. September 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 39, BAGE 127, 367). Auch auf eine Behinderung iSd. § 2 Abs. 1 SGB IX, die berücksichtigt werden soll, aber keine Schwerbehinderung iSd. § 2 Abs. 2 SGB IX darstellt und für die auch keine Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX erfolgt ist, ist im Bewerbungsschreiben mit weiteren Angaben zur Art der Behinderung hinzuweisen.

36

Möglich ist auch eine Information im Lebenslauf. Dies hat jedoch an hervorgehobener Stelle und deutlich, etwa durch eine besondere Überschrift, zu geschehen.

37

Im Falle einer Behinderung oder Schwerbehinderung wird ein Bewerbermerkmal mitgeteilt, über das nicht jede Bewerberin/jeder Bewerber verfügt. Durch den Hinweis sollen besondere Förderpflichten des Arbeitgebers ausgelöst werden. Wegen der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Interessen und Rechte des Vertragspartners (§ 241 Abs. 2 BGB iVm. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB)ist auch bei einer Bewerbung der Arbeitgeber über die besondere Situation des Bewerbers klar und eindeutig zu informieren. Daher sind „eingestreute“ oder unauffällige Informationen, indirekte Hinweise in beigefügten amtlichen Dokumenten, eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises etc. keine ordnungsgemäße Information des angestrebten Vertragspartners (BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 30).

38

Diesen Anforderungen entsprach die Mitteilung des Klägers über seine Schwerbehinderteneigenschaft bei seiner Bewerbung vom 25. Juli 2010 nicht. Er hat weder im Bewerbungsschreiben noch im Lebenslauf an hervorgehobener Stelle auf seine Schwerbehinderteneigenschaft hingewiesen. Die von ihm in die weiteren Bewerbungsunterlagen eingefügte Kopie seines Schwerbehindertenausweises stellte gerade keine ordnungsgemäße Information der Beklagten als des angestrebten Vertragspartners dar.

39

6. Der Beklagten war die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers auch nicht nachweislich schon bekannt.

40

a) Bei einer Außenbewerbung wird der Beschäftigtenstatus iSd. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG nur durch die jeweilige Bewerbung im Einzelfall erworben. Daher ist die Eigenschaft als behinderter oder schwerbehinderter Mensch bei jeder Bewerbung aufs Neue klar und eindeutig mitzuteilen. Zudem liegt es in der Entscheidung des Bewerbers, ob er seine Behinderung oder Schwerbehinderung vom Arbeitgeber bei der Behandlung der konkreten Bewerbung berücksichtigt haben will oder nicht. Eine Pflicht zur Offenbarung der Schwerbehinderung schon bei einer Bewerbung besteht grundsätzlich nicht, ebenso wenig wie ein grundsätzliches Fragerecht des Arbeitgebers (vgl. BAG 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 53; 16. Februar 2012 - 6 AZR 553/10 - BAGE 141, 1). Zudem ist der Arbeitgeber nicht nur nicht verpflichtet, sondern es ist ihm regelmäßig datenschutzrechtlich untersagt, personenbezogene Daten erfolgloser Bewerber, erst recht sensible Daten wie die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nach Abschluss einer Bewerbung zu speichern oder sie während der Bewerbung oder nach deren Abschluss weiterzuverwenden oder zu verbreiten, auch nicht innerhalb des eigenen Unternehmens an andere personalentscheidungsberechtigte Stellen. Kenntnisse zur Person, die nur aufgrund einer Bewerbung beim Arbeitgeber entstehen, darf dieser grundsätzlich nicht außerhalb der Bearbeitung dieser Bewerbung verwenden.

41

Darüber hinaus kann ein Arbeitgeber nicht wissen, ob eine anlässlich einer früheren Bewerbung mitgeteilte Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch noch vorliegt. Dies gilt auch im Fall einer nicht befristeten Feststellung der Schwerbehinderung oder der Ausstellung eines unbefristet gültigen Schwerbehindertenausweises. Denn die Anwendung der besonderen Regelungen des SGB IX zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen wird beendet, wenn die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 SGB IX wegfallen, also wenn der Grad der Behinderung sich auf weniger als 50 verringert oder wenn die Gleichstellung widerrufen oder zurückgenommen wird, § 116 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Das Gebot der Rechtsklarheit und -sicherheit verbietet zudem eine Differenzierung nach dem Zeitablauf zwischen mehreren Bewerbungen oder nach der Größe des Arbeitgebers. Auch auf eine etwaige Kenntnis der Schwerbehindertenvertretung des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft eines Bewerbers kann es nicht ankommen. Kenntnisse der Schwerbehindertenvertretung sind keine des oder der Arbeitgebers/in, weil die Vertrauensperson der Schwerbehinderten gegenüber dem Arbeitgeber die gleiche persönliche Rechtsstellung wie ein Mitglied der betrieblichen Interessenvertretung besitzt, § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX(BAG 21. Februar 2013 - 8 AZR 180/12 - Rn. 50, BAGE 144, 275).

42

Anderes kann nur dann gelten, wenn dem Arbeitgeber außerhalb des Bewerbungsverhältnisses die Schwerbehinderteneigenschaft positiv bekannt ist, was regelmäßig bei der Innenbewerbung eines schwerbehinderten Mitarbeiters der Fall sein wird. Ebenso kann, etwa bei einem Vorstellungsgespräch, eine Behinderung iSd. § 2 Abs. 1 SGB IX offenkundig werden, zB bei einem auf den Rollstuhl angewiesenen Bewerber. Um die besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen nach Teil 2 des SGB IX zur Anwendung kommen zu lassen, ist jedoch die Feststellung nach § 69 iVm. § 68 Abs. 1 SGB IX nachzuweisen.

43

b) Danach kann sich der Kläger, der eine Entschädigung wegen Benachteiligung bei seiner Bewerbung vom 25. Juli 2010 geltend macht, nicht darauf berufen, die Beklagte habe um seine Schwerbehinderteneigenschaft aufgrund seiner vorausgegangenen Bewerbung vom 16. Juni 2010 gewusst, in deren Bearbeitung damals eine Schwerbehindertenvertretung bei der Beklagten eingeschaltet worden war. Es lag in der Entscheidungsmacht des Klägers, ob er bei seiner jeweiligen Bewerbung die festgestellte Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch berücksichtigt wissen wollte. Ebenso lag es in seiner Entscheidung, ggf. darüber klar und eindeutig Mitteilung zu machen. Dies hat der Kläger bei dieser Bewerbung versäumt. Wenn eine Bereichsverwaltung der Beklagten gleichwohl aufgrund besonderer Aufmerksamkeit bei der ersten Bewerbung eine Schwerbehindertenvertretung eingeschaltet hatte, kann der Kläger hieraus keine rechtlichen Folgen für die Behandlung seiner zweiten Bewerbung ableiten.

44

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Breinlinger    

        

    Winter    

        

        

        

    Burr    

        

    Bloesinger    

                 

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 7. März 2014 - 3 Sa 502/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die 1975 geborene Klägerin war bei dem Beklagten, der mit insgesamt zwei Arbeitnehmern eine Versicherungsvertretung betreibt, seit Februar 2012 als Büroleiterin beschäftigt. Der Beklagte äußerte sich regelmäßig positiv über die Arbeitsleistung der Klägerin. Verwarnungen oder Abmahnungen erteilte er ihr nicht.

3

Am 14. oder 15. Januar 2013 eröffnete die Klägerin dem Beklagten in einem persönlichen Gespräch, dass sie seit mehreren Jahren einen bisher unerfüllten Kinderwunsch hege und ein erneuter Versuch einer künstlichen Befruchtung anstehe.

4

Mit Schreiben vom 31. Januar 2013, der Klägerin am selben Tag zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 1. März 2013 und stellte die Klägerin von der Arbeitsleistung frei. In der Folge besetzte er ihre Stelle mit einer älteren Arbeitnehmerin.

5

Am 7. Februar 2013 wurde bei der Klägerin eine Frühschwangerschaft festgestellt. Unter dem 13. Februar 2013 teilte sie dies dem Beklagten mit. Der Mutterpass der Klägerin und ein ärztliches Schreiben vom 16. Mai 2013 benennen als Datum des sog. Embryonentransfers im Rahmen einer künstlichen Befruchtung den 24. Januar 2013. Am 1. Oktober 2013 wurde die Tochter der Klägerin geboren.

6

Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin sich rechtzeitig gegen die Kündigung gewandt. Sie hat vorgebracht, bei deren Zugang sei sie bereits schwanger gewesen. Zudem stelle die Kündigung eine Diskriminierung wegen ihres Geschlechts dar. Sie sei wegen ihrer Ankündigung, sich künstlich befruchten zu lassen, erklärt worden.

7

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 31. Januar 2013 nicht aufgelöst worden ist.

8

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie bei Zugang der Kündigung bereits schwanger gewesen sei. Die von ihr vorgelegten Bescheinigungen seien widersprüchlich. Ihnen könne nicht entnommen werden, dass der Embryonentransfer am 24. Januar 2013 stattgefunden habe. Im Übrigen komme es für den Beginn der Schwangerschaft auf den Zeitpunkt der Einnistung an. Die Kündigung habe er allein deshalb erklärt, weil er mit der Arbeitsleistung der Klägerin nicht zufrieden gewesen sei.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte weiterhin deren Abweisung.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung ist gemäß § 134 BGB unwirksam. Sie verstößt sowohl gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG (A.) als auch gegen § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG (B.).

11

A. Die Klägerin genoss bei Zugang der Kündigung den besonderen Schutz aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.

12

I. Nach dieser Vorschrift ist eine ohne behördliche Zustimmung (dazu § 9 Abs. 3 MuSchG)ausgesprochene Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder sie ihm innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.

13

II. Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsverhältnis gemäß § 1 Nr. 1 MuSchG. Die Klägerin hat dem Beklagten die Schwangerschaft jedenfalls binnen zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt. Eine behördliche Zustimmung lag nicht vor.

14

III. Die Klägerin war bei Zugang der Kündigung schwanger. Im Fall einer Schwangerschaft aufgrund einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) beginnt der besondere Kündigungsschutz mit der Einsetzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Embryonentransfer) und nicht erst mit ihrer Einnistung (Nidation).

15

1. In der Humanmedizin bezeichnet Schwangerschaft den Zustand der Frau von der Konzeption (dh. von dem zur Befruchtung führenden Verkehr) bis zur Geburt (vgl. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „Konzeption“ und „Schwangerschaft“). Die Schwangerschaftsdauer wird entweder post menstruationem (dh. vom ersten Tag der letzten Menstruation bis zum Tag der Geburt) mit durchschnittlich 280 Tagen oder post conceptionem (dh. von der Konzeption bis zum Tag der Geburt) mit durchschnittlich 263 bis 273 Tagen berechnet (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „Schwangerschaftsdauer“). Die Berechnung hängt unter anderem davon ab, ob auf den körperlichen Zustand der Frau oder auf den Beginn des Lebens abgestellt wird (Reiner EuZA 2009, 79).

16

2. Bei natürlicher Empfängnis wird der Beginn des Kündigungsverbots aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 2 Satz 1 MuSchG in der Weise bestimmt, dass von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgerechnet wird(st. Rspr., vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 384/10 - Rn. 33; 7. Mai 1998 - 2 AZR 417/97 - zu II 1 der Gründe, BAGE 88, 357). Dieser Zeitraum umfasst die mittlere Schwangerschaftsdauer, die bei einem durchschnittlichen Menstruationszyklus zehn Lunarmonate zu je 28 Tagen - gerechnet vom ersten Tag der letzten Regelblutung an - beträgt. Er markiert die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann. Damit werden auch Tage einbezogen, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich ist.

17

Entgegen kritischen Stimmen in der Literatur (vgl. KR/Bader/Gallner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 64b mwN) lässt der Senat dabei nicht einen Anscheinsbeweis zugunsten der Arbeitnehmerin eingreifen. Vielmehr verzichtet er bewusst auf eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, um zu gewährleisten, dass jede tatsächlich Schwangere den Schutz des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Anspruch nehmen kann. Da sich - sofern nicht ausnahmsweise der Tag der Konzeption zweifelsfrei feststeht - Fehler und Ungenauigkeiten nicht vermeiden lassen, ist es gerechtfertigt, zunächst von der der Arbeitnehmerin günstigsten Berechnungsmethode auszugehen. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert einer ärztlichen Bescheinigung über den mutmaßlichen Entbindungstermin erschüttern, indem er Umstände darlegt und beweist, aufgrund derer es wissenschaftlich gesicherter Erkenntnis widerspräche, vom Beginn der Schwangerschaft vor Kündigungszugang auszugehen. Die Arbeitnehmerin muss dann weiteren Beweis führen und ist gegebenenfalls gehalten, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden (BAG 7. Mai 1998 - 2 AZR 417/97 - zu II 3 c der Gründe, BAGE 88, 357). Werden im Verlauf der Schwangerschaft genauere Erkenntnisse über den Zeitpunkt ihres Beginns gewonnen, kann zudem eine korrigierte Bescheinigung erstellt werden (BAG 27. Oktober 1983 - 2 AZR 566/82 - zu A II 2 c dd der Gründe).

18

3. Bei einer Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation beginnt der besondere Kündigungsschutz mit dem Embryonentransfer. Es kann weder die 280-Tages-Regel zur Anwendung gelangen, noch entscheidet der Zeitpunkt der Nidation.

19

a) Die In-vitro-Fertilisation ist eine Methode der künstlichen Befruchtung, bei der entnommene Eizellen mit präparierten Spermien befruchtet und die Embryos anschließend in den Uterus der Frau transferiert werden (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „In-vitro-Fertilisation“). Der Vorgang läuft in mehreren Schritten ab, darunter die hormonelle Stimulation der Eierstöcke mit dem Ziel, mehrere Eizellen gleichzeitig zur Reifung zu bringen, die Follikelpunktion, die Entnahme der Eizellen, die Befruchtung einer oder mehrerer Eizellen mit aufbereiteten Spermien, die Einsetzung der befruchteten Eizelle oder Eizellen in die Gebärmutter und die Einnistung (vgl. EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 30, Slg. 2008, I-1017).

20

b) Aus Gründen der Rechtssicherheit kann eine Schwangerschaft bei Durchführung einer In-vitro-Fertilisation frühestens im Zeitpunkt des Embryonentransfers und nicht bereits mit Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers der Frau beginnen (EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 41, Slg. 2008, I-1017). Da das „Einfrieren“ befruchteter Eizellen (sog. Kryokonservierung) durch das Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2746), zuletzt geändert am 21. November 2011 (BGBl. I S. 2228)) zeitlich nicht begrenzt wird (§ 9 Nr. 4 des Gesetzes; vgl. Spickhoff/Müller-Terpitz Medizinrecht 2. Aufl. § 9 ESchG Rn. 2), könnte sich eine Arbeitnehmerin andernfalls unter Umständen mehrere Jahre auf den besonderen Kündigungsschutz gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG berufen(aA Reiner EuZA 2009, 79).

21

c) Da eine Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation keinesfalls vor dem Embryonentransfer beginnen kann, verbietet sich eine Rückrechnung um 280 Tage vom mutmaßlichen Geburtstermin. Damit würden - weil der erste Tag der letzten Menstruation notwendig früher liegen muss - auch Zeiten vor dem Transfer einbezogen, ohne dass es nötig wäre, auf diese Weise der Gefahr vorzubeugen, eine tatsächlich schon schwangere Frau vom besonderen Kündigungsschutz auszuschließen.

22

d) Richtigerweise beginnt eine Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation auch nicht später als mit dem Embryonentransfer (ebenso Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath 3. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 10; ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 3 AGG Rn. 6; Göhle-Sander jurisPR-ArbR 40/2014 Anm. 3; HaKo-Fiebig/Böhm 4. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 7; Küttner/Poeche Personalbuch 2014 Mutterschutz Rn. 5; Töns/Dalheimer MuSchG 2. Aufl. § 195 RVO Rn. 41; Zmarzlik/Zipperer MuSchG 9. Aufl. § 3 Rn. 2). Sie beginnt nicht erst mit der Nidation (so aber AR-Vossen 7. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 6; KR/Bader/Gallner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 29; etwas missverständlich Buchner/Becker MuSchG 8. Aufl. § 1 Rn. 141a; Rancke/Pepping Mutterschutz 3. Aufl. § 3 MuSchG Rn. 5; Roos/Bieresborn MuSchG § 3 Rn. 118: sie sprechen jeweils von „erfolgreicher Implantation“).

23

aa) Der Mutterschutz genießt einen hohen Rang. Mit ihm verwirklicht der nationale Gesetzgeber seinen Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 4 GG(vgl. BVerfG 18. November 2003 - 1 BvR 302/96 - zu C 2 b aa der Gründe, BVerfGE 109, 64). Zugleich kommt er den Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (MutterschutzRL) nach. Zweck des Mutterschutzes ist es, die im Arbeitsverhältnis stehende Mutter vor arbeitsplatzbedingten Gefahren, Überforderungen und Gesundheitsschädigungen zu bewahren. Das Kündigungsverbot in § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG soll die schwangere Arbeitnehmerin vor der Gefahr schützen, die die Möglichkeit einer Entlassung für ihre psychische und physische Verfassung darstellt(vgl. EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 34, Slg. 2008, I-1017 zu Art. 10 Nr. 1 der MutterschutzRL). Um die Sicherheit und den Schutz jeder schwangeren Arbeitnehmerin zu gewährleisten, ist nach den unionsrechtlichen Vorgaben von dem frühestmöglichen Zeitpunkt des Vorliegens einer Schwangerschaft auszugehen (EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 37, 40, aaO zu Art. 10 Nr. 1 der MutterschutzRL). Das ist der Zeitpunkt der Verbindung einer befruchteten Eizelle mit dem Organismus der werdenden Mutter durch den Embryonentransfer. Spätestens damit ist ein Zustand erreicht, der demjenigen nach der natürlichen Befruchtung entspricht. Auch bei der natürlichen Empfängnis beginnt die Schwangerschaft mit der Konzeption, nicht erst mit der Nidation.

24

bb) Das Abstellen auf den Embryonentransfer bedeutet zudem Rechtssicherheit. Der Zeitpunkt des Transfers lässt sich problemlos feststellen. Für den Zeitpunkt der Nidation gilt dies nicht. Bei der Nidation handelt es sich um einen Prozess, der mit Anheftung der Blastozyste (bzw. des Embryos) am fünften und sechsten Entwicklungstag beginnt und am elften bis zwölften Tag abgeschlossen wird (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. „Nidation“). Wann genau dieser Prozess bei der betreffenden Frau beginnt und endet, wird in der Regel nicht festgestellt. Damit ist der frühestmögliche Termin der Nidation nur schwer zu bestimmen. Es verbliebe eine erhebliche Unsicherheit über den Beginn des Kündigungsschutzes.

25

cc) Das Abstellen auf den Embryonentransfer steht nicht in Widerspruch zu § 218 Abs. 1 Satz 2 StGB. Zwar kann danach ein - strafbewehrter - Schwangerschaftsabbruch erst vorliegen, wenn die Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter abgeschlossen ist. Schutzobjekt des § 218 StGB ist jedoch nicht (auch) die werdende Mutter, sondern ausschließlich die Leibesfrucht. Der strafrechtliche Schutz setzt deshalb erst nach dem biologisch-medizinischen Beginn einer Schwangerschaft ein (vgl. Schönke/Schröder/Eser StGB 29. Aufl. § 218 Rn. 6). Er stellt auf den Zeitpunkt der Nidation ab, weil vorher kaum zwischen einem Abbruch und einem ungewollten Frühstabgang der Leibesfrucht unterschieden werden kann (vgl. BT-Drs. 12/2605 S. 22; Schönke/Schröder/Eser StGB 29. Aufl. vor §§ 218 bis 219b Rn. 35). Die andere Zielrichtung des § 218 Abs. 1 Satz 2 StGB als die des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG rechtfertigt es, für den Beginn des jeweiligen Schutzes unterschiedliche Zeitpunkte festzulegen. So liegt es im Übrigen nicht nur bei der Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation, sondern auch bei der natürlichen Schwangerschaft.

26

dd) Der Hinweis des Beklagten auf geringe Erfolgsaussichten von In-vitro-Fertilisationen spielt für den Streitfall keine Rolle. Die Klägerin hat zwischenzeitlich ein Kind entbunden. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob durch den Embryonentransfer der Beginn des besonderen Kündigungsschutzes lediglich für den Fall bestimmt wird, dass es in der Folge zu einer Nidation kommt, oder ob der besondere Kündigungsschutz mit der Einsetzung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter „unbedingt“, also in jedem Fall, einsetzt und - ohne Nachwirkung - wieder endet, wenn eine Einnistung ausbleibt. Die letztgenannte Sichtweise könnte durch Art. 10 Nr. 1 MutterschutzRL geboten sein, entspricht der Rechtslage bei natürlicher Schwangerschaft (bei der die nicht zur Nidation führende Konzeption freilich oft unbemerkt bleiben wird) und verwirklicht den Grundsatz, dass die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts zum Zeitpunkt seiner Vornahme feststehen soll(vgl. KR/Bader/Gallner 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 64b zur Rechtsprechung des Senats zum Beginn der Schwangerschaft bei natürlicher Empfängnis). Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht uneingeschränkt. In § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG(vgl. auch Art. 2 Buchst. a der MutterschutzRL) wird er durchbrochen, indem eine ohne Kenntnis von der Schwangerschaft erklärte Kündigung unwirksam wird, wenn die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber fristgerecht entsprechende Mitteilung macht. Insofern wird dem Arbeitgeber ohnehin ein mindestens zweiwöchiger - bei fehlendem Verschulden der Arbeitnehmerin sogar längerer - „Schwebezustand“ zugemutet. Solches ist dem Arbeits- und allgemeinen Zivilrecht auch in anderen Zusammenhängen nicht fremd (vgl. für das Arbeitsrecht nur § 85 SGB IX, §§ 174, 180 BGB und zB für das Mietrecht § 543 Abs. 2 Satz 3, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB).

27

4. Danach war die Klägerin bei Zugang der Kündigung schwanger. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Embryonentransfer am 24. Januar 2013 erfolgt ist. Diese Feststellung bindet den Senat. Gegen sie ist ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff nicht geführt worden (§ 559 Abs. 2 ZPO).

28

a) Der Zeitpunkt des Embryonentransfers ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung iSd. § 286 Abs. 1 ZPO. Eine solche ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht den gesamten Inhalt der Verhandlung berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob eine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und ob sie rechtlich möglich ist (BAG 21. August 2014 - 8 AZR 655/13 - Rn. 40; 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 16, BAGE 145, 278).

29

b) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Arbeitnehmerin ihrer Darlegungslast für das Bestehen einer Schwangerschaft im Kündigungszeitpunkt zunächst durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung genügt (BAG 7. Mai 1998 - 2 AZR 417/97 - zu II 3 c der Gründe, BAGE 88, 357), und die Klägerin mit ihrem Mutterpass und dem Schreiben vom 16. Mai 2013 zwei Bescheinigungen vorgelegt hat, die als Tag des Embryonentransfers den 24. Januar 2013 ausweisen. Der Beklagte geht selbst davon aus, dass die Klägerin an diesem Tag aufgrund einer „Operation“ ausgefallen sei.

30

c) Die von der Revision gerügten Widersprüche in den ärztlichen Bescheinigungen bestehen nicht. Zwar wurde laut Mutterpass am 27. Februar 2013 eine Schwangerschaft in der siebten/achten Woche festgestellt. Diese Angabe beruhte jedoch ersichtlich auf einer Berechnung anhand der letzten Menstruation, die im Mutterpass mit Datum vom 8. Januar 2013 angegeben ist. Dem entspricht die Feststellung einer Frühschwangerschaft in der fünften Woche in der ärztlichen Bescheinigung vom 11. Februar 2013.

31

B. Die Kündigung verstieß außerdem gegen § 7 Abs. 1 iVm. §§ 1, 3 AGG. Sie diskriminierte die Klägerin wegen ihres Geschlechts.

32

I. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz - noch - keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1 AGG unwirksam. Zwar regelt das AGG nicht selbst, welche Rechtsfolge eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unzulässige Benachteiligung hat. Jedoch ergibt sich die Rechtsfolge aus § 134 BGB. Seit Inkrafttreten des AGG sind deshalb diskriminierende Kündigungen nicht mehr am Maßstab des § 242 BGB zu messen. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen(BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 14, 18, 22).

33

II. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, der Beklagte habe die Klägerin durch die Kündigung wegen ihres Geschlechts diskriminiert.

34

1. Gemäß § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale benachteiligt werden. Eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG liegt vor, wenn eine Person wegen eines der verpönten Merkmale eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

35

2. Die Kündigung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die dem Kündigungsentschluss zugrunde liegenden Erwägungen können Anhaltspunkt für einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Dieser kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben. Dabei bedarf es keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht. Es genügt, dass eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 29).

36

3. Die Kündigung wegen einer Schwangerschaft der Arbeitnehmerin oder aus einem im Wesentlichen auf der Schwangerschaft beruhenden Grund kommt nur bei Frauen in Betracht. Sie stellt eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar (vgl. EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 46, Slg. 2008, I-1017; 8. September 2005 - C-191/03 - [McKenna] Rn. 47, Slg. 2005, I-7631; jeweils zur MutterschutzRL). Da die Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung einer In-vitro-Fertilisation ausschließlich Frauen betreffen, führt die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die hauptsächlich aus dem Grund erfolgt, dass sie beabsichtigt, sich dieser Behandlung zu unterziehen, ebenfalls zu einer unmittelbaren Geschlechtsdiskriminierung (vgl. EuGH 26. Februar 2008 - C-506/06 - [Mayr] Rn. 50, Slg. 2008, I-1017 zur MutterschutzRL; siehe auch LAG Köln 3. Juni 2014 - 12 Sa 911/13 - zur Nichtverlängerung eines Arbeitsverhältnisses).

37

4. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass maßgeblicher Grund für die Kündigung die - geplante - Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und die damit verbundene Möglichkeit einer Schwangerschaft waren.

38

a) Die zugunsten der Klägerin eingreifende Beweislastregel des § 22 AGG für eine Benachteiligung wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale wirkt sich auf die Verteilung der Darlegungslast aus. Es genügt, dass die Beschäftigte Indizien vorträgt und gegebenenfalls beweist, die ihre Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen. Hierzu ist nicht erforderlich, dass die Tatsachen einen zwingenden Schluss auf eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Diskriminierungsmerkmal erlauben. Vielmehr reicht es, wenn dafür nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Ist dies der Fall, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 396/10 - Rn. 34; 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 65).

39

b) Die Würdigung, ob die Arbeitnehmerin Tatsachen vorgetragen hat, die ihre Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen, obliegt den Tatsachengerichten. Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO haben sie unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung zu entscheiden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachten. Diese Grundsätze gelten auch, wenn nicht darüber zu entscheiden ist, ob eine Behauptung „wahr“ ist, sondern darüber, ob vorgetragene und gegebenenfalls bewiesene Tatsachen eine Behauptung der Arbeitnehmerin als „wahr“ vermuten lassen (BAG 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 66; 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - Rn. 20).

40

c) Die gewonnene Überzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen dem verpönten Merkmal - hier dem Geschlecht der Klägerin - und einem Nachteil kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BAG 18. September 2014 - 8 AZR 753/13 - Rn. 24; 27. März 2014 - 6 AZR 989/12 - Rn. 37).

41

d) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, maßgeblicher Grund für den Ausspruch der Kündigung seien die - beabsichtigte - Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und die damit einhergehende Möglichkeit einer Schwangerschaft der Klägerin gewesen, allemal stand.

42

aa) Das Landesarbeitsgericht hat, wenn auch ohne Bezug auf § 22 AGG, hinreichende Indizien für seine Annahme darin gesehen, dass der Beklagte, der sich bis dahin regelmäßig positiv über ihre Arbeitsleistung geäußert hatte, das Arbeitsverhältnis der Klägerin kurze Zeit nach ihrer Mitteilung vom 14. oder 15. Januar 2013 von einer erneut „anstehenden“ künstlichen Befruchtung - nämlich am 31. Januar 2013 - gekündigt und ihre Stelle mit einer „älteren“ Arbeitnehmerin besetzt hat. Ferner hat es gemeint, der Beklagte habe die aus diesen Umständen resultierende Vermutung nicht durch substantiierten Sachvortrag entkräftet.

43

bb) Diese Würdigung ist in sich widerspruchsfrei und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Insbesondere der zeitliche Zusammenhang trägt den Schluss, die Kündigung sei aufgrund der Ankündigung der Klägerin erfolgt (vgl. dazu BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - Rn. 15, BAGE 130, 347 zu § 612a BGB). Soweit der Beklagte die unstreitigen Tatsachen - die Mitteilung der Klägerin und das Fehlen von Verwarnungen und Abmahnungen - anders beurteilt sehen will, setzt er lediglich seine eigene Würdigung an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts. Rechtsfehler zeigt er damit nicht auf.

44

cc) Die vom Beklagten erstmals in der Revisionsinstanz vorgebrachten Tatsachen können gemäß § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine Berücksichtigung mehr finden. Verfahrensrügen iSv. § 559 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO hat er nicht erhoben.

45

C. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Söller    

        

    B. Schipp    

                 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten, die Anschlussrevision und die Revision der Klägerin wird das Schlussurteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. November 2008 - 15 Sa 517/08 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in zwei in der Revisionsinstanz verbundenen Verfahren darüber, ob der Klägerin für die Vergangenheit und die Zukunft ein Schadensersatzanspruch wegen geschlechtsspezifischer Benachteiligung bei einer Beförderungsentscheidung und zu dessen künftiger Bezifferung Auskunftsansprüche gegen den Beklagten zustehen. Darüber hinaus verlangt die Klägerin immateriellen Schadensersatz und stellt einen Feststellungsantrag betreffend Schadensersatz für den Zeitraum ab Dezember 2006.

2

Der Beklagte ist ein rechtsfähiger wirtschaftlicher Verein. Er gliedert sich in zehn Bezirksdirektionen und zwei Generaldirektionen. Eine Generaldirektion befindet sich in B, die andere in M. Beide haben eigenständige Personalverwaltungen, denen jeweils eine Person vorsteht, die - mit Ausnahme der Klägerin - bis zum 9. Dezember 2006 als Personalleiter/in bezeichnet wurden. Übergeordnet war die Personaldirektion mit dem Personaldirektor. Dieser wird seit dem 10. Dezember 2006 als Personalleiter, die Personaldirektion als Personalabteilung bezeichnet.

3

Die 1961 geborene Klägerin hat 1986 eine Ausbildung zur „staatlich geprüften Betriebswirtin“ erfolgreich beendet. Sie war bei früheren Arbeitgebern ua. in der Personalentwicklungsarbeit tätig. Seit Mitte 2007 ist sie als Schwerbehinderte anerkannt.

4

Die Klägerin war am 1. Januar 1993 bei dem Beklagten als Personalreferentin eingestellt worden. Zum 1. Juli 1995 wurde ihr die Stellvertretung für die Personalverwaltung in B mit 340 Mitarbeitern übertragen. Ab Mai 2001 war die Klägerin in Teilzeit für die Beklagte tätig. Mit Wirkung ab 1. Januar 2006 wurde sie zur Abteilungsleiterin der Abteilung Personalverwaltung in der Personaldirektion B ernannt. Auf Basis einer „Zusatzvereinbarung“ zum Anstellungsvertrag wurde sie ab 1. Oktober 2006 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35,79 Stunden beschäftigt. Im Jahre 2007 erhielt sie eine monatliche Bruttovergütung von 4.647,24 Euro. In Zwischenzeugnissen vom 31. Januar 1999 und 16. Februar 2007 wurde der Klägerin bescheinigt, dass sie „stets“ bzw. „jederzeit“ ihre Aufgaben „zu unserer vollen Zufriedenheit“ erledigt habe.

5

Mitte der 1990-iger Jahre war Personalleiterin der Generaldirektion B Frau G und der Generaldirektion M Frau S. Beide sind Juristinnen. Hierarchisch stellte der Beklagte die Personalleiter den Abteilungsdirektoren gleich. Frau S ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und war 1990 vom Beklagten als Personalreferentin eingestellt worden. Zum 1. April 1994 übernahm Frau G kommissarisch die Leitung der Personaldirektion und Frau S wurde zu ihrer Stellvertreterin berufen. Frau G schied Ende September 1999 bei dem Beklagten aus. Faktisch leitete die Klägerin im Jahre 1999 die Personalverwaltung der Generaldirektion B für fünf Monate bis Dr. Mü von dem Beklagten als Nachfolger für Frau G eingestellt wurde. Er ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. Mit Wirkung vom 1. Januar 2001 wurde ihm die Amtsbezeichnung „Personaldirektor“ verliehen. Wegen Mutterschutzes und Erziehungsurlaubs/Elternzeit war die Personalleiterin der Generaldirektion M S vom 14. August 1999 bis 7. Juli 2005 nicht berufstätig. Seither arbeitet sie in Teilzeit. Ihr obliegt im Wesentlichen die juristische Sachbearbeitung der Personaldirektion (ab Dezember 2006: Personalabteilung). Aufgaben der Personalleitung nimmt sie seither nicht mehr wahr. Wegen ihres absehbaren Ausfalles suchte der Beklagte mit Anzeige von Anfang August 1999 befristet für ca. zwei Jahre eine/n Personalleiter/in für M. In der Anzeige wurde ein Schwerpunkt „konzeptionelle Personalarbeit“ ebenso wenig erwähnt, wie das Erfordernis eines Hochschulabschlusses. Nachdem an einer befristeten Einstellung kein Bewerber Interesse gezeigt hatte, wurde zum 1. Januar 2000 Herr R als Personalleiter der Generaldirektion M unbefristet mit einer 40-Stunden-Woche eingestellt. Der 1960 geborene und an einer Hochschule ausgebildete Diplom-Ökonom mit dem Ausbildungsschwerpunkt Personalwesen, Unternehmensführung und Organisation war bei dem Beklagten von Anfang an der Ebene der Abteilungsdirektoren, dh. mindestens einer Ebene über der Klägerin, zugeordnet. Zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 31. Juli 2008 verdiente Herr R 28.214,66 Euro mehr als die Klägerin. Darin enthalten ist eine variable Vergütung für 2007 in Höhe von 8.291,00 Euro. Bei dieser Differenzberechnung ist die Teilzeittätigkeit der Klägerin entsprechend berücksichtigt.

6

Zum 1. Juli 2001 wurde der Personalleiter der Generaldirektion B und Personaldirektor Dr. Mü mit gleichbleibendem Aufgabenbereich nach M versetzt. Nachdem er zunehmend Justitiariatsaufgaben erfüllte, übernahm die Klägerin spätestens ab Sommer 2003 - nach ihrem Vorbringen ab 2002 - die Aufgaben der Personalverwaltung B. Entsprechend wurde sie in den Jahrbüchern des Beklagten als zuständig für die Personalverwaltung B bezeichnet und zwar ab 2002 als Personalreferentin und ab 2006 als Abteilungsleiterin.

7

Zu ihren Aufgaben im Bereich der Personalentwicklung gehörte ua. im Jahre 1994 die Erstellung eines Anforderungsprofils zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems. 1993/1994 und 1999 entwickelte sie ein Konzept zur Erstellung von Stellen- und Tätigkeitsbeschreibungen. Für den Standort B führte sie konzeptionell und organisatorisch Mitarbeiterbeurteilungsgespräche durch. Nach der Übertragung der Traineeausbildung in den Jahren 1999/2000 auf den Personalbereich entwickelte die Klägerin hierzu ein Konzept. Auch führte sie Weiterbildungsmaßnahmen und Schulungen zur DIDAS-Datenbank durch.

8

Zu den Aufgaben, welche die Klägerin und Herr R jedenfalls bis zum 9. Dezember 2006 beide wahrgenommen hatten, gehörte die Leitung der Personalverwaltung der jeweiligen Generaldirektion. Dazu zählte ua. die Personalbetreuung mit dem Führen von Bewerbungsgesprächen, Abfassen von Abmahnungen, Betriebsratsanhörungen vor Kündigungen, die Kontroll- und Verantwortungsfunktion für die unterstellten Mitarbeiter sowie Tätigkeiten der eigenen allgemeinen Personalentwicklungsarbeit. Beide waren im selben Umfange zeichnungsberechtigt.

9

Anfang 2006 teilte Dr. Mü der Klägerin mit, dass er wohl die Leitung der neu zu gründenden Rechtsabteilung übernehmen werde. Als sein Nachfolger für die Personaldirektion komme aus seiner Sicht Herr R oder ein Externer in Betracht.

10

Im Dezember 2006 hatte die Personalstruktur beim Beklagten folgende Gestalt:

        

        

Männer

Frauen

Gesamt

        

Vorstand

3       

0       

3       

        

Direktoren

15    

0       

15    

        

Bezirksdirektoren

9       

0       

9       

        

Abteilungsdirektoren

8       

4       

12    

        

Stellv. Bezirksdirektoren

3       

1       

4       

        

Abteilungsleiter

12    

19    

31    

        

Fachreferenten

2       

3       

5       

        

Fachjuristen

6       

1       

7       

        

sonstige AT-Mitarbeiter

34    

24    

58    

        

gesamter AT-Bereich

92    

52    

144     

        

Gesamtbelegschaft

348     

780     

1128   

        

Gesamtbelegschaft in %

31 %   

69 %   

        
11

Zu dieser Zeit waren in den höchsten zwei Gehaltsstufen des nachwirkenden Tarifvertrages und im außertariflichen Bereich 2/3 aller Männer und 1/3 aller Frauen eingruppiert. 95 % der Teilzeitkräfte waren Frauen. Der Aufsichtsrat des Beklagten bestand aus 19 Männern und zwei Frauen.

12

Am 9. Dezember 2006 erfuhr die Klägerin von Dr. Mü, dass Herr R sein Nachfolger werden solle. Mit E-Mail vom 10. Dezember 2006 bat der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin ua. um schriftliche Präzisierung der geplanten Maßnahme und um Mitteilung, wie sich künftig die Stellung der Klägerin in der Betriebshierarchie und ihre Befugnisse darstellen sollten. Mit Aushang vom 10. Dezember 2006 informierte der Beklagte darüber, dass Herr Personalleiter R „mit sofortiger Wirkung zusätzlich zur Personalleitung der GD M die Personalleitung für die GD B und die Bezirksdirektionen“ übernehme.

13

Mit Schreiben vom 17. Dezember 2006 wies die Klägerin gegenüber dem Vorstandsmitglied Dr. H ua. darauf hin, dass ihr nicht klar sei, wie sich ihre Stellung in der Betriebshierarchie darstelle und mit welchen Verantwortlichkeiten sie ausgestattet bleibe und werde. Darüber hinaus sehe sie eine frauenspezifische Benachteiligung bei der Beförderungsentscheidung. Auch kämen auf der wirklichen Führungsebene Frauen nicht an, obwohl das Unternehmen weiblich dominiert sei.

14

Anlässlich eines Gespräches am 20. Dezember 2006 in B zwischen Herrn R, der Klägerin und den drei weiteren dort tätigen Mitarbeiterinnen der Personalverwaltung erläuterte Herr R, dass es künftig die Begriffe Personaldirektion und Personalverwaltung nicht mehr geben werde. Stattdessen existiere nur noch eine Personalabteilung, die aus der „Personalabteilung M“, die er leite, sowie aus der „Personalabteilung B“, welche die Klägerin leite, bestehe. Die Klägerin bat darum, ihr diese unveränderte hierarchische Einordnung schriftlich zu bestätigen, was Herr R zusagte.

15

Am Nachmittag dieses Tages äußerte Herr R in einem weiteren Gespräch mit der Klägerin, sie solle sich überlegen, wie sie ihre berufliche Zukunft sehe. Über dieses Gespräch hat die Klägerin einen Aktenvermerk gefertigt.

16

Das Mitglied des Vorstandes der Beklagten Dr. H teilte der Klägerin mit Schreiben vom 3. Januar 2007 ua. Folgendes mit:

        

„Der Vorstand hat entschieden, die Personaldirektion in ‚Personalabteilung‘ umzubenennen. ‚Personalabteilung‘ ist ein feststehender Begriff und für die Funktion in zahlreichen Unternehmen gebräuchlich.

        

Die fachliche und disziplinarische Leitung der Personalabteilung übernimmt der Personalleiter, Herr R.

        

Weiterhin hat der Vorstand entschieden, den Begriff ‚Personalverwaltung‘ abzuschaffen. Im Ergebnis gibt es innerhalb der GE eine Personalabteilung, welche zukünftig als Einheit GE-weit als Dienstleister tätig ist. Sie selbst sind innerhalb der Personalabteilung weiterhin als Abteilungsleiterin tätig. In dieser Funktion unterstehen Sie fachlich und disziplinarisch dem Personalleiter.

        

Die Besetzung der Position des Personalleiters durch Herrn R wurde ausschließlich aus fachlichen Erwägungen heraus getroffen. Gründe für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts sind nicht gegeben. ...

        

Ich fordere Sie daher auf, Ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zukünftig nachzukommen und im Rahmen Ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen den Weisungen Ihres Vorgesetzten, Herrn Personalleiter R, nachzukommen. Dies bedeutet insbesondere, die durch den Vorstand beschlossene neue Organisationsstruktur des Personalbereichs im Rahmen der mittelfristigen Unternehmensplanung aktiv unternehmensintern und -extern mit umzusetzen.“

17

Diesem Schreiben heftete ein Klebezettel von Herrn R an, wonach er den Inhalt mit Dr. Mü abgesprochen habe und keine arbeitsrechtlichen Bedenken bestünden.

18

Mit Schreiben ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten vom 6. Februar 2007 lies die Klägerin darauf hinweisen, dass sie als Frau diskriminiert worden sei. So erhalte sie insbesondere ein deutlich geringeres Gehalt als Herr R und sei bei dessen Beförderung diskriminierend übergangen worden. Auch seien ihre Kompetenzen und Befugnisse beschränkt worden. Gleichzeitig machte sie Ansprüche auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens geltend, den sie auch bezifferte. Hierauf antwortete die Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit Schreiben vom 8. Februar 2007 ua., dass sich durch die Umbenennung der Personaldirektion in „Personalabteilung“ an der Position der Klägerin zunächst nichts verändere. Sie sei beauftragt mitzuteilen, dass derzeit unternehmensintern geprüft werde, ob aufgrund der vollzogenen Änderungen weitere Maßnahmen, insbesondere auch auf der Leitungsebene in M und B erforderlich seien. Die im Schreiben des Vorstandes vom 3. Januar 2007 enthaltene Anmahnung zur Einhaltung der vertraglichen Pflichten sei kein Vorwurf der Schlecht- bzw. Minderleistung. Es habe nur bedeutet, dass die Klägerin verpflichtet sei, innerhalb der bestehenden Hierarchie und Organisationsstrukturen ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen und den Weisungen ihres direkten Vorgesetzten, Herrn R, nachzukommen.

19

Am 11. April 2007 traf sich in M eine Projektgruppe „Gehaltsbänder“, deren Lenkungsgremium die Klägerin angehörte. Die Einladungen der Teilnehmer waren mittels zweier E-Mails durch Frau Ha erfolgt. In den Adresszeilen waren ua. die Namen der Klägerin und des Herrn R aufgeführt. Auf die Äußerung der Klägerin: „Guten Morgen, Herr R“ erwiderte dieser den Gruß nicht, sondern entgegnete: „Was wollen Sie denn hier? Wer hat Sie denn eingeladen? Ich hätte Sie nicht eingeladen.“ Bei einem Treffen am nächsten Tag in B erläuterte Herr R seine Äußerungen dahingehend, dass die Klägerin an solchen Veranstaltungen künftig per Videokonferenz teilnehmen solle. Dies diene der Kostenersparnis und ihrem effizienteren Einsatz. Als die Klägerin entgegnete, dass sie eine weitere Teilnehmerin aus dem B Haus über die Möglichkeit der Videokonferenz unterrichten wolle, antwortete Herr R, dass dies etwas ganz anderes sei.

20

Nach Einreichung der Klage mit Schriftsatz vom 4. Mai 2007 (Klageeingang am selben Tage) fand am 22. August 2007 in M ein außergerichtliches Vergleichsgespräch statt. In dessen Verlauf äußerte Dr. Mü, die Klägerin solle sich genau überlegen, ob sie einen längeren Rechtsstreit durchstehen könne, weil solche Prozesse für Arbeitnehmer generell sehr belastend seien. Auch solle sie prüfen, ob sie das körperlich und seelisch aushalte. Der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärte hierzu, ein längerer Prozess könne auch für die vom Beklagten benannten Zeugen unangenehm sein. Während dieses Wortwechsels erklärte Dr. Mü auch, seine Ausführungen erfolgten „off records“.

21

Mit Aushang vom 7. Januar 2008 machte der Beklagte bekannt, dass Herr R „Personalleiter der GD B, GD M und der Bezirksdirektionen“ mit Wirkung ab 1. Januar 2008 zum „Direktor Personal ernannt“ wurde.

22

Bis zur Schließung der Bezirksdirektion Ha am 30. September 1997 war Frau W dort als Bezirksdirektorin beschäftigt. Sodann wurde ihr die Position einer Sachgebietsleiterin (organisatorisch unter dem Bezirksdirektor eingestuft) in der Bezirksdirektion N angeboten, welche sie auch annahm. Drei Monate später wurde dort die Position der Leitung der Bezirksdirektion an Herrn Ba, Direktor der Direktion Außendienst in der Generaldirektion M, ohne Ausschreibung neu vergeben.

23

Mit Anzeige vom 9. April 2005 suchte der Beklagte für den Standort D eine/n Bezirksdirektor/in. Bewerber/Bewerberinnen sollten über ein Studium der Wirtschaftswissenschaften verfügen. Die Bewerbung der Frau Gr, der dortigen stellvertretenden Bezirksdirektorin, fand keine Berücksichtigung, obwohl sie über das gewünschte Studium verfügte. Nachdem zum Bewerbungsgespräch nur männliche Bewerber eingeladen worden waren, wurde ein Bewerber eingestellt, der über kein Hochschulstudium verfügt, sondern staatlich geprüfter Betriebswirt ist.

24

Anlässlich einer Abteilungsvideokonferenz im April 2008 zwischen den Standorten B und M sprach Herr R auf einen Beitrag der Klägerin diese als „Frau C“ an. Nachdem die Klägerin klargestellt hatte, dass sie sich gemeldet hatte, antwortete dieser: „Na dann wird uns Frau K in einem halben Jahr mal über den Stand unterrichten“.

