Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 13. Juni 2018 - 4 A 3037/17 SN

bei uns veröffentlicht am13.06.2018

Tenor

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1

Die Klägerin ficht einen Bescheid über einen Schmutzwasseranschlussbeitrag an.

2

Sie war zum Zeitpunkt des Erlasses des nachfolgend dargestellten streitgegenständlichen Beitragsbescheids Eigentümerin zweier Grundstücke in der Gemeinde G. S., jeweils eingetragen im Grundbuch von G. S., Blatt Z.

3

Zum einen handelt es sich um das unter der laufenden Nummer 1 grundbuchlich eingetragene Grundstück, damals bestehend aus dem 34.629 m² großen Flurstück a, Flur y, Gemarkung G. S. Im Jahr 2015 wurde dieses Grundstück u. a. in die Flurstücke b bis e zerlegt, ein Jahr später das Flurstück c in die Flurstücke f und g, jeweils der genannten Flur und Gemarkung. Am 10. Mai 2016 wurde das 693 m² große Flurstück f durch grundbuchliche Eintragung an Dritte veräußert.

4

Zum anderen geht es um das seit dem 29. September 2014 im Grundbuch unter der laufenden Nummer 2 eingetragene Grundstück, bestehend aus dem 693 m² großen Flurstück h, Flur y, Gemarkung G. S. Dieses Grundstück verkaufte die Klägerin durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht mit notariellem Vertrag vom 18. August 2014 an zwei Erwerber, die – offenbar nach Genehmigung dieses Handelns – am 9. Januar 2015 als Miteigentümer zu je ½ Anteil eingetragen wurden.

5

Die Flächen beider Grundstücke befinden sich jedenfalls im in Anspruch genommenen Umfang im räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 2 „Wohngebiet G. S.“ der Gemeinde G. S. vom 14. April 1999 in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 1. März 2006.

6

Die Beklagte erhob von der Klägerin für die beiden Grundstücke mit Bescheid über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 21. November 2014, Bescheidnummer S2014000237, einen solchen Beitrag in Höhe von 118.003,05 €, offenbar in der Annahme, es handle sich nur um ein Buchgrundstück. Sie legte eine „anrechenbare Grundstücksfläche“ von 25.377 m² zugrunde. Die „beitragspflichtige Fläche“ ist in der Anlage zu diesem Bescheid schraffiert dargestellt.

7

Am 22. Dezember 2014 legte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Dezember 2014 Widerspruch ein, der auch trotz Aufforderung der Beklagten vom 29. Dezember 2014 nicht – weder in der gesetzten dreiwöchigen Frist noch später – begründet wurde.

8

Am 20. Januar 2015 teilten die heutigen Prozessvertreter die anwaltliche Vertretung der Klägerin mit und beantragten Akteneinsicht. Zugleich kündigten sie an, nach Einsicht in die Verfahrensakten den Widerspruch innerhalb von drei Wochen umfassend zu begründen.

9

Mit Schreiben vom 29. April 2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass vorgeschlagen werde, das Widerspruchsverfahren im Hinblick auf die Konsequenzen der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 (9 C 15.10 u. a.) einstweilen ruhen zu lassen. Im Übrigen werde sie unaufgefordert das Verfahren zu dem späteren Zeitpunkt, sofern der Landesgesetzgeber die entsprechende Regelung erlassen habe, weiterführen.

10

Die Beklagte wies den Widerspruch, der auch bis dahin nicht begründet worden war, mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2017 zurück. Sie behauptete darin u. a., zum Zeitpunkt der Bescheiderstellung hätten sich beide Flurstücke im Grundbuch auf einem Grundbuchblatt und auf einer laufenden Nummer befunden.

11

Am 19. Juli 2017 hat die Klägerin daraufhin Klage erhoben.

12

Mit Schriftsatz vom 11. Juni 2018 hat die Beklagte das Grundstück Flurstück h aus der Veranlagung herausgenommen und deshalb den Beitragsbescheid auf 114.780,60 € reduziert. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

13

Die Klägerin trägt vor:

14

Ohne Vorwarnung und ohne auf eine Beendigung des Ruhens des Widerspruchsverfahrens hinzuweisen, habe die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid entschieden.

15

Die Rechtsgrundlage für den Erlass des Bescheids sei weiterhin verfassungsrechtlich bedenklich und genüge nicht dem Grundsatz der Rechtssicherheit.

16

Unabhängig davon hätte die Mitteilung über die Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens auch Einfluss auf die Entscheidung in der Sache gehabt. Sie, die Klägerin, hätte auf die neue Flurstücksgestaltung hingewiesen, ebenso auf die sonstigen rechtlichen Bedenken. Bei Erlass des Widerspruchsbescheids hätte die Beklagte dies sowie die Veräußerung des Flurstücks f berücksichtigen müssen. Hinsichtlich der Aufteilung der Flurstücke sei zu berücksichtigen, dass das Flurstück e nicht mehr an eine öffentliche Straße mit Schmutzwasserleitung grenze und das Flurstück d zu schmal für eine Bebauung sei. Für beide Flurstücke könne somit kein Anschlussbeitrag mehr geltend gemacht werden.

17

Die Klägerin sei ein Unternehmen der O. D. Gruppe. Sie habe die Flurstücke h und a im Jahr 2007 von den damaligen Gesellschaftern dieser Gruppe erworben. Das später gebildete Flurstück b habe einer Spielplatzerweiterung der Gemeinde dienen sollen. Das Flurstück d diene der Sicherung eines Grünstreifens.

18

Leitungen für die Schmutzwasserentsorgung von den fraglichen Flurstücken hätten bereits vor der Wende bestanden. Eine Anschlussmöglichkeit der streitgegenständlichen Flurstücke an die Schmutzwasserbeseitigungsanlage habe bereits bestanden.

19

Wie genau die anrechenbare Grundstücksfläche ermittelt worden sei und wie sich diese auf die Flurstücke verteile, lasse sich dem streitbefangenen Bescheid nicht entnehmen.

20

Die angefochtenen Bescheide seien formell rechtswidrig wegen fehlender Anhörung. Eine Heilung des Verfahrensfehlers sei bislang ebenfalls nicht erfolgt.

21

Die formelle Rechtswidrigkeit ergebe sich auch wegen der Fortsetzung des ruhenden Widerspruchsverfahrens ohne Mitteilung. Es sei auf § 12 Abs. 3 Satz 6 KAG M-V hinzuweisen. Dieser Verfahrensfehler könne auch nicht nachträglich geheilt werden. Der Fehler sei auch erheblich, denn sie, die Klägerin, habe weder vor Erlass der angefochtenen Bescheide noch vor Erlass der Widerspruchsbescheide Gelegenheit gehabt, sich zu äußern. De facto sei ihr das rechtliche Gehör sowohl im Verwaltungs- als auch Widerspruchsverfahren verwehrt worden. Auch der Grundsatz eines fairen Verfahrens gebiete es, dass die Verfahrensbeteiligten über die Fortführung eines Widerspruchsverfahrens informiert würden, wenn das Verfahren geruht habe. Der Verfahrensfehler sei auch nicht gem. § 127 AO unbeachtlich, da er nicht gem. § 126 AO geheilt werden könne.

22

Außerdem beruhe die Erhebung des Schmutzwasserbeitrages auf § 9 Abs. 1 KAG M-V, einer Soll-Regelung, die zumindest ein Ermessen für Ausnahmefälle eröffne. Auch im Hinblick darauf, wann die Beklagte eine Erhebung des Anschlussbeitrags vornehme, bestehe ein Entscheidungsspielraum. Unabhängig davon, hätte die Mitteilung über die Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens auch Einfluss auf die Entscheidung in der Sache gehabt.

23

Die Bescheide seien aber auch materiell rechtswidrig.

24

Zum einen verletzten sie das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG über Art. 20 Abs. 3 GG und § 91 AO. Dabei sei besonders zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Verfahrensrechte zum Recht auf rechtliches Gehör gezielt verletzt habe und nicht versehentlich. Es dürfte das Kalkül der Beklagten gewesen sein, sie, die Klägerin, mit dem überraschenden Erlass der Widerspruchsbescheide zu überrumpeln. Eine solch gezielte Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör führe ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide.

25

Außerdem seien die Grundstücksflächen falsch berechnet worden. Die Beklagte habe bei Erlass des Widerspruchsbescheids die neue Flurstückgestaltung sowie die Veräußerung der Flurstücke h und f bei der Berechnung der anrechenbaren Grundstücksfläche berücksichtigen müssen.

26

Es komme vorliegend nicht auf die Situation zum Zeitpunkt der Erstellung des Bescheids an, sondern allenfalls auf den Zeitpunkt der Änderung des Kommunalabgabengesetzes durch den Gesetzgeber im Juli 2016. Bis dahin sei der Bescheid rechtswidrig gewesen, da § 9 Abs. 3 KAG M-V verfassungswidrig gewesen sei. Soweit der Beklagten eingeräumt werde, dass die Änderung des Landesrechts den rechtswidrigen Bescheid heile, so gelte dies frühestens ab dem Zeitpunkt des 14. Juli 2016. Es gelte daher, dass allein die Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt („zum 21. Dezember 2014“?) entscheidungsrelevant sei.

27

Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass das Flurstück e nicht mehr an eine öffentliche Straße mit Schmutzwasserleitung grenze und das Flurstück d zu schmal sei, um bebaut zu werden. Ein Beitrag könne daher nicht mehr geltend gemacht werden.

28

Der Bescheid über dieses Grundstück sei zudem inhaltlich unbestimmt und verstoße gegen das allgemeine Bestimmtheitsgebot von Verwaltungsakten aus § 119 Abs. 1 AO. Es erfolge keine hinreichend genaue Angabe, für welches Flurstück welcher Betrag genau festgesetzt worden sei, noch wie die anrechenbare Grundstücksfläche von 25.377 m² im Ausgangsbescheid ermittelt worden sei.

29

Darüber hinaus sei vor Erlass der Bescheide Festsetzungsverjährung eingetreten. Die vierjährige Frist sei vorliegend spätestens mit dem Ende des Jahres 2003 abgelaufen, nachdem der Bebauungsplan aus dem Jahr 1999 stamme.

30

Nach § 9 Abs. 3 2. Halbsatz KAG M-V entstehe die sachliche Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Diese Regelung begegne, soweit sie auf das Inkrafttreten einer „wirksamen“ Satzung abstelle, weiterhin verfassungsrechtlichem Bedenken. Die in den Entscheidungen des angerufenen Gerichts und des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vertretene Auslegung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (Az. 1 BvR 296/14 und 1 BvR 3051/14) sei im Hinblick auf den konkreten Fall falsch. Der entscheidende Unterschied zwischen der Rechtslage, die dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liege, und der vorliegenden Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern werde nicht in den einschlägigen Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes gesehen, die im Wesentlichen auch in der Vergangenheit deckungsgleich gewesen seien, sondern allein in den Unterschieden der jeweiligen Landesrechtsprechung. Es könne aber im Hinblick auf die Frage der Festsetzungsverjährung im vorliegenden Fall nicht darauf ankommen, ob eine wirksame oder eine unwirksame Satzung vorliege. Zwar möge es vertretbar erscheinen, dass eine formell oder materiell rechtswidrige und damit nichtige Beitragssatzung wegen ihrer Nichtigkeit nicht ausreiche, um die sachliche Beitragspflicht im Sinne des § 9 KAG M-V entstehen zu lassen. Ihr Erlass sei aber für den Zeitpunkt bedeutsam, zu dem die sachliche Beitragspflicht überhaupt noch durch eine nachfolgende wirksame Satzung zur Entstehung gebracht werden könne. Durch den Erlass der ersten Satzung, unabhängig von ihrer Wirksamkeit, werde der Wille des Satzungsgebers zum Ausdruck gebracht, die sachliche Beitragspflicht für alle anschließbaren Grundstücke zur Entstehung zu bringen. Aus der Sicht aller Rechtsunterworfenen, deren Grundstück angeschlossen werden könne, könne nur das Datum der ersten Satzung für die Frage der Festsetzungsverjährung entscheidend sein, denn diese könnten grundsätzlich darin vertrauen, dass der Gesetzgeber wirksame Satzungen erlasse.

31

Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Rechtsunterworfenen in ihrer großen Mehrheit nicht beurteilen könnten, ob eine Satzung unwirksam sei oder nicht. Der Satzungsgeber werde hingegen seine Satzung immer als wirksam erachten und somit annehmen, dass damit eine sachliche Beitragspflicht entstanden sei sowie die Festsetzungsverjährungsfrist begonnen habe. Durch den Erlass der ersten Satzung und auch jeweils nachfolgender Satzungen sei somit ein Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen worden, dass der Satzungsgeber eine wirksame Satzung erlassen habe, die dann auch eine sachliche Beitragspflicht auslöse. Eine Überprüfung der Wirksamkeit einer Satzung könne im Ergebnis nur durch Gerichte erfolgen. Diese Kontrolle erfolge aber nicht umgehend bei Erlass der Satzung. Zudem sei es möglich, dass eine Satzung erlassen werde, deren Wirksamkeit durch die Gerichte nicht überprüft werde, weil kein Betroffener ein entsprechendes Verfahren angestrengt habe und im Anschluss die zunächst wirksame Satzung so geändert werde, dass sie unwirksam werde. In einem solchen Fall ließe sich der Beginn der Festsetzungsverjährung, sobald man ihn an die Wirksamkeit der Satzung knüpfe, nur noch inzident feststelle. Zwar könne eine gerichtliche Entscheidung die Unwirksamkeit der Satzung feststellen und somit das bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Vertrauen in die Wirksamkeit im Nachhinein aufheben. Es bleibe aber dabei, dass der Erlass der unwirksamen Satzung zunächst einen Vertrauenstatbestand in das erlassene Recht schaffe.

32

Entscheidend sei nun, ob das geschaffene Vertrauen in die Wirksamkeit einer letztlich unwirksamen Satzung dazu führe, dass die Festsetzungsverjährung bereits mit Erlass der Satzung unabhängig von ihrer Wirksamkeit beginne. Soweit im Einzelfall ein schutzwürdiges Vertrauen in die Wirksamkeit einer Satzung bestehe, müsse die Norm des § 9 Abs. 3 KAG M-V i. V. m. §§ 169, 170 AO verfassungsgemäß so ausgelegt werden, dass die Festsetzungsverjährung mit dem Datum beginne, in dem dieses Vertrauen in eine wirksame Satzung bestanden habe.

33

Das angerufene Verwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 30. Januar 2017 (Az. 4 A 1352/12) sich umfassend mit der Frage beschäftigt, ob der „Rechtsschein“ der unwirksamen Satzungen der Beklagten in der Vergangenheit für Kläger einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand geschaffen habe. Dies sei von dem Gericht u. a. damit verneint worden, dass die Kläger in den fraglichen Verfahren aufgrund der unwirksamen Satzungen keine „Vertrauensinvestitionen“ getätigt hätten. Im vorliegenden Fall sei dies anders zu bewerten. Hierzu sei anzumerken, dass die Klägerin davon ausgegangen sei, dass eine Heranziehung des Anschlussbeitrages nicht mehr möglich sein werde, weil eine Anschlussmöglichkeit bereits seit der Wende bestanden habe und eine Bebauung der Flurstücke teilweise seit dem Jahr 1999 möglich gewesen sei. Es sei daher davon auszugehen, dass dies bereits den Kaufpreis der Grundstücke mitbestimmt habe. Die Klägerin habe deshalb auch davon abgesehen, die fraglichen Flurstücke zu parzellieren bzw. weiter zu veräußern. Hätte sie mit einer Heranziehung eines Anschlussbeitrages noch gerechnet, so hätte sie entsprechende Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die anrechenbare Grundstücksfläche geringer ausfalle. Es liege auf der Hand, dass das Flurstück a vor einer Bebauung hätte unterteilt werden müssen. Sie, die Klägerin, habe davon abgesehen, weil das Interesse an entsprechenden Baugrundstücken aktuell sehr gering sei und ein Verkauf aktuell ausgeschlossen erscheine. Eine Unterteilung dieser großen Flurstücke sei vorliegend nur deshalb nicht erfolgt, weil die Klägerin darin vertraut habe, dass kein Herstellungsbeitrag mehr erhoben werden könne. Anderenfalls hätte sie das Flurstück in etwa so unterteilt, wie sich die Flurstücksituation aktuell darstelle, um die anrechenbare Grundstücksfläche zu reduzieren. Sie müsse nämlich befürchten, dass es ihr langfristig nicht gelingen werde, die fraglichen Grundstücke zu veräußern bzw. dort eine Bebauung zu realisieren. Insofern habe diese in die Festsetzungsverjährung des Herstellungsbeitrages vertraut. Nun werde sie zu einem Herstellungsbeitrag für eine Grundstücksfläche herangezogen, deren Bebauung derzeit mehr als fraglich sei. Es bestehe daher im vorliegenden Fall ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin in die Festsetzungsverjährung. Ohne dieses Vertrauen hätte sie in der Vergangenheit anders gehandelt und andere Dispositionen getroffen. Sie habe zudem der Annahme unterlegen, eine für sie günstige Rechtsposition erworben zu haben, nämlich Grundstücke, für die der Herstellungsbeitrag eben nicht mehr geltend gemacht werden könne.

34

Soweit man ihr, der Klägerin, einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand zubillige, greife wiederum die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Beschluss vom 12. November 2015. Im Ergebnis wäre dann von einer 2003 eingetretenen Festsetzungsverjährung auszugehen, die nun nicht mehr nachträglich zu ihren Lasten durch eine Neuregelung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V ausgehebelt werden könne. Es handele sich um eine echte verfassungswidrige Rückwirkung.

35

Schließlich sei die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid rechtswidrig. Sie werde mit Verweis auf § 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO und § 80 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG M-V) begründet. Aufgrund von § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V seien die Vorschriften des ersten Hauptteils dieses Gesetzes nicht anwendbar, daher auch § 80 VwVfG M-V nicht, soweit das fragliche Verfahren nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sei. Vermutlich meine die Beklagte auch nicht § 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO, sondern Satz 3 dieser Vorschrift. Hieraus ergebe sich aber keine Kostenlastentscheidung zu Ungunsten der Klägerin, sondern lediglich die Maßgabe, dass im Widerspruchsbescheid eine Kostenentscheidung getroffen werden müsse. Die Kostenentscheidung könne dabei auch lauten, dass für das Widerspruchsverfahren keine Kosten veranschlagt würden. Dies wäre vorliegend die richtige Entscheidung gewesen, denn für ein Verfahren, welches nach den Vorschriften der Abgabenordnung geführt werde, gelte keine dem § 80 VwVfG M-V analoge Kostenlastregelung. Auch für die vorliegenden Widerspruchsverfahren gelte daher, dass die Klägerin die Kosten des Verfahrens nicht zu tragen habe (vgl. hierzu z. B. Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 27. Sept. 1989 – 8 C 88.88 –, VG Frankfurt am Main, Urt. v. 20. April 2005 – 10 E 4884/02 –).

36

Die Beklagte habe mit den Eingangsbestätigungen nicht nur die fristgerechte Erhebung der Widersprüche bestätigt, sondern sich auch in der Sache eingelassen und somit auch aus diesem Grund einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand geschaffen. Von einer Anhörung vor Erlass der streitigen Beitragsbescheide habe auch nicht auf der Grundlage des § 91 Abs. 2 Nr. 4 AO abgesehen werden dürfen.

37

Die Regelung des § 12 Abs. 3 Satz 6 KAG M-V ergänze § 363 Abs. 2 AO. Nach ständiger finanzgerichtlicher Rechtsprechung zu der vergleichbaren Regelung des § 363 Abs. 2 Satz 3 AO handele es sich bei der Mitteilung über die Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens nicht um eine bloße verfahrensfördernde Benachrichtigung, sondern habe auf die Beendigung des Ruhens und auf die Fortsetzung des Verfahrens gerichtete Rechtswirkung. Deshalb handele es sich bei dieser Mitteilung um einen Verwaltungsakt. Einen solchen habe die Beklagte pflichtwidrig nicht erlassen und bereits deshalb verfahrensfehlerhaft und somit rechtswidrig gehandelt.

38

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs erfordere der Bescheid über die Fortsetzung eines Einspruchsverfahrens darüber hinaus eine Ermessensentscheidung. Diese Rechtsprechung sei auf § 12 Abs. 3 Satz 6 KAG M-V und die Fortsetzung eines Widerspruchsverfahrens übertragbar. Eine solche Ermessensentscheidung habe die Beklagte nicht getroffen und auch deshalb seien die angefochtenen Bescheide rechtswidrig.

39

Dieser Fehler könne auch nicht geheilt werden.

40

Selbst wenn § 80 VwVfG M-V vorliegend Anwendung fände, sei die getroffene Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid fehlerhaft. Nach § 80 Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift habe die Beklagte die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen auch dann zu erstatten, wenn die Verletzungen einer Verfahrens- oder Formvorschrift gem. § 45 VwVfG M-V geheilt worden sei. Unstreitig sei die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung der Klägerin unterblieben und dieser Verfahrensfehler sei bisher noch nicht geheilt worden. Selbst wenn aber eine Heilung erfolgt sei und man unterstelle, dass die angefochtenen Bescheide rechtmäßig seien, wäre § 80 Abs. 1 VwVfG M-V bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen gewesen.

41

Die Klägerin beantragt,

42

den Bescheid der Beklagten über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 21. November 2014, Bescheidnummer S2014000237, und ihren Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2017 in der Gestalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 11. Juni 2018 aufzuheben.

43

Die Beklagte beantragt,

44

die Klage abzuweisen,

45

und trägt dazu vor:

46

Erst durch die Erschließungsmaßnahme im Jahre 2010 sei für das (verbleibende) Grundstück die Anschlussmöglichkeit geschaffen worden, welche die Beitragspflicht auslösen könne.

47

Es sei zwar zuvor auch eine Schmutzwasserleitung in der Straße vorhanden gewesen, diese habe aber lediglich die vorhandenen bebauten Grundstücke versorgt. Die damals unbebauten Grundstücke, die erst durch den Bebauungsplan Baulandqualität erhalten hätten, seien schmutz- und trinkwasserseitig nicht erschlossen gewesen.

48

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 8. Mai 2018 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

49

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

50

Die verbleibende und zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.

51

Der Bescheid der Beklagten über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 21. November 2014, Bescheidnummer S2014000237, und ihr Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2017 in der Gestalt ihres Schriftsatzes vom 11. Juni 2018 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

A)

52

I. Der Widerspruchsbescheid ist formell rechtmäßig. Er leidet insbesondere nicht an einem durchschlagenden Verfahrensfehler.

53

Das Gericht erkennt schon nicht den von Klägerseite vorgetragenen Mangel im Hinblick auf die ankündigungslose Fortführung des Vorverfahrens nach vorheriger Ruhendstellung als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Vorverfahren. Immerhin hatte die Klägerin auf die sinngemäße Aufforderung der Beklagten zur Vorlage einer Widerspruchsbegründung binnen drei Wochen im Schreiben vom 29. Dezember 2014 weder fristgerecht noch überhaupt reagiert. Die danach eingeschalteten Rechtsanwälte der Klägerin kündigten mit Schreiben vom 20. Januar 2015 an, den Widerspruch drei Wochen nach Akteneinsicht umfassend zu begründen. Es ist nach Aktenlage nichts dafür ersichtlich und auch von der Klägerin nicht vorgetragen worden, dass die Akteneinsicht aus von der Beklagten zu vertretenden Umständen nicht vollzogen worden ist. Zudem war der von der Beklagten im Schreiben vom 29. April 2015 mitgeteilte Grund für das Ruhen des Vorverfahrens auch für die Klägerin ersichtlich bereits zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung seit langem entfallen, hatte der Landesgesetzgeber doch das maßgebliche, bislang verfassungsrechtlich vermisste Handeln im Sommer 2016 vorgenommen. Bereits in der Ruhensentscheidung hatte die Beklagte aber ausdrücklich mitgeteilt, dass eine Entscheidung über den Widerspruch danach „unaufgefordert“ vorgenommen werde. Warum die Klägerin dennoch mindestens seit Ende Juli 2016 nicht aus eigenem Antrieb eine Begründung des Widerspruchs vorgenommen hatte, wird von ihr nicht mitgeteilt; ebenso wenig ist ersichtlich, dass sie seither der Beklagten die Vorlage einer Begründung angekündigt hatte und deren Vorlage unter entsprechender Mitteilung an die Beklagte ggf. mehrfach hat verschieben müssen. Immerhin hatte sie zur Begründung ihres Widerspruchs faktisch nahezu noch ein Jahr Zeit, bevor die „überraschende“ Widerspruchsentscheidung getroffen wurde. Hier hätte jedenfalls die anwaltliche Vertretung der Klägerin bereits seit Mitte oder Ende Juli 2016 und damit fast ein Jahr alarmiert sein müssen, dass eine Entscheidung über den Widerspruch nunmehr jederzeit drohte. Ein (faktisches) Zuwarten von fast einem Jahr muss in einem solchen Fall aber auch ohne Ankündigung, nunmehr aber („endlich“) entscheiden zu wollen, genügen, um der Klägerin als damaliger Widerspruchsführerin mehr als hinreichend Gelegenheit – Anlass bestand seit Sommer 2016 – zur Begründung ihres Widerspruchs zu geben. Zudem gibt es keine Pflicht oder Obliegenheit, einen Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt zu begründen. Wer dies trotzdem – was auch regelmäßig ratsam erscheint – machen will, sollte sich schon an die eigene Ankündigung halten oder um Fristverlängerung bemühen, wozu, wie gesagt, spätestens seit Sommer 2016 dringender Anlass gegeben war.

54

Selbst wenn dies anders zu betrachten sein könnte, wäre ein etwaiger Verfahrensfehler zumindest nach § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. § 127 AO unbeachtlich. Nach der letztgenannten Norm kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 AO nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. So liegen die Dinge hier. Ein Heranziehungsbescheid zu einem Anschlussbeitrag ist keine Ermessensentscheidung der Beklagten (vgl. Urteile des Gerichts v. 4. Dez. 2017 – 4 A 1979/13 –, S. 21 des amtlichen Umdrucks, und v. 13. November 2012 – 4 A 467/08 -, S. 6 f. des amtlichen Umdrucks). Der Hinweis der Klägerin auf § 9 Abs. 1 KAG M-V geht schon deshalb fehl, weil sich die Soll-Vorschrift auf die Frage bezieht, ob der Aufgabenträger insoweit Anschlussbeiträge erheben will; hat er sich – wie hier – durch den Erlass einer Beitragssatzung dazu entschlossen, ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift erschöpft. Er bezieht sich nicht auf die nachfolgende Frage der konkreten Heranziehung der Beitragspflichtigen durch die Behörde des Aufgabenträgers. Sollte der Beitragsbescheid aus materiell-rechtlicher Sicht rechtswidrig sein, so kann und muss dies im Übrigen im vorliegenden Klageverfahren geklärt und entschieden werden.

55

Dagegen überzeugt auch nicht der Einwand der Klägerin, dieser – unterstellte – Verfahrensfehler sei nicht nach § 126 AO (i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V) heilbar und könne deshalb auch nicht nach den vorgenannten Vorschriften unbeachtlich sein. Ein Anhörungsfehler wird ausdrücklich in § 126 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V genannt. Die von der Klägerin mit Blick auf § 12 Abs. 3 Satz 6 KAG M-V aufgemachte Kategorie einer Pflicht bzw. Obliegenheit der Behörde zur Mitteilung über die Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens ist keine eigenständige (und dann neue, gesetzlich nicht geregelte), sondern diese Frage ist nach den bestehenden formell-rechtlichen Grundsätzen für den Erlass eines Bescheids bzw. Widerspruchsbescheids zu beantworten, wobei dies hier nur einen Fehler im Rahmen der Anhörung vor Erlass eines Widerspruchsbescheids darstellen kann (s. o.).

56

II. Auch der zunächst begangene Verfahrensfehler mangelnder Anhörung der Klägerin vor Erlass des sie belastenden Beitragsbescheids nach § 91 Abs. 1 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V ist bereits im Vorverfahren nach § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V geheilt worden, jedenfalls aber im Rahmen des vorliegenden Klageverfahrens, § 126 Abs. 2 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V. Im Übrigen wäre er nach § 127 AO i. V. § 12 Abs. 1 KAG M-V unbeachtlich.

B)

57

Der Schmutzwasseranschlussbeitragsbescheid vom 21. November 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2017 in der hier maßgeblichen Gestalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 11. Juni 2018 sind aber auch materiell-rechtlich rechtmäßig.

58

I. Im Hinblick auf die „multiple“ verfassungsrechtliche Problematik des hiesigen Anschlussbeitragsrechts verweist das Gericht zunächst auf das Urteil der Kammer vom 21. November 2016 in der Sache 4 A 94/11, an dessen Ausführungen es – in ständiger Rechtsprechung und auch im vorliegenden Fall – festhält:

59

„... Die Kammer hat keine Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit der Rechtsgrundlagen der dem hier angegriffenen Beitragsbescheid zugrunde liegenden Schmutzwasserbeitragssatzung im Kommunalabgabengesetz, weder im Hinblick auf § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V in der Fassung des Ersten Änderungsgesetzes vom 14. März 2005 (dazu unter I.) noch im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V in der Fassung des – nach Neubekanntmachung des Gesetzes vom 12. April 2005 – Ersten Änderungsgesetzes vom 14. Juli 2016 (dazu unter II.).

60

I. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V in der seit dem 31. März 2005 geltenden Fassung ist verfassungsgemäß.

61

... Dem zwei Verfassungsbeschwerden stattgebenden Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 – (NVwZ 2016, 300 und etwa juris) zum Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg liegt eine andere Sach- und Rechtslage zugrunde und er bindet die Kammer allein deswegen schon nicht. Dort ging es um Fragen der gesetzlichen Rückwirkung einer Änderung des Brandenburgischen Kommunalabgabengesetzes. Das hiesige Landesrecht beinhaltet aber im Hinblick auf die Änderung des Kommunalabgabengesetzes durch Einfügung des Wortes „wirksam(en)“ keine – weder eine echte noch eine unechte – Rückwirkung.

62

Die hiesige zuvor geltende gesetzliche Vorschrift des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 wurde nicht mit dem Ersten Änderungsgesetz vom 14. März 2005 im nunmehr geltenden § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V in dem Sinne geändert, dass dadurch („wieder“) Anschlussbeiträge erhoben werden konnten, die nach der vormals geltenden Vorschrift bzw. deren Auslegung – etwa wegen zwischenzeitlich bereits eingetretener Festsetzungsverjährung – nicht mehr hätten erhoben werden dürfen. Ebenso wenig wurde in eine laufende Frist, etwa in den Lauf der Festsetzungsverjährung, eingegriffen.

63

a) Anders als im Kommunalabgabenrecht des Landes Brandenburg entsprach es schon vor dem genannten Ersten Änderungsgesetz vom 14. März 2005 der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (und der erstinstanzlichen Gerichte), die sachliche Anschlussbeitragspflicht unter der Geltung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 frühestens dann entstehen zu lassen, wenn eine wirksame Anschlussbeitragssatzung vorliegt (obergerichtlich, soweit ersichtlich, erstmals im Beschluss vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 – ausgesprochen, siehe danach etwa OVG Greifswald, Urteil vom 13. November 2001 – 4 K 16/00 –, juris Rn. 65, Urteil vom 2. Juni 2004 – 4 K 38/02 –, juris Rn. 76 m. w. N.; vgl. die weiteren obergerichtlichen Rechtsprechungsnachweise bei Aussprung, in: ders./Siemers/Holz/Seppelt, Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern, 33. Ergänzungslieferung November 2015, § 9 Erl. 7.2).

64

Soweit man juristisch überhaupt davon sprechen kann, wäre mithin schon zuvor durch die (ober)verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung die Rechtslage geprägt gewesen. Der Landesgesetzgeber hat lediglich zur („wahren“, wenngleich – dazu sogleich – juristisch überflüssigen) Klarstellung ausdrücklich in den seit Ende März 2005 geltenden § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V das hineingeschrieben, was nach der landesobergerichtlichen Rechtsprechung gegolten hat (ebenso für das Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen-Anhalt das OVG Magdeburg, Beschl. v. 17. Febr. 2016 – 4 L 119/15 -, LKV 2016, 186, 191; OVG Weimar, Urt. v. 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, juris Rn. 48-56 für das Kommunalabgabengesetz des Landes Thüringen).

65

Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat in dem nach hiesiger Urteilsfällung entschiedenen Normenkontrollurteil vom 5. Dezember 2016 (a. a. O., S. 12 f. des amtlichen Umdrucks) ergänzend Folgendes ausgeführt:

66

„... Dass das Kommunalabgabenrecht in Mecklenburg-Vorpommern die sachliche Anschlussbeitragspflicht nicht vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung entstehen lässt, liegt im rechtlichen Charakter der sachlichen Beitragspflicht begründet. Das Landesrecht geht davon aus, dass der beitragsrelevante Vorteil mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung bereits vollständig ausgebildet ist und die Erhebung des Beitrags in voller Höhe rechtfertigt. Das setzt voraus, dass der Beitrag, mit dem das bevorteilte Grundstück zu den Herstellungskosten herangezogen wird und der als öffentliche Last auf dem Grundstück (§ 7 Abs. 6 KAG M-V) ruht, auch der Höhe nach ausgeprägt ist. Die sachliche Beitragspflicht steht der Höhe nach unveränderlich fest und begründet mit diesem Inhalt ein abstraktes Beitragsschuldverhältnis. Da die Höhe des Beitrags unter anderem von den Maßstabsregeln und dem Beitragssatz abhängt, die in der Beitragssatzung normiert sind, ist ein Entstehen der sachlichen Beitragspflicht vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung ausgeschlossen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 15.12.2009 - 1 L 323/06 -, juris Rn. 50 f.). Zu einem früheren Zeitpunkt kann die sachliche Beitragspflicht nicht entstehen. Es ist rechtlich zwingend, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht tatbestandlich vom Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung abhängig zu machen ...“

67

b) Aber nicht einmal um die Frage einer durch Rechtsprechung zu klärenden Gesetzesauslegung und ihrem späteren textlichen Einfließen in das ausgelegte Gesetz ging und geht es hier bei genauerer Betrachtung des geltenden Landesrechts im Lichte des Grundgesetzes wie auch der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern letztlich.

68

Das Kommunalabgabengesetz ist – wie wohl mindestens ganz überwiegend auch die entsprechenden Gesetze anderer Bundesländer - dadurch geprägt, dass es nicht bereits auf der Ebene dieses Parlamentsgesetzes das Entstehen der sachlichen („abstrakten“) Beitragspflicht normiert, sondern dazu zwingend eine satzungsrechtliche Entscheidung des Ortsgesetzgebers fordert (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V, so auch in den Vorgängerfassungen, vorliegend i. V. m. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V).

69

Letztlich hat der Landesgesetzgeber – wie bereits zuvor mit ebensolcher Selbstverständlichkeit und deshalb wohl ohne nähere Darlegung der dahinstehenden juristischen Dogmatik die Verwaltungsgerichte – schlicht einen verfassungsrechtlichen Allgemeinplatz in das Kommunalabgabengesetz geschrieben, der auch ohne ausdrückliche einfachgesetzliche Vorschrift gilt; wohl treffender, wenn er denn unbedingt gesetzlich – im Sinne eines Pleonasmus, vergleichbar etwa mit einer Zeitungsmeldung über eine „tote Leiche“ – erwähnt werden soll, wäre der Hinweis auf die erforderliche Gültigkeit einer Abgabensatzung in § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V zu geben: Abgaben dürfen nur aufgrund einerwirksamen Satzung erhoben werden (vgl. auch das erst nach hiesiger Urteilsfällung ergangene Normenkontrollurteil des OVG Greifswald vom 5. Dez. 2016, a. a. O., S. 7 des amtlichen Umdrucks, wo ebenfalls betont wird, dass „... ohne eine wirksame Satzung gemeindliche Abgaben gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1... KAG M-V ... nicht erhoben werden dürfen ...“).

70

Aus dem Rechtsstaatsprinzip und vor allem dem Wesen der Grundrechte, soweit dies im jeweiligen Grundrecht nicht sogar explizit gefordert wird, ist die rechtliche Selbstverständlichkeit, dass die sachliche Beitragspflicht eine gültige Beitragssatzung erfordert, wie folgt abzuleiten: Ein staatlicher Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts muss durch Schranken dieses Grundrechts legitimiert sein. Mit anderen Worten muss eine Behörde, will sie den Schutzbereich des Grundrechtsträgers beeinträchtigen, dafür eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung haben. Ein staatlicher Eingriff in das hier einschlägige Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 (1. HS) GG, vorliegend verkörpert durch den erlassenen Beitragsbescheid der Beklagten, ist daher nur legitimiert, wenn er Ausdruck der verfassungsrechtlichen Schranke dieses Grundrechts ist.

71

Eine Schranke der Freiheit eines jeden im Geltungsbereich des Grundgesetzes lebenden Menschen, mit seinen Vermögenswerten im Sinne einer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit tun und lassen zu können, was er will, setzt bei dem hier einschlägigen Grundrecht (neben den Rechten anderer und dem Sittengesetz) insbesondere die „verfassungsmäßige Ordnung“ (Art. 2 Abs. 1 [HS 2] GG). Stützt sich ein die allgemeine Handlungsfreiheit berührender Akt der öffentlichen Gewalt auf eine Rechtsnorm, so ist zu prüfen, ob diese Norm zur verfassungsmäßigen Ordnung gehört, d. h. formell und materiell mit den Normen der Verfassung in Einklang steht (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, etwa BVerfG, Beschl. v. 6. Juni 1989 – 1 BvR 921/85 –, BVerfGE 80, 137 ff., juris Rn. 62 m. w. N.). Nur, wenn dies bei der – hier – den Grundrechtseingriff rechtfertigenden Beitragssatzung mit seinen materiell-rechtlichen Regelungen der Fall ist und auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird, bildet die wirksame Satzung eine wirksame Schranke für die Grundrechtsausübung. Mit anderen Worten zwingt das höherrangige Verfassungsrecht auch im Rahmen von Anfechtungsklagen gegen Beitragsbescheide zur Prüfung, ob die Beitragssatzung formell und materiell (gesamt-)wirksam ist, da die in dem Grundrecht beschriebene Freiheit des Grundrechtinhabers nur mit einem Verwaltungsakt, der sich auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen kann, eingeengt werden darf und kann.

72

Dass dies nichts stets in dieser Ausführlichkeit ausdrücklich angesprochen wird, ändert nichts. Von daher ist auch eine etwaige Begründung des Landesgesetzgebers, in dem der verfassungsrechtliche Umstand einer wirksamen/gültigen Beitragssatzung nicht ausdrücklich erwähnt wird, ohne Bedeutung ...

73

c) Divergierende Auslegungen des jeweiligen Landesrechts durch andere Verwaltungsgerichte anderer Bundesländer ... führ(en) auch nicht zur Annahme, es habe bundesweit Verwirrungen im Recht gegeben, die der (hiesige) Landesgesetzgeber zum Anlass für eine Änderung seines Landesrechts genommen habe, die dann auf dem Prüfstand einer gesetzlichen Rückwirkung zu stellen wäre.

74

Wie bereits im Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 31. März 2016 ausgeführt, verkennen die Kläger insoweit, dass es in Mecklenburg-Vorpommern – und nur darauf kommt es an – vor dem Ersten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. März 2005 keine Divergenzen in der Auslegung des zuvor geltenden § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 bzw. 1991 gegeben hat; insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Vorliegend handelt es sich um Landesrecht. Zur Auslegung von Landesrecht, hier des Kommunalabgabengesetzes des Bundeslands Mecklenburg-Vorpommern, sind die dortigen Landesfachgerichte, insoweit vorliegend die beiden Verwaltungsgerichte in Schwerin und Greifswald und vor allem das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald berufen, niemals aber die Verwaltungsgerichte anderer Bundesländer. Der Hinweis, wie andere (Ober-)Ge-richte anderer Bundesländer „ihr“ dort jeweils geltendes Landesrecht, mag es auch wortlautidentisch sein, auslegen, ist nicht geeignet, eine kontroverse Auslegungslage in Mecklenburg-Vorpommern für das nur hier geltende Kommunalabgabengesetz (dieses Bundeslandes) herbeizureden. Die Kläger ignorieren den föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik nach Art. 20 Abs. 1 GG („Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialerBundesstaat.“, Hervorhebung durch die Kammer). Eine „länderübergreifende“ Übereinstimmung oder Homogenität in der Auslegung wortgleichen Landesrechts mehrerer Bundesländer ist von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht erforderlich. Dies gilt auch mit Blick auf das Grundrecht in Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu et al., GG Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 27 m. w. N.). Der allgemeine Gleichheitssatz wird nicht deshalb verletzt, weil ein Bundesland den gleichen Sachverhalt anders behandelt als ein anderes Bundesland, eine Landesbehörde „ihr“ Landesrecht anders anwendet als Landesbehörden anderer Bundesländer „ihr“ jeweiliges Landesrecht oder ein Gericht das dort geltende Landesrecht nicht so auslegt, wie es andere Gerichte in anderen Bundesländern für deren Landesrecht judizieren (vgl. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 14. Aufl. 2014, Rn. 9 m. w. N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Das Grundrecht fordert die Einhaltung des allgemeinen Gleichheitssatzes nur innerhalb der (hier: Landes-)Grenzen des jeweiligen Rechtssystems bzw. bindet – aus grundrechtlicher Perspektive betrachtet – nur den jeweiligen Träger öffentlicher Gewalt innerhalb des von ihm geschaffenen oder anzuwendenden (hier: Landes-)Rechts für den Kreis der dadurch rechtsunterworfenen Grundrechtsträger.

75

d) Auch die von den Klägern suggerierte Verknüpfung der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 zum hiesigen Kommunalabgabengesetz mit den angeblich „bis dahin“ (korrekt: auch weiterhin) in den einzelnen Bundesländern existierenden unterschiedlichen Auslegungen des einfachen (korrekt: Landes-)Rechts ist juristisch aus den dargelegten Gründen nicht tragfähig.

76

II. Die Kammer hat auch keine Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit des Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 14. Juli 2016, insbesondere soweit es die Neufassung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V betrifft.

77

1. Zwar hatte die Kammer nach den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 (veröffentlicht ist beispielhaft die Sache 9 C 19.14, NVwZ-RR 2015, 786 = juris) zwischenzeitlich die Vorschrift des § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V in Beitragsfällen nach dem Jahr 2008 als verfassungswidrig angesehen und auch ein konkretes Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht eingeleitet (Beschl. v. 31. März 2016, a. a. O.).

78

2. Diese Auffassung ist aber nicht mehr aufrecht zu erhalten, nachdem der Landesgesetzgeber mit dem sog. Ersten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Juli 2016 (GVOBl. S. 584), in Kraft getreten am 30. Juli 2016, in dem geänderten § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V die verfassungsrechtlich geforderte absolute zeitliche Obergrenze für eine Beitragserhebung gesetzt hat:

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79

Die vormals bestehende verfassungswidrige Unvollständigkeit des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern ist dadurch beseitigt worden. Dem Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG (BVerfG, Beschl. v. 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 ff.; ebenso etwa Beschl. v. 21. Juli 2016 – 1 BvR 3092/15 –, NVwZ-RR 2016, 889 ff., Rn. 5 f.) ist damit Genüge getan.

80

3. Gegen die vom Landesgesetzgeber getroffene zeitliche Obergrenze einer Beitragserhebung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V n. F. hat das Gericht keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (ebenso OVG Greifswald, Urteile v. 6. September 2016 – 1 L 212/13 und 1 L 1 L 217/13 –, juris, Rn. 75 ff. bzw. 74 ff., noch einmal bestätigt in dem nach hiesiger Urteilsfällung entschiedenen Normenkontrollurteil vom 5. Dezember 2016 – 1 K 8/13 –, S. 12 f. des amtlichen Umdrucks; zur ähnlichen Regelung in Sachsen, § 3a Abs. 3 SächsKAG, ebenso OVG Bautzen, Beschl. v. 21. April 2016 – 5 A 493/14 –, LKV 2016, 313 ff. = juris Rn. 12; ebenso für die – allerdings kürzere – Obergrenze nach §§ 13b, 18 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt das OVG Magdeburg, Beschl. v. 17. Febr. 2016, a. a. O., S. 189; vgl. auch für das Kommunalabgabengesetz des Freistaats Thüringen OVG Weimar, Urt. v. 12. Januar 2016, a. a. O., Rn. 44 ff.).

81

a) Der Landesgesetzgeber hat insoweit einen weiten Regelungs- und Gestaltungsspielraum, um die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit bei kommunalabgabenrechtlichen Vorteilslagen durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21. Juli 2016, a. a. O., Rn. 8). Diesen Spielraum überschreitet der Landesgesetzgeber nicht, mag er für die seit dem 3. Oktober 1990 bzw. dem – wohl maßgeblichen – Inkrafttreten des (ersten) Kommunalabgabengesetzes vom 11. April 1991 (KAG 1991) möglichen Anschlussbeitragserhebungsfälle mit den „10+20“-Jahren auch am äußeren (aber „diesseitigen“) zeitlichen Rand der gesetzgeberischen Regelungsalternativen liegen. Hierbei sind – gerade mit Blick auf die circa ersten zehn Jahre vom 3. Oktober 1990 bzw. Mitte Mai 1991 (Inkrafttreten des KAG 1991) bis Ende des Jahres 2000, die nach der gesetzlichen Vorschrift noch nicht den Lauf der 20jährigen Obergrenze für eine Beitragserhebung in Gang setzen sollen – die besonderen Herausforderungen der Wiedervereinigung zu berücksichtigen, die nicht nur durch einen vollständigen Wechsel des Rechtsregimes, sondern auf kommunaler Ebene zusätzlich durch eine Vielzahl von gleichzeitig und mit beschränkten kommunalen Ressourcen zu bewältigenden Aufgaben (grundlegender Verwaltungsumbau, Herstellung kommunaler Strukturen und dafür nötiger Rechtsgrundlagen, Instandhaltung, Sanierung und Fortentwicklung der Infrastruktur) geprägt waren (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. April 2015 – 9 C 19/14 u. a. – juris Rn. 17; OVG Bautzen, Beschl. v. 21. April 2016, a. a. O., juris Rn. 13; OVG Magdeburg, Beschl. v. 17. Febr. 2016, a. a. O., S. 189). Exemplarisch hervorzuheben sind etwa die in den Anfangsjahren des Landes Mecklenburg-Vorpommern landauf landab vielfach missglückten Versuche der Kommunen, rechtswirksam einen Zweckverband nach den §§ 150 ff. der Kommunalverfassung (KV M-V) in den Aufgabenbereichen der Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung zu gründen bzw. ihm beizutreten, die den Landesgesetzgeber veranlasst haben, die umfangreichen §§ 170a, 170b KV M-V zur Unbeachtlichkeit von dort aufgeführten Rechtsfehlern bei der Bildung von Zweckverbänden und dem Beitritt zu einem solchen einschließlich der Fiktionen bei Unvollständigkeit der Verbandssatzung zu schaffen.

82

b) Das Gericht hegt auch keine (landes- oder bundes)verfassungsrechtlichen Bedenken mit Blick auf das ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten entwickelte Rückwirkungsverbot, soweit § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V n. F. – wie vorliegend – auch Vorteilslagen vor dem 30. Juli 2016 bis zurück zum 3. Oktober 1990 bzw. Mitte Mai 1991 betrifft.

83

aa) Die Bestimmung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V in der Fassung seit dem 30. Juli 2016 beinhaltet zwar wohl nicht nur eine Begünstigung für die seit 3. Oktober 1990 (erster Geltungstag des Grundgesetzes in dem damals zugleich neu/wieder entstandenen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern) bzw. Mitte Mai 1991 in Mecklenburg-Vorpommern Betroffenen durch Beseitigung einer bis dahin bestehenden verfassungswidrigen Rechtslage, sondern dürfte auch grundrechtsbelastend sein, soweit es den frühestmöglichen Zeitpunkt des Eintritts der zeitlichen Obergrenze einer (Anschluss-)Beitragserhebung seit dem 3. Oktober 1990 bzw. Mitte Mai 1991 auf den Ablauf des Jahres 2020 bestimmt.

84

bb) Art. 1 Nr. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Juli 2016 stellt in diesem Fall insoweit eine sog. unechte Rückwirkung dar. Die unechte Rückwirkung eines Gesetzes ist gegeben, wenn eine tatbestandliche Rückanknüpfung stattfindet, die den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm betrifft. Hier wirkt die belastende Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte oder Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein und entwertet zugleich die bisherige Rechtsposition nachträglich im Ganzen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2. Mai 2012 – 2 BvL 5/10 –, BVerfGE 131, 20-47 = juris Rn. 66 m. w. N.). Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten also erst nach Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung „ins Werk gesetzt“ worden sind. Dies trifft hier auf die seit Oktober 1990/Mai 1991 gegebenenfalls schon vorliegenden Vorteilslagen, also damals schon bestehenden Anschlüssen oder Anschlussmöglichkeiten an das faktisch vorhandene Trinkwasser- oder Abwassernetz aus DDR- oder gar noch „Reichs“-Zeiten zu.

85

Ein Eingriff in einen abgeschlossenen Tatbestand und damit eine echte Rückwirkung liegt dagegen mit Blick auf das Änderungsgesetz nicht vor, auch nicht bei den sich selbst so titulierenden „Altanschließern“, deren Grundstücke also schon vor Mitte Mai 1991 in Mecklenburg-Vorpommern oder vor dem 3. Oktober 1990 in der DDR oder gar dem Deutschen Reich an ein öffentliches Wasser- oder Abwassernetz angeschlossen waren. Sie sind aus den dargelegten Gründen nicht „sakrosankt“; ihre Nichteinbeziehung in die Anschlussbeitragserhebung würde sogar nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Greifswald den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzen, da auch sie einen (erstmaligen) Vorteil i. S. des § 7 Abs. 1 KAG M-V haben (vgl. etwa Urt. v. 6. Sept. 2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 48; auch das BVerwG, Urteile vom 15. April 2015 – 9 C 19/14 u. a. –, juris Rn. 16, hat gegen diese Rechtsauffassung keine bundesrechtlichen Bedenken geltend gemacht).

86

Die unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (BVerfG, Beschl. v. 16. Dez. 2015 – 2 BvR 1958/13 –, juris Rn. 43 m. w. N.). Dabei ist das durch das Rechtsstaatsprinzip gewährleistete Vertrauen auf die geltende Rechtslage nur schutzwürdig, wenn die gesetzliche Regelung generell geeignet ist, ein Vertrauen auf ihr Fortbestehen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen herbeizuführen, die sich bei Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen. Ist das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer bestimmten Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig, ist ein rückwirkender belastender Eingriff ausnahmsweise zulässig. Das ist etwa dann der Fall, wenn das rückwirkend geänderte Recht unklar und verworren oder ein Zustand allgemeiner und erheblicher Rechtsunsicherheit eingetreten war und für eine Vielzahl Betroffener Unklarheit darüber herrschte, was rechtens sei (BVerfG, Beschl. v. 16. Dez. 2015, a. a. O., Rn. 44 m. w. N.).

87

So liegen die Dinge auch hier, wie weiter oben dargelegt worden ist. Auch in Anbetracht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, den das Bundesverfassungsgericht auch bei der Problematik rückwirkender Gesetze zunehmend stärker betont, ist es (noch) angemessen, die Obergrenze für eine Beitragserhebung von 20 Jahren zu normieren und zugleich diese „Frist“ in Mecklenburg-Vorpommern erst ca. zehn Jahre nach der Deutschen Einheit bzw. dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes vom 11. April 1991 zu laufen beginnen zu lassen. Insoweit kann auf die oben dargestellten besonderen Verhältnisse in den „Gründerjahren“ des neuen Bundeslands verwiesen werden (vgl. im Ergebnis ebenso OVG Bautzen, Beschl. v. 21. April 2016, a. a. O., juris Rn. 15 und 18).

88

c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass eine solche „Heilung“ eines verfassungswidrig unvollständigen Landesgesetzes kraft (Landes- oder Bundes-)Verfassungs-rechts von vornherein („nie“) oder jedenfalls jetzt nicht mehr („zu spät“) möglich gewesen wäre. Bereits in der „Mutter“-Entscheidung zu dieser Problematik hat das Bundesverfassungsgericht Folgendes ausgeführt (Beschl. v. 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 -, juris Rn. 49 f.):

89

„... Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

90

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ) ...“

91

d) Ebenso wenig hat der hiesige Landesgesetzgeber, soweit es einen solchen verfassungsrechtlichen Ansatz geben sollte, auch nicht das Recht verwirkt, seine bisherige Untätigkeit seit Bekanntwerden des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 nach etwas mehr als drei Jahren aufzugeben und die verfassungsrechtlich erforderliche zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme eines Beitragspflichtigen zu schaffen, zumal die zuständigen hiesigen Landesgerichte bis hin zum Oberverwaltungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Urteile vom 1. April 2014, etwa 1 L 142/13, juris) zunächst aus verschiedenen Gründen eine solche legislative Obliegenheit zum Handeln für den hiesigen Landesgesetzgeber verneint hatten.

92

Der bereits erwähnte Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 in den Verfahren 1 BvR 2961/14 und 1 BvR 3051/14 zum Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg entfaltet mangels eines vergleichbaren Sachverhalts nach § 31 Abs. 1 BVerfGG keine Bindungswirkung für den vorliegenden Fall. Dort ging es um diffizile verfassungsrechtliche Fragen der Rückwirkung eines Gesetzes, dagegen nicht um verfassungsrechtliche Fragen zu den sog. Altanschließern, mögen diese auch neben sog. Neuanschließern davon betroffen worden sein...“

93

Mit den vorstehenden Ausführungen wird deutlich, dass es letztlich verfassungsrechtlich geboten ist, für das Entstehen der sachlichen Anschlussbeitragspflicht eine wirksame Beitragssatzung zu fordern, und zwar nicht nur als gerichtlicher Prüfungsmaßstab in einem Klageverfahren, dessen Voraussetzungen nur bis zur gerichtlichen Entscheidung vorliegen müssen, sondern als inhaltliches Erfordernis, das auch Auswirkungen auf den Beginn des Laufs der Festsetzungsverjährung hat.

94

Es kann offen bleiben, ob mit Blick auf die Grundsätze einer Rückwirkung verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die frühere Regelung in § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V, wonach bei der Erhebung eines Anschlussbeitrags nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V die (vierjährige) Festsetzungsverjährungsfrist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008 endete, bestanden. Die mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. März 2005 eingeführte Vorschrift dürfte jedenfalls nicht generell verfassungsrechtlich bedenklich sein, sondern nur in den Fällen, in denen zuvor bereits u. a. aufgrund einer wirksamen Anschlussbeitragssatzung die vierjährige Festsetzungsfrist zu laufen begonnen und bis zum Inkrafttreten dieses Änderungsgesetzes schon abgelaufen gewesen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. Nov. 2015, a. a. O.). Ein Fall bereits damals mindestens zu laufen begonnener bzw. gar schon abgelaufener Festsetzungs(verjährungs)frist liegt beim Zweckverband Wismar im Bereich des Anschlussbeitragsrechts nicht vor, da die aktuelle Beitragssatzung die erste wirksame ist (siehe unten).

95

Die von der Klägerin gewollte Übernahme der Rechtsprechung aus Brandenburg, die sie entweder selbst mit einer Begründung unterlegt oder (mangels Offenlegung der Fundstelle unerkannt) zitiert, geht aus den bereits genannten Gründen von vornherein fehl. Diese „fremde“ Rechtsprechung aus einem anderen Bundesland ist für das Gericht rechtlich befremdlich, rechtlich nicht nachvollziehbar und rechtlich nicht tragfähig. Hier bemüht das Gericht am Rande einmal – wenngleich auch grundsätzlich zu seinen eigenen Ungunsten – ein recht bekanntes Zitat keines Juristen, sondern eines Diplomaten und Schriftstellers: „Die Phantasie trainiert man am besten durch juristische Studien. Nie hat ein Dichter die Natur so frei ausgelegt wie ein Jurist die Wirklichkeit.“ (Jean Giraudoux, Der Trojanische Krieg findet nicht statt, 1935).

96

Die Klägerin beruft sich im Weiteren auf das Urteil des Gerichts vom 30. Januar 2017 in der Sache 4 A 1352/12 und meint, dort habe sich das Gericht umfassend mit der Frage beschäftigt, ob der „Rechtsschein“ der unwirksamen Beitragssatzungen in der Vergangenheit für Kläger einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand geschaffen habe. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht nur die Argumentation der Klägerseite aufgenommen und sich in diese juristische Gedankenwelt begeben und weiter gedacht hat. Es hat aber nicht etwa den Rechtssatz aufgestellt, dass aus einem schutzwürdigen Vertrauenstatbestand, sollte er bestehen, mit Blick auf vorangegangene unwirksame Anschlussbeitragssatzungen in irgendeiner relevanten Art und Weise Honig gesaugt werden könne für die Frage der Rechtswidrigkeit eines Anschlussbeitragsbescheids, der sich auf eine nunmehr wirksame Beitragssatzung stützen kann.

97

Im Übrigen wäre aber auch im vorliegenden Fall kein solcher Vertrauenstatbestand erkennbar. Er kann sich nicht auf eine Anschlussmöglichkeit oder einen faktischen Anschluss des Grundstücks der Klägerin bereits vor der Deutschen Einheit (3. Oktober 1990) oder der (politischen) Wende in der damaligen DDR (ab 9. November 1989) oder einer seit Inkrafttreten des Bebauungsplans „teilweise“ bestehenden Bebauungsmöglichkeit dieses Grundstücks gründen. Ob die Kosten von Anschlussbeiträgen bei der Vereinbarung des Kaufpreises des Grundstücks bzw. den Vertragsverhandlungen eine Rolle gespielt haben, ist ebenfalls ohne Belang für die Beurteilung der vorliegenden öffentlich-rechtlichen Angelegenheit und kann keinen öffentlich-rechtlichen Vertrauenstatbestand begründen. Ob nicht vielmehr Anlass zur Klärung dieser potentiellen Kosten vor Eingehung des Grundstückskaufvertrags bestanden hätte, müsste der Kaufgeneigte in Mecklenburg-Vorpommern sich wohl eher fragen lassen. Dies wäre auch durch eine „Anliegerbescheinigung“ (so die Bezeichnung in Niedersachsen) bzw. einen „Antrag auf Ausstellung einer Erschließungskostenbescheinigung“ (so die hiesige Bezeichnung) oder eine entsprechende formlose Anfrage gegenüber dem Zweckverband ohne weiteres möglich gewesen. Aus einem etwaigen zivilrechtlichen Versäumnis nun aber einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand im öffentlichen Recht zu gestalten, erscheint dem Gericht rechtlich nicht möglich. Auch eine frühere bloße Parzellierung des Grundstücks in viele Flurstücke vor Erlass des Beitragsbescheids hätte der Klägerin anschlussbeitragsrechtlich nicht geholfen, jedenfalls, solange sie weiterhin Eigentümerin des Buchgrundstücks geblieben wäre. Erst die Veräußerung solcher BGB-Grundstücke vor Erlass des Anschlussbeitragsbescheids hätte sie öffentlich-rechtlich entlastet; ob und wie sich die spätere Beitragsheranziehung der Käufer und Erwerber solcher Grundstücke im zivilrechtlichen Verhältnis zur Klägerin als Verkäuferin ausgewirkt hätte, kann dabei dahingestellt bleiben.

98

Die parlamentarisch gewählte Grenze einer Beitragserhebung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V ist, wie bereits dargelegt, auch nicht bei Betrachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verfassungsrechtlich unangemessen. Soweit die Klägerin insoweit sogar noch die Zeit vor der Deutschen Einheit „einrechnet“, weil sie eine Anschlussmöglichkeit ihres Grundstücks an die Schmutzwasserentsorgungsleitungen bereits zu DDR-Zeiten sieht, geht dies von vornherein fehl. Das heutige bundesdeutsche Rechtssystem (ggf. in der Gestalt des Einigungsvertrags) hatte vor dem 3. Oktober 1990 auf dem Gebiet der früheren DDR keine Geltung. Eine verfassungsrechtlich bedeutsame „Vorteilslage“ im Anschlussbeitragsrecht kann vor dem 3. Oktober 1990 nicht abgeleitet werden, abgesehen davon, dass es zuvor keine öffentliche Einrichtung der Schmutzwasserentsorgung im bundesdeutschen Rechtssinne gab. Denn auch das Grundgesetz galt nicht in der DDR.

99

Auch das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hält an seiner (mittlerweile schon „ständigen“) Rechtsauffassung zur Verfassungsgemäßheit des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V n. F. fest (etwa Beschl. v. 1. Aug. 2017 – 1 L 214/14 –, Beschl. v. 7. Dez. 2017 – 1 LZ 545/17 –, dort auch ebenso zur Verfassungsgemäßheit des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V, Beschl. v. 7. Dez. 2017 – 1 LZ 599/17, 1 LZ 600/17, 11 LZ 601/17 und LZ 602/17 –, Beschl. v. 14. Dez. 2017 – 1 LZ 557/17 –, Beschl. v. 27. April 2018 – 1 L 498/16 –, S. 5 des amtlichen Umdrucks).

100

Mangels näherer Ausführungen, warum § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V in der Fassung des Ersten Änderungsgesetzes vom 14. Juli 2016 nach Meinung der Klägerin immer noch nicht oder aus anderen Gründen nicht dem Grundsatz der Rechtssicherheit genüge, kann das Gericht dazu nicht Stellung nehmen, sondern nur auf das bereits Ausgeführte verweisen.

101

II. Die Beitragssatzung Schmutzwasser vom 3. März 2010 in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 25. April 2012 bildet die Rechtsgrundlage des hier angefochtenen Beitragsbescheids. Sie ist nach derzeitiger Erkenntnis des Gerichts die erste wirksame Beitragssatzung in diesem Bereich (siehe zuletzt etwa Urt. v. 15. Mai 2018 – 4 A 1214/16 SN – m. w. N.). Da die Klägerin insoweit keine dezidierten Einwände erhebt, sieht das Gericht von weiteren Ausführungen dazu ab.

102

III. Auch die Heranziehungsentscheidung der Beklagten im angegriffenen Beitragsbescheid und ihres Widerspruchsbescheids in der Gestalt ihres Schriftsatzes vom 11. Juni 2018 ist rechtmäßig.

103

1. Die Konstruktion der Überleitung des – unterstellten – formell-rechtlichen Fehlers beim Anspruch auf rechtliches Gehör im Vorverfahren in einen zugleich materiell-rechtlichen Fehler vermag das Gericht nicht nachzuvollziehen, abgesehen davon, dass er nicht einmal formell-rechtlich vorliegt (s. o.).

104

2. Der Beitragsbescheid ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt. Ein kommunaler Abgabenbescheid muss die festgesetzte kommunale Abgabe nach Art und Betrag bezeichnen und angeben, wer die kommunale Abgabe schuldet, § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO. Ebenso muss ein Anschlussbeitragsbescheid, um dem allgemeinen Bestimmtheitsgebot von Verwaltungsakten nach § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. § 119 Abs. 1 AO zu genügen, darüber hinaus auch eine hinreichend bestimmte Aussage dazu treffen, für welches Grundstück ein solcher – eben grundstücksbezogener - Beitrag festgesetzt wird (vgl. Urteile des Gerichts vom 23. Febr. 2018 – 4 A 467/15 – S. 8 des amtlichen Umdrucks, vom 20. Febr. 2017 – 4 A 485/13 – und 21. Nov. 2011 – 4 A 652/08 –, S. 5 des amtlichen Umdrucks; Aussprung, in: ders. et al., Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern, Stand: Dezember 2017, § 2 Erl. 12.3.2 m. w. N.).

105

Diesen Anforderungen genügt der hier streitgegenständliche Beitragsbescheid, nachdem die Beklagte das zweite Grundstück aus der Veranlagung herausgenommen hat. Wie sich „der Beitrag auf das (verbleibende) Flurstück verteilt“ bzw. die Lage der „anrechenbaren Grundstücksfläche“ und deren Ermittlung ist, ergibt sich für das verbleibende Grundstück Flurstück a der Flur y, Gemarkung G. S., größtenteils schon aus der dem Ausgangsbescheid beigefügten Anlage. Dort ist die der Beitragsberechnung zugrunde gelegte Teilfläche des Grundstücks schraffiert eingezeichnet. Näher erläutert der Widerspruchsbescheid der Beklagten dazu dann, dass zur „Beitragspflicht ... die sich innerhalb des Bebauungsplanes Nr. 2 [der Gemeinde G. S.] befindliche Fläche (25.377 m²) herangezogen (wurde)“, nunmehr abzüglich des 693 m² großen Grund- und Flurstücks h, das zunächst in den Bescheiden vollumfänglich mit eingerechnet worden war, wie sich aus der entsprechenden Schraffierung in der Anlage zum Ausgangsbescheid ergibt.

106

3. Auch die Veräußerung des Flurstücks f als Teils des dem Beitragsbescheid zugrunde liegenden Grundstücks im Mai 2016, also nach Erlass des Bescheids und vor der Schließung der mutmaßlich verfassungswidrigen Lücke des Kommunalabgabengesetzes durch das Erste Änderungsgesetz vom 14. Juli 2016, macht den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 11. Juni 2018 nicht (mehr) rechtswidrig.

107

Der maßgebliche Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch das jeweils einschlägige materielle Recht bestimmt (vgl. den Nachweis in OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20. März 2018 – 1 L 292/15 –, juris Rn. 21). Im Anschlussbeitragsrecht ist dies mit Blick auf die persönliche Beitragspflicht nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheids: Wer zu diesem Zeitpunkt – hier – Eigentümer des bevorteilten Grundstücks ist, ist persönlich beitragspflichtig. Eine nachfolgende teil- oder vollumfängliche Veräußerung des Grundstücks während des Vor- oder Klageverfahrens ändert daran nichts, jedenfalls soweit auch die sachliche Beitragspflicht zum genannten Zeitpunkt entstanden war. In der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Anschlussbeitragsbescheids ist die Rechtsprechung im Hinblick auf die Frage der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht (mangels gesetzlicher Vorgaben) demgegenüber „flexibel“, d. h. auch ein zunächst mangels wirksamer Beitragssatzung rechtswidriger Anschlussbeitragsbescheid kann nachträglich durch Erlass einer wirksamen Satzung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen „geheilt“ werden; insoweit gibt es keinen fixen Zeitpunkt zur abschließenden und „unumkehrbaren“ Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Beitragsverwaltungsakts (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20. März 2018, a. a. O., Rn. 22).

108

Daran hat auch der Zeitraum der mutmaßlichen temporären Verfassungswidrigkeit des Kommunalabgabengesetzes im Bereich des Anschlussbeitragsrechts nichts geändert. Maßgeblich ist dabei, dass der streitgegenständliche Beitragsbescheid die persönliche Beitragspflicht der Klägerin bereits wirksam statuiert hatte, mag er sich damals auch nicht auf eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V (und eine wirksame, den Anforderungen der jedenfalls insoweit wohl verfassungswidrigen Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes entsprechenden Beitragssatzung) hat stützen können und damit zunächst rechtswidrig gewesen sein. Insoweit beurteilt das Gericht die Rechtmäßigkeit eines Anschlussbeitragsbescheids wie die Sach- und Rechtslage bei jedem Fehlen einer Rechtsgrundlage, sei es nun wegen einer zunächst unwirksamen Beitragssatzung oder sei es aufgrund eines zunächst wohl verfassungswidrigen Parlamentsgesetzes wie dem Kommunalabgabengesetz. Die deshalb zunächst bestehende Rechtswidrigkeit des vorliegenden Beitragsbescheids wurde aber mit Inkrafttreten des Ersten Änderungsgesetzes vom 14. Juli 2016 am 30. Juli 2016 beseitigt, da seither nicht nur für Anschlussbeitragssatzungen, sondern auch für darauf fußende Anschlussbeitragsbescheide eine wirksame parlamentarische Rechtsgrundlage vorliegt.

109

4. Soweit auch das nunmehrige Flurstück d der Flur y, Gemarkung G. S., bei der Berechnung des Anschlussbeitrags berücksichtigt worden ist, weil es sich im räumlichen Geltungsbereich des kommunalen Bebauungsplans befindet, ist dies zu Recht geschehen. Es hat sich weder bei Erlass des angegriffenen Beitragsbescheids (damals war diese Fläche noch Bestandteil des Flurstücks a) noch später beitragsrechtlich etwas geändert. Es war und ist (jedenfalls im Zeitpunkt des letzten aktenkundigen Grundbuchauszugs vom 14. Juni 2017) Bestandteil des entsprechenden Buchgrundstücks, eingetragen im genannten Grundbuchblatt. Gegenstand der Veranlagung zu einem Anschlussbeitrag ist aber grundsätzlich nur das Buch- oder BGB-Grundstück mit seinen Flurstücken, nicht aber einzelne Flurstücke eines Grundstücks im bürgerlich-rechtlichen Sinne, soweit die sonstigen Voraussetzungen für eine anschlussbeitragsrechtliche Berücksichtigung dieser Flächen vorliegen. Deshalb spielt es auch keine Rolle, ob ein Flurstück für sich genommen zu schmal für eine Bebauung ist. Denn das über 3 ha große Buchgrundstück ist es nicht, auch nicht in dem immerhin noch über 2 ha großen Bereich, welcher der Beitragsveranlagung (nach Herausnahme des Grundstücks Flurstück h) zugrunde liegt.

110

5. Irrelevant ist insoweit auch, dass das nunmehrige Flurstück e nicht mehr an eine öffentliche Straße mit Schmutzwasserleitung grenze. Maßgeblich ist allein, dass das Buchgrundstück – was von der Klägerin nicht bestritten wird – an die öffentliche Einrichtung der Schmutzwasserbeseitigung angeschlossen ist (oder die Möglichkeit dazu hat), wo auch immer bzw. auf welchem Flurstück des Grundstücks der Grundstücksanschluss im Einzelnen auch liegen mag.

111

6. Schließlich ist der Anschlussbeitragsbescheid und der Widerspruchsbescheid in der Fassung des Schriftsatzes der Beklagten vom 11. Juni 2018 nicht festsetzungsverjährt.

112

Wie bereits dargelegt, ist die Schmutzwasserbeitragssatzung vom 3. März 2010 in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 25. April 2012 nach derzeitiger Erkenntnis des Gerichts die erste wirksame Satzung i. S. nicht nur des (verfassungsgemäßen) § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V, sondern auch im Sinne der Schranke des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG bzw. des entsprechenden Landesgrundrechts nach Art. 5 Abs. 3 LVerf M-V. Erst ihre Wirksamkeit lässt die sachliche Beitragspflicht entstehen. Entgegen der Auffassung der Klägerin spielt der Zeitpunkt des Erlasses des Bebauungsplans im Jahre 1999 dagegen bei der Frage, wann die Festsetzungsverjährung zu laufen beginnt, keine Rolle.

113

Daran gemessen war die vierjährige Festsetzungsfrist nach § 12 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 KAG M-V i. V. m. §§ 169 Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO bei Erlass des hier streitgegenständlichen Beitragsbescheids vom 21. November 2014 noch nicht abgelaufen, unbeschadet der Frage, ob die mutmaßliche Verfassungswidrigkeit des Kommunalabgabengesetzes nicht auch diese Normen – soweit es die (ggf. modifiziert) anwendbaren Normen der Abgabenordnung betrifft, gelten sie in Mecklenburg-Vorpommern als Landesrecht – erfasst hat, sodass eine solche Frist erst ab Ende Juli 2016 hätte zu laufen beginnen können.

114

7. Der Angriff der Klägerin auf die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid im Rahmen der vorliegenden Anfechtungsklage geht ins Leere. Die Kostenentscheidung im – wie hier – den Widerspruch vollumfänglich zurückweisenden Widerspruchsbescheid wird durch diejenige im vorliegenden Urteil, das aufgrund einer Anfechtungsklage gegen den Ausgangsbescheid und den Widerspruchsbescheid (hier in der Gestalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 11. Juni 2018) ergeht, überholt bzw. verdrängt. Nach § 162 Abs. 1 VwGO sind Kosten die Gerichtskosten und die notwendigen Aufwendungen der Beteiligten „einschließlich der Kosten des Vorverfahrens“. Die Kostengrundentscheidung des Gerichts bestimmt danach auch, wer als Teil der Kosten des Verfahrens die Kosten des Vorverfahrens zu tragen hat. Mit der gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache steht regelmäßig fest, wie im Widerspruchsverfahren in der Sache richtigerweise hätte entschieden werden müssen. Die Kosten des Vorverfahrens sind deshalb in Konsequenz der §§ 154 ff. VwGO von demjenigen zu tragen, der im gerichtlichen Verfahren unterliegt. Folgt dem Widerspruchsverfahren ein Klageverfahren nach und sind die Verfahrensgegenstände identisch, verdrängt die gerichtliche Kostenentscheidung mithin die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid (zum Vorstehenden Neumann, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 162 Rn. 15 f., 17a, 94 m. w. N. aus der Rechtsprechung; BVerwG, Urt. v. 29. Juni 2006 – 7 C 14/05 –, juris Rn. 13 m. w. N.; anders, wenn dem Widerspruch teilweise stattgegeben wird und deshalb nur im Umfang der Zurückweisung Klage erhoben worden war).

115

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO. Im Hinblick auf den erledigten Teil entspricht es billigem Ermessen, der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzulegen. Zwar hat sich die Beklagte insoweit in die Rolle der Unterlegenen begeben. Dennoch ist der Umfang im Hinblick auf die verbleibende streitig zu entscheidende Klage derart gering, dass eine Kostenquotelung im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO nicht opportun erscheint.

116

Von Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kosten dieses Verfahrens sieht das Gericht ab (vgl. die „Kann“-Bestimmung des § 167 Abs. 2 VwGO), da die obsiegende Beklagte mangels anwaltlicher Vertretung nur sehr geringe außergerichtliche Kosten (anteilige Reisekosten zum Termin sowie die Post- und Telekommunikationspauschale) vorläufig vollstrecken könnte.

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bei uns veröffentlicht am 02.05.2012

Tenor Artikel 17 Absatz 1 des Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz - DNeuG) vom 5. Februar 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 160) ist

Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 15. Dez. 2009 - 1 L 323/06

bei uns veröffentlicht am 15.12.2009

Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kostenschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleist

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Die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.

(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 125 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn

1.
der für den Verwaltungsakt erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird,
2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird,
3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird,
4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsakts erforderlich ist, nachträglich gefasst wird,
5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.

(2) Handlungen nach Absatz 1 Nr. 2 bis 5 können bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.

(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsakts unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt worden, so gilt die Versäumung der Einspruchsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 110 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, soll diesem Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies gilt insbesondere, wenn von dem in der Steuererklärung erklärten Sachverhalt zuungunsten des Steuerpflichtigen wesentlich abgewichen werden soll.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint,
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde,
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll,
4.
die Finanzbehörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will,
5.
Maßnahmen in der Vollstreckung getroffen werden sollen.

(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.

(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.

(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und die betroffene Person dies unverzüglich verlangt.

(3) Ein schriftlich oder elektronisch erlassener Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen. Ferner muss er die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten; dies gilt nicht für einen Verwaltungsakt, der formularmäßig oder mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird. Ist für einen Verwaltungsakt durch Gesetz eine Schriftform angeordnet, so muss bei einem elektronischen Verwaltungsakt auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Falle des § 87a Absatz 4 Satz 3 muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Finanzbehörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.

(1) Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt auch für die Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129. Die Frist ist gewahrt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist

1.
der Steuerbescheid oder im Fall des § 122a die elektronische Benachrichtigung den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat oder
2.
bei öffentlicher Zustellung nach § 10 des Verwaltungszustellungsgesetzes die Benachrichtigung bekannt gemacht oder veröffentlicht wird.

(2) Die Festsetzungsfrist beträgt:

1.
ein Jahrfür Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen,
2.
vier Jahrefür Steuern und Steuervergütungen, die keine Steuern oder Steuervergütungen im Sinne der Nummer 1 oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union sind.
Die Festsetzungsfrist beträgt zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.

(1) Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

(2) Abweichend von Absatz 1 beginnt die Festsetzungsfrist, wenn

1.
eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, es sei denn, dass die Festsetzungsfrist nach Absatz 1 später beginnt,
2.
eine Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu zahlen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem für den Steuerfall Steuerzeichen oder Steuerstempler verwendet worden sind, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuerzeichen oder Steuerstempler hätten verwendet werden müssen.
Dies gilt nicht für Verbrauchsteuern, ausgenommen die Energiesteuer auf Erdgas und die Stromsteuer.

(3) Wird eine Steuer oder eine Steuervergütung nur auf Antrag festgesetzt, so beginnt die Frist für die Aufhebung oder Änderung dieser Festsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Antrag gestellt wird.

(4) Wird durch Anwendung des Absatzes 2 Nr. 1 auf die Vermögensteuer oder die Grundsteuer der Beginn der Festsetzungsfrist hinausgeschoben, so wird der Beginn der Festsetzungsfrist für die folgenden Kalenderjahre des Hauptveranlagungszeitraums jeweils um die gleiche Zeit hinausgeschoben.

(5) Für die Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) beginnt die Festsetzungsfrist nach den Absätzen 1 oder 2

1.
bei einem Erwerb von Todes wegen nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat,
2.
bei einer Schenkung nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat,
3.
bei einer Zweckzuwendung unter Lebenden nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Verpflichtung erfüllt worden ist.

(6) Für die Steuer, die auf Kapitalerträge entfällt, die

1.
aus Staaten oder Territorien stammen, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation sind, und
2.
nicht nach Verträgen im Sinne des § 2 Absatz 1 oder hierauf beruhenden Vereinbarungen automatisch mitgeteilt werden,
beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Kapitalerträge der Finanzbehörde durch Erklärung des Steuerpflichtigen oder in sonstiger Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

(7) Für Steuern auf Einkünfte oder Erträge, die in Zusammenhang stehen mit Beziehungen zu einer Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die der Steuerpflichtige allein oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Beziehungen durch Mitteilung des Steuerpflichtigen oder auf andere Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

(1) Hilft die Behörde dem Widerspruch nicht ab, so ergeht ein Widerspruchsbescheid. Diesen erläßt

1.
die nächsthöhere Behörde, soweit nicht durch Gesetz eine andere höhere Behörde bestimmt wird,
2.
wenn die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- oder oberste Landesbehörde ist, die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat,
3.
in Selbstverwaltungsangelegenheiten die Selbstverwaltungsbehörde, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt wird.
Abweichend von Satz 2 Nr. 1 kann durch Gesetz bestimmt werden, dass die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, auch für die Entscheidung über den Widerspruch zuständig ist.

(2) Vorschriften, nach denen im Vorverfahren des Absatzes 1 Ausschüsse oder Beiräte an die Stelle einer Behörde treten, bleiben unberührt. Die Ausschüsse oder Beiräte können abweichend von Absatz 1 Nr. 1 auch bei der Behörde gebildet werden, die den Verwaltungsakt erlassen hat.

(3) Der Widerspruchsbescheid ist zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und zuzustellen. Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes. Der Widerspruchsbescheid bestimmt auch, wer die Kosten trägt.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Dieses Gesetz gilt nicht für die Tätigkeit der Kirchen, der Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften sowie ihrer Verbände und Einrichtungen.

(2) Dieses Gesetz gilt ferner nicht für

1.
Verfahren der Bundes- oder Landesfinanzbehörden nach der Abgabenordnung,
2.
die Strafverfolgung, die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten, die Rechtshilfe für das Ausland in Straf- und Zivilsachen und, unbeschadet des § 80 Abs. 4, für Maßnahmen des Richterdienstrechts,
3.
Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt und den bei diesem errichteten Schiedsstellen,
4.
Verfahren nach dem Sozialgesetzbuch,
5.
das Recht des Lastenausgleichs,
6.
das Recht der Wiedergutmachung.

(3) Für die Tätigkeit

1.
der Gerichtsverwaltungen und der Behörden der Justizverwaltung einschließlich der ihrer Aufsicht unterliegenden Körperschaften des öffentlichen Rechts gilt dieses Gesetz nur, soweit die Tätigkeit der Nachprüfung durch die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit oder durch die in verwaltungsrechtlichen Anwalts-, Patentanwalts- und Notarsachen zuständigen Gerichte unterliegt;
2.
der Behörden bei Leistungs-, Eignungs- und ähnlichen Prüfungen von Personen gelten nur die §§ 3a bis 13, 20 bis 27, 29 bis 38, 40 bis 52, 79, 80 und 96;
3.
der Vertretungen des Bundes im Ausland gilt dieses Gesetz nicht.

(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 45 unbeachtlich ist. Soweit der Widerspruch erfolglos geblieben ist, hat derjenige, der den Widerspruch eingelegt hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, zu erstatten; dies gilt nicht, wenn der Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt eingelegt wird, der im Rahmen

1.
eines bestehenden oder früheren öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses oder
2.
einer bestehenden oder früheren gesetzlichen Dienstpflicht oder einer Tätigkeit, die an Stelle der gesetzlichen Dienstpflicht geleistet werden kann,
erlassen wurde. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat (§ 73 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung) die Kostenentscheidung getroffen, so obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für Vorverfahren bei Maßnahmen des Richterdienstrechts.

(1) Hilft die Behörde dem Widerspruch nicht ab, so ergeht ein Widerspruchsbescheid. Diesen erläßt

1.
die nächsthöhere Behörde, soweit nicht durch Gesetz eine andere höhere Behörde bestimmt wird,
2.
wenn die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- oder oberste Landesbehörde ist, die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat,
3.
in Selbstverwaltungsangelegenheiten die Selbstverwaltungsbehörde, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt wird.
Abweichend von Satz 2 Nr. 1 kann durch Gesetz bestimmt werden, dass die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, auch für die Entscheidung über den Widerspruch zuständig ist.

(2) Vorschriften, nach denen im Vorverfahren des Absatzes 1 Ausschüsse oder Beiräte an die Stelle einer Behörde treten, bleiben unberührt. Die Ausschüsse oder Beiräte können abweichend von Absatz 1 Nr. 1 auch bei der Behörde gebildet werden, die den Verwaltungsakt erlassen hat.

(3) Der Widerspruchsbescheid ist zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und zuzustellen. Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes. Der Widerspruchsbescheid bestimmt auch, wer die Kosten trägt.

(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 45 unbeachtlich ist. Soweit der Widerspruch erfolglos geblieben ist, hat derjenige, der den Widerspruch eingelegt hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, zu erstatten; dies gilt nicht, wenn der Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt eingelegt wird, der im Rahmen

1.
eines bestehenden oder früheren öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses oder
2.
einer bestehenden oder früheren gesetzlichen Dienstpflicht oder einer Tätigkeit, die an Stelle der gesetzlichen Dienstpflicht geleistet werden kann,
erlassen wurde. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat (§ 73 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung) die Kostenentscheidung getroffen, so obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für Vorverfahren bei Maßnahmen des Richterdienstrechts.

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, soll diesem Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies gilt insbesondere, wenn von dem in der Steuererklärung erklärten Sachverhalt zuungunsten des Steuerpflichtigen wesentlich abgewichen werden soll.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint,
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde,
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll,
4.
die Finanzbehörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will,
5.
Maßnahmen in der Vollstreckung getroffen werden sollen.

(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.

(1) Hängt die Entscheidung ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, kann die Finanzbehörde die Entscheidung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung des Gerichts oder der Verwaltungsbehörde aussetzen.

(2) Die Finanzbehörde kann das Verfahren mit Zustimmung des Einspruchsführers ruhen lassen, wenn das aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint. Ist wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren bei dem Gerichtshof der Europäischen Union, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht anhängig und wird der Einspruch hierauf gestützt, ruht das Einspruchsverfahren insoweit; dies gilt nicht, soweit nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 oder Nr. 4 die Steuer vorläufig festgesetzt wurde. Mit Zustimmung der obersten Finanzbehörde kann durch öffentlich bekannt zu gebende Allgemeinverfügung für bestimmte Gruppen gleichgelagerter Fälle angeordnet werden, dass Einspruchsverfahren insoweit auch in anderen als den in den Sätzen 1 und 2 genannten Fällen ruhen. Das Einspruchsverfahren ist fortzusetzen, wenn der Einspruchsführer dies beantragt oder die Finanzbehörde dies dem Einspruchsführer mitteilt.

(3) Wird ein Antrag auf Aussetzung oder Ruhen des Verfahrens abgelehnt oder die Aussetzung oder das Ruhen des Verfahrens widerrufen, kann die Rechtswidrigkeit der Ablehnung oder des Widerrufs nur durch Klage gegen die Einspruchsentscheidung geltend gemacht werden.

(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 45 unbeachtlich ist. Soweit der Widerspruch erfolglos geblieben ist, hat derjenige, der den Widerspruch eingelegt hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, zu erstatten; dies gilt nicht, wenn der Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt eingelegt wird, der im Rahmen

1.
eines bestehenden oder früheren öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses oder
2.
einer bestehenden oder früheren gesetzlichen Dienstpflicht oder einer Tätigkeit, die an Stelle der gesetzlichen Dienstpflicht geleistet werden kann,
erlassen wurde. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat (§ 73 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung) die Kostenentscheidung getroffen, so obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für Vorverfahren bei Maßnahmen des Richterdienstrechts.

(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn

1.
der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird;
2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird;
3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird;
4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird;
5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.

(2) Handlungen nach Absatz 1 können bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.

(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, so gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 32 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.

(1) Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 45 unbeachtlich ist. Soweit der Widerspruch erfolglos geblieben ist, hat derjenige, der den Widerspruch eingelegt hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, zu erstatten; dies gilt nicht, wenn der Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt eingelegt wird, der im Rahmen

1.
eines bestehenden oder früheren öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses oder
2.
einer bestehenden oder früheren gesetzlichen Dienstpflicht oder einer Tätigkeit, die an Stelle der gesetzlichen Dienstpflicht geleistet werden kann,
erlassen wurde. Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, hat dieser selbst zu tragen; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

(3) Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat (§ 73 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung) die Kostenentscheidung getroffen, so obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für Vorverfahren bei Maßnahmen des Richterdienstrechts.

(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.

(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Finanzbehörde aber nicht erkennen lässt,
2.
den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann,
3.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
4.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 und Satz 2 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsakts vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 125 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn

1.
der für den Verwaltungsakt erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird,
2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird,
3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird,
4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsakts erforderlich ist, nachträglich gefasst wird,
5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.

(2) Handlungen nach Absatz 1 Nr. 2 bis 5 können bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.

(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsakts unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt worden, so gilt die Versäumung der Einspruchsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 110 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, soll diesem Gelegenheit gegeben werden, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies gilt insbesondere, wenn von dem in der Steuererklärung erklärten Sachverhalt zuungunsten des Steuerpflichtigen wesentlich abgewichen werden soll.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint,
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde,
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll,
4.
die Finanzbehörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will,
5.
Maßnahmen in der Vollstreckung getroffen werden sollen.

(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.

(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 125 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn

1.
der für den Verwaltungsakt erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird,
2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird,
3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird,
4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsakts erforderlich ist, nachträglich gefasst wird,
5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.

(2) Handlungen nach Absatz 1 Nr. 2 bis 5 können bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.

(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsakts unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt worden, so gilt die Versäumung der Einspruchsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 110 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.

Die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.

Gründe

I.

1

Die Klägerin, Eigentümerin mehrerer, mit zweigeschossigen Mehrfamilienwohnhäusern bebauter Grundstücke (Gemarkung G., Flur A, Flurstücke 38, 41, 26 und 28) im Verbandsgebiet des Beklagten, wendet sich gegen die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen.

2

Mit Bescheiden vom 7. Juni 2012 zog der Beklagte die Klägerin für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt an eine zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen waren, zu einem Beitrag für die Herstellung seiner Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung (Herstellungsbeitrag II) in Höhe von insgesamt 8.011,91 € heran. Mit Bescheiden vom 22. August 2012 mahnte der Beklagte die Klägerin und setzte darin Säumniszuschläge und Mahngebühren fest. Die gegen die Bescheide vom 22. August 2012 erhobenen Widersprüche der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 15. Januar 2013 zurück und zog sie mit Kostenfestsetzungsbescheiden vom selben Tag zu Kosten für den Erlass der Widerspruchsbescheide heran. Mit Widerspruchsbescheiden vom 15. Februar 2013 wies der Beklagte die Widersprüche der Klägerin gegen die Beitragsbescheide vom 7. Juni 2012 zurück.

