Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 23. Apr. 2018 - 3 L 85/16

bei uns veröffentlicht am23.04.2018

Gründe

I.

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Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Platzverweises.

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In der Zeit vom 17. bis 24. August 2014 errichteten (Friedens-)Aktivisten in der Ortschaft (D.), die in unmittelbarer Nähe des GÜZ liegt (ca. 15 km), ein „Aktionscamp“. Ab dem 19. August 2014 führte das „Aktionscamp“ die Kampagne „Gewaltfreie Aktion GÜZ abschaffen“ durch. Ihr u. a. im Internet erklärtes Ziel war es, das Gelände des GÜZ zu betreten und sich dort mit Zelten niederzulassen. Nach ihren eigenen Angaben sollte die Aktion friedlich und gewaltfrei verlaufen, wobei sie das Begehen von Ordnungswidrigkeiten in Kauf nehmen wollten.

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Bereits am 19. August 2014 erteilte die Beklagte dem Kläger einen bis zum 25. August 2014 andauernden Platzverweis. Hiergegen hatte sich der Kläger mit Klage vom 22. August 2014 (Az.: 1 A 975/14 MD) bei gleichzeitigem Nachsuchen um vorläufigen Rechtsschutz (Az.: 1 B 974/14 MD) gewandt. Das Verwaltungsgericht Magdeburg lehnte seinen Eilantrag mit (Sammel-)Beschluss vom 22. August 2014 ab. Auf die Beschwerde des Klägers änderte der Senat mit (Sammel-)Beschluss vom 22. August 2014 die Entscheidung ab und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen den Platzverweis vom 19. August 2014 an (Az.: 3 M 453/14). Nachdem die Beklagte den Platzverweis vom 19. August 2014 aufgehoben hatte, beantragten die Beteiligten übereinstimmend das Ruhen des Verfahrens. Mit Beschluss vom 21. Oktober 2014 ordnete das Verwaltungsgericht das Ruhen des Verfahrens an.

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In den frühen Abendstunden des 20. August 2014 trafen Feldjäger der Bundeswehr und Polizeibeamte der Beklagten den Kläger neben anderen Aktivisten auf dem GÜZ an. Dort hatten sie sich auf einem Weg niedergelassen. Oberstleutnant (K.) forderte die Personen drei Mal erfolgslos auf, den ausgewiesenen militärischen Sicherheitsbereich zu verlassen. Der Kläger und weitere Personen wurden durch Polizeibeamte der Beklagten weggetragen und in eine in kurzer Entfernung auf dem GÜZ errichteten Einsatzstelle zur Sachverhaltsaufklärung verschafft. Die Beklagte stellte u. a. die Personalien des Klägers fest und erteilte diesem einen bis zum 25. August 2014, 12.00 Uhr andauernden Platzverweis, der sich auf die angrenzenden Gebiete rund um das GÜZ erstreckte. Dazu händigte die Beklagte dem Kläger ein Dokument aus, das die Platzverweiszone mittels einer Karte darstellte und wie folgt beschrieb:

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„- Im Norden: südlich der Bahnstrecke Gardelegen-Stendal

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- Im Osten: westlich der L 30, K 1187, B 189

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- Im Süden: nördlich der L 44, K 1162, K 1106

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- Im Westen: östlich der B 71“.

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Das vom Platzverweis umfasste Gebiet erstreckte sich über mehrere Gemeinden und Landkreise. Die Beklagte erteilte entsprechende Platzverweise auch gegenüber den anderen angetroffenen Aktivisten.

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Am 23. August 2014 hat der Kläger gegen den am 20. August 2014 erteilten Platzverweis Klage bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg erhoben (Az.: 1 A 1025/14 MD) und gleichzeitig um vorläufigen Rechtsschutz (Az.: 1 B 1024/14) nachgesucht. Am 24. August 2014 erklärte die Beklagte die Aufhebung des Platzverweises, woraufhin das Verwaltungsgericht nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten einstellte. Das Hauptsacheverfahren führt der Kläger als Feststellungsklage fort.

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Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, ein Feststellungsinteresse zu haben. Der Platzverweis sei ein schwerwiegender Grundrechtsverstoß gewesen. Außerdem habe er ein Rehabilitationsinteresse und es bestünde Wiederholungsgefahr. Der Platzverweis sei rechtswidrig oder zumindest rechtlich zweifelhaft gewesen, weil er nicht nur für eine vorübergehende Dauer ausgesprochen worden sei und sich das von ihm betroffene Gebiet über mehrere Landkreise erstrecke. Die streitige Maßnahme könne auch nicht als Aufenthaltsverbot gerechtfertigt werden, weil keine Gefahr für die Begehung einer Straftat bestanden habe und sie ein Gebiet betreffe, das sich über mehrere Gemeinden erstrecke. Auch habe der Platzverweis gegen die Polizeifestigkeit des Versammlungsrechtes verstoßen. In der Platzverweiszone, die sich außerhalb des GÜZ befinde, fänden keine militärischen Übungen statt.

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Der Kläger hat beantragt,

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festzustellen, dass der Platzverweis durch die Beklagte am 20.08.2014 rechtswidrig war.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht: Der Kläger habe kein Feststellungsinteresse. Der Platzverweis sei rechtmäßig gewesen. Er habe dem Schutz von Leib und Leben gedient. Der Kläger hätte durch das Betreten des GÜZ während der Gefechtsübung beispielsweise durch abgefeuerte Munition zu Schaden kommen können. Außerdem habe der Platzverweis dem Schutz der Rechtsordnung gedient, weil das Betreten eines militärischen Sicherheitsbereiches verboten sei. Die Dauer und der örtliche Umfang der Platzverweisung seien von der Gefahrenlage abhängig. Da die Gefechtsübung der Bundeswehr bis zum 25. August 2014 gedauert habe, sei die Dauer der Platzverweisung bis zu diesem Zeitpunkt gerechtfertigt gewesen. Auch habe sich die Zone um das gesamte GÜZ als Gefahrenbereich erstrecken dürfen. Die Maßnahme sei ermessenfehlerfrei und verhältnismäßig gewesen. Das Vorbringen des Klägers, er sei Teilnehmer einer Versammlung gewesen, sei (als verspätet) zurückzuweisen. Die im Zeitpunkt der Platzverweisung auf dem Gelände des GÜZ angetroffene Personengruppe seien „Eindringlinge“ in einen militärischen Sicherheitsbereich gewesen. Dies sei keine Versammlung gewesen. Die von den Platzverweisen betroffenen Personen seien Teilnehmer der Versammlung „CAMP“ gewesen, die als Dauermahnwache in (D.) (außerhalb der Platzverweiszone) durchgeführt worden sei. Von dort aus seien sie zu Aktionen im örtlichen Bereich des GÜZ ausgeströmt.

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Mit - dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 13. April 2016 zugestellten - Urteil vom 22. März 2016 hat das Verwaltungsgericht Magdeburg die Klage abgewiesen und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage sei unbegründet, weil der am 20. August 2014 erteilte Platzverweis rechtmäßig gewesen sei und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt habe. Die Rechtmäßigkeit beurteile sich nach § 36 Abs. 1 SOG LSA. Die Vorschriften des Versammlungsgesetzes seien nicht einschlägig, weil nicht ersichtlich sei, dass es sich um eine angemeldete Demonstration oder um eine Spontanversammlung gehandelt habe. Der Kläger habe auch nicht substantiiert vorgetragen, dass er in den frühen Abendstunden des 20. August 2014 bereits an einer nicht nach § 12 VersG LSA angemeldeten Versammlung teilgenommen habe. Er habe lediglich ausgeführt, ein Transparent oder eine Fahne mit sich geführt und dabei zusammen mit anderen seine Meinung kundgetan zu haben. Anhand dieses Vortrages sei nicht ersichtlich, dass er an einer Versammlung auf dem Übungsplatz habe teilnehmen wollen bzw. mit anderen Aktivisten einen Aufzug habe durchführen wollen. Sollte der Kläger ein Transparent bzw. eine Fahne auf dem Weg zu einer Versammlung mitgeführt haben, liege darin lediglich die Absicht, an einer Versammlung teilzunehmen, die Teilnahme an einer Versammlung sei aber noch nicht ersichtlich. Sofern der Kläger an einer nicht angemeldeten Versammlung teilgenommen habe, habe die Beklagte diese gemäß § 13 Abs. 4 Nr. 1 VersG LSA durch schlüssiges Verhalten aufgelöst, indem sie im Rahmen ihrer Eilzuständigkeit gegenüber allen Teilnehmern Platzverweise ausgesprochen habe. Die Auflösung der nicht angemeldeten Versammlung könne mit dem Platzverweis in einem Rechtsakt erfolgen, weil die Maßnahme auch dem Schutz von Leben und Gesundheit der Aktionsteilnehmer und anderer Personen gedient habe. Es sei im Zeitpunkt der polizeilichen Maßnahme grundsätzlich damit zu rechnen gewesen, dass die Bundeswehr Munition verschieße. Wegen der erheblichen Gefahren für Leib und Leben sei es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte sich nicht mit Auflösung begnügt und abgewartet habe, dass sich die Versammlungsteilnehmer entsprechend ihrer Pflicht gemäß §§ 16 Abs. 1, 11 Abs. 2 VersG LSA sofort entfernen würden. Der angefochtene Platzverweis sei nur vorübergehender Natur, da er nur für die Dauer der Gefahrenlage ausgesprochen worden sei und mit Ende der geplanten Übung im militärischen Sicherheitsbereich auch geendet habe. Eine solche an der Dauer der Gefahr orientierte Auslegung des Kriteriums „vorübergehend“ sei auch mit dem Grundrecht der Freizügigkeit gemäß Art. 11 GG vereinbar, weil sich der Kläger ersichtlich nicht habe niederlassen, im Sinne von „sich [habe] einrichten“ wollen. Bei dem räumlichen Bereich des Platzverweises handele es sich auch um einen Ort im Sinne des § 36 Abs. 1 SOG LSA. Auf die Lage der Grenzen der politischen Gemeinden komme es nicht an. Die Gefahrenlage bestimme auch den Umfang der verbotenen Örtlichkeit. Gefahrengebiet sei der gesamte militärische Sicherheitsbereich des GÜZ und die in dem zum erteilten Platzverweis übergegebenen [Dokument] grau gekennzeichneten Zonen um das GÜZ. Hinsichtlich Letzteren sei unerheblich, dass dort nicht mit militärischen Übungen zu rechnen gewesen sei, weil mit dem Platzverweis der Eintritt der Gefahr habe verhindert werden sollen. Zu Recht habe die Beklagte jeweils den Eintritt einer konkreten Gefahr i. S. v. § 3 Nr. 3a SOG LSA prognostiziert. Denn es sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen gewesen, dass der Kläger den militärischen Sicherheitsbereich, auf dem bis zum 25. August 2014 eine militärische Übung stattgefunden habe, zum Zwecke der Teilnahme an der dort geplanten Aktion (gewaltfreie Besetzung des Geländes) während einer militärischen Übung betrete, damit eine Ordnungswidrigkeit nach § 114 OWiG begehe und seine Gesundheit gefährde. Insbesondere habe die Gefahr bestanden, dass der Kläger und andere Aktionsteilnehmer auf dem Gelände erhebliche Verletzungen erleiden. Nicht ausgeschlossen sei, dass sie durch Fahrer an der Übung teilnehmender Fahrzeuge, insbesondere Kampfpanzer zu spät oder gar nicht erkannt und überfahren würden. Auch sei bei größeren militärischen Übungen mit Fehlschüssen und irrgeleiteten Truppenteilen zu rechnen. Der Platzverweis sei auch verhältnismäßig i. S. v. § 5 SOG LSA. Insbesondere sei kein milderes Mittel ersichtlich, um ein widerrechtliches Betreten und die Gefährdung von Leben und Gesundheit zu verhindern. Es sei auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in Grundrechte des Klägers erfolgt. Zwar greife der Platzverweis in das Grundrecht auf körperliche Bewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 GG) ein. Der Eingriff sei aber schon allein deshalb gerechtfertigt, weil der Platzverweis dem Schutz von Leben und Gesundheit des Klägers gedient habe. Auch soweit der Schutzbereich des Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit eröffnet gewesen sein sollte, sei der Eingriff zum Schutze des Grundrechtes auf Leben und Gesundheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zulässig. Auch hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung der Platzverweiszone (grau gekennzeichnete Zone) sei der Platzverweis verhältnismäßig, da das - die grau gekennzeichnete Zone betreffende - Betretungsverbot das Betreten des militärischen Sicherheitsbereiches verhindere. Mit Betreten des Sicherheitsbereiches wäre die Gefahr bereits eingetreten. Die Ausdehnung der Verbotszone bis zu den bezeichneten Verkehrsanlagen sei auch erforderlich gewesen, um dem Bestimmtheitsgebot Rechnung zu tragen und eine praktikable Überwachbarkeit durch die Polizei sicherzustellen.

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Der Kläger hat am 5. Mai 2016 Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes eingelegt. Mit seinem am 13. Juni 2016 bei dem beschließenden Gericht eingegangenen Berufungsbegründungsschriftsatz beantragt er vollständige Akteneinsicht und trägt im Wesentlichen vor: In den frühen Abendstunden des 20. August 2014 habe er sich auf dem GÜZ oder in dessen unmittelbarer Nähe aufgehalten. Hierbei habe er sich mit anderen versammelt, um seine Meinung kund zu tun. Die Versammlung habe ein Transparent bzw. eine Fahne mit der Aufschrift „Gewaltfreie Aktion GÜZ abschaffen“ mit sich geführt.

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Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse sei unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Dass eine vergleichbare Situation erneut eintrete, müsse nicht feststehen, wenn gewisse Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine Wiederholung in absehbarer Zeit möglich erscheine. Der Platzverweis sei im zeitlichen Zusammenhang mit dem „War-starts-here-Camp 2014“ ergangen. Auch in den Jahren 2012, 2013 und 2015 habe ein solches Camp stattgefunden. Ebenfalls sei ein Rehabilitationsinteresse zu bejahen, da es sich bei dem grau unterlegten Bereich auf der Karte um eine öffentliche Fläche handele und die Polizeibegleitung im Rahmen eines Platzverweises stigmatisierende Wirkung habe (OVG LSA, Urteil vom 14. September 2015 - 3 L 158/14 - n.v.). Zudem liege ein schwerwiegender Grundrechtseingriff in die Versammlungsfreiheit vor, der ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründe.

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Das Urteil weiche von höherrangiger Rechtsprechung, insbesondere dem (Sammel-) Beschluss des Senates vom 22. August 2014 (3 M 457/14 u. a.) ab, wonach sich ein Platzverweis bei sechstägiger Dauer nicht auf § 36 Abs. 1 SOG LSA stützen lasse. Dieser Zeitraum sei unverhältnismäßig lang bemessen und vom Sinn und Zweck der Vorschrift nicht mehr gedeckt. Auch sei danach zweifelhaft, ob die „Platzverweiszone“, die sich über das Gebiet mehrerer Landkreise erstreckt habe, eine derart räumliche Beschränkung darstelle, dass noch von einem Ort im Sinne einer bestimmten Örtlichkeit gesprochen werden könne. § 36 Abs. 2 SOG LSA sei mangels Verhütung einer Straftat nicht einschlägig.

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Eine Gefahr, die von abgefeuerter Munition oder von der Ausführung militärischer Übungen herrühre, habe nicht bestanden. Die „Platzverweiszone“ habe sich außerhalb des GÜZ befunden und die Ortschaften C., B., L. und D. umfasst. Weder sei nachgewiesen, dass überhaupt ein Manöver stattgefunden habe, noch dass Munition verschossen worden wäre. Auf dem GÜZ finde auch nur ein simulationsgestütztes Training ohne scharfes Schießen statt. Dass eventuell erforderliche Retter von Polizei und Bundeswehr vor Gefahren durch abgefeuerte Munition oder durch militärische Übungen zu bewahren gewesen seien, sei spekulativ. Zum Einsatz von Rettern sei es nicht gekommen, zumal sich die „Platzverweiszone“ außerhalb des GÜZ befunden habe.

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Nicht zu folgen sei den Ausführungen der Beklagten, dass die Größe des GÜZ und der praktische Wirkungskreis der Gefahrenzone es unumgänglich machen würden, dass das Gebiet der Platzverweisung ein Ort im Sinne des § 36 Abs. 1 SOG LSA sei. Die Beklagte dehne den Begriff des Ortes über die Wortlautgrenze aus. Die Maßnahme müsse in räumlicher Sicht klar umgrenzt sein, es müsse sich um eine überschaubare Örtlichkeit wie beispielsweise eine Straßenkreuzung oder ein Gebäude handeln. Wenn eine Person von einem größeren Bereich verwiesen werden solle, bedürfe es eines Aufenthaltsverbotes, für das jedoch höhere Tatbestandsvoraussetzungen bestünden. Im Zweifel sei der Begriff des Ortes punktuell zu verstehen und umfasse keinen größeren örtlichen Bereich. Die Gefahrenlage bestimme nicht den Umfang der verbotenen Örtlichkeit, zumal kein Manöver, bei dem mit scharfer Munition geschossen worden sei, in der „Platzverweiszone“ stattgefunden habe. Die Auslegung des Gerichtes führe dazu, dass dem Tatbestandsmerkmal Gefahr keine eigene Bedeutung mehr zukomme. Ein „Gefahrengebiet“ - wie es bspw. § 4 Abs. 2 PolDVG HA vorsehe - kenne das SOG LSA nicht, zumal das Hamburger Gesetz die drohende Begehung von Straftaten verlange. Im Übrigen handele es sich mit der Ausweisung der Platzverweiszone rund um das GÜZ um eine rechtlich unzulässige Vorverlagerung, denn eine militärische Anlage im Sinne von § 114 OWiG liege insoweit nicht vor. Das Verwaltungsgericht verkenne die Reichweite und Bedeutung der Grundrechte, wenn es ausführe, dass dem Bestimmtheitsgebot Rechnung getragen würde, indem eine praktikable Überwachung sichergestellt werde. Bloße Nützlichkeitserwägungen genügten nicht.

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Die sechstägige Platzverweisung sei auch nicht nur vorübergehend im Sinne von § 36 Abs. 1 SOG LSA. Der Verweis auf die Definition im Duden genüge nicht. Der Begriff sei juristisch, nicht grammatikalisch auszulegen. Das von der Beklagten gewählte Synonym „zeitlich gebunden“ würde sogar eine vorübergehende Platzverweisung von einem Jahr erlauben. Dies könne im Hinblick auf § 36 Abs. 2 SOG LSA nicht richtig sein. Zwar möge eine generelle Aussage hinsichtlich der zulässigen Dauer nicht möglich und diese im Einzelfall unterschiedlich zu bemessen sein. Vor dem Hintergrund des Grundrechtseingriffs und der damit gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift sei die angeordnete Dauer unverhältnismäßig und nicht mehr vom Sinn und Zweck der Vorschrift gedeckt. Die Kommentarliteratur gehe von 24 Stunden aus, wobei eine längere Beschränkung ein Aufenthaltsverbot erfordere. Nur bei besonderen Gefahrenlagen könne das Rückkehrgebot länger dauern. Auf die Dauer der Gefahr im konkreten Einzelfall abzustellen, greife zu kurz, zumal kein Manöver mit scharfer Munition in der Platzverweiszone durchgeführt worden sei. Erneut verliere das Tatbestandsmerkmal „Gefahr“ an eigenständiger Bedeutung.

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Die Beklagte habe auch gegen die Polizeifestigkeit des Versammlungsrechtes verstoßen. Bestritten werde, dass die Versammlung, an der der Kläger teilgenommen habe, geeignet gewesen wäre, das GÜZ zu blockieren. Abgesehen davon unterfalle auch die demonstrative Blockade dem Schutz der Versammlungsfreiheit, wenn der öffentliche Protest im Vordergrund stehe. Dies sei hier der Fall gewesen. Der Platzverweis habe die weitere Ausübung der Versammlungsfreiheit unterbunden. Maßnahmen wie Platzverweise und Ingewahrsamnahme seien verboten, solange die Versammlung nicht aufgelöst sei. Soweit das Verwaltungsgericht meine, die Auflösung der Versammlung und der Platzverweis seien in einem Rechtsakt zusammengefallen, so sei dies schon nicht möglich. Erst wenn ein Versammlungsteilnehmer der durch die Auflösung der Versammlung bedingten Entfernungspflicht nicht Folge leiste, seien Vollstreckungsmaßnahmen der Polizei zulässig (OVG SH, Urteil vom 14. Februar 2016 - 4 LB 10/05 -, juris).

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Der Kläger beantragt sinngemäß,

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unter Abänderung des Urteiles des Verwaltungsgerichtes Magdeburg - 1. Kammer - vom 22. März 2016 (Az.: 1 A 1025/14 MD) festzustellen, dass der Platzverweis der Beklagten vom 20. August 2014 rechtswidrig war.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie führt unter Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Protestaktion des Klägers und anderer Personen sei keine Versammlung gewesen. Der Kläger sei im Zeitpunkt der Erteilung der Platzverweisung nicht mehr Versammlungsteilnehmer gewesen, da das GÜZ kein Ort kollektiver Kommunikation sei. Der Schutzbereich des Art. 8 GG sei nicht eröffnet. Das Gericht habe die Tatbestandsmerkmale des § 36 Abs. 1 SOG LSA anlass- und ereignisbezogen schlüssig ausgelegt. Dass der Kläger drei Mal im militärischen Sicherheitsbereich angetroffen worden sei, belege die Richtigkeit der Gefahrenprognose und rechtfertige die Dauer des Platzverweises. Auf dem GÜZ befänden sich Anlagen und Gegenstände, deren Betreten und/oder Berühren gefährlich sei. An bestimmten Stellen würden Blindgänger und Fundmunition planmäßig zur Explosion gebracht. Splitter und Munition lägen offen oder verborgen im Erdreich. Im Übungsbetrieb, erst recht bei Großübungen, seien Unfälle nicht auszuschließen. Wenn sich Zivilpersonen in gefährliche Situationen begäben, sei es naheliegend, dass Feldjäger, Soldaten oder Rettungskräfte der Bundeswehr, die zur Hilfe eilten, sich ebenfalls gefährdeten. Wegen der hohen Bedeutung der Individualrechtsgüter Leib, Leben und Gesundheit seien die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes herabgesetzt. In Anbetracht der im Internet angekündigten geplanten Besetzung des GÜZ sei davon auszugehen gewesen, dass der Kläger trotz der Aufforderung, dem Gebiet des GÜZ fern zu bleiben, sich diesem wieder nähern würden, um die geplante Besetzung und die Störung der Gefechtsübung durchzuführen. Der Platzverweis sei das mildeste Mittel, um den Kläger am Betreten des GÜZ und die damit einhergehende Gefahr zu (ver-)hindern. Die Beklagte habe berechtigterweise einen Gefahren- und Arbeitsbereich festgelegt, innerhalb dessen sich keine Zivilperson ohne entsprechende Berechtigung aufhalten dürfe. Wegen der Lage und Größe des GÜZ sei die Festlegung der gewählten Gefahrenzone unumgänglich, zumal es der Polizei sonst nicht möglich gewesen wäre, ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr nachzukommen und dadurch Gefahren für Leib und Leben entstanden wären. Innerhalb dieser Zone habe es keine Einrichtungen oder anderen Örtlichkeiten gegeben, die für den Kläger von Interesse wären, zumal der Kläger etwaige Beweggründe auch nicht vorgetragen habe. Es sei dem Kläger nur um das verbotene Betreten des GÜZ gegangen.

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Der Platzverweis sei auch nur vorübergehend erteilt worden. Die Zeit vom 20. bis 25. August 2014 sei gerade nicht von Dauer. Die Annahme starrer zeitlicher Grenzen widerspreche dem Zweck der Norm. Beispielsweise könne eine vorübergehende Kfz-Stilllegung mehrere Monate andauern; eine vorübergehende Übertragung von Arbeitsaufgaben im Fall der Erkrankung eines Arbeitnehmers dauere so lange, wie die Erkrankung andauere; eine vorübergehende zollrechtliche Verwahrung könne bis zu 20 oder 45 Tage betragen. Für die Dauer der militärischen Übung sei die Platzverweisung notwendig gewesen, da eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestanden habe, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintrete. Die Beklagte habe beispielsweise in N-Stadt Platzverweisungen durch Flugblätter erteilt, und die Gemeinde habe die erforderliche Allgemeinverfügung zum Betretungsverbot erst zwei Jahre später erlassen.

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Wenn die Platzverweisung auf einen Tag begrenzt gewesen wäre, hätte es an den Folgetagen weiterer Verfügungen bedurft, um die Betretungsgefahr für den Kläger abzuwehren.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, insbesondere die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten, sowie auf das von der Beklagten gefertigte Videomaterial (Beiakten A und B) verwiesen.

II.

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1. Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 130a Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für begründet und - wie sich aus den nachfolgenden Gründen ergibt - die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden (§§ 130a Satz 2, 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

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2. Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes Magdeburg - 1. Kammer - vom 22. März 2016 gerichtete zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

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2.1. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig.

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2.1.1. Der Zulässigkeit steht insbesondere nicht entgegen, dass dem Kläger bereits am 19. August 2014 ein Platzverweis bis zum 25. August 2014 für die gleiche Platzverweiszone durch die Beklagte erteilt worden ist und die Beklagte diesen - wie den streitbefangenen - Platzverweis aufgehoben hat. Hinsichtlich des gegen den Platzverweis vom 19. August 2014 angestrengten Klageverfahrens (Az.: 1 A 975/14MD) hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 21. Oktober 2014 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Hiermit ist jedoch nicht verknüpft, dass es dem Kläger am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis seiner zunächst angestrengten Anfechtungsklage gegen den streitbefangenen Platzverweis gemangelt hätte.

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Ob ein Bescheid (ganz oder teilweise) als Zweitbescheid oder lediglich als wiederholende Verfügung anzusehen ist, bestimmt sich danach, ob und inwieweit die Behörde durch ihre Verlautbarung eine neue Sachentscheidung getroffen hat. Das ist durch Auslegung der Verfügung zu ermitteln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2016 - 1 WB 33.15 -, juris Rn. 35). Hierfür kommt es auf deren Erklärungsinhalt an, der durch fallbezogene, die konkreten Umstände in den Blick nehmende Auslegung nach Maßgabe der entsprechend anwendbaren gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2010 - 2 B 23.10 -, juris Rn. 7). Für die Abgrenzung des anfechtbaren Verwaltungsaktes/Zweitbescheides von der „wiederholenden Verfügung“ ist die Behördenäußerung nicht ohne Rücksicht auf ihr Erscheinungsbild zu würdigen. Maßgebend ist nicht der innere, sondern der erklärte Wille. Dieser Grundsatz verlangt Eindeutigkeit der Erklärung. Eine nachträgliche Erläuterung kann die eingetretene, das Wesen der Behördenäußerung selbst betreffende Wirkung nicht mehr beseitigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 1965
- VI C 51.63 -, juris). In der Regel ist von einer erneuten Sachentscheidung dann ausgegangen werden, wenn sich die tragenden Erwägungen der Begründung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht gegenüber der ursprünglichen Entscheidung erheblich geändert haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 1961 - VI C 123.59 -, juris).

38

Dem streitbefangenen Platzverweis kommt nicht lediglich eine Erinnerungsfunktion anstelle einer regelnden Wirkung zu. Anhaltspunkte dafür, dass der Platzverweis vom 20. August 2014 nicht vorbehaltlos gegenüber dem Kläger ausgesprochen wurde bzw. die Beklagte hiermit nur auf eine in der Vergangenheit getroffene Regelung hinweisen wollte, liegen nicht vor. Abgesehen davon hat sich die Sachlage mit dem erneuten Betreten des militärischen Sicherheitsbereiches und der dem Kläger bekannten „Platzverweiszone“ jedenfalls insoweit geändert hat, als dass eine weitere Verletzung der Rechtsordnung (§ 114 OWiG) zu attestieren ist und die Beklagte die Ingewahrsamnahme des Klägers hätte erwägen können.

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2.1.2. Es besteht auch das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines - wie hier - aufgehobenen Verwaltungsaktes im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO besteht u. a. im Fall einer zu attestierenden Wiederholungsgefahr. Der erteilte Platzverweis schränkte jedenfalls die Bewegungsfreiheit des Klägers (Art. 2 GG) ein. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die für die Dauer von sechs Tagen eingerichtete Platzverweiszone um das GÜZ rechtswidrig war. Angesichts der regelmäßig stattfindenden militärischen (Groß-)Übungen auf dem Truppenübungsplatz Altmark ist davon auszugehen, dass - wie in den vergangenen Jahren 2012 bis 2015 - auch künftig pazifistische Bewegungen unter Beteiligung des Klägers diese begleiten werden, um ihrer Abneigung gegen kriegerische Auseinandersetzungen Ausdruck zu verleihen. Der Kläger muss folglich damit rechnen, dass erneut einschränkende Maßnahmen
- wie der streitbefangene Platzverweis - ergehen und hierdurch jedenfalls seine Bewegungsfreiheit erneut Einschränkungen erfährt.

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2.2. Die Klage ist begründet. Der - hier allein streitgegenständliche - gegenüber dem Kläger am 20. August 2014 ausgesprochene und mittlerweile aufgehobene Platzverweis war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten zumindest aus Art. 2 Abs. 1 GG.

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Zwar stand der streitbefangenen Platzverweisung - entgegen der Annahme des Klägers - nicht die Polizeifestigkeit des Versammlungsrechtes entgegen (2.2.1.), die Voraussetzungen für die Erteilungen eines Platzverweises nach der Regelungen des § 36 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA, auf die die Beklagte ihre Verfügung gestützt hatte, waren jedoch nicht erfüllt (2.2.2.).

