Tenor

Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom aa.bb.2014 und dessen Widerspruchsbescheid vom cc.dd.2014 rechtswidrig waren.

Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt Leistungen der Jugendhilfe in Form der Schulbegleitung.
Der am ee.ff.2001 geborene Kläger besuchte im Schuljahr 2013/14 die 6. Klasse der M-Realschule. Unter dem gg.hh.2014 wandte sich die Mutter des Klägers erstmals an das Kreisjugendamt des Beklagten und teilte mit, für den Kläger, der unter Autismus leide, eine Schulbegleitung zu benötigen. In diesem Zusammenhang wurde dem Beklagten ein ärztlicher Bericht des Universitätsklinikums Freiburg vom ii.kk.2014 vorgelegt, wonach der Kläger unter einem atypischen Autismus, einer Leistungsphobie, einer emotionalen Störung mit Trennungsangst des Kindesalters sowie einer Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität leide.
Mit Antrag vom ll.mm.2014, eingegangen beim Beklagten am nn.oo.2014, beantragte die Mutter des Klägers für diesen schriftlich Eingliederungshilfe in ambulanter Form in Form von Schulbegleitung.
Auf der Grundlage diverser ärztlicher Berichte, Stellungnahmen von Kindergarten und Schulen und eines Hausbesuchs beim Kläger und seiner Mutter unter Beteiligung der Therapeutin des Klägers lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom aa.bb.2014 ab. Nach § 35a SGB VIII hätten Kinder Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweiche und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt sei oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten sei. Laut medizinischer Diagnose bestehe beim Kläger eine seelische Behinderung in Form eines atypischen Autismus, einer spezifischen Phobie und einer emotionalen Störung mit Trennungsangst des Kindesalters. Die Auswirkungen dieser seelischen Behinderung seien erkennbar und stünden im kausalen Zusammenhang mit seiner seelischen Behinderung. Dadurch sei seine Fähigkeit, in wesentlichen Bereichen am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben, massiv beeinträchtigt. Die Voraussetzungen des § 35a SGB VIII lägen damit vor. Nach § 1 SchulG seien sowohl die Wissensvermittlung als auch die soziale Integration Bestandteil des pädagogischen Kernauftrags der Schule. § 15 Abs. 4 SchulG sehe diesen pädagogischen Kernauftrag eindeutig an allen Schulen auch für Kinder mit einem besonderen Förderbedarf bzw. einer Behinderung vor. Zur Übernahme der Kosten für die Schulbegleitung sei somit die Schule verpflichtet. Nach § 10 Abs. 1 SGB VIII würden Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger der Schulen, durch das SGB VIII nicht berührt. Der Beklagte sei daher für die Bewilligung der Eingliederungshilfe nicht zuständig.
Die Mutter des Klägers legte am pp.rr.2014 Widerspruch ein, der nicht begründet wurde.
Mit Widerspruchsbescheid vom cc.dd.2014 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde erneut auf § 15 Abs. 4 SchulG verwiesen. Wenn sich Eltern für die Förderung ihres behinderten Kindes in einer allgemeinen Schule und nicht in einer Sonderschule entschieden und dort ein Schulbegleiter dafür zu sorgen habe, dass ein gemeinsames Verfolgen des Bildungsgangs möglich werde, seien diese Unterstützungsleistungen Aufgaben, die den Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule und deren Lehrer beträfen. Vorrangig sei die Schule und damit die Kultusverwaltung des Landes Baden-Württemberg leistungsverpflichtet.
Der Kläger hat am ss.tt.2014 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, dass er bislang durch die Therapien in der Schule gut mitgekommen sei. Seit Februar 2014 aber habe sich sein Verhalten so stark verändert, dass es ihm ohne Schulbegleitung nicht möglich sei, den Schulalltag ohne Probleme zu meistern. Die Schule allein könne ihm nicht gerecht werden, ihn nicht ausreichend fördern oder betreuen. Hilfe sei erforderlich bei der Kommunikation, dem alltäglichen Zurechtfinden in der Schule oder in den Pausen. Teilweise gefährde er sich selbst oder andere. Nun sei es Zeit, eine Schulbegleitung bereit zu stellen.
Der Kläger beantragt, sachdienlich gefasst,
festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom aa.bb.2014 und dessen Widerspruchsbescheid vom cc.dd.2014 rechtswidrig waren.
10 
Der Beklagte beantragt,
11 
die Klage abzuweisen.
12 
Zur Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen. Ergänzend wird ausgeführt, dass die Feststellung eines Anspruchs auf ein sonderpädagogisches Beratungs-, Unterstützungs- und Bildungsangebot der Schulverwaltung obliege. Bei der hier offensichtlich vorliegenden Schwere der Behinderung habe der Beklagte davon abgesehen, diesen Feststellungsbescheid einzuholen. Wenn sich die Eltern für die Förderung ihres behinderten Kindes in einer allgemeinen Schule entschieden und dort ein Schulbegleiter die Voraussetzungen dafür schaffe, dass die notwendige Förderung auch in dieser Schule erfolgen könne, seien diese Unterstützungsleistungen den pädagogischen Aufgaben der Schule bzw. den Lehrern zuzuordnen. Zur Übernahme der Kosten sei daher das Land Baden-Württemberg als die für die Finanzierung der Lehrer verantwortliche Körperschaft verpflichtet. Dessen ungeachtet sei seit 01.04.2015 zunächst mit 15 Wochenstunden und ab 14.09.2015 mit 20 Wochenstunden die Leistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt. Auch das Inkrafttreten des Gesetzes zum Ausgleich kommunaler Aufwendungen für die schulische Inklusion führe nicht zu einem anderen Ergebnis, da ein Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot beim Kläger nicht festgestellt worden sei, folglich Ausgleichsleistungen für den Landkreis durch das Land entfielen. Die neue Regelung führe daher weiter zu Belastungen des Beklagten. Daher werde an der bisherigen Auffassung festgehalten, dass die Kosten für die Unterstützungsleistungen für den Kläger vom Beigeladenen zu tragen seien.
13 
Der mit Beschluss der Kammer vom uu.vv.2015 Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
14 
Der Beigeladene trägt vor, dass für den Kläger kein Feststellungsbescheid über die Pflicht zum Besuch der Sonderschule bzw. keine Feststellung eines Anspruchs auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot vorliege. Ohne einen derartigen Feststellungsbescheid handele es sich bei der Beschulung des Klägers nicht um inklusive Beschulung. Sofern kein sonderpädagogischer Bildungsanspruch oder eine zur ICD-10-Diagnose hinzutretende zusätzliche Behinderung festgestellt sei, vollziehe sich die Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit der Diagnose Autismus in den allgemeinbildenden Schulen aller Schularten zielgleich mit nicht behinderten Schülern und ohne Hinzuziehung von sonderpädagogischem Fachpersonal. Es habe beim Kläger lediglich Bescheide des Schulamts für die Stadt Freiburg gegeben, mit denen festgestellt worden sei, dass der Kläger seine Schulpflicht an einer Sonderschule für Erziehungshilfe erfüllen solle, ein konkreter sonderpädagogischer Förderbedarf sei aber bewusst offen gelassen worden. Ärztlicherseits sei mehrfach der Bedarf an einer Schulbegleitung attestiert worden. Ergänzend hierzu sollte eine Integrationshilfe gewährt werden. Beides seien Leistungen der Sozialgesetzgebung nach SGB VIII bzw. SGB IX. Beide Maßnahmen ergänzten sich und seien vom Landkreis zu erbringen. Die Unterstützungssysteme, die der Kläger benötige, um angemessen seine Teilhaberechte wahrnehmen zu können, seien daher nicht durch das Land über schulisches Personal, sondern auf dem Weg der Eingliederungs- und ggf. Integrationshilfe nach SGB VIII und IX durch den Beklagten zu gewährleisten. Das Gesetz zum Ausgleich kommunaler Aufwendungen für die schulische Inklusion enthalte in § 1 die im Rahmen der Konnexität vom Land an die Schulträger zu leistenden Ausgleichszahlungen. § 2 regele darüber hinaus die freiwillig vom Land eingegangene Verpflichtung, den Stadt- und Landkreisen in den Bereichen Jugend- und Eingliederungshilfe unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls einen Ausgleich für kommunale Aufgaben zu gewähren. Klar sei aus der Regelung zu entnehmen, dass der finanzielle Ausgleich nur für solche Schülerinnen und Schüler erfolge, die aufgrund eines festgestellten Anspruchs auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot an einer öffentlichen allgemeinen Schule inklusiv beschult würden. Für den Kläger könne der Beklagte daher gerade keine zusätzliche Leistung beanspruchen. Die Gesetzesbegründung diene der Klarstellung, dass die Stadt- und Landkreise durch die Ausgleichsleistungen des Landes in den Bereichen, in denen sie originär zuständig und damit finanzierungsverantwortlich seien, entlastet würden.
15 
Dem Kläger wird seit April 2015 durch den Beklagten unter Rechtsvorbehalt einer vorrangigen Finanzierung durch das Land Baden-Württemberg Eingliederungshilfe in Form der Schulbegleitung gewährt, gegenwärtig in einem Umfang von 18 Schulstunden à 45 Minuten.
16 
Mit Beschluss vom 02.09.2015 hat die Kammer den Antrag des Klägers auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt (4 K 2415/14).
17 
Dem Gericht haben die einschlägigen Verwaltungsakten (1 Bd.) vorgelegen. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten im Eilverfahren und im vorliegenden Verfahren wird wegen der weiteren Einzelheiten ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
18 
Die Kammer konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung weder persönlich anwesend noch vertreten war, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsmäßigen Terminsladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
A.
19 
Die Klage ist sachdienlich dahin auszulegen (§ 88 VwGO), dass der Kläger beantragt, festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom aa.bb.2014 und dessen Widerspruchsbescheid vom cc.dd.2014 rechtswidrig waren. Mit diesem Antrag ist die Klage zulässig.
20 
1. Statthafte Klageart ist die Fortsetzungsfeststellungsklage in Form der so gen. nachgezogenen Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog.
21 
Dies gilt unabhängig davon, ob der hier maßgebliche Zeitraum derjenige von der Antragstellung bis zur letzten Verwaltungsentscheidung - hier also frühestens vom gg.hh.2014 bis zum Widerspruchsbescheid vom cc.dd.2014 - ist oder ob der Zeitraum auf das laufende Schuljahr zu erstrecken ist, wobei letztere Auffassung mit Blick darauf, dass ab dem 31.07.2014 Sommerferien waren, den zur rechtlichen Überprüfung stehenden Zeitraum nicht erweiterte. In jedem Fall ist dieser Zeitraum zwischenzeitlich abgelaufen, ohne dass dafür Jugendhilfe in Form der Schulbegleitung etwa mittels Selbstbeschaffung in Anspruch genommen worden und vorliegend daher noch über die Kostentragung für diese zu entscheiden wäre. Die angefochtenen Bescheide hatten sich damit bereits vor Klageerhebung durch Zeitablauf (§ 43 Abs. 2 LVwVfG) erledigt.
22 
Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich ein Verwaltungsakt vorher (nach Klagerhebung, aber vor gerichtlicher Entscheidung) (u.a.) durch Zeitablauf, erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet auf die so gen. nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2010 - 6 C 16/09 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 -, juris; Urteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 -, juris).
23 
2. Der Kläger kann auch ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr für sich geltend machen. Ein Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr ist gegeben, wenn der Kläger mit einer Wiederholung der erledigten Maßnahme rechnen muss. Es müssen konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt einer vergleichbaren Belastung bei einem vergleichbaren und abzusehenden Sachverhalt vorgetragen werden. Ein solches Interesse setzt die hinreichend bestimmte - nicht lediglich vage oder abstrakte - Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige behördliche Maßnahme ergehen, die Behörde insbesondere an ihrer bisherigen Rechtsauffassung festhalten wird (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.12.2015 - 1 S 485/14 -, juris, m.w.N; LSG Bad.-Württ., Urteil vom 18.02.2015 - L 2 SO 3641/13 -, juris; BSG, Urteil vom 27.06.2007 - B 6 KA 24/06 R -, juris).
24 
Vorliegend liegen in diesem Sinne im Wesentlichen unveränderte tatsächliche und rechtliche Umstände gegenüber dem streiterheblichen Zeitraum (längstens gg.hh.2014 bis cc.dd.2014) vor. Denn nach übereinstimmender Auffassung des Klägers wie auch des Beklagten hat der Kläger nach wie vor aufgrund seiner seelischen Behinderung einen Anspruch auf eine angemessene Hilfe im Rahmen seines Schulbesuches in Form einer Schulbegleitung, sind die Voraussetzungen des § 35a SGB VIII damit der Sache nach erfüllt. Nach wie vor ist der Beklagte aber auch der Auffassung, für die Übernahme der Kosten sei nicht er, sondern allein der Beigeladene zuständig. Es besteht damit die hinreichend konkrete Gefahr, dass der Beklagte unter im Wesentlichen unveränderten Umständen auch gegenwärtig eine gleichartige behördliche Maßnahme - nämlich die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung jugendhilferechtlicher Leistungen in Form von Schulbegleitung allein unter Berufung auf die fehlende Zuständigkeit - treffen wird. Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte seiner Verantwortung gegenüber dem Kläger gegenwärtig nachkommt und seit April 2015 die erforderliche Hilfe tatsächlich gewährt. Denn nach wie vor wird die gewährte Schulbegleitung „unter einen entsprechenden Rechtsvorbehalt einer vorrangigen Finanzierung durch das Land Baden-Württemberg gestellt“. Der Kläger hat damit ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die Ablehnung der Bewilligung der beantragten (vorbehaltlosen) Leistung - Bewilligung von jugendhilferechtlichen Leistungen in Form der Schulbegleitung - rechtswidrig war.
25 
3. Inwieweit auf die nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO (ggf. i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO) Anwendung findet, kann hier dahinstehen, da der Kläger am 18.09.2014, somit binnen Monatsfrist, Klage erhoben hat.
B.
26 
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom aa.bb.2014 und dessen Widerspruchsbescheid vom cc.dd.2014 waren rechtswidrig, weil der Kläger im Zeitraum gg.hh.2014 - zu diesem Zeitpunkt wurde das Begehren des Klägers, vertreten durch seine Mutter, Eingliederungshilfe in Form von Schulbegleitung zu erhalten, erstmals an die Behörde herangetragen - bis zum xx.yy.2014 - dem letzten Schultag im Schuljahr 2013/14 - gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Schulbegleiters hatte; der ablehnende Bescheid des Beklagten und der diesen bestätigende Widerspruchsbescheid haben den Kläger daher in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1, 5 VwGO).
27 
1. Rechtsgrundlage für einen Anspruch des Klägers auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Schulbegleiters ist § 35a SGB VIII. Der Kläger leidet ausweislich der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere der ärztlichen Berichte des Universitätsklinikums Freiburg, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik, vom ii.kk.2014 und zz.bb.2014, unter einem atypischen Autismus, einer Leistungsphobie, einer emotionalen Störung mit Trennungsangst des Kindesalters sowie einer Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität. Dass beim Kläger damit eine seelische Behinderung im Sinne von § 35a SGB VIII vorliegt, wurde und wird vom Beklagten zurecht ebenso wenig in Frage gestellt wie der daraus grundsätzlich resultierende Anspruch auf Eingliederungshilfe. Hinsichtlich der Art der Leistungen verweist § 35a Abs. 3 SGB VIII auf (u.a.) § 54 SGB XII. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 EinglHV nennt hier Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Zu den Hilfen der Schulbildung gehören nicht nur Maßnahmen, die auf den eigentlichen Schulbesuch beschränkt sind, sondern auch alle sonstigen Maßnahmen, die den Schulbesuch erst ermöglichen. Insoweit entspricht es einhelliger Auffassung, dass unter § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII - und damit auch unter § 35a SGB VIII - die Bewilligung eines Schulbegleiters bzw. Integrationshelfers fallen kann (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 26.10.2007 - 5 C 35/06 -, juris; Bayer. VGH, Urteil vom 04.06.2007 - 12 B 06/2784 -, juris; VG Freiburg, Beschluss vom 21.03.2013 - 4 K 392/13 -, juris; LSG Bad.-Württ., Beschluss vom 09.01.2007 - L 7 SO 5701/06 ER-B -, juris; SG Karlsruhe, Beschluss vom 21.03.2013 - S 4 SO 937/13 ER -, juris; Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand 05/15, § 35a Rn. 48, m.w.N.; jurisPK-SGB VIII, § 35a Rn. 59 und § 10 Rn. 52 m.w.N.; Grube/Wahrendorf, SGB XII 5. Aufl., § 54 Rn. 40; Kepert/Pattar, Diskussionspapier Nr. 2014-03, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl).
28 
2. Ein Anspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Schulbegleiters wäre indes dann ausgeschlossen, wenn, wovon der Beklagte ausgeht, hierfür ausschließlich - und nicht etwa nur vorrangig - die staatliche Schulverwaltung, mithin der Beigeladene, zuständig wäre.
29 
Als Leistungen der Eingliederungshilfe scheiden solche Maßnahmen aus dem jugendhilferechtlichen Instrumentarium aus, die darauf zielen, den Kernbereich der pädagogischen Arbeit abzudecken. Dieser Kernbereich gehört ausschließlich in den Verpflichtungskreis des Schulträgers, nicht - auch nicht ergänzend - in denjenigen des Jugend- oder Sozialhilfeträgers. Denn zu den Aufgaben von Jugend- bzw. Sozialhilfeträgern gehört es nicht, „Bildung“ als solche zu leisten, sondern nur, „Hilfen zur angemessenen Schulbildung“ zu erbringen (DIJuF-Rechtsgutachten vom 06.08.2014, JAmt 2014, 452).
30 
2.1 Für die Frage, wann es sich noch um eine entsprechende Hilfe zur Schulbildung handelt und wann bereits der Bereich der Schulbildung selbst betroffen ist, mit anderen Worten, wie der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit zu bestimmen ist, haben sich in der Rechtsprechung der Sozial- und ihnen folgend der Verwaltungsgerichte weitgehend einheitliche Grundsätze entwickelt.
31 
Danach gehören zum Kernbereich der Schule alle schulischen Maßnahmen, die dazu dienen, die staatlichen Lehrziele zu erreichen und damit dem den Schulen durch das Verfassungsrecht auferlegten Bildungs- und Erziehungsauftrag nachzukommen. Dies betrifft primär die Vorgabe und Vermittlung der Lerninhalte, somit den Unterricht selbst, der die für den erfolgreichen Abschluss notwendigen Kenntnisse vermitteln soll, seine Inhalte, das pädagogische Konzept der Wissensvermittlung wie auch die Bewertung der Schülerleistungen.
32 
Der Kernbereich der pädagogischen Arbeit ist dementsprechend dann nicht betroffen, wenn die als Leistung der Eingliederungshilfe begehrte Maßnahme lediglich dazu dienen soll, die eigentliche Arbeit der Lehrer abzusichern und damit die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, um dem betreffenden Kind einen erfolgreichen Schulbesuch zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R -, juris; LSG Bad.-Württ., Urteil vom 18.02.2015 - L 2 SO 3641/13 -, juris; LSG NRW, Beschluss vom 28.04.2014 - L 12 SO 82/14 B ER-, juris; BVerwG, Urteil vom 18.10.2012 - 5 C 21/11 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 12.03.2015 - 12 B 136/15 -, juris; DIJuF, Rechtsgutachten vom 17.10.2014, JAmt 2014, 558 fragt dagegen, ob es überhaupt einen gänzlich außerhalb des Verantwortungsbereichs der Rehabilitationsträger liegenden und ausschließlich der Schulverwaltung zugeordneten Kernbereich der pädagogischen Arbeit geben kann).
33 
2.1.1 Nicht in der Rechtsprechung geklärt ist allerdings die Frage, ob der Kernbereich der pädagogischen Arbeit schulartübergreifend zu verstehen oder je nach Schulart unterschiedlich weit zu ziehen ist. Die Auffassung des Bundessozialgerichts, wonach der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer nach der Gesetzessystematik nicht nach den schulrechtlichen Vorschriften des jeweils betroffenen Landes, sondern allein bundeseinheitlich durch Auslegung der sozialhilferechtlichen Regelungen des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII zu bestimmen sei (vgl. BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 -, juris; ihm folgend etwa LSG Bad.-Württ., Urteil vom 18.02.2015 - L 2 SO 3641/13 -, juris; Bayer. LSG, Beschluss vom 18.09.2015 - L 8 SO 181/15 B ER -, juris; LSG NRW, Beschluss vom 05.02.2014 - L 9 SO 413/13 B ER -, juris; a.A. SG Rostock, Beschluss vom 28.10.2013 - S 8 SO 80/13 ER -, juris [aufgehoben durch LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 27.02.2014 - L 9 SO 51/13 ER -, juris]; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15.04.2014 - L 9 SO 36/14 B ER -, juris), scheint zunächst gegen eine nach Schularten differenzierte Eingrenzung des Kernbereichs pädagogischer Arbeit zu sprechen. Sie bleibt jedoch die Antwort schuldig, wie ohne Rückgriff auf das Schulrecht des Landes im Einzelfall geklärt werden kann, welche schulischen Maßnahmen dazu dienen, „die staatlichen Lehrziele zu erreichen“ (so formuliert etwa von BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R -, juris), und damit dem Kernbereich pädagogischer Tätigkeit zuzuordnen sind. Das gilt vor allem in Bezug auf die Sonderschulen. Diese verfügen über ein hohes Maß an persönlicher und sächlicher Ausstattung, insbesondere durch Einbeziehung (sonder-)pädagogischer Fachkräfte, und haben eine spezifische pädagogische Ausrichtung hin auf eine besondere Berücksichtigung der Eigenart der jeweiligen Schüler und von deren individuellem Förderbedarf. Aus diesem Grund wurde auch von Gerichten, die der Auffassung des Bundessozialgerichts folgen und den Kernbereich pädagogischer Tätigkeit grundsätzlich nach sozialhilferechtlichen Kriterien bestimmen, dieser Kernbereich bisweilen an Sonderschulen weiter gezogen als an Regelschulen und insoweit überzeugend entschieden, dass die Deckung des sonderpädagogischen Bedarfs von Sonderschülern dort in der Regel vollständig dem Kernbereich pädagogischer Arbeit zurechnen und ein Integrationshelfer an Sonderschulen daher regelmäßig lediglich zur Deckung eines möglichen zusätzlichen behinderungsbedingten Eingliederungsbedarfs denkbar sei, während dies in Regelschulen, deren Angebot und Personalausstattung auf die speziellen Bedürfnisse behinderter Kinder nicht gleichermaßen zugeschnitten ist, nicht der Fall sei (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 03.07.1997 - 6 S 9/97 -, FEVS 1998, 228; OVG Bremen, Beschluss vom 10.12.1998 - 2 BB 421/98 -, FEVS 51, 182; LSG Bad.-Württ., Beschluss vom 09.01.2007 - L 7 SO 5701/06 ER-B -, juris; SG Karlsruhe, Urteil vom 22.07.2011 - S 1 SO 4882/09 -, juris; SG Trier, Urteil vom 15.04.2014 - S 6 SO 66/11 -, juris; SG Rostock, Beschluss vom 28.10.2013 - S 8 SO 80/13 ER -, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2006 - 8 K 2759/06 -, juris; Kepert/Pattar, Diskussionspapier Nr. 2014-03, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl).
34 
Diese Frage kann hier jedoch letztlich dahinstehen, denn der Kläger besucht keine Sonderschule, sondern mit der M-Realschule eine Regelschule.
35 
2.1.2 Dahinstehen kann im vorliegenden Fall ferner, ob der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit auch für diejenigen Kinder weiter zu ziehen ist, für die ein sonderpädagogischer Förderbedarf (bzw. nach heutiger Diktion ein Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot) festgestellt wurde, mit der Folge, dass dieser Förderanspruch (allein) mithilfe der sonderpädagogischen Personalreserve der Schulverwaltung zu erfüllen ist. Für eine solche Ausweitung des Kernbereichs pädagogischer Tätigkeit spricht zwar, dass es grundsätzlich nicht Sache des Sozialhilfeträgers sein kann, das für die sonderpädagogische Förderung von schulpflichtigen Kindern erforderliche fachlich qualifizierte Personal zu stellen und die Kosten hierfür zu tragen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 03.07.1997 - 6 S 9/97 -, juris; SG Karlsruhe, Beschluss vom 21.03.2013 - S 4 SO 937/13 ER -, juris; LSG Bad.-Württ., Urteil vom 23.02.2012 - L 7 SO 1246/10 -, juris). Die Frage, ob der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit an Regelschulen für Kinder ohne und mit sonderpädagogischem Förderbedarf jeweils unterschiedlich weit zu ziehen ist, bedarf hier aber letztlich keiner Entscheidung. Denn für den Kläger aber wurde in der Vergangenheit kein entsprechender sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt.
36 
2.1.3 Auch die Regelung des § 15 Abs. 4 SchulG a.F., wonach die Förderung behinderter Schüler zur Aufgabe auch allgemeiner Schulen gemacht wurde, führt jedenfalls im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Beklagten nicht dazu, dass die Grenzziehung zwischen der allein der Schulverwaltung obliegenden Vorgabe und Vermittlung der Lerninhalte auf der einen und der Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Teilnahme am Unterricht auf der anderen Seite zugunsten eines weiteren Bereichs der dem Kernbereich zuzuordnenden pädagogischen Tätigkeiten verschoben würde.
37 
Dies gölte vorliegend auch dann, wenn man entgegen der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgehen wollte, dass für die Definition des Kernbereichs pädagogischer Tätigkeit zumindest ergänzend auf die Regelungen landesrechtlicher Schulgesetze und hier speziell auf § 15 Abs. 4 SchulG a.F. zurückgegriffen werden kann (so etwa Kepert/Pattar, Diskussionspapier Nr. 2014-03, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl; ähnlich argumentierend LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15.04.2014 - L 9 SO 36/14 B ER -, juris).
38 
2.1.3.1 Zwar war gemäß § 15 Abs. 4 SchulG a.F. die Förderung behinderter Schüler Aufgabe in allen Schularten. Soweit die Schulverwaltung eine Sonderschulpflicht des betreffenden Schülers nicht festgestellt hat, waren folglich die allgemeinen Schulen nach alter Rechtslage grundsätzlich zur Inklusion von behinderten Schülern in den Klassenverband verpflichtet. Wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 15 Abs. 4 SchulG a.F. ergibt (Drs. 12/1854, S. 35, 36), betraf § 15 Abs. 4 SchulG a.F. aber allein die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Allein bei ihnen stellte sich die Frage, ob sie die Pflicht hatten, eine Sonderschule zu besuchen, die über die entsprechenden sächlichen und personellen Mittel zur individuellen Förderung der behinderten Kinder verfügt, oder ob erwartet werden konnte, dass die Schüler mit Hilfe einer sonderpädagogischen Förderung, die sich im finanziell vertretbaren Rahmen hielt, dem jeweiligen gemeinsamen Bildungsgang in den allgemeinen Schulen folgen konnten.
39 
Jedenfalls für den Kläger, für den im entscheidungserheblichen Zeitraum kein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden war, ließ sich daher nach alter Rechtslage eine Erweiterung des Kernbereichs pädagogischer Tätigkeiten unter Verweis auf § 15 Abs. 4 SchulG a.F. nicht rechtfertigen.
40 
2.1.3.2 Im Übrigen hat § 15 Abs. 4 SchulG a.F. zwar auch den Regelschulen die Förderung behinderter Kinder zur Aufgabe gemacht und damit das Bildungsverständnis wie auch den Aufgabenbereich der Regelschulen erweitert. Dies impliziert jedoch nicht automatisch, dass damit zugleich der Bereich dessen, was dem Kernbereich pädagogischer Tätigkeit zuzuordnen ist, modifiziert worden ist. Nicht alles, was zum Aufgabenbereich der Schule gehört, ist bereits deren Kernbereich zuzuordnen; allein der Begriff „pädagogischer Kernbereich“ impliziert, dass ein Lehrer vielfältige Aufgaben zu erfüllen hat, die pädagogischer Natur sind, aber nicht zum Kernbereich pädagogischer Tätigkeit gehören. Die Schule wurde durch § 15 Abs. 4 SchulG a.F. mit anderen Worten zwar explizit zum - gegenüber den Jugend- und Sozialhilfeträgern vorrangigen - Mit-Zuständigen, nicht aber ohne Weiteres zum Alleinverantwortlichen im Hinblick auf die Inklusion behinderter Kinder in den Regelschulbetrieb (DIJuF, Rechtsgutachten vom 06.08.2014, JAmt 2014, 452). Insbesondere war nach Auffassung der Kammer auch im Lichte des § 15 Abs. 4 SchulG a.F. der Kreis derjenigen pädagogischen Tätigkeiten, die dem Kernbereich zuzuordnen sind, auf einer Regelschule für alle Kinder - jedenfalls soweit für sie kein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden war - gleich weit zu ziehen und die Abgrenzung einheitlich allein danach zu treffen, ob es im Einzelfall um den Schulbesuch unterstützende Leistungen oder um die eigentliche Schulbildung ging (in diese Richtung auch VG Stuttgart, Beschluss vom 16.02.2015 - 7 K 5740/14 -, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 14.01.2003 - 8 K 2766/02 -, juris; LSG Bad.-Württ., Urteile vom 18.02.2015 - L 2 SO 3641/13 -, juris, und vom 23.02.2012 - L 7 SO 1246/10 -, juris; vgl. dazu auch VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 14.01.2003 - 9 S 2199/02 -, juris [betr. gestützte Kommunikation] und vom 14.01.2003 - 9 S 2268/02 -, juris [betr. Schulbegleiter]; Lambert/Müller/Sutor, Schulrecht Bad.-Württ., Ziff. 13.15, § 15 SchG Rn. 13.2; vgl. zur Rechtslage in Rheinland-Pfalz auch DIJuF-Rechtsgutachten vom 18.03.2003, JAmt 2003, 355; zum hessischen Recht Hess. LSG, Beschluss vom 26.04.2012 - L 4 SO 297/11 -, juris; weitergehend LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.02.2014 - L 9 SO 222/13 B ER -, juris; Kepert/Pattar, Diskussionspapier Nr. 2014-03, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl). Eine pädagogische Aufgabe, die danach als unterstützende Leistung anzusehen war, wurde mit anderen Worten auch nicht dadurch zu einer Leistung im Kernbereich pädagogischer Tätigkeit, dass das betreffende Kind, für das kein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden war, etwa an einer seelischen Behinderung litt und dadurch besonderer Unterstützung bedurfte.
41 
2.2 Die typischen Tätigkeiten eines Schulbegleiters aber sind weder per se noch im konkreten Fall des Klägers dem Kernbereich pädagogischer Tätigkeit im Sinne der zitierten Rechtsprechung zuzuordnen.
42 
2.2.1 Die Abgrenzung des Kernbereichs pädagogischer Tätigkeit ist im Zusammenhang mit Schulbegleitern / Integrationshelfern in besonderem Umfang von Relevanz, denn sie sind typischerweise im Unterricht mit unmittelbarem Bezug zum Unterrichtsgeschehen tätig und in gewisser Weise mit der Stoffvermittlung befasst.
43 
Wie unscharf der Begriff nicht nur des „pädagogischen Kernbereichs“, sondern auch allgemein der „pädagogischen Tätigkeit“ ist, wird bereits daran deutlich, dass mitunter die Rede davon ist, der Aufgabenbereich von Schulbegleitern sei auf nichtpädagogische Tätigkeiten beschränkt (SG Karlsruhe, Urteil vom 22.07.2011 - S 1 SO 4882/09 -, juris; juris-PK SGB VIII, § 10 Rn. 52; jurisPK-SGB VIII, Stand 2014, § 10 Rn. 52; Hauck/Noftz, SGB XII, Stand 09/15, § 2 Rn. 45), während andere der Auffassung sind, die Aufgabe eines Schulbegleiters sei per se immer pädagogisch, ohne dass damit automatisch der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit berührt sei (LSG Bad.-Württ., Beschluss vom 07.11.2012 - L 7 SO 4186/12 ER-B -, juris). Diese scheinbaren Widersprüche sind allerdings weniger einer unterschiedlichen Auffassung in der Sache, als vielmehr begrifflicher Differenzen im Hinblick auf das, wann eine Tätigkeit als „pädagogisch“ anzusehen ist, geschuldet. Denn hier wie dort besteht Einigkeit darüber, dass der Kernbereich pädagogischer Arbeit gerade im Hinblick auf das Tätigwerden eines Schulbegleiters nicht nur dort gewahrt ist, wo dieser sich auf rein pflegerische Tätigkeiten, etwa die Hilfe beim An- und Auskleiden, beim Essen oder beim Toilettengang, beschränkt; dies ergibt sich im Übrigen auch aus § 12 Nr. 1 EinglHV, der unter Maßnahmen zu einer angemessenen Schulbildung heilpädagogische Maßnahmen fasst, die schon begrifflich dem Bereich der Pädagogik zuzuordnen sind. Andererseits entspricht es einhelliger Auffassung, dass ein Schulbegleiter dann im Kernbereich pädagogischer Arbeit tätig würde, wo er eigenständige pädagogische Leistungen erbrächte, etwa die Unterrichtsinhalte in Einzelförderstunden vertiefte. Als Aufgaben mit pädagogischem Bezug, die aber außerhalb des den Lehrkräften vorzubehaltenden Kernbereichs pädagogischer Arbeit stehen, werden im Zusammenhang mit Schulbegleitern im Wesentlichen alle integrierenden, beaufsichtigenden und fördernden Assistenzdienste angesehen, die - wie Hilfestellungen beim Erfassen und Umsetzen der Lernaufträge, motorische Unterstützung beim Experimentieren oder im Sportunterricht, Dolmetschertätigkeiten bei Hörbehinderten, stützende Anwesenheit beim Kontakt zu oder der Zusammenarbeit mit Mitschülern oder organisatorische Hilfen bei Raum- und Fachwechseln - flankierend zum Unterricht erforderlich sind, damit der behinderte Mensch das pädagogische Angebot seiner Schule wahrnehmen kann (vgl. etwa LSG BW, Urteile vom 18.02.2015 - L 2 SO 3641/13 -, juris, vom 10.12.2014 - L 2 SO 4518/12 -, juris, und vom 23.02.2012 - L 7 SO 1246/10 -, juris; sächs. LSG, Beschluss vom 03.06.2010 - L 7 SO 19/09 B ER -, juris; LSG NRW, Beschluss vom 20.12.2013 - L 9 SO 19/09 -, juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.11.2010 - L 8 SO 193/08 -, juris). Speziell für Kinder mit Autismusspektrumsstörungen sind als derartige von Schulbegleitern zu leistende Assistenzdienste etwa die Hilfe zur Fokussierung der Aufmerksamkeit, die Strukturierung der Arbeit, die Verdeutlichung von Aufgabenstellungen oder auch die Unterstützung bei der Selbstorganisation oder bei der Interaktion mit anderen Schülern zu nennen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.03.2015 - 12 B 136/15 -, juris; Nieders. OVG, Beschluss vom 23.02.2006 - 12 ME 474/05 -, juris; Hess. LSG, Beschluss vom 26.04.2012 - L 4 SO 297/11 B ER-, juris; VG München, Beschluss vom 23.02.2009 - M 18 E 09.148 -, juris; VG Bayreuth, Beschluss vom 16.12.2009 - B 3 E 09.936 -, juris; VG Stuttgart, Beschluss vom 18.10.2013 - 7 K 3048/13 -, juris; LSG NRW, Beschluss vom 20.12.2013 - L 9 SO 429/13 B ER -, juris; Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand 07/15, § 35a Rn. 48; Borner, jurisPK-SozR 10/2015 Anm. 5), wobei der Kammer bewusst ist, dass es das Krankheitsbild der Autismusspektrumsstörungen und der daraus resultierende spezifische Unterstützungsbedarf des betroffenen Kindes mit sich bringen, dass im Einzelfall die Grenzen zwischen rein flankierender Hilfe zur Stoffvermittlung, etwa durch bloße Konkretisierung der Aufgabenstellung, und eigenständigem pädagogischem Handeln, wie es in einem den Bedürfnissen des Kindes entsprechenden Umformulieren der Aufgabenstellung gesehen werden könnte, fließend sein können. Entscheidend ist insoweit, dass sich das Tätigkeitsspektrum des Schulbegleiters in der Gesamtschau als eine flankierende, unterstützende Maßnahme darstellt.
44 
2.2.2 Wie sich den Unterlagen des Kommunalen Sozialen Dienstes des Beklagten entnehmen lässt, insbesondere den Entscheidungsnotizen des Beklagten vom xx.xx.2015 und vom yy.yy.2015, der Hilfeplanfortschreibung vom zz.zz.2016 und dem pädagogischen Bericht der Schulbegleitung vom Juli 2015, benötigte der Kläger sowohl im hier entscheidungserheblichen Zeitraum als auch nach wie vor viel Unterstützung im Bereich „Aufgabenübersetzung“ und beim sozialen Miteinander, insbesondere in Konfliktsituationen, bei der Lenkung der Aufmerksamkeit und Minimierung der Ablenkung, vor allem wenn die Klassenatmosphäre unruhig und laut wird, beim Umgang mit Kritik oder falschen Antworten sowie bei der Strukturierung der Aufgaben und der organisatorischen Unterstützung der Hausaufgaben und Heftführung. Damit aber wurde und wird der Integrationshelfer durch die „1:1-Betreuung“ während des Unterrichts, die dadurch mögliche Organisation und Strukturierung der Arbeit des Klägers und die Beeinflussung seines Verhaltens mit dem Ziel größerer Konzentration und der Entwicklung von Strategien im Umgang mit Konflikten und Kritik gerade nicht im pädagogischen Kernbereich, sondern in den Bereichen tätig, die von der Rechtsprechung umschrieben werden als Tätigkeiten, die eigentliche Arbeit der Lehrer absichern und mit die Rahmenbedingungen dafür schaffen, den erfolgreichen Schulbesuch zu ermöglichen. Dies gilt auch im Bereich der Pausen, während derer der Schulbegleiter Hilfestellungen bei der Kommunikation des Klägers mit seinen Schulkameraden gibt und bei jenen Verständnis für die behinderungsbedingten Schwierigkeiten des Klägers zu wecken versucht; auch wenn das Erlernen adäquater sozialer Interaktion selbstredend vom Erziehungsauftrag der Lehrer umfasst ist, handelt es sich dabei nach Auffassung der Kammer nicht um einen allein der Verantwortung der Lehrer zuzuordnenden Kernbereich pädagogischer Tätigkeit.
45 
Die Schulbegleitung spielte und spielt sich damit zur Überzeugung der Kammer auch im konkreten Fall des Klägers nicht in einem Bereich ab, der dem Kernbereich pädagogischer Tätigkeit zuzuordnen wäre und als solcher in der alleinigen Zuständigkeit der Schulverwaltung läge.
46 
3. Ist aber die Schulbegleitung im vorliegenden Fall keine Leistung, die ausschließlich von der Schule bzw. der Schulverwaltung erbracht werden müsste, weil der Kernbereich der Lehrer in der Schule betroffen ist, kann der Beklagte allenfalls damit gehört werden, dass die Schulverwaltung gemäß der Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorrangig zum Tätigwerden verpflichtet wäre. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung, die aufgrund ihres pädagogischen Inhalts zum - vorrangigen - Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören, jedoch zugleich von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers erfasst werden.
47 
Selbst wenn dies auch bei den vom Schulbegleiter zur Unterstützung des Klägers zu erfüllenden Aufgaben mehrheitlich der Fall sein sollte, berechtigt dies jedoch den Beklagten vorliegend nicht zur Ablehnung des Antrags des Klägers.
48 
3.1 Denn der in § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII seit Inkrafttreten des KICK 2005 verankerte Vorrang der Förderung im öffentlichen Schulsystem und der damit einhergehende Nachrang der Jugendhilfe hat keine Auswirkungen auf das Leistungsverhältnis des Anspruchsberechtigten gegenüber dem Jugendhilfeträger, sondern ist von Relevanz allein für die Frage einer möglichen Kostenerstattung zwischen den konkurrierenden Trägern; § 10 SGB VIII begründet kein Leistungsverweigerungsrecht des Jugendhilfeträgers, jener bleibt vielmehr im Sinne eines „Ausfallbürgen“ zuständig (VG Trier, Urteil vom 20.05.2010 - 2 K 26/10.TR -, juris; VG Braunschweig, Urteil vom 19.03.2009 - 3 A 63/08 -, juris; VG Aachen, Beschluss vom 18.11.2004 - 2 L 577/04 -, juris; VG Stuttgart, Beschluss vom 16.02.2015 - 7 K 5740/14 -, juris; DIJuF, Rechtsgutachten vom 17.10.2014, JAmt 2014, 558; jurisPK-SGB VIII, Stand 2014, § 10 Rn. 11, 49; DIJuF, Rechtsgutachten vom 16.10.2014, JAmt 2014, 561, und vom 26.11.2013. JAmt 2014, 18; Meysen, JAmt 2003, 53). § 10 SGB VIII steht einem Anspruch des betroffenen Kindes oder Jugendlichen gegenüber dem Jugendhilfeträger daher nur dann entgegen, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalles im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckende Hilfe in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht auch zur Verfügung steht; leistet der vorrangig Verpflichtete dagegen, aus welchen Gründen auch immer, nicht, steht die Jugendhilfe weiter in der Leistungspflicht (BVerwG, Urteile vom 18.10.2012 - 5 C 21/11 -, juris und vom 22.05.2008 - 5 B 203/07 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 30.10.2014 - 12 A 1639/14 -, juris; OVG Nieders., Beschluss vom 06.11.1998 - 4 L 4221/98 -, juris; Kunkel, SGB VIII, 4. Aufl., §10 Rn. 34).
49 
Vorliegend aber wurden von der M-Realschule im Frühjahr 2014 zwar Unterstützungsleistungen in Form der Schulbegleitung im Falle des Klägers als unbedingt geboten angesehen, um ihn auf seinem Entwicklungsweg optimal fördern zu können (so die Stellungnahme des Klassenlehrers vom qq.qq.2014); ein Schulbegleiter wurde durch die Schule bzw. die Schulverwaltung jedoch nicht gestellt. Eine derartige 1:1-Betreuung, wie sie der Kläger benötigt, könnte die Schulverwaltung nach Aussage des Vertreters des Beklagten in der mündlichen Verhandlung trotz ihres Bemühens, den Lehrern in besonders heterogenen Klassensituationen Unterstützung durch pädagogische Assistenten zukommen zu lassen, auch gar nicht leisten.
50 
3.2 Ein Anspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten scheitert vorliegend auch nicht daran, dass der Kläger nicht zuvor sein Anliegen beim Beklagten vorgetragen und dort die erforderliche Unterstützung durch Bewilligung eines Schulbegleiters beantragt hat. Denn regelmäßig ist es dem Leistungsberechtigten nicht anzusinnen, eine zusätzliche schulische Förderung zunächst gegenüber dem Schulträger bzw. der Schulverwaltung einzufordern.
51 
Dies gilt ungeachtet der Frage, ob der Jugendhilfeträger bereits deshalb keine Möglichkeit hat, den Leistungsberechtigten auf eine Inanspruchnahme der vorrangig zuständigen Schulverwaltung zu verweisen, weil es an einer dem § 2 Abs. 1 BSHG vergleichbaren Vorschrift fehlt, nach welcher ein Empfang von Leistungen (u.a.) dann ausgeschlossen war, wenn die erforderliche Hilfe von anderen erlangt werden konnte (vgl. dazu Meysen, JAmt 2003, 53).
52 
Denn die Auseinandersetzung um den Nachrang der Jugendhilfe und den Vorrang des öffentlichen Schulwesens ist, wovon der Beklagte zurecht ausgegangen ist, nach Auffassung der Kammer nicht auf dem Rücken des Hilfesuchenden, sondern gegebenenfalls im Rahmen eines Erstattungsstreits auszutragen (OVG NRW, Beschluss vom 12.03.2015 - 12 B 136/15 -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 10.11.2004 - 7 TG 1413/04 -, juris; VG München, Beschluss vom 23.02.2009 - M 18 E 09.148 -, juris).
53 
Selbst wenn man dies jedoch anders sehen und einen Verweis des Betreffenden auf die vorrangige Inanspruchnahme der öffentlichen Schulverwaltung für grundsätzlich zulässig halten wollte, setzte ein solcher Verweis jedenfalls voraus, dass das jeweilige Schulrecht des Landes einen subjektiven Anspruch gegenüber der Schulaufsichtsbehörde oder dem Schulträger auf Sicherstellung einer hilfebedarfsgerechten Beschulung vorsieht (DIJuF, Rechtsgutachten vom 16.10.2014, JAmt 2014, 561). Ein derartiger Rechtsanspruch ließ sich jedenfalls für Schüler in allgemeinen Schulen dem baden-württembergischen Schulgesetz nicht entnehmen; vielmehr sprach der Wortlaut des § 15 Abs. 4 SchulG a.F., der lediglich eine objektive, zudem unter Ressourcenvorbehalt stehende Verpflichtung der Schule normierte, gegen das Bestehen eines subjektiven Anspruchs (DIJuF, Rechtsgutachten vom 15.06.2004, JAmt 2004, 305; Meysen, JAmt 2003, 53 [auch zur - im Ergebnis verneinten - Frage, ob sich höherrangigem Recht ein subjektiver Anspruch entnehmen ließ]; Kepert/Pattar, Diskussionspapier Nr. 2014-03, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl).
54 
Im Übrigen gibt es dafür, dass die M-Realschule mit ihrer gegebenen sächlichen und personellen Ausstattung dem Kläger im entscheidungserheblichen Zeitraum eine Förderung hätte zuteil werden lassen können, die eine Schulbegleitung ganz oder auch nur teilweise entbehrlich gemacht hätte, keinerlei Anhaltspunkte; solche zeigt auch der Beklagte nicht auf. Vielmehr hat der Beigeladenenvertreter in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich dargelegt, dass eine derartige 1:1-Betreuung durch die der Schulverwaltung zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen, mit denen lediglich in einzelnen Schulen mit besonders heterogener Schülerschaft einzelne pädagogische Assistenten eingesetzt werden könnten, die jeweils (wechselnde) Gruppen von Schülern betreuten und keinesfalls eine kontinuierliche Betreuung zumal einzelner Schüler sicherstellen könnten, nicht geleistet werden könne.
55 
Die Kostenentscheidung für das nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreie Verfahren beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Billigem Ermessen entspricht es vorliegend, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, nachdem er keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
56 
Die Berufung wird von der Kammer nach § 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 1 Nr. 3 VwGO zugelassen, da die Frage, ob und ggf. inwieweit die Übernahme der Kosten für einen Schulbegleiter eines an einer seelischen Behinderung leidenden Kindes, für das kein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden ist, auf Grundlage des Schulgesetzes in seiner bis zum 31.07.2015 geltenden Fassung in der ausschließlichen Zuständigkeit der Schulverwaltung gelegen hat, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Gründe

 
18 
Die Kammer konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung weder persönlich anwesend noch vertreten war, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsmäßigen Terminsladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
A.
19 
Die Klage ist sachdienlich dahin auszulegen (§ 88 VwGO), dass der Kläger beantragt, festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom aa.bb.2014 und dessen Widerspruchsbescheid vom cc.dd.2014 rechtswidrig waren. Mit diesem Antrag ist die Klage zulässig.
20 
1. Statthafte Klageart ist die Fortsetzungsfeststellungsklage in Form der so gen. nachgezogenen Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog.
21 
Dies gilt unabhängig davon, ob der hier maßgebliche Zeitraum derjenige von der Antragstellung bis zur letzten Verwaltungsentscheidung - hier also frühestens vom gg.hh.2014 bis zum Widerspruchsbescheid vom cc.dd.2014 - ist oder ob der Zeitraum auf das laufende Schuljahr zu erstrecken ist, wobei letztere Auffassung mit Blick darauf, dass ab dem 31.07.2014 Sommerferien waren, den zur rechtlichen Überprüfung stehenden Zeitraum nicht erweiterte. In jedem Fall ist dieser Zeitraum zwischenzeitlich abgelaufen, ohne dass dafür Jugendhilfe in Form der Schulbegleitung etwa mittels Selbstbeschaffung in Anspruch genommen worden und vorliegend daher noch über die Kostentragung für diese zu entscheiden wäre. Die angefochtenen Bescheide hatten sich damit bereits vor Klageerhebung durch Zeitablauf (§ 43 Abs. 2 LVwVfG) erledigt.
22 
Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich ein Verwaltungsakt vorher (nach Klagerhebung, aber vor gerichtlicher Entscheidung) (u.a.) durch Zeitablauf, erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet auf die so gen. nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2010 - 6 C 16/09 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 -, juris; Urteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 -, juris).
23 
2. Der Kläger kann auch ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr für sich geltend machen. Ein Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr ist gegeben, wenn der Kläger mit einer Wiederholung der erledigten Maßnahme rechnen muss. Es müssen konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt einer vergleichbaren Belastung bei einem vergleichbaren und abzusehenden Sachverhalt vorgetragen werden. Ein solches Interesse setzt die hinreichend bestimmte - nicht lediglich vage oder abstrakte - Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige behördliche Maßnahme ergehen, die Behörde insbesondere an ihrer bisherigen Rechtsauffassung festhalten wird (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.12.2015 - 1 S 485/14 -, juris, m.w.N; LSG Bad.-Württ., Urteil vom 18.02.2015 - L 2 SO 3641/13 -, juris; BSG, Urteil vom 27.06.2007 - B 6 KA 24/06 R -, juris).
24 
Vorliegend liegen in diesem Sinne im Wesentlichen unveränderte tatsächliche und rechtliche Umstände gegenüber dem streiterheblichen Zeitraum (längstens gg.hh.2014 bis cc.dd.2014) vor. Denn nach übereinstimmender Auffassung des Klägers wie auch des Beklagten hat der Kläger nach wie vor aufgrund seiner seelischen Behinderung einen Anspruch auf eine angemessene Hilfe im Rahmen seines Schulbesuches in Form einer Schulbegleitung, sind die Voraussetzungen des § 35a SGB VIII damit der Sache nach erfüllt. Nach wie vor ist der Beklagte aber auch der Auffassung, für die Übernahme der Kosten sei nicht er, sondern allein der Beigeladene zuständig. Es besteht damit die hinreichend konkrete Gefahr, dass der Beklagte unter im Wesentlichen unveränderten Umständen auch gegenwärtig eine gleichartige behördliche Maßnahme - nämlich die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung jugendhilferechtlicher Leistungen in Form von Schulbegleitung allein unter Berufung auf die fehlende Zuständigkeit - treffen wird. Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte seiner Verantwortung gegenüber dem Kläger gegenwärtig nachkommt und seit April 2015 die erforderliche Hilfe tatsächlich gewährt. Denn nach wie vor wird die gewährte Schulbegleitung „unter einen entsprechenden Rechtsvorbehalt einer vorrangigen Finanzierung durch das Land Baden-Württemberg gestellt“. Der Kläger hat damit ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die Ablehnung der Bewilligung der beantragten (vorbehaltlosen) Leistung - Bewilligung von jugendhilferechtlichen Leistungen in Form der Schulbegleitung - rechtswidrig war.
25 
3. Inwieweit auf die nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO (ggf. i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO) Anwendung findet, kann hier dahinstehen, da der Kläger am 18.09.2014, somit binnen Monatsfrist, Klage erhoben hat.
B.
26 
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom aa.bb.2014 und dessen Widerspruchsbescheid vom cc.dd.2014 waren rechtswidrig, weil der Kläger im Zeitraum gg.hh.2014 - zu diesem Zeitpunkt wurde das Begehren des Klägers, vertreten durch seine Mutter, Eingliederungshilfe in Form von Schulbegleitung zu erhalten, erstmals an die Behörde herangetragen - bis zum xx.yy.2014 - dem letzten Schultag im Schuljahr 2013/14 - gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Schulbegleiters hatte; der ablehnende Bescheid des Beklagten und der diesen bestätigende Widerspruchsbescheid haben den Kläger daher in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1, 5 VwGO).
27 
1. Rechtsgrundlage für einen Anspruch des Klägers auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Schulbegleiters ist § 35a SGB VIII. Der Kläger leidet ausweislich der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere der ärztlichen Berichte des Universitätsklinikums Freiburg, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik, vom ii.kk.2014 und zz.bb.2014, unter einem atypischen Autismus, einer Leistungsphobie, einer emotionalen Störung mit Trennungsangst des Kindesalters sowie einer Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität. Dass beim Kläger damit eine seelische Behinderung im Sinne von § 35a SGB VIII vorliegt, wurde und wird vom Beklagten zurecht ebenso wenig in Frage gestellt wie der daraus grundsätzlich resultierende Anspruch auf Eingliederungshilfe. Hinsichtlich der Art der Leistungen verweist § 35a Abs. 3 SGB VIII auf (u.a.) § 54 SGB XII. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 EinglHV nennt hier Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Zu den Hilfen der Schulbildung gehören nicht nur Maßnahmen, die auf den eigentlichen Schulbesuch beschränkt sind, sondern auch alle sonstigen Maßnahmen, die den Schulbesuch erst ermöglichen. Insoweit entspricht es einhelliger Auffassung, dass unter § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII - und damit auch unter § 35a SGB VIII - die Bewilligung eines Schulbegleiters bzw. Integrationshelfers fallen kann (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 26.10.2007 - 5 C 35/06 -, juris; Bayer. VGH, Urteil vom 04.06.2007 - 12 B 06/2784 -, juris; VG Freiburg, Beschluss vom 21.03.2013 - 4 K 392/13 -, juris; LSG Bad.-Württ., Beschluss vom 09.01.2007 - L 7 SO 5701/06 ER-B -, juris; SG Karlsruhe, Beschluss vom 21.03.2013 - S 4 SO 937/13 ER -, juris; Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand 05/15, § 35a Rn. 48, m.w.N.; jurisPK-SGB VIII, § 35a Rn. 59 und § 10 Rn. 52 m.w.N.; Grube/Wahrendorf, SGB XII 5. Aufl., § 54 Rn. 40; Kepert/Pattar, Diskussionspapier Nr. 2014-03, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl).
28 
2. Ein Anspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Schulbegleiters wäre indes dann ausgeschlossen, wenn, wovon der Beklagte ausgeht, hierfür ausschließlich - und nicht etwa nur vorrangig - die staatliche Schulverwaltung, mithin der Beigeladene, zuständig wäre.
29 
Als Leistungen der Eingliederungshilfe scheiden solche Maßnahmen aus dem jugendhilferechtlichen Instrumentarium aus, die darauf zielen, den Kernbereich der pädagogischen Arbeit abzudecken. Dieser Kernbereich gehört ausschließlich in den Verpflichtungskreis des Schulträgers, nicht - auch nicht ergänzend - in denjenigen des Jugend- oder Sozialhilfeträgers. Denn zu den Aufgaben von Jugend- bzw. Sozialhilfeträgern gehört es nicht, „Bildung“ als solche zu leisten, sondern nur, „Hilfen zur angemessenen Schulbildung“ zu erbringen (DIJuF-Rechtsgutachten vom 06.08.2014, JAmt 2014, 452).
30 
2.1 Für die Frage, wann es sich noch um eine entsprechende Hilfe zur Schulbildung handelt und wann bereits der Bereich der Schulbildung selbst betroffen ist, mit anderen Worten, wie der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit zu bestimmen ist, haben sich in der Rechtsprechung der Sozial- und ihnen folgend der Verwaltungsgerichte weitgehend einheitliche Grundsätze entwickelt.
31 
Danach gehören zum Kernbereich der Schule alle schulischen Maßnahmen, die dazu dienen, die staatlichen Lehrziele zu erreichen und damit dem den Schulen durch das Verfassungsrecht auferlegten Bildungs- und Erziehungsauftrag nachzukommen. Dies betrifft primär die Vorgabe und Vermittlung der Lerninhalte, somit den Unterricht selbst, der die für den erfolgreichen Abschluss notwendigen Kenntnisse vermitteln soll, seine Inhalte, das pädagogische Konzept der Wissensvermittlung wie auch die Bewertung der Schülerleistungen.
32 
Der Kernbereich der pädagogischen Arbeit ist dementsprechend dann nicht betroffen, wenn die als Leistung der Eingliederungshilfe begehrte Maßnahme lediglich dazu dienen soll, die eigentliche Arbeit der Lehrer abzusichern und damit die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, um dem betreffenden Kind einen erfolgreichen Schulbesuch zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R -, juris; LSG Bad.-Württ., Urteil vom 18.02.2015 - L 2 SO 3641/13 -, juris; LSG NRW, Beschluss vom 28.04.2014 - L 12 SO 82/14 B ER-, juris; BVerwG, Urteil vom 18.10.2012 - 5 C 21/11 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 12.03.2015 - 12 B 136/15 -, juris; DIJuF, Rechtsgutachten vom 17.10.2014, JAmt 2014, 558 fragt dagegen, ob es überhaupt einen gänzlich außerhalb des Verantwortungsbereichs der Rehabilitationsträger liegenden und ausschließlich der Schulverwaltung zugeordneten Kernbereich der pädagogischen Arbeit geben kann).
33 
2.1.1 Nicht in der Rechtsprechung geklärt ist allerdings die Frage, ob der Kernbereich der pädagogischen Arbeit schulartübergreifend zu verstehen oder je nach Schulart unterschiedlich weit zu ziehen ist. Die Auffassung des Bundessozialgerichts, wonach der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer nach der Gesetzessystematik nicht nach den schulrechtlichen Vorschriften des jeweils betroffenen Landes, sondern allein bundeseinheitlich durch Auslegung der sozialhilferechtlichen Regelungen des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII zu bestimmen sei (vgl. BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 -, juris; ihm folgend etwa LSG Bad.-Württ., Urteil vom 18.02.2015 - L 2 SO 3641/13 -, juris; Bayer. LSG, Beschluss vom 18.09.2015 - L 8 SO 181/15 B ER -, juris; LSG NRW, Beschluss vom 05.02.2014 - L 9 SO 413/13 B ER -, juris; a.A. SG Rostock, Beschluss vom 28.10.2013 - S 8 SO 80/13 ER -, juris [aufgehoben durch LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 27.02.2014 - L 9 SO 51/13 ER -, juris]; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15.04.2014 - L 9 SO 36/14 B ER -, juris), scheint zunächst gegen eine nach Schularten differenzierte Eingrenzung des Kernbereichs pädagogischer Arbeit zu sprechen. Sie bleibt jedoch die Antwort schuldig, wie ohne Rückgriff auf das Schulrecht des Landes im Einzelfall geklärt werden kann, welche schulischen Maßnahmen dazu dienen, „die staatlichen Lehrziele zu erreichen“ (so formuliert etwa von BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R -, juris), und damit dem Kernbereich pädagogischer Tätigkeit zuzuordnen sind. Das gilt vor allem in Bezug auf die Sonderschulen. Diese verfügen über ein hohes Maß an persönlicher und sächlicher Ausstattung, insbesondere durch Einbeziehung (sonder-)pädagogischer Fachkräfte, und haben eine spezifische pädagogische Ausrichtung hin auf eine besondere Berücksichtigung der Eigenart der jeweiligen Schüler und von deren individuellem Förderbedarf. Aus diesem Grund wurde auch von Gerichten, die der Auffassung des Bundessozialgerichts folgen und den Kernbereich pädagogischer Tätigkeit grundsätzlich nach sozialhilferechtlichen Kriterien bestimmen, dieser Kernbereich bisweilen an Sonderschulen weiter gezogen als an Regelschulen und insoweit überzeugend entschieden, dass die Deckung des sonderpädagogischen Bedarfs von Sonderschülern dort in der Regel vollständig dem Kernbereich pädagogischer Arbeit zurechnen und ein Integrationshelfer an Sonderschulen daher regelmäßig lediglich zur Deckung eines möglichen zusätzlichen behinderungsbedingten Eingliederungsbedarfs denkbar sei, während dies in Regelschulen, deren Angebot und Personalausstattung auf die speziellen Bedürfnisse behinderter Kinder nicht gleichermaßen zugeschnitten ist, nicht der Fall sei (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 03.07.1997 - 6 S 9/97 -, FEVS 1998, 228; OVG Bremen, Beschluss vom 10.12.1998 - 2 BB 421/98 -, FEVS 51, 182; LSG Bad.-Württ., Beschluss vom 09.01.2007 - L 7 SO 5701/06 ER-B -, juris; SG Karlsruhe, Urteil vom 22.07.2011 - S 1 SO 4882/09 -, juris; SG Trier, Urteil vom 15.04.2014 - S 6 SO 66/11 -, juris; SG Rostock, Beschluss vom 28.10.2013 - S 8 SO 80/13 ER -, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2006 - 8 K 2759/06 -, juris; Kepert/Pattar, Diskussionspapier Nr. 2014-03, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl).
34 
Diese Frage kann hier jedoch letztlich dahinstehen, denn der Kläger besucht keine Sonderschule, sondern mit der M-Realschule eine Regelschule.
35 
2.1.2 Dahinstehen kann im vorliegenden Fall ferner, ob der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit auch für diejenigen Kinder weiter zu ziehen ist, für die ein sonderpädagogischer Förderbedarf (bzw. nach heutiger Diktion ein Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot) festgestellt wurde, mit der Folge, dass dieser Förderanspruch (allein) mithilfe der sonderpädagogischen Personalreserve der Schulverwaltung zu erfüllen ist. Für eine solche Ausweitung des Kernbereichs pädagogischer Tätigkeit spricht zwar, dass es grundsätzlich nicht Sache des Sozialhilfeträgers sein kann, das für die sonderpädagogische Förderung von schulpflichtigen Kindern erforderliche fachlich qualifizierte Personal zu stellen und die Kosten hierfür zu tragen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 03.07.1997 - 6 S 9/97 -, juris; SG Karlsruhe, Beschluss vom 21.03.2013 - S 4 SO 937/13 ER -, juris; LSG Bad.-Württ., Urteil vom 23.02.2012 - L 7 SO 1246/10 -, juris). Die Frage, ob der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit an Regelschulen für Kinder ohne und mit sonderpädagogischem Förderbedarf jeweils unterschiedlich weit zu ziehen ist, bedarf hier aber letztlich keiner Entscheidung. Denn für den Kläger aber wurde in der Vergangenheit kein entsprechender sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt.
36 
2.1.3 Auch die Regelung des § 15 Abs. 4 SchulG a.F., wonach die Förderung behinderter Schüler zur Aufgabe auch allgemeiner Schulen gemacht wurde, führt jedenfalls im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Beklagten nicht dazu, dass die Grenzziehung zwischen der allein der Schulverwaltung obliegenden Vorgabe und Vermittlung der Lerninhalte auf der einen und der Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Teilnahme am Unterricht auf der anderen Seite zugunsten eines weiteren Bereichs der dem Kernbereich zuzuordnenden pädagogischen Tätigkeiten verschoben würde.
37 
Dies gölte vorliegend auch dann, wenn man entgegen der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgehen wollte, dass für die Definition des Kernbereichs pädagogischer Tätigkeit zumindest ergänzend auf die Regelungen landesrechtlicher Schulgesetze und hier speziell auf § 15 Abs. 4 SchulG a.F. zurückgegriffen werden kann (so etwa Kepert/Pattar, Diskussionspapier Nr. 2014-03, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl; ähnlich argumentierend LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15.04.2014 - L 9 SO 36/14 B ER -, juris).
38 
2.1.3.1 Zwar war gemäß § 15 Abs. 4 SchulG a.F. die Förderung behinderter Schüler Aufgabe in allen Schularten. Soweit die Schulverwaltung eine Sonderschulpflicht des betreffenden Schülers nicht festgestellt hat, waren folglich die allgemeinen Schulen nach alter Rechtslage grundsätzlich zur Inklusion von behinderten Schülern in den Klassenverband verpflichtet. Wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 15 Abs. 4 SchulG a.F. ergibt (Drs. 12/1854, S. 35, 36), betraf § 15 Abs. 4 SchulG a.F. aber allein die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Allein bei ihnen stellte sich die Frage, ob sie die Pflicht hatten, eine Sonderschule zu besuchen, die über die entsprechenden sächlichen und personellen Mittel zur individuellen Förderung der behinderten Kinder verfügt, oder ob erwartet werden konnte, dass die Schüler mit Hilfe einer sonderpädagogischen Förderung, die sich im finanziell vertretbaren Rahmen hielt, dem jeweiligen gemeinsamen Bildungsgang in den allgemeinen Schulen folgen konnten.
39 
Jedenfalls für den Kläger, für den im entscheidungserheblichen Zeitraum kein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden war, ließ sich daher nach alter Rechtslage eine Erweiterung des Kernbereichs pädagogischer Tätigkeiten unter Verweis auf § 15 Abs. 4 SchulG a.F. nicht rechtfertigen.
40 
2.1.3.2 Im Übrigen hat § 15 Abs. 4 SchulG a.F. zwar auch den Regelschulen die Förderung behinderter Kinder zur Aufgabe gemacht und damit das Bildungsverständnis wie auch den Aufgabenbereich der Regelschulen erweitert. Dies impliziert jedoch nicht automatisch, dass damit zugleich der Bereich dessen, was dem Kernbereich pädagogischer Tätigkeit zuzuordnen ist, modifiziert worden ist. Nicht alles, was zum Aufgabenbereich der Schule gehört, ist bereits deren Kernbereich zuzuordnen; allein der Begriff „pädagogischer Kernbereich“ impliziert, dass ein Lehrer vielfältige Aufgaben zu erfüllen hat, die pädagogischer Natur sind, aber nicht zum Kernbereich pädagogischer Tätigkeit gehören. Die Schule wurde durch § 15 Abs. 4 SchulG a.F. mit anderen Worten zwar explizit zum - gegenüber den Jugend- und Sozialhilfeträgern vorrangigen - Mit-Zuständigen, nicht aber ohne Weiteres zum Alleinverantwortlichen im Hinblick auf die Inklusion behinderter Kinder in den Regelschulbetrieb (DIJuF, Rechtsgutachten vom 06.08.2014, JAmt 2014, 452). Insbesondere war nach Auffassung der Kammer auch im Lichte des § 15 Abs. 4 SchulG a.F. der Kreis derjenigen pädagogischen Tätigkeiten, die dem Kernbereich zuzuordnen sind, auf einer Regelschule für alle Kinder - jedenfalls soweit für sie kein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden war - gleich weit zu ziehen und die Abgrenzung einheitlich allein danach zu treffen, ob es im Einzelfall um den Schulbesuch unterstützende Leistungen oder um die eigentliche Schulbildung ging (in diese Richtung auch VG Stuttgart, Beschluss vom 16.02.2015 - 7 K 5740/14 -, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 14.01.2003 - 8 K 2766/02 -, juris; LSG Bad.-Württ., Urteile vom 18.02.2015 - L 2 SO 3641/13 -, juris, und vom 23.02.2012 - L 7 SO 1246/10 -, juris; vgl. dazu auch VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 14.01.2003 - 9 S 2199/02 -, juris [betr. gestützte Kommunikation] und vom 14.01.2003 - 9 S 2268/02 -, juris [betr. Schulbegleiter]; Lambert/Müller/Sutor, Schulrecht Bad.-Württ., Ziff. 13.15, § 15 SchG Rn. 13.2; vgl. zur Rechtslage in Rheinland-Pfalz auch DIJuF-Rechtsgutachten vom 18.03.2003, JAmt 2003, 355; zum hessischen Recht Hess. LSG, Beschluss vom 26.04.2012 - L 4 SO 297/11 -, juris; weitergehend LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.02.2014 - L 9 SO 222/13 B ER -, juris; Kepert/Pattar, Diskussionspapier Nr. 2014-03, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl). Eine pädagogische Aufgabe, die danach als unterstützende Leistung anzusehen war, wurde mit anderen Worten auch nicht dadurch zu einer Leistung im Kernbereich pädagogischer Tätigkeit, dass das betreffende Kind, für das kein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden war, etwa an einer seelischen Behinderung litt und dadurch besonderer Unterstützung bedurfte.
41 
2.2 Die typischen Tätigkeiten eines Schulbegleiters aber sind weder per se noch im konkreten Fall des Klägers dem Kernbereich pädagogischer Tätigkeit im Sinne der zitierten Rechtsprechung zuzuordnen.
42 
2.2.1 Die Abgrenzung des Kernbereichs pädagogischer Tätigkeit ist im Zusammenhang mit Schulbegleitern / Integrationshelfern in besonderem Umfang von Relevanz, denn sie sind typischerweise im Unterricht mit unmittelbarem Bezug zum Unterrichtsgeschehen tätig und in gewisser Weise mit der Stoffvermittlung befasst.
43 
Wie unscharf der Begriff nicht nur des „pädagogischen Kernbereichs“, sondern auch allgemein der „pädagogischen Tätigkeit“ ist, wird bereits daran deutlich, dass mitunter die Rede davon ist, der Aufgabenbereich von Schulbegleitern sei auf nichtpädagogische Tätigkeiten beschränkt (SG Karlsruhe, Urteil vom 22.07.2011 - S 1 SO 4882/09 -, juris; juris-PK SGB VIII, § 10 Rn. 52; jurisPK-SGB VIII, Stand 2014, § 10 Rn. 52; Hauck/Noftz, SGB XII, Stand 09/15, § 2 Rn. 45), während andere der Auffassung sind, die Aufgabe eines Schulbegleiters sei per se immer pädagogisch, ohne dass damit automatisch der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit berührt sei (LSG Bad.-Württ., Beschluss vom 07.11.2012 - L 7 SO 4186/12 ER-B -, juris). Diese scheinbaren Widersprüche sind allerdings weniger einer unterschiedlichen Auffassung in der Sache, als vielmehr begrifflicher Differenzen im Hinblick auf das, wann eine Tätigkeit als „pädagogisch“ anzusehen ist, geschuldet. Denn hier wie dort besteht Einigkeit darüber, dass der Kernbereich pädagogischer Arbeit gerade im Hinblick auf das Tätigwerden eines Schulbegleiters nicht nur dort gewahrt ist, wo dieser sich auf rein pflegerische Tätigkeiten, etwa die Hilfe beim An- und Auskleiden, beim Essen oder beim Toilettengang, beschränkt; dies ergibt sich im Übrigen auch aus § 12 Nr. 1 EinglHV, der unter Maßnahmen zu einer angemessenen Schulbildung heilpädagogische Maßnahmen fasst, die schon begrifflich dem Bereich der Pädagogik zuzuordnen sind. Andererseits entspricht es einhelliger Auffassung, dass ein Schulbegleiter dann im Kernbereich pädagogischer Arbeit tätig würde, wo er eigenständige pädagogische Leistungen erbrächte, etwa die Unterrichtsinhalte in Einzelförderstunden vertiefte. Als Aufgaben mit pädagogischem Bezug, die aber außerhalb des den Lehrkräften vorzubehaltenden Kernbereichs pädagogischer Arbeit stehen, werden im Zusammenhang mit Schulbegleitern im Wesentlichen alle integrierenden, beaufsichtigenden und fördernden Assistenzdienste angesehen, die - wie Hilfestellungen beim Erfassen und Umsetzen der Lernaufträge, motorische Unterstützung beim Experimentieren oder im Sportunterricht, Dolmetschertätigkeiten bei Hörbehinderten, stützende Anwesenheit beim Kontakt zu oder der Zusammenarbeit mit Mitschülern oder organisatorische Hilfen bei Raum- und Fachwechseln - flankierend zum Unterricht erforderlich sind, damit der behinderte Mensch das pädagogische Angebot seiner Schule wahrnehmen kann (vgl. etwa LSG BW, Urteile vom 18.02.2015 - L 2 SO 3641/13 -, juris, vom 10.12.2014 - L 2 SO 4518/12 -, juris, und vom 23.02.2012 - L 7 SO 1246/10 -, juris; sächs. LSG, Beschluss vom 03.06.2010 - L 7 SO 19/09 B ER -, juris; LSG NRW, Beschluss vom 20.12.2013 - L 9 SO 19/09 -, juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.11.2010 - L 8 SO 193/08 -, juris). Speziell für Kinder mit Autismusspektrumsstörungen sind als derartige von Schulbegleitern zu leistende Assistenzdienste etwa die Hilfe zur Fokussierung der Aufmerksamkeit, die Strukturierung der Arbeit, die Verdeutlichung von Aufgabenstellungen oder auch die Unterstützung bei der Selbstorganisation oder bei der Interaktion mit anderen Schülern zu nennen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.03.2015 - 12 B 136/15 -, juris; Nieders. OVG, Beschluss vom 23.02.2006 - 12 ME 474/05 -, juris; Hess. LSG, Beschluss vom 26.04.2012 - L 4 SO 297/11 B ER-, juris; VG München, Beschluss vom 23.02.2009 - M 18 E 09.148 -, juris; VG Bayreuth, Beschluss vom 16.12.2009 - B 3 E 09.936 -, juris; VG Stuttgart, Beschluss vom 18.10.2013 - 7 K 3048/13 -, juris; LSG NRW, Beschluss vom 20.12.2013 - L 9 SO 429/13 B ER -, juris; Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand 07/15, § 35a Rn. 48; Borner, jurisPK-SozR 10/2015 Anm. 5), wobei der Kammer bewusst ist, dass es das Krankheitsbild der Autismusspektrumsstörungen und der daraus resultierende spezifische Unterstützungsbedarf des betroffenen Kindes mit sich bringen, dass im Einzelfall die Grenzen zwischen rein flankierender Hilfe zur Stoffvermittlung, etwa durch bloße Konkretisierung der Aufgabenstellung, und eigenständigem pädagogischem Handeln, wie es in einem den Bedürfnissen des Kindes entsprechenden Umformulieren der Aufgabenstellung gesehen werden könnte, fließend sein können. Entscheidend ist insoweit, dass sich das Tätigkeitsspektrum des Schulbegleiters in der Gesamtschau als eine flankierende, unterstützende Maßnahme darstellt.
44 
2.2.2 Wie sich den Unterlagen des Kommunalen Sozialen Dienstes des Beklagten entnehmen lässt, insbesondere den Entscheidungsnotizen des Beklagten vom xx.xx.2015 und vom yy.yy.2015, der Hilfeplanfortschreibung vom zz.zz.2016 und dem pädagogischen Bericht der Schulbegleitung vom Juli 2015, benötigte der Kläger sowohl im hier entscheidungserheblichen Zeitraum als auch nach wie vor viel Unterstützung im Bereich „Aufgabenübersetzung“ und beim sozialen Miteinander, insbesondere in Konfliktsituationen, bei der Lenkung der Aufmerksamkeit und Minimierung der Ablenkung, vor allem wenn die Klassenatmosphäre unruhig und laut wird, beim Umgang mit Kritik oder falschen Antworten sowie bei der Strukturierung der Aufgaben und der organisatorischen Unterstützung der Hausaufgaben und Heftführung. Damit aber wurde und wird der Integrationshelfer durch die „1:1-Betreuung“ während des Unterrichts, die dadurch mögliche Organisation und Strukturierung der Arbeit des Klägers und die Beeinflussung seines Verhaltens mit dem Ziel größerer Konzentration und der Entwicklung von Strategien im Umgang mit Konflikten und Kritik gerade nicht im pädagogischen Kernbereich, sondern in den Bereichen tätig, die von der Rechtsprechung umschrieben werden als Tätigkeiten, die eigentliche Arbeit der Lehrer absichern und mit die Rahmenbedingungen dafür schaffen, den erfolgreichen Schulbesuch zu ermöglichen. Dies gilt auch im Bereich der Pausen, während derer der Schulbegleiter Hilfestellungen bei der Kommunikation des Klägers mit seinen Schulkameraden gibt und bei jenen Verständnis für die behinderungsbedingten Schwierigkeiten des Klägers zu wecken versucht; auch wenn das Erlernen adäquater sozialer Interaktion selbstredend vom Erziehungsauftrag der Lehrer umfasst ist, handelt es sich dabei nach Auffassung der Kammer nicht um einen allein der Verantwortung der Lehrer zuzuordnenden Kernbereich pädagogischer Tätigkeit.
45 
Die Schulbegleitung spielte und spielt sich damit zur Überzeugung der Kammer auch im konkreten Fall des Klägers nicht in einem Bereich ab, der dem Kernbereich pädagogischer Tätigkeit zuzuordnen wäre und als solcher in der alleinigen Zuständigkeit der Schulverwaltung läge.
46 
3. Ist aber die Schulbegleitung im vorliegenden Fall keine Leistung, die ausschließlich von der Schule bzw. der Schulverwaltung erbracht werden müsste, weil der Kernbereich der Lehrer in der Schule betroffen ist, kann der Beklagte allenfalls damit gehört werden, dass die Schulverwaltung gemäß der Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorrangig zum Tätigwerden verpflichtet wäre. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung, die aufgrund ihres pädagogischen Inhalts zum - vorrangigen - Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören, jedoch zugleich von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers erfasst werden.
47 
Selbst wenn dies auch bei den vom Schulbegleiter zur Unterstützung des Klägers zu erfüllenden Aufgaben mehrheitlich der Fall sein sollte, berechtigt dies jedoch den Beklagten vorliegend nicht zur Ablehnung des Antrags des Klägers.
48 
3.1 Denn der in § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII seit Inkrafttreten des KICK 2005 verankerte Vorrang der Förderung im öffentlichen Schulsystem und der damit einhergehende Nachrang der Jugendhilfe hat keine Auswirkungen auf das Leistungsverhältnis des Anspruchsberechtigten gegenüber dem Jugendhilfeträger, sondern ist von Relevanz allein für die Frage einer möglichen Kostenerstattung zwischen den konkurrierenden Trägern; § 10 SGB VIII begründet kein Leistungsverweigerungsrecht des Jugendhilfeträgers, jener bleibt vielmehr im Sinne eines „Ausfallbürgen“ zuständig (VG Trier, Urteil vom 20.05.2010 - 2 K 26/10.TR -, juris; VG Braunschweig, Urteil vom 19.03.2009 - 3 A 63/08 -, juris; VG Aachen, Beschluss vom 18.11.2004 - 2 L 577/04 -, juris; VG Stuttgart, Beschluss vom 16.02.2015 - 7 K 5740/14 -, juris; DIJuF, Rechtsgutachten vom 17.10.2014, JAmt 2014, 558; jurisPK-SGB VIII, Stand 2014, § 10 Rn. 11, 49; DIJuF, Rechtsgutachten vom 16.10.2014, JAmt 2014, 561, und vom 26.11.2013. JAmt 2014, 18; Meysen, JAmt 2003, 53). § 10 SGB VIII steht einem Anspruch des betroffenen Kindes oder Jugendlichen gegenüber dem Jugendhilfeträger daher nur dann entgegen, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalles im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckende Hilfe in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht auch zur Verfügung steht; leistet der vorrangig Verpflichtete dagegen, aus welchen Gründen auch immer, nicht, steht die Jugendhilfe weiter in der Leistungspflicht (BVerwG, Urteile vom 18.10.2012 - 5 C 21/11 -, juris und vom 22.05.2008 - 5 B 203/07 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 30.10.2014 - 12 A 1639/14 -, juris; OVG Nieders., Beschluss vom 06.11.1998 - 4 L 4221/98 -, juris; Kunkel, SGB VIII, 4. Aufl., §10 Rn. 34).
49 
Vorliegend aber wurden von der M-Realschule im Frühjahr 2014 zwar Unterstützungsleistungen in Form der Schulbegleitung im Falle des Klägers als unbedingt geboten angesehen, um ihn auf seinem Entwicklungsweg optimal fördern zu können (so die Stellungnahme des Klassenlehrers vom qq.qq.2014); ein Schulbegleiter wurde durch die Schule bzw. die Schulverwaltung jedoch nicht gestellt. Eine derartige 1:1-Betreuung, wie sie der Kläger benötigt, könnte die Schulverwaltung nach Aussage des Vertreters des Beklagten in der mündlichen Verhandlung trotz ihres Bemühens, den Lehrern in besonders heterogenen Klassensituationen Unterstützung durch pädagogische Assistenten zukommen zu lassen, auch gar nicht leisten.
50 
3.2 Ein Anspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten scheitert vorliegend auch nicht daran, dass der Kläger nicht zuvor sein Anliegen beim Beklagten vorgetragen und dort die erforderliche Unterstützung durch Bewilligung eines Schulbegleiters beantragt hat. Denn regelmäßig ist es dem Leistungsberechtigten nicht anzusinnen, eine zusätzliche schulische Förderung zunächst gegenüber dem Schulträger bzw. der Schulverwaltung einzufordern.
51 
Dies gilt ungeachtet der Frage, ob der Jugendhilfeträger bereits deshalb keine Möglichkeit hat, den Leistungsberechtigten auf eine Inanspruchnahme der vorrangig zuständigen Schulverwaltung zu verweisen, weil es an einer dem § 2 Abs. 1 BSHG vergleichbaren Vorschrift fehlt, nach welcher ein Empfang von Leistungen (u.a.) dann ausgeschlossen war, wenn die erforderliche Hilfe von anderen erlangt werden konnte (vgl. dazu Meysen, JAmt 2003, 53).
52 
Denn die Auseinandersetzung um den Nachrang der Jugendhilfe und den Vorrang des öffentlichen Schulwesens ist, wovon der Beklagte zurecht ausgegangen ist, nach Auffassung der Kammer nicht auf dem Rücken des Hilfesuchenden, sondern gegebenenfalls im Rahmen eines Erstattungsstreits auszutragen (OVG NRW, Beschluss vom 12.03.2015 - 12 B 136/15 -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 10.11.2004 - 7 TG 1413/04 -, juris; VG München, Beschluss vom 23.02.2009 - M 18 E 09.148 -, juris).
53 
Selbst wenn man dies jedoch anders sehen und einen Verweis des Betreffenden auf die vorrangige Inanspruchnahme der öffentlichen Schulverwaltung für grundsätzlich zulässig halten wollte, setzte ein solcher Verweis jedenfalls voraus, dass das jeweilige Schulrecht des Landes einen subjektiven Anspruch gegenüber der Schulaufsichtsbehörde oder dem Schulträger auf Sicherstellung einer hilfebedarfsgerechten Beschulung vorsieht (DIJuF, Rechtsgutachten vom 16.10.2014, JAmt 2014, 561). Ein derartiger Rechtsanspruch ließ sich jedenfalls für Schüler in allgemeinen Schulen dem baden-württembergischen Schulgesetz nicht entnehmen; vielmehr sprach der Wortlaut des § 15 Abs. 4 SchulG a.F., der lediglich eine objektive, zudem unter Ressourcenvorbehalt stehende Verpflichtung der Schule normierte, gegen das Bestehen eines subjektiven Anspruchs (DIJuF, Rechtsgutachten vom 15.06.2004, JAmt 2004, 305; Meysen, JAmt 2003, 53 [auch zur - im Ergebnis verneinten - Frage, ob sich höherrangigem Recht ein subjektiver Anspruch entnehmen ließ]; Kepert/Pattar, Diskussionspapier Nr. 2014-03, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl).
54 
Im Übrigen gibt es dafür, dass die M-Realschule mit ihrer gegebenen sächlichen und personellen Ausstattung dem Kläger im entscheidungserheblichen Zeitraum eine Förderung hätte zuteil werden lassen können, die eine Schulbegleitung ganz oder auch nur teilweise entbehrlich gemacht hätte, keinerlei Anhaltspunkte; solche zeigt auch der Beklagte nicht auf. Vielmehr hat der Beigeladenenvertreter in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich dargelegt, dass eine derartige 1:1-Betreuung durch die der Schulverwaltung zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen, mit denen lediglich in einzelnen Schulen mit besonders heterogener Schülerschaft einzelne pädagogische Assistenten eingesetzt werden könnten, die jeweils (wechselnde) Gruppen von Schülern betreuten und keinesfalls eine kontinuierliche Betreuung zumal einzelner Schüler sicherstellen könnten, nicht geleistet werden könne.
55 
Die Kostenentscheidung für das nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreie Verfahren beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Billigem Ermessen entspricht es vorliegend, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, nachdem er keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
56 
Die Berufung wird von der Kammer nach § 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 1 Nr. 3 VwGO zugelassen, da die Frage, ob und ggf. inwieweit die Übernahme der Kosten für einen Schulbegleiter eines an einer seelischen Behinderung leidenden Kindes, für das kein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden ist, auf Grundlage des Schulgesetzes in seiner bis zum 31.07.2015 geltenden Fassung in der ausschließlichen Zuständigkeit der Schulverwaltung gelegen hat, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

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(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erho

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Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in e

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Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) - SGB 8 | § 10 Verhältnis zu anderen Leistungen und Verpflichtungen


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Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 18. März 2016 - 4 K 2145/14 zitiert oder wird zitiert von 14 Urteil(en).

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Verwaltungsgericht Karlsruhe Beschluss, 21. Dez. 2006 - 8 K 2759/06

bei uns veröffentlicht am 21.12.2006

Gründe   1 Das einstweilige Rechtsschutzbegehren ist mit dem nunmehr im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten modifizierten Antrag, 2 den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller darlehensweise Eingliederungshilfe
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 18. März 2016 - 4 K 2145/14.

Verwaltungsgericht Würzburg Beschluss, 30. Mai 2016 - W 3 E 16.459

bei uns veröffentlicht am 30.05.2016

Tenor I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des Schuljahres 2015/2016, längstens jedoch bis zum vorherigen Ausscheiden aus der ...-Schule G., Einglie

Referenzen

(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

(1) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach diesem Buch entsprechende Leistungen vorgesehen sind.

(2) Unterhaltspflichtige Personen werden nach Maßgabe der §§ 90 bis 97b an den Kosten für Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch beteiligt. Soweit die Zahlung des Kostenbeitrags die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen mindert oder der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch gedeckt ist, ist dies bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen.

(3) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Zweiten Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 3 Absatz 2, den §§ 14 bis 16g, 16k, § 19 Absatz 2 in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches sowie Leistungen nach § 6b Absatz 2 des Bundeskindergeldgesetzes in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches den Leistungen nach diesem Buch vor.

(4) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Neunten und Zwölften Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 27a Absatz 1 in Verbindung mit § 34 Absatz 6 des Zwölften Buches und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach diesem Buch vor. Landesrecht kann regeln, dass Leistungen der Frühförderung für Kinder unabhängig von der Art der Behinderung vorrangig von anderen Leistungsträgern gewährt werden.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist ein europaweit agierendes Medienunternehmen. Die Beigeladenen sind Tochtergesellschaften der ProSiebenSat.1 Media AG (P7S1) und als private Veranstalter von bundesweit verbreiteten Fernsehprogrammen von der beklagten Landesmedienanstalt zugelassen. Gemeinsam mit zwei weiteren Fernsehveranstaltern, der Sat.1 Satelliten Fernsehen GmbH und der ProSieben Television GmbH, die ebenfalls Tochtergesellschaften der ProSiebenSat.1 Media AG sind, meldeten die Klägerin und die Beigeladenen mit Schreiben vom 8. August 2005 bei der Beklagten eine geplante mittelbare Veränderung von Beteiligungsverhältnissen an und beantragten, deren rundfunkrechtliche Unbedenklichkeit zu bestätigen. Gegenstand der im Verlauf des Verfahrens mehrfach modifizierten Anmeldung war das Vorhaben der Klägerin, sämtliche von der ProSiebenSat.1 Media AG Holding L.P. gehaltenen Anteile an der P7S1 käuflich zu erwerben und für die im Streubesitz befindlichen stimmrechtslosen Vorzugsaktien ein öffentliches Übernahmeangebot abzugeben. Nach Vollzug der beabsichtigten Beteiligungsveränderung hätte die Klägerin über 100 vom Hundert des stimmberechtigten Stammkapitals der ProSiebenSat.1 Media AG verfügt und wäre zu knapp 71 vom Hundert an deren Gesamtkapital beteiligt gewesen.

2

Die Beklagte legte die Anmeldung der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) vor, die mit Beschluss vom 10. Januar 2006 feststellte, dass die geplante Beteiligungsveränderung angesichts der Stellung der Klägerin auf medienrelevanten verwandten Märkten, insbesondere ihrer starken Position im Pressebereich, eine vorherrschende Meinungsmacht begründen würde, die derjenigen eines Fernsehveranstalters mit einem Zuschaueranteil von 42 vom Hundert entspräche. Nach den rundfunkstaatsvertraglichen Vorschriften über die Sicherung der Meinungsvielfalt könne das Vorhaben daher nicht als unbedenklich bestätigt werden. Zur Überprüfung dieses Beschlusses rief die Beklagte am 26. Januar 2006 die Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten (KDLM) an.

3

Mit Beschluss vom 19. Januar 2006 untersagte das Bundeskartellamt den von der Klägerin angestrebten Zusammenschluss mit der ProSiebenSat.1 Media AG.

4

In einer Pressemitteilung vom 1. Februar 2006 gaben die Klägerin und die P7S1 Holding L.P. bekannt, die Pläne zur Übernahme der ProSiebenSat.1 Media AG durch die Klägerin wegen der damit verbundenen, auf wirtschaftlichen und juristischen Unsicherheiten beruhenden Risiken nicht weiterverfolgen zu wollen.

5

In ihrer Sitzung vom 7. März 2006 kam die KDLM mehrheitlich zu der Auffassung, dass sich der Antrag der Beklagten auf Aufhebung des Beschlusses der KEK vom 10. Januar 2006 durch die Aufgabe der Übernahmepläne in der Sache erledigt habe. Ihren nachgeschobenen Hilfsantrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses nahm die Beklagte in der Sitzung zurück. In einer Presseerklärung teilte die KDLM mit, dass nach ihrer Ansicht - ungeachtet der Erledigung - die von der KEK angewandte Bewertung der Stellung der Klägerin auf medienrelevanten verwandten Märkten sowohl hinsichtlich der Abgrenzung als auch der Gewichtung der medienrelevanten Märkte in sich nicht schlüssig sei und einer rechtlichen Bewertung nicht standhalten würde.

6

Nachdem die Beklagte die Klägerin am 6. März 2006 als Beteiligte zum Verfahren hinzugezogen hatte, erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 7. März 2006 gegenüber der Beklagten, dass man nach den negativen Bescheiden der KEK und des Bundeskartellamts angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen keine Möglichkeit gesehen habe, den Anteilserwerb wie geplant umzusetzen. Allerdings sei die Übernahme von ProSiebenSat.1 Media AG weiterhin ein strategisch richtiger und sinnvoller Schritt, der bei positiven rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch zukünftig vollzogen werden könnte.

7

Mit Bescheid vom 15. Mai 2006 lehnte die Beklagte die Genehmigung der Fortsetzung der Anbietertätigkeit der Beigeladenen nach Erwerb der von der ProSiebenSat.1 Media AG gehaltenen Anteile durch die Klägerin ab. Zur Begründung führte die Beklagte unter anderem aus, dass sie zwar von einem grundsätzlich fortbestehenden Übernahmeinteresse der Klägerin ausgehe, dass jedoch auf der Grundlage der rechtlich bindenden Entscheidung der KEK, die zum Bestandteil des Bescheidinhalts gemacht werde, die Genehmigung versagt werden müsse.

8

Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme der KEK mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2006 zurück.

9

Die Anteile an der ProSiebenSat.1 Media AG, die die Klägerin ursprünglich erwerben wollte, wurden Ende 2006 von einem Drittunternehmen gekauft. Mit Beschluss vom 6. Februar 2007 beurteilte die KEK diese Veränderung der Beteiligungsverhältnisse als medienrechtlich unbedenklich. Die darüber erteilten Genehmigungsbescheide der Beklagten vom 22. und 29. März 2007 sind bestandskräftig geworden.

10

Mit ihrer am 14. Juli 2006 erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihr die beantragte medienrechtliche Unbedenklichkeitsbestätigung zu erteilen, hilfsweise, die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten, weiter hilfsweise, festzustellen, dass die Versagung der medienrechtlichen Unbedenklichkeitsbestätigung rechtswidrig gewesen sei. Das Verwaltungsgericht München hat die Klage mit Urteil vom 8. November 2007 abgewiesen. Das Verpflichtungsbegehren der Klägerin habe sich spätestens mit der Bestandskraft der Genehmigungsbescheide der Beklagten zum Erwerb der Unternehmensanteile durch einen Dritten und dem Vollzug dieser Beteiligungsveränderung erledigt. Die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage sei im Hinblick darauf, dass die Klägerin nach eigenem Bekunden an der Übernahme der ProSiebenSat.1 Media AG weiterhin interessiert sei, zwar zulässig, aber unbegründet. Die Entscheidung der Beklagten, dass durch die geplante Beteiligungsveränderung eine vorherrschende Meinungsmacht entstehen könne, sei nicht zu beanstanden.

11

Ihre vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung hat die Klägerin unter Rücknahme der erstinstanzlich gestellten Verpflichtungsanträge auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheids der Beklagten vom 15. Mai 2006 und des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2006 beschränkt. Die insoweit aufrechterhaltene Berufung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 7. Juli 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

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Die Klage sei unzulässig, weil die Klägerin kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der streitbefangenen Bescheide habe. Da ungewiss sei, ob sich in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse wie im Zeitpunkt des Bescheiderlasses einstellten, scheide die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr aus. Ebenso wenig ergebe sich ein schutzwürdiges Feststellungsinteresse daraus, dass eine gerichtliche Klärung der Sachfragen ein etwaiges neuerliches Übernahmevorhaben der Klägerin präjudizieren würde. Dem stehe zum einen entgegen, dass die Anteile an der ProSiebenSat.1 Media AG seit ihrer Veräußerung im Jahr 2007 nicht mehr zum Erwerb angeboten worden seien und auch eine gegenwärtige Verkaufsabsicht nicht ersichtlich sei. Dass die Klägerin aktuell die Möglichkeit zur Übernahme der Sendergruppe habe, sei nicht erkennbar. Die Marktverhältnisse und die Medienlandschaft seien zudem generell einem ständigen Wandel unterworfen und hätten sich seit der Beschlussfassung der KEK grundlegend verändert. Zum anderen habe sich die Zusammensetzung der KEK durch den zum 1. September 2008 in Kraft getretenen Zehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag strukturell geändert. Vor dem Hintergrund der personellen Erweiterung der KEK um Vertreter der Landesmedienanstalten sei es als offen anzusehen, ob der Klägerin im Falle erneuter Übernahmepläne die rundfunkrechtliche Unbedenklichkeitsbestätigung nochmals verweigert würde. Die Klägerin könne ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch nicht aus der von ihr geltend gemachten Absicht herleiten, mit der verwaltungsgerichtlichen Klage einen Amtshaftungsprozess vorzubereiten. Schließlich könne sich die Klägerin auch nicht auf ein Rehabilitierungsinteresse berufen. Von dem Bescheid der Beklagten gehe keine diskriminierende, ansehensmindernde oder geschäftsschädigende Wirkung aus. Mit der objektiven Feststellung, dass die Klägerin durch die geplante Übernahme eine vorherrschende Meinungsmacht erlangen würde, sei insbesondere nicht der Vorwurf verknüpft, die Klägerin werde die erlangte Position missbräuchlich ausüben.

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Zur Begründung ihrer vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision trägt die Klägerin im Wesentlichen vor:

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Der Verwaltungsgerichtshof habe ihr unter Verstoß gegen § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO das Feststellungsinteresse abgesprochen. Die Erledigung des Klagebegehrens sei - wie dies bei Ablehnung einer rundfunkrechtlichen Unbedenklichkeitsbestätigung für einen geplanten Unternehmenszusammenschluss typisch sei - eingetreten, bevor sie überhaupt gerichtlichen Rechtsschutz in der Hauptsache habe in Anspruch nehmen können. Ein anderer Weg zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns der Beklagten als die Fortsetzungsfeststellungsklage stehe ihr nicht zur Verfügung. Auch bei der rundfunkkonzentrationsrechtlichen Beurteilung möglicher künftiger Übernahmevorhaben der Klägerin werde es maßgeblich auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Auslegung des § 26 RStV ankommen. Es gebe indes keinen Anhalt dafür, dass die KEK - ungeachtet ihrer veränderten Organisationsstruktur und ihrer erweiterten personellen Zusammensetzung - von ihrer im zugrunde liegenden Verfahren praktizierten Handhabung dieser Vorschrift, die ihrer ständigen Spruchpraxis entspreche, in Zukunft abweichen werde. Soweit die Berufungsentscheidung es demgegenüber als offen betrachte, in welchem Sinne die KEK § 26 RStV in einem künftigen Verfahren verstehen werde, beruhe dies auf einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung (§ 86 Abs. 1 VwGO) und einer Überschreitung der Grenzen freier Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO). Der Klägerin könne das Feststellungsinteresse auch nicht mit der Begründung abgesprochen werden, die von ihr in Aussicht genommene Verfolgung von Amtshaftungsansprüchen stelle sich als von vornherein aussichtslos dar. Die Versagung des gerichtlichen Rechtsschutzes durch den Verwaltungsgerichtshof verletze die Klägerin in ihrem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie in ihren Grundrechten auf Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG), auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) und auf unternehmerische Teilhabe am Wettbewerb (Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG). Die Berufungsentscheidung stelle sie faktisch rechtsschutzlos und behindere sie massiv in ihrem Bestreben, als traditionelles Presseunternehmen in den Rundfunk- und Fernsehmarkt hineinzuwachsen. Es sei zu befürchten, dass ihr die Einwände in den Entscheidungen der Beklagten bzw. der KEK aus dem Jahr 2006 bei bevorstehenden Zusammenschlussvorhaben sowohl von Seiten der Verhandlungs- und Vertragspartner als auch von behördlicher Seite entgegengehalten würden.

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Materiellrechtlich stehe der Bescheid der Beklagten nicht mit § 26 RStV in Einklang. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift könne einer geplanten Veränderung der Beteiligungsverhältnisse an einem Rundfunkveranstalter allenfalls dann eine vorherrschende Meinungsmacht, die die medienrechtliche Unbedenklichkeit der geplanten Veränderung ausschließe, entgegengehalten werden, wenn das Unternehmen im Durchschnitt eines Jahres einen Zuschaueranteil von zumindest 25 vom Hundert erreiche. Es sei indes unstreitig, dass sie - die Klägerin - aufgrund der geänderten Beteiligungsverhältnisse nur einen Zuschaueranteil von weniger als 25 vom Hundert erreicht hätte. Weil dies unstreitig sei, sei die Sache spruchreif und könne das Revisionsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO zu ihren Gunsten durchentscheiden.

16

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 8. November 2007 und den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Juli 2009 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen ist, ihr nach Maßgabe ihres Antrags vom 8. August 2005 eine medienrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erteilen.

17

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

18

Sie ist der Auffassung, dass die Klägerin ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Versagung der medienrechtlichen Unbedenklichkeitsbestätigung habe. Eine Sachentscheidung nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO sei dem Revisionsgericht aber verwehrt. Eine vorherrschende Meinungsmacht im Sinne des § 26 Abs. 1 RStV könne auch dann angenommen werden, wenn die Zuschaueranteile unter dem Schwellenwert des § 26 Abs. 2 RStV blieben. Der Verwaltungsgerichtshof habe keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob hiervon ausgehend die geplante Veränderung der Beteiligungsverhältnisse zu einer vorherrschenden Meinungsmacht der Klägerin geführt hätte. Die Sache sei daher an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

19

Die Beigeladenen zu 1 und 2 beantragten,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 8. November 2007 und den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Juli 2009 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen ist, ihr nach Maßgabe ihres Antrags vom 8. August 2005 eine medienrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erteilen.

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Zur Begründung wiederholen sie im Wesentlichen die von der Klägerin vorgebrachten Gründe und vertiefen sie.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs ist begründet. Die angefochtene Berufungsentscheidung verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage unter Verstoß gegen § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als unzulässig abgewiesen (1.). Ob die Klage in der Sache begründet oder unbegründet ist, kann der Senat mangels hierfür ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht beurteilen. Er kann daher weder gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO zu Gunsten der Klägerin entscheiden und ihrer Klage stattgeben (2.) noch die Klageabweisung gemäß § 144 Abs. 4 VwGO im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig bestätigen (3.). Die Sache ist vielmehr gemäß § 144 Abs. 3 an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

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1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Das Begehren der Klägerin hat sich erledigt (a). Ihr kann zudem entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht das besondere Feststellungsinteresse für eine Sachentscheidung abgesprochen werden (b).

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a) Die Klägerin hatte ursprünglich von der Beklagten die Bestätigung der rundfunkrechtlichen Unbedenklichkeit gemäß § 29 Satz 3 des Staatsvertrages für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag - RStV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juli 2001, BayGVBl S. 502, hier noch anzuwenden in der Fassung des 7. Rundfunkänderungsstaatsvertrages vom 23. Februar 2004, BayGVBl S. 32, begehrt. Nach § 29 Satz 1 RStV ist jede geplante Veränderung von Beteiligungsverhältnissen oder sonstigen Einflüssen bei der zuständigen Landesmedienanstalt vor ihrem Vollzug schriftlich anzumelden. Anmeldepflichtig sind nach § 29 Satz 2 RStV der Veranstalter und die an dem Veranstalter unmittelbar oder mittelbar im Sinne von § 28 Beteiligten. Nach § 29 Satz 3 RStV dürfen die Veränderungen nur dann von der zuständigen Landesmedienanstalt als unbedenklich bestätigt werden, wenn unter den veränderten Voraussetzungen eine Zulassung erteilt werden könnte. Bei dieser Unbedenklichkeitsbestätigung handelt es sich um einen feststellenden Verwaltungsakt, der mit der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) erstritten werden kann.

24

Das darauf gerichtete Verpflichtungsbegehren hat sich bereits vor Klageerhebung erledigt. Mit Schreiben vom 8. August 2005 meldeten die Klägerin und die Beigeladenen gemeinsam mit zwei weiteren Fernsehveranstaltern bei der Beklagten gemäß § 29 Satz 1 RStV eine geplante mittelbare Veränderung von Beteiligungsverhältnissen an und beantragten, deren rundfunkrechtliche Unbedenklichkeit gemäß § 29 Satz 3 RStV zu bestätigen. Das darauf gerichtete Begehren hat sich dadurch erledigt, dass die Klägerin mit Schreiben vom 7. März 2006 an die Beklagte erklärte, sie sehe nach den negativen Bescheiden der KEK und des Bundeskartellamts angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen keine Möglichkeit, den Anteilserwerb wie geplant umzusetzen.

25

Darin liegt einerseits die Aufgabe des Vorhabens, dessen medienrechtliche Unbedenklichkeit in dem eingeleiteten Verwaltungsverfahren hätte geprüft und bestätigt werden sollen, und andererseits verfahrensrechtlich die Rücknahme der Anmeldung einer beabsichtigten Änderung der Beteiligungsverhältnisse nach § 29 RStV, welche das Verwaltungsverfahren eingeleitet hat. Das Verwaltungsverfahren hat mit dieser Aufgabe des Vorhabens seinen Gegenstand verloren und sich dadurch erledigt. Über das antragsabhängige Begehren der Klägerin konnte danach keine Entscheidung in der Sache mehr getroffen werden, mit der Folge, dass es sich seinerseits erledigt hat (zu einer vergleichbaren Fallgestaltung vgl. Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 22.88 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 29). War aber das Verwaltungsverfahren gegenstandslos geworden, trifft dies auch auf die gleichwohl noch ergangenen Bescheide der Beklagten vom 15. Mai und 4. Juli 2006 zu. Sie gingen mangels eines noch regelungsfähigen Gegenstandes von vornherein ins Leere, waren deshalb rechtlich bedeutungslos und konnten insbesondere keine der Bestandskraft fähigen Regelungen mehr bewirken. Ihrer ausdrücklichen Aufhebung bedarf es daher nicht.

26

Aufgrund der danach eingetretenen Erledigung ihres Begehrens konnte die Klägerin dessen ursprüngliche Berechtigung mit der Fortsetzungsfeststellungsklage zur gerichtlichen Überprüfung stellen. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auch dann statthaft, wenn sich ein Verpflichtungsbegehren bereits vor Klageerhebung erledigt hat (Urteil vom 18. Dezember 2007 - BVerwG 6 C 47.06 - Buchholz 442.066 § 42 TKG Nr. 3 S. 20). In diesem Fall ist die Klage darauf gerichtet, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet gewesen ist, den ursprünglich begehrten Verwaltungsakt zu erlassen.

27

b) Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage erfordert ein besonderes Feststellungsinteresse. Dieses kann typischerweise in einer Wiederholungsgefahr, einem Rehabilitationsinteresse, der Absicht eines Schadensersatzprozesses oder weiteren besonderen Umständen des Einzelfalls liegen. Vorliegend hat die Klägerin ein Rehabilitationsinteresse, weil durch die ausdrücklich ablehnende Haltung der KEK und der Beklagten zu der rundfunkrechtlichen Übernahmeabsicht der Klägerin auch jedes zukünftige entsprechende Vorhaben mit einer drohenden Verweigerung der Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 29 Satz 3 RStV bemakelt ist. Bis zum Zeitpunkt der Erledigung des Verwaltungsverfahrens ist es zwar zu keiner Entscheidung der beklagten Landesmedienanstalt gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 RStV gekommen. Allerdings lag bereits am 10. Januar 2006 der Beschluss der KEK zum klägerischen Vorhaben vor, in dem die Gefahr der Entstehung einer vorherrschenden Meinungsmacht im Fall der Übernahme der ProSiebenSat.1 Media AG gesehen wurde. In diesem Beschluss lag die vor der Entscheidung der Beklagten gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 RStV abzugebende Beurteilung der KEK gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 RStV über die Frage der rundfunkkonzentrationsrechtlichen Unbedenklichkeit im Falle der Bestätigung von Veränderungen von Beteiligungsverhältnissen im Sinne von § 36 Abs. 1 Satz 2 RStV. Die daraufhin wegen der Verbindlichkeit dieser Beurteilung (§ 37 Abs. 2 RStV) absehbar gewesene ablehnende Entscheidung der Beklagten wirkte zwar nicht in der Weise ehrverletzend, dass sie in ein das Ansehen schützendes subjektives Recht der Klägerin eingegriffen hätte, behinderte sie aber beträchtlich in ihrer künftigen unternehmerischen Entfaltung.

28

Die Übernahme von Beteiligungen an Fernsehveranstaltern steht aus naheliegenden wirtschaftlichen Gründen unter besonderem Zeitdruck. Der Rechtsschutz, den das Gesetz den Beteiligten im Falle einer Verweigerung der medienrechtlichen Unbedenklichkeitsbestätigung gewährt, steht dagegen nicht in ähnlich kurzer Frist zur Verfügung. Vielmehr müssen die Beteiligten damit rechnen, dass ein gerichtliches Verfahren auch bei zügiger Bearbeitung durch immerhin drei Instanzen längere Zeit in Anspruch nehmen wird. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit führt häufig dazu, dass die an der Veränderung der Beteiligungsverhältnisse Interessierten ihr Vorhaben im Falle einer Verweigerung der Unbedenklichkeitsbestätigung durch die zuständige Landesmedienanstalt aufgeben, ohne eine Klärung im Gerichtsverfahren abzuwarten. Diese für die Beteiligten im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutz unbefriedigende Situation wird zusätzlich dadurch gekennzeichnet, dass der gescheiterte Käufer bei zukünftigen Akquisitionsgelegenheiten damit rechnen muss, dass seinem Erwerbsvorhaben die Argumente aus dem Bescheid entgegengehalten werden, durch den für das frühere Vorhaben die medienrechtliche Unbedenklichkeitbestätigung verweigert worden ist. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass sich ein Verkäufer kaum dem Risiko aussetzen wird, an einen solchen Kaufinteressenten zu verkaufen, wenn er mit einer entsprechenden Entscheidung wie dem früheren Bescheid rechnen muss. Im Übrigen würde auch der neuerliche Erwerb einer Beteiligung unter denselben wirtschaftlichen Zwängen stehen wie der erste, so dass häufig auch in dem zweiten Verfahren die zugrunde liegenden Fragen nicht gerichtlich geklärt werden können.

29

Die Klägerin muss mithin wegen der für sie ungünstigen Entscheidung der Beklagten damit rechnen, von einem potentiellen Veräußerer schon gar nicht als ernsthafter Verhandlungspartner für eine Übernahme in Betracht gezogen zu werden. Sie hat ein berechtigtes Interesse daran, diesen in der Verweigerung der medienrechtlichen Unbedenklichkeitsbestätigung liegenden Makel für zukünftige Fälle zu beseitigen.

30

Der Senat stimmt damit im Ergebnis mit dem Bundesgerichtshof überein, der der Klägerin in dem parallel geführten kartellrechtlichen Verfahren trotz dessen Erledigung ebenfalls ein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Sachentscheidung zuerkannt hatte (BGH, Beschluss vom 25. September 2007 - KVR 30/06 - BGHZ 174, 179 <183 ff.>). Danach ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ausnahmsweise schon dann zu bejahen, wenn die Beteiligten darlegen können, dass sie an der Klärung der durch den streitigen Bescheid aufgeworfenen Fragen ein besonderes berechtigtes Interesse haben, das sich auch aus der Präjudizierung eines vergleichbaren, wenn auch derzeit noch nicht absehbaren Vorhabens ergeben kann. Davon ist auszugehen, solange die früher beabsichtigte Veränderung der Beteiligungsverhältnisse jederzeit wieder in Angriff genommen werden und deswegen die frühere Beurteilung durch die Landesmedienanstalt noch prägende Bedeutung für die spätere Prüfung eines entsprechenden Vorhabens haben kann. Hier hat die Klägerin nachvollziehbar dargelegt, dass für sie das einstweilen gescheiterte Vorhaben weiterhin von Interesse ist und ungeachtet der zwischenzeitlichen Veräußerung der Unternehmensanteile an einen Finanzinvestor wirtschaftlich realisierbar ist. Die Beklagte wiederum hat wiederholt verlautbart, dass sie an der bisherigen tatsächlichen und rechtlichen Beurteilung des Vorhabens unverändert festhält.

31

2. Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht zu Gunsten der Klägerin in der Sache selbst entscheiden. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ohne weitere tatsächliche Feststellungen der Klage als begründet stattzugeben wäre, weil eine medienrechtliche Unbedenklichkeit der beabsichtigten Veränderung der Beteiligungsverhältnisse hätte bestätigt werden müssen. Eine medienrechtliche Unbedenklichkeit kann einer beabsichtigten Veränderung der Beteiligungsverhältnisse an privaten Rundfunkveranstaltern nach § 29 Satz 3 RStV nicht bestätigt werden, wenn ein Unternehmen durch die Änderung der Beteiligungsverhältnisse eine vorherrschende Meinungsmacht im Sinne des § 26 Abs. 1 RStV erlangt. Dass vorherrschende Meinungsmacht gegeben ist, wird nach § 26 Abs. 2 Satz 1 RStV vermutet, wenn die einem Unternehmen zurechenbaren Programme im Durchschnitt eines Jahres einen Zuschaueranteil von 30 vom Hundert erreichen. Gleiches gilt nach § 26 Abs. 2 Satz 2 RStV bei Erreichen eines Zuschaueranteils von 25 vom Hundert, sofern das Unternehmen auf einem medienrelevanten verwandten Markt eine marktbeherrschende Stellung hat oder eine Gesamtbeurteilung seiner Aktivitäten im Fernsehen und auf medienrelevanten verwandten Märkten ergibt, dass der dadurch erzielte Meinungseinfluss dem eines Unternehmens mit einem Zuschaueranteil von 30 vom Hundert im Fernsehen entspricht. Hiernach wäre die Klage ohne weiteres begründet und ihr bereits im Revisionsverfahren stattzugeben, wenn § 26 Abs. 1 und 2 RStV dahin auszulegen wären, dass eine vorherrschende Meinungsmacht im Sinne des § 26 Abs. 1 RStV nur dann angenommen werden darf, wenn die Schwellenwerte des § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 RStV erreicht sind. Denn nach dem insoweit zwischen den Beteiligten nicht streitigen Sachverhalt hätte die Klägerin nach der beabsichtigten Übernahme der Beteiligungen diese Schwellenwerte nicht erreicht. § 26 Abs. 2 RStV ist jedoch nicht als abschließende Regelung dahin zu verstehen, dass vorherrschende Meinungsmacht im Sinne des § 26 Abs. 1 RStV nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 Abs. 2 RStV angenommen werden darf, insbesondere also zwingend erfordert, dass die dort genannten Schwellenwerte für den Zuschaueranteil erreicht werden. § 26 Abs. 2 RStV enthält vielmehr Regelbeispiele, die es nicht ausschließen, bei Vorliegen gewichtiger Gründe eine vorherrschende Meinungsmacht im Sinne des § 26 Abs. 1 RStV auch dann anzunehmen, wenn die Schwellenwerte des § 26 Abs. 2 RStV nicht ganz erreicht werden.

32

Der Wortlaut des Gesetzes steht dieser Auslegung nicht entgegen, sondern unterstützt sie vielmehr (a). Die Entstehungsgeschichte bestätigt die Auslegung (b). Sie ist mit der Systematik des Gesetzes vereinbar (c) und entspricht insbesondere dem Sinn und Zweck der Vorschrift (d). Die hier gefundene Auslegung der landesrechtlichen Vorschrift des § 26 Abs. 1 und 2 RStV verstößt schließlich nicht gegen höherrangiges Bundesrecht (e).