3

Am 18. Februar 2013 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Halle Anfechtungsklage gegen die Beitragsbescheide, die Mahnbescheide sowie die Kostenfestsetzungsbescheide erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, ein Beitrag könne nicht gefordert werden, da nicht ersichtlich sei, welche Gegenleistung damit abgegolten werde. Die Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Beklagten sei nicht funktionstüchtig. Zudem widerspreche die Beitragserhebung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtssicherheit in der Gestalt der Gebote der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit. Die nunmehr in § 13b KAG LSA vorgesehene Verjährungshöchstfrist von 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage sei im Hinblick auf den Anschluss der Grundstücke an die Kanalisation in den 1930er Jahren längst abgelaufen. § 18 Abs. 2 KAG LSA sei nicht anwendbar. Hilfsweise rechne sie mit Ansprüchen auf Schadensersatz wegen Funktionsstörungen auf.

4

In der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2015 hat der Beklagte im Hinblick auf eine Änderung der Regelung für übergroße Wohngrundstücke in der Beitragssatzung die angegriffenen Beitragsbescheide geändert und den Beitrag auf insgesamt 7.976,28 € herabgesetzt; insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

5

Das Verwaltungsgericht Halle hat das Verfahren im Hinblick auf die Erledigungserklärungen teilweise eingestellt, die Beitragsbescheide aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Aufhebung der Beitragsbescheide hat das Gericht ausgeführt, die vom Beklagten herangezogene Beitragssatzung vom 9. März 2015 bilde keine taugliche Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung, weil es an einer wirksamen Regelung des Entstehens der (sachlichen) Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II fehle. Die Regelung in der Satzung, wonach die Beitragspflicht mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung für die entsprechenden Sachverhalte bereits zum 1. Januar 2010 entstehe, sei unwirksam, da sie gegen die höherrangige landesrechtliche Regelung in § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA verstoße. Früheres Satzungsrecht scheide als rechtliche Grundlage für die Beitragsbescheide ebenfalls aus.

6

Nachdem der Beklagte eine Beitragssatzung mit einer neuen Regelung über die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht erlassen und bekanntgemacht hatte, hat der Senat auf dessen Antrag mit Beschluss vom 17. November 2015 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

7

Der Beklagte macht zur Begründung seiner Berufung geltend, dass der vom Verwaltungsgericht festgestellte Satzungsfehler mit der Neufassung der Beitragssatzung geheilt worden sei. § 7 Abs. 1 dieser Satzung enthalte eine ausdrückliche Regelung zur Entstehung der Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag I und II. Im Übrigen habe das Verwaltungsgericht weitere Satzungsfehler nicht gesehen.

8

Der Beklagte beantragt,

9

das auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2015 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 4. Kammer - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

10

Die Klägerin beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Sie trägt vor, der Beklagte verfolge Ansprüche aus Beitragsbescheiden vom 7. Juni 2012 in der Gestalt der am 15. Februar 2013 ergangenen Widerspruchsbescheide. Da die neue Satzung rückwirkend zum 5. Oktober 2013 in Kraft getreten sei, habe es zu diesem Zeitpunkt keine wirksame Satzung gegeben, die Grundlage für ihre Heranziehung seien könnte.

13

Die Höhe der angeforderten Beiträge, zu der das Verwaltungsgericht keine Prüfung vorgenommen habe, werde bestritten. Die auf die Altanschlussnehmer umgelegten Kosten seien im Einzelnen nicht nachgewiesen. Der streitige Herstellungsbeitrag II, der angeblich nicht gedeckte Kosten betreffe, stelle Kosten für die laufende Unterhaltung und Instandsetzung von Abwasseranlagen dar, die über Benutzungsgebühren umzulegen seien.

14

Sie könne als Altanschlussnehmerin nicht für die Kosten der Neuanschlüsse der nach dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes angeschlossenen Grundstücke herangezogen werden, sondern nur für die bei Inkrafttreten des Gesetzes schon bestehenden Anschlüsse ihrer Grundstücke. Da für solche Investitionen nichts ersichtlich sei, trete eine Privilegierung der Neuanschlussteilnehmer ein. Die angegriffene Beitragssatzung nehme mit dem Herstellungsbeitrag II allein die Altanschlussteilnehmer für Maßnahmen in Anspruch, die allen Anschlussnehmern zugutekämen. Hierin liege ein eklatanter Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit und der Beitragsgerechtigkeit.

15

Weiter seien die Anforderungen verjährt. Die Anschlüsse ihrer Grundstücke hätten im Jahre 2002 bereits annähernd 70 Jahre bestanden, so dass § 13b KAG LSA einschlägig sei. Hinsichtlich des Vorteilsausgleichs sei nach der Gesetzesbegründung an die jeweilige zurückliegende technische Herstellung anzuknüpfen. Hierdurch werde für das Land Sachsen-Anhalt nicht der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Ansicht gefolgt, wonach der auszugleichende Vorteil darin sehen zu sei, dass mit Übernahme der Abwasserversorgung durch die Kommunen die Beitragspflichtigen eine (angeblich) gesicherte Abwasserversorgung erhalten würden. Diese Unterstellung werde nicht nur durch die Intention des Landesgesetzgebers widerlegt, sondern auch durch die Situation im konkreten Fall. Denn die Abwasserentsorgung ihrer Grundstücke sei seit der Inbetriebnahme in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts völlig unproblematisch gewesen, während seit der Übernahme durch den Beklagten ganz erhebliche Probleme aufgetreten seien.

16

Die Übergangsregelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA ändere nichts. Die Schlussfolgerungen, die das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 4. Juni 2015 (- 4 L 24/14 -) gezogen habe, griffen nicht. Denn dort sei es um einen Neuanschluss einer Straßenbeleuchtungsanlage im Jahr 1999 gegangen, für den es erst im Jahre 2003 eine gültige Straßenausbausatzung gegeben habe. Nach den Ausführungen des Gerichts in dem o.g. Verfahren komme es für das Entstehen einer Beitragspflicht nicht auf das Vorliegen einer wirksamen Beitragssatzung an, so dass ein Widerspruch zu seinen Bemerkungen bestehe, dass seine Rechtsprechung bisher immer eine wirksame Beitragssatzung voraussetze. In § 13b KAG LSA sei zudem klargestellt, dass die Beitragspflicht an den tatsächlichen Anschluss als Vorteilslage anknüpfe. Es handele sich um eine materielle Ausschlussfrist. Die Vorteilslage sei hier zu einem Zeitpunkt entstanden, für den die Ausschlussfrist auf jeden Fall eingreife, so dass eine Abgabenfestsetzung ausgeschlossen sei. Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Interpretation, wonach sich die Ausschlussfrist auf Grund der Regelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA auf bis zu 24,5 Jahre belaufen könne, stehe im krassen Gegensatz zu gefestigten Rechtsgrundsätzen. Vorteilsfälle, die weit in der Zeit vor dem Inkrafttreten des KAG LSA lägen, seien nach den zwingenden und auf jeden Fall zu berücksichtigenden Grundsätzen in der Verfassungsrechtsprechung, den Gesetzesmaterialien des Landesgesetzgebers sowie im KAG LSA und in der Beitragssatzung des Beklagten nicht beitragsfähig. Ansonsten greife das Kommunalabgabengesetz in einen Sachverhalt ein, der auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts vollständig abgeschlossen gewesen sei und der damit eine echte Rückwirkung darstelle. Eine Gesetzesauslegung, die eine solche Rückwirkung für zulässig erkläre, setze auch die jetzt im Gesetz festgeschriebene 10jährige materielle Ausschlussfrist außer Kraft. Dass hierfür eine Stütze in § 18 Abs. 2 KAG LSA gesehen werde, führe dazu, dass die verfassungskonforme Regelung in § 13b KAG LSA völlig außer Acht gelassen werde. Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Interpretation habe einen unlösbaren Widerspruch dieser Regelungen zur Folge. Damit werde eine völlig ungerechtfertigte Bevorzugung der fiskalischen Interessen der Verwaltung bewirkt. Das weite Ermessen des Gesetzgebers könne sich allenfalls auf die Bestimmung der Dauer der materiellen Ausschlussfrist beziehen. Dazu sei mit § 13b KAG LSA eine klare Regelung getroffen worden.

17

Die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. November 2015 (- 1 BvR 2691/14 - und - 1 BvR 3051/14 -) noch einmal hervorgehobenen Grundsätze für eine echte und somit unzulässige Rückwirkung träfen vollständig auch auf vorliegende Angelegenheiten zu. Dem könne nicht damit entgegengetreten werden, dass das Oberverwaltungsgericht schon immer als Anspruchsgrundlage vom Vorliegen einer wirksamen Satzung ausgegangen sei. Es komme nicht darauf an, wie die Gerichte die Rechtslage bisher beurteilt hätten, sondern wie es in der gesetzlichen Regelung tatsächlich fest verankert sei. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe zur Folge, dass die Neuregelungen in der Kommunalabgabenordnung eine neue gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in abgeschlossene Rechtsverhältnisse konstituierten.

18

Es werde beantragt, über die eingelegte Berufung nach durchgeführter mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.

II.

20

Der Senat entscheidet über die zulässige Berufung des Beklagten durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO, weil er sie einstimmig für begründet und bei geklärtem Sachverhalt keine mündliche Verhandlung für erforderlich hält. Das Verfahren wirft weder in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten auf noch bestehen erhebliche Unklarheiten in tatsächlicher Hinsicht.

21

Die Beteiligten wurden dazu angehört (§§ 130a Satz 2 i.V.m. 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Eine erneute Anhörung auf Grund der Schriftsätze der Klägerin vom 7. und 23. Januar 2016 sowie 8. Februar 2016 musste nicht erfolgen. Die Verfahrensbeteiligten sind nur dann durch eine erneute Anhörungsmitteilung von der fortbestehenden Absicht des Gerichts in Kenntnis zu setzen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn nach der entsprechenden Ankündigung ein erheblicher Beweisantrag gestellt wurde oder sich die prozessuale Lage des Rechtsstreits nach einer Anhörungsmitteilung wesentlich ändert, etwa dadurch, dass ein Prozessbeteiligter seinen bisherigen Sachvortrag in erheblicher Weise ergänzt oder erweitert (vgl. BVerwG, Beschlüsse v. 23. Juni 2011 - 9 B 94.10 -, v. 17. August 2010 - 10 B 19/10 - und v. 15. Mai 2008 - 2 B 77/07 - jeweils zit. nach JURIS). Eine solche möglicherweise entscheidungserhebliche Änderung der Prozesssituation lag nicht vor. Dass die Klägerin einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO - ohne neuen, erheblichen Sachvortrag oder zusätzliche Beweisangebote - ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7. Dezember 2015 - 1 B 66.15 -, zit. nach JURIS).

22

Die angefochtenen Beitragsbescheide des Beklagten vom 7. Juni 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15. Februar 2013 und der Änderungsbescheide vom 16. Juli 2015, die im Berufungsverfahren allein noch streitbefangen sind, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

23

Rechtsgrundlage der Bescheide über einen Anschlussbeitrag in der Gestalt des sog. besonderen Herstellungsbeitrages bzw. Herstellungsbeitrages II ist § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Möglichkeit der Inanspruchnahme der zentralen öffentlichen Abwasseranlagen und über die Kostenerstattung für Anschlusskanäle des Beklagten vom 31. August 2015 - BS -, die rückwirkend am 5. Oktober 2013 in Kraft getreten ist.

24

1. Nach welcher satzungsrechtlichen Grundlage der Beitrag zu bemessen ist, richtet sich nach dem geltenden Recht im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht. Die Beitragspflicht entsteht im Anschlussbeitragsrecht gem. § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA in der ab 9. Oktober 1997 geltenden Fassung - KAG LSA -, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung. Nach der vorher geltenden Fassung des § 6 Abs. 6 des Kommunalabgabengesetzes entstand die sachliche Beitragspflicht mit der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme. Werden in satzungsloser Zeit oder unter Geltung einer formell oder materiell unwirksamen Satzung die Anschlussvoraussetzungen für Grundstücke geschaffen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt zu beiden Gesetzesfassungen (vgl. Beschl. v. 3. Dezember 2012 - 4 L 59/13 -, zit. nach JURIS, m.w.N.) die sachliche Beitragspflicht für diese Grundstücke erst mit Inkrafttreten der ersten - wirksamen - Abgabensatzung entstehen. Für den sog. besonderen Herstellungsbeitrag bzw. Herstellungsbeitrag II gilt nichts anderes, da es sich dem Grunde nach um einen Herstellungsbeitrag i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA handelt (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 13. Juli 2006 - 4 L 127/06 -, zit. nach JURIS; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2228). Soweit in dem Urteil des beschließenden Senats vom 4. Juni 2015 (- 4 L 24/14 -, zit. nach JURIS) zu § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 16. April 1999 (GVBl. LSA S. 150) vertreten wird, dass in manchen Fällen eine Satzung vor der Entscheidung über die beitragsauslösende Maßnahme vorliegen muss, betrifft dies allein die Erhebung von (Straßen)Ausbaubeiträgen.

25

Die Satzung des Beklagten vom 31. August 2015 ist für die Grundstücke der Klägerin die erste wirksame Anschlussbeitragssatzung, da die vorher geltenden Beitragssatzungen des Beklagten keine taugliche Rechtsgrundlage dargestellt hatten.

26

Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil im Einzelnen dargelegt, dass sowohl die Beitragsatzung des Beklagten vom 12. November 2012 - auch in der Gestalt der 1. Änderungssatzung vom 9. September 2013 - als auch die Beitragssatzung des Beklagten vom 4. Februar 2002, zuletzt geändert durch die 4. Änderungssatzung vom 6. Dezember 2010, u.a. wegen eines Fehlers der Tiefenbegrenzungsregelung nichtig seien und weder geltend gemacht sei noch sonst dafür etwas ersichtlich, dass vorher erlassenes Satzungsrecht des Beklagten bzw. seines Rechtsvorgängers als Rechtsgrundlage für die angegriffenen Beitragsbescheide herangezogen werden könnte. Dem tritt der Beklagte nicht entgegen; Anhaltspunkte für eine abweichende Einschätzung liegen nicht vor. Weiter hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass die gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA notwendige Regelung zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II in der Beitragssatzung vom 9. März 2015 - BS 2015 - fehlte, da die in § 7 Abs. 3 BS 2015 getroffene Bestimmung nichtig war. Diese Beitragssatzung sollte rückwirkend zum 5. Oktober 2013 in Kraft treten (§ 16 BS 2015); die Festlegung eines Entstehenszeitpunktes der sachlichen Beitragspflicht auf den 1. Januar 2010 in § 7 Abs. 3 BS 2015 und damit auf einen Zeitpunkt vor dem Inkrafttreten der BS 2015 verstieß gegen § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA. Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass eine abweichende Auslegung der Satzungsbestimmung nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht möglich ist. Ohne eine wirksame Bestimmung über das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ist eine Beitragssatzung nichtig (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2012, a.a.O.).

27

Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ist für eine Heranziehung der neuen Satzung vom 31. August 2015 unschädlich, dass der Zeitpunkt des Erlasses der Beitragsbescheide und der Widerspruchsbescheide nicht von dem Geltungszeitraum der Satzung erfasst wird. Eine nachträglich erlassene Beitragssatzung kann auch dann als Rechtsgrundlage für einen vorher erlassenen Beitragsbescheid dienen, wenn sie sich keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe oder der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides beimisst. Eine auf Grund fehlender Satzungsgrundlage bestehende Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides wird durch die neue Satzung ex nunc geheilt; der Betroffene ist prozessrechtlich dadurch geschützt, dass er das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklären kann (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 11. September 2012 - 4 L 155/09 -, zit. nach JURIS; vgl. auch Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 173, m.w.N.).

28

2. Durchgreifende Bedenken an der formellen oder materiellen Rechtmäßigkeit der Beitragssatzung vom 31. August 2015 - BS - sind weder von der Klägerin substanziiert geltend gemacht noch nach dem im Berufungsverfahren maßgeblichen Prüfungsmaßstab sonst ersichtlich.

29

a) Soweit die Klägerin im Zulassungsverfahren pauschal die Ordnungsmäßigkeit der Bekanntmachung der Beitragssatzung bestritten hat, gibt es dafür keinerlei Anhaltspunkte. Die Satzung wurde entsprechend § 24 Abs. 1 Satz 1 der Verbandssatzung des Beklagten in den Amtsblättern der Stadt Landsberg und des Landkreises Anhalt-Bitterfeld vom 11. und 16. September 2015 veröffentlicht.

30

b) Die Satzung enthält - was von der Klägerin auch nicht in Zweifel gezogen wird - mit ihrem § 7 Abs. 1 eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Regelung über das Entstehen der (sachlichen) Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II. Danach entsteht die Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag I und II, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung.

31

c) Dass der in § 5 Abs. 2 BS festgesetzte Beitragssatz für den Herstellungsbeitrag II von 2,12 €/m2 gegen das Aufwandsüberschreitungsverbot des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 29. April 2010 - 4 L 341/08 -, zit. nach JURIS) verstößt, ist weder hinreichend geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Berechnung des Beitragssatzes und damit die Höhe der auf die Altanschlussnehmer umgelegten Aufwendungen ergibt sich aus der vom Beklagten erstellten Beitragskalkulation, auf welche der Beklagte in den Widerspruchsbescheiden vom 15. Februar 2013 Bezug genommen hat. Gegen diese Kalkulation erhebt die Klägerin keine substanziierten Einwendungen. Für ihre pauschale Behauptung, mit dem erhobenen Beitrag würden „Kosten für die laufende Unterhaltung und Instandsetzung von Abwasseranlagen“ bzw. „durchlaufende Betriebskosten“ erhoben, die über Benutzungsgebühren umzulegen seien, gibt es keinerlei Anhaltspunkte; Belege nennt die Klägerin nicht. Demgegenüber hat der Beklagte in den Widerspruchsbescheiden ausdrücklich ausgeführt, in die Kalkulation seien nur die beitragsfähigen Investitionskosten eingeflossen.

32

d) Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit geltend macht, verkennt sie schon die rechtlichen Grundlagen.

33

Wie oben dargelegt handelt es sich bei dem Herstellungsbeitrag II dem Grunde nach um einen Herstellungsbeitrag i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA, der sich lediglich wegen der Regelung in § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA von einem „normalen“ Herstellungsbeitrag unterscheidet. § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA bestimmt zum einen, dass für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG LSA am 16. Juni 1991 an eine zentrale öffentliche leitungsgebundene Entsorgungsanlage angeschlossen waren oder eine Anschlussmöglichkeit hatten, in Abweichung von § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA eine Beitragspflicht i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA nicht für Investitionen entsteht, die vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt abgeschlossen worden sind. Zum anderen folgt aus der Regelung, dass bei der Bemessung des besonderen Herstellungsbeitrages für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes angeschlossen waren oder angeschlossen werden konnten, d.h. bei der Ermittlung der nach dem 15. Juni 1991 getätigten Investitionen, der Aufwand für die nach diesem Zeitpunkt neu erschlossenen oder zu erschließenden Gebiete unberücksichtigt bleiben muss (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 13. Juli 2006, a.a.O.). Danach gehört zum beitragsfähigen Aufwand beim Herstellungsbeitrag II der gesamte Aufwand, der notwendig ist, um die jeweilige öffentliche leitungsgebundene Einrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA entsprechend dem Abwasserbeseitigungskonzept zu schaffen und es ist lediglich der Aufwand abzuziehen, der notwendig geworden ist, um nach dem 15. Juni 1991 (Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes) erstmals Grundstücken eine Anschlussmöglichkeit zu bieten (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 19. Mai 2005 - 1 L 252/04 - und Urt. v. 28. Oktober 2009 - 4 L 117/07 - jeweils zit. nach JURIS; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2225).

34

Der Vorteil, der durch den Herstellungsbeitrag II abgegolten werden soll, ist Eigentümern von tatsächlich schon vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt angeschlossenen Grundstücken daher - wie bei dem allgemeinen Herstellungsbeitrag - erst in dem Zeitpunkt zugeflossen, in dem ihnen erstmals der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden ist, ihr Schmutzwasser mittels einer nach Inkrafttreten des Gesetzes geschaffenen öffentlichen Einrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA entsorgen zu können (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 4. Dezember 2003 - 1 L 226/03 -, zit. nach JURIS; Beschl. v. 18. November 2004 - 1 M 61/04 -; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2220f.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 15. April 2015 - 9 C 19.14 -, zit. nach JURIS). Dieser Vorteil knüpft gerade nicht an eine tatsächliche Anschlussnahme von Grundstücken an, die vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes erfolgt ist, so dass es auf das Vorbringen der Klägerin zu den Unterschieden in der Qualität der tatsächlichen Abwasserentsorgung ihrer Grundstücke nicht ankommt.

35

Es ist auch weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich, dass der Beklagte in die Beitragskalkulation für den Herstellungsbeitrag II Investitionen einbezogen hat, die vor dem 15. Juni 1991 abgeschlossen waren, oder Aufwand für nach dem 15. Juni 1991 geschaffene Anlagenteile, der dazu dient, neue Flächen durch die zentrale Abwasserentsorgungsanlage zu erschließen. Dafür bestehen angesichts der Höhe des in § 5 Abs. 1 BS festgesetzten Beitragssatzes von 10,23 €/m2 für den allgemeinen Herstellungsbeitrag auch keinerlei Anhaltspunkte.

36

3. Die Voraussetzungen für die Erhebung eines Herstellungsbeitrages II sind nach der Beitragssatzung des Beklagten erfüllt.

37

Die Grundstücke der Klägerin verfügten i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 3 BS am 15. Juni 1991 über einen Anschluss an eine bestehende, nicht lediglich provisorische zentrale öffentliche Abwasserbehandlungsanlage und hatten unstreitig i.S.d. § 7 Abs. 1 BS nach diesem Zeitpunkt eine Anschlussmöglichkeit an die gem. § 1 Abs. 1 Ziffer 1 der Entwässerungssatzung des Beklagten geschaffene Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung des Beklagten.

38

Soweit die Klägerin vorträgt, die tatsächliche Schmutzwasserentsorgung ihrer Grundstücke durch die Einrichtung des Beklagten sei immer wieder gestört, steht dieser Einwand einer Beitragserhebung nicht entgegen. Denn der Beitrag wird gem. § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA schon für die Möglichkeit der Inanspruchnahme erhoben. Dass eine ordnungsgemäße Schmutzwasserentsorgung ihrer Grundstücke auf Grund natürlicher Gegebenheiten technisch ausgeschlossen ist oder zu unzumutbaren Belastungen führt, ist weder ersichtlich noch von der Klägerin geltend gemacht.

39

Einwände gegen die Berechnung des Beitrages sind nicht substanziiert geltend gemacht; Fehler sind insoweit auch nicht ersichtlich. Das pauschale Bestreiten „der Höhe der angeforderten Beiträge“ durch die Klägerin ist nicht ausreichend.

40

Soweit sie im Klageverfahren eine hilfsweise Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen vorgenommen hat, steht dem gem. § 13a Abs. 1 Satz 5 KAG LSA i.V.m. § 226 Abs. 3 AO schon entgegen, dass diese Gegenansprüche weder unbestritten noch rechtskräftig festgestellt sind.

41

4. Die angefochtenen Bescheide vom 7. Juni 2012 sind nicht in festsetzungsverjährter Zeit erlassen worden.

42

Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. den §§ 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO ist eine Abgabenfestsetzung - vorbehaltlich der Feststellbarkeit des Beitragspflichtigen nach § 6 Abs. 8 KAG LSA - nicht mehr zulässig, wenn die für Kommunalabgaben maßgebliche Festsetzungsfrist von vier Jahren abgelaufen ist, wobei die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Abgabe entstanden ist. Da die sachliche Beitragspflicht für die Grundstücke der Klägerin erst mit der Beitragssatzung vom 31. August 2015 entstanden sein kann, die rückwirkend zum 5. Oktober 2013 in Kraft getreten ist, ist die Festsetzungsverjährungsfrist nicht abgelaufen.

43

5. Eine Beitragserhebung wird auf Grund der Regelung des § 18 Abs. 2 i.V.m. § 13b KAG LSA durch das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht ausgeschlossen.

44

Dieses Gebot schützt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davor, dass lange zurück liegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden könnten. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicher zu stellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Die Legitimation von Beiträgen liege - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen sei. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei stehe ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 -, zit. nach JURIS). Danach ist eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar (so BVerwG, Beschl. v. 26. August 2013 - 9 B 13.13 -, zit. nach JURIS; vgl. auch Urt. v. 15. April 2015, a.a.O. und Urt. v. 20. März 2014 - 4 C 11.13 -, zit. nach JURIS). Das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gilt für alle Fallkonstellationen, in denen eine abzugeltende Vorteilslage eintritt, die daran anknüpfenden Abgaben aber wegen des Fehlens sonstiger Voraussetzungen nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können (so BVerwG, Urt. v. 20. März 2014, a.a.O.) und damit für das gesamte Beitragsrecht (so BVerwG, Urt. v. 15. April 2015, a.a.O.).

45

Zwar sind sowohl § 6 Abs. 6 KAG a.F. als auch § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA - in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 6. Oktober 1997 (GVBl. LSA S. 878) wie auch in der inhaltgleichen Fassung des Änderungsgesetzes vom 16. April 1999 (GVBl. LSA S. 150) - in der bisher vorgenommenen Auslegung auf Grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit im Anschlussbeitragsrecht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2014, a.a.O.). Denn beide Regelungen ermöglichten in der bisherigen Auslegung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt, wonach die sachliche Beitragspflicht mit der ersten wirksamen Beitragssatzung entsteht, eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von Anschlussbeiträgen.

46

Dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit tragen aber die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA, die durch Art. 1 Nr. 9 und 12 des Gesetzes zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2014 (GVBl. LSA S. 522) eingefügt worden und am 24. Dezember 2014 in Kraft getreten sind, hinreichend Rechnung (so schon OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 4. Juni 2015, a.a.O.). Danach ist eine Abgabenfestsetzung unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit dem Ablauf des 10. Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen (§ 13b Satz 1 KAG LSA). Die nach Maßgabe des § 13b zu bestimmende Ausschlussfrist endet nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (§ 18 Abs. 2 KAG LSA). Damit hat der Gesetzgeber eine zeitliche Obergrenze für die Festsetzung von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben eingeführt und auf diese Weise den bislang bestehenden verfassungswidrigen Zustand beseitigt.

47

Die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA berücksichtigen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich einerseits und die Interessen des Einzelnen an Rechtssicherheit. Die gewählte Ausschlussfrist von grundsätzlich 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage, die jedoch nicht vor dem Ende des Jahres 2015 abläuft und daher im Einzelfall auf Grund des erstmaligen Inkrafttretens des KAG LSA im Jahre 1991 bis zu 24,5 Jahre betragen kann, hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber insoweit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 5. März 2013, a.a.O.) zustehenden weiten Gestaltungsspielraums und belastet die Abgabenpflichtigen nicht unzumutbar (vgl. VG Halle, Urt. v. 13. März 2015 - 4 A 13/15 HAL -; VG Magdeburg, Urt. vom 26. März 2015 - 9 A 253/14 MD -; Bücken-Thielmeyer/Fenzel, LKV 2014, 241, 244f, 248; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2254; Driehaus, KStZ 2014, 181, 184f.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16. Juli 2014 - OVG 9 N 69.14 - zu § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG BB, zit. nach JURIS; Martini, NVwZ-Extra 2014, S. 1, 8ff., 12; vgl. weiter § 3a Abs. 3 Satz 2 SächsKAG; a.M.: Beck/Neumann, DWW 2015, 362, 370ff., 374; vgl. auch Möller, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2015h ff.; Rottenwallner, KStZ 2014, 189, 194ff.). Zum einen unterschreitet sie die auch dem öffentlichen Recht nicht fremde dreißigjährige Verjährungsfrist (vgl. etwa § 53 Abs. 2 VwVfG), gegen deren grundsätzliche Anwendbarkeit im öffentlichen Recht aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens keine Bedenken bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11. Dezember 2008 - 3 C 37.07 -, zit. nach JURIS, m.w.N.; vgl. auch Urt. v. 20. März 2014 - 4 C 11.13 -, zit. nach JURIS) und die einen Maßstab für die Bestimmung einer Ausschlussfrist darstellt (vgl. Driehaus, KStZ 2014, 184f.; vgl. auch Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O., S. 244: äußerste Grenze). Zudem wirkt der Vorteil, der durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer Einrichtung vermittelt wird, lange in die Zukunft fort, während ein besonderes wirtschaftliches Interesse der Abgabepflichtigen an einer möglichst zeitnahen Geltendmachung des Beitragsanspruchs nicht besteht, sondern deren Interesse nur darin liegt, erkennen zu können, wann mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen ist (VG Halle, Urt. v. 13. März 2015, a.a.O.; Driehaus, KStZ 2014, 185; VGH Bayern, Urt. v. 12. März 2015 - 20 B 14.1441 -; VG Cottbus, Urt. v. 10. April 2014 - 6 K 370/13 -, jeweils zit. nach JURIS). Schließlich sind die nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit bestehenden Schwierigkeiten beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung sowie die sonstigen Schwierigkeiten, in einem neuen Bundesland wie Sachsen-Anhalt überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, in Rechnung zu stellen (VG Halle, Urt. v. 13. März 2015, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 15. April 2015 - 9 C 19.14 -, zit. nach JURIS: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16. Juli 2014, a.a.O.) und der Umstand, dass die abgabenerhebenden Körperschaften in Sachsen-Anhalt jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 auf Grund der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt darauf vertrauen durften, nicht wirksam entstandene Forderungen zeitlich grundsätzlich unbegrenzt geltend machen zu können (vgl. auch Martini, a.a.O., S. 12).

48

Die abgabenerhebenden Körperschaften werden durch die 10-Jahres-Ausschlussfrist, die zwar (teilweise deutlich) kürzer ist als vergleichbare Regelungen in anderen Bundesländern, ebenfalls nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise (vgl. dazu Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O. S. 245ff.) belastet (wohl a.M.: Driehaus, KStZ 2014, 185). Auch wenn es aus den verschiedensten Gründen zu einer Verzögerung der Erhebung von Abgaben kommen kann, die der zuständigen Körperschaft nicht anzulasten ist, durfte der Gesetzgeber mit der gewählten Frist, die jedenfalls mehr als doppelt so lang ist wie die Festsetzungsverjährungsfrist, die Interessen des einzelnen Abgabenschuldners sehr hoch gewichten. Weder werden dadurch die abgabenerhebenden Körperschaften in ihrer Finanzhoheit als Ausprägung des Rechts der kommunalen Selbstverwaltung verletzt noch ist das Gleichheitsgebot in seiner Ausprägung als Grundsatz der Abgabengerechtigkeit beeinträchtigt. Im Gesetzgebungsverfahren haben die Interessenverbände insoweit gerade keine durchgreifenden Einwendungen erhoben, sondern nur für eine längere Übergangsfrist plädiert. Durch § 18 Abs. 2 KAG LSA ist hinreichend sichergestellt, dass Altverfahren noch fristgerecht abgeschlossen werden können. Denn die abgabenerhebenden Körperschaften mussten schon seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 mit einer gesetzgeberischen Regelung rechnen.

49

Die vorgesehene Ausschlussfristenregelung ermöglicht damit einerseits die Sicherung der Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen und schränkt andererseits die Abgabenerhebung nach Eintritt der Vorteilslage zeitlich ein, nämlich auf einen Zeitraum von höchstens 24,5 Jahren. Insoweit enthält sie einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und des einzelnen Abgabenpflichtigen an Rechtssicherheit. Auch der Umstand, dass die "Übergangsregelung" in § 18 Abs. 2 KAG LSA sogenannte "Altfälle", bei denen die die Ausschlussfrist frühestens am 31. Dezember 2015 endet, gegenüber den Abgabenpflichtigen benachteiligt, bei denen die Vorteilslage erst nach 2005 eingetreten ist, führt unter Berücksichtigung von Art. 3 GG nicht zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Denn nach dem Vorhergesagten besteht jedenfalls ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung.

50

Auch den von der Klägerin und einzelnen Literaturstimmen sonst genannten Einwendungen gegen die Übergangsfrist des § 18 Abs. 2 KAG LSA ist nicht zu folgen. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin kommt dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum nicht nur hinsichtlich der (zeitlichen) Ausgestaltung einer allgemeinen Ausschlussfrist zu, sondern auch hinsichtlich der Einräumung einer besonderen Übergangsfrist. Diesen Spielraum hat der Landesgesetzgeber (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-DrS 6/3419 vom 10. September 2014, S. 23) ausdrücklich genutzt und darauf abgestellt, dass die kommunalen Aufgabenträger erst mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 von einer neuen Rechtslage auszugehen hatten. Soweit das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung ausdrücklich gerügt hat, die Verjährung des in Rede stehenden Anschlussbeitrages könne nach den bisherigen gesetzlichen Regelungen unter Umständen „erst Jahrzehnte“ nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen, folgt daraus keine Absage an die Bestimmung einer Ausschlussfrist, die im Einzelfall zwanzig Jahre überschreiten kann. Zum einen wurde diese Aussage zu Regelungen im bayerischen Kommunalabgabengesetz über die (Festsetzungs)Verjährung getroffen, die gerade keine Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers enthielten. Zum anderen entfaltet § 18 Abs. 2 KAG LSA nur für einen Übergangszeitraum Geltung und ist durch landesspezifische Umstände gerechtfertigt. Beide Erwägungen hatte das Bundesverfassungsgericht zu dem damals streitigen bayerischen Kommunalabgabengesetz nicht zu berücksichtigen. Auch dass den Problemen bei der Bildung von Aufgabenträgern in Sachsen-Anhalt durch zwei Heilungsgesetze im Kommunalabgabenrecht Rechnung getragen wurde, hindert nicht eine Berücksichtigung der sonstigen Schwierigkeiten, überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, sowie eine Berücksichtigung der bis zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geltenden letztinstanzlichen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts. Soweit eine Geltendmachung von Fehlern der Abgabenfestsetzung durch den herangezogenen Abgabepflichtigen infolge des Zeitablaufs seit Entstehen der Vorteilslage (z.B. durch natürliche Änderungen der tatsächlichen Umstände oder Eigentümerwechsel) erschwert sein sollte, ist dem schon im Rahmen der Darlegungsverpflichtungen und der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen.

51

Die Regelungen der §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA sind anzuwenden, obwohl vor Inkrafttreten dieser Normen sowohl die sachliche Beitragspflicht entstanden ist als auch die angefochtenen Beitragsbescheide erlassen worden sind. Es handelt sich dabei um Regelungen, mit denen - wie § 18 Abs. 2 KAG LSA klarstellt - eine Ausschlussfrist festgesetzt wird (vgl. auch Driehaus, KStZ 2014, 183, m.w.N.; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2254). Deren umfassende Anwendbarkeit ergibt sich aus Sinn und Zweck dieser Vorschriften, der darin besteht, der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen und eine zeitliche Obergrenze für die Beitragserhebung im Kommunalabgabengesetz vorzusehen, um die Beitragserhebung verfassungsrechtlich sicher zu gestalten (vgl. Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 10. September 2014, LT-DrS 6/3419, S. 3; VG Halle, Urt. v. 13. März 2015, a.a.O.; vgl. auch VG Magdeburg, Urt. v. 26. März 2015, a.a.O.).

52

Da die streitbefangenen Beitragsbescheide vor Ende des Jahres 2015 erlassen worden sind, ist die Ausschlussfrist des § 13b KAG LSA jedenfalls gem. § 18 Abs. 2 KAG LSA gewahrt.

53

Es kann danach offen bleiben, zu welchem Zeitpunkt für die Grundstücke der Klägerin die Vorteilslage i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2014, a.a.O.; vgl. auch Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2255; Driehaus, KStZ 2014, 181, 183f.; Martensen, LKV 2014, 446, 451ff.) entstanden ist. Jedenfalls ist nach den obigen Darlegungen diese Vorteilslage nicht schon mit der tatsächlichen Anschlussnahme der Grundstücke an eine zentrale Entsorgungsanlage vor dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes erfolgt, da es sich dabei um eine beitragsrelevante Vorteilslage handeln muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. April 2015, a.a.O.). Auch aus dem Gesetzeswortlaut oder den „Intentionen“ des Gesetzgebers folgt im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin nichts anderes. In dem Gesetzentwurf der Landesregierung (LT-DrS 6/3419 vom 10. September 2014, S. 22f.) wird jeweils nur auf die „Vorteilslage“ bzw. die „tatsächliche Vorteilslage“ abgestellt. Soweit der Begriff „technische Herstellung“ verwendet wird (S. 3), bezieht er sich - wie aus dem Zusammenhang deutlich wird - auf den Vorteilsausgleich i.S.d. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dass nach den Angaben der Klägerin die tatsächliche Schmutzwasserentsorgung ihrer Grundstücke durch die Einrichtung des Beklagten immer wieder gestört sei, führt von vornherein nicht dazu, den Eintritt der Vorteilslage schon früher anzunehmen.

54

Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob bei einer Beitragsfestsetzung, die vor einem nach den §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA maßgebenden Zeitpunkt erfolgt ist, der Erlass der als Rechtsgrundlage heranzuziehenden Beitragssatzung nach diesem Zeitpunkt - möglicherweise auch verbunden mit einer Entstehung der sachlichen Beitragspflicht erst nach dem Zeitpunkt - zur Folge hat, dass die Ausschlussfrist nicht eingehalten ist (vgl. dazu Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2254 a.E.). Denn die heranzuziehende Beitragssatzung des Beklagten ist vor dem 31. Dezember 2015 erlassen worden, und auch die sachliche Beitragspflicht ist vor diesem Zeitpunkt entstanden.

55

6. Die im Anschlussbeitragsrecht geltenden Regelungen des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt haben auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (- 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 -, zit. nach JURIS) zu dem Kommunalabgabengesetz Brandenburg keine unzulässige Rückwirkung zur Folge.

56

Eine Rechtsnorm entfaltet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 12. November 2015, a.a.O., m.w.N. und Beschl. v. 2. Mai 2012 - 2 BvL 5/10 -, zit. nach JURIS, m.w.N.) echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll. Eine unechte Rückwirkung liegt dagegen vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet, so wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung").

57

a) Dass Grundstücke auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes zu Anschlussbeiträgen herangezogen werden, die schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 15. Juni 1991 eine Anschlussmöglichkeit an eine zentrale öffentliche leitungsgebundene Schmutzwasserentsorgungsanlage hatten, stellt entgegen der Auffassung der Klägerin schon deshalb keine unzulässige Rückwirkung dar, weil - wie oben dargelegt - damit nur an eine erst nach dem 15. Juni 1991 entstandene Vorteilslage durch die Anschlussmöglichkeit an eine nach diesem Zeitpunkt geschaffene öffentliche Einrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA angeknüpft wird.

58

b) Der mit Änderungsgesetz vom 6. Oktober 1997 (GVBl. LSA S. 878) eingeführte § 6 Abs. 6 Satz 2 entfaltet ebenfalls keine unzulässige Rückwirkung (so auch VG Halle, Urt. v. 25. Januar 2016 - 4 A 10/15 HAL -; a.M. wohl: Beck/Neumann, a.a.O., S. 364 Fn. 25, 374). Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA gegenüber der vorher geltenden Rechtslage nach § 6 Abs. 6 KAG LSA a.F. lediglich klarstellend verdeutliche, dass die sachliche Beitragspflicht im Anschlussbeitragsrecht unabhängig vom Abschluss der Baumaßnahme und der Begründung der Vorteilslage nicht vor Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung entsteht (so Urt. v. 6. März 2003 - 1 L 318/02 -, m.w.N.; Beschl. v. 23. Oktober 2000 - 1 M 209/00 -; Beschl. v. 10. November 1999 - B 3 S 29/98 -; Beschl. v. 25. Januar 2011 - 4 L 234/09 -; vgl. auch Beschl. v. 19. Februar 1998 - B 2 S 141/97 - zit. nach JURIS; vgl. weiter Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2202, m.w.N.). Dass nach der Gesetzesbegründung (LT-DrS 2/3895 v. 26. August 1997, S. 7) zu § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA „ein Hinausschieben der Entstehung der Beitragspflicht frühestens auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten rechtsgültigen Satzung“ erforderlich gewesen sei, um möglichen Beitragsausfällen oder Rückforderungen vorzubeugen, führt zu keiner anderen Auslegung. Ein Gesetz kann auch rein deklaratorische Wirkung haben, um das klarzustellen, was sich aus anderen Regelungen, wenn auch nicht ausdrücklich, bereits ergibt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 19. Februar 1998, a.a.O.). Daher fehlt es von vornherein schon an einem Anknüpfungspunkt für die Annahme einer (echten oder unechten) Rückwirkung, da die Rechtslage sich durch das Änderungsgesetz nicht geändert hat. Grundsätzlich liegt keine Rückwirkung vor, wenn eine Neuregelung deklaratorischer Art ist, also nur bestätigt, was von vornherein aus der verkündeten ursprünglichen Norm folgte (BVerfG, Beschl. v. 2. Mai 2010, a.a.O.).

59

Dass § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA dem Wortlaut nach im Wesentlichen der Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. entspricht, deren Abänderung durch die Einführung des Begriffes „rechtswirksam“ vor dem Wort „Satzung“ mit einem Änderungsgesetz vom 17. Dezember 2003 das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 12. November 2015 (a.a.O.) hinsichtlich der Fälle, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. nicht (mehr) erhoben werden konnten, als unzulässige Rückwirkung angesehen hat, steht dem nicht entgegen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in dem Änderungsgesetz deshalb eine konstitutive Änderung der Rechtslage bzw. einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes gesehen, weil das Oberverwaltungsgericht Brandenburg § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. in ständiger Rechtsprechung (seit Urt. v. 8. Juni 2000 - 2 D 29/98.NE -, zit. nach JURIS) so ausgelegt hatte, dass es für den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht und damit auch für den Zeitpunkt des Verjährungsbeginns lediglich auf das formelle Inkrafttreten der ersten - möglicherweise unwirksamen - Beitragssatzung, nicht aber auf das Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung ankam (vgl. dazu auch Herrmann, LKV 2016, 54ff.). Eine vergleichbare „Korrektur“ der die Festsetzungsverjährung betreffenden Rechtsprechung durch den Gesetzgeber erfolgte - schon im Hinblick darauf, dass das Oberverwaltungsgericht stets auf das Erfordernis einer wirksamen Satzung abgestellt hatte - in Sachsen-Anhalt gerade nicht.

60

Es muss daher nicht entschieden werden, ob selbst bei der Annahme einer Änderung der Rechtslage durch § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA vorliegend deshalb keine Rückwirkung eingetreten wäre, weil für die klägerischen Grundstücke bis zum Inkrafttreten des § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA keine öffentliche Einrichtung zur Schmutzwasserentsorgung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA existierte (vgl. VG Halle, Urt. v. 25. Januar 2016 - 4 A 10/15 HAL -).

61

c) Den §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA kommt danach schließlich auch keine (echte oder unechte) Rückwirkung zu. Auf Grund dieser Bestimmungen treten schon keine Rechtsfolgen mit belastender Wirkung ein, da die Rechtsprechung in Sachsen-Anhalt keine Ausschlussfrist angenommen hatte, innerhalb derer die abgabenerhebende Körperschaft nach dem Entstehen einer Vorteilslage die Abgabe festzusetzen hatte. Die Neuregelungen, mit denen eine solche Ausschlussfrist erstmalig eingeführt wird, haben für die betroffenen Abgabenpflichtigen daher allein eine begünstigende Wirkung.

62

Selbst wenn man aber den §§ 13b, 18 KAG LSA eine unechte Rückwirkung unterstellte, läge ein - für die Annahme der Verfassungswidrigkeit notwendiger - Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht vor. Die noch nicht herangezogenen Abgabenpflichtigen konnten weder vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 noch danach darauf vertrauen, dass ihnen gegenüber auf Grund eines langen Zeitraumes seit Entstehen einer Vorteilslage keine Abgabe mehr festgesetzt werden könnte. Insoweit kam es allein darauf an, ob und in welcher Weise der Landesgesetzgeber auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts reagieren würde.

63

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

64

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Beschlusses folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

65

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.

66

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.


Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kostenschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten des Kostengläubigers abzuwenden, wenn nicht der Kostengläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Nacherhebung eines Anschlussbeitrages für die Schmutzwasserbeseitigung.

2

Der Kläger ist Eigentümer des mit einem zweigeschossigen Einfamilienhaus und einem Ferienhaus bebauten und 2.191 qm großen Grundstücks Gemarkung ##, Flur #, Flurstück ###. Es ist an die von der Gemeinde Zingst betriebene zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen. Mit Bescheid vom 28. Juni 1995 hatte der Beklagte den Kläger zu Anschlussbeiträgen in Höhe von 5.076,36 EUR (9.928,50 DM) herangezogen, mit Nachveranlagungsbescheid vom 15. Oktober 1999 zu weiteren 1.514,47 (2.962,05 DM). Der Berechnung des Beitrages gemäß Bescheid vom 28. Juni 1995 war eine Grundstücksfläche von 1.500 m² (x 4,65 DM = 6.975,00 DM) und eine Geschossfläche von 179 m² (x 16,50 DM = 2.953,50 DM) zugrunde gelegt worden. Der Nachveranlagungsbescheid vom 15. Oktober 1999 legte eine beitragspflichtige Grundstücksfläche von 2.137 m² zugrunde (2.191 abzüglich 54 m² Wasserfläche), von der die bereits veranlagte Fläche von 1.500 m² in Abzug gebracht wurde. Den Betrag von 5.076,36 EUR zahlte der Kläger. Ein gegen den Bescheid vom 15. Oktober 1999 anhängig gemachtes Klageverfahren (VG Greifswald, Az. 3 A 1288/01) ist nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt worden.

3

Mit dem streitgegenständlichen Änderungsbescheid vom 16. Juni 2003 zum Nachveranlagungsbescheid vom 15. Oktober 1999 setzte der Beklagte im Wege der Nacherhebung einen Anschlussbeitrag in Höhe von 12.263,10 EUR fest. Im Bescheid heißt es, die Differenz zwischen dem bereits gezahlten und dem neu festgesetzten Anschlussbeitrag betrage 7.186,74 .

4

Auf den unter dem 23. Juni 2003 dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers reduzierte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2004, zugestellt am 18. August 2004, den zu zahlenden Beitrag auf 3.656,80 EUR und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte u.a. aus, die bereits 1995 veranlagte Teilfläche von 1.500 m² habe wegen des Grundsatzes der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht erneut veranlagt werden dürfen. Für die Restfläche von 637 m² errechne sich eine beitragspflichtige Fläche von 891,80 m² (erstes Vollgeschoss: 100 %, zweites Vollgeschoss: 40 % - § 4 Abs. 3 der Abwasserbeitragssatzung). Bei einem Beitragssatz von 4,10 EUR ergebe sich ein Nacherhebungsbeitrag von 3.656,38 EUR.

5

Dagegen hat der Kläger am 20. September 2004 (Montag) Klage erhoben.

6

Zu ihrer Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt,

7

seine Heranziehung sei rechtswidrig. Es fehle an einer wirksamen Satzungsgrundlage. Die Abwasserbeitragssatzung des Beklagten vom 10. April 2003 sei bereits nicht ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden. Der "Zingster Strandbote", jedenfalls dessen Ausgabe vom April 2003, genüge wegen eines Verstoßes gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 und 4 KV-DVO a. F nicht den gesetzlichen Anforderungen für ein amtliches Bekanntmachungsblatt. Die Satzung sei auch materiell-rechtlich unwirksam. §4 Abs. 2 Buchst. d ABS verstoße gegen den Gleichheitssatz. Zudem halte § 3 Abs. 2 ABS einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, indem die Bestimmung ein Abweichen vom Buchgrundstücksbegriff zugunsten des wirtschaftlichen Grundstücksbegriffes auch dann zulasse, wenn die Anwendung des Buchgrundstücksbegriffes nicht zu gröblich unangemessenen Ergebnissen führen würde. Die Satzungsanwendung sei ebenfalls fehlerhaft. Eine Nacherhebung sei wegen des Grundsatzes der Einmaligkeit der Beitragserhebung unzulässig.

8

Der Kläger hat beantragt,

9

den Beitragsbescheid des Beklagten vom 16.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2004 aufzuheben.

10

Der Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Er hat vorgetragen,

13

die formell-rechtlichen Einwände gegen die Wirksamkeit der Abwasserbeitragssatzung seien unbegründet. Gleichwohl sei der "Zingster Strandbote" in seinem Erscheinungsbild geändert und die Abwasserbeitragssatzung im Februar 2005 vorsorglich erneut bekannt gemacht worden. § 4 Abs. 2 Buchst. d ABS verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Es sei rechtlich zulässig, die Grenze der baulichen oder gewerblichen Nutzung bei der am weitesten entfernten Gebäudegrenze zu ziehen. Außerdem gebe es in der Gemeinde Zingst keine übergreifende, nicht-bauliche gewerbliche Nutzung und damit den vom Kläger angesprochenen Fall nicht. Auch § 3 Abs. 2 ABS sei nicht zu beanstanden. Die Regelung sei auch kein einziges Mal angewendet, sondern stets das Grundstück im grundbuchrechtlichen Sinne zugrundegelegt und herangezogen worden.

14

Mit dem angefochtenen Urteil vom 20. September 2006 - 3 A 2268/04 - hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der rechtmäßige Bescheid finde seine Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Gemeinde Seeheilbad Zingst (Abwasserbeitragssatzung) vom 10. April 2003, bekanntgemacht durch Veröffentlichung im "Zingster Strandboten" vom 16. April 2003. Die Vorgängersatzungen vom 26. Juni 1993 und

15

24. Mai 1996 seien unwirksam und schieden deswegen als Rechtsgrundlage aus.

16

Die Abwasserbeitragssatzung vom 10. April 2003 sei rechtswirksam. Sie sei ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 der Hauptsatzung der Gemeinde Ostseebad Zingst vom 07. Dezember 2001 erfolgten öffentliche Bekanntmachungen von Satzungen im amtlichen Bekanntmachungsorgan der Gemeinde, dem monatlich erscheinenden "Zingster Strandboten". Dieser genüge den Anforderungen des §6 Abs. 1 KV-DVO, insoweit werde auf den Beschluss der Kammer vom 11. Februar 2005 - 3 B 3820/04 - Bezug genommen. Darüber hinaus dürfte der klägerische Einwand wegen der Neubekanntmachung im "Zingster Strandboten" vom 18. Februar 2005 hinfällig geworden sein.

17

Die Satzung sei auch materiell-rechtlich wirksam und weise den erforderlichen Mindestinhalt auf.

18

Entgegen der Auffassung des Klägers sei insbesondere § 4 Abs. 2 Buchst. d ABS fehlerfrei. Die Bestimmung finde ihre Rechtfertigung darin, dass die in der Tiefenbegrenzung liegende Vermutung, wonach jenseits der Tiefengrenze der Außenbereich beginne, in Fällen sogenannter übergreifender baulicher bzw. gewerblicher Nutzung widerlegt sei und daher in diesen Fällen die beitragspflichtige Fläche durch die hintere Grenze der Nutzung begrenzt werde. Wenn der Kläger meine, dass die Regelung eine übergreifende gewerbliche Nutzung, die nicht zugleich bauliche Nutzung sei, nicht erfasse, berücksichtige er nicht, dass eine "nur gewerbliche" Nutzung, die nicht auch bauliche Nutzung sei, in Bezug auf die Schmutzwasserentsorgung kaum denkbar sei. Der Hinweis auf "zahlreiche" gewerbliche Grundstücksnutzungen, deren Grenze nicht durch eine bauliche Anlage gezogen werde, treffe nicht zu. Mit Blick auf den Grundsatz der konkreten Vollständigkeit habe der Beklagte zudem unwidersprochen dargelegt, dass es jedenfalls im Gebiet der Gemeinde Zingst kein Grundstück gebe, das jenseits der Tiefenbegrenzungslinie "nur gewerblich" genutzt würde, ohne dass zugleich eine (übergreifende) Gebäudenutzung vorhanden wäre. Fehlerhaft und damit unwirksam sei allerdings § 3 Abs. 2 ABS, wenn die Gemeinde nach dieser Bestimmung ermächtigt werde, unter dort näher genannten Voraussetzungen im Einzelfall den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff anzuwenden. Der Fehler wirke sich aber auf die Rechtswirksamkeit der Satzung insgesamt nicht aus. An die Stelle der insoweit nichtigen Regelung trete der gesetzliche Grundstücksbegriff mit der Folge, dass die Satzung weiterhin zur Beitragserhebung geeignet sei. Der Satzungsfehler in § 3 Abs. 2 ABS habe sich auch nicht auf die Rechtmäßigkeit der Beitragskalkulation ausgewirkt. Der Beklagte habe unwidersprochen vorgetragen, dass die Regelung für die Berechnung der Beitragseinheiten in keinem einzigen Fall angewendet worden sei.

19

Auch die Satzungsanwendung sei nicht zu beanstanden. Rechtmäßig sei insbesondere die Nacherhebung des Beitrages. Ihr stehe der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. In diesem Zusammenhang gehe das Verwaltungsgericht von folgenden Grundsätzen - nach Maßgabe seines Beschlusses vom 27. Februar 2006 - 3 B 3023/05 - aus: Dem Beitragswesen immanent sei das Merkmal der Einmaligkeit. Der Grundsatz der Einmaligkeit schränke zugleich auch die Möglichkeit einer Nacherhebung ein. Jedoch schließe die grundsätzlich bestehende - auch nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V fortgeltende - Verpflichtung, Beiträge nach Maßgabe der geltenden landes- und ortsrechtlichen Vorschriften zu erheben, die Verpflichtung ein, einen entstandenen Beitragsanspruch in vollem Umfang geltend zu machen. Sei ein Beitragspflichtiger - etwa weil die für sein Grundstück verteilungsrelevante Fläche ohne rechtfertigenden Grund (versehentlich) nur zum Teil berücksichtigt worden sei - oder seien alle Beitragspflichtigen - etwa weil ein Rechnungsposten bei der Ermittlung des beitragsfähigen Aufwandes übersehen worden sei - zu niedrig veranlagt worden, sei die Gemeinde regelmäßig gehalten, bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung durch selbständige Bescheide entsprechende Nachforderungen zu erheben, um dadurch ihren Beitragsanspruch voll auszuschöpfen. Die Bestandskraft eines Heranziehungsbescheides, mit dem ein zu niedriger Beitrag verlangt worden sei, stehe einer Nacherhebung durch einen weiteren (selbständigen) Bescheid, mit dem der noch nicht ausgeschöpfte Teil eines entstandenen Beitragsanspruch gefordert werde, nicht entgegen. Insbesondere hinderten Vertrauensschutzgesichtspunkte eine Nacherhebung nicht. Denn der Betroffene müsse sich entgegenhalten lassen, dass die Gemeinde ihre Leistungen unter anderem auch zu seinen Gunsten erbracht habe und dass sie und die hinter ihr stehende Allgemeinheit die volle dafür nach dem Gesetz entstandene Gegenleistung fordern könnten, und zwar nicht nur im Interesse des Haushalts der Gemeinde, sondern auch im Interesse der Beitragsgerechtigkeit. Allerdings seien über die Verweisung des § 12 Abs. 1 KAG M-V die §§ 172 ff. AO über die nachträgliche Aufhebung und Änderung von bestandskräftigen Steuerbescheiden entsprechend anwendbar. Diese Vorschriften stünden aber einer Nachveranlagung nicht entgegen, weil durch den Nacherhebungsbescheid der (bestandskräftige) frühere Heranziehungsbescheid nicht im Sinne der genannten Vorschriften aufgehoben oder abgeändert, sondern lediglich der Beitragsanspruch ausgeschöpft werde. Die Gegenauffassung berücksichtige nicht genügend das den Entgeltabgaben zugrunde liegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Die §§ 172 ff. AO basierten auf einem vorrangigen Vertrauensschutz gegenüber bestandskräftigen Steuerbescheiden, wobei Steuern ohne Gegenleistung geschuldet würden. Bei Entgeltabgaben stehe demgegenüber die Zahlungspflicht in unmittelbarer Beziehung zu einer von der Allgemeinheit erbrachten Leistung. Es sei kein sachlicher Grund erkennbar, dass eine fehlerhafte Abgabenfestsetzung nicht innerhalb der Festsetzungsfrist auch zu Lasten des Abgabenschuldners behoben werden sollte. Dabei sei zu beachten, dass die Unabänderbarkeit fehlerhafter Bescheide, die Beiträge zu niedrig festgesetzt hätten, zu einem Defizit führen würde, das entweder durch Abgabenerhöhung von den übrigen Benutzern der Einrichtung oder vom Steuerzahler getragen werden müsste.

20

Gemessen an diesen Grundsätzen sei die in dem angefochtenen Bescheid erfolgte Nachveranlagung nicht zu beanstanden. Der Beklagte habe lediglich den in den vorherigen Beitragsbescheiden unberücksichtigt gebliebenen Teilbetrag des Anschlussbeitrags festgesetzt. Hierzu sei er nach der Beitragssatzung und dem genannten Grundsatz, den entstandenen Beitragsanspruch in vollem Umfang geltend zu machen, auch verpflichtet gewesen. Im Übrigen komme es für die Frage, ob die Einmaligkeit der Beitragserhebung verletzt sei, auf den Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht an. Das bedeute, eine Nacherhebung sei immer dann zulässig und geboten, wenn - wie vorliegend - der (niedrigere) Beitrag zunächst auf Grundlage einer Satzung errechnet und erhoben worden sei, die sich später als rechtsunwirksam erwiesen habe. Hier sei zu berücksichtigen, dass die sachliche Beitragspflicht erstmals mit Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung von 2003 entstanden sei. Offen bleiben könne, ob die Reduzierung des Nacherhebungsbetrages im Widerspruchsbescheid rechtmäßig gewesen sei. Denn dies verletze den Kläger jedenfalls nicht in seinen Rechten. Schließlich sei die Beitragsforderung nicht in Folge Festsetzungsverjährung erloschen.

21

Das Urteil ist dem Kläger am 02. Oktober 2006 zugestellt worden. Auf den am 01. November 2006 eingegangenen und unter dem 04. Dezember 2006 (Montag) begründeten Antrag hin hat der Senat mit Beschluss vom 22. Oktober 2009, dem Kläger am 26. Oktober 2009 zugestellt, die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Unter dem 16. November 2009 hat der Kläger seine Berufung begründet.

22

Er hält die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dem angefochtenen Nacherhebungsbescheid stünde trotz Bestandskraft des ursprünglichen Heranziehungsbescheides §12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. den §§172 ff. AO nicht entgegen, für unzutreffend. Gegenstand der Kanalbaubeitragspflicht sei nach dem KAG M-V (a.F.) der auf die Eigentümer der bevorteilten Grundstücke umzulegende Aufwand für die - hier erstmalige - Herstellung der öffentlichen Abwasseranlagen der Gemeinde Zingst, wobei die Beiträge "nach den Vorteilen zu bemessen" seien. Die Vorteilsbemessung bzw. gleichheitsgerechte Verteilung des Aufwandes auf die Eigentümer der bevorteilten Grundstücke habe der Gesetzgeber den Kommunen überlassen. Anknüpfungspunkt für die gleichheitsgerechte Bemessung des Beitragssatzes für einen Kanalbaubeitrag könne richtigerweise nur die Größe bzw. Bebaubarkeit des bevorteilten Grundstücks selbst sein. Hieran habe sich die Gemeinde Zingst mit ihren Vorgängersatzungen vom 26. Juni 1993 und vom 24. Mai 1996 auch gehalten, selbst wenn diese Satzungen - wovon auch er ausgehe - im Ergebnis nichtig gewesen seien. Im vorliegenden Fall habe sich weder die Grundstücksfläche noch die Bebaubarkeit seines Grundstücks im Zuge der Nacherhebung verändert. Die Nacherhebung sei nichts anderem geschuldet gewesen als dem mehrfach geänderten Satzungsrecht der Gemeinde Zingst, nicht aber dem Umstand, dass sein Grundstück etwa "nur teilweise" von den Vorgängersatzungen berücksichtigt und veranlagt worden sei, sodass er "für" sein Grundstück mit dem Ursprungsbescheid hinsichtlich des Herstellungsaufwandes für die öffentlichen Abwasseranlagen der Gemeinde Zingst bereits "vollständig" und bestandskräftig veranlagt worden sei. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die §§ 172 ff. AO vorliegend deswegen nicht anwendbar seien, weil Steuern grundsätzlich ohne, Beiträge dagegen für eine Gegenleistung des Staates erhoben würden, möge allenfalls als Hinweis an den Gesetzgeber verstanden werden. Dieser habe nämlich auch mit § 12 Abs. 1 KAG M-V n. F. geregelt, dass auf Kommunalabgaben die Vorschriften der Abgabenordnung entsprechend anwendbar seien, während eine ganze Anzahl von Bundesländern mit ihren Kommunalabgabengesetzen insoweit Einschränkungen gemacht hätten. Es bedürfe keiner richterlichen "Korrektur" des § 12 Abs. 1 KAG M-V im Sinne der Gesetze anderer Bundesländer. Der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern habe nämlich den Abgaben erhebenden Behörden durch vorbehaltlose Anordnung der entsprechenden Anwendung der Abgabenordnung genügend Instrumente an die Hand gegeben, im Zweifel genau die Probleme zugunsten der öffentlichen Haushalte zu lösen, die das Verwaltungsgericht wegen Satzungsfehlern - d. h. wegen Fehlern von Rechtsnormen - zulasten der Bürger lösen wolle. Denn eine Abgaben erhebende Behörde sei durch nichts daran gehindert (gewesen), wegen § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 164 AO einen Kanalbaubeitragsbescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen. Dass die Behörden dies regelmäßig nicht tun würden, dürfe die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht dazu veranlassen, entgegen § 12 Abs. 1 KAG M-V die Abgabenordnung nur auf kommunale Steuern anzuwenden. Angesichts dessen, dass kommunale Steuern gegenüber Beiträgen und Gebühren nur einen verschwindend geringen Anteil ausmachten, wäre es nicht erklärlich, wenn der Gesetzgeber die §§172 ff. AO nur auf kommunale Steuern angewendet wissen wollte. Im Hinblick auf die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V sei nicht mehr zu fragen, ob auch auf Kanalbaubeiträge die §§ 172 AO ff. "entsprechend" anwendbar seien. Schließlich seien dem Gesetzgeber im Hinblick auf die Kommentierungen zum KAG a. F. die Konsequenzen für eine Nacherhebung bekannt gewesen, wenn er die Anwendung der §§ 172 ff. AO nicht bei Novellierung des KAG ausschließen würde. Er habe dennoch an der uneingeschränkten Verweisung in § 12 Abs. 1 KAG M-V festgehalten.

23

Er, der Kläger, halte außerdem die Abwasserbeitragssatzung der Gemeinde Zingst vom 10. April 2003 (ABS) auch in ihrer Fassung der 1. Änderungssatzung vom 25. April 2008 deshalb für nichtig, weil sie einen fehlerhaften Beitragsmaßstab aufweise. So regele § 4 Abs. 2 Buchst. e ABS den Fall einer gegenüber einer baulichen oder gewerblichen Nutzung eines Grundstücks "sonstigen" Nutzung, also eine solche, die gerade nicht baulich oder gewerblich sei. Es sei widersprüchlich, dass die Regelung für eine sonstige Nutzung zur Bestimmung der maßgeblichen Grundstücksfläche gleichwohl an eine anschließbare Baulichkeit und weitergehend gar an ein auf dem Grundstück stehendes Gebäude anknüpfe. Zudem sei auch § 4 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 ABS rechtswidrig. Wegen der mit dieser Regelung erfolgenden "doppelten" Anwendung der Tiefenbegrenzung wäre ein 140 m tiefes Grundstück, welches in dieser Tiefe beidseits durch jeweils eine Straße erschlossen wäre, ohne sachlichen Grund beitragsfrei. Er halte schließlich daran fest, dass eine Beitragssatzung nur dann ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht werden könne, wenn die Hauptsatzung der Gemeinde in Bezug auf ihre Regelungen über die öffentliche Bekanntmachung von Satzungen ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden sei.

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Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 20. September 2006 - 3 A 2268/04 - zu ändern und den Änderungsbescheid des Beklagten vom 16. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2004 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

28

Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt im Wesentlichen vor, der Grundsatz der Einmaligkeit stehe einer Nacherhebung nicht entgegen; dieser sei nicht gleichbedeutend mit einem Grundsatz der Einmaligkeit des Beitragsbescheides. Der Kläger gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass § 12 Abs. 1 KAG M-V die Anwendung der Abgabenordnung vorbehaltlos anordne. Denn die Abgabenordnung gelte nur "entsprechend". Die Aufnahme des Begriffs "entsprechend" berücksichtige die Unterschiede bei den Regelungsgegenständen der Abgabenordnung einerseits und des Kommunalabgabenrechts andererseits. Es sei jeweils zu prüfen, ob eine in der Abgabenordnung getroffene, sich auf Steuern beziehende Regelung dem Wesen etwa kommunaler Entgeltabgaben gerecht werde. Das den Entgeltabgaben zugrundeliegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung verlange, dass eine - gleichgültig aus welchem Grunde - zu niedrig festgesetzte Abgabe innerhalb der Festsetzungsfrist bis zur richtigen Höhe nacherhoben werden müsse, um die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung herzustellen. Diesem Prinzip stünden die §§ 172 ff. AO von ihrem Sinn und Zweck her nicht unproblematisch, wenn nicht sogar unvereinbar gegenüber. Sie könnten daher im Bereich der Entgeltangaben keine strikte Anwendung finden. So habe das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern bereits entschieden, dass die §§ 172 ff. AO auf Erschließungsbeiträge nicht anwendbar seien. Entsprechendes müsse für Anschlussbeiträge gelten. § 9 Abs. 1 KAG M-V verlange eine Ausschöpfung des Beitragsanspruchs. Jedenfalls habe er sein ihm in der Gesamtschau der Regelungen der §§ 172 ff. AO zustehendes Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Ein hinsichtlich der Beitragshöhe zu niedriger Bescheid sei im Übrigen ein ausschließlich belastender Verwaltungsakt, der keine begünstigenden Elemente aufweise. Eine Begünstigung liege nur vor, soweit sie im Verwaltungsakt ausdrücklich ausgesprochen worden sei, wenn also die Behörde ausnahmsweise und verbindlich zum Ausdruck bringe, dass sie von einer Mehrforderung absehen wolle. Einen solchen Anschein habe er nicht erweckt. Auch das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes stehe einem Nachveranlagungsbescheid nicht entgegen. Der Beitragsschuldner müsse sich im Rahmen einer Interessenabwägung entgegenhalten lassen, dass der Beitrag ein Entgelt für eine Leistung der Gemeinde sei. Er könne nicht erwarten, diese zu Lasten der Allgemeinheit ohne volle Gegenleistung und kostengünstiger als andere zu erhalten. Erst durch die Nacherhebung sei eine "nach den Vorteilen zu bemessende" Veranlagung erfolgt. Der Beklagte verteidigt schließlich die Maßstabsregelungen des §4 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 und Buchst. e ABS.

29

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, die Gerichtsakte im Verfahren Az. 1 L 324/06 samt Beiakten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Änderungsbescheid vom 16. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2004 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

31

Der angefochtene Bescheid findet seine nach § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Gemeinde Seeheilbad Zingst (Abwasserbeitragssatzung - ABS) vom 10. April 2003; der Senat legt dabei in Übereinstimmung mit den Beteiligten und dem Verwaltungsgericht zugrunde, dass die Vorläufersatzungen nicht wirksam gewesen sind (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 09.04.2002 - 1 M 1/02 -, juris; VG Greifswald, Urt. v. 12.01.2005 - 3 A 2331/01 -). Die Satzung ist wirksam (1.) und die konkrete Rechtsanwendung nicht zu beanstanden (2.).

32

1. Die Wirksamkeit der Abwasserbeitragssatzung unterliegt weder unter dem Blickwinkel ihrer ordnungsgemäßen Bekanntmachung (a) noch hinsichtlich ihrer seitens des Klägers angegriffenen Maßstabsregelungen (b) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

33

a) Der Senat stimmt dem Verwaltungsgericht zunächst darin zu, dass die Abwasserbeitragssatzung - jedenfalls zwischenzeitlich - wirksam bekannt gemacht worden sei (§ 130b Satz 2 VwGO). Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Bekanntmachung im "Zingster Strandboten" im April 2003 auch mit Blick darauf nicht zu beanstanden ist, dass nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 KV-DVO a.F. das amtliche Bekanntmachungsblatt durch seine Bezeichnung auf seinen amtlichen Charakter und den Träger der öffentlichen Verwaltung, der es herausgibt, hinweisen muss. Denn insoweit sind - ohne dass dies den normunterworfenen Bürger überfordern würde - "Zingster Strandbote" und die konkrete Beilage, in der die Abwasserbeitragssatzung abgedruckt worden ist, im Zusammenhang zu betrachten. Schon die äußere Gestaltung der Beilage mit dem Aufdruck "Gemeinde Seeheilbad Zingst", dem darunter befindlichen Gemeindewappen, das sich - worauf das Verwaltungsgericht hingewiesen hat - auch auf dem "Zingster Strandboten" findet, und der Auflistung der verschiedenen Satzungen, die im Inhalt zu finden sind, lässt keinen Zweifel am amtlichen Charakter des Bekanntmachungsblattes und hinsichtlich des herausgebenden Trägers der öffentlichen Verwaltung zu (vgl. auch das Impressum der Beilage, in dem die Gemeindeverwaltung Zingst als Herausgeber bezeichnet ist). Zudem ist die Bekanntmachung jedenfalls im Februar 2005 wirksam nachgeholt worden. Soweit der Kläger - nachdem er den rechtlichen Gesichtspunkt der Bekanntmachung zunächst zweitinstanzlich nicht mehr thematisiert hatte - in seinem Schriftsatz vom 07. Dezember 2009 vorgetragen hat, er halte daran fest, dass eine Beitragssatzung nur dann ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht werden könne, wenn die Hauptsatzung der Gemeinde in Bezug auf ihre Regelungen über die öffentliche Bekanntmachung von Satzungen selbst ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden sei, handelt es sich lediglich um eine rechtliche Feststellung. Der Kläger trägt damit schon selbst nicht ausdrücklich vor, dass die Bekanntmachung der Hauptsatzung fehlerhaft gewesen sein könnte. Jedenfalls ist dieses Vorbringen dermaßen unspezifiziert, dass der Senat keine Veranlassung gesehen hat, hier gleichsam "ins Blaue" weitere Ermittlungen von Amts wegen vorzunehmen. Schließlich spricht mit Blick auf das vorliegende Exemplar der Hauptsatzung, das als Beilage zum "Zingster Strandboten" im Dezember 2001 erschienen ist, unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen nichts für einen Bekanntmachungsfehler.

34

b) Die in der Abwasserbeitragssatzung enthaltenen, vom Kläger angegriffenen maßstäblichen Regelungen sind wirksam.

35

Soweit der Kläger rügt, die Maßstabsregelung des § 4 Abs. 2 Buchst. e ABS sei mit Blick auf die Bestimmungen, die Grundstücke mit baulicher bzw. möglicher baulicher Nutzung erfassten, widersprüchlich und damit gleichheitswidrig, dringt er damit nicht durch.

36

Nach § 4 Abs. 2 Buchst. e Satz 1 ABS gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die im B-Plan eine sonstige Nutzung (z.B. als Sportplatz, Grünfläche, Friedhof) festgesetzt ist oder die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles (§ 34 BauGB) tatsächlich so genutzt werden, die Grundfläche der an die Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung anschließbaren Baulichkeiten geteilt durch die Grundflächenzahl 0,2, höchstens jedoch die tatsächliche Grundstücksgröße. In den nachfolgenden Sätzen schließen sich Regelungen zur Zuordnung der so ermittelten Abgeltungsfläche an.

37

Diese Vorschrift regele - so meint der Kläger - den Fall einer gegenüber einer baulichen oder gewerblichen Nutzung eines Grundstücks "sonstigen" Nutzung, also nur eine solche, die gerade nicht baulich oder gewerblich sei. Es sei daher ein Widerspruch in sich, dass die Regelung für eine sonstige Nutzung in diesem Sinne zur Bestimmung der maßgeblichen Grundstücksfläche gleichwohl an eine anschließbare Baulichkeit und sodann weitergehend gar an ein auf dem Grundstück stehendes Gebäude anknüpfe.

38

Dieses Vorbringen geht fehl. Das Merkmal der "sonstigen" Nutzung will nicht besagen, dass mit der Satzungsregelung nur Grundstücke ohne jede Bebauung/Bebauungsmöglichkeit erfasst werden sollen, sondern will - so das zutreffende Vorbringen des Beklagten - Grundstücke mit bestimmten "sonstigen" (= untergeordneten baulichen) Nutzungen wie Sportplätze durch einen Artabschlag erfassen und begünstigen, ohne dass damit auf den entsprechenden Flächen angeschlossene oder anschließbare Baulichkeiten ausgeschlossen würden. Eine solche Regelung, die den atypisch niedrigen Vorteil solcher Flächen berücksichtigen will, begegnet keinen Bedenken und liegt im ortsgesetzgeberischen Ermessen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 24.03.2004 - 1 L 58/02 -, juris).

39

Auch die Rüge, die Maßstabsregelung des § 4 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 ABS stelle als "doppelte" Anwendung der Tiefenbegrenzung eine sachwidrige Privilegierung dar, führt nicht zum Erfolg der Berufung. Gemäß § 4 Abs. 2 Buchst. c ABS gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die kein B-Plan besteht und die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen (§34 BauGB), die Gesamtfläche des Grundstücks, höchstens jedoch die Fläche zwischen der Straßengrenze der dem Innenbereich zugewandten Straße und einer im Abstand von siebzig Meter dazu verlaufenden Parallelen (Satz 1). Liegt das Grundstück an mehreren Straßen, so ist die Tiefenbegrenzung von jeder einer Straßenseite zugewandten Grundstücksseite anzusetzen (Satz 2).

40

Der Kläger meint, wegen der in Satz 2 der Regelung aus seiner Sicht vorgesehenen "doppelten" Anwendung der Tiefenbegrenzung wäre ein 140 m tiefes Grundstück, welches beidseits durch eine Straße erschlossen ist, beitragsfrei. Wie der Beklagte zutreffend ausführt, ist jedoch das Gegenteil der Fall, die Gesamtfläche wäre in diesem Fall beitragspflichtig. Die von jeweils einer Straße aus gesehen der Beitragspflicht unterliegende Fläche mit einer Tiefe von siebzig Metern geht der Freistellung derselben Fläche durch die Tiefenbegrenzung ausgehend von der anderen Straße vor.

41

2. Die mit dem streitgegenständlichen Bescheid vorgenommene Beitragsnacherhebung, mit der der Kläger zusätzlich zu dem durch Anschlussbeitragsbescheid vom 28. Juni 1995 ursprünglich festgesetzten und bezahlten Beitrag von 5.076,36 EUR (9.928,50 DM) nochmals zu einem Betrag 3.656,38 EUR herangezogen wird, ist rechtmäßig.

42

Eine solche Nacherhebung ist unter den vorliegenden Sachverhaltsgegebenheiten, insbesondere der Unwirksamkeit der Vorgängersatzungen, grundsätzlich zulässig und auch in der konkreten Rechtsanwendung ohne Rechtsfehler durchgeführt worden.

43

Der Beklagte ist nach Maßgabe des Kommunalabgabengesetzes M-V und auf der Grundlage der Abwasserbeitragssatzung grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass er einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpft, soweit dies noch nicht durch eine erste Beitragserhebung erfolgt ist. Einer solchen Nacherhebung stehen der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragerhebung, die Rechtsfolgen der Bestandskraft des Erstheranziehungsbescheides und der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ebenso wenig entgegen wie die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V und die darin enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung.

44

Eine Nacherhebung ist zwar weder ausdrücklich Gegenstand der der Beitragserhebung zugrunde liegenden Abwasserbeitragssatzung noch finden sich insoweit Bestimmungen im Kommunalabgabengesetz M-V, die ausdrücklich die Möglichkeit einer Nacherhebung in Fällen der vorliegenden Art vorsehen. Auch ist die Beitragserhebung im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen insoweit nicht bundesrechtlich determiniert und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 103.98 -, juris; Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 102.98 -, juris; Urt. v. 26.01.1996 - 8 C 14.94 -, NVwZ-RR 1996, 465; Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938; Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163; vgl. auch Beschl. v. 19.05.1999 - 8 B 61.99 -, NVwZ 1999, 1218; Beschl. v. 05.03.1997 - 8 B 37.97 -, Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 86; Beschl. v. 12.08.1991 - 8 B 108.91 -; Urt. v. 07.07.1989 - 8 C 86.87 -, BVerwGE 82, 215 - jeweils zitiert nach juris; vgl. auch OVG Greifswald, Beschl. v. 19.11.2007 - 1 L 1/07 -, juris) zur Verpflichtung der Kommunen, einen entstandenen Erschließungsbeitragsanspruch ggfs. auch im Wege der Nacherhebung auszuschöpfen, nicht unmittelbar einschlägig. Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer Nacherhebung ist eine solche des irrevisiblen Landesrechts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 103.98 -, juris; Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 102.98 -, juris).

45

Wie im Erschließungsbeitragsrecht ergibt sich jedoch aus den landesrechtlichen Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes M-V grundsätzlich auch im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen das Recht und die Verpflichtung der beitragserhebenden Körperschaft, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass sie einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpft, soweit dies etwa auf der Basis einer früheren unwirksamen Satzung noch nicht durch eine erste Beitragserhebung erfolgt ist.

46

Die rechtliche Zulässigkeit der Nacherhebung und die Pflicht zur Ausschöpfung der kommunalen Beitragsanspruchs lässt sich - so zutreffend das Verwaltungsgericht - zunächst grundsätzlich § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V (wie schon der Vorläuferbestimmung des § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG a. F.) entnehmen.

47

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V sollen zur Deckung des Aufwandes für die Anschaffung und Herstellung der notwendigen öffentlichen Einrichtungen zur leitungsgebundenen Versorgung mit Wasser oder Wärme oder zur leitungsgebundenen Abwasserentsorgung Anschlussbeiträge erhoben werden. Nur in atypischen Situationen kann von dieser "Soll"-Bestimmung abgewichen werden (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris). Beiträge sind dabei Geldleistungen, die dem Ersatz des Aufwandes insbesondere für die Herstellung öffentlicher Einrichtungen dienen (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V). Sie werden nach näheren gesetzlichen Maßgaben als Gegenleistung dafür erhoben, dass den Beitragspflichtigen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme Vorteile geboten werden (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V). Aus diesem Regelungszusammenhang ergibt sich die grundsätzliche Vorstellung des Landesgesetzgebers, dass die Herstellungskosten einer öffentlichen Einrichtung - ggfs. bis zur Höhe eines in rechtmäßiger Ausübung ortsgesetzgeberischen Ermessens festgesetzten bzw. mit der Beitragserhebung zu erzielenden Kostendeckungsgrades - vollständig als Gegenleistung für die Verschaffung der Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Ver- oder Entsorgungseinrichtung durch Beiträge gedeckt werden sollen. Daraus folgt, dass grundsätzlich im Falle einer bei erstmaliger Heranziehung unterbliebenen Ausschöpfung des Beitragsanspruchs für die beitragserhebende Körperschaft die Möglichkeit bestehen muss, eine solche Ausschöpfung - zeitlich limitiert bis zur Grenze der Festsetzungsverjährung - durch eine Nacherhebung zu erreichen. Dies galt erst recht nach Maßgabe von § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V a.F. Diese Vorschrift regelte noch strenger als § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V, dass Beiträge "zu erheben sind".

48

Dieser Annahme steht zunächst - anders als der Kläger meint - nicht der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung entgegen, der insbesondere nach Maßgabe der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern auch im Abgabenrecht des Landes Mecklenburg Vorpommern Geltung beansprucht.

49

Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung besagt zum einen, dass die sachliche Beitragspflicht (abstrakte Beitragsschuld) für dieselbe öffentliche Einrichtung bzw. Teileinrichtung zu Lasten eines Grundstücks nur einmal entsteht. Ist sie entstanden, kann sie nicht nachträglich zu einem anderen Zeitpunkt und in anderer Höhe noch einmal entstehen. Zum anderen schließt der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung das Verbot der Doppelbelastung in dem Sinne ein, dass ein Grundstück für dieselbe öffentliche Einrichtung bzw. Teileinrichtung - hinsichtlich desselben Aufwands - grundsätzlich nur einmal zu einem Beitrag herangezogen werden darf (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris; Beschl. v. 08.07.2004 - 1 M 170/04 -, juris; Beschl. v. 20.11.2003 - 1 M 180/03 -, NordÖR 2004, 262; OVG Berlin/Brandenburg, Urt. v. 06.06.2007 - 9 A 77.05 -, LKV 2008, 377; OVG Weimar, Beschl. v. 03.05.2007 - 4 EO 101/07 -, juris; VGH München, Urt. v. 15.04.1999 - 23 B 97.1108 -; VGH Mannheim, Beschl. v. 05.11.1992 - 2 S 152/90 -; Beschl. v. 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -Beschl. v. 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -; Beschl. v. 19.07.1990 - 2 S 412/90 -: jeweils juris; VG Potsdam, Urt. v. 18.09.2008 - 9 K 1128/05 -, juris; VG Bayreuth, Urt. v. 07.07.2004 - B 4 K 04.578 -, juris; vgl. auch VGH Kassel, Beschl. v. 12.04.2005 - 5 TG 116/05 -, NVwZ-RR 2006, 143 - zitiert nach juris). Die Einmaligkeit der Leistung des Kanalanschlussbeitrags folgt aus dem Wesen des Beitrags, der an einen bestimmten Zustand ("Möglichkeit der Inanspruchnahme") anknüpft und der den bei Verwirklichung des Zustands gebotenen wirtschaftlichen Vorteil insgesamt abgelten soll. Der Grundstückseigentümer erbringt die "Gegenleistung" für den ihm durch die Anschlussmöglichkeit gebotenen wirtschaftlichen Vorteil, der der Natur der Sache nach mit der Anschlussmöglichkeit entsteht und auch in der Zukunft in der Regel nicht verändert wird. Die Einmaligkeit der Beitragserhebung ist auch Folge des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Vertrauensschutzgedankens (vgl. VGH München, Urt. v. 15.04.1999 - 23 B 97.1108 -, juris; vgl. zum Ganzen OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris).

50

Nach Maßgabe von § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V (vgl. auch § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. und die dazu ergangenen Rspr. des OVG Greifswald, etwa Beschl. v. 21.07.2006 - 1 M 60/06 -, juris) entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Mit dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung geht das Landesrecht davon aus, dass der beitragsrelevante Vorteil mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung bereits vollständig ausgebildet ist und die Erhebung des Beitrags in voller Höhe rechtfertigt. Auch die Höhe des Beitrags, mit dem das bevorteilte Grundstück zu den Herstellungskosten herangezogen wird, steht auf der Grundlage der - wirksamen - Beitragssatzung zu diesem Zeitpunkt endgültig fest. Der Beitrag ruht - in Höhe der sachlichen Beitragspflicht - als öffentliche Last auf dem Grundstück (§ 7 Abs. 6 KAG M-V). Daraus folgt, dass - vorbehaltlich der Regelung des § 9 Abs. 7 KAG M-V - jedenfalls Nacherhebungstatbestände in einer Beitragssatzung, die eine zusätzliche Beitragspflicht für dasselbe Grundstück daran knüpfen, dass sich nach dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht - was eine rechtswirksame Satzung voraussetzt - die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse auf dem Grundstück verändert haben, grundsätzlich unzulässig sind (vgl. ebenso zur Rechtslage in Thüringen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, LKV 2009, 35 - zitiert nach juris).

51

Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung bedeutet danach zusammengefasst, dass die sachliche Beitragspflicht nur einmal und endgültig in der Höhe des nach Maßgabe der wirksamen Satzung abzugeltenden Vorteils entsteht und dass der entsprechende Aufwand durch einen einmaligen Beitrag in dieser Höhe gedeckt wird. Daraus kann aber noch nicht geschlossen werden, dass ein ergangener Beitragsbescheid in keinem Fall durch einen weiteren Bescheid ergänzt oder ersetzt werden dürfte. Dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung entspricht keineswegs ein ebenso strikter - so plastisch das Thüringische OVG - Grundsatz der Einmaligkeit des Beitragsbescheids. Der Umstand, dass erst der Beitragsbescheid das Beitragsschuldverhältnis für den Beitragsschuldner konkretisiert (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V) und mit der Festsetzung des Beitrags die Grundlage für die Zahlungsaufforderung in bestimmter Höhe schafft, vermag nicht zu begründen, dass die Einmaligkeit und Endgültigkeit, die für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht gilt, auch für den Beitragsbescheid gelten solle (vgl. zum Ganzen ebenso OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, a.a.O.). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat für das Erschließungsbeitragsrecht - insoweit auf das Anschlussbeitragsrecht übertragbar - angenommen, dass sich die Rechtswidrigkeit eines Nacherhebungsbescheids nicht mit einem aus dem materiellen Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragspflicht herzuleitenden Verbot einer Doppelveranlagung begründen lasse, da jedenfalls sicher sei, dass sich ein solches Verbot allenfalls auf eine zweite Veranlagung zu ein und demselben Beitragsbetrag beziehen könnte, nicht aber auf eine Nacherhebung im hier in Rede stehenden Sinne, die lediglich einen noch nicht ausgeschöpften bzw. nicht bescheidmäßig festgesetzten Teil des Beitragsanspruchs einfordert (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938 - zitiert nach juris).

52

Somit ist die Frage, ob und inwieweit der Beitragsschuldner sich auf die Endgültigkeit eines ihm gegenüber ergangenen Beitragsbescheides verlassen darf, nicht schon mit dem Hinweis auf den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung beantwortet. Denn dieser Grundsatz lässt das Recht und die Pflicht des Einrichtungsträgers zur vollständigen Erhebung des Beitrags in Höhe der - wirksam - entstandenen sachlichen Beitragspflicht unberührt. Wenn der Einrichtungsträger in einem ersten Beitragsbescheid den Beitrag - wie hier - etwa auf der Basis einer im Nachhinein als unwirksam erkannten Beitragssatzung fehlerhaft in einer Höhe festgesetzt hat, die die später tatsächlich entstandene sachliche Beitragspflicht der Höhe nach nicht ausschöpft, hat er grundsätzlich das Recht und darüber hinaus eine Pflicht zur Nachforderung (vgl. auch OVG Magdeburg, Beschl. v. 16.11.2006 - 4 L 191/06 -, LKV 2008, 139; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: Juli 2009, § 8 Rn 26 ff.). Nur wenn der Beitragsbescheid die sachliche Beitragspflicht bereits voll ausgeschöpft hat, steht der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung und das daraus folgende Verbot der Doppelbelastung im Ergebnis auch jedem weiteren Nachforderungsbescheid oder einer Ersetzung durch einen Bescheid mit höherer Beitragsforderung für die gleiche Maßnahme entgegen. Wenn der Erstbescheid dagegen die - einmalig und endgültig entstandene - sachliche Beitragspflicht in der Höhe noch nicht ausgeschöpft hat, führt dieser Erstbescheid regelmäßig auch nicht zur Beendigung des Beitragsschuldverhältnisses. Denn das Beitragsschuldverhältnis entsteht entsprechend § 38 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V mit der Verwirklichung des Beitragstatbestandes und erlischt nicht mit einer bestandskräftigen Beitragsfestsetzung, sondern entsprechend § 47 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V insbesondere durch Zahlung, Aufrechnung, Erlass oder Verjährung (vgl. zum Ganzen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, a.a.O.).