42

2.2.1. Der Einwand des Klägers, die ihm gegenüber erklärte Platzverweisung sei bereits deshalb unzulässig gewesen, weil er an einer Versammlung teilgenommen habe, verfängt schon deshalb nicht, weil sich der Kläger und andere Aktivisten auf dem GÜZ, mithin in einem militärischen Sicherheitsbereich, versammelt haben, hinsichtlich dessen der Schutzbereich des Grundrechtes der Versammlungsfreiheit schon nicht eröffnet war.

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Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet zwar nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern zugleich ein Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten wie Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung beinhaltet. Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen - auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen - am Wirksamsten zur Geltung bringen können (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Juli 2015 - 1 BvQ 25/15 -, juris Rn. 9, und vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 16, Urteil vom 22. Februar 2011 -, juris Rn. 63 f., Beschlüsse vom 2. Dezember 2005 - 1 BvQ 35/05 -, juris Rn. 27, und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 31 BvR 341/81 -, juris Rn. 61 - Brokdorf; OVG NRW, Beschlüsse vom 29. Juli 2016 - 15 B 876/16 -, juris Rn. 8, und vom 24. Oktober 2015 - 15 B 1226/15 -, juris Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 29. Dezember 2016 - 15 B 1500/16 -, Rn. 8 ff., juris).

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Gleichwohl verschafft die Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt sie dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Die Durchführung von Versammlungen etwa in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist von Art. 8 Abs. 1 GG ebenso wenig geschützt wie etwa in einem öffentlichen Schwimmbad oder Krankenhaus. Von der Versammlungsfreiheit ausgenommen sind auch Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert oder nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird. Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen aber dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder durch private Investoren geschaffene und betriebene Plätze als Orte des Verweilens, der Begegnung, des Flanierens, des Konsums und der Freizeitgestaltung ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können. Dazu muss der beabsichtigte Ort der Versammlung für den Publikumsverkehr offen stehen und einen Raum des Flanierens, des Verweilens und der Begegnung schaffen, der dem Leitbild des öffentlichen Forums entspricht. Dies gilt auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraumes, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Ausschlaggebend ist die tatsächliche Bereitstellung des Ortes und ob nach diesen Umständen ein allgemeines öffentliches Forum eröffnet ist. Grundrechtlich ist unerheblich, ob der in Rede stehende Kommunikationsraum mit den Mitteln des öffentlichen Straßen- und Wegerechts oder des Zivilrechts geschaffen wird (vgl. zum Ganzen: BVerfG, Beschlüsse vom 18. Juli 2015 - 1 BvQ 25/15 -, juris Rn. 5, und vom 20. Juni 2014 - 1 BvR 980/13 -, juris Rn. 16, Urteil vom 22. Februar 2011 -, juris Rn. 65 ff.; BGH, Urteil vom 26. Juni 2015 - V ZR 227/14 -, juris Rn. 11, OVG NRW, Beschluss vom 29. Dezember 2016, a. a. O., Rn. 10 f.).

45

Unstreitig erfolgte die Platzverweisung des Klägers in einem militärischen Sicherheitsbereich im Sinne des § 2 Abs. 2 des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen vom 12. August 1965 (BGBl. I S. 796) in der Fassung der letzten Änderung durch Art. 12 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) - im Folgenden: UZwGBw -. Danach sind militärische Sicherheitsbereiche im Sinne dieses Gesetzes militärische Bereiche - Anlagen, Einrichtungen und Schiffe der Bundeswehr und der verbündeten Streitkräfte in der Bundesrepublik (Abs. 1) -, deren Betreten durch die zuständigen Dienststellen verboten worden ist, und sonstige Örtlichkeiten, die das Bundesministerium für Verteidigung oder eine von ihm bestimmte Stelle vorübergehend gesperrt hat. Mit dem für militärische Sicherheitsbereiche normierten Betretungsverbot geht die fehlende allgemeine Zugänglichkeit des Bereiches einher. Die Versammlungsfreiheit gewährt keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Dementsprechend kann ein militärischer Sicherheitsbereich von vornherein kein öffentliches Forum für eine Versammlung bieten, so dass der Schutzbereich von Art. 8 GG nicht eröffnet ist, mithin es des Auflösens auftretender Grundrechtskollisionen auf der rechtlich nachgelagerten Ebene der Herstellung einer praktischen Konkordanz zwischen den widerstreitenden Rechtspositionen nicht bedarf (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Juli 2015
- 1 BvQ 25/15 -, juris Rn. 7 und 9, und vom 20. Juni 2014 - 1 BvR 980/13 -, juris Rn. 24; OVG NRW, Beschluss vom 24. Oktober 2015 - 15 B 1226/15 -, juris Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 29. Dezember 2016, a. a. O., Rn. 13).

46

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger mit anderen Personen in der grau gekennzeichneten - außerhalb des GÜZ befindlichen - Platzverweiszone eine Versammlung hat abhalten wollen und hierdurch durch den erteilten Platzverweis gehindert gewesen war, liegen mangels angemeldeter Versammlung nicht vor und werden vom Kläger auch nicht behauptet. Dieser beschränkt sich darauf, sich mit anderen Personen auf dem Truppenübungsplatz zur gemeinsamen Meinungskundgabe versammelt zu haben. Dass er sich hiermit auf dem Weg zu einer - schützenswerten - Versammlung außerhalb des GÜZ befunden hätte, behauptet er ebenfalls nicht. Soweit der Kläger aufgefordert worden ist, nach Verlassen des GÜZ die in 200 m Entfernung vom militärischen Sicherheitsbereich gebildete Sitzblockade zu verlassen, geht er auf diese nicht streitgegenständliche (und wohl versammlungsrechtlich zu beurteilende) Anordnung nicht ein.

47

2.2.2. Der streitgegenständliche Platzverweis lässt sich jedoch - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht auf § 36 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der - bis heute unveränderten - Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 2014 (GVBl. LSA S. 182, ber. S. 380) - im Folgenden: SOG LSA - stützen. Danach können die Sicherheitsbehörden und die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Voraussetzung ist das Vorliegen einer konkreten Gefahr, die grundsätzlich von der Person ausgehen muss, gegen die sich der Platzverweis richtet (vgl. zur gleichlautenden sächsischen Landesnorm des
§ 21 Abs. 1 Satz 1 SächsPolG: Sächs. OVG, Urteil vom 19. Mai 2016 - 3 A 194/15 -, juris Rn. 27).

48

(1) Zwar lag eine Gefahr im vorbezeichneten Sinne vor. Diese erstreckte sich jedoch nicht auf die gesamte - im dem Kläger überreichten Dokument grau gekennzeichnete - Platzverweiszone.

49

Der (einfache) Platzverweis setzt eine Sachlage voraus, bei der im einzelnen Falle die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird (vgl. § 3 Nr. 3 lit. a] SOG LSA [konkrete Gefahr]). Der Schadenseintritt braucht nicht mit Gewissheit zu erwarten sein. Andererseits ist aber die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts nicht ausreichend. Der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist dabei abhängig vom Rang des Rechtsgutes, in das eingegriffen werden soll, sowie vom Rang des polizeilichen Schutzgutes (vgl. VGH BW, Urteil vom 12. Juli 2010 - 1 S 349/10 -, juris Rn. 62). Geht es - wie hier - auch um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, nämlich Leben und Gesundheit von Menschen, dürfen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes nicht überspannt werden (vgl. VGH BW, Urteil vom 12. Juli 2010, a. a. O.). Der damit erforderlichen Gefahrenprognose ist das Tatsachenwissen zugrunde zu legen, das der Verwaltungs- und Polizeibehörde zum Zeitpunkt ihres Einschreitens bekannt war; anhand dieses Tatsachenwissens muss aus Sicht eines objektiven, besonnenen Amtswalters das Vorliegen einer solchen (spezifischen) Gefahr bejaht werden können (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 27. Juni 2006 - 2 M 224/06 -, juris Rn. 3 [m. w. N.]).

50

Ein Gefahr für die öffentliche Sicherheit hat im gegebenen Fall schon deshalb bestanden, weil der Kläger sowohl am 19. als auch am 20. August 2014 einen militärischen Sicherheitsbereich, nämlich das GÜZ betreten und als Teilnehmer der Kampagne „Gewaltfreie Aktion GÜZ abschaffen“ zum Ausdruck gebracht hat, bis zum 24. August 2014 den Truppenübungsplatz (friedlich) blockieren zu wollen (vgl. Internetaufruf: http://www.gewaltfreie-aktion-guez-abschaffen.de/aktionskonsens/). Denn zur Abwehr einer Gefahr erfolgt eine Platzverweisung, wenn sie der Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dient. Die öffentliche Sicherheit umfasst dabei auch die Unversehrtheit der Rechtsordnung (vgl. § 3 Nr. 1 SOG LSA), so dass eine Platzverweisung grundsätzlich bei jedem Verstoß gegen Rechtsvorschriften erfolgen kann (vgl. BayVGH, Beschluss vom 2. Juli 2014 - 10 C 12.2728 -, juris Rn. 40). Der Kläger stellt auch nicht in Abrede, mehrfach das GÜZ betreten zu haben. Das unbefugte Betreten eines militärischen Sicherheitsbereiches wird als Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 114 OWiG geahndet.

51

Darüber hinaus bestand mit dem - jeweiligen - Betreten des Truppenübungsplatzes jedenfalls auch eine Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit des Klägers und der Angehörigen der Bundeswehr. Hierbei kann letztlich dahinstehen, ob eine militärische (Groß-)Übung - wie von der Beklagten behauptet und vom Kläger bestritten - in der Zeit vom 17. bis 25. August 2014 stattgefunden hat. Das GÜZ ist eine zentrale Ausbildungseinrichtung des Heeres zur Einsatzausbildung und truppengattungsgebundenen Ausbildung von Verbänden und Einheiten. Je nach Ausbildungsziel bereiten sich vorrangig Verbände und Einheiten aller Truppengattungen des Heeres, aber auch Streitkräfte verbündeter Nationen auf dem Truppenübungsplatz am Gefechtsübungszentrum des Heeres ihre Einsätze vor. Rund 700 Soldaten und 500 zivile Mitarbeiter ermöglichen einen Übungsbetrieb an 240 Übungstagen im Jahr. In 21 Übungsdurchgängen durchlaufen jährlich 16.000 bis 20.000 Soldaten die Ausbildung (vgl. Internetseite Bundeswehr/Heer). Dies zugrunde gelegt muss unabhängig davon, ob im streitbefangenen Zeitraum tatsächlich ein sog. Übungsdurchgang stattgefunden hat, davon ausgegangen werden, dass die dauerhaft stationierten Kräfte der Bundeswehr das Gelände jedenfalls zur Vorbereitung künftiger Übungsdurchgänge nutzten. Fest steht auch, dass das Aktionscamp, an welchem der Kläger teilgenommen hat, gerade mit Blick auf die Kampagne „Gewaltfreie Aktion GÜZ abschaffen“ errichtet wurde, so dass durch die Besetzung des Truppenübungsplatzes jedenfalls auch der neben dem Übungsbetrieb gewöhnliche Betrieb gestört werden sollte. Zu einem solchen gehört - unabhängig davon, ob eine militärische Gefechtsübung anberaumt war - das Befahren des Geländes mit (Militär-)Fahrzeugen. Hierbei muss nicht damit gerechnet werden, dass Zivilisten
- wie der Kläger - sich auf dem Gelände aufhalten, so dass eine konkrete Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit des Klägers und Dritter zu attestieren ist. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht entscheidungserheblich darauf an, ob und inwieweit auf dem Truppenübungsplatz reale Gefechtssituationen erprobt oder nur simuliert werden. Selbst wenn Letzteres allein der Fall wäre, würde der Truppenübungsplatz immerhin mit militärischen Einsatzfahrzeugen befahren werden. Hiernach durfte die Beklagte auf der Grundlage der ihr im Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten, die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der erforderlichen Gefahrenprognose maßgeblich sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 - 1 C 31.72 -, juris Rn. 38; Urteil vom 1. Juli 1975 - 1 C 35.70 -, juris Rn. 32; BayVGH, Urteil vom 26. November 1992 - 21 B 92/1672 -, juris Rn. 34), vom Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit für den Fall des Betretens des Truppenübungsplatzes ausgehen.

52

Dass sich die Platzverweiszone nicht auf den Truppenübungsplatz, sondern auf diesem vorgelagerte Bereiche als solche erstreckt hat, begegnet allein aus Sicht der Gefahrenlage keine durchgreifenden Bedenken. Die hier zu attestierende konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit gebietet es durchaus, zum Schutz der Rechtsordnung sowie Leib, Leben und Gesundheit in einem gewissen Radius um das Gefechtsübungszentrum das Betretensrecht einzuschränken. Sie erlaubt jedoch nicht, die Platzverweiszone um den Truppenübungsplatz unter Verweis auf Praktikabilitätserwägungen an den angrenzenden Kreis- und Landstraßen zu orientieren, mithin einen Radius zu schaffen, der sogar an einigen Stellen mehrere Kilometer (ca. 6 bis 7 km) beträgt. Vielmehr hätte es genügt, einen deutlich geringeren Radius um den militärischen Sicherheitsbereich - wie eine Art Bannmeile - zu ziehen. Dass es hierfür gegebenenfalls einer höheren Anzahl polizeilicher Einsatzkräfte bedurft hätte, um die Einhaltung des Platzverweises zu überwachen, ist schon nicht ersichtlich. Denn der bei der verfügten Platzverweiszone deutlich größere Radius ist durch die Polizei viel aufwendiger zu sichern, zumal das Aktionsbündnis offensichtlich als Gruppe agiert hat. Ungeachtet dessen wäre dies auch deshalb nicht von rechtlicher Relevanz, weil sich die Beklagte weder auf das Vorliegen eines polizeilichen Notstandes berufen, mithin schon nicht dargetan hat, nicht über die notwendigen polizeilichen Kräfte zur Gefahrenabwehr zu verfügen, noch Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Voraussetzungen hierfür vorlagen.

53

(2) Bei der grau gekennzeichneten, durch Land- und Kreisstraße ihren äußeren Rahmen findenden Platzverweiszone um das GÜZ handelt es sich überdies auch nicht einen Ort im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA.

54

Ort im Sinne der Vorschrift kann nur ein Platz sein, der in seinem Umfang als solches eng begrenzt ist, so dass er sich von dem in Absatz 2 der Vorschrift geregelten und strengeren Tatbestandsvoraussetzungen unterliegenden „örtlichen Bereich“ abgrenzt. Die hier streitbefangene „Platzverweiszone“, die mehrere Quadratkilometer umfasst, verschiedene Gemeinden (Dolle als Ortsteil der Gemeinde Burgstall, Letzlingen als Ortsteil der Hansestadt Gardelegen, Born als Ortsteil der Gemeinde Westheide und die Gemeinde Colbitz) einschließt und sich auch über zwei Landkreise (Landkreis Altmarkkreis Salzwedel und Landkreis Börde) erstreckt, ist kein solcher Ort im vorbezeichneten Sinne. Dies lässt sich ohne weiteres aus dem Wortlaut der Regelung ableiten und findet auch in dem Sinn und Zweck der Vorschrift, der Stellung der Regelung im Normengefüge und der Gesetzeshistorie seine Bestätigung, wobei die Regelung des § 36 SOG LSA wegen ihres freiheitsbegrenzenden Charakters (Art. 104 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 11 Abs. 1 GG) einer restriktiven Auslegung bedarf.

55

Zur Auslegung der Vorschrift ist die erstmals zum 26. Juli 2000 in Kraft getretene Regelung zum erweiterten Platzverweis, einem sog. Aufenthaltsverbot, heranzuziehen. Mit der Einführung des § 36 Abs. 2 SOG LSA durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 20. Juli 2000 (GVBl. LSA S. 444) hat der Landesgesetzgeber unter Beibehaltung des bisherigen Wortlautes als Absatz 1 bestimmt, dass, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat von erheblicher Bedeutung nach dem Betäubungsmittelgesetz, §§ 86, 86a, 124, 125 oder 130 des Strafgesetzbuches oder nach § 27 des Versammlungsgesetzes begehen wird, ihr für die zur Verhütung der Straftat erforderliche Zeit verboten werden kann, diesen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, es sei denn, sie hat dort ihre Wohnung. Die Platzverweisung nach Satz 1 durfte nicht mehr als 4 Tage, im Falle einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht mehr als 14 Tage betragen. Örtlicher Bereich im Sinne des Satzes 1 ist ein Ort oder ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch ein gesamtes Gemeindegebiet. Die Vorschriften des Versammlungsrechtes blieben unberührt. Die als § 36 Abs. 2 SOG LSA neu eingeführte Regelung ist im Zusammenhang mit der in Absatz 1 der Vorschrift getroffenen Bestimmung zur (einfachen) Platzverweisung zu sehen. Dies ergibt sich aus den engeren Tatbestandsvoraussetzungen, die auf der Rechtsfolgenseite örtlichen und zeitlichen Umfang der Platzverweisung erweitern.

56

Die Gesetzesmaterialen zur Einführung der Vorschrift im Jahre 2000 verdeutlichen das mit der Ergänzung des § 36 SOG LSA verfolgte Anliegen des Landesgesetzgebers, einen zeitlich und örtlich gegenüber der bisherigen Regelung (nunmehriger Absatz 1) erweiterten Platzverweis auszusprechen, um potentielle Straftäter auch für einen längeren Zeitraum von bestimmten örtlichen Bereichen fern zu halten. Bei Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass Personen bestimmte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen, werde mit dem erweiterten Platzverweis die Möglichkeit eröffnet, Störern auch für längere Zeit zu verbieten, sich an Orten, die auch ein gesamtes Gemeindegebiet umfassen könnten, aufzuhalten. Der Begriff Gemeindegebiet sei danach nicht gleichbedeutend mit demjenigen im Sinne des Kommunalverfassungsrechtes und beziehe auch gemeindefreie Gebiete mit ein (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfes der Landesregierung, LT-Drs. 3/3023 vom 26. April 2000, S. 16 f.).

57

Mit der Einführung des § 36 Abs. 3 SOG LSA zum Schutz vor häuslicher Gewalt hat der Landesgesetzgeber die Vorschrift des § 36 Abs. 2 SOG LSA auf seine heute noch Geltung beanspruchende Fassung abgeändert (Änderungsgesetz vom 10. Juli 2003 [GVBl. LSA S. 150]), indem er die Katalogstraftaten erheblicher Bedeutung aus der Vorschrift gestrichen und die Dauer der erweiterten Platzverweisung auf 12 Monate verlängert hat, um den Erfordernissen einer wirksamen Gefahrenabwehr gerecht zu werden (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfes der Landesregierung, LT-Drs. 4/400 vom 4. Dezember 2012 S. 20; Plenarprotokoll 4/21 vom 12. Juni 2003, S. 1452,1457).

58

Hiervon ausgehend spricht bereits Überwiegendes dafür, dass ein Platzverweis nach
§ 36 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA im Gegensatz zu dem in Absatz 2 der Vorschrift bestimmten örtlichen Bereich nur eine Örtlichkeit geringeren Umfanges umfassen kann, es sich mithin um eine eng umgrenzte Örtlichkeit handelt (vgl. so auch: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Auflage 2001, C. H. Beck Verlag, F Rn. 448). Definiert sodann der Landesgesetzgeber den örtlichen Bereich abschließend, indem er in § 36 Abs. 2 Satz 3 SOG LSA ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch ein gesamtes Gemeindegebiet bestimmt, ist mithin ausgeschlossen, dass Gebiete mehrerer Gemeinden, die zudem zu verschiedenen Landkreisen gehören, die Platzverweiszone im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA bilden können. Dies ist ohne weiteres verständlich, soweit hier Gemeinden als Sicherheitsbehörden tätig sind, da diese von vornherein nur im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit, mithin auf ihr Gemeindegebiet beschränkt zu agieren berechtigt sind. Die Beklagte als Landespolizeibehörde unterliegt dieser Zuständigkeitseinschränkung zwar nicht. Gleichwohl ist es der Polizei schon nach dem Wortlaut des § 36 Abs. 2 SOG LSA nicht erlaubt, über ein Gemeindegebiet einschließlich etwaiger gemeindefreier Gebiete hinaus einen erweiterten Platzverweis aussprechen. Dass die Polizei bei der Erteilung eines einfachen Platzverweises nach Absatz 1 sogar berechtigt wäre, diesen über den örtlichen Bereich hinaus auszusprechen, erklärt sich genauso wenig wie die von der Beklagten damit geforderte extensive Auslegung der Rechtsbegriffe für Polizeibehörden. Dies folgt auch nicht aus der vom Verwaltungsgericht angestrengten Auslegung, die Gefahrenlage bestimme den Umfang der verbotenen Örtlichkeit. Denn eine Abgrenzung der im Gesetz bereits dem Wortlaut nach angelegten verschiedenen Rechtsfolgen wäre hiernach von vornherein ausgeschlossen. Ort und örtlicher Bereich wären in diesem Fall nämlich gleichen Umfangs, ließen sich beide Begrifflichkeiten durch die jeweilige „Gefahrlage“ bestimmen. Es mag vor dem Hintergrund einer effektiven Gefahrenabwehr zu befürworten sein, dass Polizeibehörden einen (einfachen) Platzverweis allein an der Gefahrenlage in örtlicher (wie auch in zeitlicher) Hinsicht orientieren. Eine solche Sichtweise würde jedoch eine insoweitige Schaffung einer generelleren Regelung voraussetzen.

59

Der Landesgesetzgeber hat mögliche Aufenthaltsbeschränkungen durch Platzverweise abschließend normiert (vgl. § 13 2. HS SOG LSA), indem er anknüpfend an eine Gefahr bzw. an Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Person Straftaten begehen wird, begrenzte Rechtsfolgen, insbesondere auch in örtlicher Hinsicht vorgegeben hat. Rechtsfolgen über den in § 36 Abs.1 Satz 1 SOG LSA beschriebenen örtlichen Umfang hinaus können damit von vornherein nicht durch den Ausspruch eines einfachen Platzverweises angeordnet werden. Sinn und Zweck der Regelung des § 36 Abs. 1 SOG LSA ist es, die Möglichkeit polizeirechtlicher Aufenthaltsbeschränkungen für Personen zu schaffen und zugleich zu begrenzen, von denen an einem bestimmten Ort und nicht etwa an verschiedenen mehreren Orten oder Bereichen eine Gefahr ausgeht. Die Regelungsgefüge des § 36 Abs. 1 und 2 SOG LSA offenbart insoweit ein abgestuftes sicherheitsbehördliches bzw. polizeiliches Vorgehen.

60

Ob ein Rückgriff auf die Generalnorm des § 13 SOG LSA wegen der ausdifferenzierten Regelung des Platzverweises in § 36 SOG LSA, die die Möglichkeit von Aufenthaltsbeschränkungen speziell regelt, wegen § 13 2. HS SOG LSA ausscheidet (vgl. zur hessischen Landesnorm des § 31 HSOG a. F.: HessVGH, Beschluss vom 28. Januar 2003
- 11 TG 2548/02 -, juris) bedarf keiner abschließenden Klärung. Denn die Beklagte hat ihre ermessensgelenkte polizeiliche Maßnahme auf § 36 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA und nicht etwa auf die Regelung des § 13 SOG LSA gestützt. Eine etwaige Umdeutung scheidet aus. Zwar dürfte davon auszugehen sein, dass die in § 36 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA normierte Standardmaßnahme Platzverweisung nur Gefahrenlagen erfasst, die sich mit einer vorübergehenden Eingriffsmaßnahme bewältigen lassen. Wie die übrigen Standardmaßnahmen ist die Platzverweisung auf bestimmte typische polizeiliche Gefahrenlagen zugeschnitten. Der Bezug zum polizeilichen Alltagsbetrieb sowie insbesondere zur Tätigkeit des Polizeivollzugsdienstes und den vom Polizeivollzugsdienst zu treffenden unaufschiebbaren Maßnahmen ist unverkennbar. Demgegenüber ist die polizeiliche Generalklausel auf eher komplexe und atypische Gefahrenlagen ausgerichtet. Dazu gehören auch neue, nach Art und Ausmaß bislang nicht bekannte Gefahren. Da der Gesetzgeber nicht sämtliche künftigen Gefahren und alle ihnen gegenüber zu treffenden Maßnahmen im Einzelnen voraussehen und detailliert regeln kann, besitzt die Generalklausel in dieser Hinsicht eine bedeutende Auffangfunktion. Im Hinblick auf Aufenthaltsbeschränkungen kann die Generalklausel etwa bei Unglücksfällen oder Naturkatastrophen Bedeutung erlangen. Die komplexe Gefahrenlage kann Beschränkungen erfordern, die über eine (einfache) Platzverweisung hinausgehen (vgl. OVG Bremen, Urteil vom 24. März 1998 - 1 BA 27/97 -, juris Rn 27). Dies dürfte jedoch nicht für den hier zu bewertenden Fall gelten, indem sich eine Person selbst und Dritte in einem sehr weiträumigen Bereich (Grenzverlauf des militärischen Sicherheitsbereiches) in Gefahr bringt, ohne dabei strafbewehrt in Erscheinung zu treten.

61

Auch die Kommentierungen zu vergleichbaren landesrechtlichen Regelungen stützen das Auslegungsergebnis. So knüpft beispielsweise auch das hessische SOG in § 31 Abs. 1 an die Begrifflichkeit „Ort“ an, die zur Abwehr einer Gefahr eine vorübergehende Wegverweisung oder ein vorübergehendes Betretungsverbot nur hinsichtlich eines räumlich eng begrenzten Ortes für zulässig erachtet (vgl. Hornmann, Kommentar HSOG, 2. Aufl., C. H. Beck Verlag, § 31 Rn. 6, 9). Das niedersächsische SOG hält in
§ 17 Abs. 1 eine vergleichbare Regelung vor, wobei auch hier die Maßnahme zeitlich und örtlich („ein Ort“ nicht „ein örtlicher Bereich, vgl. hierzu § 14 Abs. 4 Nds. SOG) begrenzt sein muss. Danach soll eine Platzverweisung deshalb nicht für das gesamte Gemeindegebiet, sondern nur z. B. für eine Straßenstück, ein Grundstück oder einen Gebäudeteil zulässig sein. Großflächige Platzverweisungen im Sinne des Absatzes 1 seien danach mit der Schaffung der Sonderregelung für Platzverweise zur Verhütung von Straftaten nicht (mehr) zulässig, da die Rechtslage mit der Einführung der Sonderregelung (§ 17 Abs. 4 NdsSOG [vormals Absatz 2]) im Übrigen keine Änderung erfahren habe (vgl. Böhrenz/Unger/Siefken, Nds SOG, 8. Aufl. 2005 PINKVOSS Verlag,
§ 17 Rn. 2). Mittlerweile hat auch der bayerische Landesgesetzgeber seine Regelung zum Platzverweis ausdifferenziert und zusätzlich mit der im Jahr 2017 erfolgten Einführung des Art. 16 Abs. 2 PAG die Aufenthaltsanordnung und das Kontaktverbot vorgesehen, wobei auch hier zwischen einem Ort und bestimmten Orten oder eines bestimmten Gebietes unterschieden wird. Über mehrere Orte bzw. ein bestimmtes Gebiet kann die Maßnahme sich nur erstrecken, wenn die Begehung von Straftaten droht.

62

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der erweiterte Platzverweis in § 36 Abs. 2 SOG LSA qualitativ nichts anderes ist als ein einfacher Platzverweis im Sinne von Absatz 1 der Vorschrift. Beiden Maßnahmen ist gemein, dass eine Person einen Ort nicht mehr betreten darf. Die zwischen den Maßnahmen bestehenden Unterschiede - Ausdehnung des gesperrten Gebietes und [Höchst-]Dauer des Betretensverbotes - sind quantitativer Natur (vgl. Lisken/Denninger, a. a. O., F Rn. 45). Allein der Umstand, dass die Art und das Maß der Gefahrenlagen in § 36 Abs. 1 und 2 SOG LSA verschieden definiert werden, rechtfertigt für sich betrachtet keine erweiterte Auslegung der Begrifflichkeit „Ort“. Dem Landesgesetzgeber war es unbenommen, den (einfachen) Platzverweis auch auf örtliche Bereiche zu erstrecken bzw. für Polizeibehörden den örtlichen Bereich gemeindeneutral zu definieren. Hiervon hat er indes nicht Gebrauch gemacht.

63

(3) Ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankommt, war der für die Dauer der von der Beklagten behaupteten der militärischen Übung (20. bis 25. August 2014, 12.00 Uhr) gegenüber dem Kläger angeordnete Platzverweis auch keine vorübergehende Maßnahme im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA.

64

Fest steht, dass ein Platzverweis keine polizeiliche Maßnahme auf Dauer sein kann, d. h. in zeitlicher Hinsicht begrenzt sein muss, wobei - wie bereits dargestellt - wegen der mit einer Platzverweisung verbundenen Freiheitsbeschränkung (Art. 104 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 11 Abs. 1 GG) die Regelung eng auszulegen ist. Umstritten ist jedoch, ob die Begrifflichkeit „vorübergehend“ auch am (absoluten) Maßstab des erweiterten Platzverweises oder nur (relativ) - wovon das Verwaltungsgericht und die Beklagte ausgeht - an der Dauer der (spezifischen) Gefahr zu orientieren ist.