33

a) Die in § 26 Abs. 1 RStV verwendete Formulierung "vorherrschende Meinungsmacht nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen" zwingt nicht dazu, in § 26 Abs. 2 RStV eine abschließende Konkretisierung dieses Rechtsbegriffs zu erblicken. Der Wortsinn des § 26 Abs. 1 RStV ist offen dafür, dass sich der Verweis auf die "nachfolgenden Bestimmungen" nicht allein auf § 26 Abs. 2 RStV, sondern weitergehend auch auf die §§ 27 ff. RStV bezieht (vgl. Trute, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 2. Auflage, München 2008, § 26 RStV Rn. 38). Bei den Regelungen des § 26 Abs. 2 RStV handelt es sich nach dem eindeutigen Sprachgebrauch des Gesetzes einerseits um Vermutungstatbestände (§ 26 Abs. 2 Satz 1 RStV: "so wird vermutet") und damit nach hergebrachter Rechtsdogmatik um Vorschriften des Beweisrechts. Gesetzliche Vermutungen, die unbeschadet des Amtsermittlungsgrundsatzes auch im Verwaltungsrecht nichts Ungewöhnliches sind und zu einer Umkehr der objektiven Beweislast führen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 108 Rn. 12), erleichtern lediglich den Nachweis des Vorhandenseins gewisser Tatsachen (vgl. § 292 ZPO), bestimmen den materiellen Tatbestand, um dessen Nachweis es geht, aber nicht selbst, sondern setzen ihn voraus (vgl. Trute, a.a.O. § 26 RStV Rn. 37). Mit diesem Charakter als Beweislastregeln im Fall eines "non liquet" wäre es nicht vereinbar, § 26 Abs. 2 RStV abschließende materiellrechtliche Vorgaben für das Merkmal vorherrschender Meinungsmacht zu entnehmen. Der Gesetzeswortlaut lässt andererseits dafür Raum, die Bestimmungen des § 26 Abs. 2 RStV über bloße Vermutungsregeln hinaus zugleich als Regelbeispiele mit Leitbildcharakter für die Auslegung der sonst allzu vagen Generalklausel des § 26 Abs. 1 RStV aufzufassen, die, wie noch näher auszuführen sein wird, für den Normalfall eine bestimmte Entscheidung des Normanwenders intendieren.

34

b) Eine derartige Deutung im Sinne einer abschließenden Regelung könnte systematisch allerdings durch § 26 Abs. 4 Satz 1 RStV nahegelegt werden, der - soweit einem Unternehmen Maßnahmen zur Beseitigung der von ihm erlangten vorherrschenden Meinungsmacht vorzuschlagen sind - in Nr. 1 und 2 allein auf § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 RStV Bezug nimmt. Diese Bezugnahme nötigt indes für sich genommen und erst recht im Hinblick darauf, dass die nachfolgende Nr. 3 sowie die weitere Rechtsfolgennorm des § 26 Abs. 3 RStV nicht auf § 26 Abs. 2 RStV verweisen, nicht dazu, den Begriff der vorherrschenden Meinungsmacht als durch § 26 Abs. 2 RStV abschließend konkretisiert anzusehen.

35

c) Die amtliche Begründung zu § 26 RStV (abgedruckt bei Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, § 26 RStV S. 2 ff.) bestätigt dieses Ergebnis. In ihr wird hervorgehoben, dass es "dem Unternehmen unbenommen (bleibt) nachzuweisen, dass trotz Erreichens der 30-vom-Hundert-Grenze vorherrschende Meinungsmacht nicht gegeben ist ... Die Ausgestaltung der 30-vom-Hundert-Grenze als Vermutungsgrenze schließt umgekehrt nicht aus, dass die KEK vorherrschende Meinungsmacht im Fernsehen auch unterhalb dieser Grenze feststellt. Allerdings wird dies an die KEK besondere Anforderungen an den Nachweis stellen." Aus diesen Erwägungen geht klar hervor, dass der Rundfunkgesetzgeber mit der Regelung der Zuschaueranteilsgrenze in § 26 Abs. 2 Satz 1 RStV die Absicht verfolgt hat, Maßgaben für den behördlichen Nachweis vorherrschender Meinungsmacht zu schaffen, nicht aber, diesen Begriff materiellrechtlich abschließend zu umreißen. An diesem Befund hat sich auch durch den 6. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, mit dem in § 26 Abs. 2 Satz 2 RStV die Voraussetzung einer "geringfügigen Unterschreitung des Zuschaueranteils" durch die 25-vom-Hundert-Grenze ersetzt worden ist, und die dafür angeführten Motive nichts geändert. In der Begründung dieses Staatsvertrags (ebenfalls abgedruckt bei Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, a.a.O. § 26 RStV S. 4) heißt es zwar: "Durch die Streichung des Wortes 'geringfügig' in Absatz 2 Satz 2 wird die Möglichkeit eröffnet, die Stellung eines Unternehmens auf medienrelevanten Märkten ab einer Untergrenze von 25 vom Hundert Zuschaueranteil einzubeziehen..." Dass mit der Änderung der Bestimmung des § 26 Abs. 2 Satz 2 RStV vom ursprünglichen Regelungskonzept des Verhältnisses zwischen § 26 Abs. 1 und 2 RStV abgerückt werden sollte, ist jedoch nicht erkennbar. Gegen eine solche Abkehr spricht auch, dass in der staatsvertraglichen Begründung anschließend ausgeführt wird: "§ 26 Abs. 2 Satz 1 bleibt durch die Änderung in § 26 Abs. 2 unberührt. Die in dieser Vorschrift verankerte 30-%-Grenze darf auch weiterhin nicht überschritten werden." Die Kontinuität mit der Vorgängerfassung wird darüber hinaus durch die Eingangspassage deutlich betont: "Die Regelung des § 26 geht auch weiterhin vom Zuschaueranteilsmodell aus. Weiterhin wird vorherrschende Meinungsmacht vermutet, wenn die einem Unternehmen zurechenbaren Programme im Durchschnitt eines Jahres einen Zuschaueranteil von 30 vom Hundert erreichen."

36

d) Dem Sinn und Zweck der Vorschrift, zur Sicherung der Meinungsvielfalt im Fernsehen (vgl. die amtliche Überschrift) dem Entstehen vorherrschender Meinungsmacht vorzubeugen, wird nur ein Normverständnis gerecht, das eine Konzentrationskontrolle auch außerhalb der starren Zuschaueranteilsgrenzen des § 26 Abs. 2 RStV für zulässig hält. Die Kernvorschrift der rundfunkrechtlichen Konzentrationskontrolle findet sich in der Generalklausel des § 26 Abs. 1 RStV und erlaubt die Veranstaltung einer unbegrenzten Anzahl von bundesweit verbreiteten Fernsehprogrammen, solange das Unternehmen "nach Maßgabe der folgenden Vorschriften" dadurch keine "vorherrschende Meinungsmacht" erlangt.

37

Das Zuschaueranteilsmodell des § 26 Abs. 2 RStV ist nicht ausreichend, um eine von Verfassungs wegen gebotene effektive Medienkonzentrationskontrolle sicherzustellen (vgl. Trute, a.a.O. § 26 RStV Rn. 38 m.w.N.). So wäre es schwer verständlich, wenn gegenüber einem Unternehmen mit einem Zuschaueranteil von 25 vom Hundert und einer marktbeherrschenden Stellung auf einem (einzigen) medienrelevanten verwandten Markt (vgl. § 26 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 RStV) Maßnahmen zur Vielfaltssicherung getroffen werden könnten, während bei einer geringfügigen Unterschreitung der 25-vom-Hundert-Grenze und gleichzeitig vorliegender marktbeherrschender Stellung auf mehreren medienrelevanten verwandten Märkten - etwa bei den verschiedenartigen Printmedien und den Online-Diensten - ein konzentrationsrechtliches Tätigwerden ausgeschlossen wäre (vgl. Trute, a.a.O. § 26 RStV Rn. 38). Auch unterhalb des Schwellenwerts von 25 vom Hundert kann ein - letztlich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleitendes - Bedürfnis bestehen, zum Schutz der publizistischen Vielfalt bzw. zur Vermeidung eines dominierenden Einflusses auf die freie Meinungsbildung in dem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besonders sensiblen Bereich der Rundfunkordnung einzuschreiten (BVerfG, Urteil vom 4. November 1986 - 1 BvF 1/84 - BVerfGE 73, 118 <152 ff., insbes. 172 ff.>).

38

e) Die Anwendung der landesrechtlichen Vorschriften aus § 29 Satz 3 in Verbindung mit § 26 Abs. 1 und Abs. 2 RStV ist weder aus Gründen des Gewerbe- (aa) noch des Verfassungsrechts (bb) des Bundes zu beanstanden.

39

aa) Privatrechtlicher Rundfunk wird von gewerblichen Unternehmen veranstaltet, die grundsätzlich dem Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere der Fusionskontrolle nach deutschem und europäischem Recht unterliegen. So darf das Landesrundfunkrecht die Prüfung durch das Bundeskartellamt zur Voraussetzung der Rundfunkzulassung machen (BVerfG, Urteil vom 4. November 1986 - 1 BvF 1/84 - BVerfGE 73, 118 <174>). Der Landesgesetzgeber durfte aber das allgemeine Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen für unzureichend halten, eine hinreichende Vielfalt des Medienangebots zu gewährleisten und deshalb medienspezifische Konzentrationsregelungen als unverzichtbar ansehen. Denn das Kartellrecht allein ist unzureichend, das gebotene Maß an Vielfalt im Angebot der elektronischen Medien zu gewährleisten. Das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen richtet sich gegen "Kartellierungen" durch vertragliche Absprachen und "Konzernierungen" durch den Zusammenschluss von Gesellschaften, während das interne Wachstum von Unternehmen nicht erfasst wird. Hinzu kommen Zieldivergenzen: Das Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen soll die übermäßige Konzentration wirtschaftlicher Macht verhindern. Demgegenüber verlangen die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Medienrechts publizistische Vielfalt, die nicht schon dadurch gewährleistet wird, dass mehrere Anbieter miteinander konkurrieren. Der Entstehung vorherrschender Meinungsmacht kann nur mit den Instrumenten medienspezifischer Konzentrationskontrolle und Vielfaltssicherung begegnet werden (vgl. m.w.N. Kübler, Medien, Menschenrechte und Demokratie S. 266 ff.).

40

bb) Die einfachgesetzliche Vorschrift des § 26 Abs. 1 RStV, die einen unternehmerischen Anspruch auf Veranstaltung einer unbegrenzten Zahl von Fernsehprogrammen nur unter der Voraussetzung der Nichterlangung vorherrschender Meinungsmacht einräumt, schränkt die grundgesetzliche Gewährleistung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ein. Die Rundfunkfreiheit bedarf jedoch der Ausgestaltung. Die wesentlichen Kriterien dafür ergeben sich aus der Funktion des Rundfunks, im Interesse der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung die Vielfalt der bestehenden Meinungen in möglichster Breite und Vollständigkeit zum Ausdruck zu bringen (BVerfG, Urteil vom 4. November 1986 - 1 BvF 1/84 - BVerfGE 73, 118 <152 f.>). Insoweit kann es die Rundfunkfreiheit nicht rechtfertigen, für den privaten Rundfunk auf rechtliche Sicherungen der Rundfunkfreiheit ganz zu verzichten und die Entwicklung im Wege der Deregulierung den Kräften des Marktes anzuvertrauen (BVerfG, Urteil vom 16. Juni 1981 - 1 BvL 89/78 - BVerfGE 57, 295 <323>). Vielmehr hat der Gesetzgeber, auch wenn an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen gestellt werden können wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Vorkehrungen zu treffen, die dazu bestimmt und geeignet sind, ein möglichst hohes Maß gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk zu erreichen und zu sichern (Trute, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 2. Auflage, München 2008, § 26 RStV Rn. 26 bis 27; BVerfG, Urteil vom 4. November 1986 - 1 BvF 1/84 - BVerfGE 73, 118 <159>).

41

3. Die Berufungsentscheidung erweist sich auf der Grundlage der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das wäre nur dann der Fall, wenn ohne weitere tatsächliche Feststellungen davon ausgegangen werden könnte, dass die KEK mit ihrer für die Beklagte verbindlichen Beurteilung eine vorherrschende Meinungsmacht der Klägerin nach Änderung der Beteiligungsverhältnisse zu Recht angenommen hätte. Bei der Feststellung, ob eine vorherrschende Meinungsmacht eintritt, kommt der KEK jedoch ein Beurteilungsspielraum zu (a). Ob die KEK sich hier innerhalb der gerichtlich nachprüfbaren Grenzen ihres Beurteilungsspielraums (b) gehalten hat, kann im Revisionsverfahren nicht festgestellt werden, weil der Verwaltungsgerichtshof den insoweit erhobenen Einwänden der Klägerin nicht nachgegangen ist.

42

a) Der Begriff der vorherrschenden Meinungsmacht ist ein unbestimmter Gesetzesbegriff, bei dessen Konkretisierung die KEK über einen Beurteilungsspielraum verfügt. Zwar haben grundsätzlich die Gerichte die Rechtsanwendung der Verwaltungsbehörden uneingeschränkt zu überprüfen. Doch kann ein gesetzlich vorgegebenes Entscheidungsprogramm wegen der hohen Komplexität der geregelten Materie so vage und seine Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an ihre Funktionsgrenzen stößt (BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991 - 1 BvR 419/81 u.a. - BVerfGE 84, 34 <49 f.>). Die Pflicht zur gerichtlichen Überprüfung reicht nicht weiter als die materiellrechtliche Bindung der Exekutive. Sie endet dort, wo das materielle Recht der Verwaltungsbehörde in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Entscheidungen abverlangt, ohne dafür hinreichend bestimmte Entscheidungsprogramme vorzugeben (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 1992 - 1 BvR 167/87 - BVerfGE 88, 40 <56, 61>; Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142 <156 f.>). Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht dem Gesetz unter anderem dann eine Beurteilungsermächtigung für die Exekutive entnommen, wenn der von ihr zu treffenden Entscheidung in hohem Maße wertende Elemente anhaften und das Gesetz für sie deshalb ein besonderes Verwaltungsorgan für zuständig erklärt, das mit besonderer fachlicher Legitimation in einem besonderen Verfahren entscheidet, zumal wenn es sich um ein Kollegialorgan handelt, das mögliche Auffassungsunterschiede bereits in sich zum Ausgleich bringt und die zu treffende Entscheidung damit zugleich versachlicht (s. Urteile vom 16. Mai 2007 - BVerwG 3 C 8.06 - BVerwGE 129, 27 Rn. 27, vom 28. November 2007 - BVerwG 6 C 42.06 - BVerwGE 130, 39 Rn. 29 und vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 - BVerwGE 131, 41 Rn. 20). Das ist hier der Fall. Die Beurteilung einer vorherrschenden Meinungsmacht nach § 26 RStV hängt, wie schon erwähnt, bei geringer gesetzlicher Determiniertheit von einer komplexen Bewertung ab, die die besonders sachverständigen (§ 35 Abs. 3 RStV) und an Weisungen nicht gebundenen (§ 35 Abs. 6 Satz 1 RStV) Mitglieder der KEK in einem dafür eigens vorgesehenen Verfahren durch Mehrheitsbeschluss (§ 37 Abs. 1 RStV) vorzunehmen haben.

43

b) Ob die KEK die Grenzen des ihr eingeräumten Beurteilungsspielraums eingehalten oder überschritten hat, unterliegt verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Die Verwaltungsgerichte haben nachzuprüfen, ob die Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemein gültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt hat.

44

Zum richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs gehört hier, dass § 26 Abs. 2 RStV zwar nicht zwingend erfordert, dass die dort genannten Schwellenwerte für den Zuschaueranteil erreicht werden, aber Regelbeispiele enthält, die es nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe ermöglichen, eine vorherrschende Meinungsmacht auch dann anzunehmen, wenn die Schwellenwerte nicht ganz erreicht werden. Diese indizielle Bedeutung der Regelbeispiele kann im Rahmen einer Gesamtabwägung nur kompensiert werden, wenn sich der Einzelfall aufgrund individueller Besonderheiten vom Normalfall so deutlich abhebt, dass ein Festhalten an der regelmäßig vorgesehenen Rechtsfolge unangemessen erscheint. Dabei hat die KEK zum einen den Sinn des Regelbeispiels und die dabei vom Gesetzgeber getroffenen Wertungen zu beachten und zum anderen sicherzustellen, dass die besonderen Umstände, auf die sie sich stützt, ihrem Gewicht nach den Regelbeispielen entsprechen. Besteht eine Ähnlichkeit mit einem Regelbeispiel, ist es dem Rechtsanwender nicht erlaubt, eigene Wertungen an die Stelle der Wertungen des Gesetzgebers zu setzen. Die KEK ist zu einer freien Gesamtabwägung erst dann aufgerufen, wenn der Einzelfall Besonderheiten aufweist, die sich durch kodifizierte Regelbeispiele nicht angemessen erfassen lassen. Die KEK hat danach die vom Gesetzgeber getroffene Wertung, dass ein Zuschaueranteil von weniger als 25 vom Hundert in der Regel als unbedenklich einzustufen ist, zu beachten. Nur wenn die vom Gesetzgeber vorgegebene Eingriffsschwelle im Lichte der Ziele des Gesetzes offensichtlich unangemessen ist, kann der § 26 Abs. 1 RStV im Rahmen einer Gesamtabwägung auch bei Unterschreitung der Schwellenwerte Anwendung finden (Holznagel/Krone, Wie frei ist die KEK? Ein Beitrag zur Auslegung des § 26 Abs. 2 Satz 2 RStV, MMR 2005, 666<673>).

45

Da es an der Möglichkeit einer Entscheidung in der Sache selbst nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO fehlt und das angegriffene Urteil nicht aus anderen Gründen richtig ist (§ 144 Abs. 4 VwGO), ist das Berufungsurteil gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. November 2011 - 3 K 641/11 - geändert, soweit die Klage abgewiesen wurde.

Es wird festgestellt, dass die an den Kläger gerichtete Auflage in Ziffer 7 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 rechtswidrig war, soweit diese verbietet, Gegenstände bei der Versammlung mitzuführen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, wozu insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen.

Die Beklagte trägt die gesamten Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die vom Kläger begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit einer an ihn als Versammlungsleiter gerichteten Auflage, nach der das Mitführen von Gegenständen, die zur Verhinderung der Identitätsfeststellung geeignet und bestimmt sind, bei der Versammlung verboten ist.
Mit Schreiben vom 25.01.2011 und 01.02.2011 meldete der Kläger bei der Beklagten für Samstag, den 12.02.2011, 12 - 15 Uhr, eine Versammlung mit 200 bis 250 Teilnehmern auf dem Karlsruher Marktplatz an. Die Kundgebung richtete sich gegen einen wenige Tage später stattfindenden Castor-Transport aus dem Karlsruher Institut für Technologie - KIT - nach Lubmin. Ein LKW sollte als Bühne dienen, die Teilnehmer und Passanten sollten per Lautsprecher, Transparenten und Flyern erreicht werden.
Mit Bescheid vom 09.02.2011 bestätigte die Beklagte gemäß § 14 VersammlG die Versammlung und erteilte - ausweislich der Begründung gestützt auf § 15 VersammlG - eine Reihe von Auflagen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Ziffer 7 der Verfügung lautete:
„Es ist verboten an der Versammlung in einer Aufmachung teilzunehmen, die geeignet und den Umständen nach darauf ausgerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern (Vermummungsverbot). Gegenstände, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, dürfen bei der Versammlung nicht mitgeführt werden. Hierzu zählt insbesondere die Bekleidung mit Kapuzenpullovern und Halstüchern, wenn dadurch eine Identifizierung unmöglich gemacht wird (z.B. Halstuch vollständig über Mund und Nase gezogen, Kapuze weit ins Gesicht hinein getragen).“
Die Einzelbegründung zu Ziffer 7 lautete:
„Die Auflage ergibt sich direkt aus § 17 a Abs. 2 Versammlungsgesetz.“
Des weiteren wurde der Kläger als Versammlungsleiter verpflichtet, sich zu Beginn bei der Polizeieinsatzleitung zu melden und während der Veranstaltung per Mobiltelefon erreichbar zu sein. Ihm wurde aufgegeben, je 50 Teilnehmer einen Ordner einzusetzen und deren Personalien vorab der Polizei mitteilen. Es wurden Einzelheiten bezüglich des Bühnen- und Standaufbaus sowie der Beschaffenheit von Transparenten und Fahnen geregelt, unter anderem wurden Transparente mit einer Länge von über 3 m untersagt. Verboten wurden auch die Blockade und Behinderung des Straßenbahnverkehrs, der Ausschank, Verkauf und Konsum alkoholischer Getränke sowie das Mitführen von Glasbehältnissen und Hunden. Der Kläger wurde verpflichtet, den Versammlungsort nach der Veranstaltung zu reinigen.
Der Bescheid verpflichtete den Kläger, den Teilnehmern den Verlauf und die Auflagen mitzuteilen und auf mögliche Bußgeldverfahren hinzuweisen. Ziffer 1 der Verfügung endete mit dem Satz:
„Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.“
10 
Der Sofortvollzug aller Auflagen wurde angeordnet.
11 
Am 11.02.2011 erhob der Kläger Widerspruch gegen einige der verfügten Auflagen, über den nicht entschieden wurde.
12 
Die Versammlung fand am 12.02.2011 statt und wurde um 14.15 Uhr vom Kläger beendet. Die Versammlung, an der zur Spitzenzeit ca. 300 und 350 Personen teilnahmen, verlief friedlich. Die Beklagte teilte dem Kläger während der Versammlung mit, dass auf den Sofortvollzug der Auflagen verzichtet werde.
13 
Am 09.03.2011 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass die Ziffern 1, 3, 5, 7, 9 und 10 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 rechtswidrig waren, soweit diese
14 
a) den Kläger verpflichten, dem Polizeieinsatzleiter vor Versammlungsbeginn die Mobiltelefonnummer, unter der er jederzeit während der Versammlung erreichbar ist, mitzuteilen,
15 
b) den Kläger verpflichten, als Versammlungsleiter die Personalien (Name, Vorname und Wohnort) der eingesetzten Ordner in einer Liste zu erfassen, die der Polizei am 12.02.2011 um 11.30 Uhr vorzulegen ist,
16 
c) den Kläger verpflichten, keine Transparente mitzuführen, die die Länge von 3 m überschreiten,
17 
d) das Mitführen von Gegenständen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, bei der Versammlung verbieten, wozu insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen,
18 
e) das Mitführen von Glasbehältnissen auf der Versammlung verbieten,
19 
f) das Mitführen von Hunden während der Versammlung untersagen.
20 
Mit Urteil vom 24.11.2011 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe festgestellt, dass die Ziffern 1, 3, 5, 9 und 10 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 in dem mit der Klage angegriffenen Umfang rechtswidrig waren. Lediglich in Bezug auf das Verbot des Mitführens von Gegenständen, die zur Vermummung geeignet und bestimmt sind (Ziffer 7 Satz 2 und 3 der Verfügung), hat es die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es insoweit ausgeführt: Die Anordnung wiederhole lediglich den Wortlaut des § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG und konkretisiere diesen durch Beispiele. Das angeführte Tragen von Kapuzenpullovern und Halstüchern sei nur insofern verboten, als dies in einer Weise geschehe, die eine Identifizierung der Person unmöglich mache. Danach sei das Tragen der genannten Kleidungsstücke nicht generell untersagt, sondern nur dann, wenn es dem Verbot des § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG zuwiderlaufe. In dieser Auslegung begegne das Verbot keinen Bedenken.
21 
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 22.03.2012 - 1 S 89/12 - zugelassenen Berufung trägt der Kläger vor: Das Verbot des Mitführens von zur Vermummung geeigneten Gegenständen stelle nicht lediglich eine Konkretisierung des gesetzlichen Verbots dar. Während nach § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG lediglich das Mitführen von Gegenständen verboten sei, die geeignet und den Umständen nach zur Vermummung bestimmt seien, verbiete die angegriffene Verfügung schon das bloße Tragen geeigneter Kleidungsstücke, ohne dass eine Zweckbestimmung notwendig sei. Zur Vermummung geeignete Kleidungsstücke, insbesondere die in der Verfügung genannten Kapuzenpullover seien ein weit verbreitetes modisches Kleidungsstück. Das Verbot sei den potentiellen Teilnehmern nicht vorab bekannt, es hindere Bürger an der spontanen Teilnahme. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG seien nicht gegeben. Die Veranstaltung sei, wie bereits im Vorfeld absehbar gewesen sei, friedlich verlaufen. Die Auflage sei schließlich zu unbestimmt; der Kläger könne nicht zuverlässig beurteilen, ob ein Verstoß gegen die Auflage vorliege. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers seien mehrere Vorfälle bekannt, bei denen Jugendlichen vor Demonstrationen das Tragen von Halstüchern oder Kapuzenpullovern untersagt worden sei, obwohl die jeweiligen Umstände nahegelegt hätten, dass die Kleidungsstücke nicht der Vermummung, sondern dem Schutz vor der Witterung dienen sollten.
22 
Der Kläger beantragt,
23 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24.11.2011 - 3 K 641/11 - zu ändern und festzustellen, dass Ziff. 7 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 rechtswidrig war, soweit diese verbietet, Gegenstände bei der Versammlung mitzuführen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, wozu insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen.
24 
Die Beklagte beantragt,
25 
die Berufung zurückzuweisen.
26 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor: Ziffer 7 der Verfügung verbiete nicht das Tragen von zur Vermummung potentiell geeigneten Kleidungsstücken an sich, sondern nur in Verbindung mit der Absicht die Identitätsfeststellung zu verhindern. Diese Absicht sei nur festzustellen durch eine bereits stattgefundene Vermummung. Die Verfügung wiederhole und konkretisiere nur das gesetzliche Vermummungsverbot und bedürfe daher keiner Gefahrenprognose nach § 15 Abs. 1 VersammlG.
27 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
28 
Die Berufung des Klägers, über die der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann, ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem Antrag des Klägers nicht das in Ziffer 7 Satz 1 der Verfügung vom 09.02.2011 angeordnete Vermummungsverbot, sondern lediglich das Verbot des Mitführens von Gegenständen, die zur Vermummung geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind (Ziffer 7 Satz 2). Aus Ziffer 7 Satz 3 der Verfügung lässt sich entnehmen, dass zu diesen Gegenständen insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen. Im Übrigen konkretisiert Satz 3 jedoch, wie sich insbesondere aus dem Klammerzusatz ergibt „(z.B. Halstuch vollständig über Mund und Nase gezogen, Kapuze weit ins Gesicht hinein getragen)“, nicht das Mitführungsverbot gemäß Satz 2, sondern das vom Kläger nicht angegriffene Vermummungsverbot gemäß Satz 1.
II.
29 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht teilweise als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Mitführungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
30 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich ein Verwaltungsakt vorher durch Rücknahme oder auf andere Weise erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
31 
Das Mitführungsverbot in Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 ist ein Verwaltungsakt und nicht lediglich ein Hinweis auf die Gesetzeslage, denn es erweckt unabhängig von seinem tatsächlichen rechtlichen Gehalt zumindest den Eindruck einer abschließenden Einzelfallregelung (OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 07.07.1999 - 2 L 264/98 - NJW 2000, 1059; Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 16). Ob eine behördliche Äußerung einen Verwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen ist (Stelkens, a.a.O., Rn. 71). Dabei sind nicht nur der Tenor, sondern auch die Begründung und die Umstände der Bekanntgabe zu berücksichtigen. Eine von der Behörde als „Auflage“ bezeichnete Maßnahme kann danach eine Verfügung mit Regelungsgehalt sein. Es kann sich aber auch nur um einen bloßen Hinweis auf die allgemeine Rechtslage handeln (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - BVerfGK 10, 493 <496> = NVwZ 2007, 1183; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6).
32 
Zwar klingt der isolierte Wortlaut von Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung nach einem schlichten Hinweis auf die Gesetzeslage, da er lediglich § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiedergibt. Auch die Bezeichnung als „Auflage“, die im versammlungsrechtlichen Zusammenhang auf § 15 Abs. 1 VersammlG verweist, steht einem solchen Verständnis nicht zwingend entgegenstehen, da die Verwendung dieses Begriffs für versammlungsrechtliche Vorgaben jeglicher Art gebräuchlich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007, a.a.O.).
33 
Die Begründung der Verfügung ist in sich widersprüchlich. Im allgemeinen Teil wird einleitend § 15 VersammlG als Rechtsgrundlage für alle „nachstehenden Auflagen“ angegeben. Die Einzelbegründung zu Ziffer 7, nach der sich diese Auflage direkt aus § 17 a Abs. 2 VersammlG ergeben soll, klingt demgegenüber nach einem bloßen Hinweis auf die Rechtslage. Die Einzelbegründung deutet also im Gegensatz zur allgemeinen, alle Auflagen betreffenden Begründung darauf hin, dass die Beklagte keine weitergehende Regelung treffen wollte. Denn § 17 a Abs. 2 VersammlG kann ersichtlich nicht als Ermächtigungsgrundlage dienen. Auch dass sich die Auflage „direkt“ aus dem Gesetz ergeben soll, legt nahe, dass nicht eine weitere Pflicht begründet werden soll, die sich dann nur mittelbar aus dem Gesetz ergeben könnte.
34 
Entscheidend für ein Verständnis als Verwaltungsakt spricht jedoch, dass Ziffer 7 in einer Liste von Einzelanordnungen steht, die allesamt als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind. Sämtliche anderen Ziffern treffen entweder spezifische Regelungen für die konkret angemeldete Versammlung, etwa die Position der Bühne, oder sie stellen Ge- und Verbote auf, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Für den Kläger als Empfänger war nicht erkennbar, warum einzig Ziffer 7 keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben sollte. Dies gilt umso mehr, als dass diese Besonderheit weder aus der Gliederung noch durch die Formulierung erkennbar wird. Weder wurde die Ziffer 7 als gesetzeswiederholender Hinweis oder als „standardisierte Auflage“ bezeichnet und vom sonstigen Text abgesetzt (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 21.02.2009 - 10 CS 09.439 - juris; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6) noch wurde sie sprachlich durch eine auf einen bloßen Hinweis hindeutende Formel wie „Grundsätzlich gilt …“ eingeleitet (vgl. BayVGH, Beschl. v. 03.02.2006 - 24 CS 06.314 - juris).
35 
Für einen eigenständigen Regelungsgehalt von Ziffer 7 spricht aus Sicht eines objektiven Empfängers auch eine Zusammenschau mit dem letzten Satz der Ziffer 1, wonach der Kläger als Versammlungsleiter dafür Sorge zu tragen hat, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.
36 
Schließlich konnte ein objektiver Empfänger die Auflage mit Blick auf die Anordnung des Sofortvollzugs nur als Verwaltungsakt verstehen, denn diese Anordnung ergibt nur Sinn, wenn die Beklagte mittels Verwaltungsakt handeln wollte.
37 
Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155 und vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61, jeweils m.w.N.).
38 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
39 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - a.a.O.). Die Klage wurde binnen Monatsfrist erhoben.
40 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O.).
41 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>).
42 
Danach kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegend zumindest aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht werden. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405 ; BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, a.a.O.). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 a.a.O. S. 406 ). Dies ist hier der Fall.
43 
Die Beklagte geht davon aus, dass die angegriffene Auflage keiner Ermächtigungsgrundlage bedarf. Sie hat Auflagen dieses Inhalts auch in der Vergangenheit bei vergleichbaren Versammlungen bereits verfügt und nicht zu erkennen gegeben, dass sie davon in Zukunft Abstand nehmen wird. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch in Zukunft Versammlungen mit gleicher Zielrichtung veranstalten zu wollen. Der Protest der Atomkraftgegner richtet sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten. Daher werden Castor-Transporte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu vergleichbaren Versammlungen bieten.
44 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Mitführungsverbot war als an den Kläger als Versammlungsleiter gerichtete Auflage rechtswidrig und verletzte diesen in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
45 
Als belastende staatliche Maßnahme bedarf das Mitführungsverbot gemäß Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 einer Ermächtigungsgrundlage (a). Die Tatbestandsvoraussetzungen keiner in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt (b).
46 
a) Eine Ermächtigungsgrundlage ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Verfügung, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, im Wesentlichen den Gesetzestext des § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiederholt. Der Erlass eines belastenden Verwaltungsakts setzt nicht nur voraus, dass für die getroffene rechtliche Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage besteht, sondern auch dafür, dass die Behörde in Form eines Verwaltungsakts handeln darf (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 35 Rn. 23 m.w.N.). Gesetzeswiederholende Verfügungen sind dann berechtigt, wenn im Einzelfall Anlass besteht, besonders auf die Pflicht zur Beachtung einer gesetzlichen Bestimmung hinzuweisen und ein konkreter Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt hergestellt wird (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999 - 8 B 12627/98 - NVwZ 1999, 679 ; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998 - 7 ZS 98.1660 u.a. - DVBl 1999, 624 m.w.N. und Beschl. v. 12.03.2010 - 10 CS 09.1734 - juris Rn. 17). Der Regelungsgehalt einer solchen Verfügung besteht darin, die Einhaltung einer Norm konkret anzumahnen und die Voraussetzungen für die Vollstreckung zu schaffen (OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999, a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O.; zur Vollstreckungsfunktion: Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn. 11). Ihre Rechtsgrundlage finden derartige gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte, sofern nicht spezielle Regelungen bestehen, in den Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze (BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O. m.w.N.).
47 
Vorliegend richtet sich das Mitführungsverbot nach seinem materiellen Regelungsgehalt an alle Versammlungsteilnehmer. Für den Kläger als Versammlungsleiter beinhaltet das an ihn gerichtete Verbot darüber hinaus das Gebot, für dessen Einhaltung zu sorgen. Denn nur so kann der Leiter gegen ein an ihn adressiertes, aber für alle Teilnehmer geltendes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - a.a.O. S. 496) Verbot verstoßen.
48 
b) Da das Versammlungsgesetz sich für unmittelbar versammlungsbezogene Eingriffe als abschließende Regelung darstellt, die einen Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht und damit auch auf die polizeiliche Generalklausel ausschließt (Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 1 Rn. 193; Senatsurteil vom 12.07.2010, a.a.O.), kommen hier in Ermangelung einer versammlungsrechtlichen Generalermächtigung nur die speziellen Ermächtigungsgrundlagen des Versammlungsgesetzes in Betracht.
49 
aa) Die Verfügung konnte nicht auf Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG erlassen werden. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtsgüter droht (Senatsurteil vom 30.06.2011, a.a.O.; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 <352 ff.>; BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 - BVerwGE 131, 216 <218>).
50 
Eine unmittelbare Gefahr, also ein Zustand, der bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt, wird vorliegend auch von der Beklagten nicht geltend gemacht. Im Gegenteil war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits ex ante von einem friedlichen Verlauf auszugehen. Die Versammlung war nicht als Aufzug geplant und stand in keinem engen räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang zu dem Castor-Transport. Mit illegalen, unfriedlichen Protestaktionen, die aus Sicht der Teilnehmer eine Vermummung notwendig gemacht hätten, war nicht zu rechnen.
51 
Selbst wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen hätten, wäre es fraglich, ob das an den Versammlungsleiter gerichtete Gebot, für die Einhaltung des Verbots der Mitführung von Vermummungsgegenständen zu sorgen, nicht unverhältnismäßig wäre. Denn im Gegensatz zu einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot wird sich ein Verstoß gegen das Mitführungsverbot oftmals nicht ohne weiteres feststellen lassen. Ein Teilnehmer verstößt bereits dann gegen das bußgeldbewehrte (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 a VersammlG) Mitführungsverbot, wenn er über zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Kapuzenpullover oder Halstücher die tatsächliche Gewalt mit der Maßgabe ausübt, diese Gegenstände jederzeit zum Zweck der Vermummung verfügbar zu haben und er sich dessen bewusst ist (vgl. Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 19, 30). Nicht erforderlich ist, dass die Vermummungsgegenstände offen getragen oder gar bereits zur Vermummung verwendet werden. Mangels polizeilicher Befugnisse wird der Versammlungsleiter daher Verstöße gegen das Mitführungsverbot, welches in erster Linie dazu dient, eine konkrete Handhabe für präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld potenziell unfriedlicher Versammlungen zu schaffen, regelmäßig kaum feststellen können.
52 
bb) Auch § 17 a Abs. 4 VersammlG scheidet als Ermächtigungsgrundlage aus. Danach kann die Behörde Anordnungen zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 treffen. § 17 a Abs. 4 VersammlG ermächtigt nur zu Maßnahmen gegenüber denjenigen Personen, die im Begriff sind, eines der gesetzlichen Verbote zu verletzen (Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 52, Ott/Wächtler/Heinhold, § 17 a Rn. 57). Dies ergibt sich aus der Systematik des Versammlungsgesetzes, das Maßnahmen gegen die Versammlung als Ganze in § 15 konzentriert. Eine Anordnung, die unterschiedslos auch Personen betrifft, bei denen eine Verbotsmissachtung weder vorliegt noch droht, kann daher nicht auf § 17 a Abs. 4 VersammlG gestützt werden.
III.
53 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
54 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
55 
Beschluss vom 2. August 2012
56 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
57 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
28 
Die Berufung des Klägers, über die der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann, ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem Antrag des Klägers nicht das in Ziffer 7 Satz 1 der Verfügung vom 09.02.2011 angeordnete Vermummungsverbot, sondern lediglich das Verbot des Mitführens von Gegenständen, die zur Vermummung geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind (Ziffer 7 Satz 2). Aus Ziffer 7 Satz 3 der Verfügung lässt sich entnehmen, dass zu diesen Gegenständen insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen. Im Übrigen konkretisiert Satz 3 jedoch, wie sich insbesondere aus dem Klammerzusatz ergibt „(z.B. Halstuch vollständig über Mund und Nase gezogen, Kapuze weit ins Gesicht hinein getragen)“, nicht das Mitführungsverbot gemäß Satz 2, sondern das vom Kläger nicht angegriffene Vermummungsverbot gemäß Satz 1.
II.
29 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht teilweise als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Mitführungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
30 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich ein Verwaltungsakt vorher durch Rücknahme oder auf andere Weise erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
31 
Das Mitführungsverbot in Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 ist ein Verwaltungsakt und nicht lediglich ein Hinweis auf die Gesetzeslage, denn es erweckt unabhängig von seinem tatsächlichen rechtlichen Gehalt zumindest den Eindruck einer abschließenden Einzelfallregelung (OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 07.07.1999 - 2 L 264/98 - NJW 2000, 1059; Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 16). Ob eine behördliche Äußerung einen Verwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen ist (Stelkens, a.a.O., Rn. 71). Dabei sind nicht nur der Tenor, sondern auch die Begründung und die Umstände der Bekanntgabe zu berücksichtigen. Eine von der Behörde als „Auflage“ bezeichnete Maßnahme kann danach eine Verfügung mit Regelungsgehalt sein. Es kann sich aber auch nur um einen bloßen Hinweis auf die allgemeine Rechtslage handeln (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - BVerfGK 10, 493 <496> = NVwZ 2007, 1183; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6).
32 
Zwar klingt der isolierte Wortlaut von Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung nach einem schlichten Hinweis auf die Gesetzeslage, da er lediglich § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiedergibt. Auch die Bezeichnung als „Auflage“, die im versammlungsrechtlichen Zusammenhang auf § 15 Abs. 1 VersammlG verweist, steht einem solchen Verständnis nicht zwingend entgegenstehen, da die Verwendung dieses Begriffs für versammlungsrechtliche Vorgaben jeglicher Art gebräuchlich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007, a.a.O.).
33 
Die Begründung der Verfügung ist in sich widersprüchlich. Im allgemeinen Teil wird einleitend § 15 VersammlG als Rechtsgrundlage für alle „nachstehenden Auflagen“ angegeben. Die Einzelbegründung zu Ziffer 7, nach der sich diese Auflage direkt aus § 17 a Abs. 2 VersammlG ergeben soll, klingt demgegenüber nach einem bloßen Hinweis auf die Rechtslage. Die Einzelbegründung deutet also im Gegensatz zur allgemeinen, alle Auflagen betreffenden Begründung darauf hin, dass die Beklagte keine weitergehende Regelung treffen wollte. Denn § 17 a Abs. 2 VersammlG kann ersichtlich nicht als Ermächtigungsgrundlage dienen. Auch dass sich die Auflage „direkt“ aus dem Gesetz ergeben soll, legt nahe, dass nicht eine weitere Pflicht begründet werden soll, die sich dann nur mittelbar aus dem Gesetz ergeben könnte.
34 
Entscheidend für ein Verständnis als Verwaltungsakt spricht jedoch, dass Ziffer 7 in einer Liste von Einzelanordnungen steht, die allesamt als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind. Sämtliche anderen Ziffern treffen entweder spezifische Regelungen für die konkret angemeldete Versammlung, etwa die Position der Bühne, oder sie stellen Ge- und Verbote auf, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Für den Kläger als Empfänger war nicht erkennbar, warum einzig Ziffer 7 keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben sollte. Dies gilt umso mehr, als dass diese Besonderheit weder aus der Gliederung noch durch die Formulierung erkennbar wird. Weder wurde die Ziffer 7 als gesetzeswiederholender Hinweis oder als „standardisierte Auflage“ bezeichnet und vom sonstigen Text abgesetzt (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 21.02.2009 - 10 CS 09.439 - juris; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6) noch wurde sie sprachlich durch eine auf einen bloßen Hinweis hindeutende Formel wie „Grundsätzlich gilt …“ eingeleitet (vgl. BayVGH, Beschl. v. 03.02.2006 - 24 CS 06.314 - juris).
35 
Für einen eigenständigen Regelungsgehalt von Ziffer 7 spricht aus Sicht eines objektiven Empfängers auch eine Zusammenschau mit dem letzten Satz der Ziffer 1, wonach der Kläger als Versammlungsleiter dafür Sorge zu tragen hat, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.
36 
Schließlich konnte ein objektiver Empfänger die Auflage mit Blick auf die Anordnung des Sofortvollzugs nur als Verwaltungsakt verstehen, denn diese Anordnung ergibt nur Sinn, wenn die Beklagte mittels Verwaltungsakt handeln wollte.
37 
Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155 und vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61, jeweils m.w.N.).
38 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
39 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - a.a.O.). Die Klage wurde binnen Monatsfrist erhoben.
40 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O.).
41 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>).
42 
Danach kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegend zumindest aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht werden. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405 ; BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, a.a.O.). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 a.a.O. S. 406 ). Dies ist hier der Fall.
43 
Die Beklagte geht davon aus, dass die angegriffene Auflage keiner Ermächtigungsgrundlage bedarf. Sie hat Auflagen dieses Inhalts auch in der Vergangenheit bei vergleichbaren Versammlungen bereits verfügt und nicht zu erkennen gegeben, dass sie davon in Zukunft Abstand nehmen wird. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch in Zukunft Versammlungen mit gleicher Zielrichtung veranstalten zu wollen. Der Protest der Atomkraftgegner richtet sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten. Daher werden Castor-Transporte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu vergleichbaren Versammlungen bieten.
44 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Mitführungsverbot war als an den Kläger als Versammlungsleiter gerichtete Auflage rechtswidrig und verletzte diesen in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
45 
Als belastende staatliche Maßnahme bedarf das Mitführungsverbot gemäß Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 einer Ermächtigungsgrundlage (a). Die Tatbestandsvoraussetzungen keiner in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt (b).
46 
a) Eine Ermächtigungsgrundlage ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Verfügung, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, im Wesentlichen den Gesetzestext des § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiederholt. Der Erlass eines belastenden Verwaltungsakts setzt nicht nur voraus, dass für die getroffene rechtliche Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage besteht, sondern auch dafür, dass die Behörde in Form eines Verwaltungsakts handeln darf (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 35 Rn. 23 m.w.N.). Gesetzeswiederholende Verfügungen sind dann berechtigt, wenn im Einzelfall Anlass besteht, besonders auf die Pflicht zur Beachtung einer gesetzlichen Bestimmung hinzuweisen und ein konkreter Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt hergestellt wird (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999 - 8 B 12627/98 - NVwZ 1999, 679 ; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998 - 7 ZS 98.1660 u.a. - DVBl 1999, 624 m.w.N. und Beschl. v. 12.03.2010 - 10 CS 09.1734 - juris Rn. 17). Der Regelungsgehalt einer solchen Verfügung besteht darin, die Einhaltung einer Norm konkret anzumahnen und die Voraussetzungen für die Vollstreckung zu schaffen (OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999, a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O.; zur Vollstreckungsfunktion: Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn. 11). Ihre Rechtsgrundlage finden derartige gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte, sofern nicht spezielle Regelungen bestehen, in den Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze (BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O. m.w.N.).
47 
Vorliegend richtet sich das Mitführungsverbot nach seinem materiellen Regelungsgehalt an alle Versammlungsteilnehmer. Für den Kläger als Versammlungsleiter beinhaltet das an ihn gerichtete Verbot darüber hinaus das Gebot, für dessen Einhaltung zu sorgen. Denn nur so kann der Leiter gegen ein an ihn adressiertes, aber für alle Teilnehmer geltendes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - a.a.O. S. 496) Verbot verstoßen.
48 
b) Da das Versammlungsgesetz sich für unmittelbar versammlungsbezogene Eingriffe als abschließende Regelung darstellt, die einen Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht und damit auch auf die polizeiliche Generalklausel ausschließt (Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 1 Rn. 193; Senatsurteil vom 12.07.2010, a.a.O.), kommen hier in Ermangelung einer versammlungsrechtlichen Generalermächtigung nur die speziellen Ermächtigungsgrundlagen des Versammlungsgesetzes in Betracht.
49 
aa) Die Verfügung konnte nicht auf Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG erlassen werden. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtsgüter droht (Senatsurteil vom 30.06.2011, a.a.O.; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 <352 ff.>; BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 - BVerwGE 131, 216 <218>).
50 
Eine unmittelbare Gefahr, also ein Zustand, der bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt, wird vorliegend auch von der Beklagten nicht geltend gemacht. Im Gegenteil war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits ex ante von einem friedlichen Verlauf auszugehen. Die Versammlung war nicht als Aufzug geplant und stand in keinem engen räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang zu dem Castor-Transport. Mit illegalen, unfriedlichen Protestaktionen, die aus Sicht der Teilnehmer eine Vermummung notwendig gemacht hätten, war nicht zu rechnen.
51 
Selbst wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen hätten, wäre es fraglich, ob das an den Versammlungsleiter gerichtete Gebot, für die Einhaltung des Verbots der Mitführung von Vermummungsgegenständen zu sorgen, nicht unverhältnismäßig wäre. Denn im Gegensatz zu einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot wird sich ein Verstoß gegen das Mitführungsverbot oftmals nicht ohne weiteres feststellen lassen. Ein Teilnehmer verstößt bereits dann gegen das bußgeldbewehrte (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 a VersammlG) Mitführungsverbot, wenn er über zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Kapuzenpullover oder Halstücher die tatsächliche Gewalt mit der Maßgabe ausübt, diese Gegenstände jederzeit zum Zweck der Vermummung verfügbar zu haben und er sich dessen bewusst ist (vgl. Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 19, 30). Nicht erforderlich ist, dass die Vermummungsgegenstände offen getragen oder gar bereits zur Vermummung verwendet werden. Mangels polizeilicher Befugnisse wird der Versammlungsleiter daher Verstöße gegen das Mitführungsverbot, welches in erster Linie dazu dient, eine konkrete Handhabe für präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld potenziell unfriedlicher Versammlungen zu schaffen, regelmäßig kaum feststellen können.
52 
bb) Auch § 17 a Abs. 4 VersammlG scheidet als Ermächtigungsgrundlage aus. Danach kann die Behörde Anordnungen zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 treffen. § 17 a Abs. 4 VersammlG ermächtigt nur zu Maßnahmen gegenüber denjenigen Personen, die im Begriff sind, eines der gesetzlichen Verbote zu verletzen (Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 52, Ott/Wächtler/Heinhold, § 17 a Rn. 57). Dies ergibt sich aus der Systematik des Versammlungsgesetzes, das Maßnahmen gegen die Versammlung als Ganze in § 15 konzentriert. Eine Anordnung, die unterschiedslos auch Personen betrifft, bei denen eine Verbotsmissachtung weder vorliegt noch droht, kann daher nicht auf § 17 a Abs. 4 VersammlG gestützt werden.
III.
53 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
54 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
55 
Beschluss vom 2. August 2012
56 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
57 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29. Januar 2014 - 2 K 79/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, er sei rechtlich gehindert, als Nachrücker Mitglied des Kreistags zu werden. Er ist Verwaltungsmitarbeiter am Empfang (Pforte) im xxxklinikum in xxx, einem Eigenbetrieb des O.-kreises. Bei der Wahl zum Kreistag des O.-kreises im Jahr 2009 wurde er für die Partei „xxx xxx“ zum zweiten Nachrücker gewählt. Im September 2012 starb ein Kreistagsabgeordneter seiner Partei; der erste Nachrücker lehnte die Mandatsübernahme ab; dessen Ablehnungsgründe nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 5, 8 LKrO anerkannte der Kreistag in der Sitzung vom 23.10.2012. Nach Anhörung des Klägers erließ der Beklagte unter dem 23.10.2012 folgende Verfügung: „Der Kreistag des O.-kreises hat in seiner Sitzung vom 23.10.2012 festgestellt, dass bei Ihnen ein Hinderungsgrund nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 a der Landkreisordnung (LKrO) vorliegt und Sie somit nicht in den Kreistag des O.-kreises nachrücken können“. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger als Pförtner beim xxxklinikum Arbeitnehmer des Landkreises sei; dies sei ein Hinderungsgrund nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 a LKrO. Zwar gelte der Hinderungsgrund nach § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO nicht für Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit leisteten. Der Kläger verrichte als Pförtner keine überwiegend körperliche Arbeit. Der Aufgabenschwerpunkt liege mit über 70 % eindeutig bei den Tätigkeiten „Telefonvermittlung und -auskunft sowie Anlauf-/Auskunftsstelle für Besucher und Patienten“. Alle anderen Tätigkeiten seien von der zeitlichen Inanspruchnahme deutlich untergeordnet. Hiergegen legte der Kläger am 16.11.2012 Widerspruch ein und machte geltend, überwiegend körperliche Arbeit zu verrichten. Zudem verstoße § 24 LKrO gegen Art. 137 GG. Mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 18.12.2012 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Der Kläger erhob Klage zum Verwaltungsgericht auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 23.10.2012 und des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2012. § 24 LKrO verstoße gegen Art. 137 Abs. 1 GG. Das passive Wahlrecht werde durch § 24 LKrO unverhältnismäßig und verfassungswidrig eingeschränkt. Die Differenzierung des § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO dürfte als sachgerecht anzusehen sein, da Arbeitern - anders als Angestellten - keine Entscheidungsbefugnisse zustünden. Er sei als Pförtner der Gruppe der Arbeitnehmer zuzuordnen, die überwiegend körperliche Arbeit verrichteten. Maßgeblich seien in der Regel die sichtbaren Bewegungen einer Arbeitsperson bei der Ausübung einer Tätigkeit. Seine Arbeit bestehe aus: Telefonhörer abheben und auflegen, Briefe befördern, Briefe sortieren, Pakete heben und legen, verschiedene Tastaturen drücken, technische Anlagen bedienen usw. Hierbei handele es sich um körperliche Tätigkeiten im eigentlichen Sinne, denn er benötige hierfür seine Hände. Das Ergebnis eines Testbogens der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin zeige im Übrigen, dass es sich bei seiner Tätigkeit um eine körperliche Beanspruchung handele.
Der Beklagte trat der Klage entgegen und führte zur Begründung aus, der Kreistag sei oberstes Kontrollorgan des Landkreises und damit auch des Eigenbetriebes. Ziel des Art. 137 GG sei es gerade zu verhindern, dass die Kontrolleure der Verwaltung durch Personalunionen sich selbst kontrollierten. Die Verfassungsmäßigkeit des § 24 LKrO a. F. sei rechtlich geklärt. § 24 LKrO n. F. verwende im Vergleich zur alten Fassung nunmehr die neue Bezeichnung Arbeitnehmer. Damit habe der Gesetzgeber keine Rechtsänderung herbeiführen wollen, sondern lediglich redaktionell auf das neue Tarifrecht vom 01.10.2005 reagiert, bei dem die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern weggefallen sei. Die Bezeichnung „Angestellte des öffentlichen Dienstes“ in Art. 137 Abs. 1 GG sei nicht verfassungsrechtlich determiniert mit der Folge, dass für die Begriffsbestimmung die Konkretisierungen des öffentlichen Dienstrechtes maßgeblich seien. Aufgrund der Änderungen im öffentlichen Dienstrecht sei als Reaktion des Landesgesetzgebers folgerichtig der neue Satz 2 eingefügt worden, um die Norm verfassungskonform mit Art. 137 GG zu gestalten. Dass der Kläger nicht überwiegend körperlich arbeite, ergebe sich aus der Tätigkeitsbeschreibung. Zudem würden in der noch geltenden Anlage 1a zum BAT Verwaltungsmitarbeiter am Empfang (Pförtner) bei kommunalen Verwaltungen und Betrieben in Verwaltungsbehörden mit starkem Publikumsverkehr, die in größerem Umfange Auskünfte zu erteilen hätten, für welche die Kenntnis der Zuständigkeit nicht nur der Dienststelle, bei der sie beschäftigt seien, erforderlich sei, im Angestelltenverhältnis geführt. Diese Beschreibung treffe in Umfang und Art auf die Tätigkeiten der Verwaltungsmitarbeiter am Empfang in den Dienstgebäuden des O.-kreises zu. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei bei Verwaltungsmitarbeitern am Empfang zu unterscheiden zwischen lediglich einfachen Pförtnertätigkeiten und „qualifizierten“ Tätigkeiten. Ein Versicherter mit dem bisherigen Beruf des Facharbeiters dürfe auf die Tätigkeit eines sogenannten „gehobenen“ oder „qualifizierten“ Pförtners, der über die übliche Pförtnertätigkeit hinaus in nicht unerheblichem Umfang mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt werde oder Fernsprechvermittlungsdienst mit mehr als einem Amtsanschluss leiste, verwiesen werden. Der gehobene Pförtner übe in einem größeren Betrieb auch regelmäßig eine wichtige Funktion aus, die oft eine längere Einarbeitung, Einübung und Bewährung voraussetze. Außer erheblichen beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten habe der gehobene Pförtner über Autorität, Gewandtheit und sicheres Auftreten sowie über besondere Zuverlässigkeit zu verfügen. Diese Rechtsprechung sei auf den vorliegenden Fall übertragbar. Der Kläger, der laut seinem Arbeitsvertrag vom 23.05.1977 als Angestellter eingestellt worden sei, habe seit 1977 als Krankenpfleger gearbeitet. Er habe im August 1981 die Stationsleitung übernommen, und sie aufgrund seiner Freistellung als Personalrat ab Februar 1996 wieder aufgegeben. Seither habe er wieder als Krankenpfleger gearbeitet. Im März 2009 habe seine Arbeitsunfähigkeit begonnen; er sei nach § 38 TVöD leistungsgemindert und könne nur noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ausüben. Beim Arbeitsgericht habe man auf seine Klage auf Beschäftigung an einem leidensgerechten Arbeitsplatz einen Vergleich abgeschlossen. Dem Kläger sei danach die Tätigkeit an der Pforte zugewiesen worden.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 29.01.2014 ab. Der Kläger sei als Pförtner im xxxklinikum aufgrund eines Dienstvertrages nach §§ 611 ff. BGB beschäftigt und stehe in einem gewissen Grad in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Landkreis. Damit sei er im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a LKrO Arbeitnehmer des Landkreises. Er sei nicht dem Personenkreis des § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO zuzurechnen. Die Abgrenzung zwischen den Arbeitnehmern, die überwiegend körperliche Arbeit verrichteten, und den übrigen Arbeitnehmern sei nach den herkömmlichen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts und des Arbeitsrechts - wie sie im Bereich der Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten entwickelt worden seien - vorzunehmen. Überwiegend mechanische und manuelle Tätigkeiten würden danach den Arbeitern zugeordnet. Büromäßig oder kaufmännisch - auch ohne Vorbildung - zu erledigende Arbeiten sprächen für geistige Tätigkeiten, die den Angestellten ausmachten. Der Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers liege nicht im Bereich der körperlichen Arbeit. Der Kläger sei unter anderem zuständig für die Telefonvermittlung des ganzen Klinikums, die Führung des Kassenbuchs der Pforte, die Telefonabrechnungen der Patienten, die Verwaltung der Rufempfänger; er sei Anlauf- und Auskunftsstelle für Besucher und Patienten. Angesichts des starken Publikumsverkehrs im Klinikum seien außerdem besondere Kenntnisse der Zuständigkeiten innerhalb (und gegebenenfalls auch außerhalb) der Beschäftigungsstelle erforderlich. Die vom Kläger aufgeführten Arbeiten des Beförderns von Briefen, des Hebens von Paketen und das Anheben des Telefonhörers seien keine den Schwerpunkt seiner Tätigkeit ausmachende Arbeiten. Dies gelte auch, soweit er unter Berufung auf einen von ihm vorgelegten Test der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin vortrage, dass er bei seiner Tätigkeit körperlich beansprucht werde. Der entsprechende Test sei für die Beantwortung der Frage, ob eine Person überwiegend körperliche oder geistige Tätigkeiten verrichte, ungeeignet. Er ziele vielmehr arbeitsmedizinisch darauf ab, die Belastung des Muskel-Skelett-Systems mit Blick auf Fehlhaltungen oder Falschbelastungen zu untersuchen, um aus arbeitsmedizinischer Sicht Verbesserungen vorzunehmen. Die auf der grundgesetzlichen Ermächtigungsnorm des Art. 137 Abs. 1 GG beruhende Beschränkung des passiven Wahlrechts in § 24 LKrO stehe mit dieser in Einklang. Insbesondere begegne es keinen Bedenken, soweit § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO auf das Kriterium der körperlichen Arbeit abstelle. Bei der Bestimmung der von der Inkompatibilität betroffenen beruflichen Stellungen sei dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zuzugestehen. Insbesondere könne er die Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG durch generalisierende Tatbestände ausschöpfen, die an die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktlage anknüpften. Es gebe keinen in allen Rechtsgebieten übereinstimmenden Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes. Zwar habe die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern erheblich an Bedeutung verloren. Diese Unterscheidung aufzugeben und den Kreis der Personen, für die nach Art. 137 Abs. 1 GG Inkompatibilitätsbestimmungen erlassen werden dürften, an Hand der Wahrscheinlichkeit eines drohenden Interessenkonflikts zwischen Tätigkeit und Mandat zu bestimmen, sei jedoch nicht möglich. Einer solchen Auslegung stehe der Wortlaut des Art. 137 Abs. 1 GG entgegen. Über diesen Wortlaut hinwegzugehen, sei auch mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu vereinbaren. Der Verfassungsgeber habe bewusst zwischen Arbeitern und Angestellten differenziert und so zu erkennen gegeben, welche Gesichtspunkte innerhalb des öffentlichen Dienstes die Auslösung der Regelungsbefugnis rechtfertigten und in welchen Grenzen in Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG Angestellten, die durch ihr Dienstverhältnis in einer Beziehung zur öffentlichen Hand mit der dadurch erhöhten Gefahr von Interessenkonflikten stünden, eine Wählbarkeitsbeschränkung auferlegt werden könne. An diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben könne die Aufgabe der Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im einfachen Recht nichts ändern. Auch gehe das Bundesverfassungsgericht nicht davon aus, dass sämtliche Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten aufgehoben seien. Es habe lediglich festgestellt, dass diese Unterschiede nicht gewichtig genug seien, dass daran beispielsweise unterschiedliche Kündigungsfristen geknüpft werden könnten. Es sei nicht festzustellen, dass eine Unterscheidung nach körperlichen Merkmalen der Arbeitsleistung nicht mehr möglich sei und es einen „überwiegend körperlich arbeitenden“ Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst nicht mehr gebe.
Bei der Kreistagwahl am 25.05.2014 wurde der Kläger zum ersten Nachrücker der Partei „xxx xxx“ gewählt. Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung verfolgt er sein Begehren, nunmehr in der Form einer Fortsetzungsfeststellungsklage weiter. Er trägt vor, es bestehe ein Feststellungsinteresse. Da er wiederum Nachrücker sei, bestehe die konkrete Gefahr, dass sich die erledigte Maßnahme wiederhole. Bis im Falle eines Nachrückens und einer erneuten Entscheidung des Kreises nach § 24 LKrO über seine Klage entschieden wäre, hätte sich die Maßnahme voraussichtlich wieder erledigt. Die Effektivität des Rechtsschutzes gebiete es daher, dass er Gelegenheit habe, die Berechtigung des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs im vorliegenden Verfahren gerichtlich klären zu lassen.
Er sei weiterhin Beschäftigter des Landkreises im xxxklinikum. Es sei ihm aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich, seine Existenzgrundlage zu Gunsten eines Mandates im Kreistag aufzugeben. Auf dem Arbeitsmarkt könne er aufgrund seiner Erkrankung keine andere Tätigkeit finden. Er könne auch noch nicht in Rente gehen.
Seine Tätigkeit falle unter § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO. Die in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorgenommene Abgrenzung, die formal, quasi „naturwissenschaftlich“ das Gesamtbild der Tätigkeit analysiere und darauf abstelle, ob der Anteil der rein manuellen oder geistigen Verrichtungen überwiege, sei ungeeignet, eine adäquate Bewertung zu bewirken. In der arbeitsgerichtlichen und der sozialgerichtlichen Rechtsprechung sei stets die Bewertung einer Tätigkeit durch die am Verkehr beteiligten Kreise, insbesondere die Tarifvertragsparteien maßgebend gewesen. Das Unterscheidungsmerkmal der überwiegend körperlichen oder überwiegend geistigen Arbeit sei nur relevant gewesen, wenn sich eine Verkehrsauffassung noch nicht gebildet hatte. Stelle man nun ausschließlich auf dieses Kriterium ab, komme es zu einer starken Ausweitung des von Art. 137 GG erfassten Personenkreises. Eine Tätigkeit in der Telefonzentrale sei nach der Lohngruppe 2 MTArb den Arbeitertätigkeiten zugeordnet gewesen. Nach § 25 BAT habe ein Pförtner, um Angestellter sein zu können, die Angestelltenprüfung abgelegt haben müssen. Diese Prüfung könne der Kläger jedoch nicht nachweisen. Aus Anl. 1a zum BAT ergebe sich entgegen der Auffassung des Beklagten nichts anderes. Diese Anlage beschreibe die Vergütungsgruppen bei Angestellten. Danach könnten Pförtner bei großen Verwaltungen und Betrieben der Vergütungsgruppe IX b zugeordnet werden. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass sie als Angestellte im Sinne des § 1 Abs. 2 BAT beschäftigt seien. § 1 Abs. 2 BAT regele, dass mit Arbeitnehmern in einer der Rentenversicherung der Arbeiter unterliegenden Tätigkeit im Arbeitsvertrag vereinbart werden könne, dass sie als Angestellte nach dem Tarifvertrag beschäftigt würden, wenn ihre Tätigkeit in der Vergütungsordnung (Anl. 1a und 1b) aufgeführt sei. Demnach seien Pförtner grundsätzlich nicht Angestellte. Aus § 1 Abs. 2 BAT folge, dass sie in der Regel Arbeiter gewesen seien, denen jedoch vertraglich die Angestelltenstellung habe zugeschrieben werden können.
Selbst wenn eine Zuordnung der Tätigkeit des Klägers zu einer Angestelltentätigkeit begründbar wäre, könne dieses Ergebnis aus verfassungsrechtlichen Gründen keinen Bestand haben. Da die heutige Arbeitswirklichkeit mit der fehlenden Differenzierung zwischen Angestellten- und Arbeitertätigkeiten in Tarifverträgen eine Unterscheidung nicht mehr ermögliche und eine Verkehrsauffassung der beteiligten Kreise nicht mehr existiere, sei eine Abgrenzung zwischen überwiegend manuellen Arbeitertätigkeiten und überwiegend geistigen Angestelltentätigkeiten nicht mehr möglich. Der Verfassungsgeber habe in Art. 137 GG ebenso wie der Landesgesetzgeber in § 24 LKrO auf die frühere arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zurückgegriffen. Dies sei nun nicht mehr möglich. Der Landesgesetzgeber habe mit der geänderten Fassung der sozialen Wirklichkeit Rechnung tragen wollen, die eine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht mehr kenne. Dies habe jedoch nicht gelingen können, ohne die Vorgaben des Art. 137 GG aufzugeben. Auf die Entscheidung des Brandenburgischen Verfassungsgerichts (LVfG Bdb., Beschl. v. 26.08.2011 - 6/11 - juris) zum dortigen Kommunalwahlgesetz berufe sich der Beklagte zu Unrecht. Die dortige Regelung sehe Hinderungsgründe nur bei leitenden Beamten und leitenden Arbeitnehmern vor. Die dortige Inkompatibilitätsregelung gelte zudem ausdrücklich nicht für Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit verrichteten oder die Arbeiter im herkömmlichen Sinne seien. Zudem habe das brandenburgische Verfassungsgericht für eine landesrechtliche Regelung von Hinderungsgründen eine Ermächtigungsgrundlage in der Landesverfassung gefordert. Hieran fehle es in der baden-württembergischen Landesverfassung.
§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO fehle es an der nach dem Rechtsstaatsprinzip erforderlichen Bestimmtheit. Die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes hingen im Einzelfall davon ab, wie intensiv die Grundrechtsbeeinträchtigung aufgrund der jeweiligen Norm sei. Hier werde in die durch Art. 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Wahlrechtsgleichheit eingegriffen. Der Eingriff sei verfassungswidrig. § 24 LKrO übernehme die von der ehemaligen arbeits- und sozialgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien für Angestellte und Arbeiter, die jedoch heute kaum noch Bedeutung hätten. Nach § 622 BGB würden für Arbeiter und Angestellte gleiche gesetzliche Kündigungsfristen gelten. Das Entgeltfortzahlungsgesetz regele die Entgeltfortzahlungsansprüche der Angestellten und Arbeiter im Krankheitsfall einheitlich. Die Differenzierung zwischen Angestellten und Arbeitern im Betriebsverfassungsgesetz und im Personalvertretungsrecht sei aufgehoben worden. Auch in der gesetzlichen Rentenversicherung werde seit dem 01.01.2005 nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten differenziert. Im Arbeitsrecht sei eine Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten grundsätzlich ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten habe daher nur noch relativ geringe praktische Bedeutung. Aufgrund der Änderungen in der Arbeitswelt seien die Kriterien der körperlichen oder geistigen Prägung einer Arbeit kein geeignetes Abgrenzungskriterium mehr. Folglich sei es für einen möglichen Adressaten des § 24 LKrO kaum möglich, die Rechtslage zu erkennen und sich auf mögliche belastende Maßnahmen einzustellen.
10 
Dieselben Erwägungen würden auch für die Ermächtigungsgrundlage des Art. 137 GG gelten. Es gebe keinen in allen Rechtsgebieten einheitlichen Angestelltenbegriff. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe der Gesetzgeber die Möglichkeit, den Angestelltenbegriff durch generalisierende Tatbestände auszuschöpfen, die an die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktlage anknüpften. Unter Berücksichtigung der Ratio der Norm sowie des Art. 3 GG sei eine Abgrenzung nach überwiegend körperlicher Arbeit dabei kein taugliches Kriterium mehr. Die Vorschrift diene der Trennung von Legislative und Exekutive, um die Selbständigkeit des Parlaments gegenüber der Verwaltung zu sichern. Aus dem Umstand, dass Angestellte und Beamte in der im Jahr 1949 gegebenen sozialen Realität eine herausgehobene, arbeitgebernähere Stellung im Arbeitsleben gehabt hätten und damit der Exekutive näher verbunden gewesen seien, habe sich die Einschränkungsmöglichkeit bezüglich des passiven Wahlrechts für diese Personengruppen ergeben. Die Bestimmung der Wertigkeit der Tätigkeit als herausgehobene sei dabei im Wesentlichen von der Verkehrsanschauung vorgenommen worden und habe ihren Niederschlag in tarifvertraglichen Regelungen gefunden. Der Fall des Klägers zeige, dass die bestehenden generalisierenden Tatbestände heute unter Berücksichtigung dieses Zwecks der Norm zu unbilligen Ergebnissen führten. Es erscheine fraglich, welchen Einfluss der Kläger innerhalb der Verwaltung des xxxklinikums haben solle. Es verstoße gegen das Willkürverbot aus Art. 3 GG, eine Differenzierung zwischen einem einfachen und einem qualifizierten Pförtner vorzunehmen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei eine zweckentsprechende Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG möglich. Die Norm räume dem Gesetzgeber Ermessen ein. Es sei diesem daher möglich, im Rahmen einer verfassungskonformen Ausgestaltung eine Inkompatibilität lediglich für leitende Arbeitnehmer einzuführen.
11 
§ 24 LKrO verstoße zudem gegen das Übermaßverbot. Die beim Kläger durch die Regelung eintretenden Nachteile stünden nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck der Norm, eine Trennung zwischen Legislative und Exekutive zu verwirklichen. Zu berücksichtigen sei dabei, dass das Grundgesetz die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat nicht zum verfassungsrechtlichen Gebot erhebe, sondern lediglich den Gesetzgeber ermächtige, die Wählbarkeit von öffentlich Bediensteten zu beschränken. Auf Seiten des Klägers sei zudem Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK einzustellen. Die Beschränkung der Wählbarkeit führe bei ihm zu einer faktischen Ineligibilität. Aufgrund der wirtschaftlichen Folgen sei er de facto gehindert, die ihm angefallene Wahl anzunehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne im kommunalen Bereich ein faktischer Ausschluss der Wählbarkeit gerechtfertigt sein, es bedürfe jedoch eines über Art. 137 GG hinausgehenden sachlichen Grundes. Aufgrund der Änderungen in der Arbeitswelt sei daher eine Differenzierung nach überwiegender körperlicher Arbeit nicht mehr vereinbar mit Art. 3 GG.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29.01.2014 - 2 K 79/13 - abzuändern und festzustellen, dass der Bescheid des O.-kreises vom 23.10.2012 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18.12.2012 rechtswidrig waren.
14 
Der Beklagte beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Der Beklagte macht geltend, für die Fortsetzungsfeststellungsklage fehle ein Feststellungsinteresse. Eine konkrete Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Der Umstand, dass der Kläger erneut Nachrücker für seine Partei sei, begründe lediglich die abstrakte Möglichkeit einer Wiederholung. Ein schwerer Grundrechtseingriff, der ein Feststellungsinteresse begründen würde, bestehe ebenfalls nicht. Allein aus der Betroffenheit in Art. 2 Abs. 1 GG folge kein Feststellungsinteresse.
17 
Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei auch unbegründet. In Ergänzung des erstinstanzlichen Vorbringens sei darauf hinzuweisen, dass es an einem staatsrechtlichen Angestelltenbegriff fehle. Die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG ergebe, dass Angestellte des öffentlichen Dienstes alle diejenigen seien, die in einem Dienstverhältnis zu einem staatlichen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn stünden und nicht Arbeiter oder Beamte seien. Aus dem Umstand, dass das Tarifrecht die Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten aufgegeben habe, könne nicht auf eine andere Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG geschlossen werden. Darauf abzustellen, wie wahrscheinlich die Gefahr gewaltenteilungsbedingter Interessenkonflikte sei, schließe der eindeutige Wortlaut des Art. 137 Abs. 1 GG aus. Der Vorschrift komme eine erhöhte Stabilisierungsfunktion zu, so dass Neuinterpretationen an erschwerte Voraussetzungen gebunden seien. Ein grundlegender Bedeutungswandel könne nicht angenommen werden. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Rechtsprechung ausdrücklich betont, dass es besonders im gemeindlichen Bereich häufig Fallgestaltungen gebe, die auch für Arbeiter des öffentlichen Dienstes eine Beschränkung der Wählbarkeit als sachgerecht erscheinen lassen könnten. Der Verfassungsgeber habe jedoch bewusst differenziert und so zu erkennen gegeben, welche Gesichtspunkte innerhalb des öffentlichen Dienstes Beschränkungen der Wählbarkeit rechtfertigen könnten. Einer landesverfassungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfe es für § 24 LKrO nicht.
18 
Entgegen der Auffassung des Klägers sei § 24 LKrO hinreichend bestimmt. Der Gesetzgeber dürfe unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden. Es sei Aufgabe der Gerichte, durch schrittweise Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe die notwendige Berechenbarkeit des Verwaltungshandelns sicherzustellen. Hier habe der Gesetzgeber lediglich eine redaktionelle Änderung infolge der Änderung des Tarifrechts vorgenommen. Eine Rechtsänderung sei nicht erfolgt. Das brandenburgische Verfassungsgericht habe eine entsprechende Änderung des Kommunalwahlgesetzes für verfassungsgemäß gehalten. Zwar könnten im kommunalen Bereich Inkompatibilitätsvorschriften faktisch zu einer Ineligibilität führen. Das Bundesverfassungsgericht fordere daher, dass gerade im kommunalen Bereich Differenzierungen innerhalb der gesetzlichen Folgeregelungen, die sich auf Art. 137 Abs. 1 GG bezögen, jeweils eines sachlichen Grundes bedürften, der dem Sinn der verfassungsrechtlichen Regelung gerecht werde. Der Gesetzgeber dürfe bestimmte Personengruppen von der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat ausnehmen, dabei aber keine willkürlichen oder systemwidrigen Unterscheidungen treffen. Ein solcher zusätzlich erforderlicher Rechtfertigungsgrund sei anzuerkennen, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen sei. Eine solche Konfliktlage könne bei einem Angestellten des Landkreises nicht ausgeschlossen werden.
19 
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Vertreterin des Beklagten ergänzend ausgeführt, bei ihm seien nach den herkömmlichen Kategorien noch fast 300 Arbeiter beschäftigt, insbesondere in der Kantine und im Forstbereich.
20 
Das Verwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 17.12.2012 - 2 K 2299/12 - den Antrag des Klägers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die mit der Anordnung des Sofortvollzugs versehene Feststellung des Kreistags vom 23.10.2012 ab. Die dagegen eingelegte Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 19.03.2013 - 1 S 75/13 - zurück.
21 
Der Senat hat im Berufungsverfahren eine Auskunft des Statistischen Bundesamts eingeholt. Dieses hat für die Jahre 1950, 1955, 1960 bis 2000, auch für die Jahre ab 1991 bezogen auf das frühere Bundesgebiet, die Zahl der Beschäftigten des unmittelbaren öffentlichen Dienstes insgesamt und aufgeteilt nach Dienstherren (Bund, Länder, Gemeinden/Gemeindeverbände, Zweckverbände, Deutsche Bundespost, Deutsche Bundesbahn) mitgeteilt. Zudem hat der Senat die im Internet verfügbare Veröffentlichung von Dipl.-Volkswirtin Kriete-Dodds „Beschäftigte der öffentlichen Arbeitgeber am 30. Juni 2004“ in der vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Publikation „Wirtschaft und Statistik 12/2005“ herangezogen. Aus dieser Veröffentlichung und der Auskunft des Statistischen Bundesamts ergibt sich für den unmittelbaren öffentlichen Dienst insgesamt folgende Entwicklung des Anteils der Angestellten an der Gesamtgruppe der Angestellten und Arbeiter, gerundet auf die erste Nachkommastelle:
22 
1950   
        
38,8% 
1960   
        
41,5% 
1970   
        
50,8% 
1980   
        
57%     
1990   
        
60,6% 
2000   
        
73,5% 
2004   
        
77,2% 
23 
Dabei sind in der Auskunft des Statistischen Bundesamts für die Deutsche Bundespost letztmalig für 1994 Zahlen angegeben. In diesem Jahr betrug dort die Zahl der Angestellten 50.400, die der Arbeiter 166.800.
24 
Aus der Veröffentlichung von Kriete-Dodds und der Auskunft des Statistischen Bundesamts ergibt sich für den öffentlichen Dienst der Gemeinden und Gemeindeverbände folgende Entwicklung des Anteils der Angestellten an der Gesamtgruppe der Angestellten und Arbeiter, gerundet auf die erste Nachkommastelle:
25 
1950   
        
45,3% 
1960   
        
45,4% 
1970   
        
52%     
1980   
        
58,6% 
1990   
        
62,5% 
2000   
        
69,7% 
2004   
        
73,5% 
26 
Dem Gericht liegen die Akten des Beklagten (2 Hefte) und die Akten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes beider Instanzen vor.