53

Die streitgegenständliche Nacherhebung wird auch nicht mit Blick auf eine Bestandskraft des Anschlussbeitragsbescheids vom 28. Juni 1995 ausgeschlossen. Die Frage, ob der Eintritt der Bestandskraft des Anschlussbeitragsbescheids vom 28. Juni 1995 das durch das Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht begründete Beitragsschuldverhältnis zwischen dem Beklagten und dem Kläger beendet hat, ist nach dem einschlägigen materiellen Recht zu beantworten (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938 - zitiert nach juris; VGH München, Beschl. v. 23.04.2009 - 22 ZB 07.819 -, juris), hier also nach den Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes. Diesen liegt - wie ausgeführt - die Vorstellung zugrunde, dass die der Abgaben erhebenden Körperschaft zustehenden Beitragsansprüche grundsätzlich in vollem Umfang bzw. dem Betrag nach voll auszuschöpfen sind.

54

Das landesrechtliche Gebot der Ausschöpfung des Beitragsanspruchs schließt nicht nur die Auffassung aus, die Bestandskraft eines den entstandenen Beitragsanspruch nicht voll ausschöpfenden Heranziehungsbescheids könne zur Beendigung eines Beitragsschuldverhältnisses führen, sondern zwingt überdies zu der Annahme, dass ein solches Schuldverhältnis unabhängig vom Erlass eines Heranziehungsbescheids und dessen Bestandskraft erst in dem Zeitpunkt endet, in dem - aus welchen Gründen immer - der Beitragsanspruch selbst erlischt. Diese Betrachtungsweise liegt auch der vom Gesetzgeber in § 7 Abs. 6 KAG M-V (§ 8 Abs. 11 KAG a.F.) getroffenen Regelung zur dinglichen Sicherung des Beitragsanspruchs durch das Institut der öffentlichen Last zugrunde. Die dingliche Sicherung einer Beitragsforderung beginnt mit ihrem Entstehen, d.h. mit dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, und sie endet unabhängig vom Erlass eines Heranziehungsbescheids und dem Eintritt von dessen Bestandskraft erst mit dem Erlöschen der sachlichen Beitragspflicht (vgl. zum Ganzen entsprechend zum Erschließungsbeitragsrecht BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163; Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938 - jeweils zitiert nach juris). § 7 Abs. 6 KAG M-V geht damit ebenfalls von der Pflicht zur Ausschöpfung des Beitragsanspruchs aus: Es erschiene widersinnig, auf der einen Seite eine öffentliche Last im vollen Umfang der sachlich entstandenen Beitragspflicht anzunehmen, auf der anderen Seite aber der Abgaben erhebenden Körperschaft im Falle einer erstmalig zu niedrigen Beitragsfestsetzung im hier erörterten Sinne zu verwehren, den Beitragsanspruch in entsprechender Höhe zu realisieren. Wollte man diesen Standpunkt einnehmen, hätte dies zur Folge, dass die öffentliche Last zwar fortbestünde, soweit der Beitragsanspruch nicht befriedigt oder anderweitig erloschen ist, für die Behörde jedoch keinerlei Möglichkeit mehr bestünde, den durch die öffentliche Last auch insoweit gesicherten Beitragsanspruch durchzusetzen.

55

Vor diesem Hintergrund enthält die Beitragsfestsetzung in bestimmter Höhe regelmäßig auch keine - begünstigende - verbindliche Regelung dahingehend, dass eine spätere Nacherhebung ausgeschlossen sein soll. Ein Beitragsbescheid ist nach seinem Tenor grundsätzlich ausschließlich belastender Verwaltungsakt und enthält keine begünstigende Regelung des Inhalts, "mehr" werde von dem jeweiligen Beitragsschuldner nicht verlangt (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163; vgl. auch Beschl. v. 19.05.1999 - 8 B 61.99 -, NVwZ 1999, 1218 - jeweils zitiert nach juris). Wenn der Regelungsgehalt des Erstbescheids somit in der Regel nicht einer späteren vollständigen Ausschöpfung der entstandenen Beitragspflicht entgegensteht, bedarf es auch nicht zwingend einer Aufhebung des Erstbescheids. Vielmehr kann ein neuer Bescheid den Erstbescheid ergänzen und den Differenzbetrag zwischen ursprünglicher Festsetzung und tatsächlich entstandener Beitragspflicht festsetzen. Lediglich klarstellende Bedeutung hätte dann eine Mitteilung der mit beiden Bescheiden insgesamt festgesetzten Beitragshöhe (vgl. zum Ganzen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, a.a.O.). Diesen grundsätzlichen Erwägungen entsprechend enthält der Anschlussbeitragsbescheid vom 28. Juni 1995 keine verbindliche Regelung dahingehend, dass eine spätere Nacherhebung ausgeschlossen sein soll.

56

Auch das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 und 28 GG) verankerte Gebot des Vertrauensschutzes rechtfertigt nicht die Annahme, mit Rücksicht auf den bestandskräftig gewordenen Anschlussbeitragsbescheid vom 28. Juni 1995 sei der angefochtene Änderungs- bzw. Nacherhebungsbescheid wegen eines Verstoßes gegen dieses Gebot rechtswidrig. Zwar ist ein Bescheid, mit dem ein entstandener Beitragsanspruch nicht voll ausgeschöpft, d.h. mit dem ein zu niedriger Beitrag verlangt wird, ein nach seinem Tenor ausschließlich belastender Verwaltungsakt. Auch ein solcher Bescheid kann allerdings ein geeigneter Gegenstand für ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen sein. Ein solches Vertrauen setzt jedoch außer einer adäquaten Vertrauensbetätigung des Betroffenen und der Schutzwürdigkeit dieser Vertrauensbetätigung voraus, dass im Zuge der bei Vorliegen dieser Voraussetzungen gebotenen Abwägung die Interessen des Betroffenen die der Allgemeinheit überwiegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163 - zitiert nach juris). An alledem fehlt es hier. Insoweit kann auf die zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum öffentlichen Interesse an der Ausschöpfung des Beitragsanspruchs verwiesen werden. Da sich die Abwasserbeitragssatzung vom 10. April 2003 ausweislich ihres § 10 keine Rückwirkung beigemessen hat und sie dies auch nicht musste, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage vorliegend der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist - insoweit kommt es auf das materielle Recht an, hier § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bzw. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. mit der Regelung zur sachlichen Beitragspflicht -, stellen sich keine weiteren Fragen im Zusammenhang mit dem früher in § 2 Abs. 5 Satz 4 KAG a.F. normierten einfachgesetzlichen Schlechterstellungsverbot.

57

Schließlich ergibt sich auch aus der in § 12 Abs. 1 KAG M-V enthaltenen Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung nicht, dass eine Nacherhebung allgemein oder im konkreten Fall des Klägers nicht in Betracht käme. Gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V sind auf Kommunalabgaben die Vorschriften der Abgabenordnung in der jeweiligen Fassung entsprechend anzuwenden, soweit nicht dieses Gesetz oder andere Gesetze besondere Vorschriften enthalten.

58

Die Vorschriften der Abgabenordnung, die vorliegend von Bedeutung sein könnten, finden sich vor allem in den Bestimmungen der §§ 172 ff. AO, die eine erhöhte Bestandskraft von Steuerbescheiden zum Gegenstand haben, indem sie die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden einschränkenden Voraussetzungen unterwerfen. Der Verweis des § 12 Abs. 1 KAG M-V führt zu der Frage, ob auch Anschlussbeitragsbescheiden eine dermaßen erhöhte Bestandskraft innewohnt. Diese Frage ist nach Auffassung des Senats zu verneinen.

59

Nach Maßgabe des Vorstehenden greift hinsichtlich der Nacherhebung von Anschlussbeiträgen bereits der Vorbehalt der "besonderen Vorschriften nach diesem Gesetz" gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V: Wie ausgeführt enthält dieses Gesetz im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen das "besondere" Gebot der Ausschöpfung des Beitragsanspruchs, das keinen einschränkenden Voraussetzungen unterliegt. Die Anwendung der §§ 172 ff. AO würde in zahlreichen Fällen dazu führen, dass die Ausschöpfung des Anschlussbeitragsanspruchs nicht möglich wäre, und infolgedessen dem entsprechenden gesetzlichen Ziel zuwider laufen. Damit ist bereits grundsätzlich eine entsprechende Anwendung der §§ 172 ff. AO im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen ausgeschlossen, soweit sie einer Ausschöpfung des Beitragsanspruchs entgegensteht; eine solche Anwendung im Bereich andersartiger Abgaben bleibt davon unberührt. Dabei kann dahin stehen, ob dem Kläger darin gefolgt werden kann, wenn er vorträgt, die Erhebung von Steuern durch die Kommunen mache im Vergleich mit dem Aufkommen aus Gebühren und Beiträgen nur einen geringen Teil der kommunalen Abgaben aus. Denn jedenfalls bliebe für die Verweisung des § 12 Abs. 1 KAG M-V auf die Abgabenordnung hinsichtlich der Erhebung kommunaler Steuern grundsätzlich insbesondere auch ein Anwendungsbereich für die §§ 172 ff. AO.

60

Darüber hinaus folgt der Senat dem Wortlautargument des Verwaltungsgerichts, demzufolge die Ausschöpfung des Beitragsanspruchs den früheren Beitragsbescheid nicht "ändern" oder "aufheben" (vgl. § 172 AO), sondern ergänzen will. Auch vorliegend soll der zwar hinsichtlich seiner Begründung fehlerhafte, aber bezüglich des festgesetzten Betrages zu niedrige und damit jedenfalls - weil nicht belastend - der Höhe nach nicht zu beanstandende Erstheranziehungsbescheid unverändert bleiben. Nach dem Inhalt von Nachveranlagungsbescheid und streitgegenständlichem Änderungsbescheid ist auch vorliegend nicht ersichtlich, dass der bestandskräftige Bescheid vom 28. Juni 1995 geändert oder aufgehoben werden sollte.

61

Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen "passen" die §§ 172 ff. AO in ihrem ausdifferenzierten Regelungsgehalt und ihrem Wortlaut nach jedenfalls für die Nacherhebung von Anschlussbeiträgen im hier in Rede stehenden Sinne offensichtlich nicht ohne weiteres. Dies gilt umso mehr, als die Fälle der vorliegenden Art dadurch geprägt sind, dass die Erstheranziehung deshalb zu niedrig ausgefallen ist, weil ihr eine fehlerhafte bzw. im Nachhinein als unwirksam erkannte Satzung bzw. Rechtsgrundlage zugrundelag und die sachliche Beitragspflicht in der "richtigen" Höhe gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit der ersten wirksamen Satzung entstanden ist. Diese Situation und Rechtslage sowie die daraus resultierende Interessenlage haben die §§ 172 ff. AO erkennbar nicht vor Augen; zudem hat das Verwaltungsgericht zutreffend auf das dem Beitragsrecht im Unterschied zur Steuererhebung zugrunde liegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung verwiesen, das ebenfalls die unterschiedliche Interessenlage in den beiden Gebieten der Abgabenerhebung erhellt. Da es nach Auffassung des Senats an hinreichend schlüssigen rechtlichen Konstruktionen zu einer Transformation des Regelungssystems der §§ 172 ff. AO für die Beitragsnacherhebung im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen fehlt, spricht auch dies grundsätzlich gegen eine Anwendbarkeit der §§ 172 ff. AO in diesem Bereich.

62

Insoweit führt auch der Hinweis des Klägers auf § 164 AO (i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V) und die mit dieser Vorschrift eröffnete Möglichkeit, einen Steuerbescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung stellen zu können, nicht weiter. Dieses Vorbringen lässt bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 164 Abs. 1 Satz 1 AO unberücksichtigt. Steuern können nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass es einer Begründung bedarf. Ein Anschlussbeitragsbescheid ergeht jedoch grundsätzlich nach abschließender Prüfung des Abgabenfalles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, so dass die einzige Voraussetzung für die Beifügung eines Vorbehalts regelmäßig nicht erfüllt ist. Die Abgaben erhebende Behörde darf nicht trotz abschließender Prüfung eine Vorbehaltsfestsetzung vornehmen, nur um den Abgabenfall offen zu halten (vgl. Rüsken, in: Klein, AO, 9. Aufl., § 164 Rn. 13). § 164 AO dient der Beschleunigung des Veranlagungsverfahrens. Der Vorbehalt ermöglicht im Interesse des Fiskus eine rasche Steuererhebung ohne Notwendigkeit zur sofortigen und abschließenden Prüfung, andererseits wird der Steuerfall im Interesse sowohl des Staates als auch des Steuerpflichtigen offen gehalten (vgl. Rüsken, in: Klein, AO, 9. Aufl., § 164 Rn. 1). Diese Vorschrift ist jedoch nicht dafür gedacht, eine Beitragserhebung generell wegen des bloßen Verdachts oder der theoretischen Möglichkeit, die als Rechtsgrundlage herangezogene Satzung könnte unwirksam sein, einem Nachprüfungsvorbehalt zu unterwerfen. Eine solche Möglichkeit eröffnet auch § 165 AO im Übrigen in der Regel nicht, da die vorläufige Festsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO ungewisse Tatsachen voraussetzt und die steuerrechtliche Würdigung von Tatsachen selbst hiervon nicht erfasst wird. Diese rechtfertigt vielmehr nur unter den Voraussetzungen des § 165 Abs. 1 Satz 2 AO eine vorläufige Festsetzung, die jedoch im Bereich der kommunalen Beitragserhebung regelmäßig nicht vorliegen werden.

63

Im Sinne der vorstehenden Erwägungen hat der Senat in seinem Beschluss vom 19. November 2007 - 1 L 1/07 - (juris) ausgeführt, der Gesetzgeber in M-V habe keine "vorbehaltlose Anordnung der entsprechenden Anwendung der AO" getroffen. Zum einen liege schon in dem Begriff der "entsprechenden" Anwendung eine Einschränkung; diese erfordere bei jeder Einzelnorm der Abgabenordnung die Prüfung ihrer Zielsetzung und der Vergleichbarkeit der Anwendungsbereiche (siehe auch Aussprung, in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 12 Anm. 1.2). Daher könne allein aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern im Unterschied zu einigen anderen Bundesländern nicht bestimmte Regelungen der Abgabenordnung ausdrücklich für unanwendbar erklärt hat, nicht umgekehrt geschlossen werden, sie seien grundsätzlich anwendbar.

64

Der Senat hat zudem bereits in seinem Beschluss vom 28. November 2005 - 1 M 140/05 - (juris) darauf hingewiesen, dass klärungsbedürftig sei, wie die "entsprechend" anzuwendenden Vorschriften der §§ 172 und 173 AO ihrem Sinn und Zweck nach vom bundesrechtlichen Steuerrecht auf das Kommunale Abgabenrecht (und hier speziell auf das Beitragsrecht) zu übertragen sein können. Insbesondere § 172 Abs. 1 AO sei erkennbar auf bundesrechtliche Steuern zugeschnitten. Eine Unterscheidung zwischen Verbrauchssteuern (§ 172 Abs. 1 Nr. 1 AO) und anderen Steuern (§ 172 Abs. 1 Nr. 2 AO) sei dem kommunalen Abgabenrecht fremd. Daher seien auch die einzelnen, gleichfalls speziell auf das bundesrechtliche Steuerrecht zugeschnittenen Tatbestände des § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht ohne Weiteres auf das Kommunale Abgabenrecht "1 zu 1" zu übertragen. Der Senat hat deshalb dort in Erwägung gezogen, aus einer Gesamtschau der Regelungen des § 172 Abs. 1 AO im Bereich des Kommunalen Abgabenrechts eine im Ermessen der Abgaben erhebenden Behörde stehende Kompetenz zu bejahen, Abgabenbescheide zu ändern, ebenso wie dies bundesrechtlich für die Verbrauchssteuern geregelt ist. Nimmt man die Regelung des § 173 Abs. 1 AO hinzu, die eine Aufhebungs- oder Änderungspflicht normiert, spräche auch einiges dafür, den Sachverhalt der zunächst unerkannt fehlerhaften Rechtsgrundlage, der zu einer zu niedrigen Steuerfestsetzung geführt hat, "entsprechend" (§ 12 Abs. 1 KAG M-V) dem nachträglichen Bekanntwerden neuer Tatsachen gleichzustellen, die zu höheren Steuern führen. Bei - unabhängig von den obigen Ausführungen - unterstellter Anwendbarkeit der §§ 172 ff. AO wäre nach Auffassung des Senats mit Blick auf die erörterte Ausschöpfungspflicht und die "Regelungspole" der §§ 172 und 173 AO aufgrund der durch § 12 Abs. 1 KAG M-V angeordneten "entsprechenden" Anwendung der §§ 172 ff. AO jedenfalls von einer Regelverpflichtung zur Nacherhebung im Sinne einer "Soll"-Bestimmung auszugehen. Dafür spricht auch nachhaltig der schon angesprochene Aspekt, dass der Beitragsanspruch mit Entstehung der sachlichen Beitragspflicht in der zu diesem Zeitpunkt in Anwendung einer wirksamen Satzung errechneten Höhe als öffentliche Last auf dem Grundstück ruht. Es wäre - wie gesagt - nicht folgerichtig sondern widersprüchlich, würde man einerseits eine öffentliche Last in entsprechender Höhe annehmen, der beitragserhebenden Kommune andererseits aber unter Rückgriff auf die §§ 172 ff. AO die Geltendmachung des Beitragsanspruchs in dieser Höhe erschweren oder gar verwehren. Bejahte man eine grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 172 ff. AO mit einem Regelungsgehalt in diesem Sinne, gelangte man folglich regelmäßig und auch vorliegend nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung der Zulässigkeit der Nacherhebung.

65

Schließlich kann für die Annahme der grundsätzlichen Ausschöpfungspflicht im Anschlussbeitragsrecht nach Maßgabe des Landesrechts die Erwägung angeführt werden, dass dem Gesetzgeber die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Nacherhebungs- und Ausschöpfungspflicht im Erschließungsbeitragsrecht bekannt war.

66

Angesichts der insoweit für den Bereich etwa des Anschlussbeitragsrechts geringen Regelungsdichte des § 12 Abs. 1 KAG M-V und der erläuterten, nicht von der Hand zu weisenden Auslegungsschwierigkeiten bei einer "entsprechenden" Anwendung der §§ 172 ff. AO erscheint die Annahme ausgeschlossen, der Gesetzgeber habe für das Anschlussbeitragsrecht gegenüber dem Erschließungsrecht bewusst Abweichendes regeln wollen. Dies gilt erst recht, nimmt man die insoweit identische Interessenlage in den Blick: Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht - was in vollem Umfang auch für den Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen gilt - ausgeführt, ein Kläger müsse sich im Rahmen einer Interessenabwägung jedenfalls durchgreifend entgegenhalten lassen, dass der Einrichtungsträger seine Leistung u.a. auch zugunsten des Klägers erbracht habe und dass er und die hinter ihm stehende Allgemeinheit die volle dafür nach dem Gesetz entstandene Gegenleistung fordern können, und zwar nicht nur im Interesse des Haushalts des Einrichtungsträgers, sondern auch im Interesse der Beitragsgerechtigkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163 - zitiert nach juris). Demgegenüber tritt der vom Kläger angeführte Umstand, dass dem Gesetzgeber im Hinblick auf Kommentierungen zum Kommunalabgabengesetz a. F. die Konsequenzen für eine Nacherhebung bekannt gewesen sein müssten, wenn er die Anwendung der §§ 172 ff. AO nicht im Zuge der Novellierung des KAG ausschließe, zurück.

67

Die Rechtsanwendung des Beklagten im Übrigen führt nicht zum Erfolg der Berufung. Soweit die Reduzierung des Nacherhebungsbetrages durch den Widerspruchsbescheid mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen rechtlichen Bedenken unterliegt, wäre der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Soweit der Widerspruchsbescheid in seinem Tenor zu Ziffer 1. einen Betrag von 3.656,80 EUR statt wie in der Begründung zutreffend errechnet von 3.656,38 EUR angibt, handelt es sich offensichtlich um ein Versehen. Der Tenor ist entsprechend korrigierend auszulegen.

68

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beurteilt sich nach § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

69

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

1. Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) ist mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) unvereinbar. Ersetzt der Gesetzgeber Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes nicht bis zum 1. April 2014 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung, tritt Nichtigkeit der Vorschrift ein.

2. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2008 - 20 ZB 08.903 - und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2008 - M 10 K 06.2850 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) mit den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verfassungsgrundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist.

I.

2

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs setzt das Entstehen einer Beitragspflicht für den Anschluss an leitungsgebundene Einrichtungen neben dem Erschlossensein des Grundstücks durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung (sogenannte Vorteilslage) zwingend das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus (vgl. BayVGH, Urteil vom 14. April 2011 - 20 BV 11.133 -, BayVBl 2012, S. 45 <46>; Urteil vom 29. April 2010 - 20 BV 09.2010 -, BayVBl 2011, S. 240; Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, juris). Eine wirksame Satzung ist somit Beitragsentstehungsvoraussetzung. Die Satzung muss nach Art. 5 Abs. 8 BayKAG nicht bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage in Kraft sein. Es genügt vielmehr, wenn sie nach deren Entstehung in Kraft tritt.

3

2. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung führt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b BayKAG in Verbindung mit § 47 der Abgabenordnung (AO) zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis. Die Festsetzungsfrist, nach deren Ablauf der Erlass eines Beitragsbescheids unzulässig ist, beträgt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 AO einheitlich vier Jahre.

4

3. Durch das am 31. Dezember 1992 verkündete Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) wurde der Beginn der Festsetzungsfrist mit Wirkung zum 1. Januar 1993 neu geregelt. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc BayKAG erhielt folgende Fassung:

5

Art. 13

Anwendung von Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977)

(1) Soweit gesetzlich nicht anders bestimmt, sind in ihrer jeweils geltenden Fassung vorbehaltlich Absatz 6 folgende Bestimmungen der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden:

(…)

4. aus dem Vierten Teil - Durchführung der Besteuerung -

(…)

b) über das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren:

(…)

cc) § 170 Abs. 1 mit der Maßgabe,

- dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist und

- dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekanntgemacht worden ist, (…).

6

Die in Bezug genommene Vorschrift des § 170 Abs. 1 AO lautet:

7

Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

8

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 1 BayKAG entspricht der bis dahin geltenden Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG vom 26. März 1974 (GVBl S. 109, ber. 252) in der Fassung vom 4. Februar 1977 (GVBl S. 82). Mit dem Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 wurde Spiegelstrich 2 neu in die gesetzliche Regelung eingefügt.

9

4. Der Gesetzgeber beabsichtigte hiermit ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs eine gesetzliche Klarstellung (LTDrucks 12/8082, S. 13). Bisher sei es in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs umstritten gewesen, ob in den Fällen, in denen eine nichtige Satzung rückwirkend durch eine gültige Satzung ersetzt werde, die Festsetzungsfrist mit dem Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Satzung (so BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60) oder erst mit Ablauf des Jahres zu laufen beginne, in dem die rückwirkende Satzung bekanntgemacht worden sei (so BayVGH 23. Senat, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Mit der Einfügung einer weiteren Maßgabe in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG werde die den Bedürfnissen der Praxis entgegen kommende Auffassung des 23. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gesetzlich klargestellt. Nach der gegenteiligen Ansicht könne nämlich eine rückwirkend entstandene Forderung gleichzeitig festsetzungsverjährt sein, wenn sich die Rückwirkungsfrist über die Verjährungsfrist hinaus erstrecke.

II.

10

1. Der Beschwerdeführer war von 1992 bis 1996 Eigentümer eines bereits an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen bebauten Grundstücks. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 1992 stellte die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Gemeinde, in der das Grundstück gelegen ist (im Folgenden: Beklagte), fest, dass das Dachgeschoss des Gebäudes ausgebaut worden war.

11

Mit Bescheid vom 5. April 2004 zog sie den Beschwerdeführer erstmals auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 5. Mai 2000 zu einem Kanalherstellungsbeitrag in Höhe von 1.197,32 € heran. Der Herstellungsbeitrag wurde gemäß § 5 Abs. 1 dieser Beitrags- und Gebührensatzung nach der Grundstücks- und Geschossfläche berechnet. Die Satzung war zur Heilung einer als nichtig beurteilten Vorgängersatzung rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft gesetzt worden.

12

Während des Widerspruchsverfahrens erwies sich auch die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 als unwirksam. Die Beklagte erließ daraufhin die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18. April 2005 und setzte sie rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft. Diese Satzung wurde am 26. April 2005 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.

13

2. Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Zwar seien die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000, auf die der Bescheid gestützt worden sei, sowie auch sämtliche Vorgängersatzungen aus den Jahren 1995, 1992, 1987, 1980, 1973 und 1960 in den Beitragsteilen nichtig gewesen. Eine wirksame Rechtsgrundlage für den Bescheid sei aber mit der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 geschaffen worden. Auf der Grundlage dieser Satzung sei die Beitragsschuld für die bislang nicht veranlagte Geschossflächenmehrung erstmals am 1. April 1995 entstanden. Der Beschwerdeführer sei als zu diesem Zeitpunkt ins Grundbuch eingetragener Grundstückseigentümer Beitragsschuldner. Eine Verjährung der Beitragsforderung sei nicht eingetreten, da nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden sei.

14

Der Beschwerdeführer könne hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, diese Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und müsse daher, insbesondere im Fall eines zwischenzeitlichen Eigentümerwechsels, abweichend von ihrem Wortlaut einschränkend ausgelegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestünden gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Ersichtliches Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, die Gemeinden im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren. Im Übrigen sei keiner der jetzigen oder ehemaligen Grundstückseigentümer in seiner Erwartung geschützt, von der Nichtigkeit früheren Satzungsrechts profitieren zu können; denn ein abgeschlossener Beitragstatbestand liege nicht vor. Welchen der Eigentümer die Beitragspflicht treffe, hänge von der Bestimmung des Zeitpunkts der Rückwirkung ab. Sei dieser - wie im vorliegenden Fall - ohne Verstoß gegen das Willkürverbot gewählt, bestehe kein Grund für eine rechtliche Beanstandung.

15

3. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ab. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Beitragsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids nicht verjährt gewesen sei. Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber habe hiermit eine Regelung getroffen, die der bis dahin ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entsprochen habe (Hinweis auf BayVGH, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Die Norm enthalte nach Inhalt, Zweck und Ausmaß eine klare Aussage über den Lauf der Festsetzungsfrist, gegen die durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden. Eine unzulässige echte Rückwirkung liege schon deshalb nicht vor, weil kein abgeschlossener Beitragstatbestand gegeben sei. Denn bei leitungsgebundenen Einrichtungen setze die Entstehung einer Beitragspflicht nach ständiger Rechtsprechung das Vorhandensein einer gültigen Abgabensatzung voraus. Eine wirksame Abgabensatzung habe erstmals im Jahr 2005 vorgelegen. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, die rückwirkende Inkraftsetzung einer Abgabensatzung müsse wenigstens zeitlich auf die einschlägigen Verjährungsvorschriften beschränkt werden, lasse er außer Acht, dass nur eine bereits entstandene Beitragsforderung verjähren könne. Bei fehlgeschlagenem Satzungsrecht müsse ein bisher nicht veranlagter Beitragspflichtiger damit rechnen, zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen zu werden. Er könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.

III.

16

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.

17

1. Die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene uneingeschränkte Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG auf rückwirkend in Kraft gesetzte Satzungen verstoße wegen der damit verbundenen echten Rückwirkung gegen die aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es sei geboten, die Rückwirkung einer Satzung durch Festsetzungsfristen zu begrenzen. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung dürfe nicht beliebig hinausgeschoben werden. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei im Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens einer Satzung entweder nicht anzuwenden oder verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Verjährung rückwirkend zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung beginne.

18

2. Die Ausgangsgerichte hätten Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil sie ihm nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt hätten. Er habe mit der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend gemacht, dass der Beitragsanspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen sei. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte beginne die Festsetzungsfrist nur zu laufen, wenn eine wirksame Beitragssatzung vorliege. Die Beklagte und die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen hätten sich darauf berufen, dass sämtliche Satzungen, die der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 vorausgingen, nichtig gewesen seien, was durch diverse Entscheidungen der Verwaltungsgerichte bereits geklärt worden sei. Er habe deshalb die Vorlage dieser Entscheidungen außergerichtlich und schließlich auch vor dem Verwaltungsgericht begehrt. Die maßgeblichen Entscheidungen seien ihm jedoch nicht vollständig zugänglich gemacht worden. Ihm sei es deshalb nicht möglich gewesen, zur Frage der Nichtigkeit sämtlicher Satzungen ausreichend Stellung zu nehmen.

IV.

19

Die Beklagte, die Bayerische Staatsregierung und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.

20

1. Die Beklagte ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Der Beschwerdeführer habe eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus sei der Rechtsweg nicht erschöpft, weil der Beschwerdeführer keine Anhörungsrüge erhoben habe.

21

Die Verfassungsbeschwerde sei im Übrigen nicht begründet. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn ein Vertrauen darauf, dass eine als nichtig erkannte Regelung aufrechterhalten bleibe und nicht durch eine neue, rückwirkende Satzung ersetzt werde, sei nicht schützenswert. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sein Grundstück veräußert habe, bedeute nicht, dass dadurch ein für seine Beitragspflicht maßgeblicher Tatbestand abgeschlossen sei und er in der Folge nicht mehr zur Beitragszahlung herangezogen werden dürfe. Er habe vielmehr den für die Entstehung der Beitragspflicht maßgeblichen Vorteil der Möglichkeit der Anschlussnahme entgegengenommen und mit dem Grundstücksverkauf nicht verloren. Dieser Vorteil habe den Wert seines Grundstücks erhöht mit der Folge, dass er für das Grundstück einen höheren Kaufpreis habe erzielen können.

22

2. Die Bayerische Staatsregierung hält Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG für verfassungsgemäß. Die Ersetzung einer als nichtig erkannten durch eine wirksame Beitragssatzung stelle keinen Fall einer echten, sondern allenfalls einer unechten Rückwirkung dar. Es sei kein abgeschlossener Lebenssachverhalt gegeben, in den nachträglich eingegriffen worden sei. Denn die Beitragsentstehung setze das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus. Ohne diese sei eine Berechnung des Beitrags in Ermangelung eines Beitragsmaßstabs nicht möglich.

23

Das Vertrauen des Beschwerdeführers wäre selbst bei Annahme einer echten Rückwirkung nicht schutzwürdig, weil er damit habe rechnen müssen, dass eine vorhandene, aber als nichtig erkannte Satzung durch eine gültige Satzung ersetzt werde, mit der die von Anfang an von der Gemeinde angestrebte Beitragspflicht herbeigeführt werde. Es seien keine Umstände erkennbar, die ein Vertrauen darauf rechtfertigten, dass die Gemeinde es bei einer nichtigen Beitragssatzung belassen und auf eine Beitragserhebung verzichten würde.

24

Eine zeitliche Beschränkung der Rückwirkung auf die Festsetzungsfristen sei aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht geboten. Der bayerische Gesetzgeber habe mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG eine Lösung gewählt, die sowohl die Gemeinden vor Beitragsausfällen aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung bewahre als auch dem Vorteilsgedanken Rechnung trage. Die Gemeinden würden nach Erlass der gültigen Satzung erstmals in die Lage versetzt, Beiträge nach den Maßstäben dieser gültigen Satzung korrekt festzusetzen und die öffentliche Einrichtung auf der Grundlage rechtsstaatlicher Regelungen zu refinanzieren. Bei Abwägung des öffentlichen Interesses mit den privaten Interessen der betroffenen Beitragspflichtigen überwiege das öffentliche Interesse. Ein Grundstückseigentümer müsse damit rechnen, zu einem Beitrag herangezogen zu werden. Sein Vertrauen darauf, dass eine nichtige Satzung nicht durch eine gültige Satzung ersetzt werde, sei nicht schutzwürdig. Verjährungsvorschriften dienten der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Im vorliegenden Fall liege kein Vorgang vor, auf dessen Abschluss der Bürger sich einstellen und auf dessen Ende er vertrauen könne. Da dem Beitragspflichtigen kein schützenswertes Vertrauen zur Seite stehe, komme dem öffentlichen Interesse an der Beitragserhebung das entscheidende Gewicht zu.

25

3. Das Bundesverwaltungsgericht teilt mit, es sei mit der Frage nach dem Lauf der Festsetzungsfrist bei der rückwirkenden "Reparatur" nichtiger Abgabennormen bisher nur am Rande befasst gewesen. Nach seiner gefestigten Rechtsprechung sei es allerdings mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar, kommunale Anschluss- und Erschließungsbeitragssatzungen rückwirkend in Kraft zu setzen, um früher erlassene, auf eine nichtige Vorgängersatzung gestützte Beitragsbescheide zu heilen (Hinweis auf BVerwGE 50, 2 <7 f.>; 67, 129 <130 ff.>; BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1996 - BVerwG 8 B 13.96 -, Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 36, S. 3 <4>). Werde eine ungültige durch eine gültige Satzung ersetzt, liege darin keine echte Rückwirkung, da eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Beitragssatzung entstehen könne und diese Satzung somit nicht in einen bereits abgeschlossenen Tatbestand eingreife (Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 1986 - BVerwG 8 B 123.84 -, NVwZ 1986, S. 483 <484>).

26

Die Festsetzungsverjährung sei im Abgabenrecht der Länder geregelt (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1977 - BVerwG IV C 84-92.74 -, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 20, S. 20<25> sowie NJW 1977, S. 1740 <1741>). Die Anknüpfung der Verjährung an die rückwirkende Entstehung der Beitragspflicht stehe mit Bundesrecht in Einklang. Die Frage der bundesrechtlichen Unbedenklichkeit einer Anknüpfung an die Verkündung der neuen Satzung sei in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter problematisiert worden.

27

Gegen die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG getroffene Regelung bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das rückwirkende Inkrafttreten der neuen Satzung habe zwar zur Folge, dass bereits zu einem zurückliegenden Zeitpunkt (frühestens zum Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens) die Beitragsvoraussetzungen erfüllt sein könnten. Es sei aber kein verfassungsrechtlicher Grundsatz ersichtlich, der dazu zwinge, die Festsetzungsverjährung in Rückwirkungsfällen an das Entstehen der Beitragsforderung anzuknüpfen. Da die Behörde erst mit der Verkündung der neuen Satzung in den Stand versetzt werde, einen rechtlich tragfähigen Beitragsbescheid zu erlassen, beziehungsweise erst mit der Verkündung ein auf die frühere nichtige Satzung gestützter Beitragsbescheid geheilt werde, sprächen Sachgründe für den im Bayerischen Kommunalabgabengesetz gewählten zeitlichen Anknüpfungspunkt der Festsetzungsverjährung. Die Regelung verstoße daher nicht gegen das Willkürverbot.

28

Mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbaren Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit dürfte die Regelung gleichfalls in Einklang stehen. Das Institut der Festsetzungsverjährung diene dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (Hinweis auf BFH, Urteil vom 15. Juni 1988 - I R 68/86 -, BFH/NV 1990, S. 128). Die Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die Verkündung der neuen Satzung führe zwar dazu, dass ein sehr langer Zeitraum zwischen dem die Beitragsforderung begründenden Sachverhalt und dem Ablauf der Verjährungsfrist liegen könne. Es sei aber zu bedenken, dass die mit der Festsetzungsverjährung verfolgten Ziele in einem Spannungsverhältnis zu dem Belang materieller Gerechtigkeit und dem fiskalischen Interesse an der Durchsetzung des Abgabenanspruchs stünden. Für die Aufgabe, zwischen den Polen in diesem Spannungsverhältnis einen verhältnismäßigen Ausgleich zu schaffen, sei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Gehe man mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass der Beitragspflichtige sich gegenüber dem rückwirkenden Inkraftsetzen einer neuen Beitragssatzung nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, und berücksichtige man zusätzlich die besondere Fehleranfälligkeit kommunaler Beitragssatzungen und das daraus resultierende gesteigerte Interesse an einer effektiven Nutzbarkeit der Heilungsmöglichkeiten, dürfte sich die Verjährungsregelung des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes innerhalb dieses Gestaltungsspielraums halten.

29

4. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund weist darauf hin, dass der rückwirkende Erlass einer Satzung, welche die "Reparatur" einer unwirksamen Satzung bezwecke, eine Ausnahme darstelle und im vorliegenden Fall verwaltungspraktische Gründe gehabt habe. Die auf der Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 erlassenen Bescheide wären sonst im Fall eines Eigentümerwechsels bei einem Teil der früheren Eigentümer bestandskräftig geworden und hätten bei nicht bestandskräftigen Bescheiden aufgehoben und gegenüber dem neuen Eigentümer neu erlassen werden müssen. Dadurch wäre es zu Ungleichbehandlungen gekommen. Der rückwirkende Erlass einer Satzung sei in der Praxis auch dann erforderlich, wenn andernfalls die Einbringung von Forderungen, zum Beispiel wegen Insolvenz oder Zwangsversteigerungsverfahren, gefährdet wäre. Eine Rückwirkung erstrecke sich üblicherweise nicht auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Dieser lange Zeitraum ergebe sich im vorliegenden Fall daraus, dass die Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 den in der Vorgängersatzung normierten Rückwirkungszeitpunkt beibehalten habe, was einen atypischen, sozusagen "verdoppelten" Rückwirkungszeitraum zur Folge gehabt habe.

B.

30

Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgebrachten Rügen sind nur teilweise zulässig.

I.

31

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da sie nicht hinreichend begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat insoweit die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht substantiiert dargelegt (vgl. BVerfGE 7, 95 <99>; 60, 313 <318>; 86, 133 <147>).

II.

32

Soweit die Verfassungsbeschwerde einen Verstoß gegen die aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes betrifft, ist sie zulässig.

33

Der Beschwerdeführer war - trotz Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG - nicht gehalten, zur Erschöpfung des Rechtswegs gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zu erheben. Wird im fachgerichtlichen Rechtsmittelverfahren die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht und bestätigt das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung, so muss die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - sofern kein eigenständiger neuer Gehörsverstoß durch das Rechtsmittelgericht geltend gemacht wird - nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden, um dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu genügen (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 f.>).

C.

34

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Die mittelbar angegriffene Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBl S. 775) sowie die hierauf beruhenden, unmittelbar angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

I.

35

1. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verletzt im vorliegenden Fall nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze.

36

Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz begrenzt die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263>; 126, 369 <393>).

37

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG selbst entfaltet dem Beschwerdeführer gegenüber keine Rückwirkung. Die Vorschrift regelt den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung von Beiträgen, die auf Abgabensatzungen gestützt sind, welche eine frühere unwirksame Satzung wirksam heilen. Bei ihrem Inkrafttreten zum 1. Januar 1993 lag eine solche wirksam heilende Satzung im Fall des Beschwerdeführers noch nicht vor und wurde auch später nicht rückwirkend zum oder vor dem 1. Januar 1993 in Kraft gesetzt, so dass die Verjährungsfrist unabhängig von der Neuregelung noch nicht zu laufen begonnen hatte. Solange der Lauf der Verjährungsfrist mangels gültiger Satzung nicht begonnen hat, betrifft die gesetzliche Neuregelung des Beginns der Verjährung mit der Wirkung einer Verjährungsverlängerung jedoch noch nicht einmal einen in der Vergangenheit begonnenen und nicht abgeschlossenen Sachverhalt.

38

Die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung bereits bestehende Vorteilslage begründet für den Beschwerdeführer ebenfalls keinen bereits begonnenen Sachverhalt, in den die Neuregelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG im Wege einer Rückwirkung eingegriffen hätte. Denn die Neuregelung beschränkt sich auf das Hinausschieben des Beginns der Verjährung. Eine solche konnte ohne wirksame Satzung aber nicht zu laufen beginnen.

39

2. Sollte der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf die unwirksame Satzung auf den Schein eines Verjährungslaufs vertraut haben, so kann dahinstehen, ob und in welchem Zusammenhang das Vertrauen in den scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verfassungsrechtlichen Schutz verdient. Nach den Feststellungen der Ausgangsgerichte hätte die Festsetzungsfrist selbst bei Wirksamkeit der unwirksamen Satzung frühestens mit Ablauf des Jahres 1992 begonnen. Das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes wurde aber bereits am 31. Dezember 1992 und damit sogar noch vor dem scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verkündet.

II.

40

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verstößt jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 30, 392 <403>; 43, 242 <286>; 60, 253 <267>). Er erlaubt, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen. Der Gesetzgeber hat damit den Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Entwässerungsanlage verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

41

1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (vgl. BVerfGE 60, 253 <267 f.>; 63, 343 <357>; BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, DStR 2012, S. 2322 <2325>). Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 63, 215 <223>). Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten.

42

2. Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

43

a) Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. Während das staatliche Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten vornehmlich von den Grundsätzen der richtigen Rechtsanwendung und der materiellen Gerechtigkeit (Belastungsgleichheit) sowie von fiskalischen Erwägungen getragen wird, steht dem auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber.

44

Dabei ist es den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.

45

b) Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 343 <352 f.>; 93, 319 <344>). Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.

46

c) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.

47

3. Der Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den erforderlichen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit auf der einen Seite und Rechtsrichtigkeit und Fiskalinteresse auf der anderen Seite verfehlt. Dadurch, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den Verjährungsbeginn bei der Heilung ungültiger Abgabensatzungen ohne zeitliche Obergrenze auf den Ablauf des Kalenderjahres festlegt, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden ist, löst der Gesetzgeber den Interessenkonflikt einseitig zu Lasten des Bürgers. Zwar schließt er damit die Verjährung von Beitragsansprüchen nicht völlig aus. Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt. Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen.

48

Der Beitragspflicht können die Bürgerinnen und Bürger im Regelfall nicht durch den Einwand der Verwirkung entgehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2011 - BVerwG 3 B 36.11 -, BeckRS 2011, 53777; Beschluss vom 12. Januar 2004 - BVerwG 3 B 101.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 314) und des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH, Urteil vom 8. Oktober 1986 - II R 167/84 -, BFHE 147, 409 <412>) erfordert Verwirkung nicht nur, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts längere Zeit verstrichen ist. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Diese Voraussetzung dürfte selbst in den Fällen der Beitragserhebung nach scheinbarem Ablauf der Festsetzungsfrist regelmäßig nicht erfüllt sein.

D.

I.

49

Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

50

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ).

II.

51

Der angegriffene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Die Unvereinbarkeitserklärung führt dazu, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden darf (vgl. BVerfGE 111, 115 <146>). Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens aber bis zum 1. April 2014, ausgesetzt oder sind auszusetzen.

52

Die Aussetzung gibt dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung. Verzichtet er auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist, tritt zum 1. April 2014 Nichtigkeit ein. Dann wäre es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, das Landesrecht entsprechend verfassungskonform auszulegen (vgl. etwa für den Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens heilender Satzungen BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60).

III.

53

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die zulässige Dauer der Ablaufhemmung von Steuerfestsetzungsfristen im Falle von Außenprüfungen.

2

1. Die Frist für die Festsetzung einer Steuer endet nach den in § 169 AO genannten Zeiträumen. Die Durchführung einer Außenprüfung hemmt nach Maßgabe der in § 171 Abs. 4 Satz 1 AO beschriebenen Bedingungen den Ablauf der Festsetzungsfrist. Nach § 171 Abs. 4 Satz 3 AO endet die Festsetzungsfrist für Steuerbescheide spätestens, wenn seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Schlussbesprechung (§ 201 AO) stattgefunden hat, oder, wenn die Schlussbesprechung unterblieben ist, seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung stattgefunden haben, die in § 169 Abs. 2 AO genannten Fristen verstrichen sind.

3

2. Bei der Beschwerdeführerin wurde für die Veranlagungszeiträume 1974 bis 1978 im Jahr 1980 mit einer Außenprüfung begonnen. Die letzte Ermittlungshandlung fand im April 1989 statt. Bis 1995 erfolgten dann seitens der Finanzverwaltung keine weiteren Ermittlungshandlungen im Rahmen der Außenprüfung. 1995 wurde die Außenprüfung fortgesetzt. Die Schlussbesprechung fand Ende 1996 statt. Gegen die daraufhin ergangenen geänderten Steuerbescheide aus dem Jahre 1997 beschritt die Beschwerdeführerin erfolglos den Rechtsweg, wobei sie Verjährung einwandte. Der Bundesfinanzhof bestätigte die Auffassung der Vorinstanz, dass keine Verjährung eingetreten sei. § 171 Abs. 4 Satz 3 AO sei dahingehend auszulegen, dass sich die Ablaufhemmung im vorliegenden Fall nicht nach dem Zeitpunkt der letzten Ermittlungshandlung richte, sondern nach dem Zeitpunkt der Schlussbesprechung. Durch einen Verzicht auf die Schlussbesprechung hätte die Beschwerdeführerin den Eintritt der Verjährung herbeiführen und so eine überlange Festsetzungsverjährung vermeiden können.

II.

4

Die Beschwerdeführerin macht mit ihrer Verfassungsbeschwerde vor allem geltend, die genannte Auslegung von § 171 Abs. 4 Satz 3 AO verletze die Prinzipien der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Die Auslegung des Bundesfinanzhofs, bei der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 3 AO komme es im vorliegenden Fall auf die Schlussbesprechung im Jahr 1996 und nicht auf die letzte Ermittlungshandlung im Jahr 1989 an, führe zu einer ewigen Verjährung unter Kontrolle der Finanzverwaltung.

III.

5

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Soweit die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit, Art. 20 Abs. 3 GG) rügt, hat die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg.

6

1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (vgl. BVerfGE 60, 253 <267 f.>; 63, 343 <357>; 132, 302 <317 Rn. 41>; 133, 143 <158 Rn. 41>). Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 63, 215 <223>). Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten (vgl. BVerfGE 133, 143 <158 Rn. 41>).

7

Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. Während das staatliche Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten vornehmlich von den Grundsätzen der richtigen Rechtsanwendung und der materiellen Gerechtigkeit (Belastungsgleichheit) sowie von fiskalischen Erwägungen getragen wird, steht dem auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber. Dabei ist es den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat (vgl. BVerfGE 133, 143 <159 Rn. 43 f.>).

8

Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Steueraufkommen und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt (vgl. BVerfGE 133, 143 <160 Rn. 46>).

9

2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die in den angegriffenen Entscheidungen gewählte Auslegung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

10

Es wäre allerdings mit den beschriebenen Grundsätzen von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz nicht vereinbar, könnte die Finanzverwaltung durch Hinauszögern der Schlussbesprechung den Ablauf der Festsetzungsfrist nach eigenem Gutdünken bestimmen und so letztlich beliebig verlängern. Weder unbegrenzte Festsetzungsfristen noch eine freie Verfügbarkeit der Finanzbehörden über deren Lauf stünden mit diesen Grundsätzen in Einklang.

11

a) Die vom Bundesfinanzhof vertretene Auslegung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO, die bei Außenprüfungen den Lauf der Festsetzungsfrist nur bei definitivem Unterbleiben der Schlussbesprechung an die letzte Ermittlungshandlung knüpft, ist unter den Gesichtspunkten von Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und führt zu keiner mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unvereinbaren Handhabung der Regeln über die Festsetzungsverjährung bei Außenprüfungen.

12

Durch die ihm nach § 201 Abs. 1 Satz 1 AO eröffnete Möglichkeit, auf die Schlussbesprechung zu verzichten, hat es der Steuerpflichtige selbst in der Hand, den Ablauf der Festsetzungsfrist aus § 169 AO herbeizuführen. Gegen den Willen des Steuerpflichtigen darf die Finanzbehörde, wie der Bundesfinanzhof in der hier angegriffenen Entscheidung bestätigt hat, keine Schlussbesprechung durchführen und kann so auch nicht den Fristlauf ab der letzten Ermittlungshandlung gegen den Willen des Steuerpflichtigen verhindern.

13

Es ist auch nicht erkennbar, dass ein Verzicht auf die Schlussbesprechung im vorliegenden Fall mit unzumutbaren Nachteilen für ihn verbunden wäre.

14

Die Schlussbesprechung dient, wie der Bundesfinanzhof in dem angegriffenen Beschluss unter Verweisung auf seine Rechtsprechung ausführt, insbesondere der Anhörung des Steuerpflichtigen. Dem Steuerpflichtigen soll durch die Schlussbesprechung die Möglichkeit gegeben werden, zu den Prüfungsfeststellungen umfassend Stellung zu nehmen, sie mit dem Außenprüfer erörtern und so auch einvernehmliche Lösungen erzielen zu können. Äußerungen des Steuerpflichtigen zur Sach- und Rechtslage, die während des Außenprüfungsverfahrens, aber außerhalb der Schlussbesprechung getätigt werden, müssen allerdings in gleicher Weise bei der Entscheidungsfindung der Finanzbehörde berücksichtigt werden wie solche, die innerhalb der Schlussbesprechung erfolgen.

15

Jedenfalls in Streitlagen wie der vorliegenden, in der seit der letzten Ermittlungshandlung im Rahmen der Außenprüfung im Sinne des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO die Festsetzungsverjährung nach § 169 AO ohne Berücksichtigung dieser Ablaufhemmung bereits abgelaufen wäre, kann der Steuerpflichtige grundsätzlich ohne erkennbaren Rechtsnachteil auf die Schlussbesprechung verzichten. Wie der Bundesfinanzhof in dem angegriffenen Beschluss ausgeführt hat, führt der Verzicht dann unmittelbar zum Eintritt der Verjährung und damit zum Erlöschen des Steueranspruchs. Der mit dem Verzicht verbundene Verlust unmittelbarer Erörterungs- und Vergleichsmöglichkeiten in der Schlussbesprechung bleibt so im Hinblick auf die dann verjährten Steueransprüche ohne Belang.

16

b) Es ist nicht erkennbar, dass der Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör bei einem Verzicht auf die Schlussbesprechung beschnitten worden wäre. Es ist aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin und den eingereichten Unterlagen ersichtlich, dass es zwischen der Beschwerdeführerin und der Finanzverwaltung während des Verlaufs der Außenprüfung auch außerhalb der Schlussbesprechung mehrfach zu einem mündlichen und schriftlichen Austausch der Rechtsauffassungen zu den streitigen Punkten kam. Der Verfassungsbeschwerde lassen sich auch sonst keine Anhaltspunkte dazu entnehmen, inwieweit bei einer durch Verzicht herbeigeführten Verjährung der Steueransprüche konkrete Nachteile für die Beschwerdeführerin wegen der Nichtdurchführung der Schlussbesprechung verblieben wären.

17

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

18

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenansatzes vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung der Klägerin zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser).

2

Der Zweckverband, dem der Beklagte vorsteht, betreibt im Ostseebad Heringsdorf die zentrale Abwasserbeseitigung durch die in seiner Beitragssatzung als öffentliche Einrichtung II bezeichnete Anlage.

3

Die Klägerin ist als Wohnungseigentümerin (Mit-)Eigentümerin des Grundstücks Flurstück ../.. und ../.., Flur .., Gemarkung H…, welches an die Einrichtung II des Zweckverbandes angeschlossen ist.

4

Bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 zog der Beklagte die Klägerin zu Anschlussbeiträgen Schmutzwasser für das Grundstück Flurstück /.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 4.089,18 DM und für das Grundstück Flurstück ../.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 1.470,25 DM heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 1996). Die Bescheide wurden bestandskräftig.

5

Mit Bescheiden vom 15. Oktober 2009 zog der Beklagte die Klägerin unter Anrechnung der bereits geleisteten Beiträge zu Anschlussbeiträgen für das Wohnungs- und Teileigentum in Höhe von insgesamt 30.974,76 Euro heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 2005).

6

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 11. November 2009 Widerspruch ein.

7

Mit Änderungs- und Widerspruchsbescheid vom 1. März 2010 stellte der Beklagte unter Ziffer 1 klar, dass ein Beitrag von insgesamt 30.974,76 Euro zu zahlen sei. Unter Ziffer 2 des Bescheides werden die in der Anlage l aufgeführten Bescheide wegen offenbarer Unrichtigkeit auf Seite 2, Zeile 3 dahingehend berichtigt, dass nur die Bescheide vom 25. Februar 1999 (und nicht auch vom 11. Februar 1999) geändert werden sollen. Im Übrigen werden die Widersprüche zurückgewiesen.

8

Die Klägerin hat am 30. März 2010 Klage erhoben.

9

Sie ist der Ansicht, ihre Heranziehung sei rechtswidrig.

10

Der Beklagte habe den Widerspruchsbescheid nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen begründet, da er nur einen Widerspruchsbescheid erlassen habe und hinsichtlich der gesamten 135 Kanalbauanschlussbeitragsbescheide auf eine dem Widerspruchsbescheid als Anlage l beigefügte Liste verwiesen habe.

11

Die Bescheide seien (auch) materiell rechtswidrig. Sie verstießen gegen den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung. Der Beklagte habe die Klägerin bereits mit Beitragsbescheiden vom 25. Februar 1999 zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser) herangezogen, und diese Bescheide seien bestandskräftig geworden. Der Beitrag sei voll ausgeschöpft worden.

12

Der nochmaligen Veranlagung stehe darüber hinaus der Grundsatz der Verwirkung entgegen. Im Übrigen habe der Gesetzgeber erst mit der Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht mit der ersten wirksamen Satzung entstehe (Änderung des § 9 Abs. 3 KAG M-V), sodass nach der alten Rechtslage die Beitragspflicht bereits entstanden und damit verjährt sei. Diese gesetzliche Änderung habe echte Rückwirkung entfaltet. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – werde Bezug genommen. Nach Ablauf von mehr als zehn Jahren habe die Klägerin auch nicht mehr mit dem Erlass eines weiteren Beitragsbescheides rechnen müssen.

13

Weiterhin sei die dem Beitragssatz zugrunde liegende Kalkulation fehlerhaft. Die Gemeinde Seebad Heringsdorf habe im Jahr 2011 einen Bebauungsplan Nr. 23 „Ortszentrum an der Delbrückstraße 1 in Heringsdorf“ aufgestellt, nach welchem anstelle eines bisherigen Parkplatzes und eines dreigeschossigen Einkaufszentrums ein maximal 25,9 m hoher Hotelkomplex zwischen der S-straße und der D-straße entstehen solle. Diese Planungen seien bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt worden. Auch im Bereich Neu-Sallenthin, Alt-Sallenthin weise die Flächenberechnung lediglich eine eingeschossige Nutzungsfläche auf. Dies sei fehlerhaft. In der Gemeinde gebe es eine Reihe zweigeschossiger Gebäude, wie beispielsweise in der Straße „An den Krebsseen" Nummer 1, 8, 16, 39 und 42. Das in Neu-Sallenthin vorhandene Hotel „B" sei darüber hinaus dreigeschossig. Die Fortschreibung der Beitragskalkulation enthalte eine Ermittlung der Erstattung von Abwasserabgaben. Hierbei handele es sich nicht um eine Fortschreibung, da die Angaben aus den Jahren 2006 bis 2008 stammten.

14

Die Klägerin hat beantragt,

15

die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten – Bescheidnummern … bis … – vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er hat im Wesentlichen vorgetragen, der Nachveranlagung könne weder der Grundsatz der einmaligen Beitragserhebung noch Verwirkung entgegengehalten werden. Dies habe auch das OVG Greifswald zwischenzeitlich bestätigt. Erst mit Erlass der angefochtenen Bescheide, gestützt auf die Beitragssatzung vom 16. März 2005, habe der Beklagte seinen Beitragsanspruch voll ausgeschöpft, da die Vorgängersatzungen allesamt unwirksam gewesen seien.

19

Gegen die Kalkulation beständen keine Bedenken. Die aktuelle Fortschreibung der Kalkulation sei bis 2015 erfolgt. Da der Bebauungsplan Nr. 23 der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bislang nicht wirksam sei, sei das Grundstück auch nur mit der tatsächlichen Bebauung mit drei Vollgeschossen bei der Flächenermittlung berücksichtigt worden.

20

Durch Urteil vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – hat das Verwaltungsgericht Greifswald die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

21

Die zulässige Klage habe keinen Erfolg. Die Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

22

Die Bescheide seien formell rechtmäßig; sie genügten dem Begründungserfordernis. Im Änderungs- und Widerspruchsbescheid werde ausführlich erläutert, wie sich die einzelnen für die Miteigentumsanteile festgesetzten Beiträge errechneten. Der errechnete Betrag sei für jeden Miteigentumsanteil anhand der Bescheidnummern genau bestimmbar.

23

Die Bescheide seien materiell rechtmäßig. Die der Beitragssatzung zugrundeliegenden Normen des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern – KAG M-V –, insbesondere § 9 Abs. 3 KAG M-V, verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, da die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern in entscheidungserheblichen Punkten nicht mit der des Bayrischen Kommunalabgabengesetzes – BayKAG – vergleichbar sei. Eine „Verflüchtigung“ des Vorteils wie im bayrischen Landesrecht sei im Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich.

24

Die Beitragsbescheide fänden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 20. Mai 2011. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung beständen nicht.

25

Die dem Beitragssatz für die Einrichtung II zugrundeliegende, in der Verbandssitzung am 16. Mai 2011 beschlossene Globalkalkulation sei nicht zu beanstanden. Der Einwand der Klägerseite, es sei rechtsfehlerhaft, dass der Beklagte die mit dem Bebauungsplan Nr. 23 erfolgten Planungen der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt habe, verfange nicht. Zwar sei es zutreffend, dass bei der Beschlussfassung über die Kalkulation in der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 der Bebauungsplan Nr. 23 bereits beschlossen und bekannt gemacht worden war. Allerdings sei der Beklagte nicht verpflichtet, (zukünftige) Baulandflächen zu berücksichtigen, die auf einem unwirksamen Bebauungsplan beruhten. Dies sei vorliegend der Fall. Das OVG Greifswald habe in seiner rechtskräftigen Entscheidung vom 21. November 2012 - Az. 3 K 22/11 - den Bebauungsplan Nr. 23 für unwirksam erklärt. Der Einwand der Klägerin, die Einstufung der in der Ortschaft Neu-Sallenthin gelegenen Grundstücke als insgesamt eingeschossig bebaut, sei teilweise unrichtig, führe nicht zur Fehlerhaftigkeit der Kalkulation. Zwar habe der Beklagte eingeräumt, dass die in der Straße „An den K“ Nr. 1, 8, 16 und 42 gelegenen Grundstücke zweigeschossig bebaut seien und auch das Hotel „B“ über zwei Vollgeschosse verfüge. Dieser Fehler wirke sich jedoch wegen seiner Geringfügigkeit bei einer ermittelten Gesamtfläche von 2.290.027 m² weder auf den kalkulatorisch höchstzulässigen ermittelten Beitragssatz für die Einrichtung II von 8,29 Euro noch auf den festgesetzten Beitragssatz von 4,83 Euro wesentlich aus. Die Auswirkungen auf den Deckungsgrad seien gering und der beschlossene Beitrag von 4,83 Euro sei noch weit von dem höchstzulässigen Beitrag entfernt. Die der Verbandsversammlung unterbreitete Kalkulation sei damit nicht in einem für den Abgabensatz wesentlichen Punkt mangelhaft und auch nicht methodisch fehlerhaft, sodass die Verbandsversammlung trotz dieses Fehlers das ihr bei der Festsetzung des Abgabensatzes eingeräumte Ermessen fehlerfrei habe ausüben können. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführt habe, es könne aus der fehlerhaften Flächenermittlung im Bereich der Ortschaft Neu-Sallenthin geschlossen werden, dass auch für die übrigen Gebiete der Einrichtung II die Flächen fehlerhaft ermittelt worden seien, treffe das nicht zu. Zum einen gebe es einen solchen Erfahrungssatz nicht. Zum anderen habe der Beklagte unwidersprochen ausgeführt, dass die Ortschaft Neu-Sallenthin abwasserseitig noch nicht erschlossen sei. Da insoweit die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung fehlten, sei eine Schätzung auf repräsentativer Grundlage erfolgt. Demgegenüber seien 80 v. H. der im Einzugsbereich der Einrichtung II gelegenen Grundstücke tatsächlich angeschlossen, sodass insoweit auch die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung vorlägen und bei der Kalkulation berücksichtigt worden seien. Im Übrigen sei es Sache der Klägerin, etwaige Satzungs- oder Rechtsanwendungsfehler hinreichend bestimmt darzulegen. Das Gericht sei nicht gehalten, von sich aus auf Fehlersuche zu gehen. Denn dies liefe auf eine auch vom verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) nicht mehr gedeckte Fehlersuche „ins Blaue“ hinaus.

26

Nicht zu beanstanden sei die aufwandsmindernde Berücksichtigung der zurückerstatteten Beträge aus der Abwasserabgabe in der Kalkulation (als „Leistungen Dritter“). Dass der Beklagte die Verrechnung der Abwassergabe nicht fortgeschrieben habe, sei rechtsfehlerfrei. Denn eine Verrechnung der Abwasserabgabe sei in der Zukunft nicht zu erwarten, da alle in der Einrichtung II anfallenden Abwässer entweder durch Überleitung in die Kläranlage Swinemünde oder zum Zweckverband Wolgast gereinigt würden. Eine eigene Klärung des Abwassers durch den Zweckverband entfalle damit im Bereich der Einrichtung II. Daher sei auch keine Abwasserabgabe durch den Zweckverband zu entrichten; eine Verrechnungsmöglichkeit entfalle.

27

Rechtmäßig sei auch die Nachberechnung des Beitrags, obwohl bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 für dasselbe Grundstück ein Anschlussbeitrag erhoben worden sei. Der dem Bescheid vom 25. Februar 1999 zugrunde gelegte Beitragssatz beruhte auf einer unwirksamen Kalkulation, da die am 4. November 1996 beschlossene Beitragssatzung in § 5 ABS u. a. zwischen erstmalig und bereits an einen Mischkanal angeschlossen gewesene Grundstücke differenziert und dafür unterschiedliche Beitragssätze vorgesehen habe. Die Regelung eines sog. gespaltenen Beitragssatzes sei gleichheitswidrig und habe zur Unwirksamkeit des Beitragssatzes geführt. Der Beklagte sei daher gehalten gewesen, eine dem nunmehr festgesetzten Beitragssatz für die Einrichtung II von 4,83 Euro entsprechende Nachforderung zu erheben. Auf die Frage, wer den Veranlagungsfehler 1999 verschuldet habe, komme es für die Rechtmäßigkeit der Nacherhebung nicht an.

28

Der Nachveranlagung des Beitrages stehe auch der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. Dieser sei dann nicht verletzt, wenn der bereits gezahlte Betrag – wie hier – auf die Beitragsschuld angerechnet werde. Gleiches gelte für die Bestandskraft des früheren Beitragsbescheides und die Regelungen der §§ 170 ff. AbgabenordnungAO –.

29

Der Beitragsanspruch sei nicht durch Festsetzungsverjährung erloschen. Gemäß § 12 Abs. 2 KAG M-V betrage die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und Steuern vier Jahre. Nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V beginne die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden sei. Obwohl das Grundstück bereits seit längerem an die Anlage angeschlossen worden sei, sei die sachliche Beitragspflicht erst im Kalenderjahr 2011 entstanden, sodass die vierjährige Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2011 anlaufe und frühestens am 31. Dezember 2015 ablaufe.

30

Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V entstehe die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden könne, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Gemeint gewesen sei auch nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. eine wirksame (gültige) Satzung, denn auf Grundlage einer unwirksamen Satzung könnten Beitragspflichten von vornherein nicht entstehen. Der Einwand der Klägerin, der Gesetzgeber habe erst mit Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht erst mit der ersten wirksamen Satzung entstehe, verfange damit nicht.

31

Gleiches gilt für ihren Einwand, der Lauf der Festsetzungsfrist sei bereits durch den tatsächlichen Anschluss ausgelöst worden, da § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. im Lichte der eingangs erwähnten Rechtsprechung des BVerfG im strengen Wortsinne auszulegen sei, denn die Erwägungen des BVerfG seien auf die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern nicht übertragbar.

32

In dem Anknüpfen der Verjährungsfrist an den Erlass der ersten wirksamen Beitragssatzung liege schließlich auch keine im Regelfall nach Art. 20 Abs. 3 GG unzulässige (echte) Rückwirkung, sondern lediglich eine sogenannte tatbestandliche Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung), die allgemein zulässig sei. Der Gesetzgeber regele keinen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt mit Wirkung für die Vergangenheit neu, sondern nehme einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt zum Anlass, daran Rechtsfolgen für die Zukunft – die Beitragspflicht – zu knüpfen.

33

Das Gericht gehe davon aus, dass die ABS vom 18. März 2005 in Gestalt der 7. Änderungssatzung vom 20. März 2011 die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes sei und die sachliche Beitragspflicht daher frühestens auf Grundlage dieser Satzung habe entstehen können. Frühere Beitragssatzungen des Zweckverbandes aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 seien unwirksam gewesen.

34

Die am 4. November 1996 beschlossene erste Beitragssatzung habe unterschiedliche Beitragssätze für sogenannte altangeschlossene und neuangeschlossene Grundstücke aufgewiesen und daher gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Der Beitragssatzung vom 22. November 2001 habe es an einer widerspruchsfreien Abgrenzung zwischen öffentlicher Einrichtung und Grundstücksanschlüssen gefehlt, was auch durch die Abwasseranschluss- und Beseitigungssatzung – AAS – vom 9. Oktober 2002 nicht geändert worden sei. Der ABS vom 16. April 2004 habe es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen gefehlt. Die ABS vom 18. März 2005 habe nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt aufgewiesen, da die Maßstabsregel unvollständig gewesen sei.

35

Die Klägerin hat am 11. Oktober 2013 die Zulassung der Berufung beantragt. Durch Beschluss vom 17. September 2015 hat der Senat die Berufung zugelassen.

36

Zur Begründung ihrer Berufung verweist die Klägerin ergänzend auf die Beschlüsse des BVerfG vom 12. November 2015 und auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 15. April 2015. Danach sei eine Beitragserhebung in Mecklenburg-Vorpommern nur bis zum 31. Dezember 2008 zulässig gewesen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a. F.). Die Beiträge seien somit verjährt. Zudem sei auch die Beitragskalkulation fehlerhaft.

37

Auch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016, mit dem die Verjährungsregelung des § 12 Abs. 2 KAG M-V geändert worden sei, habe die Beitragserhebung nicht nachträglich rechtlich zulässig gemacht. Das BVerfG habe im Beschluss vom 5. März 2013 (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.) dem Bayerischen Landesgesetzgeber eine Frist bis zum 31. März 2014 eingeräumt, eine gesetzlich zulässige Regelung zur Bestimmung der Verjährungsfrist zu schaffen. Wegen der Bindungswirkung des § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG – gelte diese Frist auch für den Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern, der diese Frist habe verstreichen lassen, sodass die gesetzliche Änderung von 14. Juli 2016 die Beitragserhebung nicht mehr habe heilen können.

38

Die Klägerin beantragt,

39

die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 abzuändern und die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 – … - … – in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

40

Der Beklagte beantragt,

41

Die Berufung zurückzuweisen.

42

Er tritt der Berufung entgegen.

43

Am 14. Juli 2016 hat der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes erlassen und dort unter anderem eine neue Verjährungsregelung eingefügt. Das Gesetz ist im GVOBl. M-V 2016 S. 584, Heft Nr. 15 vom 29. Juli 2016, veröffentlicht und nach Art. 2 des Gesetzes am Tag nach seiner Verkündung in Kraft getreten.

44

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

45

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die angefochtenen Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

46

Die Beitragsbescheide finden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 16. Mai 2011, ausgefertigt am 20. März 2011. Dies ist die erste rechtswirksame Abwasserbeseitigungssatzung des Beklagten (zu 1). Erst das Inkrafttreten dieser Satzung hat die sachliche Beitragspflicht ausgelöst; einer Rückwirkung dieser Satzung hat es nicht bedurft (zu 2). Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung hat der Senat – in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts – VG – nicht (zu 3). Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig (zu 4).

47

1. Die früheren Satzungen des Beklagten aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 waren unwirksam; so zutreffend das VG im angefochtenen Urteil. Dem ist die Klägerseite zum einen nicht substantiiert entgegengetreten. Zum anderen hat die Prüfung des Senats von Amts wegen nichts Abweichendes ergeben.

48

Die ABS vom 4. November 1996 hat in § 5 für jede der drei Einrichtungen (I bis III) drei Beitragstatbestände enthalten, nämlich einen Beitragssatz für den „erstmaligen Anschluss eines Grundstücks an die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung“, einen geminderten Beitragssatz für Grundstücke, die bereits den Überlauf der Grundstücksentwässerungsanlage an einen Mischkanal besaßen, und – zum Dritten – für Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG M-V voll an die gemeindliche Kläranlage angeschlossen gewesen waren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates, an der festgehalten wird, lag in dem dritten Beitragstatbestand eine unwirksame, weil gegen Art. 3 Grundgesetz – GG – verstoßende Altanschließerregelung. Den Altanschließern wird durch die nach der Wende geschaffene öffentliche Einrichtung des Aufgabenträgers derselbe Vorteil geboten wie denjenigen Anschlussnehmern, deren Grundstück erstmalig nach der Wende an eine öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen worden ist (vgl. OVG Greifswald in ständiger Rechtsprechung seit Beschl. vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 –, LKV 2000 S. 161).

49

Die Beitragssatzung vom 21. November 2001 hat diese fehlerhafte Ungleichbehandlung der Altanschließer in ihrem § 5 noch weiter vertieft, indem sie nicht nur einen reduzierten Beitragssatz für die Altanschließer vorgesehen hat, sondern diese vollständig von der Beitragspflicht hat freistellen wollen. Es gibt in der ABS 2001 nur noch den Beitragstatbestand für den „erstmaligen Anschluss“ eines Grundstücks an die öffentliche Entwässerungsbeseitigung.

50

Der Satzung vom 31. März 2004 fehlte es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen. Denn dieser Satzung hat keine wirksame Kalkulation des Beitragssatzes zugrunde gelegen. Die Beitragskalkulation vom November 2001 (vgl. VG Greifswald, Beschl. vom 24. August 2004 – 3 B 1625/04 –) hat ihre Gültigkeit verloren, weil sie auf einer anderen Organisationsentscheidung des Beklagten beruht. Ausweislich § 1 Abs. 4 der Abwasseranschluss- und -beseitigungssatzung des Zweckverbandes Wasserversorgung vom 9. Oktober 2002 – AAS 2002 – waren seinerzeit die Grundstücksanschlüsse noch Bestandteil der öffentlichen Einrichtung. Nach § 1 Abs. 2c ABS 2004 gehörten diese nicht mehr zur öffentlichen Einrichtung, sodass eine diese Organisationsentscheidung berücksichtigende Fortschreibung der Kalkulation im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die ABS 2004 der Zweckverbandsversammlung hätte vorliegen müssen. Zum einen stellt sich somit der Umfang der öffentlichen Einrichtung als widersprüchlich definiert dar. Zum anderen hätte auf der Kostenseite der Kalkulation berücksichtigt werden müssen, dass nach der ABS 2004 die Kosten für die Erstellung der Grundstücksanschlüsse keine Kosten der öffentlichen Einrichtung mehr sind (methodischer Fehler).

51

Die Beitragssatzung vom 31. März 2005 wies (ebenfalls) nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt auf, da die Maßstabsregeln unvollständig waren. In der Satzung 2005 fehlte eine Maßstabsregelung für Grundstücke, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen, der keine Regelung über die Anzahl der zulässigen Vollgeschosse trifft, aber eine maximale Höhe und eine Baumassenzahl festsetzt. Dies hat bereits das VG zutreffend herausgearbeitet.

52

2. Damit hat die sachliche Beitragspflicht erst im Jahre 2011 unter Geltung der 7. Änderungssatzung entstehen können. Denn seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne einewirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. insoweit die Rechtsprechungsnachweise bei Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 9 Anm. 7.2 mit weiteren Nachweisen). Insbesondere wird auf die älteste dort zitierte Entscheidung, nämlich den Beschl. des OVG Greifswald vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 –, verwiesen. Seit diesem Zeitpunkt ist das KAG (M-V) stets in dieser Weise durch das OVG Greifswald ausgelegt worden. Daran wird auch in dem vorliegenden Urteil festgehalten.

53

Weil nach der ständigen Rechtsprechung des OVG Greifswald eine wirksame Satzung der Anschlussmöglichkeit auch nachfolgen kann, hat es einer Rückwirkung der ABS nicht bedurft. Eine nachträglich erlassene wirksame Abgabensatzung heilt dann einen eventuell zuvor bei Erlass der Bescheide bestehenden rechtlichen Mangel. Erst mit Inkrafttreten der wirksamen ABS im Jahre 2011 ist die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist (§ 12 KAG M-V i. V. m. § 169 Abs. 2 AO) angelaufen; denknotwendigerweise ist sie im Jahre 2009 – bei Erlass der hier streitigen Abgabenbescheide – auch nicht abgelaufen gewesen. Auch wenn die Heranziehungsbescheide im Jahre 2009 – wegen des vorgenannten Satzungsmangels – noch rechtswidrig gewesen sind, sind sie im Jahre 2011 geheilt worden und unterliegen daher nicht mehr der verwaltungsgerichtlichen Aufhebung (Grundsatz der Aufrechterhaltung). Hierdurch werden Abgabepflichtige nicht in rechtswidriger Weise benachteiligt. Die Klägerseite hätte das Inkrafttreten der wirksamen Satzung zum Anlass nehmen können, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, um nicht die Kosten für einen zunächst aussichtsreichen, dann aber – wegen des Inkrafttretens einer wirksamen Satzung – erfolglos gewordenen Verwaltungsprozesses tragen zu müssen.

54

Die Klägerseite kann sich – im Hinblick auf das Erfordernis einer wirksamen Satzung – nicht mit Erfolg auf die abweichende Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg berufen. Nicht nur nach Auffassung des OVG Greifswald, sondern nach ganz herrschender, seit Jahrzehnten gefestigter Rechtsprechung fast aller Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe setzt das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht voraus, dass eine wirksame Abgabensatzung vorhanden ist. Denn eine unwirksame Abgabensatzung ist nichtig und daher im Ergebnis nicht existent. Eine gesetzliche Formulierung, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht setze eine „wirksame Satzung“ voraus, ist im Ergebnis ein „weißer Schimmel“. Der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern hat durch die KAG-Änderung 2005 lediglich das klargestellt, was nach der Rechtsprechung des OVG Greifswald seit Gründung dieses Gerichtes gegolten hatte.

55

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG, 2. Kammer, vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., deutlich (siehe unter 4c), wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das in dem dortigen Fall vorgehende OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das KAG BB ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg sei, so das BVerfG, die Sach- und Rechtslage in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte.

56

3. Zweifel an der Gültigkeit der ABS (Fassung 2011) sind – abgesehen von der Beitragskalkulation – nicht vorgetragen worden. Solche Zweifel sind auch sonst für den Senat nicht ersichtlich.

57

Die der ABS 2005 in der Fassung 2011 zugrunde liegende Beitragskalkulation ist nach Auffassung des Senates ausreichend, eine ordnungsgemäße ortsgesetzgeberische Ermessensentscheidung zu tragen.

58

Insbesondere hat der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 eine aktuelle Kalkulation vorgelegen, die beschlossen worden ist (Fortschreibung der Beitragskalkulation von März 2011). Für die hier in Rede stehende Einrichtung II ist ein Beitragssatz von 8,29 Euro/m² kalkuliert worden; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m². Als umlagefähig sind angesehen worden Kosten in Höhe von 18.975.383 Euro. Die beitragspflichtige Fläche ist mit 2.290.027 m² ermittelt worden.

59

Die Beitragskalkulation ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das VG ausgeführt, dass zwar „kleine Ungenauigkeiten“ vorgelegen haben mögen. Es sind aber insgesamt insbesondere keine schweren methodischen Fehler erkennbar geworden. Insbesondere ist kein methodischer Fehler unter dem Gesichtspunkt festzustellen, dass in erheblichem Umfang nicht beitragsfähiger Aufwand in die Ermittlung des Beitragssatzes eingestellt worden wäre. Insoweit kann auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden.

60

Vor dem Hintergrund, dass die ermittelte beitragspflichtige Fläche 2.290.027 m² beträgt, steht für den Senat fest, dass eine eventuell fehlerhafte Bewertung einzelner Grundstücke im Verbandsgebiet nur zu kleinen Ungenauigkeiten führen kann.

61

Im Hinblick auf den Bebauungsplan Nr. 23 ist der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu folgen. Ein Bebauungsplan eröffnet Planungsrecht. Es liegt nach Erlass eines Bebauungsplanes nicht mehr in der Hand der Gemeinde, ob die Planung auch umgesetzt wird. Etwas anderes mag nur dann gelten, wenn ein Baugebot festgesetzt worden ist. Daher liegt es im ortsgesetzgeberischen Ermessen, ob der räumliche Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der gerade erst in Kraft getreten ist, einbezogen wird oder nicht. Die Nichteinstellung des räumlichen Geltungsbereichs dieses Bebauungsplanes Nr. 23 kann auch auf der Einschätzung beruhen, dass sich der Bebauungsplan als von Anfang an unwirksam erwiesen hat.

62

Im Hinblick auf die Ortschaft Neu-Sallenthin, die im Zeitpunkt der Kalkulation noch nicht abwasserseitig angeschlossen gewesen ist, kommt bei der Erstellung einer Globalkalkulation nur eine überschlägige Schätzung der beitragspflichtigen Flächen in Betracht. Sinn einer Globalkalkulation ist es nicht, das gesamte Verbandsgebiet Quadratmeter genau zu ermitteln. Erst im Rahmen der Beitragsfestsetzung für einzelne Grundstücke wird es dann Aufgabe des Beklagten sein, das jeweilige Grundstück genau zu betrachten. Daher ist es für die Rechtmäßigkeit der Kalkulation bedeutungslos, ob das eine oder andere Grundstück in Neu-Sallenthin und auch zum Beispiel das Hotel Bergmühle mit einem, zwei oder drei Vollgeschossen bebaut ist. Insoweit liegt nicht einmal ein Fehler der Kalkulation vor.

63

Aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen hat die Frage der Abwasserabgabe im Hinblick auf die Beitragskalkulation auch für den Senat keine Relevanz.

64

Zudem ist festzustellen, dass der Beklagte nur eine teilweise Deckung seiner Aufwendungen durch Beiträge angestrebt hat, da er einen „politischen Beitrag“ erhebt, der nur etwas mehr als die Hälfte des kalkulierten Beitragssatzes ausmacht. Eine Kostenüberdeckung durch Beiträge ist damit definitiv ausgeschlossen (Beitragssatz von 8,29 Euro/m² wurde als höchstzulässiger Beitragssatz kalkuliert; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung „nur“ ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m²). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates ist es rechtlich zulässig, im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen eine sich aus Beiträgen und Gebühren zusammensetzende Finanzierung vorzunehmen, wie der Beklagte das im vorliegenden Fall tut.

65

4. Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig.

66

Die Anwendung der ABS (Fassung 2011) auf den vorliegenden Einzelfall ist in rechtmäßiger Weise erfolgt; sowohl die Beitragsfestsetzungen als auch das Zahlungsgebot erweisen sich als rechtmäßig (zu a). Die Beitragserhebungsmöglichkeit hat sich weder „verflüchtigt“ (b) noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (c) oder liegt eine unzulässige Doppelveranlagung vor (d).

67

a) Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bestimmtheit ist nicht gegeben. Die komplizierte Materie einer Wohnungseigentümergemeinschaft erfordert auch komplizierte Bescheide. Daher ist es ein adäquates Vorgehen des Beklagten, 135 Bescheide zu erlassen, diese aber dann letztlich objektbezogen in einem Widerspruchsbescheid zu bündeln. Im Widerspruchsbescheid ist hinreichend klargestellt, auf welchen Betrag sich das Leistungsgebot der Veranlagung bezieht und dass die zuvor bezahlten Beiträge angerechnet werden. Zutreffend hat der Beklagte berücksichtigt, dass die im Jahre 2011 entstandenen Beiträge durch die auf die Bescheide von 1999 geleisteten Zahlungen teilweise durch Erfüllung erloschen sind. Daher hat das Leistungsgebot diese Zahlungen zutreffend berücksichtigt.

68

b) Das vom BVerfG im Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013 S. 1004, entwickelte Rechtsinstitut der „Verflüchtigung“ greift im Ergebnis nicht durch. Danach kann ein zwar nicht verjährter Beitrag aus rechtsstaatlichen Gründen eventuell nicht mehr erhoben werden (vgl. hierzu im Einzelnen Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, § 7 Erläuterung 8.1.4.2, Seite 60 ff.).

69

Der Leitsatz des Beschlusses des BVerfG vom 5. März 2013 lautet im Wesentlichen, das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlange Regelungen, die sicherstellten, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden könne.

70

In dem genannten Beschluss hat das BVerfG – ausweislich der Nr. 1 des Tenors – den anzuwendenden Art. 13 des BayKAG für mit dem Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) „unvereinbar“ erklärt, nicht aber für nichtig. Dies hat entscheidende Bedeutung für die weitere Möglichkeit des bayerischen Landesgesetzgebers, diesen Mangel zu beseitigen. So führt das BVerfG dann auch aus (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.), dem Gesetzgeber ständen mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes zur Verfügung, und zunächst komme nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht. „Nichtigkeit“ trete jedoch zum 1. April 2014 ein, wenn der Gesetzgeber auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist verzichte.

71

Das BVerwG (Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 15.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 139/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 16.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 140/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 17.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 142/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 18.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 143/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 19.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 207/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 20.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 208/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 21.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 210/13 –; vgl. hierzu Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 7 Erläuterung 8.1.4.6 Seite 86) hat für die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern durch Urteile vom 15. April 2015 die Revisionen der dortigen Kläger gegen die Urteile des OVG Greifswald vom 1. April 2014 zurückgewiesen, weil die Beitragserhebung noch innerhalb der Übergangsfrist des § 12 Abs. 2 KAG M-V in der bis zum 29. Juli 2016 geltenden Fassung erfolgt sind, d. h. bis zum 31. Dezember 2008. Ferner hat das BVerwG in einem umfassenden obiter dictum weitere „Segelanweisungen“ gegeben.

72

Ausdrücklich hat das BVerwG, a. a. O., dem Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit offen gelassen, eine weitergehende und längere Festsetzungsverjährungsfrist als den 31. Dezember 2008 zu bestimmen und im Einzelnen ausgeführt:

73

„Denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen (BVerfG, Beschl. vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Mit diesem Gestaltungsauftrag ist – nicht zuletzt angesichts der Vielzahl der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten, jedoch gerade nicht den Verweis auf die Höchstverjährungsfrist einschließenden Lösungsmöglichkeiten wie auch der Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern erlassenen und zudem deutlich kürzeren Ausschlussfristen – der schematische Rückgriff auf § 53 Abs. 2 VwVfG M-V wohl unvereinbar, zumal die Vorschrift gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V nicht für Verfahren gilt, die – wie vorliegend – nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind.“

74

Eine solche Fristbestimmung hat der Landesgesetzgeber jetzt durch Gesetz vom 14. Juli 2016 getroffen; ebenso wie zahlreiche andere Bundesländer bereits ihre Verjährungsregelungen nachgebessert haben.

75

Der Senat hat keine Zweifel daran, dass diese gesetzliche Neuregelung den von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht gemachten Vorgaben entspricht, sodass der Senat die geänderte Fassung des § 12 Abs. 2 KAG MV seiner Entscheidung zugrunde legen kann. Der Gesetzgeber hat jetzt eine Regelung geschaffen, nach der eine zeitlich unbefristete Heranziehung zu (Anschluss-) Beiträgen nicht mehr möglich ist.

76

§ 12 Abs. 2 in der jetzt geltenden Fassung lautet u. a.:

77

§ 169 der Abgabenordnung gilt mit der Maßgabe, dass

78

1. über § 169 Absatz 1 Satz 1 der Abgabenordnung hinaus die Festsetzung eines Beitrages unabhängig von dem Entstehen der Beitragspflicht spätestens 20 Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist, wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt, …"

79

Diese Frist ist ersichtlich im Jahre 2009 noch nicht abgelaufen gewesen, weil im vorliegenden Fall – wie oben ausgeführt – noch nicht einmal die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 AO an- und erst Recht nicht abgelaufen ist.

80

Zur weiteren Klarstellung hat der Landesgesetzgeber noch in § 22 KAG M-V folgenden Abs. 3 angefügt:

81

„Soweit sich für bestehende Abgabensatzung ein Rechtsmangel daraus ergibt, dass das Kommunalabgabengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. April 2005 (GVOBl. M-V S. 146), das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 13. Juli 2011 (GVOBl. M-V S. 777, 833) geändert worden ist, die Heranziehung zu Beiträgen keiner zeitlichen Obergrenze unterwirft, ist dieser Rechtsmangel mit Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVOBl. M-V S. 584) unbeachtlich.“

82

Nach Auffassung des Senates hätte es dieser salvatorischen Klausel nicht bedurft, da jedes Gesetz, soweit nichts anderes geregelt ist, mit Inkrafttreten seine Gültigkeit beansprucht. Nach den bisherigen Regelungen war lediglich keine zeitliche Obergrenze für eine Verjährung eines Anschlussbeitrages geregelt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Anschlussbeitrag verjährt wäre.

83

Da das BVerwG in seinen Urteilen vom 15. April 2015 dem Gesetzgeber gerade die Möglichkeit eröffnet, entsprechend seiner Gesetzgebungskompetenz eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen und die Länge der Verjährungsfrist zu bestimmen, hätte eine diesbezügliche Neuregelung ausgereicht. Gegenstand des Rechtsstreits um das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit („Verflüchtigungsrechtsstreit“) war nicht etwa eine gesetzliche Regelung, die verfassungswidrig sei, sondern die Tatsache, dass eine Gesetzeslücke gesehen wurde, die die Anwendung des im Übrigen verfassungsgemäßen KAG M-V ab einem gewissen vom Gesetzgeber festzulegenden Stichtag verfassungswidrig machen würde. Einer weitergehenden deklaratorischen Klausel hätte es nicht bedurft; als deklaratorische Klausel ist die Regelung des § 22 Abs. 3 KAG M-V (Fassung 16. Juli 2016) aber „unschädlich“.

84

Der Senat hat keine Bedenken, dass die nunmehr bestimmte Festsetzungsfrist die Interessen der Abgabepflichtigen in Mecklenburg-Vorpommern in adäquater Weise behandelt. Die Festsetzungsfrist betrifft ein neues Bundesland, in dem die landesrechtlichen Grundlagen für einen Anschlussbeitrag erst geschaffen werden mussten, und bleibt unterhalb der in der Rechtsordnung bekannten längsten Verjährungsfrist von 30 Jahren. Der Landesgesetzgesetzgeber hat sich innerhalb des gesetzgeberischen Spielraumes bewegt und sich von folgenden Erwägungen leiten lassen (Gesetzentwurf der Landesregierung vom 11. März 2016, LT-Dr. 6/5257 S. 2 f.):

85

„Bei der konkreten Ausgestaltung einer landesgesetzlichen Festlegung einer zeitlichen Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum hinsichtlich des gesetzlich zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für Vorteile (hier: durch Anschluss an eine gemeindliche Einrichtung) einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, zu (BVerwG, Urteil vom 15.04.2015 – 9 C 15/14 – u. a.; vergleiche BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, a. a. O.).

86

Nach Auffassung des BVerfG bleibt es dem Landesgesetzgeber überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die der Rechtssicherheit genügt. So könnte der Landesgesetzgeber etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt.

87

Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt. Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143-163, Rn. 50).

88

Die Bundesländer Sachsen, Brandenburg, Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt haben bei einer mit Mecklenburg-Vorpommern vergleichbaren Rechtslage ihre Kommunalabgabengesetze bereits an die Forderungen des BVerfG (Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –) angepasst. Insofern wird die Änderung des KAG M-V auch in Kenntnis der in diesen Bundesländern erfolgten landesgesetzlichen Regelungen vorgenommen. Maßgebliches Ziel des Landesgesetzgebers ist es, die kommunalen Aufgabenträger im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren, ohne dabei gegen das Verbot zu verstoßen, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festzusetzen.

89

In Abwägung der Interessen der kommunalen Aufgabenträger und der Abgabenpflichtigen wird deshalb eine 20-jährige Verjährungsfrist geregelt, wobei aufgrund der Sondersituation nach der Deutschen Einheit der Lauf der Frist bis zum Ablauf des Jahres 2000 gehemmt ist („…wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt.“). Damit ist die maximal mögliche Verjährungsfrist von 30 Jahren deutlich unterschritten und in Kombination mit einer Regelung zur Verjährungshemmung gleichwohl eine Beitragserhebung bis 2020 ermöglicht. Mit der Regelung zur Verjährungshemmung hatte auch der Landesgesetzgeber Brandenburg auf die Forderungen des BVerfG reagiert.“

90

Da der Senat die neue Festsetzungsfrist als verfassungsgemäß ansieht, hat er keine Veranlassung, den Rechtsstreit dem BVerfG vorzulegen (Art. 100 Abs. 1 GG).