25

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass sie wegen ihres Geschlechts bei der Besetzung der Leitungsstelle der bundesweit tätigen Personaldirektion (später: Personalabteilung) des Beklagten im Dezember 2006 übergangen worden sei und dass sie vom Beklagten nach Wahrnehmung ihrer Rechte nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wiederum diskriminiert, insbesondere eingeschüchtert worden sei und ihr seitens des Beklagten Kompetenzen entzogen würden. Sie meint, Indiz für ihre Diskriminierung sei ua., dass im Zusammenhang mit der Besetzung der Stelle in D im April 2005 und ihrer Nachfrage, weshalb Frau Gr nicht in Betracht käme, Herr Dr. Mü sinngemäß bezogen auf ein damaliges Vorstandsmitglied geantwortet habe: „Sie kennen ja Herrn Dr. Kr. Der will halt keine Frauen“. Ein weiteres Indiz ergebe sich aus dem zahlenmäßigen Vergleich der Zusammensetzung von Gesamtbelegschaft nach Geschlechtszugehörigkeit einerseits und der der Direktorenstellen andererseits. Unter Verwendung der konkreten Beschäftigungszahlen beim Beklagten und unter Berücksichtigung der allgemein anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze für Wahrscheinlichkeitsrechnungen liege die Wahrscheinlichkeit der Geschlechterdiskriminierung einer Frau bei der Beförderung auf eine der Direktorenstellen zwischen 98,7 und 100 %. Die Wahrscheinlichkeit der Geschlechterdiskriminierung bei dem Beklagten ergebe sich auch aus den von ihr eingereichten Privatgutachten des Diplom-Mathematikers Sch vom 10. Mai 2008 und vom 26. Juli 2008. Weiteres Indiz sei die Nichtberücksichtigung von Frau S bei der Beförderung.

26

Auch sei sie durch den Aushang vom 10. Dezember 2006 betriebsöffentlich erniedrigt worden. Für ihre Benachteiligung durch den Beklagten sei auch ihre Teilzeittätigkeit und damit mittelbar ihr Geschlecht verantwortlich gewesen. Für ihre Diskriminierung sprächen ferner Vorgänge, an denen sie als Leiterin der Personalverwaltung B - im Gegensatz zu früheren Gepflogenheiten - nicht beteiligt worden sei. Als Reaktion auf die Geltendmachung ihrer Rechte versuche der Beklagte, ihr Kompetenzen zu entziehen. Auch habe Herr R bei dem Gespräch am Nachmittag des 20. Dezember 2006 keinen Zweifel daran gelassen, dass er eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihr gerade wegen ihrer Berufung auf das AGG als nicht mehr möglich ansehe. Mit Schreiben vom 3. Januar 2007 habe der Beklagte den falschen Eindruck erweckt, sie habe in der Vergangenheit ihre Pflichten nicht erfüllt.

27

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

1.    

den Beklagten zu verurteilen, ihr 28.214,66 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen,

        

2.    

den Beklagten zu verurteilen, ihr in Zukunft über das bezogene Gehalt hinaus monatlich weitere 1.467,86 Euro brutto zu zahlen,

        

3.    

hilfsweise für den Fall der Zurückweisung des Antrages zu 1. und 2., den Beklagten zu verurteilen, ihr in Zukunft nach Maßgabe der Auskunft über die Vergütung des Herrn R (Gehalt bis 9. Dezember 2006) gleich dem Herrn R zu zahlen,

        

4.    

den Beklagten zu verurteilen, ihr eine Entschädigung nach dem Ermessen des Gerichts zu zahlen, mindestens jedoch 60.000,00 Euro,

        

5.    

soweit nicht durch die Anträge zu 2., 3. und 4. bereits ausgeglichen, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr die materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr im Zeitraum zwischen Dezember 2006 und Juli 2008 durch das Verhalten des Beklagten entstanden sind oder künftig entstehen werden aufgrund der Verletzung des Gebots der Gleichbehandlung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 3 GG, Art. 141 EGV, § 1 AGG) durch die unterbliebene Beförderung auf die Stelle einer Leiterin der bundesweit tätigen Personalabteilung des Beklagten sowie durch die sonstigen Benachteiligungen, die Maßnahmen nach § 16 AGG darstellen, aufgrund der Verletzung der Gesundheit und aufgrund der Verletzung des Persönlichkeitsrechts,

        

6.    

den Beklagten zu verurteilen, ihr über die Höhe des Herrn R gezahlten variablen Entgelts für das laufende Jahr jeweils bis Ablauf des ersten Quartals im Folgejahr, beginnend mit dem 31. März 2009, Auskunft zu erteilen.

28

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

29

Er behauptet, Herr R sei Anfang 2000 beim Beklagten eingestellt worden, um die konzeptionelle Personalarbeit voranzutreiben. Er habe sich schon bei seinen früheren Arbeitgebern im Bereich der konzeptionellen, strategischen Personalarbeit einen Namen gemacht. Dies ergebe sich auch aus seinen Zeugnissen. Herr R habe ab dem Jahre 2000 für den Beklagten schwerpunktmäßig konzeptionelle Personalarbeit erbracht und ein Personalentwicklungskonzept erarbeitet, welches dem Vorstand mit Schreiben vom 1. September 2000 zugeleitet worden sei, der die Umsetzung befürwortet habe. Die Klägerin habe demgegenüber keine Erfahrungen in der Erarbeitung von strategischen, konzeptionellen Personalprojekten. Die Vorkenntnisse und Erfahrungen des Herrn R seien nicht nur für die ursprüngliche Einstellung, sondern auch für die Beförderung im Dezember 2006 maßgeblich gewesen. Schon von der Ausbildung, der sonstigen Vorbildung und den Kenntnissen her seien er und die Klägerin nicht vergleichbar. Daher sei die Klägerin als Bewerberin bei der Beförderung im Dezember 2006 schon objektiv nicht geeignet gewesen. Zwar habe ein konkretes Anforderungsprofil nicht schriftlich vorgelegen, doch habe bei den Entscheidungsträgern Einverständnis darüber bestanden, dass der neue Personalleiter Berufserfahrung in der strategischen, konzeptionellen Personalarbeit und ein einschlägiges Universitätsstudium mit Schwerpunkt Personalwesen oder ein juristisches Studium aufweisen müsse.

30

Ziel des Aushanges vom 10. Dezember 2006 sei es gewesen, die Umbenennung der Personaldirektion in Personalabteilung und die Übernahme der ehemals von Dr. Mü ausgeführten Arbeiten durch Herrn R mitzuteilen. Die Position der Klägerin als Leiterin der Personalverwaltung B sei hierdurch nicht berührt worden, insbesondere seien ihr keine Kompetenzen entzogen worden. Der Aushang sei insofern allenfalls missverständlich, jedenfalls nicht diskriminierend.

31

Soweit mit dem Schreiben der damaligen Beklagtenvertreterin vom 8. Februar 2007 weitere Maßnahmen angedeutet worden seien, sei dies Ausdruck der unternehmerischen Freiheit. Im Übrigen sei dieses Schreiben dem Beklagten im Sinne des Diskriminierungsrechts nicht zuzurechnen, da die Rechtsanwältin als Dritte gehandelt habe.

32

Die Teilnahme der Klägerin am 11. April 2007 am Treffen der Projektgruppe „Gehaltsbänder“ sei nicht notwendig gewesen. Dies zeige sich schon an ihren geringen Wortmeldungen. Es sei auch darum gegangen, die Notwendigkeit von Dienstreisen genau zu prüfen. Die Nachfrage von Herrn R beruhe darauf, dass er über die Einladung der Klägerin nicht informiert gewesen sei.

33

Bei der Nichtberücksichtigung von Frau Gr bei Bewerbungsverfahren für den Standort D im Jahre 2005 habe der ausgewählte Kandidat in dieser größten Bezirksdirektion Impulse für andere Bezirke geben sollen. Die hierfür erforderlichen Kenntnisse seien intern nicht vorhanden gewesen. Insbesondere habe Frau Gr über keine Erfahrung im externen Bereich verfügt. Das von der Klägerin vorgelegte Zahlenmaterial zum Verhältnis weibliche/männliche Mitarbeiter beim Beklagten allein sei nicht geeignet, den Nachweis einer Diskriminierung zu erbringen. Vorliegend sei schon nicht ersichtlich, wie viele Männer und/oder Frauen sich jeweils zu früheren Zeiten beworben hätten.

34

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zunächst hat das Landesarbeitsgericht mit Teilurteil vom 30. Juli 2008 die Berufung der Klägerin insoweit zurückgewiesen als sie sich gegen die Abweisung ihrer Klage auf Zahlung der Differenz zur Vergütung des Herrn R für den Zeitraum 1. Januar 2000 bis 9. Dezember 2006 gerichtet hatte. Einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Zahlung der Gehaltsdifferenz unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgebots hat das Landesarbeitsgericht verneint, weil die Klägerin keine der Tätigkeit des Mitarbeiters R gleichwertige Arbeit geleistet habe. Eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Geschlechts hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang nicht gesehen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht den Beklagten durch Schlussurteil zur Zahlung der Differenz zwischen der Vergütung der Klägerin und der des Herrn R vom 1. Januar 2007 bis 31. Juli 2008 in Höhe von insgesamt 28.214,66 Euro brutto und zeitlich unbegrenzt für die Zukunft zur Zahlung von monatlich 1.467,86 Euro brutto verurteilt. Darüber hinaus hat es den Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 20.000,00 Euro und zur künftigen Auskunftserteilung über die Höhe des Herrn R jeweils für das vergangene Jahr gezahlten variablen Entgelts verurteilt. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der teilweise vom Landesarbeitsgericht und teilweise vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte Klageabweisung in vollem Umfange. Die Klägerin verfolgt mit ihrer Revision und Hilfsanschlussrevision im Wesentlichen ihre in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiter und beantragt im Übrigen die Zurückweisung der Revision des Beklagten.

Entscheidungsgründe

35

Die Revisionen und die Anschlussrevision sind begründet.

36

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Beklagte sei der Klägerin nach § 15 Abs. 1 AGG zum Schadensersatz in Höhe von 28.214,66 Euro brutto nebst Zinsen für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis 31. Juli 2008 verpflichtet, weil er sie bei der Besetzung einer Beförderungsstelle im Dezember 2006 wegen ihres Geschlechts benachteiligt habe. Die Klägerin habe mit der vorgelegten Statistik über das Verhältnis zwischen dem Frauenanteil der Belegschaft des Beklagten einerseits und dem Frauenanteil in oberen Führungspositionen andererseits Indizien dargelegt, welche ihre Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten ließen. Als ausreichendes Indiz iSd. § 22 AGG für die Geschlechterdiskriminierung bei der Beförderung genüge, dass beim Beklagten alle 27 Führungspositionen mit Männern besetzt seien, obwohl Frauen 2/3 der Belegschaft stellten. Dies könne nicht darauf beruhen, dass Familie und Beruf schwer vereinbar seien, weil dies sich nur darauf auswirke, ob eine Frau sich überhaupt für die Berufstätigkeit entscheide, nicht jedoch darauf, welche Hierarchiestufe sie erreiche. Aus signifikanten Zuständen der Vergangenheit, dass nämlich auch Frau G die Funktion der Personaldirektorin nur kommissarisch übertragen worden sei und dass es seit 1976 keine weitere Direktorin, Bezirksdirektorin oder Vorstandsfrau beim Beklagten gebe, könne auf die Gegenwart geschlossen werden. Demgegenüber sei dem Beklagten nicht der Nachweis gelungen, dass kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vorgelegen habe. Insbesondere sei sein Vortrag, es sei bei den wesentlichen Entscheidungsträgern klar gewesen, dass Voraussetzung für die streitgegenständliche Beförderung ein einschlägiges juristisches oder ein Universitätsstudium mit Schwerpunkt Personalwesen sowie Kenntnisse und Erfahrungen in der Personalentwicklungsarbeit sei, unsubstantiiert. Da der Beklagte seine Auswahlkriterien vorab nicht nach außen dokumentiert habe, könne er sich auch nicht mehr auf diese berufen. Dies gelte auch, soweit er damit die mangelnde objektive Eignung der Klägerin begründen wolle. Von der mangelnden Eignung der Klägerin könne auch deshalb nicht ausgegangen werden, weil diese wie Herr R bereits zuvor die Personalverwaltung einer Generaldirektion geleitet habe. Bei diskriminierungsfreier Auswahl wäre die Klägerin die am besten geeignete Bewerberin gewesen. Die Höhe des materiellen Schadensersatzes entspreche der Differenz zwischen der tatsächlich erhaltenen Vergütung und der Vergütung, die auf der höherwertigen Stelle gezahlt werde. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte die Pflichtverletzung nicht zu vertreten habe und für ein Mitverschulden der Klägerin lägen nicht vor.

37

Die Klage auf Zahlung der künftigen Gehaltsdifferenzen iHv. monatlich 1.467,86 Euro brutto sei zulässig und begründet, weil die Besorgnis bestehe, dass der Beklagte die Zahlung nicht freiwillig erbringen werde. Dieser Anspruch sei zeitlich unbegrenzt, weil die Rechtsgedanken der § 628 BGB, §§ 9, 10 KSchG hier nicht einschlägig seien. Aus denselben Erwägungen sei auch die Klage auf Auskunft über die Höhe des an Herrn R gezahlten variablen Entgelts begründet.

38

Ferner sei der Beklagte verpflichtet, an die Klägerin eine Entschädigung iHv. 20.000,00 Euro wegen einer schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts, Art. 1, 2 GG iVm. § 823 BGB, zu zahlen. Sie sei bei der Beförderung wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden, weshalb eine Entschädigung iHv. 4.000,00 Euro gerechtfertigt und angemessen sei. Schließlich werde die Klägerin, nachdem sie sich gegen den Eindruck des Kompetenzentzuges durch den Aushang vom 10. Dezember 2006 und eine Diskriminierung bei der Beförderungsentscheidung wehre, herabgewürdigt und bewusst unter Druck gesetzt. Dies zeige die Bemerkung des Herrn R vom 20. Dezember 2006, dass die Klägerin über ihre berufliche Zukunft nachdenken solle, und das Schreiben vom 3. Januar 2007, in dem sie aufgefordert wurde, zukünftig ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und der daran befindliche Klebezettel. Dafür spreche auch das Schreiben vom 8. Februar 2007, in dem Überlegungen zu Änderungen auf der Leitungsebene angekündigt wurden, das Verhalten des Herrn R am 11. April 2007 und bei der Videokonferenz im April 2008 sowie der Einschüchterungsversuch des Herrn Dr. Mü beim außergerichtlichen Vergleichsgespräch am 22. August 2007. Die entsprechenden Verhaltensweisen seien auch dem Beklagten zuzurechnen. Für die zeitlich der unterbliebenen Beförderung nachfolgenden Handlungen sei eine Entschädigung von 16.000,00 Euro gerechtfertigt. Der darüber hinausgehende, von der Klägerin geltend gemachte Entschädigungsanspruch stehe ihr nicht zu.

39

Der geltend gemachte Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten für die der Klägerin bis Juli 2008 entstandenen materiellen und immateriellen Schäden sei in großen Teilen unzulässig, weil nicht ersichtlich sei, welche weiteren materiellen und immateriellen Ansprüche über die bereits geltend gemachten hinaus in Betracht kommen könnten.

40

B. Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es der Klage stattgegeben hat, und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

41

I. Die Klage auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 28.214,66 Euro brutto nebst Zinsen ist zwar zulässig, aber nicht zur Endentscheidung reif.

42

1. Die Klage ist ausreichend bestimmt, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Aus den in der Berufungsverhandlung vom 30. Juli 2008 eingereichten Vergütungstabellen, in deren Kontext der Antrag erstmals beziffert worden ist, ergibt sich, dass er sich auf entgangenen Mehrverdienst für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis einschließlich 31. Juli 2008 bezieht und die dem Mitarbeiter R im Jahre 2007 gezahlte variable Vergütung in Höhe von 8.291,00 Euro enthält. Auch der Übergang von der Stufenklage zur bezifferten Zahlungsklage in der zweiten Instanz war zulässig. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass es sich hierbei nicht um eine Klageänderung gehandelt hat (vgl. BGH 21. Februar 1991 - III ZR 169/88 - NJW 1991, 1893).

43

2. Den Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz in Höhe von 28.214,66 Euro brutto nebst Zinsen hat das Landesarbeitsgericht mit einer Begründung bejaht, die einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält.

44

a) Zu Recht geht das Landesarbeitsgericht zunächst davon aus, dass die Begründetheit des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs nach dem AGG zu beurteilen ist. Gem. § 33 AGG ist auf mögliche Benachteiligungen eines Beschäftigten wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, welche seit dem 18. August 2006 stattgefunden haben, das AGG anzuwenden. Die Nichtberücksichtigung der Klägerin bei der streitbefangenen Personalentscheidung erfolgte nicht vor dem 9. Dezember 2006 und damit nach dem 17. August 2006.

45

b) Die Klägerin ist Beschäftigte iSd. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG, ohne dass es hierfür darauf ankäme, ob sie für die Position der Leiterin der übergeordneten Personalabteilung objektiv geeignet war. Die objektive Eignung eines Bewerbers ist keine Tatbestandsvoraussetzung für einen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 AGG(Senat 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - DB 2010, 1534).

46

c) Die zweimonatige Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG und die dreimonatige des § 61b Abs. 1 ArbGG für die schriftliche und die gerichtliche Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs sind durch das Schreiben der Klägerin vom 6. Februar 2007, dem Beklagten spätestens am 8. Februar 2007 zugegangen, und die am 4. Mai 2007 eingegangene Klage gewahrt. Dabei kann offenbleiben, ob § 61b Abs. 1 ArbGG Schadensersatzansprüche gem. § 15 Abs. 1 AGG überhaupt erfasst. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurde der Klägerin am 9. Dezember 2006 telefonisch mitgeteilt, dass der Mitarbeiter R definitiv Nachfolger des Personaldirektors Dr. Mü werde. Damit begann die Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 ArbGG erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen, § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG.

47

d) Ein Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG setzt voraus, dass der Anspruchsgegner gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG verstoßen hat(vgl. Senat 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08 - AP AGG § 8 Nr. 1 = EzA AGG § 8 Nr. 1 zum Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG).

48

Der Begründung des Landesarbeitsgerichts, warum die Nichtberücksichtigung der Klägerin bei der Übertragung der Aufgaben des Dr. Mü auf einen Nachfolger eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Geschlechts (§ 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG) darstellt, folgt der Senat nicht.

49

aa) Die Klägerin macht geltend, sie sei deshalb nicht Nachfolgerin des Dr. Mü geworden, weil sie eine Frau sei.

50

Eine unmittelbare Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 AGG liegt dann vor, wenn die sich nachteilig auswirkende Maßnahme direkt an das verbotene Merkmal anknüpft(vgl. Senat 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - DB 2010, 1534). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Anknüpfung verdeckt oder offen erfolgt. Eine verdeckte Diskriminierung ist nicht stets eine mittelbare Diskriminierung iSd. § 3 Abs. 2 AGG. Sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Benachteiligung können offen oder verdeckt erfolgen, je nachdem, ob direkt an ein verbotenes (unmittelbare Diskriminierung) bzw. nur dem Anschein nach neutrales Merkmal (mittelbare Diskriminierung) offen oder verdeckt angeknüpft wird (vgl. Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 14; Richardi NZA 2006, 881). Die Frage, ob es sich bei verdeckter Diskriminierung in Form von tatsächlich unmittelbar an das Geschlecht anknüpfenden Beförderungsentscheidungen um eine mittelbare oder eine unmittelbare Diskriminierung handelt, war nicht gem. Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorzulegen.

51

Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es nämlich letztlich nicht darauf an, ob eine verdeckte Benachteiligung eine mittelbare oder eine unmittelbare Benachteiligung darstellt, weil die Beweislastregel des § 22 AGG allgemein für Benachteiligungen iSd. AGG und damit entsprechend der Vorgabe des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) (im Folgenden: RL 2006/54/EG) sowohl für eine unmittelbare als auch für eine mittelbare Diskriminierung gilt.

52

bb) Zutreffend kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Klägerin ungünstiger behandelt worden ist als der Mitarbeiter R, dem als Nachfolger von Dr. Mü die Leitung der Personalabteilung übertragen worden ist. In dieser Maßnahme des Beklagten lag eine Beförderung, die nach dem anzulegenden objektiven Maßstab vorteilhaft war. Die Übertragung höherwertiger oder verantwortungsvollerer Tätigkeiten stellt grundsätzlich eine günstige Behandlung in Form des beruflichen Aufstiegs dar. Dies gilt insbesondere, wenn - wie im Streitfalle - einem Arbeitnehmer Funktionen eines Mitarbeiters übertragen werden, der auf einer höheren Hierarchiestufe angesiedelt war. Dr. Mü war als Personaldirektor auf der Ebene der Direktoren angesiedelt. Dementsprechend wurde auch der Mitarbeiter R nach Übertragung der von jenem ausgeübten Tätigkeiten zum 1. Januar 2008 zum „Direktor Personal“ ernannt.

53

Für die Annahme einer Benachteiligung der Klägerin ist es unmaßgeblich, dass sie sich für die Position des Personalleiters nicht beworben hatte. Eine Benachteiligung iSd. § 3 AGG kann auch vorliegen, wenn eine Bewerbung deshalb unterblieben ist, weil der Arbeitgeber - wie im Streitfalle - seine Auswahl ohne eine Ausschreibung der Stelle oder eine Aufforderung zu Bewerbungen getroffen hat.

54

cc) Ebenfalls zutreffend nimmt das Landesarbeitsgericht an, die Klägerin sei in einer vergleichbaren Situation schlechter behandelt worden als der Mitarbeiter R.

55

Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation iSd. § 3 Abs. 1 AGG setzt voraus, dass die Klägerin objektiv für die Position der Leiterin der Personalabteilung geeignet war, denn vergleichbar(nicht: gleich) ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen. Maßgeblich für die objektive Eignung ist dabei nicht das formelle Anforderungsprofil, welches der Arbeitgeber erstellt hat, sondern die Anforderungen, welche der Arbeitgeber an einen Stellenbewerber stellen durfte. Zunächst ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber über den der Stelle zugeordneten Aufgabenbereich und die dafür geforderten Qualifikationen des Stelleninhabers frei entscheiden darf. Durch das Stellen von Anforderungen an Bewerber, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt gedeckt sind, darf er allerdings die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des AGG de facto beseitigen (Bestätigung und Fortführung von: Senat 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - DB 2010, 1534). Die objektive Eignung ist zu trennen von der individuellen fachlichen und persönlichen Qualifikation des Bewerbers, die nur als Kriterium der Auswahlentscheidung auf der Ebene der Kausalität zwischen Benachteiligung und verbotenem Merkmal eine Rolle spielt.

56

Das Landesarbeitsgericht hat die objektive Eignung der Klägerin mit einer Hauptbegründung und einer Hilfsbegründung bejaht. Zumindest letztere hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

57

So geht das Landesarbeitsgericht in dieser davon aus, dass von der objektiven Eignung der Klägerin für die Leitung der Personalabteilung vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Tätigkeit ausgegangen werden müsse. Ob dieses Merkmal, wie das Landesarbeitsgericht annimmt, nur dann zu verneinen ist, wenn die Eignung offensichtlich fehlt, braucht ebenso wenig entschieden zu werden wie die Anwendbarkeit der Beweislastregel des § 22 AGG in diesem Zusammenhang. Der Beklagte wäre bereits nach den allgemeinen Grundsätzen des § 138 ZPO gehalten gewesen darzulegen, inwiefern die Klägerin objektiv für die Position der übergeordneten Personalleitung nicht geeignet war. Sie war unstreitig seit 1995 stellvertretende Leiterin der Personalverwaltung der Generaldirektion B mit 340 Mitarbeitern, leitete diese Ende der 1990er-Jahre bereits für fünf Monate faktisch, übernahm jedenfalls ab 2003 die Aufgaben der Leitung offiziell und wurde zum 1. Januar 2006 zur Abteilungsleiterin der Generaldirektion B ernannt. Sie war dabei im gleichen Umfange wie ihr Kollege R zeichnungsberechtigt und nahm klassische Aufgaben der Personalleitung, wie etwa die Durchführung von Bewerbungsgesprächen, das Verfassen von Abmahnungen oder die Fertigung von Betriebsratsanhörungen vor Kündigungen wahr. Sowohl bei früheren Arbeitgebern als auch bei dem Beklagten führte sie Tätigkeiten durch, welche dem Bereich der Personalentwicklung zuzuordnen waren. Bei dieser Sachlage hätte es dem Beklagten oblegen, im Einzelnen darzutun, inwieweit sich die bisher von der Klägerin ausgeführten Tätigkeiten von denen unterscheiden, die ihr Kollege R bislang erledigt hatte, und welche weiteren fachlichen und/oder persönlichen Anforderungen der Mitarbeiter R im Gegensatz zur Klägerin erfüllte. Der Beklagte hat sich aber nur abstrakt darauf berufen, Voraussetzungen für die Leitung der Personalabteilung seien ein einschlägiges Universitätsstudium und Vorkenntnisse im Bereich der konzeptionellen, strategischen Personalarbeit gewesen. Hinsichtlich der anfallenden Tätigkeiten führt er nur aus, der Personalleiter agiere als Bindeglied zum Vorstand und berate diesen rechtlich. Weiter obliege ihm die mittelfristige Unternehmensplanung im Hinblick auf die Personalstrategie sowie die alleinige konzeptionelle Verantwortung. Dies ist im Hinblick auf die hierfür erforderlichen Fähigkeiten und die Kenntnisse des Stelleninhabers nicht aussagekräftig. Auch erläutert der Beklagte nicht eindeutig, was er unter „moderner“ oder „strategisch konzeptioneller“ Personalarbeit versteht, die nach seinem Vortrag vor der Einstellung des Dr. Mü im Jahre 1999 bei ihm nicht stattgefunden hat.

58

dd) Die Eignung der Klägerin ist auch nicht infolge des Teilurteils des Landesarbeitsgerichts vom 30. Juli 2008 zu verneinen. Mit Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Februar 2009 (- 5 AZN 1023/08 -) ist das Teilurteil formell rechtskräftig geworden, weil die von der Klägerin eingelegte Verfassungsbeschwerde kein Rechtsmittel darstellt und den Eintritt der formellen und materiellen Rechtskraft nicht hemmt (BAG 16. Januar 2003 - 2 AZR 735/00 - AP ZPO § 322 Nr. 38 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 166). Der ausschlaggebende, die Klageabweisung tragende Grund wird Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und ist nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (BGH 24. Juni 1993 - III ZR 43/92 - NJW 1993, 3204). Auch wenn insofern die tatsächlichen Feststellungen nicht an der Rechtskraft der gefällten Entscheidung teilhaben, darf diese nicht mit dem Vorbringen ausgehöhlt werden, das rechtskräftige Urteil gründe sich auf unrichtige tatsächliche Feststellungen. Zu den Rechtskraftwirkungen gehört deshalb die Präklusion der im ersten Prozess vorgetragenen Tatsachen, welche zu einer Abweichung von einer rechtskräftig festgestellten Rechtsfolge führen sollen (BGH 11. November 1994 - V ZR 46/93 - NJW 1995, 967). Die Feststellung im Teilurteil, die Positionen, auf welche die Klägerin einerseits und der Mitarbeiter R andererseits ursprünglich eingestellt worden seien, seien nicht auf der gleichen Hierarchiestufe angesiedelt gewesen, sagt jedoch über die objektive Eignung der Klägerin für die im Dezember 2006 besetzte Beförderungsstelle nichts aus. Gleiches gilt für die unterschiedliche Qualität der jeweils absolvierten Ausbildungen, von der das Teilurteil ausgeht, und wegen der es ua. auch die Gleichwertigkeit der bisherigen Tätigkeiten der Klägerin und des Mitarbeiters R verneint hat. Es ist nämlich unklar, welche zusätzlichen Kenntnisse und Fähigkeiten die Beförderungsstelle erfordert.

59

ee) Die Verfahrensrüge des Beklagten gegen die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zur Eignung der Klägerin greift nicht durch. Auch soweit er die richterliche Aufklärungspflicht nach § 139 ZPO für verletzt hält, weil das Landesarbeitsgericht seinen Vortrag als unsubstantiiert angesehen und keinen Beweis erhoben habe, ohne vorher von seinem Fragerecht Gebrauch zu machen, ist die Verfahrensrüge ebenfalls unbegründet. Von einer Begründung seiner Entscheidung sieht der Senat insoweit gem. § 564 ZPO iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG ab.

60

ff) Erfolg hat jedoch die Rüge des Beklagten gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Benachteiligung der Klägerin sei wegen ihres Geschlechts erfolgt.

61

Eine unzulässige Benachteiligung nach § 7 AGG kann bereits dann vorliegen, wenn einer der in § 1 AGG genannten Gründe, zu denen auch das Geschlecht zählt, Bestandteil eines Motivbündels war, das die streitbefangene Entscheidung beeinflusst hat(st. Rspr., vgl. Senat 20. Mai 2010 - 8 AZR 287/08 (A) - NZA 2010, 1006; 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - DB 2010, 1534).

62

Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann eine solche Mitursächlichkeit nicht angenommen werden.

63

Der Beklagte rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe § 286 ZPO durch die Annahme verletzt, bereits das zahlenmäßige Geschlechterverhältnis in seiner Belegschaft einerseits und die ausschließlich männliche Besetzung von 27 Positionen auf der Ebene des Vorstandes, der Direktoren und der Bezirksdirektoren andererseits sei ein ausreichendes Indiz dafür, dass das Geschlecht der Klägerin(auch) Motiv für die unterbliebene Beförderung gewesen sei.

64

Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Würdigung, ob die Klägerin Tatsachen vorgetragen hat, die ihre Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals iSd. § 1 AGG vermuten lassen(§ 22 AGG), ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist, gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände in sich widerspruchsfrei beachtet worden sind (Senat 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - EzA AGG § 15 Nr. 6).

65

Nach der gesetzlichen Beweislastregelung des § 22 AGG genügt es, dass der Anspruchssteller Indizien vorträgt und im Streitfalle beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. An diese Vermutungsvoraussetzungen ist kein zu strenger Maßstab anzulegen. Es ist nicht erforderlich, dass die Tatsachen einen zwingenden Indizienschluss für eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Benachteiligungsmerkmal zulassen. Vielmehr reicht es aus, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung hierfür eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht (Senat 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - EzA AGG § 15 Nr. 6).

66

Hat der Antragssteller ein Indiz vorgetragen, welches die überwiegende Wahrscheinlichkeit begründet, dass er wegen eines verpönten Merkmals benachteiligt worden ist, muss nunmehr der Arbeitgeber seinerseits den vollen Beweis führen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat (Senat 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - EzA AGG § 15 Nr. 6). Die Würdigung, ob der Anspruchssteller der durch § 22 AGG modifizierten Darlegungslast genügt hat, unterliegt damit ebenso der freien Überzeugung des Tatsachengerichts nach § 286 Abs. 1 ZPO wie dies hinsichtlich der Erbringung des „Vollbeweises“ durch die darlegungs- und beweispflichtige Partei der Fall ist(vgl. zu § 611a BGB aF: Senat 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6).

67

Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Würdigung des Berufungsgerichts jedoch nicht stand.

68

Zunächst ist dessen Annahme, dass sich auch aus Statistiken grundsätzlich Indizien für eine Geschlechterdiskriminierung ergeben können, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. So weist bereits die Gesetzesbegründung zu § 22 AGG ausdrücklich darauf hin, dass „auch die Ergebnisse von Statistiken … im Rahmen der richterlichen Würdigung des Sachverhalts einen tatsächlichen Anhaltspunkt“ für eine Benachteiligung „darstellen können“(BT-Drucks. 16/1780 S. 47). Eine Begrenzung auf Fälle mittelbarer Diskriminierung ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen und auch nicht geboten. Ausreichend sind nämlich für die Vermutungswirkung des § 22 AGG solche Indizien, die aus einem regelhaft einem Merkmalsträger gegenüber geübten Verhalten auf eine solchermaßen(mit) motivierte Entscheidung schließen lassen (vgl. Senat 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6). Eine Vermutung für ein derartig regelhaftes Verhalten kann sich aus statistischen Daten aber nur dann ergeben, wenn sie sich konkret auf den betreffenden Arbeitgeber beziehen und im Hinblick auf dessen Verhalten aussagekräftig sind. Gegen die Berücksichtigung von Statistiken im Rahmen des § 22 AGG spricht nicht, dass damit möglicherweise von in der Vergangenheit erfolgten Diskriminierungen auf die Gegenwart geschlossen wird. Ein regelhaft einem Geschlecht gegenüber geübtes Verhalten kann nämlich gerade nur durch die Betrachtung der Vergangenheit ausgemacht werden. Auch in der Literatur wird ganz überwiegend angenommen, dass aussagekräftige Statistiken im Rahmen des § 22 AGG eine Rolle spielen können(Wendeling-Schröder/Stein AGG § 22 Rn. 25; Schiek/Kocher AGG § 22 Rn. 30; Rühl/Schmid/Viethen AGG S. 169; Meinel/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 22 Rn. 29; Boemke/Dankow AGG im Arbeitsrecht § 10 Rn. 14; Grobys NZA 2006, 898; Windel RdA 2007, 1; Bauer/Evers NZA 2006, 893; Bayreuther NJW 2009, 806; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 22 Rn. 11; Dahm BB 2010, 1792).

69

Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Oktober 2005 (- 3 AZR 506/04 - BAGE 116, 152 = AP BetrAVG § 1 Unverfallbarkeit Nr. 13 = EzA EG-Vertrag 1999 Art. 141 Nr. 19). Dort wird die Heranziehung von Statistiken nicht generell abgelehnt, sondern vorgelegtes Datenmaterial für die Vermutung der behaupteten Diskriminierung als nicht hinreichend aussagekräftig bewertet.

70

Die Klägerin macht als unmittelbares Indiz für ihre Benachteiligung eine „gläserne Decke“ zwischen der Hierarchieebene, auf der sie tätig ist (Abteilungsleiterebene), und derjenigen, auf die sie bei benachteiligungsfreier Auswahl nach ihrer Meinung hätte aufsteigen müssen (Direktorenebene), geltend. Damit behauptet sie, dass Frauen regelhaft nicht in bestimmte Hierarchieebenen des Beklagten aufsteigen können. Darüber, ob eine solche Vermutung begründet ist, kann nur die statistische Betrachtung der Beförderungspolitik des Arbeitgebers Aufschluss geben, soweit sie die fraglichen Hierarchieebenen betrifft.

71

Das Landesarbeitsgericht hat nicht alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände in sich widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze berücksichtigt. Es hat aus der Besetzung der Positionen auf der Ebene oberhalb der Abteilungsdirektoren mit Männern und Frauen im Verhältnis zum Frauenanteil an der Gesamtbelegschaft darauf geschlossen, dass der unstreitig weit unterdurchschnittliche Frauenanteil in den oberen Führungsebenen des Beklagten auf einer „gläsernen Decke“ beruhe. Daraus hat das Berufungsgericht auf eine regelhafte Benachteiligung von Frauen wegen des Geschlechts in der Vergangenheit geschlossen. Allein das Verhältnis zwischen dem Frauenanteil der Gesamtbelegschaft und dem in oberen Führungspositionen lässt allerdings einen Rückschluss auf die Ungleichbehandlung von Frauen beim beruflichen Aufstieg in bestimmte Hierarchieebenen eines Unternehmens nicht zu. Der Schluss auf eine regelhafte Nichtberücksichtigung von Frauen bei Beförderungsentscheidungen macht zwar nicht erforderlich, dass vom Bewerber im Rahmen der Darlegung von Indizien (§ 22 Halbs. 1 AGG) oder vom Arbeitgeber im Rahmen der Vermutungswiderlegung (§ 22 Halbs. 2 AGG) alle konkreten Bewerbersituationen bei den bisherigen Beförderungsentscheidungen dargelegt werden. Eine Benachteiligung kann nämlich auch gerade in der Gestaltung des dem Bewerbungsverfahren zeitlich vorgelagerten Verfahrens liegen (vgl. BVerfG 16. November 1993 - 1 BvR 258/86 - BVerfGE 89, 276). Um beurteilen zu können, ob signifikant weniger Frauen als Männer die Hierarchiestufe oberhalb einer angenommenen „gläsernen Decke“ erreichen, bedarf es allerdings der Feststellung, wie viele Frauen überhaupt unterhalb dieser angekommen sind. Darüber gibt der Anteil von Frauen an der Gesamtbelegschaft keinen Aufschluss.

72

Es ist nicht frei von Denkfehlern, wenn das Landesarbeitsgericht ergänzend zu dem Gesamtanteil an der Belegschaft darauf abstellt, bei dem Beklagten wäre mit einem Frauenanteil von 44 % auf den Ebenen vom Abteilungsdirektor abwärts bis zu den sonstigen AT-Beschäftigen „ein genügend großes Reservoire zur Beförderung auch von Frauen“ vorhanden gewesen. Hierfür müsste nämlich feststehen, welche Positionen auf den Ebenen „Abteilungsdirektor aufwärts“ im Einzelnen existieren und von welchen Positionen darunter liegender Ebenen tatsächlich eine Beförderung dorthin denkbar war und ist. So wird beispielsweise die Personalleiterin einer Generaldirektion üblicherweise nicht auf die Position einer Marketingdirektorin befördert. Auch ansonsten besteht nicht für jeden Inhaber einer Position einer niedereren Ebene objektiv betrachtet eine Beförderungsmöglichkeit auf eine höhere Ebene.

73

Selbst unter der Prämisse, es existiere aufgrund des Frauenanteils beim Beklagten tatsächlich ein Reservoire für Beförderungen von Frauen auf die Führungsebenen oberhalb der behaupteten „gläsernen Decke“, berücksichtigt das Landesarbeitsgericht in seiner Annahme, es bestehe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine „gläserne Decke“, nicht alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände. Als mögliche Gründe für die mangelnde Repräsentation von Frauen oberhalb einer bestimmten Ebene geht das Landesarbeitsgericht nämlich im Ergebnis nur von echtem Zufall oder einer diskriminierenden Haltung des Beklagten aus. So wertet es den Einwand des Beklagten, zahlreiche Direktoren hätten Betriebszugehörigkeiten von mehr als 30 Jahren, lediglich als Eingeständnis, in der Vergangenheit sei möglicherweise „eine Politik der Benachteiligung von Frauen“ vorhanden gewesen. Allein die Tatsache, dass bei einem Arbeitgeber in Führungspositionen zahlreiche Männer mit sehr langen Betriebszugehörigkeiten arbeiten, begründet ohne weitere Anhaltspunkte nicht die Vermutung für eine frühere diskriminierende Haltung des Arbeitgebers gegenüber Frauen.

74

Soweit das Landesarbeitsgericht die gesellschaftlichen Verhältnisse bei seiner Würdigung der Geschlechterverteilung nicht berücksichtigen will, hält auch dies einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht übersieht dabei, dass ein Arbeitgeber gar nicht in der Lage, geschweige denn verpflichtet ist, gesellschaftliche Gegebenheiten, die der Erwerbstätigkeit und/oder dem beruflichen Aufstieg von Frauen entgegenstehen, durch seine Personalpolitik auszugleichen. Insoweit widerspricht es allgemeinen Erfahrungssätzen, wenn das Berufungsgericht annimmt, die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf könne sich nicht auf den Anteil von Männern und Frauen in höheren Hierarchieebenen auswirken, weil damit allenfalls erklärt werde, dass Frauen sich generell nicht im selben Maße wie Männer für eine Berufstätigkeit entscheiden. Es entspricht vielmehr allgemeiner Lebenserfahrung, dass ein beruflicher Aufstieg häufig eine nicht unerhebliche Flexibilität voraussetzt (zB Bereitschaft zur Leistung von Überstunden, Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen und Tagungen, Durchführung von Dienstreisen und Versetzungsbereitschaft an andere Standorte), welche sich mit der häufig von Frauen ausschließlich oder überwiegend wahrgenommenen Kindererziehung nicht oder nur schlecht vereinbaren lässt, und die auf niedrigeren Hierarchiestufen nicht in gleichem Maße gefordert wird. Auch wirken sich längere Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit wegen Arbeitsfreistellungen infolge von Schwangerschaft, Mutterschutz und (bislang überwiegend von Frauen in Anspruch genommener) Elternzeit negativ auf die Chancen zum beruflichen Aufstieg aus, obwohl der Arbeitsplatz als solcher während dieser Zeiten der Arbeitnehmerin grundsätzlich garantiert ist. Dabei müssen solche Aufstiegsvoraussetzungen bzw. „-hindernisse“ durchaus nicht ihrerseits immer verbotene Diskriminierungen von Arbeitnehmerinnen darstellen. Häufig könne diese iSd. § 3 Abs. 2 AGG sachlich gerechtfertigt oder in Einzelfällen sogar nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig sein.

75

Dass nicht die genannten Faktoren, sondern eine regelhaft diskriminierende Beförderungspolitik des Beklagten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Grund für die fehlende Repräsentation von Frauen auf den Führungsebenen der Beklagten ist, ist auch nicht aus den vom Landesarbeitsgericht angeführten Vergleichszahlen anderer Unternehmen zu folgern. Der Vergleich des Anteils von Frauen auf Führungspositionen bei anderen Unternehmen stellt kein Indiz für das Vorliegen einer „gläsernen Decke“ beim Beklagten dar. Es fehlt insoweit an vergleichbarem und damit aussagekräftigem Tatsachenmaterial. Insbesondere soweit das Berufungsgericht zum Vergleich den hohen Anteil von weiblichen Führungskräften bei privaten Banken, im Gesundheits- und Sozialwesen, in der privaten Dienstleistungsbranche und bei obersten Bundesbehörden anführt, ist festzustellen, dass der Beklagte als Verwertungsgesellschaft urheberrechtlicher Nutzungsrechte an Musikwerken grundsätzlich andere Aufgaben wahrnimmt als die vom Landesarbeitsgericht zum Vergleich herangezogenen Unternehmen und es somit an einer Vergleichbarkeit der Branchen fehlt. In der Regel muss nämlich nach Vergleichszahlen in der jeweils vergleichbaren Branche und Berufsgruppe gefragt werden (Bayreuther NJW 2009, 806). Selbst bei Heranziehung von Vergleichszahlen aus derselben Branche zeigen diese nur, welcher Frauenanteil dort üblich ist. Für die Vermutung, dass im hier zu entscheidenden Einzelfalle eine Frauendiskriminierung vorliegt, reicht dies aber nicht aus. Es fehlt sowohl an der Üblichkeit als auch an irgendwelchen rechtlichen Vorgaben dafür, dass auf allen Hierarchieebenen eines Unternehmens eine annähernd gleiche Verteilung der Geschlechter vorliegen muss. Dazu sind die Tätigkeiten in Führungspositionen und solche in unteren Ebenen (zB Produktion, Verwaltung) zu unterschiedlich. Dies gilt vor allem auch hinsichtlich des Anforderungsprofils, das an die Stelleninhaber zu stellen ist.

76

Da das AGG bei der Überprüfung von Beförderungsentscheidungen auf den Einzelfall abstellt, genügt es im Regelfall auch nicht für ein „Indiz“ iSd. § 22 AGG, wenn lediglich „auffällige Ungleichgewichte“ beim Frauenanteil in verschiedenen Hierarchieebenen eines Unternehmens vom Anspruchssteller anhand von Statistiken bewiesen sind(vgl. auch Wendeling-Schröder FS Pfarr S. 158). Für die Annahme einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung von Frauen bei Beförderungsentscheidungen bedarf es über die bloße Statistik hinaus weiterer Anhaltspunkte.

77

Zudem ist unklar, auf welchen Zeitraum sich die Zahlenangaben des Landesarbeitsgerichts beziehen und inwieweit der vom Landesarbeitsgericht verwendete Begriff der „Führungsposition“ mit den streitbefangenen „Führungspositionen“ beim Beklagten vergleichbar ist. Gleiches gilt, soweit das Landesarbeitsgericht ganz allgemein auf den Frauenanteil in „Betrieben mit 500 und mehr Beschäftigten“ oder auf „Großunternehmen (mindestens 20 Mio. € Jahresumsatz und/oder über 200 Beschäftigte)“ abstellt.

78

Die Frage, ob eine „gläserne Decke“ die Vermutung für eine Benachteiligung der Klägerin iSd. § 22 AGG begründen kann, oder unter welchen Voraussetzungen auf das Vorliegen einer solchen zu schließen ist, war nicht gem. Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorzulegen. Diese Fragen sind zwar entscheidungserheblich, betreffen aber nicht die Auslegung von Gemeinschaftsrecht. Vielmehr stellt die Beweiswürdigung iSd. § 22 AGG durch das nationale Gericht ausschließlich die Anwendung nationalen Rechts dar, die durch das Gemeinschaftsrecht gerade keine Regelung erfahren hat und damit dem nationalen Gericht vorbehalten bleibt. Art. 19 Abs. 1 der RL 2006/54/EG bestimmt, dass die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem System ihrer nationalen Gerichtsbarkeit die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. Der Erfüllung dieser europarechtlichen Vorgabe dient § 22 AGG. Wann das nationale Gericht eine glaubhaft gemachte Tatsache als ausreichendes Indiz für die behauptete Diskriminierung anzusehen hat, ist nicht Regelungsgegenstand der RL 2006/54/EG. Dies macht Nr. 30 der Erwägungen zur Richtlinie deutlich. Dort heißt es: „Es ist jedoch klarzustellen, dass die Bewertung der Tatsachen, die das Vorliegen einer mittelbaren oder unmittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, weiterhin der einschlägigen einzelstaatlichen Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten obliegt“.