Entscheidungsgründe

 
27 
Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim Verwaltungsgericht eingelegt (vgl. § 124 a Abs. 2 VwGO). Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 3 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO).
28 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klage ist zulässig (I), aber nicht begründet (II).
29 
I. Die Umstellung der - bis dahin - zulässigen Anfechtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist zulässig, ohne dass die Voraussetzzungen, die § 91 VwGO an die Zulässigkeit einer Klageänderung stellt, vorliegen müssen (vgl. nur Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 113 Rn. 241).
30 
Ein Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr ist hier gegeben. Es liegt vor, wenn der Kläger mit einer Wiederholung der erledigten Maßnahme rechnen muss. Es müssen konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt einer vergleichbaren Belastung bei einem vergleichbaren und abzusehenden Sachverhalt vorgetragen werden. Ein solches Interesse setzt die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige behördliche Maßnahme ergehen wird. Nicht ausreichend ist die vage oder abstrakte Möglichkeit einer Wiederholung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.01.1995 - 8 B 168.94 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 272; Senat, Urt. v. 24.11.1994 - 1 S 2909/93 - DVBl. 1995, 367; Beschl. v. 16.07.2012 - 1 S 997/12 -; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.07.2010 - 10 S 2400/09 - ESVGH 61, 51; OVG NRW, Urt. v. 24.11.1998 - 5 A 1107/96 - NJW 1999, 2202). Zudem ist Voraussetzung, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 08.02.2011 - 1 BVR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier zu bejahen. Der Kläger ist erneut Nachrücker in den Kreistag für seine Partei. Da der Beklagte an seiner Rechtsauffassung zu Hinderungsgründen in der Person des Klägers festhält, ist für den Fall des Nachrückens mit einer erneuten, auf denselben Gründen wie bisher beruhenden Feststellung des Vorliegens von Hinderungsgründen zu rechnen. Zwar steht nicht fest, ob der Fall des Nachrückens eintritt. Die Möglichkeit ist jedoch aufgrund der Stellung des Klägers als erster Nachrücker nicht rein abstrakt. Andernfalls müsste der Kläger, wenn der Fall des Nachrückens eintritt, erneut Rechtsschutz gegen eine Feststellung des Vorliegens von Hinderungsgründen in Anspruch nehmen und müsste damit rechnen, dass wegen Ablaufs der Wahlperiode wiederum Erledigung eintritt.
31 
II. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht begründet. Die Feststellung in dem Bescheid des O.-kreises vom 23.10.2012 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18.12.2012, dass beim Kläger Hinderungsgründe nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a LKrO vorlagen, war rechtmäßig.
32 
Nach § 24 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO können Arbeitnehmer des Landkreises nicht Kreisräte sein. Die Vorschrift findet gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO keine Anwendung auf Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten. Die Feststellung in den genannten Bescheiden, dass beim Kläger Hinderungsgründe nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO gegeben sind, war rechtmäßig. Für diese Vorschrift enthält Art. 137 Abs. 1 GG eine wirksame verfassungsrechtliche Ermächtigung (1). § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO selbst ist verfassungsgemäß, hält sich insbesondere im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG und ist auch nicht aus sonstigen Gründen verfassungswidrig (2). Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO lagen beim Kläger vor (3).
33 
1. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO beschränkt die Wählbarkeit von Arbeitnehmern des Landkreises und damit die in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Allgemeinheit und Gleichheit der Wahlen in Kreisen. Eine solche Beschränkung ist nur zulässig, wenn hierfür eine verfassungsrechtliche Ermächtigung vorliegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978 - 2 BvR 1108/77 - BVerfGE 48, 64, juris Rn. 57 ff.; Beschl. v. 07.04.1981 - 2 BvR 1210/80 - BVerfGE 57, 43, juris Rn. 40; Beschl. v. 06.10.1981 - 2 BvR 348/81 - BVerfGE 58, 177, juris Rn. 33). Diese liegt mit Art. 137 Abs. 1 GG vor. Danach kann die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern im Bund, in den Ländern und den Gemeinden gesetzlich beschränkt werden.
34 
Die Ermächtigungsrundlage für Beschränkungen der Wählbarkeit in Art. 137 Abs. 1 GG ist auch nicht wegen Funktionslosigkeit außer Kraft getreten. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten vollständig aufgegeben und der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG daher vollständig bedeutungslos geworden sei - was nicht der Fall ist (s. unten unter 2) -, kann ein Außerkrafttreten aufgrund Funktionslosigkeit nicht angenommen werden. Aus einer solchen Entwicklung Konsequenzen im Hinblick auf die Gültigkeit von Art. 137 Abs. 1 GG zu ziehen, ist dem Gesetzgeber vorbehalten (vgl. allgemein: Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 1997, S. 475f., 483ff.; ähnlich Schneider, Gesetzgebung, 1991, Rn. 559; BFH, Urt. v. 19.01.1999 - VII R 24/98 - BFHE 188, 222, juris Rn. 23), hier mithin dem Verfassungsgeber. Für Bebauungspläne, die als Rechtsnormen erlassen werden, ist ein Außerkrafttreten zwar möglich, wenn ihre Verwirklichung wegen einer neuen tatsächlichen Entwicklung in evidenter Weise auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1977 - 4 C 39.75 - BVerwGE 54, 5 <9>; Urt. v. 03.12.1998 - 4 CN 3.97 - BVerwGE 108, 71, juris Rn. 16; Beschl. v. 22.07.2013 - 7 BN 1.13 - juris Rn. 6).Dies hat seinen Grund jedoch darin, dass Bebauungspläne in einem ungleich stärkeren Maße wirklichkeitsbezogen sind als abstrakt-allgemeinen Rechtssätze im herkömmlichen Sinne. Sie sind weniger auf Geltung als auf konkrete Erfüllung angelegt und dadurch auch anfälliger, durch tatsächliche Entwicklungen in ihrer Funktion gestört und dadurch in ihrer Geltung in Frage gestellt zu werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1977, a.a.O.). Für Verfassungsnormen trifft dies jedoch nicht zu. Ein Wandel der tatsächlichen Verhältnisse kann zwar Auswirkungen auf die Auslegung von Verfassungsbestimmungen haben (s. sogleich unter 2.). Im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes ist die Entscheidung über ein Außerkrafttreten einer Verfassungsnorm jedoch dem Parlament vorbehalten, wie nicht zuletzt Art. 79 GG zeigt.
35 
Zusätzlich zu Art. 137 Abs. 1 GG ist eine landesverfassungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage entgegen der Auffassung des Klägers nicht erforderlich. Auch das Brandenburgische Verfassungsgericht hat eine solche für Brandenburg nicht für notwendig gehalten, sondern lediglich die dort vorhandene Verfassungsbestimmung geprüft (vgl. LVfG Bdb., Beschl. v. 26.08.2011, a.a.O., Rn. 41ff.).
36 
2. Die Beschränkung der Wählbarkeit durch § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO ist verfassungsgemäß. Sie hält sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG (a) und verstößt weder gegen den das Willkürverbot (b) noch gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (c) oder das Übermaßverbot (d).
37 
a) Überschreitet eine Einschränkung des passiven Wahlrechts die durch Art. 137 Abs. 1 GG vorgegebenen verfassungsrechtlichen Grenzen, verletzt diese Regelung den Grundsatz der Gleichheit der Wahl und damit Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.04.1981, a.a.O., Rn. 43). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die Grenzen der durch Art. 137 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber eingeräumten Befugnisse im Hinblick auf Angestellte des öffentlichen Dienstes (aa) werden durch § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO eingehalten (bb).
38 
aa) Der Begriff der Angestellten des öffentlichen Dienstes ist, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, nach herkömmlichen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG zu bestimmen. Für die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG ist die ratio der Verfassungsbestimmung ausschlaggebend (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.01.1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 38, 326, juris Rn. 46; Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 63 ff.).
39 
Hieran ist weiterhin festzuhalten. Der Zweck der Norm (aaa) prägt weiterhin die Auslegung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG. Dieser Begriff greift nicht lediglich eine im einfachen Recht und/oder den tatsächlichen Verhältnissen vorhandene Unterscheidung von Angestellten und Arbeitern auf, sondern enthält einen eigenständigen Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes, für den die tarifrechtliche Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern nicht von entscheidender Bedeutung ist (bbb); ein Verfassungswandel, der zu einer geänderten Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG führt, liegt nicht vor (ccc).
40 
aaa) Art. 137 Abs. 1 GG dient allgemein der Sicherung der organisatorischen Gewaltenteilung gegen Gefahren, die durch das Zusammentreffen von beruflicher Stellung und Mandatswahrnehmung entstehen können. Es geht darum zu verhindern, dass durch "Personalunion" die Parlamentarier als Kontrolleure sich selbst kontrollieren. So soll der Gefahr von Entscheidungskonflikten und Verfilzungen entgegengewirkt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.01.1961 - 2 BvR 547/60 - BVerfGE 12, 73, juris Rn. 22; Beschl. v. 27.10.1964 - 2 BvR 319/61 - BVerfGE 18, 172, juris Rn. 34f.; Beschl. v. 21.01.1975, a.a.O., Rn. 46; Beschl. v. 07.04.1981, a.a.O., Rn. 53; Beschl. v. 05.06.1998 - 2 BvL 2/97 - BVerfGE 98, 145, juris Rn. 56, m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 26.08.2004 - 2 B 31.04 - Buchholz 11 Art. 137 GG Nr. 2). Die Anordnung einer Inkompatibilität ist - als eine sachgerechte Ausgestaltung des passiven Wahlrechts - von der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG nur gedeckt, wenn sie nur gewählte Bewerber betrifft, deren berufliche Stellung die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit von Interessen- und Entscheidungskonflikten nahelegt. Da es jedoch schwierig ist, eine genaue Grenze festzulegen zwischen solchen Funktionsträgern, deren Tätigkeit sie in den bezeichneten Interessenkonflikt bringen kann, und solchen, deren Tätigkeit sie nicht diesem Konflikt aussetzt, ist dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum bei der Bestimmung der von der Inkompatibilität betroffenen beruflichen Stellungen zuzugestehen. Insbesondere kann der Gesetzgeber die Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG durch generalisierende Tatbestände ausschöpfen, die an die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktlage anknüpfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 51; Beschl. v. 05.06.1998, a.a.O., Rn. 56; BVerwG, Urt. v. 29.07.2002 - 8 C 22.01 - BVerwGE 117, 11). Der Gesetzgeber hat zwar einen weiten Gestaltungsspielraum, wenn er von der ihm durch Art. 137 Abs. 1 GG eingeräumten Ermächtigung nicht durch eine diese ausschöpfende Inkompatibilitätsregelung Gebrauch macht, stattdessen differenzierend vorgeht und bestimmte Personengruppen von der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat ausnimmt, darf dabei aber keine willkürlichen oder systemwidrigen Unterscheidungen treffen (so StGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.07.1981 - GR 2/80 - VBlBW 1981, 348; OVG Berlin, Urt. v. 18.11.2003 - 4 B 7.03 - juris).
41 
Art. 137 Abs. 1 GG lässt gesetzliche Beschränkungen der Wählbarkeit der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zur Verhinderung des Zusammentreffens von Amt und Mandat zu. Das bedeutet, dass die darauf beruhenden Unvereinbarkeitsvorschriften die Übernahme des Wahlmandats durch den Gewählten von der gleichzeitigen Entbindung von seinen Aufgaben innerhalb seines öffentlichen Dienstverhältnisses abhängig machen kann. Eine solche gesetzliche Regelung darf jedoch nicht den Ausschluss von der Wählbarkeit (Ineligibilität) anordnen. Der Gesetzgeber kann demnach zwar Inkompatibilitätsnormen, nicht aber Ineligibilitätsnormen erlassen. Eine Ineligibilität liegt aber nicht nur dann vor, wenn ein Bewerber rechtlich von der Bewerbung für das Mandat, von dessen Annahme oder von seiner Ausübung ausgeschlossen wird; sie ist vielmehr auch dann gegeben, wenn der Betroffene sich wegen der Folgen der gesetzlichen Regelung außerstande sieht, sich für das Mandat zu entscheiden (st. Rspr, vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 69; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 38; je m.w.N.).
42 
Im kommunalen Bereich bedarf es insoweit jedoch keiner besonderen Regelungen (z.B. Kündigungsschutz, Beurlaubungsanspruch), um eine Annahme des Mandats tatsächlich zu ermöglichen. Denn die Ausübung des Mandats in der Gemeindevertretung ist Erfüllung einer allgemeinen Bürgerpflicht, nicht Tätigkeit zur Sicherstellung der materiellen Lebensgrundlage. Deshalb ist das Amt des Gemeinderats grundsätzlich als Ehrenamt ausgestaltet. Auf dieser Ebene ist für aufwändige Auffangregelungen zur Abwendung des faktischen Ausschlusses von der Wählbarkeit kein Raum. Der Grundsatz, dass Art. 137 Abs. 1 GG nur eine Wählbarkeitsbeschränkung, nicht aber eine Ausschließung, auch nicht eine faktische, erlaubt, gilt daher nicht unbegrenzt. Angesichts der besonderen Verhältnisse im kommunalen Bereich ist der faktische Ausschluss von der Wählbarkeit zumutbare Konsequenz von Inkompatibilitätsregelungen. Eine Begrenzung der Wählbarkeit mit einer so weitreichenden Folge kann im Hinblick auf die Bedeutung der Wahlrechtsgleichheit allerdings nicht allein mit der verfassungsrechtlichen Ermächtigung aus Art. 137 Abs. 1 GG begründet werden. Ein solcher Hinweis genügt zwar für die Einführung der Unvereinbarkeitsregelung. Dadurch wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass Differenzierungen innerhalb gesetzlicher Folgeregelungen, die auf Art. 137 Abs. 1 GG beruhen, jeweils eines sachlichen Grundes bedürfen, der dem Sinn der verfassungsrechtlichen Ermächtigung gerecht wird. Art. 3 Abs. 1 GG wirkt in dieser Weise auch auf die Auslegung der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG ein. Dies muss in gleicher Weise dort gelten, wo als Folge der gesetzlich festgelegten Unvereinbarkeit von Dienststellung und Mandat ein faktischer Ausschluss von der Wählbarkeit in Frage steht. Ein solcher Ausschluss aber ist als eine mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbare Differenzierung nur gerechtfertigt, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 70f.; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 39).
43 
bbb) Dieser Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG ist für die Auslegung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes maßgeblich. Das Bundesverfassungsgericht betont dabei, dass es nicht notwendigerweise einen in allen Rechtsbereichen gleichen Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes gibt. Seine Bedeutung und Abgrenzung muss deshalb durch Auslegung der jeweils maßgebenden Vorschrift ermittelt werden. Wer zu der hier gemeinten Gruppe der Angestellten des öffentlichen Dienstes gehört, ist nach herkömmlichen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG zu bestimmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.01.1975, a.a.O., Rn. 46; Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 63 ff.). Diese Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichts - dass es keinen einheitlichen Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes gibt und dass die Begriffsbestimmung nach herkömmlichen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG erfolgen muss - werden in der staatsrechtlichen Literatur vielfach geteilt (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 137 Rn. 53 ; Stober/Lackner, in: BK, Art. 137 Abs. 1 Rn. 322 ; Versteyl, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl., Art. 137 Rn. 10; Kohl, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. II, 2002, 137 Rn. 17; wohl auch Butzer, in: Epping/Hillgruber, GG, 2. Aufl., Art. 137 Rn. 9; unklar: Pieper, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl., Art. 137 Rn. 13).
44 
Aus dieser Begriffsbestimmung folgt, dass Art. 137 Abs. 1 GG mit dem Tatbestandsmerkmal des Angestellten des öffentlichen Dienstes sich nicht in der Anknüpfung an einen im einfachen Recht, in Tarifverträgen und den tatsächlichen Lebensverhältnissen vorhandenen Typus des Angestellten erschöpft, sondern eine eigenständige Begriffsbestimmung vornimmt. Das Tatbestandsmerkmal des Angestellten des öffentlichen Dienstes ist autonom, unabhängig vom Angestelltenbegriff in sonstigen Bereichen auszulegen. Mit der Anknüpfung an herkömmliche Gesichtspunkte ist bzw. war Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung zwar der im einfachen Recht, Tarifbestimmungen und tatsächlichen Verhältnissen vorzufindende Typus des Angestellten, die besondere Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG gibt dem Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG jedoch sein Gepräge. Dies zeigen insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Wählbarkeitsbeschränkungen für Angestellte in privatrechtlich organisierten Unternehmen, die öffentlich beherrscht sind, und die Bestimmung des Begriffs des Beamten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG:
45 
Unter Art. 137 Abs. 1 GG fallen auch die Angestellten, die zwar nicht einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn unterstehen, die aber aufgrund der Ausgestaltung ihres Beschäftigungsverhältnisses, der besonderen Zusammensetzung und Organisation der Spitze ihres Unternehmens sowie der Eigenart ihrer Tätigkeit und ihres Aufgabenbereichs in einer solch engen Beziehung zur öffentlichen Hand stehen, dass im Hinblick auf die naheliegende Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit von Interessenkonflikten und Entscheidungskonflikten von Verfassungs wegen ihre Einbeziehung in die Ermächtigung nach Art. 137 Abs. 1 GG unabweislich ist. Zu den Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG zählen daher jedenfalls die leitenden Angestellten solcher privater Unternehmen, an denen die öffentliche Hand mehrheitlich beteiligt ist. Diese Angestellten haben aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung im Unternehmen wesentlichen Einfluss auf die tragenden Entscheidungen. Sie wirken maßgeblich bei der Bestimmung der Grundlinien der Unternehmenspolitik und der Geschäftspraxis mit. Über eine gleichzeitige Mitgliedschaft im Gemeinderat könnten sie maßgeblichen Einfluss auf die Zusammensetzung und Willensbildung der von der kommunalen Vertretung beherrschten Unternehmensorgane ausüben. Diese sich aus dem besonderen dienstrechtlichen Aufgabenbereich ergebenden Gefährdungsmomente fehlen in der Regel bei den Angestellten solcher Unternehmen in nicht herausgehobener Stellung. Bei ihnen besteht eine Distanz zur öffentlichen Hand, die es verbietet, sie zu den Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG zu zählen. Hingegen würden Angestellte öffentlich-rechtlicher Dienstherren wie Gemeinden und Landkreise, die in nicht herausgehobener Stellung tätig sind, für den Fall, dass sie Gemeinderäte oder Kreisräte sind, der Vertretungskörperschaft angehören, die unmittelbar die Kontrolle über ihre Beschäftigungsstelle ausübt. Das unterscheidet ihre Stellung maßgeblich von der einfacher Angestellter in öffentlich beherrschten, privatrechtlich organisierten Unternehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 63ff.; Beschl. v. 21.01.1975, a.a.O., Rn. 46).
46 
Dass es sich um eine autonome, von Kriterien des einfachen Rechts unabhängige Begriffsbestimmung handelt, zeigt ebenso die Auslegung des Begriffs des Beamten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG. Auch insoweit ist anhand des Zwecks des Art. 137 Abs. 1 GG detailliert zu prüfen, inwiefern Gefahren für die organisatorische Gewaltenteilung bestehen. Der Begriff des Beamten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG ist nicht nach dem allgemeinen Beamtenrecht zu bestimmen. Für Art. 137 Abs. 1 GG muss die Bedeutung und Tragweite des Begriffs des Beamten insoweit aus der ratio der Verfassungsnorm selbst bestimmt werden. Es bedarf daher gegebenenfalls einer eingehenden Analyse, ob Gefahren für die organisatorische Gewaltenteilung bestehen (so BVerfG, Beschl. v. 07.04.1981, a.a.O., Rn. 52, zum Ruhestandsbeamten; anders noch BVerfG, Beschl. v. 27.10.1964, Rn. 10).
47 
Aus dieser eigenständigen Bestimmung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG folgt, dass die tarifrechtliche Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern für die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG nicht von entscheidender Bedeutung ist (vgl. Stober/Lackner, a.a.O., Rn. 325; von Campenhausen/Unruh, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl., Art. 137 Rn. 21; Versteyl, a.a.O., Rn. 10; ebenso OVG NRW, Urt. v. 31.01.1968 - III A 673/67 - OVGE 24, 8 <10>; unklar mit einem Abstellen auf die „Konkretisierungen des öffentlichen Dienstrechts“: Leisner, in: Sodan, GG, 3. Aufl., Art. 137 Rn. 4; Butzer, a.a.O.). Dies wurde in der Literatur auch so gesehen, als es diese tarifrechtliche Unterscheidung noch gab (vgl. Versteyl, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 3, 2. Aufl. 1983, Art. 137 Rn. 6; von Campenhausen, in: von Mangoldt/Klein, GG, Bd. 14, 3. Aufl. 1991, Art. 137 Rn. 25).
48 
ccc) An dieser Auslegung ist festzuhalten. Sie erfährt auch durch geänderte Verhältnisse keine Änderung. Weder der Wegfall der Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes noch die Zunahme der Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter seit Inkrafttreten des Grundgesetzes bis zum Jahr 2004 begründen einen Verfassungswandel oder eine Neubestimmung der zugrundliegenden Begriffsbestimmungen.
49 
(1) Die Normen des Grundgesetzes sind mit Hilfe der gängigen Auslegungsmethoden, nach Wortlaut, Systematik, Zweck und Entstehungsgeschichte auszulegen (vgl. nur Starck, in: HStR XII, 3. Aufl., § 271 Rn. 17; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl., Einl. Rn. 11; je m.w.N.). Eine Verfassungsvorschrift darf nicht allein aus ihrem Wortlaut heraus isoliert ausgelegt werden. Alle Verfassungsbestimmungen müssen vielmehr so ausgelegt werden, dass sie mit den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes und seiner Wertordnung vereinbar sind. Um Sinngehalt und Tragweite von Verfassungsbestimmungen, denen oft eine lapidare Sprachgestalt eigen ist, richtig zu erfassen, ist der Blick auf das rechtliche und historische Umfeld der Entstehung der Verfassungsnorm sowie auf ihre Zielrichtung erforderlich. Die Grenzen der Auslegung von Verfassungsrecht liegen dort, wo einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Vorschrift ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm grundlegend neu bestimmt oder das normative Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt würde (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.12.1970 - 2 BvF 1/69 - BVerfGE 30, 1, juris Rn. 70; Beschl. v. 23.11.1988 - 2 BvR 1619/83 u.a. - BVerfGE 79, 127, juris Rn. 41; Urt. v. 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98 u.a. - BVerfGE 109, 279, juris Rn. 134; je m.w.N.).
50 
Dies schließt jedoch Änderungen der Verfassungsauslegung nicht aus. Denn gewandelte Rechtsauffassungen und Weiterentwicklungen auch des einfachen Rechts können im Rahmen eines Verfassungswandels auch ohne Änderung des Verfassungstextes zu einer geänderten Verfassungsauslegung führen. Eine Verfassungsbestimmung kann einen Bedeutungswandel insbesondere dann erfahren, wenn in ihrem Bereich neue, nicht vorausgesehene Tatbestände auftauchen oder bekannte Tatbestände durch ihre Einordnung in den Gesamtablauf einer Entwicklung in neuer Beziehung oder Bedeutung erscheinen (vgl. BVerfG, Urt. v. 01.07.1953 - 1 BvL 23/51 - BVerfGE 2, 380, Rn. 73; Gutachten v. 16.06.1954 - 1 PBvV 2/52 - BVerfGE 3, 407, juris Rn. 69; Plenumsbeschl. v. 08.04.1997 - 1 PBvU 1/95 - BVerfGE 95, 322, juris Rn. 37ff.; Badura, in: HStR XII, 3. Aufl., § 270 Rn. 14ff.).
51 
(2) Eine Neubestimmung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne des Art. 137 Abs. 1 GG fordertMasing. Das öffentliche Dienstrecht nehme eine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht mehr vor. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung in Art. 137 Abs. 1 GG finde demnach keine einfachrechtliche Entsprechung mehr. Sowohl im Tarif- wie im Rentenversicherungsrecht, welches traditionell zur Bestimmung des Angestellten- bzw. Arbeiterbegriffs herangezogen worden sei, sei die hergebrachte Unterscheidung inzwischen aufgegeben und nur noch einheitlich von Arbeitnehmern bzw. Beschäftigten die Rede. Für die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG könne aus dieser Rechtsentwicklung nur folgen, zukünftig alle Bediensteten des öffentlichen Dienstes in den Regelungsgehalt des Art. 137 Abs. 1 GG einzubeziehen, um dann doch hinsichtlich der Einflussmöglichkeiten auf Behördenentscheidungen und der damit zusammenhängenden Wahrscheinlichkeit von Gefahren gewaltenteilungsbedingter Interessenkonflikte zu unterscheiden (vgl. Masing, in: Dreier, GG, Bd. III, 2. Aufl., Art. 137 Rn. 10f.; kritisch hierzu von Campenhausen/Unruh, a.a.O., Rn. 20)
52 
Dem ist nicht zu folgen. Der TVöD unterscheidet seit dem 01.10.2005 nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten, sondern kennt nur noch den einheitlichen Begriff des Arbeitnehmers; für den TV-L gilt dies ebenso. Der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG knüpft jedoch, wie dargelegt, nicht an eine in den tatsächlichen Verhältnissen, im einfachen Recht und in Tarifverträgen vorhandene Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten an. Vielmehr ist der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG eigenständig zu bestimmen. Allein der Umstand, dass tarifrechtlich die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes nicht mehr besteht, hat daher keine Auswirkungen auf die Auslegung des Begriffs des Angestellten im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG. Das gilt auch, soweit das Bundesverfassungsgericht als ein Merkmal seiner Begriffsbestimmung auf die „herkömmlichen Gesichtspunkte“ zurückgreift. Was hiermit gemeint ist, wird zwar nicht ausdrücklich ausgeführt. Offensichtlich ist jedoch, dass Anknüpfungspunkt die vorhandene Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern war - die allerdings die im Hinblick auf Art. 137 Abs. 1 GG maßgebliche Prägung durch den Zweck der Norm erfährt. Diese „herkömmlichen Gesichtspunkte“ sind durch die Änderungen des Tarifrechts nicht hinfällig geworden. Voraussetzung dafür, dass es sich um einen Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG handelt, ist zunächst, dass ein öffentliches Dienstverhältnis vorliegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978 und v. 06.10.1981, je a.a.O.; Versteyl, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl., Art. 137 Rn. 10; Kohl, a.a.O.). Hinzutreten muss, dass der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichtet, sondern überwiegend eine geistige Tätigkeit. Diese Auslegung entspricht nach den tarifrechtlichen Änderungen den „herkömmlichen Gesichtspunkten“, die Ausgangspunkt der Bestimmung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG sind:
53 
Bereits das Reichsarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zur Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten darauf abgestellt, ob die Tätigkeit des Arbeitnehmers überwiegend geistiger Art ist - dann Angestellter - oder überwiegend körperlicher Art - dann Arbeiter - (vgl. die Nachweise bei BAG, Urt. v. 24.07.1957 - 4 AZR 445/54 - BAGE 5, 98, juris Rn. 21). Das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht haben dieses Unterscheidungskriterium in ihrer Rechtsprechung jeweils auch angewandt (vgl. nur BAG, a.a.O., m.w.N.; BSG, Urt. v. 11.12.1987 - 12 RK 6/86 - juris Rn. 17 ff., m.w.N.). Die rechtswissenschaftliche Literatur ist dem überwiegend gefolgt (vgl. nur Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Aufl. 2000, § 13 Rn. 8; Wlotzke-Volze, in: Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl. 1969, Vor § 611 Rn. 61; kritisch z.B. Richardi, in: Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, § 25 Rn. 15). Die Verwaltungsgerichte haben dieses Kriterium in ihrer Rechtsprechung zu auf Art. 137 Abs. 1 GG beruhenden Inkompatibilitätsvorschriften ebenfalls zugrunde gelegt (vgl. Senat, Beschl. v. 07.05.1996 - 1 S 2988/95 - NVwZ-RR 1997, 246, m.w.N.; OVG NRW, Urt. v. 31.01.1968, a.a.O., S. 15). Zwar haben die Arbeits- und Sozialgerichte auf dieses Kriterium der überwiegend körperlichen oder geistigen Tätigkeit als maßgeblich ausschlaggebenden Gesichtspunkt nur zurückgegriffen, wenn eine Zuordnung nach gesetzlichen Regeln, insbesondere nach § 3 Abs. 1 AVG, und der Verkehrsauffassung der beteiligten Kreise, die insbesondere durch die Tarifpraxis geprägt wurde, nicht zum Erfolg führte (vgl. BAG, Urt. v. 24.07.1957, a.a.O.; BSG Urt. v. 11.12.1987, a.a.O.; Richardi, a.a.O., Rn. 13 f.). Dies ist hier jedoch unerheblich, da es an einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zur Festlegung des Begriffs des Angestellten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG fehlt und die Tarifpraxis hier nicht von Bedeutung ist.
54 
Zudem hat - ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme - die Abgrenzung danach, ob eine überwiegend körperliche oder geistige Tätigkeit ausgeübt wird, auch nach dem geltenden Tarifrecht noch eine gewisse Bedeutung. „Beschäftigte mit einfachsten Tätigkeiten“ sind nach TVöD und TV-L in die Entgeltgruppe 1 einzugruppieren. Wie der Begriff der einfachsten Tätigkeiten zu verstehen ist, hat das Bundesarbeitsgericht im Fall einer Reinigungskraft in einem Pflegeheim nach dem TVöD entschieden: Der Umstand einer mehrtägigen Einarbeitungszeit spricht regelmäßig gegen eine Einordnung als einfachste Tätigkeit. Einfachste Tätigkeiten sind im Wesentlichen gleichförmige und gleichartige - gleichsam „mechanisch“ durchzuführende - Tätigkeiten, deren Verrichtung keine nennenswerten eigenen Überlegungen erfordert. Denn nur dann kann eine kurze Einweisung in die Tätigkeit in der Regel ausreichend sein. Deshalb handelt es sich zumeist auch um Tätigkeiten mit einer klaren Aufgabenzuweisung. Anders verhält es sich, wenn dem Beschäftigten im Rahmen der Aufgaben ein eigenständiger, nicht gänzlich unbedeutender Entscheidungs- oder Verantwortungsbereich übertragen wurde (vgl. BAG, Beschl. v. 28.01.2009 - 4 ABR 92/07 - BAGE 129, 238, juris Rn. 50; ebenso BAG, Beschl. v. 20.05.2009 - 4 ABR 99/08 - BAGE 131, 36, juris Rn. 36). Dies zeigt, dass die Kriterien der körperlichen oder geistigen Arbeit auch außerhalb von Art. 137 Abs. 1 GG weiterhin von Bedeutung sind.
55 
Für die von Masing aufgezeigte Auslegung, alle Bediensteten des öffentlichen Dienstes in den Regelungsgehalt des Art. 137 Abs. 1 GG einzubeziehen und sodann nach Einflussmöglichkeiten auf Behördenentscheidungen und der Wahrscheinlichkeit von Interessenkonflikten zu differenzieren, ist daher kein Raum. Einer solchen Auslegung stehen Wortlaut und Systematik von Art. 137 Abs. 1 GG entgegen. Die Vorschrift erfasst bewusst nur Angestellte des öffentlichen Dienstes und gestattet Wählbarkeitsbeschränkungen für Arbeiter des öffentlichen Dienstes nicht. Eine Ausdehnung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG auf (zunächst) alle Arbeitnehmer, wäre damit, auch wenn in einem zweiten Schritt bestimmte Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich wieder herausfielen, unvereinbar.
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(3) Auch die starke Zunahme der Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst und im kommunalen Bereich im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter führt nicht zu einer geänderten Auslegung.
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Die Daten des Statistischen Bundesamtes, die der Senat eingeholt hat, belegen, dass die Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst seit 1950 bis im Jahre 2004 im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter im öffentlichen Dienst stark zugenommen hat, der Anteil der Arbeiter im öffentlichen Dienst hingegen stark gesunken ist. So betrug 1950 der Anteil der Angestellten an der Gesamtgruppe der Arbeiter und Angestellten 38,8%, im Jahre 2004 hingegen 77,2 %. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Privatisierung der Deutschen Bundespost, die im Jahr 1994 mehr als dreimal so viele Arbeiter wie Angestellte beschäftigte, zu einem sprunghaften Anstieg des Anteils der Angestellten von 1990 zum Jahr 2000 führte, stellt dies die Gesamtentwicklung nicht infrage. Dies zeigen auch die Zahlen für die Gemeinde und Gemeindeverbände. Bei diesen betrug 1950 der Anteil der Angestellten an der Gesamtgruppe der Arbeiter und Angestellten 45,3%, im Jahr 2004 hingegen 73,5 %.
58 
Folge dieser Entwicklung ist, dass 2004 ungefähr drei von vier Arbeitnehmern des unmittelbaren öffentlichen Dienstes unter Wählbarkeitsbeschränkungen fallen können, während bei Inkrafttreten des Grundgesetzes deutlich weniger als die Hälfte dieser Gruppe von diesen Regelungen betroffen sein konnte. Daher stellt sich die Frage, ob diese geänderten tatsächlichen Verhältnisse Auswirkungen auf die Auslegung von Art. 137 Abs. 1 GG haben muss (Verfassungswandel), da das vom Verfassungsgeber verfolgte Ziel, für einen bestimmten personellen Bereich die organisatorische Gewaltenteilung zu verwirklichen, so nicht mehr erreicht wird, sondern von den Wählbarkeitsbeschränkungen möglicherweise auch Personen erfasst werden, die der Verfassungsgeber 1949 ausgenommen wissen wollte. Der Senat hat daher erwogen, ob es aufgrund dieser erheblich gewandelten tatsächlichen Verhältnisse einer geänderten Auslegung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG dahin bedarf, dass nur noch leitende Angestellte darunter fallen. Dies ist jedoch zu verneinen.
59 
Denn nach dem Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG bestehen die Gefahren, denen die Vorschrift vorbeugen will, weiterhin auch bei den nicht leitenden Angestellten von Gemeinden und Landkreisen. Dies gilt unabhängig von der Frage, wie groß die Gruppe der Normbetroffenen ist. Wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht betont hat, würden Angestellte der Gemeinde, wenn sie auch Gemeinderäte sein könnten, der Vertretungskörperschaft angehören, die unmittelbar als Arbeitgeber die Kontrolle über ihre Beschäftigungsstelle ausübt, während der Gemeinde Aufsichtsmaßnahmen oder Disziplinarmaßnahmen unmittelbar gegen die Bediensteten eines privatrechtlich organisierten, öffentlich beherrschten Unternehmens grundsätzlich verwehrt sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O.). Von Bedeutung ist dabei auch, dass es nicht nur auf die Entscheidungsbefugnisse des Angestellten ankommt, sondern auch auf mögliche Interessenkonflikte. Es ist nicht allein maßgeblich, welche Kompetenzen der Betreffende hat. Auch die Vermeidung von Interessenkonflikten ist gerade Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., juris Rn. 39, 41; Beschl. v. 05.06.1998, a.aO., juris Rn. 56; Stober/Lackner, a.a.O., Rn. 327a). Eine Interessenkollision kann sich immer bereits dann ergeben, wenn ein Gemeinderat die ausführende Tätigkeit des Bürgermeisters (in Baden-Württemberg nach § 24 Abs. 1 GemO) zu überwachen hat, obgleich er jenem gegenüber in seinem Beschäftigungsverhältnis weisungsgebunden ist (vgl. Senat, Urt. v. 23.01.1984 - 1 S 2579/83 -, in: Seeger/Füsslin/Vogel, EKBW, GemO § 29 E 4). Für Angestellte des Kreises/der Gemeinde selbst ist die Nähe zum Dienstherrn aufgrund der gegebenen Kontroll-, Aufsichts- und Disziplinarbefugnisse des Kreises/der Gemeinde von vornherein gegeben. Die Möglichkeit von Interessenkonflikten besteht daher für diese Arbeitnehmer unabhängig von der Frage, ob ihnen Leitungsbefugnisse zustehen. Maßgebend ist für diese Angestellte mithin das Dienstverhältnis, nicht die Funktion, die sie innehaben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.08.2004, a.a.O., Rn. 5). Hieran darf der Gesetzgeber mit generalisierenden Tatbeständen anknüpfen. An dieser seit Jahrzehnten bestehenden, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte anerkannten Rechtslage ändert der Umstand, dass die Zahl der Angestellten im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter seit Inkrafttreten des Grundgesetzes stark zugenommen hat, nichts Entscheidendes. Von der Möglichkeit, Wählbarkeitsbeschränkungen zu erlassen, wird daher zwar eine verhältnismäßig wesentlich größere Gruppe erfasst. Der einfache Gesetzgeber ist jedoch nicht verpflichtet, von dieser Ermächtigung umfassend Gebrauch zu machen. Er kann seine Regelungen zu Wählbarkeitsbeschränkungen auch für die unmittelbaren Angestellten des Kreises/der Gemeinde auf leitende Angestellte beschränken, er muss dies jedoch nicht. Im Jahre 2004, dem letzten Zeitpunkt, zu dem belegbare Zahlen vorhanden sind, war die Gruppe der Arbeiter des öffentlichen Dienstes zwar eine deutlich kleinere als noch 1950, aber noch immer eine nennenswerte Gruppe. Konsequenzen aus dieser Entwicklung ergeben sich daher nicht auf der Ebene der Verfassungsauslegung, sondern diese kann der einfache Gesetzgeber auf der Ebene der Gemeindeordnung und der Landkreisordnung durch entsprechende Regelungen ziehen, wenn er das für angebracht hält.
60 
bb) § 24 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO hält sich in den Grenzen der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG. Der durch Satz 2 normierte Ausschluss der Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten, von den Wählbarkeitsbeschränkungen hat zur Folge, dass die Vorschrift nur Angestellte i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG erfasst. Denn der verfassungsrechtliche Begriff des Angestellten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG ist, wie dargelegt, so auszulegen, dass er alle Arbeitnehmer erfasst, die in einem öffentlichen Dienstverhältnis stehen und nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichten, sondern eine überwiegend geistige Tätigkeit. Das neue Recht in § 24 LKrO hat diese Kriterien übernommen und so den Angestelltenbegriff des Art. 137 Abs. 1 GG nachgezeichnet, so dass sich die Vorschrift im Rahmen der Ermächtigung hält (ebenso VGH Bad.-Württ., Normenkontrollurt. v. 15.10.2014 - 3 S 1505/13 - VBlBW 2015, 237; LVfG Bdb., Beschl. v. 26.08.2011, a.a.O., Rn. 74; VG Neustadt, Beschl. v. 07.07.2014 - 3 L 580/14 - juris Rn. 25 und nachfolgend OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.08.2014 - 10 B 10653/14 - NVwZ-RR 2014, 934). Dabei darf der Landesgesetzgeber generell an die Stellung als Angestellter in diesem Sinne anknüpfen, ohne auf die konkret ausgeübte Funktion Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.2002, a.a.O.).
61 
b) Die Wählbarkeitsbeschränkung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO verstößt daher auch nicht gegen das Willkürverbot. Zwischen Tätigkeiten, die überwiegend körperlich geprägt sind, und solchen, die überwiegend geistig geprägt sind, zu differenzieren, entspricht dem Zweck der Ermächtigung in Art. 137 Abs. 1 GG und ist daher nicht zu beanstanden.
62 
c) § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO verstößt nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Gesetzliche Regelungen müssen so gefasst sein, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag. Die Anforderungen an die Bestimmtheit erhöhen sich mit der Intensität, mit der auf der Grundlage der betreffenden Regelung in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen werden kann. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass die Norm dann überhaupt keine Auslegungsprobleme aufwerfen darf. Dem Bestimmtheitserfordernis ist vielmehr genügt, wenn diese mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 <145>; Beschl. v. 11.01.1994 - 1 BvR 434/87 - BVerfGE 90, 1 <16>; je m.w.N.).
63 
Diesen Anforderungen ist hier genügt. Die Feststellung, ob jemand Arbeitnehmer des Landkreises ist, der nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichtet, bereitet in der Regel keine besonderen Probleme. Es handelt sich im Kern um deskriptive Tatbestandsmerkmale, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen in der Regel ohne erhebliche Probleme festgestellt werden kann. Der vom Kläger angeführte Umstand, dass die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern weitgehend an Bedeutung verloren hat, hat keine Bedeutung für die Frage der hinreichenden Bestimmtheit der jetzigen Gesetzesfassung.
64 
d) Auch ein Verstoß der Regelung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO gegen das Übermaßverbot liegt nicht vor. Der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet, dass ein die Grundrechte einschränkendes Gesetz geeignet und erforderlich sein muss, um den erstrebten, legitimen Zweck zu erreichen, und dass - als Ausprägung des Übermaßverbots - bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten der Regelung gewahrt sein muss, so dass die Maßnahme sie nicht übermäßig belastet (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.06.1984 - 1 BvR 1494/78 - BVerfGE 67, 157 <173 ff.>; Beschl. v. 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 u.a. - BVerfGE 90, 145 <172 f.>; je m.w.N.).
65 
Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des Übermaßverbots durch § 24 LKrO nicht vor. Die vom Kläger angeführte faktische Ineligibilität aufgrund der wirtschaftlichen Folgen, die bei der Annahme der Wahl eintreten würden, sind von ihm zumutbarerweise hinzunehmen. Denn es bedarf im kommunalen Bereich keiner besonderen Regelung, um eine Annahme des Mandats tatsächlich zu ermöglichen, da - wie ausgeführt (s. oben unter a) aa) aaa)) das Amt des Gemeinderats grundsätzlich als Ehrenamt ausgestaltet ist. Angesichts der besonderen Verhältnisse im kommunalen Bereich ist der faktische Ausschluss von der Wählbarkeit folglich zumutbare Konsequenz von Inkompatibilitätsregelungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 70f.; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 39). Aus Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, auf den sich der Kläger beruft, ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen.
66 
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass eine Begrenzung der Wählbarkeit mit einer so weitreichenden Folge im Hinblick auf die Bedeutung der Wahlrechtsgleichheit nicht allein mit der verfassungsrechtlichen Ermächtigung aus Art. 137 Abs. 1 GG begründet werden kann. Ein solcher Hinweis genügt zwar für die Einführung der Unvereinbarkeitsregelung. Dadurch wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass Differenzierungen innerhalb gesetzlicher Folgeregelungen, die auf Art. 137 Abs. 1 GG beruhen, jeweils eines sachlichen Grundes bedürfen, der dem Sinn der verfassungsrechtlichen Ermächtigung gerecht wird. Art. 3 Abs. 1 GG wirkt in dieser Weise auch auf die Auslegung der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG ein. Dies muss in gleicher Weise dort gelten, wo als Folge der gesetzlich festgelegten Unvereinbarkeit von Dienststellung und Mandat ein faktischer Ausschluss von der Wählbarkeit in Frage steht. Ein solcher Ausschluss ist als eine mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbare Differenzierung nur gerechtfertigt, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 70f.; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 39). Hieraus ergeben sich jedoch nur Anforderungen für den Fall, dass der Gesetzgeber von der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG in der Weise Gebrauch macht, dass er manche Angestellte von den Unvereinbarkeitsregelungen ausnimmt. Dies ist hier aber nicht der Fall. Mit dem Tatbestandsmerkmal der überwiegenden körperlichen Arbeit hat der Gesetzgeber den Begriff des Angestellten nachgezeichnet. Der Gesetzgeber hat mit § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO nicht bestimmte „Angestellte“ von den Unvereinbarkeitsregelungen ausgenommen; die Frage, welche Anforderungen sich aus Art. 3 Abs. 1 GG bei Differenzierungen ergeben, stellt sich daher nicht.
67 
3. Beim Kläger liegen die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO vor. Als Mitarbeiter eines Eigenbetriebs ist der Kläger Arbeitnehmer des Landkreises i.S.v. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO. Denn Eigenbetriebe sind unselbständige Anstalten des öffentlichen Rechts ohne eigene Rechtspersönlichkeit, deren Handeln dem Landkreis zuzurechnen ist und denen der Bürgermeister gemäß § 10 EigBG Weisungen erteilen kann; dieser ist Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde der Bediensteten des Eigenbetriebs (§ 11 Abs. 5 EigBG). Im Sinne des Art. 137 Abs. 1 GG sind Arbeitnehmer eines Eigenbetriebs daher Arbeitnehmer der öffentlich-rechtlichen Körperschaft selbst (vgl. von Campenhausen, a.a.O., Art. 137 Rn. 26).
68 
§ 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO findet auf den Kläger keine Anwendung. Er verrichtet nicht überwiegend körperliche Arbeit. Das Verwaltungsgericht hat das im angefochtenen Urteil mit eingehender zutreffender Begründung ausgeführt. Insoweit weist der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 130b Satz 2 VwGO). Zum diesbezüglichen Berufungsvorbringen ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass es - wie bereits ausgeführt (s. oben unter 2. a) aa) bbb) und 2. a) bb)) - auf die tarifrechtlichen Fragen, die der Kläger mit der Berufung geltend macht, nicht entscheidend ankommt. Der Gesetzgeber hat mit den Tatbestandsmerkmalen des Arbeitnehmers und des überwiegenden Verrichtens körperlicher Arbeit den Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG zulässig nachgezeichnet. Es ist daher bei der Prüfung, ob diese gesetzlichen Tatbestandsmerkmale im Fall des Klägers erfüllt sind, rechtlich unerheblich, wie die Tätigkeit des Klägers nach altem und neuem Tarifrecht einzustufen wäre. Maßgeblich ist allein, ob er überwiegend körperliche Arbeit verrichtet. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt auch die Erklärung des Klägers - ohne dass es darauf entscheidend ankäme, da der Senat dies selbständig zu prüfen hat - in der Berufungsverhandlung, dass er die tarifrechtliche Einordnung seiner Tätigkeit für maßgeblich halte, die tatsächliche Beschreibung seiner Tätigkeit im erstinstanzlichen Urteil jedoch zutreffe.
69 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Rechtsfrage, wie der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG nach dem Wegfall der Unterscheidung von Angestellten und Arbeitern im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes auszulegen ist, hat über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung.
70 
Beschluss
vom 18. Dezember 2015
71 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
72 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
27 
Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim Verwaltungsgericht eingelegt (vgl. § 124 a Abs. 2 VwGO). Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 3 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO).
28 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klage ist zulässig (I), aber nicht begründet (II).
29 
I. Die Umstellung der - bis dahin - zulässigen Anfechtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist zulässig, ohne dass die Voraussetzzungen, die § 91 VwGO an die Zulässigkeit einer Klageänderung stellt, vorliegen müssen (vgl. nur Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 113 Rn. 241).
30 
Ein Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr ist hier gegeben. Es liegt vor, wenn der Kläger mit einer Wiederholung der erledigten Maßnahme rechnen muss. Es müssen konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt einer vergleichbaren Belastung bei einem vergleichbaren und abzusehenden Sachverhalt vorgetragen werden. Ein solches Interesse setzt die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige behördliche Maßnahme ergehen wird. Nicht ausreichend ist die vage oder abstrakte Möglichkeit einer Wiederholung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.01.1995 - 8 B 168.94 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 272; Senat, Urt. v. 24.11.1994 - 1 S 2909/93 - DVBl. 1995, 367; Beschl. v. 16.07.2012 - 1 S 997/12 -; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.07.2010 - 10 S 2400/09 - ESVGH 61, 51; OVG NRW, Urt. v. 24.11.1998 - 5 A 1107/96 - NJW 1999, 2202). Zudem ist Voraussetzung, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 08.02.2011 - 1 BVR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier zu bejahen. Der Kläger ist erneut Nachrücker in den Kreistag für seine Partei. Da der Beklagte an seiner Rechtsauffassung zu Hinderungsgründen in der Person des Klägers festhält, ist für den Fall des Nachrückens mit einer erneuten, auf denselben Gründen wie bisher beruhenden Feststellung des Vorliegens von Hinderungsgründen zu rechnen. Zwar steht nicht fest, ob der Fall des Nachrückens eintritt. Die Möglichkeit ist jedoch aufgrund der Stellung des Klägers als erster Nachrücker nicht rein abstrakt. Andernfalls müsste der Kläger, wenn der Fall des Nachrückens eintritt, erneut Rechtsschutz gegen eine Feststellung des Vorliegens von Hinderungsgründen in Anspruch nehmen und müsste damit rechnen, dass wegen Ablaufs der Wahlperiode wiederum Erledigung eintritt.
31 
II. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht begründet. Die Feststellung in dem Bescheid des O.-kreises vom 23.10.2012 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18.12.2012, dass beim Kläger Hinderungsgründe nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a LKrO vorlagen, war rechtmäßig.
32 
Nach § 24 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO können Arbeitnehmer des Landkreises nicht Kreisräte sein. Die Vorschrift findet gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO keine Anwendung auf Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten. Die Feststellung in den genannten Bescheiden, dass beim Kläger Hinderungsgründe nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO gegeben sind, war rechtmäßig. Für diese Vorschrift enthält Art. 137 Abs. 1 GG eine wirksame verfassungsrechtliche Ermächtigung (1). § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO selbst ist verfassungsgemäß, hält sich insbesondere im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG und ist auch nicht aus sonstigen Gründen verfassungswidrig (2). Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO lagen beim Kläger vor (3).
33 
1. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO beschränkt die Wählbarkeit von Arbeitnehmern des Landkreises und damit die in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Allgemeinheit und Gleichheit der Wahlen in Kreisen. Eine solche Beschränkung ist nur zulässig, wenn hierfür eine verfassungsrechtliche Ermächtigung vorliegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978 - 2 BvR 1108/77 - BVerfGE 48, 64, juris Rn. 57 ff.; Beschl. v. 07.04.1981 - 2 BvR 1210/80 - BVerfGE 57, 43, juris Rn. 40; Beschl. v. 06.10.1981 - 2 BvR 348/81 - BVerfGE 58, 177, juris Rn. 33). Diese liegt mit Art. 137 Abs. 1 GG vor. Danach kann die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern im Bund, in den Ländern und den Gemeinden gesetzlich beschränkt werden.
34 
Die Ermächtigungsrundlage für Beschränkungen der Wählbarkeit in Art. 137 Abs. 1 GG ist auch nicht wegen Funktionslosigkeit außer Kraft getreten. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten vollständig aufgegeben und der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG daher vollständig bedeutungslos geworden sei - was nicht der Fall ist (s. unten unter 2) -, kann ein Außerkrafttreten aufgrund Funktionslosigkeit nicht angenommen werden. Aus einer solchen Entwicklung Konsequenzen im Hinblick auf die Gültigkeit von Art. 137 Abs. 1 GG zu ziehen, ist dem Gesetzgeber vorbehalten (vgl. allgemein: Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 1997, S. 475f., 483ff.; ähnlich Schneider, Gesetzgebung, 1991, Rn. 559; BFH, Urt. v. 19.01.1999 - VII R 24/98 - BFHE 188, 222, juris Rn. 23), hier mithin dem Verfassungsgeber. Für Bebauungspläne, die als Rechtsnormen erlassen werden, ist ein Außerkrafttreten zwar möglich, wenn ihre Verwirklichung wegen einer neuen tatsächlichen Entwicklung in evidenter Weise auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1977 - 4 C 39.75 - BVerwGE 54, 5 <9>; Urt. v. 03.12.1998 - 4 CN 3.97 - BVerwGE 108, 71, juris Rn. 16; Beschl. v. 22.07.2013 - 7 BN 1.13 - juris Rn. 6).Dies hat seinen Grund jedoch darin, dass Bebauungspläne in einem ungleich stärkeren Maße wirklichkeitsbezogen sind als abstrakt-allgemeinen Rechtssätze im herkömmlichen Sinne. Sie sind weniger auf Geltung als auf konkrete Erfüllung angelegt und dadurch auch anfälliger, durch tatsächliche Entwicklungen in ihrer Funktion gestört und dadurch in ihrer Geltung in Frage gestellt zu werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1977, a.a.O.). Für Verfassungsnormen trifft dies jedoch nicht zu. Ein Wandel der tatsächlichen Verhältnisse kann zwar Auswirkungen auf die Auslegung von Verfassungsbestimmungen haben (s. sogleich unter 2.). Im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes ist die Entscheidung über ein Außerkrafttreten einer Verfassungsnorm jedoch dem Parlament vorbehalten, wie nicht zuletzt Art. 79 GG zeigt.
35 
Zusätzlich zu Art. 137 Abs. 1 GG ist eine landesverfassungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage entgegen der Auffassung des Klägers nicht erforderlich. Auch das Brandenburgische Verfassungsgericht hat eine solche für Brandenburg nicht für notwendig gehalten, sondern lediglich die dort vorhandene Verfassungsbestimmung geprüft (vgl. LVfG Bdb., Beschl. v. 26.08.2011, a.a.O., Rn. 41ff.).
36 
2. Die Beschränkung der Wählbarkeit durch § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO ist verfassungsgemäß. Sie hält sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG (a) und verstößt weder gegen den das Willkürverbot (b) noch gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (c) oder das Übermaßverbot (d).
37 
a) Überschreitet eine Einschränkung des passiven Wahlrechts die durch Art. 137 Abs. 1 GG vorgegebenen verfassungsrechtlichen Grenzen, verletzt diese Regelung den Grundsatz der Gleichheit der Wahl und damit Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.04.1981, a.a.O., Rn. 43). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die Grenzen der durch Art. 137 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber eingeräumten Befugnisse im Hinblick auf Angestellte des öffentlichen Dienstes (aa) werden durch § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO eingehalten (bb).
38 
aa) Der Begriff der Angestellten des öffentlichen Dienstes ist, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, nach herkömmlichen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG zu bestimmen. Für die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG ist die ratio der Verfassungsbestimmung ausschlaggebend (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.01.1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 38, 326, juris Rn. 46; Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 63 ff.).
39 
Hieran ist weiterhin festzuhalten. Der Zweck der Norm (aaa) prägt weiterhin die Auslegung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG. Dieser Begriff greift nicht lediglich eine im einfachen Recht und/oder den tatsächlichen Verhältnissen vorhandene Unterscheidung von Angestellten und Arbeitern auf, sondern enthält einen eigenständigen Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes, für den die tarifrechtliche Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern nicht von entscheidender Bedeutung ist (bbb); ein Verfassungswandel, der zu einer geänderten Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG führt, liegt nicht vor (ccc).
40 
aaa) Art. 137 Abs. 1 GG dient allgemein der Sicherung der organisatorischen Gewaltenteilung gegen Gefahren, die durch das Zusammentreffen von beruflicher Stellung und Mandatswahrnehmung entstehen können. Es geht darum zu verhindern, dass durch "Personalunion" die Parlamentarier als Kontrolleure sich selbst kontrollieren. So soll der Gefahr von Entscheidungskonflikten und Verfilzungen entgegengewirkt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.01.1961 - 2 BvR 547/60 - BVerfGE 12, 73, juris Rn. 22; Beschl. v. 27.10.1964 - 2 BvR 319/61 - BVerfGE 18, 172, juris Rn. 34f.; Beschl. v. 21.01.1975, a.a.O., Rn. 46; Beschl. v. 07.04.1981, a.a.O., Rn. 53; Beschl. v. 05.06.1998 - 2 BvL 2/97 - BVerfGE 98, 145, juris Rn. 56, m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 26.08.2004 - 2 B 31.04 - Buchholz 11 Art. 137 GG Nr. 2). Die Anordnung einer Inkompatibilität ist - als eine sachgerechte Ausgestaltung des passiven Wahlrechts - von der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG nur gedeckt, wenn sie nur gewählte Bewerber betrifft, deren berufliche Stellung die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit von Interessen- und Entscheidungskonflikten nahelegt. Da es jedoch schwierig ist, eine genaue Grenze festzulegen zwischen solchen Funktionsträgern, deren Tätigkeit sie in den bezeichneten Interessenkonflikt bringen kann, und solchen, deren Tätigkeit sie nicht diesem Konflikt aussetzt, ist dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum bei der Bestimmung der von der Inkompatibilität betroffenen beruflichen Stellungen zuzugestehen. Insbesondere kann der Gesetzgeber die Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG durch generalisierende Tatbestände ausschöpfen, die an die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktlage anknüpfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 51; Beschl. v. 05.06.1998, a.a.O., Rn. 56; BVerwG, Urt. v. 29.07.2002 - 8 C 22.01 - BVerwGE 117, 11). Der Gesetzgeber hat zwar einen weiten Gestaltungsspielraum, wenn er von der ihm durch Art. 137 Abs. 1 GG eingeräumten Ermächtigung nicht durch eine diese ausschöpfende Inkompatibilitätsregelung Gebrauch macht, stattdessen differenzierend vorgeht und bestimmte Personengruppen von der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat ausnimmt, darf dabei aber keine willkürlichen oder systemwidrigen Unterscheidungen treffen (so StGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.07.1981 - GR 2/80 - VBlBW 1981, 348; OVG Berlin, Urt. v. 18.11.2003 - 4 B 7.03 - juris).
41 
Art. 137 Abs. 1 GG lässt gesetzliche Beschränkungen der Wählbarkeit der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zur Verhinderung des Zusammentreffens von Amt und Mandat zu. Das bedeutet, dass die darauf beruhenden Unvereinbarkeitsvorschriften die Übernahme des Wahlmandats durch den Gewählten von der gleichzeitigen Entbindung von seinen Aufgaben innerhalb seines öffentlichen Dienstverhältnisses abhängig machen kann. Eine solche gesetzliche Regelung darf jedoch nicht den Ausschluss von der Wählbarkeit (Ineligibilität) anordnen. Der Gesetzgeber kann demnach zwar Inkompatibilitätsnormen, nicht aber Ineligibilitätsnormen erlassen. Eine Ineligibilität liegt aber nicht nur dann vor, wenn ein Bewerber rechtlich von der Bewerbung für das Mandat, von dessen Annahme oder von seiner Ausübung ausgeschlossen wird; sie ist vielmehr auch dann gegeben, wenn der Betroffene sich wegen der Folgen der gesetzlichen Regelung außerstande sieht, sich für das Mandat zu entscheiden (st. Rspr, vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 69; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 38; je m.w.N.).
42 
Im kommunalen Bereich bedarf es insoweit jedoch keiner besonderen Regelungen (z.B. Kündigungsschutz, Beurlaubungsanspruch), um eine Annahme des Mandats tatsächlich zu ermöglichen. Denn die Ausübung des Mandats in der Gemeindevertretung ist Erfüllung einer allgemeinen Bürgerpflicht, nicht Tätigkeit zur Sicherstellung der materiellen Lebensgrundlage. Deshalb ist das Amt des Gemeinderats grundsätzlich als Ehrenamt ausgestaltet. Auf dieser Ebene ist für aufwändige Auffangregelungen zur Abwendung des faktischen Ausschlusses von der Wählbarkeit kein Raum. Der Grundsatz, dass Art. 137 Abs. 1 GG nur eine Wählbarkeitsbeschränkung, nicht aber eine Ausschließung, auch nicht eine faktische, erlaubt, gilt daher nicht unbegrenzt. Angesichts der besonderen Verhältnisse im kommunalen Bereich ist der faktische Ausschluss von der Wählbarkeit zumutbare Konsequenz von Inkompatibilitätsregelungen. Eine Begrenzung der Wählbarkeit mit einer so weitreichenden Folge kann im Hinblick auf die Bedeutung der Wahlrechtsgleichheit allerdings nicht allein mit der verfassungsrechtlichen Ermächtigung aus Art. 137 Abs. 1 GG begründet werden. Ein solcher Hinweis genügt zwar für die Einführung der Unvereinbarkeitsregelung. Dadurch wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass Differenzierungen innerhalb gesetzlicher Folgeregelungen, die auf Art. 137 Abs. 1 GG beruhen, jeweils eines sachlichen Grundes bedürfen, der dem Sinn der verfassungsrechtlichen Ermächtigung gerecht wird. Art. 3 Abs. 1 GG wirkt in dieser Weise auch auf die Auslegung der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG ein. Dies muss in gleicher Weise dort gelten, wo als Folge der gesetzlich festgelegten Unvereinbarkeit von Dienststellung und Mandat ein faktischer Ausschluss von der Wählbarkeit in Frage steht. Ein solcher Ausschluss aber ist als eine mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbare Differenzierung nur gerechtfertigt, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 70f.; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 39).
43 
bbb) Dieser Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG ist für die Auslegung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes maßgeblich. Das Bundesverfassungsgericht betont dabei, dass es nicht notwendigerweise einen in allen Rechtsbereichen gleichen Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes gibt. Seine Bedeutung und Abgrenzung muss deshalb durch Auslegung der jeweils maßgebenden Vorschrift ermittelt werden. Wer zu der hier gemeinten Gruppe der Angestellten des öffentlichen Dienstes gehört, ist nach herkömmlichen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG zu bestimmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.01.1975, a.a.O., Rn. 46; Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 63 ff.). Diese Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichts - dass es keinen einheitlichen Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes gibt und dass die Begriffsbestimmung nach herkömmlichen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG erfolgen muss - werden in der staatsrechtlichen Literatur vielfach geteilt (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 137 Rn. 53 ; Stober/Lackner, in: BK, Art. 137 Abs. 1 Rn. 322 ; Versteyl, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl., Art. 137 Rn. 10; Kohl, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. II, 2002, 137 Rn. 17; wohl auch Butzer, in: Epping/Hillgruber, GG, 2. Aufl., Art. 137 Rn. 9; unklar: Pieper, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl., Art. 137 Rn. 13).
44 
Aus dieser Begriffsbestimmung folgt, dass Art. 137 Abs. 1 GG mit dem Tatbestandsmerkmal des Angestellten des öffentlichen Dienstes sich nicht in der Anknüpfung an einen im einfachen Recht, in Tarifverträgen und den tatsächlichen Lebensverhältnissen vorhandenen Typus des Angestellten erschöpft, sondern eine eigenständige Begriffsbestimmung vornimmt. Das Tatbestandsmerkmal des Angestellten des öffentlichen Dienstes ist autonom, unabhängig vom Angestelltenbegriff in sonstigen Bereichen auszulegen. Mit der Anknüpfung an herkömmliche Gesichtspunkte ist bzw. war Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung zwar der im einfachen Recht, Tarifbestimmungen und tatsächlichen Verhältnissen vorzufindende Typus des Angestellten, die besondere Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG gibt dem Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG jedoch sein Gepräge. Dies zeigen insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Wählbarkeitsbeschränkungen für Angestellte in privatrechtlich organisierten Unternehmen, die öffentlich beherrscht sind, und die Bestimmung des Begriffs des Beamten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG:
45 
Unter Art. 137 Abs. 1 GG fallen auch die Angestellten, die zwar nicht einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn unterstehen, die aber aufgrund der Ausgestaltung ihres Beschäftigungsverhältnisses, der besonderen Zusammensetzung und Organisation der Spitze ihres Unternehmens sowie der Eigenart ihrer Tätigkeit und ihres Aufgabenbereichs in einer solch engen Beziehung zur öffentlichen Hand stehen, dass im Hinblick auf die naheliegende Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit von Interessenkonflikten und Entscheidungskonflikten von Verfassungs wegen ihre Einbeziehung in die Ermächtigung nach Art. 137 Abs. 1 GG unabweislich ist. Zu den Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG zählen daher jedenfalls die leitenden Angestellten solcher privater Unternehmen, an denen die öffentliche Hand mehrheitlich beteiligt ist. Diese Angestellten haben aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung im Unternehmen wesentlichen Einfluss auf die tragenden Entscheidungen. Sie wirken maßgeblich bei der Bestimmung der Grundlinien der Unternehmenspolitik und der Geschäftspraxis mit. Über eine gleichzeitige Mitgliedschaft im Gemeinderat könnten sie maßgeblichen Einfluss auf die Zusammensetzung und Willensbildung der von der kommunalen Vertretung beherrschten Unternehmensorgane ausüben. Diese sich aus dem besonderen dienstrechtlichen Aufgabenbereich ergebenden Gefährdungsmomente fehlen in der Regel bei den Angestellten solcher Unternehmen in nicht herausgehobener Stellung. Bei ihnen besteht eine Distanz zur öffentlichen Hand, die es verbietet, sie zu den Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG zu zählen. Hingegen würden Angestellte öffentlich-rechtlicher Dienstherren wie Gemeinden und Landkreise, die in nicht herausgehobener Stellung tätig sind, für den Fall, dass sie Gemeinderäte oder Kreisräte sind, der Vertretungskörperschaft angehören, die unmittelbar die Kontrolle über ihre Beschäftigungsstelle ausübt. Das unterscheidet ihre Stellung maßgeblich von der einfacher Angestellter in öffentlich beherrschten, privatrechtlich organisierten Unternehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 63ff.; Beschl. v. 21.01.1975, a.a.O., Rn. 46).
46 
Dass es sich um eine autonome, von Kriterien des einfachen Rechts unabhängige Begriffsbestimmung handelt, zeigt ebenso die Auslegung des Begriffs des Beamten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG. Auch insoweit ist anhand des Zwecks des Art. 137 Abs. 1 GG detailliert zu prüfen, inwiefern Gefahren für die organisatorische Gewaltenteilung bestehen. Der Begriff des Beamten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG ist nicht nach dem allgemeinen Beamtenrecht zu bestimmen. Für Art. 137 Abs. 1 GG muss die Bedeutung und Tragweite des Begriffs des Beamten insoweit aus der ratio der Verfassungsnorm selbst bestimmt werden. Es bedarf daher gegebenenfalls einer eingehenden Analyse, ob Gefahren für die organisatorische Gewaltenteilung bestehen (so BVerfG, Beschl. v. 07.04.1981, a.a.O., Rn. 52, zum Ruhestandsbeamten; anders noch BVerfG, Beschl. v. 27.10.1964, Rn. 10).
47 
Aus dieser eigenständigen Bestimmung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG folgt, dass die tarifrechtliche Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern für die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG nicht von entscheidender Bedeutung ist (vgl. Stober/Lackner, a.a.O., Rn. 325; von Campenhausen/Unruh, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl., Art. 137 Rn. 21; Versteyl, a.a.O., Rn. 10; ebenso OVG NRW, Urt. v. 31.01.1968 - III A 673/67 - OVGE 24, 8 <10>; unklar mit einem Abstellen auf die „Konkretisierungen des öffentlichen Dienstrechts“: Leisner, in: Sodan, GG, 3. Aufl., Art. 137 Rn. 4; Butzer, a.a.O.). Dies wurde in der Literatur auch so gesehen, als es diese tarifrechtliche Unterscheidung noch gab (vgl. Versteyl, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 3, 2. Aufl. 1983, Art. 137 Rn. 6; von Campenhausen, in: von Mangoldt/Klein, GG, Bd. 14, 3. Aufl. 1991, Art. 137 Rn. 25).
48 
ccc) An dieser Auslegung ist festzuhalten. Sie erfährt auch durch geänderte Verhältnisse keine Änderung. Weder der Wegfall der Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes noch die Zunahme der Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter seit Inkrafttreten des Grundgesetzes bis zum Jahr 2004 begründen einen Verfassungswandel oder eine Neubestimmung der zugrundliegenden Begriffsbestimmungen.
49 
(1) Die Normen des Grundgesetzes sind mit Hilfe der gängigen Auslegungsmethoden, nach Wortlaut, Systematik, Zweck und Entstehungsgeschichte auszulegen (vgl. nur Starck, in: HStR XII, 3. Aufl., § 271 Rn. 17; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl., Einl. Rn. 11; je m.w.N.). Eine Verfassungsvorschrift darf nicht allein aus ihrem Wortlaut heraus isoliert ausgelegt werden. Alle Verfassungsbestimmungen müssen vielmehr so ausgelegt werden, dass sie mit den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes und seiner Wertordnung vereinbar sind. Um Sinngehalt und Tragweite von Verfassungsbestimmungen, denen oft eine lapidare Sprachgestalt eigen ist, richtig zu erfassen, ist der Blick auf das rechtliche und historische Umfeld der Entstehung der Verfassungsnorm sowie auf ihre Zielrichtung erforderlich. Die Grenzen der Auslegung von Verfassungsrecht liegen dort, wo einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Vorschrift ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm grundlegend neu bestimmt oder das normative Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt würde (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.12.1970 - 2 BvF 1/69 - BVerfGE 30, 1, juris Rn. 70; Beschl. v. 23.11.1988 - 2 BvR 1619/83 u.a. - BVerfGE 79, 127, juris Rn. 41; Urt. v. 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98 u.a. - BVerfGE 109, 279, juris Rn. 134; je m.w.N.).
50 
Dies schließt jedoch Änderungen der Verfassungsauslegung nicht aus. Denn gewandelte Rechtsauffassungen und Weiterentwicklungen auch des einfachen Rechts können im Rahmen eines Verfassungswandels auch ohne Änderung des Verfassungstextes zu einer geänderten Verfassungsauslegung führen. Eine Verfassungsbestimmung kann einen Bedeutungswandel insbesondere dann erfahren, wenn in ihrem Bereich neue, nicht vorausgesehene Tatbestände auftauchen oder bekannte Tatbestände durch ihre Einordnung in den Gesamtablauf einer Entwicklung in neuer Beziehung oder Bedeutung erscheinen (vgl. BVerfG, Urt. v. 01.07.1953 - 1 BvL 23/51 - BVerfGE 2, 380, Rn. 73; Gutachten v. 16.06.1954 - 1 PBvV 2/52 - BVerfGE 3, 407, juris Rn. 69; Plenumsbeschl. v. 08.04.1997 - 1 PBvU 1/95 - BVerfGE 95, 322, juris Rn. 37ff.; Badura, in: HStR XII, 3. Aufl., § 270 Rn. 14ff.).
51 
(2) Eine Neubestimmung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne des Art. 137 Abs. 1 GG fordertMasing. Das öffentliche Dienstrecht nehme eine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht mehr vor. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung in Art. 137 Abs. 1 GG finde demnach keine einfachrechtliche Entsprechung mehr. Sowohl im Tarif- wie im Rentenversicherungsrecht, welches traditionell zur Bestimmung des Angestellten- bzw. Arbeiterbegriffs herangezogen worden sei, sei die hergebrachte Unterscheidung inzwischen aufgegeben und nur noch einheitlich von Arbeitnehmern bzw. Beschäftigten die Rede. Für die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG könne aus dieser Rechtsentwicklung nur folgen, zukünftig alle Bediensteten des öffentlichen Dienstes in den Regelungsgehalt des Art. 137 Abs. 1 GG einzubeziehen, um dann doch hinsichtlich der Einflussmöglichkeiten auf Behördenentscheidungen und der damit zusammenhängenden Wahrscheinlichkeit von Gefahren gewaltenteilungsbedingter Interessenkonflikte zu unterscheiden (vgl. Masing, in: Dreier, GG, Bd. III, 2. Aufl., Art. 137 Rn. 10f.; kritisch hierzu von Campenhausen/Unruh, a.a.O., Rn. 20)
52 
Dem ist nicht zu folgen. Der TVöD unterscheidet seit dem 01.10.2005 nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten, sondern kennt nur noch den einheitlichen Begriff des Arbeitnehmers; für den TV-L gilt dies ebenso. Der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG knüpft jedoch, wie dargelegt, nicht an eine in den tatsächlichen Verhältnissen, im einfachen Recht und in Tarifverträgen vorhandene Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten an. Vielmehr ist der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG eigenständig zu bestimmen. Allein der Umstand, dass tarifrechtlich die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes nicht mehr besteht, hat daher keine Auswirkungen auf die Auslegung des Begriffs des Angestellten im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG. Das gilt auch, soweit das Bundesverfassungsgericht als ein Merkmal seiner Begriffsbestimmung auf die „herkömmlichen Gesichtspunkte“ zurückgreift. Was hiermit gemeint ist, wird zwar nicht ausdrücklich ausgeführt. Offensichtlich ist jedoch, dass Anknüpfungspunkt die vorhandene Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern war - die allerdings die im Hinblick auf Art. 137 Abs. 1 GG maßgebliche Prägung durch den Zweck der Norm erfährt. Diese „herkömmlichen Gesichtspunkte“ sind durch die Änderungen des Tarifrechts nicht hinfällig geworden. Voraussetzung dafür, dass es sich um einen Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG handelt, ist zunächst, dass ein öffentliches Dienstverhältnis vorliegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978 und v. 06.10.1981, je a.a.O.; Versteyl, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl., Art. 137 Rn. 10; Kohl, a.a.O.). Hinzutreten muss, dass der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichtet, sondern überwiegend eine geistige Tätigkeit. Diese Auslegung entspricht nach den tarifrechtlichen Änderungen den „herkömmlichen Gesichtspunkten“, die Ausgangspunkt der Bestimmung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG sind:
53 
Bereits das Reichsarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zur Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten darauf abgestellt, ob die Tätigkeit des Arbeitnehmers überwiegend geistiger Art ist - dann Angestellter - oder überwiegend körperlicher Art - dann Arbeiter - (vgl. die Nachweise bei BAG, Urt. v. 24.07.1957 - 4 AZR 445/54 - BAGE 5, 98, juris Rn. 21). Das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht haben dieses Unterscheidungskriterium in ihrer Rechtsprechung jeweils auch angewandt (vgl. nur BAG, a.a.O., m.w.N.; BSG, Urt. v. 11.12.1987 - 12 RK 6/86 - juris Rn. 17 ff., m.w.N.). Die rechtswissenschaftliche Literatur ist dem überwiegend gefolgt (vgl. nur Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Aufl. 2000, § 13 Rn. 8; Wlotzke-Volze, in: Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl. 1969, Vor § 611 Rn. 61; kritisch z.B. Richardi, in: Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, § 25 Rn. 15). Die Verwaltungsgerichte haben dieses Kriterium in ihrer Rechtsprechung zu auf Art. 137 Abs. 1 GG beruhenden Inkompatibilitätsvorschriften ebenfalls zugrunde gelegt (vgl. Senat, Beschl. v. 07.05.1996 - 1 S 2988/95 - NVwZ-RR 1997, 246, m.w.N.; OVG NRW, Urt. v. 31.01.1968, a.a.O., S. 15). Zwar haben die Arbeits- und Sozialgerichte auf dieses Kriterium der überwiegend körperlichen oder geistigen Tätigkeit als maßgeblich ausschlaggebenden Gesichtspunkt nur zurückgegriffen, wenn eine Zuordnung nach gesetzlichen Regeln, insbesondere nach § 3 Abs. 1 AVG, und der Verkehrsauffassung der beteiligten Kreise, die insbesondere durch die Tarifpraxis geprägt wurde, nicht zum Erfolg führte (vgl. BAG, Urt. v. 24.07.1957, a.a.O.; BSG Urt. v. 11.12.1987, a.a.O.; Richardi, a.a.O., Rn. 13 f.). Dies ist hier jedoch unerheblich, da es an einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zur Festlegung des Begriffs des Angestellten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG fehlt und die Tarifpraxis hier nicht von Bedeutung ist.
54 
Zudem hat - ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme - die Abgrenzung danach, ob eine überwiegend körperliche oder geistige Tätigkeit ausgeübt wird, auch nach dem geltenden Tarifrecht noch eine gewisse Bedeutung. „Beschäftigte mit einfachsten Tätigkeiten“ sind nach TVöD und TV-L in die Entgeltgruppe 1 einzugruppieren. Wie der Begriff der einfachsten Tätigkeiten zu verstehen ist, hat das Bundesarbeitsgericht im Fall einer Reinigungskraft in einem Pflegeheim nach dem TVöD entschieden: Der Umstand einer mehrtägigen Einarbeitungszeit spricht regelmäßig gegen eine Einordnung als einfachste Tätigkeit. Einfachste Tätigkeiten sind im Wesentlichen gleichförmige und gleichartige - gleichsam „mechanisch“ durchzuführende - Tätigkeiten, deren Verrichtung keine nennenswerten eigenen Überlegungen erfordert. Denn nur dann kann eine kurze Einweisung in die Tätigkeit in der Regel ausreichend sein. Deshalb handelt es sich zumeist auch um Tätigkeiten mit einer klaren Aufgabenzuweisung. Anders verhält es sich, wenn dem Beschäftigten im Rahmen der Aufgaben ein eigenständiger, nicht gänzlich unbedeutender Entscheidungs- oder Verantwortungsbereich übertragen wurde (vgl. BAG, Beschl. v. 28.01.2009 - 4 ABR 92/07 - BAGE 129, 238, juris Rn. 50; ebenso BAG, Beschl. v. 20.05.2009 - 4 ABR 99/08 - BAGE 131, 36, juris Rn. 36). Dies zeigt, dass die Kriterien der körperlichen oder geistigen Arbeit auch außerhalb von Art. 137 Abs. 1 GG weiterhin von Bedeutung sind.
55 
Für die von Masing aufgezeigte Auslegung, alle Bediensteten des öffentlichen Dienstes in den Regelungsgehalt des Art. 137 Abs. 1 GG einzubeziehen und sodann nach Einflussmöglichkeiten auf Behördenentscheidungen und der Wahrscheinlichkeit von Interessenkonflikten zu differenzieren, ist daher kein Raum. Einer solchen Auslegung stehen Wortlaut und Systematik von Art. 137 Abs. 1 GG entgegen. Die Vorschrift erfasst bewusst nur Angestellte des öffentlichen Dienstes und gestattet Wählbarkeitsbeschränkungen für Arbeiter des öffentlichen Dienstes nicht. Eine Ausdehnung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG auf (zunächst) alle Arbeitnehmer, wäre damit, auch wenn in einem zweiten Schritt bestimmte Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich wieder herausfielen, unvereinbar.
56 
(3) Auch die starke Zunahme der Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst und im kommunalen Bereich im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter führt nicht zu einer geänderten Auslegung.
57 
Die Daten des Statistischen Bundesamtes, die der Senat eingeholt hat, belegen, dass die Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst seit 1950 bis im Jahre 2004 im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter im öffentlichen Dienst stark zugenommen hat, der Anteil der Arbeiter im öffentlichen Dienst hingegen stark gesunken ist. So betrug 1950 der Anteil der Angestellten an der Gesamtgruppe der Arbeiter und Angestellten 38,8%, im Jahre 2004 hingegen 77,2 %. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Privatisierung der Deutschen Bundespost, die im Jahr 1994 mehr als dreimal so viele Arbeiter wie Angestellte beschäftigte, zu einem sprunghaften Anstieg des Anteils der Angestellten von 1990 zum Jahr 2000 führte, stellt dies die Gesamtentwicklung nicht infrage. Dies zeigen auch die Zahlen für die Gemeinde und Gemeindeverbände. Bei diesen betrug 1950 der Anteil der Angestellten an der Gesamtgruppe der Arbeiter und Angestellten 45,3%, im Jahr 2004 hingegen 73,5 %.
58 
Folge dieser Entwicklung ist, dass 2004 ungefähr drei von vier Arbeitnehmern des unmittelbaren öffentlichen Dienstes unter Wählbarkeitsbeschränkungen fallen können, während bei Inkrafttreten des Grundgesetzes deutlich weniger als die Hälfte dieser Gruppe von diesen Regelungen betroffen sein konnte. Daher stellt sich die Frage, ob diese geänderten tatsächlichen Verhältnisse Auswirkungen auf die Auslegung von Art. 137 Abs. 1 GG haben muss (Verfassungswandel), da das vom Verfassungsgeber verfolgte Ziel, für einen bestimmten personellen Bereich die organisatorische Gewaltenteilung zu verwirklichen, so nicht mehr erreicht wird, sondern von den Wählbarkeitsbeschränkungen möglicherweise auch Personen erfasst werden, die der Verfassungsgeber 1949 ausgenommen wissen wollte. Der Senat hat daher erwogen, ob es aufgrund dieser erheblich gewandelten tatsächlichen Verhältnisse einer geänderten Auslegung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG dahin bedarf, dass nur noch leitende Angestellte darunter fallen. Dies ist jedoch zu verneinen.
59 
Denn nach dem Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG bestehen die Gefahren, denen die Vorschrift vorbeugen will, weiterhin auch bei den nicht leitenden Angestellten von Gemeinden und Landkreisen. Dies gilt unabhängig von der Frage, wie groß die Gruppe der Normbetroffenen ist. Wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht betont hat, würden Angestellte der Gemeinde, wenn sie auch Gemeinderäte sein könnten, der Vertretungskörperschaft angehören, die unmittelbar als Arbeitgeber die Kontrolle über ihre Beschäftigungsstelle ausübt, während der Gemeinde Aufsichtsmaßnahmen oder Disziplinarmaßnahmen unmittelbar gegen die Bediensteten eines privatrechtlich organisierten, öffentlich beherrschten Unternehmens grundsätzlich verwehrt sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O.). Von Bedeutung ist dabei auch, dass es nicht nur auf die Entscheidungsbefugnisse des Angestellten ankommt, sondern auch auf mögliche Interessenkonflikte. Es ist nicht allein maßgeblich, welche Kompetenzen der Betreffende hat. Auch die Vermeidung von Interessenkonflikten ist gerade Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., juris Rn. 39, 41; Beschl. v. 05.06.1998, a.aO., juris Rn. 56; Stober/Lackner, a.a.O., Rn. 327a). Eine Interessenkollision kann sich immer bereits dann ergeben, wenn ein Gemeinderat die ausführende Tätigkeit des Bürgermeisters (in Baden-Württemberg nach § 24 Abs. 1 GemO) zu überwachen hat, obgleich er jenem gegenüber in seinem Beschäftigungsverhältnis weisungsgebunden ist (vgl. Senat, Urt. v. 23.01.1984 - 1 S 2579/83 -, in: Seeger/Füsslin/Vogel, EKBW, GemO § 29 E 4). Für Angestellte des Kreises/der Gemeinde selbst ist die Nähe zum Dienstherrn aufgrund der gegebenen Kontroll-, Aufsichts- und Disziplinarbefugnisse des Kreises/der Gemeinde von vornherein gegeben. Die Möglichkeit von Interessenkonflikten besteht daher für diese Arbeitnehmer unabhängig von der Frage, ob ihnen Leitungsbefugnisse zustehen. Maßgebend ist für diese Angestellte mithin das Dienstverhältnis, nicht die Funktion, die sie innehaben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.08.2004, a.a.O., Rn. 5). Hieran darf der Gesetzgeber mit generalisierenden Tatbeständen anknüpfen. An dieser seit Jahrzehnten bestehenden, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte anerkannten Rechtslage ändert der Umstand, dass die Zahl der Angestellten im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter seit Inkrafttreten des Grundgesetzes stark zugenommen hat, nichts Entscheidendes. Von der Möglichkeit, Wählbarkeitsbeschränkungen zu erlassen, wird daher zwar eine verhältnismäßig wesentlich größere Gruppe erfasst. Der einfache Gesetzgeber ist jedoch nicht verpflichtet, von dieser Ermächtigung umfassend Gebrauch zu machen. Er kann seine Regelungen zu Wählbarkeitsbeschränkungen auch für die unmittelbaren Angestellten des Kreises/der Gemeinde auf leitende Angestellte beschränken, er muss dies jedoch nicht. Im Jahre 2004, dem letzten Zeitpunkt, zu dem belegbare Zahlen vorhanden sind, war die Gruppe der Arbeiter des öffentlichen Dienstes zwar eine deutlich kleinere als noch 1950, aber noch immer eine nennenswerte Gruppe. Konsequenzen aus dieser Entwicklung ergeben sich daher nicht auf der Ebene der Verfassungsauslegung, sondern diese kann der einfache Gesetzgeber auf der Ebene der Gemeindeordnung und der Landkreisordnung durch entsprechende Regelungen ziehen, wenn er das für angebracht hält.
60 
bb) § 24 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO hält sich in den Grenzen der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG. Der durch Satz 2 normierte Ausschluss der Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten, von den Wählbarkeitsbeschränkungen hat zur Folge, dass die Vorschrift nur Angestellte i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG erfasst. Denn der verfassungsrechtliche Begriff des Angestellten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG ist, wie dargelegt, so auszulegen, dass er alle Arbeitnehmer erfasst, die in einem öffentlichen Dienstverhältnis stehen und nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichten, sondern eine überwiegend geistige Tätigkeit. Das neue Recht in § 24 LKrO hat diese Kriterien übernommen und so den Angestelltenbegriff des Art. 137 Abs. 1 GG nachgezeichnet, so dass sich die Vorschrift im Rahmen der Ermächtigung hält (ebenso VGH Bad.-Württ., Normenkontrollurt. v. 15.10.2014 - 3 S 1505/13 - VBlBW 2015, 237; LVfG Bdb., Beschl. v. 26.08.2011, a.a.O., Rn. 74; VG Neustadt, Beschl. v. 07.07.2014 - 3 L 580/14 - juris Rn. 25 und nachfolgend OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.08.2014 - 10 B 10653/14 - NVwZ-RR 2014, 934). Dabei darf der Landesgesetzgeber generell an die Stellung als Angestellter in diesem Sinne anknüpfen, ohne auf die konkret ausgeübte Funktion Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.2002, a.a.O.).
61 
b) Die Wählbarkeitsbeschränkung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO verstößt daher auch nicht gegen das Willkürverbot. Zwischen Tätigkeiten, die überwiegend körperlich geprägt sind, und solchen, die überwiegend geistig geprägt sind, zu differenzieren, entspricht dem Zweck der Ermächtigung in Art. 137 Abs. 1 GG und ist daher nicht zu beanstanden.
62 
c) § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO verstößt nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Gesetzliche Regelungen müssen so gefasst sein, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag. Die Anforderungen an die Bestimmtheit erhöhen sich mit der Intensität, mit der auf der Grundlage der betreffenden Regelung in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen werden kann. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass die Norm dann überhaupt keine Auslegungsprobleme aufwerfen darf. Dem Bestimmtheitserfordernis ist vielmehr genügt, wenn diese mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 <145>; Beschl. v. 11.01.1994 - 1 BvR 434/87 - BVerfGE 90, 1 <16>; je m.w.N.).
63 
Diesen Anforderungen ist hier genügt. Die Feststellung, ob jemand Arbeitnehmer des Landkreises ist, der nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichtet, bereitet in der Regel keine besonderen Probleme. Es handelt sich im Kern um deskriptive Tatbestandsmerkmale, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen in der Regel ohne erhebliche Probleme festgestellt werden kann. Der vom Kläger angeführte Umstand, dass die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern weitgehend an Bedeutung verloren hat, hat keine Bedeutung für die Frage der hinreichenden Bestimmtheit der jetzigen Gesetzesfassung.
64 
d) Auch ein Verstoß der Regelung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO gegen das Übermaßverbot liegt nicht vor. Der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet, dass ein die Grundrechte einschränkendes Gesetz geeignet und erforderlich sein muss, um den erstrebten, legitimen Zweck zu erreichen, und dass - als Ausprägung des Übermaßverbots - bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten der Regelung gewahrt sein muss, so dass die Maßnahme sie nicht übermäßig belastet (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.06.1984 - 1 BvR 1494/78 - BVerfGE 67, 157 <173 ff.>; Beschl. v. 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 u.a. - BVerfGE 90, 145 <172 f.>; je m.w.N.).
65 
Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des Übermaßverbots durch § 24 LKrO nicht vor. Die vom Kläger angeführte faktische Ineligibilität aufgrund der wirtschaftlichen Folgen, die bei der Annahme der Wahl eintreten würden, sind von ihm zumutbarerweise hinzunehmen. Denn es bedarf im kommunalen Bereich keiner besonderen Regelung, um eine Annahme des Mandats tatsächlich zu ermöglichen, da - wie ausgeführt (s. oben unter a) aa) aaa)) das Amt des Gemeinderats grundsätzlich als Ehrenamt ausgestaltet ist. Angesichts der besonderen Verhältnisse im kommunalen Bereich ist der faktische Ausschluss von der Wählbarkeit folglich zumutbare Konsequenz von Inkompatibilitätsregelungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 70f.; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 39). Aus Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, auf den sich der Kläger beruft, ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen.
66 
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass eine Begrenzung der Wählbarkeit mit einer so weitreichenden Folge im Hinblick auf die Bedeutung der Wahlrechtsgleichheit nicht allein mit der verfassungsrechtlichen Ermächtigung aus Art. 137 Abs. 1 GG begründet werden kann. Ein solcher Hinweis genügt zwar für die Einführung der Unvereinbarkeitsregelung. Dadurch wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass Differenzierungen innerhalb gesetzlicher Folgeregelungen, die auf Art. 137 Abs. 1 GG beruhen, jeweils eines sachlichen Grundes bedürfen, der dem Sinn der verfassungsrechtlichen Ermächtigung gerecht wird. Art. 3 Abs. 1 GG wirkt in dieser Weise auch auf die Auslegung der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG ein. Dies muss in gleicher Weise dort gelten, wo als Folge der gesetzlich festgelegten Unvereinbarkeit von Dienststellung und Mandat ein faktischer Ausschluss von der Wählbarkeit in Frage steht. Ein solcher Ausschluss ist als eine mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbare Differenzierung nur gerechtfertigt, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 70f.; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 39). Hieraus ergeben sich jedoch nur Anforderungen für den Fall, dass der Gesetzgeber von der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG in der Weise Gebrauch macht, dass er manche Angestellte von den Unvereinbarkeitsregelungen ausnimmt. Dies ist hier aber nicht der Fall. Mit dem Tatbestandsmerkmal der überwiegenden körperlichen Arbeit hat der Gesetzgeber den Begriff des Angestellten nachgezeichnet. Der Gesetzgeber hat mit § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO nicht bestimmte „Angestellte“ von den Unvereinbarkeitsregelungen ausgenommen; die Frage, welche Anforderungen sich aus Art. 3 Abs. 1 GG bei Differenzierungen ergeben, stellt sich daher nicht.
67 
3. Beim Kläger liegen die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO vor. Als Mitarbeiter eines Eigenbetriebs ist der Kläger Arbeitnehmer des Landkreises i.S.v. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO. Denn Eigenbetriebe sind unselbständige Anstalten des öffentlichen Rechts ohne eigene Rechtspersönlichkeit, deren Handeln dem Landkreis zuzurechnen ist und denen der Bürgermeister gemäß § 10 EigBG Weisungen erteilen kann; dieser ist Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde der Bediensteten des Eigenbetriebs (§ 11 Abs. 5 EigBG). Im Sinne des Art. 137 Abs. 1 GG sind Arbeitnehmer eines Eigenbetriebs daher Arbeitnehmer der öffentlich-rechtlichen Körperschaft selbst (vgl. von Campenhausen, a.a.O., Art. 137 Rn. 26).
68 
§ 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO findet auf den Kläger keine Anwendung. Er verrichtet nicht überwiegend körperliche Arbeit. Das Verwaltungsgericht hat das im angefochtenen Urteil mit eingehender zutreffender Begründung ausgeführt. Insoweit weist der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 130b Satz 2 VwGO). Zum diesbezüglichen Berufungsvorbringen ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass es - wie bereits ausgeführt (s. oben unter 2. a) aa) bbb) und 2. a) bb)) - auf die tarifrechtlichen Fragen, die der Kläger mit der Berufung geltend macht, nicht entscheidend ankommt. Der Gesetzgeber hat mit den Tatbestandsmerkmalen des Arbeitnehmers und des überwiegenden Verrichtens körperlicher Arbeit den Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG zulässig nachgezeichnet. Es ist daher bei der Prüfung, ob diese gesetzlichen Tatbestandsmerkmale im Fall des Klägers erfüllt sind, rechtlich unerheblich, wie die Tätigkeit des Klägers nach altem und neuem Tarifrecht einzustufen wäre. Maßgeblich ist allein, ob er überwiegend körperliche Arbeit verrichtet. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt auch die Erklärung des Klägers - ohne dass es darauf entscheidend ankäme, da der Senat dies selbständig zu prüfen hat - in der Berufungsverhandlung, dass er die tarifrechtliche Einordnung seiner Tätigkeit für maßgeblich halte, die tatsächliche Beschreibung seiner Tätigkeit im erstinstanzlichen Urteil jedoch zutreffe.
69 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Rechtsfrage, wie der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG nach dem Wegfall der Unterscheidung von Angestellten und Arbeitern im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes auszulegen ist, hat über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung.
70 
Beschluss
vom 18. Dezember 2015
71 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
72 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

Tenor

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht bewilligt und Rechtsanwältin T., F., beigeordnet.

Ratenzahlungen sind nicht zu leisten.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig, längstens bis zur Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 17.12.2012, die Kosten der Betreuung und Beschulung des Antragstellers in der Sonderschule „Haus T.“ in F. zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

 
I.
Wegen der antragsgemäßen Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers sieht das Gericht gemäß den §§ 122 Abs. 2 Satz 1 und 166 VwGO in Verbindung § 127 Abs. 1 Satz 1 ZPO von einer Begründung ab.
II.
Der Antrag des Antragstellers, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form der Kostenübernahme für den Besuch der Sonderschule „Haus T.“ in F. zu bewilligen, ist nach § 123 VwGO zulässig und begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antragsteller hat hier den nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO erforderlichen Anordnungsanspruch ebenso wie einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich mit der im vorliegenden Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen Gewissheit aus § 35a Abs. 1 und Abs. 3 SGB VIII in Verbindung mit § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII.
Dass der Antragsteller die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII für die Bewilligung von Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche erfüllt, ist zwischen den Beteiligten - wohl zu Recht - nicht streitig. Er hat damit Anspruch auf die in § 35a Abs. 3 SGB VIII genannten Leistungen.
Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe „insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt.“ Nach § 12 Nrn. 1 und 2 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung) - EinglHVO - umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch - 1. - heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern, sowie - 2. - Maßnahmen der Schulbildung zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen. Durch die Verweisung auf diese Vorschriften in § 35a Abs. 3 SGB VIII gelten die für körperlich und geistig behinderte Kinder und Jugendliche erlassenen Regelungen auch für den Antragsteller als seelisch behinderten Jugendlichen.
Nach diesen Vorschriften hat der Antragsteller sehr wahrscheinlich einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin als Trägerin der Jugendhilfe auf die Bewilligung von Leistungen, die ihm den Schulbesuch im Rahmen der für ihn noch geltenden allgemeinen Schulpflicht ermöglichen. Der Antragsteller hat mit ausführlicher Darstellung seiner bisherigen „Schulkarriere“ unter Vorlage von Schreiben des Staatlichen Schulamts F. überzeugend dargelegt, dass es für ihn trotz der noch bestehenden allgemeinen Schulpflicht keine Möglichkeit (mehr) gibt, ihn in einer öffentlichen (Sonder-)Schule zu unterrichten. Diesem überzeugend begründeten Befund ist die Antragsgegnerin in keiner Weise entgegen getreten. Damit kann der Antragsteller seine Schulpflicht allein durch einen Besuch der Sonderschule im Haus T., einer Einrichtung in privater Trägerschaft, erfüllen. Dass ihm diese Möglichkeit des Schulbesuchs im Haus T. tatsächlich zur Verfügung steht, er sie insbesondere auch aufgrund der Besonderheiten seiner Persönlichkeit, die durch seine seelischen Beeinträchtigungen bedingt ist und die in der Vergangenheit zum Abbruch aller sonstigen Unterrichtsformen an staatlichen Schulen geführt hat, wahrnehmen kann, hat eine erfolgreich verlaufene probeweise Beschulung des Antragstellers im Haus T. gezeigt. Auch die Antragsgegnerin bestreitet dementsprechend nicht die Geeignetheit des Hauses T. als einzige Möglichkeit des Antragstellers zum Besuch einer Schule. Damit ist die Antragsgegnerin sehr wahrscheinlich zur Übernahme der Kosten für den Besuch der Sonderschule im Haus T. durch den Antragsteller verpflichtet.
Zur Begründung ihrer Ablehnung der Übernahme der Kosten dieses Schulbesuchs beruft sich die Antragsgegnerin allein auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R - (juris). Die Berufung auf dieses Urteil geht aber, wie die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers überzeugend ausgeführt hat, wohl aus mehreren Gründen fehl.
Zum einen unterscheidet sich der vorliegende Fall des Antragstellers von dem Fall, der dem genannten Urteil des Bundessozialgerichts zugrunde lag, darin, dass es für den Antragsteller nach unbestrittener Aktenlage keine andere Möglichkeit des Besuchs einer Schule als den Besuch der Privatschule im Haus T. (mehr) gibt, während es in dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall eine Alternative in Form einer staatlichen Schule gab. Der Kläger in dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall entschied sich für die Privatschule allein aus pädagogischen Gründen, das heißt, weil er bzw. seine Sorgeberechtigten den waldorfpädagogischen Ansatz der Privatschule bevorzugten. Im Fall des Antragstellers gibt es eine solche Auswahlmöglichkeit nicht, vielmehr gibt es für den Antragsteller nur die Alternative, entweder die Sonderschule im Haus T. oder bis zum Ende der Schulpflicht überhaupt keine Schule mehr zu besuchen. Ob für den Antragsteller tatsächlich die reale Möglichkeit einer Hausbeschulung durch eine amtliche Lehrkraft besteht, ist offen, wird aber jedenfalls wohl derzeit nicht praktiziert. Abgesehen davon ist es höchst fraglich und bedürfte näherer Begründung durch sozialpädagogisch gebildete Fachkräfte, ob eine solche in isolierter (häuslicher) Umgebung durchgeführte Beschulung eine zur Eingliederung des Antragstellers ins soziale Leben geeignete Maßnahme darstellt.
Zum anderen überbewertet die Antragsgegnerin die Ausführungen des Bundessozialgerichts in dem genannten Urteil zum Ausschluss von Schulgeld aus dem Leistungskatalog der Eingliederungshilfe. Das Bundessozialgericht hat dort zwar dem 2. Halbsatz von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII, wonach die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt bleiben, entnommen, dass die schulrechtlichen Verpflichtungen neben den sozialhilferechtlichen stehen und dass der Staat mit der Einrichtung der öffentlichen Schulen seinem Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG nachkomme und dass es deshalb keinen Rechtsanspruch gegen den Sozialhilfeträger auf Übernahme von Aufnahmebeiträgen und monatliches Schulgeld für den Besuch einer privaten Grundschule als Sozialhilfeleistung zur Deckung eines im Grundschulalter angemessenen Bildungsbedarfs gebe (vgl. BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R - juris RdNr. 16). Diese Aussage betrifft aber nur die Schulbildung selbst, also den Kernbereich der pädagogischen Arbeit, zu dem alle schulischen Maßnahmen gehören, die dazu dienen, die staatlichen Lernziele zu erreichen, in erster Linie also der (unentgeltliche) Unterricht, der die für einen erfolgreichen Schulabschluss notwendigen Kenntnisse vermitteln soll. Nicht ausgeschlossen ist demgegenüber das (nachrangige) Eintreten der Sozialhilfe für Bedarfe, die nicht in der Deckung des unmittelbaren Ausbildungsbedarfs im Rahmen der Schulpflicht bestehen, sondern damit lediglich - mehr oder weniger eng - zusammenhängen, etwa wie bei der Bereitstellung eines Integrationshelfers für behinderte Kinder an Regelschulen (siehe BSG, Urteil vom 15.11.2012, a.a.O., juris RdNrn. 15 und 16 a. E.; siehe auch BSG, Urteil vom 22.03.2012, NVwZ-RR 2012, 968). Diese Rechtsprechung ist nicht neu, sie liegt vielmehr auf einer Linie mit der seit Jahrzehnten praktizierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die das Bundessozialgerichts in dem genannten Urteil mehrfach ausdrücklich Bezug nimmt (vgl. hierzu insbes. BVerwG, Urteil vom 13.08.1992, NVwZ 1993, 691). Danach ist es seit Langem anerkannt, dass für die Übernahme von Schulgeld grundsätzlich kein Raum ist, dass aber Ausnahmen dann anzunehmen sind, wenn der Besuch einer öffentlichen Grundschule aus objektiven Gründen (z. B. wegen ihrer räumlichen Entfernung vom Wohnort) oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, wobei rein pädagogische Gesichtspunkte die Anerkennung einer solchen Ausnahme nicht rechtfertigen (siehe BVerwG, Urteil vom 13.08.1992, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 02.09.2003 - 5 B 259.02 -, juris, sowie Urteil vom 22.05.1975, FEVS 23, 403). Soweit die mit dem Besuch einer Schule verbundenen Kosten Leistungen betreffen, die über die (bloße) Vermittlung von Lernstoff und das damit zwangsläufig verbundene Maß an Betreuung hinausgehen und „ein besonderes Maß physischen und psychischen Rüstzeugs“ zu Verfügung stellen, das für eine wenigstens zeitweise Integration eines behinderten Schülers in die Schule erforderlich ist, steht der durch die Lernmittelfreiheit gedeckte Schulbedarf der Kostentragung durch den Sozialleistungsträger nicht entgegen (so u. a. BVerwG, Urteil vom 22.05.1975, a.a.O.; vgl. auch LSG Berl.-Brandenb., Beschluss vom 09.01.20013 - L 23 SO 296/12 B ER -, juris; Bayer. VGH, Beschluss vom 21.02.2013 - 12 CE 12.2136 -, juris).
10 
Nach diesen Grundsätzen können die vom Träger des Hauses T. geforderten Unkosten bzw. Vergütungen für eine Aufnahme und Betreuung des Antragstellers in dieser Einrichtung sehr wahrscheinlich nicht in dem im Urteil des Bundessozialgerichts vom 15.11.2012 (a.a.O.) genannten Sinn als Schulgeld bezeichnet und danach aus dem Leistungskatalog der Eingliederungshilfe ausgeschlossen werden. Die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat in ihrer Antragsbegründung die Behauptung aufgestellt, die Kosten für die Schulbildung (im engeren Sinne) selbst würden beim Haus T. vom Land Baden-Württemberg getragen. Diese Behauptung erscheint plausibel und die Antragsgegnerin hat ihr nicht widersprochen. Für die Richtigkeit dieser Behauptung spricht auch die zwischen dem Träger des Hauses T., der Antragsgegnerin und dem Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg geschlossene Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII, wonach für ein „Tagesstrukturierendes Angebot für Menschen mit Behinderungen in der (Sonder-)Schule“ eine Vergütung mit einem Tagessatz von (insges.) 13,22 EUR ganztags bzw. 6,63 EUR vereinbart worden ist. Dabei handelt es sich um genau die Leistung und die Beträge, für die der Antragsteller eine Kostenübernahme begehrt. Dass die Antragsgegnerin und der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg mit dieser Vereinbarung Kosten für Leistungen übernehmen wollten, die nicht in ihre Zuständigkeitsbereiche der Sozial- oder Jugendhilfe fallen, sondern Aufgabe der staatlichen Schulverwaltung sind, wäre zum einen wohl mit § 75 SGB XII nicht zu vereinbaren und hält die Kammer auch aus wirtschaftlichen Gründen für wenig wahrscheinlich.
11 
Der Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass der Antragsteller ohne Bewilligung der Kostenübernahme für den Besuch der Schule im Haus T. vom Schulbesuch ausgeschlossen ist, da seine Eltern selbst Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch beziehen und deshalb wirtschaftlich nicht in der Lage sind, die Kosten auch nur vorübergehend zu übernehmen. Mit jedem Tag, an dem keine Zusage einer Kostendeckung für die Aufnahme in das Haus T. vorliegt, verliert der Antragstelle einen Tag des Schulbesuchs, der für seine Eingliederung in das gesellschaftliche Leben von großer Bedeutung ist.
12 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).
13 
Der Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist für die Beteiligten unanfechtbar (§§ 166 VwGO, 127 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

 
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht Stuttgart (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 ). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 1997, 479, 480; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Erforderlich ist mithin - neben dem mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Erfolg in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) - die Dringlichkeit der erstrebten vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund; vgl. hierzu schon Senatsbeschluss vom 23. März 2005 - L 7 SO 675/05 ER-B - ).
Die Erfolgsaussicht in der Hauptsache ist in Ansehung des sich aus Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtschutz (Artikel 19 Abs. 4 GG) unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (Beschluss des Senats vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - unter Hinweis auf BVerfG NJW 1997 a.a.O. und NVwZ 2005 a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/06 ER-B - FEVS 57, 72, vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 und vom 21. Juli 2006 - L 7 AS 2129/06 ER-B ).
Die genannten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind - wie es das SG zu Recht angenommen hat - hier gegeben.
Es spricht einiges dafür, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) dahingehend hat, dass er zum Besuch der R. schule in E. in nennenswertem Umfang einen Schulbegleiter braucht. Dieser hat keine Bildungsvermittlung zu betreiben, sondern er muss den Antragsteller durch körperliche Signale in die Lage versetzen, am Unterricht teilzunehmen und auch nebenher die Ernährung und Körperhygiene nicht zu vergessen. Dass der Antragsteller wegen der Folgen des festgestellten frühkindlichen Autismus dem berechtigten Personenkreis angehört, weil er zu den behinderten Menschen im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII gehört, ist zwischen den Beteiligten unstreitig und nach Lage der Akten auch offensichtlich. Er kann daher grundsätzlich nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII Anspruch auf Leistungen des Sozialhilfeträgers in Form von Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung haben. Zwar ist nach § 15 des Schulgesetzes die pädagogische Förderung der Schülerinnen und Schüler primär Aufgabe der Schule. Damit sind jedoch - wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ergibt - ergänzende Leistungen der Eingliederungshilfe nicht vollständig ausgeschlossen. Dies ist in der Rechtsprechung unstreitig für die Fälle so genannter Schulbegleiter von behinderten Menschen, die eine Regelschule besuchen. Hier besteht zum einen eine Bindung des Sozialhilfeträgers an die Entscheidung der Schulbehörde über die Zuweisung zu einer Schulart und zum zweiten die unmittelbar einsichtige Notwendigkeit zusätzlicher Integrationsleistungen und Hilfestellungen für behinderte Kinder, auf deren spezielle Bedürfnisse das Angebot der Regelschule naturgemäß nicht zugeschnitten ist (vgl. hierzu grundlegend zum insoweit inhaltsgleichen früheren Recht des Bundessozialhilfegesetzes Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. Januar 1986 - 5 C 36/84 -, FEVS 36, 1 und Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Juli 2003 - 12 A 10410/03 - ZfSH/SGB 2003, 614). Aber auch beim Besuch einer grundsätzlich auf die Behinderung des Kindes zugeschnittenen Sonderschule ist ein ergänzender sozialhilferechtlicher Eingliederungsbedarf nicht generell ausgeschlossen. Dies sehen selbst die Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg (SHR) zum SGB XII in der derzeit geltenden Fassung vor, wie sich aus Rdnr. 54.13/2 unter 3 SHR ergibt. Dort wird ausgeführt, dass pädagogische Maßnahmen im Sinne des Bildungsauftrages in den Verantwortungsbereich der Schule fallen und dass Eingliederungshilfe nur für Assistenzdienste in Betracht kommt. Sie bemesse sich nach der festgestellten, notwendigen Begleitung durch eine schulfremde Person. In diesem Sinne hat auch das Sächsische Landessozialgericht (LSG) einen Eingliederungshilfebedarf trotz des Besuchs einer Sonderschule sogar in einem Fall für möglich gehalten, in dem die Schulbehörde den Bedarf für einen Integrationshelfer geprüft und verneint hatte (Beschluss vom 24. Juli 2006 - L 3 B 81/06 SO-ER - ; so auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 23. Februar 2006 - 12 ME 474/05 - ). Der Sozialhilfeträger hat hier über den Hilfebedarf in eigener Verantwortung zu entscheiden (so zu Recht Sächsisches LSG a.a.O.). Erforderlich ist in jedem Fall, dass der eigentlich sonderpädagogische Bedarf von dem behinderungsbedingten (zusätzlichen) Eingliederungsbedarf abgegrenzt wird. Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe des Sozialhilfeträgers, die sonderpädagogische Förderung behinderter Schüler in die eigene Hand zu nehmen (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. Juli 1997 - 6 S 9/97 -, FEVS 48, 228).
Wendet man diese Grundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall an, spricht vieles dafür, dass jedenfalls in der derzeitigen Schulsituation ein neben dem Bildungsbedarf bestehender Eingliederungsbedarf des Antragstellers durch die von ihm besuchte Schule nicht vollständig gedeckt werden kann. Diesen Schluss zieht der Senat aus verschiedenen aktenkundigen Äußerungen und Stellungnahmen. Im Rahmen eines teilstationären Aufenthalts des Antragstellers in einem Fachkrankenhaus für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 13. Juni bis zum 4. Juli 2006 kam die behandelnde Stationsärztin zu dem Ergebnis, wegen schwerer Defizite sei - vor allem im Schulbereich - davon auszugehen, dass ein adäquates Lernverhalten nur mit Einzelbetreuung zu erwarten sei. Dieser Klinikaufenthalt war notwendig geworden, weil die Nahrungsverweigerung bedenkliche Ausmaße angenommen hatte. Bereits dieser Ablauf ist ein Hinweis darauf, dass der speziellen Problematik des Antragstellers offenbar in der Schule nicht ausreichend begegnet werden konnte. Die Klassenlehrerin des Antragstellers befürwortete in Konsequenz der schwierigen Situation im Sommer 2005 eine dauerhafte Schulbegleitung ausdrücklich, da er mit persönlicher, länger andauernder Unterstützung zu mehr Leistung und Teilnahme am Schulalltag befähigt werde.
Der pädagogische Berater Autismus des Amtes für Schule und Bildung befürwortete im Januar 2006 dringend den Einsatz einer Fachkraft als „Übersetzer“, da weitere Regression zu befürchten sei. Hierfür seien acht Wochenstunden Unterrichtsbegleitung ausreichend.
Der Schulleiter der vom Antragsteller besuchten Sonderschule erklärte in einem Schreiben vom 6. April 2005, die personellen Ressourcen der Schule ermöglichten es nicht, für den Antragsteller eine durchgängige fachlich qualifizierte Einzelbegleitung während einer normalen Schulwoche zu gewährleisten, weshalb eine personenbezogene Schulbegleitung dringend angezeigt sei. Derselbe Schulleiter äußerte sich am 22. September 2006 gegenüber dem SG allerdings dahingehend, in der Schule sei ein Schulbegleiter nicht erforderlich. Diese ausdrücklich als vorbehaltlich bezeichnete Einschätzung relativierte er in diesem Beschwerdeverfahren in einem Schreiben vom 4. Dezember 2006 wieder und führte aus, es sei nicht durchgängig möglich, jederzeit direkte strukturklärende Hilfestellung durch Handführung/Körperberührung zu geben, da auch die anderen Schüler Unterstützung und Anleitung benötigten. Weiter heißt es in dieser Stellungnahme, stützende Impulse hinsichtlich der Nahrungsaufnahme könnten nur dann gegeben werden, wenn der Unterrichtsfluss für die anderen Schüler dadurch nicht zu sehr beeinträchtigt werde. Die Ankunft werde einmal in der Woche durch die morgendliche Busaufsicht der Klassenlehrerin begleitet.
10 
Diese Ausführungen, die auf eine Anfrage der Schulbehörde zurückgehen, welche einen Hilfebedarf für verschiedene Situationen in der Schule angenommen hatte, belegen, dass jedenfalls im Augenblick nicht mit der notwendigen Sicherheit gesagt werden kann, die Schule decke den kompletten Eingliederungsbedarf des Antragstellers. Die Sachlage stellt sich eher so dar, dass zusätzlich zu der inhaltlich pädagogischen Betreuung Hilfestellung vor allem in den von den Lehrerinnen nicht intensiv beaufsichtigten Situationen (Ankunft, Pause) und vor allem hinsichtlich der im Falle des Antragstellers problematischen Ernährung gegeben ist. Da nach ärztlichem Urteil für diese Ernährung aber möglichst umfangreich und zu möglichst vielen Zeitpunkten gesorgt werden sollte, muss derzeit durchaus von einem ergänzenden Eingliederungsbedarf ausgegangen werden, der mit der sonderpädagogischen Betreuung nicht gedeckt werden kann, aber gleichwohl auch während Unterrichtsstunden entsteht und gerade nicht vollständig durch die Lehrerinnen befriedigt werden kann, deren primäre Aufgabe nicht die Gewährleistung ausreichender Ernährung der Schüler ist.
11 
Die Tatsache, dass der Antragsteller trotz der schulischen Betreuung im Sommer 2006 in die genannte Fachklinik aufgenommen werden musste, weil sich sein Ernährungszustand als bedenklich herausgestellt hatte, belegt im Übrigen ausreichend, dass in diesem Bereich ein Defizit vorhanden ist.
12 
Fasst man diese sachverständigen Äußerungen und die genannten Ereignisse zusammen, so kann ein Bedarf für eine Begleitung im Bereich von Ankunft, Abfahrt, Pausen und auch während einer bestimmten Zahl von Unterrichtsstunden nicht verneint werden.
13 
Fraglich ist allerdings, ob der grundsätzlich bestehende Hilfebedarf die Beschäftigung einer Erzieherin - noch dazu aus einem weit entfernten Ort - und ihren Einsatz während der gesamten Schulunterrichtszeit sowie bei jeder Ankunft und Abfahrt erfordert. Insoweit ist der angegriffene Beschluss auch nicht ausreichend klar. Das SG hat nicht ausdrücklich bestimmt, in welchem zeitlichen Umfang und mit welcher fachlichen Qualifikation die Begleitung des Antragstellers erforderlich ist. Von den Beteiligten ist der Beschluss so verstanden worden, dass die von den Eltern des Antragstellers vorgeschlagene Betreuung durch eine Angehörige des Arbeitersamariterbundes U. während der gesamten Unterrichtszeit und bei Ankunft und Abfahrt gemeint sei. In diesem Sinn wird der Beschluss derzeit ausgeführt. Eine solche Interpretation der Situation ist nicht zwingend. Die letzte Auskunft des Schulleiters vom 4. Dezember 2006 enthält Hinweise darauf, dass ein Teil der erforderlichen Hilfestellungen auch von der Schule gegeben werden kann.
14 
Der Senat sieht gleichwohl keine Veranlassung, den Beschluss für die erfasste Zeit bis Ende Januar 2007 zu ändern. Dies beruht u.a. darauf, dass zum jetzigen Zeitpunkt der Zeitraum weitgehend verstrichen ist und darauf, dass die Leistung tatsächlich erbracht wurde und wird und ein rascher Wechsel in der Betreuungssituation dem Antragsteller nicht zugemutet werden soll.
15 
Die Aufrechterhaltung des Beschlusses des SG beruht auch auf einer im Rahmen der Entscheidung über eine einstweiligen Anordnung hier erforderlichen Folgenabwägung. Die Reduzierung des Betreuungsaufwandes für die Vergangenheit wäre ohnehin nur in Form einer finanziellen Rückabwicklung denkbar, die jedoch nach Auffassung des Senats nicht eilbedürftig ist. Die Reduzierung für den verbleibenden Zeitraum im Januar hätte möglicherweise schwerwiegende Folgen bei dem offenbar äußerst sensibel auf äußere Veränderungen reagierenden Antragsteller zur Folge. Im Augenblick könnte eine sofortige Reduzierung des Betreuungsaufwandes mit dem Risiko verbunden sein, die bisher erzielten Integrationserfolge in Frage zu stellen oder zu gefährden.
16 
Der Senat erlaubt sich abschließend den Hinweis, dass im Falle des Antragstellers auch ernsthaft über einen Schulwechsel nachgedacht werden sollte. Nach den Schilderungen der Eltern des Antragstellers im Erörterungstermin vom 4. Januar 2007 und den vorliegenden Auskünften der Schule ist es immerhin denkbar, dass die konkrete Schule mit dem besonderen Förderungsbedarf eines autistischen Kindes nicht ausreichend vertraut ist, weshalb aus diesem Grund zusätzlicher Betreuungsbedarf außerhalb der Möglichkeiten der Schule besteht, der in anderen Einrichtungen vom dortigen Personal ganz oder teilweise gedeckt werden könnte. Solange der Antragsteller jedoch die jetzige Schule besucht und sich dort die Betreuung nicht ändert, dürfte er Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten einer - ggf. nur temporär tätigen - Schulbegleiterin haben.
17 
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
18 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. November 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Übernahme von Schulgeld in Höhe von 303,92 Euro monatlich für die Zeit vom 1.8.2005 bis 18.10.2009 nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

2

Der 1997 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an dem sogenannten Rubinstein-Taybi-Syndrom mit Absence-Epilepsie, verzögerter Entwicklung, Minderwuchs und geistiger Behinderung, verbunden mit Hyperaktivität und teilweiser Aggressivität. Er lebt seit seinem 4. Lebensmonat in einer Pflegefamilie, in die er direkt nach dem Klinikaufenthalt nach seiner Geburt aufgenommen wurde. Das staatliche Schulamt für den Landkreis G. und den V. stellte beim Kläger einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Sinne des Besuchs einer Schule für praktisch Bildbare fest und wies ihn zum 1.8.2005 der staatlichen M.-Schule in G. zu. Da die Pflegeeltern die sonderpädagogische Förderung des Klägers an der nach den Grundsätzen der anthroposophischen Heilpädagogik und der Waldorfpädagogik unterrichtenden privaten B.-Schule wünschten, erklärte das staatliche Schulamt gleichzeitig sein Einverständnis, den sonderpädagogischen Förderbedarf dort zu erfüllen, sofern die Frage der Kostenübernahme mit dem Schulverwaltungsamt des Kreisausschusses des Landkreises G. geklärt sei (Bescheid vom 31.5.2005). Nachdem die Pflegeeltern für den Kläger mit dem Träger der B.-Schule einen Schulvertrag ab 1.8.2005 abgeschlossen und dabei ein monatliches Schulgeld in Höhe von 303,92 Euro vereinbart hatten, wurde der Kläger am 5.9.2005 in die B.-Schule eingeschult. Den vom Träger der Schule - nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) - namens und im Auftrag der Pflegeeltern gestellten Antrag auf Übernahme des Schulgelds lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 22.6.2005; Widerspruchsbescheid vom 19.4.2006).

3

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 11.11.2008; Urteil des Hessischen LSG vom 22.11.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Besuch der B.-Schule sei keine für eine angemessene Schulbildung des Klägers erforderliche Maßnahme. Hieran ändere auch die schulrechtliche Einstufung durch das staatliche Schulamt, an die der Sozialhilfeträger gebunden sei, nichts, weil eine Zuweisung nur an die staatliche M.-Schule erfolgt sei, während der Besuch der B.-Schule ausschließlich als mögliche Beschulungsalternative gestattet worden sei. Beide Schulen seien geeignete Förderschulen zur Erfüllung des besonderen sonderpädagogischen Bedarfs des Klägers. Auch das Elternrecht aus Art 6 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) biete als Abwehrrecht keinen Anspruch auf Vermittlung pädagogischer Lehrinhalte und Bildungsziele außerhalb öffentlicher Schulen. Ein Anspruch könne auch nicht aus Art 7 Abs 4 Satz 1 GG hergeleitet werden, weil insoweit nur das private Ersatzschulwesen geschützt werde, nicht jedoch auch das Recht der Eltern, eine private Ersatzschule kostenfrei zu wählen.

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII und § 12 Eingliederungshilfeverordnung (Eingliederungshilfe-VO) und macht Verfahrensfehler geltend. Zu Unrecht gehe das LSG davon aus, dass der Besuch einer privaten Förderschule und der damit verbundene Schulgeldaufwand bei Bestehen einer gleichwertigen kostenfreien Beschulungsmöglichkeit nicht erforderlich iS von § 12 Eingliederungshilfe-VO sei. Zwar hätte sein schulischer Förderbedarf auch durch den Besuch der M.-Schule sichergestellt werden können; das Berufungsgericht lasse aber unberücksichtigt, dass die Pflegeeltern mit ihrer Auswahlentscheidung den von den staatlichen Schulbehörden eingeräumten Rahmen mit einer für den beklagten Sozialhilfeträger ebenso verbindlichen Weise ausgefüllt hätten, wie dies durch eine förmliche Zuweisung der Schulbehörden geschehen wäre. Folge man der Auffassung des LSG liefen das eingeräumte Wahlrecht und letztlich die Bestimmung des § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII leer, wenn Eltern die mit dem Schulbesuch verbundenen Kosten nicht aufbringen könnten. Sei schulrechtlich eine Wahlfreiheit zwischen öffentlicher Förder- und privater Ersatzschule eröffnet, setze eine generelle Beschränkung der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung auf den Besuch öffentlicher Schulen nach der Rechtsprechung des 6. Senats des LSG (Urteil vom 18.8.2010 - L 6 SO 5/10) verfassungsrechtlich eine ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers voraus. Durch den unterlassenen Hinweis, dem 6. Senat nicht folgen zu wollen, habe das LSG das rechtliche Gehör verletzt (Überraschungsentscheidung). Auch habe sich das LSG nicht mit dem Vortrag auseinandergesetzt, dass der Beklagte mit seiner (des Klägers) Beschulung in der B.-Schule einverstanden gewesen sei und sich hieraus die Verpflichtung ableite, auch für die entstehenden Beschulungskosten einzustehen. Unterblieben sei schließlich die Prüfung, ob eine Aufnahme in die M.-Schule nicht an Kapazitäts- oder anderen Gründen gescheitert wäre.

5

Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid des Beklagten vom 22.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.4.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm 303,92 Euro monatlich für die Zeit vom 1.8.2005 bis 18.10.2009 zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Auffassung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des monatlichen Schulgelds in Höhe von 303,92 Euro bzw in Höhe des für Oktober 2009 maßgeblichen Teils davon für den Besuch der B.-Schule.

9

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zulässigerweise nur der Bescheid des Beklagten vom 22.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.4.2006 (§ 95 SGG) über die Ablehnung der Übernahme des Schulgelds als abgrenzbaren Streitgegenstand im Rahmen der Eingliederungshilfe. Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 iVm § 56 SGG). Sozial erfahrene Dritte waren vor Erlass des Widerspruchsbescheids nicht zu beteiligen (§ 116 Abs 2 SGB XII in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 iVm § 8 Abs 2 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 20.12.2004 - GVBl 488). Nicht Streitgegenstand sind Leistungen für den Lebensunterhalt, auch nicht im Rahmen des sog Meistbegünstigungsprinzips, wonach zur Sicherstellung einer möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte (§ 2 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -; vgl dazu: Voelzke in juris PraxisKommentar SGB I, 2. Aufl 2011 - online -, § 2 RdNr 26; Steinbach in Hauck/Noftz, SGB I, K § 2 RdNr 44, Stand Dezember 2005), Anträge bzw Rechtsbehelfe ohne Bindung an den Wortlaut nach dem wirklichen Willen des Antragstellers auszulegen sind (BSG SozR 4-3500 § 44 Nr 2 RdNr 13); denn eine abweichende Festlegung des Bedarfs wegen der Verpflichtung zur Zahlung des Schulgelds (§ 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII) kommt ohnedies nicht in Betracht (siehe dazu unten).

10

Nach § 53 Abs 1 Satz 1(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) iVm § 54 Abs 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch; für die Zeit ab 5.8.2009 in der Normfassung des Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009 - BGBl I 2495) erhalten Personen, die durch eine Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.

11

Vorliegend ist es schon fraglich, ob der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 3 Abs 1 HAG/SGB XII idF des Gesetzes vom 20.12.2004) für den streitigen Anspruch auf Übernahme des Schulgelds als Leistung der Eingliederungshilfe der sachlich zuständige Sozialhilfeträger ist. Abweichend von § 100 Bundessozialhilfegesetz(BSHG; in der nach Art 68 Abs 2 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch bis 31.12.2006 fortgeltenden Fassung) bzw ab 1.7.2007 § 97 Abs 3 Nr 1 SGB XII (Art 70 Abs 2 S 6 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) regelt § 97 Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm § 2 Abs 1 Nr 1 HAG/SGB XII(bis 31.6.2006 in der nach § 13 Abs 3 HAG/SGB XII bestimmten Fassung) die sachliche Zuständigkeit von örtlichem bzw überörtlichem Sozialhilfeträger. Danach ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe für Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII nur sachlich zuständig, sofern diese in einer Einrichtung zur stationären oder teilstationären Betreuung zu gewähren sind. Eine (teilstationäre) "Einrichtung" im Sinne des SGB XII (§ 13 SGB XII)ist ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist und Leistungen der Sozialhilfe erbringt (BVerwGE 95, 149, 152; Bundesverwaltungsgericht , Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 -, FEVS 45, 52 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 13/91 -, FEVS 45, 183 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 17/91 -, ZfSH/SGB 1995, 535 ff; BSGE 106, 264 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2).

12

Ob eine Schule (anders als etwa die der Schule angegliederte Behinderteneinrichtung) eine teilstationäre Einrichtung in diesem Sinne ist, insbesondere Leistungen der Sozialhilfe erbringt (vgl dazu BVerwGE 48, 228, 231, das zwischen allgemeinen Schulen und Schulen unterscheidet, in denen über die bloße Vermittlung des Lernstoffs hinaus ein besonderes Maß an Betreuung erforderlich ist), ist zweifelhaft, wobei es für die Ablehnung der Leistung wegen Unzuständigkeit genügt, dass Sozialhilfeleistungen geltend gemacht werden. Für die Begründung der sachlichen Zuständigkeit ist es jedenfalls nicht - wie der Beklagte meint - ausreichend, dass er aufgrund langjähriger Praxis bei Pflegefamilienverhältnissen (im Rahmen des § 97 Abs 5 SGB XII) auch die Begleitkosten übernimmt, sofern diese übernahmefähig sind. Eine solche Annex-Kompetenz, wie sie etwa § 2 Abs 2 HAG/SGB XII(in der bis 31.12.2006 geltenden Fassung) vorsieht, setzt nämlich die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers für die im Rahmen eines Pflegefamilienverhältnisses zu erbringende Eingliederungshilfe voraus, an der es vorliegend fehlen könnte. Im Ergebnis kann diese Frage aber dahingestellt bleiben, weil der Kläger auch bei unterstellter sachlicher Zuständigkeit des Beklagten keinen Anspruch auf die im Streit stehende Leistung hat.

13

Der Kläger erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII für eine Pflichtleistung. Die Voraussetzungen für eine Behinderung nach § 2 Abs 1 SGB IX sind erfüllt, wenn die geistige Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach den Feststellungen des LSG liegt eine solche Behinderung vor.

14

Die geistige Behinderung ist auch wesentlich. Wann dies der Fall ist, ist § 2 Eingliederungshilfe-VO zu entnehmen, wonach eine wesentliche Behinderung vorliegt, wenn infolge einer Schwäche der geistigen Kräfte in erheblichem Umfang die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft eingeschränkt ist. Dies richtet sich nach den Besonderheiten des Einzelfalls und hängt deshalb von sehr unterschiedlichen, durch die individuelle Behinderung geprägten Umständen ab (BVerwG Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr 12 S 2). Insoweit ist wie bei der Prüfung der Behinderung auch ihre Wesentlichkeit wertend auszurichten, insbesondere an den Auswirkungen für die Eingliederung in die Gesellschaft. Entscheidend ist mithin nicht, wie stark die geistigen Kräfte beeinträchtigt sind und in welchem Umfang ein Funktionsdefizit vorliegt, sondern wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit auswirkt (vgl BSGE 110, 301 ff RdNr 19 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8). Stehen - wie hier - die mit einer Behinderung einhergehenden Beeinträchtigungen der erfolgreichen Teilnahme des Klägers am Unterricht in einer allgemeinen (Grund-)Schule entgegen (vgl auch BVerwG, Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02), weil Lerninhalte ohne zusätzliche Hilfestellung nicht aufgenommen und verarbeitet werden können, und erfordert die geistige Behinderung deshalb einen sonderpädagogischen Förderbedarf, um die mögliche Vermittlung praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten überhaupt erst zu ermöglichen, ist die Behinderung nach den oben aufgezeigten Grundsätzen wesentlich; denn eine Grundschulbildung bildet die essentielle Basis für jegliche weitere Schullaufbahn (vgl: BSGE 110, 301 ff RdNr 19 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8; BSGE 109, 199 ff RdNr 22 = SozR 4-2500 § 33 Nr 37).

15

Gehört der Kläger danach zwar zu dem leistungsberechtigten Personenkreis, scheitert ein Anspruch auf die Zahlung des Schulgelds aber daran, dass es sich insoweit nicht um eine Leistung der Eingliederungshilfe handelt. Nach § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Erfasst sind von dem Wortlaut der Vorschrift ("Hilfen") nur Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSGE 110, 301 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8). Dies bestätigt auch § 12 Eingliederungshilfe-VO, der seinerseits nur von "Hilfe zu einer angemessenen Schulausbildung" spricht. Die von dieser Hilfe nach § 12 Eingliederungshilfe-VO (auch) erfassten Regelbeispiele betreffen dementsprechend nur die Schulbildung begleitende Maßnahmen. Die Schulbildung selbst, also der Kernbereich der pädagogischen Arbeit, der sich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmt, obliegt hingegen allein den Schulträgern. Art 7 Abs 1 GG überträgt dem Staat einen (außerhalb des Sozialhilferechts liegenden) eigenständigen Unterrichts- und Bildungsauftrag im Schulbereich (BSG, aaO, RdNr 21; BVerfGE 47, 46, 71 f; 98, 218, 241).

16

Dass der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule den Regelungen über die Eingliederungshilfe entzogen ist, bestätigt § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII dadurch, dass die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht(hier: Art 56 ff Hessische Landesverfassung iVm dem Hessischen Schulgesetz idF vom 14.6.2005 - GVBl 441) unberührt bleiben sollen. Die schulrechtlichen Verpflichtungen bestehen also grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen (BSG aaO). Auch das BVerwG hat in seiner Entscheidung vom 13.8.1992 - 5 C 70/88 - (Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr 16 S 3) ausgeführt, dass der Staat mit der Einrichtung der öffentlichen Grundschulen seinen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art 7 Abs 1 GG nachkomme und die Schulgeldfreiheit aus übergreifenden bildungs- und sozialpolitischen Gründen eine eigenständige (landesrechtliche) Regelung außerhalb des Sozialhilferechts gefunden habe, sodass für einen Rechtsanspruch gegen den Sozialhilfeträger zur Deckung eines im Grundschulalter angemessenen Bildungsbedarfs Aufnahmebeiträge und monatliches Schulgeld für den Besuch einer privaten Grundschule als Sozialhilfeleistung nicht zu übernehmen seien. Dabei ist das BVerwG in Bezug auf die erforderliche Hilfe nicht von einer nach Maßgabe des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe zu lösenden Anspruchskonkurrenz, sondern von einem Verhältnis der "Spezialität" ausgegangen, wobei es eine Ausnahme von diesem Grundsatz für möglich hielt, wenn der Besuch einer öffentlichen Grundschule aus objektiven Gründen (zB wegen ihrer räumlichen Entfernung vom Wohnort) oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Diese Rechtsprechung hat das BVerwG auch für Leistungen der Eingliederungshilfe bestätigt (Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02) und ausdrücklich ausgeführt, dass ein nachrangiges Eintreten der Sozialhilfe (nur) für solche Bedarfe nicht ausgeschlossen sei, die nicht in der Deckung des unmittelbaren Ausbildungsbedarfs im Rahmen der Schulpflicht bestünden, sondern damit lediglich - mehr oder weniger eng - zusammenhingen, etwa wie bei der Bereitstellung eines Integrationshelfers für behinderte Kinder an Regelschulen.

17

Nach diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf die Zahlung des Schulgelds als Leistung der Eingliederungshilfe. Zu dem Kernbereich der Schule gehören alle schulischen Maßnahmen, die dazu dienen, die staatlichen Lehrziele zu erreichen, in erster Linie also der (unentgeltliche) Unterricht, der die für den erfolgreichen Abschluss notwendigen Kenntnisse vermitteln soll. Damit unterliegt auch das vom Kläger begehrte Schulgeld unmittelbar diesem Kernbereich, weil die Übernahme des Schulgelds die von der Schule selbst zu erbringende Leistung, also den Unterricht, finanziert, mithin den schulischen Bildungsauftrag erfüllt und keine bloß unterstützende Leistung im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung darstellt. Wie die Entscheidung des Schulamts auszulegen ist und inwieweit sie auch für den Beklagten Bindungswirkung entfaltet (vgl dazu BVerwGE 130, 1 ff), ist danach ohne Belang. Ebenso spielt es in diesem Zusammenhang keine Rolle, dass sich der Beklagte mit der Beschulung in die B.-Schule einverstanden erklärt hat. Die Ausübung eines Wahlrechts, welche Schule besucht wird, hat nicht zur Folge, dass der Sozialhilfeträger ein etwaiges Schulgeld zahlen müsste.

18

Schulgeld wäre - abgesehen davon, dass es hier nicht Streitgegenstand ist (siehe oben) - auch nicht nach den Regelungen des Dritten bzw Vierten Kapitels des SGB XII zu erbringen. Entsprechende Leistungen könnten ggf zwar durch eine abweichende Festlegung des Regelsatzes nach § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII in der bis 31.12.2010 geltenden alten Fassung erbracht werden, dies würde aber voraussetzen, dass der Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abwiche. Der auf das Schulgeld gerichtete höhere Bedarf des Klägers wäre aber nicht unabweisbar. Nach den Feststellungen des LSG besteht für den Kläger eine gleichwertige und unentgeltliche Möglichkeit des Schulbesuchs an der Schule für praktisch Bildbare.

19

Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht schon darin zu sehen, dass das LSG - ohne ausdrücklichen Hinweis - einer Entscheidung eines anderen Senats desselben Gerichts nicht folgt. Da der Kläger unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung des Schulgelds hat, erübrigt sich im Übrigen - weil absolute Revisionsgründe nicht geltend gemacht werden - ein weiteres Eingehen auf den vermeintlichen Verfahrensfehler. Gleiches gilt für die behauptete Gehörsverletzung durch Übergehen des Vortrags, der Beklagte habe sich mit der Beschulung in der B.-Schule einverstanden erklärt (dazu auch oben). Soweit schließlich moniert wird, das LSG habe nicht geprüft, ob die Aufnahme in der M.-Schule an Kapazitäts- oder anderen Gründen gescheitert wäre (Verletzung der Amtsaufklärungspflicht; § 103 SGG), hätte dargelegt werden müssen (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG), warum sich das LSG - trotz Zuweisung des Klägers in die M.-Schule und Streitgegenstandsbegrenzung auf die Eingliederungshilfe - hätte gedrängt fühlen müssen, entsprechende Ermittlungen anzustellen. Für die Eingliederungshilfe wäre jedenfalls eine entsprechende Klärung ohne Bedeutung.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt vom beklagten Landkreis als Träger der Jugendhilfe den Ersatz der Kosten für eine selbst beschaffte Schulbegleitung im Schuljahr 2008/2009.

2

Der 1999 geborene Kläger litt unter anderem an einer Aufmerksamkeitsstörung, einer Störung sozialer Funktionen, einer Sprachstörung, einer kombinierten Störung schulischer Fertigkeiten sowie motorischen Problemen. Er besuchte ab dem Schuljahr 2007/2008 ein Sonderpädagogisches Förderzentrum im Bereich des Beklagten. Dieser gewährte dem Kläger ab November 2007 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten einer heilpädagogischen Einzelbehandlung.

3

Anfang August 2008 beantragte der Kläger die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für eine Schulbegleiterin. Dem Antrag waren eine Bescheinigung des Kinderzentrums München und eine Stellungnahme des Rektors des Sonderpädagogischen Förderzentrums beigefügt, in welchen der Einsatz eines individuellen Schulbegleiters in der Schule befürwortet wird.

4

Der Fachdienst des Jugendamts des Beklagten kam in einer Stellungnahme vom 24. September 2008 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger ein Integrationsrisiko in den Bereichen schulische Anpassung, Bewältigung von sozialen Situationen und sozialen Kompetenzen, allgemeine Selbständigkeit und Selbstwertproblematik, soziale Beziehung zu Familienangehörigen und Freizeitaktivitäten bestehe. Der Fachdienst schlug eine Fortführung der heilpädagogischen Einzelförderung mit zusätzlicher Kleingruppenarbeit und gegebenenfalls parallel eine ambulante Psychotherapie oder eine heilpädagogische Tagesstätte vor.

5

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2008 lehnte der Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme für eine Schulbegleitung mit der Begründung ab, es sei nicht Aufgabe der Jugendhilfe, die Kosten des pädagogischen und integrativen Bedarfs an Förderschulen zu decken. Die Notwendigkeit einer Unterstützung des Klägers im Schulalltag werde vom Fachdienst zwar bestätigt, jedoch sei hierfür vorrangig die Schule heranzuziehen.

6

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Zur Begründung wurde im Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2008 ausgeführt, dass dem Jugendhilfeträger bei der Entscheidung über Notwendigkeit und Geeignetheit einer Hilfe ein Beurteilungsspielraum zustehe. Die Beurteilung des Jugendamtes, dass für den Kläger die Fortführung der heilpädagogischen Einzelförderung und ggf. Psychotherapie oder eine heilpädagogische Tagesstätte die geeignete und notwendige Eingliederungshilfemaßnahme darstelle, sei angemessen, fachlich vertretbar und nachvollziehbar.

7

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, dem Kläger die Kosten für die Schulbegleitung im Schuljahr 2008/2009 zu gewähren. Der Beurteilungsspielraum des Beklagten bei der Auswahl der im Einzelfall zu gewährenden Hilfe sei auf diese Maßnahme reduziert. Der durch die schulische Teilhabebeeinträchtigung ausgelöste Bedarf des Klägers könne trotz der sonderpädagogischen Ausrichtung der Förderschule von dieser nicht ausreichend abgedeckt werden.

8

Der Verwaltungsgerichtshof hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die vom Kläger selbst beschaffte Hilfe eines Schulintegrationshelfers sei für sich genommen fachlich nicht geeignet gewesen. Die nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII - zu gewährende Eingliederungshilfe erfordere eine Hilfe, die dem Hilfebedarf des Behinderten in seiner Gesamtheit gerecht werde. Hier hätten sich die Eltern des Klägers lediglich für eine Schulbegleitung entschieden. Damit seien die übrigen von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche vernachlässigt und dem Kläger eine seinem gesamten Eingliederungsbedarf entsprechende Hilfe vorenthalten worden. Ein solches Vorgehen genüge auch nicht allgemeingültigen fachlichen Maßstäben, weil mögliche negative Wechselwirkungen einer Schulbegleitung - etwa im Bereich der Verselbständigung - mit dem im Übrigen bestehenden Hilfebedarf nicht berücksichtigt worden seien.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 36a Abs. 3 und des § 35a SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII -.

10

Der Beklagte und die beteiligte Landesanwaltschaft verteidigen das angefochtene Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs steht mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht in Einklang (1). Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) (2). Weil der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend entscheiden kann, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) (3).

12

1. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass nur dann ein Anspruch auf Eingliederungshilfe und dementsprechend auf Aufwendungsersatz für eine selbst beschaffte Maßnahme bestehen könne, wenn die Hilfemaßnahme auf die Deckung des Gesamtbedarfs ausgerichtet sei, ist mit § 35a SGB VIII nicht vereinbar.

13

Der Verwaltungsgerichtshof ist jedoch zutreffend davon ausgegangen, dass als Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der verauslagten Aufwendungen für eine Integrationshelferin § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII einschlägig ist. Nach dieser Vorschrift setzt ein Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für Hilfen, die - wie hier - vom Leistungsberechtigten abweichend von § 36a Abs. 1 und 2 SGB VIII selbst beschafft werden, ohne dass eine Entscheidung des Trägers der Jugendhilfe oder eine Zulassung durch diesen vorangegangen ist, voraus, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1), die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorgelegen haben (Nr. 2) und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3).

14

Die Beteiligten streiten zu Recht weder darüber, dass der Kläger den Beklagten mit seinem Anfang August 2008 gestellten Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Bereitstellung einer Schulbegleitung (Integrationshelfers) rechtzeitig (vgl. Urteil vom 11. August 2005 - BVerwG 5 C 18.04 - BVerwGE 124, 83 <86 ff.> = Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 4 S. 10 ff.) vor Beginn des Zeitraums, für den die Übernahme der Aufwendungen beantragt wurde, von dem Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, noch darüber, dass - bei Vorliegen eines Leistungsanspruchs - die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. Im Streit steht allein das Vorliegen der Voraussetzung des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII, hier also die Frage, ob dem Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum ein Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleiterin aus § 35a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zustand. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof mit einer Begründung verneint, die rechtlich nicht trägt.

15

a) Dabei ist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Anforderungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hier erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1) und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2). Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen dessen Annahme - die auch zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht -, dass die seelische Gesundheit des Klägers im streitigen Zeitraum von dem für sein Lebensalter typischen Zustand abwich. Denn danach litt der Kläger unter anderem an einer Aufmerksamkeitsstörung, einer Störung sozialer Funktionen, einer Sprachstörung, einer kombinierten Störung schulischer Fertigkeiten sowie motorischen Problemen. Diese Abweichung führte dazu, dass die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt bzw. eine solche Beeinträchtigung zu erwarten war. So bestand nach der vom Verwaltungsgerichtshof in Bezug genommenen Bewertung des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Beklagten bei dem Kläger ein Integrationsrisiko in den Bereichen schulische Anpassung, allgemeine Selbständigkeit, Bewältigung von sozialen Situationen sowie sozialen Beziehungen zu Familienangehörigen und Freizeitaktivitäten.

16

b) Der Verwaltungsgerichtshof hat weiterhin im Ansatz auch zutreffend angenommen, dass die begehrte Maßnahme als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII einzuordnen ist, die geeignet und erforderlich sein muss, dem behinderten Menschen den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern.

17

Nach § 35a Abs. 3 SGB VIII richten sich Aufgabe und Ziel der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Leistungen nach § 53 Abs. 3 und 4 Satz 1 sowie den §§ 54, 56 und 57 SGB XII, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden. Dementsprechend erhalten nach § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII seelisch behinderte Kinder Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu.

18

Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII kann auf § 12 der Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (EinglHVO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1975 (BGBl I S. 433), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3022), zurückgegriffen werden. § 12 EinglHVO nennt zwar nur noch Maßnahmen zugunsten körperlich oder geistig behinderter Kinder und Jugendlicher. Die Regelung enthält jedoch eine allgemeine Konkretisierung des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII. Mit diesem Inhalt ist sie kraft der Verweisung des § 35a Abs. 3 SGB VIII auch für seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen entsprechend anwendbar (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 15. Juni 2011 - 7 A 10420/11 - JAmt 2011, 594 f. Rn. 39 f.; Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Aufl. 2012, § 35a Rn. 22 m.w.N.).

19

Nach § 12 Nr. 1 EinglHVO gehören zu den Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch heilpädagogische und sonstige Maßnahmen, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Dies schließt alle Leistungen ein, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Eingliederung zu erreichen, d.h. die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mindern (vgl. Urteil vom 28. April 2005 - BVerwG 5 C 20.04 - BVerwGE 123, 316 <318>). Die Zurverfügungstellung einer Schulbegleitung bzw. Integrationshilfe fällt dabei unter den in § 12 Nr. 1 EinglHVO verwandten Begriff der "sonstige(n) Maßnahmen" zugunsten behinderter Kinder (Beschluss vom 2. September 2003 - BVerwG 5 B 259.02 - juris Rn. 15).

20

c) Der tragende Rechtsstandpunkt, mit dem der Verwaltungsgerichtshof das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe durch Bereitstellung einer Schulbegleiterin abgelehnt hat, nämlich der Satz, dass ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII und dementsprechend auf Aufwendungsersatz für eine selbst beschaffte Maßnahme (§ 36a Abs. 3 SGB VIII) nur bestehen könne, wenn diese Hilfe dem Hilfebedarf in seiner Gesamtheit gerecht werde (UA S. 13 Rn. 81 f.), hält aber einer Überprüfung nicht stand. Ein solcher Rechtssatz lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

21

§ 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII trifft selbst keine Regelung darüber, wie ein Hilfebedarf zu decken ist, sondern knüpft (in Nr. 2 der Vorschrift) den Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine selbst beschaffte Hilfe insbesondere daran, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe nach einer anderen Bestimmung des Gesetzes - hier allein in Betracht kommend der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII - vorgelegen haben.

22

Aus der Regelung des § 35a SGB VIII kann der Rechtssatz, dass eine (selbst beschaffte) Hilfemaßnahme, um einen Anspruch auf Kostenübernahme nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII begründen zu können, den gesamten Eingliederungshilfebedarf abdecken muss, ebenfalls nicht abgeleitet werden. Dieser Satz findet weder im Wortlaut des § 35a SGB VIII oder den von dieser Norm in Bezug genommenen Vorschriften eine Verankerung, noch lässt er sich aus der Systematik oder aus dem Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe folgern.

23

Während der Wortlaut des § 35a SGB VIII noch offen ist, spricht die Systematik des Gesetzes in gewichtiger Weise dafür, dass Eingliederungshilfeleistungen auch darauf ausgerichtet sein dürfen, einen Teilbedarf zu decken. So greift § 35a Abs. 3 SGB VIII mit der Inbezugnahme auf § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII und damit die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung selbst einen Teilleistungsbereich heraus und geht davon aus, dass es Hilfen gibt, die gerade auf die Deckung dieses (Teil-) Bedarfs zugeschnitten sind. Die systematische Gesamtschau mit den weiteren von § 35a Abs. 3 SGB VIII in Bezug genommenen Leistungstatbeständen unterstützt dieses Ergebnis. Diese enthalten ebenfalls in der Regel - wie sich aus der jeweiligen Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt - beispielhafte Aufzählungen (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, § 26 Abs. 2 und 3 SGB IX, § 33 Abs. 2, 3 und 6 SGB IX), die ein offenes Leistungssystem normieren und jeweils darauf ausgerichtet sind, den Bedarf in bestimmten Bereichen zu decken (vgl. Urteil vom 18. Oktober 2012 - BVerwG 5 C 15.11 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

24

Dieses Auslegungsergebnis wird durch den Sinn und Zweck der Regelungen über die Eingliederungshilfe bestätigt. Aufgabe und Ziel der Eingliederungshilfe werden durch die über § 35a Abs. 3 SGB VIII entsprechend anwendbare Regelung des § 53 Abs. 3 SGB XII näher bestimmt. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es danach, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern.

25

Im Hinblick auf diese Zwecksetzung geht der Verwaltungsgerichtshof zwar im Ansatz richtig davon aus, dass der Jugendhilfeträger möglichst den gesamten Hilfebedarf abzudecken hat, der durch die seelische Behinderung hervorgerufen wird und deshalb alle von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche in den Blick zu nehmen hat. Hilfebedarfe in unterschiedlichen Lebensbereichen sollen dabei nach Möglichkeit einheitlich abgedeckt werden und etwa die Eingliederungshilfe mit der Erziehungshilfe kombiniert werden (vgl. § 35a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Hilfeleistungen sind demnach so auszuwählen und aufeinander abzustimmen, dass sie den gesamten Bedarf so weit wie möglich erfassen. Denn aus dem (sozialhilferechtlichen) Bedarfsdeckungsgrundsatz, der im Bereich der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe in § 35a Abs. 2 SGB VIII (vgl. "Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall ... geleistet") verankert ist, folgt, dass grundsätzlich der gesamte im konkreten Einzelfall anzuerkennende Hilfebedarf seelisch behinderter oder von einer solchen Behinderung bedrohter Kinder oder Jugendlicher abzudecken ist (vgl. Urteile vom 18. Oktober 2012 a.a.O. und vom 19. Oktober 2011 - BVerwG 5 C 6.11 - Buchholz 436.511 § 10 KJHG/SGB VIII Nr. 6 Rn. 12 m.w.N.). Das erfordert, dass sich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw. im Fall der selbstbeschafften Hilfe der Leistungsberechtigte der Art und Form nach aller Leistungen und Hilfen bedienen kann, die zur Deckung des konkreten und individuellen eingliederungsrechtlichen Bedarfs geeignet und erforderlich sind (Urteil vom 18. Oktober 2012 a.a.O.).

26

Dies kann es jedoch gerade bedingen, dass der durch Teilhabebeeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen erzeugte Hilfebedarf nur durch verschiedene, auf den jeweiligen Bereich zugeschnittene Leistungen abgedeckt werden kann und muss, um die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen. Hilfebedarf in unterschiedlichen Bereichen kann es geboten erscheinen lassen, verschiedene Hilfeleistungen zu kombinieren oder durch mehrere Einzelleistungen den Gesamtbedarf des Hilfebedürftigen abzudecken. Um dem Ziel der Eingliederungshilfe nach möglichst umfassender Bedarfsdeckung in allen von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Bereichen gerecht zu werden, kann es, wenn nicht sogleich der Gesamtbedarf gedeckt werden kann, erforderlich sein, Hilfeleistungen zumindest und zunächst für diejenigen Teilbereiche zu erbringen, in denen dies möglich ist. Steht etwa eine bestimmte Hilfeleistung tatsächlich zeitweilig nicht zur Verfügung oder wird eine bestimmte Hilfe vom Hilfeempfänger oder dessen Erziehungsberechtigten (zeitweise) nicht angenommen, kann es gleichwohl geboten sein, die Hilfen zu gewähren, die den in anderen Teilbereichen bestehenden (akuten) Bedarf abdecken.

27

Etwas anderes kann - mit Blick auf den dargelegten Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe - dann anzunehmen sein, wenn die Gewährung der Hilfe für einen Teilbereich die Erreichung des Eingliederungszieles in anderen von der Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereichen erschweren oder vereiteln würde, es also zu Friktionen zwischen Hilfsmaßnahmen käme. Nachteilige Wechselwirkungen mit anderen Hilfeleistungen können die fachliche Geeignetheit einer (begehrten) Leistung für einen Teilleistungsbereich in Frage stellen. Dies ist eine Frage der fachlich sinnvollen Abstimmung verschiedener Hilfeleistungen aufeinander.

28

Dass der Gesamtbedarf durch eine bestimmte Hilfemaßnahme nicht gedeckt wird, schließt es mithin - entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofs - nicht aus, dass sie geeignet und erforderlich sein kann, einen Teilbedarf zu decken und insoweit ein Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht; es sei denn, die Gewährung der Hilfe für diesen Teilbedarf würde Hilfemaßnahmen für andere von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffene Lebensbereiche vereiteln oder konterkarieren.

29

2. Das Urteil des Verwaltungsgerichthofs erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs kann nicht der rechtliche Schluss gezogen werden, dass eine der (sonstigen) Voraussetzungen für die Übernahme der Aufwendungen für die Schulbegleitung nicht vorliegt und deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht besteht.

30

a) Der Anspruch des Klägers auf den Ersatz von Aufwendungen für die Schulbegleitung gemäß § 36a Abs. 3 SGB VIII scheidet nicht deshalb aus, weil der Beklagte - unter Berücksichtigung seines Einschätzungsspielraums - die begehrte Hilfe mit vertretbaren Erwägungen abgelehnt hat.

31

aa) Die gerichtliche Kontrolldichte ist aufgrund der aus § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII folgenden Steuerungsverantwortung des Jugendhilfeträgers beschränkt. Nach dieser Vorschrift trägt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass es nicht dem gesetzlichen Auftrag des Jugendhilfeträgers entspricht, nur "Zahlstelle" und nicht Leistungsträger zu sein. Das Jugendhilferecht zielt auf eine partnerschaftliche Hilfe unter Achtung familiärer Autonomie und auf kooperative pädagogische Entscheidungsprozesse. Nur wenn die Eltern bzw. der Hilfeempfänger grundsätzlich den Träger der Jugendhilfe von Anfang an in den Entscheidungsprozess einbeziehen, kann er seine aus § 36a Abs. 1, § 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben und die Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB VIII wahrnehmen (Beschluss vom 22. Mai 2008 - BVerwG 5 B 130.07 - JAmt 2008, 600).