91

c) Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, wie er in dem stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG, 2. Kammer, Beschl. vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 29. September 2014 – OVG 9 N 40.14 –, vorgehend BVerwG, Beschl. vom 11. September 2014 – 9 B 21.14 –, vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 13. November 2013 – OVG 9 B 35.12 – konkretisiert worden ist, führt gleichfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der hier streitigen Abgabenerhebung

92

In dem dortigen Kammerbeschluss nimmt das BVerfG im Kern eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG an durch rückwirkende Erhebung kommunaler Abwasseranschlussbeiträge – hier: Abgabenerhebung gem. § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F. vom 17. 12. 2003 – in Fällen, in denen die Beiträge nicht mehr nach § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F vom 27.06.1991 hätten erhoben werden können, da mit Entstehen der Beitragspflicht durch rückwirkendes Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung zugleich Festsetzungsverjährung eingetreten wäre.

93

Nach Auffassung des Senates ist der Beschluss des BVerfG, der grundsätzlich nach § 31 BVerfGG in seinem Tenor und seinen tragenden Gründen auch für das OVG Greifswald Bindungswirkung entfaltet (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 7 Anm. 8.1.4.6.), nicht einschlägig, sodass gerade keine Bindungswirkung eintritt. Denn der vom Senat zu entscheidende Sachverhalt unterscheidet sich von dem Sachverhalt, der den Verfahren aus Berlin-Brandenburg zugrunde gelegen hat, sodass eine Bindung des OVG Greifswald an die tragenden Gründe des Kammerbeschlusses vom 12. November 2015 ausscheidet.

94

Die Kernaussage des BVerfG in seinem Beschluss vom 12. November 2015 ist, dass es gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt, wenn eine gesetzliche Vorschrift dergestalt geändert wird, dass nunmehr Beiträge erhoben werden sollen, die nach der Vorgängervorschrift nicht mehr hätten erhoben werden dürfen (vgl. z. B. Rn. 39, a. a. O.). In den Fällen aus Brandenburg wären nach alter Rechtslage die Beitragsschulden wegen Festsetzungsverjährung erloschen (Rn. 64, a. a. O.). Dass in einem solchen Fall eine gesetzliche Vorschrift, die rückwirkend die angelaufene und eine logische Sekunde später auch abgelaufene Festsetzungsverjährung „aus den Angeln hebt“, sich als echte Rückwirkung darstellt und den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht genügt, wird auch vom Senat in gleicher Weise gesehen.

95

Wie bereits oben ausgeführt, unterscheidet sich die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern elementar von der in Brandenburg. Seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne eine wirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. zur ähnlichen Rechtslage in Sachsen-Anhalt, OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 –, Rn. 58 und 59 und OVG Weimar, Urt. vom 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, juris Rn. 48, zur Rechtslage in Thüringen).

96

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG vom 12. November 2015 deutlich, wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das dortige Landesrecht ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg ist die „Sach- und Rechtslage“ in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte. In Rn. 52 spricht das BVerfG sogar von „Gesetzeslage“, und versteht darunter nicht nur § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB a. F., sondern auch und gerade, wie das OVG Berlin-Brandenburg diese Bestimmung ausgelegt hat.

97

Anzumerken ist schließlich noch, dass seit Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes, jetzt BauGB, im Jahr 1960 das BVerwG im Erschließungsbeitragsrecht stets auf die Wirksamkeit der Satzung abgestellt hat. Diese gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung hat das OVG Greifswald auf das Anschlussbeitragsrecht übertragen. Diese Rechtsprechung, die ca. 50 Jahre alt ist, ist für das Erschließungsbeitragsrecht höchstrichterlich noch nie infrage gestellt worden.

98

Der Senat schließt sich der Auffassung des OVG Magdeburg, a. a. O. (Rn. 62), insoweit an, dass die Abgabenpflichtigen vor der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 nicht haben darauf vertrauen können, dass ihnen gegenüber aufgrund eines langen Zeitraumes seit Entstehen einer Vorteilslage keine Abgabe mehr festgesetzt werden könnte. Insoweit kam es allein darauf an, ob und in welcher Weise der Landesgesetzgeber auf die Entscheidung des BVerfG reagieren würde.

99

Schließlich kann die Klägerin mit ihrer Auffassung nicht durchdringen, der Landesgesetzgeber M-V sei wegen der Bindungswirkung des § 31 BVerfGG auch an die dem bayerischen Landesgesetzgeber im Beschluss des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – gesetzte Frist gebunden, bis zum 31. März 2014 (Ziffer 1 des Tenors) eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen. Diese Frist ist ausschließlich für den bayerischen Landesgesetzgeber maßgeblich gewesen. Nur er ist von dem Beschlusstenor gebunden, wonach die bayerische Regelung des Art. 13 BayKAG mit dem Grundgesetz unvereinbar sei. Nur er hat die Gesetzgebungskompetenz, diesen Art. 13 BayKAG zu ändern. In der Sache hat das BVerfG somit das Abgabenerhebungsverfahren ausgesetzt (siehe Rn. 52), um dem bayerischen Gesetzgeber die Gelegenheit zur verfassungsgemäßen Neuregelung zu geben. Zudem hat das BVerfG den Verwaltungsgerichten die Kompetenz eröffnet, das Landesrecht verfassungskonform auszulegen (Rn. 52).

100

Zutreffend ist zwar, dass nicht nur der Tenor einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung Bindungswirkung entfaltet, sondern auch die tragenden Gründe. Die gegenüber dem bayerischen Landesgesetzgeber ausgesprochene zeitliche Höchstgrenze für eine gesetzliche Neuregelung in Bayern ist aber kein tragender Entscheidungsgrund, der sich über das bayerische Landesrecht hinausgehende Bedeutung beimisst.

101

d) Die Abgabenerhebung aus dem Jahre 1999 steht nicht unter dem Blickwinkel einer „unzulässigen Doppelveranlagung“ oder „unzulässigen Nacherhebung“ der Rechtmäßigkeit der hier angefochtenen Abgabenbescheide aus dem Jahre 2009 entgegen. Das Problem der Nachveranlagung oder auch Doppelveranlagung ist (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 12 Erläuterungen 50 ff., Seite 71 ff.) in der Rechtsprechung des OVG Greifswald geklärt (vgl. OVG Greifswald, Urt. vom 15. Dezember 2009 – 1 L 323/06 –, OVG Greifswald Urt. vom 15. Dezember 2010 – 1 L 1/09 –, ferner Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 L 217/09 – und Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 M 181/09 –). Dort hat das OVG Greifswald den Grundsatz aufgestellt, dass bei leitungsgebundenen Einrichtungen die Aufgabenträger grundsätzlich berechtigt und verpflichtet sind, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass sie einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpfen. Einer solchen Nacherhebung stehen der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung, die Rechtsfolgen der Bestandskraft des erster Heranziehungsbescheides und der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ebenso wenig entgegen wie die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V und die darin enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung (Aussprung, a. a. O., Erläuterung 50.2.3, Seite 76 f.). An dieser Auffassung hält der Senat fest.

102

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; insoweit kommt auch eine Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht in Betracht.

103

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist der Vorteilsbegriff landesrechtlich determiniert. Auch der Fragenkomplex, ob eine Abgabenerhebung in Mecklenburg-Vorpommern in der vorliegenden Fallkonstellation rechtlich noch zulässig ist, beruht auf der Auslegung des Landesrechts. Dies gilt insbesondere auch für die Frage der Nacherhebung eines noch nicht ausgeschöpften Beitragsanspruches, weil auch die anzuwendende Abgabenordnung im Bereich des Kommunalabgabenrechts Landesrecht ist. Zudem sind die grundsätzlichen Rechtsfragen der „Verflüchtigung“ eines beitragsrechtlichen Vorteils und des Vertrauensschutzes durch die im Urteil zitierte Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG geklärt.

Tenor

Die Schmutzwasserbeitragssatzung zur Abwasserbeseitigungssatzung – Öffentliche Einrichtung A – des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Grimmen (ZWAG) vom 12. Dezember 2012 wird mit Ausnahme ihres § 14 für unwirksam erklärt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Beitragssatzung für die Schmutzwasserbeseitigung.

2

Der Antragsgegner betreibt in seinem Verbandsgebiet drei selbständige öffentliche Einrichtungen (A, B und C) zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung. Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Grundstücks im Verbandsgebiet des Antragsgegners, welches an die öffentliche Einrichtung A des Antragsgegners angeschlossen ist. Für diese zog er das Grundstück der Antragstellerin zu einem Schmutzwasserbeitrag im Jahr 2013 heran. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin Widerspruch ein, über den bisher noch nicht entschieden ist.

3

Die Verbandsversammlung des Antragsgegners beschloss bereits am 12. Dezember 2012 die Schmutzwasserbeitragssatzung zur Abwasserbeseitigungssatzung – Öffentliche Einrichtung A – des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Grimmen (ZWAG) (nachfolgend: Beitragssatzung). Diese wurde im Amtsblatt des Antragsgegners vom 31. Januar 2013 bekannt gemacht.

4

Am 28. März 2013 hat die Antragstellerin Normenkontrollantrag gegen die Beitragssatzung gestellt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor:

5

Die Satzung sei schon deshalb unwirksam, weil bei dem Beschluss über die Satzung nicht alle wesentlichen Unterlagen vorgelegen hätten. Dies gelte insbesondere für die Unterlagen über die Ermittlung der Tiefenbegrenzung.

6

Unter Beachtung der Satzung über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluss an die öffentlichen Abwasseranlagen – Abwasserbeseitigungssatzung – des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Grimmen (ZWAG) (nachfolgend: Abwasserbeseitigungssatzung) vom 6. Februar 2003 in der Fassung der 3. Änderungssatzung vom 30. Juni 2010 sei der Umfang der öffentlichen Einrichtung nicht hinreichend bestimmt. Es fehle daher an einem hinreichend bestimmten Abgabentatbestand, so dass die Beitragssatzung unwirksam sei. Zwar finde sich in § 1 Abwasserbeseitigungssatzung die grundsätzlich zulässige Entscheidung, mehrere getrennte öffentliche Einrichtungen für die Schmutzwasserbeseitigung zu betreiben. Allerdings sei die Bestimmung des Umfangs der jeweiligen öffentlichen Einrichtung widersprüchlich. § 2 Abs. 3 Abwasserbeseitigungssatzung bestimme, was zu der öffentlichen Einrichtung gehöre. Grundstücksanschlüsse seien nicht Bestandteil der öffentlichen Einrichtungen. § 3 Abs. 3 Nr. 4 Abwasserbeseitigungssatzung regele, was unter Grundstücksanschlüsse zu verstehen sei: nämlich Leitungen vom Kanal bis zum Kontrollschacht an der Grenze des Grundstücks bzw. bis zur Grundstücksgrenze, wenn der Kontrollschacht nicht direkt an der Grenze des Grundstücks gesetzt werden könne einschließlich der Pumpen- und Vakuumschächte bei Druck- und Unterdruckentwässerung. Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 Abwasserbeseitigungssatzung seien dagegen die Schächte der Druck- oder Unterdruckentwässerung Bestandteil der öffentlichen Einrichtung.

7

Weiterhin sei für den Beitragspflichtigen anhand der Regelung des § 4 Beitragssatzung nicht erkennbar, ob der Erlass der aktuellen Beitragssatzung ausreichend oder noch der Erlass einer weiteren Satzung erforderlich sei, um die Beitragspflicht entstehen zu lassen. Schließlich sei die Regelung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08) mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit unvereinbar. Die Anknüpfung an die erste wirksame Satzung führe letztlich zu einer zeitlich unbegrenzten Heranziehungsmöglichkeit der Grundstückseigentümer.

8

Die Maßstabsregelung des § 5 Abs. 3 Buchst. b) Beitragssatzung sei unvollständig, da sie nicht regele, wie die Anzahl der maßgeblichen Vollgeschosse zu bestimmen sei, wenn der Bebauungsplan die Gebäudehöhe und die Baumassenzahl festsetze. § 5 Abs. 3 Buchst. g) und h) bb) Beitragssatzung enthalte zwei Regelungen für die Bestimmung von Vollgeschossen bei Außenbereichsgrundstücken, ohne dass diesen zu entnehmen sei, in welchem Verhältnis sie zueinander ständen. Es lägen somit widersprüchliche Regelungen vor.

9

Die Regelung des § 5 Abs. 2 Buchst. f) Beitragssatzung, die eine qualifizierte Tiefenbegrenzung normiere, sei unwirksam. Die Tiefenbegrenzung sei methodisch fehlerhaft ermittelt worden, nicht vorteilsgerecht und entspreche nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Teilweise seien Orte bzw. Ortsteile bei der Ermittlung der Bebauungstiefe nicht berücksichtigt worden, weil sie nicht an die öffentliche Einrichtung angeschlossen seien bzw. angeschlossen werden sollten. Die ortsübliche Bebaubarkeit der Grundstücke werde jedoch auch durch die weitere vorhandene Bebauung im Verbandsgebiet geprägt. Daneben zeigten die Untersuchungen des Antragsgegners, dass fast 50% der untersuchten Grundstücke eine Bebauungstiefe von höchsten 35 m aufwiesen. Die festgesetzte Tiefenbegrenzung von 40 m entspreche nicht den örtlichen Verhältnissen. Dass eine darüber hinausgehende Bebauung möglich sei, habe der Antragsgegner nicht belegt. Dies führe zu einer nicht zu rechtfertigenden Mehrbelastung der Grundstückseigentümer, die mit der festgesetzten Tiefenbegrenzung von 40 m einhergehe.

10

Zweifelhaft sei, ob die zugrunde gelegte Kalkulation hinreichend aktuell sei. Deutlich werde dies bei den Grundstücken C...-Straße ...-... und ...-..., welche eine geringere Fläche aufwiesen als in der Kalkulation veranschlagt. Es sei daher davon auszugehen, dass die Flächenermittlung für vorhandene Grundstücke nicht aktualisiert worden sei.

11

Die zulässige Bebaubarkeit innerstädtischer Grundstücke sei nicht ordnungsgemäß ermittelt worden. Dies gelte beispielsweise für die Grundstücke in Grimmen I...ring # und #, die mit zwei Vollgeschossen angesetzt worden seien, obwohl die umliegende Bebauung fünf Vollgeschosse aufweise. Entsprechende Fehler fänden sich bei anderen Grundstücken im unbeplanten Innenbereich, bei denen nicht auf die höchstzulässige Vollgeschosszahl abgestellt worden sei, sondern auf die tatsächlich vorhandene Vollgeschosszahl. Dies betreffe insbesondere den Stadtteil Südwest und die Robert-Koch-Berufsschule in der Straße der Befreiung. Erhebliche Anteile der möglichen und zu berücksichtigenden Beitragsflächen seien so nicht in die Flächenermittlung aufgenommen worden. Dadurch werde ein höherer Beitragssatz ermittelt als er bei richtiger Ermittlung zulässig wäre.

12

Die Antragstellerin beantragt,

13

die Schmutzwasserbeitragssatzung zur Abwasserbeseitigungssatzung – Öffentliche Einrichtung A – des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Grimmen (ZWAG) vom 12. Dezember 2012 mit Ausnahme der Regelungen über die Ordnungswidrigkeiten (§ 14) für unwirksam zu erklären.

14

Der Antragsgegner beantragt,

15

den Antrag abzuweisen.

16

Er verteidigt die angegriffene Satzung und tritt der Antragsbegründung im Einzelnen entgegen.

17

Die Unterlagen zur Ermittlung der Tiefenbegrenzung hätten der Verbandsversammlung am 12. Dezember 2012 mit den übrigen Kalkulationsunterlagen vorgelegen, auch wenn dies in der Niederschrift der Verbandsversammlung nicht gesondert erwähnt werde.

18

Der von der Antragstellerin angeführte Widerspruch zwischen § 3 Abs. 3 Nr. 4 Abwasserbeseitigungssatzung und § 14 Abs. 2 Satz 2 Abwasserbeseitigungssatzung liege tatsächlich nur auf dem Papier vor, da es im Verbandsgebiet keinerlei Druck- oder Vakuumentwässerung gebe. In der mündlichen Verhandlung hat der Antragsgegner seinen Vortrag dahingehend konkretisiert, dass es im Verbandsgebiet zwar keine Vakuumentwässerung gebe, Druckentwässerung dagegen schon. Ein Widerspruch liege allerdings auch bei der Druckentwässerung mit den Pumpenschächten nicht vor. Denn beide Normen würden unterschiedliche Fallgruppen erfassen, wobei § 14 Abs. 2 Satz 2 Abwasserbeseitigungssatzung nur in den Fällen des § 14 Abs. 8 Abwasserbeseitigungsatzung anwendbar sei, d.h. wenn das Abwasser mehrerer Grundstücke durch eine Druckentwässerung entsorgt werde, sei diese Pumpenstation Bestandteil der öffentlichen Einrichtung.

19

Die Regelung des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht entspreche dem Wortlaut des Gesetzes in § 9 Abs. 3 KAG M-V und sei nicht missverständlich.

20

Die Maßstabsregelung sei nicht unvollständig. Sehe der Bebauungsplan sowohl die zulässige Höhe der baulichen Anlagen als auch eine zulässige Baumassenzahl vor, müsste bei der Anwendung beider Berechnungsmethoden dieselbe Vollgeschosszahl rauskommen, wenn der Bebauungsplan nicht in sich widersprüchlich sei. Im Übrigen sei eine solche Fallgestaltung ein so seltener und fernliegender Fall, dass eine kommunale Beitragssatzung hierfür keine Regelung vorsehen müsse. Das Verhältnis von § 5 Abs. 3 Buchst. g) und h) bb) Beitragssatzung sei nicht widersprüchlich. Schon dem Wortlaut nach würden verschiedene Anwendungsfälle geregelt.

21

Die Ermittlung der Tiefenbegrenzungslinie sei rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gelte auch im Hinblick darauf, dass nur Grundstücke berücksichtigt worden seien, bei denen ein Anschluss an die zentrale Schmutzwassereinrichtung in Betracht komme. Der Antragsgegner habe die Ermittlung in mehreren repräsentativen Gebieten vorgenommen. In diesen seien mehr als die Hälfte der Grundstücke hinter einer Linie von 35 Metern bebaut gewesen. Bei der Mehrzahl von diesen läge die Bebauungstiefe zwischen 35 und 40 Metern.

22

Die Kalkulation und insbesondere die Flächenermittlung seien rechtsfehlerfrei erfolgt. Richtig sei zwar, dass der Antragsgegner für das Grundstück in der C...-Straße 132 m² zu viel beitragspflichtige Fläche in die Kalkulation eingestellt habe. Dies führe jedoch nicht zur Fehlerhaftigkeit der Kalkulation des Beitragssatzes. Ein „zuviel“ an Fläche führe stets zu einer Verminderung des Beitragssatzes. Ein Verstoß gegen das Aufwandsüberschreitungsverbot könne nicht vorliegen.

23

Es sei zutreffend, dass der I...ring # und # in Grimmen, die als Seniorenbegegnungsstätte und als Verwaltungsgebäude der städtischen Wohnungsgesellschaft sowie altersgerechte Wohnungen genutzt würden, mit lediglich zwei Vollgeschossen veranlagt worden seien. In der unmittelbar näheren Umgebung befänden sich fünfgeschossige Wohnhäuser. Daneben und dahinter befänden sich im gleichen Stadtteil aber auch immer wieder Gebäude mit weniger als fünf Vollgeschossen. In der Kalkulation seien diese ebenfalls mit der tatsächlichen Anzahl der Vollgeschosse angesetzt worden. Diese Gebäude seien zum Großteil keine Wohnhäuser, sondern würden zu öffentlichen Zwecken (Schule, Kulturzentrum etc.) oder gewerblich genutzt.

24

Wären die beiden Grundstücke Innenring 1 und 3 mit 5 Vollgeschossen angesetzt worden, dann würde der höchstzulässige Beitragssatz von 11,76 Euro/m² auf 11,71 Euro/m² sinken. Da die Verbandsversammlung einen Beitragssatz von lediglich 11,00 Euro/m² beschlossen habe, sei diese Veränderung unerheblich.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2016 sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte und der übersandten Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

26

Der Normenkontrollantrag ist zulässig (I.) und begründet (II.). Die Schmutzwasserbeitragssatzung zur Abwasserbeseitigungssatzung – Öffentliche Einrichtung A – des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Grimmen (ZWAG) (nachfolgend: Beitragssatzung) vom 12. Dezember 2012 ist im Umfang des gestellten Antrags unwirksam.

27

I. Der Antrag ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Sie kann geltend machen, durch die Anwendung der streitgegenständlichen Satzung in absehbarer Zeit in ihren Rechten verletzt zu werden (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO), da der aufgrund dieser Satzung gegen sie ergangene Beitragsbescheid noch nicht bestandskräftig ist (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 03.07.2002 – 4 K 35/01 –, juris Rn. 11). Da ohne eine wirksame Satzung gemeindliche Abgaben gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) nicht erhoben werden dürfen, hängt der Bestand des Beitragsbescheides von der Wirksamkeit der zur Normenkontrolle gestellten Schmutzwasserbeitragssatzung ab. Die Antragsfrist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist eingehalten. Der Normenkontrollantrag wurde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift gestellt.

28

II. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Die Beitragssatzung verstößt, soweit sie Gegenstand dieses Verfahrens geworden ist, gegen höherrangiges Recht, das der Prüfung des Oberverwaltungsgerichts unterliegt. Die angefochtene Beitragssatzung erfüllt im Hinblick auf den die Abgabe begründenden Tatbestand nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V, so dass sie im beantragten Umfang gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO für unwirksam zu erklären ist (1.). Die weiteren Einwendungen der Antragstellerin greifen dagegen nicht durch (2.).

29

1. Zu dem Mindestinhalt einer Abgabensatzung gehört nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V u.a. der die Abgabe begründende Tatbestand, d.h. hier die Umschreibung der öffentlichen Einrichtung, für die Beiträge entrichtet werden sollen. Eine Beitragssatzung ist daher nur dann materiell-rechtlich wirksam, wenn ihr eine hinreichend bestimmte und widerspruchsfreie Definition der öffentlichen Einrichtung, für die Anschlussbeiträge erhoben werden sollen, zugrunde liegt, die auch mit der vorrangigen Entwässerungssatzung korrespondiert (OVG Greifswald, Beschl. v. 20.12.2007 – 1 O 102/07 –; OVG Greifswald, Urt. v. 30.06.2004 – 4 K 34/06 –, juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der von dem Antragsgegner gewählte Anlagenbegriff ist von Rechts wegen zu beanstanden.

30

Der Anlagenbetreiber kann und muss im Kanalbaubeitragsrecht den Umfang der von ihm betriebenen öffentlichen Einrichtung bestimmen, wobei ein weites Organisationsermessen besteht. Dabei ist vorrangig auf die Entwässerungssatzung (sogenannte technische Satzung) abzustellen (OVG Greifswald, Urt. v. 13.11.2001 – 4 K 24/99 –, juris Rn. 33; Urt. v. 15.03.1995 – 4 K 22/94 –, juris Rn. 28; Aussprung in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, Stand August 2015, § 2 Anm. 1.2). In der Satzung über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluss an die öffentlichen Abwasseranlagen – Abwasserbeseitigungssatzung – des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Grimmen (ZWAG) (nachfolgend: Abwasserbeseitigungssatzung) vom 6. Februar 2003 i.d.F. der 3. Änderungssatzung vom 30. Juni 2010 ist der Anlagenbegriff für die öffentliche Einrichtung A der zentralen Schmutzwasserbeseitigung nicht widerspruchsfrei definiert. Das Ortsrecht des Antragsgegners enthält nicht für alle im Satzungsgebiet vorkommenden Fallgruppen eine eindeutige Regelung, wo die öffentliche Einrichtung endet und wo der private Grundstücksanschluss beginnt. Insbesondere ist unklar, ob Pumpenschächte der Druckentwässerung mit zur öffentlichen Einrichtung gehören und damit beitragspflichtig sind.

31

Nach § 1 Abs. 1 Abwasserbeseitigungssatzung betreibt der Antragsgegner drei leitungsgebundene Einrichtungen zur Beseitigung des Schmutzwassers, wobei davon nicht das Niederschlagswasser erfasst wird. § 2 Abs. 3 Abwasserbeseitigungssatzung definiert die Bestandteile der zentralen öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungseinrichtungen und gilt damit auch für die hier streitige Einrichtung A. Grundstücksanschlüsse gehören gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 Abwasserbeseitigungssatzung nicht zu den öffentlichen Einrichtungen. Was unter Grundstücksanschlüsse zu verstehen ist, regelt § 3 Abs. 3 Nr. 4 Abwasserbeseitigungssatzung - nämlich Leitungen vom Kanal bis zum Kontrollschacht an der Grenze des Grundstücks bzw. bis zur Grundstücksgrenze, wenn der Kontrollschacht nicht direkt an der Grenze des Grundstücks gesetzt werden kann einschließlich der Pumpen- und Vakuumschächte bei Druck- und Unterdruckentwässerung. Ein Pumpenschacht ist ein Schacht der Druckentwässerung, der Förderaggregate und Steuereinrichtungen enthält (§ 3 Abs. 3 Nr. 7 Abwasserbeseitigungssatzung). Pumpenschächte der Druckentwässerung sind nach den Regelungen der §§ 2 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. 3 Abs. 3 Nr. 4 Abwasserbeseitigungssatzung damit kein Bestandteil der öffentlichen Einrichtung. Dies steht im Widerspruch zu § 14 Abs. 2 Satz 2 Abwasserbeseitigungssatzung, nach dem auch die Schächte der Druck- oder Unterdruckentwässerung Bestandteil der öffentlichen Einrichtung sind.

32

Dieser Widerspruch konnte in der mündlichen Verhandlung nicht beseitigt werden. Vielmehr hat diese ergeben, dass es im Verbandsgebiet des Antragsgegners zwar keine Unterdruckentwässerung und damit Vakuumschächte gibt. Allerdings gibt es - entgegen dem schriftsätzlichen Vorbringen des Antragsgegners - im Verbandsgebiet Druckentwässerung, für die Pumpenschächte notwendig sind (nachfolgend wird für diese Anlagen der Begriff „Pumpenschacht der Druckentwässerung“ verwandt). Daher kann in Bezug auf den Pumpenschacht der Druckentwässerung auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Widerspruch bei der Anwendung der Normen in der Praxis nicht auswirkt.

33

Aufgrund des eindeutigen Wortlautes der Regelungen sind diese auch keiner Auslegung zugänglich. Zwar spricht § 14 Abs. 2 Satz 1 Abwasserbeseitigungssatzung nur von „Schächte“ der Druckentwässerung. Jedoch kann damit unter Beachtung der Definition in § 3 Abs. 3 Nr. 7 Abwasserbeseitigungssatzung nur ein Pumpenschacht gemeint sein.

34

Soweit der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung angeführt hat, dass die Regelungen jeweils unterschiedliche technische Fallvarianten erfassen und so kein Widerspruch vorliegen würde, spiegelt sich dies in den satzungsrechtlichen Regelungen nicht wider. Vielmehr liegt nach Ansicht des Senats ein nicht auflösbarer Widerspruch vor.

35

Der Antragsgegner hat vorgetragen, dass die Fälle, in denen eine Druckentwässerung für nur ein Grundstück hergestellt werde, von § 3 Abs. 3 Nr. 4 Abwasserbeseitigungssatzung („Grundstücksanschlüsse“) erfasst werden würden. Die öffentliche Einrichtung reiche in diesen Fällen nur bis zur Grundstücksgrenze und würde nur insoweit vom ihm hergestellt werden. Nach der Grundstücksgrenze sei die Anlage von dem Grundstückseigentümer einschließlich des Pumpenschachtes in Eigenregie herzustellen. Würde dagegen das Abwasser von mehreren Grundstücken durch eine Druckentwässerung entsorgt, sei der dafür notwendige Pumpenschacht gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 Abwasserbeseitigungssatzung Bestandteil der öffentlichen Einrichtung, unabhängig davon, ob sich dieser im öffentlichen Straßenraum oder auf einem Privatgrundstück befinde. Dies ergebe sich aus § 14 Abs. 8 Abwasserbeseitigungssatzung. Dem kann der Senat nicht folgen. Zwar enthält § 14 Abs. 8 Abwasserbeseitigungssatzung eine Regelung für die Entwässerung mehrerer Grundstücke. Dass sich die Regelung des § 14 Abs. 2 Abwasserbeseitigungssatzung jedoch nur auf diese Fallgestaltung bezieht, ergibt sich weder aus der Regelungssystematik noch aus dem Wortlaut der Norm. Dabei ist zu beachten, dass § 14 Abs. 1 Abwasserbeseitigungssatzung von der Einleitung von „Abwässer voneinem Grundstück über Druck- oder Unterdruckentwässerung“ und der Pflicht zur Duldung des jeweiligen Grundstückseigentümers zur Herstellung der erforderlicher Einrichtungen auf seinem Grundstück spricht und damit die Fälle meint, in denen eine Druckentwässerung für nur ein Grundstück hergestellt wird. Der nachfolgende Absatz 2 bezieht sich erkennbar auf diese Fallgestaltung, ohne eine Einschränkung des Anwendungsbereiches vorzusehen. § 14 Abs. 8 Abwasserbeseitigungssatzung regelt dann, dass – abweichend von § 14 Abs. 1 Abwasserbeseitigungssatzung – „Anstelle von Sammelschächten und Fördereinrichtungen, die der Entwässerungeinzelner Grundstücke dienen“ der Antragsgegner auf einem Grundstück solche Einrichtungen zum Sammeln und zur Förderung der Abwässer herstellen kann, die für die Entwässerung mehrerer Grundstücke bestimmt sind. Auch diese Fallgestaltung wird – soweit sie Pumpenschächte der Druckentwässerung betrifft – von § 14 Abs. 2 Satz 2 Abwasserbeseitigungssatzung erfasst.

36

Verstärkt wird der Widerspruch durch § 14 Abs. 3 Abwasserbeseitigungssatzung, der eine Kostenersatzregelung für die Herstellung der Pumpenschächte der Druckentwässerung vorsieht. Sind die Pumpenschächte der Druckentwässerung jedoch Bestand der öffentlichen Einrichtung – wie in § 14 Abs. 2 Satz 2 Abwasserbeseitigungssatzung geregelt –, ist ein Kostenersatz grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. § 10 KAG M-V; siehe Seppelt in: Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, Stand November 2015, § 10 Anm. 5.2.1).

37

Die Definition der öffentlichen Einrichtung in § 2 Abs. 2 Beitragssatzung ist nicht deckungsgleich mit der Definition in § 2 Abs. 3 Abwasserbeseitigungssatzung. Dies ist rechtsfehlerhaft.

38

Zudem ist § 2 Abs. 2 Buchst. b) Beitragssatzung nicht hinreichend bestimmt. Danach sind die Pumpenstationen des Antragsgegners unmittelbar hinter der Grundstücksgrenze einschließlich der Steuer- und Überwachungsanlagen sowie des Stromanschlusses Bestandteil der öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung. Unklar ist, was unter „Pumpenstationen“ zu verstehen ist. Handelt es sich dabei um den Pumpenschacht der Druckentwässerung im Sinne von § 3 Abs. 3 Nr. 7 Abwasserbeseitigungssatzung oder um eine andere Anlage? Besteht ein Unterschied zwischen den „Pumpenstationen“ und dem „Pumpwerk“ in § 2 Abs. 2 Buchst. a) Beitragssatzung? Eine Definition enthält weder die Beitrags- noch die Abwasserbeseitigungssatzung. Schwierigkeiten bereitet auch das Merkmal „unmittelbar hinter der Grundstücksgrenze“. Es dürfte nur schwer zu bestimmen sein, wo „unmittelbar hinter der Grundstücksgrenze“ endet. Aus alledem folgt auch, dass durch die fehlerhafte Bestimmung der öffentlichen Einrichtung das ortsgesetzgeberische Ermessen bei der Beschlussfassung über die Kalkulation und den Beitragssatz nicht fehlerfrei hat ausgeübt werden können, sodass die Beitragssatzung insgesamt unwirksam ist.

39

2. Die weiteren Einwendungen der Antragstellerin gegen die Wirksamkeit der Regelungen der Beitragssatzung und die ihr zugrunde liegende Kalkulation greifen nicht durch.

40

a. Die vom Antragsgegner vorgelegten Unterlagen lassen die Annahme zu, dass die Beitragssatzung in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustandegekommen ist. Der Beschlussvorlage vom 12. Dezember 2012, Beschluss Nr. 10/2012, kann entnommen werden, dass der Verbandsversammlung als Anlage 2 die neue „Ermittlung der höchstzulässigen Beitragsobergrenze für die Einrichtung A“ vorgelegen hat. Diese umfasste die „Globalkalkulation Oktober 2012“ des Antragsgegners. Weiter heißt es in der Beschlussvorlage: „Die dazugehörigen Ermittlungsunterlagen im Einzelnen liegen während der Verbandsversammlung aus und können eingesehen werden“. Nach dem Vortrag des Antragsgegners umfasste dies auch die Unterlagen zur Ermittlung der Tiefenbegrenzungslinie. Dem ist die Antragstellerin nicht substantiiert entgegen getreten. Vor diesem Hintergrund dürfte sich die Rüge fehlender Kalkulationsunterlagen, insbesondere der Unterlagen über die Tiefenbegrenzung, als unzutreffende Vermutung darstellen.

41

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die inhaltlichen Anforderungen an das der Verbandsversammlung vorzulegende Material nicht überspannt werden dürfen. Denn fühlt sich ein Mitglied der Verbandsversammlung nicht hinreichend informiert, wird es mit den kommunalverfassungsrechtlich insoweit vorgesehenen Mitteln für eine hinreichende Information zu sorgen haben. Es ist Sache der Verbandsversammlung, sich - auf welche Weise und in welcher Tiefe auch immer - zu informieren und sachkundig zu machen. Daher mag eine Beschlussfassung durchaus vertagt werden, wenn eine Mehrheit der Mitglieder der Auffassung ist, die ihnen vorgelegten Unterlagen reichten für eine hinreichende Information und damit für eine ordnungsgemäße Ausübung des satzungsgebenden Ermessens nicht aus (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 02.06.2004 – 4 K 38/02 –, juris Rn. 64).

42

b. Die Regelung in § 4 Abs. 1 Beitragssatzung, wonach die Beitragspflicht entsteht, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung, ist wirksam. Sie regelt, wie von § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V gefordert, den Zeitpunkt des Entstehens der Abgabe und damit das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht in Übereinstimmung mit § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V. Die Regelung ist für den Beitragspflichtigen auch nicht zweifelhaft im Hinblick darauf, ob der Erlass einer weiteren Beitragssatzung erforderlich ist, um die Beitragspflicht entstehen zu lassen – so aber die Antragstellerin. Denn grundsätzlich ist von der Wirksamkeit einer Satzung auszugehen, solange nicht deren Unwirksamkeit festgestellt wurde. Für den Beitragspflichtigen wird dies spätestens mit dem Erlass des Beitragsbescheides deutlich, der als Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Abgabe die einschlägige Satzung benennt und daran anknüpfend seine persönliche Beitragspflicht begründet.

43

Dass das Kommunalabgabenrecht in Mecklenburg-Vorpommern die sachliche Anschlussbeitragspflicht nicht vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung entstehen lässt, liegt im rechtlichen Charakter der sachlichen Beitragspflicht begründet. Das Landesrecht geht davon aus, dass der beitragsrelevante Vorteil mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung bereits vollständig ausgebildet ist und die Erhebung des Beitrags in voller Höhe rechtfertigt. Das setzt voraus, dass der Beitrag, mit dem das bevorteilte Grundstück zu den Herstellungskosten herangezogen wird und der als öffentliche Last auf dem Grundstück (§ 7 Abs. 6 KAG M-V) ruht, auch der Höhe nach ausgeprägt ist. Die sachliche Beitragspflicht steht der Höhe nach unveränderlich fest und begründet mit diesem Inhalt ein abstraktes Beitragsschuldverhältnis. Da die Höhe des Beitrags unter anderem von den Maßstabsregeln und dem Beitragssatz abhängt, die in der Beitragssatzung normiert sind, ist ein Entstehen der sachlichen Beitragspflicht vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung ausgeschlossen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 15.12.2009 – 1 L 323/06 –, juris Rn. 50 f.). Zu einem früheren Zeitpunkt kann die sachliche Beitragspflicht nicht entstehen. Es ist rechtlich zwingend, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht tatbestandlich vom Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung abhängig zu machen.

44

Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin unterliegt die Satzungsvorschrift auch in Ansehung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit einer zeitlich unbegrenzten Festsetzbarkeit vorteilsausgleichender kommunaler Abgaben (BVerfG, Beschl. v. 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, juris = BVerfGE 133, 143) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach dieser Entscheidung ist es Aufgabe des Landesgesetzgebers, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an der Erhebung von Beiträgen und dem Interesse des Beitragsschuldners, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann. Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlange Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten.

45

Der Landesgesetzgeber hat durch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes (GVOBl. M-V 2016, S. 584, Heft Nr. 15 vom 29. Juli) eine Regelung geschaffen, nach der eine zeitlich unbefristete Heranziehung zu (Anschluss-)Beiträgen nicht mehr möglich ist. § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V Fassung 2016 regelt, dass § 169 der Abgabenordnung mit der Maßgabe gilt, dass über § 169 Absatz 1 Satz 1 der Abgabenordnung hinaus die Festsetzung eines Beitrags unabhängig von dem Entstehen der Beitragspflicht spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist, wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezembers 2000 beginnt. Nach Ansicht des Senats entspricht diese gesetzliche Neuregelung den vom Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 15.04.2015 – 9 C 15.14 –, juris) gemachten Vorgaben (vgl. grundlegend OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68ff.).

46

Darüber hinaus würde selbst das Fehlen einer gesetzlichen Bestimmung zur zeitlich befristeten Heranziehung zu Beiträgen die Wirksamkeit der Beitragssatzung grundsätzlich unberührt lassen. Ihr Fehlen kann sich erst auf der Ebene der Rechtsanwendung im Einzelfall auswirken, wenn bei der konkreten Beitragserhebung die Schlussfolgerung gerechtfertigt wäre, die Wirksamkeit für die Heranziehung sei mit Blick auf den Zeitraum zwischen der Entstehung der Vorteilslage und der Beitragserhebung entfallen (vgl. dazu OVG Greifswald, Urt. v. 21.04.2015 – 1 K 47/11 –, juris Rn. 41). Die Bestimmung des Zeitpunktes der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht durch eine Rechtsnorm ist – wie bereits dargelegt – Voraussetzung der Beitragserhebung und zwingender Mindestinhalt einer Beitragssatzung (vgl. § 2 Abs. 1 KAG M-V). Die Satzungsbestimmung steht jedoch in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Frage, wie lange der Antragsgegner nach Eintritt der Vorteilslage einen Anschlussbeitrag erheben darf. Ihr Regelungsgegenstand ist insbesondere nicht die Verjährung des Beitragsanspruchs. Diese richtet sich vielmehr nach den gesetzlichen Vorschriften in § 12 Abs. 1, Abs. 2 KAG M-V i.V.m. §§ 47, 169 Abs. 1, 170 Abs. 1 Abgabenordnung. Das Gesetz knüpft dabei zwar tatbestandlich an das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für die Bestimmung des Beginns der Festsetzungsfrist an. Die Rechtsfolge – das Erlöschen des Beitragsanspruchs nach Ablauf von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Beitrag entstanden ist – wird jedoch entsprechend der Kompetenzordnung durch den Landesgesetzgeber und nicht durch den kommunalen Satzungsgeber gesetzt.

47

c. Die Maßstabsregelungen der Beitragssatzung sind nicht zu beanstanden.

48

aa. Die Maßstabsregelung zur Zahl der Vollgeschosse in § 5 Abs. 3 Beitragssatzung ist nicht unvollständig, auch wenn sie keine Regelung vorsieht, wie die Anzahl der maßgeblichen Vollgeschosse zu bestimmen ist, wenn der Bebauungsplan die Gebäudehöhe und die Baumassenzahl bzw. lediglich die Höhe der baulichen Anlagen festsetzt. Zwar gilt auch im Beitragsrecht der Grundsatz der konkreten Vollständigkeit. Nach diesem Grundsatz muss eine Beitragssatzung für alle Beitragsfälle im Beitragsgebiet einen wirksamen Maßstab vorsehen (grundlegend OVG Greifswald, Urt. v. 15.03.1995 – 4 K 22/94 –, DVBl. 1995, S. 1146). Allerdings liegt ein Verstoß gegen diesen Grundsatz dann nicht vor, wenn im Satzungsgebiet keine Anwendungsfälle für die fehlenden Maßstabsregelungen bestehen. Dass es einen Bebauungsplan im Verbandsgebiet des Antragsgegners gibt, der sowohl eine Gebäudehöhe als auch eine Baumassenzahl bzw. nur die Höhe der baulichen Anlagen festsetzt, ist nach den Ausführungen des Antragsgegners nicht der Fall und wurde auch von der Antragstellerin nicht behauptet.

49

bb. Ein widersprüchliches Verhältnis der Regelungen des § 5 Abs. 3 Buchst. g) und h) bb) Beitragssatzung liegt entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin nicht vor. Schon dem Wortlaut nach werden verschiedene Anwendungsfälle geregelt. § 5 Abs. 3 Buchst. g) Beitragssatzung erfasst nur Außenbereichsgrundstücke, für die ein Planfeststellungsbeschluss, ein bergrechtlicher Betriebsplan oder ein ähnlicher Verwaltungsakt eine bauliche Nutzung zulassen. § 5 Abs. 3 Buchst. h) bb) Beitragssatzung regelt die Zahl der Vollgeschosse für alle übrigen Grundstücke im Außenbereich. Im Übrigen hat der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass es einen Anwendungsfall für § 5 Abs. 3 Buchst. g) Beitragssatzung im Verbandsgebiet nicht gibt.

50

cc. Die satzungsmäßige Tiefenbegrenzungsregelung nach § 5 Abs. 2 Buchst. f) Beitragssatzung begegnet keinen rechtlichen Zweifeln. Die Vorschrift regelt eine sogenannte qualifizierte Tiefenbegrenzung. Sie gilt ausschließlich für Grundstücke, die planungsrechtlich im Übergangsbereich vom unbeplanten Innenbereich zum Außenbereich liegen, und anders als die sogenannte schlichte Tiefenbegrenzung nicht auch für vollständig im Innenbereich liegende Grundstücke.

51

Die Regelung einer Tiefenbegrenzung ist im Anschlussbeitragsrecht nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich zulässig (vgl. nur OVG Greifswald, Urt. v. 14.09.2010 – 4 K 12/07 –, juris Rn. 75 m.w.N.). Zur Einhaltung des Vorteilsprinzips und zur Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) hat sich die Bestimmung einer Tiefenbegrenzungslinie an Kriterien für eine möglichst realitätsnahe Abgrenzung der Innen- von den Außenbereichsflächen im Geltungsbereich der Tiefenbegrenzung auszurichten. Ein sachgerechter Anhaltspunkt dafür, dass eine bauliche Nutzung über eine bestimmte Tiefe hinaus in der Regel nicht stattfindet, stellt – wenn eine solche ermittelbar ist – die ortsübliche Tiefe der baulichen Nutzung dar. Für die Festsetzung der an diesen Verhältnissen zu orientierenden Tiefenbegrenzung steht dem Ortsgesetzgeber ein normgeberisches Ermessen zu. Um dieses Ermessen ordnungsgemäß ausüben zu können, muss er vor Beschlussfassung über die Satzung und Festlegung der Tiefenbegrenzung die örtlichen Verhältnisse sorgfältig und willkürfrei in allen Bereichen des Verbandsgebietes ermitteln. Die Ergebnisse dieser Ermittlung sollen als Nachweis für die Kalkulation dokumentiert werden. Das Normenkontrollgericht hat die Ermessensausübung durch den Satzungsgeber nur auf deren Übereinstimmung mit den gesetzlichen Erfordernissen zu überprüfen, darf jedoch keine eigene Entscheidung an die Stelle der zu überprüfenden Ermessensentscheidung setzen (so grundlegend OVG Greifswald, Urt. v. 14.09.2010 – 4 K 12/07 –, juris Rn. 75 ff. m.w.N., daran anschließend OVG Greifswald, Urt. v. 10.10.2012 – 1 L 289/11 –, juris Rn. 33 f.; Urt. v. 21.04.2015 – 1 K 47/11 –, juris Rn. 48).

52

Unter Beachtung dieser Maßstäbe, ist die Ermittlung der örtlichen Verhältnisse im Verbandsgebiet methodisch nicht zu beanstanden. Daran anschließend hält sich auch die metrische Festsetzung der qualifizierten Tiefenbegrenzung in der Verbandsversammlung im Rahmen des Satzungsermessens.

53

Der Antragsgegner hat die örtliche Bebauungstiefe anhand von repräsentativ ausgewählten Orten bzw. Ortslagen ermittelt. Er hat in einem ersten Schritt ermittelt, in welchen Orten bzw. Ortsteilen Grundstücke vorhanden sind, die im unbeplanten Übergangsbereich zwischen Außen- und Innenbereich liegen und die an die öffentliche Einrichtung angeschlossen sind bzw. in der Herstellungsphase angeschlossen werden sollen. Dies betrifft von 69 Orten und Ortsteilen im Verbandsgebiet 31, d.h. 45% aller Orte und Ortsteile im Verbandsgebiet. In einem zweiten Schritt wurden die 31 Orte und Ortsteile Fall- bzw. Vergleichsgruppen zugeordnet. Kriterium war zum einen die Anzahl der betroffenen Übergangsgrundstücke im Ortsteil (weniger als 30 Übergangsgrundstücke, zwischen 30 und 60 Übergangsgrundstücke, mehr als 60 Übergangsgrundstücke), zum anderen die charakteristische Siedlungsstruktur (Kompaktorte, Straßenorte, Mischorte, Splittersiedlungen). Aus diesen gebildeten Fallgruppen wurden zur genauen Vermessung und Bestimmung der Bebauungstiefe 8 (26%) Orte bzw. Ortsteile ausgewählt, die exemplarisch für die jeweilige Gruppe stehen. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass deren Gesamtbild möglichst beide Auswahlkriterien annähernd abbildet, wobei im Grenzfall die Siedlungsstruktur das gewichtigere Auswahlkriterium war.

54

In den untersuchten Orten bzw. Ortsteilen wurde für jedes Grundstück, welches vom Innenbereich in den Außenbereich übergeht, die tatsächliche Bebauungstiefe ermittelt. Insgesamt wurden 182 Grundstücke untersucht und der jeweiligen Gruppe zugeordnet. Danach sind 9 (5%) Grundstücke bis 20 m bebaut, 15 (8%) Grundstücke bis 25 m, 23 (13%) Grundstücke bis 30 m, 42 (23%) Grundstücke bis 35 m, 60 (33%) Grundstücke bis 40 m, 19 (10%) Grundstücke bis 45 m und 14 (8%) Grundstücke mehr als 45 m.

55

Entgegen dem Einwand der Antragstellerin ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner zur Ermittlung der üblichen Bebauungstiefe nur Grundstücke in Orten bzw. Ortsteilen in seinem Verbandsgebiet berücksichtigt hat, die an die öffentliche zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen sind bzw. angeschlossen werden sollen. Nur diese Grundstücke sind von der Einrichtung bevorteilt und unterliegen der Maßstabsregelung bei der Beitragsberechnung. Aufgrund dessen ist die Bestimmung der örtlichen Verhältnisse anhand der von der Satzungsregelung konkret betroffenen Grundstücke von dem Ermessen des Ortsgesetzgebers gedeckt. Dies gilt zumindest solange die verbleibenden Orte und Ortslagen eine ausreichende Grundlage für die Ermittlung der örtlich üblichen Bebauungstiefe bilden. Nach Ansicht des Senats ist dies vorliegend bei 31 Orten und Ortsteilen, d.h. bei ca. 45 % aller im Verbandsgebiet gelegenen Orte und Orts-teile der Fall. Auch die 5-m-Abstufung der Fallgruppen ist geeignet, die örtliche Bebauungstiefe hinreichend konkret abzubilden. Eine weitere Abstufung ist nicht erforderlich.

56

Die metrische Festsetzung der Tiefenbegrenzungslinie ist rechtsfehlerfrei. Es ist anerkannt, dass sich die Tiefenbegrenzung an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientieren muss. Bei der Frage der Ortsüblichkeit geht es allerdings nicht um die Ermittlung einer exakt berechenbaren Größe (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 12.10.2011 – 4 K 31/06 –, juris Rn. 60). Das bringen die Begriffe „ortsüblich“ und „orientieren“ mit der ihnen inbegriffenen Unschärfe zum Ausdruck. Das Erfordernis der Üblichkeit einer Bebauungstiefe setzt vielmehr schon voraus, dass es daneben eine nicht nur geringe Anzahl von Grundstücken mit im Gebiet nicht üblichen Bebauungstiefen geben wird, die nicht dem mit normal, geläufig oder verbreitet zu bezeichnenden Maß entsprechen muss. Aus all dem folgt, dass für die Annahme der Ortsüblichkeit eine zahlenmäßig hinreichend große Gruppe von Grundstücken ausreichend ist, die in etwa die gleichen Bebauungstiefen aufweisen, sodass von einer üblichen Tiefe gesprochen werden kann (OVG Greifswald, Urt. v. 14.09.2010, a.a.O., juris Rn. 83).

57

Dem Satzungsbeschluss liegt eine hinreichende Orientierung an der ortsüblichen Bebauungstiefe zugrunde. Eine solche zahlenmäßig hinreichend große Gruppe von Grundstücken hat der Antragsgegner in der Gruppe der bis 40 m bebauten Grundstücke gesehen. Dies wird durch die Aufstellung der Ermittlungsergebnisse anhand von Grafiken in der Dokumentation belegt. Die Gruppe der bis zu 40 m bebauten Grundstücke hebt sich deutlich von den anderen Gruppen ab und stellt auch zahlenmäßig absolut mit 60 von 182 ausgewerteten Grundstücken die größte Gruppe dar. Die Gruppe umfasst damit ca. 1/3 der betrachteten Grundstücke. Berücksichtigt man, dass weitere 23 Grundstücke (18%) der repräsentativ ausgewählten Grundstücke bis mindestens 40 m oder noch tiefer bebaut sind und damit von der Regelung nicht benachteiligt werden, ist dies nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin dringt daher mit ihrem Einwand, dass fast 50% der ausgewerteten Grundstücke eine Bebauungstiefe von höchstens 35 m aufweisen, nicht durch. Denn bei den bis zu 35 m bebauten Grundstücken lässt sich keine hinreichend große Gruppe ermitteln, die in etwa die gleiche Bebauungstiefe aufweist.

58

d. Die Kalkulation begegnet im Hinblick auf die Flächenermittlung keinen durchgreifenden Bedenken. Soweit die Antragstellerin einwendet, die zulässige Bebaubarkeit von Grundstücken im unbeplanten Innenbereich sei nicht ordnungsgemäß ermittelt worden, da nicht auf die Zahl der zulässigen Vollgeschosse abgestellt worden sei, wie von § 5 Abs. 3 Buchst. h) aa) Beitragsatzung gefordert, sondern auf die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse, dringt sie damit nicht durch.

59

Zu beachten ist, dass bei einer Kalkulation ein gröberer Maßstab anzulegen ist als bei der Heranziehung von Grundstücken im Einzelfall. Dies ergibt sich schon daraus, dass eine Globalkalkulation vorab erstellt wird und das gesamte Satzungsgebiet erfasst. Eventuelle Ungenauigkeiten sind hinzunehmen. Die Grenze ist allerdings dort, wo ein erheblicher methodischer Fehler die Ursache für diese Abweichung ist bzw. die angelegte Verfahrensweise vorhersehbar zu einem in eine eindeutige Richtung gehenden Fehler führen wird (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 02.06.2004, a.a.O., juris Rn. 118ff.).

60

Für den Senat ist vorliegend schon fraglich, ob die von dem Antragsgegner eingeräumte Berücksichtigung von Grundstücken im Stadtgebiet Südwest und in der Bahnhofsstraße in der Kalkulation nach der tatsächlichen Zahl der vorhandenen Vollgeschosse, wie etwa bei dem Innenring 1 und 3, überhaupt fehlerhaft ist und damit ein methodischer Fehler vorliegen könnte. Die maßgebliche Zahl der Vollgeschosse im unbeplanten Innenbereich bestimmt sich gemäß § 5 Abs. 3 Buchst. h) aa) Beitragssatzung nach Maßgabe des § 34 BauGB und damit nach baurechtlichen Vorschriften. Entscheidungserheblich ist das zulässige Maß der baulichen Nutzung, welches sich nach der näheren Umgebung bestimmt. Die von der Antragstellerin konkret gerügten Grundstücke liegen im Stadtteil Südwest bzw. in einem Teilbereich der Bahnhofsstraße. Diese Bereiche weisen eine typische DDR-Siedlungsstruktur mit Wohnbebauung und – ehemals – zentralen Versorgungsbereichen auf, wobei letztere zum Teil mit einer wesentlich geringeren Zahl von Vollgeschossen bebaut sind als die für die Wohnbebauung genutzten Grundstücke. Bei dieser Bebauungsstruktur ist aus städtebaulicher Sicht und auch im Hinblick auf die grundsätzlich einzuhaltenden Abstandsflächen zweifelhaft, ob eine Aufstockung um beispielsweise drei Vollgeschosse beim Innenring 1 und 3 trotz vorhandener höherer Umgebungsbebauung ohne weiteres baurechtlich zulässig wäre. Insoweit bedarf es der Überprüfung in jedem Einzelfall.

61

Selbst wenn sich jedoch die Heranziehungspraxis des Antragsgegners im Stadtteil Südwest und in der Bahnhofsstraße als methodisch fehlerhaft darstellen würde, wäre dieser Fehler nach derzeitigem Kenntnisstand nicht erheblich. Zwar führt die Berücksichtigung einer höheren Vollgeschosszahl für die streitigen Grundstücke zu einer größeren zu berücksichtigenden Fläche und damit zu einem geringeren Beitragssatz. Allerdings würde sich der höchstzulässige Beitragssatz lediglich im „Promillebereich“ reduzieren, so dass dieser im Ergebnis immer noch über dem von der Verbandsversammlung beschlossenen – politischen – Beitragssatz von 11,00 Euro/m² liegen würde und damit keine Auswirkungen hätte. Die Berechnung des Antragsgegners für die Grundstücke Innenring 1 und 3 hat bei einer Erhöhung der anzusetzenden Vollgeschosse von zwei auf fünf etwa eine Reduzierung des höchstzulässigen Beitragssatzes von ursprünglich 11,76 Euro/m² auf 11,71 Euro/m² ergeben. Das Ergebnis liegt noch deutlich über dem beschlossenen Beitragssatz von 11,00 Euro/m².

62

Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass weitere einzelne Grundstücke im Stadtteil Südwest und in einem Teilbereich der Bahnhofsstraße nach der tatsächlich vorhandenen Zahl der Vollgeschosse statt nach der zulässigen Zahl der Vollgeschosse in die Kalkulation eingestellt wurden, ist nicht zu erwarten, dass sich dies auf den beschlossen Beitragssatz auswirkt. Es ist nicht von einer so erheblichen Flächenmehrung im Vergleich zu der bisher bevorteilen, in die Kalkulation eingestellten Gesamtfläche von 1.640.480,94 m² auszugehen, dass diese zu einer erheblichen Änderung führen könnte. Auch die Antragstellerin hat nicht konkret dargelegt, dass sich hier Fehler im relevanten Ausmaß ergeben könnten. Im Übrigen übersieht die Antragstellerin, dass allein in dem Stadtteil Südwest und in einem Teilbereich der Bahnhofsstraße aufgrund der besonderen Bebauungsstruktur erhebliche Unterschiede bei der Zahl der Vollgeschosse bei den zu berücksichtigenden Grundstücken bestehen. Die weiteren Stadteile von Grimmen sind dagegen von ihrer Bebauung her eher kleinteilig und zum Teil auch sehr inhomogen. Aus diesen Gründen können etwaige Kalkulationsfehler nicht auf das gesamte Stadtgebiet von Grimmen bzw. auf das übrige, überwiegend ländlich geprägte Verbandsgebiet „hochgerechnet“ werden.

63

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Grundlage des Ausspruchs über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Gemarkung B., Flur ..., Flurstück ..., das bereits vor der Wiedervereinigung an die zentrale Schmutzwasserentsorgung angeschlossen war. Der Beklagte übernahm mit seiner Gründung 1991 die Abwasserentsorgungseinrichtung. Nachdem frühere Beitragssatzungen an durchgreifenden Rechtsfehlern gelitten hatten, zog er auf der Grundlage seiner - ersten wirksamen - Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 die Klägerin mit Bescheid vom 19. April 2006 zu einem Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung in Höhe von 9 091,82 € heran. Die nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung seines Urteils im Wesentlichen ausgeführt, die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) aufgestellten Grundsätze über die zeitliche Befristung der Festsetzung von Abgaben zum Vorteilsausgleich seien auf die Erhebung von Abwasseranschlussbeiträgen nicht übertragbar. Auch Eigentümern bereits angeschlossener Grundstücke sei erstmalig nach der Wiedervereinigung der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können. In die Beitragskalkulation zur Abgeltung dieses Vorteils flössen zudem nur sog. "Nachwendeinvestitionen" ein. Darauf, ob diese die vom klägerischen Grundstück in Anspruch genommenen Anlagenteile erfassten, komme es nicht an; ausreichend sei vielmehr, dass die betreffenden Maßnahmen der erstmaligen Herstellung der Gesamtanlage dienten.

3

Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, die Rechtsprechung der Vorinstanzen sowie die zugrundeliegenden landesrechtlichen Vorschriften ermöglichten eine zeitlich unbegrenzte Heranziehung zu Beiträgen; dies sei mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit unvereinbar. Da ihr Grundstück bereits zu DDR-Zeiten an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen sei, könne sie nicht zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen werden. Die Gründung des Beklagten sei kein wirtschaftlicher Vorteil; eine beitragsfähige Verbesserung oder Erweiterung der Einrichtung, die unmittelbar ihrem Grundstück zugutegekommen sei, habe der Beklagte nicht dargelegt. Das vom Berufungsgericht bemühte Gesamtanlagenkonzept trage nicht, wenn - wie vorliegend - kein zusammenhängendes Kanalisationsnetz und keine gemeinsam genutzte Kläranlage existierten; insoweit sei das Urteil auch überraschend. Fehle es damit an einem Vorteil, so handele es sich bei dem vermeintlichen Beitrag um eine verkappte Steuer, für deren Erlass dem Beklagten die Zuständigkeit fehle.

4

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 1. April 2014 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 13. Juni 2013 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 19. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2006 aufzuheben.

5

Der Beklagte verteidigt die angefochtenen Urteile und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

6

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. Er verneint einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Zwar verstößt das angefochtene Urteil insoweit gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, als es entgegen dem gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) ausführt, der vorgenannte Grundsatz setze der Heranziehung zu Anschlussbeiträgen für die Schmutzwasserbeseitigung keine von den Umständen des Einzelfalls unabhängige zeitliche Grenze. Es stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

8

1. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit schützt davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Er verpflichtet deshalb den Gesetzgeber sicherzustellen, dass Beiträge, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, unabhängig von einem Vertrauen des Vorteilsempfängers und ungeachtet der Fortwirkung des Vorteils zeitlich nicht unbegrenzt festgesetzt werden können. Im Rahmen des danach zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet aber, die Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung einer Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 42 ff.).

9

Die vorgenannten Grundsätze gelten für das gesamte Beitragsrecht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 - 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211 Rn. 16 f.; OVG Münster, Urteil vom 30. April 2013 - 14 A 213/11 - juris Rn. 36; VGH München, Urteil vom 14. November 2013 - 6 B 12.704 - BayVBl. 2014, 241 <242>; Driehaus, KStZ 2014, 181 <182>; Schmitt, KommJur 2013, 367 <369, 371>). Sie sind damit entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen nach dem Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern - KAG M-V - anwendbar. Die hiergegen von den Vorinstanzen vorgebrachten Einwände beziehen sich ausnahmslos auf Umstände, denen das Bundesverfassungsgericht bei seiner gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Auslegung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entweder von vornherein keine oder eine gegenüber dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nachrangige Bedeutung beigemessen hat. Namentlich die Besonderheit des der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegenden bayerischen Landesrechts, demzufolge Grundstückseigentümer auch nach Übertragung des Eigentums zu Beiträgen herangezogen werden können, hat in den Entscheidungsgründen keine Berücksichtigung gefunden. Dementsprechend hat das Gericht einen Verzicht auf diese Regelung nicht als Möglichkeit zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustands in Erwägung gezogen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 50). Darüber hinaus hat es ausdrücklich festgestellt, dass der verfassungsrechtlich gebotenen zeitlichen Begrenzung der Heranziehung zu Beiträgen weder ein fehlendes Vertrauen des Bürgers auf seine Nichtberücksichtigung noch das Fortwirken des Vorteils entgegensteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 44 f.).

10

2. Dies zugrunde gelegt, genügt § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht. Danach entsteht die sachliche Beitragspflicht frühestens mit dem In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Satzung. Gemäß § 12 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KAG M-V i.V.m. § 169 Abs. 2, § 170 AO beträgt die Festsetzungsfrist vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beitragsschuld entstanden ist. Kann somit ohne eine wirksame Satzung eine Beitragsschuld nicht entstehen und diese deshalb auch nicht verjähren, so setzt das Landesrecht der Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, keine bestimmte zeitliche Höchstgrenze, falls die maßgeblichen Satzungen - wie hier - zunächst nichtig waren und erst später durch rechtswirksame Satzungen ersetzt worden sind. Es lässt damit in diesen Fällen entgegen dem verfassungsrechtlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit das berechtigte Interesse des Bürgers, in zumutbarer Zeit Klarheit darüber zu gewinnen, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss, völlig unberücksichtigt.

11

3. Allerdings mussten Grundstückseigentümer aufgrund von § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V bis zum Ablauf des 31. Dezember 2008 mit ihrer Heranziehung zu Anschlussbeiträgen zur leitungsgebundenen Abwasserentsorgung rechnen. Der Landesgesetzgeber hat damit dem Grundsatz der Rechtssicherheit zwar nur unvollständig, aber dennoch so weit Rechnung getragen, dass die Träger kommunaler Entsorgungseinrichtungen bis zu diesem Zeitpunkt Herstellungsbeiträge erheben konnten.

12

Da das Berufungsgericht die Anwendbarkeit der vorgenannten Vorschrift offen gelassen hat, kann sie der erkennende Senat gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 4 ZPO selbständig auslegen, obwohl sie nicht zum revisiblen Bundesrecht i.S.d. § 137 Abs. 1 VwGO gehört (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2002 - 4 CN 4.01 - BVerwGE 116, 296 <300> m.w.N.). Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V endete die Festsetzungsfrist bei der Erhebung eines Anschlussbeitrags nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008. Hiermit wollte der Gesetzgeber den beitragserhebenden Körperschaften mehr Zeit einräumen, um der sog. Altanschließerproblematik Rechnung tragen zu können (vgl. LT-Drs. 4/1576 S. 77; Abg. Müller, PlProt vom 9. März 2005 S. 2984 f. und Abg. Schulz, ebd. S. 2987). Obschon die Vorschrift unmittelbar nur Anwendung findet, wenn eine wirksame Beitragssatzung bestand und deshalb ein Ablauf der Festsetzungsfrist vor dem Stichtag in Betracht kam, lässt sich ihr erst recht auch für Fälle, in denen - wie vorliegend - noch keine wirksame Beitragssatzung bestand, der Wille des Gesetzgebers entnehmen, eine Beitragserhebung jedenfalls bis zum 31. Dezember 2008 zu ermöglichen (ebenso zum brandenburgischen Landesrecht OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 27. Mai 2013 - 9 S 75.12 - juris Rn. 29 und vom 16. Juli 2014 - 9 N 69.14 - juris Rn. 22 f., Urteil vom 14. November 2013 - 9 B 34.12 - juris Rn. 60 f.; hierzu BVerwG, Beschluss vom 11. September 2014 - 9 B 22.14 - juris Rn. 35).

13

Verschaffte § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V dem Beitragsschuldner mithin bis zu diesem Stichtag die - vom Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit geforderte - Gewissheit darüber, dass er noch zu einem Beitrag herangezogen werden konnte, so verstößt das Landesrecht allerdings weiterhin insoweit gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, als es damit nur eine Mindest-, nicht aber eine zeitliche Höchstgrenze für eine Beitragserhebung festlegt. Jedenfalls für Beiträge, die nach dem Kommunalabgabengesetz erhoben werden, dürfte zur Bestimmung der erforderlichen Höchstgrenze auch ein Rückgriff auf die 30-jährige Verjährungsfrist des § 53 Abs. 2 VwVfG M-V - sowohl im Wege der Analogie (so für Erschließungsbeiträge VGH München, Urteil vom 14. November 2013 - 6 B 12.704 - BayVBl. 2014, 241 <242>) als auch vermittelt über den Grundsatz von Treu und Glauben (so für sanierungsrechtliche Ausgleichsbeiträge BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 - 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211 Rn. 28, 31 ff.) - ausscheiden. Denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Mit diesem Gestaltungsauftrag ist - nicht zuletzt angesichts der Vielzahl der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten, jedoch gerade nicht den Verweis auf die Höchstverjährungsfrist einschließenden Lösungsmöglichkeiten wie auch der Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern erlassenen und zudem deutlich kürzeren Ausschlussfristen - der schematische Rückgriff auf § 53 Abs. 2 VwVfG M-V wohl unvereinbar, zumal die Vorschrift gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V nicht für Verfahren gilt, die - wie vorliegend - nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind. Einer verfassungskonformen Auslegung des § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V dahingehend, dass eine zur Heilung eines Rechtsmangels erlassene Beitragssatzung rückwirkend zu dem Zeitpunkt in Kraft gesetzt werden muss, zu dem die ursprünglich nichtige Beitragssatzung in Kraft treten sollte (so zu § 22 Abs. 1 SächsKAG: OVG Bautzen, Beschluss vom 25. April 2013 - 5 A 478/10 - juris Rn. 8 ff., sowie zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NW: OVG Münster, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 - NVwZ-RR 2000, 535 <536 f.>), steht schließlich der Wortlaut der Vorschrift wie auch § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V entgegen.

14

Bezieht sich die verbleibende Ungewissheit mithin nur auf die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Bürger nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen muss, so lässt der hierin liegende Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG die in § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V getroffene Übergangsregelung unberührt. Auch wenn diese in erster Linie dem Interesse der beitragserhebenden Körperschaften diente, trug sie doch dazu bei, dass die hiervon betroffenen Beitragsschuldner über die Möglichkeit der Beitragserhebung nicht "dauerhaft im Unklaren" (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 45) waren, sondern vielmehr die Gewissheit hatten, dass sie jedenfalls bis zum Ablauf der darin genannten Frist mit der Heranziehung zu Anschlussbeiträgen rechnen mussten. Zudem unterliegt es - entsprechend dem Rechtsgedanken des § 139 BGB (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90 u.a. - BVerfGE 88, 203 <333>) - angesichts der gesetzgeberischen Intention, einen zeitlichen Spielraum für die Lösung insbesondere der sog. Altanschließerproblematik zu schaffen, keinem Zweifel, dass der Gesetzgeber, wäre er sich der Notwendigkeit einer weitergehenden Regelung bewusst gewesen, eine gesetzliche Ausschlussfrist nicht vor dem 31. Dezember 2008 hätte enden lassen. Damit wirkt sich der Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit erst auf den Zeitraum nach Ablauf der vorgenannten Übergangsfrist und folglich nicht auf Bescheide aus, die zuvor erlassen wurden.

15

4. Die Zeitdauer zwischen dem Eintritt der Vorteilslage und der Heranziehung zu Beiträgen bis zum 31. Dezember 2008 war für die Vorteilsempfänger zumutbar.

16

Bei dem Begriff des Vorteils handelt es sich um einen landesrechtlichen und damit - vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Bindungen - nicht revisiblen Begriff (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. April 2012 - 9 BN 1.12 - juris Rn. 16). Hierzu hat das Berufungsgericht festgestellt, der beitragsrechtliche Vorteil sei auch Eigentümern von tatsächlich schon zu DDR-Zeiten angeschlossenen Grundstücken erst in dem Zeitpunkt zugeflossen, in dem ihnen mit den jeweiligen öffentlichen Entsorgungseinrichtungen erstmals und frühestens unter dem grundlegend neuen Rechtsregime nach der Wiedervereinigung der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden sei, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können. Dies begegnet angesichts der weiteren Feststellung des Berufungsgerichts, dass Herstellungsbeiträge nur für nach der Wiedervereinigung entstandene Aufwendungen - und somit nicht doppelt - erhoben werden dürfen, keinen bundesrechtlichen Bedenken. Insbesondere steht Bundesverfassungsrecht dieser Auslegung - auch unter Berücksichtigung der Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) - nicht entgegen. Zwar schützt danach das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 41). Indes bedeutet dies nicht, dass maßgeblicher Zeitpunkt ausnahmslos bereits derjenige des tatsächlichen Anschlusses an das Abwassersystem ist. Die Bestimmung der ab dem Eintritt der Vorteilslage zu bemessenden Ausschlussfrist muss nicht nur die Erwartung des Begünstigten auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung, sondern auch das öffentliche Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Anlage berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 40). Hieraus folgt, dass es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um eine beitragsrelevante Vorteilslage handeln muss. Die Annahme des Berufungsgerichts, mit der Umgestaltung der Rechtsordnung und der Neugründung einer kommunalen - und damit erstmals kommunalabgabenrechtlich relevanten - Abwasserentsorgung im Jahr 1990 sei mit Blick auf den zukünftigen Ausbau der Einrichtung erstmalig eine Vorteilslage entstanden, stimmt damit überein.

17

Die demnach rund 18-jährige Zeitspanne, innerhalb derer gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Schmutzwasserbeseitigung jedenfalls möglich war, überschreitet die Grenze des verfassungsrechtlich Zumutbaren nicht. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) nicht entschieden, schon eine 12-jährige Dauer verletze den Grundsatz der Rechtssicherheit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. September 2014 - 9 B 22.14 - juris Rn. 37). Der Verfassungsbeschwerde wurde nicht wegen der im konkreten Fall zwischen der Vorteilserlangung und der beitragsrechtlichen Heranziehung verstrichenen Zeit, sondern deshalb stattgegeben, weil das bayerische Landesrecht überhaupt keine zeitliche Grenze für die Abgabenerhebung bestimmte. Für deren Festlegung steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 46). Angesichts der besonderen Herausforderungen der Wiedervereinigung, welche nicht nur durch einen vollständigen Wechsel des Rechtsregimes, sondern auf kommunaler Ebene zusätzlich durch eine Vielzahl von gleichzeitig und mit beschränkten kommunalen Ressourcen zu bewältigenden Aufgaben wie einem grundlegenden Verwaltungsumbau, der Herstellung kommunaler Strukturen einschließlich der notwendigen Rechtsgrundlagen sowie der Instandhaltung, Sanierung und Fortentwicklung der Infrastruktur geprägt waren, wahrt § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V die Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens.

18

5. Widerspricht mithin die Heranziehung zu Abwasserbeiträgen bis zum 31. Dezember 2008 nicht dem Gebot der Rechtssicherheit, so ist der angefochtene Bescheid auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig.

19

a) Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob das Berufungsgericht seiner Prüfung die Beitrags- und Gebührensatzung des Beklagten vom 3. Dezember 2004, statt in ihrer ursprünglichen, in der erst während des laufenden gerichtlichen Verfahrens in Kraft getretenen Fassung vom 9. Dezember 2013 zugrunde legen durfte. Zwar berücksichtigt die letztgenannte Fassung die Vereinigung der vormals fünf getrennten öffentlichen Einrichtungen zu einer Einrichtung, die mit der am 1. Januar 2008 - und somit nach Entstehung der Beitragsschuld - in Kraft getretenen Dritten Änderungssatzung zur Abwasserentsorgungssatzung des Beklagten vom 21. Mai 2001 - AES - erfolgte. Hierdurch erhöhte sich aber der Beitragssatz nur für die in der vormaligen Zone III gelegenen Grundstücke, nicht jedoch für die Grundstücke, die - wie dasjenige der Klägerin - der Zone IV angehörten.

20

b) Deren Einwand, an den Anlagenteilen, die von ihrem Grundstück aus genutzt würden, seien keine Maßnahmen durchgeführt oder geplant worden, welche die Heranziehung zu einem Herstellungsbeitrag rechtfertigten, wohingegen Verbesserungen anderer Anlagenteile, die mit dem für die Abwasserentsorgung ihres Grundstücks erforderlichen Anlagenteil nicht leitungsmäßig verbunden seien, keinen wirtschaftlichen Vorteil für sie bedeuteten, begründet keinen Verstoß gegen Bundesrecht.

21

Insoweit hat das Berufungsgericht das nicht revisible Landesrecht dahingehend ausgelegt, dass es dem Beklagten unabhängig von einer leitungsmäßigen Verbindung oder der gemeinsamen Nutzung einzelner Anlagenteile ein Organisationsermessen einräumt, ob er die Abwasseranlagen als eine oder als mehrere Einrichtungen betreibt. Dem landesrechtlichen Vorteilsbegriff werden bundesrechtlich durch den Gleichheitssatz und das Äquivalenzprinzip nur sehr weite Grenzen gezogen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 1995 - 8 C 16.94 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 35 S. 2, Beschlüsse vom 30. April 1996 - 8 B 31.96 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 37 S. 5 f. und vom 24. April 2012 - 9 BN 1.12 - juris Rn. 16). Insbesondere setzt die Annahme eines (Sonder-)Vorteils nicht die Existenz eines "funktionalen Zusammenhangs" zwischen der abgerechneten Anlage und dem beitragsbelasteten Grundstück voraus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668/10 u.a. - NVwZ 2014, 1448 Rn. 54). Danach sind die Grenzen dieses Ermessens erst überschritten, wenn die zu einer Anlage zusammengefassten, technisch voneinander unabhängigen Teile in ihrer Arbeitsweise und in ihren Arbeitsergebnissen so unterschiedlich sind, dass ihre Vergleichbarkeit schlechterdings ausgeschlossen und ihre Zusammenfassung daher willkürlich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1978 - 7 B 118.78 u.a. - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 40 S. 46; OVG Münster, Urteil vom 17. November 1975 - 2 A 203/74 - juris Rn. 3, 15 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 24. Mai 1989 - 9 L 3/89 - NVwZ-RR 1990, 507 f.; OVG Schleswig, Urteil vom 24. September 2008 - 2 LB 2/08 - juris Rn. 33 f.). Anhaltspunkte für eine derartige Verschiedenheit der Anlagenteile hat die Klägerin weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich; insbesondere gehören Grundstückskläranlagen und abflusslose Gruben - die mit einer zentralen Schmutzwasserbeseitigung nicht vergleichbar sind und daher nicht mit dieser zusammengefasst werden können (OVG Schleswig, Urteil 24. Oktober 2001 - 2 L 29/00 - juris Rn. 45 f.) - gemäß § 2 Abs. 4 AES nicht zu den öffentlichen Abwasseranlagen, für welche die Klägerin zu Beiträgen herangezogen wird.

22

c) Des Weiteren verstößt die dem Bescheid zugrundeliegende Globalkalkulation nicht gegen revisibles Recht. Zum Kommunalabgabenrecht des Landes hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Globalkalkulation beinhalte Prognosen, weshalb Pauschalierungen und Schätzungen zulässig seien; eine "millimetergenaue" Ermittlung von Aufwand und Flächen sei daher von vornherein ausgeschlossen. Zu dem von der Klägerin erhobenen Einwand, die Berechnung sei fehlerhaft, weil sie zu Unrecht Aufwendungen in der Gemeinde Z. berücksichtige, hat das Berufungsgericht auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen, denen zufolge nicht ersichtlich ist, dass die betreffende Prognose bereits bei der Kalkulationserstellung unzutreffend gewesen ist, und denen zufolge sich das Vorhaben aufgrund des Anteils von nur 1,12 v.H. der Gesamtherstellungskosten und wegen des gedeckelten Beitragssatzes nicht auf dessen Höhe ausgewirkt hat. Dies lässt keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen.

23

d) Eine Verletzung des vom Eigentumsgrundrecht umfassten (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2011 - 9 A 15.10 - ZfB 2011, 188 Rn. 18) Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch die Erhebung von Schmutzwasseranschlussbeiträgen scheidet - ungeachtet der Frage, ob sich die Klägerin als im (Mit-)Eigentum kommunaler Gebietskörperschaften stehende juristische Person des Privatrechts auf Art. 14 GG berufen kann (hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 7. Juni 1977 - 1 BvR 108/73 u.a. - BVerfGE 45, 63 <79 f.> und vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82 <105>; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2013 - 7 A 4.12 - BVerwGE 147, 184 Rn. 22) - bereits deshalb aus, weil die Abgabenpflicht grundstücksbezogen ist, sich mithin nicht gegen den Betrieb als solchen richtet, und es daher an der Betriebsbezogenheit des Eingriffs (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2012 - I ZR 187/10 - BGHZ 192, 204 Rn. 31) fehlt.

24

6. Schließlich erweist sich das angefochtene Urteil nicht als verfahrensfehlerhaft.

25

Der Einwand, das Berufungsgericht habe gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen, indem es die Globalkalkulation der Beklagten keiner vollständigen Überprüfung unterzogen habe, verkennt, dass Kalkulationen von Abgabensätzen gerichtlich in aller Regel nur insoweit zu überprüfen sind, als substantiierte Einwände dagegen erhoben wurden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17. April 2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188 <197>). Derartige Einwände hat die Klägerin nur hinsichtlich der kalkulatorischen Berücksichtigung der Kläranlage in Z. geltend gemacht; diese hat das Verwaltungsgericht geprüft, ist ihnen jedoch in der Sache nicht gefolgt. Damit hat sich die Klägerin im Berufungsverfahren ebenso wenig substantiiert auseinandergesetzt wie mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur rechnerischen Behandlung unbebauter und nicht an die Kanalisation angeschlossener Grundstücke, sondern hat es bei einer Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags belassen. Dieses wie auch das weitere Vorbringen gegen die Beitragsberechnung erschöpfte sich jedoch in pauschalen Einwänden und in Mutmaßungen. Dass sich dem Berufungsgericht eine weitergehende Ermittlung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, ist daher weder ersichtlich noch von der Revision dargelegt. Einen Beweisantrag hat die Klägerin nicht gestellt. Deren Einwand, für ein substantiierteres Vorbringen hätten ihr die erforderlichen Informationen gefehlt, berücksichtigt nicht die in § 12 Abs. 4 KAG M-V getroffene Regelung. Danach ist den Beitragspflichtigen auf Verlangen Einsicht in die der Abgabenfestsetzung zugrundeliegenden Kalkulationen zu gewähren, soweit diese Gegenstand der Beschlussfassung u.a. nach § 22 Abs. 3 Nr. 11 KV M-V waren. Da den Verbandsvertretern des Beklagten die gesamten Kalkulationsunterlagen zur Verfügung standen (vgl. OVG Greifswald, Urteil vom 12. Oktober 2011 - 4 K 31/06 - juris Rn. 45), hätte sich auch die Klägerin die maßgeblichen Informationen verschaffen können.

26

Soweit sie darüber hinaus einen Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs und gegen die Aufklärungspflicht für den Fall rügt, dass das Berufungsgericht das Gesamtanlagenprinzip dahin verstanden hat, dass ein zusammenhängendes Abwasserkanalisationsnetz zwischen allen im Zweckverband zusammengeschlossenen Gemeinden oder ein gemeinsam genutztes Klärwerk existiert, liegt gleichfalls kein Verfahrensfehler vor. Hierauf kam es nach dem materiellen Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts ebenso wenig an wie auf die Frage, ob gerade zu den Liegenschaften der Klägerin neue Anschlussleitungen verlegt oder ob die von dort in Anspruch genommenen Leitungen in einem einer Herstellung gleichkommenden Maße erneuert wurden. Auch insofern bedurfte es daher keiner weiteren Ermittlungen durch das Berufungsgericht.

27

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Tenor

Artikel 17 Absatz 1 des Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz - DNeuG) vom 5. Februar 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 160) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

A.

1

Das Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob die durch Art. 17 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz - DNeuG) vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160) angeordnete rückwirkende Änderung von § 14a Abs. 1 des Gesetzes über die Versorgung der Beamten und Richter des Bundes (Beamtenversorgungsgesetz -BeamtVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl I S. 322, 847, 2033), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 29. Juli 2008 (BGBl I S. 1582), mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

I.

2

1. § 14a BeamtVG greift die besondere Versorgungslage auf, in der sich bestimmte Beamte befinden, die neben ihrem beamtenrechtlichen Versorgungsanspruch aus einer früheren Tätigkeit einen Anspruch auf Rente aus einer gesetzlichen Rentenversicherung erworben haben. Altersrente können diese Beamten in der Regel erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze beziehen. Treten sie vorher in den Ruhestand - etwa wegen Dienstunfähigkeit oder aufgrund einer besonderen Altersgrenze -, sind sie zunächst ausschließlich auf ihre beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge angewiesen, da sie die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllen (vgl. § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Das kann sich für diese Beamten nachteilig auswirken, wenn durch eine späte Übernahme in das Beamtenverhältnis und den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand nur wenige Dienstjahre für die Berechnung der Versorgungsbezüge berücksichtigt werden können. § 14a BeamtVG wirkt dieser "Versorgungslücke" bei sogenannten gemischten Erwerbskarrieren durch eine vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes bis zum Beginn des Rentenbezugs entgegen (vgl. BTDrucks 10/4225, S. 21; BVerwGE 111, 93 <96 f.>).

3

2. a) § 14a BeamtVG lautete in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl I S. 322, 847, 2033), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 29. Juli 2008 (BGBl I S. 1582; im Folgenden: § 14a BeamtVG a.F.):

4

§ 14a BeamtVG a.F.

5

(1) Der nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz erhöht sich vorübergehend, wenn der Beamte vor der Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres in den Ruhestand getreten ist und er

6

1. bis zum Beginn des Ruhestandes die Wartezeit von sechzig Kalendermonaten für eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt hat,

7

2. a) wegen Dienstunfähigkeit im Sinne des § 42 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes oder entsprechenden Landesrechts in den Ruhestand versetzt worden ist oder

8

b) wegen Erreichens einer besonderen Altersgrenze in den Ruhestand getreten ist und das sechzigste Lebensjahr vollendet hat,

9

3. einen Ruhegehaltssatz von 66,97 vom Hundert noch nicht erreicht hat und

10

4. keine Einkünfte im Sinne des § 53 Abs. 7 bezieht. Die Einkünfte bleiben außer Betracht, soweit sie durchschnittlich im Monat 325 Euro nicht überschreiten.

11

(2) Die Erhöhung des Ruhegehalts beträgt 0,95667 vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge für je zwölf Kalendermonate der für die Erfüllung der Wartezeit (Absatz 1 Nr. 1) anrechnungsfähigen Pflichtbeitragszeiten, soweit sie nicht von § 50e Abs. 1 erfasst werden, nach Vollendung des 17. Lebensjahres und vor Begründung des Beamtenverhältnisses zurückgelegt wurden und nicht als ruhegehaltfähig berücksichtigt sind. Der hiernach berechnete Ruhegehaltssatz darf 66,97 vom Hundert nicht überschreiten. In den Fällen des § 14 Abs. 3 ist das Ruhegehalt, das sich nach Anwendung der Sätze 1 und 2 ergibt, entsprechend zu vermindern. Für die Berechnung nach Satz 1 sind verbleibende Kalendermonate unter Benutzung des Nenners 12 umzurechnen; § 14 Abs. 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

12

(3) Die Erhöhung fällt spätestens mit Ablauf des Monats weg, in dem der Ruhestandsbeamte das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet. Sie endet vorher, wenn der Ruhestandsbeamte

13

1. eine Versichertenrente der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, mit Ablauf des Tages vor dem Beginn der Rente, oder

14

2. in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 Buchstabe a nicht mehr dienstunfähig ist, mit Ablauf des Monats, in dem ihm der Wegfall der Erhöhung mitgeteilt wird, oder

15

3. ein Erwerbseinkommen bezieht, mit Ablauf des Tages vor dem Beginn der Erwerbstätigkeit.

16

§ 35 Abs. 3 Satz 2 gilt sinngemäß.

17

(4) Die Erhöhung des Ruhegehaltssatzes wird auf Antrag vorgenommen. Anträge, die innerhalb von drei Monaten nach Eintritt des Beamten in den Ruhestand gestellt werden, gelten als zum Zeitpunkt des Ruhestandseintritts gestellt. Wird der Antrag zu einem späteren Zeitpunkt gestellt, so tritt die Erhöhung vom Beginn des Antragsmonats an ein.

18

b) Die zur Ausfüllung der Formulierung "nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz" in § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. heranzuziehende Regelung des § 14 BeamtVG lautet in der maßgeblichen Fassung durch das Versorgungsänderungsgesetz 2001 vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3926):

19

§ 14 BeamtVG

20

(1) Das Ruhegehalt beträgt für jedes Jahr ruhegehaltfähiger Dienstzeit 1,79375 vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge (§ 5), insgesamt jedoch höchstens 71,75 vom Hundert. Der Ruhegehaltssatz ist auf zwei Dezimalstellen auszurechnen. Dabei ist die zweite Dezimalstelle um eins zu erhöhen, wenn in der dritten Stelle eine der Ziffern fünf bis neun verbleiben würde. Zur Ermittlung der gesamten ruhegehaltfähigen Dienstjahre sind etwa anfallende Tage unter Benutzung des Nenners dreihundertfünfundsechzig umzurechnen; die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.

21

(2) (weggefallen)

22

(3) Das Ruhegehalt vermindert sich um 3,6 vom Hundert für jedes Jahr, um das der Beamte

23

  1. vor Ablauf des Monats, in dem er das 63. Lebensjahr vollendet, nach § 42 Abs. 4 Nr. 1 des Bundesbeamtengesetzes oder entsprechendem Landesrecht in den Ruhestand versetzt wird,

24

  2. vor Ablauf des Monats, in dem er die für ihn geltende gesetzliche Altersgrenze erreicht, nach § 42 Abs. 4 Nr. 2 des Bundesbeamtengesetzes oder entsprechendem Landesrecht in den Ruhestand versetzt wird,

25

  3. vor Ablauf des Monats, in dem er das 63. Lebensjahr vollendet, wegen Dienstunfähigkeit, die nicht auf einem Dienstunfall beruht, in den Ruhestand versetzt wird;

26

die Minderung des Ruhegehalts darf 10,8 vom Hundert nicht übersteigen. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend. Gilt für den Beamten eine vor der Vollendung des 63. Lebensjahres liegende Altersgrenze, tritt sie in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 und 3 an die Stelle des 63. Lebensjahres. Gilt für den Beamten eine nach Vollendung des 65. Lebensjahres liegende Altersgrenze, wird in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 nur die Zeit bis zum Ablauf des Monats berücksichtigt, in dem der Beamte das 65. Lebensjahr vollendet.

27

(4) Das Ruhegehalt beträgt mindestens fünfunddreißig vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge (§ 5). An die Stelle des Ruhegehalts nach Satz 1 treten, wenn dies günstiger ist, fünfundsechzig vom Hundert der jeweils ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe A 4. Die Mindestversorgung nach Satz 2 erhöht sich um sechzig Deutsche Mark für den Ruhestandsbeamten und die Witwe; der Erhöhungsbetrag bleibt bei einer Kürzung nach § 25 außer Betracht. Bleibt ein Beamter allein wegen langer Freistellungszeiten (§ 5 Abs. 1 Satz 2) mit seinem erdienten Ruhegehalt hinter der Mindestversorgung nach Satz 1 oder 2 zurück, wird nur das erdiente Ruhegehalt gezahlt; dies gilt nicht, wenn ein Beamter wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand getreten ist.