65

Zwar dürfte die Effektivität der Gefahrenabwehr für die Auslegung des Verwaltungsgerichtes und der Beklagten sprechen, zumal auch der Wortlaut der Vorschrift ein Gleichsetzen der Begriffe "vorübergehend" mit "kurzfristig" nicht erzwingt. Der Blick in die Gesetzesmaterialien legt jedoch zur Überzeugung des Senates nahe, dass der Landesgesetzgeber bei der im Jahr 2000 erfolgten Einführung des § 36 Abs. 2 SOG LSA u. a. das Anliegen verfolgt hat, Platzverweisungen - die bisher nur vorübergehend sein durften - auch in zeitlicher Hinsicht zu erweitern. Er ist bei seiner Neuregelung sodann von maximal vier- bzw. bei bestimmten Straftaten von maximal vierzehntägiger Dauer des erweiterten Platzverweises ausgegangen und hat mit der Änderung des SOG LSA im Jahr 2003 die maximale Dauer des erweiterten Platzverweises auf 12 Monaten angehoben (vgl. Darstellung unter [2]). Dies zugrunde gelegt hatte der Landesgesetzgeber mit dem Tatbestandsmerkmal „vorübergehend“ nur eine Zeitspanne kurzer Dauer mit einer zeitlichen Obergrenze, die jedenfalls unter vier Tagen lag, im Blick, ohne die Begrifflichkeit allein an der jeweiligen Gefahrenlage auszurichten. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bei seiner Änderung des SOG LSA im Jahr 2003, d. h. mit der Einführung der zeitlichen Obergrenze von 12 Monaten für den erweiterten Platzverweis, auch die Absicht verfolgt hat, die zeitliche Obergrenze beim einfachen Platzverweis entsprechend anzupassen, mithin zu verlängern, können den Gesetzgebungsmaterialen nicht im Ansatz entnommen werden.

66

Der Sinn und Zweck der Vorschrift des § 36 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA steht dieser sich nach den Gesetzesmaterialien offenbarenden Auslegung auch nicht entgegen. Denn den Polizei- und Sicherheitsbehörden bleibt es bei andauernden Gefahrenlagen unbenommen, erneut einen Platzverweis auszusprechen, wenn sich abzeichnet, dass die nach dem gesetzgeberischen Willen ermittelte Grenze von maximal drei Tagen überschritten wird. Auch wenn es (de lege ferenda) wünschenswert wäre, einen deutlich weiteren zeitlichen Rahmen bei der Anordnung des Platzverweises nach § 36 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA zur Verfügung zu haben, um jedweden länger andauernden Gefahrenlagen zu begegnen, obliegt es allein der Legislative, diesen zu bestimmen.

67

Zu einer anderen Beurteilung zwingt auch nicht die Formulierung in § 36 Abs. 2 SOG LSA, dass einer Person von den Sicherheitsbehörden oder der Polizei „für die zur Verhütung der Straftat erforderliche Zeit“ das Betreten zu verbieten ist. Insbesondere folgt hieraus nicht, dass ein Platzverweis ausschließlich am Maßstab der abzuwehrenden Gefahr zu messen ist. Denn selbst § 36 Abs. 2 SOG LSA hält eine gesetzlich ausdrücklich normierte zeitliche Obergrenze vor, so der Rechtsgedanke für sich betrachtet von vornherein nicht tragfähig ist.

68

Der Landesgesetzgeber hat - wie bereits zum Tatbestandsmerkmal „Ort“ ausgeführt - mögliche Aufenthaltsbeschränkungen durch einen Platzverweis in § 36 SOG LSA abschließend normiert, indem er anknüpfend an besondere Tatbestandsmerkmale begrenzte Rechtsfolgen, nicht nur in örtlicher, sondern auch in zeitlicher Hinsicht vorgegeben hat. Rechtsfolgen über den beschriebenen zeitlichen Umfang hinaus können damit von vornherein nicht durch den Ausspruch eines einfachen Platzverweises angeordnet werden. Die Regelungen des § 36 Abs. 1 und 2 SOG LSA offenbaren ein vom Gesetzgeber vorgegebenes abgestuftes sicherheitsbehördliches bzw. polizeiliches Vorgehen, das abschließend geregelt ist. Im Übrigen wird auf die übertragbaren Ausführungen zur Tatbestandsmerkmal „Ort“ verwiesen (vgl. Darstellung unter [2]).

69

Abgesehen davon und ohne, dass es vorliegend darauf noch entscheidungsrelevant ankäme, ist für den vorliegenden Sachverhalt auch festzustellen, dass die Beklagte den zum Zwecke der Gefahrenabwehr erforderlichen Zeitrahmen bereits unrichtig ermittelt hat, indem sie angelehnt an die behauptete militärische Übung bis zum 25. August 2014, 12.00 Uhr den Platzverweis aussprach. Denn der Beklagten hat aus
der medialen Begleitung der Protestbewegung „Gewaltfreie Aktion GÜZ abschaffen“ zum Zeitpunkt des Platzverweises zweifellos bekannt sein müssen, dass die
Aktion vom 17. bis 24. August 2014 (vgl. http://www.gewaltfreie-aktion-guez-abschaf-fen.de/de/;https://www.volksstimme.de/nachrichten/lokal/gardelegen/1306359_Kein-Verstaendnis-fuer-Konfetti-Aktion.html [Bericht vom 8. Juli 2014]; https://www.volks-stimme.de/nachrichten/sachsen_anhalt/1328084_Militaergegner-besetzen-kurz-das-Sperrgebiet.html [Bericht vom 20. August 2014]) und nicht etwa bis zum 25. August 2014, 12.00 Uhr geplant war. Die zeitliche Dauer der Protestbewegung, an der sich der Kläger beteiligt hat, bildet unabhängig von der sich aus § 36 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA ergebenden zeitlichen Obergrenze, den tatsächlichen Rahmen für die Gefahrenabwehr. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte davon ausgehen durfte, dass der Kläger über die Kampagne der Protestbewegung hinaus ein Betreten des Truppenübungsplatzes beabsichtigt hätte, liegen weder vor, noch macht die Beklagte geltend, im Zeitpunkt der Gefahrenprognose hiervon ausgegangen zu sein.

70

Nach alledem kommt es auf die übrigen Einwände des Klägers und das Vorbringen der Beklagten nicht mehr entscheidungserheblich an.

71

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

72

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

73

5. Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

74

6. Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwertes für das Berufungsverfahren folgt aus § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziffer 35.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 23. Apr. 2018 - 3 L 85/16

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(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

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(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden. (2) Über die Zuläss

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Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entspre

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Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 23. Apr. 2018 - 3 L 85/16 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

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(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen einem Verbot der zuständigen Dienststelle eine militärische Einrichtung oder Anlage oder eine Örtlichkeit betritt, die aus Sicherheitsgründen zur Erfüllung dienstlicher Aufgaben der Bundeswehr gesperrt ist.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen einem Verbot der zuständigen Dienststelle eine militärische Einrichtung oder Anlage oder eine Örtlichkeit betritt, die aus Sicherheitsgründen zur Erfüllung dienstlicher Aufgaben der Bundeswehr gesperrt ist.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Kostenentscheidungen der Beschlüsse werden aufgehoben. Das Verfahren wird insoweit an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer meldeten Anfang September 2010 bei der Stadt L. ihr Vorhaben an, am 16. Oktober 2010 (von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr) in L. eine Versammlung unter freiem Himmel durchzuführen. Die geplante Versammlung sollte aus drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt von L. bestehen. Die Teilnehmerzahl wurde von den Beschwerdeführern bei der Anmeldung auf 600 Personen geschätzt. Das Motto der geplanten Versammlung lautete "Recht auf Zukunft". Es bezog sich auf eine am 17. Oktober 2009 in L. von der Beschwerdeführerin zu 4), einer Unterorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), veranstaltete Versammlung, bei der es im Zusammenhang mit einer Versammlungsblockade durch Gegendemonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und letztlich zu einer polizeilichen Auflösung der Versammlung kam.

3

Angesichts dieser Vorgeschichte und der Anmeldung von zahlreichen Gegendemonstrationen kam es zwischen der Anmeldung und der Durchführung der geplanten Versammlung zu umfangreichen Verhandlungen zwischen den Beschwerdeführern und der Stadt L., die unter anderem in Kooperationsgesprächen am 4., am 6. und am 13. Oktober 2010 eingehend die polizeilich sicherbare Anzahl der geplanten Aufzüge und die konkrete Streckenführung erörterten. In einer Gefährdungsanalyse am 4. Oktober 2010 bekundete die Polizeidirektion L. dabei laut den tatsächlichen Feststellungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass der Schutz von zwei der angemeldeten Aufzüge mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften gewährleistet werden könne. Am 11. Oktober 2010 teilte der Beschwerdeführer zu 1) der Stadt schließlich mit, dass am 16. Oktober 2010 nunmehr lediglich ein einziger Aufzug stattfinden solle. Am 12. Oktober 2010 ergänzte die Polizeidirektion L. ihre Gefahrprognose insofern, dass nunmehr nur eine maximal vierstündige stationäre Kundgebung durchführbar sei, weil nach den Erfahrungen des Versammlungsgeschehens vom 17. Oktober 2009 mit einer höheren als der angemeldeten Teilnehmerzahl zu rechnen sei und jeweils ca. 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration und der Gegendemonstrationen als gewaltbereit einzustufen seien.

4

2. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 untersagte die Stadt L. die Durchführung der Versammlung als Aufzug, verfügte die Durchführung als stationäre Kundgebung in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in einem Bereich am L. Hauptbahnhof und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Auflage an. Die Polizeidirektion L. habe in ihrer Gefahrprognose vom 12. Oktober 2010 dargelegt, dass im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Oktober 2010 aufgrund von zahlreichen Versammlungsanmeldungen widerstreitender politischer Lager eine latente Gefährdungssituation vorhanden sei, die einen außerordentlich hohen Kräfteeinsatz der Polizei erfordere. Es sei davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer der Aufzüge bei Angriffen durch Personen der linksextremistischen Klientel provozieren ließen und darauf entsprechend reagierten. Die Polizei habe glaubhaft dargelegt, dass sie kräftetechnisch außerstande sei, einen Aufzug zu begleiten, da trotz bundesweiter Anfragen nur 29 der für erforderlich gehaltenen 44 Polizeihundertschaften, also nur 66 % der geplanten Polizeikräfte, zur Verfügung stünden. Die Ausübung der Versammlungsfreiheit werde trotz der Beschränkungen nicht vereitelt, da der zugewiesene Ort eine hinreichende Öffentlichkeitswirksamkeit und eine räumliche Trennung der gegensätzlichen politischen Lager gewährleiste.

5

3. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer noch am gleichen Tag Widerspruch und stellten beim Verwaltungsgericht Leipzig die Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Auflage, nur eine stationäre Kundgebung durchzuführen, wiederherzustellen sowie im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Verbot sämtlicher Versammlungen in einem Umkreis von 300 m um die angemeldeten Aufzugstrecken anzuordnen. Das Verwaltungsgericht Leipzig lehnte die Eilanträge mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Bescheid vom 13. Oktober 2010 rechtmäßig sei und somit das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheids die Interessen der Beschwerdeführer überwiege. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, die Stadt L., sei auf der Grundlage der Einschätzung der Polizeidirektion L. nachvollziehbar davon ausgegangen, dass infolge zahlreicher Gegenaktionen und -demonstrationen bei Durchführung des im Zuge der Kooperation der Beschwerdeführer zuletzt noch geplanten einzigen Aufzuges eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bestehe. Bei der Vielzahl der angemeldeten und geplanten Veranstaltungen am 16.10.2010, unter anderem ein Fußballspiel, und in Anbetracht der beschriebenen begrenzten Kräftelage der Polizei sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einhergehenden Personen- und Sachschäden zu rechnen, denen nur mit der Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung begegnet werden könne. Dieser Gefahr könne in Anbetracht der besonderen Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 auch nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer begegnet werden.

6

4. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts legten die Beschwerdeführer Beschwerde ein. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 zurück. Ob ein polizeilicher Notstand vorliege, sei im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend zu beurteilen. Der Einschätzung der Polizeidirektion lasse sich entnehmen, dass aufgrund des Versammlungsgeschehens im Vorjahr mit gewalttätigen Auseinandersetzungen einer Anzahl von 10 bis 20 % der Teilnehmer sowohl auf Seiten der Beschwerdeführer wie auf Seiten linker Demonstranten gerechnet werde. Zwar erschließe sich dem Gericht nicht, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb kurzer Zeit so erhöht haben solle, dass statt der zwei Aufzüge, die die Polizeidirektion ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten habe, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Wegen der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit sei aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Danach sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil für den Antragsteller die mit der Durchführung einer nur stationären Kundgebung verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmbar seien.

7

5. Die Beschwerdeführer beantragten sodann beim Bundesverfassungsgericht zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen Antrag hat die Kammer aufgrund der besonderen Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, dabei jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Klärung der aufgeworfenen Fragen in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsachverfahren hingewiesen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris).

8

6. Hieraufhin erhoben die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts fristgemäß Verfassungsbeschwerde mit der Rüge, durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Rechten aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt zu sein.

9

7. Das Bundesverfassungsgericht hat der Stadt L. als Gegnerin des Ausgangsverfahrens, dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa sowie der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

10

Nach Auffassung des Rechtsamtes der Stadt L. liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht vor. Das Sächsische Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des unter anderem für das Versammlungsrecht zuständigen 6. Revisionssenats übersandt, in der dieser Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen äußert.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 69, 315 <340 ff.>; 110, 77 <83 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zulässig und begründet.

12

1. Der Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG steht weder der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde noch das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses entgegen.

13

a) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache nur, soweit die geltend gemachte Verletzung von Freiheitsrechten oder von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung der Gerichte in der Hauptsache noch ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier rügen die Beschwerdeführer allerdings gerade die Missachtung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bei der Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr behandelt werden würde.

14

b) Auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer besteht, obwohl der Demonstrationstermin verstrichen und damit der Sofortvollzug der strittigen Auflagen gegenstandslos geworden ist. Sind verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht (mehr) zu klären, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung des ursprünglichen Begehrens im Falle einer Wiederholungsgefahr, also wenn ein Gericht die bereits herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht beachtet hat und bei hinreichend bestimmter Gefahr einer gleichartigen Entscheidung bei gleichartiger Sach- und Rechtslage zu befürchten ist, dass es diese auch in Zukunft verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier führten die Beschwerdeführer bereits konflikthafte Versammlungen in L. durch und planen auch in Zukunft die Durchführung von Versammlungen in L., bei denen sie mit ähnlichen Konfliktsituationen rechnen und gegebenenfalls gleichartige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts befürchten müssten.

15

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

16

a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343> oder <355 ff.>; 128, 226 <250 f.>).

17

Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Nach § 15 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 in der Fassung vom 8. Dezember 2008 (BGBl I S. 2366; im Folgenden: VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung durchgeführt werden darf (vgl. BVerfGK 2, 1 <8>). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Ferner gilt, dass, soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, die Durchführung der Versammlung zu schützen ist und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten sind (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>; BVerfG , Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2072>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfGK 17, 303 <308>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

18

b) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 23. März 2004 - 1 BvR 745/01 -, juris, Rn. 13). Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren als außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegender Rechtsbehelf kann die primäre Rechtsschutzfunktion der Fachgerichte ebenfalls nicht übernehmen. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung auslösen kann, ist hierbei zudem ein strenger, von den verwaltungsgerichtlichen Kriterien grundsätzlich unterschiedener Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris, Rn. 4). Daher müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der beschriebenen strengen Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene.

19

3. Diese Maßstäbe haben das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bei den ihnen obliegenden Entscheidungen über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend berücksichtigt. Beide Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsbeschränkende behördliche Maßnahmen nicht gerecht.

20

a) Die vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die Verhinderung der Versammlung in Form eines Aufzugs hätte rechtfertigen können. Das Verwaltungsgericht legt insofern bereits nicht hinreichend deutlich dar, ob seiner Auffassung nach auch von der Versammlung selbst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder diese Gefahr ausschließlich aufgrund der zahlreichen Gegendemonstrationen und den hieraus zu erwartenden Störungen der Versammlung besteht. Dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Begründung seines Standpunktes im Wesentlichen lediglich auf die Einschätzung der Polizeidirektion L., die ohne nähere Erläuterung 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration dem gewaltbereiten Klientel zurechnete, verweist, genügt den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG insofern jedenfalls nicht.

21

Auch im Hinblick auf eine Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes genügen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht weist insofern zur Begründung des Vorliegens einer nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer abwendbaren Gefahr, insbesondere auf die besondere Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 und die deswegen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräfte, hin und beruft sich dabei pauschal auf die Einschätzung der Polizeidirektion L. vom 13. Oktober 2010. Berücksichtigt man aber den Umstand, dass die Polizeidirektion in ihrer Gefährdungsanalyse vom 4. Oktober 2010 offenbar noch zwei der angemeldeten Aufzüge mit den ihr voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kräften für sicherbar hielt, erfüllt diese pauschale Bezugnahme auf die Einschätzung der Polizeidirektion vom 13. Oktober 2010 nicht die den Anforderungen an die entsprechend obigen Maßstäben bereits im Eilverfahren gebotene intensivere Rechtmäßigkeitsprüfung. Vielmehr hätte die kurzfristige Änderung der polizeilichen Einschätzung, die sich nicht ohne weiteres erschließt, das Verwaltungsgericht zu einer substantiierteren Prüfung der veränderten polizeilichen Einschätzung und zur Nachfrage einer genaueren Begründung ihrer Entscheidung veranlassen müssen. Dass dies vorliegend aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Auch im Übrigen hätte es dezidierterer Feststellungen bedurft, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Die behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Gegendemonstrationen kann nach obigen Maßstäben jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden. Auch die Bindung von Polizeikräften aufgrund eines parallel stattfindenden Fußballspiels und sonstiger Veranstaltungen, deren vorrangige Schutzwürdigkeit sich nicht ohne weiteres erschließt, reicht hierfür nicht aus.

22

b) Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls nicht stand. Zwar hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht deutliche Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen eines für die Rechtfertigung der versammlungsrechtlichen Auflage erforderlichen polizeilichen Notstandes geäußert und nachvollziehbar dargelegt, dass sich ihm nicht erschließe, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der Gefährdungsanalyse der Polizeidirektion L. vom 4. Oktober 2010 und dem Erlass der Auflage am 13. Oktober 2010 so erhöht haben soll, dass statt der zwei Aufzüge, die ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten wurden, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Auch erscheint es nachvollziehbar, dass dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die Vornahme der hier grundsätzlich gebotenen und soweit als möglich nicht lediglich summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Auflage nicht mehr möglich war. Allerdings hätte es dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in dieser Konstellation, um der Freiheitsvermutung zugunsten der Versammlungsfreiheit zumindest in der Sache Rechnung zu tragen, oblegen, eine besonders sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese in der Begründung seiner Entscheidung hinreichend offenzulegen. Vorliegend hat sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, auf die vermeintlich geringe Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzuweisen, ohne auch nur ansatzweise ausreichend auf das Bestehen einer die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit überwiegenden potentiellen Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter einzugehen.

23

4. Demgemäß ist festzustellen, dass sowohl der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig als auch der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Einer Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung bedarf es darüberhinausgehend nur bezüglich der Kostenentscheidungen, da in der Sache selbst Erledigung eingetreten ist (vgl. Schemmer, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. Aufl. 2005, BVerfGG, § 93c Rn. 33).

24

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.


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Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.


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(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

1. Das Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 9. November 2012 - 219 OWi 205 Js 43628/12 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Dresden zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 25. Februar 2013 - Ss 72/13 (Z) - gegenstandslos.

2. Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine Verurteilung des Beschwerdeführers in einem Bußgeldverfahren wegen Verstoßes gegen die Friedhofsordnung der Stadt Dresden sowie einer Zuwiderhandlung gegen § 118 Abs. 1 OWiG durch Entrollen eines Transparents zum Protest gegen eine Gedenkveranstaltung.

2

1. Am 13. Februar 2012 veranstaltete die Stadt Dresden eine Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des Dresdner Heidefriedhofs. Bei diesem handelt es sich um einen kommunalen Friedhof der Stadt, dessen Verwaltung dem Städtischen Friedhofs- und Bestattungswesen obliegt und zum damaligen Zeitpunkt durch Satzung der Landeshauptstadt Dresden für die Friedhöfe des Eigenbetriebes Städtisches Friedhofs- und Bestattungswesen Dresden vom 29. Juni 2006 (Friedhofssatzung) geregelt war. Der von der "Arbeitsgruppe 13. Februar" organisierte Gedenkgang diente der Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkrieges sowie der Opfer des Alliierten Bombenangriffs auf Dresden am 13. Februar 1945, die zu einem Großteil in Massengräbern auf dem Heidefriedhof beerdigt sind. Geplant war nach dem öffentlichen Aufruf hierbei, dass sich der Gedenkzug über die zentrale Opferschale des Rondells zu einer Gedenkmauer für die Bombenangriffe bewegen sollte, um - symbolisiert durch die Niederlegung von weißen Rosen - "ein Zeichen für die Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt zu setzen". Die Beteiligung an dem Gedenkzug stand der gesamten Bevölkerung offen. Es waren Ansprachen und eine musikalische Umrahmung vorgesehen.

3

2. Der Beschwerdeführer erhob - mit drei weiteren Personen etwa fünfzig Meter vor der Gedenkmauer postiert - entlang des Hauptweges des Gedenkzuges ein Transparent mit dem Schriftzug:

"Es gibt nichts zu trauern - nur zu verhindern. Nie wieder Volksgemeinschaft - destroy the spirit of Dresden. Den Deutschen Gedenkzirkus beenden. Antifaschistische Aktion".

4

Mit dem Transparent wollte der Beschwerdeführer bekunden, dass er mit der Zielrichtung des Gedenkganges nicht einverstanden sei und gegen diesen ein Zeichen setzen. Das Transparent war für den vorbeiziehenden Trauerzug wenige Minuten sichtbar, bevor anwesende Polizeibeamte den Beschwerdeführer dazu bewegten, das Transparent wieder einzurollen. Die Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof konnte anschließend wie geplant durchgeführt werden.

5

3. Mit Bußgeldbescheid vom 5. April 2012 setzte die Stadt Dresden eine Geldbuße in Höhe von 150 € gegen den Beschwerdeführer fest. Ihm wurde zur Last gelegt, durch das Zeigen des Transparents gegen § 5 Abs. 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 Friedhofssatzung verstoßen zu haben, wonach sich auf Friedhöfen jeder der Würde des Ortes entsprechend zu verhalten habe. Ferner habe der Beschwerdeführer eine grob ungehörige Handlung im Sinne des § 118 Abs. 1 OWiG vorgenommen, die geeignet sei, die Allgemeinheit zu belästigen und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Gegen diesen Bußgeldbescheid legte der Beschwerdeführer fristgemäß Einspruch ein.

6

4. Mit angegriffenem Urteil vom 9. November 2012 verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Störung der Ruhe und Ordnung auf einem Friedhof in Tateinheit mit vorsätzlicher Belästigung der Allgemeinheit zu einer Geldbuße von 150 €.

7

Der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten die Friedhofsordnung im Sinne des § 5 Abs. 1 Friedhofssatzung gestört, da Trauergäste sich zumindest mit Blickkontakt dem Transparent zugewandt und von dessen Inhalt Kenntnis genommen hätten. Eine über die Bestattung oder Totenfeier hinausgehende Auseinandersetzung mit anstehenden Problemen habe zu unterbleiben. Die Hinterbliebenen und Gedenkenden hätten ein Recht darauf, dass sie ohne Einwirkung von Dritten auf dem Friedhof trauern und gedenken können. Auseinandersetzungen, egal in welcher Form, gehörten nicht auf einen Friedhof.

8

Auch habe der Beschwerdeführer durch das Entrollen des Transparents eine grob ungehörige Handlung gemäß § 118 Abs. 1 OWiG begangen, da er objektiv jenes Minimum an Regeln grob verletzt habe, welches unabdingbar notwendig sei, um innerhalb einer offenen Gesellschaft ein Zusammenleben vieler Menschen zu ermöglichen. Ein Friedhof stelle einen Rückzugsort für all diejenigen dar, die um Verstorbene trauern wollten. Damit sei es nicht vereinbar, wenn ein Friedhof zum Gegenstand von Auseinandersetzungen gemacht werde. Ohne ein Recht auf Bestattung und Erinnerung sei ein friedvolles Zusammenleben auch innerhalb einer demokratischen Gesellschaftsordnung nicht möglich. Wer diesen Verhaltenskodex in Frage stelle, greife dadurch nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Gesamtgemeinschaft an. Mit dem Entrollen des Transparents werde schließlich die Menschenwürde, welche über den Tod hinausreiche, angegriffen.

9

Das Handeln des Beschwerdeführers sei weder durch das Versammlungsgesetz noch durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt. Bei dem Gedenkgang habe es sich um eine nach § 5 Abs. 4 Friedhofssatzung genehmigte Veranstaltung gehandelt. Auf eine solche Genehmigung für eine nicht mit einer Bestattung zusammenhängende Veranstaltung könne sich der Beschwerdeführer nicht berufen. Im Rahmen der anzustellenden Güterabwägung habe das Recht auf freie Meinungsäußerung gegenüber dem Recht auf freie Religionsausübung und dem Schutz der Menschenwürde, die das Recht jedes Einzelnen auf ungehinderte Bestattung seiner Verstorbenen und Erinnerung an diese Verstorbenen umfasse, zurückzustehen.

10

5. Mit angegriffenem Beschluss vom 25. Februar 2013 verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet.

11

6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, in seinen Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 8 Abs. 1 GG verletzt worden zu sein. Mit nachfolgendem Schreiben beantragte der Beschwerdeführer die Gewährung von Prozesskostenhilfe.

12

7. Das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Europa hat von einer Stellungnahme abgesehen. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat mitgeteilt, dass die Strafsenate des Bundesgerichtshofs bisher nicht mit den sich in diesem Verfahren stellenden Rechtsfragen befasst gewesen seien, weswegen von einer Stellungnahme abgesehen werde. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag dem Bundesverfassungsgericht vor.

II.

13

Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 ff.>; 73, 206 <230 ff.>; 87, 399 <406 ff.>; 104, 92 <103 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts zulässig und offensichtlich begründet.

14

1. Die Zusammenkunft auf dem Heidefriedhof und das Entrollen des Transparents fallen unter den Schutz der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.

15

a) Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung und umfasst auch provokative Äußerungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 f.>; 104, 92 <104>; BVerfGK 11, 102 <108>). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (vgl. BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>; 104, 92 <103 f.>). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>).

16

Die Versammlungsfreiheit verschafft damit allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten (vgl. BVerfGE 128, 226 <251>). Insbesondere gewährt sie keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird (vgl. BVerfGE 128, 226 <251>). Die Versammlungsfreiheit verbürgt die Durchführungen von Versammlungen jedoch dort, wo ein kommunikativer Verkehr eröffnet ist; ausschlaggebend ist die tatsächliche Bereitstellung des Ortes und ob nach diesen Umständen ein allgemeines öffentliches Forum eröffnet ist (vgl. BVerfGE 128, 226 <251 ff.>).

17

Der Schutz des Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <351>; BVerfGK 4, 154 <158>; 11, 102 <108>). Er endet mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfGE 73, 206 <250>).

18

b) Nach diesen Kriterien handelte es sich bei der Zusammenkunft, an welcher der Beschwerdeführer teilgenommen hat, um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG. Die Zusammenkunft hatte den Zweck, gegen das Gedenken Stellung zu nehmen und mit einem Transparent gemeinsam Position gegen die Gedenkveranstaltung zu beziehen; hierbei handelte es sich um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung.

19

Allerdings handelt es sich bei einem Friedhof jedenfalls in der Regel um einen Ort, der sowohl nach seiner Widmung als auch den äußeren Umständen nach nur für begrenzte Zwecke zugänglich ist und nicht als Stätte des allgemeinen öffentlichen Verkehrs und Ort allgemeiner Kommunikation anzusehen ist. Der Widmungszweck des Friedhofes allein kann den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG jedoch nicht begrenzen; insofern kommt es vielmehr darauf an, inwieweit tatsächlich allgemeine Kommunikation eröffnet ist oder nicht (vgl. BVerfGE 128, 226 <252>). Danach war in der vorliegenden Situation auf dem Friedhof ein kommunikativer Verkehr eröffnet. Durch den Gedenkzug, zu welchem öffentlich aufgerufen und der im Einverständnis mit den verantwortlichen Stellen durchgeführt worden war, wurde der Heidefriedhof jedenfalls am 13. Februar 2012 zu einem Ort allgemeiner öffentlicher Kommunikation. Der Gedenkzug diente nach der Ankündigung - über ein privates Gedenken hinaus - auch dazu "ein Zeichen für die Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt zu setzen" und nutzte so den Heidefriedhof an diesem Tage zu einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlich bedeutsamen Themen. Daher kann sich der Beschwerdeführer jedenfalls an diesem Tage für seine Zusammenkunft auf den Schutz der Versammlungsfreiheit berufen, zumal sein Protest konkret auf das Anliegen des Gedenkzuges bezogen ist.

20

2. Die Verurteilung des Beschwerdeführers greift in die Versammlungsfreiheit ein. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt.

21

a) Verfassungsrechtlich nicht tragfähig ist die Verurteilung nach § 118 Abs. 1 OWiG. Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts verkennt den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit; weiter fehlt es an einer verfassungsrechtlich notwendigen Abwägung in der Sache.