79

Auch die Hilfsbegründung des Landesarbeitsgericht hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht nimmt hilfsweise an, die fehlende weibliche Besetzung von Führungspositionen zusammen mit der Tatsache, dass der früheren Mitarbeiterin G die Funktion der Personaldirektorin nur kommissarisch übertragen worden sei und es seit 1976 keine weitere Direktorin mehr bei dem Beklagten gegeben habe, lasse es als überwiegend wahrscheinlich erscheinen, dass das Geschlecht der Klägerin Motiv für die unterbliebene Beförderung gewesen sei. Bei dieser Würdigung lässt das Landesarbeitsgericht wesentliche Umstände außer Betracht. Wie dargelegt kommt allein dem Anteil der Frauen in der Ebene oberhalb der Abteilungsleiter nicht die vom Landesarbeitsgericht angenommene Vermutungswirkung zu. Die Tatsache, dass seit 30 Jahren bei dem Beklagten keine Frau Direktorin war, hat ohne Zahlenmaterial darüber, ob und ggf. in welchem Umfange es externe oder interne Bewerbungen von Frauen oder im Betrieb für die Beförderungsstelle geeignete Mitarbeiterinnen gegeben hat, keine Aussagekraft. Es kann nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht vermutet werden, dass in den vergangenen 30 Jahren so viele geeignete Mitarbeiterinnen zur Verfügung gestanden haben, dass die mangelnde Besetzung von Direktorenstellen mit Frauen auf Diskriminierungen beruht hat. Auch insoweit hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht gesellschaftliche Faktoren nicht in seine Würdigung mit einbezogen.

80

Die nur kommissarische Übertragung der Funktion der Personaldirektorin auf die frühere Mitarbeiterin G in den 1990er-Jahren entfaltet keine Vermutungswirkung für eine „gläsernen Decke“. Als Indiz iSd. § 22 AGG für ein generell frauenfeindliches Umfeld ist diese, über zehn Jahre zurückliegende nur kommissarische Übertragung der Direktorenposition auf die Mitarbeiterin G nicht geeignet.

81

3. Die Verletzung des § 22 AGG iVm. § 286 Abs. 1 ZPO führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils(§ 563 ZPO), weil dieses sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 561 ZPO).

82

a) Das Urteil erweist sich nicht deshalb als zutreffend, weil etwa Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Klägerin im Zusammenhang mit der Beförderung des Mitarbeiters R unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG wegen ihrer Teilzeitbeschäftigung und der dadurch möglicherweise bedingten geringeren Kenntnisse und Erfahrungen in der konzeptionellen Personalarbeit benachteiligt worden ist. Insbesondere kann die Übertragung der Aufgaben der konzeptionellen Personalarbeit auf den Mitarbeiter R statt auf die Klägerin im Januar 2000 nicht darauf beruht haben, dass die Klägerin teilzeitbeschäftigt war. Ihre Arbeitszeitverringerung erfolgte nämlich nach der bindenden Feststellung des Landesarbeitsgerichts erst ab Mai 2001. Soweit der Beklagte erstinstanzlich vorgetragen hat, die Klägerin habe wegen ihrer Teilzeittätigkeit aus zeitlichen Gründen ab dem Jahre 2000 nicht die Möglichkeit gehabt, Aufgaben der konzeptionellen Personalarbeit zu erledigen, beruht dieser Sachvortrag ersichtlich auf einem Versehen.

83

b) Der Senat ist nicht in der Lage, im Hinblick auf die weiteren vom Berufungsurteil festgestellten und als Indizien für eine Diskriminierung der Klägerin in Betracht kommenden Umstände in der Sache selbst zu entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO, weil er seine Würdigung der Indizien nach § 286 ZPO nicht an die Stelle der Würdigung durch das Tatsachengericht setzen darf. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - keine abschließende Aufklärung und Gesamtbetrachtung aller von der Klägerin vorgetragenen Hilfstatsachen vorgenommen. Werden aber von dem Arbeitnehmer, der eine Benachteiligung geltend macht, Hilfstatsachen vorgetragen, die jeweils für sich allein betrachtet nicht ausreichen, um die Vermutungswirkung des § 22 AGG herbeizuführen, ist vom Tatsachengericht eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, ob diese Hilfstatsachen zur Begründung der Vermutungswirkung geeignet sind(vgl. zu § 611a BGB aF: Senat 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6). Hierbei wird das Landesarbeitsgericht bei seiner Würdigung, ob die Gesamtbetrachtung der von der Klägerin vorgetragenen Umstände es als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lässt, dass bei dem Beklagten ein Umfeld gegeben ist, das dem beruflichen Aufstieg von Frauen generell ablehnend gegenüber steht, ua. folgende Umstände mit einzubeziehen haben: die Vergabe der Funktion der Leitung der Bezirksdirektion N an den Mitarbeiter Ba statt an die vormalige Bezirksdirektorin der geschlossenen Bezirksdirektion Ha, W, im Jahre 1997, die unterbliebene Berücksichtigung der stellvertretenden Bezirksdirektorin des Standortes D, Gr, auf die Position der Bezirksdirektorin des Standortes zugunsten eines männlichen Bewerbers, der nicht über das geforderte Hochschulstudium verfügte im Jahre 2005, und die Tatsache, dass nur Männer als Beobachter für das 2007 durchgeführte Entwicklungsaudit für die Ebenen Abteilungsdirektor/Abteilungsleiter fungierten. Des Weiteren könnte es eine Indizwirkung iSd. § 22 AGG entfalten, wenn es zuträfe, dass Dr. Mü der Klägerin im Zusammenhang mit der nicht erfolgten Beförderung der Mitarbeiterin Gr bezogen auf ein damaliges Vorstandsmitglied mitgeteilt hatte, dass dieser keine Frauen wolle, und wenn Männer bei dem Beklagten stets spätestens nach zwei Jahren bei entsprechender Tätigkeit den Direktorentitel verliehen erhielten. Hinsichtlich der zeitlich nach Klageerhebung liegenden Vorfälle wird das Berufungsgericht insbesondere auch berücksichtigen müssen, inwieweit diese Indizien für die Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Geschlechts sind oder lediglich - wenn auch möglicherweise das Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzende - Reaktionen auf einen bestehenden Konflikt darstellen und als solche mit dem Geschlecht der Klägerin nicht im Zusammenhang stehen.

84

II. Die Revision des Beklagten ist auch begründet, soweit er sich gegen seine Verurteilung zu einer monatlichen Zahlung von 1.467,86 Euro brutto wendet.

85

Ein entsprechender Anspruch der Klägerin gem. §§ 1, 7 Abs. 1, § 15 Abs. 1 AGG kann mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts nicht bejaht werden. Dessen Schlussfolgerung, die Klägerin sei wegen ihres Geschlechts nicht befördert und damit unzulässig benachteiligt worden, hält - wie oben dargelegt - einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

86

C. Begründet sind die Revisionen der Klägerin und des Beklagten soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 20.000,00 Euro richten.

87

I. Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere ist er hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

88

Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die von ihr begehrte Entschädigung in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Ein solcher Klageantrag ist hier zulässig, weil die Bestimmung der Höhe des Anspruchs von billigem Ermessen abhängt und damit dem Gericht ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird. Ist die Höhe des Anspruchs nach billigem Ermessen des Gerichts zu bestimmen, ist ein unbezifferter Klageantrag zulässig, wenn der Kläger Tatsachen benennt, die das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung heranziehen soll, und die Größenordnung der Forderung angibt (vgl. Senat 24. September 2009 - 8 AZR 705/08 - mwN, EzA AGG § 3 Nr. 1). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin hat einen Sachverhalt dargelegt, den das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung heranziehen soll und der es grundsätzlich ermöglicht, eine Entschädigung zu bestimmen. Ferner hat die Klägerin Angaben zur Größenordnung der Entschädigung, nämlich mindestens 60.000,00 Euro, gemacht.

89

II. Die Verurteilung des Beklagten durch das Landesarbeitsgericht zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 20.000,00 Euro an die Klägerin hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

90

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht bei der Prüfung der Begründetheit der Entschädigungsklage davon aus, dass sich aus einer schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts ein Entschädigungsanspruch ergeben kann. Dabei hat es auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Entschädigungsansprüchen bei „Mobbing“ Bezug genommen. Danach ist „Mobbing“ kein Rechtsbegriff und damit auch keine Anspruchsgrundlage für Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber oder gegen Arbeitskollegen (Senat 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8). Nicht alles, was als „Mobbing“ bezeichnet wird, ist von rechtlicher, insbesondere arbeitsrechtlicher oder schadensrechtlicher Relevanz. Macht ein Arbeitnehmer konkrete Ansprüche aufgrund „Mobbings“ geltend, muss vielmehr jeweils geprüft werden, ob der in Anspruch Genommene in den genannten Einzelfällen arbeitsvertragliche Pflichten, ein absolutes Recht des Arbeitnehmers iSd. § 823 Abs. 1 BGB, ein Schutzgesetz iSd. § 823 Abs. 2 BGB verletzt oder eine sittenwidrige Schädigung iSd. § 826 BGB begangen hat. Bei dieser Prüfung gilt es weiter zu beachten, dass es Fälle gibt, in denen die einzelnen vom Arbeitnehmer dargelegten Handlungen oder Verhaltensweisen seiner Arbeitskollegen oder seiner Vorgesetzten bzw. des Arbeitgebers für sich allein betrachtet noch keine Rechtsverletzung darstellen, die Gesamtschau der einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen jedoch zu einer Vertrags- oder Rechtsgutsverletzung führt, weil deren Zusammenfassung aufgrund der ihnen zugrunde liegenden Systematik und Zielrichtung zu einer Beeinträchtigung eines geschützten Rechts des Arbeitnehmers führt (vgl. Senat 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - aaO). Eine solche Systematik und Zielrichtung ist dann anzunehmen, wenn unerwünschte Verhaltensweisen bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Dies entspricht weitgehend der nunmehr vom Gesetzgeber in § 3 Abs. 3 AGG(in Kraft seit 18. August 2006) gewählten Definition des Begriffes „Belästigung“. Danach ist eine Belästigung eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 AGG genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt und ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Damit hat der Gesetzgeber auch den Begriff des „Mobbings“ umschrieben, jedenfalls soweit dieses an die nach § 1 AGG verpönten Merkmale anknüpft(vgl. Senat 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - aaO). Entsprechend kann für die Fälle des „Mobbings“ eines Arbeitnehmers, gleich aus welchen Gründen, an § 3 Abs. 3 AGG angeknüpft werden. Diese Norm zeigt vor allem, dass es grundsätzlich auf die Zusammenschau der einzelnen „unerwünschten” Verhaltensweisen ankommt, um zu beurteilen, ob „Mobbing” vorliegt. § 3 Abs. 3 AGG stellt nämlich darauf ab, ob ein durch die unerwünschten Handlungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Ein Umfeld wird aber grundsätzlich nicht durch ein einmaliges, sondern durch ein fortdauerndes Verhalten geschaffen. Damit sind alle Handlungen bzw. Verhaltensweisen, die dem systematischen Prozess der Schaffung eines bestimmten Umfeldes zuzuordnen sind, in die Betrachtung mit einzubeziehen. Deshalb dürfen einzelne zurückliegende Handlungen/Verhaltensweisen bei der Beurteilung nicht unberücksichtigt gelassen werden. Wesensmerkmal der als „Mobbing” bezeichneten Form der Rechtsverletzung des Arbeitnehmers ist damit die systematische, sich aus vielen einzelnen Handlungen/Verhaltensweisen zusammensetzende Verletzung, wobei den einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen für sich allein betrachtet oft keine rechtliche Bedeutung zukommt (Senat 25. Oktober 2007 - 8 AZR 593/06 - BAGE 124, 295 = AP BGB § 611 Mobbing Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 7). Bei dieser Würdigung ist zu berücksichtigen, dass im Arbeitsleben übliche Konfliktsituationen, die sich auch über einen längeren Zeitraum erstrecken können, von der rechtlichen Bewertung auszunehmen sind. Vielmehr sind die kritischen Verhaltensweisen aufgrund einer objektiven Betrachtungsweise und ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers zu bewerten. Dies gilt auch im Verhältnis zu Vorgesetzten. Entsprechend stellen Weisungen, die sich im Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitgebers bewegen, und denen sich nicht eindeutig eine schikanöse Tendenz entnehmen lassen, in der Regel keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar. Gleiches kann für den Rahmen des Direktionsrechts überschreitende Weisungen gelten, denen jedoch sachlich nachvollziehbare Erwägungen des Arbeitgebers zugrunde liegen. Daneben kann es an der die einzelnen Handlungen zusammenfassenden Systematik fehlen, wenn verschiedene Vorgesetzte handeln und nicht zusammenwirken oder wenn zwischen den einzelnen Teilakten lange zeitliche Zwischenräume liegen (vgl. Senat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - BAGE 122, 304 = AP BGB § 611 Mobbing Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 6).

91

2. Ob ein Gesamtverhalten als eine einheitliche Verletzung von Rechten des Arbeitnehmers zu qualifizieren ist und ob einzelne Handlungen oder Verhaltensweisen für sich genommen oder in der Gesamtschau einen rechtsverletzenden Charakter haben, unterliegt der tatrichterlichen Würdigung und ist damit nur eingeschränkt revisionsrechtlich überprüfbar. Ob Rechte des Arbeitnehmers verletzt worden sind, muss von den Tatsachengerichten aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung unter sorgsamer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Diese Würdigung darf dem Berufungsgericht nicht entzogen werden. Daher kann das Revisionsgericht nur überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt, alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles beachtet und hinreichend gewürdigt hat und ob es in die vorzunehmende Güter- und Interessenabwägung die wesentlichen Umstände des Einzelfalles in nachvollziehbarer Weise mit einbezogen hat sowie ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (vgl. Senat 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8).

92

3. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Festsetzung der Höhe einer Entschädigung in Höhe von 20.000,00 Euro zugunsten der Klägerin zu Unrecht in seine Gesamtschau eine Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin durch die unterbliebene Beförderung mit einbezogen. Wie oben dargelegt durfte das Landesarbeitsgericht mit der von ihm gegebenen Begründung eine solche Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht bejahen. Durch diese unzulässige Miteinbeziehung dieses Sachverhalts erweist sich die gesamte Bewertung der vom Landesarbeitsgericht angenommenen Persönlichkeitsrechtsverletzung als rechtsfehlerhaft.

93

Insbesondere verstößt das Landesarbeitsgericht dadurch gegen das Erfordernis einer Gesamtschau, dass es für den Fall, dass in der unterbliebenen Beförderung der Klägerin keine Persönlichkeitsrechtsverletzung zu sehen sein sollte, für die nachfolgenden Handlungen des Beklagten „zumindest eine Entschädigung in Höhe von 16.000,00 Euro“ als „gerechtfertigt“ ansieht.

94

Eine solche getrennte Beurteilung ist nicht zulässig, weil die von der Klägerin geltend gemachten Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht eindeutig in solche aufgespaltet werden können, die im Zusammenhang mit der streitbefangenen Nichtbeförderung der Klägerin stehen, und in solche die möglicherweise mit der unterbliebenen Beförderung nichts zu tun haben. Alle von der Klägerin vorgetragenen Verletzungen stehen in einem Zusammenhang und wären deshalb - soweit das Landesarbeitsgericht in ihnen Bestandteile einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin sieht - im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau zu berücksichtigen gewesen. Von einem solchen Zusammenhang der von der Klägerin zur Stützung ihres Vorwurfs der Persönlichkeitsrechtsverletzung durch den Beklagten herangezogenen Vorfälle ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen. So nimmt es beispielsweise an, dass der Beklagte mit dem Aushang vom 10. Dezember 2006 den Eindruck eines „Kompetenzentzuges“ im Zusammenhang mit der getroffenen Personalentscheidung zugunsten des Mitarbeiters R erweckt hat und dieser trotz der Schreiben vom 3. Januar 2007 und 8. Februar 2007 an die Klägerin nach außen hin „weiter aufrechterhalten“ worden ist. Des Weiteren nimmt das Berufungsgericht an, dass die Klägerin, nachdem sie sich gegen den Eindruck „des Kompetenzentzuges“ und einer Diskriminierung bei der Beförderungsentscheidung gewehrt hatte, einer Behandlung ausgesetzt worden ist, die „sie herabwürdigt und bewusst unter Druck“ gesetzt hat. Damit stellt das Landesarbeitsgericht alle nach der streitbefangenen Beförderungsentscheidung seitens des Beklagten der Klägerin gegenüber getätigten Äußerungen und Verhaltensweisen in einen Zusammenhang mit der als Persönlichkeitsverletzung gewerteten Nichtbeförderung der Klägerin. Auch bei der Beurteilung der Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung stellt das Landesarbeitsgericht darauf ab, dass „ein Großteil des Verhaltens des Beklagten als Reaktion auf die Wahrnehmung vermeintlicher Rechte durch die Klägerin nach dem AGG angesehen werden kann“.

95

4. Eine abschließende Entscheidung in der Sache ist dem Senat verwehrt, weil das Landesarbeitsgericht weder eine zutreffende Gesamtbetrachtung der vorgetragenen Tatsachen/Geschehnisse vorgenommen noch alle anderen von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen, die als einzelne Handlungen oder in der Gesamtschau rechtsverletzenden Charakter haben könnten, berücksichtigt hat.

96

So fehlen bereits Ausführungen dazu, ob das Landesarbeitsgericht aufgrund einer einzelnen Handlung oder erst auf der Basis einer Gesamtschau mehrerer Handlungen eine Persönlichkeitsrechtsverletzung angenommen hat und insbesondere, ob es insgesamt ein systematisches Verhalten sieht, durch welches ein durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen worden ist. Die Würdigung, ob insgesamt ein systematisches Verhalten vorliegt, ist gerade deshalb nötig, weil hier mehrere Personen gehandelt haben, so dass grundsätzlich geklärt werden muss, ob diese zusammengewirkt haben. Auch dazu fehlen weitgehend Ausführungen im angefochtenen Urteil. Lediglich bezüglich des Schreibens vom 3. Januar 2007 nimmt das Landesarbeitsgericht ein Zusammenwirken zwischen Dr. Mü, Dr. H und Herrn R an. Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht auch einige von der Klägerin vorgetragene Tatsachen nicht berücksichtigt. So ist es deren Behauptung nicht nachgegangen, dass im Zusammenhang mit der Besetzung der Stelle in D im April 2005 und ihrer Nachfrage, weshalb Frau Gr nicht in Betracht komme, Dr. Mü sinngemäß bezogen auf ein damaliges Vorstandsmitglied geantwortet haben soll: „Sie kennen ja Herrn Dr. Kr, der will halt keine Frauen“. Sollte diese Äußerung gefallen sein, könnte dies nicht nur auf eine beim Beklagten nicht unübliche Frauendiskriminierung, sondern möglicherweise in der Gesamtschau mit den Verhaltensweisen ab Dezember 2006 auch auf ein „frauenfeindliches Umfeld“ beim Beklagten hindeuten. Ferner hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, dass die Klägerin, obwohl die Personalbetreuung nebst Abfassen von Abmahnungen zu ihren Aufgaben gehört, bei dem Gespräch des Herrn R im Februar 2008 mit dem Mitarbeiter C. in B über die Aufhebung dessen Arbeitsvertrages nicht beteiligt war und die von ihr im Januar 2008 für A K. formulierte Ermahnung Frau S zur Prüfung vorgelegt wurde. Auch dies könnte in der Gesamtschau auf eine Persönlichkeitsverletzung hindeuten.

97

III. Die Revision des Beklagten ist auch begründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Auskunftserteilung über das dem Arbeitnehmer R gezahlte variable Entgelt richtet.

98

1. Die Klage auf Auskunft ist zulässig.

99

a) Der Klageantrag wurde zwar in dieser Form erstmals in der Berufungsverhandlung vom 30. Juli 2008 gestellt. Ob es sich dabei um eine nachträgliche Klageänderung gehandelt hat, kann dahinstehen. Auch eine solche wäre nämlich nach § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 533 ZPO zulässig gewesen, weil der Beklagte sich hierauf widerspruchslos eingelassen hat und deshalb nach § 267 ZPO seine Einwilligung zur Klageänderung anzunehmen ist. Ob der Antrag auf Tatsachen gestützt wird, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hatte, kann ebenfalls offen bleiben. Ob und inwiefern die Berücksichtigung neuer Tatsachen im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren zulässig ist, richtet sich nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO, sondern nach der Spezialregelung in § 67 ArbGG(BAG 25. Januar 2005 - 9 AZR 44/04 - BAGE 113, 247 = AP AEntG § 1 Nr. 22 = EzA AEntG § 1 Nr. 8). Hat das Berufungsgericht - wie hier - Vorbringen zugelassen, ist dies im Revisionsverfahren unanfechtbar und das vom Landesarbeitsgericht zugelassene Sachvorbringen zu berücksichtigen, weil die Beschleunigungswirkung, der die Präklusionsvorschrift des § 67 ArbGG dient, nicht wieder herstellbar ist(vgl. BAG 19. Februar 2008 - 9 AZN 1085/07 - AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 60 = EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 37).

100

b) Der Antrag ist als Klage auf zukünftige Leistung nach § 258 ZPO zulässig. Er dient dem Ziel, den Klageantrag zu 2) um den Betrag der zukünftigen variablen Vergütung des Mitarbeiters R zu ergänzen.

101

2. Das Landesarbeitsgericht hat den Auskunftsanspruch jedoch mit einer nicht tragenden Begründung bejaht. Auch insoweit wirkt sich die unzutreffende Würdigung des Berufungsgerichts im Rahmen der angenommen Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Geschlechts aus.

102

IV. Auf die Revision der Klägerin war das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es die Klage auf Feststellung abgewiesen hat, dass der Beklagte zum Ersatz der durch sein Verhalten bis Juli 2008 der Klägerin entstandenen und entstehen werdenden materiellen und immateriellen Schäden verpflichtet ist.

103

1. Der Feststellungsantrag ist nicht bereits „in großen Teilen unzulässig“, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat.

104

a) So besteht für den Feststellungsantrag in der in der Revisionsinstanz gestellten (beschränkten) Fassung insbesondere das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.

105

Die Annahme eines Feststellungsinteresses setzt voraus, dass dem betroffenen Recht oder der Rechtslage eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht. Dies wird bei der Feststellung einer Schadensersatzpflicht angenommen, wenn zukünftige, noch nicht bezifferbare Schäden möglich sind. Dies gilt auch, wenn ihre Art, ihr Umfang und ihr Eintritt noch ungewiss sind. Allerdings muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bestehen. Dafür genügt die nicht eben entfernt liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Ersatzpflicht durch Auftreten weiterer, bisher noch nicht erkennbarer oder voraussehbarer Leiden (Senat 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - BAGE 122, 304 = AP BGB § 611 Mobbing Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 6). Solches erscheint bezogen auf die Formulierung im Feststellungsantrag „durch die unterbliebene Beförderung auf die Stelle einer Leiterin der bundesweit tätigen Personalabteilung des Beklagten“ für die Zeit ab Dezember 2006 als möglich.

106

b) Gleiches gilt für „sonstige Benachteiligungen, die Maßnahmen nach § 16 AGG darstellen“.

107

c) Darüber hinaus ist der Antrag hinreichend bestimmt gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

108

Der Klageantrag muss den erhobenen Anspruch nach Inhalt und Umfang konkret bezeichnen und die Klageart ergeben. Insoweit ist bei Feststellungsanträgen erforderlich, dass sich für den Fall der Klagestattgabe der objektive Umfang der Bindungswirkung der gerichtlichen Entscheidung hinreichend feststellen lässt (BAG 23. Januar 2007 - 9 AZR 557/06 - AP BGB § 611 Mobbing Nr. 4). Dabei muss der Streitgegenstand so genau bezeichnet werden, dass die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann (BAG 17. Juni 1997 - 1 ABR 10/97  -). Ausreichend ist allerdings, wenn der Antrag in einer dem Bestimmtheitserfordernis genügenden Weise ausgelegt werden kann. Das Gericht ist daher gehalten, eine entsprechende Auslegung des Antrages vorzunehmen, wenn hierdurch eine vom Kläger erkennbar erstrebte Sachentscheidung ermöglicht wird. Dabei darf es sich jedoch nicht über einen eindeutigen Antrag hinwegsetzen (vgl. BAG 17. Juni 1997 - 1 ABR 10/97  -). Darüber hinaus gilt es bei der Beurteilung der hinreichenden Bestimmtheit zu beachten, dass ein Feststellungsantrag einerseits der Hemmung der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB dient und andererseits den Grund des klägerischen Schadensersatzanspruchs klärt, so dass im Falle späterer Folgeschäden nur noch der Ursachenzusammenhang mit dem Schadensereignis und die Schadenshöhe nachzuweisen sind. Vor diesem Hintergrund sind die Anforderungen an die Bestimmtheit des Antrages festzusetzen. Soll ein späterer Rechtsstreit über den Grund des Schadensersatzanspruchs vermieden werden, muss dieser klar aus dem Feststellungsantrag hervorgehen. Insofern war der ursprüngliche Feststellungsantrag - wie von der Klägerin in der Revisionsinstanz klargestellt - so auszulegen, wie es sich aus dem Tatbestand (Ziff. 5 der Anträge) ergibt.

109

2. Ob das von der Klägerin geltend gemachte schadensersatzbegründende Verhalten des Beklagten tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit der Feststellungsklage und kann durch den Senat aufgrund der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend entschieden werden.

110

D. Das Landesarbeitsgericht wird bei seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Revision mitzuentscheiden haben.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Die ehrenamtliche Richterin
Morsch ist wegen Ausscheiden
aus dem Amt an der
Unterschriftsleistung verhindert.
Hauck    

        

    N. Schuster    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 8. Mai 2013 - 5 Sa 513/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher fristloser Kündigungen.

2

Der 1952 geborene Kläger war seit 1986 als angestellter Lehrer für türkischen muttersprachlichen Unterricht bei dem beklagten Land beschäftigt. Er wurde an mehreren Schulen eingesetzt. Auf sein Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.

3

Am Nachmittag des 16. September 2009 erteilte der Kläger Unterricht an einer Gesamtschule. Auf Bitten der betreffenden Mädchen gestattete er die Teilnahme der damals elf Jahre alten Schülerin B, weil diese anschließend gemeinsam mit der von ihm unterrichteten Schülerin I den Heimweg antreten wollte. Da eine Internetrecherche durchgeführt wurde, fand der zweistündige Unterricht im Informatikraum statt. Die Computerarbeitsplätze, an denen die insgesamt fünf Schülerinnen Platz genommen hatten, befanden sich nebeneinander vor einer Wand. Zwei weitere Schüler - darunter der Schüler K - saßen nebeneinander an Computern vor der gegenüber liegenden Wand. Jungen und Mädchen kehrten sich die Rücken zu.

4

Das beklagte Land wirft dem Kläger vor, er sei während des Unterrichts zu der Schülerin B gegangen, habe ihr ohne Anlass über das Haar gestrichen und gesagt, dass sie ein schönes Mädchen sei. Des Weiteren soll er ihr an die Brust gefasst, über die Lippen geleckt und einen Kuss auf den Mund gegeben haben. Die Schülerin soll daraufhin weinend den Unterrichtsraum verlassen haben.

5

Am 17. September 2009 schilderte die Mutter der Schülerin dem Klassenlehrer und dem Schulleiter den Vorfall. Später an diesem Tag bekundete der Schüler K gegenüber dem Klassenlehrer, dass er die Vorkommnisse beobachtet habe.

6

Das beklagte Land gab dem Kläger mit einem den angeblichen Vorfall schildernden Schreiben vom 21. September 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme. Unter Beifügung dieses Schreibens hörte es den Personalrat zu seiner Absicht an, das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos zu kündigen. Die Personalratssitzung fand am 23. September 2009 statt. An der Vorberatung nahm die zuständige Dezernentin teil. Der Personalrat erklärte unter dem 24. September 2009, dass er die beabsichtigte Maßnahme zur Kenntnis nehme. Die Stellungnahme des Klägers ging am 25. September 2009 ein.

7

Mit Schreiben vom 28. September 2009 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

8

Der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 21. September 2010 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Seine Berufung wurde durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 22. März 2011 verworfen, seine Revision vom Oberlandesgericht Hamm am 21. Juli 2011 zurückgewiesen.

9

Nach Anhörung des Personalrats kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 2. Februar 2012 vorsorglich erneut außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

10

Der Kläger hat beide Kündigungen fristgerecht angegriffen. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 28. September 2009 sei unwirksam, weil im Kündigungszeitpunkt erhebliche Zweifel an seiner Täterschaft bestanden hätten. Er habe der betreffenden Schülerin lediglich tröstend über den Kopf gestrichen, weil er sie - wie vor dem Unterricht besprochen - nach einer Stunde nach Hause geschickt habe. Wären der Informatikraum in Augenschein genommen und die von ihm benannten Schülerinnen und Schüler vernommen worden, hätte sich ergeben, dass diese die behauptete Belästigung nicht bemerkt hätten, obwohl sie sie - wäre sie tatsächlich vorgekommen - zwingend hätten bemerken müssen. Im Übrigen stelle das ihm angelastete Verhalten bloß einen übergriffigen Berührungsversuch dar. Neben einer Abmahnung sei als milderes Mittel ein Einsatz an anderen Schulen in Betracht gekommen. Die zu einer Verdachtskündigung erfolgte Anhörung des Personalrats habe nicht vor Eingang seiner - des Klägers - Stellungnahme eingeleitet werden dürfen. Dem Personalrat seien weder seine genauen Sozialdaten noch die ordentliche Unkündbarkeit mitgeteilt worden oder bekannt gewesen. Die Kündigung vom 2. Februar 2012 sei ebenfalls unwirksam.

11

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des beklagten Landes vom 28. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des beklagten Landes vom 2. Februar 2012 nicht aufgelöst worden ist.

12

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat gemeint, bereits die Kündigung vom 28. September 2009 sei wirksam. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Der Kläger habe eine Schülerin unter Missbrauch seiner Stellung als Lehrer unsittlich berührt. Damit habe er jedes Vertrauensverhältnis irreparabel zerstört. Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen, weil es sich - auch für den Kläger erkennbar - um eine besonders schwere Pflichtverletzung gehandelt habe. Die Dezernentin habe vor der Personalratssitzung darauf hingewiesen, dass der Kläger aufgrund der langen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses ordentlich unkündbar sei. Auf seine genauen Sozialdaten sei es weder ihm - dem beklagten Land - noch dem Personalrat angekommen.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, nachdem der Kläger den Vortrag des beklagten Landes zu dem Geschehen am 16. September 2009 - nur - für die erste Instanz unstreitig gestellt hatte.

14

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hierzu hat es die Feststellungen des Landgerichts im Wege des Urkundenbeweises verwertet, nachdem der Kläger den Vorwurf zwar wieder streitig gestellt, sich im ersten Termin zur Berufungsverhandlung aber mit einer Verwertung des Strafurteils mit der Maßgabe einverstanden erklärt hatte, „dass aktenkundig gemacht wird, dass [er] weiterhin die Aussage der [Zeugin] B in diesem Urteil, wie sie dort zugrunde gelegt worden [ist], nicht für richtig erachtet und der Auffassung ist, dass die Zeugin dort gelogen hat“. Auf der Grundlage eines anschließend verkündeten Beschlusses hat das Landesarbeitsgericht in einem zweiten Termin Beweis - einzig - durch Vernehmung des damaligen Personalratsvorsitzenden erhoben.

15

Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist unbegründet.

17

A. Die Klage gegen die Kündigung vom 28. September 2009 ist unbegründet. Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Ein wichtiger Grund besteht (I.). Der Personalrat ist ordnungsgemäß angehört worden (II.).

18

I. Es liegt ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung vor.

19

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 39; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BAGE 146, 303).

20

2. Das dem Kläger vorgeworfene, vom Landesarbeitsgericht für erwiesen erachtete Verhalten stellt einen sexuellen Missbrauch eines Kindes im dienstlichen Bereich dar und ist „an sich“ als wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Tatkündigung geeignet (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 18, BAGE 143, 244; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16).

21

3. Der Behandlung als Tatkündigung steht nicht entgegen, dass das beklagte Land eine Verdachtskündigung erklärt haben könnte. Das gälte selbst dann, wenn der Personalrat lediglich zu einer solchen angehört worden wäre (vgl. BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 ff., BAGE 131, 155).

22

4. Der Vortrag des beklagten Landes ist nicht nach § 288 Abs. 1 ZPO als unstreitig zugrunde zu legen. Der Kläger hat in erster Instanz kein Geständnis erklärt (zu den Anforderungen vgl. BVerfG 6. Februar 2001 - 1 BvR 1030/00 - zu II 2 b der Gründe; BGH 7. Juli 1994 - IX ZR 115/93 - zu I 2 a der Gründe).

23

5. Es kann dahinstehen, ob der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren nach Maßgabe des § 67 ArbGG als verspätet hätte zurückgewiesen werden müssen. Das Revisionsgericht könnte eine fehlerhafte Zulassung des Vorbringens nicht rückgängig machen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 845/11 - Rn. 37; 19. Februar 2008 - 9 AZN 1085/07 - Rn. 11).

24

6. Das Landesarbeitsgericht hat sich in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die volle Überzeugung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO von der Wahrheit des Kündigungsvorwurfs gebildet. Der Kläger zeigt weder hinsichtlich des Beweisverfahrens noch bezüglich der Beweiswürdigung Rechtsfehler auf. Solche sind auch sonst nicht ersichtlich.

25

a) Die Schülerinnen B und I und der Schüler K mussten nicht vernommen werden. Das Landesarbeitsgericht durfte sich seine Überzeugung anhand der Feststellungen des Landgerichts bilden, die dieses auf die Aussagen der drei „Belastungszeugen“ im Strafverfahren gestützt hat.

26

aa) Ein Zivilgericht darf sich, um sich eine eigene Überzeugung davon zu bilden, ob sich ein bestimmtes Geschehen zugetragen hat, auf ein dazu ergangenes Strafurteil stützen. Zwar sind die in einem strafrichterlichen Urteil enthaltenen Feststellungen für die zu derselben Frage erkennenden Zivilgerichte grundsätzlich nicht bindend. Sie können aber im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Zivilrichters iSv. § 286 Abs. 1 ZPO Berücksichtigung finden. Das Strafurteil ist, wenn eine Partei sich zu Beweiszwecken darauf beruft, im Wege des Urkundenbeweises gemäß §§ 415, 417 ZPO zu verwerten(OLG Hamm 7. September 2012 - 9 W 4/12 - zu II der Gründe; OLG Zweibrücken 1. Juli 2010 - 4 U 7/10 - zu II 2 der Gründe). Entgegen der Auffassung des Klägers erschöpft sich die Möglichkeit, die Akten eines anderen Rechtsstreits als Beweisurkunde heranzuziehen, nicht in der Verwertung von schriftlichen Aussagen und Protokollen über die Aussagen von Zeugen (vgl. dazu BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 666/05 - Rn. 20; BGH 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 - zu II 2 a der Gründe).

27

(1) Mit der Verwertung von Feststellungen eines Strafurteils im Wege des Urkundenbeweises wird schon deshalb keine „Erkenntnisquelle dritten Rangs“ zur Entscheidungsgrundlage erhoben (vgl. BGH 2. März 1973 - V ZR 57/71 - zu 1 a der Gründe), weil die Strafprozessordnung ein Wortlautprotokoll grundsätzlich nicht vorsieht. Soweit in Verfahren vor dem Strafrichter oder dem Schöffengericht nach § 273 Abs. 2 StPO das wesentliche Vernehmungsergebnis zu protokollieren und damit ein knappes Inhaltsprotokoll zu fertigen ist, erstreckt sich die Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO nicht auf den Inhalt der protokollierten Aussage. Vielmehr sind grundsätzlich die Urteilsgründe maßgeblich (vgl. Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt StPO 57. Aufl. § 273 Rn. 13 ff. und § 274 Rn. 10). Eine vollständige Niederschreibung von Aussagen erfolgt lediglich unter den engen Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO.

28

(2) Es kommt hinzu, dass der Zivilrichter die vom Strafgericht getroffenen Feststellungen nicht unbesehen übernehmen darf. Er hat die in der Beweisurkunde dargelegten Feststellungen einer eigenen kritischen Überprüfung zu unterziehen (BGH 2. März 1973 - V ZR 57/71 - zu 1 a der Gründe) und den Beweiswert der früheren, lediglich urkundlich in den Worten des Strafrichters belegten Aussage sorgfältig zu prüfen (BGH 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 - zu II 2 a der Gründe).

29

(3) Außerdem darf die Vernehmung von Zeugen nicht unter Hinweis auf die strafgerichtlichen Feststellungen abgelehnt werden (BGH 14. Februar 1967  - VI ZR 139/65 -; OLG Köln 11. Januar 1991 - 19 U 105/90 -). Eine Verwertung der früheren, im Strafurteil wiedergegebenen Aussagen im Wege des Urkundenbeweises anstelle der beantragten Anhörung ist unzulässig, wenn eine Partei zum Zwecke des unmittelbaren Beweises die Vernehmung des Zeugen verlangt (BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 666/05 - Rn. 20; BGH 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 - zu II 2 a der Gründe).

30

(4) Schließlich muss sich das Zivilgericht grundsätzlich einen persönlichen Eindruck von einem Zeugen verschaffen, wenn es auf dessen (Un-)Glaubwürdigkeit abstellen möchte. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die für die Würdigung maßgeblichen Umstände in den Akten festgehalten worden sind und die Parteien Gelegenheit hatten, sich dazu zu erklären (BGH 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 - zu II 2 b der Gründe).

31

bb) Diesen Anforderungen werden das Beweisverfahren und die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts gerecht. Die hiergegen erhobenen Rügen des Klägers sind, soweit zulässig, unbegründet.

32

(1) Aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergibt sich, dass das Landesarbeitsgericht das rechtskräftige Strafurteil des Landgerichts im Wege des Urkundenbeweises (§§ 415 ff. ZPO) herangezogen und verwertet hat.

33

(2) Der Kläger hat nicht auf einer Vernehmung der drei „Belastungszeugen“ durch das Landesarbeitsgericht bestanden. Seine Erklärung im ersten Termin zur Berufungsverhandlung war dahin zu verstehen, dass er sich mit einer Verwertung des Strafurteils hinsichtlich der Aussagen aller im Strafverfahren vernommenen Zeugen einverstanden erkläre. Jedenfalls konnte ihm angesichts des auf eine Vernehmung des damaligen Personalratsvorsitzenden beschränkten Beweisbeschlusses des Landesarbeitsgerichts nicht entgangen sein, dass dieses zu dem Kündigungsvorwurf keine Zeugen zu vernehmen gedachte. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger die Vernehmung bestimmter Personen verlangt und Widerspruch oder doch Bedenken gegen die offenbar beabsichtigte umfassende Verwertung des Strafurteils geäußert hätte. Bei dieser Sachlage ist die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe gegen Verfahrensrecht verstoßen, indem es von einer eigenen Vernehmung der fraglichen Zeugen abgesehen habe, nicht ausreichend begründet iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 666/05 - Rn. 21).

34

(3) Aufgrund der Darlegungen des Landgerichts in seinen Urteilsgründen durfte das Landesarbeitsgericht davon ausgehen, dass dort die Ergebnisse der Hauptverhandlung richtig festgehalten worden sind. Der Kläger hat auch nicht geltend gemacht, dass das Strafurteil insoweit Fehler enthalte, als es das Geschehen in der Hauptverhandlung unzutreffend wiedergebe.

35

(4) Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe die vom Landgericht getroffenen Feststellungen ungeprüft übernommen, ist nicht berechtigt. Das angefochtene Urteil enthält eine ins Einzelne gehende eigene Sachverhaltswürdigung.

36

(5) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

37

(a) Eine vom Berufungsgericht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommene Beweiswürdigung unterliegt nur einer eingeschränkten Kontrolle. Es ist lediglich zu prüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und Grenzen des § 286 ZPO beachtet hat. Seine Würdigung muss in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und rechtlich möglich sein (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 1005/12 - Rn. 21; 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 28, BAGE 142, 188).

38

(b) Dem wird die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts gerecht. Es hat in sich schlüssig und widerspruchsfrei dargelegt, warum es für erwiesen hält, dass der Kläger die Schülerin B in der ihm vorgeworfenen Weise unsittlich berührt hat. Hierzu hat es den gesamten Prozessstoff verwertet und insbesondere aufgezeigt, warum es deren Aussagen im Strafverfahren folgt.

39

(aa) Das Landesarbeitsgericht hat die dortigen Bekundungen der Schülerin sorgfältig nachvollzogen und berücksichtigt, aus welchen Gründen diese bewusst oder unbewusst eine falsche Aussage gemacht haben könnte. Es hat die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben unter Orientierung an den Kriterien für die Erstellung von Glaubhaftigkeitsgutachten (vgl. BGH 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) umfassend analysiert. Rechtsfehlerfrei hat es aus ihnen den Schluss gezogen, dass die belastenden Angaben auf ein tatsächlich erlebtes Geschehen zurückgehen. Soweit es auf das Aussageverhalten der Schülerin in der Strafverhandlung abgestellt hat, sind die maßgeblichen Tatsachen in den Akten festgehalten und hatte der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme. Seinem Einwand, die Zeugin könne dadurch zu einer Falschbelastung motiviert worden sein, dass er sie - absprachegemäß - bereits nach einer Unterrichtsstunde nach Hause geschickt habe, ist das Landesarbeitsgericht zu Recht nicht gefolgt. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine derartige Abrede keinen Sinn gemacht hätte. Die Zeugin und ihre vom Kläger - für eine Doppelstunde - unterrichtete Freundin I wollten gerade gemeinsam den Heimweg antreten. Die Freundin habe zudem bekundet, dass die Zeugin ihr vor Verlassen des Informatikraums fast unter Tränen mitgeteilt habe, der Kläger habe sie geküsst.

40

(bb) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dass die Bekundungen der beiden Zeuginnen durch die Äußerungen des Schülers K gegenüber dem Klassenlehrer gestützt würden. Dies durfte es auch ohne einen persönlichen Eindruck von dem Schüler tun. Dessen Glaubwürdigkeit spielte keine Rolle. Das Landesarbeitsgericht hat seine Äußerungen, die er als Zeuge in der Strafverhandlung als gelogen bezeichnet hat, für glaubhaft erachtet, weil er sie bereits spontan im Informatikraum gegenüber Mitschülern und noch am Abend des 16. September 2009 gegenüber seiner Mutter gemacht habe.

41

(cc) Schließlich hat das Landesarbeitsgericht eine „Verschwörung“ gegen den Kläger als fernliegend verworfen. Dazu hat es ohne Rechtsfehler darauf abgestellt, dass weder ein autonomes Motiv für eine Absprache der Schülerin B und des Schülers K ersichtlich sei, noch der Kläger nachvollziehbar dargetan habe, Klassenlehrer und Schulleiter hätten ihn schon vor Bekanntwerden des Kündigungsvorwurfs „loswerden“ wollen und könnten zu diesem Zwecke die beiden Schüler in der geschehenen Weise als „Werkzeuge“ eingesetzt haben.

42

b) Das Landesarbeitsgericht musste dem Antrag des Klägers auf Vernehmung weiterer Schülerinnen und Schüler nicht nachgehen.

43

aa) Ein Beweisantrag kann abgelehnt werden, wenn die zu beweisende Tatsache als wahr unterstellt und die Entscheidung in der Sache von ihrer Wahrheit oder Unwahrheit nicht berührt wird (BGH 21. November 2007 - IV ZR 129/05 - Rn. 2). Unter Beweis gestellte Indiztatsachen können als wahr unterstellt werden, wenn das Gericht deren Beweiskraft verneint (OLG Zweibrücken 1. Juli 2010 - 4 U 7/10 - zu II 3 b der Gründe). Vor der Erhebung eines Gegenbeweises muss der Tatrichter deshalb prüfen, ob die dafür angeführten Indizien - ihre Richtigkeit unterstellt - in ihrer Gesamtschau, ggf. im Zusammenhang mit dem übrigen Prozessstoff, seine Überzeugung von der Wahrheit der Haupttatsache erschüttern würden. Diese Prüfung unterliegt lediglich eingeschränkter Nachprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BGH 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10 - Rn. 45 f., BGHZ 193, 159).

44

bb) Das Landesarbeitsgericht hat seinen tatrichterlichen Beurteilungsspielraum nicht überschritten, wenn es sich in seiner Überzeugungsbildung nicht dadurch gehindert sah, dass weitere Personen den Vorfall nicht wahrgenommen haben. Es hat ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze auf die vom Kläger selbst skizzierte Sitzverteilung der Schülerinnen und Schüler im Informatikraum (teils nebeneinander, teils sich die Rücken zuwendend) und auf den Umstand abgestellt, dass diese vor ihren Bildschirmen saßen und im Internet recherchierten. Für die von § 286 ZPO geforderte Überzeugung des Tatrichters bedarf es keiner absoluten oder unumstößlichen Sicherheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises, sondern nur eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen(st. Rspr., vgl. BGH 16. April 2013 - VI ZR 44/12 - Rn. 8).

45

c) Da die Sitzverteilung unstreitig war, war es auch nicht erforderlich, Augenschein (§§ 371 ff. ZPO) einzunehmen.

46

7. Das Landesarbeitsgericht hat auf der Grundlage des für erwiesen erachteten Sachverhalts rechtsfehlerfrei angenommen, dass eine Abmahnung im Streitfall entbehrlich war und die weitere Interessenabwägung zulasten des Klägers ausgeht.

47

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber alle milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Einer Abmahnung bedarf es auch in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 f.; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18).

48

b) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Verletzung seines Beurteilungsspielraums angenommen, dass es einer Abmahnung im Streitfall nicht bedurfte. Das Fehlverhalten des Klägers wiegt so schwer, dass eine Hinnahme durch das beklagte Land offensichtlich - auch für den Kläger erkennbar - ausgeschlossen war.

49

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass es sich um einen mehraktigen, die Strafbarkeitsschwelle des § 184g Nr. 1 StGB überschreitenden(vgl. dazu BGH 23. Juli 2013 - 1 StR 204/13 - Rn. 8) sexuellen Übergriff auf eine zumindest vorübergehend der Obhut des Klägers unterstellte Schülerin gehandelt habe. Zugleich sei ein nachhaltiger Eingriff in die sexuelle Entwicklung eines elfjährigen Kindes erfolgt. Darin liege augenscheinlich ein Verstoß gegen den Erziehungsauftrag der Schulen und gegen die Pflicht zur unbedingten Wahrung der Würde und der körperlichen und seelischen Integrität der Schüler (vgl. auch Art. 7 Abs. 1 Verf. NW; § 2 Abs. 2 SchulG NW sowie LAG Berlin-Brandenburg 20. Juli 2011 - 26 Sa 1269/10 - zu II 1 a bb (1) der Gründe; Bayr. VGH 12. März 2013 - 16a D 11.624 - zu III und IV 2 a der Gründe).