28

(5) Übersteigt beim Zusammentreffen von Mindestversorgung nach Absatz 4 mit einer Rente nach Anwendung des § 55 die Versorgung das nach Absatz 1 erdiente Ruhegehalt, so ruht die Versorgung bis zur Höhe des Unterschieds zwischen dem erdienten Ruhegehalt und der Mindestversorgung; in den von § 85 erfassten Fällen gilt das nach dieser Vorschrift maßgebliche Ruhegehalt als erdient. Der Erhöhungsbetrag nach Absatz 4 Satz 3 sowie der Unterschiedsbetrag nach § 50 Abs. 1 bleiben bei der Berechnung außer Betracht. Die Summe aus Versorgung und Rente darf nicht hinter dem Betrag der Mindestversorgung zuzüglich des Unterschiedsbetrages nach § 50 Abs. 1 zurückbleiben. Zahlbar bleibt mindestens das erdiente Ruhegehalt zuzüglich des Unterschiedsbetrages nach § 50 Abs. 1. Die Sätze 1 bis 4 gelten entsprechend für Witwen und Waisen.

29

(6) Bei einem in den einstweiligen Ruhestand versetzten Beamten beträgt das Ruhegehalt für die Dauer der Zeit, die der Beamte das Amt, aus dem er in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden ist, innehatte, mindestens für die Dauer von sechs Monaten, längstens für die Dauer von drei Jahren, 71,75 vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe, in der sich der Beamte zur Zeit seiner Versetzung in den jeweiligen Ruhestand befunden hat. Das erhöhte Ruhegehalt darf die Dienstbezüge, die dem Beamten in diesem Zeitpunkt zustanden, nicht übersteigen; das nach sonstigen Vorschriften ermittelte Ruhegehalt darf nicht unterschritten werden.

30

3. a) § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. wurde von der Verwaltung in Übereinstimmung mit verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung und einem Teil des Schrifttums zunächst dahingehend ausgelegt, dass der "nach sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz" nur ein auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechneter ("erdienter") Ruhegehaltssatz sein könne, insbesondere der nach § 14 Abs. 1 BeamtVG berechnete Ruhegehaltssatz. Kein Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. seien dagegen das "amtsbezogene" Mindestruhegehalt gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG und das "amtsunabhängige" Mindestruhegehalt gemäß § 14 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG, weil beide - ohne Bezug zur tatsächlich ruhegehaltfähigen Dienstzeit - abstrakt gesetzlich vorgegeben und deshalb nicht "berechnet" seien (vgl. Anwendungserlass des Bundesministeriums des Innern vom 10. Juni 1994 - D III 4-223 100/28 -, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 11. Mai 2004 - 5 LC 4/03 -, juris, Rn. 25 ff. m.w.N.; VG Berlin, Urteil vom 2. März 2004 - 7 A 207.02 -, juris, Rn. 16; Schachel in: Schütz, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 14a BeamtVG Rn. 11 ; a. A. Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, § 14a BeamtVG Rn. 13 ).

31

b) Das Bundesverwaltungsgericht kam im Urteil vom 23. Juni 2005 (BVerwGE 124, 19 ff.) hingegen zu dem Ergebnis, dass es sich auch bei dem Mindestruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG um einen "berechneten" Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. handele. Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck des § 14a BeamtVG a.F. sprächen dafür, dass der individuell ermittelte und festgesetzte Ruhegehaltssatz stets "berechnet" sei, auch wenn er sich auf der Basis der Vomhundertsätze des § 14 Abs. 4 BeamtVG ergebe (vgl. BVerwGE 124, 19 <20 ff.>).

32

c) Die Verwaltung betrachtete dieses Urteil, wenn auch nicht einhellig (vgl. für das Landesverwaltungsamt Berlin OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. November 2011 - 4 B 72.09 -, juris, Rn. 21), als Einzelfallentscheidung, der über den entschiedenen Fall hinaus nicht zu folgen sei (vgl. Strötz, in: Fürst, Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht - GKÖD, § 14a BeamtVG Rn. 21 mit Fn. 14 ; Grunefeld, ZTR 2008, S. 122 <127>). Die Instanzgerichte schlossen sich der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts überwiegend an (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27. September 2007 - 1 L 180/07 -, juris, Rn. 4 ff.; Beschluss vom 14. November 2008 - 1 L 21/08 -, juris, Rn. 4 ff.; Beschluss vom 26. März 2009 - 1 L 25/09 -, juris, Rn. 5 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 13. Mai 2009 - 2 L 45/08 -, juris, Rn. 6 ff.; Sächsisches OVG, Urteil vom 14. Oktober 2010 - 2 A 430/09 -, juris, Rn. 23 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. November 2011 - 4 B 72.09 -, juris, Rn. 18; VG Münster, Urteil vom 11. April 2006 - 4 K 558/03 -, juris, Rn. 34; VG Dessau, Urteil vom 30. August 2006 - 1 A 93/06 -, juris, Rn. 14; VG Magdeburg, Urteil vom 6. März 2007 - 5 A 191/06 -, juris, Rn. 16; VG Berlin, Urteil vom 5. Juni 2008 - 5 A 60.07 -, juris, Rn. 17 ff.; Urteil vom 12. Mai 2009 - 26 A 68.07 -, juris, Rn. 18). Einige Verwaltungsgerichte erster und zweiter Instanz hielten jedoch unter Hinweis auf den Sinn und Zweck des § 14a BeamtVG a.F. sowie aufgrund eines systematischen Vergleichs mit § 14 Abs. 5 BeamtVG daran fest, dass die in § 14 Abs. 4 BeamtVG geregelte Mindestversorgung nicht Grundlage für eine vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes nach § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. sein könne (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Januar 2008 - 21 A 2098/06 -, juris, Rn. 28 ff.; VG des Saarlandes, Urteil vom 17. März 2009 - 3 K 372/08 -, juris, Rn. 33 ff.). Auch die überwiegende Auffassung im Schrifttum widersprach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Schachel, in: Schütz/ Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 14a BeamtVG Rn. 11 ; Bauer/Zahn, in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, § 14a BeamtVG Rn. 2 mit Fn. 2 ; Grunefeld, a.a.O., S. 122 <127>; Strötz, a.a.O., § 14a BeamtVG Rn. 21 mit Fn. 14 ; zustimmend dagegen Plog/Wiedow, a.a.O., § 14a BeamtVG Rn. 14 ff. ).

33

d) Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil vom 12. November 2009 (- BVerwG 2 C 29.08 -, juris) an seiner Rechtsauffassung zur Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. festgehalten.

34

4. Die Bundesregierung legte am 12. November 2007 den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz - DNeuG) vor, der unter anderem eine Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG vorsah (BTDrucks 16/7076). Der Deutsche Bundestag nahm den Gesetzentwurf am 12. November 2008 in zweiter und dritter Lesung an (vgl. Plenarprotokoll 16/186, S. 19901). Am 11. Februar 2009 wurde das am 5. Februar 2009 ausgefertigte Dienstrechtsneuordnungsgesetz verkündet (BGBl I S. 160).

35

Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG sieht folgende Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG vor:

36

In Halbsatz 1 werden die Wörter "den sonstigen Vorschriften" durch die Angabe "§ 14 Abs. 1, § 36 Abs. 3 Satz 1, § 66 Abs. 2 und § 85 Abs. 4" ersetzt.

37

Gemäß Art. 17 Abs. 1 DNeuG ist Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG mit Wirkung vom 24. Juni 2005 in Kraft getreten. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu (BTDrucks 16/7076, S. 186):

38

"Die aus Sicht der Verwaltung lediglich klarstellenden Änderungen zur Berechnung von Ruhegehaltssätzen im Rahmen der Regelung des § 14a des Beamtenversorgungsgesetzes und des § 26a des Soldatenversorgungsgesetzes werden rückwirkend auf den Zeitpunkt einer entgegenstehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung in Kraft gesetzt."

39

5. Mit Wirkung vom 1. September 2006 ging die Kompetenz für die Regelung der Besoldung und Versorgung der Landesbeamten auf die Länder über (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034). Zehn Länder haben auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 mit klarstellenden Regelungen reagiert, die Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG entsprechen, zwei Länder haben Regelungen in Kraft gesetzt, die den Wortlaut von § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. aufgreifen, und weitere vier Länder haben auf eine eigene Regelung zur vorübergehenden Erhöhung des Ruhegehaltssatzes bislang verzichtet. Als exemplarisch für die Haltung der Länder, die sich der Neuregelung des Bundes angeschlossen haben, kann der Gesetzentwurf gelten, der § 4 Abs. 1 des Thüringer Gesetzes über ergänzende Bestimmungen zur Beamtenversorgung in der Fassung durch Art. 2 des Gesetzes vom 31. Januar 2007 (GVBl S. 1, 2) zugrunde liegt (LTDrucks 4/2616, S. 11):

40

"Diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen dem Wortlaut des § 14a BeamtVG. Zur Klarstellung wurden in Absatz 1 Satz 1 die Worte 'den sonstigen Vorschriften' durch die Verweisung '§ 14 Abs. 1 Satz 1, § 36 Abs. 3 Satz 1, § 66 Abs. 2 und § 85 Abs. 4 BeamtVG' ersetzt. Nach Artikel 125a Abs. 1 des Grundgesetzes kann die bundesrechtliche Regelung durch eine landesrechtliche Regelung ersetzt werden. Das das Bundesrecht ersetzende Landesrecht muss in sich abgeschlossen und aus sich heraus verständlich sein. Daher ist es erforderlich, die bundesrechtliche Bestimmung zur vorübergehenden Erhöhung des Ruhegehaltssatzes vollständig durch inhaltsgleiches Landesrecht abzulösen.

41

Die Notwendigkeit dazu ergibt sich aus der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Durch Urteil vom 23. Juni 2005 - 2 C 25.04 - wurde entschieden, dass beim Zusammentreffen von Mindestversorgung nach § 14 Abs. 4 BeamtVG und vorübergehen-der Erhöhung des Ruhegehaltssatzes nach § 14a BeamtVG nicht mehr der nach den 'sonstigen Vorschriften berechnete' Ruhegehaltssatz, sondern auch der Mindestruhegehaltssatz zu erhöhen ist. Bislang wurde § 14a Abs. 1 Satz 1 BeamtVG dahin gehend ausgelegt, dass der nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz derjenige Ruhegehaltssatz ist, der sich auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnet, also 'erdient' ist. Die Mindestversorgung ist vom Gesetz vorgegeben, also nicht 'berechnet'. Demnach wurde bislang der 'erdiente' Ruhegehaltssatz erhöht, sodann erfolgte ein Vergleich der sich daraus ergebenden Versorgung mit der Mindestversorgung, der höhere Betrag wurde gezahlt. Das Urteil hätte zur Folge, dass nunmehr der Ruhegehaltssatz der amtsbezogenen Mindestversorgung (35 v.H. der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge) um bis zu 35 v.H. auf maximal 70 v.H. (Höchstgrenze nach § 14a Abs. 2 Satz 2 BeamtVG) erhöht werden könnte. Bei Empfängern der amtsunabhängigen Mindestversorgung (65 v.H. der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Besoldungsgruppe A 4) könnte der Ruhegehaltssatz dagegen nur um maximal 5 v.H. erhöht werden. Verglichen mit der bisherigen Verfahrenweise führt dies während der Zeit der Auswirkung des § 14a BeamtVG bei den erstgenannten Beamten zu einer erheblichen Erhöhung, bei den letztgenannten dagegen zu einer erheblichen Reduzierung des Ruhegehaltes. Bund und Länder behandeln daher das Urteil als Einzelfall und hatten beschlossen, § 14a BeamtVG entsprechend klarzustellen. Dies erfolgt nunmehr durch die Änderung in § 4 Abs. 1 Satz 1, da der Bund nicht mehr für die Länder regelungsbefugt ist. Die auslegungsbedürftigen Begriffe 'nach den sonstigen Vorschriften' werden durch eine Aufzählung derjenigen Bestimmungen des Beamtenversorgungsgesetzes ersetzt, die nach der bisherigen Auslegung ein 'berechnetes' Ruhegehalt ergeben haben."

II.

42

1. a) Der 1948 geborene Kläger des Ausgangsverfahrens war seit 1992, zuletzt im Rang eines Polizeihauptmeisters, als Polizeibeamter beim Bundesgrenzschutz beziehungsweise bei der Bundespolizei tätig. Er wurde nach Vollendung des 60. Lebensjahres mit Ablauf des Monats Februar 2008 wegen Erreichens der Altersgrenze des § 5 Abs. 2 Satz 1 des Bundespolizeibeamtengesetzes in den Ruhestand versetzt. Die Bundesfinanzdirektion Nord setzte sein Ruhegehalt mit Bescheid vom 12. Februar 2008 auf 1.691,89 € fest. Dabei erhöhte sie den nach § 14 Abs. 1 BeamtVG berechneten Ruhegehaltssatz in Höhe von 32,64 v.H. gemäß § 14a BeamtVG a.F. vorübergehend um 24,58 v.H. auf insgesamt 57,22 v.H.

43

b) Im März 2008 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes auf Basis des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG (in Höhe von 35 v.H.) auf 59,58 v.H. Dieses Begehren, das zu einem Ruhegehalt von 1.761,68 € geführt hätte, lehnte die Bundesfinanzdirektion Nord ab. Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb ohne Erfolg.

44

c) Mit Urteil vom 26. Januar 2009 verpflichtete das Verwaltungsgericht Magdeburg die Beklagte, das Ruhegehalt des Klägers ab dem 1. März 2008 vorübergehend auf der Basis des Ruhegehaltssatzes von 59,58 v.H. zu erhöhen. Zur Begründung nahm das Verwaltungsgericht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 Bezug.

45

d) Auf die Berufung der Beklagten wies das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 1. Juli 2009 die Klage mit der Begründung ab, nach der Gesetzesänderung komme nicht mehr der Ruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG, sondern nur noch der "erdiente" Ruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 1 BeamtVG als Berechnungsgrundlage für die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehalts in Betracht. Das durch Art. 17 Abs. 1 DNeuG angeordnete rückwirkende Inkrafttreten von Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG verstoße nicht gegen das Rückwirkungsverbot.

46

2. Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt,

47

ob Artikel 17 Absatz 1 des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes (DNeuG) vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160, 274) mit Artikel 20 Absatz 3, Artikel 33 Absatz 5 und Artikel 3 Absatz 1 GG unvereinbar und nichtig ist.

48

Von der Entscheidung über die Vorlagefrage hänge das Ergebnis des Rechtsstreits ab. Sei Art. 17 Abs. 1 DNeuG gültig, wäre die Norm zu Ungunsten des Klägers anzuwenden, was in vollem Umfang zur Zurückweisung der Revision führen würde. Sei Art. 17 Abs. 1 DNeuG hingegen verfassungswidrig und nichtig, stünde dem Kläger der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Berechnung des erhöhten Ruhegehaltssatzes auf Basis des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG zu, weil weiterhin § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. anzuwenden wäre; die Revision des Klägers wäre mithin erfolgreich.

49

Das vorlegende Gericht ist überzeugt, dass Art. 17 Abs. 1 DNeuG mit seiner rückwirkenden Inkraftsetzung des Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG verfassungswidrig ist. Bei Beamten, die - wie der Kläger im Ausgangsverfahren - bereits vor der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes in den Ruhestand getreten und deren Versorgungsbezüge noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden seien, führe Art. 17 Abs. 1 DNeuG zu einer nachträglichen Kürzung bestehender Versorgungsansprüche und entfalte insoweit echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen). Der mit der Zurruhesetzung entstandene Anspruch auf vorübergehende Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG werde durch Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG rückwirkend vernichtet.

50

Die Rückwirkung sei verfassungsrechtlich nicht erlaubt. Das Vertrauen der betroffenen Beamten sei schutzwürdig, weil die rückwirkende Rechtsänderung, wie das Beispiel des Klägers zeige, zu einer spürbaren Kürzung der Bruttoversorgung führen könne. Die rückwirkend geänderte Regelung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. sei generell geeignet gewesen, aus dem Vertrauen auf ihr Fortbestehen heraus Entscheidungen und Dispositionen herbeizuführen oder zu beeinflussen, die sich bei der Änderung der Rechtslage als nachteilig erwiesen. Es habe auch keine unklare und verworrene Rechtslage vorgelegen, auf deren Bestand die Betroffenen nicht hätten vertrauen dürfen. Die rechtliche Wertung des Gesetzgebers, es handele sich bei der Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. um eine bloße Klarstellung, sei unbeachtlich. Die vom Gesetzgeber in Anspruch genommene authentische Interpretation sei für die Gerichte nicht verbindlich. Es liege keine Fallkonstellation vor, in der wegen abweichender Auffassungen in der Kommentarliteratur und divergierender Rechtsprechung der Instanzgerichte nicht schon ein Revisionsurteil, sondern erst eine langjährige gefestigte Rechtsprechung des Revisionsgerichts die unklare und verworrene Rechtslage beseitige. Dies setze voraus, dass der den Klarstellungsbedarf auslösende Gesetzestext so lückenhaft, unsystematisch oder mehrdeutig sei, dass nach Anwendung der hergebrachten Auslegungsmethoden mehrere Auslegungsergebnisse mit gleicher Überzeugungskraft vertretbar nebeneinander stünden. Das sei hier nicht der Fall, da sich die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 vorgenommene Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. aus Wortlaut, Gesetzessystematik, Sinn und Zweck sowie aus der Entstehungsgeschichte ergebe.

51

Auf die Änderung der Berechnung der vorübergehenden Erhöhung des Ruhegehaltssatzes hätten sich die Betroffenen nicht schon im Zeitpunkt der Einbringung des Gesetzentwurfs des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes in den Deutschen Bundestag einstellen müssen. Mit einer Neuregelung müsse frühestens im Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses gerechnet werden. Überragende Belange des Gemeinwohls, die eine Rückwirkungsanordnung rechtfertigen könnten, seien nicht erkennbar. Finanzielle Erwägungen taugten nicht als Legitimation für eine Kürzung der Altersversorgung. Im Beamtenversorgungsrecht werde ein besonderes, durch Art. 33 Abs. 5 GG geschütztes Vertrauen auf den Fortbestand gesetzlicher Leistungsregelungen begründet. Wesentliche und grundlegende Änderungen zu Lasten der Beamten müssten durch gewichtige und bedeutende Gründe gerechtfertigt sein. Daran fehle es.

52

Für den Zeitraum nach seiner Verkündung greife Art. 17 Abs. 1 DNeuG in bestehende Versorgungsansprüche ein und kürze diese mit Wirkung für die Zukunft; die Norm entfalte insoweit unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung). Auch die unechte Rückwirkung des Art. 17 Abs. 1 DNeuG sei verfassungsrechtlich unzulässig, da hinreichend gewichtige Belange des Gemeinwohls, die den durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten besonderen Vertrauensschutz der Versorgungsempfänger überwögen, vom Gesetzgeber weder dargelegt noch sonst erkennbar seien. Überdies verpflichte der durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährte Vertrauensschutz im Bereich des Beamtenversorgungsrechts den Gesetzgeber, Eingriffe in versorgungsrechtliche Rechtspositionen durch angemessene Übergangsregelungen auszugleichen oder abzumildern, woran es hier fehle.

53

Die Rückwirkungsanordnung des Art. 17 Abs. 1 DNeuG verstoße auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Versorgungsempfänger, deren Versorgungsbezüge unter vorübergehender Erhöhung des Ruhegehaltssatzes gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG - höher - festgesetzt worden seien, seien durch § 52 Abs. 1 BeamtVG vor einer Rückforderung der Unterschiedsbeträge geschützt und daher von Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG nur zukunftsgerichtet betroffen. Gegenüber dieser Personengruppe würden Versorgungsempfänger wie der Kläger nur deswegen schlechter behandelt, weil die zuständigen Behörden rechtswidrig von einem Festsetzungsbescheid auf der Grundlage von § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG abgesehen hätten.

III.

54

Zu dem Vorlagebeschluss haben sich das Bundesministerium des Innern namens der Bundesregierung, die Bundesfinanzdirektion Nord, der dbb beamtenbund und tarifunion, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) - Bezirk Bundespolizei - geäußert.

55

1. Das Bundesministerium des Innern hält Art. 17 Abs. 1 DNeuG für verfassungsgemäß. Die rückwirkende Gesetzesänderung habe allein der klarstellenden Präzisierung einer bereits bestehenden Rechtslage gedient. Sie sei erforderlich geworden, nachdem die Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. durch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 23. Juni 2005 der bis dahin in Bund und Ländern einheitlich geübten Praxis den Boden entzogen habe.

56

Art. 17 Abs. 1 DNeuG sei mit dem Vertrauensgrundsatz vereinbar. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung könne allenfalls bei gefestigter, langjähriger Rechtsprechung entstehen. Daran fehle es. Literatur und Rechtsprechung hätten nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 überwiegend an ihrer - davon abweichenden - Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. festgehalten. Bund und Länder hätten bereits im September 2005 über die Konsequenzen der Entscheidung diskutiert und einhellig die Auffassung vertreten, dass dem Urteil über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht gefolgt werden solle und eine gesetzliche Klarstellung in § 14a BeamtVG erforderlich sei.

57

Art. 17 Abs. 1 DNeuG verstoße auch nicht gegen das Alimentationsprinzip gemäß Art. 33 Abs. 5 GG. Der Gesetzgeber dürfe Versorgungsbezüge kürzen, wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt erscheine. Sachgerecht sei es, bei rentebeziehenden Versorgungsempfängern eine Kürzung der Versorgungsbezüge anzuordnen, um eine Überhöhung der Gesamtversorgung zu beseitigen, die nicht durch eine Eigenleistung des Versorgungsempfängers entstanden sei, sondern - wie hier - durch eine unzureichende Abstimmung von Rentenrecht und Versorgungsrecht.

58

Art. 17 Abs. 1 DNeuG sei auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, da das Verhalten des Dienstherrn rechtmäßig gewesen sei.

59

2. Auch die Bundesfinanzdirektion Nord hält Art. 17 Abs. 1 DNeuG für verfassungsgemäß. Das Rückwirkungsverbot des Art. 20 Abs. 3 GG greife mangels schutzwürdigen Vertrauens nicht ein. Die Rechtslage sei unklar gewesen. Bis zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 habe es der flächendeckenden Verwaltungspraxis, der Kommentarliteratur und der Rechtsprechung der Instanzgerichte entsprochen, eine vorübergehende Erhöhung der Versorgungsbezüge lediglich auf der Grundlage des erdienten Ruhegehaltssatzes vorzunehmen. Die davon abweichende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei im Schrifttum, von der Verwaltung und von wenigstens einem Oberverwaltungsgericht kritisiert worden. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Novem-ber 2009 habe nicht mehr vertrauensbildend wirken können, weil zu diesem Zeitpunkt das Dienstrechtsneuordnungsgesetz bereits verkündet gewesen sei. Mangels schutzwürdigen Vertrauens seien auch Abmilderungs- und Übergangsmaßnahmen nicht erforderlich gewesen. Art. 17 Abs. 1 DNeuG verstoße auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

60

3. Der dbb beamtenbund und tarifunion teilt die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts. Es liege eine unzulässige Rückwirkung vor. Selbst wenn man die zu § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich des Ergebnisses in Zweifel ziehe, könne eine unklare oder gar verworrene Rechtslage nicht angenommen werden, da der Wortlaut der Norm die Auslegung des Gerichts gestützt habe. Die rückwirkende Gesetzesänderung betreffe keine Bagatellen, sondern nennenswerte finanzielle Werte und Dispositionen der betroffenen Beamten. Überragende Gründe des Gemeinwohls, die die Rückwirkung rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich. Der Kreis von Beamten, die zum Zeitpunkt der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes bereits in den Ruhestand getreten gewesen seien und bei ihrem Ruhestandseintritt einen Anspruch auf Mindestversorgung sowie auf vorübergehende Erhöhung des Ruhegehalts gehabt hätten, sei überschaubar.

61

4. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) - Bezirk Bundespolizei - halten Art. 17 Abs. 1 DNeuG für verfassungswidrig; zur Begründung nehmen sie auf den Vorlagebeschluss Bezug.

B.

62

Art. 17 Abs. 1 DNeuG ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Norm verstößt nicht gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Vertrauensschutz aus Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 33 Abs. 5 GG (I.). Sie steht auch im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (II.).

I.

63

Art. 17 Abs. 1 DNeuG, der das Inkrafttreten von Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG mit Wirkung vom 24. Juni 2005 anordnet und dadurch in die geänderte Fassung des § 14a Abs. 1 BeamtVG auch Beamte einbezieht, die vor der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes in den Ruhestand getreten sind, begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Vorschrift enthält keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung und verletzt nicht das durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützte Vertrauen versorgungsberechtigter Beamter darauf, im Alter amtsangemessen versorgt zu sein.

64

1. Mit dem vorlegenden Gericht kann davon ausgegangen werden, dass Art. 17 Abs. 1 DNeuG sowohl echte Rückwirkung als auch unechte Rückwirkung zukommt.

65

a) Eine Rechtsnorm entfaltet "echte" Rückwirkung ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"), wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll (vgl. BVerfGE 109, 133 <181>; 114, 258 <300>; 127, 1 <16 f.>). Bei Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG ist dies - die Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. durch das Bundesverwaltungsgericht als maßgeblich unterstellt - im Hinblick auf Beamte der Fall, die nach dem 24. Juni 2005 und vor der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes am 11. Februar 2009 in den Ruhestand getreten sind und die Voraussetzungen der vorübergehenden Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG erfüllt haben. Insoweit kann Art. 17 Abs. 1 DNeuG zur nachträglichen Kürzung bestehender Versorgungsansprüche führen, wie das Beispiel des am 1. März 2008 in den Ruhestand getretenen Klägers des Ausgangsverfahrens zeigt. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand hatte der Kläger bei einem nach § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG vorübergehend erhöhten Ruhegehaltssatz von 59,58 v.H. einen Versorgungsanspruch in Höhe von 1.761,68 € zu erwarten. Nach der rückwirkenden Gesetzesänderung errechnet sich für den Kläger ein vorübergehend erhöhter Ruhegehaltssatz von 57,22 v.H. und damit ein Versorgungsanspruch in Höhe von (lediglich) 1.691,89 €. Im Zeitraum zwischen Eintritt in den Ruhestand und Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes wurde der bestehende Versorgungsanspruch des Klägers damit, gemessen an der vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Rechtslage, nachträglich um insgesamt 837,48 € (12 Monate x 69,79 €) gekürzt.

66

b) Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"), liegt eine "unechte" Rückwirkung vor (vgl. BVerfGE 72, 200 <242>; 97, 67 <79>; 127, 1 <17>). Art. 17 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Nr. 11 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa DNeuG entfaltet - wiederum auf der Grundlage der Auffassung des Bundesverwal-tungsgerichts - unechte Rückwirkung, soweit danach bestehende Versorgungsansprüche von Beamten, die vor der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes in den Ruhestand getreten sind und die Voraussetzungen der vorübergehenden Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG erfüllen, für die Zeit nach der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes gekürzt werden. Beim Kläger des Ausgangsverfahrens, der die Regelaltersgrenze am 28. Februar 2013 und damit 48 Monate nach Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes erreicht, verringert sich der Versorgungsanspruch damit um insgesamt 3.349,92 € (48 Monate x 69,79 €).

67

c) An der (echten und unechten) Rückwirkung von Art. 17 Abs. 1 DNeuG fehlt es nicht deshalb, weil die rückwirkende Änderung von § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F., wie es in der Gesetzesbegründung heißt, aus Sicht der Verwaltung lediglich klarstellender Natur sei (vgl. BTDrucks 16/7076, S. 186). Zwar liegt grundsätzlich keine Rückwirkung vor, wenn die Neuregelung deklaratorischer Art ist, also nur bestätigt, was von vornherein aus der verkündeten ursprünglichen Norm folgte (vgl. BVerfGE 18, 429 <436>; 50, 177 <193>; 126, 369 <393>). Dies ist hier aber nicht der Fall.

68

Die verbindliche Auslegung von Rechtssätzen ist Aufgabe der Gerichte. Eine vom Gesetzgeber etwa beanspruchte Befugnis zu "authentischer" Interpretation der rückwirkend geänderten Norm ist daher nicht anzuerkennen (vgl. BVerfGE 65, 196 <215>; 111, 54 <107>; 126, 369 <392>). Deren Regelungsgehalt ist vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln. Dabei genügt für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung konstitutiven Charakter hat, die Feststellung, dass die geänderte Norm von den Gerichten nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, die mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll. So liegt es hier.

69

Das Tatbestandsmerkmal "nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz" in § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. konnte unterschiedlich ausgelegt werden. Während die Verwaltung sowie die Instanzrechtsprechung und ein Teil der Literatur zunächst davon ausgingen, dass damit nur der auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnete ("erdiente") Ruhegehaltssatz gemeint sei, gelangte das Bundesverwaltungsgericht zu der Überzeugung, dass es sich auch bei dem Mindestruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG um einen "berechneten" Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. handelte. Da nichts dafür spricht, dass eine der beiden Auslegungsalternativen - etwa wegen Überschreitung der Grenzen richterlicher Rechtsfindung (vgl. BVerfGE 96, 375 <394 f.>; 113, 88 <103 f.>; 122, 248 <257 f.>) - auszuscheiden gewesen wäre, hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung eine Streitfrage abweichend von höchstrichterlicher Rechtsprechung in einem bestimmten Sinne und damit konstitutiv entschieden.

70

2. Art. 17 Abs. 1 DNeuG ist im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Grenzen rückwirkender Gesetzgebung nicht zu beanstanden.

71

a) aa) Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte "ins Werk gesetzt" worden sind (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 63, 343 <356 f.>; 72, 200 <242>; 97, 67 <78 f.>). Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihn betreffende Umstände ohne weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten (vgl. BVerfGE 63, 343 <357>; 72, 200 <257 f.>; 97, 67 <78>; 109, 133 <180>; 114, 258 <300 f.>; 127, 1 <16>).

72

bb) Die "echte" Rückwirkung ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen") ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Erst mit der Verkündung, das heißt, mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss (vgl. BVerfGE 97, 67 <78 f.> m.w.N.), muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird (vgl. BVerfGE 63, 343 <353 f.>; 67, 1 <15>; 72, 200 <241 f.>; 97, 67 <78 f.>; 114, 258 <300>). Ausnahmsweise können aber zwingende Belange des Gemeinwohls oder ein nicht - oder nicht mehr - vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen des Einzelnen eine Durchbrechung des Verbots einer "echten" Rückwirkung gestatten (vgl. BVerfGE 72, 200 <258>; 97, 67 <79 f.>; 101, 239 <263 f.>).

73

cc) Dagegen ist die "unechte" Rückwirkung ("tatbestandliche Rückanknüpfung") nicht grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung vollständigen Schutzes zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen (vgl. BVerfGE 63, 343 <357>; 105, 17 <40>; 114, 258 <301>). Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren (vgl. BVerfGE 63, 312 <331>; 67, 1 <15>; 71, 255 <272>; 76, 256 <349 f.>). Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl. BVerfGE 38, 61 <83>; 68, 193 <222>; 105, 17 <40>; 109, 133 <180 f.>; 125, 104 <135>).

74

Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Dabei sind die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage abzuwägen (vgl. BVerfGE 30, 392 <404>; 50, 386 <395>; 67, 1 <15>; 75, 246 <280>; 105, 17 <37>; 114, 258 <300>) und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren (vgl. BVerfGE 72, 200 <242 f.>; 95, 64 <86>; 101, 239 <263>; 116, 96 <132>; 122, 374 <394>; 123, 186 <257>). Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 127, 1 <18>).

75

dd) Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes hat in Art. 33 Abs. 5 GG eine besondere Ausprägung erfahren. Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sollen dem Beamten Rechtssicherheit hinsichtlich der durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützten Güter gewährleisten und insbesondere verhindern, dass versorgungsberechtigte Beamte in ihrem schutzwürdigen Vertrauen darauf, im Alter amtsangemessen versorgt zu sein, enttäuscht werden (vgl. BVerfGE 76, 256 <347> m.w.N.). Die für die Beurteilung rückwirkender Rechtsänderungen zulasten der Beamten und Versorgungsempfänger nach Art. 33 Abs. 5 GG heranzuziehenden Maßstäbe unterscheiden sich jedenfalls in der vorliegenden Konstellation nicht grundsätzlich von den Maßstäben, die auch sonst für rückwirkende belastende Gesetze gelten.

76

b) Der rückwirkenden Inkraftsetzung des § 14a Abs. 1 BeamtVG steht kein schutzwürdiges Vertrauen der betroffenen Beamten entgegen. Daher bedarf es auch keiner nach "echter" und "unechter" Rückwirkung differenzierenden Würdigung.

77

aa) Das durch das Rechtsstaatsprinzip und Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Vertrauen auf die geltende Rechtslage ist nur schutzwürdig, wenn die gesetzliche Regelung generell geeignet ist, ein Vertrauen auf ihr Fortbestehen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen - insbesondere Vermögensdispositionen - herbeizuführen, die sich bei Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen (vgl. BVerfGE 13, 39 <45 f.>; 30, 367 <389>). Ist das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer bestimmten Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig, ist ein rückwirkender belastender Eingriff ausnahmsweise zulässig. Das ist etwa dann der Fall, wenn das rückwirkend geänderte Recht unklar und verworren war (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 50, 177 <193 f.>; 126, 369 <393 f.>) oder wenn ein Zustand allgemeiner und erheblicher Rechtsunsicherheit eingetreten war und für eine Vielzahl Betroffener Unklarheit darüber herrschte, was rechtens sei (vgl. BVerfGE 72, 302 <325 f.>).

78

bb) Ein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen, dass es sich bei dem Mindestruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG um einen "berechneten" Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. handele, konnte sich unter den gegebenen Umständen nicht entwickeln.

79

(1) Der Regelungsgehalt des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. war in dieser Hinsicht nicht eindeutig. Die Vorschrift wurde von der für die Beamtenversorgung zuständigen Verwaltung sowie von der Instanzrechtsprechung und einem Teil der Literatur zunächst dahingehend ausgelegt, dass der "nach sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz" nur ein auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechneter ("erdienter") Ruhegehaltssatz sei, insbesondere der nach § 14 Abs. 1 BeamtVG berechnete Ruhegehaltssatz. Vom Anwendungsbereich des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. ausdrücklich ausgenommen wurden die Mindestruhegehaltssätze gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 BeamtVG, weil beide - ohne Bezug zur tatsächlich ruhegehaltfähigen Dienstzeit - abstrakt gesetzlich vorgegeben und deshalb nicht "berechnet" seien.

80

(2) Zwar kam das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 23. Juni 2005 unter Hinweis auf Wortlaut, Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. zu dem Ergebnis, dass auch der Mindestruhegehaltssatz nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG ein Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. sei. Schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand dieses Normverständnisses konnte allein aus dieser Entscheidung indes nicht erwachsen.

81

(a) Entscheidungen oberster Gerichte, die vornehmlich zur grundsätzlichen Auslegung und Weiterentwicklung des Rechts berufen sind, wirken zwar über den entschiedenen Einzelfall hinaus als - freilich nur richtungweisendes - Präjudiz für künftige Fälle. Die höchstrichterliche Rechtsprechung erzeugt aber keine dem Gesetzesrecht gleichkommende Rechtsbindung (vgl. BVerfGE 84, 212 <227>; 122, 248 <277>). Weder sind die unteren Gerichte an die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden, noch sind es die obersten Gerichte selbst. Kein Prozessbeteiligter kann daher darauf vertrauen, der Richter werde stets an einer bestimmten Rechtsauffassung aus der bisherigen Judikatur festhalten (vgl. BVerfGE 78, 123 <126>; 87, 273 <278>). Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen kann daher in der Regel nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere bei einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung entstehen (vgl. BVerfGE 72, 302 <326>; 122, 248 <278>; 126, 369 <395>).

82

(b) Bis zur Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes war nicht sicher davon auszugehen, dass das Bundesverwaltungsgericht an seiner Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. festhalten würde. Eine in dieser Richtung gefestigte Rechtsprechung bestand nicht. Vielmehr wich das Urteil vom 23. Juni 2005 von der bis dahin bestehenden Verwaltungspraxis sowie von der in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend vertretenen Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. ab. Zwar schlossen sich in der Folgezeit einige Instanzgerichte dem Bundesverwaltungsgericht an; zumindest ein Oberverwaltungsgericht folgte dessen Rechtsprechung jedoch nicht (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Januar 2008 - 21 A 2098/06 -, juris, Rn. 30 ff.), auch stieß das Urteil auf erhebliche Kritik im Schrifttum (vgl. Bauer/Zahn, a.a.O., § 14a BeamtVG Rn. 2 mit Fn. 2 ; Grunefeld, a.a.O., S. 122 <127>).

83

Im Rahmen dieser Kritik wurde darauf hingewiesen, dass die vorübergehende Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG zu Ergebnissen führen kann, die über den Regelungszweck des § 14a BeamtVG hinausgehen. § 14a BeamtVG soll versorgungsrechtlichen Nachteilen entgegenwirken, die sich wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen von Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung für den Zeitraum ergeben können, in dem ein Besoldungsanspruch nicht mehr besteht, die für Invalidität und Alter vorgesehenen Leistungen aber noch nicht in vollem Umfang ausgeschöpft werden können (vgl. BTDrucks 10/4225, S. 21; BVerwGE 111, 93 <96 f.>; Strötz, a.a.O., § 14a BeamtVG Rn. 1 ). Diesem Ziel wird die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. zwar gerecht. Sie vermeidet insbesondere, dass § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in den Fällen leerläuft, in denen die Versorgungsbezüge trotz des vorübergehenden Ausschlusses des Beamten von einer gesetzlichen Rente auch bei Einbeziehung der Pflichtbeitragszeiten nach Maßgabe von § 14a Abs. 2 BeamtVG die Mindestversorgung nicht überschreiten.

84

Sie greift jedoch über das Ziel des Gesetzgebers hinaus, soweit ein Beamter durch die vorübergehende Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine höhere Gesamtversorgung erhält, als er aufgrund von § 14 Abs. 5 BeamtVG bei Erreichen der Regelaltersgrenze erhalten wird. Im Zeitraum zwischen dem vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand bis zum Beginn des Rentenbezugs ist der Beamte dadurch quasi "überversorgt" (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 38; Grunefeld, a.a.O., S. 122 <127>). Mit diesem Aspekt setzt sich die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 nicht auseinander.

85

Kritik hat diese Entscheidung auch deshalb erfahren, weil die vorübergehende Erhöhung des Mindestruhegehaltssatzes nach § 14 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG zu einer Besserstellung von Beamten, die zunächst in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig waren, gegenüber Beamten, die ausschließlich in einem Beamtenverhältnis standen, führen kann, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund ersichtlich ist. In Fällen, in denen letzteren lediglich Ansprüche auf die Mindestversorgung gemäß § 14 Abs. 4 BeamtVG zustehen, könnte bei ersteren, die Pflichtbeitragszeiten für die gesetzliche Rentenversicherung vorweisen können, trotz gleicher Arbeits- und Dienstzeit der Mindestruhegehaltssatz vorübergehend erhöht werden. Den versorgungsrechtlichen Nachteilen gemischter Erwerbskarrieren wird insoweit mehr als nur entgegengewirkt, weil die Betroffenen vorübergehend eine höhere Gesamtversorgung erhalten, als ihnen zustünde, wenn die relevanten Pflichtbeitragszeiten ruhegehaltfähige Dienstzeiten wären (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 31 ff.; Bauer/Zahn, a.a.O., Rn. 2 mit Fn. 2 ). Das Bundesverwaltungsgericht war davon ausgegangen, dass dies wegen der erheblich abweichenden Staffelung der Sätze nach § 14 Abs. 1 BeamtVG und nach § 14a Abs. 2 BeamtVG nur in besonderen Ausnahmefällen vorkommen werde und zudem einer Korrektur in Anwendung des Rechtsgedankens aus § 14 Abs. 5 BeamtVG zugänglich sein könnte (vgl. BVerwGE 124, 19 <25>).

86

(c) Die für die Beamtenversorgung zuständigen Behörden haben zudem ganz überwiegend keinen Zweifel daran gelassen, dass dem Urteil vom 23. Juni 2005 über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht gefolgt werden solle und eine gesetzliche Klarstellung erforderlich sei. Demgemäß wurden in der Folgezeit Anträge auf vorübergehende Erhöhung des Ruhegehalts auf der Basis des Mindestruhegehaltssatzes gemäß § 14 Abs. 4 BeamtVG abgelehnt, darunter auch Anträge von Bundesbeamten, die - wie der Kläger des Ausgangsverfahrens - beim Bundesgrenzschutz tätig waren (vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 6. März 2007 - 5 A 191/06 -, juris, Rn. 4; VG Berlin, Urteil vom 5. Juni 2008 - 5 A 60.07 -, juris, Rn. 8). Jedenfalls durch die entsprechenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren war die Haltung der Verwaltung auch allgemein bekannt. Hinzu kamen Gesetzesinitiativen auf Bundes- wie auf Landesebene, mit denen die unveränderte Verwaltungspraxis gesetzlich abgesichert werden sollte (vgl. BTDrucks 16/7076, S. 186; ferner etwa für Brandenburg LTDrucks 4/5154, S. 7; für Thüringen LTDrucks 4/2616, S. 11) und die in den Ländern teilweise bereits im Jahr 2007 zu entsprechenden Bestimmungen führten (vgl. etwa § 3 Abs. 1 des brandenburgischen Beamtenversorgungsergänzungsgesetzes, gemäß Art. 6 des Gesetzes vom 21. November 2007 in Kraft getreten am 27. November 2007; § 4 Abs. 1 des Thüringer Gesetzes über ergänzende Bestimmungen zur Beamtenversorgung, gemäß Art. 4 des Gesetzes vom 31. Januar 2007 in Kraft getreten am 1. März 2007).

87

(d) Unter diesen Umständen lag es - trotz der Gefolgschaft der Mehrzahl der Instanzgerichte - nicht fern, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsauffassung korrigieren werde. Dementsprechend fehlte es an einer hinreichend sicheren Grundlage für ein Vertrauen in den Fortbestand der auf dieser Entscheidung beruhenden Rechtslage. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht letztlich an seiner Auslegung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. festgehalten und diese gegen Kritik verteidigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 2009 - 2 C 29/08 -, juris, Rn. 9 ff.). Diese Entscheidung erging jedoch nach der Verkündung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes und konnte deshalb nicht mehr vertrauensbildend wirken (vgl. BVerfGE 72, 200 <254>; 97, 67 <78 f.>; 114, 258 <300>).

88

cc) Art. 17 Abs. 1 DNeuG stößt auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung des Vertrauensschutzes im Bereich der Beamtenversorgung (oben B. I. 2. a dd) nicht auf rechtsstaatliche Bedenken. § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F wurde rückwirkend in einem Sinne geändert, der der Verwaltungspraxis sowie der zunächst überwiegenden Auslegung dieser Norm in Rechtsprechung und Schrifttum entsprach. Die von der Rückwirkung Betroffenen hatten sich während des ganz überwiegenden Teils ihrer Dienstzeit darauf einzustellen, dass nur ihr "erdienter" Ruhegehaltssatz vorübergehend erhöht werden kann. Vor diesem Hintergrund konnten sie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2005 nicht ohne weiteres zum Anlass für erhebliche Dispositionen im Vertrauen auf dessen Bestand nehmen, zumal die vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes auf die Zeit zwischen dem vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand und dem Beginn des Rentenbezugs beschränkt ist und spätestens mit Erreichen der Regelaltersgrenze wegfällt (vgl. § 14a Abs. 3 BeamtVG), es also um zeitlich begrenzte Dispositionsmöglichkeiten ging. Auch liegt die mit der Rechtsänderung verbundene Rückführung der Versorgungsbezüge - beim Kläger des Ausgangsverfahrens monatlich 69,79 €, entsprechend 3,96 v.H. der Bruttoversorgung - in einem von den Betroffenen beherrschbaren Rahmen und lässt eine Unterschreitung des von Art. 33 Abs. 5 GG geschützten Kernbestandes der Alimentation nicht besorgen. Daher war der Gesetzgeber auch nicht verpflichtet, die Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. nach Maßgabe angemessener Übergangsregelungen in Kraft zu setzen.

II.

89

Art. 17 Abs. 1 DNeuG verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Nicht durchgreifend sind die vom Bundesverwaltungsgericht im Hinblick darauf erhobenen Bedenken, dass die rückwirkende Änderung von § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. nicht eingreift, wenn Versorgungsbezüge bereits gemäß § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. in Verbindung mit § 14 Abs. 4 BeamtVG festgesetzt worden sind.

90

Bei der rückwirkenden Kürzung gesetzlicher Ansprüche steht der Gesetzgeber generell vor der Frage, wie er mit bereits rechtskräftig festgestellten oder bestandskräftig gewordenen Ansprüchen umgeht. Insoweit stehen sich zwei in gleicher Weise mit Verfassungsrang ausgestattete Prinzipien gegenüber: Das Prinzip der (Einzelfall-)Gerechtigkeit, das es gebietet, auch rechtskräftig festgestellte oder bestandskräftig gewordene Ansprüche von der Begünstigung auszuschließen, und das Prinzip der Rechtssicherheit, aus dem die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen und sonstiger in Bestandskraft erwachsender Akte der öffentlichen Gewalt folgt. Es ist Sache des Gesetzgebers, welchem der beiden Prinzipien im konkreten Fall der Vorzug gegeben werden soll (vgl. BVerfGE 15, 313 <319>; 19, 150 <166>; 29, 413 <432>; 48, 1 <22>; 72, 302 <327 f.>).

91

Danach ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber für die Gruppe der Versorgungsempfänger, deren Versorgungsbezüge bereits rechtskräftig festgesetzt und ausbezahlt worden sind, der Rechtssicherheit den Vorrang gegenüber der (Einzelfall-)Gerechtigkeit eingeräumt hat. Dies gilt umso mehr, als diese Gruppe ohnehin vor der Erstattung der aufgrund der rückwirkenden Änderung des § 14a Abs. 1 BeamtVG a.F. zuviel gezahlten Beträge geschützt wäre (vgl. § 52 Abs. 1 BeamtVG).

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenansatzes vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung der Klägerin zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser).

2

Der Zweckverband, dem der Beklagte vorsteht, betreibt im Ostseebad Heringsdorf die zentrale Abwasserbeseitigung durch die in seiner Beitragssatzung als öffentliche Einrichtung II bezeichnete Anlage.

3

Die Klägerin ist als Wohnungseigentümerin (Mit-)Eigentümerin des Grundstücks Flurstück ../.. und ../.., Flur .., Gemarkung H…, welches an die Einrichtung II des Zweckverbandes angeschlossen ist.

4

Bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 zog der Beklagte die Klägerin zu Anschlussbeiträgen Schmutzwasser für das Grundstück Flurstück /.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 4.089,18 DM und für das Grundstück Flurstück ../.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 1.470,25 DM heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 1996). Die Bescheide wurden bestandskräftig.

5

Mit Bescheiden vom 15. Oktober 2009 zog der Beklagte die Klägerin unter Anrechnung der bereits geleisteten Beiträge zu Anschlussbeiträgen für das Wohnungs- und Teileigentum in Höhe von insgesamt 30.974,76 Euro heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 2005).

6

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 11. November 2009 Widerspruch ein.

7

Mit Änderungs- und Widerspruchsbescheid vom 1. März 2010 stellte der Beklagte unter Ziffer 1 klar, dass ein Beitrag von insgesamt 30.974,76 Euro zu zahlen sei. Unter Ziffer 2 des Bescheides werden die in der Anlage l aufgeführten Bescheide wegen offenbarer Unrichtigkeit auf Seite 2, Zeile 3 dahingehend berichtigt, dass nur die Bescheide vom 25. Februar 1999 (und nicht auch vom 11. Februar 1999) geändert werden sollen. Im Übrigen werden die Widersprüche zurückgewiesen.

8

Die Klägerin hat am 30. März 2010 Klage erhoben.

9

Sie ist der Ansicht, ihre Heranziehung sei rechtswidrig.

10

Der Beklagte habe den Widerspruchsbescheid nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen begründet, da er nur einen Widerspruchsbescheid erlassen habe und hinsichtlich der gesamten 135 Kanalbauanschlussbeitragsbescheide auf eine dem Widerspruchsbescheid als Anlage l beigefügte Liste verwiesen habe.

11

Die Bescheide seien (auch) materiell rechtswidrig. Sie verstießen gegen den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung. Der Beklagte habe die Klägerin bereits mit Beitragsbescheiden vom 25. Februar 1999 zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser) herangezogen, und diese Bescheide seien bestandskräftig geworden. Der Beitrag sei voll ausgeschöpft worden.

12

Der nochmaligen Veranlagung stehe darüber hinaus der Grundsatz der Verwirkung entgegen. Im Übrigen habe der Gesetzgeber erst mit der Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht mit der ersten wirksamen Satzung entstehe (Änderung des § 9 Abs. 3 KAG M-V), sodass nach der alten Rechtslage die Beitragspflicht bereits entstanden und damit verjährt sei. Diese gesetzliche Änderung habe echte Rückwirkung entfaltet. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – werde Bezug genommen. Nach Ablauf von mehr als zehn Jahren habe die Klägerin auch nicht mehr mit dem Erlass eines weiteren Beitragsbescheides rechnen müssen.

13

Weiterhin sei die dem Beitragssatz zugrunde liegende Kalkulation fehlerhaft. Die Gemeinde Seebad Heringsdorf habe im Jahr 2011 einen Bebauungsplan Nr. 23 „Ortszentrum an der Delbrückstraße 1 in Heringsdorf“ aufgestellt, nach welchem anstelle eines bisherigen Parkplatzes und eines dreigeschossigen Einkaufszentrums ein maximal 25,9 m hoher Hotelkomplex zwischen der S-straße und der D-straße entstehen solle. Diese Planungen seien bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt worden. Auch im Bereich Neu-Sallenthin, Alt-Sallenthin weise die Flächenberechnung lediglich eine eingeschossige Nutzungsfläche auf. Dies sei fehlerhaft. In der Gemeinde gebe es eine Reihe zweigeschossiger Gebäude, wie beispielsweise in der Straße „An den Krebsseen" Nummer 1, 8, 16, 39 und 42. Das in Neu-Sallenthin vorhandene Hotel „B" sei darüber hinaus dreigeschossig. Die Fortschreibung der Beitragskalkulation enthalte eine Ermittlung der Erstattung von Abwasserabgaben. Hierbei handele es sich nicht um eine Fortschreibung, da die Angaben aus den Jahren 2006 bis 2008 stammten.

14

Die Klägerin hat beantragt,

15

die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten – Bescheidnummern … bis … – vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er hat im Wesentlichen vorgetragen, der Nachveranlagung könne weder der Grundsatz der einmaligen Beitragserhebung noch Verwirkung entgegengehalten werden. Dies habe auch das OVG Greifswald zwischenzeitlich bestätigt. Erst mit Erlass der angefochtenen Bescheide, gestützt auf die Beitragssatzung vom 16. März 2005, habe der Beklagte seinen Beitragsanspruch voll ausgeschöpft, da die Vorgängersatzungen allesamt unwirksam gewesen seien.

19

Gegen die Kalkulation beständen keine Bedenken. Die aktuelle Fortschreibung der Kalkulation sei bis 2015 erfolgt. Da der Bebauungsplan Nr. 23 der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bislang nicht wirksam sei, sei das Grundstück auch nur mit der tatsächlichen Bebauung mit drei Vollgeschossen bei der Flächenermittlung berücksichtigt worden.

20

Durch Urteil vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – hat das Verwaltungsgericht Greifswald die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

21

Die zulässige Klage habe keinen Erfolg. Die Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

22

Die Bescheide seien formell rechtmäßig; sie genügten dem Begründungserfordernis. Im Änderungs- und Widerspruchsbescheid werde ausführlich erläutert, wie sich die einzelnen für die Miteigentumsanteile festgesetzten Beiträge errechneten. Der errechnete Betrag sei für jeden Miteigentumsanteil anhand der Bescheidnummern genau bestimmbar.

23

Die Bescheide seien materiell rechtmäßig. Die der Beitragssatzung zugrundeliegenden Normen des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern – KAG M-V –, insbesondere § 9 Abs. 3 KAG M-V, verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, da die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern in entscheidungserheblichen Punkten nicht mit der des Bayrischen Kommunalabgabengesetzes – BayKAG – vergleichbar sei. Eine „Verflüchtigung“ des Vorteils wie im bayrischen Landesrecht sei im Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich.

24

Die Beitragsbescheide fänden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 20. Mai 2011. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung beständen nicht.

25

Die dem Beitragssatz für die Einrichtung II zugrundeliegende, in der Verbandssitzung am 16. Mai 2011 beschlossene Globalkalkulation sei nicht zu beanstanden. Der Einwand der Klägerseite, es sei rechtsfehlerhaft, dass der Beklagte die mit dem Bebauungsplan Nr. 23 erfolgten Planungen der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt habe, verfange nicht. Zwar sei es zutreffend, dass bei der Beschlussfassung über die Kalkulation in der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 der Bebauungsplan Nr. 23 bereits beschlossen und bekannt gemacht worden war. Allerdings sei der Beklagte nicht verpflichtet, (zukünftige) Baulandflächen zu berücksichtigen, die auf einem unwirksamen Bebauungsplan beruhten. Dies sei vorliegend der Fall. Das OVG Greifswald habe in seiner rechtskräftigen Entscheidung vom 21. November 2012 - Az. 3 K 22/11 - den Bebauungsplan Nr. 23 für unwirksam erklärt. Der Einwand der Klägerin, die Einstufung der in der Ortschaft Neu-Sallenthin gelegenen Grundstücke als insgesamt eingeschossig bebaut, sei teilweise unrichtig, führe nicht zur Fehlerhaftigkeit der Kalkulation. Zwar habe der Beklagte eingeräumt, dass die in der Straße „An den K“ Nr. 1, 8, 16 und 42 gelegenen Grundstücke zweigeschossig bebaut seien und auch das Hotel „B“ über zwei Vollgeschosse verfüge. Dieser Fehler wirke sich jedoch wegen seiner Geringfügigkeit bei einer ermittelten Gesamtfläche von 2.290.027 m² weder auf den kalkulatorisch höchstzulässigen ermittelten Beitragssatz für die Einrichtung II von 8,29 Euro noch auf den festgesetzten Beitragssatz von 4,83 Euro wesentlich aus. Die Auswirkungen auf den Deckungsgrad seien gering und der beschlossene Beitrag von 4,83 Euro sei noch weit von dem höchstzulässigen Beitrag entfernt. Die der Verbandsversammlung unterbreitete Kalkulation sei damit nicht in einem für den Abgabensatz wesentlichen Punkt mangelhaft und auch nicht methodisch fehlerhaft, sodass die Verbandsversammlung trotz dieses Fehlers das ihr bei der Festsetzung des Abgabensatzes eingeräumte Ermessen fehlerfrei habe ausüben können. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführt habe, es könne aus der fehlerhaften Flächenermittlung im Bereich der Ortschaft Neu-Sallenthin geschlossen werden, dass auch für die übrigen Gebiete der Einrichtung II die Flächen fehlerhaft ermittelt worden seien, treffe das nicht zu. Zum einen gebe es einen solchen Erfahrungssatz nicht. Zum anderen habe der Beklagte unwidersprochen ausgeführt, dass die Ortschaft Neu-Sallenthin abwasserseitig noch nicht erschlossen sei. Da insoweit die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung fehlten, sei eine Schätzung auf repräsentativer Grundlage erfolgt. Demgegenüber seien 80 v. H. der im Einzugsbereich der Einrichtung II gelegenen Grundstücke tatsächlich angeschlossen, sodass insoweit auch die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung vorlägen und bei der Kalkulation berücksichtigt worden seien. Im Übrigen sei es Sache der Klägerin, etwaige Satzungs- oder Rechtsanwendungsfehler hinreichend bestimmt darzulegen. Das Gericht sei nicht gehalten, von sich aus auf Fehlersuche zu gehen. Denn dies liefe auf eine auch vom verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) nicht mehr gedeckte Fehlersuche „ins Blaue“ hinaus.

26

Nicht zu beanstanden sei die aufwandsmindernde Berücksichtigung der zurückerstatteten Beträge aus der Abwasserabgabe in der Kalkulation (als „Leistungen Dritter“). Dass der Beklagte die Verrechnung der Abwassergabe nicht fortgeschrieben habe, sei rechtsfehlerfrei. Denn eine Verrechnung der Abwasserabgabe sei in der Zukunft nicht zu erwarten, da alle in der Einrichtung II anfallenden Abwässer entweder durch Überleitung in die Kläranlage Swinemünde oder zum Zweckverband Wolgast gereinigt würden. Eine eigene Klärung des Abwassers durch den Zweckverband entfalle damit im Bereich der Einrichtung II. Daher sei auch keine Abwasserabgabe durch den Zweckverband zu entrichten; eine Verrechnungsmöglichkeit entfalle.

27

Rechtmäßig sei auch die Nachberechnung des Beitrags, obwohl bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 für dasselbe Grundstück ein Anschlussbeitrag erhoben worden sei. Der dem Bescheid vom 25. Februar 1999 zugrunde gelegte Beitragssatz beruhte auf einer unwirksamen Kalkulation, da die am 4. November 1996 beschlossene Beitragssatzung in § 5 ABS u. a. zwischen erstmalig und bereits an einen Mischkanal angeschlossen gewesene Grundstücke differenziert und dafür unterschiedliche Beitragssätze vorgesehen habe. Die Regelung eines sog. gespaltenen Beitragssatzes sei gleichheitswidrig und habe zur Unwirksamkeit des Beitragssatzes geführt. Der Beklagte sei daher gehalten gewesen, eine dem nunmehr festgesetzten Beitragssatz für die Einrichtung II von 4,83 Euro entsprechende Nachforderung zu erheben. Auf die Frage, wer den Veranlagungsfehler 1999 verschuldet habe, komme es für die Rechtmäßigkeit der Nacherhebung nicht an.

28

Der Nachveranlagung des Beitrages stehe auch der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. Dieser sei dann nicht verletzt, wenn der bereits gezahlte Betrag – wie hier – auf die Beitragsschuld angerechnet werde. Gleiches gelte für die Bestandskraft des früheren Beitragsbescheides und die Regelungen der §§ 170 ff. AbgabenordnungAO –.

29

Der Beitragsanspruch sei nicht durch Festsetzungsverjährung erloschen. Gemäß § 12 Abs. 2 KAG M-V betrage die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und Steuern vier Jahre. Nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V beginne die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden sei. Obwohl das Grundstück bereits seit längerem an die Anlage angeschlossen worden sei, sei die sachliche Beitragspflicht erst im Kalenderjahr 2011 entstanden, sodass die vierjährige Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2011 anlaufe und frühestens am 31. Dezember 2015 ablaufe.

30

Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V entstehe die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden könne, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Gemeint gewesen sei auch nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. eine wirksame (gültige) Satzung, denn auf Grundlage einer unwirksamen Satzung könnten Beitragspflichten von vornherein nicht entstehen. Der Einwand der Klägerin, der Gesetzgeber habe erst mit Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht erst mit der ersten wirksamen Satzung entstehe, verfange damit nicht.

31

Gleiches gilt für ihren Einwand, der Lauf der Festsetzungsfrist sei bereits durch den tatsächlichen Anschluss ausgelöst worden, da § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. im Lichte der eingangs erwähnten Rechtsprechung des BVerfG im strengen Wortsinne auszulegen sei, denn die Erwägungen des BVerfG seien auf die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern nicht übertragbar.

32

In dem Anknüpfen der Verjährungsfrist an den Erlass der ersten wirksamen Beitragssatzung liege schließlich auch keine im Regelfall nach Art. 20 Abs. 3 GG unzulässige (echte) Rückwirkung, sondern lediglich eine sogenannte tatbestandliche Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung), die allgemein zulässig sei. Der Gesetzgeber regele keinen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt mit Wirkung für die Vergangenheit neu, sondern nehme einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt zum Anlass, daran Rechtsfolgen für die Zukunft – die Beitragspflicht – zu knüpfen.

33

Das Gericht gehe davon aus, dass die ABS vom 18. März 2005 in Gestalt der 7. Änderungssatzung vom 20. März 2011 die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes sei und die sachliche Beitragspflicht daher frühestens auf Grundlage dieser Satzung habe entstehen können. Frühere Beitragssatzungen des Zweckverbandes aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 seien unwirksam gewesen.

34

Die am 4. November 1996 beschlossene erste Beitragssatzung habe unterschiedliche Beitragssätze für sogenannte altangeschlossene und neuangeschlossene Grundstücke aufgewiesen und daher gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Der Beitragssatzung vom 22. November 2001 habe es an einer widerspruchsfreien Abgrenzung zwischen öffentlicher Einrichtung und Grundstücksanschlüssen gefehlt, was auch durch die Abwasseranschluss- und Beseitigungssatzung – AAS – vom 9. Oktober 2002 nicht geändert worden sei. Der ABS vom 16. April 2004 habe es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen gefehlt. Die ABS vom 18. März 2005 habe nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt aufgewiesen, da die Maßstabsregel unvollständig gewesen sei.

35

Die Klägerin hat am 11. Oktober 2013 die Zulassung der Berufung beantragt. Durch Beschluss vom 17. September 2015 hat der Senat die Berufung zugelassen.

36

Zur Begründung ihrer Berufung verweist die Klägerin ergänzend auf die Beschlüsse des BVerfG vom 12. November 2015 und auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 15. April 2015. Danach sei eine Beitragserhebung in Mecklenburg-Vorpommern nur bis zum 31. Dezember 2008 zulässig gewesen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a. F.). Die Beiträge seien somit verjährt. Zudem sei auch die Beitragskalkulation fehlerhaft.

37

Auch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016, mit dem die Verjährungsregelung des § 12 Abs. 2 KAG M-V geändert worden sei, habe die Beitragserhebung nicht nachträglich rechtlich zulässig gemacht. Das BVerfG habe im Beschluss vom 5. März 2013 (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.) dem Bayerischen Landesgesetzgeber eine Frist bis zum 31. März 2014 eingeräumt, eine gesetzlich zulässige Regelung zur Bestimmung der Verjährungsfrist zu schaffen. Wegen der Bindungswirkung des § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG – gelte diese Frist auch für den Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern, der diese Frist habe verstreichen lassen, sodass die gesetzliche Änderung von 14. Juli 2016 die Beitragserhebung nicht mehr habe heilen können.

38

Die Klägerin beantragt,

39

die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 abzuändern und die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 – … - … – in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

40

Der Beklagte beantragt,

41

Die Berufung zurückzuweisen.

42

Er tritt der Berufung entgegen.

43

Am 14. Juli 2016 hat der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes erlassen und dort unter anderem eine neue Verjährungsregelung eingefügt. Das Gesetz ist im GVOBl. M-V 2016 S. 584, Heft Nr. 15 vom 29. Juli 2016, veröffentlicht und nach Art. 2 des Gesetzes am Tag nach seiner Verkündung in Kraft getreten.

44

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

45

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die angefochtenen Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

46

Die Beitragsbescheide finden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 16. Mai 2011, ausgefertigt am 20. März 2011. Dies ist die erste rechtswirksame Abwasserbeseitigungssatzung des Beklagten (zu 1). Erst das Inkrafttreten dieser Satzung hat die sachliche Beitragspflicht ausgelöst; einer Rückwirkung dieser Satzung hat es nicht bedurft (zu 2). Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung hat der Senat – in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts – VG – nicht (zu 3). Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig (zu 4).

47

1. Die früheren Satzungen des Beklagten aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 waren unwirksam; so zutreffend das VG im angefochtenen Urteil. Dem ist die Klägerseite zum einen nicht substantiiert entgegengetreten. Zum anderen hat die Prüfung des Senats von Amts wegen nichts Abweichendes ergeben.

48

Die ABS vom 4. November 1996 hat in § 5 für jede der drei Einrichtungen (I bis III) drei Beitragstatbestände enthalten, nämlich einen Beitragssatz für den „erstmaligen Anschluss eines Grundstücks an die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung“, einen geminderten Beitragssatz für Grundstücke, die bereits den Überlauf der Grundstücksentwässerungsanlage an einen Mischkanal besaßen, und – zum Dritten – für Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG M-V voll an die gemeindliche Kläranlage angeschlossen gewesen waren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates, an der festgehalten wird, lag in dem dritten Beitragstatbestand eine unwirksame, weil gegen Art. 3 Grundgesetz – GG – verstoßende Altanschließerregelung. Den Altanschließern wird durch die nach der Wende geschaffene öffentliche Einrichtung des Aufgabenträgers derselbe Vorteil geboten wie denjenigen Anschlussnehmern, deren Grundstück erstmalig nach der Wende an eine öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen worden ist (vgl. OVG Greifswald in ständiger Rechtsprechung seit Beschl. vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 –, LKV 2000 S. 161).

49

Die Beitragssatzung vom 21. November 2001 hat diese fehlerhafte Ungleichbehandlung der Altanschließer in ihrem § 5 noch weiter vertieft, indem sie nicht nur einen reduzierten Beitragssatz für die Altanschließer vorgesehen hat, sondern diese vollständig von der Beitragspflicht hat freistellen wollen. Es gibt in der ABS 2001 nur noch den Beitragstatbestand für den „erstmaligen Anschluss“ eines Grundstücks an die öffentliche Entwässerungsbeseitigung.

50

Der Satzung vom 31. März 2004 fehlte es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen. Denn dieser Satzung hat keine wirksame Kalkulation des Beitragssatzes zugrunde gelegen. Die Beitragskalkulation vom November 2001 (vgl. VG Greifswald, Beschl. vom 24. August 2004 – 3 B 1625/04 –) hat ihre Gültigkeit verloren, weil sie auf einer anderen Organisationsentscheidung des Beklagten beruht. Ausweislich § 1 Abs. 4 der Abwasseranschluss- und -beseitigungssatzung des Zweckverbandes Wasserversorgung vom 9. Oktober 2002 – AAS 2002 – waren seinerzeit die Grundstücksanschlüsse noch Bestandteil der öffentlichen Einrichtung. Nach § 1 Abs. 2c ABS 2004 gehörten diese nicht mehr zur öffentlichen Einrichtung, sodass eine diese Organisationsentscheidung berücksichtigende Fortschreibung der Kalkulation im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die ABS 2004 der Zweckverbandsversammlung hätte vorliegen müssen. Zum einen stellt sich somit der Umfang der öffentlichen Einrichtung als widersprüchlich definiert dar. Zum anderen hätte auf der Kostenseite der Kalkulation berücksichtigt werden müssen, dass nach der ABS 2004 die Kosten für die Erstellung der Grundstücksanschlüsse keine Kosten der öffentlichen Einrichtung mehr sind (methodischer Fehler).

51

Die Beitragssatzung vom 31. März 2005 wies (ebenfalls) nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt auf, da die Maßstabsregeln unvollständig waren. In der Satzung 2005 fehlte eine Maßstabsregelung für Grundstücke, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen, der keine Regelung über die Anzahl der zulässigen Vollgeschosse trifft, aber eine maximale Höhe und eine Baumassenzahl festsetzt. Dies hat bereits das VG zutreffend herausgearbeitet.

52

2. Damit hat die sachliche Beitragspflicht erst im Jahre 2011 unter Geltung der 7. Änderungssatzung entstehen können. Denn seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne einewirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. insoweit die Rechtsprechungsnachweise bei Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 9 Anm. 7.2 mit weiteren Nachweisen). Insbesondere wird auf die älteste dort zitierte Entscheidung, nämlich den Beschl. des OVG Greifswald vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 –, verwiesen. Seit diesem Zeitpunkt ist das KAG (M-V) stets in dieser Weise durch das OVG Greifswald ausgelegt worden. Daran wird auch in dem vorliegenden Urteil festgehalten.

53

Weil nach der ständigen Rechtsprechung des OVG Greifswald eine wirksame Satzung der Anschlussmöglichkeit auch nachfolgen kann, hat es einer Rückwirkung der ABS nicht bedurft. Eine nachträglich erlassene wirksame Abgabensatzung heilt dann einen eventuell zuvor bei Erlass der Bescheide bestehenden rechtlichen Mangel. Erst mit Inkrafttreten der wirksamen ABS im Jahre 2011 ist die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist (§ 12 KAG M-V i. V. m. § 169 Abs. 2 AO) angelaufen; denknotwendigerweise ist sie im Jahre 2009 – bei Erlass der hier streitigen Abgabenbescheide – auch nicht abgelaufen gewesen. Auch wenn die Heranziehungsbescheide im Jahre 2009 – wegen des vorgenannten Satzungsmangels – noch rechtswidrig gewesen sind, sind sie im Jahre 2011 geheilt worden und unterliegen daher nicht mehr der verwaltungsgerichtlichen Aufhebung (Grundsatz der Aufrechterhaltung). Hierdurch werden Abgabepflichtige nicht in rechtswidriger Weise benachteiligt. Die Klägerseite hätte das Inkrafttreten der wirksamen Satzung zum Anlass nehmen können, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, um nicht die Kosten für einen zunächst aussichtsreichen, dann aber – wegen des Inkrafttretens einer wirksamen Satzung – erfolglos gewordenen Verwaltungsprozesses tragen zu müssen.

54

Die Klägerseite kann sich – im Hinblick auf das Erfordernis einer wirksamen Satzung – nicht mit Erfolg auf die abweichende Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg berufen. Nicht nur nach Auffassung des OVG Greifswald, sondern nach ganz herrschender, seit Jahrzehnten gefestigter Rechtsprechung fast aller Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe setzt das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht voraus, dass eine wirksame Abgabensatzung vorhanden ist. Denn eine unwirksame Abgabensatzung ist nichtig und daher im Ergebnis nicht existent. Eine gesetzliche Formulierung, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht setze eine „wirksame Satzung“ voraus, ist im Ergebnis ein „weißer Schimmel“. Der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern hat durch die KAG-Änderung 2005 lediglich das klargestellt, was nach der Rechtsprechung des OVG Greifswald seit Gründung dieses Gerichtes gegolten hatte.

55

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG, 2. Kammer, vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., deutlich (siehe unter 4c), wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das in dem dortigen Fall vorgehende OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das KAG BB ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg sei, so das BVerfG, die Sach- und Rechtslage in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte.

56

3. Zweifel an der Gültigkeit der ABS (Fassung 2011) sind – abgesehen von der Beitragskalkulation – nicht vorgetragen worden. Solche Zweifel sind auch sonst für den Senat nicht ersichtlich.

57

Die der ABS 2005 in der Fassung 2011 zugrunde liegende Beitragskalkulation ist nach Auffassung des Senates ausreichend, eine ordnungsgemäße ortsgesetzgeberische Ermessensentscheidung zu tragen.

58

Insbesondere hat der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 eine aktuelle Kalkulation vorgelegen, die beschlossen worden ist (Fortschreibung der Beitragskalkulation von März 2011). Für die hier in Rede stehende Einrichtung II ist ein Beitragssatz von 8,29 Euro/m² kalkuliert worden; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m². Als umlagefähig sind angesehen worden Kosten in Höhe von 18.975.383 Euro. Die beitragspflichtige Fläche ist mit 2.290.027 m² ermittelt worden.

59

Die Beitragskalkulation ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das VG ausgeführt, dass zwar „kleine Ungenauigkeiten“ vorgelegen haben mögen. Es sind aber insgesamt insbesondere keine schweren methodischen Fehler erkennbar geworden. Insbesondere ist kein methodischer Fehler unter dem Gesichtspunkt festzustellen, dass in erheblichem Umfang nicht beitragsfähiger Aufwand in die Ermittlung des Beitragssatzes eingestellt worden wäre. Insoweit kann auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden.

60

Vor dem Hintergrund, dass die ermittelte beitragspflichtige Fläche 2.290.027 m² beträgt, steht für den Senat fest, dass eine eventuell fehlerhafte Bewertung einzelner Grundstücke im Verbandsgebiet nur zu kleinen Ungenauigkeiten führen kann.

61

Im Hinblick auf den Bebauungsplan Nr. 23 ist der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu folgen. Ein Bebauungsplan eröffnet Planungsrecht. Es liegt nach Erlass eines Bebauungsplanes nicht mehr in der Hand der Gemeinde, ob die Planung auch umgesetzt wird. Etwas anderes mag nur dann gelten, wenn ein Baugebot festgesetzt worden ist. Daher liegt es im ortsgesetzgeberischen Ermessen, ob der räumliche Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der gerade erst in Kraft getreten ist, einbezogen wird oder nicht. Die Nichteinstellung des räumlichen Geltungsbereichs dieses Bebauungsplanes Nr. 23 kann auch auf der Einschätzung beruhen, dass sich der Bebauungsplan als von Anfang an unwirksam erwiesen hat.

62

Im Hinblick auf die Ortschaft Neu-Sallenthin, die im Zeitpunkt der Kalkulation noch nicht abwasserseitig angeschlossen gewesen ist, kommt bei der Erstellung einer Globalkalkulation nur eine überschlägige Schätzung der beitragspflichtigen Flächen in Betracht. Sinn einer Globalkalkulation ist es nicht, das gesamte Verbandsgebiet Quadratmeter genau zu ermitteln. Erst im Rahmen der Beitragsfestsetzung für einzelne Grundstücke wird es dann Aufgabe des Beklagten sein, das jeweilige Grundstück genau zu betrachten. Daher ist es für die Rechtmäßigkeit der Kalkulation bedeutungslos, ob das eine oder andere Grundstück in Neu-Sallenthin und auch zum Beispiel das Hotel Bergmühle mit einem, zwei oder drei Vollgeschossen bebaut ist. Insoweit liegt nicht einmal ein Fehler der Kalkulation vor.

63

Aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen hat die Frage der Abwasserabgabe im Hinblick auf die Beitragskalkulation auch für den Senat keine Relevanz.

64

Zudem ist festzustellen, dass der Beklagte nur eine teilweise Deckung seiner Aufwendungen durch Beiträge angestrebt hat, da er einen „politischen Beitrag“ erhebt, der nur etwas mehr als die Hälfte des kalkulierten Beitragssatzes ausmacht. Eine Kostenüberdeckung durch Beiträge ist damit definitiv ausgeschlossen (Beitragssatz von 8,29 Euro/m² wurde als höchstzulässiger Beitragssatz kalkuliert; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung „nur“ ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m²). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates ist es rechtlich zulässig, im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen eine sich aus Beiträgen und Gebühren zusammensetzende Finanzierung vorzunehmen, wie der Beklagte das im vorliegenden Fall tut.

65

4. Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig.

66

Die Anwendung der ABS (Fassung 2011) auf den vorliegenden Einzelfall ist in rechtmäßiger Weise erfolgt; sowohl die Beitragsfestsetzungen als auch das Zahlungsgebot erweisen sich als rechtmäßig (zu a). Die Beitragserhebungsmöglichkeit hat sich weder „verflüchtigt“ (b) noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (c) oder liegt eine unzulässige Doppelveranlagung vor (d).

67

a) Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bestimmtheit ist nicht gegeben. Die komplizierte Materie einer Wohnungseigentümergemeinschaft erfordert auch komplizierte Bescheide. Daher ist es ein adäquates Vorgehen des Beklagten, 135 Bescheide zu erlassen, diese aber dann letztlich objektbezogen in einem Widerspruchsbescheid zu bündeln. Im Widerspruchsbescheid ist hinreichend klargestellt, auf welchen Betrag sich das Leistungsgebot der Veranlagung bezieht und dass die zuvor bezahlten Beiträge angerechnet werden. Zutreffend hat der Beklagte berücksichtigt, dass die im Jahre 2011 entstandenen Beiträge durch die auf die Bescheide von 1999 geleisteten Zahlungen teilweise durch Erfüllung erloschen sind. Daher hat das Leistungsgebot diese Zahlungen zutreffend berücksichtigt.

68

b) Das vom BVerfG im Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013 S. 1004, entwickelte Rechtsinstitut der „Verflüchtigung“ greift im Ergebnis nicht durch. Danach kann ein zwar nicht verjährter Beitrag aus rechtsstaatlichen Gründen eventuell nicht mehr erhoben werden (vgl. hierzu im Einzelnen Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, § 7 Erläuterung 8.1.4.2, Seite 60 ff.).

69

Der Leitsatz des Beschlusses des BVerfG vom 5. März 2013 lautet im Wesentlichen, das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlange Regelungen, die sicherstellten, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden könne.

70

In dem genannten Beschluss hat das BVerfG – ausweislich der Nr. 1 des Tenors – den anzuwendenden Art. 13 des BayKAG für mit dem Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) „unvereinbar“ erklärt, nicht aber für nichtig. Dies hat entscheidende Bedeutung für die weitere Möglichkeit des bayerischen Landesgesetzgebers, diesen Mangel zu beseitigen. So führt das BVerfG dann auch aus (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.), dem Gesetzgeber ständen mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes zur Verfügung, und zunächst komme nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht. „Nichtigkeit“ trete jedoch zum 1. April 2014 ein, wenn der Gesetzgeber auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist verzichte.

71

Das BVerwG (Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 15.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 139/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 16.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 140/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 17.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 142/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 18.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 143/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 19.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 207/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 20.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 208/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 21.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 210/13 –; vgl. hierzu Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 7 Erläuterung 8.1.4.6 Seite 86) hat für die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern durch Urteile vom 15. April 2015 die Revisionen der dortigen Kläger gegen die Urteile des OVG Greifswald vom 1. April 2014 zurückgewiesen, weil die Beitragserhebung noch innerhalb der Übergangsfrist des § 12 Abs. 2 KAG M-V in der bis zum 29. Juli 2016 geltenden Fassung erfolgt sind, d. h. bis zum 31. Dezember 2008. Ferner hat das BVerwG in einem umfassenden obiter dictum weitere „Segelanweisungen“ gegeben.

72

Ausdrücklich hat das BVerwG, a. a. O., dem Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit offen gelassen, eine weitergehende und längere Festsetzungsverjährungsfrist als den 31. Dezember 2008 zu bestimmen und im Einzelnen ausgeführt:

73

„Denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen (BVerfG, Beschl. vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Mit diesem Gestaltungsauftrag ist – nicht zuletzt angesichts der Vielzahl der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten, jedoch gerade nicht den Verweis auf die Höchstverjährungsfrist einschließenden Lösungsmöglichkeiten wie auch der Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern erlassenen und zudem deutlich kürzeren Ausschlussfristen – der schematische Rückgriff auf § 53 Abs. 2 VwVfG M-V wohl unvereinbar, zumal die Vorschrift gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V nicht für Verfahren gilt, die – wie vorliegend – nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind.“

74

Eine solche Fristbestimmung hat der Landesgesetzgeber jetzt durch Gesetz vom 14. Juli 2016 getroffen; ebenso wie zahlreiche andere Bundesländer bereits ihre Verjährungsregelungen nachgebessert haben.

75

Der Senat hat keine Zweifel daran, dass diese gesetzliche Neuregelung den von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht gemachten Vorgaben entspricht, sodass der Senat die geänderte Fassung des § 12 Abs. 2 KAG MV seiner Entscheidung zugrunde legen kann. Der Gesetzgeber hat jetzt eine Regelung geschaffen, nach der eine zeitlich unbefristete Heranziehung zu (Anschluss-) Beiträgen nicht mehr möglich ist.

76

§ 12 Abs. 2 in der jetzt geltenden Fassung lautet u. a.:

77

§ 169 der Abgabenordnung gilt mit der Maßgabe, dass

78

1. über § 169 Absatz 1 Satz 1 der Abgabenordnung hinaus die Festsetzung eines Beitrages unabhängig von dem Entstehen der Beitragspflicht spätestens 20 Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist, wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt, …"

79

Diese Frist ist ersichtlich im Jahre 2009 noch nicht abgelaufen gewesen, weil im vorliegenden Fall – wie oben ausgeführt – noch nicht einmal die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 AO an- und erst Recht nicht abgelaufen ist.

80

Zur weiteren Klarstellung hat der Landesgesetzgeber noch in § 22 KAG M-V folgenden Abs. 3 angefügt:

81

„Soweit sich für bestehende Abgabensatzung ein Rechtsmangel daraus ergibt, dass das Kommunalabgabengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. April 2005 (GVOBl. M-V S. 146), das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 13. Juli 2011 (GVOBl. M-V S. 777, 833) geändert worden ist, die Heranziehung zu Beiträgen keiner zeitlichen Obergrenze unterwirft, ist dieser Rechtsmangel mit Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVOBl. M-V S. 584) unbeachtlich.“

82

Nach Auffassung des Senates hätte es dieser salvatorischen Klausel nicht bedurft, da jedes Gesetz, soweit nichts anderes geregelt ist, mit Inkrafttreten seine Gültigkeit beansprucht. Nach den bisherigen Regelungen war lediglich keine zeitliche Obergrenze für eine Verjährung eines Anschlussbeitrages geregelt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Anschlussbeitrag verjährt wäre.

83

Da das BVerwG in seinen Urteilen vom 15. April 2015 dem Gesetzgeber gerade die Möglichkeit eröffnet, entsprechend seiner Gesetzgebungskompetenz eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen und die Länge der Verjährungsfrist zu bestimmen, hätte eine diesbezügliche Neuregelung ausgereicht. Gegenstand des Rechtsstreits um das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit („Verflüchtigungsrechtsstreit“) war nicht etwa eine gesetzliche Regelung, die verfassungswidrig sei, sondern die Tatsache, dass eine Gesetzeslücke gesehen wurde, die die Anwendung des im Übrigen verfassungsgemäßen KAG M-V ab einem gewissen vom Gesetzgeber festzulegenden Stichtag verfassungswidrig machen würde. Einer weitergehenden deklaratorischen Klausel hätte es nicht bedurft; als deklaratorische Klausel ist die Regelung des § 22 Abs. 3 KAG M-V (Fassung 16. Juli 2016) aber „unschädlich“.

84

Der Senat hat keine Bedenken, dass die nunmehr bestimmte Festsetzungsfrist die Interessen der Abgabepflichtigen in Mecklenburg-Vorpommern in adäquater Weise behandelt. Die Festsetzungsfrist betrifft ein neues Bundesland, in dem die landesrechtlichen Grundlagen für einen Anschlussbeitrag erst geschaffen werden mussten, und bleibt unterhalb der in der Rechtsordnung bekannten längsten Verjährungsfrist von 30 Jahren. Der Landesgesetzgesetzgeber hat sich innerhalb des gesetzgeberischen Spielraumes bewegt und sich von folgenden Erwägungen leiten lassen (Gesetzentwurf der Landesregierung vom 11. März 2016, LT-Dr. 6/5257 S. 2 f.):

85

„Bei der konkreten Ausgestaltung einer landesgesetzlichen Festlegung einer zeitlichen Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum hinsichtlich des gesetzlich zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für Vorteile (hier: durch Anschluss an eine gemeindliche Einrichtung) einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, zu (BVerwG, Urteil vom 15.04.2015 – 9 C 15/14 – u. a.; vergleiche BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, a. a. O.).

86

Nach Auffassung des BVerfG bleibt es dem Landesgesetzgeber überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die der Rechtssicherheit genügt. So könnte der Landesgesetzgeber etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt.

87

Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt. Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143-163, Rn. 50).

88

Die Bundesländer Sachsen, Brandenburg, Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt haben bei einer mit Mecklenburg-Vorpommern vergleichbaren Rechtslage ihre Kommunalabgabengesetze bereits an die Forderungen des BVerfG (Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –) angepasst. Insofern wird die Änderung des KAG M-V auch in Kenntnis der in diesen Bundesländern erfolgten landesgesetzlichen Regelungen vorgenommen. Maßgebliches Ziel des Landesgesetzgebers ist es, die kommunalen Aufgabenträger im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren, ohne dabei gegen das Verbot zu verstoßen, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festzusetzen.

89

In Abwägung der Interessen der kommunalen Aufgabenträger und der Abgabenpflichtigen wird deshalb eine 20-jährige Verjährungsfrist geregelt, wobei aufgrund der Sondersituation nach der Deutschen Einheit der Lauf der Frist bis zum Ablauf des Jahres 2000 gehemmt ist („…wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt.“). Damit ist die maximal mögliche Verjährungsfrist von 30 Jahren deutlich unterschritten und in Kombination mit einer Regelung zur Verjährungshemmung gleichwohl eine Beitragserhebung bis 2020 ermöglicht. Mit der Regelung zur Verjährungshemmung hatte auch der Landesgesetzgeber Brandenburg auf die Forderungen des BVerfG reagiert.“

90

Da der Senat die neue Festsetzungsfrist als verfassungsgemäß ansieht, hat er keine Veranlassung, den Rechtsstreit dem BVerfG vorzulegen (Art. 100 Abs. 1 GG).

91

c) Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, wie er in dem stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG, 2. Kammer, Beschl. vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 29. September 2014 – OVG 9 N 40.14 –, vorgehend BVerwG, Beschl. vom 11. September 2014 – 9 B 21.14 –, vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 13. November 2013 – OVG 9 B 35.12 – konkretisiert worden ist, führt gleichfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der hier streitigen Abgabenerhebung

92

In dem dortigen Kammerbeschluss nimmt das BVerfG im Kern eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG an durch rückwirkende Erhebung kommunaler Abwasseranschlussbeiträge – hier: Abgabenerhebung gem. § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F. vom 17. 12. 2003 – in Fällen, in denen die Beiträge nicht mehr nach § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F vom 27.06.1991 hätten erhoben werden können, da mit Entstehen der Beitragspflicht durch rückwirkendes Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung zugleich Festsetzungsverjährung eingetreten wäre.

93

Nach Auffassung des Senates ist der Beschluss des BVerfG, der grundsätzlich nach § 31 BVerfGG in seinem Tenor und seinen tragenden Gründen auch für das OVG Greifswald Bindungswirkung entfaltet (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 7 Anm. 8.1.4.6.), nicht einschlägig, sodass gerade keine Bindungswirkung eintritt. Denn der vom Senat zu entscheidende Sachverhalt unterscheidet sich von dem Sachverhalt, der den Verfahren aus Berlin-Brandenburg zugrunde gelegen hat, sodass eine Bindung des OVG Greifswald an die tragenden Gründe des Kammerbeschlusses vom 12. November 2015 ausscheidet.

94

Die Kernaussage des BVerfG in seinem Beschluss vom 12. November 2015 ist, dass es gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt, wenn eine gesetzliche Vorschrift dergestalt geändert wird, dass nunmehr Beiträge erhoben werden sollen, die nach der Vorgängervorschrift nicht mehr hätten erhoben werden dürfen (vgl. z. B. Rn. 39, a. a. O.). In den Fällen aus Brandenburg wären nach alter Rechtslage die Beitragsschulden wegen Festsetzungsverjährung erloschen (Rn. 64, a. a. O.). Dass in einem solchen Fall eine gesetzliche Vorschrift, die rückwirkend die angelaufene und eine logische Sekunde später auch abgelaufene Festsetzungsverjährung „aus den Angeln hebt“, sich als echte Rückwirkung darstellt und den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht genügt, wird auch vom Senat in gleicher Weise gesehen.

95

Wie bereits oben ausgeführt, unterscheidet sich die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern elementar von der in Brandenburg. Seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne eine wirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. zur ähnlichen Rechtslage in Sachsen-Anhalt, OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 –, Rn. 58 und 59 und OVG Weimar, Urt. vom 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, juris Rn. 48, zur Rechtslage in Thüringen).

96

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG vom 12. November 2015 deutlich, wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das dortige Landesrecht ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg ist die „Sach- und Rechtslage“ in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte. In Rn. 52 spricht das BVerfG sogar von „Gesetzeslage“, und versteht darunter nicht nur § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB a. F., sondern auch und gerade, wie das OVG Berlin-Brandenburg diese Bestimmung ausgelegt hat.

97

Anzumerken ist schließlich noch, dass seit Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes, jetzt BauGB, im Jahr 1960 das BVerwG im Erschließungsbeitragsrecht stets auf die Wirksamkeit der Satzung abgestellt hat. Diese gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung hat das OVG Greifswald auf das Anschlussbeitragsrecht übertragen. Diese Rechtsprechung, die ca. 50 Jahre alt ist, ist für das Erschließungsbeitragsrecht höchstrichterlich noch nie infrage gestellt worden.

