Recht auf Vergessenwerden: Zwei Auslistungsbegehren gegen Google - Der BGH konkretisiert das Recht auf Vergessenwerden
Ob unsere Rechtsordnung dem Bürger nach einem gewissen Zeitablauf in der digitalen Welt ein Vorrang des Vergessens vor dem Erinnern gewährleistet, wurde durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und durch die des BVerfG in ihren Entscheidungen beantwortet. (Lesen Sie hier eine Themenseite über die vollständige Entwicklung zum Recht auf Vergessenwerden).
Die Antwort der höchstrichterlichen Gerichte ist einheitlich und lautet: Nein, unsere Rechtsordnung gewährleistet kein Recht auf Vergessenwerden nach einem pauschalen Zeitablauf.
... Denn es gibt kein automatisches Recht auf Vergessenwerden im Internet. Im Einzelfall können auch andere Interessen von Belang sein. Eine sorgfältige Interessenabwägung ist dann stets erforderlich – Welches Gut gewinnt in der Interessenkollision? Der Schutz der Privatsphäre des Betroffenen oder das Interesse der Datenbearbeitung?
Die Veröffentlichung eines Textes im Netz begründet somit ein Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Informations- und Erinnerungspflicht – Eine Interessenabwägung ist stets vom Einzelfall abhängig, d. h. entscheidend sind die strittigen Inhalte im Internet sowie auch die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Berichterstattung und die Schwere des bewirkten Grundrechtseingriffs.
Recht auf Vergessenwerden durch den BGH konkretisiert: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat nicht immer Vorrang
Auch der BGH entschied erst kürzlich in zwei Prozessen zum Recht auf Vergessenwerden. Aus diesen Entscheidungen folgt, dass die widerstreitenden Interessen im Rahmen der Abwägung grundsätzlich gleichberechtigt zu behandeln sind. Ein solches Ergebnis stellt eine Veränderung der bisherigen Rechtsprechung dar, denn der EuGH legte in der Google Spain Entscheidung im Jahr 2014 fest, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und damit die Privatsphäre des Betroffenen grundsätzlich den kollidierenden Interessenlagen überwiegt. Insofern ist diese Rechtsprechung des EuGH bezüglich der Interessenabwägung als überholt anzusehen.
Auslistungsbegehren gegen Google I - VI ZR 476/18
Der Kläger begehrte die Löschung eines auf Google veröffentlichten Artikels, welcher unter Nennung seines vollen Namens einen unliebsamen Bericht über seine Handlungen aus der Vergangenheit (insb. persönlicher Gesundheitsdaten) erstattete. Der BGH (VI ZR 476
/18) verneinte einen solchen Auslistungsanspruch – Die fraglichen Ergebnisse dürfen demnach auch weiterhin in der Ergebnisliste angezeigt werden, wenn der Name des Klägers in der Suchmaschine Google gesucht wird. Nach Ansicht des Gerichts müsse das Interesse des Klägers (auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufs) hinter den kollidierenden Grundrechten, insbesondere dem Öffentlichkeitsinteresse, zurücktreten. Zu beachten sei demnach, dass der BGH - anders als der EuGH in der Google Spain-Entscheidung - einen grundsätzlichen Vorrang der Interessen des Betroffenen verneinte.
Vielmehr folgerte der BGH aus dem Gebot der gleichberechtigten Grundrechtsabwägung, dass die Verantwortlichen einer Suchmaschine nicht erst dann tätig werden müssen, wenn er von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung der Betroffenen Kenntnis erlangt. Die Pflichten der Suchmaschinenbetreiber wurden demnach konkretisiert; der BGH nahm solche in der Folge strenger in die Pflicht.
Auslistungsbegehren gegen Google II - BGH, VI ZR 405/18 BGH
Wahrheitsgehalt des verlinkten Berichtes umstritten, Vorlage an den EuGH
Gegenstand des zweiten der beiden Auslistungsbegehren, mit denen sich der BGH beschäftigte, war folgender:
Kläger und Klägerin sind verheiratet – Der Kläger ist für diverse Gesellschaften, die Finanzdienstleistungen anbieten, in verantwortlicher Position tätig oder an ihnen beteiligt. Die Klägerin hingegen war Prokuristin einer dieser Gesellschaften. Auf der Webseite eines amerikanischen Unternehmens, dessen Ziel es ist, durch aktive Aufklärung und Transparenz zur Betrugsprävention in Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen, erschienen im Jahr 2015 mehrere Artikel. Solche hatten kritische Auseinandersetzungen der Anlagemodelle einiger dieser Gesellschaften zum Inhalt – Ein Artikel zeigte ebenso ein Foto der Kläger. Über das Geschäftsmodell der Betreiberin der Website wurde damals kritisch berichtet: Der Artikel erklärte, dass die Betreiberin versuche Unternehmen zu erpressen, indem sie zunächst negative Berichte veröffentliche und im Nachhinein anbiete solche gegen ein sog. Schutzgeld zu löschen oder die negative Berichterstattung zu verhindern. Die Kläger behaupteten ebenso erpresst worden zu sein und begehrten von der Beklagten als der Verantwortlichen für die Suchmaschine Google, es zu unterlassen, die genannten Artikel bei ihrer Namenssuche in der Ergebnisliste nachzuweisen und die Fotos anzuzeigen.