32

Weil der Hilfeplan eine unverzichtbare Voraussetzung der Gewährung von Jugendhilfe bildet, ist es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit entscheidend, ob die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe auch ohne eine schriftliche Fixierung in einem Hilfeplan festgestellt werden kann. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des Kindes bzw. des Jugendlichen und mehrerer Fachkräfte handelt, welches nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten soll, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich dabei darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (Urteil vom 24. Juni 1999 - BVerwG 5 C 24.98 - BVerwGE 109, 155 <167>).

33

Dementsprechend ist auch bei der Selbstbeschaffung einer aus fachlichen Gründen abgelehnten bzw. vom Hilfeplan ausgeschlossenen Leistung im Hinblick auf § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu prüfen, ob der vom Jugendamt aufgestellte Hilfeplan (bzw. das Hilfekonzept) verfahrensfehlerfrei zustande gekommen, nicht von sachfremden Erwägungen beeinflusst und fachlich vertretbar ist. Diese Prüfung erstreckt sich dabei nicht auf eine reine Ergebniskontrolle, sondern erfasst auch die von der Behörde - maßgeblich ist die letzte Behördenentscheidung - gegebene Begründung. Denn diese muss für den Betroffenen nachvollziehbar sein, um ihn in die Lage zu versetzen, mittels einer Prognose selbst darüber zu entscheiden, ob eine Selbstbeschaffung (dennoch) gerechtfertigt ist. Hat das Jugendamt die begehrte Hilfe aus im vorgenannten Sinne vertretbaren Erwägungen abgelehnt, besteht weder ein Anspruch des Betroffenen auf die begehrte Eingliederungshilfeleistung noch auf den Ersatz von Aufwendungen für eine selbst beschaffte Hilfe. Der Regelung des § 36a Abs. 3 SGB VIII liegt in dem Sinne der Gedanke des Systemversagens zugrunde, dass die selbst beschaffte Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt worden sein muss (vgl. Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 6. Aufl. 2009, § 36a Rn. 4 m.w.N.).

34

Hat demgegenüber das Jugendamt nicht rechtzeitig oder nicht in einer den vorgenannten Anforderungen entsprechenden Weise über die begehrte Hilfeleistung entschieden, können an dessen Stelle die Betroffenen den sonst der Behörde zustehenden nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen. Denn in dieser Situation sind sie - obgleich ihnen der Sachverstand des Jugendamtes fehlt - dazu gezwungen, im Rahmen der Selbstbeschaffung des § 36a Abs. 3 SGB VIII eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen. Weil nun ihnen die Entscheidung aufgebürdet ist, eine angemessene Lösung für eine Belastungssituation zu treffen, hat dies zur Folge, dass die Verwaltungsgerichte nur das Vorhandensein des jugendhilferechtlichen Bedarfs uneingeschränkt zu prüfen, sich hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften Hilfe aber auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung der Leistungsberechtigten zu beschränken haben. Ist die Entscheidung der Berechtigten in diesem Sinne fachlich vertretbar, kann ihr etwa im Nachhinein nicht mit Erfolg entgegnet werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe für geeignet gehalten (vgl. Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, a.a.O.; Kunkel, LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 36a Rn. 13 jeweils m.w.N.).

35

bb) Bei Zugrundelegung der vorstehenden Maßstäbe lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte die begehrte Hilfeleistung in nicht zu beanstandender Weise verweigert hat. Im Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2008 hat dieser die Ablehnung einer Schulbegleitung nicht mit fachlichen Erwägungen, sondern mit der - wie noch (sogleich unter 2. b) darzulegen sein wird - so nicht zutreffenden rechtlichen Erwägung begründet, dass hierfür die Förderschule allein zuständig sei. In der insoweit maßgeblichen letzten Behördenentscheidung, dem Widerspruchsbescheid, wird diese Begründung zwar ausgetauscht und auf die Stellungnahme des Fachdienstes des Jugendamts vom 24. September 2008 verwiesen, aus der sich die mangelnde fachliche Notwendigkeit einer Schulbegleitung ergebe. Allerdings wird gerade in dieser Stellungnahme bei dem Kläger ein "Integrationsrisiko" im Bereich der "schulischen Anpassung" ausgemacht und ein zusätzlicher Betreuungsbedarf nicht in Abrede gestellt. Für die Ablehnung der von den Erziehungsberechtigten des Klägers geforderten Schulbegleitung wird in der Stellungnahme weder ein nachvollziehbares fachliches noch ein durchgreifendes rechtliches Argument geliefert. Am Ende der Stellungnahme heißt es lediglich, dass eine Schulbegleitung nur im Falle einer Beschulung an einer Regelschule notwendig sei. Weil diese Aussage in ihrer Pauschalität weder rechtlich fundiert ist noch eine fachliche Begründung für die Verweigerung der Leistung darstellt, ist die Hilfeplanung der Beklagten jedenfalls im Hinblick auf den hier streitigen schulischen Betreuungsbedarf als defizitär anzusehen, so dass die Steuerungsverantwortung des Jugendamts der Aufwendungserstattung für die selbst beschaffte Hilfe hier nicht entgegensteht.

36

b) Das Urteil des Verwaltungsgerichthofs erweist sich auch nicht deshalb als richtig, weil - wie der Beklagte und der Beteiligte der Sache nach geltend gemacht haben - der Anspruch des Klägers auf Eingliederungshilfe in Gestalt einer Schulbegleitung wegen eines Vorrangs der schulischen Leistung ausscheide.

37

aa) Eine Spezialität in dem Sinne, dass eine schulische Förderleistung einschlägig ist, die einen Anspruch auf jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe ausschließen könnte, liegt nicht vor. Zwar käme eine die Eingliederungshilfe verdrängende, weil ausschließlich von der Schule - hier der Förderschule - zu erbringende Leistung in Betracht, wenn der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer in der Schule betroffen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R - juris Rn. 21). Dieser Bereich ist jedoch unabhängig von seiner exakten Bestimmung (s. dazu BSG, Urteil vom 22. März 2012 a.a.O. Rn. 21 f.) hier nicht betroffen. Vielmehr ging es - wie sich auch aus den vom Verwaltungsgerichtshof zitierten Stellungnahmen des Kinderzentrums sowie des Rektors des Sonderpädagogischen Förderzentrums schließen lässt - darum, dass die Schulbegleitung die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrer absichern und mit die Rahmenbedingungen dafür schaffen sollte, dem Kläger erst den erfolgreichen Besuch der Schule zu ermöglichen.

38

bb) Ein Anspruch des Klägers auf eine Schulbegleitung ist auch nicht wegen des Nachrangs der Jugendhilfe ausgeschlossen.

39

Nach § 10 Abs. 1 SGB VIII werden Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, durch dieses Buch nicht berührt. Darin ist der Grundsatz vom Nachrang der Jugendhilfe bzw. die allgemeine Subsidiarität jugendhilferechtlicher Leistungen gegenüber denen anderer Sozialleistungsträger und der Schulen verankert (vgl. Urteile vom 27. Mai 2010 - BVerwG 5 C 7.09 - BVerwGE 137, 85 <87> und vom 22. Februar 2007 - BVerwG 5 C 32.05 - Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 5 Rn. 16). Dieser Grundsatz kommt auch in der Formulierung des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 SGB XII zum Ausdruck, dass die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt bleiben. Es genügt aber für die Nachrangigkeit der Jugendhilfe nicht, dass eine anderweitige Verpflichtung überhaupt besteht. Vielmehr muss diese anderweitige Verpflichtung auch rechtzeitig realisierbar und nach den Umständen des Einzelfalles im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckende Hilfe zu erhalten sein (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 8. September 2010 - 12 A 1326/10 - juris m.w.N.; Gutachten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. vom 22. Januar 2012 - G 3/10, NDV 2012, 264; Vondung, in: Kunkel, LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 10 Rn. 7). In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht auch einen gegenüber der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe vorrangigen Anspruch gegen die Schulverwaltung nur angenommen, soweit und solange die Schule tatsächlich Hilfe gewährt oder der Betroffene den Anspruch auf Hilfeleistung gegen die Schulverwaltung rechtzeitig verwirklichen kann (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 13. Juni 2001 - BVerwG 5 B 105.00 juris Rn. 2; Urteil vom 23. November 1995 - BVerwG 5 C 13.94 - BVerwGE 100, 50 <54>).

40

Gemessen an diesen Grundsätzen kann hier jedenfalls nicht angenommen werden, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Schulverwaltung auf Bereitstellung eines Integrationshelfers für den Besuch der Förderschule rechtzeitig hätte geltend machen oder durchsetzen können. Denn zu dieser Frage des nicht revisiblen Landesrechts hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mit Urteil vom 6. Juli 2005 (12 B 02.2188 - FEVS 57, 138 <139>) entschieden, dass behinderten Kindern nach bayerischem Landesrecht kein Anspruch gegen die Schulverwaltung auf Bereitstellung eines Integrationshelfers für den Besuch einer Förderschule zukommt.

41

3. Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs kann der Senat nicht abschließend über die Sache entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

42

Der Verwaltungsgerichtshof hat keine genügenden Feststellungen dazu getroffen, ob und inwieweit eine Schulbegleitung als einen Teilbedarf abdeckende Maßnahme geeignet und erforderlich ist, sondern sich - auf der Grundlage seiner Rechtsansicht konsequent - lediglich dazu verhalten, dass die dem Kläger vom Fachdienst des Beklagten angebotene Behandlung in einer heilpädagogischen Tagesstätte (ggf. in Kombination mit einer Psychotherapie) eine geeignete, weil ganzheitliche Hilfemaßnahme gewesen sei. Der Verwaltungsgerichtshof wird daher zu prüfen haben, ob - bei Zugrundelegung eines fachlichen Einschätzungsspielraums - die Erziehungsberechtigten des Klägers für den streitbefangenen Zeitraum eine Schulbegleitung für geeignet und erforderlich halten durften, um den Schulbesuch des Klägers am Förderzentrum zu ermöglichen oder zu erleichtern. Im Rahmen der Prüfung, ob die Entscheidung für die Selbstbeschaffung der Schulbegleitung im vorgenannten Sinne vertretbar und nachvollziehbar war, wird dabei zu berücksichtigen sein, ob die Bestellung einer Schulbegleitung im streitigen Zeitraum auf die vom Beklagten gewährte sonstige Hilfeleistung, nämlich auf die weitergeführte heilpädagogische Einzelförderung mit zwei Wochenstunden in einer heilpädagogischen Fachpraxis, eine deren Zielsetzung vereitelnde Wirkung gehabt hätte und dies für die Erziehungsberechtigten erkennbar war.

43

Dies führt zur Zurückverweisung der Sache (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Auf den vom Kläger gerügten Verfahrensmangel kommt es daher nicht mehr an.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des laufenden Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII in Form einer Schulbegleitung für den Besuch der Q.    -N.    -Schule in I.      in dem vor dem Erlass des Ablehnungsbescheides vom 19. August 2014 gewährten Umfang zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.


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Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Rostock vom 29. Oktober 2013 aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, ab dem 1. März 2014 längstens bis zum 14. Juli 2014 (Beginn der Sommerferien) vorläufig dem Antragsteller für die Beauftragung entstehende Kosten für die Bereitstellung eines Integrationshelfers zur Begleitung des Antragstellers während des Schulunterrichts bis zu einem Betrag von 700 € monatlich zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwalt P., A-Stadt, beigeordnet.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in Form eines Integrationshelfers für den Schulbesuch des Antragstellers.

2

Der Antragsteller wurde am 20. November 1999 geboren. Ausweislich des ärztlichen Attests der Universitätsmedizin A-Stadt (vom 26. November 2013) bestehen bei dem Antragsteller eine mittelgradige Intelligenzminderung, deutliche Verhaltensstörungen und Artikulationsstörungen. Insbesondere sind das Sozialverhalten des Antragstellers und seine Emotionen gestört, bei stark eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit, geringer Ausdauer und Aggressionen.

3

Der Antragsteller besucht die von der Beigeladenen betriebene St. Michael-Schule, Staatlich anerkannte Förderschule zur individuellen Lebensbewältigung.

4

Seit Juli 2008 erhielt die Erziehungsberechtigte des Antragstellers Hilfe zur Erziehung nach dem SGB VIII vom Antragsgegner – Amt für Jugend und Soziales.

5

Der Antragsteller beantragte am 2. Februar 2010 die Finanzierung eines Integrationshelfers.

6

In ihrer Stellungnahme vom 30. August 2010 riet die St. Michael–Schule einem anonymisierten Antragsteller, einen Antrag auf Finanzierung eines Integrationshelfers zu stellen.

7

In einer Einschätzung vom 21. Januar 2011 kam das DRK zu dem Ergebnis, die schulische Integration des Antragstellers sei nicht erfolgt.

8

Den Antrag auf Finanzierung eines Integrationshelfers lehnte der Antragsgegner durch Bescheid vom 25. Mai 2012 ab. Der Antragsteller erhob Widerspruch.

9

In ihrer Stellungnahme vom 20. Juni 2012 führte die St. Michael–Schule unter anderem aus, der Antragsteller benötige eine konkrete Bezugsperson.

10

Der kommunale Sozialverband Mecklenburg-Vorpommern wies mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2013 den Widerspruch des Antragstellers zurück.

11

Der Antragsteller hat am 17. Mai 2013 Klage erhoben (S 8 SO 53/13), die beim Sozialgericht noch anhängig ist.

12

Am 4. September 2013 hat der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er hat im Wege der Eingliederungshilfe die Gewährung eines schulbegleitenden Integrationshelfers begehrt.

13

Das Sozialgericht hat am 22. Oktober 2013 die Sach- und Rechtslage erörtert und die Klassenlehrerin des Antragstellers und die Schulleiterin vernommen.

14

Durch Beschluss vom 29. Oktober 2013 hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nach § 86b Abs. 2 SGG nicht glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen der §§ 19, 53, 54 SGB XII lägen nicht vor. Das Gericht gehe davon aus, dass der Antragsteller aufgrund seiner bestehenden Behinderung dem Grunde nach zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 53 SGB XII gehöre. Die hier begehrte Leistung liege jedoch außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Sozialhilfeträgers, sondern im Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule. Soweit das BSG ausführe, dass sich dieser Kernbereich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimme, vermöge die Kammer dem nicht zu folgen. Aus diesem Grund kommt das Sozialgericht zu dem Ergebnis, dass der Hilfebedarf des Antragstellers vollständig innerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit der Förderschule liege und damit außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Sozialhilfeträgers: Es sei grundsätzlich Aufgabe der Schulverwaltung und der Schulträger sicherzustellen, dass die Schulen über die erforderliche personelle und finanzielle Ausstattung verfügten, um den Anspruch eines jeden Schülers auf schulische Bildung und Erziehung und den Anspruch auf sonderpädagogische Förderung von Kindern und Jugendlichen, die zur Entwicklung ihrer geistigen, körperlichen, seelischen, sozialen oder kommunikativen Fähigkeiten sonderpädagogischer Hilfe bedürften, zu erfüllen. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Schulverwaltung und die Schulträger dieser Aufgabe gegenwärtig nicht in vollem Umfange gerecht würden, könne dies nicht dazu führen, dass die Erfüllung der Kernaufgaben der pädagogischen Arbeit der Schulen in die Zuständigkeit der Sozialhilfe falle.

15

Mit seiner am 4. Dezember 2013 erhobenen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

16

Er beantragt,

17

dem Antragsteller die beantragte Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für einen Integrationshelfer in der St. Michael-Schule, A-Stadt, zu gewähren.

18

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.

II.

19

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und im Wesentlichen begründet. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben. Der Antragsgegner ist im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG dem Grunde zu verpflichten, dem Antragsteller im Grundsatz die begehrten Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 2 SGB IX i. V. m. §§ 53, 54 SGB XII in Verbindung mit §§ 2, 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung zu gewähren.

20

Der Senat sieht das Vorliegen eines Anordnungsanspruches als überwiegend wahrscheinlich an. Der Kläger ist, wie die Beweisaufnahme vor dem Sozialgericht ergeben hat, nur noch in Einzelsituationen förderbar (Klassenlehrerin S.). Weiter hat die Beweisaufnahme durch die genannte Zeugin ergeben, dass mit zunehmendem Alter eine positive Beeinflussung des Antragstellers schwieriger wird. Daher sieht der Senat auch einen Anordnungsgrund als glaubhaft gemacht an. Im Rahmen des dem Senat zustehenden Ermessens wird die einstweilige Anordnung für die Zukunft ausgesprochen, weil ein Integrationshelfer in der Vergangenheit ersichtlich nicht tätig geworden ist. Zudem wird die einstweilige Anordnung bis zum Ende des laufenden Schuljahres zeitlich begrenzt.

21

Die Tatsache, dass der Antragsteller zum Kreis der berechtigten Personen der Eingliederungshilfe gehört, ist bereits vom Sozialgericht im angefochtenen Beschluss herausgearbeitet worden und bedarf keiner weiteren Vertiefung. Insbesondere hat die vom Sozialgericht vorgenommene Beweisaufnahme plastisch dargelegt, dass der Antragsteller zu den geistig behinderten Kindern gehört, bei denen Maßnahmen der Eingliederungshilfe erforderlich und geeignet sind. Gegenwärtig ist der Antragsteller nämlich nicht in der Lage, seiner allgemeinen Schulpflicht - auch im Rahmen der von ihm besuchten Förderschule - gerecht zu werden. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Stellungnahme der St. Michael-Schule vom 20. Juni 2012 und aus der Aufforderung der St. Michael-Schule, die Förderung eines Integrationshelfers (durch den Antragsteller?) zu beantragen (Blatt 81 der Verwaltungsakte). Selbst der dem Antragssteller von der St. Michael-Schule dort gebotene Unterricht in einer kleinen Gruppe wird vom Antragsteller nicht toleriert. Auch die Tatsache, dass dieser von mehr als einer Lehrkraft gegeben wird, reicht nicht aus. Damit kommt nach Auffassung des Senates - bei der hier im Rahmen des Eilverfahrens nur möglichen vorläufigen Einschätzung des Sachverhaltes - letztlich nur eine zusätzliche Einzelbetreuung des Antragstellers durch einen Integrationshelfer während des Unterrichts und in den Pausen in Betracht, zu der der Senat den Antragsgegner hiermit auch verpflichtet.

22

Der Senat folgt der Auffassung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R -, Juris), wonach Eingliederungshilfeleistungen der Sozialhilfeträger nur im Rahmen des sozialhilferechtlich zu bestimmenden Kernbereichs der pädagogischen Aufgaben der Schule nicht zu erbringen sind (Leitsatz). Wie bereits § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verdeutlicht, liegt § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung ein individualisiertes Verständnis zugrunde. Eine Unterscheidung der Maßnahme nach ihrer Art, etwa nach pädagogischen oder nichtpädagogischen bzw. begleitenden, ist rechtlich nicht geboten. Deshalb können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören. Ausgeschlossen sind allerdings Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind, der sich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulischen Belange (so aber der angefochtene Beschluss des SG), sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmt (BSG, a. a. O., Rn. 21). Die schulischen Verpflichtungen stehen mithin grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen. (Nur) der Kernbereich der schulischen Arbeit liegt damit nach dem Sinn und Zweck der §§ 53, 54 SGB XII grundsätzlich außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Sozialhilfeträgers (BSG, a. a. O., Rn. 21).

23

Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um den eigentlichen Kernbereich der schulischen Arbeit. Die beantragte Assistenz durch einen Integrationshelfer weist den Charakter einer Unterstützung auf und liegt außerhalb der pädagogischen Arbeit der Lehrer der vom Antragsteller besuchten Schule (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O., Rn. 28). Auch das DRK führt in seiner Stellungnahme vom 27. Januar 2011 aus, eine schulische Integration des Antragstellers sei gerade nicht erfolgt. Auch die St. Michael-Schule hält eine konkrete Bezugsperson des Antragstellers für geboten. Nach Auffassung des Senates ist damit das Zurseitestellen eines Integrationshelfers eine Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine schulische Integration und damit pädagogische Arbeit im eigentlichen Sinne ermöglicht werden kann.

24

Im Rahmen der Interessenabwägung, die bei dem im vorliegenden Fall nicht hinreichend aufgeklärten Sachverhalts allein nur möglich ist, schätzt der Senat die im Wege der einstweiligen Anordnung zuzusprechenden Kosten auf monatlich maximal 700 € (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Dezember 2013 – L 9 SO 429/13 B -, Juris, Rn. 45).

25

Der Senat kann es im vorliegenden Fall offen lassen, ob ein Anspruch nach Sozialhilferecht eventuell nachrangig (§ 2 SGB XII) ist gegenüber einem Anspruch nach § 35a SGB VIII (vgl. § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Für die Nachrangigkeit gegenüber der Jugendhilfe genügt nicht, dass eine anderweitige Verpflichtung besteht. Vielmehr muss diese anderweitige Verpflichtung auch rechtzeitig realisierbar und nach den Umständen des Einzelfalles im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckenden Hilfe zu erhalten sein (LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O., Rn. 44, mit weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts; ebenso BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R -, Juris, Rn. 25, mit weiteren Nachweisen). Aus dem Schreiben der St. Michael–Schule vom 30. August 2010 folgt, dass diese sich jedenfalls bei Schülern mit Behinderungen, wie sie der Antragsteller aufweist, außer Stande sieht, ihren Bildungsauftrag adäquat zu erfüllen.

26

Da die Sache keinen weiteren Aufschub duldet, ist die einstweilige Anordnung zu erlassen. Im Übrigen ist der Antragsgegner selbst örtlicher Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII. Daher braucht der Senat nicht zu prüfen, ob vorrangig Ansprüche aus diesem Gesetzbuch in Betracht kommen. Gegebenenfalls muss der Sozialhilfeträger mittels einer Überleitungsanzeige (§ 93 SGB XII) (auch) beim zuständigen Schulträger Rückgriff nehmen (vgl. BSG, a. a. O. Rn. 25). Die Frage, wer letztendlich der zuständige Leistungsträger ist, muss dem Verfahren der Hauptsache vorbehalten bleiben. Angesichts der Tatsache, dass dieses bereits seit 17. Mai 2013 beim Sozialgericht anhängig ist und auf einem Antrag vom 2. Februar 2010 beruht, dürfte einer baldigen Förderung des Verfahrens in der Hauptsache nichts entgegen stehen.

27

Dem Antragsteller ist Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu gewähren, weil - aus den oben dargestellten Gründen – die Sache hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a SGG in Verbindung mit § 114 ZPO).

28

Die Kostenentscheidung beruht auf (193 SGG).

29

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. November 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Übernahme von Schulgeld in Höhe von 303,92 Euro monatlich für die Zeit vom 1.8.2005 bis 18.10.2009 nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

2

Der 1997 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an dem sogenannten Rubinstein-Taybi-Syndrom mit Absence-Epilepsie, verzögerter Entwicklung, Minderwuchs und geistiger Behinderung, verbunden mit Hyperaktivität und teilweiser Aggressivität. Er lebt seit seinem 4. Lebensmonat in einer Pflegefamilie, in die er direkt nach dem Klinikaufenthalt nach seiner Geburt aufgenommen wurde. Das staatliche Schulamt für den Landkreis G. und den V. stellte beim Kläger einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Sinne des Besuchs einer Schule für praktisch Bildbare fest und wies ihn zum 1.8.2005 der staatlichen M.-Schule in G. zu. Da die Pflegeeltern die sonderpädagogische Förderung des Klägers an der nach den Grundsätzen der anthroposophischen Heilpädagogik und der Waldorfpädagogik unterrichtenden privaten B.-Schule wünschten, erklärte das staatliche Schulamt gleichzeitig sein Einverständnis, den sonderpädagogischen Förderbedarf dort zu erfüllen, sofern die Frage der Kostenübernahme mit dem Schulverwaltungsamt des Kreisausschusses des Landkreises G. geklärt sei (Bescheid vom 31.5.2005). Nachdem die Pflegeeltern für den Kläger mit dem Träger der B.-Schule einen Schulvertrag ab 1.8.2005 abgeschlossen und dabei ein monatliches Schulgeld in Höhe von 303,92 Euro vereinbart hatten, wurde der Kläger am 5.9.2005 in die B.-Schule eingeschult. Den vom Träger der Schule - nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) - namens und im Auftrag der Pflegeeltern gestellten Antrag auf Übernahme des Schulgelds lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 22.6.2005; Widerspruchsbescheid vom 19.4.2006).

3

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 11.11.2008; Urteil des Hessischen LSG vom 22.11.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Besuch der B.-Schule sei keine für eine angemessene Schulbildung des Klägers erforderliche Maßnahme. Hieran ändere auch die schulrechtliche Einstufung durch das staatliche Schulamt, an die der Sozialhilfeträger gebunden sei, nichts, weil eine Zuweisung nur an die staatliche M.-Schule erfolgt sei, während der Besuch der B.-Schule ausschließlich als mögliche Beschulungsalternative gestattet worden sei. Beide Schulen seien geeignete Förderschulen zur Erfüllung des besonderen sonderpädagogischen Bedarfs des Klägers. Auch das Elternrecht aus Art 6 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) biete als Abwehrrecht keinen Anspruch auf Vermittlung pädagogischer Lehrinhalte und Bildungsziele außerhalb öffentlicher Schulen. Ein Anspruch könne auch nicht aus Art 7 Abs 4 Satz 1 GG hergeleitet werden, weil insoweit nur das private Ersatzschulwesen geschützt werde, nicht jedoch auch das Recht der Eltern, eine private Ersatzschule kostenfrei zu wählen.

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII und § 12 Eingliederungshilfeverordnung (Eingliederungshilfe-VO) und macht Verfahrensfehler geltend. Zu Unrecht gehe das LSG davon aus, dass der Besuch einer privaten Förderschule und der damit verbundene Schulgeldaufwand bei Bestehen einer gleichwertigen kostenfreien Beschulungsmöglichkeit nicht erforderlich iS von § 12 Eingliederungshilfe-VO sei. Zwar hätte sein schulischer Förderbedarf auch durch den Besuch der M.-Schule sichergestellt werden können; das Berufungsgericht lasse aber unberücksichtigt, dass die Pflegeeltern mit ihrer Auswahlentscheidung den von den staatlichen Schulbehörden eingeräumten Rahmen mit einer für den beklagten Sozialhilfeträger ebenso verbindlichen Weise ausgefüllt hätten, wie dies durch eine förmliche Zuweisung der Schulbehörden geschehen wäre. Folge man der Auffassung des LSG liefen das eingeräumte Wahlrecht und letztlich die Bestimmung des § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII leer, wenn Eltern die mit dem Schulbesuch verbundenen Kosten nicht aufbringen könnten. Sei schulrechtlich eine Wahlfreiheit zwischen öffentlicher Förder- und privater Ersatzschule eröffnet, setze eine generelle Beschränkung der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung auf den Besuch öffentlicher Schulen nach der Rechtsprechung des 6. Senats des LSG (Urteil vom 18.8.2010 - L 6 SO 5/10) verfassungsrechtlich eine ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers voraus. Durch den unterlassenen Hinweis, dem 6. Senat nicht folgen zu wollen, habe das LSG das rechtliche Gehör verletzt (Überraschungsentscheidung). Auch habe sich das LSG nicht mit dem Vortrag auseinandergesetzt, dass der Beklagte mit seiner (des Klägers) Beschulung in der B.-Schule einverstanden gewesen sei und sich hieraus die Verpflichtung ableite, auch für die entstehenden Beschulungskosten einzustehen. Unterblieben sei schließlich die Prüfung, ob eine Aufnahme in die M.-Schule nicht an Kapazitäts- oder anderen Gründen gescheitert wäre.

5

Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid des Beklagten vom 22.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.4.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm 303,92 Euro monatlich für die Zeit vom 1.8.2005 bis 18.10.2009 zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Auffassung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des monatlichen Schulgelds in Höhe von 303,92 Euro bzw in Höhe des für Oktober 2009 maßgeblichen Teils davon für den Besuch der B.-Schule.

9

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zulässigerweise nur der Bescheid des Beklagten vom 22.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.4.2006 (§ 95 SGG) über die Ablehnung der Übernahme des Schulgelds als abgrenzbaren Streitgegenstand im Rahmen der Eingliederungshilfe. Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 iVm § 56 SGG). Sozial erfahrene Dritte waren vor Erlass des Widerspruchsbescheids nicht zu beteiligen (§ 116 Abs 2 SGB XII in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 iVm § 8 Abs 2 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 20.12.2004 - GVBl 488). Nicht Streitgegenstand sind Leistungen für den Lebensunterhalt, auch nicht im Rahmen des sog Meistbegünstigungsprinzips, wonach zur Sicherstellung einer möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte (§ 2 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -; vgl dazu: Voelzke in juris PraxisKommentar SGB I, 2. Aufl 2011 - online -, § 2 RdNr 26; Steinbach in Hauck/Noftz, SGB I, K § 2 RdNr 44, Stand Dezember 2005), Anträge bzw Rechtsbehelfe ohne Bindung an den Wortlaut nach dem wirklichen Willen des Antragstellers auszulegen sind (BSG SozR 4-3500 § 44 Nr 2 RdNr 13); denn eine abweichende Festlegung des Bedarfs wegen der Verpflichtung zur Zahlung des Schulgelds (§ 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII) kommt ohnedies nicht in Betracht (siehe dazu unten).

10

Nach § 53 Abs 1 Satz 1(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) iVm § 54 Abs 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch; für die Zeit ab 5.8.2009 in der Normfassung des Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009 - BGBl I 2495) erhalten Personen, die durch eine Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.

11

Vorliegend ist es schon fraglich, ob der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 3 Abs 1 HAG/SGB XII idF des Gesetzes vom 20.12.2004) für den streitigen Anspruch auf Übernahme des Schulgelds als Leistung der Eingliederungshilfe der sachlich zuständige Sozialhilfeträger ist. Abweichend von § 100 Bundessozialhilfegesetz(BSHG; in der nach Art 68 Abs 2 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch bis 31.12.2006 fortgeltenden Fassung) bzw ab 1.7.2007 § 97 Abs 3 Nr 1 SGB XII (Art 70 Abs 2 S 6 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) regelt § 97 Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm § 2 Abs 1 Nr 1 HAG/SGB XII(bis 31.6.2006 in der nach § 13 Abs 3 HAG/SGB XII bestimmten Fassung) die sachliche Zuständigkeit von örtlichem bzw überörtlichem Sozialhilfeträger. Danach ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe für Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII nur sachlich zuständig, sofern diese in einer Einrichtung zur stationären oder teilstationären Betreuung zu gewähren sind. Eine (teilstationäre) "Einrichtung" im Sinne des SGB XII (§ 13 SGB XII)ist ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist und Leistungen der Sozialhilfe erbringt (BVerwGE 95, 149, 152; Bundesverwaltungsgericht , Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 -, FEVS 45, 52 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 13/91 -, FEVS 45, 183 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 17/91 -, ZfSH/SGB 1995, 535 ff; BSGE 106, 264 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2).

12

Ob eine Schule (anders als etwa die der Schule angegliederte Behinderteneinrichtung) eine teilstationäre Einrichtung in diesem Sinne ist, insbesondere Leistungen der Sozialhilfe erbringt (vgl dazu BVerwGE 48, 228, 231, das zwischen allgemeinen Schulen und Schulen unterscheidet, in denen über die bloße Vermittlung des Lernstoffs hinaus ein besonderes Maß an Betreuung erforderlich ist), ist zweifelhaft, wobei es für die Ablehnung der Leistung wegen Unzuständigkeit genügt, dass Sozialhilfeleistungen geltend gemacht werden. Für die Begründung der sachlichen Zuständigkeit ist es jedenfalls nicht - wie der Beklagte meint - ausreichend, dass er aufgrund langjähriger Praxis bei Pflegefamilienverhältnissen (im Rahmen des § 97 Abs 5 SGB XII) auch die Begleitkosten übernimmt, sofern diese übernahmefähig sind. Eine solche Annex-Kompetenz, wie sie etwa § 2 Abs 2 HAG/SGB XII(in der bis 31.12.2006 geltenden Fassung) vorsieht, setzt nämlich die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers für die im Rahmen eines Pflegefamilienverhältnisses zu erbringende Eingliederungshilfe voraus, an der es vorliegend fehlen könnte. Im Ergebnis kann diese Frage aber dahingestellt bleiben, weil der Kläger auch bei unterstellter sachlicher Zuständigkeit des Beklagten keinen Anspruch auf die im Streit stehende Leistung hat.

13

Der Kläger erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII für eine Pflichtleistung. Die Voraussetzungen für eine Behinderung nach § 2 Abs 1 SGB IX sind erfüllt, wenn die geistige Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach den Feststellungen des LSG liegt eine solche Behinderung vor.

14

Die geistige Behinderung ist auch wesentlich. Wann dies der Fall ist, ist § 2 Eingliederungshilfe-VO zu entnehmen, wonach eine wesentliche Behinderung vorliegt, wenn infolge einer Schwäche der geistigen Kräfte in erheblichem Umfang die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft eingeschränkt ist. Dies richtet sich nach den Besonderheiten des Einzelfalls und hängt deshalb von sehr unterschiedlichen, durch die individuelle Behinderung geprägten Umständen ab (BVerwG Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr 12 S 2). Insoweit ist wie bei der Prüfung der Behinderung auch ihre Wesentlichkeit wertend auszurichten, insbesondere an den Auswirkungen für die Eingliederung in die Gesellschaft. Entscheidend ist mithin nicht, wie stark die geistigen Kräfte beeinträchtigt sind und in welchem Umfang ein Funktionsdefizit vorliegt, sondern wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit auswirkt (vgl BSGE 110, 301 ff RdNr 19 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8). Stehen - wie hier - die mit einer Behinderung einhergehenden Beeinträchtigungen der erfolgreichen Teilnahme des Klägers am Unterricht in einer allgemeinen (Grund-)Schule entgegen (vgl auch BVerwG, Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02), weil Lerninhalte ohne zusätzliche Hilfestellung nicht aufgenommen und verarbeitet werden können, und erfordert die geistige Behinderung deshalb einen sonderpädagogischen Förderbedarf, um die mögliche Vermittlung praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten überhaupt erst zu ermöglichen, ist die Behinderung nach den oben aufgezeigten Grundsätzen wesentlich; denn eine Grundschulbildung bildet die essentielle Basis für jegliche weitere Schullaufbahn (vgl: BSGE 110, 301 ff RdNr 19 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8; BSGE 109, 199 ff RdNr 22 = SozR 4-2500 § 33 Nr 37).

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Gehört der Kläger danach zwar zu dem leistungsberechtigten Personenkreis, scheitert ein Anspruch auf die Zahlung des Schulgelds aber daran, dass es sich insoweit nicht um eine Leistung der Eingliederungshilfe handelt. Nach § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Erfasst sind von dem Wortlaut der Vorschrift ("Hilfen") nur Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSGE 110, 301 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8). Dies bestätigt auch § 12 Eingliederungshilfe-VO, der seinerseits nur von "Hilfe zu einer angemessenen Schulausbildung" spricht. Die von dieser Hilfe nach § 12 Eingliederungshilfe-VO (auch) erfassten Regelbeispiele betreffen dementsprechend nur die Schulbildung begleitende Maßnahmen. Die Schulbildung selbst, also der Kernbereich der pädagogischen Arbeit, der sich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmt, obliegt hingegen allein den Schulträgern. Art 7 Abs 1 GG überträgt dem Staat einen (außerhalb des Sozialhilferechts liegenden) eigenständigen Unterrichts- und Bildungsauftrag im Schulbereich (BSG, aaO, RdNr 21; BVerfGE 47, 46, 71 f; 98, 218, 241).

16

Dass der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule den Regelungen über die Eingliederungshilfe entzogen ist, bestätigt § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII dadurch, dass die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht(hier: Art 56 ff Hessische Landesverfassung iVm dem Hessischen Schulgesetz idF vom 14.6.2005 - GVBl 441) unberührt bleiben sollen. Die schulrechtlichen Verpflichtungen bestehen also grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen (BSG aaO). Auch das BVerwG hat in seiner Entscheidung vom 13.8.1992 - 5 C 70/88 - (Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr 16 S 3) ausgeführt, dass der Staat mit der Einrichtung der öffentlichen Grundschulen seinen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art 7 Abs 1 GG nachkomme und die Schulgeldfreiheit aus übergreifenden bildungs- und sozialpolitischen Gründen eine eigenständige (landesrechtliche) Regelung außerhalb des Sozialhilferechts gefunden habe, sodass für einen Rechtsanspruch gegen den Sozialhilfeträger zur Deckung eines im Grundschulalter angemessenen Bildungsbedarfs Aufnahmebeiträge und monatliches Schulgeld für den Besuch einer privaten Grundschule als Sozialhilfeleistung nicht zu übernehmen seien. Dabei ist das BVerwG in Bezug auf die erforderliche Hilfe nicht von einer nach Maßgabe des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe zu lösenden Anspruchskonkurrenz, sondern von einem Verhältnis der "Spezialität" ausgegangen, wobei es eine Ausnahme von diesem Grundsatz für möglich hielt, wenn der Besuch einer öffentlichen Grundschule aus objektiven Gründen (zB wegen ihrer räumlichen Entfernung vom Wohnort) oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Diese Rechtsprechung hat das BVerwG auch für Leistungen der Eingliederungshilfe bestätigt (Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02) und ausdrücklich ausgeführt, dass ein nachrangiges Eintreten der Sozialhilfe (nur) für solche Bedarfe nicht ausgeschlossen sei, die nicht in der Deckung des unmittelbaren Ausbildungsbedarfs im Rahmen der Schulpflicht bestünden, sondern damit lediglich - mehr oder weniger eng - zusammenhingen, etwa wie bei der Bereitstellung eines Integrationshelfers für behinderte Kinder an Regelschulen.

17

Nach diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf die Zahlung des Schulgelds als Leistung der Eingliederungshilfe. Zu dem Kernbereich der Schule gehören alle schulischen Maßnahmen, die dazu dienen, die staatlichen Lehrziele zu erreichen, in erster Linie also der (unentgeltliche) Unterricht, der die für den erfolgreichen Abschluss notwendigen Kenntnisse vermitteln soll. Damit unterliegt auch das vom Kläger begehrte Schulgeld unmittelbar diesem Kernbereich, weil die Übernahme des Schulgelds die von der Schule selbst zu erbringende Leistung, also den Unterricht, finanziert, mithin den schulischen Bildungsauftrag erfüllt und keine bloß unterstützende Leistung im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung darstellt. Wie die Entscheidung des Schulamts auszulegen ist und inwieweit sie auch für den Beklagten Bindungswirkung entfaltet (vgl dazu BVerwGE 130, 1 ff), ist danach ohne Belang. Ebenso spielt es in diesem Zusammenhang keine Rolle, dass sich der Beklagte mit der Beschulung in die B.-Schule einverstanden erklärt hat. Die Ausübung eines Wahlrechts, welche Schule besucht wird, hat nicht zur Folge, dass der Sozialhilfeträger ein etwaiges Schulgeld zahlen müsste.

18

Schulgeld wäre - abgesehen davon, dass es hier nicht Streitgegenstand ist (siehe oben) - auch nicht nach den Regelungen des Dritten bzw Vierten Kapitels des SGB XII zu erbringen. Entsprechende Leistungen könnten ggf zwar durch eine abweichende Festlegung des Regelsatzes nach § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII in der bis 31.12.2010 geltenden alten Fassung erbracht werden, dies würde aber voraussetzen, dass der Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abwiche. Der auf das Schulgeld gerichtete höhere Bedarf des Klägers wäre aber nicht unabweisbar. Nach den Feststellungen des LSG besteht für den Kläger eine gleichwertige und unentgeltliche Möglichkeit des Schulbesuchs an der Schule für praktisch Bildbare.

19

Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht schon darin zu sehen, dass das LSG - ohne ausdrücklichen Hinweis - einer Entscheidung eines anderen Senats desselben Gerichts nicht folgt. Da der Kläger unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung des Schulgelds hat, erübrigt sich im Übrigen - weil absolute Revisionsgründe nicht geltend gemacht werden - ein weiteres Eingehen auf den vermeintlichen Verfahrensfehler. Gleiches gilt für die behauptete Gehörsverletzung durch Übergehen des Vortrags, der Beklagte habe sich mit der Beschulung in der B.-Schule einverstanden erklärt (dazu auch oben). Soweit schließlich moniert wird, das LSG habe nicht geprüft, ob die Aufnahme in der M.-Schule an Kapazitäts- oder anderen Gründen gescheitert wäre (Verletzung der Amtsaufklärungspflicht; § 103 SGG), hätte dargelegt werden müssen (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG), warum sich das LSG - trotz Zuweisung des Klägers in die M.-Schule und Streitgegenstandsbegrenzung auf die Eingliederungshilfe - hätte gedrängt fühlen müssen, entsprechende Ermittlungen anzustellen. Für die Eingliederungshilfe wäre jedenfalls eine entsprechende Klärung ohne Bedeutung.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

 
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht Stuttgart (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 ). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 1997, 479, 480; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Erforderlich ist mithin - neben dem mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Erfolg in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) - die Dringlichkeit der erstrebten vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund; vgl. hierzu schon Senatsbeschluss vom 23. März 2005 - L 7 SO 675/05 ER-B - ).
Die Erfolgsaussicht in der Hauptsache ist in Ansehung des sich aus Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtschutz (Artikel 19 Abs. 4 GG) unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (Beschluss des Senats vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - unter Hinweis auf BVerfG NJW 1997 a.a.O. und NVwZ 2005 a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/06 ER-B - FEVS 57, 72, vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 und vom 21. Juli 2006 - L 7 AS 2129/06 ER-B ).
Die genannten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind - wie es das SG zu Recht angenommen hat - hier gegeben.
Es spricht einiges dafür, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) dahingehend hat, dass er zum Besuch der R. schule in E. in nennenswertem Umfang einen Schulbegleiter braucht. Dieser hat keine Bildungsvermittlung zu betreiben, sondern er muss den Antragsteller durch körperliche Signale in die Lage versetzen, am Unterricht teilzunehmen und auch nebenher die Ernährung und Körperhygiene nicht zu vergessen. Dass der Antragsteller wegen der Folgen des festgestellten frühkindlichen Autismus dem berechtigten Personenkreis angehört, weil er zu den behinderten Menschen im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII gehört, ist zwischen den Beteiligten unstreitig und nach Lage der Akten auch offensichtlich. Er kann daher grundsätzlich nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII Anspruch auf Leistungen des Sozialhilfeträgers in Form von Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung haben. Zwar ist nach § 15 des Schulgesetzes die pädagogische Förderung der Schülerinnen und Schüler primär Aufgabe der Schule. Damit sind jedoch - wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ergibt - ergänzende Leistungen der Eingliederungshilfe nicht vollständig ausgeschlossen. Dies ist in der Rechtsprechung unstreitig für die Fälle so genannter Schulbegleiter von behinderten Menschen, die eine Regelschule besuchen. Hier besteht zum einen eine Bindung des Sozialhilfeträgers an die Entscheidung der Schulbehörde über die Zuweisung zu einer Schulart und zum zweiten die unmittelbar einsichtige Notwendigkeit zusätzlicher Integrationsleistungen und Hilfestellungen für behinderte Kinder, auf deren spezielle Bedürfnisse das Angebot der Regelschule naturgemäß nicht zugeschnitten ist (vgl. hierzu grundlegend zum insoweit inhaltsgleichen früheren Recht des Bundessozialhilfegesetzes Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. Januar 1986 - 5 C 36/84 -, FEVS 36, 1 und Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Juli 2003 - 12 A 10410/03 - ZfSH/SGB 2003, 614). Aber auch beim Besuch einer grundsätzlich auf die Behinderung des Kindes zugeschnittenen Sonderschule ist ein ergänzender sozialhilferechtlicher Eingliederungsbedarf nicht generell ausgeschlossen. Dies sehen selbst die Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg (SHR) zum SGB XII in der derzeit geltenden Fassung vor, wie sich aus Rdnr. 54.13/2 unter 3 SHR ergibt. Dort wird ausgeführt, dass pädagogische Maßnahmen im Sinne des Bildungsauftrages in den Verantwortungsbereich der Schule fallen und dass Eingliederungshilfe nur für Assistenzdienste in Betracht kommt. Sie bemesse sich nach der festgestellten, notwendigen Begleitung durch eine schulfremde Person. In diesem Sinne hat auch das Sächsische Landessozialgericht (LSG) einen Eingliederungshilfebedarf trotz des Besuchs einer Sonderschule sogar in einem Fall für möglich gehalten, in dem die Schulbehörde den Bedarf für einen Integrationshelfer geprüft und verneint hatte (Beschluss vom 24. Juli 2006 - L 3 B 81/06 SO-ER - ; so auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 23. Februar 2006 - 12 ME 474/05 - ). Der Sozialhilfeträger hat hier über den Hilfebedarf in eigener Verantwortung zu entscheiden (so zu Recht Sächsisches LSG a.a.O.). Erforderlich ist in jedem Fall, dass der eigentlich sonderpädagogische Bedarf von dem behinderungsbedingten (zusätzlichen) Eingliederungsbedarf abgegrenzt wird. Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe des Sozialhilfeträgers, die sonderpädagogische Förderung behinderter Schüler in die eigene Hand zu nehmen (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. Juli 1997 - 6 S 9/97 -, FEVS 48, 228).
Wendet man diese Grundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall an, spricht vieles dafür, dass jedenfalls in der derzeitigen Schulsituation ein neben dem Bildungsbedarf bestehender Eingliederungsbedarf des Antragstellers durch die von ihm besuchte Schule nicht vollständig gedeckt werden kann. Diesen Schluss zieht der Senat aus verschiedenen aktenkundigen Äußerungen und Stellungnahmen. Im Rahmen eines teilstationären Aufenthalts des Antragstellers in einem Fachkrankenhaus für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 13. Juni bis zum 4. Juli 2006 kam die behandelnde Stationsärztin zu dem Ergebnis, wegen schwerer Defizite sei - vor allem im Schulbereich - davon auszugehen, dass ein adäquates Lernverhalten nur mit Einzelbetreuung zu erwarten sei. Dieser Klinikaufenthalt war notwendig geworden, weil die Nahrungsverweigerung bedenkliche Ausmaße angenommen hatte. Bereits dieser Ablauf ist ein Hinweis darauf, dass der speziellen Problematik des Antragstellers offenbar in der Schule nicht ausreichend begegnet werden konnte. Die Klassenlehrerin des Antragstellers befürwortete in Konsequenz der schwierigen Situation im Sommer 2005 eine dauerhafte Schulbegleitung ausdrücklich, da er mit persönlicher, länger andauernder Unterstützung zu mehr Leistung und Teilnahme am Schulalltag befähigt werde.
Der pädagogische Berater Autismus des Amtes für Schule und Bildung befürwortete im Januar 2006 dringend den Einsatz einer Fachkraft als „Übersetzer“, da weitere Regression zu befürchten sei. Hierfür seien acht Wochenstunden Unterrichtsbegleitung ausreichend.
Der Schulleiter der vom Antragsteller besuchten Sonderschule erklärte in einem Schreiben vom 6. April 2005, die personellen Ressourcen der Schule ermöglichten es nicht, für den Antragsteller eine durchgängige fachlich qualifizierte Einzelbegleitung während einer normalen Schulwoche zu gewährleisten, weshalb eine personenbezogene Schulbegleitung dringend angezeigt sei. Derselbe Schulleiter äußerte sich am 22. September 2006 gegenüber dem SG allerdings dahingehend, in der Schule sei ein Schulbegleiter nicht erforderlich. Diese ausdrücklich als vorbehaltlich bezeichnete Einschätzung relativierte er in diesem Beschwerdeverfahren in einem Schreiben vom 4. Dezember 2006 wieder und führte aus, es sei nicht durchgängig möglich, jederzeit direkte strukturklärende Hilfestellung durch Handführung/Körperberührung zu geben, da auch die anderen Schüler Unterstützung und Anleitung benötigten. Weiter heißt es in dieser Stellungnahme, stützende Impulse hinsichtlich der Nahrungsaufnahme könnten nur dann gegeben werden, wenn der Unterrichtsfluss für die anderen Schüler dadurch nicht zu sehr beeinträchtigt werde. Die Ankunft werde einmal in der Woche durch die morgendliche Busaufsicht der Klassenlehrerin begleitet.
10 
Diese Ausführungen, die auf eine Anfrage der Schulbehörde zurückgehen, welche einen Hilfebedarf für verschiedene Situationen in der Schule angenommen hatte, belegen, dass jedenfalls im Augenblick nicht mit der notwendigen Sicherheit gesagt werden kann, die Schule decke den kompletten Eingliederungsbedarf des Antragstellers. Die Sachlage stellt sich eher so dar, dass zusätzlich zu der inhaltlich pädagogischen Betreuung Hilfestellung vor allem in den von den Lehrerinnen nicht intensiv beaufsichtigten Situationen (Ankunft, Pause) und vor allem hinsichtlich der im Falle des Antragstellers problematischen Ernährung gegeben ist. Da nach ärztlichem Urteil für diese Ernährung aber möglichst umfangreich und zu möglichst vielen Zeitpunkten gesorgt werden sollte, muss derzeit durchaus von einem ergänzenden Eingliederungsbedarf ausgegangen werden, der mit der sonderpädagogischen Betreuung nicht gedeckt werden kann, aber gleichwohl auch während Unterrichtsstunden entsteht und gerade nicht vollständig durch die Lehrerinnen befriedigt werden kann, deren primäre Aufgabe nicht die Gewährleistung ausreichender Ernährung der Schüler ist.
11 
Die Tatsache, dass der Antragsteller trotz der schulischen Betreuung im Sommer 2006 in die genannte Fachklinik aufgenommen werden musste, weil sich sein Ernährungszustand als bedenklich herausgestellt hatte, belegt im Übrigen ausreichend, dass in diesem Bereich ein Defizit vorhanden ist.
12 
Fasst man diese sachverständigen Äußerungen und die genannten Ereignisse zusammen, so kann ein Bedarf für eine Begleitung im Bereich von Ankunft, Abfahrt, Pausen und auch während einer bestimmten Zahl von Unterrichtsstunden nicht verneint werden.
13 
Fraglich ist allerdings, ob der grundsätzlich bestehende Hilfebedarf die Beschäftigung einer Erzieherin - noch dazu aus einem weit entfernten Ort - und ihren Einsatz während der gesamten Schulunterrichtszeit sowie bei jeder Ankunft und Abfahrt erfordert. Insoweit ist der angegriffene Beschluss auch nicht ausreichend klar. Das SG hat nicht ausdrücklich bestimmt, in welchem zeitlichen Umfang und mit welcher fachlichen Qualifikation die Begleitung des Antragstellers erforderlich ist. Von den Beteiligten ist der Beschluss so verstanden worden, dass die von den Eltern des Antragstellers vorgeschlagene Betreuung durch eine Angehörige des Arbeitersamariterbundes U. während der gesamten Unterrichtszeit und bei Ankunft und Abfahrt gemeint sei. In diesem Sinn wird der Beschluss derzeit ausgeführt. Eine solche Interpretation der Situation ist nicht zwingend. Die letzte Auskunft des Schulleiters vom 4. Dezember 2006 enthält Hinweise darauf, dass ein Teil der erforderlichen Hilfestellungen auch von der Schule gegeben werden kann.
14 
Der Senat sieht gleichwohl keine Veranlassung, den Beschluss für die erfasste Zeit bis Ende Januar 2007 zu ändern. Dies beruht u.a. darauf, dass zum jetzigen Zeitpunkt der Zeitraum weitgehend verstrichen ist und darauf, dass die Leistung tatsächlich erbracht wurde und wird und ein rascher Wechsel in der Betreuungssituation dem Antragsteller nicht zugemutet werden soll.
15 
Die Aufrechterhaltung des Beschlusses des SG beruht auch auf einer im Rahmen der Entscheidung über eine einstweiligen Anordnung hier erforderlichen Folgenabwägung. Die Reduzierung des Betreuungsaufwandes für die Vergangenheit wäre ohnehin nur in Form einer finanziellen Rückabwicklung denkbar, die jedoch nach Auffassung des Senats nicht eilbedürftig ist. Die Reduzierung für den verbleibenden Zeitraum im Januar hätte möglicherweise schwerwiegende Folgen bei dem offenbar äußerst sensibel auf äußere Veränderungen reagierenden Antragsteller zur Folge. Im Augenblick könnte eine sofortige Reduzierung des Betreuungsaufwandes mit dem Risiko verbunden sein, die bisher erzielten Integrationserfolge in Frage zu stellen oder zu gefährden.
16 
Der Senat erlaubt sich abschließend den Hinweis, dass im Falle des Antragstellers auch ernsthaft über einen Schulwechsel nachgedacht werden sollte. Nach den Schilderungen der Eltern des Antragstellers im Erörterungstermin vom 4. Januar 2007 und den vorliegenden Auskünften der Schule ist es immerhin denkbar, dass die konkrete Schule mit dem besonderen Förderungsbedarf eines autistischen Kindes nicht ausreichend vertraut ist, weshalb aus diesem Grund zusätzlicher Betreuungsbedarf außerhalb der Möglichkeiten der Schule besteht, der in anderen Einrichtungen vom dortigen Personal ganz oder teilweise gedeckt werden könnte. Solange der Antragsteller jedoch die jetzige Schule besucht und sich dort die Betreuung nicht ändert, dürfte er Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten einer - ggf. nur temporär tätigen - Schulbegleiterin haben.
17 
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
18 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Gründe

 
Das einstweilige Rechtsschutzbegehren ist mit dem nunmehr im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten modifizierten Antrag,
den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller darlehensweise Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung zur erweiterten Teilnahme am Hauptschulunterricht in der ... in N. im Umfang von 8-Wochen-Stunden für das 2. Schulhalbjahr 2006/07 zu gewähren,
zulässig.
Hingegen ist der Antrag in der Sache unbegründet, weil es an der Glaubhaftmachung des im Verfahren der einstweiligen Anordnung zu prüfenden Anordnungsanspruchs fehlt.
Im Ausgangspunkt ist allerdings unstreitig, dass der 1995 geborene Antragsteller angesichts eines bei ihm festgestellten frühkindlichen Autismus unter den von § 35 a Abs. 1 SGB VIII erfassten Personenkreis fällt, um als seelisch Behinderter dem Grunde nach vom Antragsgegner als dem örtlich zuständigen öffentlichen Träger Jugendhilfe beanspruchen zu können. Geht es allerdings, wie hier bei der Schulbegleitung, um eine die Bildung und Integration in der Schule unterstützende („flankierende“) Maßnahme, so hängt ein dahingehender Anspruch gem. § 54 SGB XII, auf den § 35 a Abs. 3 SGB VIII verweist, ferner davon ab, dass es sich um eine angemessene Schulbildung handeln muss.
Ob die zum Besuch einer bestimmten Schule geforderte Hilfe rechtlich als „Hilfe zu einer angemessenen Schulausbildung“ einzustufen ist, bestimmt sich in erster Linie nach Schulrecht. Von daher besteht in Ansehung des Merkmals der „Angemessenheit“ sogar eine Bindung des Sozialhilfeträgers bezüglich der Würdigung, dass die dem Behinderten zugewiesene Schule bzw. Schulart dessen geistigen und körperlichen Fähigkeiten entspricht (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.04.2005, DVBl. 2005, 1327 = NDV-RD 2005, 94). Nichts anderes gilt für den Jugendhilfeträger in Ansehung der sich auf der Grundlage des § 35 a SGB VIII ergebenden Hilfeansprüche (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl.v. 14.01.2003 - 9 S 2268/02 -, FEVS 54, 218 = ZFSH/SGB 2003, 348; VG Karlsruhe, Beschl.v. 19.01.2006 - 8 K 2416/05 -, Vensa).
Aus summarischer Sicht stellt sich die Sach- und Rechtslage dem Gericht so dar, dass der der Schulbegleitung beigemessene Zweck das Merkmal der Angemessenheit der Schulausbildung sprengt. Denn die Maßnahme ist im Kern darauf gerichtet, dem Antragsteller als Sonderschüler die Teilnahme am Unterrichtsprogramm der Hauptschule zu ermöglichen. Hierauf hat er aber, auch wenn er Schüler einer sog. Außenklasse ist, keinen - auch nicht gegen den Schulträger gerichteten - Anspruch. Der mit den Außenklassen verfolgte „kooperative“ Beschulungszweck mag dabei zwar sehr wohl einen gemeinsamen Unterricht zwischen Sonderschülern und Schülern der allgemeinen Schule (Partnerklasse) ermöglichen. Die einzelne Ausgestaltung dieses Unterrichts ist aber Sache der Schule selbst, steht insbesondere unter dem Vorbehalt der zur Verfügung stehenden persönlichen und sachlichen Mittel. Eine diese Einschränkung außer Acht lassende Ausweitung des Angebots kann auch angesichts des mit der Außenklasse verfolgten Zwecks der Integration von Sonderschülern nicht zu Lasten des öffentlichen Jugendhilfeträgers gehen. Schon von daher dürfte - im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren - eine Inanspruchnahme des Antragsgegners ausscheiden. Im Einzelnen gilt Folgendes:
Für den Antragsteller liegt eine Zuweisung an die Sonderschule vor, die gem. § 82 Abs. 2 S. 1 SchulG noch vom seinerzeit hierfür zuständigen Staatlichen Schulamt H. getroffen wurde (vgl. dessen Schreiben vom 23.02.2002) und nach wie vor Gültigkeit hat. Danach hat der Antragsteller seine Schulpflicht an einer Sonderschule für Geistigbehinderte, konkret an der ...-Schule, S., zu erfüllen. Ersichtlich ergab sich der diese Zuweisung rechtfertigende sonderpädagogische Förderbedarf (vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 SchulG) aus einem (zumindest grenzwertigen) Intelligenzdefizit im Verein mit dem bereits erwähnten frühkindlichen Autismus, wobei das Gericht diesbezüglich nur an zeitlich spätere ärztliche Einschätzungen anknüpfen kann (vgl. Bericht des ärztlichen Direktors der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters in M. vom 11.02.2005, auf dem ersichtlich die Stellungnahme des Amtsarztes vom 02.08.2005 mit dem praktischen Ergebnis einer „Doppelbehinderung“ beruht). Damit ist der Status eines Sonderschülers und nicht etwa der des Schülers einer allgemeinen Schule für die Beantwortung der Frage, welches in Ansehung eines denkbar jugendhilferechtlich zu deckenden Bedarfs die „angemessene“ Schulausbildung ist, maßgebend. Dass der Antragsteller nunmehr, wie schon zuvor auf Grundschulebene, so jetzt im 5. Schuljahr auf Hauptschulebene, eine sog. Außenklasse besucht, ändert hieran nichts. Die einschlägige, „Kinder und Jugendliche mit Behinderung und besonderem Förderbedarf“ betreffende Verwaltungsvorschrift vom 08.03.1999 (K. und U., S. 45 ff.) stellt dies klar. Zwar werden hiernach - dies beruht auf einer in § 15 Abs. 6 SchulG enthaltenen Ermächtigung - Außenklassen von Sonderschulen an Grund- und Hauptschulen (sowie anderen allgemeinen Schulen) errichtet (vgl. Nr. 5.2 VwV). Gleichwohl bleiben, auch wenn eine Zuordnung der Außenklasse zu einer Partnerklasse (der allgemeinen Schule) erfolgt, die Schüler der Außenklasse Schüler der Sonderschule und werden nach dem Bildungsplan ihrer Sonderschule unterrichtet (vgl. Nr. 5.2.1, Satz 2 VwV). Die Verantwortung der Lehrer für die jeweilige Klasse ihrer Schulart bleibt erhalten (Nr. 5.2.1., S. 1 VwV). Hervorgehoben ist ferner eine kontinuierliche Kooperation zwischen beiden Klassen, wobei der (rein) zeitliche Rahmen der allgemeinen Schule auch für die Schüler der Außenklasse gilt (vgl. Nr. 5.2.1, S. 3 u. 4 VwV).
Auch wenn der Unterricht in einer sog. Außenklasse zu den „weiteren Formen der integrativen Bildung und Erziehung“ gehört (vgl. die Überschrift in Nr. 5 VwV), ist hier gleichwohl die Schwelle des integrativen Unterrichts, bei dem der Behinderte (bei Fehlen einer Zuweisung an die Sonderschule) in einer Klasse der allgemeinen Schule nach deren Bildungsplan unterrichtet wird, nicht erreicht. Von daher vermögen die zur integrativen Unterrichtung im letzteren (eigentlichen) Sinne von der Rechtsprechung gefundenen Grundsätze (vgl. über die eingangs wiedergegebenen Zitate hinaus: Bay.VGH, Urt. v. 06.06.2005, FEVS 57,125; OVG Rhl-Pfalz, Urt. v. 25.07.2003, NDV-RD 2004,36 = ZFSH/SGB 2003, 614) gerade nicht zu dem Ergebnis führen, dass im Entscheidungsfall auf den Bildungsplan der allgemeinen Schule (Hauptschule) als „angemessene Schulbildung“ abzustellen wäre. Auch wenn die Außenklasse im Verhältnis zu anderen (auf § 15 Abs. 5 SchulG gestützten) Kooperationsformen weitreichendere Auswirkungen hat, so ist sie gleichwohl nur vom Kooperationsgedanken, nicht aber von der Identität des zu unterrichtenden Lehrstoffs geprägt. Dabei mag es der durchaus am Bild integrativer Erziehung orientierte Kooperationsgedanke zu rechtfertigen oder sogar förderlich erscheinen lassen, die Schüler der Außenklasse (Sonderschüler) und der Partnerklasse (Regelschüler) im gemeinsamen Unterricht zusammenzuführen. Gleichwohl bleiben auch in diesem Fall die nach Schulart getrennten Bildungspläne verbindlich (vgl. die bereits erwähnte Nr. 5.2.1 S. 2 VwV). Von daher ist die Verwaltungsvorschrift - aus § 15 Abs. 6 SchulG folgt nichts anderes - nur offen für einen gemeinsamen Lernbetrieb, dessen Umfang und Inhalte aber maßgeblich von den wohlverstandenen Interessen der Betroffenen sowie den personellen und sachlichen Ressourcen der Schule selbst abhängen, so dass nach Ansicht des Gerichts schon schulrechtlich kein Anspruch des Sonderschülers auf Teilnahme am Bildungsprogramm der Hauptschule besteht.
10 
Angesichts der von der Unterschiedlichkeit der Bildungspläne, aber auch von der Begrenztheit des Lehrpersonals vorgegebenen Zielkonflikte dürfte dies in der täglichen Schulpraxis dazu führen, dass, soweit gemeinsamer Unterricht eingeführt wird, dieser sich auf sog. weiche Fächer konzentriert. Dies steht im Einklang u.a. mit dem im letzten Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 14.12.2006 enthaltenen Hinweis darauf, dass der Kooperationsunterricht derzeit in den Fächern Musik, Gestalten, Sport, Werken u. Ä. stattfinde. Von daher soll sich, wie von der Prozessbevollmächtigten im Weiteren dargelegt wird, der begehrte Einsatz des Schulbegleiters auch allein auf die „harten“ Fächer Deutsch, Sachkunde und Mathematik erstrecken.
11 
Dieses Verlangen reicht aber, wie bereits aus dem Voranstehenden ersichtlich, sowohl über den von der Verwaltungsvorschrift näher umrissenen schulischen Bildungsanspruch als auch über das im Jugendhilferecht maßgebende Merkmal der angemessenen Schulbildung hinaus.
12 
Anders als die Prozessbevollmächtigte mit ihrem Hinweis auf eine (wohl uneingeschränkte Verpflichtung des Staates zur) Ausschöpfung des Lernpotentials des Kindes meint, ist der schulische Bildungsanspruch keinesfalls schrankenlos gewährleistet. Dies ist auch in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt. Denn hiernach ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass sowohl die zielgleiche wie auch die zieldifferente integrative Erziehung und Unterrichtung unter dem Vorbehalt des organisatorisch, personell und von den sächlichen Voraussetzungen her Möglichen steht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.10.1997, BVerfGE 96, 288, 305).
13 
Sofern, worauf die Prozessbevollmächtigte in dem noch anhängigen (die Hilfe des 4. Schuljahres betreffenden) Klageverfahren - ... - hingewiesen hat und wovon auch das Gericht im Grundsatz ausgeht, der Antragsteller wegen seiner „Doppelbehinderung“, insbesondere im Blick auf den festgestellten Autismus, einen erhöhten Förderbedarf aufweist, so führt dies ebenso wenig zur Glaubhaftmachung des hier erforderlichen Anordnungsanspruchs.
14 
Da der Bildungsplan der Hauptschule die den Antragsteller betreffende „angemessene Schulbildung“ sprengt, hat sich die rechtliche Betrachtung allenfalls noch auf eine Schulbegleitung zum Zwecke der Bewältigung des Bildungsprogramms der Sonderschule zu konzentrieren. Eine dahingehende Sachprüfung dürfte aber bereits dem im Antrag dieses Eilverfahrens ausdrücklich benannten Zweck („Teilnahme am Hauptschulunterricht“) zuwiderlaufen.
15 
Hinzu kommt Folgendes: Angesichts der besonderen Förderungsmöglichkeiten und hiermit zusammenhängenden besonderen personellen und sachlichen Gegebenheiten der Sonderschulen dürfte ferner der Grundsatz eingreifen, dass die Deckung des pädagogischen und integrativen Bedarfs seelisch oder auch ansonsten behinderter Kinder, soweit dies im Schulbetrieb selbst geschieht, ausschließlich von der Sonderschule vorzunehmen ist und es folglich nicht Sache des Jugendhilfeträgers sein kann, hierauf gerichtete Kosten zu tragen (vgl. dazu: VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 03.07.1997 - 6 S 9/97 -, FEVS 48, 228; VG Karlsruhe, Beschl. v. 16.10.2003 - 5 K 2700/03 -).
16 
Im Übrigen sprechen die dem Gericht zugegangenen jüngsten fachlichen Äußerungen sogar nahezu mit Eindeutigkeit dafür, dass dem Integrations- und sonstigen Förderungsbedarf des Antragstellers durch die Schule entsprochen wird. In einem Bericht der Schulaufsicht vom 15.11.2006 ist nämlich zusammenfassend ausgeführt: Der Antragsteller sei gut in die bestehende Klassengemeinschaft integriert und habe sich in der neuen Umgebung problemlos eingewöhnt. Er nehme derzeit am gemeinsamen Unterricht im Rahmen des Kooperationsunterrichts teil. Mit Hilfe einer individuellen stundenweisen Schulbegleitung könne er mit Sicherheit darüber hinaus am Hauptschulunterricht teilnehmen, eine zwingende Notwendigkeit im Sinne des § 35 SGB sei derzeit nicht zu sehen. Ferner äußert sich die Amtsärztin in einer Stellungnahme vom 12.12.2006, der eine zeitnahe Untersuchung des Antragstellers vorausging, abschließend dahingehend, dass die beantragte Schulbegleitung als Integrationsmaßnahme im Rahmen einer Eingliederungshilfe ärztlicherseits nicht für notwendig erachtet werde.
17 
Im Übrigen sieht sich das Gericht angesichts eines dort enthaltenen weiteren Hinweises (vgl. S. 2 unten) darin bestätigt, dass eine Teilnahme des Antragstellers am Bildungsplan der Hauptschule jedenfalls im Bereich der „harten“ Fächer den Rahmen der „angemessenen Bildung“ sprengt. Denn dort ist vermerkt, dass die Mutter mit dem Antragsteller derzeit „Erstklasse-Stoff“ übt.
18 
Nach alledem war der Antrag mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen. Der Hinweis auf die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 S. 2 VwGO.
19 
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten war mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen, wie die voranstehenden Ausführungen nachvollziehbar machen.

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII in Form einer ambulanten Schulbegleitung für 22 Stunden pro Woche zu gewähren.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

 
Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin (§ 87a Abs. 2 u. 3 VwGO).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO, durch die der Antragsgegner verpflichtet werden soll, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII in Form einer ambulanten Schulbegleitung für 22 Stunden pro Woche zu gewähren, ist zulässig und begründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind in beiden Fällen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), dass einerseits ein Anspruch glaubhaft gemacht wird, dessen vorläufiger Sicherung die begehrte Anordnung dienen soll (Anordnungsanspruch), und dass andererseits die Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund).
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nur der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung würde die Hauptsache aber - zumindest zeitweise - vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifiziert hohe Ansprüche zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbar Nachteilen ausgesetzt wäre (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 14.12.1989 - 2 ER 301/89 -, juris; s. auch Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., 2008, Rn. 190 und 200 ff. m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf vorläufige Weiterbewilligung einer Schulbegleitung im Umfang von 22 Wochenstunden zum Besuch der 6. Klasse der Gemeinschaftsschule in X nach den o.g. Maßgaben hinreichend glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller leidet an einer Autismus-Spektrum-Störung (Asperger-Syndrom). Dass der Antragsteller grundsätzlich Anspruch auf Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig; streitig ist nur der Umfang der vom Antragsgegner als Jugendhilfeträger zu gewährenden Hilfe.
Seit 2007 wird dem Antragsteller vom Antragsgegner ambulante Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für eine Integrationshilfe gewährt, zunächst für den Besuch des Kindergartens und seit 14.09.2009 für den Besuch der Schule. Mit Bescheid vom 16.10.2009 hatte der Antragsgegner den Umfang der Schulbegleitung auf 20 Wochenstunden festgesetzt. In der Folgezeit wurde der Betreuungsumfang mehrfach in einem Bereich zwischen 20 und 22 Stunden geändert. Mit Bescheid vom 30.07.2014 reduzierte der Antragsgegner den Umfang der Schulbegleitung für das Schuljahr 2014/2015 ab 15.09.2014 von 22 auf 20 Wochenstunden und ab 01.11.2014 auf 15 Wochenstunden. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2014 zurück. Er begründete seien Widerspruchsbescheid zusammengefasst damit, dass gemäß § 10 SGB VIII Hilfen nach dem SGB VIII gegenüber den schulischen Verpflichtungen nachrangig seien. Pädagogische Aufgaben seien dem originären Kernbereich der Schule zuzurechnen. Ein Teil der von der Schule genannten Aufgaben, bei denen eine Unterstützung des Antragstellers durch die Schulbegleitung erfolgen solle, unterlägen eindeutig dem Kernbereich der Schule. Für die dem Jugendhilfeträger obliegenden Assistenzleistungen seien 15 Wochenstunden mehr als ausreichend. Die bisher geleistete Hilfe habe darüber hinaus schon eine positive Wirkung auf den Schulalltag genommen, so dass es gerechtfertigt sei, den Hilfebedarf anzupassen. Für den Schuljahresbeginn seien in der Eingewöhnungsphase noch 20 Stunden festgesetzt und erst nach den Herbstferien sei eine Begrenzung auf 15 Stunden vorgenommen worden. Eine zwischenzeitlich erfolgte Hospitation einer Mitarbeiterin des Antragsgegners in der Schulklasse des Antragstellers am 09.10.2014 mit und ohne Anwesenheit der Schulbegleiterin habe keine Erkenntnisse erbracht, die eine Schulbegleitung im Aufgabenbereich des Jugendamtes rechtfertige.
Nach der im Eilverfahren möglichen Prüfung spricht zunächst alles dafür, dass eine Schulbegleitung im Umfang von 15 Wochenstunden den tatsächlichen Hilfebedarf des Antragstellers nicht zu decken vermag.
10 
Nach der Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 handelt es sich bei der vom Antragsteller besuchten Gemeinschaftsschule um eine Ganztagesschule mit 34 Wochenstunden Unterricht. Das bedeute, dass sowohl Einzelstunden in den Kernfächern als auch Lern- und Übungszeiten sowie projektorientiertes Arbeiten am Nachmittag stattfinde. Der Antragsteller hat nach dem vorgelegten Stundenplan an vier Tagen in der Woche Nachmittagsunterricht. Dass die bewilligten 15 Zeitstunden rein zeitlich nicht ausreichen, eine Schulbegleitung in allen Schulstunden sicherzustellen, ist unstreitig. Nach der Darstellung der Eltern des Antragstellers sowie der Schulleiterin reichten die vorhandenen Betreuungsstunden schon vor der Kürzung nicht aus, den Bedarf zu decken. Dies habe dazu geführt, dass insbesondere für den Nachmittagsunterricht keine Schulbegleitung zur Verfügung gestanden habe. Nach der Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 passiere es in diesen Situationen häufig, dass der Antragsteller die Mitarbeit verweigere, den Unterricht massiv störe und in Konflikte mit seinen Mitschülern gerate. Unterricht sei dann nicht mehr möglich, so dass der Antragsteller nach Absprache mit den Eltern in solchen Situationen nach Hause geschickt worden sei (zu den konkreten Fehlzeiten vgl. die Mail der Schulleiterin vom 07.01.2015). Diese Vorgehensweise habe aber dazu geführt, dass sich die Schulleistungen des Antragstellers wegen zu viel verpasstem Unterrichtsstoff deutlich verschlechtert hätten. Aus schulischer Sicht bestehe die Gefahr, dass sich die Leistungen des Antragstellers weiter verschlechterten, da ihm wichtiger Unterrichtsstoff fehle und er diesen auch nicht alleine zu Hause nacharbeiten könne. Die hohen Fehlzeiten des Antragstellers hätten auch Auswirkungen auf sein Sozialverhalten. Er gerate immer häufiger in Auseinandersetzungen mit Mitschülern, vergreife sich im Ton gegenüber Lehrkräften und es falle ihm schwer, sich an vereinbarte Regeln zu halten. Aufgrund des Leistungsabfalls sowohl im Arbeits- als auch im Sozialverhalten sei das Erlangen einer angemessenen Schulbildung deutlich gefährdet.
11 
Zur Rechtfertigung der Stundenkürzung beruft der Antragsgegner sich zum einen darauf, dass die bisher geleistete Hilfe schon eine positive Wirkung auf den Schulalltag gehabt habe, so dass es entsprechend der Hilfeplanfortschreibung vom 17.11.2014 gerechtfertigt sei, den Hilfebedarf anzupassen. Dies habe auch ein Besuch einer Mitarbeiterin in der Klasse des Antragstellers am 09.10.2014 ergeben, bei dem diese den Antragsteller mit und ohne Anwesenheit der Schulbegleiterin beobachtet habe.
12 
Dass die Fortschritte des Antragstellers eine Kürzung der Schulbegleitung auf 15 Stunden rechtfertigen, lässt sich an Hand der vorgelegten Akten nicht nachvollziehen. Dies erscheint schon deshalb zweifelhaft, weil der Antragsgegner bereits mit Bescheid vom 30.07.2014 den Umfang der Schulbegleitung ab dem 01.11.2014 auf 15 Wochenstunden gekürzt hat, ohne dass zu diesem Zeitpunkt eine konkrete Bedarfserhebung oder eine Hilfeplanfortschreibung unter Einschaltung der Schule erfolgt ist, aus der sich ein verminderter Hilfebedarf des Antragstellers zum 01.11.2014 herleiten lässt. Aus den im Eilverfahren vorgelegten Behördenakten ergibt sich jedenfalls in dieser Hinsicht nichts Konkretes. Der Kammer ist vielmehr aus Parallelverfahren (etwa 7 K 4809/14 und 7 K 453/15) bekannt, dass der Antragsgegner unter Berufung auf das Rechtsgutachten Prof. Dres. Kepert und Pattar, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, vom März 2014 bei Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung die Schulbegleitung grundsätzlich auf 15 Wochenstunden reduziert hat, weil nach seiner Auffassung vom Schulbegleiter überwiegend Aufgaben übernommen werden, die in den Aufgabenbereich der Schule fallen. Etwas anderes folgt im vorliegenden Fall auch nicht aus der Tatsache, dass eine Mitarbeiterin des Antragsgegners am 09.10.2014 die Klasse des Antragstellers besucht, dessen Beschulung mit und ohne Schulbegleiter beobachtet und den Verlauf der Unterrichtsstunden ausweislich des Protokolls des Hilfeplangespräches vom 17.11.2014 als positiv bezeichnet hat. Nach Darstellung der Schulleiterin (vgl. überarbeitetes Protokoll des Hilfeplangespräches vom 17.11.2014) habe die Hospitation zwei Stunden gedauert und sei nicht aussagekräftig. Der Antragsteller habe sich „mächtig angestrengt“, was ihn viel Energie gekostet habe. Ein detailliertes Protokoll über den Schulbesucht, etwa wann und in welchen Schulstunden er erfolgt ist und welcher konkrete Hilfebedarf sich aus den Beobachtungen ergibt, ist in den vorgelegten Akten nicht vorhanden. Wie die Eltern des Antragstellers in ihrer Widerspruchsbegründung nachvollziehbar dargelegt haben, sei insbesondere nach der Pause und dem anschließenden Nachmittagsunterricht eine Strukturierung des weiteren Ablaufs dringend notwendig, da auch gerade durch Erschöpfungszustände Problemsituationen vermehrt entstehen könnten. Auch die Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 spricht dagegen, dass eine Reduzierung des Umfangs der Schulbegleitung sich aus einem verminderten Hilfebedarf des Antragstellers herleiten lässt. Dass S. den Nachmittagsunterricht selbständig bewältigen kann, ist daher - folgerichtig - nur als Ziel in der Hilfeplanfortschreibung vom 17.11.2014 genannt.
13 
Zur Rechtfertigung der Stundenkürzung beruft der Antragsgegner sich zum anderen darauf, dass für einen Teil der Aufgaben, bei denen eine Unterstützung des Antragstellers durch die Schulbegleitung erfolgen solle, die Schule und nicht das Jugendamt zuständig sei. Auch dieser Einwand stellt den Anordnungsanspruch nicht mit Erfolg in Frage.
14 
Richtig ist, dass die Vermittlung einer angemessenen (nicht optimalen) Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht vorrangig Aufgabe der staatlichen Schulverwaltung ist. Dies ergibt sich aus § 10 Abs. 1 SGB VIII, wonach Verpflichtungen anderer, insbesondere der Schulen, durch das SGB VIII nicht berührt werden. Gemäß § 15 Abs. 4 SchulG BW ist die Förderung behinderter Schüler auch Aufgabe in den anderen Schularten als den Sonderschulen. Behinderte Schüler werden in allgemeinen Schulen unterrichtet, wenn sie aufgrund der gegebenen Verhältnisse dem jeweiligen gemeinsamen Bildungsgang in diesen Schulen folgen können. Sofern die Schulverwaltung eine Sonderschulpflicht nicht feststellt, umfasst die schulische Verpflichtung einer Regelschule im Einzelfall daher grundsätzlich auch die Erbringung eines sonderpädagogischen Bedarfs und die Inklusion von behinderten Schülern in den Klassenverband. Die Rechtsprechung geht allerdings davon aus, dass auf jugendhilferechtliche Eingliederungsmaßnahmen wie die Bereitstellung eines Schulbegleiters zurückgegriffen werden kann, um den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.01.2003 - 9 S 2268/02 -, Rn. 5 f., juris). Dabei ist der Jugendhilfeträger an die Entscheidung der Schulverwaltung über die Zuweisung des schulpflichtigen behinderten Kindes an eine bestimmte Schule oder Schulart gebunden (vgl. BVerwG, Urt. vom 28.04.2005 - 5 C 20/04 -, Rn. 11, juris). Eingliederungshilfen sind unterstützende Leistungen; im „Kernbereich der pädagogischen Aufgaben der Schule“ sind sie regelmäßig nicht zu erbringen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.10.2012 - 5 C 21/11 -, Rn. 37; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 8 SO 30/10 R -; jeweils juris).
15 
Im vorliegenden Fall ist grundsätzlich streitig, inwieweit bei der Beschulung eines Kindes mit dem sog. Asperger-Syndrom, welches durch eine Abweichung der wechselseitigen sozialen Interaktion bei fehlendem Rückstand von Sprache und kognitiver Entwicklung gekennzeichnet ist (vgl. Definition nach ICD-10 F84.5), die Schule vorrangig leistungspflichtig ist. Diese Frage braucht im Eilverfahren jedoch nicht geklärt zu werden. Der Antragsgegner verkennt in seiner Entscheidung, dass die Frage, ob die nachrangige Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers gemäß § 10 Abs. 1 SGB VIII greift, nicht zu Lasten des Leistungsberechtigten entschieden werden darf. Allein das mögliche Bestehen einer vorrangigen Leistungspflicht der Schule lässt die nachrangige Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers dann nicht entfallen, wenn die vorrangige Pflicht, aus welchen Gründen auch immer, nicht erfüllt wird. Vielmehr dient die bei Unklarheiten bezüglich der Zuständigkeiten oder Umsetzungsproblemen aktivierte „Ausfallbürgschaft“ des Jugendhilfeträgers gerade dem Zweck, auf jeden Fall die Leistung sicherzustellen. Lässt sich eine integrative Beschulung nur durch die zusätzliche Unterstützung durch einen Schulbegleiter sicherstellen, so besteht - trotz grundsätzlichem Vorrang der Schule nach § 10 Abs. 1 SGB VIII, die vorliegend jedoch nach dem oben Gesagten die notwendige Hilfe nicht sicherstellt -, gegenüber dem Jugendamt ein entsprechender Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII (ebenso OVG NW, Urteil vom 22.08.2014 - 12 A 3019/11 -, Rn. 80, juris; DIJuF-Rechtsgutachten vom 16.10.2014, JAmt 2014, 561 ff., und vom 17.10.2014, JAmt 2014, 558 ff.; Meysen in Münder u.a., Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl., § 10 Rn. 2, 22 f.; Wiesner, Kommentar zum SGB VIII, 4. Aufl., § 10 Rn. 25; Kunkel, LPK zum SGB VIII, 4. Aufl., § 10 Rn. 7, 34 ff.; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung). Ob und in welchem Umfang dem Antragsgegner wegen seiner Aufwendungen ein Erstattungsanspruch zusteht, braucht im vorliegenden Verfahren nicht geklärt zu werden.
16 
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund, d.h. eine besondere Eilbedürftigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes, glaubhaft gemacht. Wie sich aus der Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 schlüssig ergibt, ist bei einer Kürzung der Schulbegleiterstunden auf 15 Wochenstunden die erfolgreiche Beschulung sowie die soziale Integration des Antragstellers konkret gefährdet. Angesichts der Fehlzeiten des Antragstellers haben seine Eltern ab dem 08.12.2014 zwar vorübergehend eine weitere Schulbegleitung privat finanziert, damit der Antragsteller montags, dienstags und donnerstags wieder am Nachmittagsunterricht teilnehmen kann. Sie haben aber mit Schriftsatz vom 21.01.2015 glaubhaft gemacht, dass ihnen die finanzielle Belastung auf Dauer nicht zuzumuten ist. Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, sei darauf hingewiesen, dass die Eltern des Antragstellers zudem unbestritten vorgetragen haben, die Schulbegleiterin betreue den Antragsteller ab Februar 2015 nur noch im Umfang von 15 Zeitstunden, da die AWO einer privaten Kostenübernahme widerspreche.
17 
Sofern sich während des laufenden Schuljahres entscheidungserhebliche Änderungen ergeben, ist es dem Antragsgegner unbenommen, einen Abänderungsantrag zu stellen.
18 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des laufenden Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII in Form einer Schulbegleitung für den Besuch der Q.    -N.    -Schule in I.      in dem vor dem Erlass des Ablehnungsbescheides vom 19. August 2014 gewährten Umfang zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
Der Antragsteller begehrt - sachdienlich gefasst - den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die Kosten für eine Schulbegleitung durch ... als pädagogische Fachkraft zu übernehmen.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind in beiden Fällen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO), dass einerseits ein Anspruch glaubhaft gemacht wird, dessen vorläufiger Sicherung die begehrte Anordnung dienen soll (Anordnungsanspruch) und dass andererseits die Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund).
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche gem. § 35 a Abs. 1 SGB VIII vorliegen. Diese Hilfe umfasst nach § 35 a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Der Antragsgegner gewährte dem Antragsteller deshalb in der Vergangenheit Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung. Im Bewilligungsbescheid vom 12.7.2012 übernahm der Antragsgegner für das Schuljahr 2012/2013 die Kosten einer beim SOS-Kinderdorf beschäftigten „Fachkraft analog Erzieher“ im Umfang von 26 Wochenstunden für die Schulbegleitung und zusätzlich 26 Stunden im Monat für die Betreuung am Nachmittag. Die Schulbegleitung wurde im vergangenen Schuljahr wie in den Vorjahren von Frau ... wahrgenommen, deren Arbeit mit einem Stundensatz von 32,-- EUR vergütet wurde. Frau ... ist ausgebildete Grundschullehrerin mit heil- und motopädagogischen Zusatzqualifikationen und verfügt über praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Schulbegleitung.
Für das laufende Schuljahr bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 28.6.2013 eine Schulbegleitung durch eine „sonstige Kraft ohne sozialpädagogische Ausbildung (z.B. Bundesfreiwilligendienst, Freiwilliges Soziales Jahr, Studierende, Lehrer/innen)“. Da Frau ... nicht bereit war, die Schulbegleitung zu den Bedingungen einer „sonstigen Kraft“ zu übernehmen, bot der Antragsgegner eine von der ...Gesellschaft gestellte Schulbegleitung an. Im Widerspruchsbescheid vom 26.7.2013 wurde dazu ausgeführt, dieser Träger habe seit etlichen Jahren Erfahrungen mit behinderten Kindern. Speziell für die Schulbegleitung von autistischen Kindern erhielten die Mitarbeiter ein Seminar zur Einführung in die Betreuung, das von dem Diplompädagogen Dr. G. für Absolventen des FSJ, BFD und anderen ungelernten Hilfskräften entwickelt worden sei.
Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der Maßnahme der Jugendhilfe handelt es sich um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses. Dieses Ergebnis erhebt nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit, muss jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Dem Träger der Jugendhilfe steht ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Diese Kontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob allgemein gültige fachliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob sachfremde Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.1999 - 5 C 24/98 -, BVerwGE 109, 155 ff.). Ein Anspruch auf eine bestimmte Hilfe besteht im Grundsatz nur dann, wenn sie die einzig notwendige und geeignete Hilfemaßnahme ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 28.4.2009 - 12 CE 09.635 -, juris). Das ist hier- summarisch geprüft - nicht der Fall.
Aus dem Antragsvorbringen ergibt sich nicht, dass die Schulbegleitung für den Antragsteller zwingend durch eine pädagogisch ausgebildete Fachkraft erfolgen muss. Aufgabe des Schulbegleiters ist es, die Dienstleistungen und Maßnahmen zu erbringen, die im Einzelfall erforderlich sind, damit der betreffende Schüler das pädagogische Angebot der Schule wahrnehmen kann. Der Schulbegleiter leistet mithin Assistenzdienste im Sinne begleitender Hilfe durch eine schulfremde Person und hat ausschließlich flankierende, den Unterricht sicherstellende Hilfestellungen zu geben und Tätigkeiten auszuführen (vgl. SG Karlsruhe, Urteil vom 22.7.2011 - A 1 SO 4882/09 -, juris). Schulbegleiter haben demgegenüber keine Aufgaben im Bereich der Pädagogik oder Sonderpädagogik, wie in der vom Antragsgegner vorgelegten Stellungnahme des medizinisch-pädagogischen Dienstes des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg vom 15.7.2010 zutreffend dargestellt wird. Denn diese Aufgaben obliegen gem. § 39 Abs. 6 SchulG den Lehrkräften einer Schule, die die unmittelbare pädagogische Verantwortung für die Erziehung und Bildung der Schüler tragen.
Ein allgemeines Erfordernis, Schulbegleitungen ausschließlich pädagogisch und psychologisch ausgebildeten Fachkräften zu übertragen, besteht danach nicht (vgl. VG Sigmaringen, Beschluss vom 27.7.2010 - 2 K 1325/10 -, bestätigt durch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.10.2010 - 12 S 1988/10 -). Auch im Falle des Antragstellers ist nicht glaubhaft gemacht, dass für ihn als Schulbegleiter nur eine einschlägig ausgebildete Fachkraft in Betracht kommt. Anders als die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers meint, trifft die fachärztliche Stellungnahme vom 18.9.2012 keine Aussage zur notwendigen Qualifikation eines Schulbegleiters. In der Stellungnahme wird dem Antragsteller eine Einschränkung der Handlungsfähigkeit in verschiedenen Bereichen bescheinigt. Außerdem wird von motorischen Schwierigkeiten berichtet, die Probleme im Bereich der Schrift und der Heftführung bereiteten, weshalb ein Nachteilsausgleich bei der Benotung befürwortet werde. Auch der Hilfebedarf des Antragstellers, wie er in der Stellungnahme der Schulleitung vom 4.6.2013 beschrieben wird, gebietet es voraussichtlich nicht, dass ausschließlich eine pädagogisch oder psychologisch ausgebildet Fachkraft als Schulbegleiter eingesetzt wird. In der Stellungnahme heißt es, dem Antragsteller falle die Kontaktaufnahme zu Mitschülern und die Kommunikation mit ihnen schwer. Er benötige, etwa bei Gruppenarbeiten, Hilfestellung, um mit den Mitschülern zusammen etwas erarbeiten zu können. Schwierigkeiten bestünden auch bei gestalterischen Aufgaben im Unterricht. Als Aufgabe der Schulbegleitung wird daher die Unterstützung bei der Zusammenarbeit mit anderen Schülern gesehen, wobei es vor allem darum gehe, den Antragsteller zu eigenem Handeln zu motivieren und bei der Kontaktaufnahme zu anderen zu unterstützen. Außerdem könne die Schulbegleitung in schwierigen Situationen eingreifen, indem sie den Antragsteller beruhige, ihm Orientierung gebe, in seinem Handeln unterstütze, zur Eigeninitiative auffordere und ggf. den Lehrer informiere. Eine weitere Aufgabe der Schulbegleitung besteht nach Auffassung der Schulleitung darin, in Gesprächen mit dem Antragsteller Vorkommnisse und Entwicklungen zu reflektieren. Aus dieser Aufgabenbeschreibung lässt sich nicht zwingend ableiten, dass ausschließlich pädagogisch oder psychologisch ausgebildete Fachkräfte eine Schulbegleitung für den Antragsteller wahrnehmen können. Es erscheint vielmehr durchaus möglich, dass auch etwa im Bundesfreiwilligendienst oder im Freiwilligen Sozialen Jahr tätige Personen diese Aufgaben übernehmen, sofern sie - wie hier vorgesehen - durch ein speziell auf die Betreuung autistischer Kinder ausgerichtetes Seminar vorbereitet werden und beim Träger fachkundige Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Der Antragsgegner weist darauf hin, dass es aus seiner Erfahrung gerade bei autistischen Kindern in einer Vielzahl von Fällen gelungen sei, im Freiwilligen Sozialen Jahr Tätige erfolgreich als Schulbegleiter einzusetzen. Es ist nicht erkennbar, weshalb dies beim Antragsteller nicht möglich sein soll.
10 
Die Kammer verkennt nicht, dass die seither tätige, pädagogisch hoch qualifizierte Schulbegleiterin, die den Antragsteller seit langem erfolgreich betreut, für diese Aufgabe gut geeignet ist. Das bedeutet nach dem Ausgeführten aber nicht, dass für den Antragsteller eine Schulbegleitung durch eine pädagogisch und psychologisch ausgebildete Fachkraft auch erforderlich ist. Dass ein Wechsel in der Schulbegleitung Belastungen für den Antragsteller mit sich bringen kann, zwingt nicht dazu, eine einmal ausgewählte Schulbegleitung ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Kosten auf unabsehbare Zeit weiter einzusetzen. Die Kammer geht davon aus, dass eine fachkundig vorbereitete und angeleitete Schulbegleitung in der Lage ist, den Antragsteller mit der neuen Situation vertraut zu machen und ihn zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zu bewegen. Dass der Antragsteller durch einen Austausch der Betreuungsperson vor unüberwindliche Schwierigkeiten gestellt wird, kann nicht angenommen werden.
11 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 VwGO.

(1) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach diesem Buch entsprechende Leistungen vorgesehen sind.

(2) Unterhaltspflichtige Personen werden nach Maßgabe der §§ 90 bis 97b an den Kosten für Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch beteiligt. Soweit die Zahlung des Kostenbeitrags die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen mindert oder der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch gedeckt ist, ist dies bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen.

(3) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Zweiten Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 3 Absatz 2, den §§ 14 bis 16g, 16k, § 19 Absatz 2 in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches sowie Leistungen nach § 6b Absatz 2 des Bundeskindergeldgesetzes in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches den Leistungen nach diesem Buch vor.

(4) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Neunten und Zwölften Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 27a Absatz 1 in Verbindung mit § 34 Absatz 6 des Zwölften Buches und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach diesem Buch vor. Landesrecht kann regeln, dass Leistungen der Frühförderung für Kinder unabhängig von der Art der Behinderung vorrangig von anderen Leistungsträgern gewährt werden.

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Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22. September 2009 und des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses bei dem beklagten Landkreis vom 28. Dezember 2009 verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 01.Oktober 2009 bis 31.Juli 2010 im Rahmen der Eingliederungshilfe heilpädagogisches Reiten mit einer Therapieeinheit wöchentlich zu bewilligen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckungsfähigen Betrages abzuwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Bewilligung einer Eingliederungshilfe in der Form einer Reittherapie.

2

Bei der Klägerin liegt nach einer Stellungnahme der Kinderfrühförderung - Sozialpädagogisches Zentrum - vom 23. August 2007

3

1) allgemeiner Entwicklungsrückstand um ca. 40% bis 50% des Lebensalters (F 89; F70.0 V) und

2) Strabismus, Astigmatismus (H 50.1)

vor.

4

Mit Schreiben vom 28. August 2007 wurde aufgrund der komplexen Störung ein heilpädagogisches Reiten für erforderlich erachtet. Daraufhin übernahm der Beklagte mit Bescheid vom 01. Oktober 2007 im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII die Kosten für heilpädagogische Reittherapie in der Praxis von Frau... für zwei Fördereinheiten wöchentlich in der Zeit vom 01. Oktober 2007 bis 31. März 2008. Mit Bescheid vom 07. April 2008 wurde die Bewilligung bis zum 30. September 2008 verlängert.

5

Am 08. September 2008 beantragten die Eltern der Klägerin die Weiterbewilligung der heilpädagogischen Reittherapie. Dem Antrag war eine Stellungnahme des Sozialpädagogischen Zentrums vom 08. Februar 2008 beigefügt, in dem aufgrund der komplexen Störung des Kindes mit Entwicklungsrückstand um weit über ein halbes Jahr auch im emotionalen Bereich davon ausgegangen wird, dass das heilpädagogische Reiten nötig sei, um die Persönlichkeit der Klägerin, ihr Selbstvertrauen und ihre Frustrationstoleranz zu stärken und um ihre Ängste und Verhaltensauffälligkeiten abzubauen. In einem Zwischenbericht der heilpädagogischen Praxis ... wird ebenfalls die Weiterführung der Reittherapie für dringend erforderlich gehalten.

6

Mit Bescheid vom 03. November 2008 teilte der Beklagte den Eltern der Klägerin mit, dass in der Vergangenheit die Kosten einer Reittherapie zu Unrecht übernommen worden seien, da diese nicht Bestandteil des Leistungskataloges des § 54 ff. SGB XII sei. Da die Leistungen in der Vergangenheit jedoch über einen längeren Zeitraum gewährt worden seien, werde im Rahmen der Interessenabwägung zwischen diesem entstandenen Vertrauensschutz einerseits und der Rückkehr zu einem rechtmäßigen Handeln andererseits für die Dauer von weiteren 6 Monaten - also vom 01. Oktober 2008 bis zum 31. März 2009 - die Reittherapie als abschließende Maßnahme bewilligt.

7

Mit Schreiben vom 08. März 2009 beantragten die Eltern der Klägerin erneut die weitere Übernahme der Kosten für das heilpädagogische Reiten. Die Klägerin habe bereits seit längerem einen Behindertenstatus. Zwischenzeitlich sei klar, dass es sich nicht nur um eine Entwicklungsverzögerung handele, sondern dass eine dauerhafte Beeinträchtigung vorliege. Durch ihre Ängste sei die Behinderung sicherlich auch seelisch bedingt.

8

Darauf bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 07. Mai 2009 erneut Eingliederungshilfe als abschließende Maßnahme für die Zeit vom 01. April 2009 bis 30. September 2009. Die Fortsetzung der Reittherapie werde im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem achten Sozialgesetzbuch bis zu dem üblichen Zeitumfang von 2 Jahren als freiwillige Maßnahme ermöglicht, um einen abschließenden Therapieerfolg sicherzustellen.

9

Einen erneuten Antrag der Eltern der Klägerin auf weitere Fortsetzung der Kostenübernahme für das heilpädagogische Reiten lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. September 2009 ab. Zur Begründung führte er aus, nach § 35a SGB VIII richte sich die Art der im Rahmen der Eingliederungshilfe zu gewährenden Leistungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 26 SGB IX. Nach diesen Vorschriften umfassten die Leistungen der Eingliederungshilfe u.a. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Bei dem therapeutischen Reiten handele es sich seiner Zielrichtung nach im Schwerpunkt um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation als ärztlich verordnete Dienstleistung nach § 26 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX i.V.m. § 30 SGB VII, die einem Heilzweck diene oder einen Heilerfolg sichere und nur von entsprechend ausgebildeten Personen erbracht werden dürfe. Gem. § 54 Abs. 1 S.2 SGB XII entsprächen die zu gewährenden Leistungen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V. Der Inhalt und Umfang der zu erbringenden Leistungen bestimme sich nach den gem. § 92 SGB V durch gemeinsamen Beschluss der Ärzte und Krankenkassen erlassenen Richtlinien (Heilmittel- und Hilfsmittelrichtlinien). Das therapeutische Reiten sei jedoch nicht in diese Richtlinien aufgenommen worden. Eine Übernahme der Kosten sei daher weder aus Mitteln der Jugendhilfe noch der Sozialhilfe möglich. In der Vergangenheit sei die Reittherapie als freiwillige Leistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bis zu einem Höchstförderungszeitraum von zwei Jahren gewährt worden. Bereits in dem Bewilligungsbescheid vom 07. Mai 2009 sei darauf hingewiesen worden, dass in Zukunft keine freiwillige Reittherapie mehr übernommen werde.

10

Gegen diesen Bescheid legten die Eltern der Klägerin durch Schreiben vom 29. September 2009 mit der Begründung Widerspruch ein, die Klägerin leide unter erheblichen Angst- und Panikattacken, die durch die bisher erfolgte Reittherapie schon zu einer Besserung geführt hätten, jedoch unbedingt einer weiteren Behandlung bedürften. Andere Landkreise - wie z.B. der Landkreis ... - gewähre diese Hilfe auch über die Zweijahresgrenze hinaus.

11

Der Kreisrechtsausschuss bei dem beklagten Landkreis wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 2009 zurück. Er führte zur Begründung aus, die Klägerin habe weder aufgrund der Vorschriften des SGB XII noch nach § 35a SGB VIII einen Anspruch auf Weiterbewilligung einer Reittherapie. Ein Anspruch nach § 35 a SGB VIII scheide bereits deshalb aus, da diese Vorschrift nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB XII bei der Hilfe für geistig oder körperlich behinderte Kinder oder Jugendliche den Regelungen über eine Eingliederungshilfe nach dem SGB XII nachgingen. Gleiches gelte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes auch bei einem Zusammentreffen von geistiger und seelischer Behinderung - wie sie bei der Klägerin vorliege -, sodass ein Anspruch gegenüber dem Jugendhilfeträger ausgeschlossen sei. Der Umstand, dass der Beklagte die bisher geleistete Hilfe zu Unrecht als Maßnahme der Jugendhilfe angesehen habe, ändere hieran nichts, da die Leistungen ausdrücklich als freiwillige Leistungen gewährt worden seien. Ein Anspruch nach § 53 SGB XII scheide ebenfalls aus. Zwar gehöre die Klägerin zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis, hier sei das therapeutische Reiten aber als nichtverordnungsfähiges Heilmittel nach der Heilmittelrichtlinie ausgeschlossen.

12

Daraufhin hat die Klägerin am 22. Januar 2010 die vorliegende Klage erhoben, mit der sie vorträgt,

13

sie leide an einer seelischen Störung, die sich in Verhaltensauffälligkeiten, wie Angstzustände, geringere Frustrationstoleranz und Verlassensängsten äußere. Hinzu kämen eine Entwicklungsverzögerung sowie deutliche motorische Störungen. Aus diesem Grunde sei ihr auch bisher das heilpädagogische Reiten bewilligt worden. Da die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII auch derzeit noch vorlägen, sei es nicht gerechtfertigt, die Bewilligung der Reittherapie vor dem Eintritt des Therapieerfolges einzustellen. Die Klägerin benötige noch 1 bis 2 Jahre, um den gewünschten Erfolg der Therapie zu erzielen. Sie sei auch für ein Jahr von dem Besuch der Schule zurückgestellt und werde erst im August 2010 eingeschult. Sie habe sich darauf verlassen, dass ihr das heilpädagogische Reiten bis zum Abschluss der Behandlung bewilligt werde, um den bisher erzielten Behandlungserfolg nicht in Frage zu stellen. Darüber hinaus würde die Reittherapie von anderen Jugendhilfebehörden auch weiterhin gewährt, sodass ein Anspruch auf die Bewilligung der beantragten Leistung auch aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes bestehe. Aufgrund einer weiteren - von der Klägerin vorgelegten - Stellungnahme der Kinderfrühförderung durch Herrn Dr. med. ... und Frau Dr. ... vom 15. Januar 2010 werde die Fortführung des heilpädagogischen Reitens dringend empfohlen, da bei der Klägerin neben einer vorliegenden geistigen Behinderung auch eine seelische Behinderung drohe.

14

Die Klägerin beantragt,

15

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.September 2009 und des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses bei dem beklagten Landkreis vom 28. Dezember 2009 zu verpflichten, der Klägerin ab dem 01.Oktober 2009 bis zum 30.Juli 2010 - kurz vor ihrer Einschulung - im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII heilpädagogisches Reiten mit einer Therapieeinheit wöchentlich zu bewilligen.

16

Der Beklagte beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er trägt unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid ergänzend vor,

19

dass es sich - wie auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen und das Verwaltungsgericht Aachen entschieden habe - sowohl bei der Hippotherapie als auch bei dem heilpädagogischen Reiten um medizinische Rehabilitationsleistungen i.S. des § 26 Abs. 3 SGB IX handele. Eine Übernahme der Kosten für medizinische Rehabilitationsleistungen scheitere aber daran, dass die hier begehrte Leistung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung keine zu übernehmende Leistung sei. Leistungen, die nach dem SGB XII nicht erstattungsfähig seien, könnten auch nach dem Kinder- und Jugendhilferecht nicht übernommen werden.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze und die hierzu vorgelegten Unterlagen verwiesen. Auf die Verwaltungsakten des Beklagten und die Widerspruchsakten des Kreisrechtsausschusses bei dem beklagten Landkreis wird ebenfalls Bezug genommen. Die Akten lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

21

Die Klage ist zulässig und muss auch in der Sache zum Erfolg führen.

22

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung des beantragten "therapeutischen Reitens" ab dem 01. Oktober 2009 bis 30. Juli 2010.

23

Gemäß § 35a SGB VIII hat ein Kind oder ein Jugendlicher Anspruch auf die Gewährung von Eingliederungshilfe, wenn

24

- die seelische Gesundheit des Kindes mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und

25

- aufgrund der seelischen Störung die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.

26

Vorliegend ist es zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die Klägerin - wie auch von der Kinderfrühförderung bescheinigt - unter einer seelischen Störung leidet oder diese zumindest droht, da sie neben deutlichen Entwicklungsrückständen auch Auffälligkeiten in Verhalten und Emotion zeigt. Sie wird als sehr ängstlich, unzufrieden und mit niedriger Toleranzschwelle beschrieben. Gleichzeitig ist auch von einer auf der seelischen Störung beruhenden Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auszugehen, da die Klägerin außerhalb des Kindergartens keinen Anschluss zu anderen, gleichaltrigen Kinder hat.

27

Aus diesem Grunde hat der Beklagte der Klägerin auch mit Bescheid vom 07. Mai 2009 noch 20 Fördereinheiten "heilpädagogisches Reiten" bewilligt.

28

Eine Leistung des Beklagten nach dem § 35a SGB VIII ist hier auch nicht aufgrund von § 10 SGB VIII ausgeschlossen. Insoweit kann es offen bleiben, ob gem. § 10 Abs. 4 SGB VIII, der bestimmt, dass die Leistungen für körperlich oder geistig behinderte Kinder nach dem SGB XII den Leistungen nach § 35a SGB VIII auch dann vorgehen, wenn neben der seelischen Behinderung - wie im vorliegenden Fall - auch eine geistige Behinderung vorliegt, denn jedenfalls kann die Klägerin nicht auf eine Zuständigkeit der Sozialhilfebehörde verwiesen werden, da diese Leistung nicht präsent ist, weil die Beklagte in ihrer Funktion als Sozialhilfebehörde, die Gewährung der Leistung ebenfalls abgelehnt hat. In diesem Fall muss die Jugendhilfe als "Ausfallbürge" eintreten (vgl. Wiesner, SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar 3. Aufl. § 35a Rdn. 41). Ein solcher Nachrang in der Leistungspflicht hat nämlich keine Auswirkung auf das Leistungsverhältnis zwischen dem Hilfebedürftigen und dem Leistungsträger; darauf kommt es nur für die Frage einer Kostenerstattung zwischen Jugendhilfe- und Sozialhilfeträger an (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 1999 - 5 C 26/98 - in juris und VG Braunschweig, Urteil vom 19. März 2009 - 3 A 63/08 - in juris).

29

Nach dem, deshalb maßgeblichen § 35a Abs. 3 SGB VIII richten sich Aufgabe und Ziel der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Leistungen nach § 53 Abs. 3 und 4 Satz 1 sowie den §§ 54,56 und 57 SGB XII, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden. Gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe unter anderem die Leistungen nach §§ 26, 33, 41 und 55 des SGB IX. Nach Auffassung der erkennenden Kammer steht der Klägerin ein Anspruch auf Förderung in Form heilpädagogischen Reitens bis zu ihrer Einschulung im August 2010 nach § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX zu.

30

Hiernach werden als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft heilpädagogische Leistungen für Kinder erbracht, die noch nicht eingeschult sind.

31

Entgegen der Auffassung des Beklagten unterfällt in dem vorliegenden Fall das heilpädagogische Reiten nämlich nicht dem § 26 SGB IX als Maßnahme einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation, sondern es stellt eine heilpädagogische Maßnahme im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX dar. Nach § 26 Abs. 3 SGB IX sind Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zwar auch solche medizinischen, psychologischen und pädagogischen Hilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um die in Abs. 1 genannten Ziele zu erreichen oder zu sichern. Diese Maßnahmen sind aber andere als Maßnahmen deren Schwerpunkt in der pädagogischen Arbeit liegen. Hier ist § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX nach Auffassung der erkennenden Kammer die speziellere Vorschrift, um Kindern vor der Einschulung besondere pädagogische Hilfe zukommen zu lassen. Ob das heilpädagogische Reiten eine medizinische Rehabilitationsleistung oder eine heilpädagogische Leistung darstellt, richtet sich allein nach der speziellen Ausgestaltung der Leistung (vgl. auch Bayrischer VGH, Urteil vom 24. März 2009 - 12 B 06.2837 - in juris).

32

Vorliegend wird in dem Bericht der Kinderfrühförderung ausgeführt, dass ein heilpädagogisches Reiten erforderlich sei, um Ängste und Verhaltensauffälligkeiten abzubauen und das Selbstvertrauen und die Frustrationstoleranz zu steigern. Wie der letzte in den Akten befindliche Zwischenbericht der freien heilpädagogischen Praxis von Frau ... zeigt, sind Ziele der Therapie

33

- Handlungs- und Bewegungsmuster zu entwickeln, Zusammenhänge zu erkennen und zu bilden und Regeln abzuleiten.

34

Hierbei handelt es sich nach Auffassung der erkennenden Kammer eindeutig um pädagogische Maßnahmen.

35

- Intensive Beziehungspflege zum Pferd. Hier werden insbesondere die Bildung von Selbstvertrauen des Kindes und der Abbau von Ängsten gegenüber dem Tier trainiert.

36

Auch hier ist die Kammer der Auffassung, dass es sich schwerpunktmäßig um eine pädagogische Maßnahme handelt.

37

- Förderung eines stimmigen Körpergefühls (z.B. Gefühl für Gerade Sitzen auf dem Pferd).

38

Dies ist nach Meinung des Gerichts eher als eine der Krankengymnastik verwandte Therapie einzuordnen.

39

- Selbstvertrauen und Frustrationstoleranz stärken, um so mit Ängsten umgehen zu können und Verhaltensauffälligkeiten abzubauen.

40

Derartige Ziele sind wiederum mit Leistungen zu erreichen, die der Heilpädagogik zuzuordnen sind. Hier ist auch die Identitätsfindung einzuordnen, die ebenfalls einen pädagogischen Schwerpunkt hat.

41

Die Ziele der Verbesserung der sensorischen Integration und Körperwahrnehmung beinhalten sowohl pädagogische als auch therapeutische Elemente.

42

Insgesamt ist daher nach Auffassung der erkennenden Kammer festzustellen, dass der Schwerpunkt des von Frau ... mit der Klägerin durchgeführten heilpädagogischen Reitens auf der pädagogischen Leistung liegt und es sich daher nicht um eine medizinische Rehabilitationsleistung nach § 26 SGB IX handelt.

43

Insofern grenzt nämlich auch der Beschluss des gemeinsamen Bundesausschusses in der am 20. Juni 2006 abgegebenen Begründung zum Bewertungsverfahren über die Hippotherapie wie folgt ab: "In Anlehnung an die in den Stellungnahmen genannten Auffassungen definiert der G-BA die Hippotherapie als physiotherapeutische Behandlung auf neurophysiologischer Grundlage mit und auf dem Pferd. Das Heilpädagogische Reiten und das Voltigieren werden von dieser Definition abgegrenzt und somit nicht im Bewertungsprozess weiterverfolgt. Diese Formen des therapeutischen Reitens werden vor allem bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, Verhaltensstörungen oder mentalen Einschränkungen sowie bei Störungen der zwischenmenschlichen Kommunikation eingesetzt."

44

Aus dieser Abgrenzung zeigt sich nach Auffassung der erkennenden Kammer deutlich, dass neben der Hippotherapie als medizinisches Heilmittel, gerade in den Fällen, in denen psychische und psychosomatische Erkrankungen im Vordergrund stehen, heilpädagogische Maßnahmen auf und mit dem Pferd angeboten werden, die nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX nur für noch nicht eingeschulte Kinder als Jugendhilfemaßnahmen geleistet werden. Da die Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung und des hier maßgeblichen Entscheidungszeitraumes noch nicht eingeschult war, hat sie noch Anspruch auf heilpädagogische Förderung.

45

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Maßnahme in dem bisher bewilligten Umfang abgeschlossen war und daher eine weitere Förderung der Klägerin nicht mehr erforderlich ist. Dies belegt die von der Klägerin vorgelegte Stellungnahme der Kinderfrühförderung vom 15. Januar 2010, die aufgrund der drohenden seelischen Behinderung die Fortführung des heilpädagogischen Reitens dringend empfiehlt.

46

Nach alledem war der Klage mit dem Begehren auf Bewilligung einer weiteren Förderung zur Fortführung des heilpädagogischen Reitens bis zur Einschulung der Klägerin im August 2010 stattzugeben.

47

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VWGO. Gerichtskosten werden gem. § 188 VwGO nicht erhoben.

48

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteil wegen der Kosten beruht auf §167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.

49

Die Berufung wird gem. §§ 124a Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und bisher obergerichtlich nicht eindeutig geklärt ist.