22

aa) Das Amtsgericht hat den Versammlungscharakter der Zusammenkunft mit verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Gründen verneint. Das Amtsgericht geht davon aus, dass es deswegen an einer Versammlung fehle, weil diese nicht nach § 5 Abs. 4 der Friedhofssatzung angemeldet worden war. Diese Auffassung ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren und verkennt den Schutzbereich dieses Grundrechts grundlegend. Eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG hängt nicht von einer Genehmigung oder Anmeldung ab; auch die Einschlägigkeit des Versammlungsgesetzes hat keine Auswirkung darauf, ob der sachliche Schutzbereich des Versammlungsgrundrechts eröffnet ist. Verfassungsrechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass die Zusammenkunft des Schutzes des Art. 8 Abs. 1 GG wieder verlustig gegangen ist, sind der Entscheidung des Amtsgerichts nicht zu entnehmen. Auch der Umstand, dass mit der rechtmäßigen Auflösung einer Versammlung das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG unanwendbar wird, führt hier nicht dazu, dass der Beschwerdeführer sich nicht auf den Schutz dieses Grundrechts berufen kann. Selbst wenn man in der Aufforderung durch die Polizisten, das Transparent einzurollen, eine Versammlungsauflösung sehen möchte, knüpft die Verurteilung des Beschwerdeführers doch an sein vorheriges Verhalten an. Der Schutz durch die Versammlungsfreiheit entfällt nur ab dem Zeitpunkt der Auflösung, wirkt aber nicht zurück (vgl. BVerfGE 104, 92 <106>).

23

bb) Es fehlt auch an einer hinreichenden Abwägung, ob die Verurteilung des Beschwerdeführers mit Blick auf die Versammlungsfreiheit gerechtfertigt ist.

24

(1) Die Normen des Straf- wie auch des Ordnungswidrigkeitenrechts sind unter Beachtung der Wertentscheidungen der Grundrechte auszulegen und anzuwenden (vgl. BVerfGE 87, 399 <407 ff.>; 104, 92 <103>). Die staatlichen Organe haben die grundrechtsbeschränkenden Gesetze im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen und sich bei Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 87, 399 <407>). Demnach ist bei der Entscheidung über eine Ordnungswidrigkeit bei Rechtsverstößen der Versammlungsteilnehmer deren grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit zu beachten und in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfGE 87, 399 <407 ff.>).

25

(2) Diesen Vorgaben wird die Entscheidung des Amtsgerichts nicht gerecht. Für den in § 118 Abs. 1 OWiG verwendeten Begriff der öffentlichen Ordnung ist kennzeichnend, dass er auf ungeschriebene Regeln verweist, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebietes angesehen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <352>; 111, 147 <155 f.>). Daher hätte das Amtsgericht bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffes der öffentlichen Ordnung jedenfalls die Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers in seine Entscheidungsfindung miteinbeziehen müssen und konkret die vorgenommene Auslegung unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 GG überprüfen müssen. Es hätte einer Auseinandersetzung damit bedurft, warum die Ausübung des Versammlungsgrundrechts der öffentlichen Ordnung widerspricht, während auf dem Heidefriedhof zur gleichen Zeit eine große Gedenkveranstaltung, zu der öffentlich aufgerufen wurde und die über das Gedenken hinaus ein "Zeichen" setzen wollte, stattfindet und sich der Beschwerdeführer gezielt im Wege stillen Protests gegen diese wendet.

26

Auf die Frage, ob § 118 OWiG von Verfassung wegen überhaupt ein Verhalten sanktionieren kann, welches dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit unterfällt oder ob die Vorschrift sonst verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt, kommt es damit nicht an.

27

b) Soweit die Verurteilung auf einen Verstoß gegen die Friedhofssatzung gestützt wird, gilt Entsprechendes. Für eine Verurteilung genügt es nicht, dass die Entscheidung begründet, warum das Verhalten des Beschwerdeführers unter den Tatbestand zu subsumieren ist. Auch hier hätte das Amtsgericht von einem Schutz durch die Versammlungsfreiheit ausgehen müssen und bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Würde des Friedhofes dieses Grundrecht in die Abwägung einstellen müssen.

28

3. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts beruht auf diesen verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 8 Abs. 1 GG ergebenden Vorgaben bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird. Ob die Entscheidung auch mit dem ebenfalls gerügten Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in Einklang steht, kann deswegen dahinstehen.

29

4. Der den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde verwerfende Beschluss des Oberlandesgerichts vom 25. Februar 2013 wird damit gegenstandslos.

30

5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG. Da der Freistaat Sachsen dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten hat, erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.

11
aa) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Dies gewährleistet den Grundrechtsträgern auch das Recht, selbst zu bestimmen , wo eine Versammlung stattfinden soll. Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen - gegebenenfalls auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen - am wirksamsten zur Geltung bringen können. Die Versammlungsfreiheit verschafft allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt es dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Die Durchführung von Versammlungen etwa in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist durch Art. 8 Abs. 1 GG ebenso wenig geschützt wie etwa in einem öffentlichen Schwimmbad oder Krankenhaus. Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies betrifft den öffentlichen Straßenraum als Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen besonders wirksam in die Öffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können. Entsprechendes gilt aber auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen (BVerfGE 128, 226 Rn. 63 ff.).

(1) Militärische Bereiche im Sinne dieses Gesetzes sind Anlagen, Einrichtungen und Schiffe der Bundeswehr und der verbündeten Streitkräfte in der Bundesrepublik.

(2) Militärische Sicherheitsbereiche im Sinne dieses Gesetzes sind militärische Bereiche (Absatz 1), deren Betreten durch die zuständigen Dienststellen verboten worden ist, und sonstige Örtlichkeiten, die das Bundesministerium der Verteidigung oder eine von ihm bestimmte Stelle vorübergehend gesperrt hat. Sonstige Örtlichkeiten dürfen vorübergehend gesperrt werden, wenn dies aus Gründen der militärischen Sicherheit zur Erfüllung dienstlicher Aufgaben der Bundeswehr unerläßlich ist; die nächst erreichbare Polizeidienststelle ist hiervon unverzüglich zu unterrichten. Militärische Sicherheitsbereiche müssen entsprechend gekennzeichnet werden.

(3) Die zuständigen Dienststellen der Bundeswehr können zur Wahrung der Sicherheit oder Ordnung in militärischen Sicherheitsbereichen für das Verhalten von Personen allgemeine Anordnungen erlassen und die nach diesem Gesetz befugten Personen ermächtigen, Einzelweisungen zu erteilen.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

1. Das Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 9. November 2012 - 219 OWi 205 Js 43628/12 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Dresden zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 25. Februar 2013 - Ss 72/13 (Z) - gegenstandslos.

2. Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine Verurteilung des Beschwerdeführers in einem Bußgeldverfahren wegen Verstoßes gegen die Friedhofsordnung der Stadt Dresden sowie einer Zuwiderhandlung gegen § 118 Abs. 1 OWiG durch Entrollen eines Transparents zum Protest gegen eine Gedenkveranstaltung.

2

1. Am 13. Februar 2012 veranstaltete die Stadt Dresden eine Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des Dresdner Heidefriedhofs. Bei diesem handelt es sich um einen kommunalen Friedhof der Stadt, dessen Verwaltung dem Städtischen Friedhofs- und Bestattungswesen obliegt und zum damaligen Zeitpunkt durch Satzung der Landeshauptstadt Dresden für die Friedhöfe des Eigenbetriebes Städtisches Friedhofs- und Bestattungswesen Dresden vom 29. Juni 2006 (Friedhofssatzung) geregelt war. Der von der "Arbeitsgruppe 13. Februar" organisierte Gedenkgang diente der Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkrieges sowie der Opfer des Alliierten Bombenangriffs auf Dresden am 13. Februar 1945, die zu einem Großteil in Massengräbern auf dem Heidefriedhof beerdigt sind. Geplant war nach dem öffentlichen Aufruf hierbei, dass sich der Gedenkzug über die zentrale Opferschale des Rondells zu einer Gedenkmauer für die Bombenangriffe bewegen sollte, um - symbolisiert durch die Niederlegung von weißen Rosen - "ein Zeichen für die Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt zu setzen". Die Beteiligung an dem Gedenkzug stand der gesamten Bevölkerung offen. Es waren Ansprachen und eine musikalische Umrahmung vorgesehen.

3

2. Der Beschwerdeführer erhob - mit drei weiteren Personen etwa fünfzig Meter vor der Gedenkmauer postiert - entlang des Hauptweges des Gedenkzuges ein Transparent mit dem Schriftzug:

"Es gibt nichts zu trauern - nur zu verhindern. Nie wieder Volksgemeinschaft - destroy the spirit of Dresden. Den Deutschen Gedenkzirkus beenden. Antifaschistische Aktion".

4

Mit dem Transparent wollte der Beschwerdeführer bekunden, dass er mit der Zielrichtung des Gedenkganges nicht einverstanden sei und gegen diesen ein Zeichen setzen. Das Transparent war für den vorbeiziehenden Trauerzug wenige Minuten sichtbar, bevor anwesende Polizeibeamte den Beschwerdeführer dazu bewegten, das Transparent wieder einzurollen. Die Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof konnte anschließend wie geplant durchgeführt werden.

5

3. Mit Bußgeldbescheid vom 5. April 2012 setzte die Stadt Dresden eine Geldbuße in Höhe von 150 € gegen den Beschwerdeführer fest. Ihm wurde zur Last gelegt, durch das Zeigen des Transparents gegen § 5 Abs. 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 Friedhofssatzung verstoßen zu haben, wonach sich auf Friedhöfen jeder der Würde des Ortes entsprechend zu verhalten habe. Ferner habe der Beschwerdeführer eine grob ungehörige Handlung im Sinne des § 118 Abs. 1 OWiG vorgenommen, die geeignet sei, die Allgemeinheit zu belästigen und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Gegen diesen Bußgeldbescheid legte der Beschwerdeführer fristgemäß Einspruch ein.

6

4. Mit angegriffenem Urteil vom 9. November 2012 verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Störung der Ruhe und Ordnung auf einem Friedhof in Tateinheit mit vorsätzlicher Belästigung der Allgemeinheit zu einer Geldbuße von 150 €.

7

Der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten die Friedhofsordnung im Sinne des § 5 Abs. 1 Friedhofssatzung gestört, da Trauergäste sich zumindest mit Blickkontakt dem Transparent zugewandt und von dessen Inhalt Kenntnis genommen hätten. Eine über die Bestattung oder Totenfeier hinausgehende Auseinandersetzung mit anstehenden Problemen habe zu unterbleiben. Die Hinterbliebenen und Gedenkenden hätten ein Recht darauf, dass sie ohne Einwirkung von Dritten auf dem Friedhof trauern und gedenken können. Auseinandersetzungen, egal in welcher Form, gehörten nicht auf einen Friedhof.

8

Auch habe der Beschwerdeführer durch das Entrollen des Transparents eine grob ungehörige Handlung gemäß § 118 Abs. 1 OWiG begangen, da er objektiv jenes Minimum an Regeln grob verletzt habe, welches unabdingbar notwendig sei, um innerhalb einer offenen Gesellschaft ein Zusammenleben vieler Menschen zu ermöglichen. Ein Friedhof stelle einen Rückzugsort für all diejenigen dar, die um Verstorbene trauern wollten. Damit sei es nicht vereinbar, wenn ein Friedhof zum Gegenstand von Auseinandersetzungen gemacht werde. Ohne ein Recht auf Bestattung und Erinnerung sei ein friedvolles Zusammenleben auch innerhalb einer demokratischen Gesellschaftsordnung nicht möglich. Wer diesen Verhaltenskodex in Frage stelle, greife dadurch nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Gesamtgemeinschaft an. Mit dem Entrollen des Transparents werde schließlich die Menschenwürde, welche über den Tod hinausreiche, angegriffen.

9

Das Handeln des Beschwerdeführers sei weder durch das Versammlungsgesetz noch durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt. Bei dem Gedenkgang habe es sich um eine nach § 5 Abs. 4 Friedhofssatzung genehmigte Veranstaltung gehandelt. Auf eine solche Genehmigung für eine nicht mit einer Bestattung zusammenhängende Veranstaltung könne sich der Beschwerdeführer nicht berufen. Im Rahmen der anzustellenden Güterabwägung habe das Recht auf freie Meinungsäußerung gegenüber dem Recht auf freie Religionsausübung und dem Schutz der Menschenwürde, die das Recht jedes Einzelnen auf ungehinderte Bestattung seiner Verstorbenen und Erinnerung an diese Verstorbenen umfasse, zurückzustehen.

10

5. Mit angegriffenem Beschluss vom 25. Februar 2013 verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet.

11

6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, in seinen Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 8 Abs. 1 GG verletzt worden zu sein. Mit nachfolgendem Schreiben beantragte der Beschwerdeführer die Gewährung von Prozesskostenhilfe.

12

7. Das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Europa hat von einer Stellungnahme abgesehen. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat mitgeteilt, dass die Strafsenate des Bundesgerichtshofs bisher nicht mit den sich in diesem Verfahren stellenden Rechtsfragen befasst gewesen seien, weswegen von einer Stellungnahme abgesehen werde. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag dem Bundesverfassungsgericht vor.

II.

13

Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 ff.>; 73, 206 <230 ff.>; 87, 399 <406 ff.>; 104, 92 <103 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts zulässig und offensichtlich begründet.

14

1. Die Zusammenkunft auf dem Heidefriedhof und das Entrollen des Transparents fallen unter den Schutz der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.

15

a) Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung und umfasst auch provokative Äußerungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 f.>; 104, 92 <104>; BVerfGK 11, 102 <108>). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (vgl. BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>; 104, 92 <103 f.>). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>).

16

Die Versammlungsfreiheit verschafft damit allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten (vgl. BVerfGE 128, 226 <251>). Insbesondere gewährt sie keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird (vgl. BVerfGE 128, 226 <251>). Die Versammlungsfreiheit verbürgt die Durchführungen von Versammlungen jedoch dort, wo ein kommunikativer Verkehr eröffnet ist; ausschlaggebend ist die tatsächliche Bereitstellung des Ortes und ob nach diesen Umständen ein allgemeines öffentliches Forum eröffnet ist (vgl. BVerfGE 128, 226 <251 ff.>).

17

Der Schutz des Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <351>; BVerfGK 4, 154 <158>; 11, 102 <108>). Er endet mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfGE 73, 206 <250>).

18

b) Nach diesen Kriterien handelte es sich bei der Zusammenkunft, an welcher der Beschwerdeführer teilgenommen hat, um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG. Die Zusammenkunft hatte den Zweck, gegen das Gedenken Stellung zu nehmen und mit einem Transparent gemeinsam Position gegen die Gedenkveranstaltung zu beziehen; hierbei handelte es sich um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung.

19

Allerdings handelt es sich bei einem Friedhof jedenfalls in der Regel um einen Ort, der sowohl nach seiner Widmung als auch den äußeren Umständen nach nur für begrenzte Zwecke zugänglich ist und nicht als Stätte des allgemeinen öffentlichen Verkehrs und Ort allgemeiner Kommunikation anzusehen ist. Der Widmungszweck des Friedhofes allein kann den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG jedoch nicht begrenzen; insofern kommt es vielmehr darauf an, inwieweit tatsächlich allgemeine Kommunikation eröffnet ist oder nicht (vgl. BVerfGE 128, 226 <252>). Danach war in der vorliegenden Situation auf dem Friedhof ein kommunikativer Verkehr eröffnet. Durch den Gedenkzug, zu welchem öffentlich aufgerufen und der im Einverständnis mit den verantwortlichen Stellen durchgeführt worden war, wurde der Heidefriedhof jedenfalls am 13. Februar 2012 zu einem Ort allgemeiner öffentlicher Kommunikation. Der Gedenkzug diente nach der Ankündigung - über ein privates Gedenken hinaus - auch dazu "ein Zeichen für die Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt zu setzen" und nutzte so den Heidefriedhof an diesem Tage zu einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlich bedeutsamen Themen. Daher kann sich der Beschwerdeführer jedenfalls an diesem Tage für seine Zusammenkunft auf den Schutz der Versammlungsfreiheit berufen, zumal sein Protest konkret auf das Anliegen des Gedenkzuges bezogen ist.

20

2. Die Verurteilung des Beschwerdeführers greift in die Versammlungsfreiheit ein. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt.

21

a) Verfassungsrechtlich nicht tragfähig ist die Verurteilung nach § 118 Abs. 1 OWiG. Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts verkennt den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit; weiter fehlt es an einer verfassungsrechtlich notwendigen Abwägung in der Sache.

22

aa) Das Amtsgericht hat den Versammlungscharakter der Zusammenkunft mit verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Gründen verneint. Das Amtsgericht geht davon aus, dass es deswegen an einer Versammlung fehle, weil diese nicht nach § 5 Abs. 4 der Friedhofssatzung angemeldet worden war. Diese Auffassung ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren und verkennt den Schutzbereich dieses Grundrechts grundlegend. Eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG hängt nicht von einer Genehmigung oder Anmeldung ab; auch die Einschlägigkeit des Versammlungsgesetzes hat keine Auswirkung darauf, ob der sachliche Schutzbereich des Versammlungsgrundrechts eröffnet ist. Verfassungsrechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass die Zusammenkunft des Schutzes des Art. 8 Abs. 1 GG wieder verlustig gegangen ist, sind der Entscheidung des Amtsgerichts nicht zu entnehmen. Auch der Umstand, dass mit der rechtmäßigen Auflösung einer Versammlung das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG unanwendbar wird, führt hier nicht dazu, dass der Beschwerdeführer sich nicht auf den Schutz dieses Grundrechts berufen kann. Selbst wenn man in der Aufforderung durch die Polizisten, das Transparent einzurollen, eine Versammlungsauflösung sehen möchte, knüpft die Verurteilung des Beschwerdeführers doch an sein vorheriges Verhalten an. Der Schutz durch die Versammlungsfreiheit entfällt nur ab dem Zeitpunkt der Auflösung, wirkt aber nicht zurück (vgl. BVerfGE 104, 92 <106>).

23

bb) Es fehlt auch an einer hinreichenden Abwägung, ob die Verurteilung des Beschwerdeführers mit Blick auf die Versammlungsfreiheit gerechtfertigt ist.

24

(1) Die Normen des Straf- wie auch des Ordnungswidrigkeitenrechts sind unter Beachtung der Wertentscheidungen der Grundrechte auszulegen und anzuwenden (vgl. BVerfGE 87, 399 <407 ff.>; 104, 92 <103>). Die staatlichen Organe haben die grundrechtsbeschränkenden Gesetze im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen und sich bei Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 87, 399 <407>). Demnach ist bei der Entscheidung über eine Ordnungswidrigkeit bei Rechtsverstößen der Versammlungsteilnehmer deren grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit zu beachten und in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfGE 87, 399 <407 ff.>).

25

(2) Diesen Vorgaben wird die Entscheidung des Amtsgerichts nicht gerecht. Für den in § 118 Abs. 1 OWiG verwendeten Begriff der öffentlichen Ordnung ist kennzeichnend, dass er auf ungeschriebene Regeln verweist, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebietes angesehen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <352>; 111, 147 <155 f.>). Daher hätte das Amtsgericht bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffes der öffentlichen Ordnung jedenfalls die Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers in seine Entscheidungsfindung miteinbeziehen müssen und konkret die vorgenommene Auslegung unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 GG überprüfen müssen. Es hätte einer Auseinandersetzung damit bedurft, warum die Ausübung des Versammlungsgrundrechts der öffentlichen Ordnung widerspricht, während auf dem Heidefriedhof zur gleichen Zeit eine große Gedenkveranstaltung, zu der öffentlich aufgerufen wurde und die über das Gedenken hinaus ein "Zeichen" setzen wollte, stattfindet und sich der Beschwerdeführer gezielt im Wege stillen Protests gegen diese wendet.

26

Auf die Frage, ob § 118 OWiG von Verfassung wegen überhaupt ein Verhalten sanktionieren kann, welches dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit unterfällt oder ob die Vorschrift sonst verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt, kommt es damit nicht an.

27

b) Soweit die Verurteilung auf einen Verstoß gegen die Friedhofssatzung gestützt wird, gilt Entsprechendes. Für eine Verurteilung genügt es nicht, dass die Entscheidung begründet, warum das Verhalten des Beschwerdeführers unter den Tatbestand zu subsumieren ist. Auch hier hätte das Amtsgericht von einem Schutz durch die Versammlungsfreiheit ausgehen müssen und bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Würde des Friedhofes dieses Grundrecht in die Abwägung einstellen müssen.

28

3. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts beruht auf diesen verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 8 Abs. 1 GG ergebenden Vorgaben bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird. Ob die Entscheidung auch mit dem ebenfalls gerügten Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in Einklang steht, kann deswegen dahinstehen.

29

4. Der den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde verwerfende Beschluss des Oberlandesgerichts vom 25. Februar 2013 wird damit gegenstandslos.

30

5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG. Da der Freistaat Sachsen dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten hat, erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.


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Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18. Dezember 2008 - 1 K 754/06 - geändert.