98

Der Senat schließt sich der Auffassung des OVG Magdeburg, a. a. O. (Rn. 62), insoweit an, dass die Abgabenpflichtigen vor der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 nicht haben darauf vertrauen können, dass ihnen gegenüber aufgrund eines langen Zeitraumes seit Entstehen einer Vorteilslage keine Abgabe mehr festgesetzt werden könnte. Insoweit kam es allein darauf an, ob und in welcher Weise der Landesgesetzgeber auf die Entscheidung des BVerfG reagieren würde.

99

Schließlich kann die Klägerin mit ihrer Auffassung nicht durchdringen, der Landesgesetzgeber M-V sei wegen der Bindungswirkung des § 31 BVerfGG auch an die dem bayerischen Landesgesetzgeber im Beschluss des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – gesetzte Frist gebunden, bis zum 31. März 2014 (Ziffer 1 des Tenors) eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen. Diese Frist ist ausschließlich für den bayerischen Landesgesetzgeber maßgeblich gewesen. Nur er ist von dem Beschlusstenor gebunden, wonach die bayerische Regelung des Art. 13 BayKAG mit dem Grundgesetz unvereinbar sei. Nur er hat die Gesetzgebungskompetenz, diesen Art. 13 BayKAG zu ändern. In der Sache hat das BVerfG somit das Abgabenerhebungsverfahren ausgesetzt (siehe Rn. 52), um dem bayerischen Gesetzgeber die Gelegenheit zur verfassungsgemäßen Neuregelung zu geben. Zudem hat das BVerfG den Verwaltungsgerichten die Kompetenz eröffnet, das Landesrecht verfassungskonform auszulegen (Rn. 52).

100

Zutreffend ist zwar, dass nicht nur der Tenor einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung Bindungswirkung entfaltet, sondern auch die tragenden Gründe. Die gegenüber dem bayerischen Landesgesetzgeber ausgesprochene zeitliche Höchstgrenze für eine gesetzliche Neuregelung in Bayern ist aber kein tragender Entscheidungsgrund, der sich über das bayerische Landesrecht hinausgehende Bedeutung beimisst.

101

d) Die Abgabenerhebung aus dem Jahre 1999 steht nicht unter dem Blickwinkel einer „unzulässigen Doppelveranlagung“ oder „unzulässigen Nacherhebung“ der Rechtmäßigkeit der hier angefochtenen Abgabenbescheide aus dem Jahre 2009 entgegen. Das Problem der Nachveranlagung oder auch Doppelveranlagung ist (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 12 Erläuterungen 50 ff., Seite 71 ff.) in der Rechtsprechung des OVG Greifswald geklärt (vgl. OVG Greifswald, Urt. vom 15. Dezember 2009 – 1 L 323/06 –, OVG Greifswald Urt. vom 15. Dezember 2010 – 1 L 1/09 –, ferner Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 L 217/09 – und Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 M 181/09 –). Dort hat das OVG Greifswald den Grundsatz aufgestellt, dass bei leitungsgebundenen Einrichtungen die Aufgabenträger grundsätzlich berechtigt und verpflichtet sind, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass sie einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpfen. Einer solchen Nacherhebung stehen der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung, die Rechtsfolgen der Bestandskraft des erster Heranziehungsbescheides und der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ebenso wenig entgegen wie die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V und die darin enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung (Aussprung, a. a. O., Erläuterung 50.2.3, Seite 76 f.). An dieser Auffassung hält der Senat fest.

102

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; insoweit kommt auch eine Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht in Betracht.

103

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist der Vorteilsbegriff landesrechtlich determiniert. Auch der Fragenkomplex, ob eine Abgabenerhebung in Mecklenburg-Vorpommern in der vorliegenden Fallkonstellation rechtlich noch zulässig ist, beruht auf der Auslegung des Landesrechts. Dies gilt insbesondere auch für die Frage der Nacherhebung eines noch nicht ausgeschöpften Beitragsanspruches, weil auch die anzuwendende Abgabenordnung im Bereich des Kommunalabgabenrechts Landesrecht ist. Zudem sind die grundsätzlichen Rechtsfragen der „Verflüchtigung“ eines beitragsrechtlichen Vorteils und des Vertrauensschutzes durch die im Urteil zitierte Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG geklärt.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Gemarkung B., Flur ..., Flurstück ..., das bereits vor der Wiedervereinigung an die zentrale Schmutzwasserentsorgung angeschlossen war. Der Beklagte übernahm mit seiner Gründung 1991 die Abwasserentsorgungseinrichtung. Nachdem frühere Beitragssatzungen an durchgreifenden Rechtsfehlern gelitten hatten, zog er auf der Grundlage seiner - ersten wirksamen - Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 die Klägerin mit Bescheid vom 19. April 2006 zu einem Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung in Höhe von 9 091,82 € heran. Die nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung seines Urteils im Wesentlichen ausgeführt, die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) aufgestellten Grundsätze über die zeitliche Befristung der Festsetzung von Abgaben zum Vorteilsausgleich seien auf die Erhebung von Abwasseranschlussbeiträgen nicht übertragbar. Auch Eigentümern bereits angeschlossener Grundstücke sei erstmalig nach der Wiedervereinigung der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können. In die Beitragskalkulation zur Abgeltung dieses Vorteils flössen zudem nur sog. "Nachwendeinvestitionen" ein. Darauf, ob diese die vom klägerischen Grundstück in Anspruch genommenen Anlagenteile erfassten, komme es nicht an; ausreichend sei vielmehr, dass die betreffenden Maßnahmen der erstmaligen Herstellung der Gesamtanlage dienten.

3

Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, die Rechtsprechung der Vorinstanzen sowie die zugrundeliegenden landesrechtlichen Vorschriften ermöglichten eine zeitlich unbegrenzte Heranziehung zu Beiträgen; dies sei mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit unvereinbar. Da ihr Grundstück bereits zu DDR-Zeiten an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen sei, könne sie nicht zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen werden. Die Gründung des Beklagten sei kein wirtschaftlicher Vorteil; eine beitragsfähige Verbesserung oder Erweiterung der Einrichtung, die unmittelbar ihrem Grundstück zugutegekommen sei, habe der Beklagte nicht dargelegt. Das vom Berufungsgericht bemühte Gesamtanlagenkonzept trage nicht, wenn - wie vorliegend - kein zusammenhängendes Kanalisationsnetz und keine gemeinsam genutzte Kläranlage existierten; insoweit sei das Urteil auch überraschend. Fehle es damit an einem Vorteil, so handele es sich bei dem vermeintlichen Beitrag um eine verkappte Steuer, für deren Erlass dem Beklagten die Zuständigkeit fehle.

4

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 1. April 2014 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 13. Juni 2013 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 19. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2006 aufzuheben.

5

Der Beklagte verteidigt die angefochtenen Urteile und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

6

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. Er verneint einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Zwar verstößt das angefochtene Urteil insoweit gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, als es entgegen dem gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) ausführt, der vorgenannte Grundsatz setze der Heranziehung zu Anschlussbeiträgen für die Schmutzwasserbeseitigung keine von den Umständen des Einzelfalls unabhängige zeitliche Grenze. Es stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

8

1. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit schützt davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Er verpflichtet deshalb den Gesetzgeber sicherzustellen, dass Beiträge, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, unabhängig von einem Vertrauen des Vorteilsempfängers und ungeachtet der Fortwirkung des Vorteils zeitlich nicht unbegrenzt festgesetzt werden können. Im Rahmen des danach zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet aber, die Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung einer Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 42 ff.).

9

Die vorgenannten Grundsätze gelten für das gesamte Beitragsrecht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 - 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211 Rn. 16 f.; OVG Münster, Urteil vom 30. April 2013 - 14 A 213/11 - juris Rn. 36; VGH München, Urteil vom 14. November 2013 - 6 B 12.704 - BayVBl. 2014, 241 <242>; Driehaus, KStZ 2014, 181 <182>; Schmitt, KommJur 2013, 367 <369, 371>). Sie sind damit entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen nach dem Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern - KAG M-V - anwendbar. Die hiergegen von den Vorinstanzen vorgebrachten Einwände beziehen sich ausnahmslos auf Umstände, denen das Bundesverfassungsgericht bei seiner gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Auslegung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entweder von vornherein keine oder eine gegenüber dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nachrangige Bedeutung beigemessen hat. Namentlich die Besonderheit des der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegenden bayerischen Landesrechts, demzufolge Grundstückseigentümer auch nach Übertragung des Eigentums zu Beiträgen herangezogen werden können, hat in den Entscheidungsgründen keine Berücksichtigung gefunden. Dementsprechend hat das Gericht einen Verzicht auf diese Regelung nicht als Möglichkeit zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustands in Erwägung gezogen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 50). Darüber hinaus hat es ausdrücklich festgestellt, dass der verfassungsrechtlich gebotenen zeitlichen Begrenzung der Heranziehung zu Beiträgen weder ein fehlendes Vertrauen des Bürgers auf seine Nichtberücksichtigung noch das Fortwirken des Vorteils entgegensteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 44 f.).

10

2. Dies zugrunde gelegt, genügt § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht. Danach entsteht die sachliche Beitragspflicht frühestens mit dem In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Satzung. Gemäß § 12 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KAG M-V i.V.m. § 169 Abs. 2, § 170 AO beträgt die Festsetzungsfrist vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beitragsschuld entstanden ist. Kann somit ohne eine wirksame Satzung eine Beitragsschuld nicht entstehen und diese deshalb auch nicht verjähren, so setzt das Landesrecht der Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, keine bestimmte zeitliche Höchstgrenze, falls die maßgeblichen Satzungen - wie hier - zunächst nichtig waren und erst später durch rechtswirksame Satzungen ersetzt worden sind. Es lässt damit in diesen Fällen entgegen dem verfassungsrechtlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit das berechtigte Interesse des Bürgers, in zumutbarer Zeit Klarheit darüber zu gewinnen, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss, völlig unberücksichtigt.

11

3. Allerdings mussten Grundstückseigentümer aufgrund von § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V bis zum Ablauf des 31. Dezember 2008 mit ihrer Heranziehung zu Anschlussbeiträgen zur leitungsgebundenen Abwasserentsorgung rechnen. Der Landesgesetzgeber hat damit dem Grundsatz der Rechtssicherheit zwar nur unvollständig, aber dennoch so weit Rechnung getragen, dass die Träger kommunaler Entsorgungseinrichtungen bis zu diesem Zeitpunkt Herstellungsbeiträge erheben konnten.

12

Da das Berufungsgericht die Anwendbarkeit der vorgenannten Vorschrift offen gelassen hat, kann sie der erkennende Senat gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 4 ZPO selbständig auslegen, obwohl sie nicht zum revisiblen Bundesrecht i.S.d. § 137 Abs. 1 VwGO gehört (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2002 - 4 CN 4.01 - BVerwGE 116, 296 <300> m.w.N.). Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V endete die Festsetzungsfrist bei der Erhebung eines Anschlussbeitrags nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008. Hiermit wollte der Gesetzgeber den beitragserhebenden Körperschaften mehr Zeit einräumen, um der sog. Altanschließerproblematik Rechnung tragen zu können (vgl. LT-Drs. 4/1576 S. 77; Abg. Müller, PlProt vom 9. März 2005 S. 2984 f. und Abg. Schulz, ebd. S. 2987). Obschon die Vorschrift unmittelbar nur Anwendung findet, wenn eine wirksame Beitragssatzung bestand und deshalb ein Ablauf der Festsetzungsfrist vor dem Stichtag in Betracht kam, lässt sich ihr erst recht auch für Fälle, in denen - wie vorliegend - noch keine wirksame Beitragssatzung bestand, der Wille des Gesetzgebers entnehmen, eine Beitragserhebung jedenfalls bis zum 31. Dezember 2008 zu ermöglichen (ebenso zum brandenburgischen Landesrecht OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 27. Mai 2013 - 9 S 75.12 - juris Rn. 29 und vom 16. Juli 2014 - 9 N 69.14 - juris Rn. 22 f., Urteil vom 14. November 2013 - 9 B 34.12 - juris Rn. 60 f.; hierzu BVerwG, Beschluss vom 11. September 2014 - 9 B 22.14 - juris Rn. 35).

13

Verschaffte § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V dem Beitragsschuldner mithin bis zu diesem Stichtag die - vom Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit geforderte - Gewissheit darüber, dass er noch zu einem Beitrag herangezogen werden konnte, so verstößt das Landesrecht allerdings weiterhin insoweit gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, als es damit nur eine Mindest-, nicht aber eine zeitliche Höchstgrenze für eine Beitragserhebung festlegt. Jedenfalls für Beiträge, die nach dem Kommunalabgabengesetz erhoben werden, dürfte zur Bestimmung der erforderlichen Höchstgrenze auch ein Rückgriff auf die 30-jährige Verjährungsfrist des § 53 Abs. 2 VwVfG M-V - sowohl im Wege der Analogie (so für Erschließungsbeiträge VGH München, Urteil vom 14. November 2013 - 6 B 12.704 - BayVBl. 2014, 241 <242>) als auch vermittelt über den Grundsatz von Treu und Glauben (so für sanierungsrechtliche Ausgleichsbeiträge BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 - 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211 Rn. 28, 31 ff.) - ausscheiden. Denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Mit diesem Gestaltungsauftrag ist - nicht zuletzt angesichts der Vielzahl der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten, jedoch gerade nicht den Verweis auf die Höchstverjährungsfrist einschließenden Lösungsmöglichkeiten wie auch der Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern erlassenen und zudem deutlich kürzeren Ausschlussfristen - der schematische Rückgriff auf § 53 Abs. 2 VwVfG M-V wohl unvereinbar, zumal die Vorschrift gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V nicht für Verfahren gilt, die - wie vorliegend - nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind. Einer verfassungskonformen Auslegung des § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V dahingehend, dass eine zur Heilung eines Rechtsmangels erlassene Beitragssatzung rückwirkend zu dem Zeitpunkt in Kraft gesetzt werden muss, zu dem die ursprünglich nichtige Beitragssatzung in Kraft treten sollte (so zu § 22 Abs. 1 SächsKAG: OVG Bautzen, Beschluss vom 25. April 2013 - 5 A 478/10 - juris Rn. 8 ff., sowie zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NW: OVG Münster, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 - NVwZ-RR 2000, 535 <536 f.>), steht schließlich der Wortlaut der Vorschrift wie auch § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V entgegen.

14

Bezieht sich die verbleibende Ungewissheit mithin nur auf die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Bürger nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen muss, so lässt der hierin liegende Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG die in § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V getroffene Übergangsregelung unberührt. Auch wenn diese in erster Linie dem Interesse der beitragserhebenden Körperschaften diente, trug sie doch dazu bei, dass die hiervon betroffenen Beitragsschuldner über die Möglichkeit der Beitragserhebung nicht "dauerhaft im Unklaren" (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 45) waren, sondern vielmehr die Gewissheit hatten, dass sie jedenfalls bis zum Ablauf der darin genannten Frist mit der Heranziehung zu Anschlussbeiträgen rechnen mussten. Zudem unterliegt es - entsprechend dem Rechtsgedanken des § 139 BGB (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90 u.a. - BVerfGE 88, 203 <333>) - angesichts der gesetzgeberischen Intention, einen zeitlichen Spielraum für die Lösung insbesondere der sog. Altanschließerproblematik zu schaffen, keinem Zweifel, dass der Gesetzgeber, wäre er sich der Notwendigkeit einer weitergehenden Regelung bewusst gewesen, eine gesetzliche Ausschlussfrist nicht vor dem 31. Dezember 2008 hätte enden lassen. Damit wirkt sich der Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit erst auf den Zeitraum nach Ablauf der vorgenannten Übergangsfrist und folglich nicht auf Bescheide aus, die zuvor erlassen wurden.

15

4. Die Zeitdauer zwischen dem Eintritt der Vorteilslage und der Heranziehung zu Beiträgen bis zum 31. Dezember 2008 war für die Vorteilsempfänger zumutbar.

16

Bei dem Begriff des Vorteils handelt es sich um einen landesrechtlichen und damit - vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Bindungen - nicht revisiblen Begriff (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. April 2012 - 9 BN 1.12 - juris Rn. 16). Hierzu hat das Berufungsgericht festgestellt, der beitragsrechtliche Vorteil sei auch Eigentümern von tatsächlich schon zu DDR-Zeiten angeschlossenen Grundstücken erst in dem Zeitpunkt zugeflossen, in dem ihnen mit den jeweiligen öffentlichen Entsorgungseinrichtungen erstmals und frühestens unter dem grundlegend neuen Rechtsregime nach der Wiedervereinigung der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden sei, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können. Dies begegnet angesichts der weiteren Feststellung des Berufungsgerichts, dass Herstellungsbeiträge nur für nach der Wiedervereinigung entstandene Aufwendungen - und somit nicht doppelt - erhoben werden dürfen, keinen bundesrechtlichen Bedenken. Insbesondere steht Bundesverfassungsrecht dieser Auslegung - auch unter Berücksichtigung der Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) - nicht entgegen. Zwar schützt danach das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 41). Indes bedeutet dies nicht, dass maßgeblicher Zeitpunkt ausnahmslos bereits derjenige des tatsächlichen Anschlusses an das Abwassersystem ist. Die Bestimmung der ab dem Eintritt der Vorteilslage zu bemessenden Ausschlussfrist muss nicht nur die Erwartung des Begünstigten auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung, sondern auch das öffentliche Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Anlage berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 40). Hieraus folgt, dass es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um eine beitragsrelevante Vorteilslage handeln muss. Die Annahme des Berufungsgerichts, mit der Umgestaltung der Rechtsordnung und der Neugründung einer kommunalen - und damit erstmals kommunalabgabenrechtlich relevanten - Abwasserentsorgung im Jahr 1990 sei mit Blick auf den zukünftigen Ausbau der Einrichtung erstmalig eine Vorteilslage entstanden, stimmt damit überein.

17

Die demnach rund 18-jährige Zeitspanne, innerhalb derer gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Schmutzwasserbeseitigung jedenfalls möglich war, überschreitet die Grenze des verfassungsrechtlich Zumutbaren nicht. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) nicht entschieden, schon eine 12-jährige Dauer verletze den Grundsatz der Rechtssicherheit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. September 2014 - 9 B 22.14 - juris Rn. 37). Der Verfassungsbeschwerde wurde nicht wegen der im konkreten Fall zwischen der Vorteilserlangung und der beitragsrechtlichen Heranziehung verstrichenen Zeit, sondern deshalb stattgegeben, weil das bayerische Landesrecht überhaupt keine zeitliche Grenze für die Abgabenerhebung bestimmte. Für deren Festlegung steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 46). Angesichts der besonderen Herausforderungen der Wiedervereinigung, welche nicht nur durch einen vollständigen Wechsel des Rechtsregimes, sondern auf kommunaler Ebene zusätzlich durch eine Vielzahl von gleichzeitig und mit beschränkten kommunalen Ressourcen zu bewältigenden Aufgaben wie einem grundlegenden Verwaltungsumbau, der Herstellung kommunaler Strukturen einschließlich der notwendigen Rechtsgrundlagen sowie der Instandhaltung, Sanierung und Fortentwicklung der Infrastruktur geprägt waren, wahrt § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V die Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens.

18

5. Widerspricht mithin die Heranziehung zu Abwasserbeiträgen bis zum 31. Dezember 2008 nicht dem Gebot der Rechtssicherheit, so ist der angefochtene Bescheid auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig.

19

a) Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob das Berufungsgericht seiner Prüfung die Beitrags- und Gebührensatzung des Beklagten vom 3. Dezember 2004, statt in ihrer ursprünglichen, in der erst während des laufenden gerichtlichen Verfahrens in Kraft getretenen Fassung vom 9. Dezember 2013 zugrunde legen durfte. Zwar berücksichtigt die letztgenannte Fassung die Vereinigung der vormals fünf getrennten öffentlichen Einrichtungen zu einer Einrichtung, die mit der am 1. Januar 2008 - und somit nach Entstehung der Beitragsschuld - in Kraft getretenen Dritten Änderungssatzung zur Abwasserentsorgungssatzung des Beklagten vom 21. Mai 2001 - AES - erfolgte. Hierdurch erhöhte sich aber der Beitragssatz nur für die in der vormaligen Zone III gelegenen Grundstücke, nicht jedoch für die Grundstücke, die - wie dasjenige der Klägerin - der Zone IV angehörten.

20

b) Deren Einwand, an den Anlagenteilen, die von ihrem Grundstück aus genutzt würden, seien keine Maßnahmen durchgeführt oder geplant worden, welche die Heranziehung zu einem Herstellungsbeitrag rechtfertigten, wohingegen Verbesserungen anderer Anlagenteile, die mit dem für die Abwasserentsorgung ihres Grundstücks erforderlichen Anlagenteil nicht leitungsmäßig verbunden seien, keinen wirtschaftlichen Vorteil für sie bedeuteten, begründet keinen Verstoß gegen Bundesrecht.

21

Insoweit hat das Berufungsgericht das nicht revisible Landesrecht dahingehend ausgelegt, dass es dem Beklagten unabhängig von einer leitungsmäßigen Verbindung oder der gemeinsamen Nutzung einzelner Anlagenteile ein Organisationsermessen einräumt, ob er die Abwasseranlagen als eine oder als mehrere Einrichtungen betreibt. Dem landesrechtlichen Vorteilsbegriff werden bundesrechtlich durch den Gleichheitssatz und das Äquivalenzprinzip nur sehr weite Grenzen gezogen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 1995 - 8 C 16.94 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 35 S. 2, Beschlüsse vom 30. April 1996 - 8 B 31.96 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 37 S. 5 f. und vom 24. April 2012 - 9 BN 1.12 - juris Rn. 16). Insbesondere setzt die Annahme eines (Sonder-)Vorteils nicht die Existenz eines "funktionalen Zusammenhangs" zwischen der abgerechneten Anlage und dem beitragsbelasteten Grundstück voraus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668/10 u.a. - NVwZ 2014, 1448 Rn. 54). Danach sind die Grenzen dieses Ermessens erst überschritten, wenn die zu einer Anlage zusammengefassten, technisch voneinander unabhängigen Teile in ihrer Arbeitsweise und in ihren Arbeitsergebnissen so unterschiedlich sind, dass ihre Vergleichbarkeit schlechterdings ausgeschlossen und ihre Zusammenfassung daher willkürlich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1978 - 7 B 118.78 u.a. - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 40 S. 46; OVG Münster, Urteil vom 17. November 1975 - 2 A 203/74 - juris Rn. 3, 15 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 24. Mai 1989 - 9 L 3/89 - NVwZ-RR 1990, 507 f.; OVG Schleswig, Urteil vom 24. September 2008 - 2 LB 2/08 - juris Rn. 33 f.). Anhaltspunkte für eine derartige Verschiedenheit der Anlagenteile hat die Klägerin weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich; insbesondere gehören Grundstückskläranlagen und abflusslose Gruben - die mit einer zentralen Schmutzwasserbeseitigung nicht vergleichbar sind und daher nicht mit dieser zusammengefasst werden können (OVG Schleswig, Urteil 24. Oktober 2001 - 2 L 29/00 - juris Rn. 45 f.) - gemäß § 2 Abs. 4 AES nicht zu den öffentlichen Abwasseranlagen, für welche die Klägerin zu Beiträgen herangezogen wird.

22

c) Des Weiteren verstößt die dem Bescheid zugrundeliegende Globalkalkulation nicht gegen revisibles Recht. Zum Kommunalabgabenrecht des Landes hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Globalkalkulation beinhalte Prognosen, weshalb Pauschalierungen und Schätzungen zulässig seien; eine "millimetergenaue" Ermittlung von Aufwand und Flächen sei daher von vornherein ausgeschlossen. Zu dem von der Klägerin erhobenen Einwand, die Berechnung sei fehlerhaft, weil sie zu Unrecht Aufwendungen in der Gemeinde Z. berücksichtige, hat das Berufungsgericht auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen, denen zufolge nicht ersichtlich ist, dass die betreffende Prognose bereits bei der Kalkulationserstellung unzutreffend gewesen ist, und denen zufolge sich das Vorhaben aufgrund des Anteils von nur 1,12 v.H. der Gesamtherstellungskosten und wegen des gedeckelten Beitragssatzes nicht auf dessen Höhe ausgewirkt hat. Dies lässt keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen.

23

d) Eine Verletzung des vom Eigentumsgrundrecht umfassten (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2011 - 9 A 15.10 - ZfB 2011, 188 Rn. 18) Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch die Erhebung von Schmutzwasseranschlussbeiträgen scheidet - ungeachtet der Frage, ob sich die Klägerin als im (Mit-)Eigentum kommunaler Gebietskörperschaften stehende juristische Person des Privatrechts auf Art. 14 GG berufen kann (hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 7. Juni 1977 - 1 BvR 108/73 u.a. - BVerfGE 45, 63 <79 f.> und vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82 <105>; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2013 - 7 A 4.12 - BVerwGE 147, 184 Rn. 22) - bereits deshalb aus, weil die Abgabenpflicht grundstücksbezogen ist, sich mithin nicht gegen den Betrieb als solchen richtet, und es daher an der Betriebsbezogenheit des Eingriffs (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2012 - I ZR 187/10 - BGHZ 192, 204 Rn. 31) fehlt.

24

6. Schließlich erweist sich das angefochtene Urteil nicht als verfahrensfehlerhaft.

25

Der Einwand, das Berufungsgericht habe gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen, indem es die Globalkalkulation der Beklagten keiner vollständigen Überprüfung unterzogen habe, verkennt, dass Kalkulationen von Abgabensätzen gerichtlich in aller Regel nur insoweit zu überprüfen sind, als substantiierte Einwände dagegen erhoben wurden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17. April 2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188 <197>). Derartige Einwände hat die Klägerin nur hinsichtlich der kalkulatorischen Berücksichtigung der Kläranlage in Z. geltend gemacht; diese hat das Verwaltungsgericht geprüft, ist ihnen jedoch in der Sache nicht gefolgt. Damit hat sich die Klägerin im Berufungsverfahren ebenso wenig substantiiert auseinandergesetzt wie mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur rechnerischen Behandlung unbebauter und nicht an die Kanalisation angeschlossener Grundstücke, sondern hat es bei einer Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags belassen. Dieses wie auch das weitere Vorbringen gegen die Beitragsberechnung erschöpfte sich jedoch in pauschalen Einwänden und in Mutmaßungen. Dass sich dem Berufungsgericht eine weitergehende Ermittlung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, ist daher weder ersichtlich noch von der Revision dargelegt. Einen Beweisantrag hat die Klägerin nicht gestellt. Deren Einwand, für ein substantiierteres Vorbringen hätten ihr die erforderlichen Informationen gefehlt, berücksichtigt nicht die in § 12 Abs. 4 KAG M-V getroffene Regelung. Danach ist den Beitragspflichtigen auf Verlangen Einsicht in die der Abgabenfestsetzung zugrundeliegenden Kalkulationen zu gewähren, soweit diese Gegenstand der Beschlussfassung u.a. nach § 22 Abs. 3 Nr. 11 KV M-V waren. Da den Verbandsvertretern des Beklagten die gesamten Kalkulationsunterlagen zur Verfügung standen (vgl. OVG Greifswald, Urteil vom 12. Oktober 2011 - 4 K 31/06 - juris Rn. 45), hätte sich auch die Klägerin die maßgeblichen Informationen verschaffen können.

26

Soweit sie darüber hinaus einen Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs und gegen die Aufklärungspflicht für den Fall rügt, dass das Berufungsgericht das Gesamtanlagenprinzip dahin verstanden hat, dass ein zusammenhängendes Abwasserkanalisationsnetz zwischen allen im Zweckverband zusammengeschlossenen Gemeinden oder ein gemeinsam genutztes Klärwerk existiert, liegt gleichfalls kein Verfahrensfehler vor. Hierauf kam es nach dem materiellen Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts ebenso wenig an wie auf die Frage, ob gerade zu den Liegenschaften der Klägerin neue Anschlussleitungen verlegt oder ob die von dort in Anspruch genommenen Leitungen in einem einer Herstellung gleichkommenden Maße erneuert wurden. Auch insofern bedurfte es daher keiner weiteren Ermittlungen durch das Berufungsgericht.

27

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 50.000 € (in Worten: fünfzigtausend Euro) und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 16.000 € (in Worten: sechzehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Festsetzung der Gegenstandswerte beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.

2

Für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung orientiert sich der Gegenstandswert an dem Streitwert in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Für das Verfassungsbeschwerdeverfahren führt die objektive Bedeutung der Sache zu einer Werterhöhung.

Tenor

1. Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) ist mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) unvereinbar. Ersetzt der Gesetzgeber Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes nicht bis zum 1. April 2014 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung, tritt Nichtigkeit der Vorschrift ein.

2. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2008 - 20 ZB 08.903 - und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2008 - M 10 K 06.2850 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) mit den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verfassungsgrundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist.

I.

2

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs setzt das Entstehen einer Beitragspflicht für den Anschluss an leitungsgebundene Einrichtungen neben dem Erschlossensein des Grundstücks durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung (sogenannte Vorteilslage) zwingend das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus (vgl. BayVGH, Urteil vom 14. April 2011 - 20 BV 11.133 -, BayVBl 2012, S. 45 <46>; Urteil vom 29. April 2010 - 20 BV 09.2010 -, BayVBl 2011, S. 240; Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, juris). Eine wirksame Satzung ist somit Beitragsentstehungsvoraussetzung. Die Satzung muss nach Art. 5 Abs. 8 BayKAG nicht bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage in Kraft sein. Es genügt vielmehr, wenn sie nach deren Entstehung in Kraft tritt.

3

2. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung führt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b BayKAG in Verbindung mit § 47 der Abgabenordnung (AO) zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis. Die Festsetzungsfrist, nach deren Ablauf der Erlass eines Beitragsbescheids unzulässig ist, beträgt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 AO einheitlich vier Jahre.

4

3. Durch das am 31. Dezember 1992 verkündete Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) wurde der Beginn der Festsetzungsfrist mit Wirkung zum 1. Januar 1993 neu geregelt. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc BayKAG erhielt folgende Fassung:

5

Art. 13

Anwendung von Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977)

(1) Soweit gesetzlich nicht anders bestimmt, sind in ihrer jeweils geltenden Fassung vorbehaltlich Absatz 6 folgende Bestimmungen der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden:

(…)

4. aus dem Vierten Teil - Durchführung der Besteuerung -

(…)

b) über das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren:

(…)

cc) § 170 Abs. 1 mit der Maßgabe,

- dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist und

- dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekanntgemacht worden ist, (…).

6

Die in Bezug genommene Vorschrift des § 170 Abs. 1 AO lautet:

7

Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

8

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 1 BayKAG entspricht der bis dahin geltenden Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG vom 26. März 1974 (GVBl S. 109, ber. 252) in der Fassung vom 4. Februar 1977 (GVBl S. 82). Mit dem Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 wurde Spiegelstrich 2 neu in die gesetzliche Regelung eingefügt.

9

4. Der Gesetzgeber beabsichtigte hiermit ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs eine gesetzliche Klarstellung (LTDrucks 12/8082, S. 13). Bisher sei es in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs umstritten gewesen, ob in den Fällen, in denen eine nichtige Satzung rückwirkend durch eine gültige Satzung ersetzt werde, die Festsetzungsfrist mit dem Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Satzung (so BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60) oder erst mit Ablauf des Jahres zu laufen beginne, in dem die rückwirkende Satzung bekanntgemacht worden sei (so BayVGH 23. Senat, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Mit der Einfügung einer weiteren Maßgabe in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG werde die den Bedürfnissen der Praxis entgegen kommende Auffassung des 23. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gesetzlich klargestellt. Nach der gegenteiligen Ansicht könne nämlich eine rückwirkend entstandene Forderung gleichzeitig festsetzungsverjährt sein, wenn sich die Rückwirkungsfrist über die Verjährungsfrist hinaus erstrecke.

II.

10

1. Der Beschwerdeführer war von 1992 bis 1996 Eigentümer eines bereits an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen bebauten Grundstücks. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 1992 stellte die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Gemeinde, in der das Grundstück gelegen ist (im Folgenden: Beklagte), fest, dass das Dachgeschoss des Gebäudes ausgebaut worden war.

11

Mit Bescheid vom 5. April 2004 zog sie den Beschwerdeführer erstmals auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 5. Mai 2000 zu einem Kanalherstellungsbeitrag in Höhe von 1.197,32 € heran. Der Herstellungsbeitrag wurde gemäß § 5 Abs. 1 dieser Beitrags- und Gebührensatzung nach der Grundstücks- und Geschossfläche berechnet. Die Satzung war zur Heilung einer als nichtig beurteilten Vorgängersatzung rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft gesetzt worden.

12

Während des Widerspruchsverfahrens erwies sich auch die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 als unwirksam. Die Beklagte erließ daraufhin die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18. April 2005 und setzte sie rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft. Diese Satzung wurde am 26. April 2005 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.

13

2. Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Zwar seien die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000, auf die der Bescheid gestützt worden sei, sowie auch sämtliche Vorgängersatzungen aus den Jahren 1995, 1992, 1987, 1980, 1973 und 1960 in den Beitragsteilen nichtig gewesen. Eine wirksame Rechtsgrundlage für den Bescheid sei aber mit der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 geschaffen worden. Auf der Grundlage dieser Satzung sei die Beitragsschuld für die bislang nicht veranlagte Geschossflächenmehrung erstmals am 1. April 1995 entstanden. Der Beschwerdeführer sei als zu diesem Zeitpunkt ins Grundbuch eingetragener Grundstückseigentümer Beitragsschuldner. Eine Verjährung der Beitragsforderung sei nicht eingetreten, da nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden sei.

14

Der Beschwerdeführer könne hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, diese Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und müsse daher, insbesondere im Fall eines zwischenzeitlichen Eigentümerwechsels, abweichend von ihrem Wortlaut einschränkend ausgelegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestünden gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Ersichtliches Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, die Gemeinden im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren. Im Übrigen sei keiner der jetzigen oder ehemaligen Grundstückseigentümer in seiner Erwartung geschützt, von der Nichtigkeit früheren Satzungsrechts profitieren zu können; denn ein abgeschlossener Beitragstatbestand liege nicht vor. Welchen der Eigentümer die Beitragspflicht treffe, hänge von der Bestimmung des Zeitpunkts der Rückwirkung ab. Sei dieser - wie im vorliegenden Fall - ohne Verstoß gegen das Willkürverbot gewählt, bestehe kein Grund für eine rechtliche Beanstandung.

15

3. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ab. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Beitragsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids nicht verjährt gewesen sei. Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber habe hiermit eine Regelung getroffen, die der bis dahin ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entsprochen habe (Hinweis auf BayVGH, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Die Norm enthalte nach Inhalt, Zweck und Ausmaß eine klare Aussage über den Lauf der Festsetzungsfrist, gegen die durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden. Eine unzulässige echte Rückwirkung liege schon deshalb nicht vor, weil kein abgeschlossener Beitragstatbestand gegeben sei. Denn bei leitungsgebundenen Einrichtungen setze die Entstehung einer Beitragspflicht nach ständiger Rechtsprechung das Vorhandensein einer gültigen Abgabensatzung voraus. Eine wirksame Abgabensatzung habe erstmals im Jahr 2005 vorgelegen. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, die rückwirkende Inkraftsetzung einer Abgabensatzung müsse wenigstens zeitlich auf die einschlägigen Verjährungsvorschriften beschränkt werden, lasse er außer Acht, dass nur eine bereits entstandene Beitragsforderung verjähren könne. Bei fehlgeschlagenem Satzungsrecht müsse ein bisher nicht veranlagter Beitragspflichtiger damit rechnen, zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen zu werden. Er könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.

III.

16

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.

17

1. Die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene uneingeschränkte Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG auf rückwirkend in Kraft gesetzte Satzungen verstoße wegen der damit verbundenen echten Rückwirkung gegen die aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es sei geboten, die Rückwirkung einer Satzung durch Festsetzungsfristen zu begrenzen. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung dürfe nicht beliebig hinausgeschoben werden. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei im Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens einer Satzung entweder nicht anzuwenden oder verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Verjährung rückwirkend zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung beginne.

18

2. Die Ausgangsgerichte hätten Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil sie ihm nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt hätten. Er habe mit der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend gemacht, dass der Beitragsanspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen sei. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte beginne die Festsetzungsfrist nur zu laufen, wenn eine wirksame Beitragssatzung vorliege. Die Beklagte und die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen hätten sich darauf berufen, dass sämtliche Satzungen, die der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 vorausgingen, nichtig gewesen seien, was durch diverse Entscheidungen der Verwaltungsgerichte bereits geklärt worden sei. Er habe deshalb die Vorlage dieser Entscheidungen außergerichtlich und schließlich auch vor dem Verwaltungsgericht begehrt. Die maßgeblichen Entscheidungen seien ihm jedoch nicht vollständig zugänglich gemacht worden. Ihm sei es deshalb nicht möglich gewesen, zur Frage der Nichtigkeit sämtlicher Satzungen ausreichend Stellung zu nehmen.

IV.

19

Die Beklagte, die Bayerische Staatsregierung und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.

20

1. Die Beklagte ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Der Beschwerdeführer habe eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus sei der Rechtsweg nicht erschöpft, weil der Beschwerdeführer keine Anhörungsrüge erhoben habe.

21

Die Verfassungsbeschwerde sei im Übrigen nicht begründet. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn ein Vertrauen darauf, dass eine als nichtig erkannte Regelung aufrechterhalten bleibe und nicht durch eine neue, rückwirkende Satzung ersetzt werde, sei nicht schützenswert. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sein Grundstück veräußert habe, bedeute nicht, dass dadurch ein für seine Beitragspflicht maßgeblicher Tatbestand abgeschlossen sei und er in der Folge nicht mehr zur Beitragszahlung herangezogen werden dürfe. Er habe vielmehr den für die Entstehung der Beitragspflicht maßgeblichen Vorteil der Möglichkeit der Anschlussnahme entgegengenommen und mit dem Grundstücksverkauf nicht verloren. Dieser Vorteil habe den Wert seines Grundstücks erhöht mit der Folge, dass er für das Grundstück einen höheren Kaufpreis habe erzielen können.

22

2. Die Bayerische Staatsregierung hält Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG für verfassungsgemäß. Die Ersetzung einer als nichtig erkannten durch eine wirksame Beitragssatzung stelle keinen Fall einer echten, sondern allenfalls einer unechten Rückwirkung dar. Es sei kein abgeschlossener Lebenssachverhalt gegeben, in den nachträglich eingegriffen worden sei. Denn die Beitragsentstehung setze das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus. Ohne diese sei eine Berechnung des Beitrags in Ermangelung eines Beitragsmaßstabs nicht möglich.

23

Das Vertrauen des Beschwerdeführers wäre selbst bei Annahme einer echten Rückwirkung nicht schutzwürdig, weil er damit habe rechnen müssen, dass eine vorhandene, aber als nichtig erkannte Satzung durch eine gültige Satzung ersetzt werde, mit der die von Anfang an von der Gemeinde angestrebte Beitragspflicht herbeigeführt werde. Es seien keine Umstände erkennbar, die ein Vertrauen darauf rechtfertigten, dass die Gemeinde es bei einer nichtigen Beitragssatzung belassen und auf eine Beitragserhebung verzichten würde.

24

Eine zeitliche Beschränkung der Rückwirkung auf die Festsetzungsfristen sei aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht geboten. Der bayerische Gesetzgeber habe mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG eine Lösung gewählt, die sowohl die Gemeinden vor Beitragsausfällen aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung bewahre als auch dem Vorteilsgedanken Rechnung trage. Die Gemeinden würden nach Erlass der gültigen Satzung erstmals in die Lage versetzt, Beiträge nach den Maßstäben dieser gültigen Satzung korrekt festzusetzen und die öffentliche Einrichtung auf der Grundlage rechtsstaatlicher Regelungen zu refinanzieren. Bei Abwägung des öffentlichen Interesses mit den privaten Interessen der betroffenen Beitragspflichtigen überwiege das öffentliche Interesse. Ein Grundstückseigentümer müsse damit rechnen, zu einem Beitrag herangezogen zu werden. Sein Vertrauen darauf, dass eine nichtige Satzung nicht durch eine gültige Satzung ersetzt werde, sei nicht schutzwürdig. Verjährungsvorschriften dienten der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Im vorliegenden Fall liege kein Vorgang vor, auf dessen Abschluss der Bürger sich einstellen und auf dessen Ende er vertrauen könne. Da dem Beitragspflichtigen kein schützenswertes Vertrauen zur Seite stehe, komme dem öffentlichen Interesse an der Beitragserhebung das entscheidende Gewicht zu.

25

3. Das Bundesverwaltungsgericht teilt mit, es sei mit der Frage nach dem Lauf der Festsetzungsfrist bei der rückwirkenden "Reparatur" nichtiger Abgabennormen bisher nur am Rande befasst gewesen. Nach seiner gefestigten Rechtsprechung sei es allerdings mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar, kommunale Anschluss- und Erschließungsbeitragssatzungen rückwirkend in Kraft zu setzen, um früher erlassene, auf eine nichtige Vorgängersatzung gestützte Beitragsbescheide zu heilen (Hinweis auf BVerwGE 50, 2 <7 f.>; 67, 129 <130 ff.>; BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1996 - BVerwG 8 B 13.96 -, Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 36, S. 3 <4>). Werde eine ungültige durch eine gültige Satzung ersetzt, liege darin keine echte Rückwirkung, da eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Beitragssatzung entstehen könne und diese Satzung somit nicht in einen bereits abgeschlossenen Tatbestand eingreife (Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 1986 - BVerwG 8 B 123.84 -, NVwZ 1986, S. 483 <484>).

26

Die Festsetzungsverjährung sei im Abgabenrecht der Länder geregelt (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1977 - BVerwG IV C 84-92.74 -, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 20, S. 20<25> sowie NJW 1977, S. 1740 <1741>). Die Anknüpfung der Verjährung an die rückwirkende Entstehung der Beitragspflicht stehe mit Bundesrecht in Einklang. Die Frage der bundesrechtlichen Unbedenklichkeit einer Anknüpfung an die Verkündung der neuen Satzung sei in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter problematisiert worden.

27

Gegen die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG getroffene Regelung bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das rückwirkende Inkrafttreten der neuen Satzung habe zwar zur Folge, dass bereits zu einem zurückliegenden Zeitpunkt (frühestens zum Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens) die Beitragsvoraussetzungen erfüllt sein könnten. Es sei aber kein verfassungsrechtlicher Grundsatz ersichtlich, der dazu zwinge, die Festsetzungsverjährung in Rückwirkungsfällen an das Entstehen der Beitragsforderung anzuknüpfen. Da die Behörde erst mit der Verkündung der neuen Satzung in den Stand versetzt werde, einen rechtlich tragfähigen Beitragsbescheid zu erlassen, beziehungsweise erst mit der Verkündung ein auf die frühere nichtige Satzung gestützter Beitragsbescheid geheilt werde, sprächen Sachgründe für den im Bayerischen Kommunalabgabengesetz gewählten zeitlichen Anknüpfungspunkt der Festsetzungsverjährung. Die Regelung verstoße daher nicht gegen das Willkürverbot.

28

Mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbaren Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit dürfte die Regelung gleichfalls in Einklang stehen. Das Institut der Festsetzungsverjährung diene dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (Hinweis auf BFH, Urteil vom 15. Juni 1988 - I R 68/86 -, BFH/NV 1990, S. 128). Die Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die Verkündung der neuen Satzung führe zwar dazu, dass ein sehr langer Zeitraum zwischen dem die Beitragsforderung begründenden Sachverhalt und dem Ablauf der Verjährungsfrist liegen könne. Es sei aber zu bedenken, dass die mit der Festsetzungsverjährung verfolgten Ziele in einem Spannungsverhältnis zu dem Belang materieller Gerechtigkeit und dem fiskalischen Interesse an der Durchsetzung des Abgabenanspruchs stünden. Für die Aufgabe, zwischen den Polen in diesem Spannungsverhältnis einen verhältnismäßigen Ausgleich zu schaffen, sei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Gehe man mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass der Beitragspflichtige sich gegenüber dem rückwirkenden Inkraftsetzen einer neuen Beitragssatzung nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, und berücksichtige man zusätzlich die besondere Fehleranfälligkeit kommunaler Beitragssatzungen und das daraus resultierende gesteigerte Interesse an einer effektiven Nutzbarkeit der Heilungsmöglichkeiten, dürfte sich die Verjährungsregelung des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes innerhalb dieses Gestaltungsspielraums halten.

29

4. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund weist darauf hin, dass der rückwirkende Erlass einer Satzung, welche die "Reparatur" einer unwirksamen Satzung bezwecke, eine Ausnahme darstelle und im vorliegenden Fall verwaltungspraktische Gründe gehabt habe. Die auf der Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 erlassenen Bescheide wären sonst im Fall eines Eigentümerwechsels bei einem Teil der früheren Eigentümer bestandskräftig geworden und hätten bei nicht bestandskräftigen Bescheiden aufgehoben und gegenüber dem neuen Eigentümer neu erlassen werden müssen. Dadurch wäre es zu Ungleichbehandlungen gekommen. Der rückwirkende Erlass einer Satzung sei in der Praxis auch dann erforderlich, wenn andernfalls die Einbringung von Forderungen, zum Beispiel wegen Insolvenz oder Zwangsversteigerungsverfahren, gefährdet wäre. Eine Rückwirkung erstrecke sich üblicherweise nicht auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Dieser lange Zeitraum ergebe sich im vorliegenden Fall daraus, dass die Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 den in der Vorgängersatzung normierten Rückwirkungszeitpunkt beibehalten habe, was einen atypischen, sozusagen "verdoppelten" Rückwirkungszeitraum zur Folge gehabt habe.

B.

30

Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgebrachten Rügen sind nur teilweise zulässig.

I.

31

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da sie nicht hinreichend begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat insoweit die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht substantiiert dargelegt (vgl. BVerfGE 7, 95 <99>; 60, 313 <318>; 86, 133 <147>).

II.

32

Soweit die Verfassungsbeschwerde einen Verstoß gegen die aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes betrifft, ist sie zulässig.

33

Der Beschwerdeführer war - trotz Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG - nicht gehalten, zur Erschöpfung des Rechtswegs gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zu erheben. Wird im fachgerichtlichen Rechtsmittelverfahren die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht und bestätigt das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung, so muss die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - sofern kein eigenständiger neuer Gehörsverstoß durch das Rechtsmittelgericht geltend gemacht wird - nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden, um dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu genügen (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 f.>).

C.

34

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Die mittelbar angegriffene Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBl S. 775) sowie die hierauf beruhenden, unmittelbar angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

I.

35

1. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verletzt im vorliegenden Fall nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze.

36

Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz begrenzt die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263>; 126, 369 <393>).

37

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG selbst entfaltet dem Beschwerdeführer gegenüber keine Rückwirkung. Die Vorschrift regelt den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung von Beiträgen, die auf Abgabensatzungen gestützt sind, welche eine frühere unwirksame Satzung wirksam heilen. Bei ihrem Inkrafttreten zum 1. Januar 1993 lag eine solche wirksam heilende Satzung im Fall des Beschwerdeführers noch nicht vor und wurde auch später nicht rückwirkend zum oder vor dem 1. Januar 1993 in Kraft gesetzt, so dass die Verjährungsfrist unabhängig von der Neuregelung noch nicht zu laufen begonnen hatte. Solange der Lauf der Verjährungsfrist mangels gültiger Satzung nicht begonnen hat, betrifft die gesetzliche Neuregelung des Beginns der Verjährung mit der Wirkung einer Verjährungsverlängerung jedoch noch nicht einmal einen in der Vergangenheit begonnenen und nicht abgeschlossenen Sachverhalt.

38

Die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung bereits bestehende Vorteilslage begründet für den Beschwerdeführer ebenfalls keinen bereits begonnenen Sachverhalt, in den die Neuregelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG im Wege einer Rückwirkung eingegriffen hätte. Denn die Neuregelung beschränkt sich auf das Hinausschieben des Beginns der Verjährung. Eine solche konnte ohne wirksame Satzung aber nicht zu laufen beginnen.

39

2. Sollte der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf die unwirksame Satzung auf den Schein eines Verjährungslaufs vertraut haben, so kann dahinstehen, ob und in welchem Zusammenhang das Vertrauen in den scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verfassungsrechtlichen Schutz verdient. Nach den Feststellungen der Ausgangsgerichte hätte die Festsetzungsfrist selbst bei Wirksamkeit der unwirksamen Satzung frühestens mit Ablauf des Jahres 1992 begonnen. Das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes wurde aber bereits am 31. Dezember 1992 und damit sogar noch vor dem scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verkündet.

II.

40

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verstößt jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 30, 392 <403>; 43, 242 <286>; 60, 253 <267>). Er erlaubt, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen. Der Gesetzgeber hat damit den Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Entwässerungsanlage verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

41

1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (vgl. BVerfGE 60, 253 <267 f.>; 63, 343 <357>; BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, DStR 2012, S. 2322 <2325>). Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 63, 215 <223>). Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten.

42

2. Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

43

a) Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. Während das staatliche Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten vornehmlich von den Grundsätzen der richtigen Rechtsanwendung und der materiellen Gerechtigkeit (Belastungsgleichheit) sowie von fiskalischen Erwägungen getragen wird, steht dem auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber.

44

Dabei ist es den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.

45

b) Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 343 <352 f.>; 93, 319 <344>). Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.

46

c) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.

47

3. Der Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den erforderlichen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit auf der einen Seite und Rechtsrichtigkeit und Fiskalinteresse auf der anderen Seite verfehlt. Dadurch, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den Verjährungsbeginn bei der Heilung ungültiger Abgabensatzungen ohne zeitliche Obergrenze auf den Ablauf des Kalenderjahres festlegt, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden ist, löst der Gesetzgeber den Interessenkonflikt einseitig zu Lasten des Bürgers. Zwar schließt er damit die Verjährung von Beitragsansprüchen nicht völlig aus. Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt. Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen.

48

Der Beitragspflicht können die Bürgerinnen und Bürger im Regelfall nicht durch den Einwand der Verwirkung entgehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2011 - BVerwG 3 B 36.11 -, BeckRS 2011, 53777; Beschluss vom 12. Januar 2004 - BVerwG 3 B 101.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 314) und des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH, Urteil vom 8. Oktober 1986 - II R 167/84 -, BFHE 147, 409 <412>) erfordert Verwirkung nicht nur, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts längere Zeit verstrichen ist. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Diese Voraussetzung dürfte selbst in den Fällen der Beitragserhebung nach scheinbarem Ablauf der Festsetzungsfrist regelmäßig nicht erfüllt sein.

D.

I.

49

Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

50

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ).

II.

51

Der angegriffene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Die Unvereinbarkeitserklärung führt dazu, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden darf (vgl. BVerfGE 111, 115 <146>). Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens aber bis zum 1. April 2014, ausgesetzt oder sind auszusetzen.

52

Die Aussetzung gibt dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung. Verzichtet er auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist, tritt zum 1. April 2014 Nichtigkeit ein. Dann wäre es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, das Landesrecht entsprechend verfassungskonform auszulegen (vgl. etwa für den Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens heilender Satzungen BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60).

III.

53

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt.

(2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück.

(3) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 16. April 2013 – 4 A 1280/12 – wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Dem Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten des Vollstreckungsgläubigers abzuwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag. Sie sind Eigentümer des bebauten Grundstücks gemäß Rubrumsadresse, bestehend aus dem 490 m² großen Flurstück, Gemarkung A-Stadt.

2

Die Anschlussbeitragserhebung durch den Beklagten unterlag hinsichtlich ihrer satzungsmäßigen Rechtsgrundlage in der Vergangenheit folgender Entwicklung:

3

Vom 06. November 1992 datiert als erste entsprechende Satzung die Beitrags- und Gebührensatzung für die Abwasserentsorgung des Wasserversorgungs- und Abwasserzweckverbandes Güstrow-Bützow-Sternberg (nachfolgend: Zweckverband). Am 24. Juni 1993 wurde nachfolgend die weitere Beitrags- und Gebührensatzung für die Abwasserentsorgung ausgefertigt und am 19. August 1993 (Regionalteile der „Schweriner Volkszeitung“) bzw. 22. März 1999 (Amtlicher Anzeiger Nr. 13, Beilage zum Amtsblatt für Mecklenburg-​Vorpommern, S. 241) bekannt gemacht. Zu dieser Satzung folgten zwischen 1993 und 1995 vier Nachtragssatzungen, denen gemein war, dass auf der Flächenseite der Kalkulation Grundstücke von sog. „Altanschließern“ unberücksichtigt geblieben waren.

4

Mit der Beitrags- und Gebührensatzung für die Abwasserentsorgung vom 13. März 1997 (Amtlicher Anzeiger Nr. 13, Beilage zum Amtsblatt für Mecklenburg-​Vorpommern 1999, S. 248) unternahm der Zweckverband erneut den Versuch, eine wirksame Rechtsgrundlage für die Beitrags- und Gebührenerhebung zu schaffen. Im Zeitraum zwischen 1997 und 1999 ergingen hierzu eine Ergänzungs- und zwei Änderungssatzungen. Nachdem das Verwaltungsgericht Schwerin u. a. mit Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 A 2022/99 – die Unwirksamkeit der Satzung vom 13. März 1997 angenommen hatte, weil die in den Regelungen zum Beitragssatz enthaltene Differenzierung zwischen erstmalig angeschlossenen und Grundstücken, die bereits vor Inkrafttreten der Satzung (teilweise) angeschlossen waren, gleichheitswidrig gewesen sei, beschloss die Verbandsversammlung des Zweckverbandes am 15. Februar 2001 die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung (Beitrags- und Gebührensatzung), die am 21. Mai 2001 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger vom 18. Juni 2001 (Amtlicher Anzeiger Nr. 29, Beilage zum Amtsblatt für Mecklenburg-​Vorpommern, S. 671) öffentlich bekannt gemacht wurde und zum 1. Januar 2001 in Kraft trat. Mit Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 03. Juli 2002 – 4 K 35/01 – wurde diese Satzung rechtskräftig für nichtig erklärt (mit Ausnahme der Bestimmungen über die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Entsorgung von Niederschlagswasser und über die Erhebung von Benutzungsgebühren für die Entsorgung von Niederschlagswasser <"Benutzungsgebühr B"> sowie des § 16, hinsichtlich derer der Antrag abgelehnt wurde).

5

Die weitere Beitrags- und Gebührensatzung für die Abwasserentsorgung vom 27. März 2002 (Satzungsbeschluss v. 18.03.2002, Amtlicher Anzeiger Nr. 16, Beilage zum Amtsblatt für Mecklenburg-​Vorpommern, S. 541), zu der in der Folgezeit noch eine Änderungssatzung erging, betrachteten das Verwaltungsgericht Schwerin (Urt. v. 23.08.2012 – 4 A 1149/12 –) bzw. der Beklagte selbst wegen einer Nichtberücksichtigung sog. „Altanschließer“ auf der Flächenseite der Kalkulation ebenfalls als unwirksam.

6

Am 2. Dezember 2004 beschloss die Verbandsversammlung des Zweckverbandes eine neue Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung, die am 3. Dezember 2004 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger vom 27. Dezember 2004 (Nr. 52, S. 1513) öffentlich bekannt gemacht wurde und zum 1. Januar 2005 in Kraft trat. Unter dem 16. November 2005 wurde hierzu die 1. Änderungssatzung beschlossen (am 23. November 2005 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger Nr. 54 vom 12. Dezember 2005, S. 1606, öffentlich bekannt gemacht), mit der im Wesentlichen die Vorschriften über die Beitragserhebung für die öffentliche Niederschlagswasserbeseitigungseinrichtung gestrichen wurden. Mit der am 5. Dezember 2007 beschlossenen 2. Änderungssatzung (am 12. Dezember 2007 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger Nr. 52 vom 27. Dezember 2007, S. 1577, öffentlich bekannt gemacht) wurde im Wesentlichen ein einheitlicher Beitragssatz in Höhe von 12,51 EUR geregelt. Die am 19. November 2009 beschlossene 3. Änderungssatzung (am 1. Dezember 2009 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger Nr. 50 vom 14. Dezember 2009, S. 1243, öffentlich bekannt gemacht) betraf im Wesentlichen die gebührenrechtlichen Vorschriften des § 12.

7

Mit rechtskräftigem Urteil vom 12. Oktober 2011 – 4 K 31/06 – erklärte das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 (BGS 04) in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 23. November 2005, der 2. Änderungssatzung vom 12. Dezember 2007 und der 3. Änderungssatzung vom 1. Dezember 2009 (nur) hinsichtlich der Regelung des § 7 Satz 1 für unwirksam.

8

Am 04. Dezember 2013 beschloss die Verbandsversammlung schließlich die Vierte Satzung zur Änderung der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung (am 09. Dezember 2013 ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger Nr. 51, S. 855, öffentlich bekannt gemacht). Die Änderung betrifft § 7 Satz 1 BGS und im Übrigen gebührenrechtliche Vorschriften.

9

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. Mai 2006 (Bescheidnummer B) zog der Beklagte die Kläger zu einem Anschlussbeitrag für das oben bezeichnete Grundstück in Höhe von 1.532,48 EUR heran.

10

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 06. Juni 2006 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006, zugestellt am 30. August 2006, zurückwies.

11

Am 29. September 2006 haben die Kläger beim Verwaltungsgericht Schwerin (zunächst unter dem Aktenzeichen 4 A 1803/06) Klage erhoben. Die zwischenzeitliche Anordnung des Ruhens des Verfahrens hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. August 2012 aufgehoben. In diesem Zuge hat das Verfahren das Az. 4 A 1280/12 erhalten.

12

Die Kläger haben im Wesentlichen vorgetragen,

13

ihr Grundstück sei bereits vor dem 3. Oktober 1990 an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen. Ein Beitrag für die Herstellung der Abwasseranlagen könne nicht erhoben werden. Der Zweckverband habe das vorhandene und funktionierende Abwassernetz, das von den Bürgern der DDR bezahlt worden sei, übernommen. Ihre Inanspruchnahme verstoße deshalb auch gegen das allgemeine Rückwirkungsverbot. Unklar sei außerdem, für welche Investitionen die Beiträge erhoben werden sollen. Es werde bestritten, dass die Beiträge durch einen entsprechenden Aufwand an Investitionen gerechtfertigt seien, ebenso, dass die Beiträge zutreffend anhand des angefallenen Aufwands berechnet worden seien. Ihre Inanspruchnahme verstoße gegen § 242 Abs. 9 BauGB. Der darin enthaltene Rechtsgedanke, dass für Altanschlüsse keine Erschließungskosten mehr erhoben werden dürften, sei hier entsprechend anzuwenden. Der Anspruch des Beklagten sei verwirkt. Die Kläger seien über gute 15 Jahre nicht in Anspruch genommen worden. Es seien lediglich Beiträge von „Neuanschließern“ erhoben worden. Der Zweckverband habe damit Umstände geschaffen, aufgrund derer die Kläger darauf hätten vertrauen dürfen, nach so langer Zeit nicht noch mit Beiträgen belastet zu werden. Durch die Beitragserhebung würden einzelne Anlieger in unzumutbarer Art und Weise belastet. Als milderes Mittel hätten die Kosten über die jährlich zu erhebenden Gebühren umgelegt werden können.

14

Die Kläger haben beantragt,

15

den Bescheid des Beklagten über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. Mai 2006, Bescheidnummer B…., und seinen Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006 aufzuheben.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er hat auf seine Ausführungen in den Verfahren des Verwaltungsgerichts Schwerin zu den Az. 4 A 1798/02 und 4 A 1799/02 sowie auf den Widerspruchsbescheid verwiesen. Das Grundstück befinde sich im unbeplanten Innenbereich und sei weniger als 45 m tief.

19

Mit dem angefochtenen Urteil vom 16. April 2013 – 4 A 1280/12 – hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen; zugleich hat es die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

20

Der Bescheid vom 19. Mai 2006 sei – ebenso wie der Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006 – rechtmäßig und insbesondere materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die ihm zugrunde liegende Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 in der maßgeblichen Fassung der 2. Satzung zur Änderung der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung des Wasserversorgungs- und Abwasserzweckverbandes Güstrow-Bützow-Sternberg - vom 12. Dezember 2007 (im Folgenden: BGS) sei weder in formeller noch in materieller Hinsicht rechtlich zu beanstanden. Zur Rechtmäßigkeit des beitragsrechtlichen Teils der Satzung werde insoweit zunächst auf die Ausführungen in dem rechtskräftigen Normenkontrollurteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 12. Oktober 2011 – 4 K 31/06 – hingewiesen. Ergänzend sei auszuführen, dass die Entstehung der Beitragspflicht (mit der Anschlussmöglichkeit) in der Satzung zwar für Grundstücke im Außenbereich nach § 35 BauGB vordergründig nicht korrekt beschrieben werde. Im Zusammenspiel mit der entsprechenden Regelung im Beitragsmaßstab (§ 4 Abs. 3 Buchst. h BGS) werde jedoch hinreichend verdeutlicht, dass die bloße Anschlussmöglichkeit eines Grundstücks im Außenbereich gerade noch nicht die sachliche Beitragspflicht entstehen lasse, sondern erst der vorgenommene Anschluss.

21

Die Satzung bestimme auch unmissverständlich, dass bei einem Konflikt zwischen einer beitragssatzungsrechtlichen Tiefenbegrenzung und einer gemeindlichen Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB für die Bestimmung der der Beitragsbemessung zugrunde zu legenden Grundstücksfläche allein die gemeindliche Satzung maßgebend sein soll. Diese Vorrangregelung verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

22

Mit der späteren anschlussbeitragsrechtlichen Nichtberücksichtigung unbebauter und nicht an die Kanalisation angeschlossener Grundstücke sei auch die (damals unverändert gebliebene) Globalkalkulation nicht rechtswidrig geworden. Die Kläger hätten insoweit keine Einwände erhoben. Die Beitragskalkulation gebe, soweit sie von anderen Klägern substantiiert angegriffen worden sei, keinen Anlass zu Beanstandungen. Insoweit werde etwa auf die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern in dessen Urteil vom 12. Oktober 2011 verwiesen. Soweit die Kläger bestreiten würden, dass die Beiträge durch einen entsprechenden Aufwand an Investitionen gerechtfertigt seien, ebenso, dass sie zutreffend anhand des angefallenen Aufwands berechnet worden seien, gehe dies „ins Blaue“. Es sei ferner nicht zu beanstanden, dass der Zweckverband zunächst mehrere (fünf) öffentliche Einrichtungen zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung betrieben habe. Im Übrigen betreibe er zum 1. Januar 2008 nur noch eine öffentliche Einrichtung zur zentralen Entsorgung von Schmutzwasser (Art. 1 Ziff. 1 der 3. Änderungssatzung zur Abwasserentsorgungssatzung und Art. 1 Ziff. 1 der 2. Änderungssatzung der Beitrags- und Gebührensatzung, jeweils vom 12. Dezember 2007). Die Ermittlung der örtlichen Verhältnisse zur (hier) schlichten Tiefenbegrenzung sei ordnungsgemäß erfolgt. Ob die Fortschreibung der Globalkalkulation nach Ablauf ihres (bisherigen) Kalkulationszeitraums nach dem Jahre 2010 erforderlich sei, spiele für das vorliegende Verfahren keine Rolle, da die hier zugrunde liegende Globalkalkulation, auf der der vorliegende Beitragsbescheid beruhe, rechtlich nicht zu beanstanden sei.

23

Soweit die Kläger die sog. „Altanschließer-Rechtsprechung“ des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern kritisierten, der sich das Verwaltungsgericht bereits in zahlreichen Entscheidungen angeschlossen habe, könne dem nicht gefolgt werden. Da der Zweckverband nach der Wende neue öffentliche Einrichtungen zur Schmutzwasserentsorgung geschaffen habe, müsse ein Herstellungsbeitrag erhoben werden, und zwar sowohl von den sog. „Altanschließern“ mit faktischem Kanalnetzanschluss schon zu DDR- oder noch weiter zurückliegenden Zeiten als auch von den Eigentümern „neu“ an das Kanalnetz angeschlossener/anschließbarer Grundstücke. Denn allen angeschlossenen bzw. an die öffentliche Einrichtung anschließbaren Grundstücken werde erstmals der gleiche rechtlich dauerhaft abgesicherte Vorteil verschafft. In der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern sei ebenfalls geklärt, dass der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung sich nur auf die nach der Wende gegründeten Abgaben erhebenden Körperschaften beziehe. Selbst wenn die Kläger bzw. ihre Rechtsvorgänger im Hinblick auf das streitbefangene Grundstück während der Existenz der DDR für den Anschluss des Grundstücks Gebühren o. Ä. – ein Nachweis dafür sei nicht vorgelegt worden – gezahlt haben sollten, könne es nach der Wende zu einem Herstellungsbeitrag nach dem Kommunalabgabengesetz herangezogen werden.

24

Den Ausführungen der Kläger zu § 242 Abs. 9 BauGB bzw. einer analogen Anwendung dieser Vorschrift sei ebenfalls nicht zu folgen. Vorliegend werde kein Erschließungsbeitrag für Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB erhoben, sondern ein Anschlussbeitrag nach § 9 KAG M-V. Kommunalabgabenrechtliche Anschlussbeiträge aufgrund der Herstellung einer öffentlichen Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung unterfielen nicht der Vorschrift des § 242 Abs. 9 BauGB.

25

Dem angegriffenen Bescheid selbst hafte ebenfalls kein materieller Fehler an. Der Beitrag sei insbesondere nicht in seiner Festsetzung verjährt. Die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht setze sowohl nach dem neuen als auch nach dem alten Kommunalabgabengesetz (§ 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bzw. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F.) eine wirksame Beitragssatzung voraus. Erst mit ihrer Existenz beginne die vierjährige Festsetzungsfrist zu laufen (§ 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. §§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 170 Abs. 1 AO). Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, wonach die Festsetzungsfrist für die Erhebung eines Anschlussbeitrages erst mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung beginne. Diese Rechtsprechung habe der Landesgesetzgeber in der Neuregelung des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V ausdrücklich bestätigt. Die zum 1. Januar 2005 in Kraft getretene Satzung vom 03. Dezember 2004 über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung sei die erste wirksame Satzung des Zweckverbandes. Die Satzung vom 27. März 2002 sei wegen Nichtbeachtung der sog. „Altanschließer“ auf der Flächenseite der Kalkulation ebenso unwirksam gewesen wie die Satzung vom 23. Mai 2001. Anhaltspunkte für eine Verwirkung des streitigen Anschlussbeitrags lägen nicht vor.

26

Die der Satzung zugrundeliegenden Normen, insbesondere § 9 Abs. 3 KAG M-V, verstießen auch nicht gegen höherrangiges Recht, auch nicht vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –. Zunächst handele es sich bei der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b) cc) Spiegelstrich 2 Bayerisches Kommunalabgabengesetz um eine Verjährungsregelung, die in gleicher oder ähnlicher Weise im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht existent sei. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass nach dem bayerischen Landesrecht beitragspflichtig derjenige ist, der im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist oder war. Es komme hingegen nach der dortigen Regelung nicht darauf an, ob er im Zeitpunkt des Erlasses des Anschlussbeitragsbescheides noch Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist. Eine vergleichbare Verjährungsregelung gebe es im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht. § 12 Abs. 2 KAG M-V i.V.m. § 169 AO setze die Verjährungsfrist für alle Fälle auf vier Jahre ab dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht fest. Ein beliebiges Auseinanderklaffen von Entstehung der Beitragspflicht und Eintritt der Verjährung sei damit ausgeschlossen.

27

Auch die Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V unterliege keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Mit dieser Vorschrift habe der Gesetzgeber in der Gesetzesnovelle von 2005 entsprechend der seit 1999 ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern zu der Vorläuferregelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 klargestellt bzw. präzisiert, dass Beiträge nur erhoben werden können, wenn sie auf eine rechtswirksame Satzung verweisen können. Auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werde seitens des Verwaltungsgerichts an dieser Rechtsprechung festgehalten. Die Regelung widerspreche nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtssicherheit. Die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern und die Regelungen im Bayerischen Kommunalabgabengesetz unterschieden sich insofern, da das Entstehen der sachlichen und persönlichen Beitragspflicht nach Artikel 5 Abs. 6 BayKAG zusammenfalle. Nach dem Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern sei nach § 7 Abs. 2 KAG M-V hingegen beitragspflichtig immer derjenige, der im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides die persönlichen Kriterien der Beitragspflicht als Grundstückseigentümer oder sonstiger Pflichtiger erfüllt. Eine „Verflüchtigung“ des Vorteils wie im bayerischen Landesrecht, das unter Umständen – wie im Fall des Bundesverfassungsgerichts – an eine längst vergangene Eigentümerstellung anknüpfe, sei deshalb nicht möglich. Eine dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtssicherheit zuwiderlaufende Regelung sei in § 9 Abs. 3 KAG M-V auch insoweit nicht zu erkennen, als dort nicht das Erfordernis der rückwirkenden Inkraftsetzung der Beitragssatzung oder aber eine starre äußerste zeitliche Grenze für das zulässige Entstehen der sachlichen Beitragspflicht durch Erlass einer wirksamen Beitragssatzung geregelt sei. Eine derartige Regelung gebiete das Verfassungsrecht nicht. Dabei sei zunächst darauf hinzuweisen, dass das bundesrechtlich geprägte (Straßen-) Erschließungsbeitragsrecht ebenfalls das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ggf. vom nachträglichen Erlass einer Erschließungsbeitragssatzung abhängig mache, ohne dass dort eine zeitliche Höchstgrenze festgelegt wäre. Diese durch das Richterrecht des Bundesverwaltungsgerichts geprägte Rechtslage sei bislang verfassungsrechtlich nicht beanstandet worden. Schließlich sei im Hinblick auf eine „Verflüchtigung“ des Vorteils für das Anschlussbeitragsrecht nach Maßgabe des Landesrechts in Mecklenburg-Vorpommern zu berücksichtigen, dass der Anschlussvorteil ein weitaus länger währender sei als beispielsweise der Anliegervorteil aus einer Straßenbaumaßnahme. Die Konzeption und Realisierung einer Trinkwasserversorgungs- bzw. Abwasserbeseitigungsanlage sei weitaus aufwändiger als z. B. die Erneuerung einer Straße. Unter diesen Rahmenbedingungen könne eine zeitliche Höchstgrenze in Ansehung der konkreten Planungs- und Realisierungserfordernisse nicht gezogen werden, ohne auf der anderen Seite den ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Bereich der gemeindlichen Selbstverwaltung zu verletzen. Eine „Verflüchtigung“ komme erst ab dem Zeitpunkt in Betracht, ab dem die Vorteile, die die Anlage bietet, den Eigentümern vollständig zugeflossen sind. Bezug zu nehmen sei dabei auf die konkrete Anlage, für die die Vorteile abgeschöpft werden. Unerheblich sei es hingegen, ob es unter früheren Rechtsregimen ähnliche Entsorgungsmöglichkeiten gegeben habe. Eine andere verfassungsrechtliche Betrachtung möge sich im Einzelfall ergeben, wenn lange Zeit – d.h. mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte – nach Abschluss des in gemeindlicher Selbstverwaltung geplanten Ausbauzustandes bzw. der Investitionsmaßnahme immer noch keine wirksame Satzung als Voraussetzung der Beitragserhebung gegeben sei. Eine starre Bestimmung dieser zeitlichen Höchstgrenze sei für das Anschlussbeitragsrecht aber verfassungsrechtlich nicht geboten.

28

Das Urteil ist den Klägern am 21. Juni 2013 zugestellt worden.

29

Am 17. Juli 2013 haben die Kläger gegen das Urteil Berufung eingelegt und am 13. August 2013 beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat zu verlängern. Nach antragsgemäßer Fristverlängerung bis zum 23. September 2013 haben sie am 18. September 2013 nochmals beantragt, die Frist bis zum 15. Oktober 2013 zu verlängern. Nach entsprechender Verlängerung haben die Kläger mit am 11. Oktober 2013 eingegangenem Schriftsatz ihre Berufung dann begründet.

30

Die Kläger tragen im Wesentlichen vor,

31

das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen. Der angefochtene Bescheid sowie der Widerspruchsbescheid seien rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten. Eine mit dem angefochtenen Bescheid abgerechnete Neuherstellung der Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung liege nicht vor. Das Grundstück der Kläger sei bereits vor dem 03. Oktober 1990 im damaligen Beitrittsgebiet an eine bestehende Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung angeschlossen gewesen. Folglich sollten sie als Grundstückseigentümer im vorliegenden Fall zweimal für eine Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung bezahlen. Das Verwaltungsgericht hätte erkennen müssen, dass die Erhebung des Beitrages zu einer unzulässigen Doppelbelastung der Eigentümer führe, da der Beklagte ein bestehendes Kanalnetz übernommen habe, welches bereits zu DDR-Zeiten über die Bevölkerung finanziert worden sei. Sie seien als Grundstückseigentümer mit ihrem Grundstück bereits zu DDR-Zeiten an die Schmutzwasserbeseitigung angeschlossen gewesen. Sie hätten nicht damit rechnen müssen, ein zweites Mal für die bereits vorhandene Anlage zahlen zu müssen. Sie hätten vielmehr darauf vertrauen dürfen, für die Herstellungskosten nicht mehr herangezogen zu werden, und sich auch auf die Einreden der Verjährung und der Verwirkung berufen.

32

Die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung gebe überdies selbst auch keine Grundlage für die Festsetzung eines Herstellungsbeitrages gegenüber den Klägern. In § 3 der Satzung sei geregelt, dass die Beitragspflicht entstehe, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden könne. Das Grundstück der Kläger sei zu DDR-Zeiten an die öffentliche Einrichtung angeschlossen gewesen, nach dieser Regelung könne daher eine Beitragspflicht nicht entstehen. Soweit § 3 regele, dass für Grundstücke, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung bereits angeschlossen seien, eine Beitragspflicht mit dem Inkrafttreten dieser Satzung entstehe, lasse sich diese Regelung allein dahingehend auslegen, dass auch hiervon nur Grundstücke betroffen seien, die zum 03. Oktober 1990 noch nicht an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen seien. Eine anderweitige Auslegung würde gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen. Die Satzung stehe nicht im Einklang mit der Regelung in § 242 Abs. 9 BauGB. Die Kläger bestreiten, dass die Beiträge durch eine entsprechende Aufwandsinvestition gerechtfertigt seien. Ebenso werde bestritten, dass die Beiträge zutreffend anhand des angefallenen Aufwands berechnet worden seien. Das Verwaltungsgericht hätte diesem Bestreiten der Kläger nachgehen müssen. Die Berechnung des Beklagten könne von außenstehenden Laien kaum nachvollzogen werden. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verkenne zudem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05. März 2013 – 1 BVR 2057/08 –. Hier sei ausgeführt worden, dass sogenannte Altanschließer geschützt werden müssten und nicht unbegrenzt die Möglichkeit bestehe, weitere Abgaben zu erheben. Das Bundesverfassungsgericht verlange, dass soweit Beitragspflichten zum Vorteilsausgleich an zurückliegende Tatbestände anknüpften, diese Inanspruchnahme zeitlich begrenzt sein müsse. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete demnach, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Im vorliegenden Fall hätten die Kläger bereits vor dem 03. Oktober 1990 für die Schmutzwasserbeseitigung gezahlt. Sie hätten daher nicht damit rechnen müssen, dass sie im Jahr 2006 plötzlich zu Beiträgen herangezogen würden. Die Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern verstießen gegen höherrangiges Recht, insbesondere die Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V. Da letztere keine zeitliche Begrenzung für sogenannte Altfälle vorsehe, seien sie und damit auch entsprechende Satzungen rechtswidrig. Auch dem Argument des Verwaltungsgerichts, wonach sich die hiesigen Regelungen und die des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes dadurch unterscheiden würden, dass das Entstehen der sachlichen und persönlichen Beitragspflichten nach Artikel 5 Abs. 6 Bayerisches KAG zusammenfallen würden und nach dem Landesrecht von Mecklenburg-Vorpommern nach § 7 Abs. 2 KAG M-V hingegen beitragspflichtig immer derjenige sei, der im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides die persönlichen Kriterien der Beitragspflicht erfülle, könne insoweit nicht gefolgt werden. Die Regelungen in Mecklenburg-Vorpommern ermöglichten, dass quasi ohne zeitliche Begrenzung für Altfälle noch Beiträge erhoben werden könnten. § 9 Abs. 3 KAG M-V sei eine dem Anspruch auf Rechtssicherheit zuwiderlaufende Regelung, als dort keine starre äußerste zeitliche Grenze für das Entstehen der Beitragspflicht geregelt sei.

33

Die Kläger beantragen,

34

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Schwerin Az: 4 A 1280/12 vom 16.04.2013 den Bescheid des Beklagten über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19.05.2006 (Bescheid-Nr. B…) und seinen Widerspruchsbescheid vom 28.08.2006 aufzuheben.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Berufung zurückzuweisen.

37

Der Beklagte trägt vor,

38

die Beitragserhebung sei gegenüber den Klägern auch mit Rücksicht auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – rechtlich zulässig. Die rechtliche Struktur der Bestimmungen des § 9 Abs. 3 KAG M-V sowie des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b cc) Spiegelstrich 2 BayKAG sei erkennbar verschieden. In Bayern habe ein ursprünglicher Grundstückseigentümer noch jahrzehntelang zu einem Beitrag herangezogen werden können, auch wenn er etwa das Grundstück bereits verkauft gehabt und sich so der Vorteil in der Tat „verflüchtigt“ habe. In Mecklenburg-Vorpommern hingegen werde stets der aktuelle Grundstückseigentümer herangezogen, der den Vorteil des erschlossenen Grundstücks gerade noch innehabe. In rechtlicher Hinsicht sei die Situation in Mecklenburg-Vorpommern vergleichbar mit derjenigen sogenannter „verhaltener Ansprüche“, etwa Arzt- oder Architekten-Honorarforderungen, die auch erst entstehen bzw. fällig würden, wenn eine entsprechende Rechnung gestellt werde. So wie dort genüge auch im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern das Rechtsinstitut der Verwirkung, um unbillige oder rechtsstaatlich unter dem Blickpunkt der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zu rechtfertigende Einzelfälle zu korrigieren. Ergänzend komme die vom Bundesverfassungsgericht nicht gesehene Regelung des § 162 BGB analog hinzu, wonach ein Bedingungseintritt nicht treuwidrig verzögert werden dürfe. Dieser Rechtsgrundsatz relativiere die Bedenken, die das Bundesverfassungsgericht gegen das Argument, das Rechtsinstitut der Verwirkung sei ausreichend, vorgebracht habe. Auch die Regelungen zur sachlichen und persönlichen Billigkeit dürften ergänzend eine Rolle spielen. Denn diese unbestimmten Rechtsbegriffe ließen eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend zu, dass erhobene Beiträge nach „Verflüchtigung“ des Vorteils nicht mehr beigetrieben werden könnten, da dies sachlich unbillig wäre.

39

Ergänzend sei von Bedeutung, dass sich der Vorteil durch das Erschlossensein durch eine leitungsgebundene Einrichtung nicht so schnell „verflüchtige“, wie das Bundesverfassungsgericht unterstelle. Die öffentliche Einrichtung mit ihren technischen Anlagen solle quasi „ewig“ vorgehalten werden. Die technischen Anlagen hätten typischerweise auch Nutzungsdauern von mehreren Jahrzehnten, die zudem durch Instandsetzungen und Erneuerungen noch verlängert würden. § 9 Abs. 3 KAG M-V wäre jedenfalls etwa dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass die sachliche Beitragspflicht unabhängig von einer wirksamen Satzung entstehe, wenn die öffentliche Einrichtung endgültig hergestellt worden sei, also mit Umsetzung des jeweiligen Abwasserbeseitigungskonzeptes eines Abwasserentsorgers in Bezug auf technische Anlagen, die zu den jeweiligen öffentlichen Einrichtungen gehörten. Auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg habe mit Urteil vom 14. November 2013 – 9 B 34.12 – die mit § 9 Abs. 3 KAG M-V vergleichbare Regelung im KAG Brandenburg verfassungskonform interpretiert. Es habe den vom Bundesverfassungsgericht betonten weiten Gestaltungsspielraum herangezogen und es für ausreichend erachtet, dass § 12 Abs. 3a KAG Brandenburg grundsätzlich für Altanschließer normiert habe, dass die Festsetzungsfrist frühestens am 31. Dezember 2011 ende. Es habe dabei zutreffend auf die Besonderheiten im Gebiet der ehemaligen DDR beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung abgestellt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Urteil vom 14. November 2013 – 6 B 12.704 – verfassungskonform zu Erschließungsbeiträgen entschieden, dass diese ohne Rücksicht auf das Entstehen der Beitragsschuld und unbeschadet der Verjährungsregelungen analog der 30-jährigen Verjährungsregel des dortigen Art. 53 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG verjährten.

40

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, auf die Gerichtsakten in den Parallelverfahren Az. 1 L 139/13 und 1 L 140/13 und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Gerichtsakten bzw. Beiakten zu Gerichtsakten, die sämtlich jeweils zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, ferner auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

41

Die zulässige Berufung der Kläger hat keinen Erfolg.

42

Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen, weil sie unbegründet ist; der Bescheid des Beklagten über den Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung vom 19. Mai 2006 (Bescheid-Nr. B…) und sein Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

43

Der Beitragsbescheid beruht auf einer wirksamen Rechtsgrundlage (A.); auch die Rechtsanwendung des Beklagten ist nicht zu beanstanden (B.).

44

A. Gemäß § 1 Abs. 2 Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-​Vorpommern (KAG M-​V) können Zweckverbände in Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben des eigenen Wirkungskreises Abgaben mit Ausnahme von Steuern erheben. Abgaben dürfen nur aufgrund einer Satzung erhoben werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-​V). Die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Satzung des Wasserversorgungs- und Abwasserzweckverbandes Güstrow-Bützow-Sternberg (nachfolgend: Zweckverband) über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 in der während des laufenden gerichtlichen Verfahrens maßgeblich gewordenen Fassung der Vierten Satzung zur Änderung der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 09. Dezember 2013 (im Folgenden: BGS) ist rechtlich nicht zu beanstanden.

45

Die Rüge der Kläger, die Satzung stehe nicht im Einklang mit der Regelung des § 242 Abs. 9 BauGB, dringt nicht durch. Der Senat hat bereits entschieden, dass diese Bestimmung im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich sein kann, weil sie ausschließlich die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung vor allem von Straßen regelt, um die es aber hier nicht geht (vgl. – auch zum Folgenden – Beschl. v. 06.02.2007 – 1 L 295/05 –, NordÖR 2007, 433; Urt. v. 13.12.2011 – 1 L 192/08 –, juris). Auch die von den Klägern begehrte analoge Anwendung dieser Bestimmung kommt nicht in Betracht; ebenso wenig war der Landesgesetzgeber verpflichtet, für die Erhebung von Kanalanschlussbeiträgen eine entsprechende Regelung zu treffen. Das Vorbringen der Kläger lässt die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Erschließungsbeiträgen nach den §§ 127 ff. BauGB und den Kanalanschlussbeiträgen außer Acht. Erschließungsanlagen nach § 127 Abs. 2 BauGB (zumeist öffentliche Straßen und Plätze) sind einzelne technische Einrichtungen mit bis zu ihrer endgültigen Herstellung von der Errichtung weiterer technischer Anlagen unabhängiger überschaubarer Bauzeit, die naturgemäß in dem Zeitraum vor der Wende ihren Abschluss finden konnten. In diesem Falle sollen die Anliegergrundstücke nicht mit hohen Erschließungsbeiträgen, sondern wegen des dann höheren Gemeindeanteils nur mit niedrigeren Straßenbaubeiträgen belastet und insoweit privilegiert werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.07.2007 – 9 C 5.06 –, juris, Rn. 27). Eine völlige Freistellung von Beiträgen ist demzufolge nicht geregelt. Bei der Abwasserbeseitigungseinrichtung handelt es sich um eine aus verschiedenen einzelnen technischen Bestandteilen (Leitungsnetz, Klärwerke, etc.) bestehende Gesamtanlage im rechtlichen Sinne, deren (erstmalige) Herstellung sich über Jahrzehnte erstrecken kann und deren Fertigstellungszeitpunkt als kommunale Anlage im Sinne des neuen Rechts nicht vor dem Zeitpunkt des Beitrittes liegen konnte (vgl. dazu näher nachfolgend unter B II 3 a). Infolgedessen waren Abwasserbeseitigungseinrichtungen vor dem Zeitpunkt des Beitritts noch nicht „bereits hergestellt“. Selbst wenn man das im Einzelfall aber annehmen wollte, müssten nach dem § 242 Abs. 9 BauGB zugrundeliegenden Gedanken (keine gänzliche Freistellung von Beiträgen) auch nunmehr Erneuerungsbeiträge für die umfangreichen Anlagenmodernisierungen erhoben werden. Weil jedoch ohnehin nur „Nachwendeinvestitionen“ als dem Betreiber der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage entstandener Aufwand umgelegt werden dürfen, wäre der danach zu erhebende Beitrag auch nicht geringer als der Beitrag für die Herstellung der Anlage. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht vor diesem Hintergrund angenommen, eine analoge Anwendung von § 242 Abs. 9 BauGB scheide bereits mangels planwidriger Lücke aus. Die Kläger haben gegen dessen an die Senatsrechtsprechung anknüpfenden Erwägungen im Berufungsverfahren keine substantiellen Einwände erhoben.

46

Die von den Klägern betreffend den vom Zweckverband getätigten Aufwand bzw. die Beitragskalkulation erhobenen Einwendungen gehen „ins Blaue“. Auch wenn die Kläger insoweit Laien sein mögen, konnten sie jedenfalls mit Hilfe ihrer Prozessbevollmächtigten die entsprechenden Unterlagen des Zweckverbandes sichten und hätten dann ggf. substantielle Rügen erheben können (vgl. auch OVG Greifswald, Urt. v. 12.10.2011 – 4 K 31/06 –, juris). Im Übrigen sind nach Maßgabe des vorstehend zitierten Urteils bei einer Sichtung der Kalkulation durch den 4. Senat keine Kalkulationsmängel offen zu Tage getreten; diesen Erwägungen schließt sich der erkennende Senat an.

47

Weitere Rügen unmittelbar gegen die Wirksamkeit der der Beitragserhebung zugrunde liegenden Satzung sind von den Klägern im Berufungsverfahren nicht erhoben worden; im Übrigen verweist der Senat in dieser Frage auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts (§ 130b Satz 2 VwGO).

48

B. Die Kläger sind unter Zugrundelegung der Beitragssatzung (I.) und auch im Übrigen II.) rechtmäßig zur Beitragszahlung herangezogen worden.

49

I. Entgegen dem Berufungsvorbringen unterliegen sie zunächst der Beitragspflicht nach Maßgabe von § 3 BGS.

50

Die Beitragspflicht entsteht gemäß § 3 Satz 1 BGS, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden kann. Für Grundstücke, die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieser Satzung bereits angeschlossen sind, entsteht die Beitragspflicht mit dem In-Kraft-Treten dieser Satzung (Satz 2).

51

Die Kläger machen in Ansehung dieser Bestimmung zu Unrecht geltend, sie gebe ihnen gegenüber keine Grundlage für die Festsetzung eines Herstellungsbeitrages. In § 3 der Satzung sei geregelt, dass die Beitragspflicht entstehe, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden könne. Das Grundstück der Kläger sei zu DDR-Zeiten an die öffentliche Einrichtung angeschlossen gewesen, nach dieser Regelung könne daher eine Beitragspflicht auch entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht entstehen. Soweit sich die Beitragssatzung in § 3 ferner darauf berufe, dass für Grundstücke, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Satzung bereits angeschlossen seien, eine Beitragspflicht mit dem Inkrafttreten dieser Satzung entstehe, lasse sich diese Regelung allein dahingehend auslegen, dass auch hiervon nur Grundstücke betroffen seien, die zum 03. Oktober 1990 noch nicht an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen wären.