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII in Form einer ambulanten Schulbegleitung für 22 Stunden pro Woche zu gewähren.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

 
Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin (§ 87a Abs. 2 u. 3 VwGO).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO, durch die der Antragsgegner verpflichtet werden soll, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII in Form einer ambulanten Schulbegleitung für 22 Stunden pro Woche zu gewähren, ist zulässig und begründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind in beiden Fällen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), dass einerseits ein Anspruch glaubhaft gemacht wird, dessen vorläufiger Sicherung die begehrte Anordnung dienen soll (Anordnungsanspruch), und dass andererseits die Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund).
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nur der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung würde die Hauptsache aber - zumindest zeitweise - vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifiziert hohe Ansprüche zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbar Nachteilen ausgesetzt wäre (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 14.12.1989 - 2 ER 301/89 -, juris; s. auch Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., 2008, Rn. 190 und 200 ff. m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf vorläufige Weiterbewilligung einer Schulbegleitung im Umfang von 22 Wochenstunden zum Besuch der 6. Klasse der Gemeinschaftsschule in X nach den o.g. Maßgaben hinreichend glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller leidet an einer Autismus-Spektrum-Störung (Asperger-Syndrom). Dass der Antragsteller grundsätzlich Anspruch auf Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig; streitig ist nur der Umfang der vom Antragsgegner als Jugendhilfeträger zu gewährenden Hilfe.
Seit 2007 wird dem Antragsteller vom Antragsgegner ambulante Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für eine Integrationshilfe gewährt, zunächst für den Besuch des Kindergartens und seit 14.09.2009 für den Besuch der Schule. Mit Bescheid vom 16.10.2009 hatte der Antragsgegner den Umfang der Schulbegleitung auf 20 Wochenstunden festgesetzt. In der Folgezeit wurde der Betreuungsumfang mehrfach in einem Bereich zwischen 20 und 22 Stunden geändert. Mit Bescheid vom 30.07.2014 reduzierte der Antragsgegner den Umfang der Schulbegleitung für das Schuljahr 2014/2015 ab 15.09.2014 von 22 auf 20 Wochenstunden und ab 01.11.2014 auf 15 Wochenstunden. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2014 zurück. Er begründete seien Widerspruchsbescheid zusammengefasst damit, dass gemäß § 10 SGB VIII Hilfen nach dem SGB VIII gegenüber den schulischen Verpflichtungen nachrangig seien. Pädagogische Aufgaben seien dem originären Kernbereich der Schule zuzurechnen. Ein Teil der von der Schule genannten Aufgaben, bei denen eine Unterstützung des Antragstellers durch die Schulbegleitung erfolgen solle, unterlägen eindeutig dem Kernbereich der Schule. Für die dem Jugendhilfeträger obliegenden Assistenzleistungen seien 15 Wochenstunden mehr als ausreichend. Die bisher geleistete Hilfe habe darüber hinaus schon eine positive Wirkung auf den Schulalltag genommen, so dass es gerechtfertigt sei, den Hilfebedarf anzupassen. Für den Schuljahresbeginn seien in der Eingewöhnungsphase noch 20 Stunden festgesetzt und erst nach den Herbstferien sei eine Begrenzung auf 15 Stunden vorgenommen worden. Eine zwischenzeitlich erfolgte Hospitation einer Mitarbeiterin des Antragsgegners in der Schulklasse des Antragstellers am 09.10.2014 mit und ohne Anwesenheit der Schulbegleiterin habe keine Erkenntnisse erbracht, die eine Schulbegleitung im Aufgabenbereich des Jugendamtes rechtfertige.
Nach der im Eilverfahren möglichen Prüfung spricht zunächst alles dafür, dass eine Schulbegleitung im Umfang von 15 Wochenstunden den tatsächlichen Hilfebedarf des Antragstellers nicht zu decken vermag.
10 
Nach der Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 handelt es sich bei der vom Antragsteller besuchten Gemeinschaftsschule um eine Ganztagesschule mit 34 Wochenstunden Unterricht. Das bedeute, dass sowohl Einzelstunden in den Kernfächern als auch Lern- und Übungszeiten sowie projektorientiertes Arbeiten am Nachmittag stattfinde. Der Antragsteller hat nach dem vorgelegten Stundenplan an vier Tagen in der Woche Nachmittagsunterricht. Dass die bewilligten 15 Zeitstunden rein zeitlich nicht ausreichen, eine Schulbegleitung in allen Schulstunden sicherzustellen, ist unstreitig. Nach der Darstellung der Eltern des Antragstellers sowie der Schulleiterin reichten die vorhandenen Betreuungsstunden schon vor der Kürzung nicht aus, den Bedarf zu decken. Dies habe dazu geführt, dass insbesondere für den Nachmittagsunterricht keine Schulbegleitung zur Verfügung gestanden habe. Nach der Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 passiere es in diesen Situationen häufig, dass der Antragsteller die Mitarbeit verweigere, den Unterricht massiv störe und in Konflikte mit seinen Mitschülern gerate. Unterricht sei dann nicht mehr möglich, so dass der Antragsteller nach Absprache mit den Eltern in solchen Situationen nach Hause geschickt worden sei (zu den konkreten Fehlzeiten vgl. die Mail der Schulleiterin vom 07.01.2015). Diese Vorgehensweise habe aber dazu geführt, dass sich die Schulleistungen des Antragstellers wegen zu viel verpasstem Unterrichtsstoff deutlich verschlechtert hätten. Aus schulischer Sicht bestehe die Gefahr, dass sich die Leistungen des Antragstellers weiter verschlechterten, da ihm wichtiger Unterrichtsstoff fehle und er diesen auch nicht alleine zu Hause nacharbeiten könne. Die hohen Fehlzeiten des Antragstellers hätten auch Auswirkungen auf sein Sozialverhalten. Er gerate immer häufiger in Auseinandersetzungen mit Mitschülern, vergreife sich im Ton gegenüber Lehrkräften und es falle ihm schwer, sich an vereinbarte Regeln zu halten. Aufgrund des Leistungsabfalls sowohl im Arbeits- als auch im Sozialverhalten sei das Erlangen einer angemessenen Schulbildung deutlich gefährdet.
11 
Zur Rechtfertigung der Stundenkürzung beruft der Antragsgegner sich zum einen darauf, dass die bisher geleistete Hilfe schon eine positive Wirkung auf den Schulalltag gehabt habe, so dass es entsprechend der Hilfeplanfortschreibung vom 17.11.2014 gerechtfertigt sei, den Hilfebedarf anzupassen. Dies habe auch ein Besuch einer Mitarbeiterin in der Klasse des Antragstellers am 09.10.2014 ergeben, bei dem diese den Antragsteller mit und ohne Anwesenheit der Schulbegleiterin beobachtet habe.
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Dass die Fortschritte des Antragstellers eine Kürzung der Schulbegleitung auf 15 Stunden rechtfertigen, lässt sich an Hand der vorgelegten Akten nicht nachvollziehen. Dies erscheint schon deshalb zweifelhaft, weil der Antragsgegner bereits mit Bescheid vom 30.07.2014 den Umfang der Schulbegleitung ab dem 01.11.2014 auf 15 Wochenstunden gekürzt hat, ohne dass zu diesem Zeitpunkt eine konkrete Bedarfserhebung oder eine Hilfeplanfortschreibung unter Einschaltung der Schule erfolgt ist, aus der sich ein verminderter Hilfebedarf des Antragstellers zum 01.11.2014 herleiten lässt. Aus den im Eilverfahren vorgelegten Behördenakten ergibt sich jedenfalls in dieser Hinsicht nichts Konkretes. Der Kammer ist vielmehr aus Parallelverfahren (etwa 7 K 4809/14 und 7 K 453/15) bekannt, dass der Antragsgegner unter Berufung auf das Rechtsgutachten Prof. Dres. Kepert und Pattar, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, vom März 2014 bei Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung die Schulbegleitung grundsätzlich auf 15 Wochenstunden reduziert hat, weil nach seiner Auffassung vom Schulbegleiter überwiegend Aufgaben übernommen werden, die in den Aufgabenbereich der Schule fallen. Etwas anderes folgt im vorliegenden Fall auch nicht aus der Tatsache, dass eine Mitarbeiterin des Antragsgegners am 09.10.2014 die Klasse des Antragstellers besucht, dessen Beschulung mit und ohne Schulbegleiter beobachtet und den Verlauf der Unterrichtsstunden ausweislich des Protokolls des Hilfeplangespräches vom 17.11.2014 als positiv bezeichnet hat. Nach Darstellung der Schulleiterin (vgl. überarbeitetes Protokoll des Hilfeplangespräches vom 17.11.2014) habe die Hospitation zwei Stunden gedauert und sei nicht aussagekräftig. Der Antragsteller habe sich „mächtig angestrengt“, was ihn viel Energie gekostet habe. Ein detailliertes Protokoll über den Schulbesucht, etwa wann und in welchen Schulstunden er erfolgt ist und welcher konkrete Hilfebedarf sich aus den Beobachtungen ergibt, ist in den vorgelegten Akten nicht vorhanden. Wie die Eltern des Antragstellers in ihrer Widerspruchsbegründung nachvollziehbar dargelegt haben, sei insbesondere nach der Pause und dem anschließenden Nachmittagsunterricht eine Strukturierung des weiteren Ablaufs dringend notwendig, da auch gerade durch Erschöpfungszustände Problemsituationen vermehrt entstehen könnten. Auch die Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 spricht dagegen, dass eine Reduzierung des Umfangs der Schulbegleitung sich aus einem verminderten Hilfebedarf des Antragstellers herleiten lässt. Dass S. den Nachmittagsunterricht selbständig bewältigen kann, ist daher - folgerichtig - nur als Ziel in der Hilfeplanfortschreibung vom 17.11.2014 genannt.
13 
Zur Rechtfertigung der Stundenkürzung beruft der Antragsgegner sich zum anderen darauf, dass für einen Teil der Aufgaben, bei denen eine Unterstützung des Antragstellers durch die Schulbegleitung erfolgen solle, die Schule und nicht das Jugendamt zuständig sei. Auch dieser Einwand stellt den Anordnungsanspruch nicht mit Erfolg in Frage.
14 
Richtig ist, dass die Vermittlung einer angemessenen (nicht optimalen) Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht vorrangig Aufgabe der staatlichen Schulverwaltung ist. Dies ergibt sich aus § 10 Abs. 1 SGB VIII, wonach Verpflichtungen anderer, insbesondere der Schulen, durch das SGB VIII nicht berührt werden. Gemäß § 15 Abs. 4 SchulG BW ist die Förderung behinderter Schüler auch Aufgabe in den anderen Schularten als den Sonderschulen. Behinderte Schüler werden in allgemeinen Schulen unterrichtet, wenn sie aufgrund der gegebenen Verhältnisse dem jeweiligen gemeinsamen Bildungsgang in diesen Schulen folgen können. Sofern die Schulverwaltung eine Sonderschulpflicht nicht feststellt, umfasst die schulische Verpflichtung einer Regelschule im Einzelfall daher grundsätzlich auch die Erbringung eines sonderpädagogischen Bedarfs und die Inklusion von behinderten Schülern in den Klassenverband. Die Rechtsprechung geht allerdings davon aus, dass auf jugendhilferechtliche Eingliederungsmaßnahmen wie die Bereitstellung eines Schulbegleiters zurückgegriffen werden kann, um den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.01.2003 - 9 S 2268/02 -, Rn. 5 f., juris). Dabei ist der Jugendhilfeträger an die Entscheidung der Schulverwaltung über die Zuweisung des schulpflichtigen behinderten Kindes an eine bestimmte Schule oder Schulart gebunden (vgl. BVerwG, Urt. vom 28.04.2005 - 5 C 20/04 -, Rn. 11, juris). Eingliederungshilfen sind unterstützende Leistungen; im „Kernbereich der pädagogischen Aufgaben der Schule“ sind sie regelmäßig nicht zu erbringen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.10.2012 - 5 C 21/11 -, Rn. 37; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 8 SO 30/10 R -; jeweils juris).
15 
Im vorliegenden Fall ist grundsätzlich streitig, inwieweit bei der Beschulung eines Kindes mit dem sog. Asperger-Syndrom, welches durch eine Abweichung der wechselseitigen sozialen Interaktion bei fehlendem Rückstand von Sprache und kognitiver Entwicklung gekennzeichnet ist (vgl. Definition nach ICD-10 F84.5), die Schule vorrangig leistungspflichtig ist. Diese Frage braucht im Eilverfahren jedoch nicht geklärt zu werden. Der Antragsgegner verkennt in seiner Entscheidung, dass die Frage, ob die nachrangige Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers gemäß § 10 Abs. 1 SGB VIII greift, nicht zu Lasten des Leistungsberechtigten entschieden werden darf. Allein das mögliche Bestehen einer vorrangigen Leistungspflicht der Schule lässt die nachrangige Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers dann nicht entfallen, wenn die vorrangige Pflicht, aus welchen Gründen auch immer, nicht erfüllt wird. Vielmehr dient die bei Unklarheiten bezüglich der Zuständigkeiten oder Umsetzungsproblemen aktivierte „Ausfallbürgschaft“ des Jugendhilfeträgers gerade dem Zweck, auf jeden Fall die Leistung sicherzustellen. Lässt sich eine integrative Beschulung nur durch die zusätzliche Unterstützung durch einen Schulbegleiter sicherstellen, so besteht - trotz grundsätzlichem Vorrang der Schule nach § 10 Abs. 1 SGB VIII, die vorliegend jedoch nach dem oben Gesagten die notwendige Hilfe nicht sicherstellt -, gegenüber dem Jugendamt ein entsprechender Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII (ebenso OVG NW, Urteil vom 22.08.2014 - 12 A 3019/11 -, Rn. 80, juris; DIJuF-Rechtsgutachten vom 16.10.2014, JAmt 2014, 561 ff., und vom 17.10.2014, JAmt 2014, 558 ff.; Meysen in Münder u.a., Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl., § 10 Rn. 2, 22 f.; Wiesner, Kommentar zum SGB VIII, 4. Aufl., § 10 Rn. 25; Kunkel, LPK zum SGB VIII, 4. Aufl., § 10 Rn. 7, 34 ff.; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung). Ob und in welchem Umfang dem Antragsgegner wegen seiner Aufwendungen ein Erstattungsanspruch zusteht, braucht im vorliegenden Verfahren nicht geklärt zu werden.
16 
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund, d.h. eine besondere Eilbedürftigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes, glaubhaft gemacht. Wie sich aus der Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 schlüssig ergibt, ist bei einer Kürzung der Schulbegleiterstunden auf 15 Wochenstunden die erfolgreiche Beschulung sowie die soziale Integration des Antragstellers konkret gefährdet. Angesichts der Fehlzeiten des Antragstellers haben seine Eltern ab dem 08.12.2014 zwar vorübergehend eine weitere Schulbegleitung privat finanziert, damit der Antragsteller montags, dienstags und donnerstags wieder am Nachmittagsunterricht teilnehmen kann. Sie haben aber mit Schriftsatz vom 21.01.2015 glaubhaft gemacht, dass ihnen die finanzielle Belastung auf Dauer nicht zuzumuten ist. Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, sei darauf hingewiesen, dass die Eltern des Antragstellers zudem unbestritten vorgetragen haben, die Schulbegleiterin betreue den Antragsteller ab Februar 2015 nur noch im Umfang von 15 Zeitstunden, da die AWO einer privaten Kostenübernahme widerspreche.
17 
Sofern sich während des laufenden Schuljahres entscheidungserhebliche Änderungen ergeben, ist es dem Antragsgegner unbenommen, einen Abänderungsantrag zu stellen.
18 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.

(1) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach diesem Buch entsprechende Leistungen vorgesehen sind.

(2) Unterhaltspflichtige Personen werden nach Maßgabe der §§ 90 bis 97b an den Kosten für Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch beteiligt. Soweit die Zahlung des Kostenbeitrags die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen mindert oder der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch gedeckt ist, ist dies bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen.

(3) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Zweiten Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 3 Absatz 2, den §§ 14 bis 16g, 16k, § 19 Absatz 2 in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches sowie Leistungen nach § 6b Absatz 2 des Bundeskindergeldgesetzes in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches den Leistungen nach diesem Buch vor.

(4) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Neunten und Zwölften Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 27a Absatz 1 in Verbindung mit § 34 Absatz 6 des Zwölften Buches und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach diesem Buch vor. Landesrecht kann regeln, dass Leistungen der Frühförderung für Kinder unabhängig von der Art der Behinderung vorrangig von anderen Leistungsträgern gewährt werden.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt vom beklagten Landkreis als Träger der Jugendhilfe den Ersatz der Kosten für eine selbst beschaffte Schulbegleitung im Schuljahr 2008/2009.

2

Der 1999 geborene Kläger litt unter anderem an einer Aufmerksamkeitsstörung, einer Störung sozialer Funktionen, einer Sprachstörung, einer kombinierten Störung schulischer Fertigkeiten sowie motorischen Problemen. Er besuchte ab dem Schuljahr 2007/2008 ein Sonderpädagogisches Förderzentrum im Bereich des Beklagten. Dieser gewährte dem Kläger ab November 2007 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten einer heilpädagogischen Einzelbehandlung.

3

Anfang August 2008 beantragte der Kläger die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für eine Schulbegleiterin. Dem Antrag waren eine Bescheinigung des Kinderzentrums München und eine Stellungnahme des Rektors des Sonderpädagogischen Förderzentrums beigefügt, in welchen der Einsatz eines individuellen Schulbegleiters in der Schule befürwortet wird.

4

Der Fachdienst des Jugendamts des Beklagten kam in einer Stellungnahme vom 24. September 2008 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger ein Integrationsrisiko in den Bereichen schulische Anpassung, Bewältigung von sozialen Situationen und sozialen Kompetenzen, allgemeine Selbständigkeit und Selbstwertproblematik, soziale Beziehung zu Familienangehörigen und Freizeitaktivitäten bestehe. Der Fachdienst schlug eine Fortführung der heilpädagogischen Einzelförderung mit zusätzlicher Kleingruppenarbeit und gegebenenfalls parallel eine ambulante Psychotherapie oder eine heilpädagogische Tagesstätte vor.

5

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2008 lehnte der Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme für eine Schulbegleitung mit der Begründung ab, es sei nicht Aufgabe der Jugendhilfe, die Kosten des pädagogischen und integrativen Bedarfs an Förderschulen zu decken. Die Notwendigkeit einer Unterstützung des Klägers im Schulalltag werde vom Fachdienst zwar bestätigt, jedoch sei hierfür vorrangig die Schule heranzuziehen.

6

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Zur Begründung wurde im Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2008 ausgeführt, dass dem Jugendhilfeträger bei der Entscheidung über Notwendigkeit und Geeignetheit einer Hilfe ein Beurteilungsspielraum zustehe. Die Beurteilung des Jugendamtes, dass für den Kläger die Fortführung der heilpädagogischen Einzelförderung und ggf. Psychotherapie oder eine heilpädagogische Tagesstätte die geeignete und notwendige Eingliederungshilfemaßnahme darstelle, sei angemessen, fachlich vertretbar und nachvollziehbar.

7

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, dem Kläger die Kosten für die Schulbegleitung im Schuljahr 2008/2009 zu gewähren. Der Beurteilungsspielraum des Beklagten bei der Auswahl der im Einzelfall zu gewährenden Hilfe sei auf diese Maßnahme reduziert. Der durch die schulische Teilhabebeeinträchtigung ausgelöste Bedarf des Klägers könne trotz der sonderpädagogischen Ausrichtung der Förderschule von dieser nicht ausreichend abgedeckt werden.

8

Der Verwaltungsgerichtshof hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die vom Kläger selbst beschaffte Hilfe eines Schulintegrationshelfers sei für sich genommen fachlich nicht geeignet gewesen. Die nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII - zu gewährende Eingliederungshilfe erfordere eine Hilfe, die dem Hilfebedarf des Behinderten in seiner Gesamtheit gerecht werde. Hier hätten sich die Eltern des Klägers lediglich für eine Schulbegleitung entschieden. Damit seien die übrigen von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche vernachlässigt und dem Kläger eine seinem gesamten Eingliederungsbedarf entsprechende Hilfe vorenthalten worden. Ein solches Vorgehen genüge auch nicht allgemeingültigen fachlichen Maßstäben, weil mögliche negative Wechselwirkungen einer Schulbegleitung - etwa im Bereich der Verselbständigung - mit dem im Übrigen bestehenden Hilfebedarf nicht berücksichtigt worden seien.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 36a Abs. 3 und des § 35a SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII -.

10

Der Beklagte und die beteiligte Landesanwaltschaft verteidigen das angefochtene Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs steht mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht in Einklang (1). Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) (2). Weil der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend entscheiden kann, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) (3).

12

1. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass nur dann ein Anspruch auf Eingliederungshilfe und dementsprechend auf Aufwendungsersatz für eine selbst beschaffte Maßnahme bestehen könne, wenn die Hilfemaßnahme auf die Deckung des Gesamtbedarfs ausgerichtet sei, ist mit § 35a SGB VIII nicht vereinbar.

13

Der Verwaltungsgerichtshof ist jedoch zutreffend davon ausgegangen, dass als Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der verauslagten Aufwendungen für eine Integrationshelferin § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII einschlägig ist. Nach dieser Vorschrift setzt ein Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für Hilfen, die - wie hier - vom Leistungsberechtigten abweichend von § 36a Abs. 1 und 2 SGB VIII selbst beschafft werden, ohne dass eine Entscheidung des Trägers der Jugendhilfe oder eine Zulassung durch diesen vorangegangen ist, voraus, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1), die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorgelegen haben (Nr. 2) und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3).

14

Die Beteiligten streiten zu Recht weder darüber, dass der Kläger den Beklagten mit seinem Anfang August 2008 gestellten Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Bereitstellung einer Schulbegleitung (Integrationshelfers) rechtzeitig (vgl. Urteil vom 11. August 2005 - BVerwG 5 C 18.04 - BVerwGE 124, 83 <86 ff.> = Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 4 S. 10 ff.) vor Beginn des Zeitraums, für den die Übernahme der Aufwendungen beantragt wurde, von dem Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, noch darüber, dass - bei Vorliegen eines Leistungsanspruchs - die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. Im Streit steht allein das Vorliegen der Voraussetzung des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII, hier also die Frage, ob dem Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum ein Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleiterin aus § 35a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zustand. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof mit einer Begründung verneint, die rechtlich nicht trägt.

15

a) Dabei ist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Anforderungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hier erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1) und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2). Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen dessen Annahme - die auch zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht -, dass die seelische Gesundheit des Klägers im streitigen Zeitraum von dem für sein Lebensalter typischen Zustand abwich. Denn danach litt der Kläger unter anderem an einer Aufmerksamkeitsstörung, einer Störung sozialer Funktionen, einer Sprachstörung, einer kombinierten Störung schulischer Fertigkeiten sowie motorischen Problemen. Diese Abweichung führte dazu, dass die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt bzw. eine solche Beeinträchtigung zu erwarten war. So bestand nach der vom Verwaltungsgerichtshof in Bezug genommenen Bewertung des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Beklagten bei dem Kläger ein Integrationsrisiko in den Bereichen schulische Anpassung, allgemeine Selbständigkeit, Bewältigung von sozialen Situationen sowie sozialen Beziehungen zu Familienangehörigen und Freizeitaktivitäten.

16

b) Der Verwaltungsgerichtshof hat weiterhin im Ansatz auch zutreffend angenommen, dass die begehrte Maßnahme als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII einzuordnen ist, die geeignet und erforderlich sein muss, dem behinderten Menschen den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern.

17

Nach § 35a Abs. 3 SGB VIII richten sich Aufgabe und Ziel der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Leistungen nach § 53 Abs. 3 und 4 Satz 1 sowie den §§ 54, 56 und 57 SGB XII, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden. Dementsprechend erhalten nach § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII seelisch behinderte Kinder Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu.

18

Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII kann auf § 12 der Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (EinglHVO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1975 (BGBl I S. 433), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3022), zurückgegriffen werden. § 12 EinglHVO nennt zwar nur noch Maßnahmen zugunsten körperlich oder geistig behinderter Kinder und Jugendlicher. Die Regelung enthält jedoch eine allgemeine Konkretisierung des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII. Mit diesem Inhalt ist sie kraft der Verweisung des § 35a Abs. 3 SGB VIII auch für seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen entsprechend anwendbar (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 15. Juni 2011 - 7 A 10420/11 - JAmt 2011, 594 f. Rn. 39 f.; Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Aufl. 2012, § 35a Rn. 22 m.w.N.).

19

Nach § 12 Nr. 1 EinglHVO gehören zu den Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch heilpädagogische und sonstige Maßnahmen, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Dies schließt alle Leistungen ein, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Eingliederung zu erreichen, d.h. die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mindern (vgl. Urteil vom 28. April 2005 - BVerwG 5 C 20.04 - BVerwGE 123, 316 <318>). Die Zurverfügungstellung einer Schulbegleitung bzw. Integrationshilfe fällt dabei unter den in § 12 Nr. 1 EinglHVO verwandten Begriff der "sonstige(n) Maßnahmen" zugunsten behinderter Kinder (Beschluss vom 2. September 2003 - BVerwG 5 B 259.02 - juris Rn. 15).

20

c) Der tragende Rechtsstandpunkt, mit dem der Verwaltungsgerichtshof das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe durch Bereitstellung einer Schulbegleiterin abgelehnt hat, nämlich der Satz, dass ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII und dementsprechend auf Aufwendungsersatz für eine selbst beschaffte Maßnahme (§ 36a Abs. 3 SGB VIII) nur bestehen könne, wenn diese Hilfe dem Hilfebedarf in seiner Gesamtheit gerecht werde (UA S. 13 Rn. 81 f.), hält aber einer Überprüfung nicht stand. Ein solcher Rechtssatz lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

21

§ 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII trifft selbst keine Regelung darüber, wie ein Hilfebedarf zu decken ist, sondern knüpft (in Nr. 2 der Vorschrift) den Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine selbst beschaffte Hilfe insbesondere daran, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe nach einer anderen Bestimmung des Gesetzes - hier allein in Betracht kommend der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII - vorgelegen haben.

22

Aus der Regelung des § 35a SGB VIII kann der Rechtssatz, dass eine (selbst beschaffte) Hilfemaßnahme, um einen Anspruch auf Kostenübernahme nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII begründen zu können, den gesamten Eingliederungshilfebedarf abdecken muss, ebenfalls nicht abgeleitet werden. Dieser Satz findet weder im Wortlaut des § 35a SGB VIII oder den von dieser Norm in Bezug genommenen Vorschriften eine Verankerung, noch lässt er sich aus der Systematik oder aus dem Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe folgern.

23

Während der Wortlaut des § 35a SGB VIII noch offen ist, spricht die Systematik des Gesetzes in gewichtiger Weise dafür, dass Eingliederungshilfeleistungen auch darauf ausgerichtet sein dürfen, einen Teilbedarf zu decken. So greift § 35a Abs. 3 SGB VIII mit der Inbezugnahme auf § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII und damit die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung selbst einen Teilleistungsbereich heraus und geht davon aus, dass es Hilfen gibt, die gerade auf die Deckung dieses (Teil-) Bedarfs zugeschnitten sind. Die systematische Gesamtschau mit den weiteren von § 35a Abs. 3 SGB VIII in Bezug genommenen Leistungstatbeständen unterstützt dieses Ergebnis. Diese enthalten ebenfalls in der Regel - wie sich aus der jeweiligen Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt - beispielhafte Aufzählungen (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, § 26 Abs. 2 und 3 SGB IX, § 33 Abs. 2, 3 und 6 SGB IX), die ein offenes Leistungssystem normieren und jeweils darauf ausgerichtet sind, den Bedarf in bestimmten Bereichen zu decken (vgl. Urteil vom 18. Oktober 2012 - BVerwG 5 C 15.11 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

24

Dieses Auslegungsergebnis wird durch den Sinn und Zweck der Regelungen über die Eingliederungshilfe bestätigt. Aufgabe und Ziel der Eingliederungshilfe werden durch die über § 35a Abs. 3 SGB VIII entsprechend anwendbare Regelung des § 53 Abs. 3 SGB XII näher bestimmt. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es danach, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern.

25

Im Hinblick auf diese Zwecksetzung geht der Verwaltungsgerichtshof zwar im Ansatz richtig davon aus, dass der Jugendhilfeträger möglichst den gesamten Hilfebedarf abzudecken hat, der durch die seelische Behinderung hervorgerufen wird und deshalb alle von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche in den Blick zu nehmen hat. Hilfebedarfe in unterschiedlichen Lebensbereichen sollen dabei nach Möglichkeit einheitlich abgedeckt werden und etwa die Eingliederungshilfe mit der Erziehungshilfe kombiniert werden (vgl. § 35a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Hilfeleistungen sind demnach so auszuwählen und aufeinander abzustimmen, dass sie den gesamten Bedarf so weit wie möglich erfassen. Denn aus dem (sozialhilferechtlichen) Bedarfsdeckungsgrundsatz, der im Bereich der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe in § 35a Abs. 2 SGB VIII (vgl. "Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall ... geleistet") verankert ist, folgt, dass grundsätzlich der gesamte im konkreten Einzelfall anzuerkennende Hilfebedarf seelisch behinderter oder von einer solchen Behinderung bedrohter Kinder oder Jugendlicher abzudecken ist (vgl. Urteile vom 18. Oktober 2012 a.a.O. und vom 19. Oktober 2011 - BVerwG 5 C 6.11 - Buchholz 436.511 § 10 KJHG/SGB VIII Nr. 6 Rn. 12 m.w.N.). Das erfordert, dass sich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw. im Fall der selbstbeschafften Hilfe der Leistungsberechtigte der Art und Form nach aller Leistungen und Hilfen bedienen kann, die zur Deckung des konkreten und individuellen eingliederungsrechtlichen Bedarfs geeignet und erforderlich sind (Urteil vom 18. Oktober 2012 a.a.O.).

26

Dies kann es jedoch gerade bedingen, dass der durch Teilhabebeeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen erzeugte Hilfebedarf nur durch verschiedene, auf den jeweiligen Bereich zugeschnittene Leistungen abgedeckt werden kann und muss, um die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen. Hilfebedarf in unterschiedlichen Bereichen kann es geboten erscheinen lassen, verschiedene Hilfeleistungen zu kombinieren oder durch mehrere Einzelleistungen den Gesamtbedarf des Hilfebedürftigen abzudecken. Um dem Ziel der Eingliederungshilfe nach möglichst umfassender Bedarfsdeckung in allen von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Bereichen gerecht zu werden, kann es, wenn nicht sogleich der Gesamtbedarf gedeckt werden kann, erforderlich sein, Hilfeleistungen zumindest und zunächst für diejenigen Teilbereiche zu erbringen, in denen dies möglich ist. Steht etwa eine bestimmte Hilfeleistung tatsächlich zeitweilig nicht zur Verfügung oder wird eine bestimmte Hilfe vom Hilfeempfänger oder dessen Erziehungsberechtigten (zeitweise) nicht angenommen, kann es gleichwohl geboten sein, die Hilfen zu gewähren, die den in anderen Teilbereichen bestehenden (akuten) Bedarf abdecken.

27

Etwas anderes kann - mit Blick auf den dargelegten Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe - dann anzunehmen sein, wenn die Gewährung der Hilfe für einen Teilbereich die Erreichung des Eingliederungszieles in anderen von der Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereichen erschweren oder vereiteln würde, es also zu Friktionen zwischen Hilfsmaßnahmen käme. Nachteilige Wechselwirkungen mit anderen Hilfeleistungen können die fachliche Geeignetheit einer (begehrten) Leistung für einen Teilleistungsbereich in Frage stellen. Dies ist eine Frage der fachlich sinnvollen Abstimmung verschiedener Hilfeleistungen aufeinander.

28

Dass der Gesamtbedarf durch eine bestimmte Hilfemaßnahme nicht gedeckt wird, schließt es mithin - entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofs - nicht aus, dass sie geeignet und erforderlich sein kann, einen Teilbedarf zu decken und insoweit ein Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht; es sei denn, die Gewährung der Hilfe für diesen Teilbedarf würde Hilfemaßnahmen für andere von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffene Lebensbereiche vereiteln oder konterkarieren.

29

2. Das Urteil des Verwaltungsgerichthofs erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs kann nicht der rechtliche Schluss gezogen werden, dass eine der (sonstigen) Voraussetzungen für die Übernahme der Aufwendungen für die Schulbegleitung nicht vorliegt und deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht besteht.

30

a) Der Anspruch des Klägers auf den Ersatz von Aufwendungen für die Schulbegleitung gemäß § 36a Abs. 3 SGB VIII scheidet nicht deshalb aus, weil der Beklagte - unter Berücksichtigung seines Einschätzungsspielraums - die begehrte Hilfe mit vertretbaren Erwägungen abgelehnt hat.

31

aa) Die gerichtliche Kontrolldichte ist aufgrund der aus § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII folgenden Steuerungsverantwortung des Jugendhilfeträgers beschränkt. Nach dieser Vorschrift trägt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass es nicht dem gesetzlichen Auftrag des Jugendhilfeträgers entspricht, nur "Zahlstelle" und nicht Leistungsträger zu sein. Das Jugendhilferecht zielt auf eine partnerschaftliche Hilfe unter Achtung familiärer Autonomie und auf kooperative pädagogische Entscheidungsprozesse. Nur wenn die Eltern bzw. der Hilfeempfänger grundsätzlich den Träger der Jugendhilfe von Anfang an in den Entscheidungsprozess einbeziehen, kann er seine aus § 36a Abs. 1, § 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben und die Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB VIII wahrnehmen (Beschluss vom 22. Mai 2008 - BVerwG 5 B 130.07 - JAmt 2008, 600).

32

Weil der Hilfeplan eine unverzichtbare Voraussetzung der Gewährung von Jugendhilfe bildet, ist es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit entscheidend, ob die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe auch ohne eine schriftliche Fixierung in einem Hilfeplan festgestellt werden kann. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des Kindes bzw. des Jugendlichen und mehrerer Fachkräfte handelt, welches nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten soll, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich dabei darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (Urteil vom 24. Juni 1999 - BVerwG 5 C 24.98 - BVerwGE 109, 155 <167>).

33

Dementsprechend ist auch bei der Selbstbeschaffung einer aus fachlichen Gründen abgelehnten bzw. vom Hilfeplan ausgeschlossenen Leistung im Hinblick auf § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu prüfen, ob der vom Jugendamt aufgestellte Hilfeplan (bzw. das Hilfekonzept) verfahrensfehlerfrei zustande gekommen, nicht von sachfremden Erwägungen beeinflusst und fachlich vertretbar ist. Diese Prüfung erstreckt sich dabei nicht auf eine reine Ergebniskontrolle, sondern erfasst auch die von der Behörde - maßgeblich ist die letzte Behördenentscheidung - gegebene Begründung. Denn diese muss für den Betroffenen nachvollziehbar sein, um ihn in die Lage zu versetzen, mittels einer Prognose selbst darüber zu entscheiden, ob eine Selbstbeschaffung (dennoch) gerechtfertigt ist. Hat das Jugendamt die begehrte Hilfe aus im vorgenannten Sinne vertretbaren Erwägungen abgelehnt, besteht weder ein Anspruch des Betroffenen auf die begehrte Eingliederungshilfeleistung noch auf den Ersatz von Aufwendungen für eine selbst beschaffte Hilfe. Der Regelung des § 36a Abs. 3 SGB VIII liegt in dem Sinne der Gedanke des Systemversagens zugrunde, dass die selbst beschaffte Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt worden sein muss (vgl. Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 6. Aufl. 2009, § 36a Rn. 4 m.w.N.).

34

Hat demgegenüber das Jugendamt nicht rechtzeitig oder nicht in einer den vorgenannten Anforderungen entsprechenden Weise über die begehrte Hilfeleistung entschieden, können an dessen Stelle die Betroffenen den sonst der Behörde zustehenden nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen. Denn in dieser Situation sind sie - obgleich ihnen der Sachverstand des Jugendamtes fehlt - dazu gezwungen, im Rahmen der Selbstbeschaffung des § 36a Abs. 3 SGB VIII eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen. Weil nun ihnen die Entscheidung aufgebürdet ist, eine angemessene Lösung für eine Belastungssituation zu treffen, hat dies zur Folge, dass die Verwaltungsgerichte nur das Vorhandensein des jugendhilferechtlichen Bedarfs uneingeschränkt zu prüfen, sich hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften Hilfe aber auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung der Leistungsberechtigten zu beschränken haben. Ist die Entscheidung der Berechtigten in diesem Sinne fachlich vertretbar, kann ihr etwa im Nachhinein nicht mit Erfolg entgegnet werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe für geeignet gehalten (vgl. Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, a.a.O.; Kunkel, LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 36a Rn. 13 jeweils m.w.N.).

35

bb) Bei Zugrundelegung der vorstehenden Maßstäbe lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte die begehrte Hilfeleistung in nicht zu beanstandender Weise verweigert hat. Im Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2008 hat dieser die Ablehnung einer Schulbegleitung nicht mit fachlichen Erwägungen, sondern mit der - wie noch (sogleich unter 2. b) darzulegen sein wird - so nicht zutreffenden rechtlichen Erwägung begründet, dass hierfür die Förderschule allein zuständig sei. In der insoweit maßgeblichen letzten Behördenentscheidung, dem Widerspruchsbescheid, wird diese Begründung zwar ausgetauscht und auf die Stellungnahme des Fachdienstes des Jugendamts vom 24. September 2008 verwiesen, aus der sich die mangelnde fachliche Notwendigkeit einer Schulbegleitung ergebe. Allerdings wird gerade in dieser Stellungnahme bei dem Kläger ein "Integrationsrisiko" im Bereich der "schulischen Anpassung" ausgemacht und ein zusätzlicher Betreuungsbedarf nicht in Abrede gestellt. Für die Ablehnung der von den Erziehungsberechtigten des Klägers geforderten Schulbegleitung wird in der Stellungnahme weder ein nachvollziehbares fachliches noch ein durchgreifendes rechtliches Argument geliefert. Am Ende der Stellungnahme heißt es lediglich, dass eine Schulbegleitung nur im Falle einer Beschulung an einer Regelschule notwendig sei. Weil diese Aussage in ihrer Pauschalität weder rechtlich fundiert ist noch eine fachliche Begründung für die Verweigerung der Leistung darstellt, ist die Hilfeplanung der Beklagten jedenfalls im Hinblick auf den hier streitigen schulischen Betreuungsbedarf als defizitär anzusehen, so dass die Steuerungsverantwortung des Jugendamts der Aufwendungserstattung für die selbst beschaffte Hilfe hier nicht entgegensteht.

36

b) Das Urteil des Verwaltungsgerichthofs erweist sich auch nicht deshalb als richtig, weil - wie der Beklagte und der Beteiligte der Sache nach geltend gemacht haben - der Anspruch des Klägers auf Eingliederungshilfe in Gestalt einer Schulbegleitung wegen eines Vorrangs der schulischen Leistung ausscheide.

37

aa) Eine Spezialität in dem Sinne, dass eine schulische Förderleistung einschlägig ist, die einen Anspruch auf jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe ausschließen könnte, liegt nicht vor. Zwar käme eine die Eingliederungshilfe verdrängende, weil ausschließlich von der Schule - hier der Förderschule - zu erbringende Leistung in Betracht, wenn der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer in der Schule betroffen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R - juris Rn. 21). Dieser Bereich ist jedoch unabhängig von seiner exakten Bestimmung (s. dazu BSG, Urteil vom 22. März 2012 a.a.O. Rn. 21 f.) hier nicht betroffen. Vielmehr ging es - wie sich auch aus den vom Verwaltungsgerichtshof zitierten Stellungnahmen des Kinderzentrums sowie des Rektors des Sonderpädagogischen Förderzentrums schließen lässt - darum, dass die Schulbegleitung die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrer absichern und mit die Rahmenbedingungen dafür schaffen sollte, dem Kläger erst den erfolgreichen Besuch der Schule zu ermöglichen.

38

bb) Ein Anspruch des Klägers auf eine Schulbegleitung ist auch nicht wegen des Nachrangs der Jugendhilfe ausgeschlossen.

39

Nach § 10 Abs. 1 SGB VIII werden Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, durch dieses Buch nicht berührt. Darin ist der Grundsatz vom Nachrang der Jugendhilfe bzw. die allgemeine Subsidiarität jugendhilferechtlicher Leistungen gegenüber denen anderer Sozialleistungsträger und der Schulen verankert (vgl. Urteile vom 27. Mai 2010 - BVerwG 5 C 7.09 - BVerwGE 137, 85 <87> und vom 22. Februar 2007 - BVerwG 5 C 32.05 - Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 5 Rn. 16). Dieser Grundsatz kommt auch in der Formulierung des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 SGB XII zum Ausdruck, dass die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt bleiben. Es genügt aber für die Nachrangigkeit der Jugendhilfe nicht, dass eine anderweitige Verpflichtung überhaupt besteht. Vielmehr muss diese anderweitige Verpflichtung auch rechtzeitig realisierbar und nach den Umständen des Einzelfalles im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckende Hilfe zu erhalten sein (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 8. September 2010 - 12 A 1326/10 - juris m.w.N.; Gutachten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. vom 22. Januar 2012 - G 3/10, NDV 2012, 264; Vondung, in: Kunkel, LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 10 Rn. 7). In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht auch einen gegenüber der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe vorrangigen Anspruch gegen die Schulverwaltung nur angenommen, soweit und solange die Schule tatsächlich Hilfe gewährt oder der Betroffene den Anspruch auf Hilfeleistung gegen die Schulverwaltung rechtzeitig verwirklichen kann (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 13. Juni 2001 - BVerwG 5 B 105.00 juris Rn. 2; Urteil vom 23. November 1995 - BVerwG 5 C 13.94 - BVerwGE 100, 50 <54>).

40

Gemessen an diesen Grundsätzen kann hier jedenfalls nicht angenommen werden, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Schulverwaltung auf Bereitstellung eines Integrationshelfers für den Besuch der Förderschule rechtzeitig hätte geltend machen oder durchsetzen können. Denn zu dieser Frage des nicht revisiblen Landesrechts hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mit Urteil vom 6. Juli 2005 (12 B 02.2188 - FEVS 57, 138 <139>) entschieden, dass behinderten Kindern nach bayerischem Landesrecht kein Anspruch gegen die Schulverwaltung auf Bereitstellung eines Integrationshelfers für den Besuch einer Förderschule zukommt.

41

3. Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs kann der Senat nicht abschließend über die Sache entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

42

Der Verwaltungsgerichtshof hat keine genügenden Feststellungen dazu getroffen, ob und inwieweit eine Schulbegleitung als einen Teilbedarf abdeckende Maßnahme geeignet und erforderlich ist, sondern sich - auf der Grundlage seiner Rechtsansicht konsequent - lediglich dazu verhalten, dass die dem Kläger vom Fachdienst des Beklagten angebotene Behandlung in einer heilpädagogischen Tagesstätte (ggf. in Kombination mit einer Psychotherapie) eine geeignete, weil ganzheitliche Hilfemaßnahme gewesen sei. Der Verwaltungsgerichtshof wird daher zu prüfen haben, ob - bei Zugrundelegung eines fachlichen Einschätzungsspielraums - die Erziehungsberechtigten des Klägers für den streitbefangenen Zeitraum eine Schulbegleitung für geeignet und erforderlich halten durften, um den Schulbesuch des Klägers am Förderzentrum zu ermöglichen oder zu erleichtern. Im Rahmen der Prüfung, ob die Entscheidung für die Selbstbeschaffung der Schulbegleitung im vorgenannten Sinne vertretbar und nachvollziehbar war, wird dabei zu berücksichtigen sein, ob die Bestellung einer Schulbegleitung im streitigen Zeitraum auf die vom Beklagten gewährte sonstige Hilfeleistung, nämlich auf die weitergeführte heilpädagogische Einzelförderung mit zwei Wochenstunden in einer heilpädagogischen Fachpraxis, eine deren Zielsetzung vereitelnde Wirkung gehabt hätte und dies für die Erziehungsberechtigten erkennbar war.

43

Dies führt zur Zurückverweisung der Sache (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Auf den vom Kläger gerügten Verfahrensmangel kommt es daher nicht mehr an.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des laufenden Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII in Form einer Schulbegleitung für den Besuch der Q.    -N.    -Schule in I.      in dem vor dem Erlass des Ablehnungsbescheides vom 19. August 2014 gewährten Umfang zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist ein europaweit agierendes Medienunternehmen. Die Beigeladenen sind Tochtergesellschaften der ProSiebenSat.1 Media AG (P7S1) und als private Veranstalter von bundesweit verbreiteten Fernsehprogrammen von der beklagten Landesmedienanstalt zugelassen. Gemeinsam mit zwei weiteren Fernsehveranstaltern, der Sat.1 Satelliten Fernsehen GmbH und der ProSieben Television GmbH, die ebenfalls Tochtergesellschaften der ProSiebenSat.1 Media AG sind, meldeten die Klägerin und die Beigeladenen mit Schreiben vom 8. August 2005 bei der Beklagten eine geplante mittelbare Veränderung von Beteiligungsverhältnissen an und beantragten, deren rundfunkrechtliche Unbedenklichkeit zu bestätigen. Gegenstand der im Verlauf des Verfahrens mehrfach modifizierten Anmeldung war das Vorhaben der Klägerin, sämtliche von der ProSiebenSat.1 Media AG Holding L.P. gehaltenen Anteile an der P7S1 käuflich zu erwerben und für die im Streubesitz befindlichen stimmrechtslosen Vorzugsaktien ein öffentliches Übernahmeangebot abzugeben. Nach Vollzug der beabsichtigten Beteiligungsveränderung hätte die Klägerin über 100 vom Hundert des stimmberechtigten Stammkapitals der ProSiebenSat.1 Media AG verfügt und wäre zu knapp 71 vom Hundert an deren Gesamtkapital beteiligt gewesen.

2

Die Beklagte legte die Anmeldung der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) vor, die mit Beschluss vom 10. Januar 2006 feststellte, dass die geplante Beteiligungsveränderung angesichts der Stellung der Klägerin auf medienrelevanten verwandten Märkten, insbesondere ihrer starken Position im Pressebereich, eine vorherrschende Meinungsmacht begründen würde, die derjenigen eines Fernsehveranstalters mit einem Zuschaueranteil von 42 vom Hundert entspräche. Nach den rundfunkstaatsvertraglichen Vorschriften über die Sicherung der Meinungsvielfalt könne das Vorhaben daher nicht als unbedenklich bestätigt werden. Zur Überprüfung dieses Beschlusses rief die Beklagte am 26. Januar 2006 die Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten (KDLM) an.

3

Mit Beschluss vom 19. Januar 2006 untersagte das Bundeskartellamt den von der Klägerin angestrebten Zusammenschluss mit der ProSiebenSat.1 Media AG.

4

In einer Pressemitteilung vom 1. Februar 2006 gaben die Klägerin und die P7S1 Holding L.P. bekannt, die Pläne zur Übernahme der ProSiebenSat.1 Media AG durch die Klägerin wegen der damit verbundenen, auf wirtschaftlichen und juristischen Unsicherheiten beruhenden Risiken nicht weiterverfolgen zu wollen.

5

In ihrer Sitzung vom 7. März 2006 kam die KDLM mehrheitlich zu der Auffassung, dass sich der Antrag der Beklagten auf Aufhebung des Beschlusses der KEK vom 10. Januar 2006 durch die Aufgabe der Übernahmepläne in der Sache erledigt habe. Ihren nachgeschobenen Hilfsantrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Beschlusses nahm die Beklagte in der Sitzung zurück. In einer Presseerklärung teilte die KDLM mit, dass nach ihrer Ansicht - ungeachtet der Erledigung - die von der KEK angewandte Bewertung der Stellung der Klägerin auf medienrelevanten verwandten Märkten sowohl hinsichtlich der Abgrenzung als auch der Gewichtung der medienrelevanten Märkte in sich nicht schlüssig sei und einer rechtlichen Bewertung nicht standhalten würde.

6

Nachdem die Beklagte die Klägerin am 6. März 2006 als Beteiligte zum Verfahren hinzugezogen hatte, erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 7. März 2006 gegenüber der Beklagten, dass man nach den negativen Bescheiden der KEK und des Bundeskartellamts angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen keine Möglichkeit gesehen habe, den Anteilserwerb wie geplant umzusetzen. Allerdings sei die Übernahme von ProSiebenSat.1 Media AG weiterhin ein strategisch richtiger und sinnvoller Schritt, der bei positiven rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch zukünftig vollzogen werden könnte.

7

Mit Bescheid vom 15. Mai 2006 lehnte die Beklagte die Genehmigung der Fortsetzung der Anbietertätigkeit der Beigeladenen nach Erwerb der von der ProSiebenSat.1 Media AG gehaltenen Anteile durch die Klägerin ab. Zur Begründung führte die Beklagte unter anderem aus, dass sie zwar von einem grundsätzlich fortbestehenden Übernahmeinteresse der Klägerin ausgehe, dass jedoch auf der Grundlage der rechtlich bindenden Entscheidung der KEK, die zum Bestandteil des Bescheidinhalts gemacht werde, die Genehmigung versagt werden müsse.

8

Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme der KEK mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2006 zurück.

9

Die Anteile an der ProSiebenSat.1 Media AG, die die Klägerin ursprünglich erwerben wollte, wurden Ende 2006 von einem Drittunternehmen gekauft. Mit Beschluss vom 6. Februar 2007 beurteilte die KEK diese Veränderung der Beteiligungsverhältnisse als medienrechtlich unbedenklich. Die darüber erteilten Genehmigungsbescheide der Beklagten vom 22. und 29. März 2007 sind bestandskräftig geworden.

10

Mit ihrer am 14. Juli 2006 erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihr die beantragte medienrechtliche Unbedenklichkeitsbestätigung zu erteilen, hilfsweise, die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten, weiter hilfsweise, festzustellen, dass die Versagung der medienrechtlichen Unbedenklichkeitsbestätigung rechtswidrig gewesen sei. Das Verwaltungsgericht München hat die Klage mit Urteil vom 8. November 2007 abgewiesen. Das Verpflichtungsbegehren der Klägerin habe sich spätestens mit der Bestandskraft der Genehmigungsbescheide der Beklagten zum Erwerb der Unternehmensanteile durch einen Dritten und dem Vollzug dieser Beteiligungsveränderung erledigt. Die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage sei im Hinblick darauf, dass die Klägerin nach eigenem Bekunden an der Übernahme der ProSiebenSat.1 Media AG weiterhin interessiert sei, zwar zulässig, aber unbegründet. Die Entscheidung der Beklagten, dass durch die geplante Beteiligungsveränderung eine vorherrschende Meinungsmacht entstehen könne, sei nicht zu beanstanden.

11

Ihre vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung hat die Klägerin unter Rücknahme der erstinstanzlich gestellten Verpflichtungsanträge auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheids der Beklagten vom 15. Mai 2006 und des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2006 beschränkt. Die insoweit aufrechterhaltene Berufung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 7. Juli 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

12

Die Klage sei unzulässig, weil die Klägerin kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der streitbefangenen Bescheide habe. Da ungewiss sei, ob sich in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse wie im Zeitpunkt des Bescheiderlasses einstellten, scheide die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr aus. Ebenso wenig ergebe sich ein schutzwürdiges Feststellungsinteresse daraus, dass eine gerichtliche Klärung der Sachfragen ein etwaiges neuerliches Übernahmevorhaben der Klägerin präjudizieren würde. Dem stehe zum einen entgegen, dass die Anteile an der ProSiebenSat.1 Media AG seit ihrer Veräußerung im Jahr 2007 nicht mehr zum Erwerb angeboten worden seien und auch eine gegenwärtige Verkaufsabsicht nicht ersichtlich sei. Dass die Klägerin aktuell die Möglichkeit zur Übernahme der Sendergruppe habe, sei nicht erkennbar. Die Marktverhältnisse und die Medienlandschaft seien zudem generell einem ständigen Wandel unterworfen und hätten sich seit der Beschlussfassung der KEK grundlegend verändert. Zum anderen habe sich die Zusammensetzung der KEK durch den zum 1. September 2008 in Kraft getretenen Zehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag strukturell geändert. Vor dem Hintergrund der personellen Erweiterung der KEK um Vertreter der Landesmedienanstalten sei es als offen anzusehen, ob der Klägerin im Falle erneuter Übernahmepläne die rundfunkrechtliche Unbedenklichkeitsbestätigung nochmals verweigert würde. Die Klägerin könne ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch nicht aus der von ihr geltend gemachten Absicht herleiten, mit der verwaltungsgerichtlichen Klage einen Amtshaftungsprozess vorzubereiten. Schließlich könne sich die Klägerin auch nicht auf ein Rehabilitierungsinteresse berufen. Von dem Bescheid der Beklagten gehe keine diskriminierende, ansehensmindernde oder geschäftsschädigende Wirkung aus. Mit der objektiven Feststellung, dass die Klägerin durch die geplante Übernahme eine vorherrschende Meinungsmacht erlangen würde, sei insbesondere nicht der Vorwurf verknüpft, die Klägerin werde die erlangte Position missbräuchlich ausüben.

13

Zur Begründung ihrer vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision trägt die Klägerin im Wesentlichen vor:

14

Der Verwaltungsgerichtshof habe ihr unter Verstoß gegen § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO das Feststellungsinteresse abgesprochen. Die Erledigung des Klagebegehrens sei - wie dies bei Ablehnung einer rundfunkrechtlichen Unbedenklichkeitsbestätigung für einen geplanten Unternehmenszusammenschluss typisch sei - eingetreten, bevor sie überhaupt gerichtlichen Rechtsschutz in der Hauptsache habe in Anspruch nehmen können. Ein anderer Weg zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns der Beklagten als die Fortsetzungsfeststellungsklage stehe ihr nicht zur Verfügung. Auch bei der rundfunkkonzentrationsrechtlichen Beurteilung möglicher künftiger Übernahmevorhaben der Klägerin werde es maßgeblich auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Auslegung des § 26 RStV ankommen. Es gebe indes keinen Anhalt dafür, dass die KEK - ungeachtet ihrer veränderten Organisationsstruktur und ihrer erweiterten personellen Zusammensetzung - von ihrer im zugrunde liegenden Verfahren praktizierten Handhabung dieser Vorschrift, die ihrer ständigen Spruchpraxis entspreche, in Zukunft abweichen werde. Soweit die Berufungsentscheidung es demgegenüber als offen betrachte, in welchem Sinne die KEK § 26 RStV in einem künftigen Verfahren verstehen werde, beruhe dies auf einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung (§ 86 Abs. 1 VwGO) und einer Überschreitung der Grenzen freier Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO). Der Klägerin könne das Feststellungsinteresse auch nicht mit der Begründung abgesprochen werden, die von ihr in Aussicht genommene Verfolgung von Amtshaftungsansprüchen stelle sich als von vornherein aussichtslos dar. Die Versagung des gerichtlichen Rechtsschutzes durch den Verwaltungsgerichtshof verletze die Klägerin in ihrem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie in ihren Grundrechten auf Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG), auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) und auf unternehmerische Teilhabe am Wettbewerb (Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG). Die Berufungsentscheidung stelle sie faktisch rechtsschutzlos und behindere sie massiv in ihrem Bestreben, als traditionelles Presseunternehmen in den Rundfunk- und Fernsehmarkt hineinzuwachsen. Es sei zu befürchten, dass ihr die Einwände in den Entscheidungen der Beklagten bzw. der KEK aus dem Jahr 2006 bei bevorstehenden Zusammenschlussvorhaben sowohl von Seiten der Verhandlungs- und Vertragspartner als auch von behördlicher Seite entgegengehalten würden.

15

Materiellrechtlich stehe der Bescheid der Beklagten nicht mit § 26 RStV in Einklang. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift könne einer geplanten Veränderung der Beteiligungsverhältnisse an einem Rundfunkveranstalter allenfalls dann eine vorherrschende Meinungsmacht, die die medienrechtliche Unbedenklichkeit der geplanten Veränderung ausschließe, entgegengehalten werden, wenn das Unternehmen im Durchschnitt eines Jahres einen Zuschaueranteil von zumindest 25 vom Hundert erreiche. Es sei indes unstreitig, dass sie - die Klägerin - aufgrund der geänderten Beteiligungsverhältnisse nur einen Zuschaueranteil von weniger als 25 vom Hundert erreicht hätte. Weil dies unstreitig sei, sei die Sache spruchreif und könne das Revisionsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO zu ihren Gunsten durchentscheiden.

16

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 8. November 2007 und den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Juli 2009 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen ist, ihr nach Maßgabe ihres Antrags vom 8. August 2005 eine medienrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erteilen.

17

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

18

Sie ist der Auffassung, dass die Klägerin ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Versagung der medienrechtlichen Unbedenklichkeitsbestätigung habe. Eine Sachentscheidung nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO sei dem Revisionsgericht aber verwehrt. Eine vorherrschende Meinungsmacht im Sinne des § 26 Abs. 1 RStV könne auch dann angenommen werden, wenn die Zuschaueranteile unter dem Schwellenwert des § 26 Abs. 2 RStV blieben. Der Verwaltungsgerichtshof habe keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob hiervon ausgehend die geplante Veränderung der Beteiligungsverhältnisse zu einer vorherrschenden Meinungsmacht der Klägerin geführt hätte. Die Sache sei daher an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

19

Die Beigeladenen zu 1 und 2 beantragten,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 8. November 2007 und den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Juli 2009 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen ist, ihr nach Maßgabe ihres Antrags vom 8. August 2005 eine medienrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erteilen.

20

Zur Begründung wiederholen sie im Wesentlichen die von der Klägerin vorgebrachten Gründe und vertiefen sie.

Entscheidungsgründe

21

Die Revision der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs ist begründet. Die angefochtene Berufungsentscheidung verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage unter Verstoß gegen § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als unzulässig abgewiesen (1.). Ob die Klage in der Sache begründet oder unbegründet ist, kann der Senat mangels hierfür ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht beurteilen. Er kann daher weder gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO zu Gunsten der Klägerin entscheiden und ihrer Klage stattgeben (2.) noch die Klageabweisung gemäß § 144 Abs. 4 VwGO im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig bestätigen (3.). Die Sache ist vielmehr gemäß § 144 Abs. 3 an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

22

1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Das Begehren der Klägerin hat sich erledigt (a). Ihr kann zudem entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht das besondere Feststellungsinteresse für eine Sachentscheidung abgesprochen werden (b).

23

a) Die Klägerin hatte ursprünglich von der Beklagten die Bestätigung der rundfunkrechtlichen Unbedenklichkeit gemäß § 29 Satz 3 des Staatsvertrages für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag - RStV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juli 2001, BayGVBl S. 502, hier noch anzuwenden in der Fassung des 7. Rundfunkänderungsstaatsvertrages vom 23. Februar 2004, BayGVBl S. 32, begehrt. Nach § 29 Satz 1 RStV ist jede geplante Veränderung von Beteiligungsverhältnissen oder sonstigen Einflüssen bei der zuständigen Landesmedienanstalt vor ihrem Vollzug schriftlich anzumelden. Anmeldepflichtig sind nach § 29 Satz 2 RStV der Veranstalter und die an dem Veranstalter unmittelbar oder mittelbar im Sinne von § 28 Beteiligten. Nach § 29 Satz 3 RStV dürfen die Veränderungen nur dann von der zuständigen Landesmedienanstalt als unbedenklich bestätigt werden, wenn unter den veränderten Voraussetzungen eine Zulassung erteilt werden könnte. Bei dieser Unbedenklichkeitsbestätigung handelt es sich um einen feststellenden Verwaltungsakt, der mit der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) erstritten werden kann.

24

Das darauf gerichtete Verpflichtungsbegehren hat sich bereits vor Klageerhebung erledigt. Mit Schreiben vom 8. August 2005 meldeten die Klägerin und die Beigeladenen gemeinsam mit zwei weiteren Fernsehveranstaltern bei der Beklagten gemäß § 29 Satz 1 RStV eine geplante mittelbare Veränderung von Beteiligungsverhältnissen an und beantragten, deren rundfunkrechtliche Unbedenklichkeit gemäß § 29 Satz 3 RStV zu bestätigen. Das darauf gerichtete Begehren hat sich dadurch erledigt, dass die Klägerin mit Schreiben vom 7. März 2006 an die Beklagte erklärte, sie sehe nach den negativen Bescheiden der KEK und des Bundeskartellamts angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen keine Möglichkeit, den Anteilserwerb wie geplant umzusetzen.

25

Darin liegt einerseits die Aufgabe des Vorhabens, dessen medienrechtliche Unbedenklichkeit in dem eingeleiteten Verwaltungsverfahren hätte geprüft und bestätigt werden sollen, und andererseits verfahrensrechtlich die Rücknahme der Anmeldung einer beabsichtigten Änderung der Beteiligungsverhältnisse nach § 29 RStV, welche das Verwaltungsverfahren eingeleitet hat. Das Verwaltungsverfahren hat mit dieser Aufgabe des Vorhabens seinen Gegenstand verloren und sich dadurch erledigt. Über das antragsabhängige Begehren der Klägerin konnte danach keine Entscheidung in der Sache mehr getroffen werden, mit der Folge, dass es sich seinerseits erledigt hat (zu einer vergleichbaren Fallgestaltung vgl. Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 22.88 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 29). War aber das Verwaltungsverfahren gegenstandslos geworden, trifft dies auch auf die gleichwohl noch ergangenen Bescheide der Beklagten vom 15. Mai und 4. Juli 2006 zu. Sie gingen mangels eines noch regelungsfähigen Gegenstandes von vornherein ins Leere, waren deshalb rechtlich bedeutungslos und konnten insbesondere keine der Bestandskraft fähigen Regelungen mehr bewirken. Ihrer ausdrücklichen Aufhebung bedarf es daher nicht.

26

Aufgrund der danach eingetretenen Erledigung ihres Begehrens konnte die Klägerin dessen ursprüngliche Berechtigung mit der Fortsetzungsfeststellungsklage zur gerichtlichen Überprüfung stellen. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auch dann statthaft, wenn sich ein Verpflichtungsbegehren bereits vor Klageerhebung erledigt hat (Urteil vom 18. Dezember 2007 - BVerwG 6 C 47.06 - Buchholz 442.066 § 42 TKG Nr. 3 S. 20). In diesem Fall ist die Klage darauf gerichtet, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet gewesen ist, den ursprünglich begehrten Verwaltungsakt zu erlassen.

27

b) Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage erfordert ein besonderes Feststellungsinteresse. Dieses kann typischerweise in einer Wiederholungsgefahr, einem Rehabilitationsinteresse, der Absicht eines Schadensersatzprozesses oder weiteren besonderen Umständen des Einzelfalls liegen. Vorliegend hat die Klägerin ein Rehabilitationsinteresse, weil durch die ausdrücklich ablehnende Haltung der KEK und der Beklagten zu der rundfunkrechtlichen Übernahmeabsicht der Klägerin auch jedes zukünftige entsprechende Vorhaben mit einer drohenden Verweigerung der Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 29 Satz 3 RStV bemakelt ist. Bis zum Zeitpunkt der Erledigung des Verwaltungsverfahrens ist es zwar zu keiner Entscheidung der beklagten Landesmedienanstalt gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 RStV gekommen. Allerdings lag bereits am 10. Januar 2006 der Beschluss der KEK zum klägerischen Vorhaben vor, in dem die Gefahr der Entstehung einer vorherrschenden Meinungsmacht im Fall der Übernahme der ProSiebenSat.1 Media AG gesehen wurde. In diesem Beschluss lag die vor der Entscheidung der Beklagten gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 RStV abzugebende Beurteilung der KEK gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 RStV über die Frage der rundfunkkonzentrationsrechtlichen Unbedenklichkeit im Falle der Bestätigung von Veränderungen von Beteiligungsverhältnissen im Sinne von § 36 Abs. 1 Satz 2 RStV. Die daraufhin wegen der Verbindlichkeit dieser Beurteilung (§ 37 Abs. 2 RStV) absehbar gewesene ablehnende Entscheidung der Beklagten wirkte zwar nicht in der Weise ehrverletzend, dass sie in ein das Ansehen schützendes subjektives Recht der Klägerin eingegriffen hätte, behinderte sie aber beträchtlich in ihrer künftigen unternehmerischen Entfaltung.

28

Die Übernahme von Beteiligungen an Fernsehveranstaltern steht aus naheliegenden wirtschaftlichen Gründen unter besonderem Zeitdruck. Der Rechtsschutz, den das Gesetz den Beteiligten im Falle einer Verweigerung der medienrechtlichen Unbedenklichkeitsbestätigung gewährt, steht dagegen nicht in ähnlich kurzer Frist zur Verfügung. Vielmehr müssen die Beteiligten damit rechnen, dass ein gerichtliches Verfahren auch bei zügiger Bearbeitung durch immerhin drei Instanzen längere Zeit in Anspruch nehmen wird. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit führt häufig dazu, dass die an der Veränderung der Beteiligungsverhältnisse Interessierten ihr Vorhaben im Falle einer Verweigerung der Unbedenklichkeitsbestätigung durch die zuständige Landesmedienanstalt aufgeben, ohne eine Klärung im Gerichtsverfahren abzuwarten. Diese für die Beteiligten im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutz unbefriedigende Situation wird zusätzlich dadurch gekennzeichnet, dass der gescheiterte Käufer bei zukünftigen Akquisitionsgelegenheiten damit rechnen muss, dass seinem Erwerbsvorhaben die Argumente aus dem Bescheid entgegengehalten werden, durch den für das frühere Vorhaben die medienrechtliche Unbedenklichkeitbestätigung verweigert worden ist. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass sich ein Verkäufer kaum dem Risiko aussetzen wird, an einen solchen Kaufinteressenten zu verkaufen, wenn er mit einer entsprechenden Entscheidung wie dem früheren Bescheid rechnen muss. Im Übrigen würde auch der neuerliche Erwerb einer Beteiligung unter denselben wirtschaftlichen Zwängen stehen wie der erste, so dass häufig auch in dem zweiten Verfahren die zugrunde liegenden Fragen nicht gerichtlich geklärt werden können.

29

Die Klägerin muss mithin wegen der für sie ungünstigen Entscheidung der Beklagten damit rechnen, von einem potentiellen Veräußerer schon gar nicht als ernsthafter Verhandlungspartner für eine Übernahme in Betracht gezogen zu werden. Sie hat ein berechtigtes Interesse daran, diesen in der Verweigerung der medienrechtlichen Unbedenklichkeitsbestätigung liegenden Makel für zukünftige Fälle zu beseitigen.

30

Der Senat stimmt damit im Ergebnis mit dem Bundesgerichtshof überein, der der Klägerin in dem parallel geführten kartellrechtlichen Verfahren trotz dessen Erledigung ebenfalls ein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Sachentscheidung zuerkannt hatte (BGH, Beschluss vom 25. September 2007 - KVR 30/06 - BGHZ 174, 179 <183 ff.>). Danach ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ausnahmsweise schon dann zu bejahen, wenn die Beteiligten darlegen können, dass sie an der Klärung der durch den streitigen Bescheid aufgeworfenen Fragen ein besonderes berechtigtes Interesse haben, das sich auch aus der Präjudizierung eines vergleichbaren, wenn auch derzeit noch nicht absehbaren Vorhabens ergeben kann. Davon ist auszugehen, solange die früher beabsichtigte Veränderung der Beteiligungsverhältnisse jederzeit wieder in Angriff genommen werden und deswegen die frühere Beurteilung durch die Landesmedienanstalt noch prägende Bedeutung für die spätere Prüfung eines entsprechenden Vorhabens haben kann. Hier hat die Klägerin nachvollziehbar dargelegt, dass für sie das einstweilen gescheiterte Vorhaben weiterhin von Interesse ist und ungeachtet der zwischenzeitlichen Veräußerung der Unternehmensanteile an einen Finanzinvestor wirtschaftlich realisierbar ist. Die Beklagte wiederum hat wiederholt verlautbart, dass sie an der bisherigen tatsächlichen und rechtlichen Beurteilung des Vorhabens unverändert festhält.

31

2. Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht zu Gunsten der Klägerin in der Sache selbst entscheiden. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ohne weitere tatsächliche Feststellungen der Klage als begründet stattzugeben wäre, weil eine medienrechtliche Unbedenklichkeit der beabsichtigten Veränderung der Beteiligungsverhältnisse hätte bestätigt werden müssen. Eine medienrechtliche Unbedenklichkeit kann einer beabsichtigten Veränderung der Beteiligungsverhältnisse an privaten Rundfunkveranstaltern nach § 29 Satz 3 RStV nicht bestätigt werden, wenn ein Unternehmen durch die Änderung der Beteiligungsverhältnisse eine vorherrschende Meinungsmacht im Sinne des § 26 Abs. 1 RStV erlangt. Dass vorherrschende Meinungsmacht gegeben ist, wird nach § 26 Abs. 2 Satz 1 RStV vermutet, wenn die einem Unternehmen zurechenbaren Programme im Durchschnitt eines Jahres einen Zuschaueranteil von 30 vom Hundert erreichen. Gleiches gilt nach § 26 Abs. 2 Satz 2 RStV bei Erreichen eines Zuschaueranteils von 25 vom Hundert, sofern das Unternehmen auf einem medienrelevanten verwandten Markt eine marktbeherrschende Stellung hat oder eine Gesamtbeurteilung seiner Aktivitäten im Fernsehen und auf medienrelevanten verwandten Märkten ergibt, dass der dadurch erzielte Meinungseinfluss dem eines Unternehmens mit einem Zuschaueranteil von 30 vom Hundert im Fernsehen entspricht. Hiernach wäre die Klage ohne weiteres begründet und ihr bereits im Revisionsverfahren stattzugeben, wenn § 26 Abs. 1 und 2 RStV dahin auszulegen wären, dass eine vorherrschende Meinungsmacht im Sinne des § 26 Abs. 1 RStV nur dann angenommen werden darf, wenn die Schwellenwerte des § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 RStV erreicht sind. Denn nach dem insoweit zwischen den Beteiligten nicht streitigen Sachverhalt hätte die Klägerin nach der beabsichtigten Übernahme der Beteiligungen diese Schwellenwerte nicht erreicht. § 26 Abs. 2 RStV ist jedoch nicht als abschließende Regelung dahin zu verstehen, dass vorherrschende Meinungsmacht im Sinne des § 26 Abs. 1 RStV nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 Abs. 2 RStV angenommen werden darf, insbesondere also zwingend erfordert, dass die dort genannten Schwellenwerte für den Zuschaueranteil erreicht werden. § 26 Abs. 2 RStV enthält vielmehr Regelbeispiele, die es nicht ausschließen, bei Vorliegen gewichtiger Gründe eine vorherrschende Meinungsmacht im Sinne des § 26 Abs. 1 RStV auch dann anzunehmen, wenn die Schwellenwerte des § 26 Abs. 2 RStV nicht ganz erreicht werden.

32

Der Wortlaut des Gesetzes steht dieser Auslegung nicht entgegen, sondern unterstützt sie vielmehr (a). Die Entstehungsgeschichte bestätigt die Auslegung (b). Sie ist mit der Systematik des Gesetzes vereinbar (c) und entspricht insbesondere dem Sinn und Zweck der Vorschrift (d). Die hier gefundene Auslegung der landesrechtlichen Vorschrift des § 26 Abs. 1 und 2 RStV verstößt schließlich nicht gegen höherrangiges Bundesrecht (e).

33

a) Die in § 26 Abs. 1 RStV verwendete Formulierung "vorherrschende Meinungsmacht nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen" zwingt nicht dazu, in § 26 Abs. 2 RStV eine abschließende Konkretisierung dieses Rechtsbegriffs zu erblicken. Der Wortsinn des § 26 Abs. 1 RStV ist offen dafür, dass sich der Verweis auf die "nachfolgenden Bestimmungen" nicht allein auf § 26 Abs. 2 RStV, sondern weitergehend auch auf die §§ 27 ff. RStV bezieht (vgl. Trute, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 2. Auflage, München 2008, § 26 RStV Rn. 38). Bei den Regelungen des § 26 Abs. 2 RStV handelt es sich nach dem eindeutigen Sprachgebrauch des Gesetzes einerseits um Vermutungstatbestände (§ 26 Abs. 2 Satz 1 RStV: "so wird vermutet") und damit nach hergebrachter Rechtsdogmatik um Vorschriften des Beweisrechts. Gesetzliche Vermutungen, die unbeschadet des Amtsermittlungsgrundsatzes auch im Verwaltungsrecht nichts Ungewöhnliches sind und zu einer Umkehr der objektiven Beweislast führen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 108 Rn. 12), erleichtern lediglich den Nachweis des Vorhandenseins gewisser Tatsachen (vgl. § 292 ZPO), bestimmen den materiellen Tatbestand, um dessen Nachweis es geht, aber nicht selbst, sondern setzen ihn voraus (vgl. Trute, a.a.O. § 26 RStV Rn. 37). Mit diesem Charakter als Beweislastregeln im Fall eines "non liquet" wäre es nicht vereinbar, § 26 Abs. 2 RStV abschließende materiellrechtliche Vorgaben für das Merkmal vorherrschender Meinungsmacht zu entnehmen. Der Gesetzeswortlaut lässt andererseits dafür Raum, die Bestimmungen des § 26 Abs. 2 RStV über bloße Vermutungsregeln hinaus zugleich als Regelbeispiele mit Leitbildcharakter für die Auslegung der sonst allzu vagen Generalklausel des § 26 Abs. 1 RStV aufzufassen, die, wie noch näher auszuführen sein wird, für den Normalfall eine bestimmte Entscheidung des Normanwenders intendieren.

34

b) Eine derartige Deutung im Sinne einer abschließenden Regelung könnte systematisch allerdings durch § 26 Abs. 4 Satz 1 RStV nahegelegt werden, der - soweit einem Unternehmen Maßnahmen zur Beseitigung der von ihm erlangten vorherrschenden Meinungsmacht vorzuschlagen sind - in Nr. 1 und 2 allein auf § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 RStV Bezug nimmt. Diese Bezugnahme nötigt indes für sich genommen und erst recht im Hinblick darauf, dass die nachfolgende Nr. 3 sowie die weitere Rechtsfolgennorm des § 26 Abs. 3 RStV nicht auf § 26 Abs. 2 RStV verweisen, nicht dazu, den Begriff der vorherrschenden Meinungsmacht als durch § 26 Abs. 2 RStV abschließend konkretisiert anzusehen.

35

c) Die amtliche Begründung zu § 26 RStV (abgedruckt bei Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, § 26 RStV S. 2 ff.) bestätigt dieses Ergebnis. In ihr wird hervorgehoben, dass es "dem Unternehmen unbenommen (bleibt) nachzuweisen, dass trotz Erreichens der 30-vom-Hundert-Grenze vorherrschende Meinungsmacht nicht gegeben ist ... Die Ausgestaltung der 30-vom-Hundert-Grenze als Vermutungsgrenze schließt umgekehrt nicht aus, dass die KEK vorherrschende Meinungsmacht im Fernsehen auch unterhalb dieser Grenze feststellt. Allerdings wird dies an die KEK besondere Anforderungen an den Nachweis stellen." Aus diesen Erwägungen geht klar hervor, dass der Rundfunkgesetzgeber mit der Regelung der Zuschaueranteilsgrenze in § 26 Abs. 2 Satz 1 RStV die Absicht verfolgt hat, Maßgaben für den behördlichen Nachweis vorherrschender Meinungsmacht zu schaffen, nicht aber, diesen Begriff materiellrechtlich abschließend zu umreißen. An diesem Befund hat sich auch durch den 6. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, mit dem in § 26 Abs. 2 Satz 2 RStV die Voraussetzung einer "geringfügigen Unterschreitung des Zuschaueranteils" durch die 25-vom-Hundert-Grenze ersetzt worden ist, und die dafür angeführten Motive nichts geändert. In der Begründung dieses Staatsvertrags (ebenfalls abgedruckt bei Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, a.a.O. § 26 RStV S. 4) heißt es zwar: "Durch die Streichung des Wortes 'geringfügig' in Absatz 2 Satz 2 wird die Möglichkeit eröffnet, die Stellung eines Unternehmens auf medienrelevanten Märkten ab einer Untergrenze von 25 vom Hundert Zuschaueranteil einzubeziehen..." Dass mit der Änderung der Bestimmung des § 26 Abs. 2 Satz 2 RStV vom ursprünglichen Regelungskonzept des Verhältnisses zwischen § 26 Abs. 1 und 2 RStV abgerückt werden sollte, ist jedoch nicht erkennbar. Gegen eine solche Abkehr spricht auch, dass in der staatsvertraglichen Begründung anschließend ausgeführt wird: "§ 26 Abs. 2 Satz 1 bleibt durch die Änderung in § 26 Abs. 2 unberührt. Die in dieser Vorschrift verankerte 30-%-Grenze darf auch weiterhin nicht überschritten werden." Die Kontinuität mit der Vorgängerfassung wird darüber hinaus durch die Eingangspassage deutlich betont: "Die Regelung des § 26 geht auch weiterhin vom Zuschaueranteilsmodell aus. Weiterhin wird vorherrschende Meinungsmacht vermutet, wenn die einem Unternehmen zurechenbaren Programme im Durchschnitt eines Jahres einen Zuschaueranteil von 30 vom Hundert erreichen."

36

d) Dem Sinn und Zweck der Vorschrift, zur Sicherung der Meinungsvielfalt im Fernsehen (vgl. die amtliche Überschrift) dem Entstehen vorherrschender Meinungsmacht vorzubeugen, wird nur ein Normverständnis gerecht, das eine Konzentrationskontrolle auch außerhalb der starren Zuschaueranteilsgrenzen des § 26 Abs. 2 RStV für zulässig hält. Die Kernvorschrift der rundfunkrechtlichen Konzentrationskontrolle findet sich in der Generalklausel des § 26 Abs. 1 RStV und erlaubt die Veranstaltung einer unbegrenzten Anzahl von bundesweit verbreiteten Fernsehprogrammen, solange das Unternehmen "nach Maßgabe der folgenden Vorschriften" dadurch keine "vorherrschende Meinungsmacht" erlangt.

37

Das Zuschaueranteilsmodell des § 26 Abs. 2 RStV ist nicht ausreichend, um eine von Verfassungs wegen gebotene effektive Medienkonzentrationskontrolle sicherzustellen (vgl. Trute, a.a.O. § 26 RStV Rn. 38 m.w.N.). So wäre es schwer verständlich, wenn gegenüber einem Unternehmen mit einem Zuschaueranteil von 25 vom Hundert und einer marktbeherrschenden Stellung auf einem (einzigen) medienrelevanten verwandten Markt (vgl. § 26 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 RStV) Maßnahmen zur Vielfaltssicherung getroffen werden könnten, während bei einer geringfügigen Unterschreitung der 25-vom-Hundert-Grenze und gleichzeitig vorliegender marktbeherrschender Stellung auf mehreren medienrelevanten verwandten Märkten - etwa bei den verschiedenartigen Printmedien und den Online-Diensten - ein konzentrationsrechtliches Tätigwerden ausgeschlossen wäre (vgl. Trute, a.a.O. § 26 RStV Rn. 38). Auch unterhalb des Schwellenwerts von 25 vom Hundert kann ein - letztlich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleitendes - Bedürfnis bestehen, zum Schutz der publizistischen Vielfalt bzw. zur Vermeidung eines dominierenden Einflusses auf die freie Meinungsbildung in dem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besonders sensiblen Bereich der Rundfunkordnung einzuschreiten (BVerfG, Urteil vom 4. November 1986 - 1 BvF 1/84 - BVerfGE 73, 118 <152 ff., insbes. 172 ff.>).

38

e) Die Anwendung der landesrechtlichen Vorschriften aus § 29 Satz 3 in Verbindung mit § 26 Abs. 1 und Abs. 2 RStV ist weder aus Gründen des Gewerbe- (aa) noch des Verfassungsrechts (bb) des Bundes zu beanstanden.

39

aa) Privatrechtlicher Rundfunk wird von gewerblichen Unternehmen veranstaltet, die grundsätzlich dem Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere der Fusionskontrolle nach deutschem und europäischem Recht unterliegen. So darf das Landesrundfunkrecht die Prüfung durch das Bundeskartellamt zur Voraussetzung der Rundfunkzulassung machen (BVerfG, Urteil vom 4. November 1986 - 1 BvF 1/84 - BVerfGE 73, 118 <174>). Der Landesgesetzgeber durfte aber das allgemeine Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen für unzureichend halten, eine hinreichende Vielfalt des Medienangebots zu gewährleisten und deshalb medienspezifische Konzentrationsregelungen als unverzichtbar ansehen. Denn das Kartellrecht allein ist unzureichend, das gebotene Maß an Vielfalt im Angebot der elektronischen Medien zu gewährleisten. Das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen richtet sich gegen "Kartellierungen" durch vertragliche Absprachen und "Konzernierungen" durch den Zusammenschluss von Gesellschaften, während das interne Wachstum von Unternehmen nicht erfasst wird. Hinzu kommen Zieldivergenzen: Das Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen soll die übermäßige Konzentration wirtschaftlicher Macht verhindern. Demgegenüber verlangen die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Medienrechts publizistische Vielfalt, die nicht schon dadurch gewährleistet wird, dass mehrere Anbieter miteinander konkurrieren. Der Entstehung vorherrschender Meinungsmacht kann nur mit den Instrumenten medienspezifischer Konzentrationskontrolle und Vielfaltssicherung begegnet werden (vgl. m.w.N. Kübler, Medien, Menschenrechte und Demokratie S. 266 ff.).

40

bb) Die einfachgesetzliche Vorschrift des § 26 Abs. 1 RStV, die einen unternehmerischen Anspruch auf Veranstaltung einer unbegrenzten Zahl von Fernsehprogrammen nur unter der Voraussetzung der Nichterlangung vorherrschender Meinungsmacht einräumt, schränkt die grundgesetzliche Gewährleistung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ein. Die Rundfunkfreiheit bedarf jedoch der Ausgestaltung. Die wesentlichen Kriterien dafür ergeben sich aus der Funktion des Rundfunks, im Interesse der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung die Vielfalt der bestehenden Meinungen in möglichster Breite und Vollständigkeit zum Ausdruck zu bringen (BVerfG, Urteil vom 4. November 1986 - 1 BvF 1/84 - BVerfGE 73, 118 <152 f.>). Insoweit kann es die Rundfunkfreiheit nicht rechtfertigen, für den privaten Rundfunk auf rechtliche Sicherungen der Rundfunkfreiheit ganz zu verzichten und die Entwicklung im Wege der Deregulierung den Kräften des Marktes anzuvertrauen (BVerfG, Urteil vom 16. Juni 1981 - 1 BvL 89/78 - BVerfGE 57, 295 <323>). Vielmehr hat der Gesetzgeber, auch wenn an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen gestellt werden können wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Vorkehrungen zu treffen, die dazu bestimmt und geeignet sind, ein möglichst hohes Maß gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk zu erreichen und zu sichern (Trute, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 2. Auflage, München 2008, § 26 RStV Rn. 26 bis 27; BVerfG, Urteil vom 4. November 1986 - 1 BvF 1/84 - BVerfGE 73, 118 <159>).

41

3. Die Berufungsentscheidung erweist sich auf der Grundlage der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das wäre nur dann der Fall, wenn ohne weitere tatsächliche Feststellungen davon ausgegangen werden könnte, dass die KEK mit ihrer für die Beklagte verbindlichen Beurteilung eine vorherrschende Meinungsmacht der Klägerin nach Änderung der Beteiligungsverhältnisse zu Recht angenommen hätte. Bei der Feststellung, ob eine vorherrschende Meinungsmacht eintritt, kommt der KEK jedoch ein Beurteilungsspielraum zu (a). Ob die KEK sich hier innerhalb der gerichtlich nachprüfbaren Grenzen ihres Beurteilungsspielraums (b) gehalten hat, kann im Revisionsverfahren nicht festgestellt werden, weil der Verwaltungsgerichtshof den insoweit erhobenen Einwänden der Klägerin nicht nachgegangen ist.

42

a) Der Begriff der vorherrschenden Meinungsmacht ist ein unbestimmter Gesetzesbegriff, bei dessen Konkretisierung die KEK über einen Beurteilungsspielraum verfügt. Zwar haben grundsätzlich die Gerichte die Rechtsanwendung der Verwaltungsbehörden uneingeschränkt zu überprüfen. Doch kann ein gesetzlich vorgegebenes Entscheidungsprogramm wegen der hohen Komplexität der geregelten Materie so vage und seine Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an ihre Funktionsgrenzen stößt (BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991 - 1 BvR 419/81 u.a. - BVerfGE 84, 34 <49 f.>). Die Pflicht zur gerichtlichen Überprüfung reicht nicht weiter als die materiellrechtliche Bindung der Exekutive. Sie endet dort, wo das materielle Recht der Verwaltungsbehörde in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Entscheidungen abverlangt, ohne dafür hinreichend bestimmte Entscheidungsprogramme vorzugeben (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 1992 - 1 BvR 167/87 - BVerfGE 88, 40 <56, 61>; Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142 <156 f.>). Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht dem Gesetz unter anderem dann eine Beurteilungsermächtigung für die Exekutive entnommen, wenn der von ihr zu treffenden Entscheidung in hohem Maße wertende Elemente anhaften und das Gesetz für sie deshalb ein besonderes Verwaltungsorgan für zuständig erklärt, das mit besonderer fachlicher Legitimation in einem besonderen Verfahren entscheidet, zumal wenn es sich um ein Kollegialorgan handelt, das mögliche Auffassungsunterschiede bereits in sich zum Ausgleich bringt und die zu treffende Entscheidung damit zugleich versachlicht (s. Urteile vom 16. Mai 2007 - BVerwG 3 C 8.06 - BVerwGE 129, 27 Rn. 27, vom 28. November 2007 - BVerwG 6 C 42.06 - BVerwGE 130, 39 Rn. 29 und vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 - BVerwGE 131, 41 Rn. 20). Das ist hier der Fall. Die Beurteilung einer vorherrschenden Meinungsmacht nach § 26 RStV hängt, wie schon erwähnt, bei geringer gesetzlicher Determiniertheit von einer komplexen Bewertung ab, die die besonders sachverständigen (§ 35 Abs. 3 RStV) und an Weisungen nicht gebundenen (§ 35 Abs. 6 Satz 1 RStV) Mitglieder der KEK in einem dafür eigens vorgesehenen Verfahren durch Mehrheitsbeschluss (§ 37 Abs. 1 RStV) vorzunehmen haben.

43

b) Ob die KEK die Grenzen des ihr eingeräumten Beurteilungsspielraums eingehalten oder überschritten hat, unterliegt verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Die Verwaltungsgerichte haben nachzuprüfen, ob die Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemein gültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt hat.

44

Zum richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs gehört hier, dass § 26 Abs. 2 RStV zwar nicht zwingend erfordert, dass die dort genannten Schwellenwerte für den Zuschaueranteil erreicht werden, aber Regelbeispiele enthält, die es nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe ermöglichen, eine vorherrschende Meinungsmacht auch dann anzunehmen, wenn die Schwellenwerte nicht ganz erreicht werden. Diese indizielle Bedeutung der Regelbeispiele kann im Rahmen einer Gesamtabwägung nur kompensiert werden, wenn sich der Einzelfall aufgrund individueller Besonderheiten vom Normalfall so deutlich abhebt, dass ein Festhalten an der regelmäßig vorgesehenen Rechtsfolge unangemessen erscheint. Dabei hat die KEK zum einen den Sinn des Regelbeispiels und die dabei vom Gesetzgeber getroffenen Wertungen zu beachten und zum anderen sicherzustellen, dass die besonderen Umstände, auf die sie sich stützt, ihrem Gewicht nach den Regelbeispielen entsprechen. Besteht eine Ähnlichkeit mit einem Regelbeispiel, ist es dem Rechtsanwender nicht erlaubt, eigene Wertungen an die Stelle der Wertungen des Gesetzgebers zu setzen. Die KEK ist zu einer freien Gesamtabwägung erst dann aufgerufen, wenn der Einzelfall Besonderheiten aufweist, die sich durch kodifizierte Regelbeispiele nicht angemessen erfassen lassen. Die KEK hat danach die vom Gesetzgeber getroffene Wertung, dass ein Zuschaueranteil von weniger als 25 vom Hundert in der Regel als unbedenklich einzustufen ist, zu beachten. Nur wenn die vom Gesetzgeber vorgegebene Eingriffsschwelle im Lichte der Ziele des Gesetzes offensichtlich unangemessen ist, kann der § 26 Abs. 1 RStV im Rahmen einer Gesamtabwägung auch bei Unterschreitung der Schwellenwerte Anwendung finden (Holznagel/Krone, Wie frei ist die KEK? Ein Beitrag zur Auslegung des § 26 Abs. 2 Satz 2 RStV, MMR 2005, 666<673>).

45

Da es an der Möglichkeit einer Entscheidung in der Sache selbst nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO fehlt und das angegriffene Urteil nicht aus anderen Gründen richtig ist (§ 144 Abs. 4 VwGO), ist das Berufungsurteil gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. November 2011 - 3 K 641/11 - geändert, soweit die Klage abgewiesen wurde.

Es wird festgestellt, dass die an den Kläger gerichtete Auflage in Ziffer 7 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 rechtswidrig war, soweit diese verbietet, Gegenstände bei der Versammlung mitzuführen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, wozu insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen.