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Die Kläger begehren die Feststellung, dass die von der Beklagten verfügte Auflösung eines am 21.01.2006 durchgeführten Skinheadkonzerts rechtswidrig war.
In den Abendstunden des 21.01.2006 fand in ... im Ortsteil ... in einem Kellerraum auf dem Fabrikgelände der ehemaligen Firma ... in der ...straße ... ein Skinheadkonzert mit den zur rechten Skinheadszene gehörenden Musikbands „Breakdown“, „Tobsucht“ und „Blue Max“ statt. Als Eintrittsgeld wurden 7 EUR verlangt. Das Konzert wurde nicht öffentlich angekündigt, sondern einem ausgewählten Kreis von Interessierten über Mobiltelefon und per E-Mail mitgeteilt. Des Weiteren bestand die Möglichkeit, über ein sog. „nationales Infotelefon“ von dem Konzert Kenntnis zu erlangen. Der ca. 80 qm große Veranstaltungsraum war von den Klägern zu 2 bis 4, die ihn schon seit längerer Zeit als Probenraum für die Skinheadband „Division Staufen“ gemietet hatten, für die Veranstaltung bereitgestellt worden.
Die Polizei erhielt trotz der konspirativen Vorbereitung Kenntnis von der Veranstaltung und ermittelte am 21.01.2006 den Ort und den mutmaßlichen, sich aus der Skinheadszene rekrutierenden Teilnehmerkreis. Sie hatte feuerpolizeiliche und baurechtliche Sicherheitsbedenken und erwartete im Hinblick auf die beteiligten Personen und die Skinheadbands die Begehung von Straftaten nach den §§ 86 und 86 a StGB (Verbreiten von Propagandamitteln und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) sowie die Begehung von Ordnungswidrigkeiten nach jugendschutz- und gaststättenrechtlichen Bestimmungen während und nach der Veranstaltung. Der verantwortliche Einsatzleiter der Polizeidirektion ... informierte daher den Leiter des Ordnungsamtes der Beklagten am 21.01.2006 gegen 18:50 Uhr über den Sachverhalt. Dieser verfügte daraufhin mündlich unter Hinweis auf Gefahr im Verzug die Auflösung der Veranstaltung als erforderliche Maßnahme zur Gefahrenabwehr und die Erteilung von Platzverweisen nach den §§ 1, 3 PolG.
Nach Einholung einer durch das Amtsgericht ... verfügten richterlichen Anordnung zum Betreten der Örtlichkeit gingen einige der vor Ort befindlichen ca. 100 Polizeikräfte um 21:57 Uhr in den Veranstaltungsraum, in dem sich - wie sich später herausstellte - 118 zum Teil minderjährige Personen befanden. Der am … 1983 geborene Kläger zu 1 gab sich gegenüber dem Einsatzleiter als für die Veranstaltung Verantwortlicher zu erkennen und teilte mit, dass sein Geburtstag gefeiert werde. Daraufhin wurden ihm und dem Kläger zu 4, der sich gegenüber der Polizei ebenfalls als Verantwortlicher bezeichnet hatte, die von der Polizei beabsichtigten Maßnahmen erläutert. In den Räumlichkeiten traf die Polizei auch einen überörtlich tätigen gewerblichen Händler an, der z. T. strafrechtlich relevante rechtsextremistische CDs und T-Shirts zum Kauf anbot und deswegen später wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB) sowie wegen Ordnungswidrigkeiten nach dem Jugendschutzgesetz und der Gewerbeordnung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt wurde. In Verwahrung genommen wurden auch Tonträger der Skinheadband „Blue Max“, deren strafrechtliche Bewertung durch die Staatsanwaltschaft jedoch zu keinen weiteren Maßnahmen führte.
Im Anschluss an die Auflösung der Veranstaltung wurde auf Anordnung des Polizeivollzugsdienstes die Identität der angetroffenen Personen festgestellt; außerdem wurden körperliche Durchsuchungsmaßnahmen durchgeführt und mündliche Platzverweise für den Veranstaltungsort und den Stadtbezirk ... erteilt.
Über den Polizeieinsatz wurde sowohl in der örtlichen wie auch in der über-örtlichen Presse berichtet.
In der schriftlich abgefassten Auflösungsverfügung der Beklagten vom 31.01.2006, die dem Kläger zu 4 am 01.02.2006 zugestellt wurde, hieß es im verfügenden Teil, dass die Konzertveranstaltung gemäß §§ 1, 3, 49 und 50 PolG aufzulösen und der Veranstaltungsort gemäß §§ 18, 19, 26 und 27 LVwVG zu räumen sei. Gemäß §§ 1, 3 und 6 PolG seien gegen die Teilnehmer der Konzertveranstaltung Platzverweise auszusprechen gewesen. Zur Begründung bezog sich die Beklagte zunächst auf allgemeine polizeiliche Erkenntnisse, nach denen es bei den Zusam-menkünften rechtsextremer Gruppierungen im Landkreis ... zu Ordnungsstörungen gekommen sei. Ortsansässige Angehörige der rechtsextremen Szene hätten politisch motivierte Straf- und Gewalttaten begangen, unter anderem sei im Jahr 2000 ein Brandanschlag auf eine Moschee in ... verübt worden. Am 21.01.2006 sei gegen 18:00 Uhr an der Tank- und Rastanlage ... ein mit zwei Personen besetzter PKW aufgefallen, dessen Halter bereits rechtsextrem motivierte Straftaten begangen habe. Von diesen Personen sei ein weiterer PKW, der einem Mitglied der Skinheadband „Blue Max“ habe zugeordnet werden können, zum Veranstaltungsort in die ...straße gelotst worden. Dort habe bereits am 09.07.2005 eine sogenannte „private Geburtstagsfeier“ stattgefunden, bei der der Kläger zu 4 und ein weiteres Mitglied der Skinheadband „Division Staufen“ festgestellt worden seien. Auf der Rastanlage ... sei die zweite Person als N. H. identifiziert worden, dessen Wohnsitz mit dem des Klägers zu 4 identisch sei. In Verbindung mit Anrufen von Einwohnern beim Polizeirevier ... hätten die Umstände eindeutig auf die Durchführung eines Skinhead-Konzerts mit überregionalem Besuch schließen lassen. Die Veranstaltung sei von einer großen Zahl von Besuchern frequentiert worden, die nach ihrem Äußeren der Skinhead- bzw. rechten Szene hätten zugeordnet werden können. Bei den im Zusammenhang mit der Organisation der Veranstaltung bis zu diesem Zeitpunkt bekannt gewordenen Personen habe es sich um rechtsextreme politisch motivierte Straftäter gehandelt. Auch ein Teil der Besucher sei bereits einschlägig polizeilich bekannt gewesen. Aufgrund der bekannt gewordenen Personenbeziehungen sei zu vermuten gewesen, dass Angehörige der Band „Division Staufen“ für die Veranstaltung verantwortlich gewesen seien. Aufgrund aller Umstände habe darauf geschlossen werden können, dass es sich um eine für die rechte Szene typische, konspirativ organisierte Konzertveranstaltung gehandelt habe. Veranstaltungen dieser Art würden nach polizeilichen Erkenntnissen regelmäßig als „private Geburtstagsfeier“ deklariert, obwohl durch die Erhebung von Eintrittsgeld und den Verkauf von Getränken ein kommerzieller Charakter gegeben sei. Teilnehmer würden dabei durch Liedtexte eine gewalttätige und menschenverachtende Einstellung ausdrücken. Rassismus, Antisemitismus, übersteigertes Nationalbewusstsein und die Glorifizierung des Nationalsozialismus würden in solcher Weise propagiert, dass zwangsläufig Straftaten wie z. B. Volksverhetzung oder Aufruf zum Rassenhass vorlägen. Des Weiteren seien die Straftaten des Tragens oder Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole, Skandierens von nationalsozialistischen Parolen und sonstige Propagandadelikte zu erwarten. Damit verbunden sei ein übermäßiger Alkoholgenuss, der zu einer aufgeheizten Atmosphäre und einem hohen Aggressionspotenzial mit entsprechenden Folgen auch im Umfeld des Veranstaltungsortes bzw. bei der Abreise der Teilnehmer und damit Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung führen könne. Vorschriften des Jugendschutzes, der Gaststättenverordnung und vor allem der bau- und feuerpolizeilichen Bestimmungen fänden bei dieser Art konspirativ durchgeführter Musikveranstaltungen keinerlei Beachtung und stellten somit zumindest Gefahren, regelmäßig jedoch bereits eingetretene Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Die Mitglieder der Skinheadband „Blue Max“ seien als rechtsmotivierte Straftäter polizeilich erfasst und im Zusammenhang mit Konzerten einschlägig aufgefallen. Auch ein Mitglied der „Division Staufen“ sei rechtskräftig verurteilt worden, weil es die Verabredung zu dem genannten Brandanschlag auf die Moschee in ... mitgehört und nicht gemeldet habe. Der Kläger zu 4 selbst sei bis in die jüngste Vergangenheit wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten. Durch die Ortskenntnisse des Polizeireviers ... sei eindeutig belegt, dass der Veranstaltungsort in keiner Weise den Sicherheitsanforderungen an eine Musikveranstaltung mit dem erwarteten Besucheraufkommen entspreche. In der Gesamtbewertung habe die Prognose schlüssig und zwingend ergeben, dass durch die Veranstaltung Gefahren bzw. bereits Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in erheblichem, nicht tolerierbarem Ausmaß vorgelegen bzw. unmittelbar bevorgestanden hätten, deren Verhinderung bzw. Beseitigung im öffentlichen Interesse geboten gewesen sei. Mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätten Gefahren für Einzelne unter anderem durch die Verletzung bau- und feuerpolizeilicher Vorschriften angenommen werden können. Die Auflösung der Veranstaltung sei erforderlich gewesen, da andere polizeiliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht erreichbar gewesen seien. Die Auflösung sei auch geeignet und das mildeste Mittel gewesen. Als Zwangsmittel habe nur der unmittelbare Zwang zur Verfügung gestanden, da andere Zwangsmittel nicht geeignet gewesen seien. Die Ortspolizeibehörde habe nicht früher unterrichtet werden können und wegen der Dringlichkeit der Maßnahme sei auch nur eine mündliche Auflösungsverfügung möglich gewesen. Die Erteilung von Platzverweisen sei geboten gewesen, da sonst das Ziel des Einsatzes stark gefährdet oder sogar vereitelt worden wäre. Es sei zu vermuten, dass nach Abzug der Polizeikräfte ohne diese Maßnahme die Veranstaltung - mit allen prognostizierten Gefahren und Störungen - weitergeführt worden wäre. Wegen der Gefahrenprognose und der Personenerkenntnisse habe eine hohe Notwendigkeit für ein polizeiliches Einschreiten bestanden. Es sei zu vermuten gewesen, dass von den genannten Personen Straftaten begangen oder solche zumindest geduldet würden.
Am 03.02.2006 haben die Kläger Fortsetzungsfeststellungsklage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben und zur Begründung vorgetragen: Das erforderliche Feststellungsinteresse folge zum einen aus einer bestehenden Wiederholungsgefahr, da sie beabsichtigten, solche Veranstaltungen auch in Zukunft durchzuführen. Zum anderen bestehe ein Rehabilitationsinteresse sowie ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Grundrechtsbetroffenheit. Die Auflösung der Versammlung sei schon deshalb rechtswidrig gewesen, weil die formellen Anforderungen nicht beachtet worden seien. Es sei von einer öffentlichen Versammlung i. S. des Versammlungsgesetzes auszugehen, so dass die Maßnahme nicht auf §§ 1, 3 PolG habe gestützt werden können. Das Konzert habe für jeden, der von ihm erfahren habe, offen gestanden; keiner einzigen Person sei der Zutritt verweigert worden. Das gemeinsame geistige Band habe in der Zuordnung zu einer bestimmten politischen Richtung bestanden. Durch den Besuch des Konzerts hätten die Teilnehmer einen bestimmten Standpunkt eingenommen und auch nach außen bekräftigt. Es habe sich nicht um eine kommerzielle Veranstaltung gehandelt. Der Eintrittspreis und der für die Getränke erhobene Betrag habe lediglich die Unkosten, wie etwa die Mietkosten für die Musikanlage bzw. den Einkaufspreis der Getränke und Speisen, abdecken sollen. Ein Gewinn sei nicht angefallen. Materiell sei die Auflösung rechtswidrig gewesen, weil keiner der in § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 VersammlG genannten Gründe vorgelegen habe. Auch die Voraussetzungen für ein Einschreiten auf der Grundlage des Polizeigesetzes hätten nicht vorgelegen.
Die Beklagte ist den Klagen entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, die Fortsetzungsfeststellungsklagen seien unzulässig. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht, weil der Mietvertrag für den Kellerraum gekündigt worden sei. Ein Rehabilitationsinteresse sei zu verneinen, weil keine Diskriminierung der Kläger vorliege; diese seien nicht in ihrer Persönlichkeit oder Menschenwürde schwerwiegend beeinträchtigt worden. Die Klagen seien auch unbegründet. Die Auflösung der Veranstaltung sei zu Recht auf die §§ 1, 3 PolG gestützt worden, da es sich nicht um eine Versammlung gehandelt habe. Die vermeintliche „Geburtstagsfeier“ mit musikalischen Darbietungen und dem Verkauf von Tonträgern und anderen Artikeln habe unter zeitlichen, räumlichen und kommerziellen Aspekten nicht als Versammlung i. S. des Versammlungsrechts angesehen werden können. Die Feier sei eine auf Spaß und Unterhaltung ausgerichtete „große Party“ gewesen, die kommerziell veranstaltet worden sei. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Teilnehmer ähnliche politische Einstellungen gehabt hätten. Das Schwergewicht der Musikveranstaltung sei auf dem Gebiet der Unterhaltung zu sehen. Eine gezielte Einflussnahme einzelner Redner auf die Gesamtheit der Anwesenden durch allgemeine Ansprachen oder ähnliche Bekundungen sei nach dem geplanten und faktisch auch realisierten Ablauf der Veranstaltung auf sehr beengten Verhältnissen kaum möglich gewesen. Die Veranstaltung sei auch nicht öffentlich gewesen. Die Einladungen seien verdeckt über ein Info-Telefon erfolgt; die Veranstaltung sei konspirativ durchgeführt worden; alle Teilnehmer seien der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen gewesen. Das Konzert sei nicht als politische Veranstaltung erkennbar gewesen; es seien auch keine Funktionäre oder Personen mit bestimmter Parteizugehörigkeit oder Vertreter politischer Interessenverbände anwesend gewesen und es habe keine gezielte Einflussnahme in politischer Hinsicht und auch keine Rekrutierungsversuche seitens politisch Interessierter gegeben. Es habe somit keine Versammlung, jedenfalls aber keine öffentliche Versammlung vorgelegen. Die Auflösung der Veranstaltung sei von Kriminaloberrat ... über das Mikrofon der Veranstaltungsbühne allen Veranstaltungsteilnehmern bekannt gegeben worden. Anschließend habe er auch die geplanten polizeilichen Maßnahmen angekündigt. Der Kläger zu 1 habe daraufhin über das Mikrofon die Veranstaltung für beendet erklärt; der Kläger zu 4 habe als Veranstalter über das Mikrofon nochmals die geplanten polizeilichen Maßnahmen wiederholt. Es habe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit hinsichtlich Leib, Leben und Gesundheit aller Veranstaltungsteilnehmer und auch hinsichtlich der Verwirklichung von Straftatbeständen, z.B. nach § 86 a StGB, bestanden. Zum anderen sei die Rechtsordnung durch Ordnungswidrigkeiten und Straftaten verletzt gewesen. Die Mitglieder der Band „Blue Max“ seien als gewalttätige rechtsmotivierte Straftäter bekannt. Gleiches gelte für den Gitarristen der Band „Tobsucht“. Auf deren Homepage seien Bilder veröffentlicht, auf denen eine große Triskele (Sonnensymbol) erkennbar sei. Ein Mitglied der Band „Division Staufen“ sei rechtskräftig wegen der Nichtanzeige eines geplanten Verbrechens verurteilt. Der Kläger zu 4 sei als rechtsmotivierter Straftäter 14-mal polizeilich in Erscheinung getreten. Der Veranstaltungsraum sei für die angenommenen 150 Personen räumlich ungeeignet gewesen. Es sei bekannt gewesen, dass er in keiner Weise den Sicherheitsanforderungen an eine Veranstaltung dieses Ausmaßes gerecht werden könne. Der davorliegende Hofraum sei stark vereist gewesen, sodass ein rascher Zugang für mögliche Retter bzw. eine schnelle Evakuierung der im Raum befindlichen Personen nur in stark eingeschränktem Umfang möglich gewesen wäre. Außer einem beschränkten Zugang über eine Steintreppe habe es keine weiteren Fluchtmöglichkeiten gegeben. Die Deckenabhängung aus einer Art Vorhangstoff sei leicht entflammbar gewesen. Im Fall eines Feuers hätte dies für einen Großteil der im Raum befindlichen Personen tödliche Folgen gehabt. Somit sei gegen bau- und feuerpolizeiliche Bestimmungen verstoßen worden. Ende des Jahres 2000 habe es in ... im Anschluss an eine vergleichbare Veranstaltung einen Brandanschlag gegeben. Es sei auch damit zu rechnen gewesen, dass durch Liedtexte eine gewalttätige und menschenverachtende Einstellung ausgedrückt werde. Rassismus, Antisemitismus, übersteigertes Nationalbewusstsein und die Glorifizierung des Nationalsozialismus würden in solcher Weise propagiert, dass zwangsläufig Straftaten wie z. B. Volksverhetzung oder Aufruf zum Rassenhass begangen würden. Wegen der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen habe auch die Gefahr bestanden, dass Straftaten nach dem Jugendschutzgesetz begangen würden. Zudem habe es Verstöße gegen das Gaststättengesetz gegeben. Die Auflösung der Veranstaltung sei geeignet, erforderlich und angemessen gewesen und ermessensfehlerfrei erfolgt. Adressaten seien zunächst die Kläger zu 1 und zu 4 gewesen. Zunächst habe der Kläger zu 1 sich als Verantwortlicher ausgegeben, da sein Geburtstag gefeiert werde. Kurz darauf habe der Kläger zu 4 mitgeteilt, dass er den Raum angemietet habe. Der Kläger zu 4 sei als Organisator und Veranstalter Handlungsstörer; er habe aktiv den polizeipflichtigen Zustand herbeigeführt. Wegen der bestehenden Gefahr im Verzug habe die Auflösungsverfügung sogleich vollstreckt werden können.
10 
Mit Urteil vom 18.12.2008 - 1 K 754/06 - hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Auflösung der am 21.01.2006 in den Kellerräumlichkeiten in der ... ...straße ... in ... durchgeführten Veranstaltung rechtswidrig war. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Fortsetzungsfeststellungsklagen seien gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse sei unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitation und der Wiederholungsgefahr zu bejahen. Die auf §§ 1, 3 PolG gestützte Auflösungsverfügung sei rechtswidrig gewesen, weil es sich bei der aufgelösten Veranstaltung um eine öffentliche Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes gehandelt habe, deren Auflösung allein auf dieses Gesetz gestützt werden könne. Die Voraussetzungen des einschlägigen § 13 Abs. 1 Satz 1 VersammlG hätten jedoch nicht vorgelegen. Um die Abwehr bau- und feuerpolizeilicher Gefahren sei es - wie sich aus der schriftlichen Begründung der Auflösungsverfügung und der Art des Vorgehens der Polizeikräfte ergebe - ersichtlich nicht - jedenfalls nicht ausschließlich - gegangen.
11 
Zur Begründung ihrer vom Senat mit Beschluss vom 19.02.2010 - 1 S 677/09 - zugelassenen Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Die Auflösung der am 21.01.2006 durchgeführten Veranstaltung sei rechtmäßig gewesen. Es habe sich bei dieser Veranstaltung nicht um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes gehandelt. Unter den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fielen nur solche Veranstaltungen und Aktionen, die durch gemeinschaftliche Kommunikation geprägt seien und die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielten. Eine Musik- bzw. Tanzveranstaltung werde nicht allein dadurch zur geschützten Versammlung, dass bei ihrer Gelegenheit auch Meinungen bekundet würden. Die hier im Streit stehende Veranstaltung habe ihrem Gesamtgepräge nach einen ganz überwiegend unterhaltenden Schwerpunkt gehabt. Sie habe sich weitgehend auf den Konsum des Konzerts und das entsprechende Vergnügen unter Gleichgesinnten beschränkt. Selbst wenn man davon ausgehe, dass bei Skinheadkonzerten die Festigung und Verbreitung rechtsextremer Orientierungen bei Jugendlichen einen gewünschten Nebeneffekt darstelle, führe dies nicht dazu, dass eine solche Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach ihren Unterhaltungscharakter verliere. Unabhängig vom Versammlungscharakter der Veranstaltung habe die Auflösung aufgrund der konkret vorliegenden bau- und feuerpolizeilichen Gefahren auf die §§ 1, 3 PolG gestützt werden können. Die Polizeibehörde habe ihre Maßnahmen ausdrücklich auch mit bau- und feuerpolizeilichen Gefahren begründet. Da der fensterlose Veranstaltungsraum lediglich über einen schwer begehbaren Aus-/Eingang verfügt habe, sei die Beklagte am 21.01.2006 wegen ihrer Kenntnisse um die räumlichen Verhältnisse und die erhebliche Teilnehmerzahl zum Schutz von Leben und Gesundheit der Veranstaltungsteilnehmer sogar verpflichtet gewesen, die Veranstaltung aufzulösen. Die auf der Auflösung beruhende Beeinträchtigung der Versammlung stelle lediglich eine Nebenfolge dar, so dass die aus bau- und feuerpolizeilichen Gründen notwendig gewesenen Maßnahmen auf das allgemeine Polizeirecht gestützt werden dürften.
12 
Die Beklagte beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18. Dezember 2008 - 1 K 754/06 - zu ändern und die Klagen abzuweisen.
14 
Die Kläger beantragen,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Ergänzend führen sie aus, die Auflösung der Versammlung habe auch nicht wegen angeblich vorliegender bau- oder feuerpolizeilicher Gefahren auf die §§ 1, 3 PolG gestützt werden können. Sofern mit solchen Maßnahmen mittelbar Einschränkungen des Versammlungsrechts verbunden seien, dürften diese allenfalls eine zwangsläufige Nebenfolge, nie jedoch (auch nur teilweise) ihr eigentlicher Zweck sein. Vorliegend sei jedoch eine Einschränkung des Versammlungsrechts bezweckt gewesen. Die bau- bzw. feuerpolizeilichen Gründe für die Auflösung der Versammlung seien lediglich vorgeschoben gewesen.
17 
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wurde der als amtliche Auskunftsperson geladene Einsatzleiter, Herr POR ..., informatorisch angehört. Er gab an, dass er nach den ihm vorliegenden Erkenntnissen davon ausgegangen sei, dass das Konzert in einem Kellerraum stattfinden werde. Er habe den Leiter des Ordnungsamts der Beklagten entsprechend unterrichtet. Dieser erklärte, die örtlichen Verhältnisse auf dem Grundstück ...straße ... seien ihm bekannt gewesen.
18 
Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten, der Polizeidirektion ... und des Verwaltungsgerichts Stuttgart vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
19 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klagen abweisen müssen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Auflösung der am 21.01.2006 in einem Kellerraum in der ...straße ... in ... durchgeführten Veranstaltung rechtswidrig war. Ihre Klagen sind zulässig (I.), aber nicht begründet (II.).
I.
20 
1. Die Klagen sind, da sich der streitige Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung durch Zeitablauf erledigt hat (§ 43 Abs. 2 LVwVfG), in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklagen statthaft (st. Rspr.; vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161 <165> und Urt. v. 01.07.1975 - I C 35.70 - BVerwGE 49, 36; Senatsurteile vom 18.12.2003 - 1 S 2211/02 - VBlBW 2004, 214 und vom 14.04.2005 - 1 S 2362/04 - VBlBW 2005, 431). Die Klagen beziehen sich auf die am 21.01.2006 von der Beklagten um 18:50 Uhr verfügte und um 21:57 Uhr von Kriminaloberrat ... über das Mikrofon der Veranstaltungsbühne allen Veranstaltungsteilnehmern bekannt gegebene Auflösung der Veranstaltung, die sofort vollzogen wurde und damit schon vor Klageerhebung erledigt war.
21 
2. Die Kläger sind klagebefugt i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO. Sie waren Teilnehmer der aufgelösten Veranstaltung und damit Adressaten der in Form einer Allgemeinverfügung i. S. v. § 35 Satz 2 LVwVfG ergangenen Auflösungsverfügung. Dass die am 31.01.2006 abgefasste schriftliche Begründung der Verfügung allein an den Kläger zu 4 gerichtet war, ändert daran nichts.
22 
3. Ein Vorverfahren i. S. v. § 68 VwGO war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288).
23 
4. Die Kläger haben schließlich das erforderliche Feststellungsinteresse, das in den Fällen einer vorprozessualen Erledigung mit dem in § 43 Abs. 1 VwGO vorausgesetzten Interesse identisch ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <206 ff.>) und anerkennenswerte schutzwürdige Belange rechtlicher, wirtschaftlicher und ideeller Natur umfasst (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.02.1986 - 5 C 40.84 - BVerwGE 74, 1). Die Kläger können ein Rehabilitationsinteresse geltend machen. Ein solches Interesse ist nach einer erledigten polizeilichen Maßnahme dann als berechtigt anzuerkennen, wenn mit ihr ein Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen verbunden und sie geeignet war, das Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen (vgl. Senatsurteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96 - NVwZ 1998, 761). Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG müssen zudem polizeiliche Maßnahmen in Fällen gewichtiger, in tatsächlicher Hinsicht jedoch überholter Grundrechtseingriffe auch im Hauptsacheverfahren einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden können, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsaktes nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung nicht erlangen kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Eingriff in den Schutzbereich der von Art. 8 GG verbürgten besonders bedeutsamen Versammlungsfreiheit stellt einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar. Ist angesichts des Vorbringens der Beteiligten - wie hier - ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG nicht von vornherein ausgeschlossen, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 Rn. 12 m.w.N.). Unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitation ist das Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Weiteren im Hinblick auf die Presseberichterstattung über die Auflösung der Veranstaltung gegeben. Die Kläger zu 1 und 4 als (Mit-)Veranstalter haben darüber hinaus ein Interesse daran, durch eine gerichtliche Entscheidung die Gefahr der Wiederholung einer vergleichbaren Situation zu verhindern. Zwar wird eine weitere Veranstaltung in dem fraglichen Kellerraum nicht mehr stattfinden können, da das Mietverhältnis seitens des Eigentümers beendet worden ist. Wie die Kläger bekundet haben, haben sie jedoch die Absicht, vergleichbare Veranstaltungen im Zuständigkeitsbereich der Beklagten auch zukünftig abzuhalten, so dass sie wiederum mit einer Auflösung rechnen müssten (vgl. Senatsurteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96 - a.a.O.).
II.
24 
Die Klagen sind nicht begründet. Die auf die §§ 1, 3 PolG gestützte Auflösungsverfügung war rechtmäßig und verletzte die Kläger daher nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Zwar fällt das aufgelöste Skinheadkonzert unter den Schutz der Versammlungsfreiheit (1.). Es handelte sich um eine öffentliche Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes (2.), die zur Bekämpfung versammlungsspezifischer Gefahren nur nach den Vorschriften dieses Gesetzes hätte verboten oder aufgelöst werden dürfen (3.). Ob die Voraussetzungen für ein Verbot oder für eine Auflösung auf versammlungsrechtlicher Grundlage (vgl. §§ 5, 13 VersammlG) hier vorgelegen haben, kann letztlich offen bleiben, weil die Auflösung der Versammlung auf der Grundlage der §§ 1, 3 PolG zur Abwehr konkreter Gefahren für Leben und Gesundheit der Versammlungsteilnehmer geboten war (4.).
25 
1. Das aufgelöste Skinheadkonzert ist als Versammlung im Sinne von Art. 8 GG zu behandeln.
26 
a) Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen (BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Das Grundrecht schützt die Freiheit der Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 <104>; BVerfG , Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28 und 30/01 - NJW 2001, 2459 <2460>; Senatsurteil vom 25.04.2007 - 1 S 2828/06 - VBlBW 2008, 60). Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und -äußerung mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken (vgl. Enders, JURA 2003, 34 <38>). Der Schutz der Versammlungsfreiheit umfasst auch die Entscheidung, welche Maßnahmen der Veranstalter zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für sein Anliegen einsetzen will (vgl. BVerfG , Beschl. v. 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 - BVerfGK 2, 1 <6>). Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen fallen allerdings unter den Versammlungsbegriff ebenso wenig wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind, einerlei, ob der dort vorherrschende Musiktyp ein Lebensgefühl von sogenannten Subkulturen ausdrückt oder dem Massengeschmack entspricht (vgl. BVerfG , Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28 und 30/01 - a.a.O.). Andererseits erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch auf solche Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik und Tanz verwirklichen. Dies ist zu bejahen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken.
27 
Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese "gemischte" Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG , Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28 und 30/01 - a.a.O. S. 2461; BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - a.a.O. Rn. 16).
28 
Die Beurteilung, ob eine "gemischte" Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die Verfassung der Versammlungsfreiheit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Im Anschluss an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - a.a.O. Rn. 17).
29 
Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind. Schließlich sind - in einem dritten Schritt - die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - a.a.O. Rn. 18).
30 
b) Bei Zugrundelegung dieses auch vom erkennenden Senat (vgl. Urt. v. 26.01.1998 - 1 S 3280/96 - a.a.O. und v. 25.04.2007 - 1 S 2828/06 - a.a.O.) vertretenen sog. engen Versammlungsbegriffs können auch kulturelle Veranstaltungen wie Musikveranstaltungen, Theaterstücke oder Dichterlesungen als „gemischte“ Veranstaltungen unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stehen. Wenn die Teilnehmer derartiger Veranstaltungen durch ihre Anwesenheit Anteilnahme ausdrücken wollen - etwa für die Menschenrechte, um die es einem Autor geht, oder bei „Rock gegen rechts“, um gegen Rechtsextremismus anzutreten -, handelt es sich um eine Meinungskundgabe zwecks Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, Kommentar, 15. Aufl., § 1 Rn. 13).
31 
c) Skinheadkonzerte wie das hier aufgelöste sind dadurch geprägt, dass mit der Musik zugleich eine politische Botschaft vermittelt wird. Einerseits thematisieren die Texte rechtsextremistischer Skinheadbands das Selbstverständnis und Lebensgefühl der rechtsextremistischen Skinheadszene. Andererseits ist diese Musik das wichtigste Propagandamedium, über das rechtsextremistische Inhalte in die Skinheadszene transportiert werden. So richten sich nicht wenige dieser Lieder gegen szenetypische Feindbilder wie Ausländer, Juden, Israel, die USA, Homosexuelle, „Linke“, Punker, gegen die Presse sowie staatliche Institutionen und Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland. Der szeneeigenen Musik und insbesondere den Konzerten kommt ein hoher identitätsstiftender Stellenwert zu. Die Konzerte dienen auch der Rekrutierung neuer Anhänger und deren ideologischer Festigung. Sie tragen zur Förderung einer rechtsextremistischen Orientierung vor allem bei jugendlichen und heranwachsenden Konzertbesuchern bei. Zu diesem Zweck erfolgt auch der Verkauf einschlägiger CDs und sonstigen Propagandamaterials. Über den Konsum der Musik finden umso mehr Jugendliche zum Rechtsextremismus, je präsenter die Szene durch ein vielfältigeres CD- und ein flächendeckenderes Konzertangebot wird (Verfassungsschutzbericht BW 2006, S. 136). Durch die entsprechende Musik werden die Konzertbesucher politisch indoktriniert; die Musik ist sozusagen das „Parteiprogramm“ der nicht parteipolitisch gebundenen rechtsextremistischen Skinheadszene. Konzertveranstaltungen kommt die Funktion von „Kontaktbörsen“ für rechtsextremistische Gesinnungen zu. Rechtsextremistische Skinheadbands fungieren als die politischen Propagandisten innerhalb der Skinheadszene (vgl. Thalmair, BayVBl 2002, 517 <518>). Anders als etwa bei einem normalen Popkonzert werden bei einem Skinheadkonzert die übrigen Besucher nicht nur in Kauf genommen, sondern als Gleichgesinnte empfunden, mit denen man sich zusammenfinden will, um sich beim gemeinsamen Musikgenuss in der eigenen Überzeugung zu bestärken und die gleiche Gesinnung zur Schau zu stellen (vgl. Thalmair, a.a.O. S. 519; siehe zum Ganzen auch Soiné, JuS 2004, 382 und Verfassungsschutzbericht BW 2008, S. 140 f.).
32 
d) Die hier streitgegenständliche Veranstaltung erfüllte alle skizzierten typischen Merkmale eines Skinheadkonzerts. Sie wurde auch im Verfassungsschutzbericht BW 2006 in der Rubrik „Gewaltbereiter Rechtsextremismus“ unter der Überschrift „Die rechtsextremistische Skinhead(musik)szene: Ein Boom schwächt sich ab?“ ausdrücklich aufgeführt (S. 134 f.). Auf der einen Seite diente die Veranstaltung als Musikkonzert zweifellos der Unterhaltung. Auf der anderen Seite wurden den Konzertbesuchern durch die Liedtexte rechtsextremistische Inhalte vermittelt. Dass die politischen Botschaften in erster Linie durch die Liedtexte transportiert werden, steht auch bei Zugrundelegung des engen Versammlungsbegriffs dem Versammlungscharakter eines solchen Konzerts nicht entgegen. Die innere Bindung der Besucher auf ideologischer Ebene, der Zweck, die eigene weltanschauliche und politische Identität zu stärken und insbesondere die auf (noch) nicht der Skinhead-szene angehörende Konzertbesucher zielende Rekrutierungsfunktion heben ein solches Skinheadkonzert deutlich von anderen Konzerten ab, bei denen der Musikgenuss im Vordergrund steht. Der Kläger zu 2 hat auf Fragen zur politischen Botschaft der Veranstaltung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekundet, es sei darum gegangen, Leute anzuwerben und für ihre politischen Vorstellungen zu begeistern. Sie seien gegen Überfremdung und für den Erhalt der deutschen Nation. Die multikulturelle Gesellschaft lehnten sie ab. Für einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt des Konzerts zufällig vor Ort befunden hätte, wäre nicht zweifelsfrei festzustellen gewesen, ob die Veranstaltung in erster Linie dem Musikgenuss dient oder ob die mit den Liedtexten vermittelten politischen Botschaften und damit die auf Teilhabe an der Meinungsbildung gerichteten Elemente überwiegen.
33 
Lässt sich nach alledem ein Übergewicht des unterhaltenden Charakters der Veranstaltung nicht feststellen, so ist das Konzert jedenfalls nach der Zweifelsregel wie eine Versammlung zu behandeln.
34 
Die selbst gewählte Einordnung als private Feier steht der Einordnung als Versammlung nicht entgegen, weil der Versammlungscharakter aus der Sicht eines außenstehenden durchschnittlichen Betrachters zu beurteilen ist. Rechtlich irrelevant ist auch die rechtsextremistische Ausrichtung der Veranstaltung, da Art. 8 GG nicht nach dem Inhalt der bei einer Versammlung geäußerten Meinung unterscheidet und auch das Infragestellen von Verfassungswerten - soweit dies nicht in kämpferischer Weise geschieht und keine einschlägigen Straftatbestände verwirklicht werden - erlaubt ist.
35 
e) Der Versammlungscharakter ist schließlich nicht aufgrund der Schutzbereichseinschränkung des Art. 8 Abs. 1 GG, nach welcher für die Ausübung der Versammlungsfreiheit die Gebote der Friedlichkeit und der Waffenlosigkeit gelten, zu verneinen. Die Verfassung bewertet die Unfriedlichkeit in gleicher Weise wie das Mitführen von Waffen. Unfriedlich ist eine Versammlung erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - a.a.O. S. 106). Das Friedlichkeitsgebot ist somit auf das Verbot gewalttätigen Verhaltens zu reduzieren (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 1 Rn. 140 m.w.N.).
36 
Daran gemessen war hier die Friedlichkeit der Versammlung nicht in Frage gestellt. Das durch die Mischung von aggressiver Musik und Alkoholkonsum möglicherweise entstandene Gewaltpotenzial konnte auf der Veranstaltung nicht zum Ausbruch kommen, da man „unter sich“ war und das Gegenüber, der politische Gegner bzw. die möglichen Opfer wie Homosexuelle oder Ausländer, fehlten.
37 
2. Bei dem Skinheadkonzert handelte es sich auch um eine öffentliche Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes.
38 
a) Nach § 1 Abs. 1 VersammlG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des Grundgesetzes (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - a.a.O. Rn. 15). Die Gleichsetzung beider Versammlungsbegriffe erweist sich als verfassungsgemäß (vgl. BVerfG , Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28 und 30/01 - a.a.O. S. 2460). Hinzutreten muss nach dem Versammlungsgesetz lediglich das Merkmal der Öffentlichkeit der Versammlung.
39 
b) Die Öffentlichkeit bestimmt sich danach, ob die Versammlung einen abgeschlossenen oder einen individuell nicht abgegrenzten Personenkreis umfasst (BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 - NVwZ 1999, 992; Senatsurteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96 - a.a.O.; ThürOVG, Beschl. v. 29.08.1997 - 2 EO 1038/97 u.a. - NVwZ-RR 1998, 497). Wesentliche Voraussetzung hierfür ist also, dass jeder, der von einer solchen Zusammenkunft Kenntnis erhält, die Möglichkeit hat, an ihr teilzunehmen. Dies war vorliegend der Fall. Der Teilnehmerkreis der Veranstaltung war von vornherein weder nach bestimmten Kriterien festgelegt noch begrenzt worden. Zwar wurde die Veranstaltung, bei der einschlägig bekannte Skinheadbands auftreten sollten, konspirativ vorbereitet. Zeit und Ort wurden nicht öffentlich bekanntgegeben, sondern ausschließlich per E-Mail und SMS einem Kreis bekannter Gleichgesinnter mitgeteilt. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, über ein sog. „nationales Infotelefon“ Kenntnis von dem Konzert zu erlangen. Diese Einladungspraxis dürfte in erster Linie deshalb gewählt worden sein, um die Veranstaltung vor den Ordnungsbehörden und vor möglichen Störern etwa aus der linksautonomen Szene geheim zu halten. Hingegen ist nicht ersichtlich, dass der Teilnehmerkreis abschließend beschränkt werden sollte. Bei der gewählten Vorgehensweise hatten die Veranstalter es auch nicht mehr in der Hand, zu bestimmen, wer von der Veranstaltung erfuhr und an ihr teilnahm; im Hinblick auf die oben beschriebene Rekrutierungsfunktion der Veranstaltung lag dies auch gar nicht in ihrer Absicht. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Teilnehmer einzeln eingeladen worden wären und dass nur bestimmte Personen Zugang zu der Veranstaltung erhalten sollten. Das Merkmal der Öffentlichkeit entfällt auch nicht deshalb, weil Eintrittsgelder erhoben worden sind (vgl. Senatsurteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96 -, a.a.O.). Soweit die Beklagte die Öffentlichkeit der Versammlung bestreitet, verhält sie sich widersprüchlich, da sie mit der Begehung von Straftaten rechnete, die zumindest teilweise einen gewissen Öffentlichkeitsbezug voraussetzen (vgl. z. B. § 86 a StGB). Ihre Behauptung, es habe strenge Einlasskontrollen gegeben und Personen, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht eindeutig der Skinheadszene hätten zugerechnet werden können, wäre der Zutritt verwehrt worden, vermochte die Beklagte nicht auf tatsächliche Feststellungen zu stützen. Dieses Vorbringen erweist sich somit als rein spekulativ und erscheint mit Blick auf die Rekrutierungsfunktion der Veranstaltung auch fernliegend.
40 
3. Handelte es sich bei dem Skinheadkonzert um eine öffentliche Versammlung, so kam zur Bekämpfung versammlungsspezifischer Gefahren nur das Instrumentarium des Versammlungsgesetzes in Betracht, das mit seinen spezialgesetzlichen Ermächtigungen Vorrang vor dem Polizeirecht hat.
41 
Die für den Vollzug des Versammlungsgesetzes zuständigen Behörden können Versammlungen in geschlossenen Räumen vor ihrem Beginn nach Maßgabe des § 5 VersammlG verbieten oder nach ihrem Beginn nach Maßgabe des § 13 VersammlG auflösen. Des Weiteren kann - außerhalb der in § 13 Abs. 1 VersammlG angeführten Auflösungsgründe - die Auflösung einer zulässigerweise verbotenen Versammlung in Betracht kommen.
42 
a) Für ein Verbot öffentlicher Versammlungen in geschlossenen Räumen sowie das Verbot ersetzende Minusmaßnahmen (beschränkende Verfügungen) ist § 5 VersammlG die spezielle und abschließende Regelung. Nur für nicht versammlungsspezifische Gefahren kann auf die Ermächtigungen des besonderen Polizei- und Ordnungsrechts bzw. auf allgemeines Polizeirecht zurückgegriffen werden (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 5 Rn. 7 f.).
43 
Eine Versammlung in geschlossenen Räumen kann vor ihrem Beginn nach dem hier in Betracht kommenden § 5 Nr. 4 VersammlG verboten werden, wenn Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben.
44 
aa) Diese Vorschrift ist im Lichte von Art. 8 GG auszulegen. Das Grundrecht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln, unterliegt, soweit die Versammlung nicht unter freiem Himmel stattfindet, keinem Gesetzesvorbehalt. Soweit das Versammlungsgesetz in § 5 die Möglichkeit eröffnet, Versammlungen in geschlossenen Räumen zu verbieten, liegt hierin gleichwohl keine gegen Art. 8 Abs. 2 GG verstoßende Grundrechtsbeschränkung; das Versammlungsgesetz erfüllt insoweit vielmehr verfassungskonkretisierende Funktion (vgl. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 191 und 162 ff.), das heißt, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit greift unter anderem nicht ein, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Nr. 4 VersammlG vorliegen, weil das Begehen von Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgender Vergehen einer Versammlung den Charakter der "Friedlichkeit" nehmen würde und diese damit aus dem Geltungsbereich der Grundrechtsgewährleistung ausscheidet (vgl. Höfling in Sachs, GG, 5. Aufl., Art. 8 Rn. 26 f.). Dabei darf jedoch der Begriff der Friedlichkeit nicht zu eng verstanden werden, weil ansonsten der für Versammlungen unter freiem Himmel geltende Gesetzesvorbehalt weitgehend funktionslos würde (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u.a. - BVerfGE 73, 206 <248 f.>).
45 
bb) Diese Grundsätze erfordern, den Verbotstatbestand des § 5 Nr. 4 VersammlG dahin auszulegen, dass zum einen die darin erfassten Meinungsäußerungsdelikte von beträchtlichem Gewicht sein sowie zur Unfriedlichkeit führen müssen und zum anderen die das Verbot tragenden Tatsachen mit einer vernünftige Zweifel ausschließenden Sicherheit festgestellt sein müssen, damit die zusätzlich erforderliche Prognose des Verhaltens des Veranstalters oder seines Anhangs eine tragfähige Grundlage hat (vgl. Senatsbeschluss vom 25.04.1998 - 1 S 1143/98 - VBlBW 1998, 426). Nur wenn erkennbare Umstände darauf schließen lassen, dass das Vertreten strafbarer Ansichten bzw. das Dulden strafbarer Äußerungen das maßgebende Anliegen der Versammlung ist, kommt ein Totalverbot in Frage. Lässt eine gesicherte Gefahrenprognose diesen Schluss nicht zu, sind nur weniger einschneidende Beschränkungen zulässig (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 5 Rn. 33). Weil bloße Beschränkungen gegenüber dem Verbot geringere Eingriffe sind, darf in Anwendung des Grundsatzes der Erforderlichkeit ein Schluss von der Verbotsermächtigung auf die Ermächtigung zum Erlass verbotsvermeidender aber gleichwohl zwecktauglicher Maßnahmen gezogen werden (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 5 Rn. 43 m.w.N.). Finden sich im Repertoire einer Band nur einzelne Musikstücke, deren Aufführung einen Straftatbestand verwirklicht, so ist zu prüfen, ob das Verbot des Spielens dieser Musikstücke als milderes Mittel gegenüber einem Totalverbot in Betracht kommt. Besteht das Repertoire einer Band durchweg aus strafrechtlich relevanten Musikstücken und/oder kommt es bei Auftritten einer Band regelmäßig zu Straftaten, so kann ein Versammlungsverbot ausgesprochen werden, wenn der Auftritt dieser Band der einzige Versammlungszweck ist. Sollen jedoch daneben noch weitere - unbedenkliche - Bands auftreten, ist es angezeigt, vorrangig die Verhängung eines Auftrittsverbots für die betreffende Band zu prüfen.
46 
b) Bei versammlungsspezifischen Gefahren, die im Zusammenhang mit nicht verbotenen Versammlungen in geschlossenen Räumen entstehen, sind die Voraussetzungen für das polizeiliche Einschreiten nach Beginn der Versammlung und dessen Umfang in § 13 VersammlG speziell und abschließend geregelt (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 13 Rn. 3). Im Lichte der verfassungsrechtlich garantierten, durch einen Gesetzesvorbehalt nicht eingeschränkten Versammlungsfreiheit in geschlossenen Räumen stellen sich die gesetzlichen Eingriffsermächtigungen des § 13 VersammlG als Konkretisierung der verfassungsimmanenten Schranken der grundrechtlichen Gewährleistung dar. Auf das allgemeine Polizeirecht können polizeiliche Maßnahmen innerhalb von Versammlungen nur gestützt werden, wenn und soweit es darum geht, Gefahren zu bekämpfen, die nicht spezifisch in der Versammlung und deren Ablauf ihre Ursache haben.
47 
Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 VersammlG kann die Polizei eine öffentliche Versammlung in geschlossenen Räumen nur dann und unter Angabe des Grundes auflösen, wenn einer der in Nr. 1 bis 4 genannten Gründe vorliegt.
48 
Auch die mündliche Auflösungsverfügung bedarf - abweichend von § 39 LVwVfG - einer Begründung. Es ist hinreichend, aber auch erforderlich, dass der maßgebende Auflösungsgrund des gesetzlichen Tatbestandes der Nr. 1, 2, 3 oder 4 verständlich bezeichnet wird (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 13 Rn. 6).
49 
Die Auflösung einer Versammlung in geschlossenen Räumen nach ihrem Beginn kommt u.a. in Betracht, wenn durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, oder wenn in der Versammlung zu solchen Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter dies nicht unverzüglich unterbindet (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VersammlG).
50 
c) Die Auflösungsgründe des § 13 Abs. 1 VersammlG berücksichtigen nicht den Fall, dass eine Versammlung trotz eines rechtmäßigen Versammlungsverbots gleichwohl durchgeführt wird. Der Gesetzgeber hat die Pflicht zur Auflösung einer verbotenen Versammlung nur für Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge ausdrücklich vorgesehen (vgl. § 15 Abs. 4 VersammlG). Es spricht viel dafür, insoweit für Versammlungen in geschlossenen Räumen von einer planwidrigen Gesetzeslücke auszugehen. So ist es etwa möglich, dass eine Versammlung gemäß § 5 Nr. 4 VersammlG verboten wurde, weil Tatsachen festgestellt waren, die die Prognose rechtfertigten, dass der Veranstalter Ansichten vertreten werde, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben. Wenn diese Versammlung nun trotz des Verbots durchgeführt wird, kann es nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, dass die Polizei so lange warten muss, bis die prognostizierten Straftaten tatsächlich begangen werden, um die Versammlung erst dann gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 VersammlG auflösen zu können (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 13 Rn. 31; Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl., § 13 VersammlG Rn. 2).
51 
d) Ob hier die getroffene, auf die polizeiliche Generalklausel gestützte Verfügung auch als versammlungsrechtliche Entscheidung - die fehlende Wesensänderung durch den Austausch der Rechtsgrundlagen unterstellt - Bestand haben könnte, erscheint fraglich.
52 
aa) Zwar stünde deren Rechtmäßigkeit nicht bereits die Zuständigkeitsordnung entgegen, denn die Beklagte ist als Große Kreisstadt nicht nur Ortspolizeibehörde, sondern auch Versammlungsbehörde (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 VersGZuVO, § 62 Abs. 3 PolG, §§ 13 Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs. 1 LVG).
53 
bb) Bedenken bestehen indes in materieller Hinsicht.
54 
(1) Ungeachtet der Bezeichnung als „Auflösungsverfügung“ könnte die Umdeutung in ein Verbot nach § 5 Nr. 4 VersammlG in Betracht gezogen werden, weil die Verfügung ausweislich der schriftlichen Begründung in erster Linie darauf zielte, Straftaten im Sinne der §§ 86, 86 a, 90 a und 130 StGB zu verhindern, deren Begehung im Rahmen der Veranstaltung aufgrund von Erfahrungen bei früheren Veranstaltungen befürchtet wurde. Insoweit fehlte es indes an hinreichenden Feststellungen zum jeweiligen Veranstalter, weshalb auch unklar ist, inwieweit die jetzigen Veranstalter für Vorkommnisse bei vorangegangenen Veranstaltungen verantwortlich waren. Ebenso fehlte es an Feststellungen dazu, ob und in welchem Umfang die Liedtexte der auftretenden Bands die in Frage kommenden Straftatbestände wie Volksverhetzung (§ 130 StGB) oder Aufstacheln zum Angriffskrieg (§ 80 a StGB) verwirklichen. Die materiellen Voraussetzungen für ein Totalverbot dürften daher kaum vorgelegen haben.
55 
Gegen die Umdeutung in ein Versammlungsverbot könnte zudem sprechen, dass die Verfügung erst nach Beginn der Versammlung bekannt gegeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt ist die Verfügung auch erst rechtlich existent geworden. Vor der Bekanntgabe an zumindest einen Betroffenen ist ein Verwaltungsakt noch nicht erlassen, d.h. liegt grundsätzlich überhaupt noch kein Verwaltungsakt vor. Auch die Bindung der Behörde an den Verwaltungsakt tritt erst mit der Bekanntgabe an zumindest einen Betroffenen ein (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 41 Rn. 17 m.w.N.). Dem Ordnungsamtsleiter der Beklagten dürfte um 18:50 Uhr auch bewusst gewesen sein, dass aufgrund der noch zu treffenden Vorbereitungen (Zusammenziehen der erforderlichen Polizeikräfte; Einholung einer richterlichen Anordnung zum Betreten der Räumlichkeit etc.) eine Bekanntgabe der Allgemeinverfügung und damit ein Wirksamwerden (vgl. § 43 Abs. 1 LVwVfG) erst nach Beginn des Konzerts erfolgen würde.
56 
Der Senat verkennt nicht, dass es für die Versammlungsbehörde, die den Erlass versammlungsrechtlicher Präventivmaßnahmen auf der Grundlage von § 5 VersammlG erwägt, bei Versammlungen der vorliegenden Art, die konspirativ vorbereitet werden und zu denen verdeckt eingeladen wird, schwierig sein kann, den Veranstalter rechtzeitig zu ermitteln und diesem ggf. eine Verfügung vor dem Beginn der Versammlung bekannt zu geben. Scheitert die Bekanntgabe vor Beginn der Versammlung, so kommt aufgrund der Systematik des Versammlungsgesetzes nur noch eine Auflösung der Versammlung unter den Voraussetzungen des § 13 VersammlG in Betracht. Die fehlende Bekanntgabe wäre nur dann unschädlich, wenn der Veranstalter anderweitig sichere Kenntnis von der Verfügung erlangt hätte oder wenn er unter Verstoß gegen spezielle gesetzliche Verpflichtungen die Bekanntgabe treuwidrig vereitelt hätte (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn. 21 f. m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 - 8 C 91.85 - NVwZ 1987, 793 - zur treuwidrigen Vereitelung der Zustellung eines Einberufungsbescheides). Im Anwendungsbereich des Versammlungsgesetzes dürfte nach derzeitiger Rechtslage, wenn die Einladung verdeckt erfolgt, die treuwidrige Vereitelung der Bekanntgabe einer Verbotsverfügung kaum angenommen werden können, weil der Veranstalter einer Versammlung in geschlossenen Räumen im Vorfeld der Versammlung gesetzlich nicht zur Angabe seines Namens verpflichtet ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 1 VersammlG, der keine andere Auslegung zulässt, besteht eine solche Verpflichtung nur im Falle einer öffentlichen Einladung (so auch Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 2 Rn. 6). Eine Gesetzesänderung, die den Veranstalter auch bei nicht öffentlicher Einladung in die Pflicht nimmt, erschiene geeignet, insoweit Abhilfe zu schaffen. Eine solche Gesetzesänderung wird auch in § 9 Abs. 1 des vom Bundesinnenminister als Beratungsgrundlage für die Länder konzipierten Entwurfs eines Versammlungsgesetzes (abgedr. bei Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., S. 7 ff.) bereits vorgeschlagen.
57 
(2) Die Umdeutung in eine versammlungsrechtliche Auflösungsverfügung nach § 13 VersammlG scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte nicht - wie gesetzlich in § 12 VersammlG vorgesehen - Polizeibeamte in die Versammlung entsandt hatte, die - ggf. auch mittels Bild- und Tonaufnahmen, vgl. § 12 a VersammlG - die erforderlichen Feststellungen zu einem unfriedlichen Verlauf der Versammlung hätten treffen können.
58 
4. Ob danach die Voraussetzungen für ein Verbot oder eine Auflösung des Konzerts auf versammlungsrechtlicher Grundlage vorgelegen haben, kann der Senat letztlich offen lassen, weil die Auflösung der Versammlung jedenfalls auf der Grundlage der §§ 1, 3 PolG zur Abwehr konkreter Gefahren für Leben und Gesundheit der Versammlungsteilnehmer geboten war.
59 
a) Der Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht ist vorliegend zulässig.
60 
Auf das allgemeine Polizeirecht können polizeiliche Maßnahmen innerhalb von Versammlungen nur gestützt werden, wenn und soweit es darum geht, Gefahren zu bekämpfen, die nicht spezifisch in der Versammlung und deren Ablauf ihre Ursache haben (vgl. Meßmann, JuS 2007, 524 <526>; Kunig in v. Münch/Kunig, GG, 5. Aufl., Art. 8 Rn. 30). Entscheidend kommt es insoweit darauf an, ob die in Bezug auf die nicht versammlungsspezifischen Gefahren getroffene Gefahrprognose geeignet ist, die Auflösung der Versammlung, d. h. ihre Beendigung durch Verwaltungsakt, selbstständig zu tragen. Ist dies der Fall, so sind die mit der polizeilichen Maßnahme verbundenen (mittelbaren) Einschränkungen des Versammlungsrechts als zwangsläufige Nebenfolge in Kauf zu nehmen. Darauf, ob auch eine Einschränkung des Versammlungsrechts bezweckt war (darauf abstellend noch Senatsurteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96 - a.a.O.; ebenso Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 13 Rn. 4), kommt es dann nicht mehr an. Freilich ist zu beachten, dass wegen des hohen Rangs der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit das bloße Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit die Auflösung einer Versammlung nicht zu rechtfertigen vermag. Im Hinblick auf den (zwangsläufigen) Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit sind an die Anwendung der polizeilichen Generalklausel strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Schulze-Fielitz in Dreier, GG, 2. Aufl., Art. 8 Rn. 72; Gusy in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl., Art. 8 Rn. 58; Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl., Art. 8 GG Rn. 25; Deger in Wolf/Stephan/Deger, PolG für BW, 6. Aufl., § 4 Rn. 35). Erforderlich ist eine konkrete Gefahr für elementare Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit von Menschen.
61 
b) Hier hat die Beklagte als sachlich (vgl. § 66 Abs. 2 i.V.m. §§ 61 Abs. 1 Nr. 4, 62 Abs. 4 PolG) und örtlich (vgl. § 68 Abs. 1 PolG) zuständige Ortspolizeibehörde ihre Auflösungsverfügung zulässigerweise selbstständig tragend auf konkrete Gefahren für Leben und Gesundheit der Versammlungsteilnehmer gestützt.
62 
aa) Nach der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) hat die Polizei die Aufgabe, von dem Einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist. Dabei hat die Polizei innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinen. Ein Tätigwerden zum Zwecke der Gefahrenabwehr setzt eine konkrete Gefahr voraus. Eine solche liegt vor, wenn ein bestimmter einzelner Sachverhalt, d. h. eine konkrete Sachlage oder ein konkretes Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führen würde. Der Schadenseintritt braucht nicht mit Gewissheit zu erwarten sein. Andererseits ist aber die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts nicht ausreichend. Der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist dabei abhängig vom Rang des Rechtsgutes, in das eingegriffen werden soll, sowie vom Rang des polizeilichen Schutzgutes (vgl. Würtenberger/Heckmann, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 6. Aufl., S. 190 ff.). Auf der einen Seite ist daher bei der Anwendung der polizeilichen Generalklausel der hohe Rang der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite ist in Rechnung zu stellen, dass es um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, nämlich Leben und Gesundheit von Menschen, geht, so dass auch die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht überspannt werden dürfen (vgl. Senatsurteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - VBlBW 2010, 29 m.w.N.).
63 
bb) Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensverlauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme vorliegen; es ist also beim polizeilichen Eingriff die gegenwärtige und nicht eine spätere Sicht entscheidend. Deshalb kommt es nicht darauf an, welche Erkenntnisse die Polizei im Anschluss an ihre Maßnahme gewinnt: War der Schadenseintritt im Zeitpunkt der Entscheidung über das Eingreifen objektiv wahrscheinlich, bleibt das polizeiliche Handeln auch dann rechtmäßig, wenn der weitere Verlauf der Dinge die Prognose als unrichtig erweisen sollte. Umgekehrt kann eine polizeiliche konkrete Gefahr nicht durch später bekannt werdende Tatsachen - gleichsam nachträglich im Wege der Rückschau - im Anschluss an das polizeiliche Handeln begründet werden.
64 
cc) Für die gerichtliche Beurteilung der hier beanstandeten Maßnahme kommt es folglich auf die von der Beklagten als Ortspolizeibehörde ex ante um 18:50 Uhr getroffene Prognose an, nicht hingegen auf die des für den Polizeieinsatz maßgeblichen Polizeiführers, da der Polizeivollzugsdienst lediglich die von der Beklagten getroffene Auflösungsverfügung im Wege der Vollzugshilfe (vgl. § 60 Abs. 4 PolG) bzw. Amtshilfe (vgl. § 74 Abs. 1 PolG) bekannt gegeben und nicht etwa nach Feststellung der konkreten Verhältnisse vor Ort selbst die Auflösung verfügt hat.
65 
Nach dem Kenntnisstand des Ordnungsamtsleiters sollte das Konzert in einem Kellerraum auf dem ehemaligen Fabrikgelände der Fa. ... stattfinden. Aufgrund der Tatsache, dass ein solcher Kellerraum von Mitgliedern einer Skinhead-band als Probenraum genutzt wurde und bereits am 09.07.2005 für eine sogenannte „private Geburtstagsfeier“ zur Verfügung gestellt worden war, war prognostisch die Annahme gerechtfertigt, dass das fragliche Konzert wiederum in diesem fensterlosen Raum, der über nur einen engen Zugang verfügte, stattfinden würde. Die Brandgefahr durfte mit Blick darauf, dass eine professionelle Musikanlage mit Verstärkern zum Einsatz kam und bis zu 150 Konzertteilnehmer erwartet wurden, als hoch eingeschätzt werden. Dies gilt umso mehr, als bei der Prognose auch die bei Konzerten dieser Art infolge der aggressiven Musik und des Alkoholkonsums der Konzertteilnehmer typischerweise herrschende aufgeheizte Atmosphäre berücksichtigt werden durfte.
66 
dd) Bei dieser Sachlage war die Auflösung der Versammlung zur Abwehr konkreter Gefahren für Leben und Gesundheit der Teilnehmer geboten.
67 
Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind auch die Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen, nämlich Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Würde, Eigentum und Besitz (vgl. Deger, a.a.O. § 1 Rn. 48 m.w.N.). Am Schutz des Lebens besteht ein besonderes öffentliches Interesse. Der Staat und seine Organe sind verfassungsrechtlich verpflichtet, menschliches Leben zu schützen. Die öffentliche Sicherheit ist daher in hohem Maße gefährdet, wenn Konzertbesucher sich durch den Aufenthalt in einem Kellerraum mit nur einem engen Zugang leichtsinnig Gefahren für Leben und Gesundheit im - nicht unwahrscheinlichen - Fall eines Brandes aussetzen.
68 
Die Auflösung der Versammlung, d. h. ihre Beendigung durch Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG), war zur Bekämpfung der Gefahr geeignet und erforderlich. Die Auflösungsverfügung begründet die Pflicht der Teilnehmer, sich vom Versammlungsort zu entfernen. Ein milderes Mittel zur Bekämpfung der bezeichneten Gefahr war nicht gegeben. Die Fortsetzung des Konzerts in dem fraglichen Kellerraum wäre unter keinen Umständen vertretbar gewesen.
69 
Die Auflösung erweist sich schließlich nicht deshalb als rechtswidrig, weil mit ihr zugleich eine Einschränkung des Versammlungsrechts bezweckt wurde. Zwar hatte die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens nicht berücksichtigt, dass es sich bei dem fraglichen Konzert um eine unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stehende öffentliche Versammlung handelte. Dies führt jedoch vorliegend nicht zu einem Ermessensfehler, weil der Ermessensspielraum der Beklagten auf Null reduziert war. Aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht drohte ein so erheblicher Schaden für das Leben und die Gesundheit der Konzertbesucher (vgl. zu diesem Maßstab Deger, a.a.O. § 3 Rn. 19), dass die Beklagte angesichts der großen Zahl der erwarteten - zum Teil noch minderjährigen - Teilnehmer zum Einschreiten durch Erlass einer Auflösungsverfügung verpflichtet war. Ein Untätigbleiben wäre ermessensfehlerhaft gewesen.
70 
ee) Soweit die Beklagte Störungen der öffentlichen Sicherheit, die ein Einschreiten nach den §§ 1, 3 PolG erfordern, auch in Verstößen gegen bauordnungs-, gaststätten- und jugendschutzrechtliche Vorschriften gesehen hat, sind diese Erwägungen wegen des hohen Rangs der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit nicht tragfähig. Insbesondere vermag allein der Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Bestimmungen (vgl. § 15 Abs. 3 LBO) die Auflösungsverfügung nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einer bauordnungsrechtlichen Nutzungsuntersagung, die faktisch zu einem Versammlungsverbot führt: OVG Meckl.-Vorp., Beschl. v. 02.02.2007 - 3 M 12/07 - LKV 2008, 79). Hinzutreten muss - wie ausgeführt - stets eine erhebliche Gefahr für elementare Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit von Menschen.
71 
c) Darauf, ob das Handeln des Polizeivollzugsdienstes vor Ort von dem Bestreben getragen war, die bezeichneten Gefahren für Leben und Gesundheit der Versammlungsteilnehmer so rasch und wirkungsvoll wie möglich zu bekämpfen, kommt es nicht an. Gegenstand der Fortsetzungsfeststellungsklage ist ausschließlich die Auflösung des Skinheadkonzerts, d. h. seine Beendigung durch Verwaltungsakt, nicht aber der Vollzug dieser Verfügung und die weiteren vom Polizeivollzugsdienst getroffenen Maßnahmen. Insoweit wäre die Beklagte auch nicht passiv legitimiert; vielmehr hätten die Kläger eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Vollzugs der Auflösungsverfügung sowie der vom Polizeivollzugsdienst in eigener Zuständigkeit getroffenen weiteren Maßnahmen nur im Wege einer gegen das Land Baden-Württemberg gerichteten (Fortsetzungs-)Feststellungsklage erreichen können.
III.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.
73 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 12. Juli 2010
75 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
19 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klagen abweisen müssen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Auflösung der am 21.01.2006 in einem Kellerraum in der ...straße ... in ... durchgeführten Veranstaltung rechtswidrig war. Ihre Klagen sind zulässig (I.), aber nicht begründet (II.).
I.
20 
1. Die Klagen sind, da sich der streitige Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung durch Zeitablauf erledigt hat (§ 43 Abs. 2 LVwVfG), in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklagen statthaft (st. Rspr.; vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161 <165> und Urt. v. 01.07.1975 - I C 35.70 - BVerwGE 49, 36; Senatsurteile vom 18.12.2003 - 1 S 2211/02 - VBlBW 2004, 214 und vom 14.04.2005 - 1 S 2362/04 - VBlBW 2005, 431). Die Klagen beziehen sich auf die am 21.01.2006 von der Beklagten um 18:50 Uhr verfügte und um 21:57 Uhr von Kriminaloberrat ... über das Mikrofon der Veranstaltungsbühne allen Veranstaltungsteilnehmern bekannt gegebene Auflösung der Veranstaltung, die sofort vollzogen wurde und damit schon vor Klageerhebung erledigt war.
21 
2. Die Kläger sind klagebefugt i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO. Sie waren Teilnehmer der aufgelösten Veranstaltung und damit Adressaten der in Form einer Allgemeinverfügung i. S. v. § 35 Satz 2 LVwVfG ergangenen Auflösungsverfügung. Dass die am 31.01.2006 abgefasste schriftliche Begründung der Verfügung allein an den Kläger zu 4 gerichtet war, ändert daran nichts.
22 
3. Ein Vorverfahren i. S. v. § 68 VwGO war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288).
23 
4. Die Kläger haben schließlich das erforderliche Feststellungsinteresse, das in den Fällen einer vorprozessualen Erledigung mit dem in § 43 Abs. 1 VwGO vorausgesetzten Interesse identisch ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <206 ff.>) und anerkennenswerte schutzwürdige Belange rechtlicher, wirtschaftlicher und ideeller Natur umfasst (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.02.1986 - 5 C 40.84 - BVerwGE 74, 1). Die Kläger können ein Rehabilitationsinteresse geltend machen. Ein solches Interesse ist nach einer erledigten polizeilichen Maßnahme dann als berechtigt anzuerkennen, wenn mit ihr ein Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen verbunden und sie geeignet war, das Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen (vgl. Senatsurteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96 - NVwZ 1998, 761). Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG müssen zudem polizeiliche Maßnahmen in Fällen gewichtiger, in tatsächlicher Hinsicht jedoch überholter Grundrechtseingriffe auch im Hauptsacheverfahren einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden können, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsaktes nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung nicht erlangen kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Eingriff in den Schutzbereich der von Art. 8 GG verbürgten besonders bedeutsamen Versammlungsfreiheit stellt einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar. Ist angesichts des Vorbringens der Beteiligten - wie hier - ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG nicht von vornherein ausgeschlossen, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 Rn. 12 m.w.N.). Unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitation ist das Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Weiteren im Hinblick auf die Presseberichterstattung über die Auflösung der Veranstaltung gegeben. Die Kläger zu 1 und 4 als (Mit-)Veranstalter haben darüber hinaus ein Interesse daran, durch eine gerichtliche Entscheidung die Gefahr der Wiederholung einer vergleichbaren Situation zu verhindern. Zwar wird eine weitere Veranstaltung in dem fraglichen Kellerraum nicht mehr stattfinden können, da das Mietverhältnis seitens des Eigentümers beendet worden ist. Wie die Kläger bekundet haben, haben sie jedoch die Absicht, vergleichbare Veranstaltungen im Zuständigkeitsbereich der Beklagten auch zukünftig abzuhalten, so dass sie wiederum mit einer Auflösung rechnen müssten (vgl. Senatsurteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96 - a.a.O.).
II.
24 
Die Klagen sind nicht begründet. Die auf die §§ 1, 3 PolG gestützte Auflösungsverfügung war rechtmäßig und verletzte die Kläger daher nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Zwar fällt das aufgelöste Skinheadkonzert unter den Schutz der Versammlungsfreiheit (1.). Es handelte sich um eine öffentliche Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes (2.), die zur Bekämpfung versammlungsspezifischer Gefahren nur nach den Vorschriften dieses Gesetzes hätte verboten oder aufgelöst werden dürfen (3.). Ob die Voraussetzungen für ein Verbot oder für eine Auflösung auf versammlungsrechtlicher Grundlage (vgl. §§ 5, 13 VersammlG) hier vorgelegen haben, kann letztlich offen bleiben, weil die Auflösung der Versammlung auf der Grundlage der §§ 1, 3 PolG zur Abwehr konkreter Gefahren für Leben und Gesundheit der Versammlungsteilnehmer geboten war (4.).
25 
1. Das aufgelöste Skinheadkonzert ist als Versammlung im Sinne von Art. 8 GG zu behandeln.
26 
a) Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen (BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Das Grundrecht schützt die Freiheit der Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 <104>; BVerfG , Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28 und 30/01 - NJW 2001, 2459 <2460>; Senatsurteil vom 25.04.2007 - 1 S 2828/06 - VBlBW 2008, 60). Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und -äußerung mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken (vgl. Enders, JURA 2003, 34 <38>). Der Schutz der Versammlungsfreiheit umfasst auch die Entscheidung, welche Maßnahmen der Veranstalter zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für sein Anliegen einsetzen will (vgl. BVerfG , Beschl. v. 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 - BVerfGK 2, 1 <6>). Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen fallen allerdings unter den Versammlungsbegriff ebenso wenig wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind, einerlei, ob der dort vorherrschende Musiktyp ein Lebensgefühl von sogenannten Subkulturen ausdrückt oder dem Massengeschmack entspricht (vgl. BVerfG , Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28 und 30/01 - a.a.O.). Andererseits erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch auf solche Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik und Tanz verwirklichen. Dies ist zu bejahen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken.
27 
Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese "gemischte" Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG , Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28 und 30/01 - a.a.O. S. 2461; BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - a.a.O. Rn. 16).
28 
Die Beurteilung, ob eine "gemischte" Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die Verfassung der Versammlungsfreiheit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Im Anschluss an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - a.a.O. Rn. 17).
29 
Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind. Schließlich sind - in einem dritten Schritt - die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - a.a.O. Rn. 18).
30 
b) Bei Zugrundelegung dieses auch vom erkennenden Senat (vgl. Urt. v. 26.01.1998 - 1 S 3280/96 - a.a.O. und v. 25.04.2007 - 1 S 2828/06 - a.a.O.) vertretenen sog. engen Versammlungsbegriffs können auch kulturelle Veranstaltungen wie Musikveranstaltungen, Theaterstücke oder Dichterlesungen als „gemischte“ Veranstaltungen unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stehen. Wenn die Teilnehmer derartiger Veranstaltungen durch ihre Anwesenheit Anteilnahme ausdrücken wollen - etwa für die Menschenrechte, um die es einem Autor geht, oder bei „Rock gegen rechts“, um gegen Rechtsextremismus anzutreten -, handelt es sich um eine Meinungskundgabe zwecks Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, Kommentar, 15. Aufl., § 1 Rn. 13).
31 
c) Skinheadkonzerte wie das hier aufgelöste sind dadurch geprägt, dass mit der Musik zugleich eine politische Botschaft vermittelt wird. Einerseits thematisieren die Texte rechtsextremistischer Skinheadbands das Selbstverständnis und Lebensgefühl der rechtsextremistischen Skinheadszene. Andererseits ist diese Musik das wichtigste Propagandamedium, über das rechtsextremistische Inhalte in die Skinheadszene transportiert werden. So richten sich nicht wenige dieser Lieder gegen szenetypische Feindbilder wie Ausländer, Juden, Israel, die USA, Homosexuelle, „Linke“, Punker, gegen die Presse sowie staatliche Institutionen und Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland. Der szeneeigenen Musik und insbesondere den Konzerten kommt ein hoher identitätsstiftender Stellenwert zu. Die Konzerte dienen auch der Rekrutierung neuer Anhänger und deren ideologischer Festigung. Sie tragen zur Förderung einer rechtsextremistischen Orientierung vor allem bei jugendlichen und heranwachsenden Konzertbesuchern bei. Zu diesem Zweck erfolgt auch der Verkauf einschlägiger CDs und sonstigen Propagandamaterials. Über den Konsum der Musik finden umso mehr Jugendliche zum Rechtsextremismus, je präsenter die Szene durch ein vielfältigeres CD- und ein flächendeckenderes Konzertangebot wird (Verfassungsschutzbericht BW 2006, S. 136). Durch die entsprechende Musik werden die Konzertbesucher politisch indoktriniert; die Musik ist sozusagen das „Parteiprogramm“ der nicht parteipolitisch gebundenen rechtsextremistischen Skinheadszene. Konzertveranstaltungen kommt die Funktion von „Kontaktbörsen“ für rechtsextremistische Gesinnungen zu. Rechtsextremistische Skinheadbands fungieren als die politischen Propagandisten innerhalb der Skinheadszene (vgl. Thalmair, BayVBl 2002, 517 <518>). Anders als etwa bei einem normalen Popkonzert werden bei einem Skinheadkonzert die übrigen Besucher nicht nur in Kauf genommen, sondern als Gleichgesinnte empfunden, mit denen man sich zusammenfinden will, um sich beim gemeinsamen Musikgenuss in der eigenen Überzeugung zu bestärken und die gleiche Gesinnung zur Schau zu stellen (vgl. Thalmair, a.a.O. S. 519; siehe zum Ganzen auch Soiné, JuS 2004, 382 und Verfassungsschutzbericht BW 2008, S. 140 f.).
32 
d) Die hier streitgegenständliche Veranstaltung erfüllte alle skizzierten typischen Merkmale eines Skinheadkonzerts. Sie wurde auch im Verfassungsschutzbericht BW 2006 in der Rubrik „Gewaltbereiter Rechtsextremismus“ unter der Überschrift „Die rechtsextremistische Skinhead(musik)szene: Ein Boom schwächt sich ab?“ ausdrücklich aufgeführt (S. 134 f.). Auf der einen Seite diente die Veranstaltung als Musikkonzert zweifellos der Unterhaltung. Auf der anderen Seite wurden den Konzertbesuchern durch die Liedtexte rechtsextremistische Inhalte vermittelt. Dass die politischen Botschaften in erster Linie durch die Liedtexte transportiert werden, steht auch bei Zugrundelegung des engen Versammlungsbegriffs dem Versammlungscharakter eines solchen Konzerts nicht entgegen. Die innere Bindung der Besucher auf ideologischer Ebene, der Zweck, die eigene weltanschauliche und politische Identität zu stärken und insbesondere die auf (noch) nicht der Skinhead-szene angehörende Konzertbesucher zielende Rekrutierungsfunktion heben ein solches Skinheadkonzert deutlich von anderen Konzerten ab, bei denen der Musikgenuss im Vordergrund steht. Der Kläger zu 2 hat auf Fragen zur politischen Botschaft der Veranstaltung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekundet, es sei darum gegangen, Leute anzuwerben und für ihre politischen Vorstellungen zu begeistern. Sie seien gegen Überfremdung und für den Erhalt der deutschen Nation. Die multikulturelle Gesellschaft lehnten sie ab. Für einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt des Konzerts zufällig vor Ort befunden hätte, wäre nicht zweifelsfrei festzustellen gewesen, ob die Veranstaltung in erster Linie dem Musikgenuss dient oder ob die mit den Liedtexten vermittelten politischen Botschaften und damit die auf Teilhabe an der Meinungsbildung gerichteten Elemente überwiegen.
33 
Lässt sich nach alledem ein Übergewicht des unterhaltenden Charakters der Veranstaltung nicht feststellen, so ist das Konzert jedenfalls nach der Zweifelsregel wie eine Versammlung zu behandeln.
34 
Die selbst gewählte Einordnung als private Feier steht der Einordnung als Versammlung nicht entgegen, weil der Versammlungscharakter aus der Sicht eines außenstehenden durchschnittlichen Betrachters zu beurteilen ist. Rechtlich irrelevant ist auch die rechtsextremistische Ausrichtung der Veranstaltung, da Art. 8 GG nicht nach dem Inhalt der bei einer Versammlung geäußerten Meinung unterscheidet und auch das Infragestellen von Verfassungswerten - soweit dies nicht in kämpferischer Weise geschieht und keine einschlägigen Straftatbestände verwirklicht werden - erlaubt ist.
35 
e) Der Versammlungscharakter ist schließlich nicht aufgrund der Schutzbereichseinschränkung des Art. 8 Abs. 1 GG, nach welcher für die Ausübung der Versammlungsfreiheit die Gebote der Friedlichkeit und der Waffenlosigkeit gelten, zu verneinen. Die Verfassung bewertet die Unfriedlichkeit in gleicher Weise wie das Mitführen von Waffen. Unfriedlich ist eine Versammlung erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - a.a.O. S. 106). Das Friedlichkeitsgebot ist somit auf das Verbot gewalttätigen Verhaltens zu reduzieren (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 1 Rn. 140 m.w.N.).
36 
Daran gemessen war hier die Friedlichkeit der Versammlung nicht in Frage gestellt. Das durch die Mischung von aggressiver Musik und Alkoholkonsum möglicherweise entstandene Gewaltpotenzial konnte auf der Veranstaltung nicht zum Ausbruch kommen, da man „unter sich“ war und das Gegenüber, der politische Gegner bzw. die möglichen Opfer wie Homosexuelle oder Ausländer, fehlten.
37 
2. Bei dem Skinheadkonzert handelte es sich auch um eine öffentliche Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes.
38 
a) Nach § 1 Abs. 1 VersammlG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des Grundgesetzes (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - a.a.O. Rn. 15). Die Gleichsetzung beider Versammlungsbegriffe erweist sich als verfassungsgemäß (vgl. BVerfG , Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28 und 30/01 - a.a.O. S. 2460). Hinzutreten muss nach dem Versammlungsgesetz lediglich das Merkmal der Öffentlichkeit der Versammlung.
39 
b) Die Öffentlichkeit bestimmt sich danach, ob die Versammlung einen abgeschlossenen oder einen individuell nicht abgegrenzten Personenkreis umfasst (BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 - NVwZ 1999, 992; Senatsurteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96 - a.a.O.; ThürOVG, Beschl. v. 29.08.1997 - 2 EO 1038/97 u.a. - NVwZ-RR 1998, 497). Wesentliche Voraussetzung hierfür ist also, dass jeder, der von einer solchen Zusammenkunft Kenntnis erhält, die Möglichkeit hat, an ihr teilzunehmen. Dies war vorliegend der Fall. Der Teilnehmerkreis der Veranstaltung war von vornherein weder nach bestimmten Kriterien festgelegt noch begrenzt worden. Zwar wurde die Veranstaltung, bei der einschlägig bekannte Skinheadbands auftreten sollten, konspirativ vorbereitet. Zeit und Ort wurden nicht öffentlich bekanntgegeben, sondern ausschließlich per E-Mail und SMS einem Kreis bekannter Gleichgesinnter mitgeteilt. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, über ein sog. „nationales Infotelefon“ Kenntnis von dem Konzert zu erlangen. Diese Einladungspraxis dürfte in erster Linie deshalb gewählt worden sein, um die Veranstaltung vor den Ordnungsbehörden und vor möglichen Störern etwa aus der linksautonomen Szene geheim zu halten. Hingegen ist nicht ersichtlich, dass der Teilnehmerkreis abschließend beschränkt werden sollte. Bei der gewählten Vorgehensweise hatten die Veranstalter es auch nicht mehr in der Hand, zu bestimmen, wer von der Veranstaltung erfuhr und an ihr teilnahm; im Hinblick auf die oben beschriebene Rekrutierungsfunktion der Veranstaltung lag dies auch gar nicht in ihrer Absicht. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Teilnehmer einzeln eingeladen worden wären und dass nur bestimmte Personen Zugang zu der Veranstaltung erhalten sollten. Das Merkmal der Öffentlichkeit entfällt auch nicht deshalb, weil Eintrittsgelder erhoben worden sind (vgl. Senatsurteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96 -, a.a.O.). Soweit die Beklagte die Öffentlichkeit der Versammlung bestreitet, verhält sie sich widersprüchlich, da sie mit der Begehung von Straftaten rechnete, die zumindest teilweise einen gewissen Öffentlichkeitsbezug voraussetzen (vgl. z. B. § 86 a StGB). Ihre Behauptung, es habe strenge Einlasskontrollen gegeben und Personen, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht eindeutig der Skinheadszene hätten zugerechnet werden können, wäre der Zutritt verwehrt worden, vermochte die Beklagte nicht auf tatsächliche Feststellungen zu stützen. Dieses Vorbringen erweist sich somit als rein spekulativ und erscheint mit Blick auf die Rekrutierungsfunktion der Veranstaltung auch fernliegend.
40 
3. Handelte es sich bei dem Skinheadkonzert um eine öffentliche Versammlung, so kam zur Bekämpfung versammlungsspezifischer Gefahren nur das Instrumentarium des Versammlungsgesetzes in Betracht, das mit seinen spezialgesetzlichen Ermächtigungen Vorrang vor dem Polizeirecht hat.
41 
Die für den Vollzug des Versammlungsgesetzes zuständigen Behörden können Versammlungen in geschlossenen Räumen vor ihrem Beginn nach Maßgabe des § 5 VersammlG verbieten oder nach ihrem Beginn nach Maßgabe des § 13 VersammlG auflösen. Des Weiteren kann - außerhalb der in § 13 Abs. 1 VersammlG angeführten Auflösungsgründe - die Auflösung einer zulässigerweise verbotenen Versammlung in Betracht kommen.
42 
a) Für ein Verbot öffentlicher Versammlungen in geschlossenen Räumen sowie das Verbot ersetzende Minusmaßnahmen (beschränkende Verfügungen) ist § 5 VersammlG die spezielle und abschließende Regelung. Nur für nicht versammlungsspezifische Gefahren kann auf die Ermächtigungen des besonderen Polizei- und Ordnungsrechts bzw. auf allgemeines Polizeirecht zurückgegriffen werden (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 5 Rn. 7 f.).
43 
Eine Versammlung in geschlossenen Räumen kann vor ihrem Beginn nach dem hier in Betracht kommenden § 5 Nr. 4 VersammlG verboten werden, wenn Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben.
44 
aa) Diese Vorschrift ist im Lichte von Art. 8 GG auszulegen. Das Grundrecht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln, unterliegt, soweit die Versammlung nicht unter freiem Himmel stattfindet, keinem Gesetzesvorbehalt. Soweit das Versammlungsgesetz in § 5 die Möglichkeit eröffnet, Versammlungen in geschlossenen Räumen zu verbieten, liegt hierin gleichwohl keine gegen Art. 8 Abs. 2 GG verstoßende Grundrechtsbeschränkung; das Versammlungsgesetz erfüllt insoweit vielmehr verfassungskonkretisierende Funktion (vgl. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 191 und 162 ff.), das heißt, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit greift unter anderem nicht ein, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Nr. 4 VersammlG vorliegen, weil das Begehen von Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgender Vergehen einer Versammlung den Charakter der "Friedlichkeit" nehmen würde und diese damit aus dem Geltungsbereich der Grundrechtsgewährleistung ausscheidet (vgl. Höfling in Sachs, GG, 5. Aufl., Art. 8 Rn. 26 f.). Dabei darf jedoch der Begriff der Friedlichkeit nicht zu eng verstanden werden, weil ansonsten der für Versammlungen unter freiem Himmel geltende Gesetzesvorbehalt weitgehend funktionslos würde (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u.a. - BVerfGE 73, 206 <248 f.>).
45 
bb) Diese Grundsätze erfordern, den Verbotstatbestand des § 5 Nr. 4 VersammlG dahin auszulegen, dass zum einen die darin erfassten Meinungsäußerungsdelikte von beträchtlichem Gewicht sein sowie zur Unfriedlichkeit führen müssen und zum anderen die das Verbot tragenden Tatsachen mit einer vernünftige Zweifel ausschließenden Sicherheit festgestellt sein müssen, damit die zusätzlich erforderliche Prognose des Verhaltens des Veranstalters oder seines Anhangs eine tragfähige Grundlage hat (vgl. Senatsbeschluss vom 25.04.1998 - 1 S 1143/98 - VBlBW 1998, 426). Nur wenn erkennbare Umstände darauf schließen lassen, dass das Vertreten strafbarer Ansichten bzw. das Dulden strafbarer Äußerungen das maßgebende Anliegen der Versammlung ist, kommt ein Totalverbot in Frage. Lässt eine gesicherte Gefahrenprognose diesen Schluss nicht zu, sind nur weniger einschneidende Beschränkungen zulässig (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 5 Rn. 33). Weil bloße Beschränkungen gegenüber dem Verbot geringere Eingriffe sind, darf in Anwendung des Grundsatzes der Erforderlichkeit ein Schluss von der Verbotsermächtigung auf die Ermächtigung zum Erlass verbotsvermeidender aber gleichwohl zwecktauglicher Maßnahmen gezogen werden (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 5 Rn. 43 m.w.N.). Finden sich im Repertoire einer Band nur einzelne Musikstücke, deren Aufführung einen Straftatbestand verwirklicht, so ist zu prüfen, ob das Verbot des Spielens dieser Musikstücke als milderes Mittel gegenüber einem Totalverbot in Betracht kommt. Besteht das Repertoire einer Band durchweg aus strafrechtlich relevanten Musikstücken und/oder kommt es bei Auftritten einer Band regelmäßig zu Straftaten, so kann ein Versammlungsverbot ausgesprochen werden, wenn der Auftritt dieser Band der einzige Versammlungszweck ist. Sollen jedoch daneben noch weitere - unbedenkliche - Bands auftreten, ist es angezeigt, vorrangig die Verhängung eines Auftrittsverbots für die betreffende Band zu prüfen.
46 
b) Bei versammlungsspezifischen Gefahren, die im Zusammenhang mit nicht verbotenen Versammlungen in geschlossenen Räumen entstehen, sind die Voraussetzungen für das polizeiliche Einschreiten nach Beginn der Versammlung und dessen Umfang in § 13 VersammlG speziell und abschließend geregelt (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 13 Rn. 3). Im Lichte der verfassungsrechtlich garantierten, durch einen Gesetzesvorbehalt nicht eingeschränkten Versammlungsfreiheit in geschlossenen Räumen stellen sich die gesetzlichen Eingriffsermächtigungen des § 13 VersammlG als Konkretisierung der verfassungsimmanenten Schranken der grundrechtlichen Gewährleistung dar. Auf das allgemeine Polizeirecht können polizeiliche Maßnahmen innerhalb von Versammlungen nur gestützt werden, wenn und soweit es darum geht, Gefahren zu bekämpfen, die nicht spezifisch in der Versammlung und deren Ablauf ihre Ursache haben.
47 
Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 VersammlG kann die Polizei eine öffentliche Versammlung in geschlossenen Räumen nur dann und unter Angabe des Grundes auflösen, wenn einer der in Nr. 1 bis 4 genannten Gründe vorliegt.
48 
Auch die mündliche Auflösungsverfügung bedarf - abweichend von § 39 LVwVfG - einer Begründung. Es ist hinreichend, aber auch erforderlich, dass der maßgebende Auflösungsgrund des gesetzlichen Tatbestandes der Nr. 1, 2, 3 oder 4 verständlich bezeichnet wird (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 13 Rn. 6).
49 
Die Auflösung einer Versammlung in geschlossenen Räumen nach ihrem Beginn kommt u.a. in Betracht, wenn durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, oder wenn in der Versammlung zu solchen Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter dies nicht unverzüglich unterbindet (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VersammlG).
50 
c) Die Auflösungsgründe des § 13 Abs. 1 VersammlG berücksichtigen nicht den Fall, dass eine Versammlung trotz eines rechtmäßigen Versammlungsverbots gleichwohl durchgeführt wird. Der Gesetzgeber hat die Pflicht zur Auflösung einer verbotenen Versammlung nur für Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge ausdrücklich vorgesehen (vgl. § 15 Abs. 4 VersammlG). Es spricht viel dafür, insoweit für Versammlungen in geschlossenen Räumen von einer planwidrigen Gesetzeslücke auszugehen. So ist es etwa möglich, dass eine Versammlung gemäß § 5 Nr. 4 VersammlG verboten wurde, weil Tatsachen festgestellt waren, die die Prognose rechtfertigten, dass der Veranstalter Ansichten vertreten werde, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben. Wenn diese Versammlung nun trotz des Verbots durchgeführt wird, kann es nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, dass die Polizei so lange warten muss, bis die prognostizierten Straftaten tatsächlich begangen werden, um die Versammlung erst dann gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 VersammlG auflösen zu können (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 13 Rn. 31; Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl., § 13 VersammlG Rn. 2).
51 
d) Ob hier die getroffene, auf die polizeiliche Generalklausel gestützte Verfügung auch als versammlungsrechtliche Entscheidung - die fehlende Wesensänderung durch den Austausch der Rechtsgrundlagen unterstellt - Bestand haben könnte, erscheint fraglich.
52 
aa) Zwar stünde deren Rechtmäßigkeit nicht bereits die Zuständigkeitsordnung entgegen, denn die Beklagte ist als Große Kreisstadt nicht nur Ortspolizeibehörde, sondern auch Versammlungsbehörde (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 VersGZuVO, § 62 Abs. 3 PolG, §§ 13 Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs. 1 LVG).
53 
bb) Bedenken bestehen indes in materieller Hinsicht.
54 
(1) Ungeachtet der Bezeichnung als „Auflösungsverfügung“ könnte die Umdeutung in ein Verbot nach § 5 Nr. 4 VersammlG in Betracht gezogen werden, weil die Verfügung ausweislich der schriftlichen Begründung in erster Linie darauf zielte, Straftaten im Sinne der §§ 86, 86 a, 90 a und 130 StGB zu verhindern, deren Begehung im Rahmen der Veranstaltung aufgrund von Erfahrungen bei früheren Veranstaltungen befürchtet wurde. Insoweit fehlte es indes an hinreichenden Feststellungen zum jeweiligen Veranstalter, weshalb auch unklar ist, inwieweit die jetzigen Veranstalter für Vorkommnisse bei vorangegangenen Veranstaltungen verantwortlich waren. Ebenso fehlte es an Feststellungen dazu, ob und in welchem Umfang die Liedtexte der auftretenden Bands die in Frage kommenden Straftatbestände wie Volksverhetzung (§ 130 StGB) oder Aufstacheln zum Angriffskrieg (§ 80 a StGB) verwirklichen. Die materiellen Voraussetzungen für ein Totalverbot dürften daher kaum vorgelegen haben.
55 
Gegen die Umdeutung in ein Versammlungsverbot könnte zudem sprechen, dass die Verfügung erst nach Beginn der Versammlung bekannt gegeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt ist die Verfügung auch erst rechtlich existent geworden. Vor der Bekanntgabe an zumindest einen Betroffenen ist ein Verwaltungsakt noch nicht erlassen, d.h. liegt grundsätzlich überhaupt noch kein Verwaltungsakt vor. Auch die Bindung der Behörde an den Verwaltungsakt tritt erst mit der Bekanntgabe an zumindest einen Betroffenen ein (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 41 Rn. 17 m.w.N.). Dem Ordnungsamtsleiter der Beklagten dürfte um 18:50 Uhr auch bewusst gewesen sein, dass aufgrund der noch zu treffenden Vorbereitungen (Zusammenziehen der erforderlichen Polizeikräfte; Einholung einer richterlichen Anordnung zum Betreten der Räumlichkeit etc.) eine Bekanntgabe der Allgemeinverfügung und damit ein Wirksamwerden (vgl. § 43 Abs. 1 LVwVfG) erst nach Beginn des Konzerts erfolgen würde.
56 
Der Senat verkennt nicht, dass es für die Versammlungsbehörde, die den Erlass versammlungsrechtlicher Präventivmaßnahmen auf der Grundlage von § 5 VersammlG erwägt, bei Versammlungen der vorliegenden Art, die konspirativ vorbereitet werden und zu denen verdeckt eingeladen wird, schwierig sein kann, den Veranstalter rechtzeitig zu ermitteln und diesem ggf. eine Verfügung vor dem Beginn der Versammlung bekannt zu geben. Scheitert die Bekanntgabe vor Beginn der Versammlung, so kommt aufgrund der Systematik des Versammlungsgesetzes nur noch eine Auflösung der Versammlung unter den Voraussetzungen des § 13 VersammlG in Betracht. Die fehlende Bekanntgabe wäre nur dann unschädlich, wenn der Veranstalter anderweitig sichere Kenntnis von der Verfügung erlangt hätte oder wenn er unter Verstoß gegen spezielle gesetzliche Verpflichtungen die Bekanntgabe treuwidrig vereitelt hätte (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn. 21 f. m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 - 8 C 91.85 - NVwZ 1987, 793 - zur treuwidrigen Vereitelung der Zustellung eines Einberufungsbescheides). Im Anwendungsbereich des Versammlungsgesetzes dürfte nach derzeitiger Rechtslage, wenn die Einladung verdeckt erfolgt, die treuwidrige Vereitelung der Bekanntgabe einer Verbotsverfügung kaum angenommen werden können, weil der Veranstalter einer Versammlung in geschlossenen Räumen im Vorfeld der Versammlung gesetzlich nicht zur Angabe seines Namens verpflichtet ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 1 VersammlG, der keine andere Auslegung zulässt, besteht eine solche Verpflichtung nur im Falle einer öffentlichen Einladung (so auch Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 2 Rn. 6). Eine Gesetzesänderung, die den Veranstalter auch bei nicht öffentlicher Einladung in die Pflicht nimmt, erschiene geeignet, insoweit Abhilfe zu schaffen. Eine solche Gesetzesänderung wird auch in § 9 Abs. 1 des vom Bundesinnenminister als Beratungsgrundlage für die Länder konzipierten Entwurfs eines Versammlungsgesetzes (abgedr. bei Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., S. 7 ff.) bereits vorgeschlagen.
57 
(2) Die Umdeutung in eine versammlungsrechtliche Auflösungsverfügung nach § 13 VersammlG scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte nicht - wie gesetzlich in § 12 VersammlG vorgesehen - Polizeibeamte in die Versammlung entsandt hatte, die - ggf. auch mittels Bild- und Tonaufnahmen, vgl. § 12 a VersammlG - die erforderlichen Feststellungen zu einem unfriedlichen Verlauf der Versammlung hätten treffen können.
58 
4. Ob danach die Voraussetzungen für ein Verbot oder eine Auflösung des Konzerts auf versammlungsrechtlicher Grundlage vorgelegen haben, kann der Senat letztlich offen lassen, weil die Auflösung der Versammlung jedenfalls auf der Grundlage der §§ 1, 3 PolG zur Abwehr konkreter Gefahren für Leben und Gesundheit der Versammlungsteilnehmer geboten war.
59 
a) Der Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht ist vorliegend zulässig.
60 
Auf das allgemeine Polizeirecht können polizeiliche Maßnahmen innerhalb von Versammlungen nur gestützt werden, wenn und soweit es darum geht, Gefahren zu bekämpfen, die nicht spezifisch in der Versammlung und deren Ablauf ihre Ursache haben (vgl. Meßmann, JuS 2007, 524 <526>; Kunig in v. Münch/Kunig, GG, 5. Aufl., Art. 8 Rn. 30). Entscheidend kommt es insoweit darauf an, ob die in Bezug auf die nicht versammlungsspezifischen Gefahren getroffene Gefahrprognose geeignet ist, die Auflösung der Versammlung, d. h. ihre Beendigung durch Verwaltungsakt, selbstständig zu tragen. Ist dies der Fall, so sind die mit der polizeilichen Maßnahme verbundenen (mittelbaren) Einschränkungen des Versammlungsrechts als zwangsläufige Nebenfolge in Kauf zu nehmen. Darauf, ob auch eine Einschränkung des Versammlungsrechts bezweckt war (darauf abstellend noch Senatsurteil vom 26.01.1998 - 1 S 3280/96 - a.a.O.; ebenso Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., § 13 Rn. 4), kommt es dann nicht mehr an. Freilich ist zu beachten, dass wegen des hohen Rangs der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit das bloße Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit die Auflösung einer Versammlung nicht zu rechtfertigen vermag. Im Hinblick auf den (zwangsläufigen) Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit sind an die Anwendung der polizeilichen Generalklausel strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Schulze-Fielitz in Dreier, GG, 2. Aufl., Art. 8 Rn. 72; Gusy in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 4. Aufl., Art. 8 Rn. 58; Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl., Art. 8 GG Rn. 25; Deger in Wolf/Stephan/Deger, PolG für BW, 6. Aufl., § 4 Rn. 35). Erforderlich ist eine konkrete Gefahr für elementare Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit von Menschen.
61 
b) Hier hat die Beklagte als sachlich (vgl. § 66 Abs. 2 i.V.m. §§ 61 Abs. 1 Nr. 4, 62 Abs. 4 PolG) und örtlich (vgl. § 68 Abs. 1 PolG) zuständige Ortspolizeibehörde ihre Auflösungsverfügung zulässigerweise selbstständig tragend auf konkrete Gefahren für Leben und Gesundheit der Versammlungsteilnehmer gestützt.
62 
aa) Nach der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) hat die Polizei die Aufgabe, von dem Einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist. Dabei hat die Polizei innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinen. Ein Tätigwerden zum Zwecke der Gefahrenabwehr setzt eine konkrete Gefahr voraus. Eine solche liegt vor, wenn ein bestimmter einzelner Sachverhalt, d. h. eine konkrete Sachlage oder ein konkretes Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führen würde. Der Schadenseintritt braucht nicht mit Gewissheit zu erwarten sein. Andererseits ist aber die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts nicht ausreichend. Der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist dabei abhängig vom Rang des Rechtsgutes, in das eingegriffen werden soll, sowie vom Rang des polizeilichen Schutzgutes (vgl. Würtenberger/Heckmann, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 6. Aufl., S. 190 ff.). Auf der einen Seite ist daher bei der Anwendung der polizeilichen Generalklausel der hohe Rang der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite ist in Rechnung zu stellen, dass es um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, nämlich Leben und Gesundheit von Menschen, geht, so dass auch die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht überspannt werden dürfen (vgl. Senatsurteil vom 28.07.2009 - 1 S 2200/08 - VBlBW 2010, 29 m.w.N.).
63 
bb) Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensverlauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme vorliegen; es ist also beim polizeilichen Eingriff die gegenwärtige und nicht eine spätere Sicht entscheidend. Deshalb kommt es nicht darauf an, welche Erkenntnisse die Polizei im Anschluss an ihre Maßnahme gewinnt: War der Schadenseintritt im Zeitpunkt der Entscheidung über das Eingreifen objektiv wahrscheinlich, bleibt das polizeiliche Handeln auch dann rechtmäßig, wenn der weitere Verlauf der Dinge die Prognose als unrichtig erweisen sollte. Umgekehrt kann eine polizeiliche konkrete Gefahr nicht durch später bekannt werdende Tatsachen - gleichsam nachträglich im Wege der Rückschau - im Anschluss an das polizeiliche Handeln begründet werden.
64 
cc) Für die gerichtliche Beurteilung der hier beanstandeten Maßnahme kommt es folglich auf die von der Beklagten als Ortspolizeibehörde ex ante um 18:50 Uhr getroffene Prognose an, nicht hingegen auf die des für den Polizeieinsatz maßgeblichen Polizeiführers, da der Polizeivollzugsdienst lediglich die von der Beklagten getroffene Auflösungsverfügung im Wege der Vollzugshilfe (vgl. § 60 Abs. 4 PolG) bzw. Amtshilfe (vgl. § 74 Abs. 1 PolG) bekannt gegeben und nicht etwa nach Feststellung der konkreten Verhältnisse vor Ort selbst die Auflösung verfügt hat.
65 
Nach dem Kenntnisstand des Ordnungsamtsleiters sollte das Konzert in einem Kellerraum auf dem ehemaligen Fabrikgelände der Fa. ... stattfinden. Aufgrund der Tatsache, dass ein solcher Kellerraum von Mitgliedern einer Skinhead-band als Probenraum genutzt wurde und bereits am 09.07.2005 für eine sogenannte „private Geburtstagsfeier“ zur Verfügung gestellt worden war, war prognostisch die Annahme gerechtfertigt, dass das fragliche Konzert wiederum in diesem fensterlosen Raum, der über nur einen engen Zugang verfügte, stattfinden würde. Die Brandgefahr durfte mit Blick darauf, dass eine professionelle Musikanlage mit Verstärkern zum Einsatz kam und bis zu 150 Konzertteilnehmer erwartet wurden, als hoch eingeschätzt werden. Dies gilt umso mehr, als bei der Prognose auch die bei Konzerten dieser Art infolge der aggressiven Musik und des Alkoholkonsums der Konzertteilnehmer typischerweise herrschende aufgeheizte Atmosphäre berücksichtigt werden durfte.
66 
dd) Bei dieser Sachlage war die Auflösung der Versammlung zur Abwehr konkreter Gefahren für Leben und Gesundheit der Teilnehmer geboten.
67 
Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind auch die Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen, nämlich Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Würde, Eigentum und Besitz (vgl. Deger, a.a.O. § 1 Rn. 48 m.w.N.). Am Schutz des Lebens besteht ein besonderes öffentliches Interesse. Der Staat und seine Organe sind verfassungsrechtlich verpflichtet, menschliches Leben zu schützen. Die öffentliche Sicherheit ist daher in hohem Maße gefährdet, wenn Konzertbesucher sich durch den Aufenthalt in einem Kellerraum mit nur einem engen Zugang leichtsinnig Gefahren für Leben und Gesundheit im - nicht unwahrscheinlichen - Fall eines Brandes aussetzen.
68 
Die Auflösung der Versammlung, d. h. ihre Beendigung durch Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG), war zur Bekämpfung der Gefahr geeignet und erforderlich. Die Auflösungsverfügung begründet die Pflicht der Teilnehmer, sich vom Versammlungsort zu entfernen. Ein milderes Mittel zur Bekämpfung der bezeichneten Gefahr war nicht gegeben. Die Fortsetzung des Konzerts in dem fraglichen Kellerraum wäre unter keinen Umständen vertretbar gewesen.
69 
Die Auflösung erweist sich schließlich nicht deshalb als rechtswidrig, weil mit ihr zugleich eine Einschränkung des Versammlungsrechts bezweckt wurde. Zwar hatte die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens nicht berücksichtigt, dass es sich bei dem fraglichen Konzert um eine unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stehende öffentliche Versammlung handelte. Dies führt jedoch vorliegend nicht zu einem Ermessensfehler, weil der Ermessensspielraum der Beklagten auf Null reduziert war. Aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht drohte ein so erheblicher Schaden für das Leben und die Gesundheit der Konzertbesucher (vgl. zu diesem Maßstab Deger, a.a.O. § 3 Rn. 19), dass die Beklagte angesichts der großen Zahl der erwarteten - zum Teil noch minderjährigen - Teilnehmer zum Einschreiten durch Erlass einer Auflösungsverfügung verpflichtet war. Ein Untätigbleiben wäre ermessensfehlerhaft gewesen.
70 
ee) Soweit die Beklagte Störungen der öffentlichen Sicherheit, die ein Einschreiten nach den §§ 1, 3 PolG erfordern, auch in Verstößen gegen bauordnungs-, gaststätten- und jugendschutzrechtliche Vorschriften gesehen hat, sind diese Erwägungen wegen des hohen Rangs der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit nicht tragfähig. Insbesondere vermag allein der Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Bestimmungen (vgl. § 15 Abs. 3 LBO) die Auflösungsverfügung nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einer bauordnungsrechtlichen Nutzungsuntersagung, die faktisch zu einem Versammlungsverbot führt: OVG Meckl.-Vorp., Beschl. v. 02.02.2007 - 3 M 12/07 - LKV 2008, 79). Hinzutreten muss - wie ausgeführt - stets eine erhebliche Gefahr für elementare Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit von Menschen.
71 
c) Darauf, ob das Handeln des Polizeivollzugsdienstes vor Ort von dem Bestreben getragen war, die bezeichneten Gefahren für Leben und Gesundheit der Versammlungsteilnehmer so rasch und wirkungsvoll wie möglich zu bekämpfen, kommt es nicht an. Gegenstand der Fortsetzungsfeststellungsklage ist ausschließlich die Auflösung des Skinheadkonzerts, d. h. seine Beendigung durch Verwaltungsakt, nicht aber der Vollzug dieser Verfügung und die weiteren vom Polizeivollzugsdienst getroffenen Maßnahmen. Insoweit wäre die Beklagte auch nicht passiv legitimiert; vielmehr hätten die Kläger eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Vollzugs der Auflösungsverfügung sowie der vom Polizeivollzugsdienst in eigener Zuständigkeit getroffenen weiteren Maßnahmen nur im Wege einer gegen das Land Baden-Württemberg gerichteten (Fortsetzungs-)Feststellungsklage erreichen können.
III.
72 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.
73 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO erfüllt ist.
74 
Beschluss vom 12. Juli 2010
75 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
76 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Der Antragsteller verfolgt mit der Beschwerde seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, ihm für eine beabsichtigte Klage gegen polizeiliche Maßnahmen Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Am 8. September 2012 fand in der W. Fußgängerzone ein Straßenmusikfestival statt. Gegen 17.30 Uhr hörte der Antragsteller am D-platz einer Musikgruppe zu. Er stand dabei mit seinem Fahrrad auf den Straßenbahngleisen. Als sich eine Straßenbahn näherte, wurde der Antragsteller von zwei Ordnern aufgefordert, die Gleise freizugeben. Als er sich weigerte, gab sich ein Polizeibeamter in Zivilkleidung, der den Vorgang beobachtet hatte, als solcher zu erkennen und forderte den Antragsteller auf, zur Seite zu gehen und die Straßenbahn vorbeifahren zu lassen. Der Antragsteller ließ sich daraufhin den Dienstausweis des Polizeibeamten zeigen, ging dann auf den Straßenbahngleisen in Richtung Dom und wurde dabei von dem Polizeibeamten begleitet. Dort verließ er die Gleise und begab sich in die P-straße, wo er von einer herbeigerufenen Polizeistreife wegen Nötigung im Straßenverkehr als Beschuldigter vernommen wurde.