52

Auch diesem Vortrag der Kläger vermag der Senat nicht zu folgen. Nach der ständigen Rechtsprechung des 1. und – früheren – 4. Senats betreffend die sog. Altanschließerproblematik (vgl. etwa Urt. v. 13.12.2011 – 1 L 192/08 –, juris), auf die sich das Verwaltungsgericht ausdrücklich stützt, kann und darf eine kommunale Anschlussbeitragssatzung nicht die schon in der Vergangenheit, insbesondere zur Zeit der DDR tatsächlich an eine Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung angeschlossenen Grundstücke von der Beitragspflicht ausnehmen und nur neu an die Anlage angeschlossene Grundstücke zu Beiträgen heranziehen. Dies wäre willkürlich. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Im Übrigen ist der Regelung des § 3 Satz 1 BGS offensichtlich immanent, dass sie eine Anschlussmöglichkeit unter ihrer Geltung zum Gegenstand hat: Ohne wirksame satzungsrechtliche Regelung zur Entstehung der Beitragspflicht könnte die Beitragspflicht gerade nicht entstehen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V); Bedingung der Entstehung der Beitragspflicht ist folglich die Existenz einer wirksamen Satzung. Nur dieses Normverständnis harmoniert mit § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bzw. der vorher schon existierenden Rechtslage. Mangels Geltung der Satzung zu DDR-Zeiten konnte folglich auch nicht früher schon die sachliche Beitragspflicht entstanden sein; ebenso verbietet sich von Verfassungs wegen ein Normverständnis dahingehend, dass ab Inkrafttreten der Satzung nur zukünftig anschließbare Grundstücke der Beitragspflicht („Neuanschließer“) unterliegen sollen. Insoweit ist die Satzung auch in Ansehung des Wortlauts des § 3 Satz 1 BGS wirksame Rechtsgrundlage zur Heranziehung der sog. Altanschließer; eine gegenteilige Auslegung der Norm ist ausgeschlossen, da dies ihre Unwirksamkeit nach sich zöge (vgl. Senatsurteil v. 10.10.2012 – 1 L 27/09 –). Dies stellt zudem jedenfalls – nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen in der rechtlichen gebotenen Weise – § 3 Satz 2 BGS klar.

53

II. 1. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass vorliegend keine Festsetzungsverjährung eingetreten und der mit dem Beitragsbescheid vom 19. Mai 2006 geltend gemachte Beitragsanspruch des Beklagten folglich nicht wegen Festsetzungsverjährung gemäß § 47 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 und 2 KAG M-​V erloschen ist.

54

Nach Maßgabe von § 47 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-​V erlöschen Beitragsansprüche insbesondere durch Verjährung. Eine Beitragsfestsetzung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist, § 169 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-​V.

55

Abweichend von § 169 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und Steuern gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V vier Jahre; bei der Erhebung eines Anschlussbeitrages nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V endet die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008.

56

Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V). Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Satzung; § 3 BGS stimmt hiermit – wie ausgeführt – überein. Erste wirksame Satzung des Zweckverbandes ist die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung, die am 3. Dezember 2004 vom Verbandsvorsteher ausgefertigt, im Amtlichen Anzeiger vom 27. Dezember 2004 öffentlich bekannt gemacht wurde und zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist; sie liegt inzwischen in der Fassung der 4. Änderungssatzung vor. Im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Beitragsbescheides am 19. Mai 2006 waren offensichtlich noch keine vier Jahre verstrichen und folglich war Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten; auf § 12 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz KAG M-V kommt es insoweit nicht an.

57

2. Der Beklagte hat den Beitragsanspruch auch nicht verwirkt. Nach Maßgabe der Senatsrechtsprechung bedeutet Verwirkung als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung) (vgl. zum Ganzen OVG Greifswald, Beschl. v. 16.09.2013 – 1 L 207/11 –; Urt. v. 02.11.2005 – 1 L 105/05 –, juris; Beschl. v. 05.11.2001 – 3 M 93/01 –, NordÖR 2001, 480 = NVwZ-​RR 2003, 15 – zitiert nach juris; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 12.01.2004 – 3 B 101.03 –, NVwZ-​RR 2004, 314; BVerwG, Urt. v. 16.05.1991 – 4 C 4.89 –, NVwZ 1991, 1182 ff.; OVG Münster, Beschl. v. 07.08.1998 – 11 B 1555/98 –, NVwZ-​RR 1999, 540; OVG Lüneburg, Urt. v. 27.11.1991 – 1 L 117/91 –).

58

Nach diesem Maßstab kommt die Annahme einer Verwirkung des Beitragsanspruchs durch den Beklagten nicht in Betracht. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Kläger aufgrund eines Verhaltens des Beklagten darauf hätten vertrauen dürfen, dass dieser den streitigen Beitragsanspruch nicht mehr geltend machen werde. Dabei ist zu beachten, dass das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern bereits mit Beschluss vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 – (juris) die Gleichheitswidrigkeit einer Nichtheranziehung von Altanschließern festgestellt und anschließend in ständiger Rechtsprechung diesen Rechtsstandpunkt immer wieder bekräftigt hat (vgl. z.B. OVG Greifswald, Urt. v. 13.11.2001 – 4 K 16/00 –, KStZ 2002, 132 = NVwZ-​RR 2002, 687 = NordÖR 2002, 138 = DVBl. 2002, 644 = DÖV 2002, 626 = Überblick 2002, 83; Urt. v. 02.06.2004 – 4 K 38/02 –, DVBl. 2005, 64 = LKV 2005, 75 = BauR 2005, 147; Beschl. v. 12.05.2005 – 1 L 477/04 –; Beschl. v. 11.08.2004 – 1 M 181/04 –; Beschl. v. 18.10.2005 – 1 L 197/05 –, NordÖR 2006, 160; Urt. v. 13.12.2011 – 1 L 192/08 –, juris; Urt. v. 10.10.2012 – 1 L 27/09 –, juris). Folglich mussten sich auch sog. Altanschließer auf ihre Heranziehung zu einem Zeitpunkt einstellen (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 16.09.2013 – 1 L 207/11 –), in dem zudem auch das Zeitmoment noch nicht gegeben war. Damit fehlt es bereits an der erforderlichen Vertrauensgrundlage. Unabhängig von der Frage, ob die Kläger tatsächlich darauf vertraut haben, der Beitragsanspruch werde ihnen gegenüber nicht mehr verfolgt, ist zudem jedenfalls für eine beachtliche Vertrauensbetätigung ihrerseits nichts ersichtlich.

59

3. Schließlich hat sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge auch nicht nach Maßgabe der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, juris; vgl. auch Beschl. v. 03.09.2013 – 1 BvR 1282/13 -, juris; Beschl. v. 11.10.2013 – 1 BvR 2616/13 –) „verflüchtig“ oder erweist sich insbesondere die landesrechtliche Bestimmung des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V als verfassungswidrig.

60

Die Kläger machen anknüpfend an diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen geltend, sie seien mit ihrem Grundstück bereits seit DDR-Zeiten bzw. jedenfalls seit der Wende an die öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen gewesen. Ohne das in § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V geregelte Erfordernis einer wirksamen Satzung hätte die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V jeweils mit der Folge früher anlaufen müssen, dass zwischenzeitlich vor Erlass des streitgegenständlichen Beitragsbescheides Festsetzungsverjährung eingetreten wäre. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bewirke rechtsstaatwidrig, dass eine Beitragserhebung zeitlich unbegrenzt nach Eintritt der Vorteilslage möglich sei. Die Kläger hätten im Zeitpunkt der Beitragserhebung nicht mehr mit einer solchen rechnen müssen. Ihr entsprechendes Vertrauen sei schutzwürdig.

61

Mit diesem Vortrag vermögen die Kläger nicht durchzudringen.

62

Die der Beitragserhebung zugrundeliegenden Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes M-​V sind wirksam. Sie verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht. Das Anschlussbeitragsrecht in Mecklenburg-​Vorpommern hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen stand. Die streitgegenständliche Beitragserhebung und auch die Bestimmung des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V verstoßen nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit. Das Regelungssystem des Kommunalabgabengesetzes M-V bringt jedenfalls im Rahmen des weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums insoweit die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und des Einzelnen an Rechtssicherheit zu einem angemessenen Ausgleich.

63

a) Der Senat hat bereits in mehreren Berufungszulassungsverfahren entschieden und hält an dieser Auffassung auch im vorliegenden Berufungsverfahren fest, dass die Feststellung einer sog. „Altanschließersituation“ isoliert betrachtet keine „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung nach sich ziehen kann.

64

Mit Blick auf den Zeitpunkt der Entstehung des beitragsrechtlichen Vorteils wurde nach ständiger Senatsrechtsprechung auch allen Eigentümern von tatsächlich bereits angeschlossenen Grundstücken („Altanschließer“) mit den jeweiligen öffentlichen Entsorgungseinrichtungen von den kommunalen Einrichtungsträgern wie dem Zweckverband erstmalig und frühestens unter dem grundlegend neuen Rechtsregime nach der Wiedervereinigung der rechtlich gesicherte Vorteil geboten, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können (gilt entsprechend für die Versorgung mit Trinkwasser durch einen Trinkwasseranschluss). In die Beitragskalkulation zur Abgeltung dieses Vorteils fließen zudem nur sog. „Nachwendeinvestitionen“ ein, so dass auch keine Rede davon sein kann, die Eigentümer bereits zuvor tatsächlich angeschlossener Grundstücke, die ggf. in der Vergangenheit in irgendeiner Form Zahlungen für diesen früheren Anschluss geleistet haben, würden „doppelt“ zu denselben Kosten herangezogen. Entscheidend ist auf diese rechtliche Absicherung des Vorteils abzustellen, die erstmals und frühestens nach Inkrafttreten insbesondere des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern – bzw. zeitlich danach mit Erlass einer wirksamen Beitragssatzung – eintreten kann. Kein taugliches Kriterium zur Differenzierung des Vorteils sind die tatsächlichen Verhältnisse, d. h. ob rein faktisch zuvor das Abwasser in der einen oder anderen Weise hat abgeleitet werden können. Daher kommt es z. B. nicht entscheidungserheblich darauf an, ob zu DDR-​Zeiten Schmutzwasserkanäle – von wem auch immer – erstellt worden sind. Ebenfalls nicht entscheidungserheblich ist, ob die betreffenden Grundstückseigentümer über eine wie auch immer geartete private Kläranlage oder Sammelgrube verfügt haben (vgl. zum Ganzen bereits OVG Greifswald, Urt. v. 13.11.2001 – 4 K 16/00 –, NVwZ-​RR 2002, 687 – zitiert nach juris).

65

Demnach war die Vorteilslage gerade nicht schon zu DDR-Zeiten eingetreten und ist das an die Situation der Kläger als „Altanschließer“ schon in dieser Zeit anknüpfende Berufungsvorbringen für sich gesehen folglich nicht geeignet, die Entscheidungserheblichkeit der in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkret aufzuzeigen. Mit Blick darauf, dass nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts der rechtlich gesicherte Vorteil der Möglichkeit, Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können, erst mit dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern frühestmöglich entstehen konnte, hat der Senat in diesem Sinne bereits darauf hingewiesen, dass es in Ansehung der sog. Altanschließerproblematik bzw. in ausschließlicher Betrachtung des Zeitraumes zwischen einem tatsächlichen Anschluss zu DDR-Zeiten und diesem Inkrafttreten nicht entscheidungserheblich auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 05. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – und den darin entwickelten Gesichtspunkt der „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Erhebung von Beiträgen ankommen kann, weil sich der so rechtlich bzw. unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung so von Verfassungs wegen (vgl. zur Gleichheitswidrigkeit einer Nichtheranziehung von „Altanschließern“ z.B. OVG Greifswald, Urt. v. 13.11.2001 – 4 K 16/00 –, KStZ 2002, 132 = NVwZ-​RR 2002, 687 = NordÖR 2002, 138 = DVBl. 2002, 644 = DÖV 2002, 626 = Überblick 2002, 83; Urt. v. 02.06.2004 – 4 K 38/02 –, DVBl. 2005, 64 = LKV 2005, 75 = BauR 2005, 147; Beschl. v. 12.05.2005 – 1 L 477/04 –; Beschl. v. 11.08.2004 – 1 M 181/04 –; Beschl. v. 18.10.2005 – 1 L 197/05 –, NordÖR 2006, 160; Urt. v. 13.12.2011 – 1 L 192/08 –, juris; Urt. v. 10.10.2012 – 1 L 27/09 –, juris) zu definierende Vorteil nicht bereits im Moment seiner frühestmöglichen Entstehung (Inkrafttreten des KAG) wieder „verflüchtigt“ haben kann (vgl. Beschl. des Senats v. 10.06.2013 – 1 L 139/10 –; v. 21.08.2013 – 1 L 86/13 –; v. 16.09.2013 – 1 L 207/11 –; Beschl. v. 24.02.2014 – 1 L 170/13, 1 L 167/12, 1 L 175/12 –). Anders gewendet konnte in diesem frühestmöglichen Moment der Vorteilsentstehung noch kein Vertrauen gebildet worden sein, von einer Heranziehung zu Anschlussbeiträgen verschont zu bleiben. Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit kann in dieser Sichtweise nicht berührt oder gar verletzt sein.

66

b) Auch im Übrigen führt die „Verflüchtigungsrechtsprechung“ des Bundesverfassungsgerichts nicht zu der Schlussfolgerung, die streitgegenständliche Beitragserhebung sei rechtswidrig. Sie ist schon nicht auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen nach Maßgabe des Kommunalabgabengesetzes M-V anwendbar (aa). Selbst wenn man die Möglichkeit der „Verflüchtigung“ einer Legitimation zur Erhebung von Anschlussbeiträgen im Grundsatz bejahte, kann diese zur Überzeugung des Senats nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls angenommen werden. Insoweit wäre keine gesetzliche Neuregelung im Kommunalabgabengesetz M-V notwendig, da der Landesgesetzgeber bereits ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung gestellt hat, um den verschiedenen Fallgestaltungen und einer im Einzelfall nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzunehmenden „Verflüchtigung“ des Vorteils bzw. zur Legitimation einer Beitragserhebung gerecht zu werden (bb). Nach den Umständen des Einzelfalles ist vorliegend eine solche „Verflüchtigung“ zu verneinen (cc).

67

aa) Zunächst ist die erörterte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Ausgangspunkt zu Bestimmungen des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes ergangen, die in wesentlicher Hinsicht vom hiesigen Landesrecht abweichen und folglich nicht ohne Weiteres auf dieses bzw. den vorliegenden Fall übertragen werden kann.

68

Bei der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b) cc) Spiegelstrich 2 Bayerisches Kommunalabgabengesetz handelt es sich um eine Verjährungsregelung, die sich in gleicher oder ähnlicher Weise im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht wiederfindet. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach dem bayerischen Landesrecht beitragspflichtig derjenige ist, der im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist oder war. Es kam hingegen nach der dortigen Regelung nicht darauf an, ob er im Zeitpunkt des Erlasses des Anschlussbeitragsbescheides noch Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger ist. Eine vergleichbare Verjährungsregelung gibt es im Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern nicht. § 12 Abs. 2 KAG M-V i.V.m. § 169 AO setzt die Verjährungsfrist für alle Fälle auf vier Jahre ab dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht fest. Die dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 05. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – zugrundeliegende Fallgestaltung, dass ein früherer Grundstückseigentümer viele Jahre nach Aufgabe seines Eigentums zu einem Beitrag herangezogen wird, die Festsetzungsfrist jedoch erst mit Erlass der Heilungssatzung beginnt, kann sich nach den Bestimmungen des KAG M-V (im Regelfall) nicht ereignen. Nach Art. 5 Abs. 6 Satz 1 BayKAG ist beitragspflichtig, wer im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld Eigentümer des Grundstücks ist. Entsteht die (sachliche) Beitragspflicht – wie im vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall – aufgrund einer rückwirkenden Satzung zu einem früheren Zeitpunkt, so ist der damalige Grundstückseigentümer beitragspflichtig, auch wenn ihm zum Zeitpunkt der Erteilung des Beitragsbescheides das Grundstück nicht mehr gehört. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG MV ist beitragspflichtig, wer im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides Eigentümer des bevorteilten Grundstückes ist. Weiter kann die Satzung nach § 7 Abs. 2 Satz 2 KAG MV bestimmen, dass beitragspflichtig ist, wer im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten Eigentümer des bevorteilten Grundstückes ist. Eine solche Bestimmung enthält § 7 BGS vorliegend nicht. Trifft demnach die Beitragssatzung – wie hier – keine von § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG MV abweichende Regelung, so ist es nicht möglich, dass ein früherer Eigentümer herangezogen wird, für den sich in der Tat der Anschlussvorteil bzw. demgegenüber sich die Legitimation zur Beitragserhebung „verflüchtigt“ haben kann. Auch wenn man die gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken teilt, ist folglich ihre Übertragung auf § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V nicht überzeugend.

69

Der Schutzbereich des vom Bundesverfassungsgericht als Ausprägung des Grundsatzes der Rechtssicherheit verstandenen Gebots der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit, das davor schützt, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können, ist im Falle der Erhebung eines Anschlussbeitrags im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen bzw. im Anwendungsbereich von § 9 Abs. 3 KAG M-V nicht einschlägig bzw. berührt.

70

Die Verschaffung des Vorteils, d.h. der Möglichkeit der Inanspruchnahme (§ 7 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V) ist kein in tatsächlicher Hinsicht einmaliger, gewissermaßen in einer juristischen Sekunde abgeschlossener Vorgang, sondern dauert nach erstmaliger Anschlussmöglichkeit mehrere Jahrzehnte lang an. Schmutz- und Trinkwasserbeiträge nach § 9 KAG M-​V knüpfen nicht an in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge an. Die Legitimation des Anschlussbeitrags ergibt sich vielmehr aus der Überlegung, dass das bevorteilte Grundstück durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Anlage (§ 9 Abs. 3 KAG M-​V) einedauerhafte Erschließung erfährt. Der Vorteilsbegriff ist grundstücksbezogen, der abzugeltende Vorteil ist für das Grundstück in der positiven Veränderung der Erschließungssituation zu sehen (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 20.10.1998 – 1 M 17/98 –, juris). Die Möglichkeit des Anschlusses an eine Abwasserentsorgungs- bzw. Trinkwasserversorgungsanlage ist für die ordnungsgemäße Erschließung eines Grundstücks in gleicher Weise erforderlich wie etwa das Vorhandensein einer Straße. Eine ausreichende und auf Dauer gesicherte Erschließung ist sowohl nach Bauplanungsrecht – §§ 30 ff. Baugesetzbuch (BauGB) – als auch nach Bauordnungsrecht unabdingbare Voraussetzung für die Nutzung eines Grundstücks zu baulichen Zwecken. Die Sicherung der Erschließung bezieht sich somit nicht nur auf den Zeitpunkt der erstmaligen Herstellung. Vielmehr wirkt die durch die Sicherung der Erschließung herbeigeführte Bebaubarkeit eines Grundstücks auf die Zukunft ab der erstmalig gebotenen Anschlussmöglichkeit. Beitragsfähig ist nur der Vorteil, der rechtlich sicher und auf Dauer geboten wird (vgl. Dietzel, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2013, § 8, Rn. 532 ff., 537; vgl. auch VG Ansbach, Urteil vom 29. August 2013 – AN 3 S 13.01273 –, juris, zum Erschließungsbeitragsrecht). Der Schmutz- bzw. Trinkwasserbeitrag wird nicht dafür gezahlt, dass das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen wurde oder angeschlossen werden konnte, sondern dafür, dass es angeschlossen ist oder angeschlossen werden kann und auf Dauer angeschlossen bleibt. Der Vorteil ist deshalb als Dauervorteil zu qualifizieren (vgl. nur VerfG des Landes Brandenburg, Urt. v. 21.09.2012 – 46/11 –, juris, Rn. 88).

71

In diesem Zusammenhang erscheinen die Erläuterungen des Bundesverfassungsgerichts zur Legitimation von Beiträgen (Beschl. v. 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, juris, Rn. 45) ohnehin nicht ohne Weiteres als zwingend. Diese soll danach in der Abgeltung eines Vorteils liegen, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist. Die vom Bundesverfassungsgericht in Bezug genommenen Entscheidungen (BVerfGE 49, 343, 352; 93, 319, 344) sagen nichts dazu, dass der Vorteil „in einem bestimmten Zeitpunkt“ zugekommen sein muss. In einem bestimmten Zeitpunkt beginnt naturgemäß die Vorteilslage, aber sie dauert dann – wie zuvor gesagt – auch über einen sehr langen Zeitraum an. Der zitierte Beschluss vom 12. Oktober 1978 (2 BvR 154/74 –, BVerfGE 49, 343) betrifft auch keinen Beitrag, sondern eine Steuer und erwähnt nur allgemein das Vorteilsprinzip. In der weiter angeführten Entscheidung findet sich gleichfalls kein Beleg für den aufgestellten Rechtssatz. Dort heißt es in Übereinstimmung mit den beitragsrechtlichen Grundsätzen zur Rechtfertigung von Vorzugslasten im Präsens: „So empfängt, wer eine öffentliche Leistung in Anspruch nimmt, einen besonderen Vorteil, der es rechtfertigt, ihn zur Tragung der Kosten der öffentlichen Leistung heranzuziehen oder die durch die öffentliche Leistung gewährten Vorteile ganz oder teilweise abzuschöpfen“ (BVerfG, Beschl. v. 07.11.1995 – 2 BvR 413/88, 2 BvR 1300/93 –, BVerfGE 93, 319). Von einem abgeschlossenen Vorgang ist dort gerade nicht die Rede. Die Erhebung von Gebühren und Beiträgen wird danach dementsprechend durch ihre Ausgleichsfunktion legitimiert.

72

Die Annahme des Bundesverfassungsgerichts, die Legitimation von Beiträgen liege in der Abgeltung eines Vorteils, der dem Grundstückseigentümer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen sei, stellt auch unter anderem Blickwinkel eine jedenfalls im Anschlussbeitragsrecht unzulässige Fiktion dar. In Ergänzung zu den vorstehenden Ausführungen zum Gegenstand des anschlussbeitragsrechtlichen Vorteils und zu seiner Qualifizierung als Dauervorteil ist darauf zu verweisen, dass § 5 Abs. 1 der Abwasserentsorgungsatzung des Zweckverbandes – wie im Übrigen die entsprechenden Satzungen anderer Entsorgungsträger – anknüpfend an § 14 Abs. 2 Kommunalverfassung (KV M-V) bzw. als Kehrseite des Anschluss- und Benutzungszwangs gemäß § 15 KV M-V i.V.m. § 7 der Abwasserentsorgungssatzung den Klägern wie jedem Eigentümer eines im Gebiet des Verbands liegenden Grundstücks die Berechtigung einräumt, den Anschluss seines Grundstücks an die Abwasseranlage und das Einleiten der auf seinem Grundstück anfallenden Abwasser nach Maßgabe der Satzung und unter Beachtung der Einleitungseinschränkungen des § 6 verlangen zu können. Dieses Anschluss- und Benutzungsrecht unterliegt keinen Einschränkungen in zeitlicher Hinsicht und „verflüchtigt“ sich auch nicht durch schlichten Zeitablauf bzw. den Umstand, dass dem Zweckverband zunächst über längere Zeit eine Abgabenerhebung auf der Grundlage einer wirksamen Beitragssatzung nicht gelang. Genau wie im Moment des erstmaligen Anschlusses hat der Grundstückseigentümer auch Jahre und Jahrzehnte später noch den Anschlussanspruch, der sich z. B. bei Beschädigungen oder Zerstörungen der Leitungen, die sein Grundstück anschließen, aktualisieren kann. Insoweit wäre es widersprüchlich, wenn sich einerseits die Zahlungspflicht verflüchtigen, der Anschlussanspruch aber uneingeschränkt und jederzeit aktualisierbar fortbestehen soll. Der Senat hat im Zusammenhang mit den Fragen nach der Entstehung der Beitragspflichten bzw. dem tatsächlichen Angeschlossensein eines Grundstückes bereits ausgeführt (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 18.01.2013 – 1 M 185/10 –), der Grundstückseigentümer könne aufgrund seines Benutzungsrechts vom Einrichtungsträger die Instandsetzung eines Kanals zur Beseitigung etwaiger alterungs- und bauausführungsbedingter Mängel beanspruchen. Zwischen dem Eigentümer und dem Einrichtungsträger besteht ein auf dem Anschluss des Grundstücks an die Kanalisation beruhendes öffentlich-rechtlichen (Dauer-) Schuldverhältnis. Daraus ist letzterer verpflichtet, das Abwasser aus den Grundstücken aufzunehmen und abzuleiten und steht zu den Anschlussnehmern weitgehend so, wie ein eine Kanalisationsanlage betreibender Unternehmer des bürgerlichen Rechts zu seinen Kunden stünde. Dem Einrichtungsträger obliegt es daher, dafür zu sorgen, dass das Entwässerungssystem insgesamt funktioniert, denn der Grundstückseigentümer ist ohne eine ordnungsgemäß beschaffene Anschlussleitung nicht imstande, seiner Verpflichtung zur Benutzung nachzukommen und sein Benutzungsrecht auszuüben (vgl. auch BGH, Urt. v. 30.09.1970 – III ZR 87/69 –, BGHZ 54, 299, 303; Urt. v. 07.07.1983 – III ZR 119/82 –, NJW 1984, 615, 617; VGH Mannheim, Urt. v. 09.11.1990 – 8 S 1595/90 –, NVwZ-RR 1991, 325; OVG Münster, Urt. v. 25.01.1978 – II A 439/75 –, KStZ 1978, 213). Das bedeutet, dass der Einrichtungsträger auch dafür zu sorgen hätte, dass die bei Ausschöpfung der zulässigen Grundstücksnutzung anfallenden Abwässer ordnungsgemäß abgeführt werden können. Dieser auch nach Jahrzehnten fortbestehenden Pflichten-, vor allem aber auch Anspruchsbeziehung trägt die Annahme einer „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung keine Rechnung.

73

Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass nach dem Kommunalabgabengesetz M-V die Refinanzierung des Herstellungsaufwands kommunaler Entsorgungseinrichtungen gleichzeitig teilweise über Anschlussbeiträge und teilweise über Gebühren bzw. eine gemischte Beitrags- und Gebührenfinanzierung mit einem nur teilweisen Deckungsgrad der Beitragserhebung seit jeher zulässig, weil vom ortsgesetzgeberischen Ermessen gedeckt ist (vgl. nur OVG Greifswald, Urt. v. 03.05.2011 – 1 L 59/10 –, juris; Urt. v. 02.06.2004 – 4 K 38/02 –, DVBl. 2005, 64; Urt. v. 15.11.2000 – 4 K 8/99 –, juris, Rn. 66; Urt. v. 25.02.1998 – 4 K 8/97 –, NordÖR 1998, 256). Da die Gebührenerhebung regelmäßig fortlaufend vom Zeitpunkt der Entstehung des Vorteils an erfolgt ist, auch wenn parallel ein Beitrag noch nicht erhoben worden ist oder – z. B. wegen einer unwirksamen Beitragssatzung – noch nicht erhoben werden konnte, ist eine „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Deckung des Herstellungsaufwandes durch Gebühren grundsätzlich nicht denkbar. In diesen Fällen erscheint es ebenfalls widersprüchlich, ab einem bestimmten Zeitpunkt einerseits die „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Deckung des Herstellungsaufwandes durch Anschlussbeiträge anzunehmen, andererseits eine solche „Verflüchtigung“ für die Deckung des Herstellungsaufwandes durch Gebühren zu verneinen.

74

Die Annahme der Möglichkeit einer „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung wird auch in anderer Hinsicht der Komplexität der Rechtsbeziehungen im Bereich der Refinanzierung leitungsgebundener öffentlicher Einrichtungen nicht gerecht. So „verflüchtigt“ sich jedenfalls etwa der vom Zweckverband getätigte Herstellungsaufwand nicht. Die Kosten der Herstellung müssen gedeckt werden. Fällt der Verband mit Beitragsforderungen wegen einer „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Erhebung derselben aus, müssen nach entsprechender Neukalkulation entweder andere Beitragspflichtige oder Gebührenschuldner diese Kosten zusätzlich tragen; soweit die Refinanzierung dann über Gebühren erfolgen sollte, müsste wohl auch der von der Pflicht zur Zahlung eines Anschlussbeitrags wegen „Verflüchtigung“ frei gewordene Grundstückseigentümer die entstandene Finanzierungslücke mittragen. Dafür, dass dieser nicht einmal teilweise mehr über Gebühren – wenn auch in voraussichtlich deutlich geringerem Umfang – zu den Herstellungskosten herangezogen werden kann, bietet die „Verflüchtigungsrechtsprechung“ des Bundesverfassungsgerichts keinen Anhaltspunkt. In letzter Konsequenz müsste ggfs. eine Finanzierung der Anlage im Umfang der Einnahmeausfälle über aus Steuermitteln gespeiste staatliche Zuschüsse erfolgen, wenn der von der „Verflüchtigung“ betroffene Refinanzierungsbetrag nicht über Beiträge und Gebühren gedeckt werden könnte. Diese Erwägungen zeigen jedenfalls handgreiflich, dass – anders als das Bundesverfassungsgericht offenbar meint – in diesem Sinne keine „zweipolige“ Rechtsbeziehung (Entsorgungsträger – Grundstückseigentümer), sondern eine „dreipolige“ dergestalt besteht, dass eine Vielzahl von privaten Dritten durch die „Verflüchtigung“ von Beitragsforderungen zusätzlich und gleichzeitig weniger vorteilsgerecht belastet wird. Auch die Lebensentwürfe dieser Dritten sind schützenswert.

75

Dass als Gegenpol zum auf Seiten des Bürgers zu berücksichtigenden Prinzip der Rechtssicherheit das Interesse an materieller Gerechtigkeit und insbesondere Belastungsgleichheit vom Bundesverfassungsgericht als ausschließlich staatliches Interesse erwähnt wird, greift nach Auffassung des Senats zu kurz. Bei der Belastungsgleichheit geht es um die gleichmäßige Belastung der Abgabenschuldner. Wenn der eine Abgabenschuldner zu einem Beitrag herangezogen wird und zahlt, der andere – vielleicht später – ebenfalls herangezogen wird, aber wegen einer „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung nicht zahlen muss, so ist die ungleichmäßige Belastung der Bürger evident; ihr privates und grundrechtlich geschütztes Interesse an einer Belastungsgleichheit wird beeinträchtigt. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, dass einzelne Grundstückseigentümer vollständig von der Zahlungspflicht frei werden sollen.

76

Zudem ist wie vorstehend ausgeführt insoweit eine weitere Verschärfung zu Lasten privater Gleichbehandlungsinteressen in Rechnung zu stellen, als Dritte ggf. zusätzliche Belastungen zu tragen haben. Hier tut sich im Verhältnis zwischen denen, die in der Vergangenheit einen Anschlussbeitrag gezahlt haben, und denjenigen, die nun nichts mehr zahlen müssen, eine eklatante Gerechtigkeitslücke auf. Diese kann nicht etwa dadurch gerechtfertigt werden, dass die einen Beitragsschuldner um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht haben, die anderen hingegen nicht: Denn auch diejenigen, die einen Anschlussvorteil erlangt haben, aber um Rechtsschutz gegen die Beitragserhebung nachgesucht haben, konnten grundsätzlich zu keinem Zeitpunkt erwarten, keinerlei Beiträge zahlen zu müssen. Es konnte – spätestens ab dem Zeitpunkt der obergerichtlichen Klärung der Beitragspflichtigkeit auch der sog. Altanschließer (siehe dazu vorstehend) – nie ein Vertrauen von Grundstückseigentümern dahingehend entstehen oder ihr Lebensentwurf an die Erwartung anknüpfen, keinen Beitrag bzw. einen „Null-Beitrag“ zahlen zu müssen. Mit der – im Falle unwirksamer Satzungen: wiederholten – Publizierung von Beitragssatzungen hat der Einrichtungsträger in rechtsstaatlich gebotener und zugleich grundsätzlich einwandfreier Weise seine Absicht der Beitragserhebung öffentlich bekannt gemacht. Alle Grundstückseigentümer waren hierüber informiert bzw. mussten hierüber informiert sein. Es stand – unbeschadet der gesetzlichen Bestimmungen zur Verjährung – von der Veröffentlichung der ersten Beitragssatzung an fest, dass irgendwann ein Beitrag zu zahlen sein wird. Allenfalls war mit Blick auf gegen die Beitragerhebung gerichtete Rechtsschutzverfahren – auch von Dritten – eine gewisse Erwartung gerechtfertigt, dass möglicherweise ein anderer, ggf. geringerer Betrag zu zahlen sein wird. Konnte sich ein Beitragsschuldner aber zu keinem Zeitpunkt darauf einrichten, keinen Beitrag zahlen zu müssen, bestand mit Blick auf seine Dispositionsfreiheit allenfalls eine teilweise Einschränkung wegen einer entsprechend teilweisen Unsicherheit bezüglich der Höhe seiner Beitragszahlungspflicht. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Kommunalabgabengesetz seit seinem Inkrafttreten am 11. April 1991 eine Erhebung von Beiträgen vorgesehen hat. Die Abgabenpflichtigen mussten mithin stets damit rechnen, dass die Aufgabenträger zur Finanzierung leitungsgebundener Einrichtungen Anschlussbeiträge erheben würden.

77

Jedenfalls ist in den neuen Bundesländern eine Sondersituation (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, etwa Urt. v. 14.11.2013 – OVG 9 B 35.12 –, juris Rn. 65, und Beschl. v. 10.01.2014 – OVG 9 S 64.13 –, juris Rn. 15) zu berücksichtigen, die darin besteht, dass hier nach der Wende erst funktionierende Verwaltungsstrukturen aufgebaut werden und flächendeckend „auf einen Schlag“ alle Grundstückeigentümer herangezogen werden mussten. Die kommunalen Aufgabenträger standen gleichzeitig vor der Aufgabe, zum einen eine technisch und ökologisch zeitgemäße dezentrale Abwasserentsorgung aufzubauen, zum anderen das neu geschaffene Kommunalverfassungs- und Kommunalabgabenrecht rechtmäßig anzuwenden und insbesondere auf seiner Grundlage das erforderliche Satzungsrecht ebenfalls erstmals zu schaffen und anzuwenden. Als parallele Prozesse können dabei auch die Herstellung der öffentlichen Einrichtungen zur Abwasserentsorgung samt ihrer rechtlichen Grundlagen und Folgeregelungen einerseits und die Klärung von rechtlichen Zweifelsfragen bzw. die Beseitigung von Rechtsunsicherheit durch die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte des Landes andererseits beschrieben werden, die sich gegenseitig beeinflusst haben. Wie die noch immer beträchtliche Zahl von Rechtsschutzverfahren auch der jüngeren Vergangenheit zeigt, in denen die Unwirksamkeit kommunaler Abgabensatzungen angenommen wird, ist der Aufbauprozess immer noch nicht vollständig abgeschlossen.

78

Die Geschichte der Beitragserhebung im Bereich des Zweckverbandes und insbesondere seine Satzungshistorie belegen dies eindrücklich. Abgesehen davon, dass sich der Zweckverband in gerichtlichen Verfahren Angriffen gegen seine wirksame Gründung, die Grundlage jeder Beitragserhebung war, ausgesetzt sah, waren die in der Zeit von 1992 bis 2002 ergangenen verschiedenen Beitragssatzungen samt Änderungs- und Nachtragssatzungen sämtlich aus verschiedenen Gründen, alle jedoch zumindest auch wegen einer rechtlich unhaltbaren Handhabung der (Nicht-)Heranziehung der sog. Altanschließer bzw. fehlerhaften Kalkulationen wegen der Nichtberücksichtigung von Altanschließergrundstücken auf der Flächenseite unwirksam. Gerade die Frage der zulässigen bzw. sogar rechtlich gebotenen Heranziehung der sog. Altanschließer war jedenfalls solange ungeklärt, bis der Senat mit Beschluss vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 – (NordÖR 1999, 302 – zitiert nach juris) entschieden hatte, dass die Verwendung unterschiedlicher Beitragssätze für "alt-​angeschlossene" bzw. "neu anschließbare" Grundstücke im Grundsatz willkürlich und somit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist. Entsprechend hat dann – soweit ersichtlich – erstmalig das Verwaltungsgericht Schwerin mit seinen Urteilen vom 24. Februar 2000 – 4 A 2022/99 – u. a. für den Bereich des Zweckverbandes anknüpfend an den vorgenannten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Beitrags- und Gebührensatzung vom 13. März 1997 wegen derartig unterschiedlicher Beitragssätze unwirksam gewesen sei. Damit lagen allerdings zunächst lediglich eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren bzw. ein erstinstanzliches Urteil vor. Von einer abschließenden Klärung für das Landesrecht kann deshalb sogar erst mit den anschließend bzw. in den Folgejahren ergangenen Urteilen des Oberverwaltungsgerichts, die sich mit immer wieder neuen bzw. wiederholten Angriffen von sog. Altanschließern gegen ihre Heranziehung erneut auseinander gesetzt haben, ausgegangen werden. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass der 1. und – frühere – 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts bis in die Gegenwart mit solchen Angriffen gegen Beitragssatzungen beschäftigt waren und sind, aufgrund der hier erörterten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nunmehr erneut in steigendem Maße.

79

Nimmt man das Erschließungsbeitragsrecht in den Blick, so ist dort insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an sich ebenfalls geklärt, dass eine sachliche Beitragspflicht so lange nicht entstehen kann, wie es an einer gültigen Beitragssatzung fehlt (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.1973 – IV C 39.72 –, Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 46 – zitiert nach juris; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl., § 19 Rn. 15). Ebenso können Satzungsmängel nachträglich mit der Folge geheilt werden, dass erst mit Erlass einer gültigen Satzung die sachliche Beitragspflicht entsteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1981 – 8 C 14.81 -, juris, Rn. 17 ff.). Die entsprechende Änderungssatzung muss dazu nicht zurückwirken. Diese Rechtsprechung wäre denselben verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt wie die Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V.

80

Der Rechtsgedanke einer möglichen „Verflüchtigung“ von Vorteilen und damit letztlich Beitragspflichten berührt schließlich auch die Wurzeln der kommunalen Selbstverwaltung, da die kommunalen Normsetzungsorgane letztlich nach Jahrzehnten, in denen sie – wie der Zweckverband – wiederholt den Versuch unternommen haben, wirksames Satzungsrecht zu schaffen, im Falle einer solchen „Verflüchtigung“ vor einem Scherbenhaufen bzw. der Frage stehen, wie sie die Finanzierung ihrer Einrichtungen nach der „Verflüchtigung“ von Beitragsansprüchen sicherstellen sollen. Der erhebliche Zeitverlust, der bei der Schaffung wirksamen Satzungsrechts vielfach zu verzeichnen ist, ist zudem weniger in der Sphäre der Selbstverwaltungskörperschaften zu suchen, sondern findet nicht selten seine Ursache in der Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren. Die Verantwortung hierfür liegt jedoch nicht bei den Einrichtungsträgern. Insoweit ist es nicht nachvollziehbar, die entsprechende Zeitversäumnis bei der Heranziehung der Beitragsschuldner den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften anzulasten.

81

bb) Bejahte man im Grundsatz – entgegen den vorstehenden Erwägungen – die Möglichkeit der „Verflüchtigung“ einer Legitimation zur Erhebung von Anschlussbeiträgen, kann eine solche zur Überzeugung des Senats nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls angenommen werden. Insoweit wäre zudem keine gesetzliche Neuregelung im Kommunalabgabengesetz M-V notwendig, da der Landesgesetzgeber bereits ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung gestellt hat, mit dem den verschiedenen Fallgestaltungen und einer im Einzelfall nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzunehmenden „Verflüchtigung“ des Vorteils bzw. der Legitimation einer Beitragserhebung hinreichend Rechnung getragen werden kann.

82

Ausgangspunkt der Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner „Verflüchtigungsentscheidung“ ist die Annahme, dass Rechtssicherheit und Vertrauensschutz im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug gewährleisten. Der Anknüpfung an den Lebensentwurf des Einzelnen ist eine Bezogenheit auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Einzelfall immanent: Die Selbstbestimmtheit des Lebensentwurfs eines Beitragspflichtigen wird – unabhängig von einer ggfs. eingetretenen Verjährung oder Verwirkung – jedenfalls grundsätzlich nicht in Frage gestellt sein, wenn sie einem absolut betrachtet betragsmäßig (insbesondere im Verhältnis zu den Gesamtkosten eines Hausgrundstücks eher) niedrigen Beitrag ausgesetzt ist, sei es nun im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zur erstmaligen Vorteilserlangung, sei es erst Jahre oder Jahrzehnte danach. Dies gilt umso mehr, je höher Einkommen und/oder Vermögen des Betroffenen sind. Selbst wenn es um betragsmäßig höhere Beitragsansprüche geht, ist im Hinblick auf eine Beeinträchtigung des Lebensentwurfs zum einen die Einkommens- und Vermögenssituation zu beachten, zum anderen der Umstand, dass einer vergleichsweise hohen Beitragsforderung regelmäßig in Gestalt des herangezogenen Grundstücks ein entsprechender Vermögenswert gegenüber stehen wird, der insoweit belastet werden kann. Zudem bietet das Beitragsrecht Möglichkeiten der Stundung und des Erlasses.

83

Schon aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass die Frage des Vertrauensschutzes – jenseits der Regelungen zur Verjährung und des Rechtsinstituts der Verwirkung – grundsätzlich nicht losgelöst von den Umständen des Einzelfalls betrachtet werden kann.

84

Diese Sichtweise wird auch unter einem anderen Blickwinkel untermauert. Bei den – im Regelfall persönlich nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V – Beitragspflichtigen kann hinsichtlich des Heranziehungsvorgangs nämlich zwischen verschiedenen Gruppen differenziert werden:

85

Es gibt zunächst etwa die Beitragspflichtigen, die zeitnah nach dem tatsächlichen Anschluss – bzw. im Fall von sog. Altanschließern nach erstmaliger Entstehung des rechtlich gesicherten Vorteils – aufgrund einer Beitragssatzung herangezogen worden sind, um Rechtsschutz nachgesucht und dabei wegen der Unwirksamkeit der Satzung obsiegt haben; dieser Vorgang kann sich anschließend noch wiederholt haben, um dann ggfs. nach mehreren Jahren/Jahrzehnten in ihre Heranziehung auf der Grundlage einer erstmalig wirksamen Beitragssatzung zu münden. In solchen Fällen erschiene die Annahme einer „Verflüchtigung“ der Legitimation der Abgaben erhebenden Körperschaften zur Beitragserhebung wenig plausibel. Solche Pflichtigen durften von vornherein nicht die Erwartung hegen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, weil der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hätte. Sie mussten im Gegenteil mit der Festsetzung des Beitrages rechnen, wenn der Hoheitsträger seine Absicht zur Beitragserhebung bereits durch – ggf. wiederholten – Erlass eines Bescheides und dessen Verteidigung im Widerspruchs- oder gerichtlichen Verfahren unter gleichzeitigen Versuchen, gültiges Satzungsrecht zu schaffen, dokumentiert hat. Die Frage, ob ein etwaiges Vertrauen der Betroffenen, wegen der Unwirksamkeit der Ausgangssatzung von einer Beitragspflicht überhaupt verschont zu bleiben, verfassungsrechtlichen (Vertrauens-)Schutz genießt, ist ohne Weiteres zu verneinen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.04.1983 – 8 C 170/81 –, BVerwGE 67, 129; Urt. v. 28.11. 1975 – IV C 45.74 –, BVerwGE 50, 2 – jeweils zitiert nach juris). Dem etwaigen Vertrauen der Betroffenen, einen Beitrag nicht zahlen zu müssen, fehlt die Schutzwürdigkeit, weil die Betroffenen mit der Heranziehung zu einem Beitrag rechnen müssen. Sie müssten damit nicht nur deshalb rechnen, weil Beiträge als Ausgleich für gewährte Sondervorteile erhoben werden und allenfalls unter ganz ungewöhnlichen Voraussetzungen schutzwürdig erwartet werden darf, dass eine nach ihrem Wesen beitragspflichtige Leistung gleichwohl beitragsfrei gewährt werden solle. Gegen die Rechtfertigung einer solchen Erwartung spricht vielmehr durchgreifend auch der vorangegangene Erlass einer (wenn auch nichtigen) Satzung, weil diese unmissverständlich den Willen der Gemeinde zum Ausdruck bringt, dass ein Beitrag erhoben werden soll. Bei der Würdigung des Schutzes eines etwaigen Vertrauens der Betroffenen ist der Umstand von besonderer Bedeutung, dass der Satzungsregelung in der Vergangenheit gleichartige Regelungsversuche vorangegangen sind und deshalb einem solchen Vertrauen, einen Beitrag nicht zahlen zu müssen, die Schutzwürdigkeit fehlt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.02.1996 – 8 B 13/96 –, juris; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 19.12.1961 – 2 BvL 6/59 –, BVerfGE 13, 261 = juris, Rn. 54).

86

Daneben gibt es Beitragspflichtige, die nicht zeitnah nach dem tatsächlichen Anschluss herangezogen worden sind, während allerdings die Abgaben erhebende Körperschaft die Beitragserhebung gegenüber Dritten erfolglos nach vorstehendem Muster betrieben hat, und die erstmalig, nachdem in einem rechtskräftigen Urteil von der Wirksamkeit der/einer Satzung ausgegangen wurde, herangezogen wurden.

87

Weiter gibt es Beitragspflichtige, die nicht zeitnah nach dem tatsächlichen Anschluss herangezogen wurden, weil die Abgaben erhebende Körperschaft die Abgabenerhebung zunächst nicht betrieben hat, und sodann erst nach mehreren Jahren/Jahrzehnten zu Beiträgen veranlagt wurden. Diese beispielhaft benannten Fallgruppen können zudem zur weiteren Ausdifferenzierung noch jeweils mit einem System der Refinanzierung von Herstellungskosten sowohl durch Beiträge als auch Gebühren kombiniert werden, wie es oben erörtert worden ist.

88

Selbst für den Fall, dass die erste Heranziehung all dieser verschiedenen Beitragspflichtigen aufgrund einer wirksamen Beitragssatzung zum gleichen Zeitpunkt bzw. nach der gleichen Zeitspanne zwischen Anschluss des Grundstücks/Erlangung des Vorteils und Ergehen des Bescheides erfolgen sollte, liegt es auf der Hand, dass ein Vertrauendürfen darauf, nicht zu einem Beitrag herangezogen zu werden, obwohl entsprechend – publiziertes – Beitragssatzungsrecht existiert, unterschiedlich stark ausgeprägt sein muss. Auch insoweit bedarf es folglich einer Einzelfallbetrachtung.

89

Der Landesgesetzgeber hat für den als Ausnahme zu qualifizierenden Fall einer in Betracht zu ziehenden „Verflüchtigung“ der Legitimation zur Beitragserhebung ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung gestellt, um den verschiedenen Fallgestaltungen und einer im Einzelfall nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzunehmenden „Verflüchtigung“ des Vorteils gerecht werden zu können.

90

Nach § 12 Abs. 1 KAG M-V sind auf Kommunalabgaben die Vorschriften der Abgabenordnung in der jeweiligen Fassung entsprechend anzuwenden, soweit nicht das Kommunalabgabengesetz M-V oder andere Gesetze besondere Vorschriften enthalten. Für die hier erörterten Einzelfälle kann eine Lösung unter Anwendung von Billigkeitsgesichtspunkten (§§ 163, 227 AO) in einer vom Bundesverfassungsgericht anderweitig selbst vorgeschlagenen Weise in Betracht kommen (vgl. im Übrigen auch BVerwG, Pressemitteilung zu Urt. v. 20.03.2014 – 4 C 11.13 – u. a., wonach eine Lösung nach Treu und Glauben in Betracht gezogen werden kann). Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungspflicht zum Billigkeitserlass festgestellt, wenn die Anwendung eines nicht zu beanstandenden Gesetzes in Einzelfällen zu einem "ungewollten Überhang" führen würde. Das aus Art. 2 Abs. 1 GG zu entnehmende Gebot, nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zur Steuerleistung herangezogen zu werden (vgl. BVerfGE 19, 206 (215); 47, 1 (37)), enthält das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Übermaßverbot, das dahin geht, dass der Steuerpflichtige nicht zu einer unverhältnismäßigen Vermögensteuer herangezogen wird. Dieses zwingt dazu, Befreiung von einer schematisierenden Belastung zu erteilen, wenn die Folgen extrem über das normale Maß hinausschießen, das der Schematisierung zugrunde liegt, oder anders ausgedrückt: wenn die Erhebung der Steuer im Einzelfall Folgen mit sich bringt, die unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellung durch den gebotenen Anlass nicht mehr gerechtfertigt sind. Billigkeitsmaßnahmen dürfen jedoch nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen. Daraus folgt, dass mit verfassungsrechtlich gebotenen Billigkeitsmaßnahmen nicht die Geltung des ganzen Gesetzes unterlaufen werden kann. Wenn solche Maßnahmen ein derartiges Ausmaß erreichen müssten, dass sie die allgemeine Geltung des Gesetzes aufhöben, wäre das Gesetz als solches verfassungswidrig (vgl. zum Ganzen z.B. BVerfGE 99, 272; BVerfGE 48, 102 <116>).

91

Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (vgl. BFH, Urt. v. 23.07.2013 – VIII R 17/10 –, juris; BFH-​Urteil in BFH/NV 2010, 606, m.w.N.).

92

Nach Ergehen der „Verflüchtigungsentscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts und mit Blick auf die gebotene Einzelfallprüfung ist davon auszugehen, dass bei Bejahung einer solchen „Verflüchtigung“ des Vorteils nach den dort formulierten Maßstäben ein entsprechender ungewollter Überhang der ansonsten verfassungsrechtlich unbedenklichen Bestimmung des § 9 Abs. 3 KAG M-V mit ihrem Anknüpfen an das Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung anzunehmen ist, der einen Billigkeitserlass wegen sachlicher Unbilligkeit gemäß § 227 AO nach sich ziehen muss (Ermessensreduktion auf Null von Verfassungs wegen) und bei Offensichtlichkeit der maßgeblichen Umstände ggfs. sogar schon eine Berücksichtigung im Erhebungsverfahren verlangt (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 20.05.2003 – 1 L 137/02 –, NordÖR 2003, 365 – zitiert nach juris). Die Beitragserhebung entspräche zwar dem Wortlaut des Gesetzes, aber liefe den Wertungen des Gesetzes zuwider. Der Landesgesetzgeber hätte neben den vorhandenen Regelungen zur Verjährung die Grundlagen für die Beitragserhebung anders als tatsächlich geschehen geregelt, wenn er die Verflüchtigungsproblematik als regelungsbedürftig erkannt hätte. Der Regelung des § 9 Abs. 3 KAG M-V liegt ersichtlich die Vorstellung zugrunde, dass es den Abgaben erhebenden Körperschaften in überschaubarer Zeit gelingt, eine wirksame Satzung zu schaffen, dass ggfs. Verwaltungsgerichte zeitnah über die Wirksamkeit von Satzungen entscheiden und dass es nicht zu „Kettenunwirksamkeiten“ von Satzungen kommt.

93

Die gesetzliche Regelung wird nicht unterlaufen, da nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen bzw. nach Auffassung des Senats eine „Verflüchtigung“ nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Bei Betrachtung des Zeitraumes zwischen erstmaliger Vorteilserlangung und Beitragserhebung muss die nach der Wiedervereinigung festzustellende „Umbruchphase“ nach Auffassung des Senats für die Frage, wann eine „Verflüchtigung“ des Vorteils und daraus resultierendes Freiwerden von der Beitragspflicht eintreten kann, außer Betracht bleiben, weil sie für jedermann offensichtlich bzw. allgemeinkundig war. In dieser Zeit, die mindestens bis 1999 angedauert hat, konnte grundsätzlich kein Vertrauenstatbestand begründet werden, der die Schlussfolgerung einer „Verflüchtigung“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hätte begründen können.

94

cc) Folglich kann unter diesen Bedingungen im vorliegenden Verfahren keine „Verflüchtigung“ eingetreten sein. Alsbald nach Erlass der ersten wirksamen Beitragssatzung sind die Kläger zu Anschlussbeiträgen herangezogen worden. Ihre Heranziehung liegt – vergleichsweise – wenige Jahre nach der erstmaligen Klärung der Frage nach der Beitragserhebung gegenüber sog. Altanschließern frühestens im Jahr 1999. Zudem hat der Beklagte ausweislich der Satzungshistorie des Zweckverbandes bereits seit 1992 die Erhebung von Anschlussbeiträgen betrieben. Die streitgegenständliche Beitragserhebung ist deshalb jedenfalls nicht aus sachlichen Gründen unbillig.

95

dd) Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, ob die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides jedenfalls mit Blick auf § 12 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz KAG M-V und die dort geregelte zeitliche Grenze zum 31. Dezember 2008, bis zu der Grundstückseigentümer jedenfalls mit einer Heranziehung rechnen mussten, bejaht werden kann (vgl. insoweit OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.05.2013 – 9 S 75.12 –, juris, zum Brandenburgischen KAG). Ebenso wenig bedarf es einer Erörterung, ob die Festsetzung von Anschlussbeiträgen – ohne Rücksicht auf das Entstehen der Beitragsschuld und unbeschadet der Verjährungsregelungen – analog Art. 53 Abs. 2 Satz 1 VwVfG M-V ausgeschlossen ist, wenn seit dem Entstehen der Vorteilslage mehr als 30 Jahre vergangen sind (vgl. VGH München, Urt. v. 14.11.2013 – 6 B 12.704 –, juris), und darin eine hinreichende Regelung dafür erblickt werden kann, dass nicht nach einer unübersehbaren Zahl von Jahren noch Beitragsansprüche geltend gemacht werden können.

96

C. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.

97

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beurteilt sich nach § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

98

Die Revision war mit Blick auf die Frage, ob die Regelungen des Kommunalabgabengesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern und im Besonderen § 9 Abs. 3 KAG M-V in Ansehung der Erhebung von Anschlussbeiträgen den rechtsstaatlichen, der Rechtssicherheit dienenden Geboten der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit hinreichend Rechnung tragen, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

(2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Das gilt auch in den Fällen des § 13 Nr. 8a, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für die Entscheidungsformel in den Fällen des § 13 Nr. 12 und 14.

Tenor

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 29. Juni 2017 – 3 A 967/16 HGW – wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 1.833,37 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Durch vier Bescheide vom 14. März 2013 zog der Beklagte die Kläger für die beiden Eigentumswohnungen der Kläger, die im Satzungsgebiet des Beklagten belegen sind, jeweils zu einem Schmutz- und einem Niederschlagswasserbeitrag heran. Die Gesamtsumme der vier Beiträge betrug 1.833,37 €. Das Grundstück ist seit 1990 an die öffentlichen Entwässerungsanlagen angeschlossen.

2

Die Widersprüche der Kläger wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheide vom 7. April 2016, 11. April 2016 bzw. 12. April 2016 zurück. Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 29. Juni 2017 abgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrem Antrag.

3

Die Kläger machen geltend, die Berufung sei gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO zuzulassen. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, die Rechtssache weise besondere rechtliche Schwierigkeiten auf und sei von grundsätzlicher Bedeutung.

4

Die von dem Beklagten erlassenen Bescheide seien rechtswidrig, da sie erst nach Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist gemäß § 12 Abs. 2 KAG M-V 1993 erlassen worden seien. Der später erlassene § 9 Abs. 3 KAG M-V, welcher die Festsetzungsverjährung auf einen späteren Zeitpunkt verschieben könne, könne vorliegend nicht angewendet werden. Eine entsprechende Anwendung verletze die Kläger in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes, welcher sich aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz ableite. Diese Rechtsansicht vertrete auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 15. November 2015 bezüglich der gleichlautenden Regelung im Land Brandenburg. Das Verwaltungsgericht nehme zwar Notiz von der vorgenannten Entscheidung, sehe sie allerdings rechtsfehlerhaft nicht als erheblich an. Im Hinblick auf die Vielzahl gleich gelagerter Fälle dieser sogenannten Altanschließer habe der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung.

II.

5

Der gem. § 124a Abs. 4 VwGO fristgerecht gestellte und ebenso fristgerecht begründete Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Ein Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 VwGO liegt nicht vor.

6

Die Kläger stützen ihren Zulassungsantrag zum einen auf § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Entgegen dem Vortrag der Kläger weist die vorliegende Rechtssache aber keine besonderen Schwierigkeiten auf (zu 1). Die weiterhin vorgetragene grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat die Rechtssache nicht, denn eine klärungsbedürftige Rechtsfrage stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht. Vielmehr ist die Rechtslage durch die Rechtsprechung des Senates und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, und zwar in der Weise, wie sie auch im angefochtenen Urteil zugrunde gelegt wird (zu 2). Daher bestehen keine ernstlichen Zweifel an der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) (zu 3).

7

1. Soweit die Kläger vortragen, die Sache weise deshalb besondere rechtliche Schwierigkeiten auf, weil sie eine Auseinandersetzung mit verfassungsrechtlichen Fragen voraussetze (Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 3 KAG M-V, Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz, Grundsatz des Vertrauensschutzes Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) gilt: Zutreffend ist zwar, dass es im Kommunalabgabenrecht im Allgemeinen und auch im Kommunalabgabenrecht von Mecklenburg-Vorpommern im Besonderen viele verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Abgabenerhebung bei sogenannten altangeschlossenen Grundstücken gegeben hat. Selbst wenn unterstellt wird, dass damit die Rechtslage in den Jahren 2013 ff. komplexer geworden ist, so ist weder das Rechtsgebiet generell und noch eine im vorliegenden Verfahren einschlägige Frage besonders schwierig. Insbesondere verliert eine rechtliche Frage dann ihren Schwierigkeitsgrad, wenn sie durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt worden ist. So liegt es im vorliegenden Fall – siehe unten.

8

Insbesondere ist die Beantwortung der Frage, ob eine sachliche Beitragspflicht frühestens mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung entstehen kann, nicht rechtlich schwierig. Diese Frage, die zu bejahen ist, ist zwischenzeitlich höchstrichterlich geklärt, siehe gleichfalls unter Ziffer 2. § 9 Abs. 3 KAG M-V ist verfassungsgemäß.

9

2. Soweit der Zulassungsantrag vorträgt, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die aktuelle Regelung in § 9 Abs. 3 KAG M-V und die aktuelle Verjährungsregelung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V, geht dieser Einwand bereits im Grundsatz fehl. Insoweit wird übersehen, dass das OVG Greifswald in seinen Urteilen vom 6. September 2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff. und – 1 L 217/12 –; beide rechtskräftig durch BVerwG, Beschlüsse vom 18. Mai 2017 – 9 B 71.16 –, juris, und – 9 B 72.16 –, sich mit diesen Normen befasst hat. Das BVerwG, a. a. O., hat die Auslegung des Senates gebilligt. In Mecklenburg-Vorpommern bestehen somit aktuell - zum einen - die Regelungen über die Verjährung von abgabenrechtlichen Ansprüchen (§ 12 KAG M-V i. V. m. § 47 AO). Beitragsansprüche entstehen frühestens mit der ersten wirksamen Satzung (hier 2017). Zum anderen besteht daneben eine Höchstfrist für eine Abgabenerhebung, die lediglich das Bestehen einer tatsächlichen Vorteilslage anknüpft, nicht aber das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht voraussetzt. Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass weder die Festsetzungsfrist abgelaufen und damit keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist, noch hat sich die Vorteilslage „verflüchtigt“, noch ist den Klägern Vertrauensschutz zuzubilligen, künftig von einer Abgabenfestsetzung bzw. Abgabenerhebung verschont zu bleiben.

10

Schließlich vermag auch die von der Klägerseite in der Zulassungsschrift benannte Altanschließerproblematik die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen. Diese ist in der Rechtsprechung des Senates und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.

11

3. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen nicht (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Zur weiteren Erläuterung verweist der Senat auf die wesentlichen Inhalte seiner Rechtsprechung und die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: Das OVG Greifswald, Urt. vom 6. September 2016 – 1 L 212/13 –, vorgehend VG Greifswald, Urt. vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 –, ähnlich OVG Greifswald, Urt. vom 6. September 2016 – 1 L 217/13 –, vorgehend VG Greifswald, Urt. vom 22. August 2013 – 3 A 1130/11 – hat in seinen ersten Urteilen zum KAG M-V 2016 insoweit ausgeführt:

12

„Erst das Inkrafttreten der ersten wirksamen Anschlussbeitragssatzung kann die sachliche Beitragspflicht auslösen. Einer Rückwirkung dieser Satzung bedarf es in Mecklenburg-Vorpommern nicht (st. Rechtsprechung des OVG Greifswald seit Beschluss vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 –).“

13

Die ersten wirksamen Beitragssatzungen des Beklagten datieren vom 8. März 2017, denn die Vorgängersatzungen haben sich als unwirksam erwiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die beiden Normenkontrollurteile des Senates vom 5. Dezember 2016 – 1 K 8 /13 – und – 1 K 9/13 – verwiesen. Des Weiteren hat der Senat in seinen oben genannten Urteilen vom 6. September 2016 ausgeführt:

14

„Das vom BVerfG im Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013 S. 1004, entwickelte Rechtsinstitut der „Verflüchtigung“ greift im vorliegenden Fall nicht durch. Denn das BVerwG (Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 15.14 u. a. –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 139/13 u. a. – hat dem Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit offen gelassen, eine weitergehende und längere Festsetzungsverjährungsfrist als den 31. Dezember 2008 zu bestimmen. Eine solche Fristbestimmung hat der Landesgesetzgeber jetzt durch Gesetz vom 14. Juli 2016 getroffen. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass diese gesetzliche Neuregelung (§ 12 Abs. 2 KAG M-V Fassung 2016) den von BVerfG und BVerwG gemachten Vorgaben entspricht. Eine zeitlich unbefristete Heranziehung zu (Anschluss-)Beiträgen ist nicht mehr möglich.

15

Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, wie er in dem stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG, 2. Kammer, Beschl. vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., für Berlin-Brandenburg konkretisiert worden ist, ist im vorliegenden Verfahren - wegen der abweichenden Sach- und Rechtslage - nicht einschlägig, sodass er keine Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG entfaltet. Seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne eine wirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. zur ähnlichen Rechtslage in Sachsen-Anhalt, OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 –, Rn. 58 und 59 und OVG Weimar, Urt. vom 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, Juris Rn. 48, zur Rechtslage in Thüringen).

16

Die im Beschluss des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – gesetzte Frist, bis zum 31. März 2014 eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen, ist ausschließlich für den bayerischen Landesgesetzgeber maßgeblich gewesen.“

17

An diesen Erwägungen ist uneingeschränkt festzuhalten, zumal das Bundesverwaltungsgericht, Beschl. vom 8. März 2017 - 9 B 19.16 -, vorgehend OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 - 4 L 119/15 –, sich in einer auf Mecklenburg-Vorpommern übertragbaren Weise zu den Fragen der Vereinbarkeit von Anschlussbeiträgen mit dem Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit und zur Ausschlussfrist geäußert hat:

18

„Das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit schützt den Bürger davor, für lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge zeitlich unbegrenzt zu Beiträgen herangezogen zu werden. Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum bei seiner Aufgabe, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der einzelnen Vorteilsempfänger an Rechtssicherheit zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 – BVerfGE 133, 143) (Rn. 7).“

19

Insbesondere in Rn. 26 und 29 führt das Bundesverwaltungsgericht aus:

20

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss es sich um eine beitragsrelevante Vorteilslage handeln. Damit stimmt insbesondere auch eine Rechtsprechung überein, nach der die Vorteilslage nicht an eine tatsächliche Anschlussnahme anknüpft, sondern erst in dem Zeitpunkt entsteht, in dem den Beitragspflichtigen erstmals der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden ist, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können (BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 -, Buchholz 11 Art. 20 Nr. 218 Rn. 16).

21

Hintergrund der Fragestellung ist, dass § 6 Abs. 6 KAG-LSA a. F., nach dem die Beitragspflicht mit der Beendigung der beitragspflichtigen Maßnahmen entstand, vom Oberverwaltungsgericht wie § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG-LSA ausgelegt wurde, sodass die Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung entstehen konnte und Beiträge entgegen dem verfassungsrechtlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit zeitlich unbegrenzt erhoben werden konnten. Dies hat nach Auffassung des Berufungsgerichts zur Folge, dass der neu eingefügte § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA keine unzulässige Rückwirkung entfaltete, da sich die Rechtslage durch das Änderungsgesetz nicht geändert hat. Vielmehr war die neue Regelung nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts lediglich deklaratorischer Natur (BA S. 16; ebenso nun LVerfG Dessau, Urt. vom 24. Januar 2017 - LVG 1/16 -, UA Rn. 61).“

22

Eine endgültige Klärung der von der Zulassungsschrift angesprochenen Fragen folgt aus den beiden Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 2017 - 9 B 72.16 – und - 9 B 71.16 -, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 6. September 2016 - 1 L 217/13 – und - 1 L 212/13 –. Darin führt das Bundesverwaltungsgericht für das Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern unter anderem aus:

23

„Weder das Bundesverfassungsgericht noch das Bundesverwaltungsgericht haben den Rechtssatz aufgestellt, es sei unzulässig, die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht vom Vorliegen einer wirksamen Satzungsgrundlage abhängig zu machen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem von der Beschwerde zitierten Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143 Rn. 45) nicht die Anknüpfung des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht an eine wirksame Satzung für unzulässig erachtet, sondern es mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit für unvereinbar erklärt, wenn der Gesetzgeber ganz von einer Regelung absieht, die der Abgabenerhebung eine bestimmte zeitliche Grenze setzt. Auch der Senat hat in seinem Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - lediglich das Fehlen einer zeitlichen Höchstgrenze für eine Beitragserhebung in § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a. F. beanstandet (Rn. 3).

24

Das Berufungsgericht ist auch nicht konkludent von dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen. Danach wirkte sich die Verfassungswidrigkeit von § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V aufgrund der in § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V a. F. geregelten Übergangsfrist (erst) nach deren Ablauf am 31. Dezember 2008 aus. Ausführungen zu den ab diesem Zeitpunkt eintretenden rechtlichen Folgen enthält das vorgenannte Urteil nicht. Diese ergeben sich vielmehr aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143 Rn. 49, 51). Die Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift, die eine zeitlich unbegrenzte Abgabenerhebung ermöglichte, führte danach nicht zu deren Nichtigkeit, sondern nur zur Unwirksamkeit mit der weiteren Folge, dass sie nicht mehr angewandt werden dürfte und laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren bis zu einer gesetzlichen Neuregelung auszusetzen waren. Das Berufungsgericht hat eine solche Neuregelung in § 12 Abs. 2 KAG M-V in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVBl. M-V S. 584) gesehen und deren Verfassungsmäßigkeit bestätigt. Seine Schlussfolgerung, dass einer Beitragserhebung damit nicht mehr das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit entgegensteht, widerspricht folglich auch insoweit nicht dem vor-stehenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rn. 4).

25

Das Oberverwaltungsgericht hat auch nicht im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zum Vertrauensschutz (UA S. 23 ff.) einen von dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14 u. a. – (NVwZ 2016 S. 300) abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Es hat vielmehr die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts deswegen nicht für einschlägig erachtet, weil der dort zugrunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar sei. In dem aus Brandenburg stammenden Fall sei nach alter Rechtslage die Beitragsforderung im Zeitpunkt der Gesetzesänderung erloschen gewesen. Dass in einem solchen Fall eine gesetzliche Vorschrift, die rückwirkend eine abgelaufene Festsetzungsverjährung „aus den Angeln hebe“, eine echte Rückwirkung darstelle, sei nicht zweifelhaft. Der Unterschied liege aber darin, dass sich die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern elementar von der in Brandenburg unterscheide. Im Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern sei es nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg stets auf die erste Satzung angekommen, gleichgültig, ob diese wirksam gewesen sei Rn. 5).“

26

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 GKG i. V. m. § 52 Abs. 3 GKG.

Tenor

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 15. Juni 2017 – 3 A 244/13 – wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 2.657,60 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Durch Bescheid vom 15. Februar 2013 zog der Beklagte die Kläger für ihr im Satzungsgebiet des Beklagten belegenes Grundstück (Flurstück .../2, Flur ..., Gemarkung G...) einem Schmutzwasserbeitrag in Höhe von 2.657,60 € heran. Das Grundstück ist seit 1972 an die öffentlichen Entwässerungsanlagen angeschlossen. Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 4. März 2013 zurück. Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 15. Juni 2017 abgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.

2

Die Kläger machen geltend, die Berufung sei gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Rügen der Kläger gegen die Beitragssatzung 2017 zurückgewiesen. Die Beitragserhebung verstoße zudem gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit. Bei den Regelungen in § 12 Abs. 2 KAG M-V 2016 und § 22 Abs. 3 KAG M-V 2016 handele es sich um einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot.

3

Die Maßstabsregelung des § 5 Beitragssatzung 2017 sei unwirksam. Insbesondere sei § 5 Ab. 3 Buchstabe g) unvollständig und verstoße gegen den Grundsatz der konkreten Vollständigkeit. Die Regelungen des § 5 Abs. 3 Buchstaben e) bzw. f) seien widersprüchlich.

4

Das Grundstück der Kläger sei bereits im Jahr 1972 an die zentrale öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen worden. Der Vorteil dieses Anschlusses habe sich bis zur Beitragserhebung im Jahre 2013 verflüchtigt. Im vorliegenden Fall komme der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 zum Tragen, wonach das Rechtstaatsprinzip und die hierin enthaltenen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Beitragserhebung nunmehr entgegenständen. Dies ergebe sich auch aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. April 2015 und aus den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts zum Aktenzeichen 9 C 15.14 u. a. Daraus folge, dass § 9 Abs. 3 KAG M-V dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht entspreche. Die nunmehr in das KAG M-V 2016 eingeführte neue Regelung des § 12 Abs. 2 KAG M-V stelle keinen angemessenen Interessenausgleich im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung dar. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Interessenabwägung habe offensichtlich nicht stattgefunden. Die neue Verjährungsregelung des KAG M-V 2016 sei wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsgebot verfassungswidrig.

5

Die Regelung des § 22 Abs. 3 KAG M-V 2016 stelle einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot dar. Diese Regelung enthalte eine echte Rückwirkung. Mit Ablauf des 31. Dezember 2008 sei die Erhebung von Anschlussbeiträgen in den Fällen der Altanschließer nicht mehr möglich.

II.

6

Der gem. § 124a Abs. 4 VwGO fristgerecht gestellte und ebenso fristgerecht begründete Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

7

Die hier anzuwendenden Regelungen der §§ 9, 12 und 22 KAG M-V (zu 1 und 2) sind verfassungsgemäß. Die Rügen gegen die Maßstabsregelung des § 5 der Schmutzwasserbeseitigungssatzung zur Abwasserbeseitigungssatzung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Grimmen vom 8. März 2017 – SBS 2017 – greifen nicht durch (zu 3) und Fehler bei der Heranziehung im Einzelfall sind im Zulassungsverfahren nicht dargelegt worden.

8

1. Die Frage, ob eine sachliche Beitragspflicht frühestens mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung entstehen kann (§ 9 Abs. 3 KAG M-V), ist zu bejahen. Dies ist zwischenzeitlich höchstrichterlich geklärt.

9

Soweit die Kläger im Zulassungsantrag vortragen, es bestünden ernstliche Zweifel an dem angefochtenen Urteil im Hinblick auf die aktuellen (Verjährungs-)regelung in § 12 Abs. 2 KAG M-V, geht dieser Einwand bereits im Grundsatz fehl. Insoweit wird übersehen, dass das Oberverwaltungsgericht Greifswald in seinen Urteilen vom 6. September 2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff. und – 1 L 217/13 –; beide rechtskräftig durch BVerwG, Beschlüsse vom 18. Mai 2017 – 9 B 71.16 –, juris, und – 9 B 72.16 –, sich mit dieser Norm befasst hat. Das Bundesverwaltungsgericht, a. a. O., hat die Auslegung des Senates gebilligt.

10

In Mecklenburg-Vorpommern bestehen somit aktuell - zum einen - die Regelungen über die Verjährung von abgabenrechtlichen Ansprüchen (§ 12 Abs. 2 Nr. 2 KAG M-V i. V. m. § 47 AO). Beitragsansprüche nach § 9 KAG M-V entstehen frühestens mit der ersten wirksamen Satzung. Diese ist erst 2017 erlassen worden, sodass die vierjährige Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Zum anderen besteht daneben eine Höchstfrist für eine Abgabenerhebung, die lediglich an das Bestehen einer tatsächlichen Vorteilslage anknüpft, nicht aber das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht voraussetzt. Auch diese Erhebungssperrfrist des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V ist noch nicht abgelaufen, da die diesbezügliche Frist frühestens ab 31. Dezember 2000 hat zu laufen beginnen und der 20-Jahreszeitraum noch nicht verstrichen ist. Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht daher zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass weder die Festsetzungsfrist abgelaufen und damit keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist, noch hat sich die Vorteilslage „verflüchtigt“, noch ist den Klägern Vertrauensschutz zuzubilligen, künftig von einer Abgabenfestsetzung bzw. Abgabenerhebung verschont zu bleiben.

11

Schließlich vermag auch die von der Klägerseite in der Zulassungsschrift benannte Altanschließerproblematik die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen. Diese ist in der Rechtsprechung des Senates und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.

12

Zur weiteren Erläuterung verweist der Senat auf die wesentlichen Inhalte seiner Rechtsprechung und die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: Das OVG Greifswald, Urt. vom 6. September 2016 – 1 L 212/13 –, vorgehend VG Greifswald, Urt. vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 –, ähnlich OVG Greifswald, Urt. vom 6. September 2016 – 1 L 217/13 –, vorgehend VG Greifswald, Urt. vom 22. August 2013 – 3 A 1130/11 – hat in seinen ersten Urteilen zum KAG M-V 2016 insoweit ausgeführt:

13

„Erst das Inkrafttreten der ersten wirksamen Anschlussbeitragssatzung kann die sachliche Beitragspflicht auslösen. Einer Rückwirkung dieser Satzung bedarf es in Mecklenburg-Vorpommern nicht (st. Rechtsprechung des OVG Greifswald seit Beschluss vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 –).“

14

Die ersten wirksamen Beitragssatzungen des Beklagten datieren vom 8. März 2017 (siehe unter 3), denn die Vorgängersatzungen haben sich als unwirksam erwiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die beiden Normenkontrollurteile des Senates vom 5. Dezember 2016 – 1 K 8 /13 – (Schmutzwasser) und – 1 K 9/13 – (Niederschlagswasser) verwiesen. Des Weiteren hat der Senat in seinen oben genannten Urteilen vom 6. September 2016 ausgeführt:

15

„Das vom BVerfG im Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013 S. 1004, entwickelte Rechtsinstitut der „Verflüchtigung“ greift im vorliegenden Fall nicht durch. Denn das BVerwG (Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 15.14 u. a. –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 139/13 u. a. – hat dem Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit offen gelassen, eine weitergehende und längere Festsetzungsverjährungsfrist als den 31. Dezember 2008 zu bestimmen. Eine solche Fristbestimmung hat der Landesgesetzgeber jetzt durch Gesetz vom 14. Juli 2016 getroffen. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass diese gesetzliche Neuregelung (§ 12 Abs. 2 KAG M-V Fassung 2016) den von BVerfG und BVerwG gemachten Vorgaben entspricht. Eine zeitlich unbefristete Heranziehung zu (Anschluss-)Beiträgen ist nicht mehr möglich.

16

Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, wie er in dem stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG, 2. Kammer, Beschl. vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., für Berlin-Brandenburg konkretisiert worden ist, ist im vorliegenden Verfahren - wegen der abweichenden Sach- und Rechtslage - nicht einschlägig, sodass er keine Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG entfaltet. Seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne eine wirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. zur ähnlichen Rechtslage in Sachsen-Anhalt, OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 –, Rn. 58 und 59 und OVG Weimar, Urt. vom 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, Juris Rn. 48, zur Rechtslage in Thüringen).

17

Die im Beschluss des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – gesetzte Frist, bis zum 31. März 2014 eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen, ist ausschließlich für den bayerischen Landesgesetzgeber maßgeblich gewesen.“

18

An diesen Erwägungen ist uneingeschränkt festzuhalten, zumal das Bundesverwaltungsgericht, Beschl. vom 8. März 2017 - 9 B 19.16 -, vorgehend OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 - 4 L 119/15 –, sich in einer auf Mecklenburg-Vorpommern übertragbaren Weise zu den Fragen der Vereinbarkeit von Anschlussbeiträgen mit dem Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit und zur Ausschlussfrist geäußert hat:

19

„Das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit schützt den Bürger davor, für lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge zeitlich unbegrenzt zu Beiträgen herangezogen zu werden. Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum bei seiner Aufgabe, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der einzelnen Vorteilsempfänger an Rechtssicherheit zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 – BVerfGE 133, 143) (Rn. 7).“

20

Insbesondere in Rn. 26 und 29 führt das Bundesverwaltungsgericht aus:

21

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss es sich um eine beitragsrelevante Vorteilslage handeln. Damit stimmt insbesondere auch eine Rechtsprechung überein, nach der die Vorteilslage nicht an eine tatsächliche Anschlussnahme anknüpft, sondern erst in dem Zeitpunkt entsteht, in dem den Beitragspflichtigen erstmals der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden ist, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können (BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 -, Buchholz 11 Art. 20 Nr. 218 Rn. 16).

22

Hintergrund der Fragestellung ist, dass § 6 Abs. 6 KAG-LSA a. F., nach dem die Beitragspflicht mit der Beendigung der beitragspflichtigen Maßnahmen entstand, vom Oberverwaltungsgericht wie § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG-LSA ausgelegt wurde, sodass die Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung entstehen konnte und Beiträge entgegen dem verfassungsrechtlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit zeitlich unbegrenzt erhoben werden konnten. Dies hat nach Auffassung des Berufungsgerichts zur Folge, dass der neu eingefügte § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA keine unzulässige Rückwirkung entfaltete, da sich die Rechtslage durch das Änderungsgesetz nicht geändert hat. Vielmehr war die neue Regelung nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts lediglich deklaratorischer Natur (BA S. 16; ebenso nun LVerfG Dessau, Urt. vom 24. Januar 2017 - LVG 1/16 -, UA Rn. 61).“

23

Eine endgültige Klärung der von der Zulassungsschrift angesprochenen Fragen folgt aus den beiden Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 2017 - 9 B 72.16 – und - 9 B 71.16 -, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 6. September 2016 - 1 L 217/13 – und - 1 L 212/13 –. Darin führt das Bundesverwaltungsgericht für das Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern unter anderem aus:

24

„Weder das Bundesverfassungsgericht noch das Bundesverwaltungsgericht haben den Rechtssatz aufgestellt, es sei unzulässig, die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht vom Vorliegen einer wirksamen Satzungsgrundlage abhängig zu machen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem von der Beschwerde zitierten Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143 Rn. 45) nicht die Anknüpfung des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht an eine wirksame Satzung für unzulässig erachtet, sondern es mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit für unvereinbar erklärt, wenn der Gesetzgeber ganz von einer Regelung absieht, die der Abgabenerhebung eine bestimmte zeitliche Grenze setzt. Auch der Senat hat in seinem Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - lediglich das Fehlen einer zeitlichen Höchstgrenze für eine Beitragserhebung in § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a. F. beanstandet (Rn. 3).

25

Das Berufungsgericht ist auch nicht konkludent von dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen. Danach wirkte sich die Verfassungswidrigkeit von § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V aufgrund der in § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V a. F. geregelten Übergangsfrist (erst) nach deren Ablauf am 31. Dezember 2008 aus. Ausführungen zu den ab diesem Zeitpunkt eintretenden rechtlichen Folgen enthält das vorgenannte Urteil nicht. Diese ergeben sich vielmehr aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143 Rn. 49, 51). Die Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift, die eine zeitlich unbegrenzte Abgabenerhebung ermöglichte, führte danach nicht zu deren Nichtigkeit, sondern nur zur Unwirksamkeit mit der weiteren Folge, dass sie nicht mehr angewandt werden dürfte und laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren bis zu einer gesetzlichen Neuregelung auszusetzen waren. Das Berufungsgericht hat eine solche Neuregelung in § 12 Abs. 2 KAG M-V in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVBl. M-V S. 584) gesehen und deren Verfassungsmäßigkeit bestätigt. Seine Schlussfolgerung, dass einer Beitragserhebung damit nicht mehr das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit entgegensteht, widerspricht folglich auch insoweit nicht dem vorstehenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rn. 4).

26

Das Oberverwaltungsgericht hat auch nicht im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zum Vertrauensschutz (UA S. 23 ff.) einen von dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14 u. a. – (NVwZ 2016 S. 300) abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Es hat vielmehr die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts deswegen nicht für einschlägig erachtet, weil der dort zugrunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar sei. In dem aus Brandenburg stammenden Fall sei nach alter Rechtslage die Beitragsforderung im Zeitpunkt der Gesetzesänderung erloschen gewesen. Dass in einem solchen Fall eine gesetzliche Vorschrift, die rückwirkend eine abgelaufene Festsetzungsverjährung „aus den Angeln hebe“, eine echte Rückwirkung darstelle, sei nicht zweifelhaft. Der Unterschied liege aber darin, dass sich die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern elementar von der in Brandenburg unterscheide. Im Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern sei es nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg stets auf die erste Satzung angekommen, gleichgültig, ob diese wirksam gewesen sei Rn. 5).“

27

2. Schließlich vermag auch der Hinweis der Kläger auf § 22 Abs. 3 KAG M-V 2016 dem Senat keine ernstlichen Zweifel an der angefochten Entscheidung zu vermitteln. Der Senat hat sich bereits mit oben genannten Urteilen vom 6. September 2016 mit dieser Regelung befasst und ausgeführt: Es hätte dieser salvatorischen Klausel nicht bedurft. Jedes Gesetz, soweit es nichts anderes regele, beanspruche mit Inkrafttreten seine Gültigkeit. Nach den bisherigen Regelungen des KAG M-V sei lediglich keine zeitliche Obergrenze für eine Verjährung eines Anschlussbeitrages geregelt gewesen. Daraus habe aber nicht geschlossen werden können, dass ein Anschlussbeitrag verjährt sei. Der Senat hat die Rechtslage vor Inkrafttreten des KAG M-V 2016 dahingehend bewertet, dass die Anwendung des im Übrigen verfassungsgemäßen KAG M-V ab einem gewissen vom Gesetzgeber festzulegenden Stichtag verfassungswidrig wäre. Die gesetzliche Neuregelung 2016 beinhaltet jetzt in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V die erforderliche gesetzgeberische Entscheidung, die die widerstreitenden Interessen abwägt. Einer weitergehenden deklaratorischen Klausel hätte es nicht bedurft. Als deklaratorische Klausel ist die Regelung des § 22 Abs. 3 KAG M-V aber unschädlich (Senatsurteile vom 6. September 2016; vgl. auch Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 7 Erl. 8.1.6).

28

3. Die von Klägerseite vorgetragenen Einwendungen gegen die Maßstabsregelung des § 5 SBS 2017 greifen nicht durch.

29

Die Kläger machen zum einen geltend, die Maßstabsregelung sei unvollständig, als Grundstücke nicht erfasst würden, auf denen zwar kein Vollgeschoss verwirklicht werden könne, die aber gleichwohl baulich oder gewerblich nutzbar seien. Die vom Verwaltungsgericht vertretene Ansicht, wonach entsprechende Bebauungssituation bei Kleingartengrundstücken, Campingplätzen, Sportplätzen oder Garagen auftreten könnten und diese von § 5 Abs. 3 Buchstabe g) SBS 2017 erfasst seien, könne nicht gefolgt werden. So beziehe sich diese Regelung ausschließlich nur auf Garagen und Stellplätze. Die gewerbliche Nutzung setze jedoch nicht zwingend eine Bebauung voraus. Für diese gewerbliche Nutzung liege eine Maßstabsregelung nicht vor.

30

Mit diesem Vortrag sind beim Senat keine ernstlichen Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung, konkret des Beitragsmaßstabes, geweckt worden. Bereits zur Vorgängersatzung hat der Senat im Normenkontrollurteil vom 5. Dezember 2016 – 1 K 8/13 -, juris Rn. 48, ausgeführt: Zwar gelte auch im Beitragsrecht der Grundsatz der konkreten Vollständigkeit. Nach diesem Grundsatz müsse eine Beitragssatzung für alle Beitragsfälle im Beitragsgebiet einen wirksamen Maßstab vorsehen (grundlegend OVG Greifswald, Urteil vom 15. März 1995 – 4 K 22/94 –). Allerdings liege ein Verstoß gegen diesen Grundsatz dann nicht vor, wenn im Satzungsgebiet keine Anwendungsfälle für die fehlenden Maßstabsregelungen bestünden.

31

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Es wäre daher Sache des Zulassungsantrages gewesen darzulegen, in welcher Sachverhaltskonstellation eine Maßstabslücke auftrete und dass es einen solchen Fall tatsächlich im Verbandsgebiet gibt. Wird davon ausgegangen, dass der Klägerseite ein nur gewerblich nutzbares Grundstück vorschwebt, das aber nicht bebaut ist, hätte die Klägerseite zusätzlich darlegen müssen, dass auf diesem Grundstück eine abwasserrelevante Nutzung ausgeübt wird bzw. ausgeübt werden kann. Wird zum Beispiel ein Lagerplatz in den Blick genommen, wird wohl nur im Bereich von Sanitäreinrichtungen Abwasser anfallen, das der öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungsanlage zuzuführen ist. In einem solchen Fall wird dort aber ein Sanitärgebäude errichtet oder ein Container dauerhaft aufgestellt sein, d. h., es wird eine bauliche Anlage existieren. Zum anderen enthält § 5 Abs. 3 Buchstabe f) SBS 2017 eine Maßstabsregelung für Grundstücke, für die eine „sonstige Nutzung“ oder eine „nur untergeordnete Bebauung“ festgesetzt ist bzw. die im unbeplanten Innenbereich tatsächlich so genutzt werden. Durch diese Regelungen wird ein gewerblich nutzbares Grundstück zwanglos erfasst.

32

Aus den vorstehend gemachten Ausführungen folgt ferner, dass auch der Einwand der Klägerseite, der Beitragsmaßstab in § 5 SBS 2017 erfasse nicht alle Arten von Bebauungsplänen und insbesondere fehle eine Maßstabsregelung für den Fall, dass ein Bebauungsplan lediglich die Größe der Grundfläche festsetze, nicht durchgreift. Zum einen hat das Verwaltungsgericht insoweit darauf verwiesen, dass ein solcher Bebauungsplan nicht vorhanden sei. Dem ist die Klägerseite nicht entgegengetreten. Wenn die Kläger - zum anderen - meinen, der Verteilungsmaßstab müsse für alle im Entsorgungsgebiet denkbaren Anwendungsfälle eine Regelung treffen, so entspricht dies nicht der oben genannten Rechtsprechung des Senates im Urteil vom 5. Dezember 2016. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der konkreten Vollständigkeit liegt gerade dann nicht vor, wenn es im Satzungsgebiet keinen Anwendungsfall für eine nicht getroffene Maßstabsregelung gibt. Eine solche Maßstabsregelung „fehlt“ mithin nicht im Rechtssinne. Wäre sie getroffen worden, so wäre sie überflüssig.

33

Die in § 5 Abs. 3 Buchstabe e) und f) SBS 2017 verwendete Formulierung, „die Zahl von einem Vollgeschoss, mindestens aber die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse“ ist nicht in sich widersprüchlich, sondern der Auslegung zugänglich. In beiden Fällen soll bei den dort genannten Nutzungen im Grundsatz eine Beitragsermittlung mit einem Vollgeschoss erfolgen. Für den Fall, dass aber rein tatsächlich eine höhere Zahl der Vollgeschosse auf dem Grundstück verwirklicht ist, ist auch dieser Vorteil durch den Ansatz einer höheren Vollgeschosszahl abzugelten. Einen Widerspruch zu der Vollgeschossdefinition, die in § 5 Abs. 1 SBS 2017 enthalten ist, sieht der Senat nicht.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 GKG i. V. m. § 52 Abs. 3 GKG.