Die Beklagte trägt die gesamten Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die vom Kläger begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit einer an ihn als Versammlungsleiter gerichteten Auflage, nach der das Mitführen von Gegenständen, die zur Verhinderung der Identitätsfeststellung geeignet und bestimmt sind, bei der Versammlung verboten ist.
Mit Schreiben vom 25.01.2011 und 01.02.2011 meldete der Kläger bei der Beklagten für Samstag, den 12.02.2011, 12 - 15 Uhr, eine Versammlung mit 200 bis 250 Teilnehmern auf dem Karlsruher Marktplatz an. Die Kundgebung richtete sich gegen einen wenige Tage später stattfindenden Castor-Transport aus dem Karlsruher Institut für Technologie - KIT - nach Lubmin. Ein LKW sollte als Bühne dienen, die Teilnehmer und Passanten sollten per Lautsprecher, Transparenten und Flyern erreicht werden.
Mit Bescheid vom 09.02.2011 bestätigte die Beklagte gemäß § 14 VersammlG die Versammlung und erteilte - ausweislich der Begründung gestützt auf § 15 VersammlG - eine Reihe von Auflagen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Ziffer 7 der Verfügung lautete:
„Es ist verboten an der Versammlung in einer Aufmachung teilzunehmen, die geeignet und den Umständen nach darauf ausgerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern (Vermummungsverbot). Gegenstände, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, dürfen bei der Versammlung nicht mitgeführt werden. Hierzu zählt insbesondere die Bekleidung mit Kapuzenpullovern und Halstüchern, wenn dadurch eine Identifizierung unmöglich gemacht wird (z.B. Halstuch vollständig über Mund und Nase gezogen, Kapuze weit ins Gesicht hinein getragen).“
Die Einzelbegründung zu Ziffer 7 lautete:
„Die Auflage ergibt sich direkt aus § 17 a Abs. 2 Versammlungsgesetz.“
Des weiteren wurde der Kläger als Versammlungsleiter verpflichtet, sich zu Beginn bei der Polizeieinsatzleitung zu melden und während der Veranstaltung per Mobiltelefon erreichbar zu sein. Ihm wurde aufgegeben, je 50 Teilnehmer einen Ordner einzusetzen und deren Personalien vorab der Polizei mitteilen. Es wurden Einzelheiten bezüglich des Bühnen- und Standaufbaus sowie der Beschaffenheit von Transparenten und Fahnen geregelt, unter anderem wurden Transparente mit einer Länge von über 3 m untersagt. Verboten wurden auch die Blockade und Behinderung des Straßenbahnverkehrs, der Ausschank, Verkauf und Konsum alkoholischer Getränke sowie das Mitführen von Glasbehältnissen und Hunden. Der Kläger wurde verpflichtet, den Versammlungsort nach der Veranstaltung zu reinigen.
Der Bescheid verpflichtete den Kläger, den Teilnehmern den Verlauf und die Auflagen mitzuteilen und auf mögliche Bußgeldverfahren hinzuweisen. Ziffer 1 der Verfügung endete mit dem Satz:
„Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.“
10 
Der Sofortvollzug aller Auflagen wurde angeordnet.
11 
Am 11.02.2011 erhob der Kläger Widerspruch gegen einige der verfügten Auflagen, über den nicht entschieden wurde.
12 
Die Versammlung fand am 12.02.2011 statt und wurde um 14.15 Uhr vom Kläger beendet. Die Versammlung, an der zur Spitzenzeit ca. 300 und 350 Personen teilnahmen, verlief friedlich. Die Beklagte teilte dem Kläger während der Versammlung mit, dass auf den Sofortvollzug der Auflagen verzichtet werde.
13 
Am 09.03.2011 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass die Ziffern 1, 3, 5, 7, 9 und 10 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 rechtswidrig waren, soweit diese
14 
a) den Kläger verpflichten, dem Polizeieinsatzleiter vor Versammlungsbeginn die Mobiltelefonnummer, unter der er jederzeit während der Versammlung erreichbar ist, mitzuteilen,
15 
b) den Kläger verpflichten, als Versammlungsleiter die Personalien (Name, Vorname und Wohnort) der eingesetzten Ordner in einer Liste zu erfassen, die der Polizei am 12.02.2011 um 11.30 Uhr vorzulegen ist,
16 
c) den Kläger verpflichten, keine Transparente mitzuführen, die die Länge von 3 m überschreiten,
17 
d) das Mitführen von Gegenständen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, bei der Versammlung verbieten, wozu insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen,
18 
e) das Mitführen von Glasbehältnissen auf der Versammlung verbieten,
19 
f) das Mitführen von Hunden während der Versammlung untersagen.
20 
Mit Urteil vom 24.11.2011 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe festgestellt, dass die Ziffern 1, 3, 5, 9 und 10 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 in dem mit der Klage angegriffenen Umfang rechtswidrig waren. Lediglich in Bezug auf das Verbot des Mitführens von Gegenständen, die zur Vermummung geeignet und bestimmt sind (Ziffer 7 Satz 2 und 3 der Verfügung), hat es die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es insoweit ausgeführt: Die Anordnung wiederhole lediglich den Wortlaut des § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG und konkretisiere diesen durch Beispiele. Das angeführte Tragen von Kapuzenpullovern und Halstüchern sei nur insofern verboten, als dies in einer Weise geschehe, die eine Identifizierung der Person unmöglich mache. Danach sei das Tragen der genannten Kleidungsstücke nicht generell untersagt, sondern nur dann, wenn es dem Verbot des § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG zuwiderlaufe. In dieser Auslegung begegne das Verbot keinen Bedenken.
21 
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 22.03.2012 - 1 S 89/12 - zugelassenen Berufung trägt der Kläger vor: Das Verbot des Mitführens von zur Vermummung geeigneten Gegenständen stelle nicht lediglich eine Konkretisierung des gesetzlichen Verbots dar. Während nach § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG lediglich das Mitführen von Gegenständen verboten sei, die geeignet und den Umständen nach zur Vermummung bestimmt seien, verbiete die angegriffene Verfügung schon das bloße Tragen geeigneter Kleidungsstücke, ohne dass eine Zweckbestimmung notwendig sei. Zur Vermummung geeignete Kleidungsstücke, insbesondere die in der Verfügung genannten Kapuzenpullover seien ein weit verbreitetes modisches Kleidungsstück. Das Verbot sei den potentiellen Teilnehmern nicht vorab bekannt, es hindere Bürger an der spontanen Teilnahme. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG seien nicht gegeben. Die Veranstaltung sei, wie bereits im Vorfeld absehbar gewesen sei, friedlich verlaufen. Die Auflage sei schließlich zu unbestimmt; der Kläger könne nicht zuverlässig beurteilen, ob ein Verstoß gegen die Auflage vorliege. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers seien mehrere Vorfälle bekannt, bei denen Jugendlichen vor Demonstrationen das Tragen von Halstüchern oder Kapuzenpullovern untersagt worden sei, obwohl die jeweiligen Umstände nahegelegt hätten, dass die Kleidungsstücke nicht der Vermummung, sondern dem Schutz vor der Witterung dienen sollten.
22 
Der Kläger beantragt,
23 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24.11.2011 - 3 K 641/11 - zu ändern und festzustellen, dass Ziff. 7 der Verfügung der Beklagten vom 09.02.2011 rechtswidrig war, soweit diese verbietet, Gegenstände bei der Versammlung mitzuführen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, wozu insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen.
24 
Die Beklagte beantragt,
25 
die Berufung zurückzuweisen.
26 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor: Ziffer 7 der Verfügung verbiete nicht das Tragen von zur Vermummung potentiell geeigneten Kleidungsstücken an sich, sondern nur in Verbindung mit der Absicht die Identitätsfeststellung zu verhindern. Diese Absicht sei nur festzustellen durch eine bereits stattgefundene Vermummung. Die Verfügung wiederhole und konkretisiere nur das gesetzliche Vermummungsverbot und bedürfe daher keiner Gefahrenprognose nach § 15 Abs. 1 VersammlG.
27 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
28 
Die Berufung des Klägers, über die der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann, ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem Antrag des Klägers nicht das in Ziffer 7 Satz 1 der Verfügung vom 09.02.2011 angeordnete Vermummungsverbot, sondern lediglich das Verbot des Mitführens von Gegenständen, die zur Vermummung geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind (Ziffer 7 Satz 2). Aus Ziffer 7 Satz 3 der Verfügung lässt sich entnehmen, dass zu diesen Gegenständen insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen. Im Übrigen konkretisiert Satz 3 jedoch, wie sich insbesondere aus dem Klammerzusatz ergibt „(z.B. Halstuch vollständig über Mund und Nase gezogen, Kapuze weit ins Gesicht hinein getragen)“, nicht das Mitführungsverbot gemäß Satz 2, sondern das vom Kläger nicht angegriffene Vermummungsverbot gemäß Satz 1.
II.
29 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht teilweise als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Mitführungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
30 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich ein Verwaltungsakt vorher durch Rücknahme oder auf andere Weise erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
31 
Das Mitführungsverbot in Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 ist ein Verwaltungsakt und nicht lediglich ein Hinweis auf die Gesetzeslage, denn es erweckt unabhängig von seinem tatsächlichen rechtlichen Gehalt zumindest den Eindruck einer abschließenden Einzelfallregelung (OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 07.07.1999 - 2 L 264/98 - NJW 2000, 1059; Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 16). Ob eine behördliche Äußerung einen Verwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen ist (Stelkens, a.a.O., Rn. 71). Dabei sind nicht nur der Tenor, sondern auch die Begründung und die Umstände der Bekanntgabe zu berücksichtigen. Eine von der Behörde als „Auflage“ bezeichnete Maßnahme kann danach eine Verfügung mit Regelungsgehalt sein. Es kann sich aber auch nur um einen bloßen Hinweis auf die allgemeine Rechtslage handeln (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - BVerfGK 10, 493 <496> = NVwZ 2007, 1183; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6).
32 
Zwar klingt der isolierte Wortlaut von Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung nach einem schlichten Hinweis auf die Gesetzeslage, da er lediglich § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiedergibt. Auch die Bezeichnung als „Auflage“, die im versammlungsrechtlichen Zusammenhang auf § 15 Abs. 1 VersammlG verweist, steht einem solchen Verständnis nicht zwingend entgegenstehen, da die Verwendung dieses Begriffs für versammlungsrechtliche Vorgaben jeglicher Art gebräuchlich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007, a.a.O.).
33 
Die Begründung der Verfügung ist in sich widersprüchlich. Im allgemeinen Teil wird einleitend § 15 VersammlG als Rechtsgrundlage für alle „nachstehenden Auflagen“ angegeben. Die Einzelbegründung zu Ziffer 7, nach der sich diese Auflage direkt aus § 17 a Abs. 2 VersammlG ergeben soll, klingt demgegenüber nach einem bloßen Hinweis auf die Rechtslage. Die Einzelbegründung deutet also im Gegensatz zur allgemeinen, alle Auflagen betreffenden Begründung darauf hin, dass die Beklagte keine weitergehende Regelung treffen wollte. Denn § 17 a Abs. 2 VersammlG kann ersichtlich nicht als Ermächtigungsgrundlage dienen. Auch dass sich die Auflage „direkt“ aus dem Gesetz ergeben soll, legt nahe, dass nicht eine weitere Pflicht begründet werden soll, die sich dann nur mittelbar aus dem Gesetz ergeben könnte.
34 
Entscheidend für ein Verständnis als Verwaltungsakt spricht jedoch, dass Ziffer 7 in einer Liste von Einzelanordnungen steht, die allesamt als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind. Sämtliche anderen Ziffern treffen entweder spezifische Regelungen für die konkret angemeldete Versammlung, etwa die Position der Bühne, oder sie stellen Ge- und Verbote auf, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Für den Kläger als Empfänger war nicht erkennbar, warum einzig Ziffer 7 keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben sollte. Dies gilt umso mehr, als dass diese Besonderheit weder aus der Gliederung noch durch die Formulierung erkennbar wird. Weder wurde die Ziffer 7 als gesetzeswiederholender Hinweis oder als „standardisierte Auflage“ bezeichnet und vom sonstigen Text abgesetzt (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 21.02.2009 - 10 CS 09.439 - juris; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6) noch wurde sie sprachlich durch eine auf einen bloßen Hinweis hindeutende Formel wie „Grundsätzlich gilt …“ eingeleitet (vgl. BayVGH, Beschl. v. 03.02.2006 - 24 CS 06.314 - juris).
35 
Für einen eigenständigen Regelungsgehalt von Ziffer 7 spricht aus Sicht eines objektiven Empfängers auch eine Zusammenschau mit dem letzten Satz der Ziffer 1, wonach der Kläger als Versammlungsleiter dafür Sorge zu tragen hat, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.
36 
Schließlich konnte ein objektiver Empfänger die Auflage mit Blick auf die Anordnung des Sofortvollzugs nur als Verwaltungsakt verstehen, denn diese Anordnung ergibt nur Sinn, wenn die Beklagte mittels Verwaltungsakt handeln wollte.
37 
Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155 und vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61, jeweils m.w.N.).
38 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
39 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - a.a.O.). Die Klage wurde binnen Monatsfrist erhoben.
40 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O.).
41 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>).
42 
Danach kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegend zumindest aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht werden. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405 ; BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, a.a.O.). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 a.a.O. S. 406 ). Dies ist hier der Fall.
43 
Die Beklagte geht davon aus, dass die angegriffene Auflage keiner Ermächtigungsgrundlage bedarf. Sie hat Auflagen dieses Inhalts auch in der Vergangenheit bei vergleichbaren Versammlungen bereits verfügt und nicht zu erkennen gegeben, dass sie davon in Zukunft Abstand nehmen wird. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch in Zukunft Versammlungen mit gleicher Zielrichtung veranstalten zu wollen. Der Protest der Atomkraftgegner richtet sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten. Daher werden Castor-Transporte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu vergleichbaren Versammlungen bieten.
44 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Mitführungsverbot war als an den Kläger als Versammlungsleiter gerichtete Auflage rechtswidrig und verletzte diesen in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
45 
Als belastende staatliche Maßnahme bedarf das Mitführungsverbot gemäß Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 einer Ermächtigungsgrundlage (a). Die Tatbestandsvoraussetzungen keiner in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt (b).
46 
a) Eine Ermächtigungsgrundlage ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Verfügung, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, im Wesentlichen den Gesetzestext des § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiederholt. Der Erlass eines belastenden Verwaltungsakts setzt nicht nur voraus, dass für die getroffene rechtliche Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage besteht, sondern auch dafür, dass die Behörde in Form eines Verwaltungsakts handeln darf (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 35 Rn. 23 m.w.N.). Gesetzeswiederholende Verfügungen sind dann berechtigt, wenn im Einzelfall Anlass besteht, besonders auf die Pflicht zur Beachtung einer gesetzlichen Bestimmung hinzuweisen und ein konkreter Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt hergestellt wird (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999 - 8 B 12627/98 - NVwZ 1999, 679 ; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998 - 7 ZS 98.1660 u.a. - DVBl 1999, 624 m.w.N. und Beschl. v. 12.03.2010 - 10 CS 09.1734 - juris Rn. 17). Der Regelungsgehalt einer solchen Verfügung besteht darin, die Einhaltung einer Norm konkret anzumahnen und die Voraussetzungen für die Vollstreckung zu schaffen (OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999, a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O.; zur Vollstreckungsfunktion: Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn. 11). Ihre Rechtsgrundlage finden derartige gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte, sofern nicht spezielle Regelungen bestehen, in den Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze (BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O. m.w.N.).
47 
Vorliegend richtet sich das Mitführungsverbot nach seinem materiellen Regelungsgehalt an alle Versammlungsteilnehmer. Für den Kläger als Versammlungsleiter beinhaltet das an ihn gerichtete Verbot darüber hinaus das Gebot, für dessen Einhaltung zu sorgen. Denn nur so kann der Leiter gegen ein an ihn adressiertes, aber für alle Teilnehmer geltendes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - a.a.O. S. 496) Verbot verstoßen.
48 
b) Da das Versammlungsgesetz sich für unmittelbar versammlungsbezogene Eingriffe als abschließende Regelung darstellt, die einen Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht und damit auch auf die polizeiliche Generalklausel ausschließt (Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 1 Rn. 193; Senatsurteil vom 12.07.2010, a.a.O.), kommen hier in Ermangelung einer versammlungsrechtlichen Generalermächtigung nur die speziellen Ermächtigungsgrundlagen des Versammlungsgesetzes in Betracht.
49 
aa) Die Verfügung konnte nicht auf Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG erlassen werden. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtsgüter droht (Senatsurteil vom 30.06.2011, a.a.O.; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 <352 ff.>; BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 - BVerwGE 131, 216 <218>).
50 
Eine unmittelbare Gefahr, also ein Zustand, der bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt, wird vorliegend auch von der Beklagten nicht geltend gemacht. Im Gegenteil war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits ex ante von einem friedlichen Verlauf auszugehen. Die Versammlung war nicht als Aufzug geplant und stand in keinem engen räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang zu dem Castor-Transport. Mit illegalen, unfriedlichen Protestaktionen, die aus Sicht der Teilnehmer eine Vermummung notwendig gemacht hätten, war nicht zu rechnen.
51 
Selbst wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen hätten, wäre es fraglich, ob das an den Versammlungsleiter gerichtete Gebot, für die Einhaltung des Verbots der Mitführung von Vermummungsgegenständen zu sorgen, nicht unverhältnismäßig wäre. Denn im Gegensatz zu einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot wird sich ein Verstoß gegen das Mitführungsverbot oftmals nicht ohne weiteres feststellen lassen. Ein Teilnehmer verstößt bereits dann gegen das bußgeldbewehrte (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 a VersammlG) Mitführungsverbot, wenn er über zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Kapuzenpullover oder Halstücher die tatsächliche Gewalt mit der Maßgabe ausübt, diese Gegenstände jederzeit zum Zweck der Vermummung verfügbar zu haben und er sich dessen bewusst ist (vgl. Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 19, 30). Nicht erforderlich ist, dass die Vermummungsgegenstände offen getragen oder gar bereits zur Vermummung verwendet werden. Mangels polizeilicher Befugnisse wird der Versammlungsleiter daher Verstöße gegen das Mitführungsverbot, welches in erster Linie dazu dient, eine konkrete Handhabe für präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld potenziell unfriedlicher Versammlungen zu schaffen, regelmäßig kaum feststellen können.
52 
bb) Auch § 17 a Abs. 4 VersammlG scheidet als Ermächtigungsgrundlage aus. Danach kann die Behörde Anordnungen zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 treffen. § 17 a Abs. 4 VersammlG ermächtigt nur zu Maßnahmen gegenüber denjenigen Personen, die im Begriff sind, eines der gesetzlichen Verbote zu verletzen (Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 52, Ott/Wächtler/Heinhold, § 17 a Rn. 57). Dies ergibt sich aus der Systematik des Versammlungsgesetzes, das Maßnahmen gegen die Versammlung als Ganze in § 15 konzentriert. Eine Anordnung, die unterschiedslos auch Personen betrifft, bei denen eine Verbotsmissachtung weder vorliegt noch droht, kann daher nicht auf § 17 a Abs. 4 VersammlG gestützt werden.
III.
53 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
54 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
55 
Beschluss vom 2. August 2012
56 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
57 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
28 
Die Berufung des Klägers, über die der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann, ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach dem Antrag des Klägers nicht das in Ziffer 7 Satz 1 der Verfügung vom 09.02.2011 angeordnete Vermummungsverbot, sondern lediglich das Verbot des Mitführens von Gegenständen, die zur Vermummung geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind (Ziffer 7 Satz 2). Aus Ziffer 7 Satz 3 der Verfügung lässt sich entnehmen, dass zu diesen Gegenständen insbesondere Kapuzenpullover und Halstücher zählen. Im Übrigen konkretisiert Satz 3 jedoch, wie sich insbesondere aus dem Klammerzusatz ergibt „(z.B. Halstuch vollständig über Mund und Nase gezogen, Kapuze weit ins Gesicht hinein getragen)“, nicht das Mitführungsverbot gemäß Satz 2, sondern das vom Kläger nicht angegriffene Vermummungsverbot gemäß Satz 1.
II.
29 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht teilweise als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Mitführungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
30 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich ein Verwaltungsakt vorher durch Rücknahme oder auf andere Weise erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
31 
Das Mitführungsverbot in Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 ist ein Verwaltungsakt und nicht lediglich ein Hinweis auf die Gesetzeslage, denn es erweckt unabhängig von seinem tatsächlichen rechtlichen Gehalt zumindest den Eindruck einer abschließenden Einzelfallregelung (OVG Schlesw.-Holst., Urt. v. 07.07.1999 - 2 L 264/98 - NJW 2000, 1059; Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 16). Ob eine behördliche Äußerung einen Verwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen ist (Stelkens, a.a.O., Rn. 71). Dabei sind nicht nur der Tenor, sondern auch die Begründung und die Umstände der Bekanntgabe zu berücksichtigen. Eine von der Behörde als „Auflage“ bezeichnete Maßnahme kann danach eine Verfügung mit Regelungsgehalt sein. Es kann sich aber auch nur um einen bloßen Hinweis auf die allgemeine Rechtslage handeln (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - BVerfGK 10, 493 <496> = NVwZ 2007, 1183; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6).
32 
Zwar klingt der isolierte Wortlaut von Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung nach einem schlichten Hinweis auf die Gesetzeslage, da er lediglich § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiedergibt. Auch die Bezeichnung als „Auflage“, die im versammlungsrechtlichen Zusammenhang auf § 15 Abs. 1 VersammlG verweist, steht einem solchen Verständnis nicht zwingend entgegenstehen, da die Verwendung dieses Begriffs für versammlungsrechtliche Vorgaben jeglicher Art gebräuchlich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007, a.a.O.).
33 
Die Begründung der Verfügung ist in sich widersprüchlich. Im allgemeinen Teil wird einleitend § 15 VersammlG als Rechtsgrundlage für alle „nachstehenden Auflagen“ angegeben. Die Einzelbegründung zu Ziffer 7, nach der sich diese Auflage direkt aus § 17 a Abs. 2 VersammlG ergeben soll, klingt demgegenüber nach einem bloßen Hinweis auf die Rechtslage. Die Einzelbegründung deutet also im Gegensatz zur allgemeinen, alle Auflagen betreffenden Begründung darauf hin, dass die Beklagte keine weitergehende Regelung treffen wollte. Denn § 17 a Abs. 2 VersammlG kann ersichtlich nicht als Ermächtigungsgrundlage dienen. Auch dass sich die Auflage „direkt“ aus dem Gesetz ergeben soll, legt nahe, dass nicht eine weitere Pflicht begründet werden soll, die sich dann nur mittelbar aus dem Gesetz ergeben könnte.
34 
Entscheidend für ein Verständnis als Verwaltungsakt spricht jedoch, dass Ziffer 7 in einer Liste von Einzelanordnungen steht, die allesamt als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind. Sämtliche anderen Ziffern treffen entweder spezifische Regelungen für die konkret angemeldete Versammlung, etwa die Position der Bühne, oder sie stellen Ge- und Verbote auf, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Für den Kläger als Empfänger war nicht erkennbar, warum einzig Ziffer 7 keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben sollte. Dies gilt umso mehr, als dass diese Besonderheit weder aus der Gliederung noch durch die Formulierung erkennbar wird. Weder wurde die Ziffer 7 als gesetzeswiederholender Hinweis oder als „standardisierte Auflage“ bezeichnet und vom sonstigen Text abgesetzt (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 21.02.2009 - 10 CS 09.439 - juris; HessVGH, Urt. v. 26.04.2006 - 5 UE 1567/05 - NVwZ-RR 2007, 6) noch wurde sie sprachlich durch eine auf einen bloßen Hinweis hindeutende Formel wie „Grundsätzlich gilt …“ eingeleitet (vgl. BayVGH, Beschl. v. 03.02.2006 - 24 CS 06.314 - juris).
35 
Für einen eigenständigen Regelungsgehalt von Ziffer 7 spricht aus Sicht eines objektiven Empfängers auch eine Zusammenschau mit dem letzten Satz der Ziffer 1, wonach der Kläger als Versammlungsleiter dafür Sorge zu tragen hat, dass sowohl die verfügten Auflagen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes strikt eingehalten und durchgesetzt werden.
36 
Schließlich konnte ein objektiver Empfänger die Auflage mit Blick auf die Anordnung des Sofortvollzugs nur als Verwaltungsakt verstehen, denn diese Anordnung ergibt nur Sinn, wenn die Beklagte mittels Verwaltungsakt handeln wollte.
37 
Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155 und vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61, jeweils m.w.N.).
38 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 12.07.2010 - 1 S 349/10 - VBlBW 2010, 468).
39 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - a.a.O.). Die Klage wurde binnen Monatsfrist erhoben.
40 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O.).
41 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>).
42 
Danach kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegend zumindest aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bejaht werden. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405 ; BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, a.a.O.). Dabei reicht es aus, dass der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Jedoch sind Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass die Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 a.a.O. S. 406 ). Dies ist hier der Fall.
43 
Die Beklagte geht davon aus, dass die angegriffene Auflage keiner Ermächtigungsgrundlage bedarf. Sie hat Auflagen dieses Inhalts auch in der Vergangenheit bei vergleichbaren Versammlungen bereits verfügt und nicht zu erkennen gegeben, dass sie davon in Zukunft Abstand nehmen wird. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch in Zukunft Versammlungen mit gleicher Zielrichtung veranstalten zu wollen. Der Protest der Atomkraftgegner richtet sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten. Daher werden Castor-Transporte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu vergleichbaren Versammlungen bieten.
44 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Mitführungsverbot war als an den Kläger als Versammlungsleiter gerichtete Auflage rechtswidrig und verletzte diesen in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
45 
Als belastende staatliche Maßnahme bedarf das Mitführungsverbot gemäß Ziffer 7 Satz 2 der Verfügung vom 09.02.2011 einer Ermächtigungsgrundlage (a). Die Tatbestandsvoraussetzungen keiner in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt (b).
46 
a) Eine Ermächtigungsgrundlage ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Verfügung, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, im Wesentlichen den Gesetzestext des § 17 a Abs. 2 Nr. 2 VersammlG wiederholt. Der Erlass eines belastenden Verwaltungsakts setzt nicht nur voraus, dass für die getroffene rechtliche Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage besteht, sondern auch dafür, dass die Behörde in Form eines Verwaltungsakts handeln darf (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 35 Rn. 23 m.w.N.). Gesetzeswiederholende Verfügungen sind dann berechtigt, wenn im Einzelfall Anlass besteht, besonders auf die Pflicht zur Beachtung einer gesetzlichen Bestimmung hinzuweisen und ein konkreter Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt hergestellt wird (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999 - 8 B 12627/98 - NVwZ 1999, 679 ; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998 - 7 ZS 98.1660 u.a. - DVBl 1999, 624 m.w.N. und Beschl. v. 12.03.2010 - 10 CS 09.1734 - juris Rn. 17). Der Regelungsgehalt einer solchen Verfügung besteht darin, die Einhaltung einer Norm konkret anzumahnen und die Voraussetzungen für die Vollstreckung zu schaffen (OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.01.1999, a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O.; zur Vollstreckungsfunktion: Kopp/Ramsauer, a.a.O. Rn. 11). Ihre Rechtsgrundlage finden derartige gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte, sofern nicht spezielle Regelungen bestehen, in den Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze (BayVGH, Beschl. v. 18.12.1998, a.a.O. m.w.N.).
47 
Vorliegend richtet sich das Mitführungsverbot nach seinem materiellen Regelungsgehalt an alle Versammlungsteilnehmer. Für den Kläger als Versammlungsleiter beinhaltet das an ihn gerichtete Verbot darüber hinaus das Gebot, für dessen Einhaltung zu sorgen. Denn nur so kann der Leiter gegen ein an ihn adressiertes, aber für alle Teilnehmer geltendes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.2007 - 1 BvR 232/04 - a.a.O. S. 496) Verbot verstoßen.
48 
b) Da das Versammlungsgesetz sich für unmittelbar versammlungsbezogene Eingriffe als abschließende Regelung darstellt, die einen Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht und damit auch auf die polizeiliche Generalklausel ausschließt (Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 1 Rn. 193; Senatsurteil vom 12.07.2010, a.a.O.), kommen hier in Ermangelung einer versammlungsrechtlichen Generalermächtigung nur die speziellen Ermächtigungsgrundlagen des Versammlungsgesetzes in Betracht.
49 
aa) Die Verfügung konnte nicht auf Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG erlassen werden. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Rechtsgüter droht (Senatsurteil vom 30.06.2011, a.a.O.; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 <352 ff.>; BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 - BVerwGE 131, 216 <218>).
50 
Eine unmittelbare Gefahr, also ein Zustand, der bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt, wird vorliegend auch von der Beklagten nicht geltend gemacht. Im Gegenteil war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits ex ante von einem friedlichen Verlauf auszugehen. Die Versammlung war nicht als Aufzug geplant und stand in keinem engen räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang zu dem Castor-Transport. Mit illegalen, unfriedlichen Protestaktionen, die aus Sicht der Teilnehmer eine Vermummung notwendig gemacht hätten, war nicht zu rechnen.
51 
Selbst wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen hätten, wäre es fraglich, ob das an den Versammlungsleiter gerichtete Gebot, für die Einhaltung des Verbots der Mitführung von Vermummungsgegenständen zu sorgen, nicht unverhältnismäßig wäre. Denn im Gegensatz zu einem Verstoß gegen das Vermummungsverbot wird sich ein Verstoß gegen das Mitführungsverbot oftmals nicht ohne weiteres feststellen lassen. Ein Teilnehmer verstößt bereits dann gegen das bußgeldbewehrte (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 a VersammlG) Mitführungsverbot, wenn er über zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Kapuzenpullover oder Halstücher die tatsächliche Gewalt mit der Maßgabe ausübt, diese Gegenstände jederzeit zum Zweck der Vermummung verfügbar zu haben und er sich dessen bewusst ist (vgl. Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 19, 30). Nicht erforderlich ist, dass die Vermummungsgegenstände offen getragen oder gar bereits zur Vermummung verwendet werden. Mangels polizeilicher Befugnisse wird der Versammlungsleiter daher Verstöße gegen das Mitführungsverbot, welches in erster Linie dazu dient, eine konkrete Handhabe für präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld potenziell unfriedlicher Versammlungen zu schaffen, regelmäßig kaum feststellen können.
52 
bb) Auch § 17 a Abs. 4 VersammlG scheidet als Ermächtigungsgrundlage aus. Danach kann die Behörde Anordnungen zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 treffen. § 17 a Abs. 4 VersammlG ermächtigt nur zu Maßnahmen gegenüber denjenigen Personen, die im Begriff sind, eines der gesetzlichen Verbote zu verletzen (Dietel/Kintzel/Kniesel, a.a.O., § 17 a Rn. 52, Ott/Wächtler/Heinhold, § 17 a Rn. 57). Dies ergibt sich aus der Systematik des Versammlungsgesetzes, das Maßnahmen gegen die Versammlung als Ganze in § 15 konzentriert. Eine Anordnung, die unterschiedslos auch Personen betrifft, bei denen eine Verbotsmissachtung weder vorliegt noch droht, kann daher nicht auf § 17 a Abs. 4 VersammlG gestützt werden.
III.
53 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
54 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
55 
Beschluss vom 2. August 2012
56 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
57 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29. Januar 2014 - 2 K 79/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, er sei rechtlich gehindert, als Nachrücker Mitglied des Kreistags zu werden. Er ist Verwaltungsmitarbeiter am Empfang (Pforte) im xxxklinikum in xxx, einem Eigenbetrieb des O.-kreises. Bei der Wahl zum Kreistag des O.-kreises im Jahr 2009 wurde er für die Partei „xxx xxx“ zum zweiten Nachrücker gewählt. Im September 2012 starb ein Kreistagsabgeordneter seiner Partei; der erste Nachrücker lehnte die Mandatsübernahme ab; dessen Ablehnungsgründe nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 5, 8 LKrO anerkannte der Kreistag in der Sitzung vom 23.10.2012. Nach Anhörung des Klägers erließ der Beklagte unter dem 23.10.2012 folgende Verfügung: „Der Kreistag des O.-kreises hat in seiner Sitzung vom 23.10.2012 festgestellt, dass bei Ihnen ein Hinderungsgrund nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 a der Landkreisordnung (LKrO) vorliegt und Sie somit nicht in den Kreistag des O.-kreises nachrücken können“. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger als Pförtner beim xxxklinikum Arbeitnehmer des Landkreises sei; dies sei ein Hinderungsgrund nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 a LKrO. Zwar gelte der Hinderungsgrund nach § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO nicht für Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit leisteten. Der Kläger verrichte als Pförtner keine überwiegend körperliche Arbeit. Der Aufgabenschwerpunkt liege mit über 70 % eindeutig bei den Tätigkeiten „Telefonvermittlung und -auskunft sowie Anlauf-/Auskunftsstelle für Besucher und Patienten“. Alle anderen Tätigkeiten seien von der zeitlichen Inanspruchnahme deutlich untergeordnet. Hiergegen legte der Kläger am 16.11.2012 Widerspruch ein und machte geltend, überwiegend körperliche Arbeit zu verrichten. Zudem verstoße § 24 LKrO gegen Art. 137 GG. Mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 18.12.2012 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Der Kläger erhob Klage zum Verwaltungsgericht auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 23.10.2012 und des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2012. § 24 LKrO verstoße gegen Art. 137 Abs. 1 GG. Das passive Wahlrecht werde durch § 24 LKrO unverhältnismäßig und verfassungswidrig eingeschränkt. Die Differenzierung des § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO dürfte als sachgerecht anzusehen sein, da Arbeitern - anders als Angestellten - keine Entscheidungsbefugnisse zustünden. Er sei als Pförtner der Gruppe der Arbeitnehmer zuzuordnen, die überwiegend körperliche Arbeit verrichteten. Maßgeblich seien in der Regel die sichtbaren Bewegungen einer Arbeitsperson bei der Ausübung einer Tätigkeit. Seine Arbeit bestehe aus: Telefonhörer abheben und auflegen, Briefe befördern, Briefe sortieren, Pakete heben und legen, verschiedene Tastaturen drücken, technische Anlagen bedienen usw. Hierbei handele es sich um körperliche Tätigkeiten im eigentlichen Sinne, denn er benötige hierfür seine Hände. Das Ergebnis eines Testbogens der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin zeige im Übrigen, dass es sich bei seiner Tätigkeit um eine körperliche Beanspruchung handele.
Der Beklagte trat der Klage entgegen und führte zur Begründung aus, der Kreistag sei oberstes Kontrollorgan des Landkreises und damit auch des Eigenbetriebes. Ziel des Art. 137 GG sei es gerade zu verhindern, dass die Kontrolleure der Verwaltung durch Personalunionen sich selbst kontrollierten. Die Verfassungsmäßigkeit des § 24 LKrO a. F. sei rechtlich geklärt. § 24 LKrO n. F. verwende im Vergleich zur alten Fassung nunmehr die neue Bezeichnung Arbeitnehmer. Damit habe der Gesetzgeber keine Rechtsänderung herbeiführen wollen, sondern lediglich redaktionell auf das neue Tarifrecht vom 01.10.2005 reagiert, bei dem die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern weggefallen sei. Die Bezeichnung „Angestellte des öffentlichen Dienstes“ in Art. 137 Abs. 1 GG sei nicht verfassungsrechtlich determiniert mit der Folge, dass für die Begriffsbestimmung die Konkretisierungen des öffentlichen Dienstrechtes maßgeblich seien. Aufgrund der Änderungen im öffentlichen Dienstrecht sei als Reaktion des Landesgesetzgebers folgerichtig der neue Satz 2 eingefügt worden, um die Norm verfassungskonform mit Art. 137 GG zu gestalten. Dass der Kläger nicht überwiegend körperlich arbeite, ergebe sich aus der Tätigkeitsbeschreibung. Zudem würden in der noch geltenden Anlage 1a zum BAT Verwaltungsmitarbeiter am Empfang (Pförtner) bei kommunalen Verwaltungen und Betrieben in Verwaltungsbehörden mit starkem Publikumsverkehr, die in größerem Umfange Auskünfte zu erteilen hätten, für welche die Kenntnis der Zuständigkeit nicht nur der Dienststelle, bei der sie beschäftigt seien, erforderlich sei, im Angestelltenverhältnis geführt. Diese Beschreibung treffe in Umfang und Art auf die Tätigkeiten der Verwaltungsmitarbeiter am Empfang in den Dienstgebäuden des O.-kreises zu. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei bei Verwaltungsmitarbeitern am Empfang zu unterscheiden zwischen lediglich einfachen Pförtnertätigkeiten und „qualifizierten“ Tätigkeiten. Ein Versicherter mit dem bisherigen Beruf des Facharbeiters dürfe auf die Tätigkeit eines sogenannten „gehobenen“ oder „qualifizierten“ Pförtners, der über die übliche Pförtnertätigkeit hinaus in nicht unerheblichem Umfang mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt werde oder Fernsprechvermittlungsdienst mit mehr als einem Amtsanschluss leiste, verwiesen werden. Der gehobene Pförtner übe in einem größeren Betrieb auch regelmäßig eine wichtige Funktion aus, die oft eine längere Einarbeitung, Einübung und Bewährung voraussetze. Außer erheblichen beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten habe der gehobene Pförtner über Autorität, Gewandtheit und sicheres Auftreten sowie über besondere Zuverlässigkeit zu verfügen. Diese Rechtsprechung sei auf den vorliegenden Fall übertragbar. Der Kläger, der laut seinem Arbeitsvertrag vom 23.05.1977 als Angestellter eingestellt worden sei, habe seit 1977 als Krankenpfleger gearbeitet. Er habe im August 1981 die Stationsleitung übernommen, und sie aufgrund seiner Freistellung als Personalrat ab Februar 1996 wieder aufgegeben. Seither habe er wieder als Krankenpfleger gearbeitet. Im März 2009 habe seine Arbeitsunfähigkeit begonnen; er sei nach § 38 TVöD leistungsgemindert und könne nur noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ausüben. Beim Arbeitsgericht habe man auf seine Klage auf Beschäftigung an einem leidensgerechten Arbeitsplatz einen Vergleich abgeschlossen. Dem Kläger sei danach die Tätigkeit an der Pforte zugewiesen worden.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 29.01.2014 ab. Der Kläger sei als Pförtner im xxxklinikum aufgrund eines Dienstvertrages nach §§ 611 ff. BGB beschäftigt und stehe in einem gewissen Grad in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Landkreis. Damit sei er im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a LKrO Arbeitnehmer des Landkreises. Er sei nicht dem Personenkreis des § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO zuzurechnen. Die Abgrenzung zwischen den Arbeitnehmern, die überwiegend körperliche Arbeit verrichteten, und den übrigen Arbeitnehmern sei nach den herkömmlichen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts und des Arbeitsrechts - wie sie im Bereich der Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten entwickelt worden seien - vorzunehmen. Überwiegend mechanische und manuelle Tätigkeiten würden danach den Arbeitern zugeordnet. Büromäßig oder kaufmännisch - auch ohne Vorbildung - zu erledigende Arbeiten sprächen für geistige Tätigkeiten, die den Angestellten ausmachten. Der Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers liege nicht im Bereich der körperlichen Arbeit. Der Kläger sei unter anderem zuständig für die Telefonvermittlung des ganzen Klinikums, die Führung des Kassenbuchs der Pforte, die Telefonabrechnungen der Patienten, die Verwaltung der Rufempfänger; er sei Anlauf- und Auskunftsstelle für Besucher und Patienten. Angesichts des starken Publikumsverkehrs im Klinikum seien außerdem besondere Kenntnisse der Zuständigkeiten innerhalb (und gegebenenfalls auch außerhalb) der Beschäftigungsstelle erforderlich. Die vom Kläger aufgeführten Arbeiten des Beförderns von Briefen, des Hebens von Paketen und das Anheben des Telefonhörers seien keine den Schwerpunkt seiner Tätigkeit ausmachende Arbeiten. Dies gelte auch, soweit er unter Berufung auf einen von ihm vorgelegten Test der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin vortrage, dass er bei seiner Tätigkeit körperlich beansprucht werde. Der entsprechende Test sei für die Beantwortung der Frage, ob eine Person überwiegend körperliche oder geistige Tätigkeiten verrichte, ungeeignet. Er ziele vielmehr arbeitsmedizinisch darauf ab, die Belastung des Muskel-Skelett-Systems mit Blick auf Fehlhaltungen oder Falschbelastungen zu untersuchen, um aus arbeitsmedizinischer Sicht Verbesserungen vorzunehmen. Die auf der grundgesetzlichen Ermächtigungsnorm des Art. 137 Abs. 1 GG beruhende Beschränkung des passiven Wahlrechts in § 24 LKrO stehe mit dieser in Einklang. Insbesondere begegne es keinen Bedenken, soweit § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO auf das Kriterium der körperlichen Arbeit abstelle. Bei der Bestimmung der von der Inkompatibilität betroffenen beruflichen Stellungen sei dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zuzugestehen. Insbesondere könne er die Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG durch generalisierende Tatbestände ausschöpfen, die an die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktlage anknüpften. Es gebe keinen in allen Rechtsgebieten übereinstimmenden Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes. Zwar habe die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern erheblich an Bedeutung verloren. Diese Unterscheidung aufzugeben und den Kreis der Personen, für die nach Art. 137 Abs. 1 GG Inkompatibilitätsbestimmungen erlassen werden dürften, an Hand der Wahrscheinlichkeit eines drohenden Interessenkonflikts zwischen Tätigkeit und Mandat zu bestimmen, sei jedoch nicht möglich. Einer solchen Auslegung stehe der Wortlaut des Art. 137 Abs. 1 GG entgegen. Über diesen Wortlaut hinwegzugehen, sei auch mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu vereinbaren. Der Verfassungsgeber habe bewusst zwischen Arbeitern und Angestellten differenziert und so zu erkennen gegeben, welche Gesichtspunkte innerhalb des öffentlichen Dienstes die Auslösung der Regelungsbefugnis rechtfertigten und in welchen Grenzen in Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG Angestellten, die durch ihr Dienstverhältnis in einer Beziehung zur öffentlichen Hand mit der dadurch erhöhten Gefahr von Interessenkonflikten stünden, eine Wählbarkeitsbeschränkung auferlegt werden könne. An diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben könne die Aufgabe der Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im einfachen Recht nichts ändern. Auch gehe das Bundesverfassungsgericht nicht davon aus, dass sämtliche Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten aufgehoben seien. Es habe lediglich festgestellt, dass diese Unterschiede nicht gewichtig genug seien, dass daran beispielsweise unterschiedliche Kündigungsfristen geknüpft werden könnten. Es sei nicht festzustellen, dass eine Unterscheidung nach körperlichen Merkmalen der Arbeitsleistung nicht mehr möglich sei und es einen „überwiegend körperlich arbeitenden“ Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst nicht mehr gebe.
Bei der Kreistagwahl am 25.05.2014 wurde der Kläger zum ersten Nachrücker der Partei „xxx xxx“ gewählt. Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung verfolgt er sein Begehren, nunmehr in der Form einer Fortsetzungsfeststellungsklage weiter. Er trägt vor, es bestehe ein Feststellungsinteresse. Da er wiederum Nachrücker sei, bestehe die konkrete Gefahr, dass sich die erledigte Maßnahme wiederhole. Bis im Falle eines Nachrückens und einer erneuten Entscheidung des Kreises nach § 24 LKrO über seine Klage entschieden wäre, hätte sich die Maßnahme voraussichtlich wieder erledigt. Die Effektivität des Rechtsschutzes gebiete es daher, dass er Gelegenheit habe, die Berechtigung des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs im vorliegenden Verfahren gerichtlich klären zu lassen.
Er sei weiterhin Beschäftigter des Landkreises im xxxklinikum. Es sei ihm aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich, seine Existenzgrundlage zu Gunsten eines Mandates im Kreistag aufzugeben. Auf dem Arbeitsmarkt könne er aufgrund seiner Erkrankung keine andere Tätigkeit finden. Er könne auch noch nicht in Rente gehen.
Seine Tätigkeit falle unter § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO. Die in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorgenommene Abgrenzung, die formal, quasi „naturwissenschaftlich“ das Gesamtbild der Tätigkeit analysiere und darauf abstelle, ob der Anteil der rein manuellen oder geistigen Verrichtungen überwiege, sei ungeeignet, eine adäquate Bewertung zu bewirken. In der arbeitsgerichtlichen und der sozialgerichtlichen Rechtsprechung sei stets die Bewertung einer Tätigkeit durch die am Verkehr beteiligten Kreise, insbesondere die Tarifvertragsparteien maßgebend gewesen. Das Unterscheidungsmerkmal der überwiegend körperlichen oder überwiegend geistigen Arbeit sei nur relevant gewesen, wenn sich eine Verkehrsauffassung noch nicht gebildet hatte. Stelle man nun ausschließlich auf dieses Kriterium ab, komme es zu einer starken Ausweitung des von Art. 137 GG erfassten Personenkreises. Eine Tätigkeit in der Telefonzentrale sei nach der Lohngruppe 2 MTArb den Arbeitertätigkeiten zugeordnet gewesen. Nach § 25 BAT habe ein Pförtner, um Angestellter sein zu können, die Angestelltenprüfung abgelegt haben müssen. Diese Prüfung könne der Kläger jedoch nicht nachweisen. Aus Anl. 1a zum BAT ergebe sich entgegen der Auffassung des Beklagten nichts anderes. Diese Anlage beschreibe die Vergütungsgruppen bei Angestellten. Danach könnten Pförtner bei großen Verwaltungen und Betrieben der Vergütungsgruppe IX b zugeordnet werden. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass sie als Angestellte im Sinne des § 1 Abs. 2 BAT beschäftigt seien. § 1 Abs. 2 BAT regele, dass mit Arbeitnehmern in einer der Rentenversicherung der Arbeiter unterliegenden Tätigkeit im Arbeitsvertrag vereinbart werden könne, dass sie als Angestellte nach dem Tarifvertrag beschäftigt würden, wenn ihre Tätigkeit in der Vergütungsordnung (Anl. 1a und 1b) aufgeführt sei. Demnach seien Pförtner grundsätzlich nicht Angestellte. Aus § 1 Abs. 2 BAT folge, dass sie in der Regel Arbeiter gewesen seien, denen jedoch vertraglich die Angestelltenstellung habe zugeschrieben werden können.
Selbst wenn eine Zuordnung der Tätigkeit des Klägers zu einer Angestelltentätigkeit begründbar wäre, könne dieses Ergebnis aus verfassungsrechtlichen Gründen keinen Bestand haben. Da die heutige Arbeitswirklichkeit mit der fehlenden Differenzierung zwischen Angestellten- und Arbeitertätigkeiten in Tarifverträgen eine Unterscheidung nicht mehr ermögliche und eine Verkehrsauffassung der beteiligten Kreise nicht mehr existiere, sei eine Abgrenzung zwischen überwiegend manuellen Arbeitertätigkeiten und überwiegend geistigen Angestelltentätigkeiten nicht mehr möglich. Der Verfassungsgeber habe in Art. 137 GG ebenso wie der Landesgesetzgeber in § 24 LKrO auf die frühere arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zurückgegriffen. Dies sei nun nicht mehr möglich. Der Landesgesetzgeber habe mit der geänderten Fassung der sozialen Wirklichkeit Rechnung tragen wollen, die eine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht mehr kenne. Dies habe jedoch nicht gelingen können, ohne die Vorgaben des Art. 137 GG aufzugeben. Auf die Entscheidung des Brandenburgischen Verfassungsgerichts (LVfG Bdb., Beschl. v. 26.08.2011 - 6/11 - juris) zum dortigen Kommunalwahlgesetz berufe sich der Beklagte zu Unrecht. Die dortige Regelung sehe Hinderungsgründe nur bei leitenden Beamten und leitenden Arbeitnehmern vor. Die dortige Inkompatibilitätsregelung gelte zudem ausdrücklich nicht für Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit verrichteten oder die Arbeiter im herkömmlichen Sinne seien. Zudem habe das brandenburgische Verfassungsgericht für eine landesrechtliche Regelung von Hinderungsgründen eine Ermächtigungsgrundlage in der Landesverfassung gefordert. Hieran fehle es in der baden-württembergischen Landesverfassung.
§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO fehle es an der nach dem Rechtsstaatsprinzip erforderlichen Bestimmtheit. Die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes hingen im Einzelfall davon ab, wie intensiv die Grundrechtsbeeinträchtigung aufgrund der jeweiligen Norm sei. Hier werde in die durch Art. 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Wahlrechtsgleichheit eingegriffen. Der Eingriff sei verfassungswidrig. § 24 LKrO übernehme die von der ehemaligen arbeits- und sozialgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien für Angestellte und Arbeiter, die jedoch heute kaum noch Bedeutung hätten. Nach § 622 BGB würden für Arbeiter und Angestellte gleiche gesetzliche Kündigungsfristen gelten. Das Entgeltfortzahlungsgesetz regele die Entgeltfortzahlungsansprüche der Angestellten und Arbeiter im Krankheitsfall einheitlich. Die Differenzierung zwischen Angestellten und Arbeitern im Betriebsverfassungsgesetz und im Personalvertretungsrecht sei aufgehoben worden. Auch in der gesetzlichen Rentenversicherung werde seit dem 01.01.2005 nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten differenziert. Im Arbeitsrecht sei eine Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten grundsätzlich ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten habe daher nur noch relativ geringe praktische Bedeutung. Aufgrund der Änderungen in der Arbeitswelt seien die Kriterien der körperlichen oder geistigen Prägung einer Arbeit kein geeignetes Abgrenzungskriterium mehr. Folglich sei es für einen möglichen Adressaten des § 24 LKrO kaum möglich, die Rechtslage zu erkennen und sich auf mögliche belastende Maßnahmen einzustellen.
10 
Dieselben Erwägungen würden auch für die Ermächtigungsgrundlage des Art. 137 GG gelten. Es gebe keinen in allen Rechtsgebieten einheitlichen Angestelltenbegriff. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe der Gesetzgeber die Möglichkeit, den Angestelltenbegriff durch generalisierende Tatbestände auszuschöpfen, die an die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktlage anknüpften. Unter Berücksichtigung der Ratio der Norm sowie des Art. 3 GG sei eine Abgrenzung nach überwiegend körperlicher Arbeit dabei kein taugliches Kriterium mehr. Die Vorschrift diene der Trennung von Legislative und Exekutive, um die Selbständigkeit des Parlaments gegenüber der Verwaltung zu sichern. Aus dem Umstand, dass Angestellte und Beamte in der im Jahr 1949 gegebenen sozialen Realität eine herausgehobene, arbeitgebernähere Stellung im Arbeitsleben gehabt hätten und damit der Exekutive näher verbunden gewesen seien, habe sich die Einschränkungsmöglichkeit bezüglich des passiven Wahlrechts für diese Personengruppen ergeben. Die Bestimmung der Wertigkeit der Tätigkeit als herausgehobene sei dabei im Wesentlichen von der Verkehrsanschauung vorgenommen worden und habe ihren Niederschlag in tarifvertraglichen Regelungen gefunden. Der Fall des Klägers zeige, dass die bestehenden generalisierenden Tatbestände heute unter Berücksichtigung dieses Zwecks der Norm zu unbilligen Ergebnissen führten. Es erscheine fraglich, welchen Einfluss der Kläger innerhalb der Verwaltung des xxxklinikums haben solle. Es verstoße gegen das Willkürverbot aus Art. 3 GG, eine Differenzierung zwischen einem einfachen und einem qualifizierten Pförtner vorzunehmen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei eine zweckentsprechende Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG möglich. Die Norm räume dem Gesetzgeber Ermessen ein. Es sei diesem daher möglich, im Rahmen einer verfassungskonformen Ausgestaltung eine Inkompatibilität lediglich für leitende Arbeitnehmer einzuführen.
11 
§ 24 LKrO verstoße zudem gegen das Übermaßverbot. Die beim Kläger durch die Regelung eintretenden Nachteile stünden nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck der Norm, eine Trennung zwischen Legislative und Exekutive zu verwirklichen. Zu berücksichtigen sei dabei, dass das Grundgesetz die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat nicht zum verfassungsrechtlichen Gebot erhebe, sondern lediglich den Gesetzgeber ermächtige, die Wählbarkeit von öffentlich Bediensteten zu beschränken. Auf Seiten des Klägers sei zudem Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK einzustellen. Die Beschränkung der Wählbarkeit führe bei ihm zu einer faktischen Ineligibilität. Aufgrund der wirtschaftlichen Folgen sei er de facto gehindert, die ihm angefallene Wahl anzunehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne im kommunalen Bereich ein faktischer Ausschluss der Wählbarkeit gerechtfertigt sein, es bedürfe jedoch eines über Art. 137 GG hinausgehenden sachlichen Grundes. Aufgrund der Änderungen in der Arbeitswelt sei daher eine Differenzierung nach überwiegender körperlicher Arbeit nicht mehr vereinbar mit Art. 3 GG.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29.01.2014 - 2 K 79/13 - abzuändern und festzustellen, dass der Bescheid des O.-kreises vom 23.10.2012 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18.12.2012 rechtswidrig waren.
14 
Der Beklagte beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Der Beklagte macht geltend, für die Fortsetzungsfeststellungsklage fehle ein Feststellungsinteresse. Eine konkrete Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Der Umstand, dass der Kläger erneut Nachrücker für seine Partei sei, begründe lediglich die abstrakte Möglichkeit einer Wiederholung. Ein schwerer Grundrechtseingriff, der ein Feststellungsinteresse begründen würde, bestehe ebenfalls nicht. Allein aus der Betroffenheit in Art. 2 Abs. 1 GG folge kein Feststellungsinteresse.
17 
Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei auch unbegründet. In Ergänzung des erstinstanzlichen Vorbringens sei darauf hinzuweisen, dass es an einem staatsrechtlichen Angestelltenbegriff fehle. Die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG ergebe, dass Angestellte des öffentlichen Dienstes alle diejenigen seien, die in einem Dienstverhältnis zu einem staatlichen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn stünden und nicht Arbeiter oder Beamte seien. Aus dem Umstand, dass das Tarifrecht die Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten aufgegeben habe, könne nicht auf eine andere Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG geschlossen werden. Darauf abzustellen, wie wahrscheinlich die Gefahr gewaltenteilungsbedingter Interessenkonflikte sei, schließe der eindeutige Wortlaut des Art. 137 Abs. 1 GG aus. Der Vorschrift komme eine erhöhte Stabilisierungsfunktion zu, so dass Neuinterpretationen an erschwerte Voraussetzungen gebunden seien. Ein grundlegender Bedeutungswandel könne nicht angenommen werden. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Rechtsprechung ausdrücklich betont, dass es besonders im gemeindlichen Bereich häufig Fallgestaltungen gebe, die auch für Arbeiter des öffentlichen Dienstes eine Beschränkung der Wählbarkeit als sachgerecht erscheinen lassen könnten. Der Verfassungsgeber habe jedoch bewusst differenziert und so zu erkennen gegeben, welche Gesichtspunkte innerhalb des öffentlichen Dienstes Beschränkungen der Wählbarkeit rechtfertigen könnten. Einer landesverfassungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfe es für § 24 LKrO nicht.
18 
Entgegen der Auffassung des Klägers sei § 24 LKrO hinreichend bestimmt. Der Gesetzgeber dürfe unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden. Es sei Aufgabe der Gerichte, durch schrittweise Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe die notwendige Berechenbarkeit des Verwaltungshandelns sicherzustellen. Hier habe der Gesetzgeber lediglich eine redaktionelle Änderung infolge der Änderung des Tarifrechts vorgenommen. Eine Rechtsänderung sei nicht erfolgt. Das brandenburgische Verfassungsgericht habe eine entsprechende Änderung des Kommunalwahlgesetzes für verfassungsgemäß gehalten. Zwar könnten im kommunalen Bereich Inkompatibilitätsvorschriften faktisch zu einer Ineligibilität führen. Das Bundesverfassungsgericht fordere daher, dass gerade im kommunalen Bereich Differenzierungen innerhalb der gesetzlichen Folgeregelungen, die sich auf Art. 137 Abs. 1 GG bezögen, jeweils eines sachlichen Grundes bedürften, der dem Sinn der verfassungsrechtlichen Regelung gerecht werde. Der Gesetzgeber dürfe bestimmte Personengruppen von der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat ausnehmen, dabei aber keine willkürlichen oder systemwidrigen Unterscheidungen treffen. Ein solcher zusätzlich erforderlicher Rechtfertigungsgrund sei anzuerkennen, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen sei. Eine solche Konfliktlage könne bei einem Angestellten des Landkreises nicht ausgeschlossen werden.
19 
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Vertreterin des Beklagten ergänzend ausgeführt, bei ihm seien nach den herkömmlichen Kategorien noch fast 300 Arbeiter beschäftigt, insbesondere in der Kantine und im Forstbereich.
20 
Das Verwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 17.12.2012 - 2 K 2299/12 - den Antrag des Klägers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die mit der Anordnung des Sofortvollzugs versehene Feststellung des Kreistags vom 23.10.2012 ab. Die dagegen eingelegte Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 19.03.2013 - 1 S 75/13 - zurück.
21 
Der Senat hat im Berufungsverfahren eine Auskunft des Statistischen Bundesamts eingeholt. Dieses hat für die Jahre 1950, 1955, 1960 bis 2000, auch für die Jahre ab 1991 bezogen auf das frühere Bundesgebiet, die Zahl der Beschäftigten des unmittelbaren öffentlichen Dienstes insgesamt und aufgeteilt nach Dienstherren (Bund, Länder, Gemeinden/Gemeindeverbände, Zweckverbände, Deutsche Bundespost, Deutsche Bundesbahn) mitgeteilt. Zudem hat der Senat die im Internet verfügbare Veröffentlichung von Dipl.-Volkswirtin Kriete-Dodds „Beschäftigte der öffentlichen Arbeitgeber am 30. Juni 2004“ in der vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Publikation „Wirtschaft und Statistik 12/2005“ herangezogen. Aus dieser Veröffentlichung und der Auskunft des Statistischen Bundesamts ergibt sich für den unmittelbaren öffentlichen Dienst insgesamt folgende Entwicklung des Anteils der Angestellten an der Gesamtgruppe der Angestellten und Arbeiter, gerundet auf die erste Nachkommastelle:
22 
1950   
        
38,8% 
1960   
        
41,5% 
1970   
        
50,8% 
1980   
        
57%     
1990   
        
60,6% 
2000   
        
73,5% 
2004   
        
77,2% 
23 
Dabei sind in der Auskunft des Statistischen Bundesamts für die Deutsche Bundespost letztmalig für 1994 Zahlen angegeben. In diesem Jahr betrug dort die Zahl der Angestellten 50.400, die der Arbeiter 166.800.
24 
Aus der Veröffentlichung von Kriete-Dodds und der Auskunft des Statistischen Bundesamts ergibt sich für den öffentlichen Dienst der Gemeinden und Gemeindeverbände folgende Entwicklung des Anteils der Angestellten an der Gesamtgruppe der Angestellten und Arbeiter, gerundet auf die erste Nachkommastelle:
25 
1950   
        
45,3% 
1960   
        
45,4% 
1970   
        
52%     
1980   
        
58,6% 
1990   
        
62,5% 
2000   
        
69,7% 
2004   
        
73,5% 
26 
Dem Gericht liegen die Akten des Beklagten (2 Hefte) und die Akten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes beider Instanzen vor.

Entscheidungsgründe

 
27 
Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim Verwaltungsgericht eingelegt (vgl. § 124 a Abs. 2 VwGO). Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 3 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO).
28 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klage ist zulässig (I), aber nicht begründet (II).
29 
I. Die Umstellung der - bis dahin - zulässigen Anfechtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist zulässig, ohne dass die Voraussetzzungen, die § 91 VwGO an die Zulässigkeit einer Klageänderung stellt, vorliegen müssen (vgl. nur Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 113 Rn. 241).
30 
Ein Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr ist hier gegeben. Es liegt vor, wenn der Kläger mit einer Wiederholung der erledigten Maßnahme rechnen muss. Es müssen konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt einer vergleichbaren Belastung bei einem vergleichbaren und abzusehenden Sachverhalt vorgetragen werden. Ein solches Interesse setzt die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige behördliche Maßnahme ergehen wird. Nicht ausreichend ist die vage oder abstrakte Möglichkeit einer Wiederholung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.01.1995 - 8 B 168.94 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 272; Senat, Urt. v. 24.11.1994 - 1 S 2909/93 - DVBl. 1995, 367; Beschl. v. 16.07.2012 - 1 S 997/12 -; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.07.2010 - 10 S 2400/09 - ESVGH 61, 51; OVG NRW, Urt. v. 24.11.1998 - 5 A 1107/96 - NJW 1999, 2202). Zudem ist Voraussetzung, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 08.02.2011 - 1 BVR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier zu bejahen. Der Kläger ist erneut Nachrücker in den Kreistag für seine Partei. Da der Beklagte an seiner Rechtsauffassung zu Hinderungsgründen in der Person des Klägers festhält, ist für den Fall des Nachrückens mit einer erneuten, auf denselben Gründen wie bisher beruhenden Feststellung des Vorliegens von Hinderungsgründen zu rechnen. Zwar steht nicht fest, ob der Fall des Nachrückens eintritt. Die Möglichkeit ist jedoch aufgrund der Stellung des Klägers als erster Nachrücker nicht rein abstrakt. Andernfalls müsste der Kläger, wenn der Fall des Nachrückens eintritt, erneut Rechtsschutz gegen eine Feststellung des Vorliegens von Hinderungsgründen in Anspruch nehmen und müsste damit rechnen, dass wegen Ablaufs der Wahlperiode wiederum Erledigung eintritt.
31 
II. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht begründet. Die Feststellung in dem Bescheid des O.-kreises vom 23.10.2012 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18.12.2012, dass beim Kläger Hinderungsgründe nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a LKrO vorlagen, war rechtmäßig.
32 
Nach § 24 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO können Arbeitnehmer des Landkreises nicht Kreisräte sein. Die Vorschrift findet gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO keine Anwendung auf Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten. Die Feststellung in den genannten Bescheiden, dass beim Kläger Hinderungsgründe nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO gegeben sind, war rechtmäßig. Für diese Vorschrift enthält Art. 137 Abs. 1 GG eine wirksame verfassungsrechtliche Ermächtigung (1). § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO selbst ist verfassungsgemäß, hält sich insbesondere im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG und ist auch nicht aus sonstigen Gründen verfassungswidrig (2). Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO lagen beim Kläger vor (3).
33 
1. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO beschränkt die Wählbarkeit von Arbeitnehmern des Landkreises und damit die in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Allgemeinheit und Gleichheit der Wahlen in Kreisen. Eine solche Beschränkung ist nur zulässig, wenn hierfür eine verfassungsrechtliche Ermächtigung vorliegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978 - 2 BvR 1108/77 - BVerfGE 48, 64, juris Rn. 57 ff.; Beschl. v. 07.04.1981 - 2 BvR 1210/80 - BVerfGE 57, 43, juris Rn. 40; Beschl. v. 06.10.1981 - 2 BvR 348/81 - BVerfGE 58, 177, juris Rn. 33). Diese liegt mit Art. 137 Abs. 1 GG vor. Danach kann die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern im Bund, in den Ländern und den Gemeinden gesetzlich beschränkt werden.
34 
Die Ermächtigungsrundlage für Beschränkungen der Wählbarkeit in Art. 137 Abs. 1 GG ist auch nicht wegen Funktionslosigkeit außer Kraft getreten. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten vollständig aufgegeben und der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG daher vollständig bedeutungslos geworden sei - was nicht der Fall ist (s. unten unter 2) -, kann ein Außerkrafttreten aufgrund Funktionslosigkeit nicht angenommen werden. Aus einer solchen Entwicklung Konsequenzen im Hinblick auf die Gültigkeit von Art. 137 Abs. 1 GG zu ziehen, ist dem Gesetzgeber vorbehalten (vgl. allgemein: Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 1997, S. 475f., 483ff.; ähnlich Schneider, Gesetzgebung, 1991, Rn. 559; BFH, Urt. v. 19.01.1999 - VII R 24/98 - BFHE 188, 222, juris Rn. 23), hier mithin dem Verfassungsgeber. Für Bebauungspläne, die als Rechtsnormen erlassen werden, ist ein Außerkrafttreten zwar möglich, wenn ihre Verwirklichung wegen einer neuen tatsächlichen Entwicklung in evidenter Weise auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1977 - 4 C 39.75 - BVerwGE 54, 5 <9>; Urt. v. 03.12.1998 - 4 CN 3.97 - BVerwGE 108, 71, juris Rn. 16; Beschl. v. 22.07.2013 - 7 BN 1.13 - juris Rn. 6).Dies hat seinen Grund jedoch darin, dass Bebauungspläne in einem ungleich stärkeren Maße wirklichkeitsbezogen sind als abstrakt-allgemeinen Rechtssätze im herkömmlichen Sinne. Sie sind weniger auf Geltung als auf konkrete Erfüllung angelegt und dadurch auch anfälliger, durch tatsächliche Entwicklungen in ihrer Funktion gestört und dadurch in ihrer Geltung in Frage gestellt zu werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1977, a.a.O.). Für Verfassungsnormen trifft dies jedoch nicht zu. Ein Wandel der tatsächlichen Verhältnisse kann zwar Auswirkungen auf die Auslegung von Verfassungsbestimmungen haben (s. sogleich unter 2.). Im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes ist die Entscheidung über ein Außerkrafttreten einer Verfassungsnorm jedoch dem Parlament vorbehalten, wie nicht zuletzt Art. 79 GG zeigt.
35 
Zusätzlich zu Art. 137 Abs. 1 GG ist eine landesverfassungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage entgegen der Auffassung des Klägers nicht erforderlich. Auch das Brandenburgische Verfassungsgericht hat eine solche für Brandenburg nicht für notwendig gehalten, sondern lediglich die dort vorhandene Verfassungsbestimmung geprüft (vgl. LVfG Bdb., Beschl. v. 26.08.2011, a.a.O., Rn. 41ff.).
36 
2. Die Beschränkung der Wählbarkeit durch § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO ist verfassungsgemäß. Sie hält sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG (a) und verstößt weder gegen den das Willkürverbot (b) noch gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (c) oder das Übermaßverbot (d).
37 
a) Überschreitet eine Einschränkung des passiven Wahlrechts die durch Art. 137 Abs. 1 GG vorgegebenen verfassungsrechtlichen Grenzen, verletzt diese Regelung den Grundsatz der Gleichheit der Wahl und damit Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.04.1981, a.a.O., Rn. 43). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die Grenzen der durch Art. 137 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber eingeräumten Befugnisse im Hinblick auf Angestellte des öffentlichen Dienstes (aa) werden durch § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO eingehalten (bb).
38 
aa) Der Begriff der Angestellten des öffentlichen Dienstes ist, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, nach herkömmlichen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG zu bestimmen. Für die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG ist die ratio der Verfassungsbestimmung ausschlaggebend (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.01.1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 38, 326, juris Rn. 46; Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 63 ff.).
39 
Hieran ist weiterhin festzuhalten. Der Zweck der Norm (aaa) prägt weiterhin die Auslegung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG. Dieser Begriff greift nicht lediglich eine im einfachen Recht und/oder den tatsächlichen Verhältnissen vorhandene Unterscheidung von Angestellten und Arbeitern auf, sondern enthält einen eigenständigen Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes, für den die tarifrechtliche Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern nicht von entscheidender Bedeutung ist (bbb); ein Verfassungswandel, der zu einer geänderten Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG führt, liegt nicht vor (ccc).
40 
aaa) Art. 137 Abs. 1 GG dient allgemein der Sicherung der organisatorischen Gewaltenteilung gegen Gefahren, die durch das Zusammentreffen von beruflicher Stellung und Mandatswahrnehmung entstehen können. Es geht darum zu verhindern, dass durch "Personalunion" die Parlamentarier als Kontrolleure sich selbst kontrollieren. So soll der Gefahr von Entscheidungskonflikten und Verfilzungen entgegengewirkt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.01.1961 - 2 BvR 547/60 - BVerfGE 12, 73, juris Rn. 22; Beschl. v. 27.10.1964 - 2 BvR 319/61 - BVerfGE 18, 172, juris Rn. 34f.; Beschl. v. 21.01.1975, a.a.O., Rn. 46; Beschl. v. 07.04.1981, a.a.O., Rn. 53; Beschl. v. 05.06.1998 - 2 BvL 2/97 - BVerfGE 98, 145, juris Rn. 56, m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 26.08.2004 - 2 B 31.04 - Buchholz 11 Art. 137 GG Nr. 2). Die Anordnung einer Inkompatibilität ist - als eine sachgerechte Ausgestaltung des passiven Wahlrechts - von der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG nur gedeckt, wenn sie nur gewählte Bewerber betrifft, deren berufliche Stellung die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit von Interessen- und Entscheidungskonflikten nahelegt. Da es jedoch schwierig ist, eine genaue Grenze festzulegen zwischen solchen Funktionsträgern, deren Tätigkeit sie in den bezeichneten Interessenkonflikt bringen kann, und solchen, deren Tätigkeit sie nicht diesem Konflikt aussetzt, ist dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum bei der Bestimmung der von der Inkompatibilität betroffenen beruflichen Stellungen zuzugestehen. Insbesondere kann der Gesetzgeber die Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG durch generalisierende Tatbestände ausschöpfen, die an die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktlage anknüpfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 51; Beschl. v. 05.06.1998, a.a.O., Rn. 56; BVerwG, Urt. v. 29.07.2002 - 8 C 22.01 - BVerwGE 117, 11). Der Gesetzgeber hat zwar einen weiten Gestaltungsspielraum, wenn er von der ihm durch Art. 137 Abs. 1 GG eingeräumten Ermächtigung nicht durch eine diese ausschöpfende Inkompatibilitätsregelung Gebrauch macht, stattdessen differenzierend vorgeht und bestimmte Personengruppen von der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat ausnimmt, darf dabei aber keine willkürlichen oder systemwidrigen Unterscheidungen treffen (so StGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.07.1981 - GR 2/80 - VBlBW 1981, 348; OVG Berlin, Urt. v. 18.11.2003 - 4 B 7.03 - juris).
41 
Art. 137 Abs. 1 GG lässt gesetzliche Beschränkungen der Wählbarkeit der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zur Verhinderung des Zusammentreffens von Amt und Mandat zu. Das bedeutet, dass die darauf beruhenden Unvereinbarkeitsvorschriften die Übernahme des Wahlmandats durch den Gewählten von der gleichzeitigen Entbindung von seinen Aufgaben innerhalb seines öffentlichen Dienstverhältnisses abhängig machen kann. Eine solche gesetzliche Regelung darf jedoch nicht den Ausschluss von der Wählbarkeit (Ineligibilität) anordnen. Der Gesetzgeber kann demnach zwar Inkompatibilitätsnormen, nicht aber Ineligibilitätsnormen erlassen. Eine Ineligibilität liegt aber nicht nur dann vor, wenn ein Bewerber rechtlich von der Bewerbung für das Mandat, von dessen Annahme oder von seiner Ausübung ausgeschlossen wird; sie ist vielmehr auch dann gegeben, wenn der Betroffene sich wegen der Folgen der gesetzlichen Regelung außerstande sieht, sich für das Mandat zu entscheiden (st. Rspr, vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 69; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 38; je m.w.N.).
42 
Im kommunalen Bereich bedarf es insoweit jedoch keiner besonderen Regelungen (z.B. Kündigungsschutz, Beurlaubungsanspruch), um eine Annahme des Mandats tatsächlich zu ermöglichen. Denn die Ausübung des Mandats in der Gemeindevertretung ist Erfüllung einer allgemeinen Bürgerpflicht, nicht Tätigkeit zur Sicherstellung der materiellen Lebensgrundlage. Deshalb ist das Amt des Gemeinderats grundsätzlich als Ehrenamt ausgestaltet. Auf dieser Ebene ist für aufwändige Auffangregelungen zur Abwendung des faktischen Ausschlusses von der Wählbarkeit kein Raum. Der Grundsatz, dass Art. 137 Abs. 1 GG nur eine Wählbarkeitsbeschränkung, nicht aber eine Ausschließung, auch nicht eine faktische, erlaubt, gilt daher nicht unbegrenzt. Angesichts der besonderen Verhältnisse im kommunalen Bereich ist der faktische Ausschluss von der Wählbarkeit zumutbare Konsequenz von Inkompatibilitätsregelungen. Eine Begrenzung der Wählbarkeit mit einer so weitreichenden Folge kann im Hinblick auf die Bedeutung der Wahlrechtsgleichheit allerdings nicht allein mit der verfassungsrechtlichen Ermächtigung aus Art. 137 Abs. 1 GG begründet werden. Ein solcher Hinweis genügt zwar für die Einführung der Unvereinbarkeitsregelung. Dadurch wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass Differenzierungen innerhalb gesetzlicher Folgeregelungen, die auf Art. 137 Abs. 1 GG beruhen, jeweils eines sachlichen Grundes bedürfen, der dem Sinn der verfassungsrechtlichen Ermächtigung gerecht wird. Art. 3 Abs. 1 GG wirkt in dieser Weise auch auf die Auslegung der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG ein. Dies muss in gleicher Weise dort gelten, wo als Folge der gesetzlich festgelegten Unvereinbarkeit von Dienststellung und Mandat ein faktischer Ausschluss von der Wählbarkeit in Frage steht. Ein solcher Ausschluss aber ist als eine mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbare Differenzierung nur gerechtfertigt, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 70f.; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 39).
43 
bbb) Dieser Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG ist für die Auslegung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes maßgeblich. Das Bundesverfassungsgericht betont dabei, dass es nicht notwendigerweise einen in allen Rechtsbereichen gleichen Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes gibt. Seine Bedeutung und Abgrenzung muss deshalb durch Auslegung der jeweils maßgebenden Vorschrift ermittelt werden. Wer zu der hier gemeinten Gruppe der Angestellten des öffentlichen Dienstes gehört, ist nach herkömmlichen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG zu bestimmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.01.1975, a.a.O., Rn. 46; Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 63 ff.). Diese Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichts - dass es keinen einheitlichen Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes gibt und dass die Begriffsbestimmung nach herkömmlichen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG erfolgen muss - werden in der staatsrechtlichen Literatur vielfach geteilt (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 137 Rn. 53 ; Stober/Lackner, in: BK, Art. 137 Abs. 1 Rn. 322 ; Versteyl, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl., Art. 137 Rn. 10; Kohl, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. II, 2002, 137 Rn. 17; wohl auch Butzer, in: Epping/Hillgruber, GG, 2. Aufl., Art. 137 Rn. 9; unklar: Pieper, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl., Art. 137 Rn. 13).
44 
Aus dieser Begriffsbestimmung folgt, dass Art. 137 Abs. 1 GG mit dem Tatbestandsmerkmal des Angestellten des öffentlichen Dienstes sich nicht in der Anknüpfung an einen im einfachen Recht, in Tarifverträgen und den tatsächlichen Lebensverhältnissen vorhandenen Typus des Angestellten erschöpft, sondern eine eigenständige Begriffsbestimmung vornimmt. Das Tatbestandsmerkmal des Angestellten des öffentlichen Dienstes ist autonom, unabhängig vom Angestelltenbegriff in sonstigen Bereichen auszulegen. Mit der Anknüpfung an herkömmliche Gesichtspunkte ist bzw. war Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung zwar der im einfachen Recht, Tarifbestimmungen und tatsächlichen Verhältnissen vorzufindende Typus des Angestellten, die besondere Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG gibt dem Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG jedoch sein Gepräge. Dies zeigen insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Wählbarkeitsbeschränkungen für Angestellte in privatrechtlich organisierten Unternehmen, die öffentlich beherrscht sind, und die Bestimmung des Begriffs des Beamten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG:
45 
Unter Art. 137 Abs. 1 GG fallen auch die Angestellten, die zwar nicht einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn unterstehen, die aber aufgrund der Ausgestaltung ihres Beschäftigungsverhältnisses, der besonderen Zusammensetzung und Organisation der Spitze ihres Unternehmens sowie der Eigenart ihrer Tätigkeit und ihres Aufgabenbereichs in einer solch engen Beziehung zur öffentlichen Hand stehen, dass im Hinblick auf die naheliegende Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit von Interessenkonflikten und Entscheidungskonflikten von Verfassungs wegen ihre Einbeziehung in die Ermächtigung nach Art. 137 Abs. 1 GG unabweislich ist. Zu den Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG zählen daher jedenfalls die leitenden Angestellten solcher privater Unternehmen, an denen die öffentliche Hand mehrheitlich beteiligt ist. Diese Angestellten haben aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung im Unternehmen wesentlichen Einfluss auf die tragenden Entscheidungen. Sie wirken maßgeblich bei der Bestimmung der Grundlinien der Unternehmenspolitik und der Geschäftspraxis mit. Über eine gleichzeitige Mitgliedschaft im Gemeinderat könnten sie maßgeblichen Einfluss auf die Zusammensetzung und Willensbildung der von der kommunalen Vertretung beherrschten Unternehmensorgane ausüben. Diese sich aus dem besonderen dienstrechtlichen Aufgabenbereich ergebenden Gefährdungsmomente fehlen in der Regel bei den Angestellten solcher Unternehmen in nicht herausgehobener Stellung. Bei ihnen besteht eine Distanz zur öffentlichen Hand, die es verbietet, sie zu den Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG zu zählen. Hingegen würden Angestellte öffentlich-rechtlicher Dienstherren wie Gemeinden und Landkreise, die in nicht herausgehobener Stellung tätig sind, für den Fall, dass sie Gemeinderäte oder Kreisräte sind, der Vertretungskörperschaft angehören, die unmittelbar die Kontrolle über ihre Beschäftigungsstelle ausübt. Das unterscheidet ihre Stellung maßgeblich von der einfacher Angestellter in öffentlich beherrschten, privatrechtlich organisierten Unternehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 63ff.; Beschl. v. 21.01.1975, a.a.O., Rn. 46).
46 
Dass es sich um eine autonome, von Kriterien des einfachen Rechts unabhängige Begriffsbestimmung handelt, zeigt ebenso die Auslegung des Begriffs des Beamten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG. Auch insoweit ist anhand des Zwecks des Art. 137 Abs. 1 GG detailliert zu prüfen, inwiefern Gefahren für die organisatorische Gewaltenteilung bestehen. Der Begriff des Beamten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG ist nicht nach dem allgemeinen Beamtenrecht zu bestimmen. Für Art. 137 Abs. 1 GG muss die Bedeutung und Tragweite des Begriffs des Beamten insoweit aus der ratio der Verfassungsnorm selbst bestimmt werden. Es bedarf daher gegebenenfalls einer eingehenden Analyse, ob Gefahren für die organisatorische Gewaltenteilung bestehen (so BVerfG, Beschl. v. 07.04.1981, a.a.O., Rn. 52, zum Ruhestandsbeamten; anders noch BVerfG, Beschl. v. 27.10.1964, Rn. 10).
47 
Aus dieser eigenständigen Bestimmung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG folgt, dass die tarifrechtliche Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern für die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG nicht von entscheidender Bedeutung ist (vgl. Stober/Lackner, a.a.O., Rn. 325; von Campenhausen/Unruh, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl., Art. 137 Rn. 21; Versteyl, a.a.O., Rn. 10; ebenso OVG NRW, Urt. v. 31.01.1968 - III A 673/67 - OVGE 24, 8 <10>; unklar mit einem Abstellen auf die „Konkretisierungen des öffentlichen Dienstrechts“: Leisner, in: Sodan, GG, 3. Aufl., Art. 137 Rn. 4; Butzer, a.a.O.). Dies wurde in der Literatur auch so gesehen, als es diese tarifrechtliche Unterscheidung noch gab (vgl. Versteyl, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 3, 2. Aufl. 1983, Art. 137 Rn. 6; von Campenhausen, in: von Mangoldt/Klein, GG, Bd. 14, 3. Aufl. 1991, Art. 137 Rn. 25).
48 
ccc) An dieser Auslegung ist festzuhalten. Sie erfährt auch durch geänderte Verhältnisse keine Änderung. Weder der Wegfall der Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes noch die Zunahme der Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter seit Inkrafttreten des Grundgesetzes bis zum Jahr 2004 begründen einen Verfassungswandel oder eine Neubestimmung der zugrundliegenden Begriffsbestimmungen.
49 
(1) Die Normen des Grundgesetzes sind mit Hilfe der gängigen Auslegungsmethoden, nach Wortlaut, Systematik, Zweck und Entstehungsgeschichte auszulegen (vgl. nur Starck, in: HStR XII, 3. Aufl., § 271 Rn. 17; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl., Einl. Rn. 11; je m.w.N.). Eine Verfassungsvorschrift darf nicht allein aus ihrem Wortlaut heraus isoliert ausgelegt werden. Alle Verfassungsbestimmungen müssen vielmehr so ausgelegt werden, dass sie mit den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes und seiner Wertordnung vereinbar sind. Um Sinngehalt und Tragweite von Verfassungsbestimmungen, denen oft eine lapidare Sprachgestalt eigen ist, richtig zu erfassen, ist der Blick auf das rechtliche und historische Umfeld der Entstehung der Verfassungsnorm sowie auf ihre Zielrichtung erforderlich. Die Grenzen der Auslegung von Verfassungsrecht liegen dort, wo einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Vorschrift ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm grundlegend neu bestimmt oder das normative Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt würde (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.12.1970 - 2 BvF 1/69 - BVerfGE 30, 1, juris Rn. 70; Beschl. v. 23.11.1988 - 2 BvR 1619/83 u.a. - BVerfGE 79, 127, juris Rn. 41; Urt. v. 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98 u.a. - BVerfGE 109, 279, juris Rn. 134; je m.w.N.).
50 
Dies schließt jedoch Änderungen der Verfassungsauslegung nicht aus. Denn gewandelte Rechtsauffassungen und Weiterentwicklungen auch des einfachen Rechts können im Rahmen eines Verfassungswandels auch ohne Änderung des Verfassungstextes zu einer geänderten Verfassungsauslegung führen. Eine Verfassungsbestimmung kann einen Bedeutungswandel insbesondere dann erfahren, wenn in ihrem Bereich neue, nicht vorausgesehene Tatbestände auftauchen oder bekannte Tatbestände durch ihre Einordnung in den Gesamtablauf einer Entwicklung in neuer Beziehung oder Bedeutung erscheinen (vgl. BVerfG, Urt. v. 01.07.1953 - 1 BvL 23/51 - BVerfGE 2, 380, Rn. 73; Gutachten v. 16.06.1954 - 1 PBvV 2/52 - BVerfGE 3, 407, juris Rn. 69; Plenumsbeschl. v. 08.04.1997 - 1 PBvU 1/95 - BVerfGE 95, 322, juris Rn. 37ff.; Badura, in: HStR XII, 3. Aufl., § 270 Rn. 14ff.).
51 
(2) Eine Neubestimmung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne des Art. 137 Abs. 1 GG fordertMasing. Das öffentliche Dienstrecht nehme eine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht mehr vor. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung in Art. 137 Abs. 1 GG finde demnach keine einfachrechtliche Entsprechung mehr. Sowohl im Tarif- wie im Rentenversicherungsrecht, welches traditionell zur Bestimmung des Angestellten- bzw. Arbeiterbegriffs herangezogen worden sei, sei die hergebrachte Unterscheidung inzwischen aufgegeben und nur noch einheitlich von Arbeitnehmern bzw. Beschäftigten die Rede. Für die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG könne aus dieser Rechtsentwicklung nur folgen, zukünftig alle Bediensteten des öffentlichen Dienstes in den Regelungsgehalt des Art. 137 Abs. 1 GG einzubeziehen, um dann doch hinsichtlich der Einflussmöglichkeiten auf Behördenentscheidungen und der damit zusammenhängenden Wahrscheinlichkeit von Gefahren gewaltenteilungsbedingter Interessenkonflikte zu unterscheiden (vgl. Masing, in: Dreier, GG, Bd. III, 2. Aufl., Art. 137 Rn. 10f.; kritisch hierzu von Campenhausen/Unruh, a.a.O., Rn. 20)
52 
Dem ist nicht zu folgen. Der TVöD unterscheidet seit dem 01.10.2005 nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten, sondern kennt nur noch den einheitlichen Begriff des Arbeitnehmers; für den TV-L gilt dies ebenso. Der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG knüpft jedoch, wie dargelegt, nicht an eine in den tatsächlichen Verhältnissen, im einfachen Recht und in Tarifverträgen vorhandene Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten an. Vielmehr ist der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG eigenständig zu bestimmen. Allein der Umstand, dass tarifrechtlich die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes nicht mehr besteht, hat daher keine Auswirkungen auf die Auslegung des Begriffs des Angestellten im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG. Das gilt auch, soweit das Bundesverfassungsgericht als ein Merkmal seiner Begriffsbestimmung auf die „herkömmlichen Gesichtspunkte“ zurückgreift. Was hiermit gemeint ist, wird zwar nicht ausdrücklich ausgeführt. Offensichtlich ist jedoch, dass Anknüpfungspunkt die vorhandene Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern war - die allerdings die im Hinblick auf Art. 137 Abs. 1 GG maßgebliche Prägung durch den Zweck der Norm erfährt. Diese „herkömmlichen Gesichtspunkte“ sind durch die Änderungen des Tarifrechts nicht hinfällig geworden. Voraussetzung dafür, dass es sich um einen Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG handelt, ist zunächst, dass ein öffentliches Dienstverhältnis vorliegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978 und v. 06.10.1981, je a.a.O.; Versteyl, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl., Art. 137 Rn. 10; Kohl, a.a.O.). Hinzutreten muss, dass der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichtet, sondern überwiegend eine geistige Tätigkeit. Diese Auslegung entspricht nach den tarifrechtlichen Änderungen den „herkömmlichen Gesichtspunkten“, die Ausgangspunkt der Bestimmung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG sind:
53 
Bereits das Reichsarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zur Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten darauf abgestellt, ob die Tätigkeit des Arbeitnehmers überwiegend geistiger Art ist - dann Angestellter - oder überwiegend körperlicher Art - dann Arbeiter - (vgl. die Nachweise bei BAG, Urt. v. 24.07.1957 - 4 AZR 445/54 - BAGE 5, 98, juris Rn. 21). Das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht haben dieses Unterscheidungskriterium in ihrer Rechtsprechung jeweils auch angewandt (vgl. nur BAG, a.a.O., m.w.N.; BSG, Urt. v. 11.12.1987 - 12 RK 6/86 - juris Rn. 17 ff., m.w.N.). Die rechtswissenschaftliche Literatur ist dem überwiegend gefolgt (vgl. nur Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Aufl. 2000, § 13 Rn. 8; Wlotzke-Volze, in: Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl. 1969, Vor § 611 Rn. 61; kritisch z.B. Richardi, in: Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, § 25 Rn. 15). Die Verwaltungsgerichte haben dieses Kriterium in ihrer Rechtsprechung zu auf Art. 137 Abs. 1 GG beruhenden Inkompatibilitätsvorschriften ebenfalls zugrunde gelegt (vgl. Senat, Beschl. v. 07.05.1996 - 1 S 2988/95 - NVwZ-RR 1997, 246, m.w.N.; OVG NRW, Urt. v. 31.01.1968, a.a.O., S. 15). Zwar haben die Arbeits- und Sozialgerichte auf dieses Kriterium der überwiegend körperlichen oder geistigen Tätigkeit als maßgeblich ausschlaggebenden Gesichtspunkt nur zurückgegriffen, wenn eine Zuordnung nach gesetzlichen Regeln, insbesondere nach § 3 Abs. 1 AVG, und der Verkehrsauffassung der beteiligten Kreise, die insbesondere durch die Tarifpraxis geprägt wurde, nicht zum Erfolg führte (vgl. BAG, Urt. v. 24.07.1957, a.a.O.; BSG Urt. v. 11.12.1987, a.a.O.; Richardi, a.a.O., Rn. 13 f.). Dies ist hier jedoch unerheblich, da es an einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zur Festlegung des Begriffs des Angestellten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG fehlt und die Tarifpraxis hier nicht von Bedeutung ist.
54 
Zudem hat - ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme - die Abgrenzung danach, ob eine überwiegend körperliche oder geistige Tätigkeit ausgeübt wird, auch nach dem geltenden Tarifrecht noch eine gewisse Bedeutung. „Beschäftigte mit einfachsten Tätigkeiten“ sind nach TVöD und TV-L in die Entgeltgruppe 1 einzugruppieren. Wie der Begriff der einfachsten Tätigkeiten zu verstehen ist, hat das Bundesarbeitsgericht im Fall einer Reinigungskraft in einem Pflegeheim nach dem TVöD entschieden: Der Umstand einer mehrtägigen Einarbeitungszeit spricht regelmäßig gegen eine Einordnung als einfachste Tätigkeit. Einfachste Tätigkeiten sind im Wesentlichen gleichförmige und gleichartige - gleichsam „mechanisch“ durchzuführende - Tätigkeiten, deren Verrichtung keine nennenswerten eigenen Überlegungen erfordert. Denn nur dann kann eine kurze Einweisung in die Tätigkeit in der Regel ausreichend sein. Deshalb handelt es sich zumeist auch um Tätigkeiten mit einer klaren Aufgabenzuweisung. Anders verhält es sich, wenn dem Beschäftigten im Rahmen der Aufgaben ein eigenständiger, nicht gänzlich unbedeutender Entscheidungs- oder Verantwortungsbereich übertragen wurde (vgl. BAG, Beschl. v. 28.01.2009 - 4 ABR 92/07 - BAGE 129, 238, juris Rn. 50; ebenso BAG, Beschl. v. 20.05.2009 - 4 ABR 99/08 - BAGE 131, 36, juris Rn. 36). Dies zeigt, dass die Kriterien der körperlichen oder geistigen Arbeit auch außerhalb von Art. 137 Abs. 1 GG weiterhin von Bedeutung sind.
55 
Für die von Masing aufgezeigte Auslegung, alle Bediensteten des öffentlichen Dienstes in den Regelungsgehalt des Art. 137 Abs. 1 GG einzubeziehen und sodann nach Einflussmöglichkeiten auf Behördenentscheidungen und der Wahrscheinlichkeit von Interessenkonflikten zu differenzieren, ist daher kein Raum. Einer solchen Auslegung stehen Wortlaut und Systematik von Art. 137 Abs. 1 GG entgegen. Die Vorschrift erfasst bewusst nur Angestellte des öffentlichen Dienstes und gestattet Wählbarkeitsbeschränkungen für Arbeiter des öffentlichen Dienstes nicht. Eine Ausdehnung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG auf (zunächst) alle Arbeitnehmer, wäre damit, auch wenn in einem zweiten Schritt bestimmte Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich wieder herausfielen, unvereinbar.
56 
(3) Auch die starke Zunahme der Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst und im kommunalen Bereich im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter führt nicht zu einer geänderten Auslegung.
57 
Die Daten des Statistischen Bundesamtes, die der Senat eingeholt hat, belegen, dass die Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst seit 1950 bis im Jahre 2004 im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter im öffentlichen Dienst stark zugenommen hat, der Anteil der Arbeiter im öffentlichen Dienst hingegen stark gesunken ist. So betrug 1950 der Anteil der Angestellten an der Gesamtgruppe der Arbeiter und Angestellten 38,8%, im Jahre 2004 hingegen 77,2 %. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Privatisierung der Deutschen Bundespost, die im Jahr 1994 mehr als dreimal so viele Arbeiter wie Angestellte beschäftigte, zu einem sprunghaften Anstieg des Anteils der Angestellten von 1990 zum Jahr 2000 führte, stellt dies die Gesamtentwicklung nicht infrage. Dies zeigen auch die Zahlen für die Gemeinde und Gemeindeverbände. Bei diesen betrug 1950 der Anteil der Angestellten an der Gesamtgruppe der Arbeiter und Angestellten 45,3%, im Jahr 2004 hingegen 73,5 %.
58 
Folge dieser Entwicklung ist, dass 2004 ungefähr drei von vier Arbeitnehmern des unmittelbaren öffentlichen Dienstes unter Wählbarkeitsbeschränkungen fallen können, während bei Inkrafttreten des Grundgesetzes deutlich weniger als die Hälfte dieser Gruppe von diesen Regelungen betroffen sein konnte. Daher stellt sich die Frage, ob diese geänderten tatsächlichen Verhältnisse Auswirkungen auf die Auslegung von Art. 137 Abs. 1 GG haben muss (Verfassungswandel), da das vom Verfassungsgeber verfolgte Ziel, für einen bestimmten personellen Bereich die organisatorische Gewaltenteilung zu verwirklichen, so nicht mehr erreicht wird, sondern von den Wählbarkeitsbeschränkungen möglicherweise auch Personen erfasst werden, die der Verfassungsgeber 1949 ausgenommen wissen wollte. Der Senat hat daher erwogen, ob es aufgrund dieser erheblich gewandelten tatsächlichen Verhältnisse einer geänderten Auslegung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG dahin bedarf, dass nur noch leitende Angestellte darunter fallen. Dies ist jedoch zu verneinen.
59 
Denn nach dem Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG bestehen die Gefahren, denen die Vorschrift vorbeugen will, weiterhin auch bei den nicht leitenden Angestellten von Gemeinden und Landkreisen. Dies gilt unabhängig von der Frage, wie groß die Gruppe der Normbetroffenen ist. Wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht betont hat, würden Angestellte der Gemeinde, wenn sie auch Gemeinderäte sein könnten, der Vertretungskörperschaft angehören, die unmittelbar als Arbeitgeber die Kontrolle über ihre Beschäftigungsstelle ausübt, während der Gemeinde Aufsichtsmaßnahmen oder Disziplinarmaßnahmen unmittelbar gegen die Bediensteten eines privatrechtlich organisierten, öffentlich beherrschten Unternehmens grundsätzlich verwehrt sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O.). Von Bedeutung ist dabei auch, dass es nicht nur auf die Entscheidungsbefugnisse des Angestellten ankommt, sondern auch auf mögliche Interessenkonflikte. Es ist nicht allein maßgeblich, welche Kompetenzen der Betreffende hat. Auch die Vermeidung von Interessenkonflikten ist gerade Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., juris Rn. 39, 41; Beschl. v. 05.06.1998, a.aO., juris Rn. 56; Stober/Lackner, a.a.O., Rn. 327a). Eine Interessenkollision kann sich immer bereits dann ergeben, wenn ein Gemeinderat die ausführende Tätigkeit des Bürgermeisters (in Baden-Württemberg nach § 24 Abs. 1 GemO) zu überwachen hat, obgleich er jenem gegenüber in seinem Beschäftigungsverhältnis weisungsgebunden ist (vgl. Senat, Urt. v. 23.01.1984 - 1 S 2579/83 -, in: Seeger/Füsslin/Vogel, EKBW, GemO § 29 E 4). Für Angestellte des Kreises/der Gemeinde selbst ist die Nähe zum Dienstherrn aufgrund der gegebenen Kontroll-, Aufsichts- und Disziplinarbefugnisse des Kreises/der Gemeinde von vornherein gegeben. Die Möglichkeit von Interessenkonflikten besteht daher für diese Arbeitnehmer unabhängig von der Frage, ob ihnen Leitungsbefugnisse zustehen. Maßgebend ist für diese Angestellte mithin das Dienstverhältnis, nicht die Funktion, die sie innehaben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.08.2004, a.a.O., Rn. 5). Hieran darf der Gesetzgeber mit generalisierenden Tatbeständen anknüpfen. An dieser seit Jahrzehnten bestehenden, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte anerkannten Rechtslage ändert der Umstand, dass die Zahl der Angestellten im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter seit Inkrafttreten des Grundgesetzes stark zugenommen hat, nichts Entscheidendes. Von der Möglichkeit, Wählbarkeitsbeschränkungen zu erlassen, wird daher zwar eine verhältnismäßig wesentlich größere Gruppe erfasst. Der einfache Gesetzgeber ist jedoch nicht verpflichtet, von dieser Ermächtigung umfassend Gebrauch zu machen. Er kann seine Regelungen zu Wählbarkeitsbeschränkungen auch für die unmittelbaren Angestellten des Kreises/der Gemeinde auf leitende Angestellte beschränken, er muss dies jedoch nicht. Im Jahre 2004, dem letzten Zeitpunkt, zu dem belegbare Zahlen vorhanden sind, war die Gruppe der Arbeiter des öffentlichen Dienstes zwar eine deutlich kleinere als noch 1950, aber noch immer eine nennenswerte Gruppe. Konsequenzen aus dieser Entwicklung ergeben sich daher nicht auf der Ebene der Verfassungsauslegung, sondern diese kann der einfache Gesetzgeber auf der Ebene der Gemeindeordnung und der Landkreisordnung durch entsprechende Regelungen ziehen, wenn er das für angebracht hält.
60 
bb) § 24 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO hält sich in den Grenzen der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG. Der durch Satz 2 normierte Ausschluss der Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten, von den Wählbarkeitsbeschränkungen hat zur Folge, dass die Vorschrift nur Angestellte i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG erfasst. Denn der verfassungsrechtliche Begriff des Angestellten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG ist, wie dargelegt, so auszulegen, dass er alle Arbeitnehmer erfasst, die in einem öffentlichen Dienstverhältnis stehen und nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichten, sondern eine überwiegend geistige Tätigkeit. Das neue Recht in § 24 LKrO hat diese Kriterien übernommen und so den Angestelltenbegriff des Art. 137 Abs. 1 GG nachgezeichnet, so dass sich die Vorschrift im Rahmen der Ermächtigung hält (ebenso VGH Bad.-Württ., Normenkontrollurt. v. 15.10.2014 - 3 S 1505/13 - VBlBW 2015, 237; LVfG Bdb., Beschl. v. 26.08.2011, a.a.O., Rn. 74; VG Neustadt, Beschl. v. 07.07.2014 - 3 L 580/14 - juris Rn. 25 und nachfolgend OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.08.2014 - 10 B 10653/14 - NVwZ-RR 2014, 934). Dabei darf der Landesgesetzgeber generell an die Stellung als Angestellter in diesem Sinne anknüpfen, ohne auf die konkret ausgeübte Funktion Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.2002, a.a.O.).
61 
b) Die Wählbarkeitsbeschränkung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO verstößt daher auch nicht gegen das Willkürverbot. Zwischen Tätigkeiten, die überwiegend körperlich geprägt sind, und solchen, die überwiegend geistig geprägt sind, zu differenzieren, entspricht dem Zweck der Ermächtigung in Art. 137 Abs. 1 GG und ist daher nicht zu beanstanden.
62 
c) § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO verstößt nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Gesetzliche Regelungen müssen so gefasst sein, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag. Die Anforderungen an die Bestimmtheit erhöhen sich mit der Intensität, mit der auf der Grundlage der betreffenden Regelung in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen werden kann. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass die Norm dann überhaupt keine Auslegungsprobleme aufwerfen darf. Dem Bestimmtheitserfordernis ist vielmehr genügt, wenn diese mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 <145>; Beschl. v. 11.01.1994 - 1 BvR 434/87 - BVerfGE 90, 1 <16>; je m.w.N.).
63 
Diesen Anforderungen ist hier genügt. Die Feststellung, ob jemand Arbeitnehmer des Landkreises ist, der nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichtet, bereitet in der Regel keine besonderen Probleme. Es handelt sich im Kern um deskriptive Tatbestandsmerkmale, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen in der Regel ohne erhebliche Probleme festgestellt werden kann. Der vom Kläger angeführte Umstand, dass die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern weitgehend an Bedeutung verloren hat, hat keine Bedeutung für die Frage der hinreichenden Bestimmtheit der jetzigen Gesetzesfassung.
64 
d) Auch ein Verstoß der Regelung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO gegen das Übermaßverbot liegt nicht vor. Der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet, dass ein die Grundrechte einschränkendes Gesetz geeignet und erforderlich sein muss, um den erstrebten, legitimen Zweck zu erreichen, und dass - als Ausprägung des Übermaßverbots - bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten der Regelung gewahrt sein muss, so dass die Maßnahme sie nicht übermäßig belastet (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.06.1984 - 1 BvR 1494/78 - BVerfGE 67, 157 <173 ff.>; Beschl. v. 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 u.a. - BVerfGE 90, 145 <172 f.>; je m.w.N.).
65 
Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des Übermaßverbots durch § 24 LKrO nicht vor. Die vom Kläger angeführte faktische Ineligibilität aufgrund der wirtschaftlichen Folgen, die bei der Annahme der Wahl eintreten würden, sind von ihm zumutbarerweise hinzunehmen. Denn es bedarf im kommunalen Bereich keiner besonderen Regelung, um eine Annahme des Mandats tatsächlich zu ermöglichen, da - wie ausgeführt (s. oben unter a) aa) aaa)) das Amt des Gemeinderats grundsätzlich als Ehrenamt ausgestaltet ist. Angesichts der besonderen Verhältnisse im kommunalen Bereich ist der faktische Ausschluss von der Wählbarkeit folglich zumutbare Konsequenz von Inkompatibilitätsregelungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 70f.; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 39). Aus Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, auf den sich der Kläger beruft, ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen.
66 
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass eine Begrenzung der Wählbarkeit mit einer so weitreichenden Folge im Hinblick auf die Bedeutung der Wahlrechtsgleichheit nicht allein mit der verfassungsrechtlichen Ermächtigung aus Art. 137 Abs. 1 GG begründet werden kann. Ein solcher Hinweis genügt zwar für die Einführung der Unvereinbarkeitsregelung. Dadurch wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass Differenzierungen innerhalb gesetzlicher Folgeregelungen, die auf Art. 137 Abs. 1 GG beruhen, jeweils eines sachlichen Grundes bedürfen, der dem Sinn der verfassungsrechtlichen Ermächtigung gerecht wird. Art. 3 Abs. 1 GG wirkt in dieser Weise auch auf die Auslegung der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG ein. Dies muss in gleicher Weise dort gelten, wo als Folge der gesetzlich festgelegten Unvereinbarkeit von Dienststellung und Mandat ein faktischer Ausschluss von der Wählbarkeit in Frage steht. Ein solcher Ausschluss ist als eine mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbare Differenzierung nur gerechtfertigt, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 70f.; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 39). Hieraus ergeben sich jedoch nur Anforderungen für den Fall, dass der Gesetzgeber von der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG in der Weise Gebrauch macht, dass er manche Angestellte von den Unvereinbarkeitsregelungen ausnimmt. Dies ist hier aber nicht der Fall. Mit dem Tatbestandsmerkmal der überwiegenden körperlichen Arbeit hat der Gesetzgeber den Begriff des Angestellten nachgezeichnet. Der Gesetzgeber hat mit § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO nicht bestimmte „Angestellte“ von den Unvereinbarkeitsregelungen ausgenommen; die Frage, welche Anforderungen sich aus Art. 3 Abs. 1 GG bei Differenzierungen ergeben, stellt sich daher nicht.
67 
3. Beim Kläger liegen die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO vor. Als Mitarbeiter eines Eigenbetriebs ist der Kläger Arbeitnehmer des Landkreises i.S.v. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO. Denn Eigenbetriebe sind unselbständige Anstalten des öffentlichen Rechts ohne eigene Rechtspersönlichkeit, deren Handeln dem Landkreis zuzurechnen ist und denen der Bürgermeister gemäß § 10 EigBG Weisungen erteilen kann; dieser ist Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde der Bediensteten des Eigenbetriebs (§ 11 Abs. 5 EigBG). Im Sinne des Art. 137 Abs. 1 GG sind Arbeitnehmer eines Eigenbetriebs daher Arbeitnehmer der öffentlich-rechtlichen Körperschaft selbst (vgl. von Campenhausen, a.a.O., Art. 137 Rn. 26).
68 
§ 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO findet auf den Kläger keine Anwendung. Er verrichtet nicht überwiegend körperliche Arbeit. Das Verwaltungsgericht hat das im angefochtenen Urteil mit eingehender zutreffender Begründung ausgeführt. Insoweit weist der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 130b Satz 2 VwGO). Zum diesbezüglichen Berufungsvorbringen ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass es - wie bereits ausgeführt (s. oben unter 2. a) aa) bbb) und 2. a) bb)) - auf die tarifrechtlichen Fragen, die der Kläger mit der Berufung geltend macht, nicht entscheidend ankommt. Der Gesetzgeber hat mit den Tatbestandsmerkmalen des Arbeitnehmers und des überwiegenden Verrichtens körperlicher Arbeit den Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG zulässig nachgezeichnet. Es ist daher bei der Prüfung, ob diese gesetzlichen Tatbestandsmerkmale im Fall des Klägers erfüllt sind, rechtlich unerheblich, wie die Tätigkeit des Klägers nach altem und neuem Tarifrecht einzustufen wäre. Maßgeblich ist allein, ob er überwiegend körperliche Arbeit verrichtet. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt auch die Erklärung des Klägers - ohne dass es darauf entscheidend ankäme, da der Senat dies selbständig zu prüfen hat - in der Berufungsverhandlung, dass er die tarifrechtliche Einordnung seiner Tätigkeit für maßgeblich halte, die tatsächliche Beschreibung seiner Tätigkeit im erstinstanzlichen Urteil jedoch zutreffe.
69 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Rechtsfrage, wie der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG nach dem Wegfall der Unterscheidung von Angestellten und Arbeitern im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes auszulegen ist, hat über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung.
70 
Beschluss
vom 18. Dezember 2015
71 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
72 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
27 
Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim Verwaltungsgericht eingelegt (vgl. § 124 a Abs. 2 VwGO). Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 3 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO).
28 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klage ist zulässig (I), aber nicht begründet (II).
29 
I. Die Umstellung der - bis dahin - zulässigen Anfechtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist zulässig, ohne dass die Voraussetzzungen, die § 91 VwGO an die Zulässigkeit einer Klageänderung stellt, vorliegen müssen (vgl. nur Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 113 Rn. 241).
30 
Ein Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr ist hier gegeben. Es liegt vor, wenn der Kläger mit einer Wiederholung der erledigten Maßnahme rechnen muss. Es müssen konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt einer vergleichbaren Belastung bei einem vergleichbaren und abzusehenden Sachverhalt vorgetragen werden. Ein solches Interesse setzt die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige behördliche Maßnahme ergehen wird. Nicht ausreichend ist die vage oder abstrakte Möglichkeit einer Wiederholung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.01.1995 - 8 B 168.94 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 272; Senat, Urt. v. 24.11.1994 - 1 S 2909/93 - DVBl. 1995, 367; Beschl. v. 16.07.2012 - 1 S 997/12 -; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.07.2010 - 10 S 2400/09 - ESVGH 61, 51; OVG NRW, Urt. v. 24.11.1998 - 5 A 1107/96 - NJW 1999, 2202). Zudem ist Voraussetzung, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 08.02.2011 - 1 BVR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier zu bejahen. Der Kläger ist erneut Nachrücker in den Kreistag für seine Partei. Da der Beklagte an seiner Rechtsauffassung zu Hinderungsgründen in der Person des Klägers festhält, ist für den Fall des Nachrückens mit einer erneuten, auf denselben Gründen wie bisher beruhenden Feststellung des Vorliegens von Hinderungsgründen zu rechnen. Zwar steht nicht fest, ob der Fall des Nachrückens eintritt. Die Möglichkeit ist jedoch aufgrund der Stellung des Klägers als erster Nachrücker nicht rein abstrakt. Andernfalls müsste der Kläger, wenn der Fall des Nachrückens eintritt, erneut Rechtsschutz gegen eine Feststellung des Vorliegens von Hinderungsgründen in Anspruch nehmen und müsste damit rechnen, dass wegen Ablaufs der Wahlperiode wiederum Erledigung eintritt.
31 
II. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht begründet. Die Feststellung in dem Bescheid des O.-kreises vom 23.10.2012 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18.12.2012, dass beim Kläger Hinderungsgründe nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a LKrO vorlagen, war rechtmäßig.
32 
Nach § 24 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO können Arbeitnehmer des Landkreises nicht Kreisräte sein. Die Vorschrift findet gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO keine Anwendung auf Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten. Die Feststellung in den genannten Bescheiden, dass beim Kläger Hinderungsgründe nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO gegeben sind, war rechtmäßig. Für diese Vorschrift enthält Art. 137 Abs. 1 GG eine wirksame verfassungsrechtliche Ermächtigung (1). § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO selbst ist verfassungsgemäß, hält sich insbesondere im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG und ist auch nicht aus sonstigen Gründen verfassungswidrig (2). Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO lagen beim Kläger vor (3).
33 
1. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO beschränkt die Wählbarkeit von Arbeitnehmern des Landkreises und damit die in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Allgemeinheit und Gleichheit der Wahlen in Kreisen. Eine solche Beschränkung ist nur zulässig, wenn hierfür eine verfassungsrechtliche Ermächtigung vorliegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978 - 2 BvR 1108/77 - BVerfGE 48, 64, juris Rn. 57 ff.; Beschl. v. 07.04.1981 - 2 BvR 1210/80 - BVerfGE 57, 43, juris Rn. 40; Beschl. v. 06.10.1981 - 2 BvR 348/81 - BVerfGE 58, 177, juris Rn. 33). Diese liegt mit Art. 137 Abs. 1 GG vor. Danach kann die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern im Bund, in den Ländern und den Gemeinden gesetzlich beschränkt werden.
34 
Die Ermächtigungsrundlage für Beschränkungen der Wählbarkeit in Art. 137 Abs. 1 GG ist auch nicht wegen Funktionslosigkeit außer Kraft getreten. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten vollständig aufgegeben und der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG daher vollständig bedeutungslos geworden sei - was nicht der Fall ist (s. unten unter 2) -, kann ein Außerkrafttreten aufgrund Funktionslosigkeit nicht angenommen werden. Aus einer solchen Entwicklung Konsequenzen im Hinblick auf die Gültigkeit von Art. 137 Abs. 1 GG zu ziehen, ist dem Gesetzgeber vorbehalten (vgl. allgemein: Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 1997, S. 475f., 483ff.; ähnlich Schneider, Gesetzgebung, 1991, Rn. 559; BFH, Urt. v. 19.01.1999 - VII R 24/98 - BFHE 188, 222, juris Rn. 23), hier mithin dem Verfassungsgeber. Für Bebauungspläne, die als Rechtsnormen erlassen werden, ist ein Außerkrafttreten zwar möglich, wenn ihre Verwirklichung wegen einer neuen tatsächlichen Entwicklung in evidenter Weise auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1977 - 4 C 39.75 - BVerwGE 54, 5 <9>; Urt. v. 03.12.1998 - 4 CN 3.97 - BVerwGE 108, 71, juris Rn. 16; Beschl. v. 22.07.2013 - 7 BN 1.13 - juris Rn. 6).Dies hat seinen Grund jedoch darin, dass Bebauungspläne in einem ungleich stärkeren Maße wirklichkeitsbezogen sind als abstrakt-allgemeinen Rechtssätze im herkömmlichen Sinne. Sie sind weniger auf Geltung als auf konkrete Erfüllung angelegt und dadurch auch anfälliger, durch tatsächliche Entwicklungen in ihrer Funktion gestört und dadurch in ihrer Geltung in Frage gestellt zu werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1977, a.a.O.). Für Verfassungsnormen trifft dies jedoch nicht zu. Ein Wandel der tatsächlichen Verhältnisse kann zwar Auswirkungen auf die Auslegung von Verfassungsbestimmungen haben (s. sogleich unter 2.). Im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes ist die Entscheidung über ein Außerkrafttreten einer Verfassungsnorm jedoch dem Parlament vorbehalten, wie nicht zuletzt Art. 79 GG zeigt.
35 
Zusätzlich zu Art. 137 Abs. 1 GG ist eine landesverfassungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage entgegen der Auffassung des Klägers nicht erforderlich. Auch das Brandenburgische Verfassungsgericht hat eine solche für Brandenburg nicht für notwendig gehalten, sondern lediglich die dort vorhandene Verfassungsbestimmung geprüft (vgl. LVfG Bdb., Beschl. v. 26.08.2011, a.a.O., Rn. 41ff.).
36 
2. Die Beschränkung der Wählbarkeit durch § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO ist verfassungsgemäß. Sie hält sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG (a) und verstößt weder gegen den das Willkürverbot (b) noch gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (c) oder das Übermaßverbot (d).
37 
a) Überschreitet eine Einschränkung des passiven Wahlrechts die durch Art. 137 Abs. 1 GG vorgegebenen verfassungsrechtlichen Grenzen, verletzt diese Regelung den Grundsatz der Gleichheit der Wahl und damit Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.04.1981, a.a.O., Rn. 43). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die Grenzen der durch Art. 137 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber eingeräumten Befugnisse im Hinblick auf Angestellte des öffentlichen Dienstes (aa) werden durch § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO eingehalten (bb).
38 
aa) Der Begriff der Angestellten des öffentlichen Dienstes ist, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, nach herkömmlichen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG zu bestimmen. Für die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG ist die ratio der Verfassungsbestimmung ausschlaggebend (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.01.1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 38, 326, juris Rn. 46; Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 63 ff.).
39 
Hieran ist weiterhin festzuhalten. Der Zweck der Norm (aaa) prägt weiterhin die Auslegung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG. Dieser Begriff greift nicht lediglich eine im einfachen Recht und/oder den tatsächlichen Verhältnissen vorhandene Unterscheidung von Angestellten und Arbeitern auf, sondern enthält einen eigenständigen Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes, für den die tarifrechtliche Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern nicht von entscheidender Bedeutung ist (bbb); ein Verfassungswandel, der zu einer geänderten Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG führt, liegt nicht vor (ccc).
40 
aaa) Art. 137 Abs. 1 GG dient allgemein der Sicherung der organisatorischen Gewaltenteilung gegen Gefahren, die durch das Zusammentreffen von beruflicher Stellung und Mandatswahrnehmung entstehen können. Es geht darum zu verhindern, dass durch "Personalunion" die Parlamentarier als Kontrolleure sich selbst kontrollieren. So soll der Gefahr von Entscheidungskonflikten und Verfilzungen entgegengewirkt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.01.1961 - 2 BvR 547/60 - BVerfGE 12, 73, juris Rn. 22; Beschl. v. 27.10.1964 - 2 BvR 319/61 - BVerfGE 18, 172, juris Rn. 34f.; Beschl. v. 21.01.1975, a.a.O., Rn. 46; Beschl. v. 07.04.1981, a.a.O., Rn. 53; Beschl. v. 05.06.1998 - 2 BvL 2/97 - BVerfGE 98, 145, juris Rn. 56, m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 26.08.2004 - 2 B 31.04 - Buchholz 11 Art. 137 GG Nr. 2). Die Anordnung einer Inkompatibilität ist - als eine sachgerechte Ausgestaltung des passiven Wahlrechts - von der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG nur gedeckt, wenn sie nur gewählte Bewerber betrifft, deren berufliche Stellung die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit von Interessen- und Entscheidungskonflikten nahelegt. Da es jedoch schwierig ist, eine genaue Grenze festzulegen zwischen solchen Funktionsträgern, deren Tätigkeit sie in den bezeichneten Interessenkonflikt bringen kann, und solchen, deren Tätigkeit sie nicht diesem Konflikt aussetzt, ist dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum bei der Bestimmung der von der Inkompatibilität betroffenen beruflichen Stellungen zuzugestehen. Insbesondere kann der Gesetzgeber die Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG durch generalisierende Tatbestände ausschöpfen, die an die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktlage anknüpfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 51; Beschl. v. 05.06.1998, a.a.O., Rn. 56; BVerwG, Urt. v. 29.07.2002 - 8 C 22.01 - BVerwGE 117, 11). Der Gesetzgeber hat zwar einen weiten Gestaltungsspielraum, wenn er von der ihm durch Art. 137 Abs. 1 GG eingeräumten Ermächtigung nicht durch eine diese ausschöpfende Inkompatibilitätsregelung Gebrauch macht, stattdessen differenzierend vorgeht und bestimmte Personengruppen von der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat ausnimmt, darf dabei aber keine willkürlichen oder systemwidrigen Unterscheidungen treffen (so StGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.07.1981 - GR 2/80 - VBlBW 1981, 348; OVG Berlin, Urt. v. 18.11.2003 - 4 B 7.03 - juris).
41 
Art. 137 Abs. 1 GG lässt gesetzliche Beschränkungen der Wählbarkeit der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zur Verhinderung des Zusammentreffens von Amt und Mandat zu. Das bedeutet, dass die darauf beruhenden Unvereinbarkeitsvorschriften die Übernahme des Wahlmandats durch den Gewählten von der gleichzeitigen Entbindung von seinen Aufgaben innerhalb seines öffentlichen Dienstverhältnisses abhängig machen kann. Eine solche gesetzliche Regelung darf jedoch nicht den Ausschluss von der Wählbarkeit (Ineligibilität) anordnen. Der Gesetzgeber kann demnach zwar Inkompatibilitätsnormen, nicht aber Ineligibilitätsnormen erlassen. Eine Ineligibilität liegt aber nicht nur dann vor, wenn ein Bewerber rechtlich von der Bewerbung für das Mandat, von dessen Annahme oder von seiner Ausübung ausgeschlossen wird; sie ist vielmehr auch dann gegeben, wenn der Betroffene sich wegen der Folgen der gesetzlichen Regelung außerstande sieht, sich für das Mandat zu entscheiden (st. Rspr, vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 69; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 38; je m.w.N.).
42 
Im kommunalen Bereich bedarf es insoweit jedoch keiner besonderen Regelungen (z.B. Kündigungsschutz, Beurlaubungsanspruch), um eine Annahme des Mandats tatsächlich zu ermöglichen. Denn die Ausübung des Mandats in der Gemeindevertretung ist Erfüllung einer allgemeinen Bürgerpflicht, nicht Tätigkeit zur Sicherstellung der materiellen Lebensgrundlage. Deshalb ist das Amt des Gemeinderats grundsätzlich als Ehrenamt ausgestaltet. Auf dieser Ebene ist für aufwändige Auffangregelungen zur Abwendung des faktischen Ausschlusses von der Wählbarkeit kein Raum. Der Grundsatz, dass Art. 137 Abs. 1 GG nur eine Wählbarkeitsbeschränkung, nicht aber eine Ausschließung, auch nicht eine faktische, erlaubt, gilt daher nicht unbegrenzt. Angesichts der besonderen Verhältnisse im kommunalen Bereich ist der faktische Ausschluss von der Wählbarkeit zumutbare Konsequenz von Inkompatibilitätsregelungen. Eine Begrenzung der Wählbarkeit mit einer so weitreichenden Folge kann im Hinblick auf die Bedeutung der Wahlrechtsgleichheit allerdings nicht allein mit der verfassungsrechtlichen Ermächtigung aus Art. 137 Abs. 1 GG begründet werden. Ein solcher Hinweis genügt zwar für die Einführung der Unvereinbarkeitsregelung. Dadurch wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass Differenzierungen innerhalb gesetzlicher Folgeregelungen, die auf Art. 137 Abs. 1 GG beruhen, jeweils eines sachlichen Grundes bedürfen, der dem Sinn der verfassungsrechtlichen Ermächtigung gerecht wird. Art. 3 Abs. 1 GG wirkt in dieser Weise auch auf die Auslegung der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG ein. Dies muss in gleicher Weise dort gelten, wo als Folge der gesetzlich festgelegten Unvereinbarkeit von Dienststellung und Mandat ein faktischer Ausschluss von der Wählbarkeit in Frage steht. Ein solcher Ausschluss aber ist als eine mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbare Differenzierung nur gerechtfertigt, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 70f.; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 39).
43 
bbb) Dieser Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG ist für die Auslegung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes maßgeblich. Das Bundesverfassungsgericht betont dabei, dass es nicht notwendigerweise einen in allen Rechtsbereichen gleichen Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes gibt. Seine Bedeutung und Abgrenzung muss deshalb durch Auslegung der jeweils maßgebenden Vorschrift ermittelt werden. Wer zu der hier gemeinten Gruppe der Angestellten des öffentlichen Dienstes gehört, ist nach herkömmlichen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG zu bestimmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.01.1975, a.a.O., Rn. 46; Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 63 ff.). Diese Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichts - dass es keinen einheitlichen Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes gibt und dass die Begriffsbestimmung nach herkömmlichen Gesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG erfolgen muss - werden in der staatsrechtlichen Literatur vielfach geteilt (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 137 Rn. 53 ; Stober/Lackner, in: BK, Art. 137 Abs. 1 Rn. 322 ; Versteyl, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl., Art. 137 Rn. 10; Kohl, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. II, 2002, 137 Rn. 17; wohl auch Butzer, in: Epping/Hillgruber, GG, 2. Aufl., Art. 137 Rn. 9; unklar: Pieper, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl., Art. 137 Rn. 13).
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Aus dieser Begriffsbestimmung folgt, dass Art. 137 Abs. 1 GG mit dem Tatbestandsmerkmal des Angestellten des öffentlichen Dienstes sich nicht in der Anknüpfung an einen im einfachen Recht, in Tarifverträgen und den tatsächlichen Lebensverhältnissen vorhandenen Typus des Angestellten erschöpft, sondern eine eigenständige Begriffsbestimmung vornimmt. Das Tatbestandsmerkmal des Angestellten des öffentlichen Dienstes ist autonom, unabhängig vom Angestelltenbegriff in sonstigen Bereichen auszulegen. Mit der Anknüpfung an herkömmliche Gesichtspunkte ist bzw. war Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung zwar der im einfachen Recht, Tarifbestimmungen und tatsächlichen Verhältnissen vorzufindende Typus des Angestellten, die besondere Berücksichtigung der Zweckrichtung des Art. 137 Abs. 1 GG gibt dem Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG jedoch sein Gepräge. Dies zeigen insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Wählbarkeitsbeschränkungen für Angestellte in privatrechtlich organisierten Unternehmen, die öffentlich beherrscht sind, und die Bestimmung des Begriffs des Beamten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG:
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Unter Art. 137 Abs. 1 GG fallen auch die Angestellten, die zwar nicht einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn unterstehen, die aber aufgrund der Ausgestaltung ihres Beschäftigungsverhältnisses, der besonderen Zusammensetzung und Organisation der Spitze ihres Unternehmens sowie der Eigenart ihrer Tätigkeit und ihres Aufgabenbereichs in einer solch engen Beziehung zur öffentlichen Hand stehen, dass im Hinblick auf die naheliegende Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit von Interessenkonflikten und Entscheidungskonflikten von Verfassungs wegen ihre Einbeziehung in die Ermächtigung nach Art. 137 Abs. 1 GG unabweislich ist. Zu den Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG zählen daher jedenfalls die leitenden Angestellten solcher privater Unternehmen, an denen die öffentliche Hand mehrheitlich beteiligt ist. Diese Angestellten haben aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung im Unternehmen wesentlichen Einfluss auf die tragenden Entscheidungen. Sie wirken maßgeblich bei der Bestimmung der Grundlinien der Unternehmenspolitik und der Geschäftspraxis mit. Über eine gleichzeitige Mitgliedschaft im Gemeinderat könnten sie maßgeblichen Einfluss auf die Zusammensetzung und Willensbildung der von der kommunalen Vertretung beherrschten Unternehmensorgane ausüben. Diese sich aus dem besonderen dienstrechtlichen Aufgabenbereich ergebenden Gefährdungsmomente fehlen in der Regel bei den Angestellten solcher Unternehmen in nicht herausgehobener Stellung. Bei ihnen besteht eine Distanz zur öffentlichen Hand, die es verbietet, sie zu den Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG zu zählen. Hingegen würden Angestellte öffentlich-rechtlicher Dienstherren wie Gemeinden und Landkreise, die in nicht herausgehobener Stellung tätig sind, für den Fall, dass sie Gemeinderäte oder Kreisräte sind, der Vertretungskörperschaft angehören, die unmittelbar die Kontrolle über ihre Beschäftigungsstelle ausübt. Das unterscheidet ihre Stellung maßgeblich von der einfacher Angestellter in öffentlich beherrschten, privatrechtlich organisierten Unternehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 63ff.; Beschl. v. 21.01.1975, a.a.O., Rn. 46).
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Dass es sich um eine autonome, von Kriterien des einfachen Rechts unabhängige Begriffsbestimmung handelt, zeigt ebenso die Auslegung des Begriffs des Beamten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG. Auch insoweit ist anhand des Zwecks des Art. 137 Abs. 1 GG detailliert zu prüfen, inwiefern Gefahren für die organisatorische Gewaltenteilung bestehen. Der Begriff des Beamten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG ist nicht nach dem allgemeinen Beamtenrecht zu bestimmen. Für Art. 137 Abs. 1 GG muss die Bedeutung und Tragweite des Begriffs des Beamten insoweit aus der ratio der Verfassungsnorm selbst bestimmt werden. Es bedarf daher gegebenenfalls einer eingehenden Analyse, ob Gefahren für die organisatorische Gewaltenteilung bestehen (so BVerfG, Beschl. v. 07.04.1981, a.a.O., Rn. 52, zum Ruhestandsbeamten; anders noch BVerfG, Beschl. v. 27.10.1964, Rn. 10).
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Aus dieser eigenständigen Bestimmung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG folgt, dass die tarifrechtliche Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern für die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG nicht von entscheidender Bedeutung ist (vgl. Stober/Lackner, a.a.O., Rn. 325; von Campenhausen/Unruh, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl., Art. 137 Rn. 21; Versteyl, a.a.O., Rn. 10; ebenso OVG NRW, Urt. v. 31.01.1968 - III A 673/67 - OVGE 24, 8 <10>; unklar mit einem Abstellen auf die „Konkretisierungen des öffentlichen Dienstrechts“: Leisner, in: Sodan, GG, 3. Aufl., Art. 137 Rn. 4; Butzer, a.a.O.). Dies wurde in der Literatur auch so gesehen, als es diese tarifrechtliche Unterscheidung noch gab (vgl. Versteyl, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 3, 2. Aufl. 1983, Art. 137 Rn. 6; von Campenhausen, in: von Mangoldt/Klein, GG, Bd. 14, 3. Aufl. 1991, Art. 137 Rn. 25).
48 
ccc) An dieser Auslegung ist festzuhalten. Sie erfährt auch durch geänderte Verhältnisse keine Änderung. Weder der Wegfall der Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes noch die Zunahme der Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter seit Inkrafttreten des Grundgesetzes bis zum Jahr 2004 begründen einen Verfassungswandel oder eine Neubestimmung der zugrundliegenden Begriffsbestimmungen.
49 
(1) Die Normen des Grundgesetzes sind mit Hilfe der gängigen Auslegungsmethoden, nach Wortlaut, Systematik, Zweck und Entstehungsgeschichte auszulegen (vgl. nur Starck, in: HStR XII, 3. Aufl., § 271 Rn. 17; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl., Einl. Rn. 11; je m.w.N.). Eine Verfassungsvorschrift darf nicht allein aus ihrem Wortlaut heraus isoliert ausgelegt werden. Alle Verfassungsbestimmungen müssen vielmehr so ausgelegt werden, dass sie mit den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes und seiner Wertordnung vereinbar sind. Um Sinngehalt und Tragweite von Verfassungsbestimmungen, denen oft eine lapidare Sprachgestalt eigen ist, richtig zu erfassen, ist der Blick auf das rechtliche und historische Umfeld der Entstehung der Verfassungsnorm sowie auf ihre Zielrichtung erforderlich. Die Grenzen der Auslegung von Verfassungsrecht liegen dort, wo einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Vorschrift ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm grundlegend neu bestimmt oder das normative Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt würde (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.12.1970 - 2 BvF 1/69 - BVerfGE 30, 1, juris Rn. 70; Beschl. v. 23.11.1988 - 2 BvR 1619/83 u.a. - BVerfGE 79, 127, juris Rn. 41; Urt. v. 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98 u.a. - BVerfGE 109, 279, juris Rn. 134; je m.w.N.).
50 
Dies schließt jedoch Änderungen der Verfassungsauslegung nicht aus. Denn gewandelte Rechtsauffassungen und Weiterentwicklungen auch des einfachen Rechts können im Rahmen eines Verfassungswandels auch ohne Änderung des Verfassungstextes zu einer geänderten Verfassungsauslegung führen. Eine Verfassungsbestimmung kann einen Bedeutungswandel insbesondere dann erfahren, wenn in ihrem Bereich neue, nicht vorausgesehene Tatbestände auftauchen oder bekannte Tatbestände durch ihre Einordnung in den Gesamtablauf einer Entwicklung in neuer Beziehung oder Bedeutung erscheinen (vgl. BVerfG, Urt. v. 01.07.1953 - 1 BvL 23/51 - BVerfGE 2, 380, Rn. 73; Gutachten v. 16.06.1954 - 1 PBvV 2/52 - BVerfGE 3, 407, juris Rn. 69; Plenumsbeschl. v. 08.04.1997 - 1 PBvU 1/95 - BVerfGE 95, 322, juris Rn. 37ff.; Badura, in: HStR XII, 3. Aufl., § 270 Rn. 14ff.).
51 
(2) Eine Neubestimmung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne des Art. 137 Abs. 1 GG fordertMasing. Das öffentliche Dienstrecht nehme eine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht mehr vor. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung in Art. 137 Abs. 1 GG finde demnach keine einfachrechtliche Entsprechung mehr. Sowohl im Tarif- wie im Rentenversicherungsrecht, welches traditionell zur Bestimmung des Angestellten- bzw. Arbeiterbegriffs herangezogen worden sei, sei die hergebrachte Unterscheidung inzwischen aufgegeben und nur noch einheitlich von Arbeitnehmern bzw. Beschäftigten die Rede. Für die Auslegung des Art. 137 Abs. 1 GG könne aus dieser Rechtsentwicklung nur folgen, zukünftig alle Bediensteten des öffentlichen Dienstes in den Regelungsgehalt des Art. 137 Abs. 1 GG einzubeziehen, um dann doch hinsichtlich der Einflussmöglichkeiten auf Behördenentscheidungen und der damit zusammenhängenden Wahrscheinlichkeit von Gefahren gewaltenteilungsbedingter Interessenkonflikte zu unterscheiden (vgl. Masing, in: Dreier, GG, Bd. III, 2. Aufl., Art. 137 Rn. 10f.; kritisch hierzu von Campenhausen/Unruh, a.a.O., Rn. 20)
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Dem ist nicht zu folgen. Der TVöD unterscheidet seit dem 01.10.2005 nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten, sondern kennt nur noch den einheitlichen Begriff des Arbeitnehmers; für den TV-L gilt dies ebenso. Der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG knüpft jedoch, wie dargelegt, nicht an eine in den tatsächlichen Verhältnissen, im einfachen Recht und in Tarifverträgen vorhandene Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten an. Vielmehr ist der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG eigenständig zu bestimmen. Allein der Umstand, dass tarifrechtlich die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes nicht mehr besteht, hat daher keine Auswirkungen auf die Auslegung des Begriffs des Angestellten im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG. Das gilt auch, soweit das Bundesverfassungsgericht als ein Merkmal seiner Begriffsbestimmung auf die „herkömmlichen Gesichtspunkte“ zurückgreift. Was hiermit gemeint ist, wird zwar nicht ausdrücklich ausgeführt. Offensichtlich ist jedoch, dass Anknüpfungspunkt die vorhandene Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern war - die allerdings die im Hinblick auf Art. 137 Abs. 1 GG maßgebliche Prägung durch den Zweck der Norm erfährt. Diese „herkömmlichen Gesichtspunkte“ sind durch die Änderungen des Tarifrechts nicht hinfällig geworden. Voraussetzung dafür, dass es sich um einen Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG handelt, ist zunächst, dass ein öffentliches Dienstverhältnis vorliegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978 und v. 06.10.1981, je a.a.O.; Versteyl, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl., Art. 137 Rn. 10; Kohl, a.a.O.). Hinzutreten muss, dass der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichtet, sondern überwiegend eine geistige Tätigkeit. Diese Auslegung entspricht nach den tarifrechtlichen Änderungen den „herkömmlichen Gesichtspunkten“, die Ausgangspunkt der Bestimmung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG sind:
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Bereits das Reichsarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zur Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten darauf abgestellt, ob die Tätigkeit des Arbeitnehmers überwiegend geistiger Art ist - dann Angestellter - oder überwiegend körperlicher Art - dann Arbeiter - (vgl. die Nachweise bei BAG, Urt. v. 24.07.1957 - 4 AZR 445/54 - BAGE 5, 98, juris Rn. 21). Das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht haben dieses Unterscheidungskriterium in ihrer Rechtsprechung jeweils auch angewandt (vgl. nur BAG, a.a.O., m.w.N.; BSG, Urt. v. 11.12.1987 - 12 RK 6/86 - juris Rn. 17 ff., m.w.N.). Die rechtswissenschaftliche Literatur ist dem überwiegend gefolgt (vgl. nur Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Aufl. 2000, § 13 Rn. 8; Wlotzke-Volze, in: Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl. 1969, Vor § 611 Rn. 61; kritisch z.B. Richardi, in: Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, § 25 Rn. 15). Die Verwaltungsgerichte haben dieses Kriterium in ihrer Rechtsprechung zu auf Art. 137 Abs. 1 GG beruhenden Inkompatibilitätsvorschriften ebenfalls zugrunde gelegt (vgl. Senat, Beschl. v. 07.05.1996 - 1 S 2988/95 - NVwZ-RR 1997, 246, m.w.N.; OVG NRW, Urt. v. 31.01.1968, a.a.O., S. 15). Zwar haben die Arbeits- und Sozialgerichte auf dieses Kriterium der überwiegend körperlichen oder geistigen Tätigkeit als maßgeblich ausschlaggebenden Gesichtspunkt nur zurückgegriffen, wenn eine Zuordnung nach gesetzlichen Regeln, insbesondere nach § 3 Abs. 1 AVG, und der Verkehrsauffassung der beteiligten Kreise, die insbesondere durch die Tarifpraxis geprägt wurde, nicht zum Erfolg führte (vgl. BAG, Urt. v. 24.07.1957, a.a.O.; BSG Urt. v. 11.12.1987, a.a.O.; Richardi, a.a.O., Rn. 13 f.). Dies ist hier jedoch unerheblich, da es an einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zur Festlegung des Begriffs des Angestellten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG fehlt und die Tarifpraxis hier nicht von Bedeutung ist.
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Zudem hat - ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme - die Abgrenzung danach, ob eine überwiegend körperliche oder geistige Tätigkeit ausgeübt wird, auch nach dem geltenden Tarifrecht noch eine gewisse Bedeutung. „Beschäftigte mit einfachsten Tätigkeiten“ sind nach TVöD und TV-L in die Entgeltgruppe 1 einzugruppieren. Wie der Begriff der einfachsten Tätigkeiten zu verstehen ist, hat das Bundesarbeitsgericht im Fall einer Reinigungskraft in einem Pflegeheim nach dem TVöD entschieden: Der Umstand einer mehrtägigen Einarbeitungszeit spricht regelmäßig gegen eine Einordnung als einfachste Tätigkeit. Einfachste Tätigkeiten sind im Wesentlichen gleichförmige und gleichartige - gleichsam „mechanisch“ durchzuführende - Tätigkeiten, deren Verrichtung keine nennenswerten eigenen Überlegungen erfordert. Denn nur dann kann eine kurze Einweisung in die Tätigkeit in der Regel ausreichend sein. Deshalb handelt es sich zumeist auch um Tätigkeiten mit einer klaren Aufgabenzuweisung. Anders verhält es sich, wenn dem Beschäftigten im Rahmen der Aufgaben ein eigenständiger, nicht gänzlich unbedeutender Entscheidungs- oder Verantwortungsbereich übertragen wurde (vgl. BAG, Beschl. v. 28.01.2009 - 4 ABR 92/07 - BAGE 129, 238, juris Rn. 50; ebenso BAG, Beschl. v. 20.05.2009 - 4 ABR 99/08 - BAGE 131, 36, juris Rn. 36). Dies zeigt, dass die Kriterien der körperlichen oder geistigen Arbeit auch außerhalb von Art. 137 Abs. 1 GG weiterhin von Bedeutung sind.
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Für die von Masing aufgezeigte Auslegung, alle Bediensteten des öffentlichen Dienstes in den Regelungsgehalt des Art. 137 Abs. 1 GG einzubeziehen und sodann nach Einflussmöglichkeiten auf Behördenentscheidungen und der Wahrscheinlichkeit von Interessenkonflikten zu differenzieren, ist daher kein Raum. Einer solchen Auslegung stehen Wortlaut und Systematik von Art. 137 Abs. 1 GG entgegen. Die Vorschrift erfasst bewusst nur Angestellte des öffentlichen Dienstes und gestattet Wählbarkeitsbeschränkungen für Arbeiter des öffentlichen Dienstes nicht. Eine Ausdehnung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG auf (zunächst) alle Arbeitnehmer, wäre damit, auch wenn in einem zweiten Schritt bestimmte Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich wieder herausfielen, unvereinbar.
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(3) Auch die starke Zunahme der Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst und im kommunalen Bereich im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter führt nicht zu einer geänderten Auslegung.
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Die Daten des Statistischen Bundesamtes, die der Senat eingeholt hat, belegen, dass die Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst seit 1950 bis im Jahre 2004 im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter im öffentlichen Dienst stark zugenommen hat, der Anteil der Arbeiter im öffentlichen Dienst hingegen stark gesunken ist. So betrug 1950 der Anteil der Angestellten an der Gesamtgruppe der Arbeiter und Angestellten 38,8%, im Jahre 2004 hingegen 77,2 %. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Privatisierung der Deutschen Bundespost, die im Jahr 1994 mehr als dreimal so viele Arbeiter wie Angestellte beschäftigte, zu einem sprunghaften Anstieg des Anteils der Angestellten von 1990 zum Jahr 2000 führte, stellt dies die Gesamtentwicklung nicht infrage. Dies zeigen auch die Zahlen für die Gemeinde und Gemeindeverbände. Bei diesen betrug 1950 der Anteil der Angestellten an der Gesamtgruppe der Arbeiter und Angestellten 45,3%, im Jahr 2004 hingegen 73,5 %.
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Folge dieser Entwicklung ist, dass 2004 ungefähr drei von vier Arbeitnehmern des unmittelbaren öffentlichen Dienstes unter Wählbarkeitsbeschränkungen fallen können, während bei Inkrafttreten des Grundgesetzes deutlich weniger als die Hälfte dieser Gruppe von diesen Regelungen betroffen sein konnte. Daher stellt sich die Frage, ob diese geänderten tatsächlichen Verhältnisse Auswirkungen auf die Auslegung von Art. 137 Abs. 1 GG haben muss (Verfassungswandel), da das vom Verfassungsgeber verfolgte Ziel, für einen bestimmten personellen Bereich die organisatorische Gewaltenteilung zu verwirklichen, so nicht mehr erreicht wird, sondern von den Wählbarkeitsbeschränkungen möglicherweise auch Personen erfasst werden, die der Verfassungsgeber 1949 ausgenommen wissen wollte. Der Senat hat daher erwogen, ob es aufgrund dieser erheblich gewandelten tatsächlichen Verhältnisse einer geänderten Auslegung des Begriffs des Angestellten des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 137 Abs. 1 GG dahin bedarf, dass nur noch leitende Angestellte darunter fallen. Dies ist jedoch zu verneinen.
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Denn nach dem Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG bestehen die Gefahren, denen die Vorschrift vorbeugen will, weiterhin auch bei den nicht leitenden Angestellten von Gemeinden und Landkreisen. Dies gilt unabhängig von der Frage, wie groß die Gruppe der Normbetroffenen ist. Wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht betont hat, würden Angestellte der Gemeinde, wenn sie auch Gemeinderäte sein könnten, der Vertretungskörperschaft angehören, die unmittelbar als Arbeitgeber die Kontrolle über ihre Beschäftigungsstelle ausübt, während der Gemeinde Aufsichtsmaßnahmen oder Disziplinarmaßnahmen unmittelbar gegen die Bediensteten eines privatrechtlich organisierten, öffentlich beherrschten Unternehmens grundsätzlich verwehrt sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O.). Von Bedeutung ist dabei auch, dass es nicht nur auf die Entscheidungsbefugnisse des Angestellten ankommt, sondern auch auf mögliche Interessenkonflikte. Es ist nicht allein maßgeblich, welche Kompetenzen der Betreffende hat. Auch die Vermeidung von Interessenkonflikten ist gerade Zweck des Art. 137 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., juris Rn. 39, 41; Beschl. v. 05.06.1998, a.aO., juris Rn. 56; Stober/Lackner, a.a.O., Rn. 327a). Eine Interessenkollision kann sich immer bereits dann ergeben, wenn ein Gemeinderat die ausführende Tätigkeit des Bürgermeisters (in Baden-Württemberg nach § 24 Abs. 1 GemO) zu überwachen hat, obgleich er jenem gegenüber in seinem Beschäftigungsverhältnis weisungsgebunden ist (vgl. Senat, Urt. v. 23.01.1984 - 1 S 2579/83 -, in: Seeger/Füsslin/Vogel, EKBW, GemO § 29 E 4). Für Angestellte des Kreises/der Gemeinde selbst ist die Nähe zum Dienstherrn aufgrund der gegebenen Kontroll-, Aufsichts- und Disziplinarbefugnisse des Kreises/der Gemeinde von vornherein gegeben. Die Möglichkeit von Interessenkonflikten besteht daher für diese Arbeitnehmer unabhängig von der Frage, ob ihnen Leitungsbefugnisse zustehen. Maßgebend ist für diese Angestellte mithin das Dienstverhältnis, nicht die Funktion, die sie innehaben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.08.2004, a.a.O., Rn. 5). Hieran darf der Gesetzgeber mit generalisierenden Tatbeständen anknüpfen. An dieser seit Jahrzehnten bestehenden, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte anerkannten Rechtslage ändert der Umstand, dass die Zahl der Angestellten im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter seit Inkrafttreten des Grundgesetzes stark zugenommen hat, nichts Entscheidendes. Von der Möglichkeit, Wählbarkeitsbeschränkungen zu erlassen, wird daher zwar eine verhältnismäßig wesentlich größere Gruppe erfasst. Der einfache Gesetzgeber ist jedoch nicht verpflichtet, von dieser Ermächtigung umfassend Gebrauch zu machen. Er kann seine Regelungen zu Wählbarkeitsbeschränkungen auch für die unmittelbaren Angestellten des Kreises/der Gemeinde auf leitende Angestellte beschränken, er muss dies jedoch nicht. Im Jahre 2004, dem letzten Zeitpunkt, zu dem belegbare Zahlen vorhanden sind, war die Gruppe der Arbeiter des öffentlichen Dienstes zwar eine deutlich kleinere als noch 1950, aber noch immer eine nennenswerte Gruppe. Konsequenzen aus dieser Entwicklung ergeben sich daher nicht auf der Ebene der Verfassungsauslegung, sondern diese kann der einfache Gesetzgeber auf der Ebene der Gemeindeordnung und der Landkreisordnung durch entsprechende Regelungen ziehen, wenn er das für angebracht hält.
60 
bb) § 24 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO hält sich in den Grenzen der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG. Der durch Satz 2 normierte Ausschluss der Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten, von den Wählbarkeitsbeschränkungen hat zur Folge, dass die Vorschrift nur Angestellte i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG erfasst. Denn der verfassungsrechtliche Begriff des Angestellten i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG ist, wie dargelegt, so auszulegen, dass er alle Arbeitnehmer erfasst, die in einem öffentlichen Dienstverhältnis stehen und nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichten, sondern eine überwiegend geistige Tätigkeit. Das neue Recht in § 24 LKrO hat diese Kriterien übernommen und so den Angestelltenbegriff des Art. 137 Abs. 1 GG nachgezeichnet, so dass sich die Vorschrift im Rahmen der Ermächtigung hält (ebenso VGH Bad.-Württ., Normenkontrollurt. v. 15.10.2014 - 3 S 1505/13 - VBlBW 2015, 237; LVfG Bdb., Beschl. v. 26.08.2011, a.a.O., Rn. 74; VG Neustadt, Beschl. v. 07.07.2014 - 3 L 580/14 - juris Rn. 25 und nachfolgend OVG Rheinl.-Pf., Beschl. v. 13.08.2014 - 10 B 10653/14 - NVwZ-RR 2014, 934). Dabei darf der Landesgesetzgeber generell an die Stellung als Angestellter in diesem Sinne anknüpfen, ohne auf die konkret ausgeübte Funktion Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.2002, a.a.O.).
61 
b) Die Wählbarkeitsbeschränkung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO verstößt daher auch nicht gegen das Willkürverbot. Zwischen Tätigkeiten, die überwiegend körperlich geprägt sind, und solchen, die überwiegend geistig geprägt sind, zu differenzieren, entspricht dem Zweck der Ermächtigung in Art. 137 Abs. 1 GG und ist daher nicht zu beanstanden.
62 
c) § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO verstößt nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Gesetzliche Regelungen müssen so gefasst sein, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag. Die Anforderungen an die Bestimmtheit erhöhen sich mit der Intensität, mit der auf der Grundlage der betreffenden Regelung in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen werden kann. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass die Norm dann überhaupt keine Auslegungsprobleme aufwerfen darf. Dem Bestimmtheitserfordernis ist vielmehr genügt, wenn diese mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 <145>; Beschl. v. 11.01.1994 - 1 BvR 434/87 - BVerfGE 90, 1 <16>; je m.w.N.).
63 
Diesen Anforderungen ist hier genügt. Die Feststellung, ob jemand Arbeitnehmer des Landkreises ist, der nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichtet, bereitet in der Regel keine besonderen Probleme. Es handelt sich im Kern um deskriptive Tatbestandsmerkmale, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen in der Regel ohne erhebliche Probleme festgestellt werden kann. Der vom Kläger angeführte Umstand, dass die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern weitgehend an Bedeutung verloren hat, hat keine Bedeutung für die Frage der hinreichenden Bestimmtheit der jetzigen Gesetzesfassung.
64 
d) Auch ein Verstoß der Regelung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO gegen das Übermaßverbot liegt nicht vor. Der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet, dass ein die Grundrechte einschränkendes Gesetz geeignet und erforderlich sein muss, um den erstrebten, legitimen Zweck zu erreichen, und dass - als Ausprägung des Übermaßverbots - bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten der Regelung gewahrt sein muss, so dass die Maßnahme sie nicht übermäßig belastet (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.06.1984 - 1 BvR 1494/78 - BVerfGE 67, 157 <173 ff.>; Beschl. v. 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 u.a. - BVerfGE 90, 145 <172 f.>; je m.w.N.).
65 
Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des Übermaßverbots durch § 24 LKrO nicht vor. Die vom Kläger angeführte faktische Ineligibilität aufgrund der wirtschaftlichen Folgen, die bei der Annahme der Wahl eintreten würden, sind von ihm zumutbarerweise hinzunehmen. Denn es bedarf im kommunalen Bereich keiner besonderen Regelung, um eine Annahme des Mandats tatsächlich zu ermöglichen, da - wie ausgeführt (s. oben unter a) aa) aaa)) das Amt des Gemeinderats grundsätzlich als Ehrenamt ausgestaltet ist. Angesichts der besonderen Verhältnisse im kommunalen Bereich ist der faktische Ausschluss von der Wählbarkeit folglich zumutbare Konsequenz von Inkompatibilitätsregelungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 70f.; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 39). Aus Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, auf den sich der Kläger beruft, ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen.
66 
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass eine Begrenzung der Wählbarkeit mit einer so weitreichenden Folge im Hinblick auf die Bedeutung der Wahlrechtsgleichheit nicht allein mit der verfassungsrechtlichen Ermächtigung aus Art. 137 Abs. 1 GG begründet werden kann. Ein solcher Hinweis genügt zwar für die Einführung der Unvereinbarkeitsregelung. Dadurch wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass Differenzierungen innerhalb gesetzlicher Folgeregelungen, die auf Art. 137 Abs. 1 GG beruhen, jeweils eines sachlichen Grundes bedürfen, der dem Sinn der verfassungsrechtlichen Ermächtigung gerecht wird. Art. 3 Abs. 1 GG wirkt in dieser Weise auch auf die Auslegung der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG ein. Dies muss in gleicher Weise dort gelten, wo als Folge der gesetzlich festgelegten Unvereinbarkeit von Dienststellung und Mandat ein faktischer Ausschluss von der Wählbarkeit in Frage steht. Ein solcher Ausschluss ist als eine mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbare Differenzierung nur gerechtfertigt, wenn ansonsten der Gefahr von Interessenkollisionen nicht wirksam zu begegnen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.1978, a.a.O., Rn. 70f.; Beschl. v. 06.10.1981, a.a.O., Rn. 39). Hieraus ergeben sich jedoch nur Anforderungen für den Fall, dass der Gesetzgeber von der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG in der Weise Gebrauch macht, dass er manche Angestellte von den Unvereinbarkeitsregelungen ausnimmt. Dies ist hier aber nicht der Fall. Mit dem Tatbestandsmerkmal der überwiegenden körperlichen Arbeit hat der Gesetzgeber den Begriff des Angestellten nachgezeichnet. Der Gesetzgeber hat mit § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a, Satz 2 LKrO nicht bestimmte „Angestellte“ von den Unvereinbarkeitsregelungen ausgenommen; die Frage, welche Anforderungen sich aus Art. 3 Abs. 1 GG bei Differenzierungen ergeben, stellt sich daher nicht.
67 
3. Beim Kläger liegen die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO vor. Als Mitarbeiter eines Eigenbetriebs ist der Kläger Arbeitnehmer des Landkreises i.S.v. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a LKrO. Denn Eigenbetriebe sind unselbständige Anstalten des öffentlichen Rechts ohne eigene Rechtspersönlichkeit, deren Handeln dem Landkreis zuzurechnen ist und denen der Bürgermeister gemäß § 10 EigBG Weisungen erteilen kann; dieser ist Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde der Bediensteten des Eigenbetriebs (§ 11 Abs. 5 EigBG). Im Sinne des Art. 137 Abs. 1 GG sind Arbeitnehmer eines Eigenbetriebs daher Arbeitnehmer der öffentlich-rechtlichen Körperschaft selbst (vgl. von Campenhausen, a.a.O., Art. 137 Rn. 26).
68 
§ 24 Abs. 1 Satz 2 LKrO findet auf den Kläger keine Anwendung. Er verrichtet nicht überwiegend körperliche Arbeit. Das Verwaltungsgericht hat das im angefochtenen Urteil mit eingehender zutreffender Begründung ausgeführt. Insoweit weist der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 130b Satz 2 VwGO). Zum diesbezüglichen Berufungsvorbringen ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass es - wie bereits ausgeführt (s. oben unter 2. a) aa) bbb) und 2. a) bb)) - auf die tarifrechtlichen Fragen, die der Kläger mit der Berufung geltend macht, nicht entscheidend ankommt. Der Gesetzgeber hat mit den Tatbestandsmerkmalen des Arbeitnehmers und des überwiegenden Verrichtens körperlicher Arbeit den Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG zulässig nachgezeichnet. Es ist daher bei der Prüfung, ob diese gesetzlichen Tatbestandsmerkmale im Fall des Klägers erfüllt sind, rechtlich unerheblich, wie die Tätigkeit des Klägers nach altem und neuem Tarifrecht einzustufen wäre. Maßgeblich ist allein, ob er überwiegend körperliche Arbeit verrichtet. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt auch die Erklärung des Klägers - ohne dass es darauf entscheidend ankäme, da der Senat dies selbständig zu prüfen hat - in der Berufungsverhandlung, dass er die tarifrechtliche Einordnung seiner Tätigkeit für maßgeblich halte, die tatsächliche Beschreibung seiner Tätigkeit im erstinstanzlichen Urteil jedoch zutreffe.
69 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Rechtsfrage, wie der Begriff des Angestellten des öffentlichen Dienstes i.S.v. Art. 137 Abs. 1 GG nach dem Wegfall der Unterscheidung von Angestellten und Arbeitern im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes auszulegen ist, hat über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung.
70 
Beschluss
vom 18. Dezember 2015
71 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
72 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

Tenor

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht bewilligt und Rechtsanwältin T., F., beigeordnet.