50

bb) Die Revision setzt diesen Erwägungen lediglich ihre eigene - nicht nachvollziehbare - Wertung entgegen. Es handelte sich nicht um einen „allenfalls grenzwertigen, übergriffigen Berührungsversuch“, sondern um eine vollendete Straftat gemäß § 176 StGB. Der Kläger konnte nicht annehmen, dass sein offensichtlich schweres Fehlverhalten den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht unmittelbar gefährde. Auf die Steuerbarkeit seines Handelns und eine Wiederholungsgefahr kommt es nicht an. Durch das von ihm an den Tag gelegte Verhalten war die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht wieder herstellbar.

51

c) Bei der Interessenabwägung im Übrigen überwiegt das Interesse des beklagten Landes an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihm selbst für den Lauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres (§ 34 Abs. 1 Satz 2 TV-L)nicht zuzumuten. Dies hat das Landesarbeitsgericht im Rahmen des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums rechtsfehlerfrei angenommen.

52

aa) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind allerdings regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß des durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 22).

53

bb) Bei seiner Gesamtwürdigung hat das Landesarbeitsgericht zugunsten des Klägers dessen lange beanstandungsfreie Beschäftigungszeit, den Verlust seiner sozialen Stellung sowie den Umstand berücksichtigt, dass es ihm auf dem eingeschränkten Arbeitsmarkt für Lehrer kaum gelingen dürfte, eine neue Beschäftigung zu finden. Wenn es aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung gleichwohl angenommen hat, das beklagte Land habe das Arbeitsverhältnis selbst bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist nicht fortsetzen müssen, lässt dies Rechtsfehler nicht erkennen.

54

(1) Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger zu Recht keinen ungesteuerten Handlungsimpuls zugutegehalten. Die vom Kläger in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO ist unzulässig. Der Kläger hätte seinen Vortrag auf einen Hinweis nach § 139 ZPO hin substantiieren wollen, führt aber nicht aus, aufgrund welcher besonderen Umstände das Landesarbeitsgericht einen solchen Hinweis hätte erteilen müssen. Zudem ist die Entscheidungserheblichkeit des vermissten Hinweises nicht dargetan. Nach der Revisionsbegründung bezog sich der Einwand ausschließlich auf das einzig zugestandene Berühren des Haars, nicht hingegen auf den vom Landesarbeitsgericht festgestellten mehraktigen Missbrauchsvorgang.

55

(2) Ein ausschließlicher Einsatz des Klägers an anderen Schulen scheidet als milderes Mittel aus. Abgesehen davon, dass das vom Kläger gezeigte Verhalten gegenüber anderen Schülerinnen ebenfalls möglich ist, gilt das zur Abmahnung Gesagte. Die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage ist auch durch eine „Umsetzung“ nicht wieder herstellbar.

56

II. Die Kündigung vom 28. September 2009 ist nicht mangels Anhörung des Personalrats nach § 74 Abs. 3 LPVG NW unwirksam.

57

1. Gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 LPVG NW ist der Personalrat bei außerordentlichen Kündigungen anzuhören. Hierbei sind nach § 74 Abs. 2 Satz 2 LPVG NW die Gründe, auf die sich die beabsichtigte Kündigung stützen soll, vollständig anzugeben. Es gelten die gleichen Anforderungen wie an eine Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG(vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 46). Nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung ist der Personalrat ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat. Nach Sinn und Zweck der Anhörung darf der Arbeitgeber dem Personalrat allerdings solche persönlichen Umstände des Arbeitnehmers nicht vorenthalten, die er - der Arbeitgeber - zwar nicht berücksichtigt hat, die sich jedoch im Rahmen der Interessenabwägung entscheidend zugunsten des Arbeitnehmers auswirken könnten (vgl. BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B II 3 a der Gründe; 21. Juni 2001 - 2 AZR 30/00 - zu B II 3 a der Gründe).

58

2. Danach war die Anhörung des Personalrats vor Ausspruch der Kündigung vom 28. September 2009 ordnungsgemäß.

59

a) Da die Kündigung als Tatkündigung zu behandeln ist, hätte das beklagte Land die Anhörung des Klägers gänzlich unerwähnt lassen können (vgl. BAG 3. März 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 42). Dessen Stellungnahme musste weder abgewartet noch nachgereicht werden.

60

b) Soweit der Kläger nähere Angaben zur Interessenabwägung vermisst, ist dies ohne rechtlichen Belang. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, impliziert die von dem beklagten Land zu seinen - des Klägers - Lasten getroffene Abwägung. Eine nähere Begründung war vor dem Hintergrund des Grundsatzes der subjektiven Determinierung nicht erforderlich. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers gegenüber der Arbeitnehmervertretung reicht nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 27, BAGE 146, 303).

61

c) Da es dem beklagten Land aufgrund der Schwere des Kündigungsvorwurfs auf die exakten Sozialdaten ersichtlich nicht ankam, genügte es, dass der Personalrat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts um die lange Beschäftigungsdauer des Klägers wusste („schon ewig dabei“) und deshalb auch unter diesem Aspekt die Kündigungsabsicht ausreichend beurteilen konnte (vgl. BAG 6. Oktober 2005 - 2 AZR 280/04 - zu B II 2 a der Gründe; 21. Juni 2001 - 2 AZR 30/00 - zu B II 3 a der Gründe).

62

d) Die Anhörung ist nicht deshalb fehlerhaft, weil das beklagte Land möglicherweise nicht darauf hingewiesen hat, dass das Arbeitsverhältnis nicht mehr ordentlich gekündigt werden konnte. Unabhängig von der Frage der materiell-rechtlichen Relevanz dieses Umstands (vgl. BAG 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 34 ff., BAGE 118, 104) und abgesehen davon, dass dem Personalrat ohnehin lediglich die Tatsachen zur Kenntnis gebracht werden müssen, die den Schluss auf die Unkündbarkeit ermöglichen (vgl. BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 773/10 - Rn. 31), ist das Unterbleiben dieses Hinweises deshalb unschädlich, weil der damalige Vorsitzende in seiner Vernehmung bekundet hat, dass „zumindest ihm persönlich“ der besondere Kündigungsschutz des langjährig beschäftigten Klägers bewusst gewesen sei. Dieses Wissen seines Vorsitzenden muss der Personalrat sich zurechnen lassen (vgl. BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 22 für die Tatsachenkenntnis).

63

B. Der gegen die Kündigung vom 2. Februar 2012 gerichtete Klageantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen. Es handelt sich um einen unechten Hilfsantrag.

64

C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Frey    

        

    Torsten Falke    

                 

Tenor

1. Die Revision des Klägers und die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - vom 20. Juni 2013 - 11 Sa 159/12 - werden - unter Aufhebung bzw. Abänderung der gerichtlichen Kostenaussprüche - zurückgewiesen.

2. Die Kosten des gesamten Rechtsstreits haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war seit 2005 bei der beklagten Bundesagentur als Sachbearbeiter „Leistungsgewährung im Bereich SGB II“ beschäftigt. Im Jahr 2001 war er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und Beihilfe hierzu verurteilt worden. Die Vollstreckung war zur Bewährung ausgesetzt und im Jahr 2003 erlassen worden.

3

Mit Schreiben vom 18. Juli 2011 teilte die Staatsanwaltschaft der Beklagten unter Beifügung der Anklageschrift mit, der Kläger werde gemeinsam mit einer anderen Person beschuldigt, unerlaubten Handel mit Kokain betrieben zu haben.

4

Am 15. August 2011 kam es zu einem Gespräch der Parteien. Der Kläger bestritt den ihm zur Last gelegten Sachverhalt und behauptete, weder mit Betäubungsmitteln gehandelt noch solche konsumiert zu haben. Aus der früheren Verurteilung habe er seine Lehren gezogen und alle Kontakte zum bisherigen Freundeskreis abgebrochen.

5

Aufgrund eines weitgehenden Geständnisses wurde der Kläger am 26. Januar 2012 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Davon setzte der Kläger die Beklagte am selben Tag in Kenntnis.

6

Mit Schreiben vom 6. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien nach Anhörung des Personalrats fristlos, mit Schreiben vom 28. Februar 2012 - nach weiterer Anhörung des Personalrats - ordentlich zum 30. Juni 2012.

7

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigungen gewandt. Er hat gemeint, Straftaten aus dem privaten Bereich seien nicht geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Weder liege ein dienstlicher Bezug vor, noch schädigten die Taten das Ansehen der Beklagten in der Öffentlichkeit. Die Behauptung der Beklagten, er habe sich am 13. Juli 2010 an seinem Arbeitsplatz mit seinem Zwischenhändler getroffen, um dort Betäubungsmittelgeschäften nachzugehen, sei unrichtig. Aus den Straftaten ergebe sich auch kein Eignungsmangel. Überdies sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die Beklagte habe ihm die zur Begründung der Kündigungen herangezogenen Auszüge aus den Ermittlungsakten nicht vorgelegt.

8

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung vom 6. Februar 2012 noch durch die ordentliche Kündigung vom 28. Februar 2012 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn als Sachbearbeiter Leistungsgewährung im Bereich SGB II gegen eine Vergütung nach der Tarifgruppe TE IV, Tarifstufe 2 weiter zu beschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die neuerlichen Straftaten stellten einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Jedenfalls vermöchten sie eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen. Der Kläger habe sich schwerwiegender Pflichtverletzungen schuldig gemacht, die einen dienstlichen Bezug hätten. Er habe am 8. Juni 2010 mittels elektronischer Kurznachricht (SMS) die Übergabe von Geld für Rauschgiftgeschäfte vereinbart. Diese sei am folgenden Tag verabredungsgemäß an seinem Arbeitsplatz erfolgt. Überdies habe er jemandem Betäubungsmittel verkauft, der im gleichen Zeitraum Leistungen von ihrer Seite bezogen habe. Am 13. Juli 2010 sei er von seinem Zwischenhändler am Arbeitsplatz aufgesucht worden und dort illegalen Geschäften nachgegangen. Durch die Straftaten sei ihr Ansehen in der Öffentlichkeit beschädigt worden. Aus der Verurteilung und den ihr zugrundeliegenden Taten folge überdies, dass der Kläger für eine weitere Tätigkeit bei ihr nicht geeignet sei.

10

Die Vorinstanzen haben die außerordentliche Kündigung für unwirksam, die ordentliche für sozial gerechtfertigt gehalten. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Mit ihrer Anschlussrevision erstrebt die Beklagte die umfassende Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

11

A. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Kündigung vom 28. Februar 2012 ist iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Zwar ist sie nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt (I.). Sie ist jedoch aus Gründen in seiner Person berechtigt (II.).

12

I. Die Kündigung ist nicht aus Gründen im Verhalten des Klägers berechtigt.

13

1. Eine Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers „bedingt“, wenn dieser seine Vertragspflichten erheblich - in der Regel schuldhaft - verletzt hat und eine dauerhafte störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die - fristgemäße - Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Im Vergleich mit einer fristgemäßen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere Versetzung und Abmahnung in Betracht. Ein kündigungsrelevantes Verhalten liegt nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer eine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Auch die erhebliche Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht kann eine Kündigung sozial rechtfertigen. Eine Nebenpflicht kann auch durch eine außerdienstliche Straftat verletzt werden (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 583/12 - Rn. 24; 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12).

14

2. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei eines Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann. Er ist danach auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Durch ein rechtswidriges außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers werden berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Dies gilt auch für eine außerdienstlich begangene Straftat. Der Arbeitnehmer verstößt mit einer solchen Tat gegen seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn sie einen Bezug zu seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder zu seiner Tätigkeit hat und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer verletzt werden (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 741/12 - Rn. 15). Diese Grundsätze gelten nach der Ablösung des BAT durch den TVöD bzw. den TV-L auch im öffentlichen Dienst (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 583/12 - Rn. 26).

15

3. Danach durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, der Kläger habe durch die begangenen Straftaten seine Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt.

16

a) Die Straftaten, wegen derer der Kläger am 26. Januar 2012 verurteilt worden ist, hat er sämtlich nach dem 15. Juli 2010 begangen. Ihnen fehlt es an einem Bezug zum Arbeitsverhältnis der Parteien. Dass der Kläger die Taten im zeitlichen oder räumlichen Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis begangen hätte, ist weder festgestellt noch ersichtlich.

17

b) Allein der Umstand, dass der Kläger - möglicherweise - gewusst hat, dass einer der Rauschgiftkunden seines Mittäters Leistungen von Seiten der Beklagten bezogen hat, ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zur Begründung des erforderlichen Bezugs nicht ausreichend. Der Kläger kannte diesen „Kunden“ bereits seit längerer Zeit. Die Bekanntschaft war - soweit ersichtlich - nicht durch einen dienstlichen Kontakt vermittelt worden. Der „Kunde“ bezog überdies Leistungen nach dem SGB III, während der Kläger im Bereich der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II tätig war. Auch hat der Kläger diesen Umstand nicht genutzt, um die Beziehung zu pflegen oder gar zu intensivieren. Das Verhältnis zwischen ihm und dem „Kunden“ hat keine Berührungspunkte mit seiner dienstlichen Tätigkeit.

18

c) Ein hinreichender Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis wäre gegeben, wenn der Kläger - wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat - das Dienstgebäude und/oder seine Arbeitszeit zur Abwicklung von Rauschmittelgeschäften genutzt oder dort bzw. während ihrer entsprechende Verabredungen getroffen hätte. Ob es sich tatsächlich so verhielt, kann dahinstehen. Die Beklagte ist mit ihrem entsprechenden Vortrag materiell-rechtlich ausgeschlossen. Insoweit fehlt es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats.

19

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe seinem Kokainlieferanten per SMS vom 8. Juni 2010 angeboten, Geld für den Handel in den Räumlichkeiten der Beklagten zu übergeben. Dieses Verhalten begründe einen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Auf die Frage, ob sich der Kläger auch am 13. Juli 2010 mit seinem Lieferanten am Arbeitsplatz getroffen habe, komme es nicht mehr an.

20

bb) Diese Vorwürfe - ihre Berechtigung unterstellt - können bei der rechtlichen Würdigung keine Berücksichtigung finden. Die Beklagte hat den Personalrat zu ihnen nicht angehört.

21

(1) Nach § 79 Abs. 1 Satz 1 BPersVG ist der Personalrat vor der ordentlichen Kündigung eines Angestellten anzuhören. Die Dienststelle hat die beabsichtigte Maßnahme nach § 68 Abs. 2 Satz 1 BPersVG ihm gegenüber zu begründen. Gemäß § 79 Abs. 4 BPersVG ist eine durch den Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung unwirksam, wenn die Personalvertretung nicht beteiligt worden ist.

22

(2) Die Unterrichtung des Personalrats soll diesem die Möglichkeit eröffnen, sachgerecht zur Kündigungsabsicht Stellung zu nehmen. Dazu ist es notwendig, dass der Dienstherr dem Personalrat die für ihn - den Dienstherrn - maßgeblichen Kündigungsgründe mitteilt. Der Personalrat ist ordnungsgemäß unterrichtet, wenn der Dienstherr ihm die aus seiner subjektiven Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 46; zu § 102 BetrVG: BAG 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13 mwN). Darauf, ob diese Umstände auch objektiv geeignet und ausreichend sind, die Kündigung zu stützen, kommt es für die Ordnungsgemäßheit der Unterrichtung nicht an (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - aaO). Fehlerhaft ist die Unterrichtung, wenn der Dienstherr dem Personalrat bewusst unrichtige oder unvollständige Sachverhalte unterbreitet oder einen für dessen Entschließung wesentlichen, insbesondere einen den Arbeitnehmer entlastenden Umstand verschweigt.

23

(3) Waren dem Arbeitgeber bei Zugang der Kündigung bestimmte Tatsachen nicht bekannt, darf er diese im Rechtsstreit zur Begründung der Kündigung zwar nachschieben, muss aber vorher den Personalrat zu ihnen - erneut - angehört haben. Einer weiteren Anhörung bedarf es nicht, wenn die neuen Tatsachen lediglich der Erläuterung und Konkretisierung der bisherigen, dem Personalrat bereits mitgeteilten Kündigungsgründe dienen (vgl. BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 576/09 - Rn. 11; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 34, BAGE 131, 155). Das ist regelmäßig nicht der Fall, wenn die neuen Tatsachen dem mitgeteilten Kündigungssachverhalt erstmals das Gewicht eines Kündigungsgrundes geben oder weitere, selbständig zu würdigende Kündigungssachverhalte betreffen. Das gilt auch dann, wenn der Personalrat der Kündigung zugestimmt hat (vgl. BAG 26. September 1991 - 2 AZR 132/91 - zu III 1 a, b der Gründe).

24

(4) Danach durfte das Landesarbeitsgericht den Vortrag der Beklagten, der Kläger habe sich mit seinem Zwischenhändler zwecks Geldübergabe am Arbeitsplatz getroffen, nicht zur Begründung der Kündigung heranziehen. Über diesen Sachverhalt hatte die Beklagte den Personalrat nicht informiert. Sie hatte ihm mitgeteilt, sie sehe das Vertrauensverhältnis zum Kläger als zerrüttet an, weil dieser vor seiner Verurteilung seine Unschuld beteuert habe. Damit war der Personalrat zwar über die Straftaten unterrichtet, welche Gegenstand der Verurteilung vom 26. Januar 2012 waren. Bei ihnen handelte es sich jedoch sämtlich um Delikte, die zwischen dem 15. Juli und dem 28. August 2010 begangen worden waren. Die im vorliegenden Zusammenhang erhobenen Vorwürfe betreffen demgegenüber den Zeitraum davor und damit Sachverhalte, die von der Verurteilung nicht erfasst sind. Ihre Einführung durch die Beklagte diente auch nicht nur der Konkretisierung der dem Personalrat schon mitgeteilten Kündigungsgründe. Vielmehr vermöchten erst diese dem Verhalten des Klägers das Gewicht eines Kündigungsgrundes zu verleihen, da allenfalls sie geeignet sind, den notwendigen Bezug zum Arbeitsverhältnis herzustellen. Eine gesonderte Anhörung zu diesen Vorwürfen war deshalb nicht entbehrlich.

25

II. Die Kündigung vom 28. Februar 2012 ist durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Dem Kläger fehlt die notwendige Eignung zur Ausübung seiner Tätigkeit.

26

1. Durch § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 KSchG wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn der Arbeitnehmer die erforderliche Eignung oder Fähigkeit nicht (mehr) besitzt, die geschuldete Arbeitsleistung vertragsgerecht zu erbringen. Auch strafbares außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers kann Zweifel an der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit eines Beschäftigten begründen. Sie können dazu führen, dass es ihm - abhängig von seiner Funktion - an der Eignung für die künftige Erledigung seiner Aufgaben mangelt. Ob daraus ein in der Person liegender Kündigungsgrund folgt, hängt von der Art des Delikts, den konkreten Arbeitspflichten des Arbeitnehmers und seiner Stellung im Betrieb ab. So können außerdienstlich begangene Straftaten eines im öffentlichen Dienst mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Arbeitnehmers auch dann zu einem Eignungsmangel führen, wenn es an einem unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis fehlt. Generelle Wertungen lassen sich nicht treffen. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 583/12 - Rn. 14; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 24, BAGE 132, 72).

27

2. Der Kläger war im Bereich der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II und damit in hoheitlicher Funktion mit Publikumsverkehr tätig. Der private - illegale - Vertrieb von Rauschmitteln ist mit dieser Aufgabe nicht vereinbar.

28

a) Die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben in der öffentlichen Verwaltung erfordert eine jederzeit integre und gewissenhafte Ausübung der Tätigkeit. Außerdienstliches strafbares Verhalten vermag die Besorgnis zu begründen, der Arbeitnehmer könne auch im dienstlichen Zusammenhang mit den gesetzlichen Vorgaben in Konflikt geraten. Dadurch wird das erforderliche Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erschüttert.

29

b) Diese Besorgnis bestand im Streitfall umso mehr, als der Kläger die Straftaten im regionalen Zuständigkeitsbereich seiner Dienststelle begangen hat. Dadurch ist es nicht ausgeschlossen, dass sich der Personenkreis, mit dem er dienstlich Kontakt hat, und der, mit dem er strafrechtlich relevante Beziehungen pflegt, überschneiden. Jedenfalls in der Person seines Mittäters hatte sich diese Gefahr bereits realisiert. Aus Sicht der Beklagten bestand deshalb die berechtigte Befürchtung, der Kläger könne in Konflikt zwischen seinen hoheitlichen Verpflichtungen und eigenen finanziellen Interessen geraten. Bewilligt er etwa einem Rauschgiftkunden korrekterweise bestimmte Leistungen nicht, läuft er möglicherweise Gefahr, sich eine Einkommensquelle abzuschneiden. Seine Betäubungsmittelgeschäfte bergen überdies das Risiko, dass er bei der Ausübung seiner beruflichen Verpflichtungen erpressbar ist. Beide Gesichtspunkte können dazu führen, dass der Kläger seinen dienstlichen Pflichten nicht gewissenhaft nachkommt. Es ist der Beklagten nicht zumutbar, einen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, der sich - schuldhaft - in derartige Interessenkonflikte verstrickt hat.

30

3. Die Interessenabwägung führt zu einem Überwiegen der Belange der Beklagten. Zwar ist zu Gunsten des Klägers dessen fast siebenjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Gleichwohl geht das Beendigungsinteresse der Beklagten vor. Zu Lasten des Klägers ist in Rechnung zu stellen, dass der Eignungsmangel aus einem von ihm selbst verschuldeten Verhalten resultiert (vgl. BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 583/12 - Rn. 30; 23. Mai 2013 - 2 AZR 120/12 - Rn. 39). Überdies handelt es sich dabei nicht um ein erstmaliges Fehlverhalten. Der Kläger war bereits im Jahr 2001 wegen eines Betäubungsmitteldelikts strafrechtlich belangt worden. Trotz anderslautender Beteuerungen hat er sich dies nicht zur Lehre gereichen lassen und ist in vergleichbarer Weise erneut straffällig geworden. Erhebliche, ihn entlastende Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen.

31

III. Die ordentliche Kündigung ist nicht mangels Vertretungsmacht gemäß § 180 Satz 1 BGB unwirksam.

32

1. Bei einer Kündigung als einseitigem Rechtsgeschäft ist nach § 180 Satz 1 BGB eine Vertretung ohne Vertretungsmacht unzulässig(BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 13). Hat aber derjenige, welchem gegenüber ein solches Rechtsgeschäft vorzunehmen war, die von dem Vertreter behauptete Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts nicht beanstandet, finden gemäß § 180 Satz 2 BGB die Vorschriften über Verträge entsprechende Anwendung. Das bedeutet ua., dass das Rechtsgeschäft nach § 177 Abs. 1 BGB genehmigt werden kann.

33

2. Bezogen auf die ordentliche Kündigung vom 28. Februar 2012 hat der Kläger nicht behauptet, er habe das Fehlen der Vertretungsmacht der Unterzeichnerin des Kündigungsschreibens bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts beanstandet. Die Kündigungserklärung war damit nach § 180 Satz 2, § 177 Abs. 1 BGB allenfalls schwebend unwirksam und genehmigungsfähig. Eine solche Genehmigung hat die Beklagte zumindest konkludent dadurch erteilt, dass sie im Rahmen des Rechtsstreits die Kündigungsbefugnis der Vorsitzenden der örtlichen Geschäftsführung ausdrücklich behauptet und die Rechtmäßigkeit der Kündigung verteidigt hat (vgl. dazu BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 13).

34

IV. Die Kündigung ist nicht nach § 79 Abs. 4 BPersVG unwirksam.

35

1. Die Beklagte hat den Personalrat ordnungsgemäß unterrichtet. Sie hat ihm die Personalien des Klägers, die Beschäftigungsdauer, die Kündigungsart sowie die Kündigungsgründe mitgeteilt. Sie hat deutlich gemacht, dass der Grund für die beabsichtigte Kündigung in der Verurteilung des Klägers wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und dem durch sein Bestreiten eingetretenen Vertrauensverlust lag.

36

2. Der Würdigung der Kündigung unter personenbedingten Gesichtspunkten steht nicht entgegen, dass sich die Beklagte gegenüber dem Personalrat nicht ausdrücklich auf solche Aspekte berufen hat. Das Begründungserfordernis des § 68 Abs. 2 Satz 1 BPersVG umfasst nicht eine Verpflichtung des Arbeitgebers, die kündigungsrelevanten Tatsachen einem der Kündigungsgründe des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG förmlich zuzuordnen. Tut er dies dennoch, bindet ihn dies im späteren Kündigungsschutzprozess grundsätzlich nicht. Er kann sich im Rahmen des dem Personalrat unterbreiteten tatsächlichen Kündigungssachverhalts auch auf andere rechtliche Gesichtspunkte berufen, sofern die mitgeteilten Tatsachen diese neuen Aspekte tragen (zu § 102 BetrVG: BAG 24. Februar 2011 - 2 AZR 636/09 - Rn. 44, BAGE 137, 164).

37

V. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits gerichtet. Dieser ist rechtskräftig abgeschlossen.

38

B. Die Anschlussrevision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB sei nicht gegeben.

39

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13).

40

II. Der offenbar gewordene Mangel in der charakterlichen Eignung des Klägers war „an sich“ als wichtiger Grund zur Kündigung geeignet. Er schloss einen weiteren Einsatz des Klägers im hoheitlichen Bereich der Leistungsgewährung grundsätzlich ohne weiteren Aufschub aus. Im Streitfall war der Beklagten jedoch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zuzumuten. Zwar ist zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser seinen Eignungsmangel - anders als etwa in Fällen einer Erkrankung - selbst zu vertreten hat. In der Vergangenheit hat sich dieser jedoch im Arbeitsverhältnis nicht tatsächlich ausgewirkt. Der Kläger hat seine dienstlichen Aufgaben als solche ordnungsgemäß verrichtet. Die Beklagte hat auch keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass in naher Zukunft insoweit mit konkreten Beeinträchtigungen zu rechnen gewesen wäre. Der berechtigten Besorgnis, der Kläger könne erpressbar sein oder es werde das Vertrauen in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung durch eine Weiterbeschäftigung des Klägers erschüttert, wird schon mit einer ordentlichen Kündigung Rechnung getragen.

41

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Beckerle    

                 

Tenor

1. Die Anschlussrevision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Juli 2011 - 10 Sa 1781/10 - wird zurückgewiesen.

2. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 29. Juni 2010 - 1 Ca 2998/09 - zurückgewiesen hat.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionsinstanz - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen. Die 1967 geborene Klägerin war - unter Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten - seit 1991 bei ihr beschäftigt. Zuletzt war sie im Getränkemarkt des Einkaufsmarkts G tätig. Im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung erzielte sie einen monatlichen Bruttoverdienst iHv. 1.406,92 Euro. In dem Markt beschäftigt die Beklagte insgesamt weit mehr als zehn Arbeitnehmer, für die ein 7-köpfiger Betriebsrat errichtet ist.

3

In dem Getränkemarkt waren drei Kassen eingerichtet. Über eine Kasse erfolgte die Leergutannahme. Soweit sie nicht zu besetzen waren, wurde den Kassen der Geräteeinsatz mit dem Wechselgeld entnommen. Ursprünglich wurden die Einsätze im zentralen Kassenbüro des Einkaufsmarkts aufbewahrt. Das brachte es mit sich, dass die Kassenmitarbeiter des Getränkemarkts den Einsatz bei Dienstantritt im Kassenbüro abholen und nach Dienstschluss dorthin zurückbringen mussten. Im Kassenbüro erhielten sie auch das Wechselgeld. Diese Gänge entfielen ab Mitte August 2009, nachdem die Beklagte im Getränkemarkt einen Tresor für die Aufbewahrung der Einsätze und des Wechselgelds hatte installieren lassen.

4

Der Umgang mit Geld war für alle Märkte in sog. Kassenanweisungen geregelt. Deren Erhalt hatte die Klägerin mit ihrer Unterschrift bestätigt. Nach den zuletzt gültigen Regelungen war es Kassenmitarbeitern untersagt, Bargeld in der Dienstkleidung oder im Schubfach des Kassentischs aufzubewahren, Geld aus der Kasse zu entnehmen oder es sich leihweise selbst oder anderen zur Verfügung zu stellen. Geld durfte weder zwischen den Kassenkräften untereinander gewechselt noch nach Geschäftsschluss in den Schubfächern der Kassen aufbewahrt werden. Die Herausgabe zusätzlichen Wechselgelds hatte durch die Marktleitung zu erfolgen. Geldwechselgeschäfte mit Kunden waren untersagt. Geld, das von Kunden liegengelassen wurde, war unmittelbar der Marktleitung auszuhändigen; anschließend sollte es im Büro/Tresor deponiert werden. Im August 2009 erließ die Beklagte zusätzlich eine „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“. Danach sollten „Kassierdifferenzen“ täglich dem Geschäftsleiter gemeldet werden. „Fundgeld“ sollte einmal monatlich „in die 99-er Kasse eingezahlt“, „Klüngelgeld“ einmal pro Woche „auf WGR 700“ gebucht werden.

5

Im Getränkemarkt war seit jeher eine Videokamera installiert. Darüber waren die Mitarbeiter in Kenntnis gesetzt worden. Die Kamera ermöglichte die Überwachung des Kassenbereichs sowie der Ein- und Ausgänge. Die eigentlichen Kassiervorgänge wurden nicht erfasst.

6

Zur Mitte des Jahres 2009 stellte die Beklagte anlässlich einer Revision fest, dass in der ersten Jahreshälfte Leergutdifferenzen iHv. mehr als 7.000,00 Euro aufgetreten waren. Nachdem Kontrollen des Lagerbestands und des Warenausgangs keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten ergeben hatten, vermutete sie deren Ursache im Kassenbereich. Sie ging von der Möglichkeit aus, dass dort ohne Entgegennahme von Leergut „falsche“ Bons gedruckt und entsprechende Gelder der Kasse entnommen würden. Am 7. Juli 2009 vereinbarte sie mit dem Vorsitzenden des Betriebsrats für die Dauer von vier Wochen die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung des Kassenbereichs. Sie beauftragte eine Fachfirma, die in der Zeit vom 13. Juli bis 3. August 2009 die Kassenvorgänge mittels Videokamera aufzeichnete. Die der Firma gleichfalls übertragene Auswertung der Aufzeichnungen einschließlich der Erstellung eines Zusammenschnitts und einer Dokumentation war am 3. September 2009 abgeschlossen. Aus den Aufzeichnungen ging hervor, dass sich unter der Leergutkasse des Getränkemarkts ein Plastikbehälter befand, in dem Geld aufbewahrt wurde. Außerdem war zu erkennen, dass die Klägerin am 16. Juli 2009 gegen 8:45 Uhr, am 22. Juli 2009 gegen 16:13 Uhr und am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr diesem Behältnis Geld entnahm und in ihre Hosentasche steckte. Die Vorgänge als solche sind unstreitig.

7

Am 14. August 2009 hatte die Beklagte der Klägerin wegen eines Verhaltens vom 11. Juli 2009 eine Abmahnung erteilt. An diesem Tag hatte die Klägerin nach Dienstschluss Wechselgeld iHv. 300,00 Euro mit nach Hause genommen, statt es weisungsgemäß im Kassenbüro abzugeben. Die Klägerin hatte sich in einem noch am selben Abend geführten Telefonat auf ein Versehen berufen und das Geld am 12. Juli 2009 bei der Beklagten abgeliefert.

8

Noch am 3. September 2009 führte die Beklagte im Getränkemarkt eine Kontrolle des Kassenbereichs durch; der dort vorgefundene Plastikbehälter enthielt Münzen im Wert von 12,35 Euro. Am 4. September 2009 hörte sie die Klägerin zur Existenz dieser sog. Klüngelgeld-Kasse an und konfrontierte sie mit dem Vorwurf, hieraus Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Mit Schreiben vom 8. September 2009 bat sie den Betriebsrat um Stellungnahme zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung wegen des Verdachts der Untreue und Unterschlagung. Mit Schreiben vom 11. September 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010“.

9

Die Klägerin hat mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage geltend gemacht, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 BGB liege nicht vor. Eine ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. „Klüngelgeld-Kassen“ existierten in sämtlichen Bereichen des Einkaufsmarkts. Sie dienten dazu, Wechselgeld aufzubewahren, das Kunden partout nicht hätten mitnehmen wollen. Sie selbst habe Geld, das sie dieser Kasse entnommen habe, dafür verwendet - wie in vergleichbaren Fällen andere Kassenkräfte auch -, morgens einen Einkaufswagen auszulösen, um damit zugleich mehrere im Getränkemarkt benötigte Kasseneinsätze zu transportieren. Teilweise habe sie dafür zunächst ein eigenes Geldstück benutzt und dies später über die „Klüngelgeld-Kasse“ ausgeglichen. Teilweise sei Kleingeld aus dieser Kasse gegen Geld im Kasseneinsatz getauscht worden, um nicht noch kurz vor Kassenschluss eine neue Wechselgeldrolle öffnen zu müssen. Ihr Verhalten rechtfertige keine Kündigung. Die Zusammenschnitte der Videoaufnahmen, die ohnehin einem Beweisverwertungsverbot unterlägen, böten keinen tauglichen Beweis dafür, dass sie sich Geld aus der fraglichen Kasse rechtswidrig zugeeignet habe. Überdies sei die Betriebsratsanhörung fehlerhaft. Die Klägerin hat Lohnforderungen für die Zeit von September 2009 bis einschließlich Mai 2010 erhoben.

10

Sie hat - soweit noch von Interesse - beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.506,28 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diversen Teilbeträgen seit unterschiedlichen Zeitpunkten zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Warengutschein über 275,00 Euro auszustellen und auszuhändigen;

5. die Beklagte zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgebracht, die Klägerin habe ihre Vertragspflichten schon durch das unerlaubte Führen einer „schwarzen Kasse“ erheblich verletzt. Darüber hinaus habe sie der fraglichen Kasse Geld in der offenkundigen Absicht entnommen, es für sich zu behalten. Zumindest sei sie einer solchen Tat dringend verdächtig. Die Klägerin habe sich - wie aus den Videoaufnahmen ersichtlich - vor jeder Geldentnahme vergewissert, dass ihr niemand zusehe. Dessen habe es bei redlichem Vorgehen nicht bedurft. Ihre Einlassung, sie habe Geldstücke für den Transport der Kasseneinsätze benötigt, stelle eine Schutzbehauptung dar. Für entsprechende Zwecke habe ein Einkaufswagen bereitgestanden, der nicht eigens habe ausgelöst werden müssen. Im Übrigen ergebe sich aus dem Videomaterial nicht, dass die Klägerin mitgeführte Geldstücke je in die „Klüngelgeld-Kasse“ zurückgelegt habe. Die Videoaufzeichnungen seien rechtlich verwertbar. Im Zeitpunkt der Beobachtung habe ein hinreichend eingegrenzter Verdacht dahingehend bestanden, dass Leergutdifferenzen durch Unregelmäßigkeiten im Kassenbereich des Getränkemarkts entstünden. Mildere Mittel zur Aufklärung des Verdachts hätten nicht zur Verfügung gestanden.

12

Das Arbeitsgericht hat die Videoaufzeichnungen zu Beweiszwecken in Augenschein genommen und die Klage - soweit noch von Interesse - in vollem Umfang abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach erneuter Beweisaufnahme auf die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung erkannt. Zudem hat es die Beklagte zur Zahlung von Vergütung nebst Zinsen für die Zeit bis zum 31. März 2010 und zur Aushändigung eines Warengutscheins verurteilt. Die weitergehende Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren hinsichtlich der ordentlichen Kündigung und davon abhängiger Ansprüche weiter. Mit ihrer Anschlussrevision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

13

Die Anschlussrevision der Beklagten ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 ist unwirksam. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), soweit dieses die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat.

14

I. Die Anschlussrevision der Beklagten, soweit sie sich gegen die Entscheidung über das Feststellungsbegehren der Klägerin richtet, hat keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2009 nicht aufgelöst worden.

15

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

16

2. Als wichtiger Grund „an sich“ geeignet sind nicht nur erhebliche Pflichtverletzungen im Sinne von nachgewiesenen Taten. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (zu den Voraussetzungen vgl. nur BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13 mwN).

17

3. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung oder eines dahingehenden dringenden Verdachts jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass gegen die Klägerin ein dringender Verdacht bestand, sich mehrfach Geldstücke aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben, und deshalb „an sich“ ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Im Rahmen seiner Beurteilung, selbst dann sei es der Beklagten bei Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien nicht unzumutbar gewesen, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten, hat das Landesarbeitsgericht alle für und gegen dieses Ergebnis sprechenden Aspekte berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

19

a) Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin zugutegehalten, dass sie durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit über rund 18 Jahre hinweg als Verkäuferin und Kassiererin Loyalität zur Beklagten gezeigt habe. Dies hält sich - auch in Anbetracht der Abmahnung vom 14. August 2009 - im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Die Beklagte ist der Behauptung der Klägerin, sie habe am 11. Juli 2009 die Ablieferung des Wechselgeldes aufgrund hohen Arbeitsanfalls schlicht vergessen, nicht entgegengetreten. Bei dem gerügten Verhalten handelt es sich mithin um einen - unbewussten - Ordnungsverstoß, der die Annahme, die Klägerin habe sich bis zu den umstrittenen Geldentnahmen aus der „Klüngelgeld-Kasse“ als vertrauenswürdig erwiesen, nicht, schon gar nicht zwingend infrage zu stellen vermochte.

20

b) Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht zugunsten der Klägerin berücksichtigt, dass der Beklagten allenfalls ein geringfügiger Schaden entstanden sei. Hat der Arbeitnehmer die Integrität von Eigentum oder Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich verletzt oder ist er einer solchen Tat dringend verdächtig, beeinträchtigt dies zwar die für die Durchführung der Vertragsbeziehung notwendige Vertrauensgrundlage grundsätzlich unabhängig vom Wert des betroffenen Gegenstands (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 27, BAGE 134, 349). Das schließt es aber nicht aus, bei der Gewichtung des Kündigungssachverhalts auf die Höhe eines eingetretenen Schadens Bedacht zu nehmen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184). Die im Berufungsurteil getroffene Interessenabwägung ist - anders als die Beklagte meint - nicht deshalb zu beanstanden, weil sich in der fraglichen Kasse am 4. September 2009 Münzen im Wert von etwas mehr als zwölf Euro befanden. Unbeschadet der Frage, ob bei einem Vermögensnachteil in dieser Höhe eine „Geringfügigkeitsschwelle“ überschritten wäre, ist nicht festgestellt, dass die Klägerin im Verdacht stand, sich Geld in diesem Umfang rechtswidrig zugeeignet oder hierzu doch unmittelbar angesetzt zu haben. Im Übrigen handelte es sich bei dem Umgang mit „Klüngelgeld“ um einen Bereich am Rande der Kassentätigkeit, den die Beklagte ausweislich der im August 2009 erlassenen „Ablaufbeschreibung Kassenbüro“ offenbar selbst für nicht ausreichend geregelt hielt. Auch wenn dieser Gesichtspunkt nicht geeignet ist, das dem - unterstellten - Verdacht zugrundeliegende Verhalten zu rechtfertigen, durfte das Landesarbeitsgericht ihn zugunsten der Klägerin in seine Gesamtbetrachtung einbeziehen.

21

c) Das Landesarbeitsgericht hat die Heimlichkeit des dem Verdacht zugrundeliegenden - unterstellten - Verhaltens nicht außer Acht gelassen, wie die Beklagte gemeint hat. Es hat in ihr lediglich keinen Umstand gesehen, der im vorliegenden Fall die Weiterbeschäftigung der Klägerin für die Dauer der Kündigungsfrist ausgeschlossen hätte. Das hält sich ebenso im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum wie die Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung der Klägerin gegenüber ihrem Kind.

22

II. Ob das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Zwar geht das Landesarbeitsgericht zutreffend von einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats aus (1.). Es durfte aber nicht annehmen, die ordentliche Kündigung sei auch materiell-rechtlich als Verdachtskündigung rechtswirksam, weil sie zwar nicht den Voraussetzungen von § 626 Abs. 1 BGB, wohl aber denen des § 1 Abs. 2 KSchG genüge. Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, das, wäre es erwiesen, nicht auch eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB, sondern lediglich eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG zu rechtfertigen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - trotz des Verdachts - nicht unzumutbar(2.). Da das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung bereits als Verdachtskündigung für wirksam gehalten hat, hat es nicht geprüft, ob eine ordentliche Kündigung wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten berechtigt wäre. Dies wird es nachzuholen haben. Dabei darf es den Inhalt der Videoaufzeichnungen nicht berücksichtigen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig (3.).

23

1. Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG fehlerhaft angewandt, ist unbegründet.

24

a) Für die Mitteilung der Kündigungsgründe iSd. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“(BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 45; jeweils mwN). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er schon aus seiner eigenen Sicht dem Betriebsrat einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt (BAG 12. August 2010 - 2 AZR 945/08 - Rn. 18; 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 - zu B I 1 a der Gründe mwN).

25

b) Danach ist die Anhörung inhaltlich ordnungsgemäß erfolgt.

26

aa) Die Beklagte hat den Betriebsrat am 8. September 2009 schriftlich von ihrer Absicht unterrichtet, das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen des „Verdachts einer Untreue und Unterschlagung“ hilfsweise auch ordentlich zu kündigen. Sie hat ihm dabei die Sozialdaten der Klägerin und die Dauer der einzuhaltenden Kündigungsfrist mitgeteilt. Außerdem hat sie den Anlass, den Zeitraum und das Ergebnis der Videoüberwachung dargestellt. Selbst wenn sich einzelne Angaben als unzutreffend herausgestellt haben sollten - etwa weil die für den 24. Juli 2009 mitgeteilte Geldentnahme tatsächlich nicht die Klägerin, sondern eine Kollegin betrifft und weder die „Speisung“ der Kasse noch die Geldentnahme vom 22. Juli 2009 in Zusammenhang mit der Entgegennahme von Leergut gestanden haben mögen - genügt die Anhörung den gesetzlichen Anforderungen. Es liegen keine Anhaltspunkte für eine bewusst unrichtige oder irreführende Unterrichtung des Betriebsrats vor. Beruhen die falschen Angaben auf einer Verwechslung von Daten oder fehlerhaften Deutung von Äußerungen der Klägerin im Anhörungsgespräch vom 4. September 2009, ist dies im Rahmen von § 102 Abs. 1 BetrVG unschädlich. Entscheidend ist, dass dem Betriebsrat der Kern des Kündigungsvorwurfs zutreffend mitgeteilt wurde. Maßgebend für den Kündigungsentschluss der Beklagten war, dass die Klägerin entgegen eindeutigen Vorgaben Geld, das entweder ihr - der Beklagten - oder ihren Kunden zustand, in einem Plastikbehälter neben der Kasse im Getränkemarkt aufbewahrte, und der damit in Zusammenhang stehende Verdacht, aus diesem Behälter gelegentlich Geld für eigene Zwecke entnommen zu haben. Darauf, ob die Klägerin dies zweimal oder dreimal tat, kam es der Beklagten nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob die Geldentnahme in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Bedienung eines Kunden stand.

27

bb) Die Beklagte brauchte den Betriebsrat nicht darüber zu unterrichten, dass die Überwachung mittels Videokamera - wie die Klägerin gemeint hat - unrechtmäßig war. Davon ging sie subjektiv nicht aus. Soweit die Klägerin nähere Angaben zur Interessenabwägung vermisst, ist dies ohne rechtlichen Belang. Die Anhörung zu ihrer Absicht, das Arbeitsverhältnis der Parteien zu kündigen, impliziert die von der Beklagten zu ihren - der Klägerin - Lasten getroffene Abwägung. Eine nähere Begründung war vor dem Hintergrund des Grundsatzes der subjektiven Determinierung nicht erforderlich. Die Klägerin übersieht, dass die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht so weit reicht wie seine Darlegungslast im Prozess(vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 45; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 19 mwN).

28

cc) Den Feststellungen im Berufungsurteil zufolge hat der Betriebsrat am 10. September 2009 erklärt, er habe die Kündigungsabsicht zur Kenntnis genommen. Das Landesarbeitsgericht hat darin fehlerfrei eine abschließende Stellungnahme erblickt, die es der Beklagten betriebsverfassungsrechtlich ermöglichte, die ordentliche Kündigung am 11. September 2009 zu erklären.

29

2. Dagegen trägt die Begründung, mit der das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 auch materiell-rechtlich für wirksam angesehen hat, seine Würdigung nicht.

30

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin komme zwar nicht als Verursacherin der Leergutdifferenzen in Betracht. Sie stehe aber im dringenden Verdacht, sich fremdes Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ rechtswidrig zugeeignet zu haben. Am 16. Juli und am 22. Juli 2009 habe sie einzelne daraus entnommene Geldstücke in ihre Hosentasche gesteckt. Durch die in Augenschein genommenen Videosequenzen sei bewiesen, dass sie sich bei diesen Handlungen jeweils „versichernd“ in mehrere Richtungen umgesehen habe. Damit habe sie sicherstellen wollen, nicht beobachtet zu werden. Das heimliche Vorgehen spreche für eine Zueignungsabsicht. Zugleich widerlege es ihre Einlassung, die Geldstücke für das Auslösen eines Einkaufswagens benötigt zu haben. Erhärtet werde der Verdacht auf eine Zueignungsabsicht dadurch, dass die Klägerin am 23. Juli 2009 gegen 18:34 Uhr der fraglichen Kasse mehrere Geldstücke entnommen und gegen Geld aus der Scannerkasse „getauscht“ habe. Überdies sei die Höhe des am 3. September 2009 in dem fraglichen Behälter vorgefundenen Geldbetrags nicht mit dem nur gelegentlichen Auslösen eines Einkaufswagens zu erklären. Gestützt auf diese tatsächlichen Umstände ist das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangt, die Kündigung vom 11. September 2009 sei „durch Gründe, die im Verhalten der Klägerin liegen, bedingt“. Das Vertrauen der Beklagten in die Zuverlässigkeit der Klägerin sei „durch die erwiesenen Verdachtsmomente“ irreparabel erschüttert. Die ordentliche Kündigung sei deshalb als gegenüber der außerordentlichen Kündigung milderes Mittel sozial gerechtfertigt.

31

b) Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft. Das Landesarbeitsgericht hat die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 11. September 2009 erkennbar als die einer Verdachtskündigung bejaht. Als solche genügt sie den gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen nicht. Zwar kann eine Verdachtskündigung vom Arbeitgeber auch als ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist erklärt werden und muss nicht notwendig eine außerordentliche Kündigung sein. Sie unterliegt in diesem Fall jedoch keinen geringeren materiell-rechtlichen Anforderungen.