35

Hinweis:

36

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 17. Oktober 2016 – 4 A 1025/15 SN – wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 3.425,04 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um einen Beitragsbescheid.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks in C-Stadt, das an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen ist, die der Beklagte als öffentliche Einrichtung betreibt. Mit Bescheid vom 12. Mai 2014 setzte der Beklagte gegen die Klägerin einen Anschlussbeitrag in Höhe von 3.425,04 Euro fest. Den Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2015 zurück. Am 9. März 2015 hat die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Schwerin erhoben und beantragt, den Beitragsbescheid des Beklagten vom 12. Mai 2014 und den Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2015 aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. Oktober 2016 – 4 A 1025/15 SN – abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin am 20. Oktober 2016 zugestellt worden. Am 18. November 2016 hat die Klägerin beantragt, die Berufung gegen das Urteil zuzulassen. Der Antrag ist am 20. Dezember 2016 begründet worden.

II.

3

Der fristgemäß gestellte (§ 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO) und begründete (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der geltend gemachte Zulassungsgrund von ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht. Dabei berücksichtigt der Senat, dass die Voraussetzungen an eine Berufungszulassung mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht überspannt werden dürfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.11.2013 – 2 BvR 1895/11 –, juris Rn. 14).

4

Nach Maßgabe der ständigen Rechtsprechung des Senats muss sich ein auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel gestützter Antrag im Hinblick auf das Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im Einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernsthaften Zweifeln bezüglich ihrer Richtigkeit begegnen. Erforderlich dafür ist, dass sich unmittelbar aus der Antragsbegründung sowie der angegriffenen Entscheidung selbst schlüssig Gesichtspunkte ergeben, die ohne Aufarbeitung und Durchdringung des gesamten bisherigen Prozessstoffes – vorbehaltlich späterer Erkenntnisse – eine hinreichend verlässliche Aussage dahingehend ermöglichen, das noch zuzulassende Rechtsmittel werde voraussichtlich zum Erfolg führen (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 23.07.2015 – 1 L 28/13 –, juris Rn. 8).

5

Nach diesen Maßstäben bestehen unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens der Klägerin keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

6

Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, sie habe das abgerechnete Grundstück im Jahre 2001 durch Zuschlag in einem Zwangsversteigerungsverfahren erworben. Zum damaligen Zeitpunkt seien die Herstellungsarbeiten am Klärwerk und Kanalnetz des Beklagten abgeschlossen gewesen. Es habe auch eine Beitragssatzung bestanden. Der Beklagte habe seinen Anspruch im Verfahren nicht angemeldet. Das Recht des Beklagten sei deshalb durch den Zuschlag erloschen, das Grundstück sei lastenfrei erworben worden. Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass seine zum Zeitpunkt der Zwangsversteigerung bestehende Satzung unwirksam gewesen sei.

7

Mit diesem Vorbringen sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht dargelegt. Nach §§ 45 Abs. 1, 52 Abs. 1 Satz 2, 91 Abs. 1 ZVG erlöschen durch den Zuschlag lediglich bereits bestehende Rechte an dem Grundstück. Der künftigen Entstehung von Beitragsforderungen und öffentlichen Lasten stehen diese Vorschriften nicht entgegen. Der Ersteher ist davor geschützt, dass nach dem Zuschlag bestehende Ansprüche gegen das Grundstück geltend gemacht werden, die er nicht kannte und deshalb nicht in seine Kalkulation mit einbeziehen konnte. Vor der Entstehung künftiger Forderungen ist der Ersteher dagegen nicht geschützt, er trägt vielmehr vom Zuschlag an gemäß § 56 Satz 2 ZVG die Lasten des Grundstücks (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.09.1984 – 8 C 30.82 – juris Rn. 21; VGH München, Beschl. v. 06.11.2017 – 6 ZB 17.1011 –, juris Rn. 25; OVG Bautzen, Beschl. v. 18.03.2014 – 5 A 651/12 –, juris Rn. 11).

8

Der Abgabeanspruch des Beklagten war beim Eigentumserwerb der Klägerin allerdings noch gar nicht entstanden. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass die sachliche Beitragspflicht im Anschlussbeitragsrecht gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V frühestens mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung entsteht und das Satzungsrecht des Beklagten keinen späteren Zeitpunkt bestimmt hat. Da die sachliche Beitragspflicht auch der Höhe nach endgültig ausgeprägt ist, setzt ihre Entstehung zwingend wirksame Maßstabsregeln und eine Bestimmung des Beitragssatzes im Satzungsrecht des Abgabengläubigers voraus (§ 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V). Anderenfalls wäre die Höhe des Beitrags nicht bestimmbar. Ein Entstehen der sachlichen Beitragspflicht vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung ist ausgeschlossen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 15.12.2009 – 1 L 323/06 –, juris Rn. 50 f.). Es ist rechtlich zwingend, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht tatbestandlich vom Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung abhängig zu machen (OVG Greifswald, Urt. v. 05.12.2016 – 1 K 8/13 –, juris Rn. 43). Das abstrakte Beitragsschuldverhältnis entstand deshalb vorliegend erst im Jahr 2013. Die persönliche Beitragspflicht der Klägerin ist sogar erst mit Bekanntgabe des Beitragsbescheides begründet worden (§ 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V). Da der festgesetzte Beitragsanspruch zum Zeitpunkt des Zuschlags im Zwangsversteigerungsverfahren noch gar nicht bestand, kann er durch diesen Rechtsakt auch nicht erloschen sein. Soweit sich die Klägerin auf den Umstand beruft, dass im Jahre 2001 unwirksames Satzungsrecht des Beklagten bestand, ist dieser vor dem dargestellten rechtlichen Hintergrund nicht erheblich.

9

Der Zulassungsantrag wird weiterhin mit der Annahme begründet, die Regelung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V bestimme eine überlange Verjährungsfrist und sei nicht verfassungsgemäß. Auch damit sind keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils dargelegt. Der Senat hat bereits entschieden, dass gegen diese gesetzliche Neuregelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, da eine zeitlich unbefristete Heranziehung zu Anschlussbeiträgen nicht mehr möglich ist (vgl. ausführlich OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 217/13 –, juris Rn. 67 ff.). An dieser Auffassung ist auch unter Berücksichtigung der Antragsbegründung festzuhalten. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil abgelehnt (BVerwG, Beschl. v. 18.05.2017 – 9 B 72/16 –, juris).

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

(1) Steuerbescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Sie müssen die festgesetzte Steuer nach Art und Betrag bezeichnen und angeben, wer die Steuer schuldet. Ihnen ist außerdem eine Belehrung darüber beizufügen, welcher Rechtsbehelf zulässig ist und binnen welcher Frist und bei welcher Behörde er einzulegen ist.

(2) Die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen bildet einen mit Rechtsbehelfen nicht selbständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheids, soweit die Besteuerungsgrundlagen nicht gesondert festgestellt werden.

(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.

(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und die betroffene Person dies unverzüglich verlangt.

(3) Ein schriftlich oder elektronisch erlassener Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen. Ferner muss er die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten; dies gilt nicht für einen Verwaltungsakt, der formularmäßig oder mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird. Ist für einen Verwaltungsakt durch Gesetz eine Schriftform angeordnet, so muss bei einem elektronischen Verwaltungsakt auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Falle des § 87a Absatz 4 Satz 3 muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Finanzbehörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.

Tenor

Der Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde B-Stadt über die Erhebung eines Anschlussbeitrags zur Deckung des Aufwands für die Herstellung und Anschaffung der öffentlichen Einrichtung zur zentralen Trinkwasserversorgung vom 17. November 2014 und sein Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2015 sowie der Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde B-Stadt über die Erhebung eines Anschlussbeitrags zur Deckung des Aufwands für die Herstellung und Anschaffung der öffentlichen Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung vom 17. November 2014 und sein Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2015 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Tatbestand

1

Der Kläger ficht zwei Bescheide über Anschlussbeiträge Trinkwasser bzw. Schmutzwasser an.

2

Er ist Eigentümer von vier Grundstücken in der heutigen Gemeinde B-Stadt OT W., die jeweils im Grundbuch von W., Blatt z, eingetragen sind:

3
Unter der laufenden Nummer 1 handelt es sich dabei um das 562 m² große Flurstück a der Flur y, Gemarkung W.,
4
unter der laufenden Nummer 2 um das aus dem 159 m² großen Flurstück b und dem 5.369 m² großen Flurstück c der vorgenannten Flur und Gemarkung bestehende Grundstück,
5
unter der laufenden Nummer 3 um das Grundstück, bestehend aus den Flurstücken d (341 m²) und e (17.789 m²) der vorgenannten Flur und Gemarkung, sowie
6
unter der laufenden Nummer 4 um das aus dem 1.715 m² großen Flurstück f und dem 123 m² großen Flurstück g der vorgenannten Flur und Gemarkung bestehende Grundstück.
7

Ein Teil der Grundstücke (Teilflächen des Flurstücks c und des im Verfahren Freiwilliger Landtausch „W. III“ gemäß grundbuchlicher Eintragung vom 20. September 2013 untergegangenen Flurstücks g [19.967 m²]) liegt im Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 3 „Pferdehof B. in W.“ der Gemeinde B-Stadt vom 12. September 2011, ein anderer Teil im Geltungsbereich der Klarstellungs- und Ergänzungssatzung der damals noch eigenständigen Gemeinde W. aus dem Jahre 2004.

8

Der Bürgermeister der Gemeinde B-Stadt erhob vom Kläger mit Bescheid über die Erhebung eines Anschlussbeitrags zur Deckung des Aufwands für die Herstellung und Anschaffung der öffentlichen Einrichtung zur zentralen Trinkwasserversorgung für diese Grundstücke vom 17. November 2014 einen entsprechenden Beitrag in Höhe von 26.058 € einschließlich 7 % Umsatzsteuer. Dabei ging er offenbar lediglich von einem (26.058 m² großen) Grundstück aus, das aus den sieben Flurstücken besteht. Zudem benennt er diese Flurstücke als in der Flur j und in einem B-Plangebiet belegen.

9

Der Bürgermeister der Gemeinde B-Stadt erhob vom Kläger darüber hinaus mit Bescheid über die Erhebung eines Anschlussbeitrags zur Deckung des Aufwands für die Herstellung und Anschaffung der öffentlichen Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung für diese Grundstücke vom 17. November 2014 einen entsprechenden Beitrag in Höhe von 104.232 €. Dabei ging er auch hier offenbar lediglich von einem Grundstück aus, das aus den sieben Flurstücken besteht.

10

Gegen beide Beitragsbescheide legte der Kläger jeweils mit Schreiben vom 17. Dezember 2014 Widerspruch ein, in denen er u. a. darauf hinwies, dass der Widerspruch zu einem späteren Zeitpunkt begründet werde.

11

Ohne eine solche Widerspruchsbegründung abzuwarten oder eine Frist zur Vorlage derselben zu setzen wies der Beklagte die Widersprüche mit jeweiligem Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2015 zurück.

12

Am 6. Februar 2015 hat der Kläger gegen beide Beitragsbescheide Klage erhoben. Einen zugleich gestellten Antrag auf Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes (Az. 4 B 466/15) hat er zurückgenommen; das Eilverfahren wurde mit Beschluss vom 15. April 2015 eingestellt.

13

Der Kläger trägt neben vielen weiteren Angriffspunkten u. a. vor, zwischen den Kalkulationen von 2005 und 2008 und den vorliegenden Erstbescheidungen lägen bereits ein Zeitraum von rund neuneinhalb bzw. sechs Jahren. Sämtliche Global- bzw. prognostizierten Berechnungen zur Kalkulation seien spätestens vier Jahre danach zu überprüfen. Dies habe der Beklagte nicht getan und über neun Jahre hinsichtlich seiner Kalkulation zur Schmutz- und Niederschlagswasserentsorgung ohne zwischenzeitliche Nachprüfung den Beitragsbescheid erlassen. Hinsichtlich der Herstellung und Anschaffung der öffentlichen Einrichtung zur zentralen Trinkwasserversorgung sei zwischen der hier so bezeichneten Fortsetzung der Kalkulation und dem Erlass des betreffenden Bescheids auch ein Zeitraum von mehr als sechs Jahren ergangen.

14

Der Kläger beantragt,

15

den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde B-Stadt über die Erhebung eines Anschlussbeitrags zur Deckung des Aufwands für die Herstellung und Anschaffung der öffentlichen Einrichtung zur zentralen Trinkwasserversorgung vom 17. November 2014 und seinen Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2015 sowie

16

den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde B-Stadt über die Erhebung eines Anschlussbeitrags zur Deckung des Aufwands für die Herstellung und Anschaffung der öffentlichen Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung vom 17. November 2014 und seinen Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2015

17

aufzuheben.

18

Der Beklagte beantragt,

19

die Klage abzuweisen,

20

und trägt dazu vor:

21

Der Kläger sei Eigentümer der in der Klageschrift aufgeführten Grundstücke in der Flur m der Gemarkung W.. Soweit der Trinkwasserbeitragsbescheid vom 17. November 2014 die Flur j benenne, sei dies ein offensichtliches Versehen, das berichtigt werde.

22

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 8. Dezember 2017 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

23

Die im Wege der objektiven Klagehäufung nach § 44 VwGO zulässig erhobenen Anfechtungsklagen haben Erfolg.

24

Der Trinkwasserbeitragsbescheid des Bürgermeisters der Gemeinde B-Stadt und sein Schmutzwasserbeitragsbescheid jeweils vom 17. November 2014 sind – ebenso wie die Widerspruchsbescheide vom 6. Januar 2015 – rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

25

Dabei lässt das Gericht offen, ob neben einer (wohl) wirksamen Aufgabenrückübertragung vom damaligen Amt B-Stadt auf die Gemeinde B-Stadt nach § 127 Abs. 5 KV M-V auch ein wirksamer Beschluss der Gemeinde nach § 127 Abs. 1 Satz 5 KV M-V, diese Selbstverwaltungsaufgaben (wieder) selbst (ohne das dazu vorher anzuhörende Amt, sei es das damalige Amt B-Stadt, sei es das heutige Amt Krakow am See) durchzuführen. Er ist dem Gericht jedenfalls nicht vorgelegt worden.

26

1. So ergibt sich die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Beitragsbescheide bereits aus der Überschreitung der richterrechtlichen Frist zur rechtlich zwingend erforderlichen Überprüfung und ggf. Überarbeitung der jeweiligen Beitragskalkulation. Dies führt zur Gesamt-unwirksamkeit der jeweiligen Beitragssatzung, die folglich nicht als Rechtsgrundlagen für die Heranziehung des Klägers zu den beiden Anschlussbeiträgen dienen kann.

27

Bei beiden Beitragsermittlungen handelt es sich um eine Globalkalkulation, wobei der Bericht zur Kalkulation von Beiträgen und Gebühren für die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde B-Stadt zur Trinkwasserversorgung und zur Schmutz- und Niederschlagswasserentsorgung vom 27. Juni 2005 datiert und für die Trinkwasserbeitragskalkulation eine Fortschreibung vom 21. Oktober 1008 vorliegt.

28

a) Die Globalkalkulation verlangt, dass einerseits alle Herstellungskosten, die der Vergangenheit wie auch die der Zukunft, bis zur endgültigen Herstellung der Einrichtung, jedenfalls für den künftigen Zeitraum, in dem die Kalkulation Gültigkeit beanspruchen soll, ermittelt bzw. geschätzt und andererseits für den gleichen Zeitraum alle Verteilungseinheiten (Beitragsflächen) bestimmt werden. In der danach erforderlichen „Jahrhundertrechnung" ist der gesamte verteilungsfähige Aufwand für die Vergangenheit zu ermitteln und für die Zukunft prognostisch zu veranschlagen und ebenfalls die insgesamt nach dem jeweiligen Verteilungsmaßstab in Frage kommenden Verteilungseinheiten (Aussprung, a. a. O., § 9 Erl. 3.4).

29

b) Diese „Jahrhundertrechnung“ ist allerdings kein „Jahrhundertwerk“ und bedeutet nicht, dass sie in einem Säkulum nur einmal zu kalkulieren ist und keiner Fortschreibungen bzw. Aktualisierungen bedarf, was die Entwicklung des Aufwands für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung einerseits und der Beitragsflächen andererseits betrifft. Es stellt sich sodann die Frage, wann eine Neukalkulation nicht nur im Rahmen des satzungsgebenden Ermessens zulässig, sondern von Rechts wegen erforderlich ist.

30

aa) Die Antwort der früheren Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern lautete, dass die (Global-)Kalkulation bei Gesamtanlagen jedenfalls nach vier Jahren zu hinterfragen sei (OVG Greifswald, wohl nicht veröffentlichter Beschl. vom 19. März 1998 – 1 M 123/97 –, Urt. v. 15. Nov. 2000 – 4 K 8/99 –, juris Rn. 47).

31

bb) Diese Rechtsprechung – Neuere des Obergerichts dazu gibt es offenbar nicht – dürfte allerdings inzwischen mit Blick auf das Änderungsgesetz zum Kommunalabgabengesetz vom 14. März 2005 überholt sein, das für die dort genannten Benutzungsgebühren in § 6 Abs. 2d KAG M-V Kalkulationszeiträume bis zu fünf Jahren als zulässig ansieht. Diese gesetzgeberische Wertung wird auch auf den Zeitraum einer neuen Beitragsglobalkalkulation ausstrahlen müssen: Wenn schon bei Gebühren ein Fünfjahreszeitraum als legitim anzusehen ist, kann und muss dies für Anschlussbeiträge, die aufgrund einer Globalkalkulation ermittelt worden sind, erst recht gelten. Daher wird in der Regel auch bei solchen Beiträgen ein Fünfjahreszeitraum als spätester Zeitpunkt zur Überprüfung einer Globalkalkulation als zwingend erforderlich angesehen werden müssen (so auch Aussprung, a. a. O.).

32

cc) Ist dieser Fünfjahreszeitraum zur Überprüfung einer Globalkalkulation überschritten, so ist damit zwar nicht zwingend die Rechtswidrigkeit dieser Kalkulation und damit des (unveränderten) Beitragssatzes festgestellt. Denn es kann möglich sein, dass sich auch bei einer aktualisierten Überprüfung der Aufwands- und Flächenseite keine oder nur sich nicht auf den (höchstzulässig kalkulierten bzw. auch den ggf. politisch gedeckelten) Beitragssatz auswirkende Änderungen ergeben. Nimmt die Abgabenbehörde diese Überprüfung aber erst gar nicht vor, so kann nicht festgestellt werden, dass es keiner Änderung des Beitragssatzes bedarf. Das impliziert dann die vorstehend dargestellte Rechtswidrigkeit der „veralteten“ Globalkalkulation und damit auch der Gesamtnichtigkeit der darauf gestützten Beitragssatzung.

33

dd) So liegen die Dinge auch hier. Vorliegend gibt es seit der Beitragskalkulation Schmutzwasser vom 27. Juni 2006 keine Prüfung, ob die Aufwands- oder Flächenseite der Schmutzwasserbeitragskalkulation der aktuellen Situation im Gemeindegebiet anzupassen ist. Für die Beitragskalkulation Trinkwasser wurde zwar eine Fortschreibung derselben vom 21. Oktober 2008 vorgenommen, eine weitere nach spätestens fünf Jahren aber auch hier nicht, obwohl sowohl dort auf Seite 12 auf das Erfordernis einer regelmäßigen Prüfung bzw. Fortschreibung und ebenso in der alten Kalkulation beider Beitrage vom 27. Juni 2005 auf Seite 33 ausdrücklich hingewiesen worden ist (unter Darstellung der alten OVG-Rechtsprechung wird jeweils noch ein Zeitraum von spätestens vier Jahren genannt). Selbst eine fünfjährige Frist zur Überprüfung der jeweiligen Kalkulation ist insoweit aber deutlich überschritten.

34

Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen ist nach Auffassung des Gerichts auch nicht für kleine Aufgabenträger wie hier die Gemeinde B-Stadt mit ihren nur ca. 3500 Einwohnern (nicht mit Grundstückseigentümern gleichzusetzen) und der eher kleinen Fläche von ca. 139 km² (Angaben aus Wikipedia) im Hinblick auf die dann auch eher „kleine“ jeweilige öffentliche Einrichtung zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung zu machen.

35

2. Aber auch die konkrete Veranlagung des Klägers zu den beiden Beiträgen stößt auf grundsätzliche Bedenken. In dem jeweiligen Anschlussbeitragsbescheid Trinkwasser bzw. Schmutzwasser werden rechtswidriger Weise mehrere Buchgrundstücke, die zum Zeitpunkt ihres Erlasses dem Kläger gehörten, zusammengefasst und nur jeweils ein „einheitlicher“ Trink- bzw. Schmutzwasseranschlussbeitrag festgesetzt.

36

Ein solcher Verwaltungsakt ist inhaltlich jeweils nicht hinreichend bestimmt. Ein kommunaler Abgabenbescheid muss die festgesetzte kommunale Abgabe nach Art und Betrag bezeichnen und angeben, wer die kommunale Abgabe schuldet, § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO. Ebenso muss ein Anschlussbeitragsbescheid, um dem allgemeinen Bestimmtheitsgebot von Verwaltungsakten nach § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. § 119 Abs. 1 AO zu genügen, darüber hinaus auch eine hinreichend bestimmte Aussage dazu treffen, für welches Grundstück ein solcher – eben grundstücksbezogener - Beitrag festgesetzt wird (vgl. Urteile des Gerichts vom 20. Febr. 2017 – 4 A 485/13 – und 21. Nov. 2011 – 4 A 652/08 –, S. 5 des amtlichen Umdrucks; Aussprung, in: ders. et al., Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern, Stand: Dezember 2017, § 2 Erl. 12.3.2 m. w. N.).

37

Gegenstand der Veranlagung zu einem Anschlussbeitrag ist grundsätzlich das Buchgrundstück (dazu sogleich).

38

a) Zwar können in einem (zusammengefassten) Bescheid gegenüber einem beitragspflichtigen Eigentümer mehrerer Grundstücke auch grundsätzlich mehrere Anschlussbeiträge für diese Buchgrundstücke gleichzeitig festgesetzt werden (OVG Greifswald, Beschl. v. 13. Dez. 2017 – 1 LZ 551/17 –, juris Rn. 27 m. w. N.; Urt. des Gerichts v. 20. Febr. 2017, a. a. O.). Allerdings muss dann der für das jeweils veranlagte Buchgrundstück geltende Kanalanschlussbeitrag im Bescheid separat festgesetzt und ausgewiesen sein, sodass nicht nur für den Beitragspflichtigen, sondern auch für Dritte feststeht, in welcher Höhe für welches Buchgrundstück ein Beitrag erhoben wird (Urteile des Gerichts vom 20. Febr. 2017, S. 8 f. des amtlichen Umdrucks, und vom 21. Nov. 2011, a. a. O., S. 6 f. des amtlichen Umdrucks, auch zum Nachfolgenden).

39

Der Tenor eines Beitragsbescheids besteht nicht allein aus der Regelung, dass der Inhaltsadressat des Bescheids einen gewissen Geldbetrag zu zahlen habe. Zum Tenor gehören zumindest auch die Abgabenart (Steuer, Beitrag oder Gebühr) und der Bezugsgegenstand des Bescheids. Bei einem Anschlussbeitragsbescheid ist Letzteres das veranlagte Grundstück (vgl. zum Erschließungs- oder Straßenbaubeitragsrecht OVG Lüneburg, Urt. v. 8. Nov. 1988 – 9 A 11/87 -, NVwZ 1989, 582 = juris, Rn. 44). Dieses Erfordernis folgt entweder aus einer sinngemäßen Anwendung des § 157 Abs. 1 Satz 2 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V (so Aussprung, a. a. O. und § 7 Anm. 18.2 und 18.2.4) oder aber bereits aus dem allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatz nach § 119 Abs. 1 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V.

40

b) Dabei reicht eine durch Auslegung des Bescheids zu erzielende Bestimmbarkeit des auf das einzelne Buchgrundstück entfallenden Anschlussbeitrags nicht aus, da die dadurch geregelte Festsetzung dieser Abgabe zugleich die Konkretisierung der öffentlichen Last (§ 7 Abs. 6 KAG M-V) auf dem jeweiligen Buchgrundstück bedeutet und diese Last unabhängig von der persönlichen Beitragspflicht ist. Dazu hat das Oberverwaltungsgericht Thüringen in einem Beschluss vom 30. August 2010 – 4 EO 659/08 – (juris, Rn. 29) zutreffend Folgendes ausgeführt, das entsprechend auch für das hiesige Abgabenrecht gilt:

41

„… Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 b) ThürKAG i. V. m. § 119 Abs. 1 AO muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Ergänzt und konkretisiert wird diese allgemeine Anforderung durch § 15 Abs. 1 Nr. 4 b) aa), Abs. 2 b) ThürKAG i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO. Danach müssen schriftliche Abgabenbescheide die festgesetzte Abgabe nach Art und Betrag bezeichnen und angeben, wer die Abgabe schuldet. Mehrere getrennte Abgabenfälle erfordern entweder eine Festsetzung in getrennten Abgabenbescheiden oder bei körperlicher Zusammenfassung in einem Schriftstück die Angabe, welche Lebenssachverhalte dem Abgabenbescheid zu Grunde liegen, und für jeden Abgabenfall eine gesonderte Festsetzung der Abgabe. Dies erfordert zwar nicht mehrere gesonderte Bescheide, doch müssen in einem zusammengefassten Bescheid die jeweiligen Beiträge für jedes Grundstück getrennt ausgewiesen und festgesetzt werden. Für die hinreichende Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit genügt es in diesen Fällen nicht, wenn aus sonstigen den Beteiligten bekannten näheren Umständen im Wege einer Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden könnte. Zwar hat der Senat in Bezug auf allgemeine Anforderungen an die Bestimmtheit, die Angabe des Abgabenschuldners sowie einen zusammengefassten Vergnügungssteuerbescheid entschieden, dass die Annahme der Nichtigkeit wegen Unbestimmtheit ausscheidet, wenn etwaige Zweifel an der Bestimmtheit durch eine (vorrangige) Auslegung des Bescheids beseitigt werden können, und dass es für diese Auslegung nicht darauf ankommt, wie ein außen stehender Dritter, sondern allein wie der Betroffene selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt des angefochtenen Bescheids unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste. Bei einem Beitragsbescheid für mehrere Grundstücke reicht es hingegen nicht aus, wenn der auf die einzelnen veranlagten Grundstücke jeweils entfallende Beitrag aus der Sicht des persönlich beitragspflichtigen Adressaten bestimmbar wäre. Dies muss sich vielmehr aus dem Bescheid selbst eindeutig und bestimmt ergeben. Grund dafür ist die Besonderheit, dass bei Beiträgen neben der persönlichen noch die sachliche Beitragspflicht besteht, die als öffentliche Last auf dem Grundstück (oder Erbbaurecht, dinglichen Nutzungsrecht) ruht, gleichviel ob es sich um einen Erschließungsbeitrag, einen Ausbaubeitrag oder Anschlussbeitrag handelt (vgl. § 134 Abs. 2 BauGB, § 7 Abs. 11 Satz 1 ThürKAG). Die öffentliche Last begründet keine persönliche Schuldnerschaft des jeweiligen Grundstückseigentümers, sondern hat den Inhalt, dass der Grundstückseigentümer mit dem Grundstück auch dann für die Beitragsschuld haftet, wenn er nicht persönlich beitragspflichtig ist, z. B. weil er das Grundstück von einem Voreigentümer erworben hat. Sie knüpft zwar an das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht an, kann aber nur in Anspruch genommen werden, soweit die persönliche Beitragspflicht entstanden und nicht wieder erloschen ist (sog. Akzessorietät der öffentlichen Last, § 7 Abs. 11 Satz 1 2. HS ThürKAG). Die öffentliche Last wird durch Duldungsbescheid geltend gemacht, der gegenüber dem (jeweiligen) Grundstückseigentümer zu erlassen ist, da dieser die Vollstreckung zu dulden hat (vgl. §§ 7 Abs. 11 Satz 2, 15 Abs. 1 Nr. 2 c), Nr. 4 b) ff) ThürKAG i. V. m. §§ 77 Abs. 2, 191 Abs. 1 AO). Beitreibung und Vollstreckung der persönlichen und sachlichen Beitragsschuld können daher unterschiedliche Wege gehen. Dies ist auch für die Frage der Bestimmtheit von Bedeutung: So wäre für den Erwerber eines von mehreren Grundstücken unter Umständen zweifelhaft, welche Lasten auf dem einen angekauften Grundstück ruhen oder, bei teilweiser Tilgung durch den Voreigentümer, noch ruhen. Zudem sind verschiedene Adressaten betroffen, wenn der persönlich Beitragspflichtige und der Eigentümer des Grundstücks nicht (mehr) identisch sind und gegen den Letztgenannten ein Duldungsbescheid erlassen wird. Schließlich können sich bei der Verwertung der öffentlichen Last durch Maßnahmen der Zwangsversteigerung, mit der wiederum dritte Personen befasst sind, Zweifel darüber ergeben, welches Grundstück für die jeweilige Beitragsschuld haftet. Sinn des Bestimmtheitsgebots ist aber gerade auch, wie der Senat bereits entschieden hat, dass der Verwaltungsakt eine geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein muss…“

42

c) Wie bereits § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V bzw. die Rechtsprechung dazu im Anschlussbeitragsrecht verlangt, sieht § 2 Abs. 4 Satz 1 der jeweiligen Beitragssatzung vor, dass Grundstück im Sinne dieser Satzung grundsätzlich das Grundstück im grundbuchrechtlichen Sinne ist, alias das (Grund-)Buchgrundstück alias das Grundstück im bürgerlich-rechtlichen Sinne (BGB-Grundstück) alias das formelle Grundstück (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 10. Okt. 2007 – 1 L 256/06 –, juris Rn. 21 und Urt. v. 24. März 2004 – 1 L 58/02 –, juris Rn. 177; statt vieler Driehaus, in: ders. [Hrsg.], Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2018, § 8 Rn. 392 f. m. w. N. aus der herrschenden Rechtsprechung; Aussprung, a. a. O., § 7 Erl. 13.1 m. w. N. aus der – auch jüngeren - Rechtsprechung des OVG Greifswald auf S. 156; Seppelt, Behandlung von Anteilen an ungetrennten Hofräumen, KStZ 2016, 48, 49; die Gesetze oder die Rechtsprechung anderer Bundesländer gehen z. T. auch von vornherein von einem wirtschaftlichen Grundstücksbegriff aus). Dies gebietet nach Auffassung des Gerichts bereits das rechtsstaatliche Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit (vgl. auch Aussprung, a. a. O.). Unter "Grundstück" ist danach derjenige katastermäßig abgegrenzte Teil der Erdoberfläche (= das Flurstück oder die Flurstücke) zu verstehen, der im Grundbuch unter einer besonderen Nummer eines (gemeinschaftlichen) Grundbuchblatts oder in einem eigenen Grundbuchblatt eingetragen ist. Ein Grundstück in diesem rechtlichen Sinn ist somit nicht stets das jeweilige einzelne Flurstück, sondern ein Buchgrundstück kann sogar aus mehreren Flurstücken bestehen, wenn sie unter einer laufenden Nummer im Bestandsverzeichnis eines Grundbuchblatts aufgeführt werden (vgl. – allerdings in der korrekten Definition unvollständig und eher verwirrend, soweit dort von einem Bestandsverzeichnis eines „Grundstücks“, wohl ein Schreibfehler, die Rede ist – OVG Greifswald, Urt. v. 10. Okt. 2007, a. a. O.; besser insoweit Driehaus, a. a. O. Rn. 392 m. w. N.). Ob mehrere Grundstücke, namentlich wenn sie nebeneinander liegen bzw. aneinander angrenzen, wirtschaftlich einheitlich genutzt werden, ist dabei ohne rechtliche Bedeutung, wenn sie aufgrund ihres Zuschnitts und ihrer Größe jeweils eine bauliche oder gewerbliche Nutzung ermöglichen.

43

Die Ausnahmeregelung in § 2 Abs. 4 Satz 2 der Trink- bzw. Schmutzwasserbeitragssatzung liegt tatbestandlich nicht vor. Betroffen sein sollen hier vor allem kleine bzw. in ihrem räumlichen Zuschnitt baulich oder gewerblich schlecht oder nicht nutzbare Grundstücke desselben Eigentümers, die aus diesen Gründen für sich genommen für eine bauliche oder gewerbliche Nutzung untauglich sind, in ihrer Zusammenfassung und räumlichen Nähe aber diese Eigenschaft erfüllen und von daher auch anschlussbeitragsrechtlich insoweit den Vorteil des Anschlusses bzw. der Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Einrichtung haben. Dagegen ermächtigt diese Vorschrift bei zur Bebauung hinreichend großen und zusammen liegenden Buchgrundstücken desselben Eigentümers bei sinnentsprechender Auslegung und Anwendung zu keiner Ausnahme von diesem Begriff bzw. einer Hinwendung zum wirtschaftlichen Grundstücksbegriff.

44

d) Nach Erlass dieses Urteils ist dem Gericht allerdings der folgende Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 13. Dezember 2017 (a. a. O., juris Rn. 28) bekannt geworden:

45

„… Vielmehr ist der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts zu folgen, dass der angefochtene Bescheid zwar formell rechtswidrig ist, gleichwohl aber gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. § 127 AO nicht der Aufhebung unterliegt, weil keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Da im vorliegenden Fall eine Beitragserhebungspflicht besteht, hat der Beklagte unter Anwendung seiner Beitragssatzung die Kläger in der satzungsgemäßen Höhe zu veranlagen gehabt. Daher hat der Senat keine Zweifel daran, dass die Abgabenfestsetzungen und das Zahlungsgebot noch hinreichend bestimmt sind. Im Hinblick auf die Festsetzung der Abgaben wendet der Kläger zwar zutreffend ein, dass ihm in der Bescheidformel nicht exakt benannt wird, welcher Betrag welchem Grundstück zuzurechnen ist. Unter Zuhilfenahme der Begründung des Bescheides erschließt sich aber zweifelsfrei, welcher Betrag auf welches Grundstück entfällt. Auf Seite 1 des Bescheides werden die Flächen der beiden Grundstücke benannt. Auf Seite 2 wird eine einfache Addition der Flächen vorgenommen. Danach wird die Gesamtfläche mit der Grundflächenzahl von 0,2 multipliziert und mit dem Beitragssatz von 4,20 € pro Quadratmeter. Dadurch erschließt sich dem Leser des Bescheides, dass die jeweilige Grundstücksfläche mit der Grundflächenzahl von 0,2 und dem Beitragssatz von 4,20 € m² multipliziert werden muss. Daher ist der Empfänger des Bescheides in der Lage, die Multiplikation der Grundstücksfläche des 260 m² bzw. 450 m² großen Grundstückes mit der Geschoßflächenzahl und dem Beitragssatz vorzunehmen, um so zu den jeweiligen Einzelbeträgen zu kommen. Wegen der im vorliegenden Fall nur erforderlichen und auch wenig anspruchsvollen Rechenschritte, ist für den Adressaten aus dem Bescheid ohne weiteres nachvollziehbar, dass das Grundstück Flurstück 248/95 mit einem Beitrag von 218,40 € (260 x 0,2 x 4,20) und das Grundstück Flurstück 247/ 43 mit einem Beitrag von 378,40 € (450 x 0,2 x 4,20) belastet worden ist. Diese einfachen Rechenschritte können gegebenenfalls auch im Rahmen einer Vollstreckung in das Grundstück wegen der auf den Grundstücken ruhenden öffentlichen Lasten sicher und zweifelsfrei nachvollzogen werden …“

46

e) Ob dem zu folgen sein wird, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, da das erkennende Gericht diesen Gedanken bei der Urteilsfällung nicht hatte. Ihm erscheint aber fraglich, ob in einem solchen Fall tatsächlich eine „nicht anders ausfallende Behördenentscheidung“ nach den genannten Vorschriften vorliegt. Naheliegender dürfte sein, die vom Obergericht (und vom Greifswalder Schwestergericht) angegebene Begründung als letztlich dann doch nicht vorliegende Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheids anzusehen. Eine solche Fehlerheilung des Abgabenbescheids durch den rechnenden Bürger nach dem Motto „Die Abgabenbehörde gibt die Fakten, der Bürger rechnet sich dann selbst die jeweilige Abgabe aus“ dürfte der Abgabenbehörde jedenfalls einen noch größeren Freibrief für (ohne Mitwirkung des „kalkulierenden“ Bürgers) rechtswidriges, aber folgenloses Handeln geben.

47

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

48

Von Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kosten dieses Verfahrens sieht das Gericht ab (vgl. § 167 Abs. 2 VwGO), da auf Beklagtenseite eine insolvenzunfähige Gemeinde bzw. ein ebensolches Amt und damit eine kraft Gesetzes stets zahlungsfähige Schuldnerin steht.

Tenor

Der Bescheid der Beklagten über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 28. Januar 2013, Bescheidnummer ...120, der Bescheid der Beklagten über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 22. Januar 2013, Bescheidnummer ...105, und der Bescheid der Beklagten über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 28. Januar 2013, Bescheidnummer ...122, sowie die dazu ergangenen Widerspruchsbescheide vom 20. März 2013 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger ficht drei Bescheide über einen jeweiligen Schmutzwasseranschlussbeitrag an.

2

I. Der Kläger war zum Zeitpunkt des Erlasses des nachfolgenden Beitragsbescheids Eigentümer der folgenden Grundstücke in der Gemeinde D. M. Ortsteil K., die im Grundbuch von D. M. im jeweils nachfolgend mitgeteilten Blatt eingetragen sind bzw. damals waren:

3

- Flurstück a (303 m²), Blatt A, (K. R. x)

4

- Flurstück b (199 m²), Blatt B, (K. R. x)

5

- Flurstück c (199 m²), Blatt C, (K. R. x)

6

- Flurstück d (199 m²), Blatt D, (K. R. x)

7

- Flurstück e (199 m²), Blatt E, (K. R. x) und

8

- Flurstück f (329 m²), Blatt F, (K. R. x)

9

jeweils Flur z, Gemarkung K.

10

Seit dem 8. November 2013 ist für die ersten vier aufgeführten Grundstücke ein anderer Eigentümer im jeweiligen Grundbuchblatt eingetragen.

11

Am 30. März 2015 wurden dem Grundbuch, Blatt E, das bis dahin nur aus dem Flurstück e bestand, mit jeweils eigener Nummer auch die Grundstücke Flurstücke f, g (siehe zu II.) und r (siehe zu II.) zugeschrieben und wohl im Zusammenhang mit der Umschreibung auf eine neue, am 27. Juli 2015 eingetragene Eigentümerin aus diesen fünf Grundstücken ein Grundstück gemacht, das aus den genannten Flurstücken besteht. Das Grundbuch, Blatt F, wurde wegen Abschreibung des Bestands am 30. März 2015 geschlossen.

12

Die Grundstücke – wie auch die nachfolgend unter II. und III. aufgeführten - liegen im Geltungsbereich der Satzung über die 6. Änderung der Satzung der Gemeinde D. M. über den Bebauungsplan Nr. 1 „Wohngebiet K.“ vom 26. März 2012, bekannt gemacht im Amtsblatt am 28. März 2012.

13

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 28. Januar 2013, Bescheidnummer ...120, erhob die Beklagte von dem Kläger für diese insgesamt 1.428 m² große Fläche einen entsprechenden Beitrag in Höhe von 4.426,80 €.

14

II. Der Kläger war weiterhin zum Zeitpunkt des Erlasses des nachfolgenden Beitragsbescheids Eigentümer der folgenden Grundstücke in der Gemeinde D. M. Ortsteil K., die im Grundbuch von D. M. im jeweils nachfolgend mitgeteilten Blatt eingetragen sind bzw. damals waren:

15

- Flurstück g (327 m²), Blatt G, (K. R. x)

16

- Flurstück h (197 m²), Blatt H, (K. R. x)

17

- Flurstück i (198 m²), Blatt I, (K. R. x)

18

- Flurstück j (199 m²), Blatt J, (K. R. xx) und

19

- Flurstück k (330 m²), Blatt K, (K. R. xx)

20

Das Grundbuch, Blatt G, wurde am 30. März 2015 wegen Abschreibung des Bestands (auf das Blatt E, s. o.) geschlossen.

21

Das Grundstück Flurstück h wurde später zerlegt in die Flurstücke r (34 m²) und Flurstück s (163 m²), die grundbuchliche Berichtigung erfolgte am 19. Februar 2014. Das Flurstück r wurde am 30. März 2015 übertragen auf das Grundbuch, Blatt E (s. o.). Das seither aus dem Flurstück s bestehende Grundstück ist seit dem 30. März 2015 im Eigentum einer anderen Person, vermutlich der Ehefrau des Klägers.

22

Das Grundstück Flurstück k hat am 30. März 2015 den Eigentümer gewechselt, auch insoweit wohl die Ehefrau des Klägers.

23

Dieser Eigentümerwechsel gilt seit dem letztgenannten Tag auch für das Grundstück Flurstück i (Grundbuch, Blatt I).

24

Das Grundstück Flurstück j wurde später zerlegt in die Flurstücke t (114 m²) und Flurstück u (85 m²), die grundbuchliche Berichtigung erfolgte am 24. März 2016.

25

Bereits seit dem 30. März 2015 ist das Grundstück im Eigentum einer anderen Person, vermutlich der Ehefrau des Klägers.

26

Mit dem auch insoweit streitgegenständlichen Bescheid über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 22. Januar 2013, Bescheidnummer ...105, erhob die Beklagte von dem Kläger für diese insgesamt 1.251 m² große Fläche einen entsprechenden Beitrag in Höhe von 3.878,10 €.

27

III. Schließlich war der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des nachfolgenden Beitragsbescheids Eigentümer der folgenden Grundstücke in der Gemeinde D. M. Ortsteil K., die im Grundbuch von D. M. im jeweils nachfolgend mitgeteilten Blatt eingetragen sind bzw. damals waren:

28

- Flurstück l (470 m²), Blatt L, (K. R. xx)

29

- Flurstück m (300 m²), Blatt M, (K. R. xx)

30

- Flurstück n (299 m²), Blatt N, (K. R. xx)

31

- Flurstück o (300 m²), Blatt O, (K. R. xx)

32

- Flurstück p (299 m²), Blatt P, (K. R. xx) und

33

- Flurstück q (476 m²), Blatt Q, (K. R. xx).

34

Das Flurstück l wurde später zerlegt in die Flurstücke v (240 m²) und w (230 m²), die Berichtigung im Grundbuch erfolgte am 19. Februar 2014. Am 22. März 2016 wurde das Flurstück w übertragen in das Grundbuch, Blatt N, sodass das Grundstück, eingetragen im Grundbuch, Blatt L, seither nur noch aus dem Flurstück v (A-Straße) besteht. Das Grundstück Flurstück v befindet sich immer noch im Eigentum des Klägers.

35

Das Grundstück Flurstück m wurde am 22. März 2016 auf das Grundbuch, Blatt N, übertragen und deshalb das Grundbuch, Blatt M, geschlossen.

36

Zum Grundbuch, Blatt N, wurden die Grundstücke Flurstück w, Flurstück m und Flurstück x am 22. März 2016 von den entsprechenden anderen Grundbuchblättern übertragen; am gleichen Tag wurden diese Grund- und Flurstücke zu einem Grundstück vereinigt und zwei neue Eigentümer zu je ½ Anteil eingetragen.

37

Das Flurstück o wurde später in die Flurstücke x (105 m²) und y (195 m²) zerlegt; die grundbuchliche Berichtigung erfolgte am 19. Februar 2014. Einen Monat später entstand unter entsprechender Abschreibung aus dem Bestand des bisher einzigen dort eingetragenen Grundstücks das dort weiter eingetragene Grundstück Flurstück y. Am 6. Oktober 2015 wurde das Grundstück Flurstück y übertragen in das Grundbuch, Blatt P, am 22. März 2016 dann das andere Grundstück Flurstück x in das Grundbuch, Blatt N. Daraufhin ist das Grundbuch, Blatt O, geschlossen worden.

38

In das Grundbuchblatt P wurden am 6. Oktober 2015 die Grundstücke Flurstück y (vom Blatt 1483) und Flurstück q (vom Blatt Q) übertragen; die Lage der drei Grundstücke ist nunmehr mit K. R. xx angegeben. Diese Grundstücke befinden sich seit dem 6. Oktober 2015 im grundbuchlich eingetragenen Eigentum zweier Personen zu je ½ Anteil. Das Grundbuchblatt Q ist deshalb am 6. Oktober 2015 geschlossen worden.

39

Mit dem auch insoweit streitgegenständlichen Bescheid über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 28. Januar 2013, Bescheidnummer ...122, erhob die Beklagte von dem Kläger für die insgesamt 2.144 m² große Fläche einen entsprechenden Beitrag in Höhe von 6.646,40 €.

40

Binnen eines Monats legte der Kläger gegen diese Bescheide Widerspruch ein, den die Beklagte jeweils mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2013 zurückwies.

41

Der Kläger hat am 12. April 2013 Klage erhoben, mit der er vorträgt:

42

Mit den Bescheiden seien Kosten für Anlagen der Schmutzwasserbeseitigung in Rechnung gestellt worden, die bereits seit nahezu 20 Jahren existierten. Die Beitragsforderungen seien verjährt.

43

Es bestünden nunmehr gegen die geänderte Fassung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V verfassungsrechtliche Bedenken.

44

Der Kläger beantragt,

45

die drei Schmutzwasserbeitragsbescheide der Beklagten vom 22. und 28. Januar 2013, Bescheidnummern ...105, ...120 und ...122, sowie ihre drei Widerspruchsbescheide vom 20. März 2013 aufzuheben.

46

Die Beklagte beantragt,

47

die Klage abzuweisen,

48

und trägt dazu vor:

49

Zum Zeitpunkt des Zuschlags der Grundstücke habe dem Amtsgericht Wismar ihr Schreiben vom 10. Februar 2011 vorgelegen, in denen mitgeteilt worden sei, dass die Flurstücke noch nicht jeweils mit Anschaffungs- und Herstellungsbeiträgen Trink- und Schmutzwasser beschieden worden seien. Der Kläger habe somit mit diesen Kosten rechnen müssen.

50

Die gemeinsame Veranlagung mehrerer Grundstücke sei deshalb zulässig, weil auf diesen, soweit zusammengefasst, Grundstücken nach dem Bebauungsplan Nr. 1 auch nur eine einheitliche Reihenhausbebauung zulässig sei. Zudem habe zum damaligen Zeitpunkt die Eigentümeridentität bestanden. Sie verweise auf § 3 Abs. 3 der Schmutzwasserbeitragssatzung. Es könne hier ausnahmsweise von dem bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff abgewichen und auf den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff zurückgegriffen werden, weil es sich vorliegend um sogenannte Handtuchgrundstücke handele, die nicht separat bebaubar seien. Dies habe der Bebauungsplan auch so berücksichtigt, indem er nur eine Reihenhausbebauung auf diesen Grundstücken für zulässig erachtet habe. Bei der Erstellung der drei Bescheide habe man sich anhand der Einzeichnungen des Bebauungsplans orientiert, die auch drei Bereiche insoweit aufweise.

51

Nach der Veräußerung der Grundstücke a, b, c und d habe der neue Eigentümer auf allen vier Flurstücken und Grundstücken ein Einfamilienhaus errichtet. Dies sei nach den Festsetzungen des Bebauungsplans allerdings gar nicht zulässig.

52

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 24. November 2014 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

53

Die Anfechtungsklage ist begründet.

54

Der Bescheid der Beklagten über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 22. Januar 2013, Bescheidnummer ...105, und die beiden entsprechenden Bescheide vom 28. Januar 2013, Bescheidnummern ...120 und ...122, sowie die dazu ergangenen Widerspruchsbescheide vom 20. März 2013 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

55

In dem jeweiligen der drei Anschlussbeitragsbescheide werden zu Unrecht mehrere Buchgrundstücke, die allerdings zum Zeitpunkt ihres Erlasses dem Kläger gehörten, zusammengefasst und nur jeweils ein „einheitlicher“ Schmutzwasseranschlussbeitrag festgesetzt.

56

Ein solcher Verwaltungsakt ist inhaltlich jeweils nicht hinreichend bestimmt. Ein kommunaler Abgabenbescheid muss die festgesetzte kommunale Abgabe nach Art und Betrag bezeichnen und angeben, wer die kommunale Abgabe schuldet, § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO. Ebenso muss ein Anschlussbeitragsbescheid, um dem allgemeinen Bestimmtheitsgebot von Verwaltungsakten nach § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. § 119 Abs. 1 AO zu genügen, darüber hinaus auch eine hinreichend bestimmte Aussage dazu treffen, für welches Grundstück ein solcher – eben grundstücksbezogener - Beitrag festgesetzt wird (vgl. Urteil des Gerichts vom 21. Nov. 2011 – 4 A 652/08 -, S. 5 des amtlichen Umdrucks; Aussprung, in: ders. et al., Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern, Stand: November 2015, § 2 Erl. 12.3.2 m. w. N.).

57

Gegenstand der Veranlagung zu einem Anschlussbeitrag ist grundsätzlich das Buchgrundstück (dazu sogleich).

58

Zwar können in einem (zusammengefassten) Bescheid gegenüber einem beitragspflichtigen Eigentümer mehrerer Grundstücke auch grundsätzlich mehrere Anschlussbeiträge für diese Buchgrundstücke gleichzeitig festgesetzt werden. Allerdings muss dann der für das jeweils veranlagte Buchgrundstück geltende Kanalanschlussbeitrag separat festgesetzt und ausgewiesen sein, sodass nicht nur für den Beitragspflichtigen, sondern auch für Dritte feststeht, in welcher Höhe für welches Buchgrundstück ein Beitrag erhoben wird (Urt. des Gerichts vom 21. Nov. 2011, a. a. O., S. 6 f. des amtlichen Umdrucks, auch zum Nachfolgenden).

59

Der Tenor eines Beitragsbescheids besteht nicht allein aus der Regelung, dass der Inhaltsadressat des Bescheids einen gewissen Geldbetrag zu zahlen habe. Zum Tenor gehören zumindest auch die Abgabenart (Steuer, Beitrag oder Gebühr) und der Bezugsgegenstand des Bescheids. Bei einem Anschlussbeitragsbescheid ist Letzteres das veranlagte Grundstück (vgl. zum Erschließungs- oder Straßenbaubeitragsrecht OVG Lüneburg, Urt. v. 8. Nov. 1988 – 9 A 11/87 -, NVwZ 1989, 582 = juris, Rn. 44). Dieses Erfordernis folgt entweder aus einer sinngemäßen Anwendung des § 157 Abs. 1 Satz 2 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V (so Aussprung, a. a. O. und § 7 Anm. 18.2 und 18.2.4) oder aber bereits aus dem allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatz nach § 119 Abs. 1 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V.

60

Dabei reicht eine durch Auslegung des Bescheids zu erzielende Bestimmbarkeit des auf das einzelne Buchgrundstück entfallenden Anschlussbeitrags nicht aus, da die dadurch geregelte Festsetzung dieser Abgabe zugleich die Konkretisierung der öffentlichen Last (§ 7 Abs. 6 KAG M-V) auf dem jeweiligen Buchgrundstück bedeutet und diese Last unabhängig von der persönlichen Beitragspflicht ist. Dazu hat das Oberverwaltungsgericht Thüringen in einem Beschluss vom 30. August 2010 – 4 EO 659/08 – (juris, Rn. 29) zutreffend Folgendes ausgeführt, das entsprechend auch für das hiesige Abgabenrecht gilt:

61

„… Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 b) ThürKAG i. V. m. § 119 Abs. 1 AO muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Ergänzt und konkretisiert wird diese allgemeine Anforderung durch § 15 Abs. 1 Nr. 4 b) aa), Abs. 2 b) ThürKAG i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO. Danach müssen schriftliche Abgabenbescheide die festgesetzte Abgabe nach Art und Betrag bezeichnen und angeben, wer die Abgabe schuldet. Mehrere getrennte Abgabenfälle erfordern entweder eine Festsetzung in getrennten Abgabenbescheiden oder bei körperlicher Zusammenfassung in einem Schriftstück die Angabe, welche Lebenssachverhalte dem Abgabenbescheid zu Grunde liegen, und für jeden Abgabenfall eine gesonderte Festsetzung der Abgabe. Dies erfordert zwar nicht mehrere gesonderte Bescheide, doch müssen in einem zusammengefassten Bescheid die jeweiligen Beiträge für jedes Grundstück getrennt ausgewiesen und festgesetzt werden. Für die hinreichende Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit genügt es in diesen Fällen nicht, wenn aus sonstigen den Beteiligten bekannten näheren Umständen im Wege einer Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden könnte. Zwar hat der Senat in Bezug auf allgemeine Anforderungen an die Bestimmtheit, die Angabe des Abgabenschuldners sowie einen zusammengefassten Vergnügungssteuerbescheid entschieden, dass die Annahme der Nichtigkeit wegen Unbestimmtheit ausscheidet, wenn etwaige Zweifel an der Bestimmtheit durch eine (vorrangige) Auslegung des Bescheids beseitigt werden können, und dass es für diese Auslegung nicht darauf ankommt, wie ein außen stehender Dritter, sondern allein wie der Betroffene selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt des angefochtenen Bescheids unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste. Bei einem Beitragsbescheid für mehrere Grundstücke reicht es hingegen nicht aus, wenn der auf die einzelnen veranlagten Grundstücke jeweils entfallende Beitrag aus der Sicht des persönlich beitragspflichtigen Adressaten bestimmbar wäre. Dies muss sich vielmehr aus dem Bescheid selbst eindeutig und bestimmt ergeben. Grund dafür ist die Besonderheit, dass bei Beiträgen neben der persönlichen noch die sachliche Beitragspflicht besteht, die als öffentliche Last auf dem Grundstück (oder Erbbaurecht, dinglichen Nutzungsrecht) ruht, gleichviel ob es sich um einen Erschließungsbeitrag, einen Ausbaubeitrag oder Anschlussbeitrag handelt (vgl. § 134 Abs. 2 BauGB, § 7 Abs. 11 Satz 1 ThürKAG). Die öffentliche Last begründet keine persönliche Schuldnerschaft des jeweiligen Grundstückseigentümers, sondern hat den Inhalt, dass der Grundstückseigentümer mit dem Grundstück auch dann für die Beitragsschuld haftet, wenn er nicht persönlich beitragspflichtig ist, z. B. weil er das Grundstück von einem Voreigentümer erworben hat. Sie knüpft zwar an das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht an, kann aber nur in Anspruch genommen werden, soweit die persönliche Beitragspflicht entstanden und nicht wieder erloschen ist (sog. Akzessorietät der öffentlichen Last, § 7 Abs. 11 Satz 1 2. HS ThürKAG). Die öffentliche Last wird durch Duldungsbescheid geltend gemacht, der gegenüber dem (jeweiligen) Grundstückseigentümer zu erlassen ist, da dieser die Vollstreckung zu dulden hat (vgl. §§ 7 Abs. 11 Satz 2, 15 Abs. 1 Nr. 2 c), Nr. 4 b) ff) ThürKAG i. V. m. §§ 77 Abs. 2, 191 Abs. 1 AO). Beitreibung und Vollstreckung der persönlichen und sachlichen Beitragsschuld können daher unterschiedliche Wege gehen. Dies ist auch für die Frage der Bestimmtheit von Bedeutung: So wäre für den Erwerber eines von mehreren Grundstücken unter Umständen zweifelhaft, welche Lasten auf dem einen angekauften Grundstück ruhen oder, bei teilweiser Tilgung durch den Voreigentümer, noch ruhen. Zudem sind verschiedene Adressaten betroffen, wenn der persönlich Beitragspflichtige und der Eigentümer des Grundstücks nicht (mehr) identisch sind und gegen den Letztgenannten ein Duldungsbescheid erlassen wird. Schließlich können sich bei der Verwertung der öffentlichen Last durch Maßnahmen der Zwangsversteigerung, mit der wiederum dritte Personen befasst sind, Zweifel darüber ergeben, welches Grundstück für die jeweilige Beitragsschuld haftet. Sinn des Bestimmtheitsgebots ist aber gerade auch, wie der Senat bereits entschieden hat, dass der Verwaltungsakt eine geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein muss…“

62

Wie bereits § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V bzw. die Rechtsprechung dazu im Anschlussbeitragsrecht verlangt, sieht § 3 Abs. 3 Satz 1 der Beitragssatzung Schmutzwasser des Zweckverbands vor, dass Grundstück im Sinne dieser Satzung grundsätzlich das Grundstück im grundbuchrechtlichen Sinne ist, alias das (Grund-)Buchgrundstück alias das Grundstück im bürgerlich-rechtlichen Sinne (BGB-Grundstück) alias das formelle Grundstück (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 10. Okt. 2007 – 1 L 256/06 –, juris Rn. 21 und Urt. v. 24. März 2004 – 1 L 58/02 –, juris Rn. 177; Urt. des Gerichts v. 21. Nov. 2011, a. a. O., S. 5 f. des amtlichen Umdrucks; statt vieler Driehaus, in: ders. [Hrsg.], Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2016, § 8 Rn. 392 f. m. w. N. aus der herrschenden Rechtsprechung; Aussprung, a. a. O., § 7 Erl. 13.1 m. w. N. aus der – auch jüngeren - Rechtsprechung des OVG Greifswald auf S. 156; Seppelt, Behandlung von Anteilen an ungetrennten Hofräumen, KStZ 2016, 48, 49; die Gesetze oder die Rechtsprechung anderer Bundesländer gehen z. T. auch von vornherein von einem wirtschaftlichen Grundstücksbegriff aus). Dies gebietet nach Auffassung des Gerichts bereits das rechtsstaatliche Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit (vgl. auch Aussprung, a. a. O.).

63

Unter "Grundstück" ist deshalb derjenige katastermäßig abgegrenzte Teil der Erdoberfläche (= das Flurstück oder die Flurstücke) zu verstehen, der im Grundbuch unter einer besonderen Nummer eines (gemeinschaftlichen) Grundbuchblatts (vgl. § 4 GBO) oder auf einem eigenen Grundbuchblatt eingetragen ist. Ein Grundstück in diesem rechtlichen Sinn ist somit nicht stets – wie allerdings vorliegend schon, da es in einem eigenen Grundbuchblatt eingetragen ist - das jeweilige einzelne Flurstück, sondern ein Buchgrundstück kann sogar aus mehreren Flurstücken bestehen, wenn sie unter einer laufenden Nummer im Bestandsverzeichnis eines Grundbuchblatts aufgeführt werden (vgl. – allerdings in der korrekten Definition unvollständig und eher verwirrend, soweit dort von einem Bestandsverzeichnis eines „Grundstücks“, wohl ein Schreibfehler, die Rede ist – OVG Greifswald, Urt. v. 10. Okt. 2007, a. a. O.; besser insoweit Driehaus, a. a. O. Rn. 392 m. w. N.). Dabei ist ohne rechtliche Bedeutung, ob mehrere Grundstücke, namentlich wenn sie nebeneinander liegen bzw. aneinander angrenzen, baulich, gewerblich bzw. wirtschaftlich einheitlich genutzt werden, wenn und soweit sie aufgrund ihres Zuschnitts und ihrer Größe jeweils eine eigene bauliche oder gewerbliche Nutzung ermöglichen.

64

Die Ausnahmeregelung in § 3 Abs. 3 Satz 2 der Schmutzwasserbeitragssatzung, die weg von dem genannten Buchgrundstücksbegriff und hin zu einem wirtschaftlichen Grundstücksbegriff führt, liegt tatbestandlich nicht vor. Dort heißt es:

65

„… Mehrere Grundstücke gelten als ein Grundstück, wenn die Eigentümer identisch sind und eines der Grundstücke oder mehrere Grundstücke nur gemeinsam mit einem oder mehreren anderen Grundstücken baulich oder gewerblich nutzbar sind.“

66

Betroffen sein sollen hier vor allem kleine bzw. in ihrem räumlichen Zuschnitt baulich oder gewerblich schlecht oder nicht nutzbare Grundstücke desselben Eigentümers, die aus diesen Gründen für sich genommen für eine bauliche oder gewerbliche Nutzung untauglich sind, in ihrer Zusammenfassung und räumlichen Nähe aber diese Eigenschaft erfüllen und von daher auch anschlussbeitragsrechtlich insoweit den Vorteil des Anschlusses bzw. der Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Einrichtung haben.

67

So liegen die Dinge im vorliegenden Fall aber nicht.

68

Das Gericht vermag der Beklagten nicht darin zu folgen, dass hier der wirtschaftliche Grundstücksbegriff anzulegen sei, weil auf den jeweiligen zusammengefassten Grundstücken des (ihm zumindest damals gehörenden) Klägers nach dem Bebauungsplan Nr. 1 auch nur eine einheitliche Reihenhausbebauung zulässig sei.

69

Die hier einschlägige 6. Änderung der Satzung der Gemeinde Dorf Mecklenburg über den Bebauungsplan Nr. 1 „Wohngebiet Karow“ vom 26. März 2012 schreibt in dem hier maßgeblichen und von dieser Änderung des Bebauungsplans betroffenen Gebiet zum einen keine Reihenhausbebauung vor. Die in dieser Änderung des Bebauungsplans vom 26. März 2012 festgesetzten Allgemeinen Wohngebiete „WA 1“ und WA2.2“, in der alle der jeweiligen Heranziehung zugrunde gelegten Buchgrundstücke liegen, weisen vielmehr zur vorgeschriebenen Bauweise und Baugrenzen eine offene Bauweise und eine baurechtliche Zulässigkeit „nur (von) Einzel- und Doppelhäuser(n)“ aus. Dies ist womöglich abweichend von den bauplanungsrechtlichen Regelungen, die für die anderen Teilen des „Rings“ aufgrund des Bebauungsplans Nr. 1 „Wohngebiet Karow“ gelten und in diesem Bebauungsplan bis ggf. einschließlich der 5. Änderung festgelegt worden sind, zumal in diesem von oben betrachtet linken Bereich des insgesamt kreisförmigen Gebiets tatsächlich nur Reihenhäuser (in geschlossener Bauweise) errichtet worden sind. Auch mag dies bis zur 6. Änderungssatzung auch in dem hier zu betrachtenden Bereich gegolten haben. Dies ist aber ohne jede Bedeutung, da diese Änderungssatzung vor Erlass der hier jeweils streitgegenständlichen Anschlussbeitragsbescheide in Kraft getreten ist. Bei Betrachtung des Luftbilds aus Google Earth sind in dem hier streitbefangenen Gebiet (deshalb) auch keine Reihenhäuser gebaut worden, sondern wohl zwei Doppelhaushälften sowie Einzel- bzw. Einfamilienhäuser in offener Bauweise. Deshalb ist es dann auch – anders als die Beklagte es wertet – nicht rechtlich unzulässig, sondern entspricht insoweit dem Bauplanungsrecht, wenn nach Veräußerung der vier Grundstücke mit den jeweiligen Flurstücken a, b, c und d der neue „vierfache“ Eigentümer auf allen vier Flur- und Grundstücken ein Einzel- bzw. Einfamilienhaus errichtet hat.

70

Insoweit mag zwar zweifelhaft sein, ob ein Bauherr bei Beachtung dieses Bebauungsplans ein Bauvorhaben eines Einzelhauses auf nur einem dieser sehr schmalen und zudem recht kleinen („Tortenstück“-)Grundstücke verwirklichen kann, ohne die Bauabstandsflächen nach § 6 LBauO M-V zu verletzen. Jedenfalls für die Errichtung von einer Doppelhaushälfte auf einem Grundstück sieht das Gericht jedoch keine entsprechenden oder andere Hürden. Selbst wenn deshalb entgegen den Festsetzungen im Bebauungsplan nur die Bebauung mit einer Doppelhaushälfte auf dem jeweiligen schmalen („Tortenstück“-)Grundstück möglich sein sollte, stellt dies keinen Grund dar, hier vom Grundstücksbegriff i. S. der Maßgeblichkeit des Buchgrundstücks im Anschlussbeitragsrecht abzurücken. Denn dann ist eben nur, aber wenigstens diese zulässige Art bzw. dieses zulässige Maß der baulichen Nutzung auf dem jeweiligen Grundstück zu realisieren. Insoweit spielt es keine Rolle, dass die laut Bebauungsplan alternative bauliche Nutzbarkeit des jeweiligen Grundstücks für ein Einzelhaus wohl fraglich erscheint und eher ausschließlich beim Erwerb von mindestens zwei (oder mehr) dieser („Tortenstück“-) Grundstücke verwirklicht werden kann. Eine zulässige Art bzw. ein zulässiges Maß der baulichen Nutzung eines Buchgrundstücks genügt, um im Anschlussbeitragsrecht den Vorteil allein an diesem Grundstück im bürgerlich-rechtlichen Sinne zu bemessen. Es besteht deshalb kein Anlass, mit Blick auf die Ausschöpfung des einrichtungsbezogenen Vorteils davon zugunsten des wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs auszuweichen, wenn die bauliche oder gewerbliche Ausnutzbarkeit schon auf einem Buchgrundstück gegeben ist, ohne dass dazu zwingend auf ein weiteres Buchgrundstück zurückgegriffen werden muss.

71

Nichts anderes gälte aber zum anderen selbst in dem Fall, dass die Rechtsauffassung der Beklagte zuträfe und der einschlägige Bebauungsplan nur eine geschlossene Bauweise in der Form einer Reihenhausbebauung auf jedem Buchgrundstück vorsähe. Es bestünde auch dann keine Notwendigkeit, für die Verwirklichung eines solchen Bauvorhabens mehr als eines dieser („Tortenstück“-)Grundstücke in Anspruch zu nehmen, und deshalb auch keine Not, auf den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff auszuweichen, um den Vorteil des Anschlusses bzw. der Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Einrichtung der Schmutzwasserbeseitigung für das jeweilige Buchgrundstück abzuschöpfen.

72

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

73

Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 11. Juni 2015 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahrens wird auf 2.491,22 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Durch Bescheide vom 26. Oktober 2012 setzte der Beklagte gegenüber der Klägerin für das Wirtschaftsjahr 2012 für den Hotelbetrieb der Klägerin Fremdenverkehrsabgaben in Höhe von 951,08 € und 1.540,14 €, d. h. zusammen einen Betrag von 2.491,22 € fest.

2

Die Widersprüche der Klägerin wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheide vom 13. Februar 2013 zurück. Die Klägerin hat Klage erhoben.

3

Durch Urteil vom 11. Juni 2015 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Die Klage sei zulässig und begründet. Die Satzung der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf über die Erhebung einer Fremdenverkehrsabgabe vom 29. März 2012 – Fremdenverkehrsabgabesatzung (FVAS) – sei unwirksam. Sie enthalte in § 5 Abs. 3 eine unwirksame Fälligkeitsregelung („Fälligkeit mit Anspruchsentstehung“) und weise damit nicht den nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt auf. Dies führe zur Gesamtnichtigkeit der Satzung. Die Erste Änderungssatzung ordne – in nicht zu beanstandender Weise – in Art. 1 die Rückwirkung der Stammsatzung und in Art. 2 die Rückwirkung der Änderungssatzung jeweils auf den 1. Januar 2012 an. Da die Erste Änderungssatzung aber keine Änderung der Fälligkeitsregelung enthalte, verbleibe es bei der Unwirksamkeit der FVAS vom 29. März 2012. Dies gelte in gleicher Weise für die Zweite Änderungssatzung vom 25. April 2013. Eine geänderte Fälligkeitsregelung werde erst durch die Dritte Änderungssatzung vom 30. Januar 2014 ohne Rückwirkung in die Stammsatzung eingefügt. Zwar genüge die geänderte Fälligkeitsregelung den Anforderungen. In Bezug auf die Bestimmung in § 5 Abs. 3 Satz 2 zweiter Halbsatz („soweit im Bescheid ausdrücklich kein späterer Fälligkeitstermin bestimmt ist“) liege allenfalls ein Fall der Teilnichtigkeit vor. Es sei zu berücksichtigen, dass die Fremdenverkehrsabgabe gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 FVAS als Jahresabgabe erhoben werde und die Abgabenschuld gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 FVAS Satzung mit Beginn eines jeden Kalenderjahres entstehe, in dem die Abgabepflicht bestehe. Die damit normierte antizipierte Abgabenerhebung sei zulässig. Sie erfordere aber, dass die Rechtsgrundlage der Abgabenerhebung bereits am 1. Januar des betreffenden Wirtschaftsjahres gelte. Wie bereits erwähnt, weise die Dritte Änderungssatzung die dann erforderliche Rückwirkungsanordnung nicht auf. Folglich könne frühestens am Tag nach Bekanntgabe der Dritten Änderungssatzung am 19. Februar 2014 eine Fehlerheilung der Fälligkeitsregelung erfolgt sein. Dies erlaube keine Abgabenerhebung für das Wirtschaftsjahr 2012. Die Vierte Satzung zur Änderung der Satzung der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf über die Erhebung einer Fremdenverkehrsabgabe vom 29. März 2014 vom 27. November 2014 führe nicht dazu, dass die FVAS rückwirkend zum 1. Januar 2012 in Kraft getreten sei. Zwar weise Art. II der Vierten Änderungssatzung eine ordnungsgemäße Fälligkeitsregelung auf. Auch enthalte Art. III der Vierten Änderungssatzung eine Rückwirkungsanordnung bezogen auf den 1. Januar 2012. Allerdings gehe die Rückwirkungsanordnung ins Leere, denn sie beziehe sich nicht auf die Vierte Änderungssatzung, sondern auf die zu ändernden Stammsatzung vom 29. März 2012. Die FVAS sei zudem auch deshalb unwirksam, weil die in § 4 Abs. 4 FVAS normierten Abgabensätze auf einer fehlerhaften Kalkulation beruhten.

4

Das Urteil ist der Beklagten am 22. Juni 2015 zugestellt worden. Mit seinem am 8. Juli 2015 eingelegten und am 10. August 2015 begründeten Antrag auf Zulassung der Berufung trägt der Beklagte vor:

5

Es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Die FVAS sei bereits in ihrer Ursprungsfassung rechtmäßig gewesen. Nach § 5 Abs. 3 FVAS werde die Abgabenschuld mit ihrer Entstehung fällig und durch Bescheid der Kurverwaltung erhoben. Dagegen sei nichts zu erinnern. Dies verstoße – entgegen der Annahme des VG – nicht gegen § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V, wonach eine Satzung den Zeitpunkt der Abgabenentstehung und der Abgabenfälligkeit angeben müsse. Dem VG sei auf Seite 5 seines Urteils (2. und 3. Absatz) ein Fehler unterlaufen: Zum einen beziehe sich „§ 10 Inkrafttreten“ der FVAS in der Vierten Änderungsfassung denkt notwendigerweise auf das Inkrafttreten der gesamten FVAS vom 29. März 2012; nichts anderes könne gemeint sein. Zum anderen: Wenn die Vierte Änderungssatzung in ihrer Präambel die FVAS vom 29. März 2012 in Bezug nehme und sodann feststelle, „diese Satzung“ und nicht etwa nur „dieser § 10 der Satzung“ trete rückwirkend in Kraft, so könne damit nur die FVAS in toto gemeint gewesen sein. Damit aber sei – entgegen der Schlussfolgerung des VG – rückwirkend eine Ermächtigungsgrundlage vorhanden. Endlich sei anzumerken, dass es um die Erhebung von Abgaben gehe und im Zeitpunkt der Entscheidung des VG auch nach seiner Ansicht eine nicht zu beanstandende Fälligkeitsregelung und damit Ermächtigungsgrundlage vorhanden sei. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des BVerwG, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen. Ernsthaft zweifelhaft sei schließlich, ob die Aussage des VG zutreffend sei, der nach § 1 Abs. 2 FVAS zulässige Deckungsgrad werde deutlich überschritten, d. h. es liege ein Kalkulationsfehler vor. Das VG verkenne, dass der Satzungsgeber seinen Fehler in der Zweiten Änderungssatzung korrigiert habe.

6

Die Sache habe auch grundsätzliche Bedeutung. Es liege im allgemeinen Interesse, geklärt zu wissen, dass ein rückwirkendes Inkrafttreten einer Satzung auch dann gegeben sei, wenn der Satzungsgeber in seiner Präambel der Änderungssatzung auf die – zu ändernde – Satzung Bezug nehme und deren rückwirkendes Inkrafttreten bestimme.

7

Zudem weiche die angefochtene Entscheidung von der Entscheidung des OVG M-V Greifswald vom 21. Mai 2014 – 1 L91/09 – ab und von der Rechtsprechung des BVerwG im Bereich der Abgabenerhebung, unter anderem BVerwG in NJW 1984 S. 648, BVerwGE 50 S. 2, DVBl 1982 S. 544 ff., BVerwGE 64, 356 ff. und NVwZ 1991 S. 360 f. Allen Entscheidungen des BVerwG sei Folgendes gemeinsam: Maßgeblich für die Entscheidung eines Gerichts seien die Rechtsvorschriften, die sich im Zeitpunkt der Entscheidung für die Beurteilung des Klagebegehrens Geltung beimessen würden; und zwar gleichgültig ob es sich um eine Feststellungs-, eine Leistungs-, eine Anfechtungs- oder eine Verpflichtungsklage handle. Anders ausgedrückt: Es komme danach auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an.

8

Die Klägerin tritt dem Vorbringen entgegen.

II.

9

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber in der Sache unbegründet. Ein Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 VwGO liegt nicht vor.

10

1. Der Senat sieht keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung auf zwei selbstständig tragende rechtliche Gesichtspunkte gestützt. Dies ist zum einen der rechtliche Gesichtspunkt, dass die streitige Satzung in ihrer Ausgangsfassung vom 29. März 2012 nicht den nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt enthalten hat. In der Stammsatzung sei keine wirksame Regelung über die Fälligkeit der Abgabe enthalten gewesen und eine geänderte Fälligkeitsregelung sei nicht rückwirkend auf den 1. Januar des Wirtschaftsjahres 2012 in Kraft gesetzt worden, wie dies bei einer antizipierten Gebührenerhebung erforderlich gewesen wäre. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung noch zusätzlich darauf gestützt, dass die FVAS auch deshalb nichtig sei, weil die Abgabensätze auf einer fehlerhaften Kalkulation beruhten.

11

Das Zulassungsvorbringen hat den das Urteil tragenden rechtlichen Gesichtspunkt, dass die Regelung der FVAS in der Ausgangsfassung (Stammsatzung) vom 29. März 2012 über die Fälligkeit der Abgabe unwirksam ist und dass keine rückwirkende Änderung der Stammsatzung auf den 1. Januar 2012 durch die Dritte und/oder Vierte Änderungssatzung erfolgt ist, nicht ernsthaft in Zweifel ziehen können.

12

Das Zulassungsvorbringen setzt sich nicht mit der vom Verwaltungsgericht zitierten eigenen Entscheidung auseinander, eine Satzungsregelung, nach der eine Fremdenverkehrsabgabe zum Jahresbeginn entsteht und mit der Entstehung fällig wird, beschneidet angesichts der Verwirkung von Säumniszuschlägen mit der Abgabenfestsetzung die Rechtsschutzmöglichkeiten des Abgabenschuldners in unzumutbarer Weise und ist unwirksam (VG Greifswald, Urt. vom 22. November 2013 - 3 A 885/12 –, juris Leitsatz 2 und Rn. 23). Diese Aussage ist zutreffend und entspricht auch der Rechtsprechung des Senates (vgl. z. B. den gegenüber dem Beklagten ergangenen Beschluss des Senates vom 5. Februar 2018 – 1 L106/14 –). Ist die Fälligkeit sofort mit dem Wirksamwerden des Bescheides eingetreten, tritt die Rechtsfolge der Säumniszuschläge unmittelbar ein. Es wäre Aufgabe des Ortsgesetzgebers gewesen, eine angemessene Zahlungsfrist vorzusehen, wie das in der Dritten Änderungssatzung mit der dort niedergelegten Monatsfrist geschehen ist. Damit hat das Zulassungsvorbringen keine ernstlichen Zweifel daran wecken können, dass die Ausgangssatzung wegen einer fehlerhaften Regelung über die Fälligkeit insgesamt unwirksam gewesen ist.

13

Der Zulassungsvortrag geht im Kern dahin, dass durch die Vierte Änderungssatzung die Fälligkeitsregelung, die diese Änderungssatzung enthält, rückwirkend zum 1. Januar 2012 in Kraft getreten sei. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Vielmehr schließt sich der Senat der Auffassung des Verwaltungsgerichtes an, dass zwar die Änderungsbefehle der Vierten (wie auch der Dritten) Änderungssatzung rechtlich nicht zu beanstanden sind. Es fehlt auch der Vierten Änderungssatzung aber eine Geltungszeitregelung, hier für ihr (rückwirkendes) Inkrafttreten.

14

Jede Gesetzesänderung unterliegt – wegen des Grundsatzes der Bestimmtheit und der Normklarheit – strengen formellen Anforderungen. Dies gilt in erhöhtem Maße, wenn – wie hier – ein Änderungsgesetz rückwirkend in Kraft gesetzt werden soll. Zu dem erforderlichen Inhalt eines Änderungsgesetzes wird auf das Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Aufl., 2008, Seite 146 ff., verwiesen.

15

Bei der Vierten Änderungssatzung handelt es sich um eine Einzelnovelle, d. h. eine Novelle, die ein einziges Stammgesetz ändern will (vgl. Handbuch der Rechtsförmlichkeit, a. a. O., Rn. 516 ff.). Die Einzelnovelle verwendet eine besondere Änderungstechnik, die das Stammgesetz in seiner Substanz unangetastet lässt. Die Überschrift der Vierten Änderungssatzung wird dem insoweit gerecht, als dort die Überschrift lautet: „Vierte Satzung zur Änderung der Satzung der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf über die Erhebung einer Fremdenverkehrsabgabe vom 29.03.2012“. Da eine Einzelnovelle ein eigenständiges Gesetz ist, muss sie eine Eingangsformel haben (vgl. Handbuch der Rechtsförmlichkeit, a. a. O., Rn. 535). Dieses Erfordernis ist hier gleichfalls eingehalten. In der bundesrechtlichen Gesetzgebung wird eine Einzelnovelle in Artikel gegliedert. Art. 1 enthält die Änderungsbefehle bezüglich des zu ändernden Stammgesetzes. Mehrere Änderungsbefehle werden mit arabischen Ziffern aneinandergereiht, und zwar entsprechend der Systematik des Stammgesetzes. Art. 2 enthält eine Geltungszeitregelung (vgl. Handbuch der Rechtsförmlichkeit, a. a. O., Seite 146). Als rechtlich unschädlich sieht der Senat an, dass die Vierte Änderungssatzung lediglich eine Untergliederung in Art. I bis Art. III aufweist. Damit hat der Satzungsgeber aber zugleich zum Ausdruck gebracht, dass er alle drei Artikel auf der gleichen Stufe ansiedelt. Dies ist hier, worauf das VG zutreffend hingewiesen hat, die Änderung der Stammsatzung vom 29. März 2012.

16

Der Senat folgt dem VG allerdings nicht bei seiner Einschätzung, dass der Art. III letztlich ins Leere läuft. Er lautet:

17

„Art. III
§ 10
Inkrafttreten
§ 10 der Satzung enthält erhält folgende Fassung:
Diese Satzung tritt rückwirkend am 01.01.2012 in Kraft.“

18

Diese Regelung ist auch als Änderung der Stammsatzung nicht inhaltsleer. Durch den geänderten § 10 stellt sie erstmalig klar, dass die Stammsatzung zum 1. Januar 2012 Kraft treten soll. Dies hat nicht etwa bereits Art. I der Ersten Änderungssatzung bewirkt. Auch wenn die Erste Änderungssatzung die Stammsatzung im Hinblick auf die Inkrafttretensregelung hat ändern wollen, ist diese Änderung aber gescheitert. Die Stammsatzung enthält – anders als in der Ersten Änderungssatzung angegeben – keinen § 12, sondern endet mit § 10, der das Inkrafttreten regelt. Daher hat es der Satzungsgeber zu Recht für notwendig angesehen, diesen in der Ersten Änderungssatzung enthaltene Fehler, nämlich die unzutreffende Bezeichnung der Paragrafen des Inkrafttretens, durch die Vierte Änderungssatzung zu berichtigen.

19

Zugleich zeigt aber die Erste Änderungssatzung, dass es dem Beklagten durchaus bekannt ist, dass er in einem weiteren Artikel eine Geltungszeitregelung, hier für das Inkrafttreten, normieren muss. So enthält Art. 2 der Ersten Änderungssatzung auch eine Rückwirkungsklausel für die Änderungssatzung auf den 1. Januar 2012.

20

Eine solche Geltungszeitregelung ist in der Vierten Änderungssatzung nicht enthalten. Damit ist die Vierte Änderungssatzung durch ihre Bekanntmachung in Kraft getreten, d. h. sie hat Außenwirksamkeit bzw. Rechtsgeltung erlangt. Das bedeutet, dass die einzelnen drei Änderungsbefehle durch die Bekanntmachung wirksam geworden sind, sich im Stammrecht vollziehen und damit zugleich gegenstandslos werden. Der Text des Stammgesetzes erhält von diesem Zeitpunkt an seine neue geänderte Fassung (Handbuch der Rechtsförmlichkeit, a. a. O., Rn. 710).

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Das Beschwerdevorbringen geht fehl, dass es bei einer Gesetzesänderung stets auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt. Zutreffend ist vielmehr, dass sich die Frage nach dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt nach dem einschlägigen Fachrecht richtet. Dies legt auch das in der Zulassungsbegründung genannte Urt. des BVerwG vom 27. April 1990 (- 8 C 87.88 -, NVwZ 1991 S. 360 f., betr. eine Vorausleistung auf den Entwässerungsbeitrag) dar (vgl. Leitsatz und juris Rn. 12). Ob für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung oder die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgebend ist, beantwortet nicht § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, d. h. nicht das Verwaltungsprozessrecht, sondern das jeweils einschlägige materielle Recht (BVerwG, a.a.O., m. w. N.).

22

Im Erschließungsbeitragsrecht und im Kommunalabgabenrecht des Landes Mecklenburg-Vorpommern ist nach den einzelnen Abgaben zu unterscheiden. Während im bundesrechtlichen Erschließungsbeitragsrecht und im Anschlussbeitragsrecht nach § 9 KAG M-V eine wirksame Satzung dem Eintritt der Vorteilslage nachfolgen kann und dadurch ein zuvor ergangener (rechtswidriger) Abgabenbescheid nicht mehr der Aufhebung unterliegt (Institut der Aufrechterhaltung), stellt sich die Sachlage im Straßenbaubeitragsrecht (§ 8 KAG M-V) und im Gebührenrecht (§§ 4 und 6 KAG M-V) anders dar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates muss im Bereich des Straßenbaubeitragsrechts eine wirksame Abgabensatzung, notfalls rückwirkend, auf den Zeitpunkt des Eintritts der Vorteilslage erlassen werden (so ständige Rspr. des Senates seit OVG M-V Greifswald, Beschl. vom 29. Juli 1997 – 6 M 93/97 –, DVBl 1998 S. 56 ff. = NordÖR 1998 S. 267 f.). Gleiches gilt bei einer Gebührenerhebung. Auch hier muss eine wirksame Satzung im Zeitraum der Verwirklichung des Gebührentatbestandes bestehen; zu diesem Zeitpunkt fließen dem Schuldner die durch die Gebühr abzugeltenden konkreten Vorteile zu. Dies räumt der Beklagte indirekt auch dadurch ein, dass durch Art. III der Vierten Änderungssatzung die FVAS 2012 auf den 1. Januar des Wirtschaftsjahres 2012 hat in Kraft setzen wollen. Alles in allem hat das VG zu Recht die Erhebung einer antizipierten Jahresgebühr für zulässig erachtet, aber ausschließlich unter der Voraussetzung, dass der Ortsgesetzgeber speziell bei der Erhebung einer antizipierten Jahresgebühr – ggf. rückwirkend auf den 1. Januar des jeweiligen Erhebungsjahres – wirksames Ortsrecht schafft.

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Die vonseiten des Beklagten zitierten Entscheidungen des BVerwG geben nichts Gegenteiliges her - siehe unten unter Ziffer 3.

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Auf die Frage, ob noch aus einem weiteren Grund die Abgabenerhebung rechtswidrig ist, kommt es für den Senat nicht an. Daher bedarf es keiner weiteren Erörterung der Frage des gemeindlichen Eigenanteils.

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2. Mit seinem Zulassungsvorbringen zeigt der Beklagte zum einen keine Rechtsfrage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), die sich im vorliegenden Fall streitgegenständlich stellte. Zum anderen ist hier vorrangig eine Auslegung des konkreten Einzelfalles vorzunehmen, und zwar unter dem Blickwinkel, ob – mit einem dem Grundsatz der Normenklarheit genügenden Maß – der Ortsgesetzgeber ein rückwirkendes Inkrafttreten seines Ortsrechtes tatsächlich beschlossen hat. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen, und, wie oben ausgeführt, auf die Grundsätze der Rechtsförmlichkeit abzustellen. Ob es eventuell die gesetzgeberische Intention gewesen ist, eine rückwirkende Änderung des Ortsrechtes vorzunehmen, ist demgegenüber rechtlich irrelevant. Da im vorliegenden Fall letztlich (nur) eine Auslegung des Einzelfalles geboten ist, kommt der Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung zu. Zudem ergibt die Auslegung des Senates, dass die bereits oben dargestellten Grundsätze der Rechtsförmlichkeit, die für Änderungssatzungen gelten, das vom VG gefundene Ergebnis tragen.

26

3. Die von der Beklagtenseite vorgetragene Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) zu dem Urteil des Senates vom 21. Mai 2014 – 1 L 91/09 – liegt nicht vor. Im dortigen Sachverhalt stellte sich die Sachlage so dar, dass die dortige Jahresmindestgebühr erst nach Ablauf des Erhebungszeitraumes (Kalenderjahr) entstand. Damit verliert eine Regelung über die Fälligkeit der Jahresmindestgebühr bezogen auf das Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung an Bedeutung. Zudem kann die Fälligkeit einer Gebühr nicht vor ihrer Entstehung eintreten, d. h. erst am Ende des Kalenderjahres, mithin nach der Leistungserbringung durch den Aufgabenträger. Dies mag den Senat seinerzeit bewogen haben, weniger strenge Anforderungen an das Bestehen einer Fälligkeitsregelung aufzustellen. Der damalige Fall ist in keiner Weise mit dem hier vorliegenden Sachverhalt vergleichbar. § 5 Abs. 3 in der Fassung der Stammsatzung sah genau Gegenteiliges, nämlich ein auf den 1. Januar antizipierte Gebühr vor: „Die Abgabenschuld wird mit ihrer Entstehung fällig und durch Bescheid der Kurverwaltung der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf erhoben“. Die oben genannte Entscheidung des OVG M-V Greifswald ist somit nicht verallgemeinerungsfähig, da sie eine ganz spezielle Sachverhaltskonstellation betrifft (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V § 2 Erl. 3.6).

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Die Urteile des BVerwG, vom 28. November 1975 – IV C 45.74 –, BVerwGE 50, 2 ff., vom 25. November 1981 – 8 C 14.81 –, DVBl 1982 S. 544 ff., und vom 27. Januar 1982 – 8 C 12.81 –, BVerwGE 64, 356 ff., betreffen das Erschließungsbeitragsrecht, wo – wie oben ausgeführt – auch nach Auffassung des Senates eine andere Rechtslage gilt. Das Urteil des BVerwG vom 27. April 1990 – 8 C 87.88 –, NVwZ 1991 S. 360 f., betrifft eine Vorausleistung auf den Entwässerungsbeitrag, wo sich in Mecklenburg-Vorpommern die Rechtslage im Hinblick auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt wie im Erschließungsbeitragsrecht darstellt. Bei dem Zitat „NJW 1984 S. 648“ handelt es sich ersichtlich um ein Fehlzitat, sodass die gemeinte Entscheidung nicht hat recherchiert werden können.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 GKG i. V. m. § 52 Abs. 3 GKG.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt auch für die Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129. Die Frist ist gewahrt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist

1.
der Steuerbescheid oder im Fall des § 122a die elektronische Benachrichtigung den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat oder
2.
bei öffentlicher Zustellung nach § 10 des Verwaltungszustellungsgesetzes die Benachrichtigung bekannt gemacht oder veröffentlicht wird.

(2) Die Festsetzungsfrist beträgt:

1.
ein Jahrfür Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen,
2.
vier Jahrefür Steuern und Steuervergütungen, die keine Steuern oder Steuervergütungen im Sinne der Nummer 1 oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union sind.
Die Festsetzungsfrist beträgt zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.