Ratenzahlungen sind nicht zu leisten.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig, längstens bis zur Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 17.12.2012, die Kosten der Betreuung und Beschulung des Antragstellers in der Sonderschule „Haus T.“ in F. zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

 
I.
Wegen der antragsgemäßen Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers sieht das Gericht gemäß den §§ 122 Abs. 2 Satz 1 und 166 VwGO in Verbindung § 127 Abs. 1 Satz 1 ZPO von einer Begründung ab.
II.
Der Antrag des Antragstellers, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form der Kostenübernahme für den Besuch der Sonderschule „Haus T.“ in F. zu bewilligen, ist nach § 123 VwGO zulässig und begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antragsteller hat hier den nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO erforderlichen Anordnungsanspruch ebenso wie einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich mit der im vorliegenden Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen Gewissheit aus § 35a Abs. 1 und Abs. 3 SGB VIII in Verbindung mit § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII.
Dass der Antragsteller die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII für die Bewilligung von Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche erfüllt, ist zwischen den Beteiligten - wohl zu Recht - nicht streitig. Er hat damit Anspruch auf die in § 35a Abs. 3 SGB VIII genannten Leistungen.
Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe „insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt.“ Nach § 12 Nrn. 1 und 2 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung) - EinglHVO - umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch - 1. - heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern, sowie - 2. - Maßnahmen der Schulbildung zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen. Durch die Verweisung auf diese Vorschriften in § 35a Abs. 3 SGB VIII gelten die für körperlich und geistig behinderte Kinder und Jugendliche erlassenen Regelungen auch für den Antragsteller als seelisch behinderten Jugendlichen.
Nach diesen Vorschriften hat der Antragsteller sehr wahrscheinlich einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin als Trägerin der Jugendhilfe auf die Bewilligung von Leistungen, die ihm den Schulbesuch im Rahmen der für ihn noch geltenden allgemeinen Schulpflicht ermöglichen. Der Antragsteller hat mit ausführlicher Darstellung seiner bisherigen „Schulkarriere“ unter Vorlage von Schreiben des Staatlichen Schulamts F. überzeugend dargelegt, dass es für ihn trotz der noch bestehenden allgemeinen Schulpflicht keine Möglichkeit (mehr) gibt, ihn in einer öffentlichen (Sonder-)Schule zu unterrichten. Diesem überzeugend begründeten Befund ist die Antragsgegnerin in keiner Weise entgegen getreten. Damit kann der Antragsteller seine Schulpflicht allein durch einen Besuch der Sonderschule im Haus T., einer Einrichtung in privater Trägerschaft, erfüllen. Dass ihm diese Möglichkeit des Schulbesuchs im Haus T. tatsächlich zur Verfügung steht, er sie insbesondere auch aufgrund der Besonderheiten seiner Persönlichkeit, die durch seine seelischen Beeinträchtigungen bedingt ist und die in der Vergangenheit zum Abbruch aller sonstigen Unterrichtsformen an staatlichen Schulen geführt hat, wahrnehmen kann, hat eine erfolgreich verlaufene probeweise Beschulung des Antragstellers im Haus T. gezeigt. Auch die Antragsgegnerin bestreitet dementsprechend nicht die Geeignetheit des Hauses T. als einzige Möglichkeit des Antragstellers zum Besuch einer Schule. Damit ist die Antragsgegnerin sehr wahrscheinlich zur Übernahme der Kosten für den Besuch der Sonderschule im Haus T. durch den Antragsteller verpflichtet.
Zur Begründung ihrer Ablehnung der Übernahme der Kosten dieses Schulbesuchs beruft sich die Antragsgegnerin allein auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R - (juris). Die Berufung auf dieses Urteil geht aber, wie die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers überzeugend ausgeführt hat, wohl aus mehreren Gründen fehl.
Zum einen unterscheidet sich der vorliegende Fall des Antragstellers von dem Fall, der dem genannten Urteil des Bundessozialgerichts zugrunde lag, darin, dass es für den Antragsteller nach unbestrittener Aktenlage keine andere Möglichkeit des Besuchs einer Schule als den Besuch der Privatschule im Haus T. (mehr) gibt, während es in dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall eine Alternative in Form einer staatlichen Schule gab. Der Kläger in dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall entschied sich für die Privatschule allein aus pädagogischen Gründen, das heißt, weil er bzw. seine Sorgeberechtigten den waldorfpädagogischen Ansatz der Privatschule bevorzugten. Im Fall des Antragstellers gibt es eine solche Auswahlmöglichkeit nicht, vielmehr gibt es für den Antragsteller nur die Alternative, entweder die Sonderschule im Haus T. oder bis zum Ende der Schulpflicht überhaupt keine Schule mehr zu besuchen. Ob für den Antragsteller tatsächlich die reale Möglichkeit einer Hausbeschulung durch eine amtliche Lehrkraft besteht, ist offen, wird aber jedenfalls wohl derzeit nicht praktiziert. Abgesehen davon ist es höchst fraglich und bedürfte näherer Begründung durch sozialpädagogisch gebildete Fachkräfte, ob eine solche in isolierter (häuslicher) Umgebung durchgeführte Beschulung eine zur Eingliederung des Antragstellers ins soziale Leben geeignete Maßnahme darstellt.
Zum anderen überbewertet die Antragsgegnerin die Ausführungen des Bundessozialgerichts in dem genannten Urteil zum Ausschluss von Schulgeld aus dem Leistungskatalog der Eingliederungshilfe. Das Bundessozialgericht hat dort zwar dem 2. Halbsatz von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII, wonach die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt bleiben, entnommen, dass die schulrechtlichen Verpflichtungen neben den sozialhilferechtlichen stehen und dass der Staat mit der Einrichtung der öffentlichen Schulen seinem Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG nachkomme und dass es deshalb keinen Rechtsanspruch gegen den Sozialhilfeträger auf Übernahme von Aufnahmebeiträgen und monatliches Schulgeld für den Besuch einer privaten Grundschule als Sozialhilfeleistung zur Deckung eines im Grundschulalter angemessenen Bildungsbedarfs gebe (vgl. BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R - juris RdNr. 16). Diese Aussage betrifft aber nur die Schulbildung selbst, also den Kernbereich der pädagogischen Arbeit, zu dem alle schulischen Maßnahmen gehören, die dazu dienen, die staatlichen Lernziele zu erreichen, in erster Linie also der (unentgeltliche) Unterricht, der die für einen erfolgreichen Schulabschluss notwendigen Kenntnisse vermitteln soll. Nicht ausgeschlossen ist demgegenüber das (nachrangige) Eintreten der Sozialhilfe für Bedarfe, die nicht in der Deckung des unmittelbaren Ausbildungsbedarfs im Rahmen der Schulpflicht bestehen, sondern damit lediglich - mehr oder weniger eng - zusammenhängen, etwa wie bei der Bereitstellung eines Integrationshelfers für behinderte Kinder an Regelschulen (siehe BSG, Urteil vom 15.11.2012, a.a.O., juris RdNrn. 15 und 16 a. E.; siehe auch BSG, Urteil vom 22.03.2012, NVwZ-RR 2012, 968). Diese Rechtsprechung ist nicht neu, sie liegt vielmehr auf einer Linie mit der seit Jahrzehnten praktizierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die das Bundessozialgerichts in dem genannten Urteil mehrfach ausdrücklich Bezug nimmt (vgl. hierzu insbes. BVerwG, Urteil vom 13.08.1992, NVwZ 1993, 691). Danach ist es seit Langem anerkannt, dass für die Übernahme von Schulgeld grundsätzlich kein Raum ist, dass aber Ausnahmen dann anzunehmen sind, wenn der Besuch einer öffentlichen Grundschule aus objektiven Gründen (z. B. wegen ihrer räumlichen Entfernung vom Wohnort) oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, wobei rein pädagogische Gesichtspunkte die Anerkennung einer solchen Ausnahme nicht rechtfertigen (siehe BVerwG, Urteil vom 13.08.1992, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 02.09.2003 - 5 B 259.02 -, juris, sowie Urteil vom 22.05.1975, FEVS 23, 403). Soweit die mit dem Besuch einer Schule verbundenen Kosten Leistungen betreffen, die über die (bloße) Vermittlung von Lernstoff und das damit zwangsläufig verbundene Maß an Betreuung hinausgehen und „ein besonderes Maß physischen und psychischen Rüstzeugs“ zu Verfügung stellen, das für eine wenigstens zeitweise Integration eines behinderten Schülers in die Schule erforderlich ist, steht der durch die Lernmittelfreiheit gedeckte Schulbedarf der Kostentragung durch den Sozialleistungsträger nicht entgegen (so u. a. BVerwG, Urteil vom 22.05.1975, a.a.O.; vgl. auch LSG Berl.-Brandenb., Beschluss vom 09.01.20013 - L 23 SO 296/12 B ER -, juris; Bayer. VGH, Beschluss vom 21.02.2013 - 12 CE 12.2136 -, juris).
10 
Nach diesen Grundsätzen können die vom Träger des Hauses T. geforderten Unkosten bzw. Vergütungen für eine Aufnahme und Betreuung des Antragstellers in dieser Einrichtung sehr wahrscheinlich nicht in dem im Urteil des Bundessozialgerichts vom 15.11.2012 (a.a.O.) genannten Sinn als Schulgeld bezeichnet und danach aus dem Leistungskatalog der Eingliederungshilfe ausgeschlossen werden. Die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat in ihrer Antragsbegründung die Behauptung aufgestellt, die Kosten für die Schulbildung (im engeren Sinne) selbst würden beim Haus T. vom Land Baden-Württemberg getragen. Diese Behauptung erscheint plausibel und die Antragsgegnerin hat ihr nicht widersprochen. Für die Richtigkeit dieser Behauptung spricht auch die zwischen dem Träger des Hauses T., der Antragsgegnerin und dem Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg geschlossene Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII, wonach für ein „Tagesstrukturierendes Angebot für Menschen mit Behinderungen in der (Sonder-)Schule“ eine Vergütung mit einem Tagessatz von (insges.) 13,22 EUR ganztags bzw. 6,63 EUR vereinbart worden ist. Dabei handelt es sich um genau die Leistung und die Beträge, für die der Antragsteller eine Kostenübernahme begehrt. Dass die Antragsgegnerin und der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg mit dieser Vereinbarung Kosten für Leistungen übernehmen wollten, die nicht in ihre Zuständigkeitsbereiche der Sozial- oder Jugendhilfe fallen, sondern Aufgabe der staatlichen Schulverwaltung sind, wäre zum einen wohl mit § 75 SGB XII nicht zu vereinbaren und hält die Kammer auch aus wirtschaftlichen Gründen für wenig wahrscheinlich.
11 
Der Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass der Antragsteller ohne Bewilligung der Kostenübernahme für den Besuch der Schule im Haus T. vom Schulbesuch ausgeschlossen ist, da seine Eltern selbst Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch beziehen und deshalb wirtschaftlich nicht in der Lage sind, die Kosten auch nur vorübergehend zu übernehmen. Mit jedem Tag, an dem keine Zusage einer Kostendeckung für die Aufnahme in das Haus T. vorliegt, verliert der Antragstelle einen Tag des Schulbesuchs, der für seine Eingliederung in das gesellschaftliche Leben von großer Bedeutung ist.
12 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).
13 
Der Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist für die Beteiligten unanfechtbar (§§ 166 VwGO, 127 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

 
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht Stuttgart (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 ). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 1997, 479, 480; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Erforderlich ist mithin - neben dem mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Erfolg in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) - die Dringlichkeit der erstrebten vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund; vgl. hierzu schon Senatsbeschluss vom 23. März 2005 - L 7 SO 675/05 ER-B - ).
Die Erfolgsaussicht in der Hauptsache ist in Ansehung des sich aus Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtschutz (Artikel 19 Abs. 4 GG) unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (Beschluss des Senats vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - unter Hinweis auf BVerfG NJW 1997 a.a.O. und NVwZ 2005 a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/06 ER-B - FEVS 57, 72, vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 und vom 21. Juli 2006 - L 7 AS 2129/06 ER-B ).
Die genannten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind - wie es das SG zu Recht angenommen hat - hier gegeben.
Es spricht einiges dafür, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) dahingehend hat, dass er zum Besuch der R. schule in E. in nennenswertem Umfang einen Schulbegleiter braucht. Dieser hat keine Bildungsvermittlung zu betreiben, sondern er muss den Antragsteller durch körperliche Signale in die Lage versetzen, am Unterricht teilzunehmen und auch nebenher die Ernährung und Körperhygiene nicht zu vergessen. Dass der Antragsteller wegen der Folgen des festgestellten frühkindlichen Autismus dem berechtigten Personenkreis angehört, weil er zu den behinderten Menschen im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII gehört, ist zwischen den Beteiligten unstreitig und nach Lage der Akten auch offensichtlich. Er kann daher grundsätzlich nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII Anspruch auf Leistungen des Sozialhilfeträgers in Form von Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung haben. Zwar ist nach § 15 des Schulgesetzes die pädagogische Förderung der Schülerinnen und Schüler primär Aufgabe der Schule. Damit sind jedoch - wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ergibt - ergänzende Leistungen der Eingliederungshilfe nicht vollständig ausgeschlossen. Dies ist in der Rechtsprechung unstreitig für die Fälle so genannter Schulbegleiter von behinderten Menschen, die eine Regelschule besuchen. Hier besteht zum einen eine Bindung des Sozialhilfeträgers an die Entscheidung der Schulbehörde über die Zuweisung zu einer Schulart und zum zweiten die unmittelbar einsichtige Notwendigkeit zusätzlicher Integrationsleistungen und Hilfestellungen für behinderte Kinder, auf deren spezielle Bedürfnisse das Angebot der Regelschule naturgemäß nicht zugeschnitten ist (vgl. hierzu grundlegend zum insoweit inhaltsgleichen früheren Recht des Bundessozialhilfegesetzes Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. Januar 1986 - 5 C 36/84 -, FEVS 36, 1 und Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Juli 2003 - 12 A 10410/03 - ZfSH/SGB 2003, 614). Aber auch beim Besuch einer grundsätzlich auf die Behinderung des Kindes zugeschnittenen Sonderschule ist ein ergänzender sozialhilferechtlicher Eingliederungsbedarf nicht generell ausgeschlossen. Dies sehen selbst die Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg (SHR) zum SGB XII in der derzeit geltenden Fassung vor, wie sich aus Rdnr. 54.13/2 unter 3 SHR ergibt. Dort wird ausgeführt, dass pädagogische Maßnahmen im Sinne des Bildungsauftrages in den Verantwortungsbereich der Schule fallen und dass Eingliederungshilfe nur für Assistenzdienste in Betracht kommt. Sie bemesse sich nach der festgestellten, notwendigen Begleitung durch eine schulfremde Person. In diesem Sinne hat auch das Sächsische Landessozialgericht (LSG) einen Eingliederungshilfebedarf trotz des Besuchs einer Sonderschule sogar in einem Fall für möglich gehalten, in dem die Schulbehörde den Bedarf für einen Integrationshelfer geprüft und verneint hatte (Beschluss vom 24. Juli 2006 - L 3 B 81/06 SO-ER - ; so auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 23. Februar 2006 - 12 ME 474/05 - ). Der Sozialhilfeträger hat hier über den Hilfebedarf in eigener Verantwortung zu entscheiden (so zu Recht Sächsisches LSG a.a.O.). Erforderlich ist in jedem Fall, dass der eigentlich sonderpädagogische Bedarf von dem behinderungsbedingten (zusätzlichen) Eingliederungsbedarf abgegrenzt wird. Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe des Sozialhilfeträgers, die sonderpädagogische Förderung behinderter Schüler in die eigene Hand zu nehmen (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. Juli 1997 - 6 S 9/97 -, FEVS 48, 228).
Wendet man diese Grundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall an, spricht vieles dafür, dass jedenfalls in der derzeitigen Schulsituation ein neben dem Bildungsbedarf bestehender Eingliederungsbedarf des Antragstellers durch die von ihm besuchte Schule nicht vollständig gedeckt werden kann. Diesen Schluss zieht der Senat aus verschiedenen aktenkundigen Äußerungen und Stellungnahmen. Im Rahmen eines teilstationären Aufenthalts des Antragstellers in einem Fachkrankenhaus für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 13. Juni bis zum 4. Juli 2006 kam die behandelnde Stationsärztin zu dem Ergebnis, wegen schwerer Defizite sei - vor allem im Schulbereich - davon auszugehen, dass ein adäquates Lernverhalten nur mit Einzelbetreuung zu erwarten sei. Dieser Klinikaufenthalt war notwendig geworden, weil die Nahrungsverweigerung bedenkliche Ausmaße angenommen hatte. Bereits dieser Ablauf ist ein Hinweis darauf, dass der speziellen Problematik des Antragstellers offenbar in der Schule nicht ausreichend begegnet werden konnte. Die Klassenlehrerin des Antragstellers befürwortete in Konsequenz der schwierigen Situation im Sommer 2005 eine dauerhafte Schulbegleitung ausdrücklich, da er mit persönlicher, länger andauernder Unterstützung zu mehr Leistung und Teilnahme am Schulalltag befähigt werde.
Der pädagogische Berater Autismus des Amtes für Schule und Bildung befürwortete im Januar 2006 dringend den Einsatz einer Fachkraft als „Übersetzer“, da weitere Regression zu befürchten sei. Hierfür seien acht Wochenstunden Unterrichtsbegleitung ausreichend.
Der Schulleiter der vom Antragsteller besuchten Sonderschule erklärte in einem Schreiben vom 6. April 2005, die personellen Ressourcen der Schule ermöglichten es nicht, für den Antragsteller eine durchgängige fachlich qualifizierte Einzelbegleitung während einer normalen Schulwoche zu gewährleisten, weshalb eine personenbezogene Schulbegleitung dringend angezeigt sei. Derselbe Schulleiter äußerte sich am 22. September 2006 gegenüber dem SG allerdings dahingehend, in der Schule sei ein Schulbegleiter nicht erforderlich. Diese ausdrücklich als vorbehaltlich bezeichnete Einschätzung relativierte er in diesem Beschwerdeverfahren in einem Schreiben vom 4. Dezember 2006 wieder und führte aus, es sei nicht durchgängig möglich, jederzeit direkte strukturklärende Hilfestellung durch Handführung/Körperberührung zu geben, da auch die anderen Schüler Unterstützung und Anleitung benötigten. Weiter heißt es in dieser Stellungnahme, stützende Impulse hinsichtlich der Nahrungsaufnahme könnten nur dann gegeben werden, wenn der Unterrichtsfluss für die anderen Schüler dadurch nicht zu sehr beeinträchtigt werde. Die Ankunft werde einmal in der Woche durch die morgendliche Busaufsicht der Klassenlehrerin begleitet.
10 
Diese Ausführungen, die auf eine Anfrage der Schulbehörde zurückgehen, welche einen Hilfebedarf für verschiedene Situationen in der Schule angenommen hatte, belegen, dass jedenfalls im Augenblick nicht mit der notwendigen Sicherheit gesagt werden kann, die Schule decke den kompletten Eingliederungsbedarf des Antragstellers. Die Sachlage stellt sich eher so dar, dass zusätzlich zu der inhaltlich pädagogischen Betreuung Hilfestellung vor allem in den von den Lehrerinnen nicht intensiv beaufsichtigten Situationen (Ankunft, Pause) und vor allem hinsichtlich der im Falle des Antragstellers problematischen Ernährung gegeben ist. Da nach ärztlichem Urteil für diese Ernährung aber möglichst umfangreich und zu möglichst vielen Zeitpunkten gesorgt werden sollte, muss derzeit durchaus von einem ergänzenden Eingliederungsbedarf ausgegangen werden, der mit der sonderpädagogischen Betreuung nicht gedeckt werden kann, aber gleichwohl auch während Unterrichtsstunden entsteht und gerade nicht vollständig durch die Lehrerinnen befriedigt werden kann, deren primäre Aufgabe nicht die Gewährleistung ausreichender Ernährung der Schüler ist.
11 
Die Tatsache, dass der Antragsteller trotz der schulischen Betreuung im Sommer 2006 in die genannte Fachklinik aufgenommen werden musste, weil sich sein Ernährungszustand als bedenklich herausgestellt hatte, belegt im Übrigen ausreichend, dass in diesem Bereich ein Defizit vorhanden ist.
12 
Fasst man diese sachverständigen Äußerungen und die genannten Ereignisse zusammen, so kann ein Bedarf für eine Begleitung im Bereich von Ankunft, Abfahrt, Pausen und auch während einer bestimmten Zahl von Unterrichtsstunden nicht verneint werden.
13 
Fraglich ist allerdings, ob der grundsätzlich bestehende Hilfebedarf die Beschäftigung einer Erzieherin - noch dazu aus einem weit entfernten Ort - und ihren Einsatz während der gesamten Schulunterrichtszeit sowie bei jeder Ankunft und Abfahrt erfordert. Insoweit ist der angegriffene Beschluss auch nicht ausreichend klar. Das SG hat nicht ausdrücklich bestimmt, in welchem zeitlichen Umfang und mit welcher fachlichen Qualifikation die Begleitung des Antragstellers erforderlich ist. Von den Beteiligten ist der Beschluss so verstanden worden, dass die von den Eltern des Antragstellers vorgeschlagene Betreuung durch eine Angehörige des Arbeitersamariterbundes U. während der gesamten Unterrichtszeit und bei Ankunft und Abfahrt gemeint sei. In diesem Sinn wird der Beschluss derzeit ausgeführt. Eine solche Interpretation der Situation ist nicht zwingend. Die letzte Auskunft des Schulleiters vom 4. Dezember 2006 enthält Hinweise darauf, dass ein Teil der erforderlichen Hilfestellungen auch von der Schule gegeben werden kann.
14 
Der Senat sieht gleichwohl keine Veranlassung, den Beschluss für die erfasste Zeit bis Ende Januar 2007 zu ändern. Dies beruht u.a. darauf, dass zum jetzigen Zeitpunkt der Zeitraum weitgehend verstrichen ist und darauf, dass die Leistung tatsächlich erbracht wurde und wird und ein rascher Wechsel in der Betreuungssituation dem Antragsteller nicht zugemutet werden soll.
15 
Die Aufrechterhaltung des Beschlusses des SG beruht auch auf einer im Rahmen der Entscheidung über eine einstweiligen Anordnung hier erforderlichen Folgenabwägung. Die Reduzierung des Betreuungsaufwandes für die Vergangenheit wäre ohnehin nur in Form einer finanziellen Rückabwicklung denkbar, die jedoch nach Auffassung des Senats nicht eilbedürftig ist. Die Reduzierung für den verbleibenden Zeitraum im Januar hätte möglicherweise schwerwiegende Folgen bei dem offenbar äußerst sensibel auf äußere Veränderungen reagierenden Antragsteller zur Folge. Im Augenblick könnte eine sofortige Reduzierung des Betreuungsaufwandes mit dem Risiko verbunden sein, die bisher erzielten Integrationserfolge in Frage zu stellen oder zu gefährden.
16 
Der Senat erlaubt sich abschließend den Hinweis, dass im Falle des Antragstellers auch ernsthaft über einen Schulwechsel nachgedacht werden sollte. Nach den Schilderungen der Eltern des Antragstellers im Erörterungstermin vom 4. Januar 2007 und den vorliegenden Auskünften der Schule ist es immerhin denkbar, dass die konkrete Schule mit dem besonderen Förderungsbedarf eines autistischen Kindes nicht ausreichend vertraut ist, weshalb aus diesem Grund zusätzlicher Betreuungsbedarf außerhalb der Möglichkeiten der Schule besteht, der in anderen Einrichtungen vom dortigen Personal ganz oder teilweise gedeckt werden könnte. Solange der Antragsteller jedoch die jetzige Schule besucht und sich dort die Betreuung nicht ändert, dürfte er Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten einer - ggf. nur temporär tätigen - Schulbegleiterin haben.
17 
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
18 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. November 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Übernahme von Schulgeld in Höhe von 303,92 Euro monatlich für die Zeit vom 1.8.2005 bis 18.10.2009 nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

2

Der 1997 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an dem sogenannten Rubinstein-Taybi-Syndrom mit Absence-Epilepsie, verzögerter Entwicklung, Minderwuchs und geistiger Behinderung, verbunden mit Hyperaktivität und teilweiser Aggressivität. Er lebt seit seinem 4. Lebensmonat in einer Pflegefamilie, in die er direkt nach dem Klinikaufenthalt nach seiner Geburt aufgenommen wurde. Das staatliche Schulamt für den Landkreis G. und den V. stellte beim Kläger einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Sinne des Besuchs einer Schule für praktisch Bildbare fest und wies ihn zum 1.8.2005 der staatlichen M.-Schule in G. zu. Da die Pflegeeltern die sonderpädagogische Förderung des Klägers an der nach den Grundsätzen der anthroposophischen Heilpädagogik und der Waldorfpädagogik unterrichtenden privaten B.-Schule wünschten, erklärte das staatliche Schulamt gleichzeitig sein Einverständnis, den sonderpädagogischen Förderbedarf dort zu erfüllen, sofern die Frage der Kostenübernahme mit dem Schulverwaltungsamt des Kreisausschusses des Landkreises G. geklärt sei (Bescheid vom 31.5.2005). Nachdem die Pflegeeltern für den Kläger mit dem Träger der B.-Schule einen Schulvertrag ab 1.8.2005 abgeschlossen und dabei ein monatliches Schulgeld in Höhe von 303,92 Euro vereinbart hatten, wurde der Kläger am 5.9.2005 in die B.-Schule eingeschult. Den vom Träger der Schule - nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) - namens und im Auftrag der Pflegeeltern gestellten Antrag auf Übernahme des Schulgelds lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 22.6.2005; Widerspruchsbescheid vom 19.4.2006).

3

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 11.11.2008; Urteil des Hessischen LSG vom 22.11.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Besuch der B.-Schule sei keine für eine angemessene Schulbildung des Klägers erforderliche Maßnahme. Hieran ändere auch die schulrechtliche Einstufung durch das staatliche Schulamt, an die der Sozialhilfeträger gebunden sei, nichts, weil eine Zuweisung nur an die staatliche M.-Schule erfolgt sei, während der Besuch der B.-Schule ausschließlich als mögliche Beschulungsalternative gestattet worden sei. Beide Schulen seien geeignete Förderschulen zur Erfüllung des besonderen sonderpädagogischen Bedarfs des Klägers. Auch das Elternrecht aus Art 6 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) biete als Abwehrrecht keinen Anspruch auf Vermittlung pädagogischer Lehrinhalte und Bildungsziele außerhalb öffentlicher Schulen. Ein Anspruch könne auch nicht aus Art 7 Abs 4 Satz 1 GG hergeleitet werden, weil insoweit nur das private Ersatzschulwesen geschützt werde, nicht jedoch auch das Recht der Eltern, eine private Ersatzschule kostenfrei zu wählen.

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII und § 12 Eingliederungshilfeverordnung (Eingliederungshilfe-VO) und macht Verfahrensfehler geltend. Zu Unrecht gehe das LSG davon aus, dass der Besuch einer privaten Förderschule und der damit verbundene Schulgeldaufwand bei Bestehen einer gleichwertigen kostenfreien Beschulungsmöglichkeit nicht erforderlich iS von § 12 Eingliederungshilfe-VO sei. Zwar hätte sein schulischer Förderbedarf auch durch den Besuch der M.-Schule sichergestellt werden können; das Berufungsgericht lasse aber unberücksichtigt, dass die Pflegeeltern mit ihrer Auswahlentscheidung den von den staatlichen Schulbehörden eingeräumten Rahmen mit einer für den beklagten Sozialhilfeträger ebenso verbindlichen Weise ausgefüllt hätten, wie dies durch eine förmliche Zuweisung der Schulbehörden geschehen wäre. Folge man der Auffassung des LSG liefen das eingeräumte Wahlrecht und letztlich die Bestimmung des § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII leer, wenn Eltern die mit dem Schulbesuch verbundenen Kosten nicht aufbringen könnten. Sei schulrechtlich eine Wahlfreiheit zwischen öffentlicher Förder- und privater Ersatzschule eröffnet, setze eine generelle Beschränkung der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung auf den Besuch öffentlicher Schulen nach der Rechtsprechung des 6. Senats des LSG (Urteil vom 18.8.2010 - L 6 SO 5/10) verfassungsrechtlich eine ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers voraus. Durch den unterlassenen Hinweis, dem 6. Senat nicht folgen zu wollen, habe das LSG das rechtliche Gehör verletzt (Überraschungsentscheidung). Auch habe sich das LSG nicht mit dem Vortrag auseinandergesetzt, dass der Beklagte mit seiner (des Klägers) Beschulung in der B.-Schule einverstanden gewesen sei und sich hieraus die Verpflichtung ableite, auch für die entstehenden Beschulungskosten einzustehen. Unterblieben sei schließlich die Prüfung, ob eine Aufnahme in die M.-Schule nicht an Kapazitäts- oder anderen Gründen gescheitert wäre.

5

Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid des Beklagten vom 22.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.4.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm 303,92 Euro monatlich für die Zeit vom 1.8.2005 bis 18.10.2009 zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Auffassung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des monatlichen Schulgelds in Höhe von 303,92 Euro bzw in Höhe des für Oktober 2009 maßgeblichen Teils davon für den Besuch der B.-Schule.

9

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zulässigerweise nur der Bescheid des Beklagten vom 22.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.4.2006 (§ 95 SGG) über die Ablehnung der Übernahme des Schulgelds als abgrenzbaren Streitgegenstand im Rahmen der Eingliederungshilfe. Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 iVm § 56 SGG). Sozial erfahrene Dritte waren vor Erlass des Widerspruchsbescheids nicht zu beteiligen (§ 116 Abs 2 SGB XII in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 iVm § 8 Abs 2 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 20.12.2004 - GVBl 488). Nicht Streitgegenstand sind Leistungen für den Lebensunterhalt, auch nicht im Rahmen des sog Meistbegünstigungsprinzips, wonach zur Sicherstellung einer möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte (§ 2 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -; vgl dazu: Voelzke in juris PraxisKommentar SGB I, 2. Aufl 2011 - online -, § 2 RdNr 26; Steinbach in Hauck/Noftz, SGB I, K § 2 RdNr 44, Stand Dezember 2005), Anträge bzw Rechtsbehelfe ohne Bindung an den Wortlaut nach dem wirklichen Willen des Antragstellers auszulegen sind (BSG SozR 4-3500 § 44 Nr 2 RdNr 13); denn eine abweichende Festlegung des Bedarfs wegen der Verpflichtung zur Zahlung des Schulgelds (§ 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII) kommt ohnedies nicht in Betracht (siehe dazu unten).

10

Nach § 53 Abs 1 Satz 1(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) iVm § 54 Abs 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch; für die Zeit ab 5.8.2009 in der Normfassung des Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009 - BGBl I 2495) erhalten Personen, die durch eine Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.

11

Vorliegend ist es schon fraglich, ob der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 3 Abs 1 HAG/SGB XII idF des Gesetzes vom 20.12.2004) für den streitigen Anspruch auf Übernahme des Schulgelds als Leistung der Eingliederungshilfe der sachlich zuständige Sozialhilfeträger ist. Abweichend von § 100 Bundessozialhilfegesetz(BSHG; in der nach Art 68 Abs 2 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch bis 31.12.2006 fortgeltenden Fassung) bzw ab 1.7.2007 § 97 Abs 3 Nr 1 SGB XII (Art 70 Abs 2 S 6 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) regelt § 97 Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm § 2 Abs 1 Nr 1 HAG/SGB XII(bis 31.6.2006 in der nach § 13 Abs 3 HAG/SGB XII bestimmten Fassung) die sachliche Zuständigkeit von örtlichem bzw überörtlichem Sozialhilfeträger. Danach ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe für Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII nur sachlich zuständig, sofern diese in einer Einrichtung zur stationären oder teilstationären Betreuung zu gewähren sind. Eine (teilstationäre) "Einrichtung" im Sinne des SGB XII (§ 13 SGB XII)ist ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist und Leistungen der Sozialhilfe erbringt (BVerwGE 95, 149, 152; Bundesverwaltungsgericht , Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 -, FEVS 45, 52 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 13/91 -, FEVS 45, 183 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 17/91 -, ZfSH/SGB 1995, 535 ff; BSGE 106, 264 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2).

12

Ob eine Schule (anders als etwa die der Schule angegliederte Behinderteneinrichtung) eine teilstationäre Einrichtung in diesem Sinne ist, insbesondere Leistungen der Sozialhilfe erbringt (vgl dazu BVerwGE 48, 228, 231, das zwischen allgemeinen Schulen und Schulen unterscheidet, in denen über die bloße Vermittlung des Lernstoffs hinaus ein besonderes Maß an Betreuung erforderlich ist), ist zweifelhaft, wobei es für die Ablehnung der Leistung wegen Unzuständigkeit genügt, dass Sozialhilfeleistungen geltend gemacht werden. Für die Begründung der sachlichen Zuständigkeit ist es jedenfalls nicht - wie der Beklagte meint - ausreichend, dass er aufgrund langjähriger Praxis bei Pflegefamilienverhältnissen (im Rahmen des § 97 Abs 5 SGB XII) auch die Begleitkosten übernimmt, sofern diese übernahmefähig sind. Eine solche Annex-Kompetenz, wie sie etwa § 2 Abs 2 HAG/SGB XII(in der bis 31.12.2006 geltenden Fassung) vorsieht, setzt nämlich die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers für die im Rahmen eines Pflegefamilienverhältnisses zu erbringende Eingliederungshilfe voraus, an der es vorliegend fehlen könnte. Im Ergebnis kann diese Frage aber dahingestellt bleiben, weil der Kläger auch bei unterstellter sachlicher Zuständigkeit des Beklagten keinen Anspruch auf die im Streit stehende Leistung hat.

13

Der Kläger erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII für eine Pflichtleistung. Die Voraussetzungen für eine Behinderung nach § 2 Abs 1 SGB IX sind erfüllt, wenn die geistige Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach den Feststellungen des LSG liegt eine solche Behinderung vor.

14

Die geistige Behinderung ist auch wesentlich. Wann dies der Fall ist, ist § 2 Eingliederungshilfe-VO zu entnehmen, wonach eine wesentliche Behinderung vorliegt, wenn infolge einer Schwäche der geistigen Kräfte in erheblichem Umfang die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft eingeschränkt ist. Dies richtet sich nach den Besonderheiten des Einzelfalls und hängt deshalb von sehr unterschiedlichen, durch die individuelle Behinderung geprägten Umständen ab (BVerwG Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr 12 S 2). Insoweit ist wie bei der Prüfung der Behinderung auch ihre Wesentlichkeit wertend auszurichten, insbesondere an den Auswirkungen für die Eingliederung in die Gesellschaft. Entscheidend ist mithin nicht, wie stark die geistigen Kräfte beeinträchtigt sind und in welchem Umfang ein Funktionsdefizit vorliegt, sondern wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit auswirkt (vgl BSGE 110, 301 ff RdNr 19 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8). Stehen - wie hier - die mit einer Behinderung einhergehenden Beeinträchtigungen der erfolgreichen Teilnahme des Klägers am Unterricht in einer allgemeinen (Grund-)Schule entgegen (vgl auch BVerwG, Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02), weil Lerninhalte ohne zusätzliche Hilfestellung nicht aufgenommen und verarbeitet werden können, und erfordert die geistige Behinderung deshalb einen sonderpädagogischen Förderbedarf, um die mögliche Vermittlung praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten überhaupt erst zu ermöglichen, ist die Behinderung nach den oben aufgezeigten Grundsätzen wesentlich; denn eine Grundschulbildung bildet die essentielle Basis für jegliche weitere Schullaufbahn (vgl: BSGE 110, 301 ff RdNr 19 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8; BSGE 109, 199 ff RdNr 22 = SozR 4-2500 § 33 Nr 37).

15

Gehört der Kläger danach zwar zu dem leistungsberechtigten Personenkreis, scheitert ein Anspruch auf die Zahlung des Schulgelds aber daran, dass es sich insoweit nicht um eine Leistung der Eingliederungshilfe handelt. Nach § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Erfasst sind von dem Wortlaut der Vorschrift ("Hilfen") nur Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSGE 110, 301 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8). Dies bestätigt auch § 12 Eingliederungshilfe-VO, der seinerseits nur von "Hilfe zu einer angemessenen Schulausbildung" spricht. Die von dieser Hilfe nach § 12 Eingliederungshilfe-VO (auch) erfassten Regelbeispiele betreffen dementsprechend nur die Schulbildung begleitende Maßnahmen. Die Schulbildung selbst, also der Kernbereich der pädagogischen Arbeit, der sich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmt, obliegt hingegen allein den Schulträgern. Art 7 Abs 1 GG überträgt dem Staat einen (außerhalb des Sozialhilferechts liegenden) eigenständigen Unterrichts- und Bildungsauftrag im Schulbereich (BSG, aaO, RdNr 21; BVerfGE 47, 46, 71 f; 98, 218, 241).

16

Dass der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule den Regelungen über die Eingliederungshilfe entzogen ist, bestätigt § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII dadurch, dass die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht(hier: Art 56 ff Hessische Landesverfassung iVm dem Hessischen Schulgesetz idF vom 14.6.2005 - GVBl 441) unberührt bleiben sollen. Die schulrechtlichen Verpflichtungen bestehen also grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen (BSG aaO). Auch das BVerwG hat in seiner Entscheidung vom 13.8.1992 - 5 C 70/88 - (Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr 16 S 3) ausgeführt, dass der Staat mit der Einrichtung der öffentlichen Grundschulen seinen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art 7 Abs 1 GG nachkomme und die Schulgeldfreiheit aus übergreifenden bildungs- und sozialpolitischen Gründen eine eigenständige (landesrechtliche) Regelung außerhalb des Sozialhilferechts gefunden habe, sodass für einen Rechtsanspruch gegen den Sozialhilfeträger zur Deckung eines im Grundschulalter angemessenen Bildungsbedarfs Aufnahmebeiträge und monatliches Schulgeld für den Besuch einer privaten Grundschule als Sozialhilfeleistung nicht zu übernehmen seien. Dabei ist das BVerwG in Bezug auf die erforderliche Hilfe nicht von einer nach Maßgabe des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe zu lösenden Anspruchskonkurrenz, sondern von einem Verhältnis der "Spezialität" ausgegangen, wobei es eine Ausnahme von diesem Grundsatz für möglich hielt, wenn der Besuch einer öffentlichen Grundschule aus objektiven Gründen (zB wegen ihrer räumlichen Entfernung vom Wohnort) oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Diese Rechtsprechung hat das BVerwG auch für Leistungen der Eingliederungshilfe bestätigt (Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02) und ausdrücklich ausgeführt, dass ein nachrangiges Eintreten der Sozialhilfe (nur) für solche Bedarfe nicht ausgeschlossen sei, die nicht in der Deckung des unmittelbaren Ausbildungsbedarfs im Rahmen der Schulpflicht bestünden, sondern damit lediglich - mehr oder weniger eng - zusammenhingen, etwa wie bei der Bereitstellung eines Integrationshelfers für behinderte Kinder an Regelschulen.

17

Nach diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf die Zahlung des Schulgelds als Leistung der Eingliederungshilfe. Zu dem Kernbereich der Schule gehören alle schulischen Maßnahmen, die dazu dienen, die staatlichen Lehrziele zu erreichen, in erster Linie also der (unentgeltliche) Unterricht, der die für den erfolgreichen Abschluss notwendigen Kenntnisse vermitteln soll. Damit unterliegt auch das vom Kläger begehrte Schulgeld unmittelbar diesem Kernbereich, weil die Übernahme des Schulgelds die von der Schule selbst zu erbringende Leistung, also den Unterricht, finanziert, mithin den schulischen Bildungsauftrag erfüllt und keine bloß unterstützende Leistung im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung darstellt. Wie die Entscheidung des Schulamts auszulegen ist und inwieweit sie auch für den Beklagten Bindungswirkung entfaltet (vgl dazu BVerwGE 130, 1 ff), ist danach ohne Belang. Ebenso spielt es in diesem Zusammenhang keine Rolle, dass sich der Beklagte mit der Beschulung in die B.-Schule einverstanden erklärt hat. Die Ausübung eines Wahlrechts, welche Schule besucht wird, hat nicht zur Folge, dass der Sozialhilfeträger ein etwaiges Schulgeld zahlen müsste.

18

Schulgeld wäre - abgesehen davon, dass es hier nicht Streitgegenstand ist (siehe oben) - auch nicht nach den Regelungen des Dritten bzw Vierten Kapitels des SGB XII zu erbringen. Entsprechende Leistungen könnten ggf zwar durch eine abweichende Festlegung des Regelsatzes nach § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII in der bis 31.12.2010 geltenden alten Fassung erbracht werden, dies würde aber voraussetzen, dass der Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abwiche. Der auf das Schulgeld gerichtete höhere Bedarf des Klägers wäre aber nicht unabweisbar. Nach den Feststellungen des LSG besteht für den Kläger eine gleichwertige und unentgeltliche Möglichkeit des Schulbesuchs an der Schule für praktisch Bildbare.

19

Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht schon darin zu sehen, dass das LSG - ohne ausdrücklichen Hinweis - einer Entscheidung eines anderen Senats desselben Gerichts nicht folgt. Da der Kläger unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung des Schulgelds hat, erübrigt sich im Übrigen - weil absolute Revisionsgründe nicht geltend gemacht werden - ein weiteres Eingehen auf den vermeintlichen Verfahrensfehler. Gleiches gilt für die behauptete Gehörsverletzung durch Übergehen des Vortrags, der Beklagte habe sich mit der Beschulung in der B.-Schule einverstanden erklärt (dazu auch oben). Soweit schließlich moniert wird, das LSG habe nicht geprüft, ob die Aufnahme in der M.-Schule an Kapazitäts- oder anderen Gründen gescheitert wäre (Verletzung der Amtsaufklärungspflicht; § 103 SGG), hätte dargelegt werden müssen (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG), warum sich das LSG - trotz Zuweisung des Klägers in die M.-Schule und Streitgegenstandsbegrenzung auf die Eingliederungshilfe - hätte gedrängt fühlen müssen, entsprechende Ermittlungen anzustellen. Für die Eingliederungshilfe wäre jedenfalls eine entsprechende Klärung ohne Bedeutung.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt vom beklagten Landkreis als Träger der Jugendhilfe den Ersatz der Kosten für eine selbst beschaffte Schulbegleitung im Schuljahr 2008/2009.

2

Der 1999 geborene Kläger litt unter anderem an einer Aufmerksamkeitsstörung, einer Störung sozialer Funktionen, einer Sprachstörung, einer kombinierten Störung schulischer Fertigkeiten sowie motorischen Problemen. Er besuchte ab dem Schuljahr 2007/2008 ein Sonderpädagogisches Förderzentrum im Bereich des Beklagten. Dieser gewährte dem Kläger ab November 2007 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten einer heilpädagogischen Einzelbehandlung.

3

Anfang August 2008 beantragte der Kläger die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für eine Schulbegleiterin. Dem Antrag waren eine Bescheinigung des Kinderzentrums München und eine Stellungnahme des Rektors des Sonderpädagogischen Förderzentrums beigefügt, in welchen der Einsatz eines individuellen Schulbegleiters in der Schule befürwortet wird.

4

Der Fachdienst des Jugendamts des Beklagten kam in einer Stellungnahme vom 24. September 2008 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger ein Integrationsrisiko in den Bereichen schulische Anpassung, Bewältigung von sozialen Situationen und sozialen Kompetenzen, allgemeine Selbständigkeit und Selbstwertproblematik, soziale Beziehung zu Familienangehörigen und Freizeitaktivitäten bestehe. Der Fachdienst schlug eine Fortführung der heilpädagogischen Einzelförderung mit zusätzlicher Kleingruppenarbeit und gegebenenfalls parallel eine ambulante Psychotherapie oder eine heilpädagogische Tagesstätte vor.

5

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2008 lehnte der Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme für eine Schulbegleitung mit der Begründung ab, es sei nicht Aufgabe der Jugendhilfe, die Kosten des pädagogischen und integrativen Bedarfs an Förderschulen zu decken. Die Notwendigkeit einer Unterstützung des Klägers im Schulalltag werde vom Fachdienst zwar bestätigt, jedoch sei hierfür vorrangig die Schule heranzuziehen.

6

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Zur Begründung wurde im Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2008 ausgeführt, dass dem Jugendhilfeträger bei der Entscheidung über Notwendigkeit und Geeignetheit einer Hilfe ein Beurteilungsspielraum zustehe. Die Beurteilung des Jugendamtes, dass für den Kläger die Fortführung der heilpädagogischen Einzelförderung und ggf. Psychotherapie oder eine heilpädagogische Tagesstätte die geeignete und notwendige Eingliederungshilfemaßnahme darstelle, sei angemessen, fachlich vertretbar und nachvollziehbar.

7

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, dem Kläger die Kosten für die Schulbegleitung im Schuljahr 2008/2009 zu gewähren. Der Beurteilungsspielraum des Beklagten bei der Auswahl der im Einzelfall zu gewährenden Hilfe sei auf diese Maßnahme reduziert. Der durch die schulische Teilhabebeeinträchtigung ausgelöste Bedarf des Klägers könne trotz der sonderpädagogischen Ausrichtung der Förderschule von dieser nicht ausreichend abgedeckt werden.

8

Der Verwaltungsgerichtshof hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die vom Kläger selbst beschaffte Hilfe eines Schulintegrationshelfers sei für sich genommen fachlich nicht geeignet gewesen. Die nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII - zu gewährende Eingliederungshilfe erfordere eine Hilfe, die dem Hilfebedarf des Behinderten in seiner Gesamtheit gerecht werde. Hier hätten sich die Eltern des Klägers lediglich für eine Schulbegleitung entschieden. Damit seien die übrigen von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche vernachlässigt und dem Kläger eine seinem gesamten Eingliederungsbedarf entsprechende Hilfe vorenthalten worden. Ein solches Vorgehen genüge auch nicht allgemeingültigen fachlichen Maßstäben, weil mögliche negative Wechselwirkungen einer Schulbegleitung - etwa im Bereich der Verselbständigung - mit dem im Übrigen bestehenden Hilfebedarf nicht berücksichtigt worden seien.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 36a Abs. 3 und des § 35a SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII -.

10

Der Beklagte und die beteiligte Landesanwaltschaft verteidigen das angefochtene Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs steht mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht in Einklang (1). Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) (2). Weil der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend entscheiden kann, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) (3).

12

1. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass nur dann ein Anspruch auf Eingliederungshilfe und dementsprechend auf Aufwendungsersatz für eine selbst beschaffte Maßnahme bestehen könne, wenn die Hilfemaßnahme auf die Deckung des Gesamtbedarfs ausgerichtet sei, ist mit § 35a SGB VIII nicht vereinbar.

13

Der Verwaltungsgerichtshof ist jedoch zutreffend davon ausgegangen, dass als Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der verauslagten Aufwendungen für eine Integrationshelferin § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII einschlägig ist. Nach dieser Vorschrift setzt ein Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für Hilfen, die - wie hier - vom Leistungsberechtigten abweichend von § 36a Abs. 1 und 2 SGB VIII selbst beschafft werden, ohne dass eine Entscheidung des Trägers der Jugendhilfe oder eine Zulassung durch diesen vorangegangen ist, voraus, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1), die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorgelegen haben (Nr. 2) und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3).

14

Die Beteiligten streiten zu Recht weder darüber, dass der Kläger den Beklagten mit seinem Anfang August 2008 gestellten Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Bereitstellung einer Schulbegleitung (Integrationshelfers) rechtzeitig (vgl. Urteil vom 11. August 2005 - BVerwG 5 C 18.04 - BVerwGE 124, 83 <86 ff.> = Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 4 S. 10 ff.) vor Beginn des Zeitraums, für den die Übernahme der Aufwendungen beantragt wurde, von dem Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, noch darüber, dass - bei Vorliegen eines Leistungsanspruchs - die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. Im Streit steht allein das Vorliegen der Voraussetzung des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII, hier also die Frage, ob dem Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum ein Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleiterin aus § 35a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zustand. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof mit einer Begründung verneint, die rechtlich nicht trägt.

15

a) Dabei ist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Anforderungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hier erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1) und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2). Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen dessen Annahme - die auch zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht -, dass die seelische Gesundheit des Klägers im streitigen Zeitraum von dem für sein Lebensalter typischen Zustand abwich. Denn danach litt der Kläger unter anderem an einer Aufmerksamkeitsstörung, einer Störung sozialer Funktionen, einer Sprachstörung, einer kombinierten Störung schulischer Fertigkeiten sowie motorischen Problemen. Diese Abweichung führte dazu, dass die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt bzw. eine solche Beeinträchtigung zu erwarten war. So bestand nach der vom Verwaltungsgerichtshof in Bezug genommenen Bewertung des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Beklagten bei dem Kläger ein Integrationsrisiko in den Bereichen schulische Anpassung, allgemeine Selbständigkeit, Bewältigung von sozialen Situationen sowie sozialen Beziehungen zu Familienangehörigen und Freizeitaktivitäten.

16

b) Der Verwaltungsgerichtshof hat weiterhin im Ansatz auch zutreffend angenommen, dass die begehrte Maßnahme als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII einzuordnen ist, die geeignet und erforderlich sein muss, dem behinderten Menschen den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern.

17

Nach § 35a Abs. 3 SGB VIII richten sich Aufgabe und Ziel der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Leistungen nach § 53 Abs. 3 und 4 Satz 1 sowie den §§ 54, 56 und 57 SGB XII, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden. Dementsprechend erhalten nach § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII seelisch behinderte Kinder Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu.

18

Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII kann auf § 12 der Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (EinglHVO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1975 (BGBl I S. 433), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3022), zurückgegriffen werden. § 12 EinglHVO nennt zwar nur noch Maßnahmen zugunsten körperlich oder geistig behinderter Kinder und Jugendlicher. Die Regelung enthält jedoch eine allgemeine Konkretisierung des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII. Mit diesem Inhalt ist sie kraft der Verweisung des § 35a Abs. 3 SGB VIII auch für seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen entsprechend anwendbar (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 15. Juni 2011 - 7 A 10420/11 - JAmt 2011, 594 f. Rn. 39 f.; Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Aufl. 2012, § 35a Rn. 22 m.w.N.).

19

Nach § 12 Nr. 1 EinglHVO gehören zu den Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch heilpädagogische und sonstige Maßnahmen, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Dies schließt alle Leistungen ein, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Eingliederung zu erreichen, d.h. die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mindern (vgl. Urteil vom 28. April 2005 - BVerwG 5 C 20.04 - BVerwGE 123, 316 <318>). Die Zurverfügungstellung einer Schulbegleitung bzw. Integrationshilfe fällt dabei unter den in § 12 Nr. 1 EinglHVO verwandten Begriff der "sonstige(n) Maßnahmen" zugunsten behinderter Kinder (Beschluss vom 2. September 2003 - BVerwG 5 B 259.02 - juris Rn. 15).

20

c) Der tragende Rechtsstandpunkt, mit dem der Verwaltungsgerichtshof das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe durch Bereitstellung einer Schulbegleiterin abgelehnt hat, nämlich der Satz, dass ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII und dementsprechend auf Aufwendungsersatz für eine selbst beschaffte Maßnahme (§ 36a Abs. 3 SGB VIII) nur bestehen könne, wenn diese Hilfe dem Hilfebedarf in seiner Gesamtheit gerecht werde (UA S. 13 Rn. 81 f.), hält aber einer Überprüfung nicht stand. Ein solcher Rechtssatz lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

21

§ 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII trifft selbst keine Regelung darüber, wie ein Hilfebedarf zu decken ist, sondern knüpft (in Nr. 2 der Vorschrift) den Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine selbst beschaffte Hilfe insbesondere daran, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe nach einer anderen Bestimmung des Gesetzes - hier allein in Betracht kommend der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII - vorgelegen haben.

22

Aus der Regelung des § 35a SGB VIII kann der Rechtssatz, dass eine (selbst beschaffte) Hilfemaßnahme, um einen Anspruch auf Kostenübernahme nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII begründen zu können, den gesamten Eingliederungshilfebedarf abdecken muss, ebenfalls nicht abgeleitet werden. Dieser Satz findet weder im Wortlaut des § 35a SGB VIII oder den von dieser Norm in Bezug genommenen Vorschriften eine Verankerung, noch lässt er sich aus der Systematik oder aus dem Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe folgern.

23

Während der Wortlaut des § 35a SGB VIII noch offen ist, spricht die Systematik des Gesetzes in gewichtiger Weise dafür, dass Eingliederungshilfeleistungen auch darauf ausgerichtet sein dürfen, einen Teilbedarf zu decken. So greift § 35a Abs. 3 SGB VIII mit der Inbezugnahme auf § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII und damit die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung selbst einen Teilleistungsbereich heraus und geht davon aus, dass es Hilfen gibt, die gerade auf die Deckung dieses (Teil-) Bedarfs zugeschnitten sind. Die systematische Gesamtschau mit den weiteren von § 35a Abs. 3 SGB VIII in Bezug genommenen Leistungstatbeständen unterstützt dieses Ergebnis. Diese enthalten ebenfalls in der Regel - wie sich aus der jeweiligen Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt - beispielhafte Aufzählungen (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, § 26 Abs. 2 und 3 SGB IX, § 33 Abs. 2, 3 und 6 SGB IX), die ein offenes Leistungssystem normieren und jeweils darauf ausgerichtet sind, den Bedarf in bestimmten Bereichen zu decken (vgl. Urteil vom 18. Oktober 2012 - BVerwG 5 C 15.11 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

24

Dieses Auslegungsergebnis wird durch den Sinn und Zweck der Regelungen über die Eingliederungshilfe bestätigt. Aufgabe und Ziel der Eingliederungshilfe werden durch die über § 35a Abs. 3 SGB VIII entsprechend anwendbare Regelung des § 53 Abs. 3 SGB XII näher bestimmt. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es danach, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern.

25

Im Hinblick auf diese Zwecksetzung geht der Verwaltungsgerichtshof zwar im Ansatz richtig davon aus, dass der Jugendhilfeträger möglichst den gesamten Hilfebedarf abzudecken hat, der durch die seelische Behinderung hervorgerufen wird und deshalb alle von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche in den Blick zu nehmen hat. Hilfebedarfe in unterschiedlichen Lebensbereichen sollen dabei nach Möglichkeit einheitlich abgedeckt werden und etwa die Eingliederungshilfe mit der Erziehungshilfe kombiniert werden (vgl. § 35a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Hilfeleistungen sind demnach so auszuwählen und aufeinander abzustimmen, dass sie den gesamten Bedarf so weit wie möglich erfassen. Denn aus dem (sozialhilferechtlichen) Bedarfsdeckungsgrundsatz, der im Bereich der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe in § 35a Abs. 2 SGB VIII (vgl. "Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall ... geleistet") verankert ist, folgt, dass grundsätzlich der gesamte im konkreten Einzelfall anzuerkennende Hilfebedarf seelisch behinderter oder von einer solchen Behinderung bedrohter Kinder oder Jugendlicher abzudecken ist (vgl. Urteile vom 18. Oktober 2012 a.a.O. und vom 19. Oktober 2011 - BVerwG 5 C 6.11 - Buchholz 436.511 § 10 KJHG/SGB VIII Nr. 6 Rn. 12 m.w.N.). Das erfordert, dass sich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw. im Fall der selbstbeschafften Hilfe der Leistungsberechtigte der Art und Form nach aller Leistungen und Hilfen bedienen kann, die zur Deckung des konkreten und individuellen eingliederungsrechtlichen Bedarfs geeignet und erforderlich sind (Urteil vom 18. Oktober 2012 a.a.O.).

26

Dies kann es jedoch gerade bedingen, dass der durch Teilhabebeeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen erzeugte Hilfebedarf nur durch verschiedene, auf den jeweiligen Bereich zugeschnittene Leistungen abgedeckt werden kann und muss, um die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen. Hilfebedarf in unterschiedlichen Bereichen kann es geboten erscheinen lassen, verschiedene Hilfeleistungen zu kombinieren oder durch mehrere Einzelleistungen den Gesamtbedarf des Hilfebedürftigen abzudecken. Um dem Ziel der Eingliederungshilfe nach möglichst umfassender Bedarfsdeckung in allen von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Bereichen gerecht zu werden, kann es, wenn nicht sogleich der Gesamtbedarf gedeckt werden kann, erforderlich sein, Hilfeleistungen zumindest und zunächst für diejenigen Teilbereiche zu erbringen, in denen dies möglich ist. Steht etwa eine bestimmte Hilfeleistung tatsächlich zeitweilig nicht zur Verfügung oder wird eine bestimmte Hilfe vom Hilfeempfänger oder dessen Erziehungsberechtigten (zeitweise) nicht angenommen, kann es gleichwohl geboten sein, die Hilfen zu gewähren, die den in anderen Teilbereichen bestehenden (akuten) Bedarf abdecken.

27

Etwas anderes kann - mit Blick auf den dargelegten Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe - dann anzunehmen sein, wenn die Gewährung der Hilfe für einen Teilbereich die Erreichung des Eingliederungszieles in anderen von der Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereichen erschweren oder vereiteln würde, es also zu Friktionen zwischen Hilfsmaßnahmen käme. Nachteilige Wechselwirkungen mit anderen Hilfeleistungen können die fachliche Geeignetheit einer (begehrten) Leistung für einen Teilleistungsbereich in Frage stellen. Dies ist eine Frage der fachlich sinnvollen Abstimmung verschiedener Hilfeleistungen aufeinander.

28

Dass der Gesamtbedarf durch eine bestimmte Hilfemaßnahme nicht gedeckt wird, schließt es mithin - entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofs - nicht aus, dass sie geeignet und erforderlich sein kann, einen Teilbedarf zu decken und insoweit ein Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht; es sei denn, die Gewährung der Hilfe für diesen Teilbedarf würde Hilfemaßnahmen für andere von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffene Lebensbereiche vereiteln oder konterkarieren.

29

2. Das Urteil des Verwaltungsgerichthofs erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs kann nicht der rechtliche Schluss gezogen werden, dass eine der (sonstigen) Voraussetzungen für die Übernahme der Aufwendungen für die Schulbegleitung nicht vorliegt und deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht besteht.

30

a) Der Anspruch des Klägers auf den Ersatz von Aufwendungen für die Schulbegleitung gemäß § 36a Abs. 3 SGB VIII scheidet nicht deshalb aus, weil der Beklagte - unter Berücksichtigung seines Einschätzungsspielraums - die begehrte Hilfe mit vertretbaren Erwägungen abgelehnt hat.

31

aa) Die gerichtliche Kontrolldichte ist aufgrund der aus § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII folgenden Steuerungsverantwortung des Jugendhilfeträgers beschränkt. Nach dieser Vorschrift trägt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass es nicht dem gesetzlichen Auftrag des Jugendhilfeträgers entspricht, nur "Zahlstelle" und nicht Leistungsträger zu sein. Das Jugendhilferecht zielt auf eine partnerschaftliche Hilfe unter Achtung familiärer Autonomie und auf kooperative pädagogische Entscheidungsprozesse. Nur wenn die Eltern bzw. der Hilfeempfänger grundsätzlich den Träger der Jugendhilfe von Anfang an in den Entscheidungsprozess einbeziehen, kann er seine aus § 36a Abs. 1, § 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben und die Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB VIII wahrnehmen (Beschluss vom 22. Mai 2008 - BVerwG 5 B 130.07 - JAmt 2008, 600).

32

Weil der Hilfeplan eine unverzichtbare Voraussetzung der Gewährung von Jugendhilfe bildet, ist es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit entscheidend, ob die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe auch ohne eine schriftliche Fixierung in einem Hilfeplan festgestellt werden kann. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des Kindes bzw. des Jugendlichen und mehrerer Fachkräfte handelt, welches nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten soll, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich dabei darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (Urteil vom 24. Juni 1999 - BVerwG 5 C 24.98 - BVerwGE 109, 155 <167>).

33

Dementsprechend ist auch bei der Selbstbeschaffung einer aus fachlichen Gründen abgelehnten bzw. vom Hilfeplan ausgeschlossenen Leistung im Hinblick auf § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu prüfen, ob der vom Jugendamt aufgestellte Hilfeplan (bzw. das Hilfekonzept) verfahrensfehlerfrei zustande gekommen, nicht von sachfremden Erwägungen beeinflusst und fachlich vertretbar ist. Diese Prüfung erstreckt sich dabei nicht auf eine reine Ergebniskontrolle, sondern erfasst auch die von der Behörde - maßgeblich ist die letzte Behördenentscheidung - gegebene Begründung. Denn diese muss für den Betroffenen nachvollziehbar sein, um ihn in die Lage zu versetzen, mittels einer Prognose selbst darüber zu entscheiden, ob eine Selbstbeschaffung (dennoch) gerechtfertigt ist. Hat das Jugendamt die begehrte Hilfe aus im vorgenannten Sinne vertretbaren Erwägungen abgelehnt, besteht weder ein Anspruch des Betroffenen auf die begehrte Eingliederungshilfeleistung noch auf den Ersatz von Aufwendungen für eine selbst beschaffte Hilfe. Der Regelung des § 36a Abs. 3 SGB VIII liegt in dem Sinne der Gedanke des Systemversagens zugrunde, dass die selbst beschaffte Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt worden sein muss (vgl. Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 6. Aufl. 2009, § 36a Rn. 4 m.w.N.).

34

Hat demgegenüber das Jugendamt nicht rechtzeitig oder nicht in einer den vorgenannten Anforderungen entsprechenden Weise über die begehrte Hilfeleistung entschieden, können an dessen Stelle die Betroffenen den sonst der Behörde zustehenden nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen. Denn in dieser Situation sind sie - obgleich ihnen der Sachverstand des Jugendamtes fehlt - dazu gezwungen, im Rahmen der Selbstbeschaffung des § 36a Abs. 3 SGB VIII eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen. Weil nun ihnen die Entscheidung aufgebürdet ist, eine angemessene Lösung für eine Belastungssituation zu treffen, hat dies zur Folge, dass die Verwaltungsgerichte nur das Vorhandensein des jugendhilferechtlichen Bedarfs uneingeschränkt zu prüfen, sich hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften Hilfe aber auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung der Leistungsberechtigten zu beschränken haben. Ist die Entscheidung der Berechtigten in diesem Sinne fachlich vertretbar, kann ihr etwa im Nachhinein nicht mit Erfolg entgegnet werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe für geeignet gehalten (vgl. Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, a.a.O.; Kunkel, LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 36a Rn. 13 jeweils m.w.N.).

35

bb) Bei Zugrundelegung der vorstehenden Maßstäbe lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte die begehrte Hilfeleistung in nicht zu beanstandender Weise verweigert hat. Im Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2008 hat dieser die Ablehnung einer Schulbegleitung nicht mit fachlichen Erwägungen, sondern mit der - wie noch (sogleich unter 2. b) darzulegen sein wird - so nicht zutreffenden rechtlichen Erwägung begründet, dass hierfür die Förderschule allein zuständig sei. In der insoweit maßgeblichen letzten Behördenentscheidung, dem Widerspruchsbescheid, wird diese Begründung zwar ausgetauscht und auf die Stellungnahme des Fachdienstes des Jugendamts vom 24. September 2008 verwiesen, aus der sich die mangelnde fachliche Notwendigkeit einer Schulbegleitung ergebe. Allerdings wird gerade in dieser Stellungnahme bei dem Kläger ein "Integrationsrisiko" im Bereich der "schulischen Anpassung" ausgemacht und ein zusätzlicher Betreuungsbedarf nicht in Abrede gestellt. Für die Ablehnung der von den Erziehungsberechtigten des Klägers geforderten Schulbegleitung wird in der Stellungnahme weder ein nachvollziehbares fachliches noch ein durchgreifendes rechtliches Argument geliefert. Am Ende der Stellungnahme heißt es lediglich, dass eine Schulbegleitung nur im Falle einer Beschulung an einer Regelschule notwendig sei. Weil diese Aussage in ihrer Pauschalität weder rechtlich fundiert ist noch eine fachliche Begründung für die Verweigerung der Leistung darstellt, ist die Hilfeplanung der Beklagten jedenfalls im Hinblick auf den hier streitigen schulischen Betreuungsbedarf als defizitär anzusehen, so dass die Steuerungsverantwortung des Jugendamts der Aufwendungserstattung für die selbst beschaffte Hilfe hier nicht entgegensteht.

36

b) Das Urteil des Verwaltungsgerichthofs erweist sich auch nicht deshalb als richtig, weil - wie der Beklagte und der Beteiligte der Sache nach geltend gemacht haben - der Anspruch des Klägers auf Eingliederungshilfe in Gestalt einer Schulbegleitung wegen eines Vorrangs der schulischen Leistung ausscheide.

37

aa) Eine Spezialität in dem Sinne, dass eine schulische Förderleistung einschlägig ist, die einen Anspruch auf jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe ausschließen könnte, liegt nicht vor. Zwar käme eine die Eingliederungshilfe verdrängende, weil ausschließlich von der Schule - hier der Förderschule - zu erbringende Leistung in Betracht, wenn der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer in der Schule betroffen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R - juris Rn. 21). Dieser Bereich ist jedoch unabhängig von seiner exakten Bestimmung (s. dazu BSG, Urteil vom 22. März 2012 a.a.O. Rn. 21 f.) hier nicht betroffen. Vielmehr ging es - wie sich auch aus den vom Verwaltungsgerichtshof zitierten Stellungnahmen des Kinderzentrums sowie des Rektors des Sonderpädagogischen Förderzentrums schließen lässt - darum, dass die Schulbegleitung die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrer absichern und mit die Rahmenbedingungen dafür schaffen sollte, dem Kläger erst den erfolgreichen Besuch der Schule zu ermöglichen.

38

bb) Ein Anspruch des Klägers auf eine Schulbegleitung ist auch nicht wegen des Nachrangs der Jugendhilfe ausgeschlossen.

39

Nach § 10 Abs. 1 SGB VIII werden Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, durch dieses Buch nicht berührt. Darin ist der Grundsatz vom Nachrang der Jugendhilfe bzw. die allgemeine Subsidiarität jugendhilferechtlicher Leistungen gegenüber denen anderer Sozialleistungsträger und der Schulen verankert (vgl. Urteile vom 27. Mai 2010 - BVerwG 5 C 7.09 - BVerwGE 137, 85 <87> und vom 22. Februar 2007 - BVerwG 5 C 32.05 - Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 5 Rn. 16). Dieser Grundsatz kommt auch in der Formulierung des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 SGB XII zum Ausdruck, dass die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt bleiben. Es genügt aber für die Nachrangigkeit der Jugendhilfe nicht, dass eine anderweitige Verpflichtung überhaupt besteht. Vielmehr muss diese anderweitige Verpflichtung auch rechtzeitig realisierbar und nach den Umständen des Einzelfalles im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckende Hilfe zu erhalten sein (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 8. September 2010 - 12 A 1326/10 - juris m.w.N.; Gutachten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. vom 22. Januar 2012 - G 3/10, NDV 2012, 264; Vondung, in: Kunkel, LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 10 Rn. 7). In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht auch einen gegenüber der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe vorrangigen Anspruch gegen die Schulverwaltung nur angenommen, soweit und solange die Schule tatsächlich Hilfe gewährt oder der Betroffene den Anspruch auf Hilfeleistung gegen die Schulverwaltung rechtzeitig verwirklichen kann (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 13. Juni 2001 - BVerwG 5 B 105.00 juris Rn. 2; Urteil vom 23. November 1995 - BVerwG 5 C 13.94 - BVerwGE 100, 50 <54>).

40

Gemessen an diesen Grundsätzen kann hier jedenfalls nicht angenommen werden, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Schulverwaltung auf Bereitstellung eines Integrationshelfers für den Besuch der Förderschule rechtzeitig hätte geltend machen oder durchsetzen können. Denn zu dieser Frage des nicht revisiblen Landesrechts hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mit Urteil vom 6. Juli 2005 (12 B 02.2188 - FEVS 57, 138 <139>) entschieden, dass behinderten Kindern nach bayerischem Landesrecht kein Anspruch gegen die Schulverwaltung auf Bereitstellung eines Integrationshelfers für den Besuch einer Förderschule zukommt.

41

3. Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs kann der Senat nicht abschließend über die Sache entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

42

Der Verwaltungsgerichtshof hat keine genügenden Feststellungen dazu getroffen, ob und inwieweit eine Schulbegleitung als einen Teilbedarf abdeckende Maßnahme geeignet und erforderlich ist, sondern sich - auf der Grundlage seiner Rechtsansicht konsequent - lediglich dazu verhalten, dass die dem Kläger vom Fachdienst des Beklagten angebotene Behandlung in einer heilpädagogischen Tagesstätte (ggf. in Kombination mit einer Psychotherapie) eine geeignete, weil ganzheitliche Hilfemaßnahme gewesen sei. Der Verwaltungsgerichtshof wird daher zu prüfen haben, ob - bei Zugrundelegung eines fachlichen Einschätzungsspielraums - die Erziehungsberechtigten des Klägers für den streitbefangenen Zeitraum eine Schulbegleitung für geeignet und erforderlich halten durften, um den Schulbesuch des Klägers am Förderzentrum zu ermöglichen oder zu erleichtern. Im Rahmen der Prüfung, ob die Entscheidung für die Selbstbeschaffung der Schulbegleitung im vorgenannten Sinne vertretbar und nachvollziehbar war, wird dabei zu berücksichtigen sein, ob die Bestellung einer Schulbegleitung im streitigen Zeitraum auf die vom Beklagten gewährte sonstige Hilfeleistung, nämlich auf die weitergeführte heilpädagogische Einzelförderung mit zwei Wochenstunden in einer heilpädagogischen Fachpraxis, eine deren Zielsetzung vereitelnde Wirkung gehabt hätte und dies für die Erziehungsberechtigten erkennbar war.

43

Dies führt zur Zurückverweisung der Sache (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Auf den vom Kläger gerügten Verfahrensmangel kommt es daher nicht mehr an.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des laufenden Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII in Form einer Schulbegleitung für den Besuch der Q.    -N.    -Schule in I.      in dem vor dem Erlass des Ablehnungsbescheides vom 19. August 2014 gewährten Umfang zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.


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Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Rostock vom 29. Oktober 2013 aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, ab dem 1. März 2014 längstens bis zum 14. Juli 2014 (Beginn der Sommerferien) vorläufig dem Antragsteller für die Beauftragung entstehende Kosten für die Bereitstellung eines Integrationshelfers zur Begleitung des Antragstellers während des Schulunterrichts bis zu einem Betrag von 700 € monatlich zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwalt P., A-Stadt, beigeordnet.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in Form eines Integrationshelfers für den Schulbesuch des Antragstellers.

2

Der Antragsteller wurde am 20. November 1999 geboren. Ausweislich des ärztlichen Attests der Universitätsmedizin A-Stadt (vom 26. November 2013) bestehen bei dem Antragsteller eine mittelgradige Intelligenzminderung, deutliche Verhaltensstörungen und Artikulationsstörungen. Insbesondere sind das Sozialverhalten des Antragstellers und seine Emotionen gestört, bei stark eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit, geringer Ausdauer und Aggressionen.

3

Der Antragsteller besucht die von der Beigeladenen betriebene St. Michael-Schule, Staatlich anerkannte Förderschule zur individuellen Lebensbewältigung.

4

Seit Juli 2008 erhielt die Erziehungsberechtigte des Antragstellers Hilfe zur Erziehung nach dem SGB VIII vom Antragsgegner – Amt für Jugend und Soziales.

5

Der Antragsteller beantragte am 2. Februar 2010 die Finanzierung eines Integrationshelfers.

6

In ihrer Stellungnahme vom 30. August 2010 riet die St. Michael–Schule einem anonymisierten Antragsteller, einen Antrag auf Finanzierung eines Integrationshelfers zu stellen.

7

In einer Einschätzung vom 21. Januar 2011 kam das DRK zu dem Ergebnis, die schulische Integration des Antragstellers sei nicht erfolgt.

8

Den Antrag auf Finanzierung eines Integrationshelfers lehnte der Antragsgegner durch Bescheid vom 25. Mai 2012 ab. Der Antragsteller erhob Widerspruch.

9

In ihrer Stellungnahme vom 20. Juni 2012 führte die St. Michael–Schule unter anderem aus, der Antragsteller benötige eine konkrete Bezugsperson.

10

Der kommunale Sozialverband Mecklenburg-Vorpommern wies mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2013 den Widerspruch des Antragstellers zurück.

11

Der Antragsteller hat am 17. Mai 2013 Klage erhoben (S 8 SO 53/13), die beim Sozialgericht noch anhängig ist.

12

Am 4. September 2013 hat der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er hat im Wege der Eingliederungshilfe die Gewährung eines schulbegleitenden Integrationshelfers begehrt.

13

Das Sozialgericht hat am 22. Oktober 2013 die Sach- und Rechtslage erörtert und die Klassenlehrerin des Antragstellers und die Schulleiterin vernommen.

14

Durch Beschluss vom 29. Oktober 2013 hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nach § 86b Abs. 2 SGG nicht glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen der §§ 19, 53, 54 SGB XII lägen nicht vor. Das Gericht gehe davon aus, dass der Antragsteller aufgrund seiner bestehenden Behinderung dem Grunde nach zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 53 SGB XII gehöre. Die hier begehrte Leistung liege jedoch außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Sozialhilfeträgers, sondern im Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule. Soweit das BSG ausführe, dass sich dieser Kernbereich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimme, vermöge die Kammer dem nicht zu folgen. Aus diesem Grund kommt das Sozialgericht zu dem Ergebnis, dass der Hilfebedarf des Antragstellers vollständig innerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit der Förderschule liege und damit außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Sozialhilfeträgers: Es sei grundsätzlich Aufgabe der Schulverwaltung und der Schulträger sicherzustellen, dass die Schulen über die erforderliche personelle und finanzielle Ausstattung verfügten, um den Anspruch eines jeden Schülers auf schulische Bildung und Erziehung und den Anspruch auf sonderpädagogische Förderung von Kindern und Jugendlichen, die zur Entwicklung ihrer geistigen, körperlichen, seelischen, sozialen oder kommunikativen Fähigkeiten sonderpädagogischer Hilfe bedürften, zu erfüllen. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Schulverwaltung und die Schulträger dieser Aufgabe gegenwärtig nicht in vollem Umfange gerecht würden, könne dies nicht dazu führen, dass die Erfüllung der Kernaufgaben der pädagogischen Arbeit der Schulen in die Zuständigkeit der Sozialhilfe falle.

15

Mit seiner am 4. Dezember 2013 erhobenen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

16

Er beantragt,

17

dem Antragsteller die beantragte Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für einen Integrationshelfer in der St. Michael-Schule, A-Stadt, zu gewähren.

18

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.

II.

19

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und im Wesentlichen begründet. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben. Der Antragsgegner ist im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG dem Grunde zu verpflichten, dem Antragsteller im Grundsatz die begehrten Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 2 SGB IX i. V. m. §§ 53, 54 SGB XII in Verbindung mit §§ 2, 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung zu gewähren.

20

Der Senat sieht das Vorliegen eines Anordnungsanspruches als überwiegend wahrscheinlich an. Der Kläger ist, wie die Beweisaufnahme vor dem Sozialgericht ergeben hat, nur noch in Einzelsituationen förderbar (Klassenlehrerin S.). Weiter hat die Beweisaufnahme durch die genannte Zeugin ergeben, dass mit zunehmendem Alter eine positive Beeinflussung des Antragstellers schwieriger wird. Daher sieht der Senat auch einen Anordnungsgrund als glaubhaft gemacht an. Im Rahmen des dem Senat zustehenden Ermessens wird die einstweilige Anordnung für die Zukunft ausgesprochen, weil ein Integrationshelfer in der Vergangenheit ersichtlich nicht tätig geworden ist. Zudem wird die einstweilige Anordnung bis zum Ende des laufenden Schuljahres zeitlich begrenzt.

21

Die Tatsache, dass der Antragsteller zum Kreis der berechtigten Personen der Eingliederungshilfe gehört, ist bereits vom Sozialgericht im angefochtenen Beschluss herausgearbeitet worden und bedarf keiner weiteren Vertiefung. Insbesondere hat die vom Sozialgericht vorgenommene Beweisaufnahme plastisch dargelegt, dass der Antragsteller zu den geistig behinderten Kindern gehört, bei denen Maßnahmen der Eingliederungshilfe erforderlich und geeignet sind. Gegenwärtig ist der Antragsteller nämlich nicht in der Lage, seiner allgemeinen Schulpflicht - auch im Rahmen der von ihm besuchten Förderschule - gerecht zu werden. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Stellungnahme der St. Michael-Schule vom 20. Juni 2012 und aus der Aufforderung der St. Michael-Schule, die Förderung eines Integrationshelfers (durch den Antragsteller?) zu beantragen (Blatt 81 der Verwaltungsakte). Selbst der dem Antragssteller von der St. Michael-Schule dort gebotene Unterricht in einer kleinen Gruppe wird vom Antragsteller nicht toleriert. Auch die Tatsache, dass dieser von mehr als einer Lehrkraft gegeben wird, reicht nicht aus. Damit kommt nach Auffassung des Senates - bei der hier im Rahmen des Eilverfahrens nur möglichen vorläufigen Einschätzung des Sachverhaltes - letztlich nur eine zusätzliche Einzelbetreuung des Antragstellers durch einen Integrationshelfer während des Unterrichts und in den Pausen in Betracht, zu der der Senat den Antragsgegner hiermit auch verpflichtet.

22

Der Senat folgt der Auffassung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R -, Juris), wonach Eingliederungshilfeleistungen der Sozialhilfeträger nur im Rahmen des sozialhilferechtlich zu bestimmenden Kernbereichs der pädagogischen Aufgaben der Schule nicht zu erbringen sind (Leitsatz). Wie bereits § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verdeutlicht, liegt § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung ein individualisiertes Verständnis zugrunde. Eine Unterscheidung der Maßnahme nach ihrer Art, etwa nach pädagogischen oder nichtpädagogischen bzw. begleitenden, ist rechtlich nicht geboten. Deshalb können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören. Ausgeschlossen sind allerdings Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind, der sich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulischen Belange (so aber der angefochtene Beschluss des SG), sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmt (BSG, a. a. O., Rn. 21). Die schulischen Verpflichtungen stehen mithin grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen. (Nur) der Kernbereich der schulischen Arbeit liegt damit nach dem Sinn und Zweck der §§ 53, 54 SGB XII grundsätzlich außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Sozialhilfeträgers (BSG, a. a. O., Rn. 21).

23

Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um den eigentlichen Kernbereich der schulischen Arbeit. Die beantragte Assistenz durch einen Integrationshelfer weist den Charakter einer Unterstützung auf und liegt außerhalb der pädagogischen Arbeit der Lehrer der vom Antragsteller besuchten Schule (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O., Rn. 28). Auch das DRK führt in seiner Stellungnahme vom 27. Januar 2011 aus, eine schulische Integration des Antragstellers sei gerade nicht erfolgt. Auch die St. Michael-Schule hält eine konkrete Bezugsperson des Antragstellers für geboten. Nach Auffassung des Senates ist damit das Zurseitestellen eines Integrationshelfers eine Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine schulische Integration und damit pädagogische Arbeit im eigentlichen Sinne ermöglicht werden kann.

24

Im Rahmen der Interessenabwägung, die bei dem im vorliegenden Fall nicht hinreichend aufgeklärten Sachverhalts allein nur möglich ist, schätzt der Senat die im Wege der einstweiligen Anordnung zuzusprechenden Kosten auf monatlich maximal 700 € (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Dezember 2013 – L 9 SO 429/13 B -, Juris, Rn. 45).

25

Der Senat kann es im vorliegenden Fall offen lassen, ob ein Anspruch nach Sozialhilferecht eventuell nachrangig (§ 2 SGB XII) ist gegenüber einem Anspruch nach § 35a SGB VIII (vgl. § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Für die Nachrangigkeit gegenüber der Jugendhilfe genügt nicht, dass eine anderweitige Verpflichtung besteht. Vielmehr muss diese anderweitige Verpflichtung auch rechtzeitig realisierbar und nach den Umständen des Einzelfalles im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckenden Hilfe zu erhalten sein (LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O., Rn. 44, mit weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts; ebenso BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R -, Juris, Rn. 25, mit weiteren Nachweisen). Aus dem Schreiben der St. Michael–Schule vom 30. August 2010 folgt, dass diese sich jedenfalls bei Schülern mit Behinderungen, wie sie der Antragsteller aufweist, außer Stande sieht, ihren Bildungsauftrag adäquat zu erfüllen.

26

Da die Sache keinen weiteren Aufschub duldet, ist die einstweilige Anordnung zu erlassen. Im Übrigen ist der Antragsgegner selbst örtlicher Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII. Daher braucht der Senat nicht zu prüfen, ob vorrangig Ansprüche aus diesem Gesetzbuch in Betracht kommen. Gegebenenfalls muss der Sozialhilfeträger mittels einer Überleitungsanzeige (§ 93 SGB XII) (auch) beim zuständigen Schulträger Rückgriff nehmen (vgl. BSG, a. a. O. Rn. 25). Die Frage, wer letztendlich der zuständige Leistungsträger ist, muss dem Verfahren der Hauptsache vorbehalten bleiben. Angesichts der Tatsache, dass dieses bereits seit 17. Mai 2013 beim Sozialgericht anhängig ist und auf einem Antrag vom 2. Februar 2010 beruht, dürfte einer baldigen Förderung des Verfahrens in der Hauptsache nichts entgegen stehen.

27

Dem Antragsteller ist Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu gewähren, weil - aus den oben dargestellten Gründen – die Sache hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a SGG in Verbindung mit § 114 ZPO).

28

Die Kostenentscheidung beruht auf (193 SGG).

29

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. November 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Übernahme von Schulgeld in Höhe von 303,92 Euro monatlich für die Zeit vom 1.8.2005 bis 18.10.2009 nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

2

Der 1997 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an dem sogenannten Rubinstein-Taybi-Syndrom mit Absence-Epilepsie, verzögerter Entwicklung, Minderwuchs und geistiger Behinderung, verbunden mit Hyperaktivität und teilweiser Aggressivität. Er lebt seit seinem 4. Lebensmonat in einer Pflegefamilie, in die er direkt nach dem Klinikaufenthalt nach seiner Geburt aufgenommen wurde. Das staatliche Schulamt für den Landkreis G. und den V. stellte beim Kläger einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Sinne des Besuchs einer Schule für praktisch Bildbare fest und wies ihn zum 1.8.2005 der staatlichen M.-Schule in G. zu. Da die Pflegeeltern die sonderpädagogische Förderung des Klägers an der nach den Grundsätzen der anthroposophischen Heilpädagogik und der Waldorfpädagogik unterrichtenden privaten B.-Schule wünschten, erklärte das staatliche Schulamt gleichzeitig sein Einverständnis, den sonderpädagogischen Förderbedarf dort zu erfüllen, sofern die Frage der Kostenübernahme mit dem Schulverwaltungsamt des Kreisausschusses des Landkreises G. geklärt sei (Bescheid vom 31.5.2005). Nachdem die Pflegeeltern für den Kläger mit dem Träger der B.-Schule einen Schulvertrag ab 1.8.2005 abgeschlossen und dabei ein monatliches Schulgeld in Höhe von 303,92 Euro vereinbart hatten, wurde der Kläger am 5.9.2005 in die B.-Schule eingeschult. Den vom Träger der Schule - nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) - namens und im Auftrag der Pflegeeltern gestellten Antrag auf Übernahme des Schulgelds lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 22.6.2005; Widerspruchsbescheid vom 19.4.2006).

3

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 11.11.2008; Urteil des Hessischen LSG vom 22.11.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Besuch der B.-Schule sei keine für eine angemessene Schulbildung des Klägers erforderliche Maßnahme. Hieran ändere auch die schulrechtliche Einstufung durch das staatliche Schulamt, an die der Sozialhilfeträger gebunden sei, nichts, weil eine Zuweisung nur an die staatliche M.-Schule erfolgt sei, während der Besuch der B.-Schule ausschließlich als mögliche Beschulungsalternative gestattet worden sei. Beide Schulen seien geeignete Förderschulen zur Erfüllung des besonderen sonderpädagogischen Bedarfs des Klägers. Auch das Elternrecht aus Art 6 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) biete als Abwehrrecht keinen Anspruch auf Vermittlung pädagogischer Lehrinhalte und Bildungsziele außerhalb öffentlicher Schulen. Ein Anspruch könne auch nicht aus Art 7 Abs 4 Satz 1 GG hergeleitet werden, weil insoweit nur das private Ersatzschulwesen geschützt werde, nicht jedoch auch das Recht der Eltern, eine private Ersatzschule kostenfrei zu wählen.

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII und § 12 Eingliederungshilfeverordnung (Eingliederungshilfe-VO) und macht Verfahrensfehler geltend. Zu Unrecht gehe das LSG davon aus, dass der Besuch einer privaten Förderschule und der damit verbundene Schulgeldaufwand bei Bestehen einer gleichwertigen kostenfreien Beschulungsmöglichkeit nicht erforderlich iS von § 12 Eingliederungshilfe-VO sei. Zwar hätte sein schulischer Förderbedarf auch durch den Besuch der M.-Schule sichergestellt werden können; das Berufungsgericht lasse aber unberücksichtigt, dass die Pflegeeltern mit ihrer Auswahlentscheidung den von den staatlichen Schulbehörden eingeräumten Rahmen mit einer für den beklagten Sozialhilfeträger ebenso verbindlichen Weise ausgefüllt hätten, wie dies durch eine förmliche Zuweisung der Schulbehörden geschehen wäre. Folge man der Auffassung des LSG liefen das eingeräumte Wahlrecht und letztlich die Bestimmung des § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII leer, wenn Eltern die mit dem Schulbesuch verbundenen Kosten nicht aufbringen könnten. Sei schulrechtlich eine Wahlfreiheit zwischen öffentlicher Förder- und privater Ersatzschule eröffnet, setze eine generelle Beschränkung der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung auf den Besuch öffentlicher Schulen nach der Rechtsprechung des 6. Senats des LSG (Urteil vom 18.8.2010 - L 6 SO 5/10) verfassungsrechtlich eine ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers voraus. Durch den unterlassenen Hinweis, dem 6. Senat nicht folgen zu wollen, habe das LSG das rechtliche Gehör verletzt (Überraschungsentscheidung). Auch habe sich das LSG nicht mit dem Vortrag auseinandergesetzt, dass der Beklagte mit seiner (des Klägers) Beschulung in der B.-Schule einverstanden gewesen sei und sich hieraus die Verpflichtung ableite, auch für die entstehenden Beschulungskosten einzustehen. Unterblieben sei schließlich die Prüfung, ob eine Aufnahme in die M.-Schule nicht an Kapazitäts- oder anderen Gründen gescheitert wäre.

5

Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid des Beklagten vom 22.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.4.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm 303,92 Euro monatlich für die Zeit vom 1.8.2005 bis 18.10.2009 zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Auffassung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des monatlichen Schulgelds in Höhe von 303,92 Euro bzw in Höhe des für Oktober 2009 maßgeblichen Teils davon für den Besuch der B.-Schule.

9

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zulässigerweise nur der Bescheid des Beklagten vom 22.6.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.4.2006 (§ 95 SGG) über die Ablehnung der Übernahme des Schulgelds als abgrenzbaren Streitgegenstand im Rahmen der Eingliederungshilfe. Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 iVm § 56 SGG). Sozial erfahrene Dritte waren vor Erlass des Widerspruchsbescheids nicht zu beteiligen (§ 116 Abs 2 SGB XII in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 iVm § 8 Abs 2 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 20.12.2004 - GVBl 488). Nicht Streitgegenstand sind Leistungen für den Lebensunterhalt, auch nicht im Rahmen des sog Meistbegünstigungsprinzips, wonach zur Sicherstellung einer möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte (§ 2 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -; vgl dazu: Voelzke in juris PraxisKommentar SGB I, 2. Aufl 2011 - online -, § 2 RdNr 26; Steinbach in Hauck/Noftz, SGB I, K § 2 RdNr 44, Stand Dezember 2005), Anträge bzw Rechtsbehelfe ohne Bindung an den Wortlaut nach dem wirklichen Willen des Antragstellers auszulegen sind (BSG SozR 4-3500 § 44 Nr 2 RdNr 13); denn eine abweichende Festlegung des Bedarfs wegen der Verpflichtung zur Zahlung des Schulgelds (§ 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII) kommt ohnedies nicht in Betracht (siehe dazu unten).

10

Nach § 53 Abs 1 Satz 1(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) iVm § 54 Abs 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch; für die Zeit ab 5.8.2009 in der Normfassung des Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009 - BGBl I 2495) erhalten Personen, die durch eine Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.

11

Vorliegend ist es schon fraglich, ob der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 3 Abs 1 HAG/SGB XII idF des Gesetzes vom 20.12.2004) für den streitigen Anspruch auf Übernahme des Schulgelds als Leistung der Eingliederungshilfe der sachlich zuständige Sozialhilfeträger ist. Abweichend von § 100 Bundessozialhilfegesetz(BSHG; in der nach Art 68 Abs 2 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch bis 31.12.2006 fortgeltenden Fassung) bzw ab 1.7.2007 § 97 Abs 3 Nr 1 SGB XII (Art 70 Abs 2 S 6 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) regelt § 97 Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm § 2 Abs 1 Nr 1 HAG/SGB XII(bis 31.6.2006 in der nach § 13 Abs 3 HAG/SGB XII bestimmten Fassung) die sachliche Zuständigkeit von örtlichem bzw überörtlichem Sozialhilfeträger. Danach ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe für Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII nur sachlich zuständig, sofern diese in einer Einrichtung zur stationären oder teilstationären Betreuung zu gewähren sind. Eine (teilstationäre) "Einrichtung" im Sinne des SGB XII (§ 13 SGB XII)ist ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist und Leistungen der Sozialhilfe erbringt (BVerwGE 95, 149, 152; Bundesverwaltungsgericht , Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 -, FEVS 45, 52 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 13/91 -, FEVS 45, 183 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 17/91 -, ZfSH/SGB 1995, 535 ff; BSGE 106, 264 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2).

12

Ob eine Schule (anders als etwa die der Schule angegliederte Behinderteneinrichtung) eine teilstationäre Einrichtung in diesem Sinne ist, insbesondere Leistungen der Sozialhilfe erbringt (vgl dazu BVerwGE 48, 228, 231, das zwischen allgemeinen Schulen und Schulen unterscheidet, in denen über die bloße Vermittlung des Lernstoffs hinaus ein besonderes Maß an Betreuung erforderlich ist), ist zweifelhaft, wobei es für die Ablehnung der Leistung wegen Unzuständigkeit genügt, dass Sozialhilfeleistungen geltend gemacht werden. Für die Begründung der sachlichen Zuständigkeit ist es jedenfalls nicht - wie der Beklagte meint - ausreichend, dass er aufgrund langjähriger Praxis bei Pflegefamilienverhältnissen (im Rahmen des § 97 Abs 5 SGB XII) auch die Begleitkosten übernimmt, sofern diese übernahmefähig sind. Eine solche Annex-Kompetenz, wie sie etwa § 2 Abs 2 HAG/SGB XII(in der bis 31.12.2006 geltenden Fassung) vorsieht, setzt nämlich die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers für die im Rahmen eines Pflegefamilienverhältnisses zu erbringende Eingliederungshilfe voraus, an der es vorliegend fehlen könnte. Im Ergebnis kann diese Frage aber dahingestellt bleiben, weil der Kläger auch bei unterstellter sachlicher Zuständigkeit des Beklagten keinen Anspruch auf die im Streit stehende Leistung hat.

13

Der Kläger erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII für eine Pflichtleistung. Die Voraussetzungen für eine Behinderung nach § 2 Abs 1 SGB IX sind erfüllt, wenn die geistige Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach den Feststellungen des LSG liegt eine solche Behinderung vor.

14

Die geistige Behinderung ist auch wesentlich. Wann dies der Fall ist, ist § 2 Eingliederungshilfe-VO zu entnehmen, wonach eine wesentliche Behinderung vorliegt, wenn infolge einer Schwäche der geistigen Kräfte in erheblichem Umfang die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft eingeschränkt ist. Dies richtet sich nach den Besonderheiten des Einzelfalls und hängt deshalb von sehr unterschiedlichen, durch die individuelle Behinderung geprägten Umständen ab (BVerwG Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr 12 S 2). Insoweit ist wie bei der Prüfung der Behinderung auch ihre Wesentlichkeit wertend auszurichten, insbesondere an den Auswirkungen für die Eingliederung in die Gesellschaft. Entscheidend ist mithin nicht, wie stark die geistigen Kräfte beeinträchtigt sind und in welchem Umfang ein Funktionsdefizit vorliegt, sondern wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit auswirkt (vgl BSGE 110, 301 ff RdNr 19 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8). Stehen - wie hier - die mit einer Behinderung einhergehenden Beeinträchtigungen der erfolgreichen Teilnahme des Klägers am Unterricht in einer allgemeinen (Grund-)Schule entgegen (vgl auch BVerwG, Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02), weil Lerninhalte ohne zusätzliche Hilfestellung nicht aufgenommen und verarbeitet werden können, und erfordert die geistige Behinderung deshalb einen sonderpädagogischen Förderbedarf, um die mögliche Vermittlung praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten überhaupt erst zu ermöglichen, ist die Behinderung nach den oben aufgezeigten Grundsätzen wesentlich; denn eine Grundschulbildung bildet die essentielle Basis für jegliche weitere Schullaufbahn (vgl: BSGE 110, 301 ff RdNr 19 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8; BSGE 109, 199 ff RdNr 22 = SozR 4-2500 § 33 Nr 37).

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Gehört der Kläger danach zwar zu dem leistungsberechtigten Personenkreis, scheitert ein Anspruch auf die Zahlung des Schulgelds aber daran, dass es sich insoweit nicht um eine Leistung der Eingliederungshilfe handelt. Nach § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Erfasst sind von dem Wortlaut der Vorschrift ("Hilfen") nur Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSGE 110, 301 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8). Dies bestätigt auch § 12 Eingliederungshilfe-VO, der seinerseits nur von "Hilfe zu einer angemessenen Schulausbildung" spricht. Die von dieser Hilfe nach § 12 Eingliederungshilfe-VO (auch) erfassten Regelbeispiele betreffen dementsprechend nur die Schulbildung begleitende Maßnahmen. Die Schulbildung selbst, also der Kernbereich der pädagogischen Arbeit, der sich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmt, obliegt hingegen allein den Schulträgern. Art 7 Abs 1 GG überträgt dem Staat einen (außerhalb des Sozialhilferechts liegenden) eigenständigen Unterrichts- und Bildungsauftrag im Schulbereich (BSG, aaO, RdNr 21; BVerfGE 47, 46, 71 f; 98, 218, 241).

16

Dass der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule den Regelungen über die Eingliederungshilfe entzogen ist, bestätigt § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII dadurch, dass die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht(hier: Art 56 ff Hessische Landesverfassung iVm dem Hessischen Schulgesetz idF vom 14.6.2005 - GVBl 441) unberührt bleiben sollen. Die schulrechtlichen Verpflichtungen bestehen also grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen (BSG aaO). Auch das BVerwG hat in seiner Entscheidung vom 13.8.1992 - 5 C 70/88 - (Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr 16 S 3) ausgeführt, dass der Staat mit der Einrichtung der öffentlichen Grundschulen seinen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art 7 Abs 1 GG nachkomme und die Schulgeldfreiheit aus übergreifenden bildungs- und sozialpolitischen Gründen eine eigenständige (landesrechtliche) Regelung außerhalb des Sozialhilferechts gefunden habe, sodass für einen Rechtsanspruch gegen den Sozialhilfeträger zur Deckung eines im Grundschulalter angemessenen Bildungsbedarfs Aufnahmebeiträge und monatliches Schulgeld für den Besuch einer privaten Grundschule als Sozialhilfeleistung nicht zu übernehmen seien. Dabei ist das BVerwG in Bezug auf die erforderliche Hilfe nicht von einer nach Maßgabe des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe zu lösenden Anspruchskonkurrenz, sondern von einem Verhältnis der "Spezialität" ausgegangen, wobei es eine Ausnahme von diesem Grundsatz für möglich hielt, wenn der Besuch einer öffentlichen Grundschule aus objektiven Gründen (zB wegen ihrer räumlichen Entfernung vom Wohnort) oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Diese Rechtsprechung hat das BVerwG auch für Leistungen der Eingliederungshilfe bestätigt (Beschluss vom 2.9.2003 - 5 B 259/02) und ausdrücklich ausgeführt, dass ein nachrangiges Eintreten der Sozialhilfe (nur) für solche Bedarfe nicht ausgeschlossen sei, die nicht in der Deckung des unmittelbaren Ausbildungsbedarfs im Rahmen der Schulpflicht bestünden, sondern damit lediglich - mehr oder weniger eng - zusammenhingen, etwa wie bei der Bereitstellung eines Integrationshelfers für behinderte Kinder an Regelschulen.

17

Nach diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf die Zahlung des Schulgelds als Leistung der Eingliederungshilfe. Zu dem Kernbereich der Schule gehören alle schulischen Maßnahmen, die dazu dienen, die staatlichen Lehrziele zu erreichen, in erster Linie also der (unentgeltliche) Unterricht, der die für den erfolgreichen Abschluss notwendigen Kenntnisse vermitteln soll. Damit unterliegt auch das vom Kläger begehrte Schulgeld unmittelbar diesem Kernbereich, weil die Übernahme des Schulgelds die von der Schule selbst zu erbringende Leistung, also den Unterricht, finanziert, mithin den schulischen Bildungsauftrag erfüllt und keine bloß unterstützende Leistung im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung darstellt. Wie die Entscheidung des Schulamts auszulegen ist und inwieweit sie auch für den Beklagten Bindungswirkung entfaltet (vgl dazu BVerwGE 130, 1 ff), ist danach ohne Belang. Ebenso spielt es in diesem Zusammenhang keine Rolle, dass sich der Beklagte mit der Beschulung in die B.-Schule einverstanden erklärt hat. Die Ausübung eines Wahlrechts, welche Schule besucht wird, hat nicht zur Folge, dass der Sozialhilfeträger ein etwaiges Schulgeld zahlen müsste.

18

Schulgeld wäre - abgesehen davon, dass es hier nicht Streitgegenstand ist (siehe oben) - auch nicht nach den Regelungen des Dritten bzw Vierten Kapitels des SGB XII zu erbringen. Entsprechende Leistungen könnten ggf zwar durch eine abweichende Festlegung des Regelsatzes nach § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII in der bis 31.12.2010 geltenden alten Fassung erbracht werden, dies würde aber voraussetzen, dass der Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abwiche. Der auf das Schulgeld gerichtete höhere Bedarf des Klägers wäre aber nicht unabweisbar. Nach den Feststellungen des LSG besteht für den Kläger eine gleichwertige und unentgeltliche Möglichkeit des Schulbesuchs an der Schule für praktisch Bildbare.