32

aa) Eine Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten (vgl. BAG 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 22; Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 470; Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. § 1 Rn. 276). Dies gilt zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein (vorausgesetzt in BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 42; Bader/Bram-Bram KSchG § 1 Rn. 251). Dies gilt zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG müssen sie zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen würde. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kündigung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens iSv. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“.

33

bb) Angesichts der jeweils aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden, gegensätzlichen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien bedarf das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung der besonderen verfassungsrechtlichen Legitimation. Sie beruht auf der Erwägung, dass dem Arbeitgeber von der Rechtsordnung die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unter dem dringenden Verdacht auf ein Verhalten des Arbeitnehmers, das ihn zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde, nicht zugemutet werden kann. Besteht dagegen der Verdacht auf das Vorliegen eines solchen Grundes nicht, weil selbst erwiesenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könnte, überwiegt bei der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers. In einem solchen Fall nimmt die Rechtsordnung das Risiko, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht in Kauf.

34

cc) Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, dass selbst als erwiesenes nur eine ordentliche Kündigung zu stützen vermöchte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deshalb trotz des entsprechenden Verdachts zuzumuten. Weder liegt ein Grund im Verhalten des Arbeitnehmers, noch liegt ein Grund in der Person des Arbeitnehmers vor, der die Kündigung „bedingen“ könnte. Ein pflichtwidriges Verhalten ist - wie stets bei der Verdachtskündigung - nicht erwiesen und der bloße Verdacht auf ein lediglich die ordentliche Kündigung rechtfertigendes Verhalten führt nicht zu einem Eignungsmangel.

35

c) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB angenommen, dass das Verhalten, dessen die Klägerin verdächtig ist, eine außerordentliche Kündigung nicht zu stützen vermöchte. Diese Würdigung hält, wie dargelegt, der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Damit steht zugleich fest, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung nicht in Betracht kommt.

36

3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dem Senat ist eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Das angefochtene Urteil stellt sich nicht deshalb als im Ergebnis richtig dar, weil die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 zwar nicht als Verdachts-, aber doch als sog. Tatkündigung wirksam wäre. Als solche ist sie nicht schon auf der Grundlage des eigenen Vortrags der Klägerin sozial gerechtfertigt. Um dies auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten beurteilen zu können, fehlt es an Feststellungen und deren Würdigung durch das Landesarbeitsgericht. Diese sind nicht deshalb entbehrlich, weil sich die Beklagte auf eine erwiesene Pflichtverletzung als Kündigungsgrund prozessual nicht berufen hat und der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung unter diesem Aspekt überdies § 102 Abs. 1 BetrVG entgegenstünde.

37

a) Das Vorbringen der Klägerin selbst trägt die Kündigung nicht. Die Klägerin hat sich für die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ auf eine in verschiedenen Abteilungen des Betriebs geübte Praxis und überdies darauf berufen, diese sei der Beklagten - zumindest rudimentär - bekannt gewesen. Trifft dies zu, liegt in dem Vorhalten der fraglichen Kasse für sich genommen kein Verhalten, das die Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung rechtfertigen könnte. Dass die Klägerin, wie sie einräumt, dieser Kasse gelegentlich einzelne Geldstücke entnommen und außerdem darin enthaltene Münzen gegen im Kasseneinsatz befindliche Geldstücke gewechselt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass sie Geldstücke an sich genommen habe, um sich diese rechtswidrig zuzueignen, hat die Klägerin stets in Abrede gestellt.

38

b) Auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif. Auch wenn die Beklagte neben dem Führen der „Klüngelgeld-Kasse“ als solchem nur den Verdacht auf die rechtswidrige Zueignung von Geldstücken als Kündigungsgrund in den Prozess eingeführt hat, ist das Landesarbeitsgericht nicht gehindert, aufgrund der objektiven Verdachtsumstände ggf. zu der Überzeugung zu gelangen, der Verdacht habe sich in der Weise bestätigt, dass die fragliche Pflichtwidrigkeit nachgewiesen sei.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht würde auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigen, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, BAGE 131, 155). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 26, BAGE 137, 54; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, BAGE 134, 349).

40

bb) Das Landesarbeitsgericht hat sich insoweit ersichtlich weder eine positive noch eine negative Überzeugung gebildet, weil es schon den Verdacht auf eine Zueignungsabsicht der Klägerin als Grund für die ordentliche Kündigung hat ausreichen lassen. Die Beklagte darf nach Aufhebung des für sie günstigen Berufungsurteils nicht um die prozessuale Chance gebracht werden, dass das Landesarbeitsgericht auf der Basis der Rechtsauffassung des Senats die mögliche Erwiesenheit einer Pflichtwidrigkeit der Klägerin geprüft und dabei eine für sie - die Beklagte - günstige Überzeugung gewonnen hätte.

41

c) Der Umstand, dass der Betriebsrat von der Beklagten nur zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer Wirksamkeit der Kündigung wegen eines nachgewiesenen Pflichtenverstoßes nicht notwendig entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des fraglichen Geschehens als erwiesene Tat setzt allerdings voraus, dass dem Betriebsrat am 8. September 2009 sämtliche Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur - möglichen - Überzeugung des Landesarbeitsgerichts auch den Tatvorwurf begründen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, BAGE 134, 349; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, BAGE 131, 155). In diesem Fall wäre dem Normzweck des § 102 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat würde dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt dem Betriebsrat sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24, aaO; 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 217).

42

d) Bei der Prüfung, ob die ordentliche Kündigung vom 11. September 2009 wegen erwiesener Pflichtwidrigkeiten der Klägerin sozial gerechtfertigt ist, darf das Landesarbeitsgericht seine Überzeugung nicht auf den Inhalt der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen stützen. Deren Verwertung ist prozessual unzulässig. Ob dies unmittelbar aus § 6b BDSG oder doch § 32 BDSG folgt, kann im Ergebnis offen bleiben. Ein Verwertungsverbot ergibt sich in jedem Fall aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, die nicht durch überwiegende Beweisinteressen der Beklagten gerechtfertigt ist.

43

aa) Allerdings kennt die Zivilprozessordnung selbst für rechtswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kein - ausdrückliches - prozessuales Verwendungs- bzw. Beweisverwertungsverbot. Aus § 286 ZPO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG folgt vielmehr die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen(BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96 ua. - Rn. 60, BVerfGE 106, 28; BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 30 mwN). Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindert, einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 37; Musielak/Foerste ZPO 10. Aufl. § 284 Rn. 23; MüKoZPO/Prütting 4. Aufl. § 284 Rn. 64).

44

bb) Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202). Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind. Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - aaO; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 21). Dieses Recht schützt nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern schützt in seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch die Befugnis eines Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 15, BAGE 127, 276). Auch wenn keine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, greift die Verwertung von personenbezogenen Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378). Der Achtung dieses Rechts dient zudem Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten(EMRK) (BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 14).

45

cc) Die Bestimmungen des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild. Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in diese Rechtspositionen zulässig sind (für das DSG NRW vgl. BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 16). Dies stellt § 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des BDSG nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift sie erlaubt. Fehlt es an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser Grundsatz des § 4 Abs. 1 BDSG prägt das deutsche Datenschutzrecht(Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 4 Rn. 3; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 4 BDSG Rn. 1; Simitis/Sokol BDSG 7. Aufl. § 4 Rn. 1).

46

(1) In diesem Sinne regelt § 6b BDSG die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen. Die Bestimmung gilt ua. für Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Verkaufsräumen (BT-Drucks. 14/4329, S. 38). Unerheblich ist, ob das Ziel der Beobachtung die Allgemeinheit ist oder die dort beschäftigten Arbeitnehmer sind (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 36). Nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Überwachung nur zulässig, wenn und soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

47

(2) Gemäß dem zum 1. September 2009 in Kraft getretenen § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zu deren Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

48

dd) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kassen des Getränkemarkts vom übrigen Verkaufsraum abgegrenzt waren und die verdeckte Videoüberwachung deshalb keinen „öffentlichen Raum“ iSd. § 6b BDSG betraf(zur Problematik Simitis/Scholz BDSG 7. Aufl. § 6b Rn. 51; Bayreuther NZA 2005, 1038). Im Ergebnis kommt es darauf nicht an. Ebenso kann offen bleiben, ob § 32 BDSG auf Überwachungen Anwendung findet, die vor seinem Inkrafttreten bereits beendet waren, und wie der Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu dem des § 6b BDSG abzugrenzen ist(dazu ErfK/Franzen 13. Aufl. § 6b BDSG Rn. 2; Simitis/Scholz aaO; Bayreuther DB 2012, 2222). Schließlich kann dahinstehen, ob Videoaufzeichnungen, die nicht von den Erlaubnistatbeständen des BDSG gedeckt sind, ohne Weiteres einem prozessualen Beweisverwertungsverbot unterliegen oder ob es für ein solches Verbot einer weitergehenden Abwägung der betroffenen Grundrechte bedarf, in die freilich die im Bundesdatenschutzgesetz getroffene Interessenabwägung einzubeziehen wäre (dazu Bayreuther DB 2012, 2222, 2225; Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 349; Lunk NZA 2009, 457; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Die Verwertung des verdeckt gewonnenen Videomaterials allein für den Beweis der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe sich bei der - als solcher unstreitigen - Entnahme von „Klüngelgeld“ „versichernd umgeschaut“, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zulässig.

49

(1) Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiegt das Interesse an der Verwertung der Videoaufnahmen und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht für sich allein nicht aus (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - BVerfGE 117, 202). Vielmehr muss sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 29; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36 mwN).

50

(2) Dementsprechend sind Eingriffe in das Recht des Arbeitnehmers am eigenen Bild durch heimliche Videoüberwachung und die Verwertung entsprechender Aufzeichnungen dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (grundlegend BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356; 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 30 - beide Male vor Inkrafttreten des § 32 BDSG ). Der Verdacht muss sich in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Er darf sich einerseits nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich andererseits nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - aaO; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO).

51

(3) Das in § 6b Abs. 2 BDSG normierte Kennzeichnungsgebot steht einer Verwertung von Daten, die aus einer verdeckten Videoüberwachung gewonnen wurden, nicht zwingend entgegen(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 41; Bauer/Schansker NJW 2012, 3537; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; wohl auch Bayreuther DB 2012, 2222 ff.). Das gegenteilige Normverständnis, das zu einem absoluten, nur durch bereichsspezifische Spezialregelungen (etwa durch § 100c, § 100h StPO)eingeschränkten Verbot verdeckter Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen führte, begegnete mit Blick auf die durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Integritätsinteressen des Arbeitgebers verfassungsrechtlichen Bedenken.

52

(4) Die Regelung des § 32 BDSG baut auf den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätzen auf. Nach der Gesetzesbegründung sollte sie diese nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen (vgl. BT-Drucks. 16/13657, S. 21). Dementsprechend setzt § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG voraus, dass die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zur Aufdeckung einer Straftat erforderlich ist, und verlangt insoweit eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte, die Interessen des Arbeitgebers und des Beschäftigten abwägende Einzelfallentscheidung. Diese muss zumindest den schon bisher geltenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer heimlichen Videoüberwachung entsprechen (Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; Wybitul BB 2010, 2235).

53

(5) Es kann dahinstehen, ob § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG weitergehend verlangt, dass sich der Verdacht auf ein strafbares Verhalten richtet und deshalb auch der Verdacht auf schwere Pflichtverletzungen, ohne dass zugleich ihre Strafbarkeit feststünde, die Beobachtung nicht rechtfertigen könnte. Ebenso kann offenbleiben, ob die Regelung zusätzliche Anforderungen an die personelle Konkretisierung des Verdachts sowie dessen Dokumentation stellt (zweifelnd Bauer/Schansker NJW 2012, 3537, 3539; Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13). Hier fehlt es schon an der Erfüllung der bisher geltenden Anforderungen an die Zulässigkeit einer verdeckten Videoüberwachung und der Verwertung des daraus gewonnenen Materials. Damit liegt auch ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand nicht vor.

54

(a) Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, für die verdeckte Beobachtung des Kassenbereichs habe ein hinreichender Anlass bestanden. Zwar ist - mangels zulässiger Verfahrensrügen der Revision - davon auszugehen, dass im ersten Halbjahr 2009 im Getränkemarkt Leergutdifferenzen iHv. insgesamt 7.081,63 Euro zu verzeichnen waren. Es ist weder dargetan noch festgestellt, durch welche konkreten Maßnahmen die Beklagte ausgeschlossen haben will, dass Leergut nicht etwa aus dem Lager entwendet worden ist. Ihr Vorbringen, sie habe „keine Fehlbestände an Leergut im Lager und im Kassenbereich festgestellt“ bleibt im Allgemeinen haften. Es lässt nicht erkennen, dass sie stichprobenartige Kontrollen ausreichend oft durchgeführt hätte. Überdies macht ihr Vortrag nicht deutlich, ob vergleichbare Fehlbestände schon früher aufgetreten, ob diese ggf. als „auflaufender Posten“ in die Berechnungen des Jahres 2009 eingeflossen sind und wie Fehlbuchungen als mögliche Ursache ausgeschlossen wurden. Selbst wenn die Beklagte die Ursache der Leergutdifferenzen berechtigterweise im Kassenbereich hätte vermuten dürfen, fehlt es an Vortrag und Feststellungen dazu, weshalb die Videoüberwachung das praktisch einzig verbliebene Mittel gewesen sein soll, die Unregelmäßigkeiten aufzuklären oder doch den Verdacht in personeller Hinsicht weiter einzugrenzen. So ist nicht erkennbar, weshalb nicht stichprobenartige Überprüfungen der Menge des an der - einzigen - Leergutkasse abgegebenen Pfandguts und der jeweiligen Kassenabschlüsse zusammen mit Kontrollen der Mitarbeiter beim Verlassen des Arbeitsplatzes geeignete Maßnahmen hätten sein können.

55

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt im Übrigen nicht ausreichend, dass der fragliche Kündigungssachverhalt der Beklagten nur „zufällig“ bekannt geworden ist. Auf seine Entdeckung war die heimliche Videoüberwachung nicht gerichtet.

56

(aa) Zwar mögen solche „Zufallsfunde“ - unbeschadet der Regelung in § 6b Abs. 3 BDSG - nicht in jedem Fall deshalb unverwertbar sein, weil sie außerhalb des Beobachtungszwecks liegen(vgl. Grimm/Schiefer RdA 2009, 329, 340; aA wohl Bergwitz NZA 2012, 353, 358). Auch bezogen auf „Zufallserkenntnisse“ muss aber das Beweisinteresse des Arbeitgebers höher zu gewichten sein als das Interesse des Arbeitnehmers an der Achtung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das ist nur anzunehmen, wenn das mittels Videodokumentation zu beweisende Verhalten eine wenn nicht strafbare, so doch schwerwiegende Pflichtverletzung zum Gegenstand hat und die verdeckte Videoüberwachung nicht selbst dann noch unverhältnismäßig ist. Erreicht das in Rede stehende Verhalten diesen Erheblichkeitsgrad nicht, muss die Verwertung des Videomaterials unterbleiben.

57

(bb) So liegt es hier. Zwischen den Parteien ist die Existenz der „Klüngelgeld-Kasse“ ebenso unstreitig wie der Umstand, dass die Klägerin daraus gelegentlich kleinere Geldstücke entnommen hat. Die Beweisaufnahme durch Augenschein sollte allein dem Nachweis dienen, dass sich die Klägerin bei der Geldentnahme „versichernd umgesehen“ hat und deshalb vermutlich Zueignungsabsicht besaß. Das rechtfertigt keine Verwertung der heimlichen Videoaufzeichnungen. Zum einen hat die Beklagte nicht dargelegt, dass die Verwertung erforderlich war, um die Einlassung der Klägerin zum Fehlen ihrer Zueignungsabsicht zu widerlegen. Zum anderen ist die heimliche Videoüberwachung zum Nachweis der Absicht, sich einige Münzen im Wert von Centbeträgen zuzueignen, schlechthin unverhältnismäßig.

58

(cc) Es erscheint nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass das Landesarbeitsgericht im Rahmen einer nochmaligen Beweiswürdigung auch ohne Berücksichtigung des Inhalts der Videoaufzeichnungen zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin habe das fragliche Geld aus der „Klüngelgeld-Kasse“ entnommen, um es für sich zu behalten. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang unter Antritt von Zeugenbeweis vorgetragen, für das Auslösen eines Einkaufswagens mit Hilfe von „Klüngelgeld“ habe keinerlei dienstliches Bedürfnis bestanden. Zum Zweck des Transports der Kasseneinsätze sei stets ein frei zugänglicher Wagen bereitgestellt worden.

59

III. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch hinsichtlich der Zahlungsansprüche, die von der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung abhängen. Wegen der der Klägerin für die Zeit bis zum 31. März 2010 zugesprochenen Vergütungsansprüche hat die Entscheidung dagegen Bestand. Die gegen sie gerichtete Anschlussrevision der Beklagten bleibt auch insoweit ohne Erfolg.

60

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortbestanden. Der für diese Zeit geltend gemachte Vergütungsanspruch folgt aus § 615 Satz 1 BGB, § 13 Abs. 1 Satz 5 KSchG iVm. § 11 Nr. 3 KSchG. Er ist der Höhe nach ebenso unstreitig wie die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung des begehrten Warengutscheins.

61

2. Der entsprechende Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB iVm. § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 291 BGB. Sowohl der betreffende Antrag der Klägerin als auch der Tenor des Berufungsurteils sind dahin auszulegen, dass - im Hinblick auf den gesetzlichen Anspruchsübergang - Zinsen nur aus den jeweiligen Bruttobeträgen abzüglich des für den jeweiligen Monat in Anrechnung gebrachten Arbeitslosengelds verlangt bzw. geschuldet sind.

62

IV. Die Zurückverweisung erfasst ferner die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Beide Anträge verfolgt die Klägerin nur für den Fall des Obsiegens mit ihrem Feststellungsbegehren.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    B. Schipp    

        

    Söller    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 8. Mai 2013 - 5 Sa 513/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher fristloser Kündigungen.

2

Der 1952 geborene Kläger war seit 1986 als angestellter Lehrer für türkischen muttersprachlichen Unterricht bei dem beklagten Land beschäftigt. Er wurde an mehreren Schulen eingesetzt. Auf sein Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.

3

Am Nachmittag des 16. September 2009 erteilte der Kläger Unterricht an einer Gesamtschule. Auf Bitten der betreffenden Mädchen gestattete er die Teilnahme der damals elf Jahre alten Schülerin B, weil diese anschließend gemeinsam mit der von ihm unterrichteten Schülerin I den Heimweg antreten wollte. Da eine Internetrecherche durchgeführt wurde, fand der zweistündige Unterricht im Informatikraum statt. Die Computerarbeitsplätze, an denen die insgesamt fünf Schülerinnen Platz genommen hatten, befanden sich nebeneinander vor einer Wand. Zwei weitere Schüler - darunter der Schüler K - saßen nebeneinander an Computern vor der gegenüber liegenden Wand. Jungen und Mädchen kehrten sich die Rücken zu.

4

Das beklagte Land wirft dem Kläger vor, er sei während des Unterrichts zu der Schülerin B gegangen, habe ihr ohne Anlass über das Haar gestrichen und gesagt, dass sie ein schönes Mädchen sei. Des Weiteren soll er ihr an die Brust gefasst, über die Lippen geleckt und einen Kuss auf den Mund gegeben haben. Die Schülerin soll daraufhin weinend den Unterrichtsraum verlassen haben.

5

Am 17. September 2009 schilderte die Mutter der Schülerin dem Klassenlehrer und dem Schulleiter den Vorfall. Später an diesem Tag bekundete der Schüler K gegenüber dem Klassenlehrer, dass er die Vorkommnisse beobachtet habe.

6

Das beklagte Land gab dem Kläger mit einem den angeblichen Vorfall schildernden Schreiben vom 21. September 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme. Unter Beifügung dieses Schreibens hörte es den Personalrat zu seiner Absicht an, das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos zu kündigen. Die Personalratssitzung fand am 23. September 2009 statt. An der Vorberatung nahm die zuständige Dezernentin teil. Der Personalrat erklärte unter dem 24. September 2009, dass er die beabsichtigte Maßnahme zur Kenntnis nehme. Die Stellungnahme des Klägers ging am 25. September 2009 ein.

7

Mit Schreiben vom 28. September 2009 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

8

Der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 21. September 2010 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Seine Berufung wurde durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 22. März 2011 verworfen, seine Revision vom Oberlandesgericht Hamm am 21. Juli 2011 zurückgewiesen.

9

Nach Anhörung des Personalrats kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 2. Februar 2012 vorsorglich erneut außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

10

Der Kläger hat beide Kündigungen fristgerecht angegriffen. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 28. September 2009 sei unwirksam, weil im Kündigungszeitpunkt erhebliche Zweifel an seiner Täterschaft bestanden hätten. Er habe der betreffenden Schülerin lediglich tröstend über den Kopf gestrichen, weil er sie - wie vor dem Unterricht besprochen - nach einer Stunde nach Hause geschickt habe. Wären der Informatikraum in Augenschein genommen und die von ihm benannten Schülerinnen und Schüler vernommen worden, hätte sich ergeben, dass diese die behauptete Belästigung nicht bemerkt hätten, obwohl sie sie - wäre sie tatsächlich vorgekommen - zwingend hätten bemerken müssen. Im Übrigen stelle das ihm angelastete Verhalten bloß einen übergriffigen Berührungsversuch dar. Neben einer Abmahnung sei als milderes Mittel ein Einsatz an anderen Schulen in Betracht gekommen. Die zu einer Verdachtskündigung erfolgte Anhörung des Personalrats habe nicht vor Eingang seiner - des Klägers - Stellungnahme eingeleitet werden dürfen. Dem Personalrat seien weder seine genauen Sozialdaten noch die ordentliche Unkündbarkeit mitgeteilt worden oder bekannt gewesen. Die Kündigung vom 2. Februar 2012 sei ebenfalls unwirksam.

11

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des beklagten Landes vom 28. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des beklagten Landes vom 2. Februar 2012 nicht aufgelöst worden ist.

12

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat gemeint, bereits die Kündigung vom 28. September 2009 sei wirksam. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Der Kläger habe eine Schülerin unter Missbrauch seiner Stellung als Lehrer unsittlich berührt. Damit habe er jedes Vertrauensverhältnis irreparabel zerstört. Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen, weil es sich - auch für den Kläger erkennbar - um eine besonders schwere Pflichtverletzung gehandelt habe. Die Dezernentin habe vor der Personalratssitzung darauf hingewiesen, dass der Kläger aufgrund der langen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses ordentlich unkündbar sei. Auf seine genauen Sozialdaten sei es weder ihm - dem beklagten Land - noch dem Personalrat angekommen.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, nachdem der Kläger den Vortrag des beklagten Landes zu dem Geschehen am 16. September 2009 - nur - für die erste Instanz unstreitig gestellt hatte.

14

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hierzu hat es die Feststellungen des Landgerichts im Wege des Urkundenbeweises verwertet, nachdem der Kläger den Vorwurf zwar wieder streitig gestellt, sich im ersten Termin zur Berufungsverhandlung aber mit einer Verwertung des Strafurteils mit der Maßgabe einverstanden erklärt hatte, „dass aktenkundig gemacht wird, dass [er] weiterhin die Aussage der [Zeugin] B in diesem Urteil, wie sie dort zugrunde gelegt worden [ist], nicht für richtig erachtet und der Auffassung ist, dass die Zeugin dort gelogen hat“. Auf der Grundlage eines anschließend verkündeten Beschlusses hat das Landesarbeitsgericht in einem zweiten Termin Beweis - einzig - durch Vernehmung des damaligen Personalratsvorsitzenden erhoben.

15

Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist unbegründet.

17

A. Die Klage gegen die Kündigung vom 28. September 2009 ist unbegründet. Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Ein wichtiger Grund besteht (I.). Der Personalrat ist ordnungsgemäß angehört worden (II.).

18

I. Es liegt ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung vor.

19

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 39; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BAGE 146, 303).

20

2. Das dem Kläger vorgeworfene, vom Landesarbeitsgericht für erwiesen erachtete Verhalten stellt einen sexuellen Missbrauch eines Kindes im dienstlichen Bereich dar und ist „an sich“ als wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Tatkündigung geeignet (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 18, BAGE 143, 244; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16).

21

3. Der Behandlung als Tatkündigung steht nicht entgegen, dass das beklagte Land eine Verdachtskündigung erklärt haben könnte. Das gälte selbst dann, wenn der Personalrat lediglich zu einer solchen angehört worden wäre (vgl. BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 ff., BAGE 131, 155).

22

4. Der Vortrag des beklagten Landes ist nicht nach § 288 Abs. 1 ZPO als unstreitig zugrunde zu legen. Der Kläger hat in erster Instanz kein Geständnis erklärt (zu den Anforderungen vgl. BVerfG 6. Februar 2001 - 1 BvR 1030/00 - zu II 2 b der Gründe; BGH 7. Juli 1994 - IX ZR 115/93 - zu I 2 a der Gründe).

23

5. Es kann dahinstehen, ob der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren nach Maßgabe des § 67 ArbGG als verspätet hätte zurückgewiesen werden müssen. Das Revisionsgericht könnte eine fehlerhafte Zulassung des Vorbringens nicht rückgängig machen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 845/11 - Rn. 37; 19. Februar 2008 - 9 AZN 1085/07 - Rn. 11).

24

6. Das Landesarbeitsgericht hat sich in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die volle Überzeugung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO von der Wahrheit des Kündigungsvorwurfs gebildet. Der Kläger zeigt weder hinsichtlich des Beweisverfahrens noch bezüglich der Beweiswürdigung Rechtsfehler auf. Solche sind auch sonst nicht ersichtlich.

25

a) Die Schülerinnen B und I und der Schüler K mussten nicht vernommen werden. Das Landesarbeitsgericht durfte sich seine Überzeugung anhand der Feststellungen des Landgerichts bilden, die dieses auf die Aussagen der drei „Belastungszeugen“ im Strafverfahren gestützt hat.

26

aa) Ein Zivilgericht darf sich, um sich eine eigene Überzeugung davon zu bilden, ob sich ein bestimmtes Geschehen zugetragen hat, auf ein dazu ergangenes Strafurteil stützen. Zwar sind die in einem strafrichterlichen Urteil enthaltenen Feststellungen für die zu derselben Frage erkennenden Zivilgerichte grundsätzlich nicht bindend. Sie können aber im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Zivilrichters iSv. § 286 Abs. 1 ZPO Berücksichtigung finden. Das Strafurteil ist, wenn eine Partei sich zu Beweiszwecken darauf beruft, im Wege des Urkundenbeweises gemäß §§ 415, 417 ZPO zu verwerten(OLG Hamm 7. September 2012 - 9 W 4/12 - zu II der Gründe; OLG Zweibrücken 1. Juli 2010 - 4 U 7/10 - zu II 2 der Gründe). Entgegen der Auffassung des Klägers erschöpft sich die Möglichkeit, die Akten eines anderen Rechtsstreits als Beweisurkunde heranzuziehen, nicht in der Verwertung von schriftlichen Aussagen und Protokollen über die Aussagen von Zeugen (vgl. dazu BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 666/05 - Rn. 20; BGH 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 - zu II 2 a der Gründe).

27

(1) Mit der Verwertung von Feststellungen eines Strafurteils im Wege des Urkundenbeweises wird schon deshalb keine „Erkenntnisquelle dritten Rangs“ zur Entscheidungsgrundlage erhoben (vgl. BGH 2. März 1973 - V ZR 57/71 - zu 1 a der Gründe), weil die Strafprozessordnung ein Wortlautprotokoll grundsätzlich nicht vorsieht. Soweit in Verfahren vor dem Strafrichter oder dem Schöffengericht nach § 273 Abs. 2 StPO das wesentliche Vernehmungsergebnis zu protokollieren und damit ein knappes Inhaltsprotokoll zu fertigen ist, erstreckt sich die Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO nicht auf den Inhalt der protokollierten Aussage. Vielmehr sind grundsätzlich die Urteilsgründe maßgeblich (vgl. Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt StPO 57. Aufl. § 273 Rn. 13 ff. und § 274 Rn. 10). Eine vollständige Niederschreibung von Aussagen erfolgt lediglich unter den engen Voraussetzungen des § 273 Abs. 3 StPO.

28

(2) Es kommt hinzu, dass der Zivilrichter die vom Strafgericht getroffenen Feststellungen nicht unbesehen übernehmen darf. Er hat die in der Beweisurkunde dargelegten Feststellungen einer eigenen kritischen Überprüfung zu unterziehen (BGH 2. März 1973 - V ZR 57/71 - zu 1 a der Gründe) und den Beweiswert der früheren, lediglich urkundlich in den Worten des Strafrichters belegten Aussage sorgfältig zu prüfen (BGH 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 - zu II 2 a der Gründe).

29

(3) Außerdem darf die Vernehmung von Zeugen nicht unter Hinweis auf die strafgerichtlichen Feststellungen abgelehnt werden (BGH 14. Februar 1967  - VI ZR 139/65 -; OLG Köln 11. Januar 1991 - 19 U 105/90 -). Eine Verwertung der früheren, im Strafurteil wiedergegebenen Aussagen im Wege des Urkundenbeweises anstelle der beantragten Anhörung ist unzulässig, wenn eine Partei zum Zwecke des unmittelbaren Beweises die Vernehmung des Zeugen verlangt (BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 666/05 - Rn. 20; BGH 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 - zu II 2 a der Gründe).

30

(4) Schließlich muss sich das Zivilgericht grundsätzlich einen persönlichen Eindruck von einem Zeugen verschaffen, wenn es auf dessen (Un-)Glaubwürdigkeit abstellen möchte. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die für die Würdigung maßgeblichen Umstände in den Akten festgehalten worden sind und die Parteien Gelegenheit hatten, sich dazu zu erklären (BGH 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 - zu II 2 b der Gründe).

31

bb) Diesen Anforderungen werden das Beweisverfahren und die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts gerecht. Die hiergegen erhobenen Rügen des Klägers sind, soweit zulässig, unbegründet.

32

(1) Aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergibt sich, dass das Landesarbeitsgericht das rechtskräftige Strafurteil des Landgerichts im Wege des Urkundenbeweises (§§ 415 ff. ZPO) herangezogen und verwertet hat.

33

(2) Der Kläger hat nicht auf einer Vernehmung der drei „Belastungszeugen“ durch das Landesarbeitsgericht bestanden. Seine Erklärung im ersten Termin zur Berufungsverhandlung war dahin zu verstehen, dass er sich mit einer Verwertung des Strafurteils hinsichtlich der Aussagen aller im Strafverfahren vernommenen Zeugen einverstanden erkläre. Jedenfalls konnte ihm angesichts des auf eine Vernehmung des damaligen Personalratsvorsitzenden beschränkten Beweisbeschlusses des Landesarbeitsgerichts nicht entgangen sein, dass dieses zu dem Kündigungsvorwurf keine Zeugen zu vernehmen gedachte. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger die Vernehmung bestimmter Personen verlangt und Widerspruch oder doch Bedenken gegen die offenbar beabsichtigte umfassende Verwertung des Strafurteils geäußert hätte. Bei dieser Sachlage ist die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe gegen Verfahrensrecht verstoßen, indem es von einer eigenen Vernehmung der fraglichen Zeugen abgesehen habe, nicht ausreichend begründet iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 666/05 - Rn. 21).

34

(3) Aufgrund der Darlegungen des Landgerichts in seinen Urteilsgründen durfte das Landesarbeitsgericht davon ausgehen, dass dort die Ergebnisse der Hauptverhandlung richtig festgehalten worden sind. Der Kläger hat auch nicht geltend gemacht, dass das Strafurteil insoweit Fehler enthalte, als es das Geschehen in der Hauptverhandlung unzutreffend wiedergebe.

35

(4) Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe die vom Landgericht getroffenen Feststellungen ungeprüft übernommen, ist nicht berechtigt. Das angefochtene Urteil enthält eine ins Einzelne gehende eigene Sachverhaltswürdigung.

36

(5) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

37

(a) Eine vom Berufungsgericht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommene Beweiswürdigung unterliegt nur einer eingeschränkten Kontrolle. Es ist lediglich zu prüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und Grenzen des § 286 ZPO beachtet hat. Seine Würdigung muss in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und rechtlich möglich sein (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 1005/12 - Rn. 21; 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 28, BAGE 142, 188).

38

(b) Dem wird die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts gerecht. Es hat in sich schlüssig und widerspruchsfrei dargelegt, warum es für erwiesen hält, dass der Kläger die Schülerin B in der ihm vorgeworfenen Weise unsittlich berührt hat. Hierzu hat es den gesamten Prozessstoff verwertet und insbesondere aufgezeigt, warum es deren Aussagen im Strafverfahren folgt.

39

(aa) Das Landesarbeitsgericht hat die dortigen Bekundungen der Schülerin sorgfältig nachvollzogen und berücksichtigt, aus welchen Gründen diese bewusst oder unbewusst eine falsche Aussage gemacht haben könnte. Es hat die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben unter Orientierung an den Kriterien für die Erstellung von Glaubhaftigkeitsgutachten (vgl. BGH 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) umfassend analysiert. Rechtsfehlerfrei hat es aus ihnen den Schluss gezogen, dass die belastenden Angaben auf ein tatsächlich erlebtes Geschehen zurückgehen. Soweit es auf das Aussageverhalten der Schülerin in der Strafverhandlung abgestellt hat, sind die maßgeblichen Tatsachen in den Akten festgehalten und hatte der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme. Seinem Einwand, die Zeugin könne dadurch zu einer Falschbelastung motiviert worden sein, dass er sie - absprachegemäß - bereits nach einer Unterrichtsstunde nach Hause geschickt habe, ist das Landesarbeitsgericht zu Recht nicht gefolgt. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine derartige Abrede keinen Sinn gemacht hätte. Die Zeugin und ihre vom Kläger - für eine Doppelstunde - unterrichtete Freundin I wollten gerade gemeinsam den Heimweg antreten. Die Freundin habe zudem bekundet, dass die Zeugin ihr vor Verlassen des Informatikraums fast unter Tränen mitgeteilt habe, der Kläger habe sie geküsst.

40

(bb) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dass die Bekundungen der beiden Zeuginnen durch die Äußerungen des Schülers K gegenüber dem Klassenlehrer gestützt würden. Dies durfte es auch ohne einen persönlichen Eindruck von dem Schüler tun. Dessen Glaubwürdigkeit spielte keine Rolle. Das Landesarbeitsgericht hat seine Äußerungen, die er als Zeuge in der Strafverhandlung als gelogen bezeichnet hat, für glaubhaft erachtet, weil er sie bereits spontan im Informatikraum gegenüber Mitschülern und noch am Abend des 16. September 2009 gegenüber seiner Mutter gemacht habe.

41

(cc) Schließlich hat das Landesarbeitsgericht eine „Verschwörung“ gegen den Kläger als fernliegend verworfen. Dazu hat es ohne Rechtsfehler darauf abgestellt, dass weder ein autonomes Motiv für eine Absprache der Schülerin B und des Schülers K ersichtlich sei, noch der Kläger nachvollziehbar dargetan habe, Klassenlehrer und Schulleiter hätten ihn schon vor Bekanntwerden des Kündigungsvorwurfs „loswerden“ wollen und könnten zu diesem Zwecke die beiden Schüler in der geschehenen Weise als „Werkzeuge“ eingesetzt haben.

42

b) Das Landesarbeitsgericht musste dem Antrag des Klägers auf Vernehmung weiterer Schülerinnen und Schüler nicht nachgehen.

43

aa) Ein Beweisantrag kann abgelehnt werden, wenn die zu beweisende Tatsache als wahr unterstellt und die Entscheidung in der Sache von ihrer Wahrheit oder Unwahrheit nicht berührt wird (BGH 21. November 2007 - IV ZR 129/05 - Rn. 2). Unter Beweis gestellte Indiztatsachen können als wahr unterstellt werden, wenn das Gericht deren Beweiskraft verneint (OLG Zweibrücken 1. Juli 2010 - 4 U 7/10 - zu II 3 b der Gründe). Vor der Erhebung eines Gegenbeweises muss der Tatrichter deshalb prüfen, ob die dafür angeführten Indizien - ihre Richtigkeit unterstellt - in ihrer Gesamtschau, ggf. im Zusammenhang mit dem übrigen Prozessstoff, seine Überzeugung von der Wahrheit der Haupttatsache erschüttern würden. Diese Prüfung unterliegt lediglich eingeschränkter Nachprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BGH 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10 - Rn. 45 f., BGHZ 193, 159).

44

bb) Das Landesarbeitsgericht hat seinen tatrichterlichen Beurteilungsspielraum nicht überschritten, wenn es sich in seiner Überzeugungsbildung nicht dadurch gehindert sah, dass weitere Personen den Vorfall nicht wahrgenommen haben. Es hat ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze auf die vom Kläger selbst skizzierte Sitzverteilung der Schülerinnen und Schüler im Informatikraum (teils nebeneinander, teils sich die Rücken zuwendend) und auf den Umstand abgestellt, dass diese vor ihren Bildschirmen saßen und im Internet recherchierten. Für die von § 286 ZPO geforderte Überzeugung des Tatrichters bedarf es keiner absoluten oder unumstößlichen Sicherheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises, sondern nur eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen(st. Rspr., vgl. BGH 16. April 2013 - VI ZR 44/12 - Rn. 8).

45

c) Da die Sitzverteilung unstreitig war, war es auch nicht erforderlich, Augenschein (§§ 371 ff. ZPO) einzunehmen.

46

7. Das Landesarbeitsgericht hat auf der Grundlage des für erwiesen erachteten Sachverhalts rechtsfehlerfrei angenommen, dass eine Abmahnung im Streitfall entbehrlich war und die weitere Interessenabwägung zulasten des Klägers ausgeht.

47

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber alle milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Einer Abmahnung bedarf es auch in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 f.; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18).

48

b) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Verletzung seines Beurteilungsspielraums angenommen, dass es einer Abmahnung im Streitfall nicht bedurfte. Das Fehlverhalten des Klägers wiegt so schwer, dass eine Hinnahme durch das beklagte Land offensichtlich - auch für den Kläger erkennbar - ausgeschlossen war.

49

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass es sich um einen mehraktigen, die Strafbarkeitsschwelle des § 184g Nr. 1 StGB überschreitenden(vgl. dazu BGH 23. Juli 2013 - 1 StR 204/13 - Rn. 8) sexuellen Übergriff auf eine zumindest vorübergehend der Obhut des Klägers unterstellte Schülerin gehandelt habe. Zugleich sei ein nachhaltiger Eingriff in die sexuelle Entwicklung eines elfjährigen Kindes erfolgt. Darin liege augenscheinlich ein Verstoß gegen den Erziehungsauftrag der Schulen und gegen die Pflicht zur unbedingten Wahrung der Würde und der körperlichen und seelischen Integrität der Schüler (vgl. auch Art. 7 Abs. 1 Verf. NW; § 2 Abs. 2 SchulG NW sowie LAG Berlin-Brandenburg 20. Juli 2011 - 26 Sa 1269/10 - zu II 1 a bb (1) der Gründe; Bayr. VGH 12. März 2013 - 16a D 11.624 - zu III und IV 2 a der Gründe).

50

bb) Die Revision setzt diesen Erwägungen lediglich ihre eigene - nicht nachvollziehbare - Wertung entgegen. Es handelte sich nicht um einen „allenfalls grenzwertigen, übergriffigen Berührungsversuch“, sondern um eine vollendete Straftat gemäß § 176 StGB. Der Kläger konnte nicht annehmen, dass sein offensichtlich schweres Fehlverhalten den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht unmittelbar gefährde. Auf die Steuerbarkeit seines Handelns und eine Wiederholungsgefahr kommt es nicht an. Durch das von ihm an den Tag gelegte Verhalten war die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht wieder herstellbar.

51

c) Bei der Interessenabwägung im Übrigen überwiegt das Interesse des beklagten Landes an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihm selbst für den Lauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres (§ 34 Abs. 1 Satz 2 TV-L)nicht zuzumuten. Dies hat das Landesarbeitsgericht im Rahmen des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums rechtsfehlerfrei angenommen.

52

aa) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der - fiktiven - Kündigungsfrist zumutbar ist, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind allerdings regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß des durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 22).

53

bb) Bei seiner Gesamtwürdigung hat das Landesarbeitsgericht zugunsten des Klägers dessen lange beanstandungsfreie Beschäftigungszeit, den Verlust seiner sozialen Stellung sowie den Umstand berücksichtigt, dass es ihm auf dem eingeschränkten Arbeitsmarkt für Lehrer kaum gelingen dürfte, eine neue Beschäftigung zu finden. Wenn es aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung gleichwohl angenommen hat, das beklagte Land habe das Arbeitsverhältnis selbst bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist nicht fortsetzen müssen, lässt dies Rechtsfehler nicht erkennen.

54

(1) Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger zu Recht keinen ungesteuerten Handlungsimpuls zugutegehalten. Die vom Kläger in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO ist unzulässig. Der Kläger hätte seinen Vortrag auf einen Hinweis nach § 139 ZPO hin substantiieren wollen, führt aber nicht aus, aufgrund welcher besonderen Umstände das Landesarbeitsgericht einen solchen Hinweis hätte erteilen müssen. Zudem ist die Entscheidungserheblichkeit des vermissten Hinweises nicht dargetan. Nach der Revisionsbegründung bezog sich der Einwand ausschließlich auf das einzig zugestandene Berühren des Haars, nicht hingegen auf den vom Landesarbeitsgericht festgestellten mehraktigen Missbrauchsvorgang.

55

(2) Ein ausschließlicher Einsatz des Klägers an anderen Schulen scheidet als milderes Mittel aus. Abgesehen davon, dass das vom Kläger gezeigte Verhalten gegenüber anderen Schülerinnen ebenfalls möglich ist, gilt das zur Abmahnung Gesagte. Die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage ist auch durch eine „Umsetzung“ nicht wieder herstellbar.

56

II. Die Kündigung vom 28. September 2009 ist nicht mangels Anhörung des Personalrats nach § 74 Abs. 3 LPVG NW unwirksam.

57

1. Gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 LPVG NW ist der Personalrat bei außerordentlichen Kündigungen anzuhören. Hierbei sind nach § 74 Abs. 2 Satz 2 LPVG NW die Gründe, auf die sich die beabsichtigte Kündigung stützen soll, vollständig anzugeben. Es gelten die gleichen Anforderungen wie an eine Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG(vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 46). Nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung ist der Personalrat ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat. Nach Sinn und Zweck der Anhörung darf der Arbeitgeber dem Personalrat allerdings solche persönlichen Umstände des Arbeitnehmers nicht vorenthalten, die er - der Arbeitgeber - zwar nicht berücksichtigt hat, die sich jedoch im Rahmen der Interessenabwägung entscheidend zugunsten des Arbeitnehmers auswirken könnten (vgl. BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B II 3 a der Gründe; 21. Juni 2001 - 2 AZR 30/00 - zu B II 3 a der Gründe).

58

2. Danach war die Anhörung des Personalrats vor Ausspruch der Kündigung vom 28. September 2009 ordnungsgemäß.

59

a) Da die Kündigung als Tatkündigung zu behandeln ist, hätte das beklagte Land die Anhörung des Klägers gänzlich unerwähnt lassen können (vgl. BAG 3. März 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 42). Dessen Stellungnahme musste weder abgewartet noch nachgereicht werden.

60

b) Soweit der Kläger nähere Angaben zur Interessenabwägung vermisst, ist dies ohne rechtlichen Belang. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, impliziert die von dem beklagten Land zu seinen - des Klägers - Lasten getroffene Abwägung. Eine nähere Begründung war vor dem Hintergrund des Grundsatzes der subjektiven Determinierung nicht erforderlich. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers gegenüber der Arbeitnehmervertretung reicht nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 27, BAGE 146, 303).

61

c) Da es dem beklagten Land aufgrund der Schwere des Kündigungsvorwurfs auf die exakten Sozialdaten ersichtlich nicht ankam, genügte es, dass der Personalrat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts um die lange Beschäftigungsdauer des Klägers wusste („schon ewig dabei“) und deshalb auch unter diesem Aspekt die Kündigungsabsicht ausreichend beurteilen konnte (vgl. BAG 6. Oktober 2005 - 2 AZR 280/04 - zu B II 2 a der Gründe; 21. Juni 2001 - 2 AZR 30/00 - zu B II 3 a der Gründe).

62

d) Die Anhörung ist nicht deshalb fehlerhaft, weil das beklagte Land möglicherweise nicht darauf hingewiesen hat, dass das Arbeitsverhältnis nicht mehr ordentlich gekündigt werden konnte. Unabhängig von der Frage der materiell-rechtlichen Relevanz dieses Umstands (vgl. BAG 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 34 ff., BAGE 118, 104) und abgesehen davon, dass dem Personalrat ohnehin lediglich die Tatsachen zur Kenntnis gebracht werden müssen, die den Schluss auf die Unkündbarkeit ermöglichen (vgl. BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 773/10 - Rn. 31), ist das Unterbleiben dieses Hinweises deshalb unschädlich, weil der damalige Vorsitzende in seiner Vernehmung bekundet hat, dass „zumindest ihm persönlich“ der besondere Kündigungsschutz des langjährig beschäftigten Klägers bewusst gewesen sei. Dieses Wissen seines Vorsitzenden muss der Personalrat sich zurechnen lassen (vgl. BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 22 für die Tatsachenkenntnis).

63

B. Der gegen die Kündigung vom 2. Februar 2012 gerichtete Klageantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen. Es handelt sich um einen unechten Hilfsantrag.

64

C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Frey    

        

    Torsten Falke    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Februar 2011 - 3 Sa 474/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier fristloser, hilfsweise fristgerechter Kündigungen.

2

Der Kläger war bei der Beklagten seit 2005 als Chefarzt der Abteilung Allgemein- und Viszeralchirurgie beschäftigt.

3

In § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags vom 18. April 2005 heißt es:

        

„Dem Arzt obliegt die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich …“

4

Gem. § 20 Abs. 3 des Vertrags kann dieser „nach Ablauf der Probezeit … fristlos gemäß § 626 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden“.

5

Wenn der Kläger Operationen durchführte, nahm er den schnurlosen Handapparat seines Diensttelefons und sein privates Mobiltelefon mit in den Operationssaal und legte dort beide Geräte auf den Ablagetisch. Das private Mobiltelefon war in der internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet und dort mit einer Kurzwahlnummer hinterlegt.