Anders als in dem ersten Verfahren (VI ZR 405/18) war hier der Wahrheitsgehalt des in der Trefferliste aufgeführten Berichts umstritten. Der BGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor, um zentrale Fragen klären zu lassen. Wie ist mit Konstellationen umzugehen, in denen unklar ist, ob die verlinkte Berichterstattung wahr oder falsch ist? – Muss der Kläger dann durch eine einstweilige Verfügung die Frage der Wahrheit des verlinkten Inhalts erstmal vorläufig klären lassen? Desweiteren sollen die Richter des EuGH klären, wie mit Fotos umzugehen ist, die in der Trefferliste angezeigt werden, ohne das der konkrete Kontext zum Sachverhalt ersichtlich ist.
Das Recht auf Vergessenwerden in der Zukunft - Folgende Entscheidungen werden bestehende Lücken füllen
Das Recht auf Vergessenwerden ist angesichts der Digitalisierung relevanter denn je. Die Digitalisierung und die damit einhergehende Nutzung des Internets – sei es im privaten oder auch beruflichen Bereich – hat zur Konsequenz, dass zahlreiche Daten im Internet gespeichert werden. Es entstehen immer mehr Verknüpfungsmöglichkeiten: Internetuser hinterlassen in sozialen Netzwerken, Blogs und in vielen anderen Portalen ihre persönlichen Spuren im Netz. „Das Internet vergisst nichts“, sagt man so schön. Die zunehmende technologische Entwicklung hat Bürgerbegehren zur Folge, unliebsame Beiträge aus der Vergangenheit löschen lassen zu wollen. Damit setzte sich die Rechtsprechung auseinander und entschied in zahlreichen Verfahren über die Materie des Rechts auf Vergessenwerden.
Die beiden ausgeführten Entscheidungen des BGH ähneln sich dahingehend denen des BVerfG, namentlich Recht auf Vergessen I und Recht auf Vergessen II, indem sie besagen, dass das Recht auf Vergessenwerden keinen Auslistungsanspruch nach einem gewissen Zeitablauf entfaltet. Es ist dahingehend nicht als absolutes Recht zu qualifizieren. Das bedeutet, dass der Bürger kein bedingungsloses Herrschaftsrecht über seine im Internet veröffentlichten persönlichen Informationen hat, wie z. B. ein Artikel über ihn, der auf dem Onlineportal eines Verlages veröffentlicht worden ist. Er kann darüber nicht frei verfügen.
Es gibt also kein automatisches Recht auf Vergessenwerden. Im Einzelfall spielen auch andere Interessen eine Rolle und können das Interesse des Bürgers zum Schutz seiner Privatsphäre überwiegen, etwa das Öffentlichkeitsinteresse oder die Meinungs- und Pressefreiheit des Verlages. Die Rechtsprechung hat sich also dahingehend geändert, indem sie -entgegen der Ansicht des EuGH in der Google Spain Entscheidung- der Privatsphäre des Bürgers keine gewichtigere Rolle in der Interessenabwägung zuspricht, als den anderen Interessen.
Das Recht auf Vergessenwerden hat sich durch die Entscheidungen der Rechtsprechung seit 2014 stark entwickelt. Noch immer weist es Lücken auf, welche mit der Zeit und mit Hilfe von weiteren Entscheidungen geklärt werden müssen – so wird der EUGH nun über die vom BGH gestellten Fragen befinden und damit das Recht auf Vergessenwerden weiterhin konkretisieren.
Das ist auch wichtig, um dem Grundrechtsträger eine Rechtssicherheit zu gewährleisten. Eine solche ist im Rechtsstaatsprinzip verankert und beruht auf einem Anspruch der Klarheit, Beständigkeit, Vorhersehbarkeit und Gewährleistung von Rechtsnormen sowie die an diese gebundenen konkreten Rechtspflichten und Berechtigungen. Die Rechtssicherheit soll dazu dienen, das Vertrauen der Bürger in die Verlässlichkeit der Rechtsordnung herzustelle sowie zu bestärken. Zur Rechtssicherheit gehört auch die Klärung von umstrittenen Rechtsfragen. Der EuGH wird nun zur Rechtssicherheit der Bürger beitragen, indem er über die vom BGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV vorgelegten Fragen befinden wird.
Haben Sie Fragen zum Thema Recht auf Vergessenwerden? Nehmen Sie Kontakt zu Patrick Jacobshagen auf und lassen Sie sich fachkundig beraten.
[E.K.]
Rechtsanwalt
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