19

Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht schon darin zu sehen, dass das LSG - ohne ausdrücklichen Hinweis - einer Entscheidung eines anderen Senats desselben Gerichts nicht folgt. Da der Kläger unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung des Schulgelds hat, erübrigt sich im Übrigen - weil absolute Revisionsgründe nicht geltend gemacht werden - ein weiteres Eingehen auf den vermeintlichen Verfahrensfehler. Gleiches gilt für die behauptete Gehörsverletzung durch Übergehen des Vortrags, der Beklagte habe sich mit der Beschulung in der B.-Schule einverstanden erklärt (dazu auch oben). Soweit schließlich moniert wird, das LSG habe nicht geprüft, ob die Aufnahme in der M.-Schule an Kapazitäts- oder anderen Gründen gescheitert wäre (Verletzung der Amtsaufklärungspflicht; § 103 SGG), hätte dargelegt werden müssen (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG), warum sich das LSG - trotz Zuweisung des Klägers in die M.-Schule und Streitgegenstandsbegrenzung auf die Eingliederungshilfe - hätte gedrängt fühlen müssen, entsprechende Ermittlungen anzustellen. Für die Eingliederungshilfe wäre jedenfalls eine entsprechende Klärung ohne Bedeutung.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

 
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht Stuttgart (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 ). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 1997, 479, 480; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Erforderlich ist mithin - neben dem mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Erfolg in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) - die Dringlichkeit der erstrebten vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund; vgl. hierzu schon Senatsbeschluss vom 23. März 2005 - L 7 SO 675/05 ER-B - ).
Die Erfolgsaussicht in der Hauptsache ist in Ansehung des sich aus Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtschutz (Artikel 19 Abs. 4 GG) unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (Beschluss des Senats vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - unter Hinweis auf BVerfG NJW 1997 a.a.O. und NVwZ 2005 a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/06 ER-B - FEVS 57, 72, vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 und vom 21. Juli 2006 - L 7 AS 2129/06 ER-B ).
Die genannten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind - wie es das SG zu Recht angenommen hat - hier gegeben.
Es spricht einiges dafür, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) dahingehend hat, dass er zum Besuch der R. schule in E. in nennenswertem Umfang einen Schulbegleiter braucht. Dieser hat keine Bildungsvermittlung zu betreiben, sondern er muss den Antragsteller durch körperliche Signale in die Lage versetzen, am Unterricht teilzunehmen und auch nebenher die Ernährung und Körperhygiene nicht zu vergessen. Dass der Antragsteller wegen der Folgen des festgestellten frühkindlichen Autismus dem berechtigten Personenkreis angehört, weil er zu den behinderten Menschen im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII gehört, ist zwischen den Beteiligten unstreitig und nach Lage der Akten auch offensichtlich. Er kann daher grundsätzlich nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII Anspruch auf Leistungen des Sozialhilfeträgers in Form von Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung haben. Zwar ist nach § 15 des Schulgesetzes die pädagogische Förderung der Schülerinnen und Schüler primär Aufgabe der Schule. Damit sind jedoch - wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ergibt - ergänzende Leistungen der Eingliederungshilfe nicht vollständig ausgeschlossen. Dies ist in der Rechtsprechung unstreitig für die Fälle so genannter Schulbegleiter von behinderten Menschen, die eine Regelschule besuchen. Hier besteht zum einen eine Bindung des Sozialhilfeträgers an die Entscheidung der Schulbehörde über die Zuweisung zu einer Schulart und zum zweiten die unmittelbar einsichtige Notwendigkeit zusätzlicher Integrationsleistungen und Hilfestellungen für behinderte Kinder, auf deren spezielle Bedürfnisse das Angebot der Regelschule naturgemäß nicht zugeschnitten ist (vgl. hierzu grundlegend zum insoweit inhaltsgleichen früheren Recht des Bundessozialhilfegesetzes Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. Januar 1986 - 5 C 36/84 -, FEVS 36, 1 und Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Juli 2003 - 12 A 10410/03 - ZfSH/SGB 2003, 614). Aber auch beim Besuch einer grundsätzlich auf die Behinderung des Kindes zugeschnittenen Sonderschule ist ein ergänzender sozialhilferechtlicher Eingliederungsbedarf nicht generell ausgeschlossen. Dies sehen selbst die Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg (SHR) zum SGB XII in der derzeit geltenden Fassung vor, wie sich aus Rdnr. 54.13/2 unter 3 SHR ergibt. Dort wird ausgeführt, dass pädagogische Maßnahmen im Sinne des Bildungsauftrages in den Verantwortungsbereich der Schule fallen und dass Eingliederungshilfe nur für Assistenzdienste in Betracht kommt. Sie bemesse sich nach der festgestellten, notwendigen Begleitung durch eine schulfremde Person. In diesem Sinne hat auch das Sächsische Landessozialgericht (LSG) einen Eingliederungshilfebedarf trotz des Besuchs einer Sonderschule sogar in einem Fall für möglich gehalten, in dem die Schulbehörde den Bedarf für einen Integrationshelfer geprüft und verneint hatte (Beschluss vom 24. Juli 2006 - L 3 B 81/06 SO-ER - ; so auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 23. Februar 2006 - 12 ME 474/05 - ). Der Sozialhilfeträger hat hier über den Hilfebedarf in eigener Verantwortung zu entscheiden (so zu Recht Sächsisches LSG a.a.O.). Erforderlich ist in jedem Fall, dass der eigentlich sonderpädagogische Bedarf von dem behinderungsbedingten (zusätzlichen) Eingliederungsbedarf abgegrenzt wird. Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe des Sozialhilfeträgers, die sonderpädagogische Förderung behinderter Schüler in die eigene Hand zu nehmen (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. Juli 1997 - 6 S 9/97 -, FEVS 48, 228).
Wendet man diese Grundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall an, spricht vieles dafür, dass jedenfalls in der derzeitigen Schulsituation ein neben dem Bildungsbedarf bestehender Eingliederungsbedarf des Antragstellers durch die von ihm besuchte Schule nicht vollständig gedeckt werden kann. Diesen Schluss zieht der Senat aus verschiedenen aktenkundigen Äußerungen und Stellungnahmen. Im Rahmen eines teilstationären Aufenthalts des Antragstellers in einem Fachkrankenhaus für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 13. Juni bis zum 4. Juli 2006 kam die behandelnde Stationsärztin zu dem Ergebnis, wegen schwerer Defizite sei - vor allem im Schulbereich - davon auszugehen, dass ein adäquates Lernverhalten nur mit Einzelbetreuung zu erwarten sei. Dieser Klinikaufenthalt war notwendig geworden, weil die Nahrungsverweigerung bedenkliche Ausmaße angenommen hatte. Bereits dieser Ablauf ist ein Hinweis darauf, dass der speziellen Problematik des Antragstellers offenbar in der Schule nicht ausreichend begegnet werden konnte. Die Klassenlehrerin des Antragstellers befürwortete in Konsequenz der schwierigen Situation im Sommer 2005 eine dauerhafte Schulbegleitung ausdrücklich, da er mit persönlicher, länger andauernder Unterstützung zu mehr Leistung und Teilnahme am Schulalltag befähigt werde.
Der pädagogische Berater Autismus des Amtes für Schule und Bildung befürwortete im Januar 2006 dringend den Einsatz einer Fachkraft als „Übersetzer“, da weitere Regression zu befürchten sei. Hierfür seien acht Wochenstunden Unterrichtsbegleitung ausreichend.
Der Schulleiter der vom Antragsteller besuchten Sonderschule erklärte in einem Schreiben vom 6. April 2005, die personellen Ressourcen der Schule ermöglichten es nicht, für den Antragsteller eine durchgängige fachlich qualifizierte Einzelbegleitung während einer normalen Schulwoche zu gewährleisten, weshalb eine personenbezogene Schulbegleitung dringend angezeigt sei. Derselbe Schulleiter äußerte sich am 22. September 2006 gegenüber dem SG allerdings dahingehend, in der Schule sei ein Schulbegleiter nicht erforderlich. Diese ausdrücklich als vorbehaltlich bezeichnete Einschätzung relativierte er in diesem Beschwerdeverfahren in einem Schreiben vom 4. Dezember 2006 wieder und führte aus, es sei nicht durchgängig möglich, jederzeit direkte strukturklärende Hilfestellung durch Handführung/Körperberührung zu geben, da auch die anderen Schüler Unterstützung und Anleitung benötigten. Weiter heißt es in dieser Stellungnahme, stützende Impulse hinsichtlich der Nahrungsaufnahme könnten nur dann gegeben werden, wenn der Unterrichtsfluss für die anderen Schüler dadurch nicht zu sehr beeinträchtigt werde. Die Ankunft werde einmal in der Woche durch die morgendliche Busaufsicht der Klassenlehrerin begleitet.
10 
Diese Ausführungen, die auf eine Anfrage der Schulbehörde zurückgehen, welche einen Hilfebedarf für verschiedene Situationen in der Schule angenommen hatte, belegen, dass jedenfalls im Augenblick nicht mit der notwendigen Sicherheit gesagt werden kann, die Schule decke den kompletten Eingliederungsbedarf des Antragstellers. Die Sachlage stellt sich eher so dar, dass zusätzlich zu der inhaltlich pädagogischen Betreuung Hilfestellung vor allem in den von den Lehrerinnen nicht intensiv beaufsichtigten Situationen (Ankunft, Pause) und vor allem hinsichtlich der im Falle des Antragstellers problematischen Ernährung gegeben ist. Da nach ärztlichem Urteil für diese Ernährung aber möglichst umfangreich und zu möglichst vielen Zeitpunkten gesorgt werden sollte, muss derzeit durchaus von einem ergänzenden Eingliederungsbedarf ausgegangen werden, der mit der sonderpädagogischen Betreuung nicht gedeckt werden kann, aber gleichwohl auch während Unterrichtsstunden entsteht und gerade nicht vollständig durch die Lehrerinnen befriedigt werden kann, deren primäre Aufgabe nicht die Gewährleistung ausreichender Ernährung der Schüler ist.
11 
Die Tatsache, dass der Antragsteller trotz der schulischen Betreuung im Sommer 2006 in die genannte Fachklinik aufgenommen werden musste, weil sich sein Ernährungszustand als bedenklich herausgestellt hatte, belegt im Übrigen ausreichend, dass in diesem Bereich ein Defizit vorhanden ist.
12 
Fasst man diese sachverständigen Äußerungen und die genannten Ereignisse zusammen, so kann ein Bedarf für eine Begleitung im Bereich von Ankunft, Abfahrt, Pausen und auch während einer bestimmten Zahl von Unterrichtsstunden nicht verneint werden.
13 
Fraglich ist allerdings, ob der grundsätzlich bestehende Hilfebedarf die Beschäftigung einer Erzieherin - noch dazu aus einem weit entfernten Ort - und ihren Einsatz während der gesamten Schulunterrichtszeit sowie bei jeder Ankunft und Abfahrt erfordert. Insoweit ist der angegriffene Beschluss auch nicht ausreichend klar. Das SG hat nicht ausdrücklich bestimmt, in welchem zeitlichen Umfang und mit welcher fachlichen Qualifikation die Begleitung des Antragstellers erforderlich ist. Von den Beteiligten ist der Beschluss so verstanden worden, dass die von den Eltern des Antragstellers vorgeschlagene Betreuung durch eine Angehörige des Arbeitersamariterbundes U. während der gesamten Unterrichtszeit und bei Ankunft und Abfahrt gemeint sei. In diesem Sinn wird der Beschluss derzeit ausgeführt. Eine solche Interpretation der Situation ist nicht zwingend. Die letzte Auskunft des Schulleiters vom 4. Dezember 2006 enthält Hinweise darauf, dass ein Teil der erforderlichen Hilfestellungen auch von der Schule gegeben werden kann.
14 
Der Senat sieht gleichwohl keine Veranlassung, den Beschluss für die erfasste Zeit bis Ende Januar 2007 zu ändern. Dies beruht u.a. darauf, dass zum jetzigen Zeitpunkt der Zeitraum weitgehend verstrichen ist und darauf, dass die Leistung tatsächlich erbracht wurde und wird und ein rascher Wechsel in der Betreuungssituation dem Antragsteller nicht zugemutet werden soll.
15 
Die Aufrechterhaltung des Beschlusses des SG beruht auch auf einer im Rahmen der Entscheidung über eine einstweiligen Anordnung hier erforderlichen Folgenabwägung. Die Reduzierung des Betreuungsaufwandes für die Vergangenheit wäre ohnehin nur in Form einer finanziellen Rückabwicklung denkbar, die jedoch nach Auffassung des Senats nicht eilbedürftig ist. Die Reduzierung für den verbleibenden Zeitraum im Januar hätte möglicherweise schwerwiegende Folgen bei dem offenbar äußerst sensibel auf äußere Veränderungen reagierenden Antragsteller zur Folge. Im Augenblick könnte eine sofortige Reduzierung des Betreuungsaufwandes mit dem Risiko verbunden sein, die bisher erzielten Integrationserfolge in Frage zu stellen oder zu gefährden.
16 
Der Senat erlaubt sich abschließend den Hinweis, dass im Falle des Antragstellers auch ernsthaft über einen Schulwechsel nachgedacht werden sollte. Nach den Schilderungen der Eltern des Antragstellers im Erörterungstermin vom 4. Januar 2007 und den vorliegenden Auskünften der Schule ist es immerhin denkbar, dass die konkrete Schule mit dem besonderen Förderungsbedarf eines autistischen Kindes nicht ausreichend vertraut ist, weshalb aus diesem Grund zusätzlicher Betreuungsbedarf außerhalb der Möglichkeiten der Schule besteht, der in anderen Einrichtungen vom dortigen Personal ganz oder teilweise gedeckt werden könnte. Solange der Antragsteller jedoch die jetzige Schule besucht und sich dort die Betreuung nicht ändert, dürfte er Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten einer - ggf. nur temporär tätigen - Schulbegleiterin haben.
17 
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
18 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Gründe

 
Das einstweilige Rechtsschutzbegehren ist mit dem nunmehr im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten modifizierten Antrag,
den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller darlehensweise Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung zur erweiterten Teilnahme am Hauptschulunterricht in der ... in N. im Umfang von 8-Wochen-Stunden für das 2. Schulhalbjahr 2006/07 zu gewähren,
zulässig.
Hingegen ist der Antrag in der Sache unbegründet, weil es an der Glaubhaftmachung des im Verfahren der einstweiligen Anordnung zu prüfenden Anordnungsanspruchs fehlt.
Im Ausgangspunkt ist allerdings unstreitig, dass der 1995 geborene Antragsteller angesichts eines bei ihm festgestellten frühkindlichen Autismus unter den von § 35 a Abs. 1 SGB VIII erfassten Personenkreis fällt, um als seelisch Behinderter dem Grunde nach vom Antragsgegner als dem örtlich zuständigen öffentlichen Träger Jugendhilfe beanspruchen zu können. Geht es allerdings, wie hier bei der Schulbegleitung, um eine die Bildung und Integration in der Schule unterstützende („flankierende“) Maßnahme, so hängt ein dahingehender Anspruch gem. § 54 SGB XII, auf den § 35 a Abs. 3 SGB VIII verweist, ferner davon ab, dass es sich um eine angemessene Schulbildung handeln muss.
Ob die zum Besuch einer bestimmten Schule geforderte Hilfe rechtlich als „Hilfe zu einer angemessenen Schulausbildung“ einzustufen ist, bestimmt sich in erster Linie nach Schulrecht. Von daher besteht in Ansehung des Merkmals der „Angemessenheit“ sogar eine Bindung des Sozialhilfeträgers bezüglich der Würdigung, dass die dem Behinderten zugewiesene Schule bzw. Schulart dessen geistigen und körperlichen Fähigkeiten entspricht (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.04.2005, DVBl. 2005, 1327 = NDV-RD 2005, 94). Nichts anderes gilt für den Jugendhilfeträger in Ansehung der sich auf der Grundlage des § 35 a SGB VIII ergebenden Hilfeansprüche (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl.v. 14.01.2003 - 9 S 2268/02 -, FEVS 54, 218 = ZFSH/SGB 2003, 348; VG Karlsruhe, Beschl.v. 19.01.2006 - 8 K 2416/05 -, Vensa).
Aus summarischer Sicht stellt sich die Sach- und Rechtslage dem Gericht so dar, dass der der Schulbegleitung beigemessene Zweck das Merkmal der Angemessenheit der Schulausbildung sprengt. Denn die Maßnahme ist im Kern darauf gerichtet, dem Antragsteller als Sonderschüler die Teilnahme am Unterrichtsprogramm der Hauptschule zu ermöglichen. Hierauf hat er aber, auch wenn er Schüler einer sog. Außenklasse ist, keinen - auch nicht gegen den Schulträger gerichteten - Anspruch. Der mit den Außenklassen verfolgte „kooperative“ Beschulungszweck mag dabei zwar sehr wohl einen gemeinsamen Unterricht zwischen Sonderschülern und Schülern der allgemeinen Schule (Partnerklasse) ermöglichen. Die einzelne Ausgestaltung dieses Unterrichts ist aber Sache der Schule selbst, steht insbesondere unter dem Vorbehalt der zur Verfügung stehenden persönlichen und sachlichen Mittel. Eine diese Einschränkung außer Acht lassende Ausweitung des Angebots kann auch angesichts des mit der Außenklasse verfolgten Zwecks der Integration von Sonderschülern nicht zu Lasten des öffentlichen Jugendhilfeträgers gehen. Schon von daher dürfte - im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren - eine Inanspruchnahme des Antragsgegners ausscheiden. Im Einzelnen gilt Folgendes:
Für den Antragsteller liegt eine Zuweisung an die Sonderschule vor, die gem. § 82 Abs. 2 S. 1 SchulG noch vom seinerzeit hierfür zuständigen Staatlichen Schulamt H. getroffen wurde (vgl. dessen Schreiben vom 23.02.2002) und nach wie vor Gültigkeit hat. Danach hat der Antragsteller seine Schulpflicht an einer Sonderschule für Geistigbehinderte, konkret an der ...-Schule, S., zu erfüllen. Ersichtlich ergab sich der diese Zuweisung rechtfertigende sonderpädagogische Förderbedarf (vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 SchulG) aus einem (zumindest grenzwertigen) Intelligenzdefizit im Verein mit dem bereits erwähnten frühkindlichen Autismus, wobei das Gericht diesbezüglich nur an zeitlich spätere ärztliche Einschätzungen anknüpfen kann (vgl. Bericht des ärztlichen Direktors der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters in M. vom 11.02.2005, auf dem ersichtlich die Stellungnahme des Amtsarztes vom 02.08.2005 mit dem praktischen Ergebnis einer „Doppelbehinderung“ beruht). Damit ist der Status eines Sonderschülers und nicht etwa der des Schülers einer allgemeinen Schule für die Beantwortung der Frage, welches in Ansehung eines denkbar jugendhilferechtlich zu deckenden Bedarfs die „angemessene“ Schulausbildung ist, maßgebend. Dass der Antragsteller nunmehr, wie schon zuvor auf Grundschulebene, so jetzt im 5. Schuljahr auf Hauptschulebene, eine sog. Außenklasse besucht, ändert hieran nichts. Die einschlägige, „Kinder und Jugendliche mit Behinderung und besonderem Förderbedarf“ betreffende Verwaltungsvorschrift vom 08.03.1999 (K. und U., S. 45 ff.) stellt dies klar. Zwar werden hiernach - dies beruht auf einer in § 15 Abs. 6 SchulG enthaltenen Ermächtigung - Außenklassen von Sonderschulen an Grund- und Hauptschulen (sowie anderen allgemeinen Schulen) errichtet (vgl. Nr. 5.2 VwV). Gleichwohl bleiben, auch wenn eine Zuordnung der Außenklasse zu einer Partnerklasse (der allgemeinen Schule) erfolgt, die Schüler der Außenklasse Schüler der Sonderschule und werden nach dem Bildungsplan ihrer Sonderschule unterrichtet (vgl. Nr. 5.2.1, Satz 2 VwV). Die Verantwortung der Lehrer für die jeweilige Klasse ihrer Schulart bleibt erhalten (Nr. 5.2.1., S. 1 VwV). Hervorgehoben ist ferner eine kontinuierliche Kooperation zwischen beiden Klassen, wobei der (rein) zeitliche Rahmen der allgemeinen Schule auch für die Schüler der Außenklasse gilt (vgl. Nr. 5.2.1, S. 3 u. 4 VwV).
Auch wenn der Unterricht in einer sog. Außenklasse zu den „weiteren Formen der integrativen Bildung und Erziehung“ gehört (vgl. die Überschrift in Nr. 5 VwV), ist hier gleichwohl die Schwelle des integrativen Unterrichts, bei dem der Behinderte (bei Fehlen einer Zuweisung an die Sonderschule) in einer Klasse der allgemeinen Schule nach deren Bildungsplan unterrichtet wird, nicht erreicht. Von daher vermögen die zur integrativen Unterrichtung im letzteren (eigentlichen) Sinne von der Rechtsprechung gefundenen Grundsätze (vgl. über die eingangs wiedergegebenen Zitate hinaus: Bay.VGH, Urt. v. 06.06.2005, FEVS 57,125; OVG Rhl-Pfalz, Urt. v. 25.07.2003, NDV-RD 2004,36 = ZFSH/SGB 2003, 614) gerade nicht zu dem Ergebnis führen, dass im Entscheidungsfall auf den Bildungsplan der allgemeinen Schule (Hauptschule) als „angemessene Schulbildung“ abzustellen wäre. Auch wenn die Außenklasse im Verhältnis zu anderen (auf § 15 Abs. 5 SchulG gestützten) Kooperationsformen weitreichendere Auswirkungen hat, so ist sie gleichwohl nur vom Kooperationsgedanken, nicht aber von der Identität des zu unterrichtenden Lehrstoffs geprägt. Dabei mag es der durchaus am Bild integrativer Erziehung orientierte Kooperationsgedanke zu rechtfertigen oder sogar förderlich erscheinen lassen, die Schüler der Außenklasse (Sonderschüler) und der Partnerklasse (Regelschüler) im gemeinsamen Unterricht zusammenzuführen. Gleichwohl bleiben auch in diesem Fall die nach Schulart getrennten Bildungspläne verbindlich (vgl. die bereits erwähnte Nr. 5.2.1 S. 2 VwV). Von daher ist die Verwaltungsvorschrift - aus § 15 Abs. 6 SchulG folgt nichts anderes - nur offen für einen gemeinsamen Lernbetrieb, dessen Umfang und Inhalte aber maßgeblich von den wohlverstandenen Interessen der Betroffenen sowie den personellen und sachlichen Ressourcen der Schule selbst abhängen, so dass nach Ansicht des Gerichts schon schulrechtlich kein Anspruch des Sonderschülers auf Teilnahme am Bildungsprogramm der Hauptschule besteht.
10 
Angesichts der von der Unterschiedlichkeit der Bildungspläne, aber auch von der Begrenztheit des Lehrpersonals vorgegebenen Zielkonflikte dürfte dies in der täglichen Schulpraxis dazu führen, dass, soweit gemeinsamer Unterricht eingeführt wird, dieser sich auf sog. weiche Fächer konzentriert. Dies steht im Einklang u.a. mit dem im letzten Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 14.12.2006 enthaltenen Hinweis darauf, dass der Kooperationsunterricht derzeit in den Fächern Musik, Gestalten, Sport, Werken u. Ä. stattfinde. Von daher soll sich, wie von der Prozessbevollmächtigten im Weiteren dargelegt wird, der begehrte Einsatz des Schulbegleiters auch allein auf die „harten“ Fächer Deutsch, Sachkunde und Mathematik erstrecken.
11 
Dieses Verlangen reicht aber, wie bereits aus dem Voranstehenden ersichtlich, sowohl über den von der Verwaltungsvorschrift näher umrissenen schulischen Bildungsanspruch als auch über das im Jugendhilferecht maßgebende Merkmal der angemessenen Schulbildung hinaus.
12 
Anders als die Prozessbevollmächtigte mit ihrem Hinweis auf eine (wohl uneingeschränkte Verpflichtung des Staates zur) Ausschöpfung des Lernpotentials des Kindes meint, ist der schulische Bildungsanspruch keinesfalls schrankenlos gewährleistet. Dies ist auch in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt. Denn hiernach ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass sowohl die zielgleiche wie auch die zieldifferente integrative Erziehung und Unterrichtung unter dem Vorbehalt des organisatorisch, personell und von den sächlichen Voraussetzungen her Möglichen steht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.10.1997, BVerfGE 96, 288, 305).
13 
Sofern, worauf die Prozessbevollmächtigte in dem noch anhängigen (die Hilfe des 4. Schuljahres betreffenden) Klageverfahren - ... - hingewiesen hat und wovon auch das Gericht im Grundsatz ausgeht, der Antragsteller wegen seiner „Doppelbehinderung“, insbesondere im Blick auf den festgestellten Autismus, einen erhöhten Förderbedarf aufweist, so führt dies ebenso wenig zur Glaubhaftmachung des hier erforderlichen Anordnungsanspruchs.
14 
Da der Bildungsplan der Hauptschule die den Antragsteller betreffende „angemessene Schulbildung“ sprengt, hat sich die rechtliche Betrachtung allenfalls noch auf eine Schulbegleitung zum Zwecke der Bewältigung des Bildungsprogramms der Sonderschule zu konzentrieren. Eine dahingehende Sachprüfung dürfte aber bereits dem im Antrag dieses Eilverfahrens ausdrücklich benannten Zweck („Teilnahme am Hauptschulunterricht“) zuwiderlaufen.
15 
Hinzu kommt Folgendes: Angesichts der besonderen Förderungsmöglichkeiten und hiermit zusammenhängenden besonderen personellen und sachlichen Gegebenheiten der Sonderschulen dürfte ferner der Grundsatz eingreifen, dass die Deckung des pädagogischen und integrativen Bedarfs seelisch oder auch ansonsten behinderter Kinder, soweit dies im Schulbetrieb selbst geschieht, ausschließlich von der Sonderschule vorzunehmen ist und es folglich nicht Sache des Jugendhilfeträgers sein kann, hierauf gerichtete Kosten zu tragen (vgl. dazu: VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 03.07.1997 - 6 S 9/97 -, FEVS 48, 228; VG Karlsruhe, Beschl. v. 16.10.2003 - 5 K 2700/03 -).
16 
Im Übrigen sprechen die dem Gericht zugegangenen jüngsten fachlichen Äußerungen sogar nahezu mit Eindeutigkeit dafür, dass dem Integrations- und sonstigen Förderungsbedarf des Antragstellers durch die Schule entsprochen wird. In einem Bericht der Schulaufsicht vom 15.11.2006 ist nämlich zusammenfassend ausgeführt: Der Antragsteller sei gut in die bestehende Klassengemeinschaft integriert und habe sich in der neuen Umgebung problemlos eingewöhnt. Er nehme derzeit am gemeinsamen Unterricht im Rahmen des Kooperationsunterrichts teil. Mit Hilfe einer individuellen stundenweisen Schulbegleitung könne er mit Sicherheit darüber hinaus am Hauptschulunterricht teilnehmen, eine zwingende Notwendigkeit im Sinne des § 35 SGB sei derzeit nicht zu sehen. Ferner äußert sich die Amtsärztin in einer Stellungnahme vom 12.12.2006, der eine zeitnahe Untersuchung des Antragstellers vorausging, abschließend dahingehend, dass die beantragte Schulbegleitung als Integrationsmaßnahme im Rahmen einer Eingliederungshilfe ärztlicherseits nicht für notwendig erachtet werde.
17 
Im Übrigen sieht sich das Gericht angesichts eines dort enthaltenen weiteren Hinweises (vgl. S. 2 unten) darin bestätigt, dass eine Teilnahme des Antragstellers am Bildungsplan der Hauptschule jedenfalls im Bereich der „harten“ Fächer den Rahmen der „angemessenen Bildung“ sprengt. Denn dort ist vermerkt, dass die Mutter mit dem Antragsteller derzeit „Erstklasse-Stoff“ übt.
18 
Nach alledem war der Antrag mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen. Der Hinweis auf die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 S. 2 VwGO.
19 
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten war mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen, wie die voranstehenden Ausführungen nachvollziehbar machen.

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII in Form einer ambulanten Schulbegleitung für 22 Stunden pro Woche zu gewähren.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

 
Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin (§ 87a Abs. 2 u. 3 VwGO).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO, durch die der Antragsgegner verpflichtet werden soll, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII in Form einer ambulanten Schulbegleitung für 22 Stunden pro Woche zu gewähren, ist zulässig und begründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind in beiden Fällen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), dass einerseits ein Anspruch glaubhaft gemacht wird, dessen vorläufiger Sicherung die begehrte Anordnung dienen soll (Anordnungsanspruch), und dass andererseits die Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund).
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nur der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung würde die Hauptsache aber - zumindest zeitweise - vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifiziert hohe Ansprüche zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbar Nachteilen ausgesetzt wäre (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 14.12.1989 - 2 ER 301/89 -, juris; s. auch Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., 2008, Rn. 190 und 200 ff. m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf vorläufige Weiterbewilligung einer Schulbegleitung im Umfang von 22 Wochenstunden zum Besuch der 6. Klasse der Gemeinschaftsschule in X nach den o.g. Maßgaben hinreichend glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller leidet an einer Autismus-Spektrum-Störung (Asperger-Syndrom). Dass der Antragsteller grundsätzlich Anspruch auf Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig; streitig ist nur der Umfang der vom Antragsgegner als Jugendhilfeträger zu gewährenden Hilfe.
Seit 2007 wird dem Antragsteller vom Antragsgegner ambulante Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für eine Integrationshilfe gewährt, zunächst für den Besuch des Kindergartens und seit 14.09.2009 für den Besuch der Schule. Mit Bescheid vom 16.10.2009 hatte der Antragsgegner den Umfang der Schulbegleitung auf 20 Wochenstunden festgesetzt. In der Folgezeit wurde der Betreuungsumfang mehrfach in einem Bereich zwischen 20 und 22 Stunden geändert. Mit Bescheid vom 30.07.2014 reduzierte der Antragsgegner den Umfang der Schulbegleitung für das Schuljahr 2014/2015 ab 15.09.2014 von 22 auf 20 Wochenstunden und ab 01.11.2014 auf 15 Wochenstunden. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2014 zurück. Er begründete seien Widerspruchsbescheid zusammengefasst damit, dass gemäß § 10 SGB VIII Hilfen nach dem SGB VIII gegenüber den schulischen Verpflichtungen nachrangig seien. Pädagogische Aufgaben seien dem originären Kernbereich der Schule zuzurechnen. Ein Teil der von der Schule genannten Aufgaben, bei denen eine Unterstützung des Antragstellers durch die Schulbegleitung erfolgen solle, unterlägen eindeutig dem Kernbereich der Schule. Für die dem Jugendhilfeträger obliegenden Assistenzleistungen seien 15 Wochenstunden mehr als ausreichend. Die bisher geleistete Hilfe habe darüber hinaus schon eine positive Wirkung auf den Schulalltag genommen, so dass es gerechtfertigt sei, den Hilfebedarf anzupassen. Für den Schuljahresbeginn seien in der Eingewöhnungsphase noch 20 Stunden festgesetzt und erst nach den Herbstferien sei eine Begrenzung auf 15 Stunden vorgenommen worden. Eine zwischenzeitlich erfolgte Hospitation einer Mitarbeiterin des Antragsgegners in der Schulklasse des Antragstellers am 09.10.2014 mit und ohne Anwesenheit der Schulbegleiterin habe keine Erkenntnisse erbracht, die eine Schulbegleitung im Aufgabenbereich des Jugendamtes rechtfertige.
Nach der im Eilverfahren möglichen Prüfung spricht zunächst alles dafür, dass eine Schulbegleitung im Umfang von 15 Wochenstunden den tatsächlichen Hilfebedarf des Antragstellers nicht zu decken vermag.
10 
Nach der Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 handelt es sich bei der vom Antragsteller besuchten Gemeinschaftsschule um eine Ganztagesschule mit 34 Wochenstunden Unterricht. Das bedeute, dass sowohl Einzelstunden in den Kernfächern als auch Lern- und Übungszeiten sowie projektorientiertes Arbeiten am Nachmittag stattfinde. Der Antragsteller hat nach dem vorgelegten Stundenplan an vier Tagen in der Woche Nachmittagsunterricht. Dass die bewilligten 15 Zeitstunden rein zeitlich nicht ausreichen, eine Schulbegleitung in allen Schulstunden sicherzustellen, ist unstreitig. Nach der Darstellung der Eltern des Antragstellers sowie der Schulleiterin reichten die vorhandenen Betreuungsstunden schon vor der Kürzung nicht aus, den Bedarf zu decken. Dies habe dazu geführt, dass insbesondere für den Nachmittagsunterricht keine Schulbegleitung zur Verfügung gestanden habe. Nach der Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 passiere es in diesen Situationen häufig, dass der Antragsteller die Mitarbeit verweigere, den Unterricht massiv störe und in Konflikte mit seinen Mitschülern gerate. Unterricht sei dann nicht mehr möglich, so dass der Antragsteller nach Absprache mit den Eltern in solchen Situationen nach Hause geschickt worden sei (zu den konkreten Fehlzeiten vgl. die Mail der Schulleiterin vom 07.01.2015). Diese Vorgehensweise habe aber dazu geführt, dass sich die Schulleistungen des Antragstellers wegen zu viel verpasstem Unterrichtsstoff deutlich verschlechtert hätten. Aus schulischer Sicht bestehe die Gefahr, dass sich die Leistungen des Antragstellers weiter verschlechterten, da ihm wichtiger Unterrichtsstoff fehle und er diesen auch nicht alleine zu Hause nacharbeiten könne. Die hohen Fehlzeiten des Antragstellers hätten auch Auswirkungen auf sein Sozialverhalten. Er gerate immer häufiger in Auseinandersetzungen mit Mitschülern, vergreife sich im Ton gegenüber Lehrkräften und es falle ihm schwer, sich an vereinbarte Regeln zu halten. Aufgrund des Leistungsabfalls sowohl im Arbeits- als auch im Sozialverhalten sei das Erlangen einer angemessenen Schulbildung deutlich gefährdet.
11 
Zur Rechtfertigung der Stundenkürzung beruft der Antragsgegner sich zum einen darauf, dass die bisher geleistete Hilfe schon eine positive Wirkung auf den Schulalltag gehabt habe, so dass es entsprechend der Hilfeplanfortschreibung vom 17.11.2014 gerechtfertigt sei, den Hilfebedarf anzupassen. Dies habe auch ein Besuch einer Mitarbeiterin in der Klasse des Antragstellers am 09.10.2014 ergeben, bei dem diese den Antragsteller mit und ohne Anwesenheit der Schulbegleiterin beobachtet habe.
12 
Dass die Fortschritte des Antragstellers eine Kürzung der Schulbegleitung auf 15 Stunden rechtfertigen, lässt sich an Hand der vorgelegten Akten nicht nachvollziehen. Dies erscheint schon deshalb zweifelhaft, weil der Antragsgegner bereits mit Bescheid vom 30.07.2014 den Umfang der Schulbegleitung ab dem 01.11.2014 auf 15 Wochenstunden gekürzt hat, ohne dass zu diesem Zeitpunkt eine konkrete Bedarfserhebung oder eine Hilfeplanfortschreibung unter Einschaltung der Schule erfolgt ist, aus der sich ein verminderter Hilfebedarf des Antragstellers zum 01.11.2014 herleiten lässt. Aus den im Eilverfahren vorgelegten Behördenakten ergibt sich jedenfalls in dieser Hinsicht nichts Konkretes. Der Kammer ist vielmehr aus Parallelverfahren (etwa 7 K 4809/14 und 7 K 453/15) bekannt, dass der Antragsgegner unter Berufung auf das Rechtsgutachten Prof. Dres. Kepert und Pattar, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, vom März 2014 bei Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung die Schulbegleitung grundsätzlich auf 15 Wochenstunden reduziert hat, weil nach seiner Auffassung vom Schulbegleiter überwiegend Aufgaben übernommen werden, die in den Aufgabenbereich der Schule fallen. Etwas anderes folgt im vorliegenden Fall auch nicht aus der Tatsache, dass eine Mitarbeiterin des Antragsgegners am 09.10.2014 die Klasse des Antragstellers besucht, dessen Beschulung mit und ohne Schulbegleiter beobachtet und den Verlauf der Unterrichtsstunden ausweislich des Protokolls des Hilfeplangespräches vom 17.11.2014 als positiv bezeichnet hat. Nach Darstellung der Schulleiterin (vgl. überarbeitetes Protokoll des Hilfeplangespräches vom 17.11.2014) habe die Hospitation zwei Stunden gedauert und sei nicht aussagekräftig. Der Antragsteller habe sich „mächtig angestrengt“, was ihn viel Energie gekostet habe. Ein detailliertes Protokoll über den Schulbesucht, etwa wann und in welchen Schulstunden er erfolgt ist und welcher konkrete Hilfebedarf sich aus den Beobachtungen ergibt, ist in den vorgelegten Akten nicht vorhanden. Wie die Eltern des Antragstellers in ihrer Widerspruchsbegründung nachvollziehbar dargelegt haben, sei insbesondere nach der Pause und dem anschließenden Nachmittagsunterricht eine Strukturierung des weiteren Ablaufs dringend notwendig, da auch gerade durch Erschöpfungszustände Problemsituationen vermehrt entstehen könnten. Auch die Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 spricht dagegen, dass eine Reduzierung des Umfangs der Schulbegleitung sich aus einem verminderten Hilfebedarf des Antragstellers herleiten lässt. Dass S. den Nachmittagsunterricht selbständig bewältigen kann, ist daher - folgerichtig - nur als Ziel in der Hilfeplanfortschreibung vom 17.11.2014 genannt.
13 
Zur Rechtfertigung der Stundenkürzung beruft der Antragsgegner sich zum anderen darauf, dass für einen Teil der Aufgaben, bei denen eine Unterstützung des Antragstellers durch die Schulbegleitung erfolgen solle, die Schule und nicht das Jugendamt zuständig sei. Auch dieser Einwand stellt den Anordnungsanspruch nicht mit Erfolg in Frage.
14 
Richtig ist, dass die Vermittlung einer angemessenen (nicht optimalen) Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht vorrangig Aufgabe der staatlichen Schulverwaltung ist. Dies ergibt sich aus § 10 Abs. 1 SGB VIII, wonach Verpflichtungen anderer, insbesondere der Schulen, durch das SGB VIII nicht berührt werden. Gemäß § 15 Abs. 4 SchulG BW ist die Förderung behinderter Schüler auch Aufgabe in den anderen Schularten als den Sonderschulen. Behinderte Schüler werden in allgemeinen Schulen unterrichtet, wenn sie aufgrund der gegebenen Verhältnisse dem jeweiligen gemeinsamen Bildungsgang in diesen Schulen folgen können. Sofern die Schulverwaltung eine Sonderschulpflicht nicht feststellt, umfasst die schulische Verpflichtung einer Regelschule im Einzelfall daher grundsätzlich auch die Erbringung eines sonderpädagogischen Bedarfs und die Inklusion von behinderten Schülern in den Klassenverband. Die Rechtsprechung geht allerdings davon aus, dass auf jugendhilferechtliche Eingliederungsmaßnahmen wie die Bereitstellung eines Schulbegleiters zurückgegriffen werden kann, um den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.01.2003 - 9 S 2268/02 -, Rn. 5 f., juris). Dabei ist der Jugendhilfeträger an die Entscheidung der Schulverwaltung über die Zuweisung des schulpflichtigen behinderten Kindes an eine bestimmte Schule oder Schulart gebunden (vgl. BVerwG, Urt. vom 28.04.2005 - 5 C 20/04 -, Rn. 11, juris). Eingliederungshilfen sind unterstützende Leistungen; im „Kernbereich der pädagogischen Aufgaben der Schule“ sind sie regelmäßig nicht zu erbringen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.10.2012 - 5 C 21/11 -, Rn. 37; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 8 SO 30/10 R -; jeweils juris).
15 
Im vorliegenden Fall ist grundsätzlich streitig, inwieweit bei der Beschulung eines Kindes mit dem sog. Asperger-Syndrom, welches durch eine Abweichung der wechselseitigen sozialen Interaktion bei fehlendem Rückstand von Sprache und kognitiver Entwicklung gekennzeichnet ist (vgl. Definition nach ICD-10 F84.5), die Schule vorrangig leistungspflichtig ist. Diese Frage braucht im Eilverfahren jedoch nicht geklärt zu werden. Der Antragsgegner verkennt in seiner Entscheidung, dass die Frage, ob die nachrangige Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers gemäß § 10 Abs. 1 SGB VIII greift, nicht zu Lasten des Leistungsberechtigten entschieden werden darf. Allein das mögliche Bestehen einer vorrangigen Leistungspflicht der Schule lässt die nachrangige Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers dann nicht entfallen, wenn die vorrangige Pflicht, aus welchen Gründen auch immer, nicht erfüllt wird. Vielmehr dient die bei Unklarheiten bezüglich der Zuständigkeiten oder Umsetzungsproblemen aktivierte „Ausfallbürgschaft“ des Jugendhilfeträgers gerade dem Zweck, auf jeden Fall die Leistung sicherzustellen. Lässt sich eine integrative Beschulung nur durch die zusätzliche Unterstützung durch einen Schulbegleiter sicherstellen, so besteht - trotz grundsätzlichem Vorrang der Schule nach § 10 Abs. 1 SGB VIII, die vorliegend jedoch nach dem oben Gesagten die notwendige Hilfe nicht sicherstellt -, gegenüber dem Jugendamt ein entsprechender Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII (ebenso OVG NW, Urteil vom 22.08.2014 - 12 A 3019/11 -, Rn. 80, juris; DIJuF-Rechtsgutachten vom 16.10.2014, JAmt 2014, 561 ff., und vom 17.10.2014, JAmt 2014, 558 ff.; Meysen in Münder u.a., Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl., § 10 Rn. 2, 22 f.; Wiesner, Kommentar zum SGB VIII, 4. Aufl., § 10 Rn. 25; Kunkel, LPK zum SGB VIII, 4. Aufl., § 10 Rn. 7, 34 ff.; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung). Ob und in welchem Umfang dem Antragsgegner wegen seiner Aufwendungen ein Erstattungsanspruch zusteht, braucht im vorliegenden Verfahren nicht geklärt zu werden.
16 
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund, d.h. eine besondere Eilbedürftigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes, glaubhaft gemacht. Wie sich aus der Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 schlüssig ergibt, ist bei einer Kürzung der Schulbegleiterstunden auf 15 Wochenstunden die erfolgreiche Beschulung sowie die soziale Integration des Antragstellers konkret gefährdet. Angesichts der Fehlzeiten des Antragstellers haben seine Eltern ab dem 08.12.2014 zwar vorübergehend eine weitere Schulbegleitung privat finanziert, damit der Antragsteller montags, dienstags und donnerstags wieder am Nachmittagsunterricht teilnehmen kann. Sie haben aber mit Schriftsatz vom 21.01.2015 glaubhaft gemacht, dass ihnen die finanzielle Belastung auf Dauer nicht zuzumuten ist. Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, sei darauf hingewiesen, dass die Eltern des Antragstellers zudem unbestritten vorgetragen haben, die Schulbegleiterin betreue den Antragsteller ab Februar 2015 nur noch im Umfang von 15 Zeitstunden, da die AWO einer privaten Kostenübernahme widerspreche.
17 
Sofern sich während des laufenden Schuljahres entscheidungserhebliche Änderungen ergeben, ist es dem Antragsgegner unbenommen, einen Abänderungsantrag zu stellen.
18 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des laufenden Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII in Form einer Schulbegleitung für den Besuch der Q.    -N.    -Schule in I.      in dem vor dem Erlass des Ablehnungsbescheides vom 19. August 2014 gewährten Umfang zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
Der Antragsteller begehrt - sachdienlich gefasst - den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die Kosten für eine Schulbegleitung durch ... als pädagogische Fachkraft zu übernehmen.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind in beiden Fällen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO), dass einerseits ein Anspruch glaubhaft gemacht wird, dessen vorläufiger Sicherung die begehrte Anordnung dienen soll (Anordnungsanspruch) und dass andererseits die Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund).
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche gem. § 35 a Abs. 1 SGB VIII vorliegen. Diese Hilfe umfasst nach § 35 a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Der Antragsgegner gewährte dem Antragsteller deshalb in der Vergangenheit Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung. Im Bewilligungsbescheid vom 12.7.2012 übernahm der Antragsgegner für das Schuljahr 2012/2013 die Kosten einer beim SOS-Kinderdorf beschäftigten „Fachkraft analog Erzieher“ im Umfang von 26 Wochenstunden für die Schulbegleitung und zusätzlich 26 Stunden im Monat für die Betreuung am Nachmittag. Die Schulbegleitung wurde im vergangenen Schuljahr wie in den Vorjahren von Frau ... wahrgenommen, deren Arbeit mit einem Stundensatz von 32,-- EUR vergütet wurde. Frau ... ist ausgebildete Grundschullehrerin mit heil- und motopädagogischen Zusatzqualifikationen und verfügt über praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Schulbegleitung.
Für das laufende Schuljahr bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 28.6.2013 eine Schulbegleitung durch eine „sonstige Kraft ohne sozialpädagogische Ausbildung (z.B. Bundesfreiwilligendienst, Freiwilliges Soziales Jahr, Studierende, Lehrer/innen)“. Da Frau ... nicht bereit war, die Schulbegleitung zu den Bedingungen einer „sonstigen Kraft“ zu übernehmen, bot der Antragsgegner eine von der ...Gesellschaft gestellte Schulbegleitung an. Im Widerspruchsbescheid vom 26.7.2013 wurde dazu ausgeführt, dieser Träger habe seit etlichen Jahren Erfahrungen mit behinderten Kindern. Speziell für die Schulbegleitung von autistischen Kindern erhielten die Mitarbeiter ein Seminar zur Einführung in die Betreuung, das von dem Diplompädagogen Dr. G. für Absolventen des FSJ, BFD und anderen ungelernten Hilfskräften entwickelt worden sei.
Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der Maßnahme der Jugendhilfe handelt es sich um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses. Dieses Ergebnis erhebt nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit, muss jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Dem Träger der Jugendhilfe steht ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Diese Kontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob allgemein gültige fachliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob sachfremde Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.1999 - 5 C 24/98 -, BVerwGE 109, 155 ff.). Ein Anspruch auf eine bestimmte Hilfe besteht im Grundsatz nur dann, wenn sie die einzig notwendige und geeignete Hilfemaßnahme ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 28.4.2009 - 12 CE 09.635 -, juris). Das ist hier- summarisch geprüft - nicht der Fall.
Aus dem Antragsvorbringen ergibt sich nicht, dass die Schulbegleitung für den Antragsteller zwingend durch eine pädagogisch ausgebildete Fachkraft erfolgen muss. Aufgabe des Schulbegleiters ist es, die Dienstleistungen und Maßnahmen zu erbringen, die im Einzelfall erforderlich sind, damit der betreffende Schüler das pädagogische Angebot der Schule wahrnehmen kann. Der Schulbegleiter leistet mithin Assistenzdienste im Sinne begleitender Hilfe durch eine schulfremde Person und hat ausschließlich flankierende, den Unterricht sicherstellende Hilfestellungen zu geben und Tätigkeiten auszuführen (vgl. SG Karlsruhe, Urteil vom 22.7.2011 - A 1 SO 4882/09 -, juris). Schulbegleiter haben demgegenüber keine Aufgaben im Bereich der Pädagogik oder Sonderpädagogik, wie in der vom Antragsgegner vorgelegten Stellungnahme des medizinisch-pädagogischen Dienstes des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg vom 15.7.2010 zutreffend dargestellt wird. Denn diese Aufgaben obliegen gem. § 39 Abs. 6 SchulG den Lehrkräften einer Schule, die die unmittelbare pädagogische Verantwortung für die Erziehung und Bildung der Schüler tragen.
Ein allgemeines Erfordernis, Schulbegleitungen ausschließlich pädagogisch und psychologisch ausgebildeten Fachkräften zu übertragen, besteht danach nicht (vgl. VG Sigmaringen, Beschluss vom 27.7.2010 - 2 K 1325/10 -, bestätigt durch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.10.2010 - 12 S 1988/10 -). Auch im Falle des Antragstellers ist nicht glaubhaft gemacht, dass für ihn als Schulbegleiter nur eine einschlägig ausgebildete Fachkraft in Betracht kommt. Anders als die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers meint, trifft die fachärztliche Stellungnahme vom 18.9.2012 keine Aussage zur notwendigen Qualifikation eines Schulbegleiters. In der Stellungnahme wird dem Antragsteller eine Einschränkung der Handlungsfähigkeit in verschiedenen Bereichen bescheinigt. Außerdem wird von motorischen Schwierigkeiten berichtet, die Probleme im Bereich der Schrift und der Heftführung bereiteten, weshalb ein Nachteilsausgleich bei der Benotung befürwortet werde. Auch der Hilfebedarf des Antragstellers, wie er in der Stellungnahme der Schulleitung vom 4.6.2013 beschrieben wird, gebietet es voraussichtlich nicht, dass ausschließlich eine pädagogisch oder psychologisch ausgebildet Fachkraft als Schulbegleiter eingesetzt wird. In der Stellungnahme heißt es, dem Antragsteller falle die Kontaktaufnahme zu Mitschülern und die Kommunikation mit ihnen schwer. Er benötige, etwa bei Gruppenarbeiten, Hilfestellung, um mit den Mitschülern zusammen etwas erarbeiten zu können. Schwierigkeiten bestünden auch bei gestalterischen Aufgaben im Unterricht. Als Aufgabe der Schulbegleitung wird daher die Unterstützung bei der Zusammenarbeit mit anderen Schülern gesehen, wobei es vor allem darum gehe, den Antragsteller zu eigenem Handeln zu motivieren und bei der Kontaktaufnahme zu anderen zu unterstützen. Außerdem könne die Schulbegleitung in schwierigen Situationen eingreifen, indem sie den Antragsteller beruhige, ihm Orientierung gebe, in seinem Handeln unterstütze, zur Eigeninitiative auffordere und ggf. den Lehrer informiere. Eine weitere Aufgabe der Schulbegleitung besteht nach Auffassung der Schulleitung darin, in Gesprächen mit dem Antragsteller Vorkommnisse und Entwicklungen zu reflektieren. Aus dieser Aufgabenbeschreibung lässt sich nicht zwingend ableiten, dass ausschließlich pädagogisch oder psychologisch ausgebildete Fachkräfte eine Schulbegleitung für den Antragsteller wahrnehmen können. Es erscheint vielmehr durchaus möglich, dass auch etwa im Bundesfreiwilligendienst oder im Freiwilligen Sozialen Jahr tätige Personen diese Aufgaben übernehmen, sofern sie - wie hier vorgesehen - durch ein speziell auf die Betreuung autistischer Kinder ausgerichtetes Seminar vorbereitet werden und beim Träger fachkundige Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Der Antragsgegner weist darauf hin, dass es aus seiner Erfahrung gerade bei autistischen Kindern in einer Vielzahl von Fällen gelungen sei, im Freiwilligen Sozialen Jahr Tätige erfolgreich als Schulbegleiter einzusetzen. Es ist nicht erkennbar, weshalb dies beim Antragsteller nicht möglich sein soll.
10 
Die Kammer verkennt nicht, dass die seither tätige, pädagogisch hoch qualifizierte Schulbegleiterin, die den Antragsteller seit langem erfolgreich betreut, für diese Aufgabe gut geeignet ist. Das bedeutet nach dem Ausgeführten aber nicht, dass für den Antragsteller eine Schulbegleitung durch eine pädagogisch und psychologisch ausgebildete Fachkraft auch erforderlich ist. Dass ein Wechsel in der Schulbegleitung Belastungen für den Antragsteller mit sich bringen kann, zwingt nicht dazu, eine einmal ausgewählte Schulbegleitung ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Kosten auf unabsehbare Zeit weiter einzusetzen. Die Kammer geht davon aus, dass eine fachkundig vorbereitete und angeleitete Schulbegleitung in der Lage ist, den Antragsteller mit der neuen Situation vertraut zu machen und ihn zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zu bewegen. Dass der Antragsteller durch einen Austausch der Betreuungsperson vor unüberwindliche Schwierigkeiten gestellt wird, kann nicht angenommen werden.
11 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 VwGO.

(1) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach diesem Buch entsprechende Leistungen vorgesehen sind.

(2) Unterhaltspflichtige Personen werden nach Maßgabe der §§ 90 bis 97b an den Kosten für Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch beteiligt. Soweit die Zahlung des Kostenbeitrags die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen mindert oder der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch gedeckt ist, ist dies bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen.

(3) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Zweiten Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 3 Absatz 2, den §§ 14 bis 16g, 16k, § 19 Absatz 2 in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches sowie Leistungen nach § 6b Absatz 2 des Bundeskindergeldgesetzes in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches den Leistungen nach diesem Buch vor.

(4) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Neunten und Zwölften Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 27a Absatz 1 in Verbindung mit § 34 Absatz 6 des Zwölften Buches und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach diesem Buch vor. Landesrecht kann regeln, dass Leistungen der Frühförderung für Kinder unabhängig von der Art der Behinderung vorrangig von anderen Leistungsträgern gewährt werden.

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Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22. September 2009 und des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses bei dem beklagten Landkreis vom 28. Dezember 2009 verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 01.Oktober 2009 bis 31.Juli 2010 im Rahmen der Eingliederungshilfe heilpädagogisches Reiten mit einer Therapieeinheit wöchentlich zu bewilligen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckungsfähigen Betrages abzuwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Bewilligung einer Eingliederungshilfe in der Form einer Reittherapie.

2

Bei der Klägerin liegt nach einer Stellungnahme der Kinderfrühförderung - Sozialpädagogisches Zentrum - vom 23. August 2007

3

1) allgemeiner Entwicklungsrückstand um ca. 40% bis 50% des Lebensalters (F 89; F70.0 V) und

2) Strabismus, Astigmatismus (H 50.1)

vor.

4

Mit Schreiben vom 28. August 2007 wurde aufgrund der komplexen Störung ein heilpädagogisches Reiten für erforderlich erachtet. Daraufhin übernahm der Beklagte mit Bescheid vom 01. Oktober 2007 im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII die Kosten für heilpädagogische Reittherapie in der Praxis von Frau... für zwei Fördereinheiten wöchentlich in der Zeit vom 01. Oktober 2007 bis 31. März 2008. Mit Bescheid vom 07. April 2008 wurde die Bewilligung bis zum 30. September 2008 verlängert.

5

Am 08. September 2008 beantragten die Eltern der Klägerin die Weiterbewilligung der heilpädagogischen Reittherapie. Dem Antrag war eine Stellungnahme des Sozialpädagogischen Zentrums vom 08. Februar 2008 beigefügt, in dem aufgrund der komplexen Störung des Kindes mit Entwicklungsrückstand um weit über ein halbes Jahr auch im emotionalen Bereich davon ausgegangen wird, dass das heilpädagogische Reiten nötig sei, um die Persönlichkeit der Klägerin, ihr Selbstvertrauen und ihre Frustrationstoleranz zu stärken und um ihre Ängste und Verhaltensauffälligkeiten abzubauen. In einem Zwischenbericht der heilpädagogischen Praxis ... wird ebenfalls die Weiterführung der Reittherapie für dringend erforderlich gehalten.

6

Mit Bescheid vom 03. November 2008 teilte der Beklagte den Eltern der Klägerin mit, dass in der Vergangenheit die Kosten einer Reittherapie zu Unrecht übernommen worden seien, da diese nicht Bestandteil des Leistungskataloges des § 54 ff. SGB XII sei. Da die Leistungen in der Vergangenheit jedoch über einen längeren Zeitraum gewährt worden seien, werde im Rahmen der Interessenabwägung zwischen diesem entstandenen Vertrauensschutz einerseits und der Rückkehr zu einem rechtmäßigen Handeln andererseits für die Dauer von weiteren 6 Monaten - also vom 01. Oktober 2008 bis zum 31. März 2009 - die Reittherapie als abschließende Maßnahme bewilligt.

7

Mit Schreiben vom 08. März 2009 beantragten die Eltern der Klägerin erneut die weitere Übernahme der Kosten für das heilpädagogische Reiten. Die Klägerin habe bereits seit längerem einen Behindertenstatus. Zwischenzeitlich sei klar, dass es sich nicht nur um eine Entwicklungsverzögerung handele, sondern dass eine dauerhafte Beeinträchtigung vorliege. Durch ihre Ängste sei die Behinderung sicherlich auch seelisch bedingt.

8

Darauf bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 07. Mai 2009 erneut Eingliederungshilfe als abschließende Maßnahme für die Zeit vom 01. April 2009 bis 30. September 2009. Die Fortsetzung der Reittherapie werde im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem achten Sozialgesetzbuch bis zu dem üblichen Zeitumfang von 2 Jahren als freiwillige Maßnahme ermöglicht, um einen abschließenden Therapieerfolg sicherzustellen.

9

Einen erneuten Antrag der Eltern der Klägerin auf weitere Fortsetzung der Kostenübernahme für das heilpädagogische Reiten lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. September 2009 ab. Zur Begründung führte er aus, nach § 35a SGB VIII richte sich die Art der im Rahmen der Eingliederungshilfe zu gewährenden Leistungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 26 SGB IX. Nach diesen Vorschriften umfassten die Leistungen der Eingliederungshilfe u.a. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Bei dem therapeutischen Reiten handele es sich seiner Zielrichtung nach im Schwerpunkt um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation als ärztlich verordnete Dienstleistung nach § 26 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX i.V.m. § 30 SGB VII, die einem Heilzweck diene oder einen Heilerfolg sichere und nur von entsprechend ausgebildeten Personen erbracht werden dürfe. Gem. § 54 Abs. 1 S.2 SGB XII entsprächen die zu gewährenden Leistungen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V. Der Inhalt und Umfang der zu erbringenden Leistungen bestimme sich nach den gem. § 92 SGB V durch gemeinsamen Beschluss der Ärzte und Krankenkassen erlassenen Richtlinien (Heilmittel- und Hilfsmittelrichtlinien). Das therapeutische Reiten sei jedoch nicht in diese Richtlinien aufgenommen worden. Eine Übernahme der Kosten sei daher weder aus Mitteln der Jugendhilfe noch der Sozialhilfe möglich. In der Vergangenheit sei die Reittherapie als freiwillige Leistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bis zu einem Höchstförderungszeitraum von zwei Jahren gewährt worden. Bereits in dem Bewilligungsbescheid vom 07. Mai 2009 sei darauf hingewiesen worden, dass in Zukunft keine freiwillige Reittherapie mehr übernommen werde.

10

Gegen diesen Bescheid legten die Eltern der Klägerin durch Schreiben vom 29. September 2009 mit der Begründung Widerspruch ein, die Klägerin leide unter erheblichen Angst- und Panikattacken, die durch die bisher erfolgte Reittherapie schon zu einer Besserung geführt hätten, jedoch unbedingt einer weiteren Behandlung bedürften. Andere Landkreise - wie z.B. der Landkreis ... - gewähre diese Hilfe auch über die Zweijahresgrenze hinaus.

11

Der Kreisrechtsausschuss bei dem beklagten Landkreis wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 2009 zurück. Er führte zur Begründung aus, die Klägerin habe weder aufgrund der Vorschriften des SGB XII noch nach § 35a SGB VIII einen Anspruch auf Weiterbewilligung einer Reittherapie. Ein Anspruch nach § 35 a SGB VIII scheide bereits deshalb aus, da diese Vorschrift nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB XII bei der Hilfe für geistig oder körperlich behinderte Kinder oder Jugendliche den Regelungen über eine Eingliederungshilfe nach dem SGB XII nachgingen. Gleiches gelte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes auch bei einem Zusammentreffen von geistiger und seelischer Behinderung - wie sie bei der Klägerin vorliege -, sodass ein Anspruch gegenüber dem Jugendhilfeträger ausgeschlossen sei. Der Umstand, dass der Beklagte die bisher geleistete Hilfe zu Unrecht als Maßnahme der Jugendhilfe angesehen habe, ändere hieran nichts, da die Leistungen ausdrücklich als freiwillige Leistungen gewährt worden seien. Ein Anspruch nach § 53 SGB XII scheide ebenfalls aus. Zwar gehöre die Klägerin zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis, hier sei das therapeutische Reiten aber als nichtverordnungsfähiges Heilmittel nach der Heilmittelrichtlinie ausgeschlossen.

12

Daraufhin hat die Klägerin am 22. Januar 2010 die vorliegende Klage erhoben, mit der sie vorträgt,

13

sie leide an einer seelischen Störung, die sich in Verhaltensauffälligkeiten, wie Angstzustände, geringere Frustrationstoleranz und Verlassensängsten äußere. Hinzu kämen eine Entwicklungsverzögerung sowie deutliche motorische Störungen. Aus diesem Grunde sei ihr auch bisher das heilpädagogische Reiten bewilligt worden. Da die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII auch derzeit noch vorlägen, sei es nicht gerechtfertigt, die Bewilligung der Reittherapie vor dem Eintritt des Therapieerfolges einzustellen. Die Klägerin benötige noch 1 bis 2 Jahre, um den gewünschten Erfolg der Therapie zu erzielen. Sie sei auch für ein Jahr von dem Besuch der Schule zurückgestellt und werde erst im August 2010 eingeschult. Sie habe sich darauf verlassen, dass ihr das heilpädagogische Reiten bis zum Abschluss der Behandlung bewilligt werde, um den bisher erzielten Behandlungserfolg nicht in Frage zu stellen. Darüber hinaus würde die Reittherapie von anderen Jugendhilfebehörden auch weiterhin gewährt, sodass ein Anspruch auf die Bewilligung der beantragten Leistung auch aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes bestehe. Aufgrund einer weiteren - von der Klägerin vorgelegten - Stellungnahme der Kinderfrühförderung durch Herrn Dr. med. ... und Frau Dr. ... vom 15. Januar 2010 werde die Fortführung des heilpädagogischen Reitens dringend empfohlen, da bei der Klägerin neben einer vorliegenden geistigen Behinderung auch eine seelische Behinderung drohe.

14

Die Klägerin beantragt,

15

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.September 2009 und des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses bei dem beklagten Landkreis vom 28. Dezember 2009 zu verpflichten, der Klägerin ab dem 01.Oktober 2009 bis zum 30.Juli 2010 - kurz vor ihrer Einschulung - im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII heilpädagogisches Reiten mit einer Therapieeinheit wöchentlich zu bewilligen.

16

Der Beklagte beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er trägt unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid ergänzend vor,

19

dass es sich - wie auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen und das Verwaltungsgericht Aachen entschieden habe - sowohl bei der Hippotherapie als auch bei dem heilpädagogischen Reiten um medizinische Rehabilitationsleistungen i.S. des § 26 Abs. 3 SGB IX handele. Eine Übernahme der Kosten für medizinische Rehabilitationsleistungen scheitere aber daran, dass die hier begehrte Leistung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung keine zu übernehmende Leistung sei. Leistungen, die nach dem SGB XII nicht erstattungsfähig seien, könnten auch nach dem Kinder- und Jugendhilferecht nicht übernommen werden.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze und die hierzu vorgelegten Unterlagen verwiesen. Auf die Verwaltungsakten des Beklagten und die Widerspruchsakten des Kreisrechtsausschusses bei dem beklagten Landkreis wird ebenfalls Bezug genommen. Die Akten lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

21

Die Klage ist zulässig und muss auch in der Sache zum Erfolg führen.

22

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung des beantragten "therapeutischen Reitens" ab dem 01. Oktober 2009 bis 30. Juli 2010.

23

Gemäß § 35a SGB VIII hat ein Kind oder ein Jugendlicher Anspruch auf die Gewährung von Eingliederungshilfe, wenn

24

- die seelische Gesundheit des Kindes mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und

25

- aufgrund der seelischen Störung die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.

26

Vorliegend ist es zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die Klägerin - wie auch von der Kinderfrühförderung bescheinigt - unter einer seelischen Störung leidet oder diese zumindest droht, da sie neben deutlichen Entwicklungsrückständen auch Auffälligkeiten in Verhalten und Emotion zeigt. Sie wird als sehr ängstlich, unzufrieden und mit niedriger Toleranzschwelle beschrieben. Gleichzeitig ist auch von einer auf der seelischen Störung beruhenden Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auszugehen, da die Klägerin außerhalb des Kindergartens keinen Anschluss zu anderen, gleichaltrigen Kinder hat.

27

Aus diesem Grunde hat der Beklagte der Klägerin auch mit Bescheid vom 07. Mai 2009 noch 20 Fördereinheiten "heilpädagogisches Reiten" bewilligt.

28

Eine Leistung des Beklagten nach dem § 35a SGB VIII ist hier auch nicht aufgrund von § 10 SGB VIII ausgeschlossen. Insoweit kann es offen bleiben, ob gem. § 10 Abs. 4 SGB VIII, der bestimmt, dass die Leistungen für körperlich oder geistig behinderte Kinder nach dem SGB XII den Leistungen nach § 35a SGB VIII auch dann vorgehen, wenn neben der seelischen Behinderung - wie im vorliegenden Fall - auch eine geistige Behinderung vorliegt, denn jedenfalls kann die Klägerin nicht auf eine Zuständigkeit der Sozialhilfebehörde verwiesen werden, da diese Leistung nicht präsent ist, weil die Beklagte in ihrer Funktion als Sozialhilfebehörde, die Gewährung der Leistung ebenfalls abgelehnt hat. In diesem Fall muss die Jugendhilfe als "Ausfallbürge" eintreten (vgl. Wiesner, SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar 3. Aufl. § 35a Rdn. 41). Ein solcher Nachrang in der Leistungspflicht hat nämlich keine Auswirkung auf das Leistungsverhältnis zwischen dem Hilfebedürftigen und dem Leistungsträger; darauf kommt es nur für die Frage einer Kostenerstattung zwischen Jugendhilfe- und Sozialhilfeträger an (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 1999 - 5 C 26/98 - in juris und VG Braunschweig, Urteil vom 19. März 2009 - 3 A 63/08 - in juris).

29

Nach dem, deshalb maßgeblichen § 35a Abs. 3 SGB VIII richten sich Aufgabe und Ziel der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Leistungen nach § 53 Abs. 3 und 4 Satz 1 sowie den §§ 54,56 und 57 SGB XII, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden. Gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe unter anderem die Leistungen nach §§ 26, 33, 41 und 55 des SGB IX. Nach Auffassung der erkennenden Kammer steht der Klägerin ein Anspruch auf Förderung in Form heilpädagogischen Reitens bis zu ihrer Einschulung im August 2010 nach § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX zu.

30

Hiernach werden als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft heilpädagogische Leistungen für Kinder erbracht, die noch nicht eingeschult sind.

31

Entgegen der Auffassung des Beklagten unterfällt in dem vorliegenden Fall das heilpädagogische Reiten nämlich nicht dem § 26 SGB IX als Maßnahme einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation, sondern es stellt eine heilpädagogische Maßnahme im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX dar. Nach § 26 Abs. 3 SGB IX sind Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zwar auch solche medizinischen, psychologischen und pädagogischen Hilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um die in Abs. 1 genannten Ziele zu erreichen oder zu sichern. Diese Maßnahmen sind aber andere als Maßnahmen deren Schwerpunkt in der pädagogischen Arbeit liegen. Hier ist § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX nach Auffassung der erkennenden Kammer die speziellere Vorschrift, um Kindern vor der Einschulung besondere pädagogische Hilfe zukommen zu lassen. Ob das heilpädagogische Reiten eine medizinische Rehabilitationsleistung oder eine heilpädagogische Leistung darstellt, richtet sich allein nach der speziellen Ausgestaltung der Leistung (vgl. auch Bayrischer VGH, Urteil vom 24. März 2009 - 12 B 06.2837 - in juris).

32

Vorliegend wird in dem Bericht der Kinderfrühförderung ausgeführt, dass ein heilpädagogisches Reiten erforderlich sei, um Ängste und Verhaltensauffälligkeiten abzubauen und das Selbstvertrauen und die Frustrationstoleranz zu steigern. Wie der letzte in den Akten befindliche Zwischenbericht der freien heilpädagogischen Praxis von Frau ... zeigt, sind Ziele der Therapie

33

- Handlungs- und Bewegungsmuster zu entwickeln, Zusammenhänge zu erkennen und zu bilden und Regeln abzuleiten.

34

Hierbei handelt es sich nach Auffassung der erkennenden Kammer eindeutig um pädagogische Maßnahmen.

35

- Intensive Beziehungspflege zum Pferd. Hier werden insbesondere die Bildung von Selbstvertrauen des Kindes und der Abbau von Ängsten gegenüber dem Tier trainiert.

36

Auch hier ist die Kammer der Auffassung, dass es sich schwerpunktmäßig um eine pädagogische Maßnahme handelt.

37

- Förderung eines stimmigen Körpergefühls (z.B. Gefühl für Gerade Sitzen auf dem Pferd).

38

Dies ist nach Meinung des Gerichts eher als eine der Krankengymnastik verwandte Therapie einzuordnen.

39

- Selbstvertrauen und Frustrationstoleranz stärken, um so mit Ängsten umgehen zu können und Verhaltensauffälligkeiten abzubauen.

40

Derartige Ziele sind wiederum mit Leistungen zu erreichen, die der Heilpädagogik zuzuordnen sind. Hier ist auch die Identitätsfindung einzuordnen, die ebenfalls einen pädagogischen Schwerpunkt hat.

41

Die Ziele der Verbesserung der sensorischen Integration und Körperwahrnehmung beinhalten sowohl pädagogische als auch therapeutische Elemente.

42

Insgesamt ist daher nach Auffassung der erkennenden Kammer festzustellen, dass der Schwerpunkt des von Frau ... mit der Klägerin durchgeführten heilpädagogischen Reitens auf der pädagogischen Leistung liegt und es sich daher nicht um eine medizinische Rehabilitationsleistung nach § 26 SGB IX handelt.

43

Insofern grenzt nämlich auch der Beschluss des gemeinsamen Bundesausschusses in der am 20. Juni 2006 abgegebenen Begründung zum Bewertungsverfahren über die Hippotherapie wie folgt ab: "In Anlehnung an die in den Stellungnahmen genannten Auffassungen definiert der G-BA die Hippotherapie als physiotherapeutische Behandlung auf neurophysiologischer Grundlage mit und auf dem Pferd. Das Heilpädagogische Reiten und das Voltigieren werden von dieser Definition abgegrenzt und somit nicht im Bewertungsprozess weiterverfolgt. Diese Formen des therapeutischen Reitens werden vor allem bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, Verhaltensstörungen oder mentalen Einschränkungen sowie bei Störungen der zwischenmenschlichen Kommunikation eingesetzt."

44

Aus dieser Abgrenzung zeigt sich nach Auffassung der erkennenden Kammer deutlich, dass neben der Hippotherapie als medizinisches Heilmittel, gerade in den Fällen, in denen psychische und psychosomatische Erkrankungen im Vordergrund stehen, heilpädagogische Maßnahmen auf und mit dem Pferd angeboten werden, die nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX nur für noch nicht eingeschulte Kinder als Jugendhilfemaßnahmen geleistet werden. Da die Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung und des hier maßgeblichen Entscheidungszeitraumes noch nicht eingeschult war, hat sie noch Anspruch auf heilpädagogische Förderung.

45

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Maßnahme in dem bisher bewilligten Umfang abgeschlossen war und daher eine weitere Förderung der Klägerin nicht mehr erforderlich ist. Dies belegt die von der Klägerin vorgelegte Stellungnahme der Kinderfrühförderung vom 15. Januar 2010, die aufgrund der drohenden seelischen Behinderung die Fortführung des heilpädagogischen Reitens dringend empfiehlt.

46

Nach alledem war der Klage mit dem Begehren auf Bewilligung einer weiteren Förderung zur Fortführung des heilpädagogischen Reitens bis zur Einschulung der Klägerin im August 2010 stattzugeben.

47

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VWGO. Gerichtskosten werden gem. § 188 VwGO nicht erhoben.

48

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteil wegen der Kosten beruht auf §167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.

49

Die Berufung wird gem. §§ 124a Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und bisher obergerichtlich nicht eindeutig geklärt ist.

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII in Form einer ambulanten Schulbegleitung für 22 Stunden pro Woche zu gewähren.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

 
Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin (§ 87a Abs. 2 u. 3 VwGO).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO, durch die der Antragsgegner verpflichtet werden soll, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII in Form einer ambulanten Schulbegleitung für 22 Stunden pro Woche zu gewähren, ist zulässig und begründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind in beiden Fällen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), dass einerseits ein Anspruch glaubhaft gemacht wird, dessen vorläufiger Sicherung die begehrte Anordnung dienen soll (Anordnungsanspruch), und dass andererseits die Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund).
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nur der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung würde die Hauptsache aber - zumindest zeitweise - vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifiziert hohe Ansprüche zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbar Nachteilen ausgesetzt wäre (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 14.12.1989 - 2 ER 301/89 -, juris; s. auch Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., 2008, Rn. 190 und 200 ff. m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf vorläufige Weiterbewilligung einer Schulbegleitung im Umfang von 22 Wochenstunden zum Besuch der 6. Klasse der Gemeinschaftsschule in X nach den o.g. Maßgaben hinreichend glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller leidet an einer Autismus-Spektrum-Störung (Asperger-Syndrom). Dass der Antragsteller grundsätzlich Anspruch auf Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig; streitig ist nur der Umfang der vom Antragsgegner als Jugendhilfeträger zu gewährenden Hilfe.
Seit 2007 wird dem Antragsteller vom Antragsgegner ambulante Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für eine Integrationshilfe gewährt, zunächst für den Besuch des Kindergartens und seit 14.09.2009 für den Besuch der Schule. Mit Bescheid vom 16.10.2009 hatte der Antragsgegner den Umfang der Schulbegleitung auf 20 Wochenstunden festgesetzt. In der Folgezeit wurde der Betreuungsumfang mehrfach in einem Bereich zwischen 20 und 22 Stunden geändert. Mit Bescheid vom 30.07.2014 reduzierte der Antragsgegner den Umfang der Schulbegleitung für das Schuljahr 2014/2015 ab 15.09.2014 von 22 auf 20 Wochenstunden und ab 01.11.2014 auf 15 Wochenstunden. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2014 zurück. Er begründete seien Widerspruchsbescheid zusammengefasst damit, dass gemäß § 10 SGB VIII Hilfen nach dem SGB VIII gegenüber den schulischen Verpflichtungen nachrangig seien. Pädagogische Aufgaben seien dem originären Kernbereich der Schule zuzurechnen. Ein Teil der von der Schule genannten Aufgaben, bei denen eine Unterstützung des Antragstellers durch die Schulbegleitung erfolgen solle, unterlägen eindeutig dem Kernbereich der Schule. Für die dem Jugendhilfeträger obliegenden Assistenzleistungen seien 15 Wochenstunden mehr als ausreichend. Die bisher geleistete Hilfe habe darüber hinaus schon eine positive Wirkung auf den Schulalltag genommen, so dass es gerechtfertigt sei, den Hilfebedarf anzupassen. Für den Schuljahresbeginn seien in der Eingewöhnungsphase noch 20 Stunden festgesetzt und erst nach den Herbstferien sei eine Begrenzung auf 15 Stunden vorgenommen worden. Eine zwischenzeitlich erfolgte Hospitation einer Mitarbeiterin des Antragsgegners in der Schulklasse des Antragstellers am 09.10.2014 mit und ohne Anwesenheit der Schulbegleiterin habe keine Erkenntnisse erbracht, die eine Schulbegleitung im Aufgabenbereich des Jugendamtes rechtfertige.
Nach der im Eilverfahren möglichen Prüfung spricht zunächst alles dafür, dass eine Schulbegleitung im Umfang von 15 Wochenstunden den tatsächlichen Hilfebedarf des Antragstellers nicht zu decken vermag.
10 
Nach der Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 handelt es sich bei der vom Antragsteller besuchten Gemeinschaftsschule um eine Ganztagesschule mit 34 Wochenstunden Unterricht. Das bedeute, dass sowohl Einzelstunden in den Kernfächern als auch Lern- und Übungszeiten sowie projektorientiertes Arbeiten am Nachmittag stattfinde. Der Antragsteller hat nach dem vorgelegten Stundenplan an vier Tagen in der Woche Nachmittagsunterricht. Dass die bewilligten 15 Zeitstunden rein zeitlich nicht ausreichen, eine Schulbegleitung in allen Schulstunden sicherzustellen, ist unstreitig. Nach der Darstellung der Eltern des Antragstellers sowie der Schulleiterin reichten die vorhandenen Betreuungsstunden schon vor der Kürzung nicht aus, den Bedarf zu decken. Dies habe dazu geführt, dass insbesondere für den Nachmittagsunterricht keine Schulbegleitung zur Verfügung gestanden habe. Nach der Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 passiere es in diesen Situationen häufig, dass der Antragsteller die Mitarbeit verweigere, den Unterricht massiv störe und in Konflikte mit seinen Mitschülern gerate. Unterricht sei dann nicht mehr möglich, so dass der Antragsteller nach Absprache mit den Eltern in solchen Situationen nach Hause geschickt worden sei (zu den konkreten Fehlzeiten vgl. die Mail der Schulleiterin vom 07.01.2015). Diese Vorgehensweise habe aber dazu geführt, dass sich die Schulleistungen des Antragstellers wegen zu viel verpasstem Unterrichtsstoff deutlich verschlechtert hätten. Aus schulischer Sicht bestehe die Gefahr, dass sich die Leistungen des Antragstellers weiter verschlechterten, da ihm wichtiger Unterrichtsstoff fehle und er diesen auch nicht alleine zu Hause nacharbeiten könne. Die hohen Fehlzeiten des Antragstellers hätten auch Auswirkungen auf sein Sozialverhalten. Er gerate immer häufiger in Auseinandersetzungen mit Mitschülern, vergreife sich im Ton gegenüber Lehrkräften und es falle ihm schwer, sich an vereinbarte Regeln zu halten. Aufgrund des Leistungsabfalls sowohl im Arbeits- als auch im Sozialverhalten sei das Erlangen einer angemessenen Schulbildung deutlich gefährdet.
11 
Zur Rechtfertigung der Stundenkürzung beruft der Antragsgegner sich zum einen darauf, dass die bisher geleistete Hilfe schon eine positive Wirkung auf den Schulalltag gehabt habe, so dass es entsprechend der Hilfeplanfortschreibung vom 17.11.2014 gerechtfertigt sei, den Hilfebedarf anzupassen. Dies habe auch ein Besuch einer Mitarbeiterin in der Klasse des Antragstellers am 09.10.2014 ergeben, bei dem diese den Antragsteller mit und ohne Anwesenheit der Schulbegleiterin beobachtet habe.
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Dass die Fortschritte des Antragstellers eine Kürzung der Schulbegleitung auf 15 Stunden rechtfertigen, lässt sich an Hand der vorgelegten Akten nicht nachvollziehen. Dies erscheint schon deshalb zweifelhaft, weil der Antragsgegner bereits mit Bescheid vom 30.07.2014 den Umfang der Schulbegleitung ab dem 01.11.2014 auf 15 Wochenstunden gekürzt hat, ohne dass zu diesem Zeitpunkt eine konkrete Bedarfserhebung oder eine Hilfeplanfortschreibung unter Einschaltung der Schule erfolgt ist, aus der sich ein verminderter Hilfebedarf des Antragstellers zum 01.11.2014 herleiten lässt. Aus den im Eilverfahren vorgelegten Behördenakten ergibt sich jedenfalls in dieser Hinsicht nichts Konkretes. Der Kammer ist vielmehr aus Parallelverfahren (etwa 7 K 4809/14 und 7 K 453/15) bekannt, dass der Antragsgegner unter Berufung auf das Rechtsgutachten Prof. Dres. Kepert und Pattar, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, vom März 2014 bei Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung die Schulbegleitung grundsätzlich auf 15 Wochenstunden reduziert hat, weil nach seiner Auffassung vom Schulbegleiter überwiegend Aufgaben übernommen werden, die in den Aufgabenbereich der Schule fallen. Etwas anderes folgt im vorliegenden Fall auch nicht aus der Tatsache, dass eine Mitarbeiterin des Antragsgegners am 09.10.2014 die Klasse des Antragstellers besucht, dessen Beschulung mit und ohne Schulbegleiter beobachtet und den Verlauf der Unterrichtsstunden ausweislich des Protokolls des Hilfeplangespräches vom 17.11.2014 als positiv bezeichnet hat. Nach Darstellung der Schulleiterin (vgl. überarbeitetes Protokoll des Hilfeplangespräches vom 17.11.2014) habe die Hospitation zwei Stunden gedauert und sei nicht aussagekräftig. Der Antragsteller habe sich „mächtig angestrengt“, was ihn viel Energie gekostet habe. Ein detailliertes Protokoll über den Schulbesucht, etwa wann und in welchen Schulstunden er erfolgt ist und welcher konkrete Hilfebedarf sich aus den Beobachtungen ergibt, ist in den vorgelegten Akten nicht vorhanden. Wie die Eltern des Antragstellers in ihrer Widerspruchsbegründung nachvollziehbar dargelegt haben, sei insbesondere nach der Pause und dem anschließenden Nachmittagsunterricht eine Strukturierung des weiteren Ablaufs dringend notwendig, da auch gerade durch Erschöpfungszustände Problemsituationen vermehrt entstehen könnten. Auch die Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 spricht dagegen, dass eine Reduzierung des Umfangs der Schulbegleitung sich aus einem verminderten Hilfebedarf des Antragstellers herleiten lässt. Dass S. den Nachmittagsunterricht selbständig bewältigen kann, ist daher - folgerichtig - nur als Ziel in der Hilfeplanfortschreibung vom 17.11.2014 genannt.
13 
Zur Rechtfertigung der Stundenkürzung beruft der Antragsgegner sich zum anderen darauf, dass für einen Teil der Aufgaben, bei denen eine Unterstützung des Antragstellers durch die Schulbegleitung erfolgen solle, die Schule und nicht das Jugendamt zuständig sei. Auch dieser Einwand stellt den Anordnungsanspruch nicht mit Erfolg in Frage.
14 
Richtig ist, dass die Vermittlung einer angemessenen (nicht optimalen) Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht vorrangig Aufgabe der staatlichen Schulverwaltung ist. Dies ergibt sich aus § 10 Abs. 1 SGB VIII, wonach Verpflichtungen anderer, insbesondere der Schulen, durch das SGB VIII nicht berührt werden. Gemäß § 15 Abs. 4 SchulG BW ist die Förderung behinderter Schüler auch Aufgabe in den anderen Schularten als den Sonderschulen. Behinderte Schüler werden in allgemeinen Schulen unterrichtet, wenn sie aufgrund der gegebenen Verhältnisse dem jeweiligen gemeinsamen Bildungsgang in diesen Schulen folgen können. Sofern die Schulverwaltung eine Sonderschulpflicht nicht feststellt, umfasst die schulische Verpflichtung einer Regelschule im Einzelfall daher grundsätzlich auch die Erbringung eines sonderpädagogischen Bedarfs und die Inklusion von behinderten Schülern in den Klassenverband. Die Rechtsprechung geht allerdings davon aus, dass auf jugendhilferechtliche Eingliederungsmaßnahmen wie die Bereitstellung eines Schulbegleiters zurückgegriffen werden kann, um den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.01.2003 - 9 S 2268/02 -, Rn. 5 f., juris). Dabei ist der Jugendhilfeträger an die Entscheidung der Schulverwaltung über die Zuweisung des schulpflichtigen behinderten Kindes an eine bestimmte Schule oder Schulart gebunden (vgl. BVerwG, Urt. vom 28.04.2005 - 5 C 20/04 -, Rn. 11, juris). Eingliederungshilfen sind unterstützende Leistungen; im „Kernbereich der pädagogischen Aufgaben der Schule“ sind sie regelmäßig nicht zu erbringen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.10.2012 - 5 C 21/11 -, Rn. 37; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 8 SO 30/10 R -; jeweils juris).
15 
Im vorliegenden Fall ist grundsätzlich streitig, inwieweit bei der Beschulung eines Kindes mit dem sog. Asperger-Syndrom, welches durch eine Abweichung der wechselseitigen sozialen Interaktion bei fehlendem Rückstand von Sprache und kognitiver Entwicklung gekennzeichnet ist (vgl. Definition nach ICD-10 F84.5), die Schule vorrangig leistungspflichtig ist. Diese Frage braucht im Eilverfahren jedoch nicht geklärt zu werden. Der Antragsgegner verkennt in seiner Entscheidung, dass die Frage, ob die nachrangige Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers gemäß § 10 Abs. 1 SGB VIII greift, nicht zu Lasten des Leistungsberechtigten entschieden werden darf. Allein das mögliche Bestehen einer vorrangigen Leistungspflicht der Schule lässt die nachrangige Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers dann nicht entfallen, wenn die vorrangige Pflicht, aus welchen Gründen auch immer, nicht erfüllt wird. Vielmehr dient die bei Unklarheiten bezüglich der Zuständigkeiten oder Umsetzungsproblemen aktivierte „Ausfallbürgschaft“ des Jugendhilfeträgers gerade dem Zweck, auf jeden Fall die Leistung sicherzustellen. Lässt sich eine integrative Beschulung nur durch die zusätzliche Unterstützung durch einen Schulbegleiter sicherstellen, so besteht - trotz grundsätzlichem Vorrang der Schule nach § 10 Abs. 1 SGB VIII, die vorliegend jedoch nach dem oben Gesagten die notwendige Hilfe nicht sicherstellt -, gegenüber dem Jugendamt ein entsprechender Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII (ebenso OVG NW, Urteil vom 22.08.2014 - 12 A 3019/11 -, Rn. 80, juris; DIJuF-Rechtsgutachten vom 16.10.2014, JAmt 2014, 561 ff., und vom 17.10.2014, JAmt 2014, 558 ff.; Meysen in Münder u.a., Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl., § 10 Rn. 2, 22 f.; Wiesner, Kommentar zum SGB VIII, 4. Aufl., § 10 Rn. 25; Kunkel, LPK zum SGB VIII, 4. Aufl., § 10 Rn. 7, 34 ff.; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung). Ob und in welchem Umfang dem Antragsgegner wegen seiner Aufwendungen ein Erstattungsanspruch zusteht, braucht im vorliegenden Verfahren nicht geklärt zu werden.
16 
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund, d.h. eine besondere Eilbedürftigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes, glaubhaft gemacht. Wie sich aus der Stellungnahme der Schulleiterin vom 11.11.2014 schlüssig ergibt, ist bei einer Kürzung der Schulbegleiterstunden auf 15 Wochenstunden die erfolgreiche Beschulung sowie die soziale Integration des Antragstellers konkret gefährdet. Angesichts der Fehlzeiten des Antragstellers haben seine Eltern ab dem 08.12.2014 zwar vorübergehend eine weitere Schulbegleitung privat finanziert, damit der Antragsteller montags, dienstags und donnerstags wieder am Nachmittagsunterricht teilnehmen kann. Sie haben aber mit Schriftsatz vom 21.01.2015 glaubhaft gemacht, dass ihnen die finanzielle Belastung auf Dauer nicht zuzumuten ist. Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, sei darauf hingewiesen, dass die Eltern des Antragstellers zudem unbestritten vorgetragen haben, die Schulbegleiterin betreue den Antragsteller ab Februar 2015 nur noch im Umfang von 15 Zeitstunden, da die AWO einer privaten Kostenübernahme widerspreche.
17 
Sofern sich während des laufenden Schuljahres entscheidungserhebliche Änderungen ergeben, ist es dem Antragsgegner unbenommen, einen Abänderungsantrag zu stellen.
18 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.

(1) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach diesem Buch entsprechende Leistungen vorgesehen sind.

(2) Unterhaltspflichtige Personen werden nach Maßgabe der §§ 90 bis 97b an den Kosten für Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch beteiligt. Soweit die Zahlung des Kostenbeitrags die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen mindert oder der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch gedeckt ist, ist dies bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen.

(3) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Zweiten Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 3 Absatz 2, den §§ 14 bis 16g, 16k, § 19 Absatz 2 in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches sowie Leistungen nach § 6b Absatz 2 des Bundeskindergeldgesetzes in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches den Leistungen nach diesem Buch vor.

(4) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Neunten und Zwölften Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 27a Absatz 1 in Verbindung mit § 34 Absatz 6 des Zwölften Buches und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach diesem Buch vor. Landesrecht kann regeln, dass Leistungen der Frühförderung für Kinder unabhängig von der Art der Behinderung vorrangig von anderen Leistungsträgern gewährt werden.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt vom beklagten Landkreis als Träger der Jugendhilfe den Ersatz der Kosten für eine selbst beschaffte Schulbegleitung im Schuljahr 2008/2009.

2

Der 1999 geborene Kläger litt unter anderem an einer Aufmerksamkeitsstörung, einer Störung sozialer Funktionen, einer Sprachstörung, einer kombinierten Störung schulischer Fertigkeiten sowie motorischen Problemen. Er besuchte ab dem Schuljahr 2007/2008 ein Sonderpädagogisches Förderzentrum im Bereich des Beklagten. Dieser gewährte dem Kläger ab November 2007 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten einer heilpädagogischen Einzelbehandlung.

3

Anfang August 2008 beantragte der Kläger die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für eine Schulbegleiterin. Dem Antrag waren eine Bescheinigung des Kinderzentrums München und eine Stellungnahme des Rektors des Sonderpädagogischen Förderzentrums beigefügt, in welchen der Einsatz eines individuellen Schulbegleiters in der Schule befürwortet wird.

4

Der Fachdienst des Jugendamts des Beklagten kam in einer Stellungnahme vom 24. September 2008 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger ein Integrationsrisiko in den Bereichen schulische Anpassung, Bewältigung von sozialen Situationen und sozialen Kompetenzen, allgemeine Selbständigkeit und Selbstwertproblematik, soziale Beziehung zu Familienangehörigen und Freizeitaktivitäten bestehe. Der Fachdienst schlug eine Fortführung der heilpädagogischen Einzelförderung mit zusätzlicher Kleingruppenarbeit und gegebenenfalls parallel eine ambulante Psychotherapie oder eine heilpädagogische Tagesstätte vor.

5

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2008 lehnte der Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme für eine Schulbegleitung mit der Begründung ab, es sei nicht Aufgabe der Jugendhilfe, die Kosten des pädagogischen und integrativen Bedarfs an Förderschulen zu decken. Die Notwendigkeit einer Unterstützung des Klägers im Schulalltag werde vom Fachdienst zwar bestätigt, jedoch sei hierfür vorrangig die Schule heranzuziehen.

6

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Zur Begründung wurde im Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2008 ausgeführt, dass dem Jugendhilfeträger bei der Entscheidung über Notwendigkeit und Geeignetheit einer Hilfe ein Beurteilungsspielraum zustehe. Die Beurteilung des Jugendamtes, dass für den Kläger die Fortführung der heilpädagogischen Einzelförderung und ggf. Psychotherapie oder eine heilpädagogische Tagesstätte die geeignete und notwendige Eingliederungshilfemaßnahme darstelle, sei angemessen, fachlich vertretbar und nachvollziehbar.

7

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, dem Kläger die Kosten für die Schulbegleitung im Schuljahr 2008/2009 zu gewähren. Der Beurteilungsspielraum des Beklagten bei der Auswahl der im Einzelfall zu gewährenden Hilfe sei auf diese Maßnahme reduziert. Der durch die schulische Teilhabebeeinträchtigung ausgelöste Bedarf des Klägers könne trotz der sonderpädagogischen Ausrichtung der Förderschule von dieser nicht ausreichend abgedeckt werden.

8

Der Verwaltungsgerichtshof hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die vom Kläger selbst beschaffte Hilfe eines Schulintegrationshelfers sei für sich genommen fachlich nicht geeignet gewesen. Die nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII - zu gewährende Eingliederungshilfe erfordere eine Hilfe, die dem Hilfebedarf des Behinderten in seiner Gesamtheit gerecht werde. Hier hätten sich die Eltern des Klägers lediglich für eine Schulbegleitung entschieden. Damit seien die übrigen von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche vernachlässigt und dem Kläger eine seinem gesamten Eingliederungsbedarf entsprechende Hilfe vorenthalten worden. Ein solches Vorgehen genüge auch nicht allgemeingültigen fachlichen Maßstäben, weil mögliche negative Wechselwirkungen einer Schulbegleitung - etwa im Bereich der Verselbständigung - mit dem im Übrigen bestehenden Hilfebedarf nicht berücksichtigt worden seien.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 36a Abs. 3 und des § 35a SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII -.

10

Der Beklagte und die beteiligte Landesanwaltschaft verteidigen das angefochtene Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs steht mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht in Einklang (1). Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) (2). Weil der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend entscheiden kann, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) (3).

12

1. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass nur dann ein Anspruch auf Eingliederungshilfe und dementsprechend auf Aufwendungsersatz für eine selbst beschaffte Maßnahme bestehen könne, wenn die Hilfemaßnahme auf die Deckung des Gesamtbedarfs ausgerichtet sei, ist mit § 35a SGB VIII nicht vereinbar.

13

Der Verwaltungsgerichtshof ist jedoch zutreffend davon ausgegangen, dass als Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der verauslagten Aufwendungen für eine Integrationshelferin § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII einschlägig ist. Nach dieser Vorschrift setzt ein Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für Hilfen, die - wie hier - vom Leistungsberechtigten abweichend von § 36a Abs. 1 und 2 SGB VIII selbst beschafft werden, ohne dass eine Entscheidung des Trägers der Jugendhilfe oder eine Zulassung durch diesen vorangegangen ist, voraus, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1), die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorgelegen haben (Nr. 2) und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3).

14

Die Beteiligten streiten zu Recht weder darüber, dass der Kläger den Beklagten mit seinem Anfang August 2008 gestellten Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Bereitstellung einer Schulbegleitung (Integrationshelfers) rechtzeitig (vgl. Urteil vom 11. August 2005 - BVerwG 5 C 18.04 - BVerwGE 124, 83 <86 ff.> = Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 4 S. 10 ff.) vor Beginn des Zeitraums, für den die Übernahme der Aufwendungen beantragt wurde, von dem Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, noch darüber, dass - bei Vorliegen eines Leistungsanspruchs - die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. Im Streit steht allein das Vorliegen der Voraussetzung des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII, hier also die Frage, ob dem Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum ein Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleiterin aus § 35a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zustand. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof mit einer Begründung verneint, die rechtlich nicht trägt.

15

a) Dabei ist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Anforderungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hier erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1) und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2). Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen dessen Annahme - die auch zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht -, dass die seelische Gesundheit des Klägers im streitigen Zeitraum von dem für sein Lebensalter typischen Zustand abwich. Denn danach litt der Kläger unter anderem an einer Aufmerksamkeitsstörung, einer Störung sozialer Funktionen, einer Sprachstörung, einer kombinierten Störung schulischer Fertigkeiten sowie motorischen Problemen. Diese Abweichung führte dazu, dass die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt bzw. eine solche Beeinträchtigung zu erwarten war. So bestand nach der vom Verwaltungsgerichtshof in Bezug genommenen Bewertung des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Beklagten bei dem Kläger ein Integrationsrisiko in den Bereichen schulische Anpassung, allgemeine Selbständigkeit, Bewältigung von sozialen Situationen sowie sozialen Beziehungen zu Familienangehörigen und Freizeitaktivitäten.

16

b) Der Verwaltungsgerichtshof hat weiterhin im Ansatz auch zutreffend angenommen, dass die begehrte Maßnahme als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII einzuordnen ist, die geeignet und erforderlich sein muss, dem behinderten Menschen den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern.

17

Nach § 35a Abs. 3 SGB VIII richten sich Aufgabe und Ziel der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Leistungen nach § 53 Abs. 3 und 4 Satz 1 sowie den §§ 54, 56 und 57 SGB XII, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden. Dementsprechend erhalten nach § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII seelisch behinderte Kinder Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu.

18

Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII kann auf § 12 der Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (EinglHVO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1975 (BGBl I S. 433), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3022), zurückgegriffen werden. § 12 EinglHVO nennt zwar nur noch Maßnahmen zugunsten körperlich oder geistig behinderter Kinder und Jugendlicher. Die Regelung enthält jedoch eine allgemeine Konkretisierung des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII. Mit diesem Inhalt ist sie kraft der Verweisung des § 35a Abs. 3 SGB VIII auch für seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen entsprechend anwendbar (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 15. Juni 2011 - 7 A 10420/11 - JAmt 2011, 594 f. Rn. 39 f.; Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Aufl. 2012, § 35a Rn. 22 m.w.N.).

19

Nach § 12 Nr. 1 EinglHVO gehören zu den Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch heilpädagogische und sonstige Maßnahmen, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Dies schließt alle Leistungen ein, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Eingliederung zu erreichen, d.h. die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mindern (vgl. Urteil vom 28. April 2005 - BVerwG 5 C 20.04 - BVerwGE 123, 316 <318>). Die Zurverfügungstellung einer Schulbegleitung bzw. Integrationshilfe fällt dabei unter den in § 12 Nr. 1 EinglHVO verwandten Begriff der "sonstige(n) Maßnahmen" zugunsten behinderter Kinder (Beschluss vom 2. September 2003 - BVerwG 5 B 259.02 - juris Rn. 15).

20

c) Der tragende Rechtsstandpunkt, mit dem der Verwaltungsgerichtshof das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe durch Bereitstellung einer Schulbegleiterin abgelehnt hat, nämlich der Satz, dass ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII und dementsprechend auf Aufwendungsersatz für eine selbst beschaffte Maßnahme (§ 36a Abs. 3 SGB VIII) nur bestehen könne, wenn diese Hilfe dem Hilfebedarf in seiner Gesamtheit gerecht werde (UA S. 13 Rn. 81 f.), hält aber einer Überprüfung nicht stand. Ein solcher Rechtssatz lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

21

§ 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII trifft selbst keine Regelung darüber, wie ein Hilfebedarf zu decken ist, sondern knüpft (in Nr. 2 der Vorschrift) den Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine selbst beschaffte Hilfe insbesondere daran, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe nach einer anderen Bestimmung des Gesetzes - hier allein in Betracht kommend der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII - vorgelegen haben.

22

Aus der Regelung des § 35a SGB VIII kann der Rechtssatz, dass eine (selbst beschaffte) Hilfemaßnahme, um einen Anspruch auf Kostenübernahme nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII begründen zu können, den gesamten Eingliederungshilfebedarf abdecken muss, ebenfalls nicht abgeleitet werden. Dieser Satz findet weder im Wortlaut des § 35a SGB VIII oder den von dieser Norm in Bezug genommenen Vorschriften eine Verankerung, noch lässt er sich aus der Systematik oder aus dem Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe folgern.

23

Während der Wortlaut des § 35a SGB VIII noch offen ist, spricht die Systematik des Gesetzes in gewichtiger Weise dafür, dass Eingliederungshilfeleistungen auch darauf ausgerichtet sein dürfen, einen Teilbedarf zu decken. So greift § 35a Abs. 3 SGB VIII mit der Inbezugnahme auf § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII und damit die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung selbst einen Teilleistungsbereich heraus und geht davon aus, dass es Hilfen gibt, die gerade auf die Deckung dieses (Teil-) Bedarfs zugeschnitten sind. Die systematische Gesamtschau mit den weiteren von § 35a Abs. 3 SGB VIII in Bezug genommenen Leistungstatbeständen unterstützt dieses Ergebnis. Diese enthalten ebenfalls in der Regel - wie sich aus der jeweiligen Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt - beispielhafte Aufzählungen (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, § 26 Abs. 2 und 3 SGB IX, § 33 Abs. 2, 3 und 6 SGB IX), die ein offenes Leistungssystem normieren und jeweils darauf ausgerichtet sind, den Bedarf in bestimmten Bereichen zu decken (vgl. Urteil vom 18. Oktober 2012 - BVerwG 5 C 15.11 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

24

Dieses Auslegungsergebnis wird durch den Sinn und Zweck der Regelungen über die Eingliederungshilfe bestätigt. Aufgabe und Ziel der Eingliederungshilfe werden durch die über § 35a Abs. 3 SGB VIII entsprechend anwendbare Regelung des § 53 Abs. 3 SGB XII näher bestimmt. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es danach, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern.

25

Im Hinblick auf diese Zwecksetzung geht der Verwaltungsgerichtshof zwar im Ansatz richtig davon aus, dass der Jugendhilfeträger möglichst den gesamten Hilfebedarf abzudecken hat, der durch die seelische Behinderung hervorgerufen wird und deshalb alle von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche in den Blick zu nehmen hat. Hilfebedarfe in unterschiedlichen Lebensbereichen sollen dabei nach Möglichkeit einheitlich abgedeckt werden und etwa die Eingliederungshilfe mit der Erziehungshilfe kombiniert werden (vgl. § 35a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Hilfeleistungen sind demnach so auszuwählen und aufeinander abzustimmen, dass sie den gesamten Bedarf so weit wie möglich erfassen. Denn aus dem (sozialhilferechtlichen) Bedarfsdeckungsgrundsatz, der im Bereich der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe in § 35a Abs. 2 SGB VIII (vgl. "Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall ... geleistet") verankert ist, folgt, dass grundsätzlich der gesamte im konkreten Einzelfall anzuerkennende Hilfebedarf seelisch behinderter oder von einer solchen Behinderung bedrohter Kinder oder Jugendlicher abzudecken ist (vgl. Urteile vom 18. Oktober 2012 a.a.O. und vom 19. Oktober 2011 - BVerwG 5 C 6.11 - Buchholz 436.511 § 10 KJHG/SGB VIII Nr. 6 Rn. 12 m.w.N.). Das erfordert, dass sich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw. im Fall der selbstbeschafften Hilfe der Leistungsberechtigte der Art und Form nach aller Leistungen und Hilfen bedienen kann, die zur Deckung des konkreten und individuellen eingliederungsrechtlichen Bedarfs geeignet und erforderlich sind (Urteil vom 18. Oktober 2012 a.a.O.).

26

Dies kann es jedoch gerade bedingen, dass der durch Teilhabebeeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen erzeugte Hilfebedarf nur durch verschiedene, auf den jeweiligen Bereich zugeschnittene Leistungen abgedeckt werden kann und muss, um die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen. Hilfebedarf in unterschiedlichen Bereichen kann es geboten erscheinen lassen, verschiedene Hilfeleistungen zu kombinieren oder durch mehrere Einzelleistungen den Gesamtbedarf des Hilfebedürftigen abzudecken. Um dem Ziel der Eingliederungshilfe nach möglichst umfassender Bedarfsdeckung in allen von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Bereichen gerecht zu werden, kann es, wenn nicht sogleich der Gesamtbedarf gedeckt werden kann, erforderlich sein, Hilfeleistungen zumindest und zunächst für diejenigen Teilbereiche zu erbringen, in denen dies möglich ist. Steht etwa eine bestimmte Hilfeleistung tatsächlich zeitweilig nicht zur Verfügung oder wird eine bestimmte Hilfe vom Hilfeempfänger oder dessen Erziehungsberechtigten (zeitweise) nicht angenommen, kann es gleichwohl geboten sein, die Hilfen zu gewähren, die den in anderen Teilbereichen bestehenden (akuten) Bedarf abdecken.

27

Etwas anderes kann - mit Blick auf den dargelegten Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe - dann anzunehmen sein, wenn die Gewährung der Hilfe für einen Teilbereich die Erreichung des Eingliederungszieles in anderen von der Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereichen erschweren oder vereiteln würde, es also zu Friktionen zwischen Hilfsmaßnahmen käme. Nachteilige Wechselwirkungen mit anderen Hilfeleistungen können die fachliche Geeignetheit einer (begehrten) Leistung für einen Teilleistungsbereich in Frage stellen. Dies ist eine Frage der fachlich sinnvollen Abstimmung verschiedener Hilfeleistungen aufeinander.

28

Dass der Gesamtbedarf durch eine bestimmte Hilfemaßnahme nicht gedeckt wird, schließt es mithin - entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofs - nicht aus, dass sie geeignet und erforderlich sein kann, einen Teilbedarf zu decken und insoweit ein Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht; es sei denn, die Gewährung der Hilfe für diesen Teilbedarf würde Hilfemaßnahmen für andere von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffene Lebensbereiche vereiteln oder konterkarieren.

29

2. Das Urteil des Verwaltungsgerichthofs erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs kann nicht der rechtliche Schluss gezogen werden, dass eine der (sonstigen) Voraussetzungen für die Übernahme der Aufwendungen für die Schulbegleitung nicht vorliegt und deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht besteht.

30

a) Der Anspruch des Klägers auf den Ersatz von Aufwendungen für die Schulbegleitung gemäß § 36a Abs. 3 SGB VIII scheidet nicht deshalb aus, weil der Beklagte - unter Berücksichtigung seines Einschätzungsspielraums - die begehrte Hilfe mit vertretbaren Erwägungen abgelehnt hat.

31

aa) Die gerichtliche Kontrolldichte ist aufgrund der aus § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII folgenden Steuerungsverantwortung des Jugendhilfeträgers beschränkt. Nach dieser Vorschrift trägt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass es nicht dem gesetzlichen Auftrag des Jugendhilfeträgers entspricht, nur "Zahlstelle" und nicht Leistungsträger zu sein. Das Jugendhilferecht zielt auf eine partnerschaftliche Hilfe unter Achtung familiärer Autonomie und auf kooperative pädagogische Entscheidungsprozesse. Nur wenn die Eltern bzw. der Hilfeempfänger grundsätzlich den Träger der Jugendhilfe von Anfang an in den Entscheidungsprozess einbeziehen, kann er seine aus § 36a Abs. 1, § 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben und die Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB VIII wahrnehmen (Beschluss vom 22. Mai 2008 - BVerwG 5 B 130.07 - JAmt 2008, 600).

32

Weil der Hilfeplan eine unverzichtbare Voraussetzung der Gewährung von Jugendhilfe bildet, ist es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit entscheidend, ob die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe auch ohne eine schriftliche Fixierung in einem Hilfeplan festgestellt werden kann. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des Kindes bzw. des Jugendlichen und mehrerer Fachkräfte handelt, welches nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten soll, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich dabei darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (Urteil vom 24. Juni 1999 - BVerwG 5 C 24.98 - BVerwGE 109, 155 <167>).

33

Dementsprechend ist auch bei der Selbstbeschaffung einer aus fachlichen Gründen abgelehnten bzw. vom Hilfeplan ausgeschlossenen Leistung im Hinblick auf § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu prüfen, ob der vom Jugendamt aufgestellte Hilfeplan (bzw. das Hilfekonzept) verfahrensfehlerfrei zustande gekommen, nicht von sachfremden Erwägungen beeinflusst und fachlich vertretbar ist. Diese Prüfung erstreckt sich dabei nicht auf eine reine Ergebniskontrolle, sondern erfasst auch die von der Behörde - maßgeblich ist die letzte Behördenentscheidung - gegebene Begründung. Denn diese muss für den Betroffenen nachvollziehbar sein, um ihn in die Lage zu versetzen, mittels einer Prognose selbst darüber zu entscheiden, ob eine Selbstbeschaffung (dennoch) gerechtfertigt ist. Hat das Jugendamt die begehrte Hilfe aus im vorgenannten Sinne vertretbaren Erwägungen abgelehnt, besteht weder ein Anspruch des Betroffenen auf die begehrte Eingliederungshilfeleistung noch auf den Ersatz von Aufwendungen für eine selbst beschaffte Hilfe. Der Regelung des § 36a Abs. 3 SGB VIII liegt in dem Sinne der Gedanke des Systemversagens zugrunde, dass die selbst beschaffte Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt worden sein muss (vgl. Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 6. Aufl. 2009, § 36a Rn. 4 m.w.N.).

34

Hat demgegenüber das Jugendamt nicht rechtzeitig oder nicht in einer den vorgenannten Anforderungen entsprechenden Weise über die begehrte Hilfeleistung entschieden, können an dessen Stelle die Betroffenen den sonst der Behörde zustehenden nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen. Denn in dieser Situation sind sie - obgleich ihnen der Sachverstand des Jugendamtes fehlt - dazu gezwungen, im Rahmen der Selbstbeschaffung des § 36a Abs. 3 SGB VIII eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen. Weil nun ihnen die Entscheidung aufgebürdet ist, eine angemessene Lösung für eine Belastungssituation zu treffen, hat dies zur Folge, dass die Verwaltungsgerichte nur das Vorhandensein des jugendhilferechtlichen Bedarfs uneingeschränkt zu prüfen, sich hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbst beschafften Hilfe aber auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung der Leistungsberechtigten zu beschränken haben. Ist die Entscheidung der Berechtigten in diesem Sinne fachlich vertretbar, kann ihr etwa im Nachhinein nicht mit Erfolg entgegnet werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe für geeignet gehalten (vgl. Meysen, in: Münder/Meysen/Trenczek, a.a.O.; Kunkel, LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 36a Rn. 13 jeweils m.w.N.).

35

bb) Bei Zugrundelegung der vorstehenden Maßstäbe lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte die begehrte Hilfeleistung in nicht zu beanstandender Weise verweigert hat. Im Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2008 hat dieser die Ablehnung einer Schulbegleitung nicht mit fachlichen Erwägungen, sondern mit der - wie noch (sogleich unter 2. b) darzulegen sein wird - so nicht zutreffenden rechtlichen Erwägung begründet, dass hierfür die Förderschule allein zuständig sei. In der insoweit maßgeblichen letzten Behördenentscheidung, dem Widerspruchsbescheid, wird diese Begründung zwar ausgetauscht und auf die Stellungnahme des Fachdienstes des Jugendamts vom 24. September 2008 verwiesen, aus der sich die mangelnde fachliche Notwendigkeit einer Schulbegleitung ergebe. Allerdings wird gerade in dieser Stellungnahme bei dem Kläger ein "Integrationsrisiko" im Bereich der "schulischen Anpassung" ausgemacht und ein zusätzlicher Betreuungsbedarf nicht in Abrede gestellt. Für die Ablehnung der von den Erziehungsberechtigten des Klägers geforderten Schulbegleitung wird in der Stellungnahme weder ein nachvollziehbares fachliches noch ein durchgreifendes rechtliches Argument geliefert. Am Ende der Stellungnahme heißt es lediglich, dass eine Schulbegleitung nur im Falle einer Beschulung an einer Regelschule notwendig sei. Weil diese Aussage in ihrer Pauschalität weder rechtlich fundiert ist noch eine fachliche Begründung für die Verweigerung der Leistung darstellt, ist die Hilfeplanung der Beklagten jedenfalls im Hinblick auf den hier streitigen schulischen Betreuungsbedarf als defizitär anzusehen, so dass die Steuerungsverantwortung des Jugendamts der Aufwendungserstattung für die selbst beschaffte Hilfe hier nicht entgegensteht.

36

b) Das Urteil des Verwaltungsgerichthofs erweist sich auch nicht deshalb als richtig, weil - wie der Beklagte und der Beteiligte der Sache nach geltend gemacht haben - der Anspruch des Klägers auf Eingliederungshilfe in Gestalt einer Schulbegleitung wegen eines Vorrangs der schulischen Leistung ausscheide.

37

aa) Eine Spezialität in dem Sinne, dass eine schulische Förderleistung einschlägig ist, die einen Anspruch auf jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe ausschließen könnte, liegt nicht vor. Zwar käme eine die Eingliederungshilfe verdrängende, weil ausschließlich von der Schule - hier der Förderschule - zu erbringende Leistung in Betracht, wenn der Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer in der Schule betroffen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R - juris Rn. 21). Dieser Bereich ist jedoch unabhängig von seiner exakten Bestimmung (s. dazu BSG, Urteil vom 22. März 2012 a.a.O. Rn. 21 f.) hier nicht betroffen. Vielmehr ging es - wie sich auch aus den vom Verwaltungsgerichtshof zitierten Stellungnahmen des Kinderzentrums sowie des Rektors des Sonderpädagogischen Förderzentrums schließen lässt - darum, dass die Schulbegleitung die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrer absichern und mit die Rahmenbedingungen dafür schaffen sollte, dem Kläger erst den erfolgreichen Besuch der Schule zu ermöglichen.

38

bb) Ein Anspruch des Klägers auf eine Schulbegleitung ist auch nicht wegen des Nachrangs der Jugendhilfe ausgeschlossen.

39

Nach § 10 Abs. 1 SGB VIII werden Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, durch dieses Buch nicht berührt. Darin ist der Grundsatz vom Nachrang der Jugendhilfe bzw. die allgemeine Subsidiarität jugendhilferechtlicher Leistungen gegenüber denen anderer Sozialleistungsträger und der Schulen verankert (vgl. Urteile vom 27. Mai 2010 - BVerwG 5 C 7.09 - BVerwGE 137, 85 <87> und vom 22. Februar 2007 - BVerwG 5 C 32.05 - Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 5 Rn. 16). Dieser Grundsatz kommt auch in der Formulierung des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 SGB XII zum Ausdruck, dass die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt bleiben. Es genügt aber für die Nachrangigkeit der Jugendhilfe nicht, dass eine anderweitige Verpflichtung überhaupt besteht. Vielmehr muss diese anderweitige Verpflichtung auch rechtzeitig realisierbar und nach den Umständen des Einzelfalles im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckende Hilfe zu erhalten sein (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 8. September 2010 - 12 A 1326/10 - juris m.w.N.; Gutachten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. vom 22. Januar 2012 - G 3/10, NDV 2012, 264; Vondung, in: Kunkel, LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 10 Rn. 7). In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht auch einen gegenüber der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe vorrangigen Anspruch gegen die Schulverwaltung nur angenommen, soweit und solange die Schule tatsächlich Hilfe gewährt oder der Betroffene den Anspruch auf Hilfeleistung gegen die Schulverwaltung rechtzeitig verwirklichen kann (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 13. Juni 2001 - BVerwG 5 B 105.00 juris Rn. 2; Urteil vom 23. November 1995 - BVerwG 5 C 13.94 - BVerwGE 100, 50 <54>).

40

Gemessen an diesen Grundsätzen kann hier jedenfalls nicht angenommen werden, dass der Kläger einen Anspruch gegen die Schulverwaltung auf Bereitstellung eines Integrationshelfers für den Besuch der Förderschule rechtzeitig hätte geltend machen oder durchsetzen können. Denn zu dieser Frage des nicht revisiblen Landesrechts hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mit Urteil vom 6. Juli 2005 (12 B 02.2188 - FEVS 57, 138 <139>) entschieden, dass behinderten Kindern nach bayerischem Landesrecht kein Anspruch gegen die Schulverwaltung auf Bereitstellung eines Integrationshelfers für den Besuch einer Förderschule zukommt.

41

3. Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs kann der Senat nicht abschließend über die Sache entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

42

Der Verwaltungsgerichtshof hat keine genügenden Feststellungen dazu getroffen, ob und inwieweit eine Schulbegleitung als einen Teilbedarf abdeckende Maßnahme geeignet und erforderlich ist, sondern sich - auf der Grundlage seiner Rechtsansicht konsequent - lediglich dazu verhalten, dass die dem Kläger vom Fachdienst des Beklagten angebotene Behandlung in einer heilpädagogischen Tagesstätte (ggf. in Kombination mit einer Psychotherapie) eine geeignete, weil ganzheitliche Hilfemaßnahme gewesen sei. Der Verwaltungsgerichtshof wird daher zu prüfen haben, ob - bei Zugrundelegung eines fachlichen Einschätzungsspielraums - die Erziehungsberechtigten des Klägers für den streitbefangenen Zeitraum eine Schulbegleitung für geeignet und erforderlich halten durften, um den Schulbesuch des Klägers am Förderzentrum zu ermöglichen oder zu erleichtern. Im Rahmen der Prüfung, ob die Entscheidung für die Selbstbeschaffung der Schulbegleitung im vorgenannten Sinne vertretbar und nachvollziehbar war, wird dabei zu berücksichtigen sein, ob die Bestellung einer Schulbegleitung im streitigen Zeitraum auf die vom Beklagten gewährte sonstige Hilfeleistung, nämlich auf die weitergeführte heilpädagogische Einzelförderung mit zwei Wochenstunden in einer heilpädagogischen Fachpraxis, eine deren Zielsetzung vereitelnde Wirkung gehabt hätte und dies für die Erziehungsberechtigten erkennbar war.

43

Dies führt zur Zurückverweisung der Sache (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Auf den vom Kläger gerügten Verfahrensmangel kommt es daher nicht mehr an.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des laufenden Schuljahres 2014/2015 Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII in Form einer Schulbegleitung für den Besuch der Q.    -N.    -Schule in I.      in dem vor dem Erlass des Ablehnungsbescheides vom 19. August 2014 gewährten Umfang zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.


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Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.