Zur Begründung seines am 20. September 2012 beim Verwaltungsgericht eingegangen Prozesskostenhilfeantrags trug er unter anderem vor, er habe der Musikgruppe zugehört. Um ihn herum und hinter ihm hätten weitere Zuhörer gestanden. Als sich eine Straßenbahn genähert habe, hätten die Ordner die Zuhörer auf beide Seiten der Gleise abgedrängt. Der Antragsteller habe der Band weiter zuhören wollen und deshalb versucht, auf deren Seite der Straßenbahnschienen Platz zu finden, was ihm jedoch nicht möglich gewesen sei. Als die Ordner ihn aufgefordert hätten, weiterzugehen, und versucht hätten, ihrer Aufforderung mit sanftem Druck Nachdruck zu verleihen, habe er sie darauf hingewiesen, dass sie dies in der Fußgängerzone zu unterlassen hätten, weil diese eine Aufenthalts- und Kommunikationszone sei. Der daraus entstandene Disput habe etwa 20 Sekunden gedauert. Dann habe ihn der Polizeibeamte in Zivilkleidung angesprochen und ihn darauf hingewiesen, dass er die Straßenbahn nötige. Er habe dies zurückgewiesen und den Polizeibeamten gebeten, seinen Dienstausweis zu zeigen. Der Polizeibeamte habe daraufhin dem Antragsteller seinen Geldbeutel mit dem Dienstausweis hingehalten und dabei mit dem Daumen einen Teil des Sichtfensters aus schwarzem Gewebe verdeckt. Der Antragsteller habe deshalb lediglich den Namen des Beamten erkennen können, nicht jedoch, ob es sich um einen Dienstausweis der Polizei gehandelt habe. Gleichwohl habe er nachgegeben und begonnen, sich vom D-platz in Richtung Dom zu begeben. Der Polizeibeamte sei ihm gefolgt und habe an seinem Fahrrad gezerrt und dem Antragsteller etwa fünfzehn Rammstöße mit der Schulter und dem Gesäß versetzt. An der Einmündung in die P-straße sei der Antragsteller auf eine Polizeistreife gestoßen. Diese habe ihm sofort gedroht, dass man sein Fahrrad sicherstellen und ihn notfalls für die Nacht in Gewahrsam nehmen werde.