6

Mit Schreiben vom 26. September 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger „aus wichtigem Grunde fristlos, hilfsweise zum nächstzulässigen ordentlichen Kündigungstermin“. Sie warf dem Kläger vor, er habe im Operationssaal häufiger Telefonanrufe angenommen oder während laufender Operationen von einem Mitglied des Operationsteams annehmen lassen. Mit Schreiben vom 14. und vom 22. Oktober 2008 kündigte die Beklagte erneut fristlos, hilfsweise fristgemäß.

7

Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat behauptet, im Krankenhaus der Beklagten sei die Nutzung von privaten Mobiltelefonen auch im Operationssaal allgemein üblich gewesen. Fast alle Anrufe während einer Operation seien als hausinterne auf dem Diensttelefon eingegangen und die übrigen nur deshalb auf seinem privaten Mobiltelefon, weil dieses in der internen Telefonliste des Krankenhauses aufgeführt sei. Die während einer Operation geführten Telefonate hätten sich erst in den Monaten Juli bis September 2008 gehäuft, weil seine Sekretärin erkrankt gewesen sei und ihm nur zu sehr eingeschränkten Zeiten eine Ersatzkraft zur Verfügung gestanden habe. Er habe für niedergelassene Ärzte jederzeit erreichbar sein müssen. Diesen habe er neben der Telefonnummer seines Sekretariats auch die seines privaten Mobiltelefons überlassen. Zu keiner Zeit sei ein Patient von ihm unsteril berührt worden. Zu einer zeitlichen Verzögerung von Operationen sei es nicht gekommen. Bei laufender Operation habe ihm ein anderes Mitglied des Operationsteams das Telefon an das Ohr gehalten. Im Übrigen führe selbst eine Verlängerung der Operation um wenige Minuten nicht zu einer Erhöhung der Komplikationsrate.

8

Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Belang - beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 26. September, 14. Oktober und 22. Oktober 2008 weder fristlos noch zum jeweils nächst zulässigen Termin aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, schon die Kündigung vom 26. September 2008 sei als fristlose wirksam. Sie hat behauptet, der Kläger habe in zahlreichen Fällen Operationen zum Führen privater Telefonate unterbrochen. Insbesondere in den Monaten Juli, August und September 2008 habe er täglich mindestens ein Telefonat von bis zu fünf Minuten Länge geführt. Teilweise habe er den Operationssaal für die Dauer von deutlich mehr als fünf Minuten verlassen und dabei den noch nicht operierten Patienten zurückgelassen. Jede Verlängerung der Narkose bedeute für den Patienten eine erhebliche Belastung, die mit schwerwiegenden gesundheitlichen Risiken einhergehe.

10

Die Kündigung vom 14. Oktober 2008 beruhe darauf, dass der Kläger die Patienten auch in seiner Sprechstunde wegen privater Telefonate habe warten lassen. Im Jahr 2008 hätten zudem ca. 20 bis 25 Operationsberichte gefehlt. Ferner habe der Kläger bei der Landesärztekammer eine Weiterbildungsermächtigung unter Angabe falscher Daten beantragt. Die Kündigung vom 22. Oktober 2008 habe sie ausgesprochen, weil der Kläger die vorhergehende mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückgewiesen habe.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet.

13

A. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 26. September 2008 aufgelöst worden.

14

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

15

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349).

16

2. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, NJW 2013, 104; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, aaO).

17

II. Danach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das dem Kläger vorgeworfene Verhalten rechtfertige keine außerordentliche Kündigung, im Ergebnis nicht zu beanstanden.

18

1. Der Kläger hat allerdings seine Vertragspflichten in erheblicher Weise verletzt, indem er sein privates Mobiltelefon im Operationssaal auch zu privat veranlassten Telefonaten genutzt hat. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass die Beklagte Telefonate im Operationssaal keineswegs gänzlich und kategorisch untersagt hatte.

19

a) Nach § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags obliegt dem Kläger die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich. Sowohl im Hinblick auf seine leitende Position als auch auf die gesteigerte Verantwortung für Leben und Gesundheit der Patienten während einer Operation trifft ihn danach die Verpflichtung, bei Ausführung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit Störungen, die die Konzentration aller Mitglieder des Operationsteams beeinträchtigen könnten und nicht durch Notfälle bedingt oder aus medizinischen Gründen erforderlich sind, zu vermeiden.

20

b) Diese Vertragspflicht hat der Kläger verletzt.

21

aa) Das Landesarbeitsgericht hat nach der Vernehmung von Zeugen für wahr erachtet, dass Mitglieder des Operationsteams auf Geheiß des Klägers während laufender Operationen Anrufe auch auf seinem privaten Mobiltelefon entgegengenommen und an ihn weitergeleitet haben. Der Kläger habe auf diesem etwa zwei bis drei Telefonate pro Vormittag für eine Dauer von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten geführt, teilweise bei offenem Operationsfeld. Insgesamt ein- oder zweimal sei seine Ehefrau am Apparat gewesen; den Umständen sei zu entnehmen gewesen, dass diese Telefonate rein privaten Charakter gehabt hätten.

22

bb) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts lässt keine Rechtsfehler erkennen. Sie hat den gesamten Inhalt der Verhandlung gewürdigt, ist in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze.

23

(1) Das Gericht hätte entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen haben müssen, weil diese über Wartezeiten vor und Telefonate während laufender Operationen berichtet haben, ohne zu erwähnen, dass dies auch bei anderen Operateuren vorgekommen sei. Die Zeugen wurden zum Verhalten des Klägers und nicht zu den Üblichkeiten im Krankenhaus befragt.

24

(2) Das Ergebnis der Beweiswürdigung widerspricht - anders als der Kläger meint - nicht deshalb der Lebenserfahrung, weil dieser gar nicht befugt gewesen sei, die Entgegennahme privater Telefonate durch Mitglieder des Operationsteams anzuordnen. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass ein Arbeitnehmer nur Aufgaben übernimmt, zu deren Übertragung der Anweisende berechtigt ist. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass sich Mitarbeiter eines Krankenhauses Anweisungen des Chefarztes aufgrund seiner hierarchischen Stellung weitgehend beugen.

25

(3) Das Landesarbeitsgericht hat keine wesentlichen Inhalte der Zeugenaussagen unberücksichtigt gelassen.

26

(a) Zwar hat die Beweisaufnahme ergeben, dass auch andere Operateure am Operationstisch telefonierten. Nach Aussage des betreffenden Zeugen erfolgte dies jedoch auf dem dienstlichen Handapparat. Das Landesarbeitsgericht musste hieraus nicht den Schluss ziehen, das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen sei üblich.

27

(b) Der Umstand, dass ein Zeuge nach eigener Aussage ebenfalls sein privates Mobiltelefon in den Operationssaal mitgenommen hat, vermag den Kläger nicht zu entlasten. Der Aussage sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Beklagte dieses Verhalten geduldet hat.

28

cc) Das Vorbringen des Klägers, er habe während der Zeit der Krankheit seiner Sekretärin dienstliche Telefonate vermehrt selbst annehmen müssen, ist ohne Belang. Das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen wird dadurch nicht gerechtfertigt.

29

dd) Soweit der Kläger geltend macht, die Nutzung von Mobiltelefonen bei Operationen sei gang und gäbe und habe sich im Sinne der Patientenversorgung sogar als vorteilhaft erwiesen, ist nicht ersichtlich, weshalb dies - die Richtigkeit des Vorliegens unterstellt - auch für private Telefonate gelten sollte.

30

2. Gleichwohl ist es der Beklagten zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen. Angesichts der Umstände des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht. Das vermag der Senat selbst zu entscheiden.

31

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu. Eine eigene Beurteilung der Fallumstände und Abwägung der Interessen durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Ein solcher Fall liegt hier vor.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwar habe es einer Abmahnung des Klägers nicht bedurft, im Rahmen der abschließenden Interessenabwägung überwiege jedoch das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. Dem folgt der Senat nur im Ergebnis. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts ist rechtsfehlerhaft. Sie berücksichtigt nicht ausreichend die Umstände des Streitfalls. Angesichts ihrer ist eine Abmahnung als Reaktion der Beklagten ausreichend.

33

aa) Bei der Beklagten besteht nicht etwa ein generelles Verbot, während einer Operation zu telefonieren. Vielmehr ist zwischen den Parteien unstreitig, dass dienstliche Telefonate während laufender Operationen von der Beklagten zumindest geduldet wurden. Dementsprechend hat sie die Mitnahme des Diensttelefons in den Operationssaal und dessen Benutzung durch den Kläger nicht beanstandet. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, sie habe Vorgaben für das Telefonieren während einer Operation dahingehend gemacht, dass dies nur in Not- oder Ausnahmefällen gestattet sei. Sie hat damit jedenfalls für Fälle dienstlich veranlasster Telefonate billigend in Kauf genommen, dass die Konzentration der Mitglieder eines Operationsteams durch Telefonate beeinträchtigt würde, auch ohne dass ein Not- oder Ausnahmefall vorläge. Der Kläger durfte zwar nicht annehmen, die Beklagte dulde in gleicher Weise auch das Führen privater Telefonate während laufender Operationen. Sein vertragswidriges Verhalten erscheint unter diesen Umständen aber in einem deutlich milderen Licht. Mit privaten Telefonaten ist keine andere Beeinträchtigung der ärztlichen Konzentration und Gefahr für die Sterilität der Umgebung verbunden als mit dienstlich veranlassten. Sie erhöhen die fraglichen Risiken nur in quantitativer, nicht in qualitativer Hinsicht. Zahlenmäßig wiederum waren die privat veranlassten Gespräche eher unbedeutend. So hat das Landesarbeitsgericht zwar für wahr erachtet, dass pro Vormittag im Operationssaal zwei bis drei Anrufe in einer Länge von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten auf dem privaten Mobiltelefon des Klägers zusätzlich zu denen auf dem Arzttelefon eingingen. Es steht aber nicht einmal fest, dass es sich dabei ausnahmslos - und nicht nur in den wenigen ausdrücklich erwähnten Einzelfällen - um private Anrufe handelte. Da die Rufnummer des Mobiltelefons in der internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet war, kann dies auch nicht ohne Weiteres vermutet werden. Zudem ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts weder die seitens der Beklagten vorgetragene - längere - Dauer der Telefonate von bis zu fünf Minuten noch ihre Behauptung erwiesen, der Kläger habe Operationen wegen privat - und gerade nicht dienstlich - veranlasster Telefongespräche unterbrochen.

34

bb) Unter diesen Umständen war vor Ausspruch einer auf die erhobenen Vorwürfe gestützten Kündigung eine Abmahnung des Klägers nicht entbehrlich. Weder gibt es Anhaltspunkte für die Annahme, eine Abmahnung hätte eine Änderung im Verhalten des Klägers in der Zukunft nicht bewirken können, noch wiegt dessen Pflichtverletzung - nicht nur dienstlich veranlasste, sondern auch einige private Telefongespräche aus dem Operationssaal geführt zu haben - so schwer, dass selbst ihre einmalige Hinnahme der Beklagten objektiv unzumutbar wäre. Etwas anderes folgt - entgegen der Auffassung der Revision - auch nicht daraus, dass der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme am 29. Mai 2008 verspätet zur Operation erschienen ist. Dies blieb ein vereinzelter Vorfall.

35

cc) Der Umstand, dass das Landesarbeitsgericht auf die mit dem Beweisbeschluss vom 2. Februar 2010 vorgesehene Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Verhaltensanforderungen des medizinischen Personals bei Operationen, zum Einfluss des Bereithaltens von Mobiltelefonen auf medizinisch-technische Geräte und zu den Gefahren einer Insterilität des Telefons verzichtet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

36

(1) Das Landesarbeitsgericht war nicht deshalb zur Beweiserhebung verpflichtet, weil es den entsprechenden Beweisbeschluss erlassen hat. Ein förmlicher Beweisbeschluss ist eine bloß prozessleitende Anordnung. Er ist für das Gericht nicht bindend (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 359 Rn. 1; Musielak/Stadler ZPO 9. Aufl. § 360 Rn. 2). Es kann vielmehr ganz oder teilweise von der Erledigung des Beschlusses absehen. Dessen formeller Aufhebung bedarf es dazu nicht. Es genügt, dass dies - wie hier geschehen - im Urteil begründet wird (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 360 Rn. 1; Musielak/Stadler aaO).

37

(2) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe jedenfalls aus materiellrechtlichen Gründen nicht von einer Einholung des Gutachtens absehen dürfen, ist bereits unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO. Es fehlt an der Darlegung, welches Ergebnis das Gutachten voraussichtlich erbracht hätte und weshalb dieses Ergebnis zu einer anderen Entscheidung des Berufungsgerichts hätte führen können. Die Rüge ist überdies unbegründet. Auf die zunächst als erheblich angesehenen Beweisfragen kommt es für die Entscheidung nicht an. Die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung hängt nicht davon ab, ob und ggf. welche medizinisch relevanten Risiken mit der Benutzung von (Mobil-)Telefonen im Operationssaal und während laufender Operationen objektiv verbunden sind. Die Gerichte für Arbeitssachen haben im vorliegenden Zusammenhang nicht über die Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst und der Hygiene im Hause der Beklagten zu urteilen. Zu entscheiden ist darüber, ob es der Beklagten unzumutbar ist, mit dem Kläger weiterhin zusammenzuarbeiten, weil dieser nicht nur dienstlich veranlasste Telefonate aus dem Operationssaal mit Arzt- und Mobiltelefon führte - was sie wusste und duldete -, sondern auch einige Privatgespräche. Dafür sind die im ursprünglichen Beweisbeschluss formulierten Fragen ohne Bedeutung.

38

B. Die Kündigung vom 26. September 2008 hat auch als ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung im Streitfall nicht ohnehin vertraglich ausgeschlossen war. Die Kündigung ist nicht iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen und auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

39

C. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist ebenso wenig durch die Kündigungen vom 14. und 22. Oktober 2008 beendet worden. Die Vorinstanzen haben angenommen, das ihrer Begründung dienende Vorbringen der Beklagten sei unsubstantiiert und stütze den Kündigungsvorwurf nicht. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Verfahrensrügen hat die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht erhoben.

40

D. Die Kosten ihres erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    F. Löllgen    

        

    Bartz    

                 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 18. Januar 2010 - 9 Sa 1913/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Die Klägerin war bei der Beklagten seit September 2001 als Verwaltungsfachangestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung und des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 15. Oktober 1991 (MDK-T) Anwendung. Die Beklagte rechnete der Klägerin nach § 14 MDK-T eine Vorbeschäftigungszeit seit Januar 1991 an. Die Klägerin war deshalb gem. § 34 Abs. 1 MDK-T nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Bei der Beklagten besteht eine Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit. Die Mitarbeiter, die an der Gleitzeit teilnehmen, können danach in der Zeit von 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit selbst bestimmen. Nach Nr. VII der Dienstvereinbarung sind von jedem Mitarbeiter Beginn und Ende der Anwesenheitszeit minutengenau zu dokumentieren. Dies geschieht durch Eingabe in ein elektronisches Zeiterfassungssystem mit Hilfe des PCs am Arbeitsplatz. Nach § 12 Abs. 9 MDK-T beginnt und endet die Arbeitszeit „an der Arbeitsstelle“. Unter Nr. IX der Dienstvereinbarung heißt es zu „Unregelmäßigkeiten und Missbrauch“:

        

„Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die in dieser Dienstvereinbarung und den Verwaltungsanordnungen enthaltenen Grundsätze und Bestimmungen nicht einhalten, können mit Zustimmung der Personalvertretung von der GLAZ ausgeschlossen werden.

        

Jedes bewusste Unterlassen der Zeiterfassung oder jede sonstige Manipulation des Zeiterfassungsverfahrens stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die mit dieser Vereinbarung getroffenen Regelungen dar. Der Missbrauch hat grundsätzlich disziplinarische bzw. arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Folge.“

4

Mit Schreiben vom 17. Juni 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin wegen „Arbeitszeitbetrugs“ im Zeitraum vom 26. Mai bis 2. Juni 2008, zumindest wegen eines entsprechenden Verdachts außerordentlich.

5

Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, die Arbeitszeit beginne jeweils bereits dann, wenn sie die Parkplatzeinfahrt durchfahren habe. Sie hat behauptet, es habe keine Anweisung bestanden, dass maßgeblich die Uhr im Eingangsbereich sei. Sie habe häufig viel Zeit mit der Suche nach einem Parkplatz verbracht, für 50 Mitarbeiter hätten nur 27 Parkplätze zur Verfügung gestanden.

6

Die Klägerin hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 17. Juni 2008 nicht beendet wird;

        

2.    

im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verwaltungsangestellte weiterzubeschäftigen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat in den Rechtsstreit weitere fehlerhafte Arbeitszeitabrechnungen der Klägerin für den 3. und 4. Juni 2008 eingeführt. Sie hat behauptet, die Klägerin habe an der gleitenden Arbeitszeit teilgenommen und an insgesamt sieben Arbeitstagen jeweils mindestens 13 Minuten, an einigen Tagen sogar mehr als 20 Minuten als Arbeitszeiten dokumentiert, obwohl sie noch nicht im Betrieb gewesen sei oder den Betrieb bereits verlassen hätte.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. Juni 2008 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an.

10

I. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. Juni 2008 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst.

11

1. Ein wichtiger Grund iSv. § 34 Abs. 1 MDK-T, § 626 Abs. 1 BGB liegt vor.

12

a) Das Arbeitsverhältnis eines nach § 34 Abs. 1 MDK-T ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Der Begriff des wichtigen Grundes iSv. § 34 Abs. 1 MDK-T ist inhaltsgleich mit dem des § 626 Abs. 1 BGB(BAG 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 16, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16). Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, NZA 2010, 1227; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220). Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist nur gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist. Bei einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer ist dabei auf die „fiktive“ Kündigungsfrist abzustellen (BAG 18. September 2008 - 2 AZR 827/06 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 24).

13

b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, das Verhalten der Klägerin rechtfertige an sich eine außerordentliche Kündigung.

14

aa) Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - zu II 3 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264). Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare (vgl. BAG 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - aaO). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 832/98 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53). Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit der am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar (BAG 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - aaO). Nicht anders zu bewerten ist es, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die geleistete Arbeitszeit mit Hilfe des Arbeitsplatzrechners in einer elektronischen Zeiterfassung zu dokumentieren, und er hierbei vorsätzlich falsche Angaben macht. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB).

15

bb) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, die Klägerin habe für den 26., 27., 28. und 29. Mai, sowie den 2., 3. und 4. Juni 2008 jeweils mindestens 13 Minuten, einmal 28 Minuten - insgesamt 135 Minuten - vorsätzlich fehlerhaft zu Lasten der Beklagten als Arbeitszeiten in der Zeiterfassung dokumentiert. Angesichts der nicht unerheblichen Abweichungen zwischen den angegebenen Arbeitszeiten und dem tatsächlichen Betreten des Dienstgebäudes könne es sich bei den Falschangaben nicht nur um fahrlässiges Handeln oder ein Versehen gehandelt haben. Die Klägerin habe im Zeitraum der Beobachtung täglich und damit systematisch fehlerhafte Angaben gemacht. Dabei sei zu ihren Gunsten berücksichtigt, dass die Uhr im Eingangsbereich im Einzelfall um einige Minuten falsch gegangen sein könnte. Ihr Vorbringen zu einer rechtlichen Information von dritter Seite über Beginn und Ende der zu dokumentierenden Anwesenheitszeit sei nicht geeignet, ihren Vorsatz in Frage zu stellen. So erklärten sich die Arbeitszeitdifferenzen von 15 bis zu 28 Minuten selbst dann nicht, wenn man mit der Klägerin das Durchfahren der Parkplatzeinfahrt zu Tagesbeginn und -ende als maßgeblich zugrunde lege.

16

cc) Gegen diese Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin keine beachtlichen Verfahrensrügen erhoben. Sie sind damit für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die Bewertung des Fehlverhaltens der Klägerin als vorsätzlich lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Sie liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Beweiswürdigung iSv. § 286 ZPO. Das Revisionsgericht kann bezüglich der Feststellung innerer Tatsachen nur prüfen, ob das Tatsachengericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (vgl. BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 21, NZA 2011, 571; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 27 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17). Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden. Zwar war in der Dienstvereinbarung keine Definition enthalten, wann die zu dokumentierende Anwesenheitszeit beginnt bzw. endet, und auch der Begriff der „Arbeitsstelle“ in § 12 Abs. 9 MDK-T ist auslegungsfähig. Hierauf kam es nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts aber nicht an, da die Angaben der Klägerin selbst bei weitest möglichem Begriffsverständnis nicht zu erklären seien.

17

c) Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung sei im Streitfall entbehrlich gewesen, und seine weitere Interessenabwägung sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.

18

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, NZA 2010, 1227). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, NZA 2011, 571; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 29, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33 mwN, aaO).

19

bb) Eine Abmahnung war demnach im Streitfall entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht schon deswegen entbehrlich, weil das Fehlverhalten der Klägerin den Vertrauensbereich betrifft. Seine Entscheidung erweist sich im Ergebnis aber als richtig, da eine Hinnahme des Fehlverhaltens durch die Beklagte offensichtlich - auch für die Klägerin erkennbar - ausgeschlossen war.

20

Die Klägerin hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu Lasten der Beklagten an mehreren Tagen hintereinander systematisch und vorsätzlich um jeweils mindestens 13 Minuten - insgesamt 135 Minuten - falsche Arbeitszeiten angegeben und damit in beträchtlichem Umfang über die erbrachte Arbeitszeit zu täuschen versucht. Dieses auf Heimlichkeit angelegte, vorsätzliche und systematische Fehlverhalten wiegt besonders schwer. Soweit sich die Klägerin darauf berufen hat, andere Mitarbeiter hätten sie ohne Weiteres beobachten können, wenn sie noch in ihrem Pkw saß, um zu rauchen oder auf ihre Tochter zu warten, ändert dies nichts daran, dass ihre Falschangaben bei der Arbeitszeiterfassung nicht offen erfolgten. Aus den angegeben Arbeitszeiten als solchen ließ sich nicht ersehen, dass sie nicht korrekt waren. Die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage erscheint angesichts dessen auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht mehr wiederherstellbar. Eine Hinnahme des vorsätzlichen und systematischen Fehlverhaltens durch die Beklagte war - auch für die Klägerin erkennbar - aufgrund der Schwere ihrer Pflichtverletzung unabhängig von einer Wiederholungsgefahr ausgeschlossen.

21

cc) Auch im Übrigen hält die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

22

(1) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, NZA 2010, 1227; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39).

23

(2) Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung und des durch sie bewirkten Vertrauensverlusts war es der Beklagten nicht zumutbar, die Klägerin auch nur bis zum Ablauf einer „fiktiven“ Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Die längste ordentliche Kündigungsfrist hätte nach § 33 MDK-T zwölf Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres betragen. Auch die langjährige unbeanstandete Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut 17 Jahren, ihr Alter sowie die von ihr angegebene Unterhaltspflicht für eine Person führen angesichts des mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruchs nicht zu einer Interessenabwägung zu ihren Gunsten. Die Klägerin hat nicht nur einmal in etwa nur geringem Umfang, sondern an sieben Arbeitstagen hintereinander systematisch und vorsätzlich ihre Arbeitszeit im Umfang von jeweils 13 bis 28 Minuten zu Lasten der Beklagten falsch angegeben. Die Störung des Vertrauensverhältnisses durch ihren Täuschungsversuch wiegt besonders schwer, und zwar unabhängig davon, ob eine Wiederholungsgefahr dadurch ausgeschlossen werden könnte, dass die Klägerin aus der Gleitzeit herausgenommen würde. Das Verschulden der Klägerin ist so erheblich, dass es der Beklagten nicht zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist fortzusetzen. Aus Nr. IX der Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit lässt sich nicht etwa die Abrede entnehmen, ein Missbrauch könne allenfalls zu einer Herausnahme des Arbeitnehmers aus der gleitenden Arbeitszeit führen. Dort ist vielmehr für diesen Fall ausdrücklich auf die Möglichkeit arbeitsrechtlicher Schritte hingewiesen.

24

2. Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt und den Personalrat ordnungsgemäß angehört. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

25

II. Der Weiterbeschäftigungsantrag für die Dauer des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Der Rechtsstreit ist abgeschlossen.

26

III. Als unterlegene Partei hat die Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Roeckl    

                 

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts, vorbehaltlich der Vorschriften des § 24 für die Seeschiffahrts-, Binnenschiffahrts- und Luftverkehrsbetriebe. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat; diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 bis zur Beschäftigung von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach den Sätzen 2 und 3 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.

(2) Die Vorschriften des Dritten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts sowie für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, soweit sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen.

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Januar 2012 - 6 Sa 2159/11 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Wartezeitkündigung.

2

Die Beklagte stellte den Kläger mit Arbeitsvertrag vom 1. Dezember 2010 als chemisch-technischen Assistenten ein. Sie produziert Arzneimittel zur Krebsbehandlung, die intravenös verabreicht werden. Der Kläger sollte im sog. Reinraumbereich eingesetzt werden. Das Arbeitsverhältnis war bis zum 5. Dezember 2011 befristet, wobei die ersten sechs Monate als Probezeit galten, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden konnte. Gemäß Ziff. 12 des Arbeitsvertrags galten die betrieblichen Regelungen, dh. die vom Arbeitgeber erlassenen allgemeinen Festlegungen oder Weisungen sowie die mit dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarungen. Der Kläger hat keine Befristungskontrollklage erhoben.

3

Anlässlich seiner Einstellungsuntersuchung am 8. Dezember 2010 teilte der Kläger dem Betriebsarzt mit, er sei HIV-infiziert. Der Kläger ist symptomfrei. Er hat einen GdB von 10. Der Betriebsarzt äußerte in dem für eine Tätigkeit im Reinraum auszufüllenden Formular „Aufnahme von Tätigkeiten im GMP-Bereich“ am 14. Dezember 2010 Bedenken gegen einen Einsatz des Klägers in diesem Bereich. Das Formular ist Teil der „Standard Operating Procedure“ (SOP) der Beklagten, die der Umsetzung des sog. EG-GMP Leitfadens (Leitfaden der Guten Herstellungspraxis) dient. Dabei handelt es sich um Leitlinien der EU-Kommission, die als Anlage 2 zur Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit zu § 2 Nr. 3 der Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und über die Anwendung der Guten fachlichen Praxis bei der Herstellung von Produkten menschlicher Herkunft (Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung - AMWHV) vom 27. Oktober 2006 (BAnz S. 6887) veröffentlicht sind. In Ziff. 2.15 des Leitfadens heißt es:

„Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist.“

4

In einem Gespräch vom 4. Januar 2011, an dem der Kläger, der Betriebsarzt sowie einer der beiden Geschäftsführer der Beklagten teilnahmen, teilte der Betriebsarzt nach Entbindung von seiner ärztlichen Schweigepflicht mit, der Kläger sei HIV-infiziert. Möglichkeiten zur Beschäftigung des Klägers außerhalb des Reinraumbereichs bestanden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 4. Januar 2011 zum 24. Januar 2011.

5

Der Kläger hat geltend gemacht, die angegriffene Kündigung diskriminiere ihn, weil seine HIV-Infektion alleiniger Kündigungsgrund sei. Auch eine symptomlose HIV-Infektion führe zu einer Behinderung. Deswegen stehe ihm auch eine Entschädigung zu. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass seine Infektion eine ansteckende Krankheit iSd. GMP-Leitfadens sei. Unter Berücksichtigung des konkreten Herstellungsprozesses und der konkreten Tätigkeit des Klägers hätte unter keinen Umständen, auch nicht bei Schnitt- oder Nadelstichverletzungen, das HI-Virus auf die von der Beklagten hergestellten Medikamente übertragen werden können. Zum Beweis dafür hat sich der Kläger auf ein Sachverständigengutachten bezogen.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen bis zum Ende der Befristung am 5. Dezember 2011 fortbestanden hat und insbesondere nicht durch die Kündigung vom 4. Januar 2011 beendet worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm eine angemessene Entschädigung in Geld von bis zu drei Bruttomonatsgehältern (6.600,00 Euro) zu zahlen.

7

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass die Kündigung aus Gründen der Arbeitssicherheit unumgänglich gewesen sei. Der Kläger leide an einer ansteckenden Krankheit im Sinne ihrer SOP. Das und nicht seine HIV-Infektion sei der Kündigungsgrund gewesen. Ob der Kläger sich in fachärztlicher Behandlung befinde und engmaschig überwacht werde, könne sie nicht überprüfen. Zudem könne der Kläger jederzeit die sichere Behandlung abbrechen, ohne sie informieren zu müssen. Ihre Endabnehmer seien schwerkranke Patienten, so dass sie eine Abwägung zugunsten der Interessen dieser Patienten getroffen habe. Es könne von ihr nicht verlangt werden, sich dem Risiko von Schadensersatzansprüchen, eines drohenden Lizenzverlustes und der Verhängung von Ordnungswidrigkeitsstrafen auszusetzen, um an einem objektiv nicht geeigneten Arbeitnehmer festhalten zu können. Setze sie einen HIV-Positiven in der Medikamentenproduktion ein, komme es zu einer nicht hinnehmbaren Rufschädigung.

8

Die Vorinstanzen haben - soweit für die Revision von Interesse - die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

A. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt die Revision den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO(vgl. zu diesen Anforderungen BAG 19. April 2012 - 6 AZR 677/10 - Rn. 11). Sie setzt sich mit beiden das angegriffene Urteil selbstständig tragenden Begründungen ausreichend auseinander.

10

I. Der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht dahinstehen lassen, ob er behindert sei. Bereits diese Rüge, mit der der Kläger sinngemäß geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe sich mit seiner Begründung den Blick auf den richtigen Prüfungsmaßstab verstellt, stellt das angefochtene Urteil ausreichend in Frage, soweit das Landesarbeitsgericht die Kündigung als wirksam angesehen hat. Ob diese Auffassung materiell-rechtlich zutrifft, ist für die Zulässigkeit der Revision unerheblich.

11

II. Die Revision ist auch zulässig, soweit der Kläger seinen Antrag auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG weiter verfolgt. Die Begründetheit dieses Anspruchs hängt im Ausgangspunkt denknotwendig davon ab, dass ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfolgt ist. § 15 Abs. 2 AGG ist eine Rechtsfolgenbestimmung(Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 49). Das Landesarbeitsgericht hat sich mit dem Anspruch auf Entschädigung nicht gesondert befasst, sondern nur angenommen, die Beklagte sei nicht zur Entschädigung verpflichtet, weil die Kündigung den Kläger nicht diskriminiere. Vom Rechtsmittelführer kann nicht mehr an Begründung verlangt werden als vom Gericht seinerseits aufgewendet (BAG 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 11, BAGE 126, 237). Für die Zulässigkeit der Revision genügt deshalb insoweit bereits die ausreichende Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Wirksamkeit der Kündigung (vgl. BAG 18. November 2010 - 6 AZR 273/10 - Rn. 34).

12

B. Der Senat hat das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG) e.V., Berlin, als Beistand des Klägers nach § 23 AGG zugelassen. Der Satzungszweck, das diskriminierungsfreie Zusammenleben ua. durch die kostenlose Unterstützung und Beratung bei Diskriminierungen insbesondere in Gerichtsverfahren zur Durchsetzung des Rechtsschutzes Betroffener zu fördern, genügt der Legaldefinition in § 23 Abs. 1 Satz 1 AGG. Das BUG hat nachgewiesen, dass es die nach § 23 Abs. 1 Satz 2 AGG erforderliche Mindestanzahl an Mitgliedern hat.

13

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, der Kläger werde nicht wegen einer Behinderung benachteiligt. Die für seine Hilfsbegründung, jedenfalls seien die Voraussetzungen des § 8 AGG erfüllt, erforderlichen Tatsachen hat es nicht festgestellt. Dabei hat es insbesondere nicht geprüft, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen einen Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Damit trägt auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht, die Kündigung sei nicht nach § 242 BGB unwirksam. Das Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig. Der Senat kann nicht selbst feststellen, ob die Kündigung gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam ist, weil der Kläger wegen seiner Behinderung diskriminiert worden ist. Dazu bedarf es noch weiterer Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Der Rechtsstreit war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

I. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen.

15

1. Welche Bedeutung der Vorschrift des § 2 Abs. 4 AGG zukommt, nach der „für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ gelten, ist umstritten.

16

a) Für Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, ist diese Frage durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 2008 (- 2 AZR 523/07 - Rn. 34 ff., BAGE 128, 238) geklärt. Bei der Prüfung der Wirksamkeit solcher Kündigungen sind die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und die darin vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit zu beachten (vgl. auch BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 295/12 - Rn. 36; 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 24; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 15).

17

b) Nach wie vor kontrovers wird jedoch beurteilt, wie § 2 Abs. 4 AGG im Hinblick auf Kündigungen, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, zu verstehen ist. Einigkeit besteht insoweit nur dahin, dass die Antidiskriminierungsrichtlinien, namentlich die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG), auch einen Schutz vor diskriminierenden Kündigungen gebieten (vgl. EuGH 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 37, Slg. 2006, I-6467) und dass dieser Schutz auch Arbeitnehmer außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes erfasst.

18

aa) Die Frage ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt. Die Entscheidungen des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 2008 (- 2 AZR 523/07 - Rn. 34, BAGE 128, 238) sowie des Achten Senats vom 22. Oktober 2009 (- 8 AZR 642/08 -) beziehen sich nur auf Kündigungen im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes. Soweit das Bundesarbeitsgericht vor Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes diskriminierende Kündigungen am Maßstab des § 242 BGB gemessen hat(vgl. BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 426/02 - für eine auf kulturelle und religiöse Gründe gestützte Arbeitsverweigerung eines Arbeitnehmers, der einer Sinti-Familie angehörte; 23. Juni 1994 - 2 AZR 617/93 - BAGE 77, 128 für eine auf Homosexualität gestützte Kündigung), ist diese Rechtsprechung durch die geänderte Rechtslage überholt.

19

bb) Die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum nimmt an, die Benachteiligungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sowie die Beweislastverteilung nach § 22 AGG müssten bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln(§§ 138, 242 BGB) unwirksam sei, berücksichtigt werden (KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 17, 19; KR/Griebeling § 1 KSchG Rn. 26a; ErfK/Schlachter 14. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; vHH/L/Krause 15. Aufl. § 1 Rn. 238, 242; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 230; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 62; v. Roetteken AGG Stand März 2011 § 2 Rn. 69; Blessing Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes S. 147). Ein Teil des Schrifttums vertritt dabei die Auffassung, die Bestimmungen der Antidiskriminierungsrichtlinien seien bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln unwirksam sei, unmittelbar zu berücksichtigen, die unionsrechtlich geforderte Beweislastverteilung müsse durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 138 Abs. 2 ZPO gewährleistet werden(APS/Preis 4. Aufl. Grundlagen J Rn. 71f, 71g; ähnlich Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz 2. Aufl. Rn. 112 ff.).

20

cc) Ein anderer Teil des Schrifttums hält § 2 Abs. 4 AGG für unvereinbar mit Unionsrecht. Eine unionsrechtskonforme Auslegung sei wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht möglich, widerspreche aber jedenfalls dem unionsrechtlichen Transparenzgebot (dazu EuGH 10. Mai 2001 - C-144/99 - [Kom-mission/Niederlande] Rn. 17, Slg. 2001, I-3541). § 2 Abs. 4 AGG sei deshalb nicht anwendbar, stattdessen fänden die Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unmittelbare Anwendung(Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 256 ff., 263 mwN).

21

dd) Teils wird - mit unterschiedlichen Ansätzen - angenommen, § 2 Abs. 4 AGG erfasse Kündigungen während der Wartezeit und im Kleinbetrieb nicht(HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 147 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 8. Aufl. AGG Rn. 63; Stein in Wendeling-Schröder AGG § 2 Rn. 48; wohl auch Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 28).

22

2. Zutreffend ist die letztgenannte Auffassung. § 2 Abs. 4 AGG regelt für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen. Die zivilrechtlichen Generalklauseln werden dagegen von § 2 Abs. 4 AGG nicht erfasst. Der Diskriminierungsschutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geht insoweit diesen Klauseln vor und verdrängt diese. Ordentliche Kündigungen während der Wartezeit und in Kleinbetrieben sind deshalb unmittelbar am Maßstab des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu messen. Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte und dem Zweck des § 2 Abs. 4 AGG. Der Wortlaut der Bestimmung steht dem nicht entgegen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz regelt allerdings nicht selbst, welche Rechtsfolge eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unzulässige Benachteiligung hat. Diese Rechtsfolge ergibt sich erst aus § 134 BGB(vgl. Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 25; Düwell jurisPR-ArbR 47/2006 Anm. 6).

23

a) Der Gesetzgeber wollte mit § 2 Abs. 4 AGG für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen, zu denen die zivilrechtlichen Generalklauseln in §§ 138, 242 BGB nicht gehören, regeln. Das folgt aus der Gesetzgebungsgeschichte.

24

aa) § 2 Abs. 4 AGG ist erst während des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt worden. In der vom Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagenen Fassung sollte die Bestimmung wie folgt gefasst werden:

„Für Kündigungen gelten vorrangig die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes.“

25

Damit sollte klargestellt werden, dass die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes unberührt blieben. Der Praxis sollte verdeutlicht werden, dass Rechtsstreite bei Kündigungen auch in Zukunft vorwiegend nach dem Kündigungsschutzgesetz zu entscheiden seien (BT-Drucks. 15/5717 S. 5, 36).

26

bb) Wortlaut und Begründung des § 2 Abs. 4 AGG-E griff die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vom 8. Juni 2006 auf (BT-Drucks. 16/1780 S. 32). Die Empfehlung des Bundesrats zu diesem Entwurf vom 6. Juni 2006 sah vor, § 2 Abs. 4 AGG wie folgt zu fassen(BR-Drucks. 329/1/06 S. 1):

„Liegt die Benachteiligung in einer Kündigung, finden im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ausschließlich dessen Bestimmungen Anwendung. …“

27

Mit dieser Regelung sollte das Verhältnis beider Gesetze (dh. von AGG und KSchG) präzisiert werden. Das mit dieser Vorschrift verbundene Anliegen - Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes - komme in der bisherigen Fassung nicht hinreichend klar zum Ausdruck (BR-Drucks. 329/1/06 S. 2).

28

cc) Der Rechtsausschuss schlug in seiner Beschlussempfehlung vom 28. Juni 2006 die Gesetz gewordene Fassung vor. In seiner Begründung (BT-Drucks. 16/2022 S. 12) griff er ausdrücklich das Anliegen des Bundesrats auf. Das Verhältnis „beider Gesetze“ (von AGG und KSchG) solle präzisiert werden. Es erscheine sachgerechter, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz Anwendung fänden, weil „diese Regelungen speziell auf Kündigungen zugeschnitten“ seien. Die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes fänden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch sowie im ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes. Bestimmungen zum besonderen Kündigungsschutz enthielten der Zweite Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes und zB § 9 Abs. 3 MuSchG und §§ 18 f. BEEG.

29

b) Aus dieser Entstehungsgeschichte folgt zugleich der Zweck des § 2 Abs. 4 AGG.

30

aa) Mit dem Bezug auf die „Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ wollte der Gesetzgeber nicht regeln, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz für sämtliche Kündigungen nicht gelten sollte. Es sollte lediglich das Verhältnis von Kündigungsschutzgesetz und Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz „präzisiert“ und das Anliegen des Bundesrats, den Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes klarzustellen, aufgegriffen werden. Außerdem sollte den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Regelungen Anwendungsvorrang zukommen. Die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sollten in diese Bestimmungen eingepasst werden und Kohärenz zwischen dem Antidiskriminierungsrecht des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf der einen und den von § 2 Abs. 4 AGG erfassten Kündigungsschutzbestimmungen auf der anderen Seite hergestellt werden(vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 37, 39 f., BAGE 128, 238). Neben das Kündigungsschutzgesetz und die speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Vorschriften des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes sollte kein „zweites“, durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vermitteltes Kündigungsschutzrecht treten. Eine Sperrwirkung für Kündigungen, für die wie die hier streitbefangene Wartezeitkündigung das Kündigungsschutzgesetz (noch) nicht gilt und für die weder spezielle Kündigungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches wie § 626 und § 613a Abs. 4 BGB noch besondere Kündigungsschutzbestimmungen in Betracht kommen, war nicht bezweckt(vgl. HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 148 f.). Bedeutung kommt § 2 Abs. 4 AGG für solche Kündigungen nur insofern zu, als es zB bei der Anwendbarkeit der Klagefrist des § 4 KSchG und der Rechtsfolgen des § 7 KSchG im Fall ihrer Versäumung bleibt(Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 2 Rn. 38; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 240).

31

bb) Bei ordentlichen Kündigungen, auf die das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet und bei denen der Arbeitnehmer geltend macht, die Kündigung diskriminiere ihn, besteht kein nach diesem Gesetzeszweck zu vermeidender Konflikt zwischen zwei ausdifferenzierten Kündigungsschutzsystemen. Das Kündigungsschutzgesetz verlangt Gründe, die die Kündigung rechtfertigen (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 56 sprechen von einer „Positivliste“). Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geht dagegen davon aus, dass Kündigungen grundsätzlich zulässig sind, es sei denn, es liegt eine Diskriminierung vor (Bauer/Göpfert/Krieger aaO sprechen hier von einer „Negativliste“). Für ordentliche Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes, auf die keine speziellen Kündigungsverbote Anwendung finden, gilt von vornherein nur eine „Negativliste“: Diese Kündigungen sind grundsätzlich wirksam. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise und nur dann, wenn sie diskriminierend, treu- oder sittenwidrig sind oder gegen höherrangiges Recht verstoßen. Es tritt also nicht neben einen - gänzlich anders strukturierten - Kündigungsschutz ein zweites Schutzsystem mit anderen Parametern, sondern es bleibt bei der „Negativliste“, die um weitere Punkte und vor allem eine abweichende Beweislastverteilung ergänzt wird. Eine „Verzahnung“ des Kündigungsschutzrechts und des Antidiskriminierungsrechts ist in derartigen Konstellationen nicht erforderlich und wird darum auch nicht durchbrochen (aA KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 18).

32

c) Der Wortlaut des § 2 Abs. 4 AGG steht diesem aus der Entstehungsgeschichte und dem Gesetzeszweck hergeleiteten Auslegungsergebnis nicht entgegen. Zwar ordnet § 2 Abs. 4 AGG unterschiedslos für alle „Kündigungen“ an, dass für sie ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Die Anwendung der Norm ist jedoch hinsichtlich des materiellen Kündigungsschutzes im Wege der teleologischen Reduktion auf Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz, speziell auf Kündigungen zugeschnittene Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches oder besondere Kündigungsschutzbestimmungen gelten, zu beschränken. Nur so wird die nach dem Wortlaut zu weit gefasste Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG ihrem Zweck gerecht. Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben gelten grundsätzlich keine Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ iSd. § 2 Abs. 4 AGG.

33

aa) Die teleologische Reduktion von Vorschriften auch gegen deren Wortlaut gehört zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG 30. März 1993 - 1 BvR 1045/89 ua. - zu C II 2 der Gründe, BVerfGE 88, 145). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass andere Indizien deutlich belegen, dass der Sinn der Norm im Text nur unzureichend Ausdruck gefunden hat (BVerfG 27. Januar 1998 - 1 BvL 22/93 - [Kleinbetriebsklausel II] zu B I 5 der Gründe, BVerfGE 97, 186) und die weiteren Auslegungsmethoden die wahre Bedeutung der Norm freilegen (vgl. BVerfG 19. Juni 1973 - 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72 - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 35, 263). Diese Befugnis des Richters beruht darauf, dass die Auslegung gerade der Ermittlung des im Gesetz objektivierten Willens des Gesetzgebers dient (vgl. BVerfG 4. Juni 2012 - 2 BvL 9/08 ua. - [Dienstbeschädigungsausgleich] Rn. 99, BVerfGE 131, 88).

34

bb) Unter „allgemeinem Kündigungsschutz“ wird - entsprechend der Überschrift des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes - im fachbezogenen Sprachgebrauch der Kündigungsschutz nach diesem Abschnitt verstanden (vgl. BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - Rn. 49, BAGE 128, 73; 8. Juli 1998 - 7 AZR 245/97 - zu II 1 der Gründe, BAGE 89, 216; HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 147). Zwar hat der Gesetzgeber in seiner Begründung zu der Gesetz gewordenen Fassung weiter gehend angenommen, die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes fänden sich auch „im Bürgerlichen Gesetzbuch“ (BT-Drucks. 16/2022 S. 12). Er hat aber zugleich zum Ausdruck gebracht, dass er mit den Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ nur solche Bestimmungen meint, die speziell auf Kündigungen zugeschnitten sind. Das sind im Bürgerlichen Gesetzbuch vor allem §§ 613a, 622 und 626 BGB. Die für den Kündigungsschutz im Kleinbetrieb und in der Wartezeit maßgeblichen zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB sind dagegen - wie schon ihre Bezeichnung zeigt - gerade nicht speziell auf Kündigungen zugeschnitten, sondern Auffangtatbestände, die zudem erst unter Berücksichtigung verfassungs- oder unionsrechtlicher Vorgaben(vgl. dazu BAG 24. Januar 2008 - 6 AZR 96/07 - Rn. 27) ihren Bedeutungsgehalt für Kündigungen gewinnen. Deshalb sind nach dem Verständnis des Gesetzgebers die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB keine „Bestimmungen zum allgemeinen Kündigungsschutz“ iSd. § 2 Abs. 4 AGG(Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 8. Aufl. AGG Rn. 63; HaKo/Mayer aaO).

35

cc) Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben, für die keine speziell auf Kündigungen zugeschnittene Bestimmungen gelten, war nach dem Verständnis des Gesetzgebers gerade keine Regelung dazu erforderlich, in welchem Verhältnis das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die auf solche Kündigungen Anwendung findenden Generalklauseln stehen sollten. Soweit § 2 Abs. 4 AGG gleichwohl seinem Wortlaut nach auch solche Kündigungen erfasst, entspricht dies nicht dem Zweck, den der Gesetzgeber mit dieser Norm verfolgte.

36

d) Diese Auslegung führt nicht dazu, dass Kündigungen außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes insbesondere wegen der möglichen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG stärker sanktioniert würden als Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz gilt(so aber KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; Bauer/Thüsing/Schunder NZA 2006, 774, 777). Auch bei Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, scheidet eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht von vornherein aus.

37

aa) Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte diese Frage zunächst offengelassen (BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 20; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 16; 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 33, BAGE 128, 238; zum Streitstand Wenckebach AuR 2010, 499, 501). Er hatte jedoch schon darauf hingewiesen, dass eine Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG neben der Sanktionsfolge der Unwirksamkeit nicht systemwidrig erscheine. Auch Entschädigungen für immaterielle Schäden infolge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit der Erklärung einer unwirksamen Kündigung seien nicht ausgeschlossen (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 16 unter Hinweis auf BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 -). Er hatte weiter angenommen, es sei vom Vorliegen eines immateriellen Schadens iSd. § 15 Abs. 2 AGG auszugehen, wenn ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot feststehe(BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 74, BAGE 129, 181). Mit Urteil vom 12. Dezember 2013 hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts nun einer schwangeren Arbeitnehmerin, der unter Verstoß gegen das Mutterschutzgesetz gekündigt worden war, wegen Geschlechtsdiskriminierung einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zuerkannt(- 8 AZR 838/12 - Pressemitteilung Nr. 77/13).

38

bb) Nach der Wertung des Gesetzgebers stellen Benachteiligungen wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar(KR/Treber 10. Aufl. § 15 AGG Rn. 27 mwN; vgl. auch BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Die Sanktion des § 15 Abs. 2 AGG soll im Kern gerade vor solchen Persönlichkeitsrechtsverletzungen schützen(vgl. Stahlhacke/Preis 10. Aufl. Rn. 190; Blessing Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes S. 173). Die im diskriminierenden Verhalten liegende Persönlichkeitsrechtsverletzung soll als solche unabhängig von der Frage sanktioniert werden, ob nach einer unwirksamen Kündigung das Arbeitsverhältnis fortbesteht (vgl. Blessing aaO S. 193). Ausgehend davon kann allenfalls angenommen werden, die Unwirksamkeit der Kündigung sei eine Naturalrestitution iSd. § 15 Abs. 1 AGG. Die Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG kann dagegen nicht mit der Begründung abgelehnt werden, diese Rechtsfolge sei eine hinreichende Sanktion iSd. Antidiskriminierungsrichtlinien (vgl. Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 54; Wenckebach AuR 2010, 499, 502). Die Unwirksamkeit der Kündigung kann die bei einer Diskriminierung nach der Vorstellung des Gesetzgebers in der Regel vorliegende Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht kompensieren. Dies gilt insbesondere in dem in der Praxis häufig vorkommenden Fall, dass der Arbeitnehmer auch nach einem erfolgreichen Kündigungsschutzprozess nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt.

39

cc) Darüber hinaus kommt bei unwirksamen Abmahnungen oder Versetzungen, die kündigungsrechtlich gesehen mildere Maßnahmen im Vergleich zu einer Kündigung darstellen, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG ohne Weiteres in Betracht(vgl. für die Versetzung BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - BAGE 129, 181), obwohl auch diese Maßnahmen bei Diskriminierungen iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unwirksam sind und Abmahnungen zusätzlich noch aus der Personalakte zu entfernen sind. Dann muss erst recht bei diskriminierenden Kündigungen, die typischerweise tiefer in das Persönlichkeitsrecht eingreifen, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG möglich sein(Wenckebach AuR 2010, 499, 502; Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 262a).

40

dd) § 2 Abs. 4 AGG steht einem solchen Verständnis des § 15 Abs. 2 AGG nicht entgegen. Damit wird nur der Weg beschrieben, auf dem die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in das Kündigungsschutzrecht einzupassen sind. Die Frage, wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu sanktionieren sind, ist nicht berührt (vgl. Wenckebach AuR 2010, 499, 502).

41

e) Die Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes führt - insbesondere wegen der Beweislastregel des § 22 AGG(vgl. KR/Treber 10. Aufl. § 22 AGG Rn. 6; Däubler/Bertzbach/Bertzbach AGG 3. Aufl. § 22 Rn. 48 mwN) - in Fällen, in denen das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, dazu, dass die Rechtsstellung von Arbeitnehmern bei potentiell diskriminierenden Kündigungen gegenüber der von Arbeitnehmern, bei denen keine Diskriminierung in Betracht kommt, verbessert wird. Dies ist jedoch nur die Konsequenz der Überlagerung des nationalen Kündigungsschutzrechts durch das Antidiskriminierungsrecht der Europäischen Union.

42

II. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, ob der Kläger behindert iSd. § 1 AGG ist, sondern hat dies ausdrücklich offengelassen. Beide Begründungen, mit denen es die Kündigung unabhängig von der Frage der Behinderung des Klägers als wirksam angesehen hat, tragen nicht. Es ist deshalb von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob die symptomlose HIV-Infektion des Klägers eine Behinderung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes darstellt.

43

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe den Kläger durch die streitbefangene Kündigung nicht wegen einer etwaigen Behinderung benachteiligt. Mit dieser Begründung durfte es eine Behinderung nicht dahinstehen lassen.

44

a) Die Kündigungserklärung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die der Kündigungsentscheidung zugrunde liegenden Überlegungen können Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Dieser Zusammenhang kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben (BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 34). Dabei bedarf es allerdings keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht. Es reicht aus, wenn eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 28). Dies ist hier unstreitig der Fall, weil die Beklagte die HIV-Infektion als Ausschlussmerkmal für einen Einsatz im Reinraum ansieht. Auch unberechtigte Stereotypisierungen können zu (unabsichtlichen) Diskriminierungen führen (vgl. Schiek/Schiek AGG § 3 Rn. 16; Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 3 Rn. 13). Darauf, ob die Beklagte glaubte, das für sie geltende Regelwerk gebiete die Kündigung, kommt es deshalb entgegen der von ihr vertretenen Auffassung nicht an.

45

b) Die Beklagte macht geltend, sie habe dem Kläger allein deshalb gekündigt, weil er an einer ansteckenden Krankheit im Sinne ihrer SOP leide und deshalb die Anforderungen an eine Beschäftigung im Reinraum nicht erfülle, nicht aber, weil er HIV-infiziert sei. Sie hätte genauso gehandelt, wenn der Kläger an Hepatitis B oder C bzw. einer chronischen Hauterkrankung an den Armen, Unterarmen, Händen oder im Gesicht gelitten hätte. Das Landesarbeitsgericht ist dem unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 2011 (- 8 AZR 515/10 - Rn. 34) gefolgt. Das ist rechtsfehlerhaft. Die vom Landesarbeitsgericht angeführte Entscheidung betrifft andere Fallkonstellationen als die vorliegende.

46

aa) Wäre der Kläger wegen seiner symptomlosen HIV-Infektion behindert, stellte die streitbefangene Kündigung eine unmittelbare Ungleichbehandlung iSd. § 3 Abs. 1 AGG in Form einer sog. verdeckten unmittelbaren Ungleichbehandlung dar. Eine solche Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn nach einem scheinbar objektiven, nicht diskriminierenden Kriterium (ansteckende Krankheit) unterschieden wird, das jedoch in untrennbarem Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Grund(Behinderung) steht und damit kategorial ausschließlich Träger eines Diskriminierungsmerkmals trifft (vgl. BAG 7. Juni 2011 - 1 AZR 34/10 - Rn. 23, BAGE 138, 107; vgl. EuGH 12. Oktober 2010 - C-499/08 - [Andersen] Rn. 23, Slg. 2010, I-9343; vgl. zu der für die Schwangerschaft klarstellenden Normierung dieser Rechtsfigur in § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG BAG 27. Januar 2011 - 6 AZR 526/09 - Rn. 20 f., BAGE 137, 80). Das ist hier der Fall. Kündigungsgrund ist die Unfähigkeit des Klägers, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Diese nach Auffassung der Beklagten bestehende Unfähigkeit ergab sich allein aus der HIV-Infektion des Klägers. Nach ihrer SOP ist die HIV-Infektion ebenso wie chronische Hauterkrankungen im Bereich der Arme, Unterarme, Hände und Gesicht oder eine chronisch verlaufende Hepatitis B und C ein Ausschlusskriterium für die Tätigkeit im Reinraum (vgl. S. 2 der Beauftragung des Betriebsarztes zur Durchführung von GMP-Untersuchungen vom 1. April 2010). Weitere absolute Ausschlussgründe sieht die SOP nicht vor. Ansteckende Erkrankungen wie Husten und Schnupfen, wiederholtes Erbrechen, Durchfall oder offene Ekzeme sind nach der SOP nur anzeigepflichtig und ziehen, wie die Beklagte selbst vorträgt, nur den vorübergehenden Ausschluss von der Tätigkeit im Reinraum nach sich. Führte bei chronischen Erkrankungen der Ausschluss von bestimmten Teilen des Berufsfelds dazu, dass eine Behinderung iSd. § 1 AGG vorliegt, wäre dies in allen drei in der SOP der Beklagten aufgeführten Fällen anzunehmen. Eine Kündigung, die wegen einer der in der SOP angeführten ansteckenden Krankheiten, die zum dauerhaften Ausschluss von der Tätigkeit im Reinraum führen, erklärt wird, wäre dann in allen drei Fällen wegen eines Merkmals iSd. § 1 AGG erfolgt. Insoweit gilt nichts anderes, als wenn ein Arbeitgeber einer befristet eingestellten Frau kündigt, die wegen ihrer Schwangerschaft während der gesamten Dauer der Befristung einem gesetzlichen Beschäftigungsverbot unterliegt (vgl. EuGH 4. Oktober 2001 - C-109/00 - [Tele Danmark] Rn. 20, 31, Slg. 2001, I-6993), oder wenn er einem Rollstuhlfahrer kündigt, weil die geschuldete Arbeit von einem Rollstuhlfahrer nicht verrichtet werden könne, denn nur Behinderte sind dauerhaft an den Rollstuhl gebunden (vgl. Kamanabrou RdA 2006, 321, 324). In all diesen Fällen beruht die Unfähigkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erfüllen, letztlich auf einem Diskriminierungsmerkmal.

47

bb) Daraus folgt zugleich, dass die Annahme des Landesarbeitsgerichts und der Beklagten, die Kündigung beruhe letztlich auf der aus dem Regelwerk der Beklagten folgenden, auf einer ansteckenden Krankheit beruhenden fehlenden Einsetzbarkeit des Klägers und benachteilige diesen deshalb jedenfalls nicht wegen einer etwaigen Behinderung, nicht trägt. Ob tatsächlich der Einsatz des Klägers im Reinraum dauerhaft unmöglich und deshalb die Kündigung wirksam war, ist eine Frage, die ausschließlich auf der Ebene der Rechtfertigung unter Berücksichtigung der Möglichkeit, angemessene Vorkehrungen zu treffen, zu entscheiden ist, nicht aber bereits die Annahme einer Benachteiligung wegen der Behinderung von vornherein ausschließt.

48

cc) Der Kläger würde gegenüber Personen in einer vergleichbaren Situation benachteiligt (zu diesem Erfordernis BAG 7. Juni 2011 - 1 AZR 34/10 - Rn. 29, BAGE 138, 107). Die Feststellung der Vergleichbarkeit der Situation erfordert, dass es außer der anderen Ausprägung des Diskriminierungsmerkmals keine wesentlichen Unterschiede zwischen der benachteiligten und der Vergleichsperson gibt (Schiek/Schiek AGG § 3 Rn. 11). Einem nicht behinderten chemisch-technischen Assistenten in einer sonst mit der Situation des Klägers vergleichbaren Lage wäre nicht gekündigt worden (vgl. in diesem Sinne auch EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 77). Darin liegt der Unterschied zu der vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 2011 (- 8 AZR 515/10 -). Das Argument der Beklagten, auch einem an einer chronisch verlaufenden Hepatitis B bzw. C oder an einer chronischen Hauterkrankung an den Armen, Unterarmen, Händen oder im Gesicht leidenden Arbeitnehmer hätte sie gekündigt, trägt nicht. Auch diese Arbeitnehmer wären, wie unter Rn. 46 ausgeführt, behindert.

49

2. Die Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts, das Fehlen einer HIV-Infektion stelle eine berufliche Anforderung iSd. § 8 Abs. 1 AGG dar, greift zu kurz.

50

a) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass sich der Arbeitgeber, der eine Kündigung darauf stützt, dass er den Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung nicht einsetzen könne, nur dann auf den Rechtfertigungsgrund des § 8 Abs. 1 AGG berufen kann, wenn auch angemessene Vorkehrungen iSd. Art. 5 RL 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - UN-Behin-dertenrechtskonvention (UN-BRK) - nicht zu einer Einsatzmöglichkeit führen. Unterlässt der Arbeitgeber die danach gebotenen Vorkehrungen und kann er den Arbeitnehmer deshalb nicht einsetzen, ist dieser Umstand regelmäßig nicht auf die Behinderung des Arbeitnehmers, sondern auf die Untätigkeit des Arbeitgebers zurückzuführen. Die Kündigung ist dann nicht gerechtfertigt (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 66, 68; 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 52, Slg. 2006, I-6467).

51

aa) Der Kläger ist mit einem GdB von 10 allenfalls „einfach“ Behinderter. Für diesen Personenkreis ist Art. 5 RL 2000/78/EG, demzufolge der Arbeitgeber angemessene Vorkehrungen zu ergreifen hat, um Behinderten ua. die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen, sofern diese Maßnahmen ihn nicht unverhältnismäßig belasten, nicht in nationales Recht umgesetzt worden (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - Rn. 34 ff.). Eine vergleichbare Verpflichtung sieht Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i UN-BRK vor, wonach die Vertragsstaaten sicherstellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen (reasonable accommadation) für Menschen mit Behinderungen getroffen werden. Was unter „angemessenen Vorkehrungen“ iSd. UN-BRK zu verstehen ist, ist in Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK festgelegt.

52

bb) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinen Entscheidungen vom 4. Juli 2013 (- C-312/11 - [Kommission/Italien]) und vom 11. April 2013 (- C-335/11 ua. - [Ring]) ausgeführt, dass und wie Art. 5 RL 2000/78/EG nach der Genehmigung der UN-BRK durch den Rat im Namen der Europäischen Gemeinschaft(Beschluss 2010/48/EG vom 26. November 2009 ABl. EU L 23 vom 27. Januar 2010 S. 35) unter Beachtung und in Übereinstimmung mit der UN-BRK auszulegen ist. Der Begriff „angemessene Vorkehrungen“ ist weit zu verstehen und umfasst die Beseitigung der verschiedenen Barrieren, die die volle und wirksame, gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben behindern. Gemeint sind nicht nur materielle, sondern auch organisatorische Maßnahmen, wobei die Aufzählung der möglichen Vorkehrungen im 20. Erwägungsgrund der RL 2000/78/EG nicht abschließend ist (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 53 bis 56). Ob solche Vorkehrungen den jeweiligen Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten, haben die nationalen Gerichte festzustellen, wobei sie insbesondere den damit verbundenen finanziellen und sonstigen Aufwand unter Berücksichtigung der Größe und der Finanzkraft des Arbeitgebers sowie der Möglichkeit, öffentliche Mittel oder andere Unterstützungen in Anspruch zu nehmen, in die Abwägung einzubeziehen haben (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 59 f.). Die Mitgliedstaaten müssen aufgrund von Art. 5 RL 2000/78/EG iVm. Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK die Arbeitgeber verpflichten, die im konkreten Einzelfall jeweils erforderlichen angemessenen Vorkehrungen zu ergreifen. Das bloße Schaffen von Anreiz- und Hilfsmaßnahmen genügt nicht (EuGH 4. Juli 2013 - C-312/11 - [Kommission/Italien] Rn. 60 ff. der franz. Fassung; Beyer/Wocken DB 2013, 2270).

53

cc) Die Bestimmungen der UN-BRK sind integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 28 ff.). Dadurch sind sie zugleich Bestandteil des - ggf. unionsrechtskonform auszulegenden - deutschen Rechts. Im Hinblick auf die durch den Gerichtshof der Europäischen Union unter Beachtung der UN-BRK vorgenommene Auslegung des Art. 5 RL 2000/78/EG ist Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK weder unmittelbar anzuwenden (aA v. Roetteken jurisPR-ArbR 33/2013 Anm. 1 unter D; zur unmittelbaren Anwendung von Völkerrecht vgl. Schmahl JuS 2013, 961, 965; Aichele AnwBl. 2011, 727, 728) noch sind §§ 7 und 8 AGG völkerrechtskonform auszulegen. Die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen ergibt sich vielmehr bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 241 Abs. 2 BGB aus dieser Bestimmung(vgl. zu dieser Vorschrift BAG 13. August 2009 - 6 AZR 330/08 - BAGE 131, 325; 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - BAGE 134, 296; vgl. auch Beyer/Wocken DB 2013, 2270, 2272).

54

b) Eine Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers wegen fehlender Einsatzmöglichkeiten ist demnach nur wirksam, wenn der Arbeitgeber nicht imstande ist, das infolge der Behinderung vorliegende Beschäftigungshindernis durch angemessene Vorkehrungen zu beseitigen (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 57; Däubler/Bertzbach/Brors AGG 3. Aufl. § 8 Rn. 33; KR/Treber 10. Aufl. § 8 AGG Rn. 29; Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 30). Dies hat der Arbeitgeber darzulegen (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 43; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 45; 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 33 f.; Stiebert/Pötters aaO; Däubler/Bertzbach/Brors aaO Rn. 33 f.). Beurteilungsgrundlage für die Rechtfertigungsprüfung ist dabei nicht der ursprüngliche (ausgeschriebene) Arbeitsplatz, sondern der mit verhältnismäßigem Aufwand geänderte Arbeitsplatz. Anderenfalls könnte - wie die Argumentation der Beklagten und des Landesarbeitsgerichts eindrücklich belegen - der Arbeitgeber stets berufsbezogen argumentieren und behinderte Arbeitnehmer berechtigt von der Teilhabe am Berufsleben ausschließen (vgl. Däubler/Bertzbach/Brors aaO Rn. 33; KR/Treber aaO). Genau das will Art. 5 RL 2000/78/EG verhindern, dessen Befolgung im nationalen Recht § 241 Abs. 2 BGB sicherstellt. Kann der Arbeitsplatz mit zumutbaren Anstrengungen angepasst werden, ist der Arbeitnehmer für die geschuldete Tätigkeit geeignet. Auf eine Rechtfertigung nach § 8 AGG kommt es dann grundsätzlich nicht mehr an. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer zwar auf dem zumutbar angepassten Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, aber trotzdem wegen der Behinderung schlechter gestellt wird, zB weil er nicht im Schichtbetrieb eingesetzt wird und deshalb eine Schichtzulage nicht erhält, kann noch eine Rechtfertigung dieser gleichwohl erfolgenden Benachteiligung nach § 8 Abs. 1 AGG in Betracht kommen. Erst in einem solchen Fall muss der Arbeitgeber darlegen, dass und warum gerade im Hinblick auf den angepassten Arbeitsplatz ein berufsbezogener weiterer Grund eine Benachteiligung des Behinderten rechtfertigt (ähnlich Däubler/Bertzbach/Brors aaO).

55

III. Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht im Ergebnis als richtig dar (§ 561 ZPO).

56

1. Die symptomlose HIV-Infektion des Klägers hat eine Behinderung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zur Folge. Eine Diskriminierung des Klägers durch die angegriffene Kündigung kommt deshalb in Betracht.

57

a) Eine Behinderung iSd. § 1 AGG liegt unter Berücksichtigung des maßgeblichen supranationalen Rechts vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch - in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren(Barrieren) - seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann. Auf einen bestimmten GdB kommt es nicht an (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 32). Ob eine Behinderung vorliegt, ist unter Beachtung dieses Begriffsverständnisses im Einzelfall festzustellen (Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 40), wobei auch zu beachten ist, dass das Verständnis von Behinderung nicht statisch ist (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 37).

58

aa) Der Begriff der Behinderung iSd. § 1 AGG entspricht nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers den gesetzlichen Definitionen in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 3 BGG(BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 32; BR-Drucks. 329/06 S. 31). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Gesetzgeber hat sich damit für einen modernen Behindertenbegriff entschieden, der an die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anknüpft (BT-Drucks. 14/5074 S. 98; vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - Rn. 20, BAGE 122, 54). Bei diesem bio-psycho-sozialen Behindertenbegriff wird Behinderung nicht durch die individuelle Funktionsstörung, sondern durch die Beeinträchtigung der (gesellschaftlichen) Teilhabe definiert. Eine Behinderung liegt vor, wenn sich die Beeinträchtigung auf die Partizipation in einem oder mehreren Lebensbereichen auswirkt (BT-Drucks. 14/5074 S. 98). Ob eine Beeinträchtigung relevant ist, ergibt sich demnach erst aus dem Zusammenwirken von behindernden sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) und individueller Gesundheitsstörung (Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 37; Welti DÖV 2013, 795, 797). Eine Gesundheitsstörung kann auch darin liegen, dass die (gesellschaftliche) Teilhabe durch das Verhalten anderer beeinträchtigt wird (Schiek/Welti aaO Rn. 43). Behinderung ist nach diesem Verständnis sowohl persönliche Eigenschaft als auch soziales Verhältnis (Schiek/Welti aaO Rn. 37, vgl. auch v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 159b). Eine Behinderung in diesem Sinne kann demnach auch erst durch das „Behindern“ eines Menschen durch seine Umwelt entstehen.

59

bb) In seinen Entscheidungen vom 11. April 2013 (- C-335/11 ua. - [Ring]) und vom 4. Juli 2013 (- C-312/11 - [Kommission/Italien]) hat der Gerichtshof der Europäischen Union seine Auslegung des Begriffs der „Behinderung“ iSd. RL 2000/78/EG in Anpassung an Art. 1 Unterabs. 2 UN-BRK modifiziert (zur bisherigen Auslegung siehe EuGH 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 37, Slg. 2006, I-6467). Erfasst sind Einschränkungen, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen sind, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, sofern die körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen langfristig sind. Das schließt einen Zustand ein, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit die vorgenannten Einschränkungen mit sich bringt. Anderenfalls fällt eine Krankheit nicht unter den Begriff der Behinderung iSd. RL 2000/78/EG. Behinderung und Krankheit sind nach wie vor nicht gleichzusetzen (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 41 f., 47, 75).

60

cc) Damit haben sich die unionsrechtliche Konzeption und die des nationalen Rechts angenähert. Aus den unterschiedlichen Definitionen ergeben sich jedoch nach wie vor Unterschiede im Begriffsverständnis, die für die vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Erfassten teils günstiger, teils ungünstiger sind.

61

(1) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat den Begriff der Behinderung im Hinblick auf den Anwendungsbereich der RL 2000/78/EG auf Beeinträchtigungen der wirksamen Teilhabe am Berufsleben beschränkt (zur Kritik an dieser Beschränkung siehe Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 24 bis 27), während die Behindertenbegriffe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der UN-BRK auf die gesellschaftliche Teilhabe abstellen. Darüber hinaus sind nach dem nationalen Verständnis bereits Abweichungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauern, als langfristig anzusehen, während nach dem Verständnis des Unionsrechts die nationalen Gerichte im Einzelfall entscheiden müssen, wann eine Einschränkung „langfristig“ ist.

62

(2) Demgegenüber ist der nationale Behindertenbegriff zulasten der Behinderten enger als das supranationale Begriffsverständnis, soweit er eine Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustand verlangt, alterstypische Einschränkungen also stets nicht als Behinderung ansieht (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161 f.; Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 42). Darüber hinaus verlangt der nationale Behindertenbegriff, dass die Beeinträchtigung der Teilhabe bereits eingetreten ist, während es nach dem von der UN-BRK geleiteten unionsrechtlichen Behindertenbegriff bereits ausreicht, dass eine solche Beeinträchtigung eintreten kann.

63

dd) Der Behindertenbegriff des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist maßgeblich, soweit das nationale Recht von einem weiteren Behindertenbegriff als das supranationale Recht ausgeht. Im Übrigen ist der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen.

64

(1) Die RL 2000/78/EG stellt gemäß Art. 8 Abs. 1 nur Mindestanforderungen auf. Es bleibt daher den Mitgliedstaaten unbenommen, Regelungen einzuführen oder beizubehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die Vorschriften der Richtlinie sind. Davon hat die Bundesrepublik Deutschland im genannten Rahmen Gebrauch gemacht (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161e, 165; Däubler/ Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 1 Rn. 75; aA KR/Treber 10. Aufl. § 1 AGG Rn. 49; BeckOK ArbR/Roloff Stand 1. Dezember 2013 AGG § 1 Rn. 7). Der Gesetzgeber des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hat ausdrücklich auf den weitreichenden Behindertenbegriff in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und in § 3 BGG abgestellt. Ein gesetzgeberisches Versehen ist damit auszuschließen (gegen eine gespaltene Auslegung des Behindertenbegriffs gleichwohl Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 33).

65

(2) Soweit das nationale Recht hinter dem supranationalen Recht zurückbleibt, ist dagegen der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161f). Damit reicht es insbesondere aus, dass Beeinträchtigungen eintreten „können“.

66

ee) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts führt ein solches Begriffsverständnis nicht dazu, dass Ursache und Wirkung vertauscht würden, wenn der Umgang des Arbeitgebers mit einer Beeinträchtigung eine Behinderung zur Folge haben kann. Bei der Feststellung, ob eine Behinderung vorliegt, geht es gerade darum, objektive Barrieren zu erkennen, die sich nicht zuletzt im Verhalten des Arbeitgebers manifestieren können.

67

ff) Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass ein so verstandener Behindertenbegriff zu einer „Entgrenzung“ des Begriffs (siehe dazu Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 27, die darauf hinweisen, dass etwa 40 % der Bevölkerung in Deutschland an Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Arthrose oder Rheuma leiden; zur Häufigkeit chronischer Krankheiten siehe auch Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 16) führen und dadurch der Schutz für „schwer“ Behinderte sinken kann. Sind alle oder jedenfalls die Mehrzahl der vergleichbaren Personen ebenfalls behindert, droht der Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (weitgehend) leer zu laufen (vgl. Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 67). Zumindest ist der Behindertenschutz dann kein Minderheitenschutz mehr, es kommt zu einer Majorisierung der „normal Gesunden“ durch die Behinderten.

68

(1) Eine solche mögliche Entgrenzung lässt sich jedoch dadurch einschränken, dass die Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Teilhabe und das Vorliegen einer Benachteiligung wegen dieser nicht pauschal, sondern für die betroffenen Gruppen behinderter Menschen konkret geprüft wird. So kann etwa ein an Diabetes mellitus erkrankter Arbeitnehmer, der „gut eingestellt“ ist, an der gesellschaftlichen Teilhabe so geringfügig beeinträchtigt sein, dass er als nicht behindert anzusehen ist, während ein „schlecht einzustellender“ Diabetiker behindert sein kann. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Personen mit gleichartigen Beeinträchtigungen in verschiedenen Kontexten unterschiedlich in ihrer Teilhabe beeinträchtigt sein können. Ob und welche Barrieren vorliegen, beeinflusst die Annahme einer Behinderung. Die ICF, an deren Definition sich der nationale Behindertenbegriff orientiert, klassifiziert individuelle Behinderungen und berücksichtigt dabei Umweltfaktoren sowohl auf der Ebene des Individuums als auch auf der der Gesellschaft (Welti DÖV 2013, 795, 797; vgl. auch ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 21 f. unter 4.3; Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 68). Wer ungeachtet bestehender Beeinträchtigungen die Möglichkeit hat, gleichberechtigt am Leben in der Gemeinschaft und im Beruf teilzuhaben, ist nicht behindert (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 159a, 164).

69

(2) Der Gefahr übermäßiger Belastung der Arbeitgeber durch einen solchen weiten Behindertenbegriff wird zudem dadurch entgegengewirkt, dass Behinderungen, die sich im Arbeitsverhältnis nicht auswirken, idR weder zu Benachteiligungen noch zu Diskriminierungen von Arbeitnehmern wegen einer Behinderung führen können. Dabei wird allerdings vielfach erst auf der Ebene der angemessenen Vorkehrungen entschieden werden können, ob und wie sich eine Behinderung im Arbeitsleben auswirkt. Dessen ungeachtet hat die Feststellung der Behinderung der Beurteilung, welche Vorkehrungen dem Arbeitgeber im konkreten Fall zumutbar sind, vorauszugehen. Sie sind Folge und nicht Tatbestandsmerkmal einer Behinderung (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 45 f.).

70

b) Der Kläger ist aufgrund seiner symptomlosen HIV-Infektion chronisch erkrankt. Diese Beeinträchtigung wirkt sich auf seine Teilhabe sowohl im Leben in der Gemeinschaft als auch in seinem Berufsfeld aus. Er ist deshalb behindert iSd. § 1 AGG. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern (ebenso Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 72 f., 77 f.; Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 43; aA nur bei Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis: Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 1 Rn. 135; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 164; nur unter Berücksichtigung künftiger Beeinträchtigungen: Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 1 Rn. 54; auf den Einzelfall abstellend: Antwort der Bundesregierung BT-Drucks. 17/7283 S. 4 f.).

71

aa) Die HIV-Infektion ist unheilbar. Sie hat eine Verminderung der zellulären Immunität und damit einen Immundefekt zur Folge (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. Stichwort: HIV-Erkrankung). Diese Abweichung vom allgemein anerkannten Standard des biomedizinischen Zustands (vgl. zu dieser Definition die ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 18 unter 4.1 Ziff. 5) führt zu einer Beeinträchtigung der Funktion des Körpers iSd. Behindertenbegriffs des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.

72

bb) Auf den Grund der Behinderung oder ihre Art kommt es nicht an. Auch chronische Krankheiten werden vom Begriffsverständnis der Behinderung iSd. § 1 AGG erfasst. Das setzt allerdings voraus, dass die erforderliche Beeinträchtigung der Teilhabe vorliegt (BT-Drucks. 14/5074 S. 98; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 164b). Eine chronische Erkrankung, die solche Beeinträchtigungen nicht mit sich bringen kann, führt nicht zu einer Behinderung iSd. § 1 AGG(vgl. für die RL 2000/78/EG EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 42).

73

cc) Der Kläger wird durch seine HIV-Infektion im erforderlichen Maß an der Teilhabe am Leben beeinträchtigt. Unerheblich ist dabei, dass seine Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist. Es genügt, dass er in interpersonellen Beziehungen und bei der Arbeit Stigmatisierungen ausgesetzt sein kann (vgl. ausdrücklich für eine HIV-Infektion ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 24 unter 5.1; vgl. auch Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 43). Diese Vorurteile und Stigmatisierungen seiner Umwelt machen ihn zu einem Behinderten iSv. § 1 AGG.

74

(1) Die gesellschaftliche Teilhabe auch von symptomlos HIV-Infizierten wird nach wie vor typischerweise durch zahlreiche Stigmatisierungen (zum Begriff des Stigmas Stürmer/Salewski in Beelmann/Jonas Diskriminierung und Toleranz S. 263, 267 f.; vgl. auch Empfehlung 200 der ILO vom 17. Juni 2010 unter I Ziff. 1 Buchst. d) und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, die auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen sind, auch wenn die Ausgrenzung in Westeuropa im Rückgang begriffen ist (Stürmer/Salewski aaO S. 264 f., 273; vgl. auch EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 79 ff.; EGMR 10. März 2011 - 2700/10 - [Kiyutin/Russland] Rn. 64). Insbesondere soll HIV-Infizierten signifikant häufig ärztliche Behandlung verweigert werden (Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 27), ebenso soll es zu Nachteilen bei Abschlüssen von Versicherungen, speziell Krankenversicherungen, kommen (Stürmer/Salewski aaO S. 273; Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 25). Darüber hinaus soll Vermeidungsverhalten zu beobachten sein, das sich nicht immer sogleich als Ausgrenzung und Diskriminierung erkennen lässt, zB in Form von Diskrepanzen zwischen verbalem und nonverbalem Verhalten (Stürmer/Salewski aaO S. 272 f.). Auch solche Stigmatisierungen und Vorurteile sind benachteiligende gesellschaftliche Kontextfaktoren (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 37 f.; Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 70). Diskriminierung ist letztlich der Endpunkt von Stigmatisierung (vgl. Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 35). Diese nach wie vor fest verwurzelten Vorurteile gegen HIV-Infizierte haben dazu geführt, dass in den Mitgliedstaaten des Europarats eine klare Gesamttendenz erkennbar ist, HIV-Infizierte, wenn nicht durch spezielle Vorschriften, so doch durch die jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften, die Schutz vor Diskriminierung etwa wegen Behinderung bieten, vor Ungleichbehandlungen am Arbeitsplatz, insbesondere vor diskriminierenden Kündigungen, zu schützen (EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 39, 82 f. unter Hinweis auf eine in dreißig Mitgliedstaaten des Europarats durchgeführte Vergleichsstudie). Auch die Empfehlung 200 der ILO vom 17. Juni 2010 sieht unter III. Ziff. 3 Buchst. c sowie unter IV. Ziff. 9 bis Ziff. 11 den Schutz vor Diskriminierungen und Kündigungen wegen einer HIV-Infektion vor und strebt unter IV. Ziff. 13 an, dass HIV-Infizierte ihre Arbeit ggf. mit angemessenen Vorkehrungen fortsetzen können.

75

(2) Auch im konkreten Fall des Klägers liegen derartige Stigmatisierungen, die HIV-Infizierte erfahren und/oder befürchten, vor. Dies wird eindrücklich dadurch belegt, dass der Kläger über seinen Beistand mitgeteilt hat, er nehme zwar an der mündlichen Verhandlung vor dem Senat teil, halte sich aber unter den Zuhörern auf, um seine Anonymität zu wahren. Außerdem hat er laut einem bereits während des Instanzenzugs erfolgten Pressebericht (faz.net vom 10. Januar 2012) erklärt, er habe sich entschieden, „im Job“ seine Infektion nicht mehr zu erwähnen. Er arbeite seit Mai (2011) wieder in einer „Medizin-Firma“, auch im Reinraum. Er verweigere Tests und Fragebögen. Gerade diese Reaktion des Klägers, künftig seine HIV-Infektion im Berufsleben zu verschweigen, leistet wiederum Vorurteilen gegenüber HIV-Infizierten Vorschub. So kommt es zu einem sich gegenseitig hochschaukelnden Wechselspiel von Reaktion und Gegenreaktion. Die gegenwärtig noch andauernde Stigmatisierung wird auch dadurch bestätigt, dass die Beklagte ausdrücklich geltend macht, die Beschäftigung des Klägers führe zu einer Rufschädigung.

76

(3) Darüber hinaus liegt im konkreten Fall des Klägers auch eine Beeinträchtigung im Berufsleben vor, wie der vorliegende Rechtsstreit deutlich macht. Die Beklagte spricht dem Kläger unter Berufung auf das für sie geltende Regelwerk von vornherein die Eignung für den vertraglich geschuldeten Einsatz im Reinraum ab. Dem Kläger als chemisch-technischen Assistenten ist dadurch der Zugang zu einem nicht unerheblichen Teil seines Berufsfeldes verwehrt. Das räumt letztlich auch die Beklagte ein, wenn sie annimmt, der Kläger könne seinen Beruf weiterhin ausüben. Ihm sei lediglich ein Einsatz in der aseptischen Medikamentenherstellung versagt.

77

2. Die SOP der Beklagten entbindet diese - anders als sie meint und unterschwellig auch das Landesarbeitsgericht annimmt - nicht von der Pflicht, im zumutbaren Rahmen angemessene Vorkehrungen zur Beschäftigung des behinderten Klägers im Reinraum zu treffen. Entgegen der Annahme der Beklagten steht bisher nicht fest, dass die HIV-Infektion des Klägers mit diesem Regelwerk nicht im Einklang steht bzw. nicht zumindest damit in Einklang zu bringen ist.

78

a) Allerdings ist nach dem EG-GMP Leitfaden, auf den Ziff. 5 der SOP verweist, ein System der Qualitätssicherung erforderlich, das der Erreichung des Ziels dient, Patienten keiner Gefahr wegen unzureichender Sicherheit, Qualität oder Wirksamkeit auszusetzen (Kapitel 1 Qualitätsmanagement - Grundsätze). Dieses Sicherungssystem soll sicherstellen, dass Herstellungs- und Prüfverfahren klar spezifiziert sind und die Regeln der Guten Herstellungspraxis beinhalten (Ziff. 1.2 Satz 4 Unterabs. ii des EG-GMP Leitfadens). Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens verlangt, dass Vorkehrungen getroffen werden „sollten“, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist. Diese Vorschrift zwingt - anders als die Beklagte annimmt - den Arzneimittelhersteller nicht dazu, HIV-Infizierte ungeachtet der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Produktionsbedingungen und Tätigkeiten des HIV-Infizierten, von einer Tätigkeit im Reinraum auszuschließen. Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens führt die HIV-Infektion nicht als Tatbestand, der eine Tätigkeit im Reinraum absolut und in jedem Fall ausschließt, auf, sondern enthält lediglich eine Generalklausel, die einem HIV-Infizierten den Einsatz im Reinraum abhängig von den Umständen des Einzelfalls verwehrt.

79

aa) Auch wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, dass Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens als Mussvorschrift zu verstehen ist, ist dieser im Rang einer Verordnung stehende Leitfaden unionsrechtskonform, dh. im Hinblick auf § 241 Abs. 2 BGB gesetzeskonform zu interpretieren. Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2003/94/EG der Kommission vom 8. Oktober 2003 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel und für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate (RL 2003/94/EG) dient der EG-GMP Leitfaden der Auslegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis. Art. 7 Abs. 5 RL 2003/94/EG, den Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens auslegt, verlangt nur, dass Hygieneprogramme, die den durchzuführenden Tätigkeiten angepasst sind und insbesondere Vorschriften zur Gesundheit des Personals enthalten, erstellt und befolgt werden. Bei Beachtung dieses Anwendungsbefehls, der ausdrücklich auf die durchzuführende und damit konkrete Tätigkeit abstellt, fordert Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens im hier vorliegenden Zusammenhang nur, dass Vorkehrungen zu treffen sind, die - soweit praktisch möglich - sicherstellen, dass die Beschäftigten nicht an einer ansteckenden Krankheit leiden, deren Ansteckungsgefahr sich auf die konkrete Tätigkeit auswirkt. Nur dann, wenn bezogen auf die konkrete Tätigkeit eine Ansteckungs- bzw. Kontaminationsgefahr besteht, soll also eine Tätigkeit des Erkrankten unterbunden werden.

80

bb) In dieser Auslegung meinen Art. 5 RL 2000/78/EG und Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens bezogen auf den vorliegenden Fall letztlich dasselbe: Der Arbeitgeber muss bei einem Behinderten, der an einer ansteckenden Krankheit leidet, die ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um einerseits dem Behinderten eine (leidensgerechte) Tätigkeit zu ermöglichen, andererseits aber Ansteckungsgefahren für Kollegen oder Dritte, insbesondere die Empfänger der erzeugten Arzneimittel, mit der erforderlichen Sicherheit verhindern zu können.

81

b) Damit wird von der Beklagten nicht verlangt, sehenden Auges ein messbares, ernsthaftes Risiko einzugehen, mit HI-Viren kontaminierte Präparate in den Verkehr zu bringen und sich damit erheblichen, uU die Existenz des Betriebs gefährdenden Schadensersatzrisiken auszusetzen. Deshalb ist auch ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit nicht in Frage gestellt. Dementsprechend räumt der Kläger ausdrücklich ein, dass sein Einsatz im Reinraum ausgeschlossen sein dürfte, wenn eine Übertragungswahrscheinlichkeit bestehe. Bisher ist aber - und das rügt die Revision mit Recht - weder vorgetragen, geschweige denn festgestellt, dass es überhaupt ein messbares Risiko einer Kontamination gibt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz will gerade solchen, aus bloß diffusen Befürchtungen und der Weigerung des Arbeitgebers, die konkreten Risiken zu ermitteln und mögliche Änderungen der Arbeitsabläufe auch nur in Erwägung zu ziehen, resultierenden Benachteiligungen entgegenwirken. Der Arbeitgeber darf sich, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, gerade nicht darauf beschränken, ohne konkrete Prüfung der Umstände und Risiken den „sicheren Weg“ zu wählen.

82

3. Der Umstand, dass es unstreitig und vom Landesarbeitsgericht festgestellt ist, dass keine anderweitige Einsatzmöglichkeit des Klägers außerhalb des Reinraums bestand, entbindet die Beklagte nicht von der Darlegung, inwieweit keine angemessenen Vorkehrungen getroffen werden konnten, die dem Kläger einen Einsatz auf dem vorgesehenen Arbeitsplatz im Reinraum ermöglicht hätten.

83

IV. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Ob die Klage begründet ist, vermag der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat die zur Beurteilung der Wirksamkeit der Wartezeitkündigung erforderlichen Feststellungen nicht getroffen. Dies wird es unter Beachtung nachstehender Erwägungen nachzuholen haben.

84

1. Die Beklagte hat zu ihren Produkten, den Produktionsbedingungen und der Tätigkeit des Klägers im Reinraum bisher nicht hinreichend konkret vorgetragen. Sie beruft sich im Kern darauf, dass ihr ein noch so geringes Risiko nicht zuzumuten sei, ohne vorzutragen, ob überhaupt ein messbares Risiko bestand, dass es durch den Kläger zu einer Verunreinigung der Produkte der Beklagten mit HI-Viren kommt. Es fehlt somit bereits am erforderlichen Ausgangspunkt für die Prüfung, ob und welche angemessene(n) Vorkehrungen ihr zumutbar sind.

85

a) Die Beklagte hat bisher lediglich vorgetragen, sie produziere radioaktive Medikamente für Krebspatienten, die intravenös verabreicht würden. Aus der von ihr vorgelegten Herstellungserlaubnis ergibt sich, dass es sich dabei um Arzneimittel für die Positronen-Emissions-Tomographie mit zwei verschiedenen Wirkstoffen handelt. Die Beklagte hat weiter vorgetragen, ihre Produkte seien nur zehn Stunden wirksam, so dass eine Überprüfung auf eine mikrobielle oder virale Verunreinigung vor der Anwendung unmöglich sei. Sie fertige im Rahmen einer sog. „aseptischen Herstellung“ und müsse deshalb mit sterilen Materialien arbeiten. Die Produktion des Medikaments, von dem sie mehr als 6,5 Millionen Einheiten im Jahr herstelle, erfordere die Arbeit mit angeschliffenen Hohlkanülen, Glasfläschchen und Aluminiumdeckeln, so dass Schnitt- und Stichverletzungen möglich seien, wobei es denkbar sei, dass diese nicht sofort bemerkt würden. Verletzungen der Arbeitnehmer und Verunreinigungen der Medikamente mit Blut seien möglich.

86

b) Zur Tätigkeit des Klägers hat die Beklagte nur vorgetragen, dass er Gefäße, in die das Medikament abgefüllt wird, sowie Produktionskassetten vorzubereiten hatte, die mit sterilen Gläschen mittels Spritzen befüllt und mittels nadelartiger Spikes entlüftet werden.

87

2. Das Landesarbeitsgericht wird vor seiner erneuten Entscheidung der Beklagten Gelegenheit zu geben haben, diesen Vortrag zu substantiieren und insbesondere zur Möglichkeit, angemessene Vorkehrungen hinsichtlich des Einsatzes des Klägers im Reinraum zu treffen, vorzutragen.

88

a) Die Beklagte stellt in ihrem Vortrag bisher ausschließlich auf das Risiko ab, Patienten, denen von ihr produzierte Medikamente injiziert werden, könnten sich mit HI-Viren infizieren. Aus dem bisherigen Vortrag ergibt sich jedoch nicht, welche Maßnahmen die Beklagte trifft, wenn es zu den von ihr angesprochenen blutenden Schnitt- oder Stichverletzungen kommt. Eine aseptische Herstellung erscheint in diesen Fällen - unabhängig davon, ob der betroffene Arbeitnehmer an einer ansteckenden Krankheit, insbesondere HIV, leidet - ausgeschlossen. Die fraglichen Medikamente dürften zu vernichten sein.

89

b) Erforderlich ist konkreter Vortrag dazu, inwieweit bei blutenden Verletzungen - insbesondere bei den von der Beklagten angesprochenen geringfügigen Verletzungen - oder auf andere Weise konkret und messbar das Risiko besteht, dass es zu (nicht entdeckbaren) Kontaminationen der hergestellten Medikamente kommen kann, und zusätzlich das Risiko besteht, dass ein solchermaßen verunreinigtes Medikament zu einer HIV-Infektion von Patienten führen kann, denen das Medikament injiziert wird. Dabei wird auch darzulegen sein, welches Risiko besteht, dass es überhaupt zu den von der Beklagten genannten (schwach) blutenden Verletzungen kommt, ob und wie dieses Risiko - etwa durch das Tragen von Spezialhandschuhen - ausgeschlossen werden kann, ob es bei bestimmten Tätigkeiten im Reinraum höher ist als bei anderen und - falls ja - ob der Kläger mit anderen als solchen besonders risikobehafteten Tätigkeiten im Reinraum beschäftigt werden konnte.

90

3. Nach Maßgabe des ergänzten Vortrags der Beklagten wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen, dh. durch wirksame und praktikable, die Beklagte nicht unverhältnismäßig belastende Maßnahmen, den Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Nur wenn das nicht der Fall war, ist die Kündigung wirksam. Bei dieser Prüfung wird es sich die zum Verständnis des Parteivorbringens erforderliche Sachkunde - ggf. auch über den Sachvortrag hinaus (vgl. BGH 7. Dezember 1994 - VIII ZR 153/93 - zu II 3 c der Gründe) - durch ein im Rahmen des Ermessens nach § 144 ZPO anzuordnendes Sachverständigengutachten verschaffen müssen. Sollte es bei seiner Entscheidung auf die Zumutbarkeit der Kosten der von der Beklagten zu veranlassenden Maßnahmen ankommen, wird es neben der Finanzkraft der Beklagten und der Frage, ob sie öffentliche Mittel in Anspruch hätte nehmen können, zu berücksichtigen haben, dass der Kläger erst kurz bei der Beklagten beschäftigt war und diese für seine Behinderung nicht verantwortlich ist. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verlangt nicht, dass die Einstellung und Beschäftigung eines Behinderten für den Arbeitgeber zum „Zuschussgeschäft“ wird (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 59 f.; zur Berücksichtigungsfähigkeit der Kosten bei der Frage der angemessenen Vorkehrungen allgemein vgl. Däubler/ Bertzbach/Brors AGG 3. Aufl. § 8 Rn. 34). Das gilt insbesondere in der Wartezeit.

91

V. Ob dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht, hängt davon ab, ob die Kündigung wirksam ist.

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    Reiner Koch    

        

    Hoffmann    

                 

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.