Der Antragsteller machte außerdem geltend, die Polizei habe offenbar Probleme, die Vorschriften über Rechte der Fußgänger und die Verpflichtungen des Fahrzeugverkehrs in der Fußgängerzone korrekt anzuwenden. Es bedürfe deshalb der baldigen Klarstellung durch das Verwaltungsgericht. Die von dem Polizeibeamten in Zivilkleidung am D-platz ausgesprochene Platzverweisung sei rechtswidrig gewesen. Eine Gefahr sei vom Antragsteller, der die Fußgängerzone entsprechend ihrem Sinn und Zweck genutzt habe, nicht ausgegangen. Da die Platzverweisung rechtswidrig gewesen sei, sei auch die Androhung, ihn bis zum nächsten Tag in Gewahrsam zu nehmen, nicht rechtens gewesen. Außerdem habe der Antragsteller der Platzverweisung auch Folge geleistet, indem er den D-platz verlassen habe. Mangels einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung sei es ohnehin nicht möglich gewesen, den Antragsteller in Gewahrsam zu nehmen. Auch eine Sicherstellung des Fahrrads sei nicht in Betracht gekommen. Es sei nicht ersichtlich, welche Gefahr von einem im Fußgängerbereich stehenden und von seinem Besitzer gehaltenen Fahrrad für eine pflichtgemäß wartende Straßenbahn ausgehen könne. Im Übrigen hätten während des Straßenmusikfestivals alle Straßenbahnen erhebliche Verzögerungen in Kauf nehmen müssen, wie sich anhand der elektronischen Fahrdatenrekorder der betreffenden Straßenbahnen leicht nachweisen lasse. Durch den Aufenthalt des Antragstellers in der Fußgängerzone sei es zu keinen das normale Maß während des Straßenmusikfestivals übersteigenden Verzögerungen im Straßenverkehr gekommen.