(1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.

(2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen

1.
zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats,
2.
fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
3.
acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
4.
zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats,
5.
zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats,
6.
15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats,
7.
20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats.

(3) Während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten, kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.

(4) Von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Regelungen können durch Tarifvertrag vereinbart werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags gelten die abweichenden tarifvertraglichen Bestimmungen zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn ihre Anwendung zwischen ihnen vereinbart ist.

(5) Einzelvertraglich kann eine kürzere als die in Absatz 1 genannte Kündigungsfrist nur vereinbart werden,

1.
wenn ein Arbeitnehmer zur vorübergehenden Aushilfe eingestellt ist; dies gilt nicht, wenn das Arbeitsverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird;
2.
wenn der Arbeitgeber in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt und die Kündigungsfrist vier Wochen nicht unterschreitet.
Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen. Die einzelvertragliche Vereinbarung längerer als der in den Absätzen 1 bis 3 genannten Kündigungsfristen bleibt hiervon unberührt.

(6) Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber.

(1) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Beirat für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gebildet, der das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Fragen der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen berät und bei Aufgaben der Koordinierung unterstützt. Zu den Aufgaben des Beirats gehören insbesondere auch

1.
die Unterstützung bei der Förderung von Rehabilitationseinrichtungen und die Mitwirkung bei der Vergabe der Mittel des Ausgleichsfonds sowie
2.
die Anregung und Koordinierung von Maßnahmen zur Evaluierung der in diesem Buch getroffenen Regelungen im Rahmen der Rehabilitationsforschung und als forschungsbegleitender Ausschuss die Unterstützung des Bundesministeriums bei der Festlegung von Fragestellungen und Kriterien.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales trifft Entscheidungen über die Vergabe der Mittel des Ausgleichsfonds nur auf Grund von Vorschlägen des Beirats.

(2) Der Beirat besteht aus 49 Mitgliedern. Von diesen beruft das Bundesministerium für Arbeit und Soziales

1.
zwei Mitglieder auf Vorschlag der Gruppenvertreter der Arbeitnehmer im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit,
2.
zwei Mitglieder auf Vorschlag der Gruppenvertreter der Arbeitgeber im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit,
3.
sechs Mitglieder auf Vorschlag der Behindertenverbände, die nach der Zusammensetzung ihrer Mitglieder dazu berufen sind, Menschen mit Behinderungen auf Bundesebene zu vertreten,
4.
16 Mitglieder auf Vorschlag der Länder,
5.
drei Mitglieder auf Vorschlag der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände,
6.
ein Mitglied auf Vorschlag der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen,
7.
ein Mitglied auf Vorschlag des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit,
8.
zwei Mitglieder auf Vorschlag des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen,
9.
ein Mitglied auf Vorschlag der Spitzenvereinigungen der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung,
10.
drei Mitglieder auf Vorschlag der Deutschen Rentenversicherung Bund,
11.
ein Mitglied auf Vorschlag der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe,
12.
ein Mitglied auf Vorschlag der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege,
13.
ein Mitglied auf Vorschlag der Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung,
14.
fünf Mitglieder auf Vorschlag der Arbeitsgemeinschaften der Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation, der Berufsförderungswerke, der Berufsbildungswerke, der Werkstätten für behinderte Menschen und der Inklusionsbetriebe,
15.
ein Mitglied auf Vorschlag der für die Wahrnehmung der Interessen der ambulanten und stationären Rehabilitationseinrichtungen auf Bundesebene maßgeblichen Spitzenverbände,
16.
zwei Mitglieder auf Vorschlag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Bundesärztekammer und
17.
ein Mitglied auf Vorschlag der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation.
Für jedes Mitglied ist ein stellvertretendes Mitglied zu berufen.

(1) Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Das Zeugnis muss mindestens Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken.

(2) Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein. Es darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen.

(3) Die Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form ist ausgeschlossen.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 23. November 2010 - 7 Sa 427/09 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin.

2

Der beklagte Landkreis ist Träger einer Volkshochschule, die organisatorisch dem Schulverwaltungsamt zugeordnet ist. Zu der Volkshochschule gehört ein Planetarium, für das eine Zahlstelle der Kreiskasse eingerichtet ist.

3

Die Klägerin ist bei dem Beklagten seit dem Jahre 2000 als Verwaltungsfachangestellte beschäftigt. Ihr wurde mit Wirkung zum 1. Dezember 2006 die Tätigkeit einer Haushaltssachbearbeiterin der Volkshochschule übertragen. Sie war verantwortlich für die Zahlstelle des Planetariums.

4

Die Einnahme- und Auszahlungsanordnungen für das Planetarium wurden anlässlich einer Dienstberatung Anfang März 2007 zur Entlastung der Klägerin ihrer Vertreterin - Frau H - übertragen. Mit einem Schreiben an die Dezernentin vom 25. Mai 2007 beantragte der Leiter der Volkshochschule, die Verantwortlichkeit für die Zahlstellenverwaltung dahin zu ändern, dass Frau H als Hauptverantwortliche eingesetzt werde, die Klägerin nurmehr im Vertretungsfall.

5

Mitte Juli 2007 übergab die Klägerin die Zahlstelle anlässlich ihres bevorstehenden Urlaubs an den Leiter der Volkshochschule. Anstelle des Originalkassenbuchs händigte sie ihm eine von ihr gefertigte Zweitfassung mit nur ein oder zwei Eintragungen aus, in die Quittungen eingelegt waren. Der Leiter bemerkte das Fehlen des Originalbuchs, ohne Schritte zur Aufklärung seines Verbleibs zu unternehmen. Bei einer im August 2007 durchgeführten Kontrolle durch die Leiterin der Kreiskasse wurde es nicht mehr aufgefunden. Die Klägerin gab bei einer Anhörung an, sie habe das Kassenbuch am 26. April 2007 an Frau H übergeben. Sie sei nur noch deren Vertreterin gewesen. Sie habe das Kassenbuch im Vertretungsfall nicht zurückerhalten. Sie habe deshalb ein zweites angelegt.

6

Mit Schreiben vom 16. April 2008 mahnte der Beklagte die Klägerin ab. Er beanstandete, dass das Kassenbuch in der Zeit abhanden gekommen sei, zu der sie für die Verwaltung der Zahlstelle verantwortlich gewesen sei. Sie habe dadurch gegen ihre Pflicht zur sorgfältigen Führung der Zahlstelle verstoßen. Zudem habe sie durch ihre Erklärungen den Eindruck erweckt, die Verantwortung für die nicht ordnungsgemäße Führung der Zahlstelle und das Abhandenkommen des Kassenbuchs treffe die Vertreterin.

7

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Rücknahme der Abmahnung verlangt. Sie hat behauptet, Frau H sei am 5. März 2007 mit der Arbeitsaufgabe „Planetarium“ beauftragt worden.

8

Die Klägerin hat beantragt

        

den Beklagten zu verurteilen, die ihr mit Schreiben vom 16. April 2008 erteilte Abmahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.

9

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, die Klägerin sei weiterhin für die Verwaltung der Zahlstelle verantwortlich gewesen. Am 5. März 2007 seien zu ihrer Entlastung lediglich die Einnahme- und Auszahlungsanordnungen auf Frau H übertragen worden. Bis zur Kassenprüfung im August 2007 sei die Planung, diese zur Kassenverantwortlichen zu bestellen, nicht umgesetzt worden. Die Angabe der Klägerin, sie habe Ende April 2007 das Originalkassenbuch übergeben und nicht mehr zurückerhalten, treffe nicht zu.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben (I.). Ob der Beklagte verpflichtet ist, die Abmahnung vom 16. April 2008 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen, steht noch nicht fest (II.).

12

I. Das Landesarbeitsgericht hat auf Basis der bisherigen Feststellungen zu Unrecht angenommen, die Klägerin habe einen Anspruch auf Rücknahme und Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte.

13

1. Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (BAG 12. August 2010 - 2 AZR 593/09 - Rn. 10, AP GG Art. 4 Nr. 8; 27. November 2008 - 2 AZR 675/07 - Rn. 13 - 17 mwN, AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 33 = EzA BGB 2002 § 314 Nr. 4).

14

2. Nicht zu beanstanden ist, dass das Landesarbeitsgericht nicht zwischen einem Anspruch auf Rücknahme der Abmahnung und einem solchen auf ihre Entfernung aus der Personalakte differenziert hat.

15

a) Das Begehren auf Rücknahme einer Abmahnung wird neben dem auf ihre Entfernung aus der Personalakte zumeist nicht eigenständig verfolgt. Eine mit dem Klageantrag verlangte „Rücknahme und Entfernung“ der Abmahnung ist dann als einheitlicher Anspruch auf Beseitigung der durch die Abmahnung erfolgten Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zu verstehen (vgl. BAG 27. Januar 1988 - 5 AZR 604/86 - RzK I 1 Nr. 26; Hessisches LAG 22. Juni 2010 - 12 Sa 829/09 - Rn. 17; LAG Köln 15. Juni 2007 - 11 Sa 243/07 - Rn. 26 f.). Kann der Klagebegründung dagegen entnommen werden, der Kläger begehre neben einer Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte beispielsweise den Widerruf darin enthaltener Äußerungen, kann ein Antrag auf Rücknahme der Abmahnung in diesem Sinne auszulegen sein (vgl. LAG Nürnberg 14. Juni 2005 - 6 Sa 582/04 - zu 3 der Gründe, AR-Blattei ES 20 Nr. 41; Hessisches LAG 22. Juni 2010 - 12 Sa 829/09 - aaO).

16

b) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin neben der Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte einen weiteren Anspruch verfolgt. Sie hat sich nicht dagegen gewandt, dass die Vorinstanzen den Klageanspruch als ein einheitliches Begehren auf Rücknahme der Abmahnung eben durch ihre Entfernung aus der Personalakte verstanden haben.

17

3. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagte sei zur Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin verpflichtet, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Abhandenkommen des Originalkassenbuchs falle zwar in die Zeit der Verantwortlichkeit der Klägerin, der Beklagte habe aber kein schutzwürdiges Interesse mehr daran, dass die Abmahnung in deren Personalakte verbleibe.

18

a) Personalakten sind eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse eines Mitarbeiters betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen. Sie sollen ein möglichst vollständiges, wahrheitsgemäßes und sorgfältiges Bild über diese Verhältnisse geben ( BAG 8. Februar 1989 - 5 AZR 40/88 - RzK I 1 Nr. 47; 9. Februar 1977 - 5 AZR 2/76 - zu II 2 der Gründe, AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 83 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 21). Ein Arbeitnehmer kann deshalb nur in Ausnahmefällen die Entfernung auch solcher Aktenvorgänge verlangen, die auf einer richtigen Sachverhaltsdarstellung beruhen ( BAG 8. Februar 1989 - 5 AZR 40/88 - zu II 2 der Gründe, aaO; 7. September 1988 - 5 AZR 625/87  - zu III der Gründe, AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 17; 13. April 1988 - 5 AZR 537/86  - zu I der Gründe, AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 100 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 47). Ein solcher Fall liegt vor, wenn eine Interessenabwägung im Einzelfall ergibt, dass die weitere Aufbewahrung zu unzumutbaren beruflichen Nachteilen für den Arbeitnehmer führen könnte, obwohl der beurkundete Vorgang für das Arbeitsverhältnis rechtlich bedeutungslos geworden ist (BAG 30. Mai 1996 - 6 AZR 537/95 - zu II 4 der Gründe, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 34; 8. Februar 1989 - 5 AZR 40/88 - aaO; 7. September 1988 - 5 AZR 625/87 - aaO).

19

b) Diesen Maßstab hat das Landesarbeitsgericht verkannt.

20

aa) Es hat angenommen, eine Abmahnung könne nach längerem einwandfreien Verhalten des Arbeitnehmers ihre Wirkung verlieren, wofür die Umstände des Einzelfalls maßgeblich seien (vgl. BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4). Dies trifft zwar zu. So kann es nach einer längeren Zeit einwandfreier Führung einer erneuten Abmahnung bedürfen, bevor eine verhaltensbedingte Kündigung wegen einer erneuten gleichartigen Pflichtverletzung gerechtfertigt wäre (vgl. BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - aaO). Berücksichtigt worden ist damit aber nur die Warnfunktion einer Abmahnung. Mit einer Abmahnung übt ein Arbeitgeber dagegen seine arbeitsvertraglichen Gläubigerrechte in doppelter Hinsicht aus. Zum einen weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rüge- und Dokumentationsfunktion). Zum anderen fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, sofern ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion) (BAG 11. Dezember 2001 - 9 AZR 464/00 - zu I der Gründe, BAGE 100, 70; 30. Mai 1996 - 6 AZR 537/95 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 34; 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/94 - zu B III 4 a der Gründe, BAGE 79, 176).

21

bb) Ein Anspruch auf Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung setzt demnach nicht nur voraus, dass die Abmahnung ihre Warnfunktion verloren hat. Der Arbeitgeber darf auch kein berechtigtes Interesse mehr an der Dokumentation der gerügten Pflichtverletzung haben. Der Arbeitnehmer kann die Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung aus seiner Personalakte nur dann verlangen, wenn sie für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses unter keinem rechtlichen Aspekt mehr eine Rolle spielen kann. Das durch die Abmahnung gerügte Verhalten muss für das Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht rechtlich bedeutungslos geworden sein. Das ist nicht der Fall, solange eine zu Recht erteilte Abmahnung etwa für eine zukünftige Entscheidung über eine Versetzung oder Beförderung und die entsprechende Eignung des Arbeitnehmers, für die spätere Beurteilung von Führung und Leistung in einem Zeugnis oder für die im Zusammenhang mit einer möglichen späteren Kündigung erforderlich werdende Interessenabwägung von Bedeutung sein kann. Darüber hinaus kann es im berechtigten Interesse des Arbeitgebers liegen, die Erteilung einer Rüge im Sinne einer Klarstellung der arbeitsvertraglichen Pflichten weiterhin dokumentieren zu können. Demgegenüber verlangen die schutzwürdigen Interessen des Arbeitnehmers nicht, einen Anspruch auf Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung schon dann zu bejahen, wenn diese zwar ihre Warnfunktion verloren hat, ein Dokumentationsinteresse des Arbeitgebers aber fortbesteht. Auch wenn sich eine Abmahnung noch in der Personalakte befindet, ist im Rahmen eines möglichen Kündigungsrechtsstreits stets zu prüfen, ob ihr noch eine hinreichende Warnfunktion zukam (vgl. etwa BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4).

22

cc) Diese Voraussetzungen eines Entfernungsanspruchs hat das Landesarbeitsgericht nicht sämtlich geprüft.

23

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Abmahnung sei wegen Zeitablaufs nicht mehr wirksam und deshalb aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen. Mit der Verwaltung der Zahlstelle sei die Klägerin offensichtlich überfordert gewesen. Ihr seit der Abmahnung beanstandungsfreies Verhalten lasse den Schluss zu, sie werde künftig ihre Arbeitspflichten ordnungsgemäß erfüllen.

24

(2) Die Begründung des Landesarbeitsgerichts lässt nicht erkennen, an welchem Maßstab es sich orientiert und diese Einzelfallumstände gewürdigt hat. Es ist nicht ersichtlich, dass es geprüft hätte, ob die Abmahnung für das Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht rechtlich bedeutungslos geworden ist. Das Landesarbeitsgericht hat nicht alle rechtlichen Gesichtspunkte erwogen und ausgeschlossen, unter denen der Beklagte ein berechtigtes Interesse an dem weiteren Verbleib der Abmahnung in der Personalakte der Klägerin haben könnte. Es hat insbesondere nicht gewürdigt, ob das gerügte Fehlverhalten der Klägerin weiterhin von Bedeutung für eine Beurteilung ihrer Fähigkeiten und Leistungen als Haushaltssachbearbeiterin sein konnte. Dagegen spricht nicht schon der Umstand, dass nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts die Gefahr einer erneuten Pflichtverletzung nicht mehr bestand. Sollte mit dem Landesarbeitsgericht anzunehmen sein, die Klägerin sei mit der Verwaltung der Zahlstelle überfordert gewesen, spricht dies mit Blick auf künftige Einsatzmöglichkeiten eher für ein berechtigtes Interesse des Beklagten an einer Beibehaltung der Dokumentation.

25

II. Ob der Beklagte verpflichtet ist, die Abmahnung vom 16. April 2008 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen, steht danach noch nicht fest.

26

1. Eine solche Verpflichtung besteht auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht deshalb, weil die Abmahnung eine falsche Tatsachenbehauptung oder unzutreffende rechtliche Wertung insoweit enthielte, wie der Beklagte rügt, die Klägerin habe Frau H bezichtigt, für das Verschwinden des Kassenbuchs die Verantwortung zu tragen.

27

a) Der Beklagte hat sowohl im Text der Abmahnung als auch im Rechtsstreit angegeben, worauf er diesen Vorwurf stützt. Die Klägerin habe bei ihrer Anhörung angegeben, der Kollegin am 26. April 2007 das Originalkassenbuch übergeben und es von ihr nicht wieder zurückerhalten zu haben. Dies treffe nicht zu.

28

b) Entspräche die Behauptung des Beklagten, die Klägerin habe das Originalkassenbuch Ende April 2007 nicht ihrer Kollegin übergeben, der Wahrheit, enthielte seine Rüge, die Klägerin habe dadurch die Kollegin bezichtigt, für das Verschwinden des Kassenbuchs verantwortlich zu sein, weder eine falsche Tatsachenbehauptung, noch beruhte sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung. Es ginge dann nicht nur um eine möglicherweise von der Klägerin missverstandene Beschlusslage von Anfang März 2007, wie das Arbeitsgericht gemeint hat. Die Klägerin hätte vielmehr selbst unzutreffende Angaben zu einer tatsächlichen Übergabe des Kassenbuchs mit der Folge gemacht, dass ihre Kollegin als verantwortlich für das Verschwinden des Kassenbuchs erscheinen musste.

29

2. Sonstige Gründe für einen Anspruch der Klägerin auf Entfernung der Abmahnung sind auf Basis der bisherigen Feststellungen nicht gegeben. Die Abmahnung ist weder inhaltlich zu unbestimmt noch verstößt sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

30

3. Umgekehrt ist ein Anspruch der Klägerin auf Entfernung der Abmahnung vom 16. April 2008 nicht deshalb generell ausgeschlossen, weil die Abmahnung für die bei einer möglichen späteren Kündigung erforderlich werdende Interessenabwägung während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses ihre Bedeutung behielte. Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls.

31

a) Im Schrifttum wird teilweise angenommen, der Arbeitgeber habe ein dauerhaftes Interesse an dem Verbleib einer zu Recht erteilten Abmahnung in der Personalakte des Arbeitnehmers (vgl. Kleinebrink BB 2011, 2617, 2622; Ritter DB 2011, 175, 176 f.; Schrader NZA 2011, 180, 181). Die Abmahnung möge zwar nach einem gewissen Zeitablauf ihre Warnfunktion verlieren, im Rahmen der Interessenabwägung müsse sich der Arbeitgeber aber weiterhin auf sie berufen dürfen (Schrader aaO). Durch bloßen Zeitablauf könne die Abmahnung nicht bedeutungslos werden, weil für die Abwägung der beiderseitigen Interessen erheblich sein könne, ob das Arbeitsverhältnis während seines - gesamten - Bestands störungsfrei gewesen sei (Ritter DB 2011, 175, 176). Der Arbeitgeber müsse die Möglichkeit haben, Unterlagen, die einen Vertrauenszuwachs verhindern könnten, dauerhaft in der Personalakte zu belassen (Kleinebrink aaO).

32

b) Zutreffend ist, dass eine Abmahnung für eine spätere Interessenabwägung auch dann noch Bedeutung haben kann, wenn sie ihre kündigungsrechtliche Warnfunktion verloren hat. So kann in die Interessenabwägung bei einer verhaltensbedingten Kündigung ein zuvor störungsfreier Verlauf des Arbeitsverhältnisses einzubeziehen sein (vgl. BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 20, AP BGB § 626 Nr. 237 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 38; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09  - Rn. 34, BAGE 134, 349). An einem solchen kann es fehlen, wenn der Arbeitnehmer schon einmal abgemahnt wurde. Gleichwohl besteht ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Dokumentation einer Pflichtverletzung nicht zwangsläufig für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses. So kann ein hinreichend lange zurückliegender, nicht schwerwiegender und durch beanstandungsfreies Verhalten faktisch überholter Pflichtenverstoß seine Bedeutung für eine später erforderlich werdende Interessenabwägung gänzlich verlieren. Eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung im Vertrauensbereich wird demgegenüber eine erhebliche Zeit von Bedeutung sein.

33

III. Bei der neuen Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht die folgenden Erwägungen zu berücksichtigen haben.

34

1. Bislang ist nicht aufgeklärt, ob die Abmahnung vom 16. April 2008 eine unrichtige Tatsachenbehauptung oder falsche rechtliche Bewertung enthält. Die Klägerin hat zwar nicht bestritten, bei ihrer Anhörung angegeben zu haben, sie habe ihrer Kollegin schon Ende April 2007 die Zahlstelle übergeben. Eine Pflichtverletzung läge darin aber nur, wenn dies nicht der Wahrheit entspräche. Hierzu haben die Parteien widerstreitend vorgetragen.

35

2. Ebenso wenig wie für das Fortbestehen der Warnfunktion einer Abmahnung (vgl. BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4)gibt es eine fest bemessene Frist für die Dauer, für welche ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an ihrem Verbleib in der Personalakte des Arbeitnehmers anzuerkennen ist. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwere des gerügten Fehlverhaltens. Je schwerer eine Pflichtverletzung wiegt, desto länger kann sie für die Beurteilung der Führung, der Leistungen und der Fähigkeiten des Arbeitnehmers und ggf. für seine Vertrauenswürdigkeit von Bedeutung sein. Ein auf nur geringer Nachlässigkeit beruhender Ordnungsverstoß kann seine Bedeutung für das Arbeitsverhältnis deutlich eher verlieren (vgl. dazu BAG 27. Januar 1988 - 5 AZR 604/86 - zu III der Gründe, RzK I 1 Nr. 26) als ein Fehlverhalten, welches geeignet ist, das Vertrauen in die Integrität des Arbeitnehmers erheblich zu beeinträchtigen. Auch eine schwere Pflichtverletzung im Leistungsbereich wird ein Interesse des Arbeitgebers an einem Verbleib der Abmahnung in der Personalakte angesichts der Möglichkeit, die Qualität der Arbeitsleistung und die Befähigung des Arbeitnehmers für höherwertige oder andere Tätigkeiten beurteilen zu müssen, für längere Zeit begründen können.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Sieg    

                 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 21.11.2008, Az. 5 Ca 279/07 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht tragen der Kläger zu 1/3, die Beklagte zu 2/3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung sowie über seine Weiterbeschäftigung.

2

Der Kläger war seit dem 01.04.1992 bei der M.-V. GmbH als Redakteur beschäftigt, laut § 2 Abs. 1 des Anstellungsvertrages vom 24.03.1992 „in den Lokalredaktionen unseres Verbreitungsgebietes“. Seit dem Jahr 1998 war der Kläger in der Schwerpunktredaktion A-Stadt eingesetzt. Nach § 4 Abs. 3 des Anstellungsvertrages behielt sich der Verlag „die Zuweisung eines anderen Arbeitsgebietes innerhalb des Verbreitungsgebietes vor.“

3

Anfang des Jahres 2005 kam der Chefredakteur der M.-V. GmbH in die Lokalredaktion A-Stadt und bot den Redakteuren an, in einem neuen "verschlankten" Betrieb zu deutlich reduzierten Bezügen weiterzuarbeiten. Mit E-Mail vom 27.04.2005 stellte die M.-V. GmbH den Kläger sowie die weiteren Redakteure von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.

4

Zum 01.05.2005 nahm die Beklagte in den Räumen der bisherigen Lokalredaktion A-Stadt der M.-V. GmbH ihre Tätigkeit auf. Produziert wird auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrages mit der M.-V. GmbH weiterhin der Lokalteil für die „C-Zeitung“. Die Beklagte beschäftigte sämtliche bisherigen freien Mitarbeiter, mindestens drei der ursprünglich 13 oder 14 Redakteure und mindestens eine von zwei Redaktionssekretärinnen weiter, zum Teil wurden bisherige Angestellte in der Folgezeit freiberuflich tätig. Die Beklagte nutzt Einrichtungen, Telefonanlage und Telefonnummern, E-Mail-Adressen und Bildarchiv der M.-V. GmbH. Mitarbeiter für die Lokalredaktion A-Stadt suchte per Anzeige weiterhin die M.-V. GmbH.

5

Mit Schreiben vom 27.06.2005 kündigte die M.-V. GmbH das Arbeitsverhältnis des Klägers aus dringenden betrieblichen Erfordernissen zum 31.12.2005. Hiergegen erhob der Kläger am 11.07.2005 unter dem Az. 3 Ca 2060/05 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – und beantragte seine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen. Mit der Klageschrift legte er ein Schreiben des Betriebsrats vom 23.06.2005 vor, worin der Betriebsrat die Auffassung vertrat, dass ein Teilbetriebsübergang auf die Beklagte vorliege. Mit Schriftsatz vom 21.12.2005 berief sich der Kläger ausdrücklich auf das Vorliegen eines Teilbetriebsübergangs. Mit Urteil vom 24.01.2006, dem Kläger zugestellt am 07.03.2006, wies das Arbeitsgericht Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – die Klage ab, weil bereits vor Ausspruch der Kündigung ein Teilbetriebsübergang stattgefunden habe.

6

Im Rahmen des beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz unter dem Az. 11 Sa 286/06 geführten Berufungsverfahrens stellten die Parteien die das Vorliegen eines Teilbetriebsübergangs begründenden Tatsachen unstreitig. Mit Schriftsatz vom 04.04.2006 verkündete der Kläger der hiesigen Beklagten den Streit und drohte ihr Regressansprüche an. Mit Schreiben vom gleichen Tage bot der Kläger der Beklagten seine Arbeitskraft an. Die Beklagte trat dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers bei und erklärte, dass sie sich gemäß § 67 ZPO daran gehindert sehe, den Sachverhalt aus ihrer Sicht darzustellen, da sie sich hierbei in Widerspruch zu den Erklärungen des Klägers setzen würde. Denn sie halte einen Betriebsübergang nicht für gegeben. Mit Urteil vom 31.08.2006, dem Kläger zugestellt am 11.12.2006, wies das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers zurück.

7

Vom 22.05.2006 bis zum 31.12.2006 arbeitete der Kläger im Rahmen eines Prozessrechtsarbeitsverhältnisses bei der M.-V. GmbH. Am 02.01.2007 bot der Kläger der Beklagten nochmals erfolglos seine Arbeitskraft an.

8

Mit der vorliegenden, am 14.02.2007 erhobenen Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung der Vergütung für die Monate Januar bis März 2007 sowie auf Weiterbeschäftigung in Anspruch.

9

Der Kläger hat vorgetragen:

10

Es liege ein Teilbetriebsübergang von der M.-V. GmbH auf die Beklagte vor.

11

Nachdem der Kläger ursprünglich für die Monate Januar bis März 2007 die Zahlung einer Vergütung von je 5.400,00 € brutto beantragt hatte, für Januar 2007 zunächst ohne Abzug von Arbeitslosengeld, hat er unter teilweiser Klagerücknahme zuletzt beantragt,

12

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn

13

a) 4.588,02 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 2.082,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 31.01.2007,

14

b) 4.588,02 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 2.082,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 28.02.2007,

15

c) 4.588,02 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 2.082,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 31.03.2007

16

zu zahlen,

17

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den Bedingungen seines Arbeitsvertrages mit der M.-V. GmbH, A.-B.C-Str., 00000 K. als Redakteur in der Redaktion der Beklagten in B. weiter zu beschäftigen.

18

Die Beklagte hat beantragt,

19

die Klage abzuweisen.

20

Sie hat vorgetragen:

21

Eine Bindungswirkung durch die Streitverkündung sei nicht eingetreten, weil sie, die Beklagte, auf die Unterstützung der Partei beschränkt gewesen sei und daher auf den Verlauf des Vorprozesses keinen Einfluss habe nehmen können.

22

Ein Betriebsübergang liege nicht vor. Sie verfüge über eine eigene Organisationsstruktur und habe das bisher bestehende Redaktionssekretariat abgeschafft. Sie habe nicht einen wesentlichen Teil des Personals der ehemaligen Schwerpunktredaktion A-Stadt von der M.-V. GmbH übernommen, insbesondere nicht den Redaktionsleiter und dessen Stellvertreter als die Know-how-Träger. Die M.-V. GmbH mache ihr keine Vorgaben personeller oder organisatorischer, wohl aber teilweise inhaltlicher Art. Sie habe eine neue Software eingeführt, für die neue Computer benötigt worden seien.

23

Von dem behaupteten Teilbetriebsübergang wäre der Kläger ohnehin nicht erfasst, da er infolge der zuvor ausgesprochenen Freistellung am 01.05.2005 nicht mehr der betroffenen Schwerpunktredaktion A-Stadt angehört habe, sondern aus diesem Betriebsteil herausgelöst, „entsetzt“ gewesen sei, dokumentiert auch durch die erfolgte Schlüsselrückgabe. In seiner gegen die M.-V. GmbH gerichteten Klage habe der Kläger folgerichtig geltend gemacht, in anderen Betrieben des Unternehmens eingesetzt werden zu können. Mit der Freistellungsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses sei der vorliegende Fall nicht vergleichbar. Die Freistellung des Klägers habe dazu gedient, andere Einsatzmöglichkeiten für ihn zu finden.

24

Der Anspruch auf Geltendmachung eines etwaigen Betriebsübergangs wäre jedenfalls verwirkt. Da dem Kläger mit Erhalt der Kündigung die einen Betriebsübergang begründenden Tatsachen bekannt gewesen seien, mindestens aus Gesprächen mit dem Betriebsrat und mit Arbeitskollegen, hätte er sie, die Beklagte, innerhalb von drei Wochen, spätestens jedoch innerhalb von sechs Monaten verklagen müssen. Statt dessen habe er mit der Streitverkündung fast ein Jahr, mit der Klage fast zwei Jahre zugewartet. Das Umstandsmoment ergebe sich daraus, dass der Kläger, anders als die Kollegen der Parallelverfahren, in Kenntnis des angeblichen Betriebsübergangs jahrelang ausschließlich die M.-V. GmbH in Anspruch genommen habe. Sie habe darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger ihr gegenüber keine Ansprüche mehr geltend machen würde, und sich entsprechend eingerichtet. Sie habe, was unstreitig ist, von August bis Dezember 2005 fünf Redakteure neu eingestellt, bis Februar 2007 fünf weitere, die ausgeschiedene ersetzt hätten. Der Kläger habe auch konkludent sein Widerspruchsrecht ausgeübt.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – vom 21.11.2008 verwiesen.

26

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe gegen die Beklagte Anspruch auf die geltend gemachten Zahlungen aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges gemäß §§ 615 Satz 1, 611 ff., 293 ff. BGB in Verbindung mit den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, abzüglich der gemäß § 115 SBG X auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Ansprüche. Außerdem könne er gemäß §§ 611, 613, 242 BGB, Art. 1, 2 GG Weiterbeschäftigung verlangen.

27

Am 01.05.2005 habe ein Teilbetriebsübergang der Lokalredaktion A-Stadt von der M.-V. GmbH auf die Beklagte stattgefunden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers sei gemäß § 613a BGB übergegangen. Die Lokalredaktion A-Stadt stelle eine selbständige, organisatorisch abtrennbare Einheit dar. Die Beklagte habe eine die Identität bewahrende wirtschaftliche Einheit übernommen. Dies ergebe sich aus der unstreitigen Übernahme von materiellen und immateriellen Betriebsmitteln wie Räumlichkeiten, Einrichtungen, Computer, Archive, Telefon, Telefax und E-Mail. Auch wenn nicht die Mehrzahl der Redakteure übernommen worden sei, sei bei der Belegschaft eine gewisse Kontinuität gegeben. Hierbei handele es sich auch lediglich um eines der Kriterien bei der vorzunehmenden Gesamtschau. Die verrichteten Tätigkeiten seien ohne zeitliche Unterbrechung und ohne wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation gleich geblieben, seitens der M.-V. GmbH würden inhaltliche Vorgaben gemacht.

28

Da der Betriebsübergang auch ruhende Arbeitsverhältnisse erfasse, stehe die Freistellung des Klägers dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht entgegen. Zwar enthalte der Arbeitsvertrag eine Versetzungsklausel, von ihrem arbeitsvertraglichen Direktionsrecht habe aber die M.-V. GmbH keinen Gebrauch gemacht. Der Kläger sei lediglich nicht beschäftigt worden. Mangels Versetzung in einen anderen Betriebsteil sei der Kläger weiterhin der Lokalredaktion A-Stadt zuzuordnen.

29

Eine rechtskraftbindende Wirkung der Urteile des Vorprozesses sei trotz der Streitverkündung nicht gegeben. Denn gemäß § 67 Satz 2 ZPO sei der Streitverkündete nur insoweit berechtigt, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen, als nicht seine Erklärungen zu Erklärungen der Hauptpartei in Widerspruch stünden. Der Streitverkündete sei auf die Unterstützung der Hauptpartei beschränkt. Da der Kläger einen Betriebsübergang behaupte, die Beklagte einen solchen hingegen bestreite, habe die Beklagte ihren Standpunkt nicht zur Geltung bringen und auf den Verlauf des Vorprozesses keinen Einfluss nehmen können.

30

Das Recht, den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte geltend zu machen, habe der Kläger auch nicht verwirkt. Schon das Zeitmoment sei nicht gegeben. Da das Schreiben des Betriebsrats vom 23.06.2005 lediglich dessen Sicht wiedergegeben habe, habe der Kläger sich erstmals im Dezember 2005 auf das Vorliegen eines Betriebsübergangs berufen. Nach der Streitverkündung und dem Arbeitsangebot im April 2006 habe sich die Beklagte darauf einstellen müssen, vom Kläger aus dem Betriebsübergang noch in Anspruch genommen zu werden. Auch das Umstandsmoment sei nicht gegeben. Die Beklagte habe damit rechnen müssen, dass der Kläger jedenfalls nach Beendigung des Prozessrechtsarbeitsverhältnisses mit der M.-V. GmbH seinen Anspruch auf Vergütung und Beschäftigung ihr gegenüber geltend machen würde.

31

Bezüglich des genauen Inhalts der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – vom 21.11.2008 verwiesen.

32

Gegen das ihr am 12.01.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 23.01.2009, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 08.04.2009, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 09.04.2009 verlängert worden war.

33

Unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag trägt die Beklagte vor:

34

Im betriebsmittelarmen Betrieb einer Tageszeitung seien die Redakteure das Hauptkapital. Allein von ihrer Arbeitsleistung hänge das Arbeitsergebnis ab. Materielle Arbeitsmittel seien von völlig untergeordneter Bedeutung. Die Redakteure seien gerade nur zu einem kleinen Teil weiterbeschäftigt worden.

35

Die M.-V. GmbH habe von ihrem Direktionsrecht insoweit Gebrauch gemacht, als sie den Kläger aus dem Teilbetrieb A-Stadt herausgelöst habe. Es könne daher nicht auf den zuletzt innegehabten konkreten Arbeitsplatz abgestellt werden.

36

Das Bundesarbeitsgericht verlange, dass der Arbeitnehmer im Falle eines Betriebsteilübergangs den Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber unverzüglich nach Kenntniserlangung von den den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umständen geltend mache. Dies solle zwar nicht beim Übergang eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses gelten. Dann aber hätte der Kläger jedenfalls nach Erhalt der Kündigung sein Fortsetzungsverlangen ihr gegenüber unverzüglich geltend machen müssen. Weder nach dem Schriftsatz vom 21.12.2005 noch nach Ablauf der Kündigungsfrist am 31.12.2005 oder nach Beendigung des Prozessrechtsarbeitsverhältnisses zum 31.12.2006 habe der Kläger sie unverzüglich gerichtlich in Anspruch genommen.

37

Die Beklagte beantragt,

38

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – vom 21.11.2008, Az. 5 Ca 279/07, abzuändern und die Klage abzuweisen.

39

Der Kläger beantragt,

40

die Berufung zurückzuweisen.

41

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen.

42

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Parteien und die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

43

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 lit. b und c ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

44

Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

45

1. Im Ergebnis und in der Begründung vollkommen zutreffend hat das Arbeitsgericht Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – der Klage stattgegeben. Die Berufungskammer folgt in vollem Umfang der ausführlichen und sorgfältigen Begründung des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies hiermit gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ausdrücklich fest. Insoweit wird von einer Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen. Bezug genommen wird außerdem auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 21.08.2008, Az. 11 SaGa 10/08, denen sich das erkennende Gericht ebenfalls vollumfänglich anschließt.

46

2. Im Berufungsverfahren sind keine neuen rechtserheblichen Gesichtspunkte aufgetreten, die eine Abweichung von dem vom Arbeitsgericht gefundenen Ergebnis rechtfertigen könnten. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beklagten sind lediglich die nachfolgenden Ergänzungen veranlasst:

47

a) Dass die Lokalredaktion A-Stadt der M.-V. GmbH im Wege eines Teilbetriebsübergangs auf die Beklagte übergegangen ist, ergibt sich aus dem Urteil des Arbeitsgerichts sowie dem des Landesarbeitsgerichts im Verfahren 11 SaGa 10/08. Insbesondere hat die Beklagte auch einen wesentlichen Teil der Mitarbeiter von der M.-V. GmbH übernommen.

48

In Branchen, in denen es wie hier im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Die Wahrung ihrer Identität ist anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte. Hingegen stellt die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen Auftragnehmer (Funktionsnachfolge) ohne Übernahme der wesentlichen Betriebsmittel bzw. in betriebsmittelarmen Betrieben der Hauptbelegschaft keinen Betriebsübergang dar. Es hängt von der Struktur eines Betriebs oder Betriebsteils ab, welcher nach Zahl und Sachkunde zu bestimmende Teil der Belegschaft übernommen werden muss, um von der Übernahme einer bestehenden Arbeitsorganisation ausgehen zu können. Haben die Arbeitnehmer einen geringen Qualifikationsgrad, muss eine hohe Anzahl von ihnen beschäftigt werden, um auf einen Fortbestand der Arbeitsorganisation schließen zu können. Ist ein Betrieb stärker durch das Spezialwissen und die Qualifikation der Arbeitnehmer geprägt, kann neben anderen Kriterien ausreichen, dass wegen ihrer Sachkunde wesentliche Teile der Belegschaft übernommen werden (BAG, Urteil vom 11.12.1997, 8 AZR 729/96).

49

Zwar beschäftigt die Beklagte nur wenige der Redakteure in Arbeitsverhältnissen weiter. Die bisherigen freien Mitarbeiter werden jedoch weiterhin von ihr eingesetzt, und ein Teil der Angestellten ist zukünftig freiberuflich für sie tätig, was für eine Übernahme der Belegschaft ausreicht (BAG, Urteil vom 18.02.1999, 8 AZR 485/97). Die Beklagte hat einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernommen. Damit ist die Identität der Betriebsgemeinschaft, die ohnehin nur eines von vielen möglichen Kriterien für das Vorliegen eines Betriebsübergangs ist, hinreichend gewahrt. Die Redakteure, gleich ob angestellt oder selbständig, sind die Leistungsträger bei der Erstellung einer Tageszeitung, wobei es gerade für die Lokalberichterstattung weniger auf besondere Schreibfähigkeiten ankommt als vielmehr auf den Zugang zu Nachrichtenquellen, den insbesondere die freien Mitarbeiter aufgrund ihrer Ortskenntnisse und persönlichen Verbindungen weiterhin gewährleisten. Nicht unberücksichtigt bleiben kann auch der Umstand, dass die M.-V. GmbH den Redakteuren Anfang des Jahres 2005 die Weiterbeschäftigung in dem "neuen" Betrieb, wenn auch zu geänderten Konditionen, angeboten hatte, also die Personalstruktur ausdrücklich aufrechtzuerhalten beabsichtigte.

50

Warum gerade der Redaktionsleiter und sein Stellvertreter unverzichtbare Know-how-Träger sein sollten, hat die Beklagte nicht überprüfbar erläutert. Allein aus ihrer Vorgesetztenstellung ergibt sich dies jedenfalls nicht. In der Abschaffung des Redaktionssekretariats ist auch keine wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation zu sehen.

51

b) Trotz der am 27.04.2005 erfolgten Freistellung wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers von dem Teilbetriebsübergang erfasst.

52

Den Ausführungen des Arbeitsgerichts sowie des Landesarbeitsgerichts im Verfahren 11 SaGa 10/08 ist insoweit nichts hinzuzufügen. Neue rechtserhebliche Gesichtspunkte hat die Beklagte hierzu nicht vorgetragen. Ein Arbeitgeber kann die Rechtsfolgen des § 613a BGB nicht dadurch umgehen, dass er einen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nicht auf den Betriebserwerber übergehen soll, von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freistellt.

53

c) Das Recht des Klägers, sich auf den Teilbetriebsübergang zu berufen, ist schließlich auch nicht verwirkt.

54

Ein Arbeitnehmer, dem vor einem Betriebsübergang wirksam betriebsbedingt gekündigt worden war, hat nach Kenntniserlangung von den den Betriebsübergang begründenden tatsächlichen Umständen sein Fortsetzungsverlangen gegenüber dem Betriebserwerber unverzüglich geltend zu machen, um Phasen vermeidbarer Ungewissheit über das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Betriebserwerber zu vermeiden (BAG, Urteil vom 12.11.1998, 8 AZR 265/97). Dies gilt allerdings nicht beim - hier vorliegenden - Übergang eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses; bei dieser Sachlage kommt nur eine Verwirkung des Anspruchs auf Geltendmachung des übergegangenen Arbeitsverhältnisses in Betracht (BAG, Urteil vom 18.12.2003, 8 AZR 621/02). Hieran ändert auch die spätere Kündigung durch die M.-V. GmbH nichts, die wegen des zuvor erfolgten Betriebsübergangs ins Leere ging.

55

Wie jeder Anspruch kann auch die Geltendmachung eines Betriebsübergangs durch den Arbeitnehmer nach den insoweit geltenden allgemeinen Grundsätzen, die das Arbeitsgericht zutreffend wiedergegeben hat, verwirkt werden. Dabei beginnt das Zeitmoment nicht erst mit der ordnungsgemäßen Unterrichtung des Arbeitnehmers über den Betriebsübergang und seine Folgen, die vorliegend nicht erfolgt ist, sondern bereits mit der positiven Kenntnis des Arbeitnehmers von den den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umständen. Zur Bestimmung der Dauer des Zeitmoments ist nicht auf eine starre Höchst- oder Regelfrist abzustellen. Das Gesetz sieht keine Frist vor, innerhalb derer der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit einem Betriebserwerber geltend gemacht werden muss. Vielmehr sind die konkreten Umstände des Einzelfalls entscheidend. Insofern spielt auch die fehlende Unterrichtung des Arbeitnehmers durch den Betriebsveräußerer und den Betriebserwerber eine Rolle. Bei schwierigen Sachverhalten, insbesondere wenn der Betriebsübergang nicht zweifellos gegeben ist, können die Rechte des Arbeitnehmers erst nach längerer Untätigkeit verwirken (BAG, Urteil vom 27.01.2000, 8 AZR 106/99).

56

Vorliegend konnte offen bleiben, ob das Zeitmoment erfüllt ist; denn jedenfalls ist das Umstandsmoment nicht gegeben. Zwischen der Vorlage des Schreibens des Betriebsrats vom 23.06.2005 am 11.07.2005, der ausdrücklich Berufung auf einen Betriebsübergang am 21.12.2005, Streitverkündung und Arbeitsangebot an die Beklagte am 04.04.2006 sowie erneutem Arbeitsangebot am 02.01.2007 und schließlich Erhebung der Klage gegen die Beklagte am 14.02.2007 mögen lange Zeiträume liegen. Der Zeitablauf allein – gleich von welcher Spanne man ausgeht – genügt indes nicht. Hinzutreten müssen stets besondere Umstände im Verhalten des Berechtigten, die beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand dahingehend schaffen, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden wird. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich. Der Kläger ist gegenüber der Beklagten schlicht untätig geblieben, hat aber darüber hinaus durch nichts den Eindruck vermittelt, sich gegenüber der Beklagten nicht auf einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB berufen zu wollen. Dass der Kläger gegen die M.-V. GmbH prozessierte und mit dieser ein Prozessrechtsarbeitsverhältnis begründete, vermochte für sich genommen das Umstandsmoment nicht zu begründen, so dass unerheblich ist, ob die Beklagte hiervon wusste. Mangels eines das Umstandsmoment begründenden Verhaltens des Klägers kam es schließlich auch nicht darauf an, dass die Beklagte durch die Einstellung neuer Redakteure Dispositionen getroffen haben mag.

57

d) Der Zinsanspruch bezüglich der Vergütungsansprüche folgt aus Verzug, §§ 614 Satz 2, 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1, BGB.

III.

58

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2, 97 Abs. 1 ZPO. Die erstinstanzliche Kostenentscheidung war abzuändern, da sie die teilweise Klagerücknahme nicht berücksichtigt hat. Mangels Antragsbindung, § 308 Abs. 2 ZPO, durfte die Kostenentscheidung auch bei ansonsten erfolglosem Rechtsmittel korrigiert werden (Zöller/ Heßler, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 528, Rn. 35).

59

Gründe, die gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision gebieten würden, sind nicht ersichtlich.

(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss. Dasselbe gilt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(2) Gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt. Dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt. Vor der Entscheidung über die Beschwerde ist der Gegner zu hören.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Den Wert des Streitgegenstands setzt das Arbeitsgericht im Urteil fest.

(2) Spricht das Urteil die Verpflichtung zur Vornahme einer Handlung aus, so ist der Beklagte auf Antrag des Klägers zugleich für den Fall, daß die Handlung nicht binnen einer bestimmten Frist vorgenommen ist, zur Zahlung einer vom Arbeitsgericht nach freiem Ermessen festzusetzenden Entschädigung zu verurteilen. Die Zwangsvollstreckung nach §§ 887 und 888 der Zivilprozeßordnung ist in diesem Fall ausgeschlossen.

(3) Ein über den Grund des Anspruchs vorab entscheidendes Zwischenurteil ist wegen der Rechtsmittel nicht als Endurteil anzusehen.