Der Antragsteller kündigte an, im beabsichtigten Klageverfahren die Feststellung zu beantragen,

1. dass der Kläger sich beim Straßenmusikfestival zu Recht in der Fußgängerzone aufgehalten habe und durch die Straßen gebummelt sei und dass er auch mit seinem Zuhören bei den Darbietungen die Fußgängerzone im Rahmen ihres Widmungszwecks als Aufenthalts- und Kommunikationsbereich genutzt habe,

2. dass der Kläger beim Straßenmusikfestival als Fußgänger im Fußgängerbereich die gesamte Verkehrsfläche habe frei nutzen dürfen, dass es keine Regeln gebe, die dem Kläger auf der Fußgängerfläche ein bestimmtes Verhalten auferlegt hätten und dass dies unabhängig vom sonst zulässigen Fahrzeugverkehr gelte, der dem Kläger gegenüber nachrangig gewesen sei und nötigenfalls zu warten gehabt habe,

3. dass der Kläger wegen der hohen Passantendichte beim Straßenmusikfestival sein Fahrrad dort zu schieben gehabt habe, wo die geringste Beeinträchtigung des übrigen Fußgängerverkehrs zu erwarten gewesen sei,

4. dass der zivilgekleidete Polizeibeamte auf Verlangen des Klägers seinen Ausweis ohne Zögern so habe vorzeigen müssen, dass dem Kläger ein einwandfreies Identifizieren ohne Verdeckung und Sichtbehinderung durch das Ausweisfach des Geldbeutels möglich gewesen wäre,

5. dass der zivilgekleidete Polizeibeamte den Platzverweis zu Unrecht ausgesprochen habe, weil vom Kläger, der sich beim Straßenmusikfestival rechtmäßig gemäß ihrem Widmungssinn in der Fußgängerzone aufgehalten habe, keine Gefahr ausgegangen sei,

6. dass die Androhung des zivilgekleideten Polizeibeamten wie auch eines der Streifenbeamten, die Polizei werde das Fahrrad des Klägers sicherstellen, ebenso zu Unrecht erfolgt sei, weil von dem geschobenen Fahrrad in dieser Situation keine Gefahr ausgegangen sei,

7. dass die Androhung der Polizei, man werde den Kläger im Wiederholungsfall über Nacht in Gewahrsam nehmen, ebenfalls unzulässig gewesen sei, und das auch dadurch, dass das Straßenmusikfestival gemäß Programm bis gegen 22.00 Uhr habe beendet sein sollen,

8. dass der zivilgekleidete Polizeibeamte nicht berechtigt gewesen sei, den Kläger, der nach der Platzverweisung vom D-platz in Richtung P-straße gelaufen sei, immer wieder von der Seite anzurempeln und der Gefahr eines schweren Sturzes auszusetzen, und

9. dass die Stadt W. und der Straßenbahnbetrieb selbst es gewesen seien, die die Verzögerungen des Straßenbahnverkehrs durch Besucher des Straßenmusikfestivals allgemein provoziert hätten, dass, wer versuche, mit einer Straßenbahn während einer offiziellen Veranstaltung durch solche Menschenmassen in einer Fußgängerzone zu fahren, als Konsequenz auch erhebliche Verzögerungen in Kauf zu nehmen habe und dass dies von der Polizei insbesondere nicht dem Kläger als Einzelperson habe zur Last gelegt werden dürfen.

Der Antragsteller wies dabei darauf hin, dass es sich bei seinen Anträgen um vorläufige Formulierungen handele. Die endgültigen Formulierungen müssten dem beizuordnenden Rechtsanwalt vorbehalten bleiben. Das angestrebte Klageverfahren solle der Polizei eindeutig zeigen, dass ihr in diesem Fall gezeigtes Handeln nicht den Gesetzen entspreche.

Mit Beschluss vom 4. Dezember 2012 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, hinsichtlich der Anträge zu 1., 3. und 9. fehle es an einem Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO. Die begehrten Feststellungen seien zu keiner Zeit Gegenstand der Auseinandersetzung mit der Polizei gewesen und deshalb bereits nicht streitig. Jedenfalls fehle es aber an einem Feststellungsinteresse, weil eine gerichtliche Entscheidung die Rechtsstellung des Antragstellers nicht verbessere. An einem berechtigten Feststellungsinteresse fehle es auch hinsichtlich des Antrags zu 4. Es seien weder eine konkrete Wiederholungsgefahr noch ein Rehabilitationsinteresse ersichtlich. Die Anträge zu 6. und 7. seien unzulässig, weil es sich bei der Androhung der Sicherstellung und des Gewahrsams um nach § 44a VwGO nicht isoliert anfechtbare behördliche Verfahrenshandlungen handele. Außerdem sei es denkbar, dass eine Sicherstellung des Fahrrads, das der Antragsteller offenbar bewusst einsetze, um ein Hindernis für die Straßenbahn zu schaffen, möglich gewesen sei. Hinsichtlich der Anträge zu 2., 5. und 8. sei die Klage jedenfalls unbegründet. Das Verhalten des Antragstellers in der Fußgängerzone, das er mit dem Antrag zu 2. als zulässig festgestellt haben wolle, verstoße gegen § 1 Abs. 2 StVO und sei als unzulässige Rechtsausübung rechtsmissbräuchlich. Das Rücksichtnahmegebot nach § 1 Abs. 2 StVO diene als allgemeine Auslegungsregel für alle Verkehrsvorschriften und gelte damit auch für Fußgänger in einem Fußgängerbereich. Dagegen verstoße der Antragsteller, weil er durch sein Verhalten den zugelassenen Straßenbahnverkehr mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindere und belästige. Als rechtsmissbräuchlich stelle sich das Verhalten des Antragstellers dar, weil er damit nicht seine Rechte wahrnehmen, sondern die Straßenbahnführer dazu bewegen wolle, sich so zu verhalten, wie er es für ordnungsgemäß halte. Es sei aber nicht Sache des Antragstellers, andere Verkehrsteilnehmer zu erziehen. Es gebe keine Durchsetzung eigener Rechte um jeden Preis. Die Klage hinsichtlich des Platzverweises sei zwar als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Sie sei jedoch unbegründet. Die nach Art. 16 Satz 1 PAG erforderliche Gefahr folge aus den zahlreichen vorangegangenen Vorfällen, in denen der Antragsteller stets ein ähnliches Verhalten in Bezug auf den Straßenbahnverkehr gezeigt und damit jeweils den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt habe. Die Polizeibeamten hätten daher davon ausgehen können, dass der Antragsteller dieses Verhalten wiederhole. Außerdem ergebe sich diese Gefahr, weil der Antragsteller hinsichtlich Straßenbahnen nach einem psychiatrischen Gutachten an einer wahnhaften Störung leide. Schließlich sei der ausgesprochene Platzverweis hinreichend bestimmt und verhältnismäßig. Hinsichtlich des Antrags zu 8. sei die beabsichtigte Klage jedenfalls unbegründet. Das vom Antragsteller geschilderte Verhalten des Polizeibeamten in Zivilkleidung stelle sich als rechtmäßiger unmittelbarer Zwang zur Durchsetzung des Platzverweises dar.

Gegen den ihm am 6. Dezember 2012 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit am 19. Dezember 2012 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schreiben Beschwerde erhoben.

Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, maßgeblich für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag seien nicht die von ihm formulierten Anträge, die lediglich das Klageziel umreißen sollten. Die Anträge sollten dazu dienen, die Hintergründe für das rechtswidrige Handeln der Polizei herauszustellen. Es solle der Polizei mit der Klage deutlich gezeigt werden, dass ihr Handeln grob rechtswidrig gewesen sei. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei § 1 Abs. 2 StVO im Fußgängerbereich nicht anwendbar. Die Fußgängerzonen würden zur Sicherheit und Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs eingerichtet. Dem psychiatrischen Gutachten werde ausdrücklich widersprochen. Im Übrigen sei die Argumentation des Verwaltungsgerichts mit dem Gutachten eine reine ex-post-Betrachtung. Der handelnde Polizeibeamte wisse von dem psychiatrischen Gutachten bis heute nichts und habe es in keiner seiner beiden Stellungnahmen erwähnt. Hinsichtlich der Ausweispflicht sei dem rechthaberischen Verhalten des Polizeibeamten in Zivilkleidung zu entnehmen, dass es sich gegebenenfalls wiederholen werde. Soweit das Verwaltungsgericht die Erfolgsaussichten hinsichtlich der Androhung der Sicherstellung des Fahrrads und des Gewahrsams verneine, weil darin eine nach § 44a VwGO nicht anfechtbare Verfahrenshandlung liege, habe das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt, dass dies nach § 44a Satz 2 VwGO nicht gelte, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden könnten.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nutze er sein Fahrrad auch nicht als Hindernis für die Straßenbahn. Durch dessen Sicherstellung lasse sich das Ziel der Polizei, der Straßenbahn Vorrang zu verschaffen, nicht erreichen. Oberstes Ziel für die Einrichtung von Fußgängerzonen sei die Sicherheit der Fußgänger, die deshalb Vorrang vor jeglichem Fahrzeugverkehr hätten. § 1 Abs. 2 StVO gelte im Fußgängerbereich nicht, weil nach § 39 Abs. 2 Satz 1 StVO Regelungen durch Verkehrszeichen den allgemeinen Regelungen vorgingen. Zeichen 242.1 der Anlage 2 zu § 41 StVO regele das Verhältnis der Fahrzeugführer zum Fußgänger abschließend. Die Nutzung der Fußgängerzone durch den Antragsteller stelle einen zulässigen und widmungsgemäßen Gebrauch dar. Da die Straßenbahn ihre Geschwindigkeit dem Fußgängerverkehr anpassen müsse, werde sie durch einen Fußgänger, der seinen Vorrang in Anspruch nehme, nicht behindert.

Da die Fußgängerzone entsprechend ihrem Widmungszweck auch als Aufenthalts- und Kommunikationszone diene, seien die von den Besuchern des Straßenmusikfestivals ausgehenden Behinderungen der Straßenbahn unvermeidbare und notwendige Behinderungen, die von ihr hinzunehmen seien. Der Antragsteller sei auch nicht im Schneckentempo vor der Straßenbahn hergelaufen. Dies zeige die hohe Durchschnitts- und Spitzengeschwindigkeit, die sich aus dem Fahrdatenschreiber der betreffenden Straßenbahn ergebe.

Die Rammstöße des Polizeibeamten in Zivilkleidung, die den Antragsteller der Gefahr eines Sturzes ausgesetzt hätten, seien grob rechtswidrig gewesen. Dies habe umso mehr gegolten, als der Antragsteller sich in Fahrtrichtung der Straßenbahn bewegt und diese, wie die Fahrdatenschreiberauswertung zeige, gar nicht unmittelbar hinter ihm hergefahren sei. Es sei auch nicht richtig, dass die Straßenbahn angesichts des starken Fußgängerverkehrs während des Straßenmusikfestivals innerhalb kürzester Zeit am Antragsteller hätte vorbeifahren können, wenn er den Weg frei gemacht hätte. Vielmehr habe die Straßenbahn eine erhebliche Behinderung des Fußgängerverkehrs dargestellt.

Allerdings sei es mit dem Sinn und Zweck der Straßenverkehrsordnung nicht vereinbar, wenn die Fußgänger niemals der Straßenbahn den Weg freigeben müssten. Die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 Abs. 1 StVO gewinne erst allmählich Bedeutung. Je nach Situation und insbesondere in Situationen wie dem Straßenmusikfestival könnten auch mehr als fünf Minuten Wartezeit für die Straßenbahn angemessen sein. Schließlich gehe es dem Antragsteller nicht darum, andere zu erziehen und damit bewusst Gefahrenlagen zu provozieren.

Der Antragsteller beantragt der Sache nach,

ihm unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts W. vom 4. Dezember 2012 Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Der Antragsgegner hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Ergänzend wird hinsichtlich der weiteren Ausführungen des Antragstellers auf seine Schriftsätze in den Verfahren 5 K 12.825 und 10 C 12.2728, im Übrigen auf die Gerichtsakten in diesen Verfahren sowie die darin beigezogenen Behörden- und Strafakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung (a. F.; vgl. § 40 EGZPO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013 [BGBl I S.3533]) liegen nicht vor.

1. Gegenstand der beabsichtigten Klage sind nach § 88 VwGO, nach dem das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen darf, aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist, die Feststellung, dass die Platzverweisung durch den Polizeibeamten in Zivilkleidung rechtswidrig war (a), die Feststellung, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Platzverweisung unzulässig war (b), die Feststellung, dass der Polizeibeamte in Zivilkleidung verpflichtet war, auf Verlangen des Antragstellers seinen Dienstausweis so vorzuzeigen, dass seine Lesbarkeit nicht durch das Ausweisfach beeinträchtigt wurde (c), und schließlich die Feststellung, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, das Fahrrad des Antragstellers sicherzustellen und ihn in Gewahrsam zu nehmen (d).

a) Dass Gegenstand der beabsichtigten Klage zunächst die Feststellung sein soll, dass die Platzverweisung durch den Polizeibeamten in Zivilkleidung rechtswidrig war, folgt aus dem Wortlaut des Antrags zu 5. ebenso wie aus den Erläuterungen des Antragstellers zu seinen Anträgen.

Der Antrag zu 5. zielt ausdrücklich auf die Feststellung, dass der Polizeibeamte den Platzverweis zu Unrecht aussprach. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Platzverweises entspricht darüber hinaus dem Willen des Antragstellers, der, wie er darlegt, darauf gerichtet ist, der Polizei und insbesondere dem Beamten in Zivilkleidung ganz deutlich zu zeigen, dass ihr Handeln grob rechtswidrig gewesen sei.

Geht man von dieser Zielrichtung der beabsichtigten Klage als dem nach § 88 VwGO für das Verständnis der Klage maßgeblichen Klagebegehren aus, so umfasst der Antrag festzustellen, dass die Platzverweisung durch den Polizeibeamten in Zivilkleidung rechtswidrig war, auch die Anträge zu 1. und 2., die sich auf die Feststellung beziehen, dass der Antragsteller sich zu Recht in der Fußgängerzone aufgehalten und sie im Rahmen des Widmungszwecks als Aufenthalts- und Kommunikationsbereich genutzt habe und dass er als Fußgänger die gesamte Verkehrsfläche unabhängig vom sonst zulässigen Fahrzeugverkehr, der gegenüber dem Antragsteller nachrangig sei und nötigenfalls warten müsse, frei habe nützen dürfen. Denn der Antragsteller betont, dass es bei den von ihm als möglich formulierten Anträgen nur darum gegangen sei, das Streitverhältnis zu umreißen und die Hintergründe für das rechtswidrige Handeln der Polizei herauszustellen, während die endgültige Fassung der Anträge dem beizuordnenden Rechtsanwalt vorbehalten bleiben solle. Entsprechend diesem Anliegen stellen sich die Anträge zu 1. und 2. aber lediglich als die nach Ansicht des Antragstellers für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Platzverweisung maßgeblichen Vorfragen dar. Dementsprechend führt er aus, dass die in den Anträgen zu 1. und 2. herausgearbeiteten Punkte die Grundlage für die Entscheidung über den Antrag zu 5. seien und daher spätestens im Rahmen der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Platzverweises geklärt werden müssten.

b) Mit dem Antrag zu 8. festzustellen, dass der Polizeibeamte in Zivilkleidung nicht berechtigt gewesen sei, den Antragsteller, der nach der Platzverweisung vom D-platz in Richtung P-straße gegangen sei, immer wieder von der Seite anzurempeln und der Gefahr eines schweren Sturzes auszusetzen, begehrt der Antragsteller der Sache nach die Feststellung, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Platzverweisung unzulässig war. Denn angesichts der vorangegangenen Aufforderung des Antragstellers durch den Polizeibeamten in Zivilkleidung, die Straßenbahngleise freizugeben, ließe sich ein polizeiliches Handeln in Form eines seitlichen „Anrempelns“, wie der Antragsteller es behauptet, als Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung dieses Platzverweises verstehen. Dies entspricht auch der Vorstellung des Antragstellers. Denn er selbst ordnet die „Rempler“ durch den Polizeibeamten in Zivilkleidung als „körperlichen Zwang“ ein.

Darüber hinaus umfasst das Klagebegehren festzustellen, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Platzverweisung unzulässig war, auch den Antrag zu 3., der die Feststellung betrifft, dass der Antragsteller wegen der hohen Passantendichte beim Straßenmusikfestival sein Fahrrad dort zu schieben gehabt habe, wo die geringste Beeinträchtigung des übrigen Fußgängerverkehrs zu erwarten gewesen sei. Denn auch diese Feststellung bezieht sich lediglich auf eine nach Auffassung des Antragstellers maßgebliche Vorfrage. So legt der Antragsteller selbst dar, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anwendung unmittelbaren Zwangs von der Beantwortung der Frage abhänge, ob der Antragsteller sein Fahrrad dort zu schieben gehabt habe, wo die geringste Beeinträchtigung des Fußgängerverkehrs zu erwarten gewesen sei, weil unmittelbarer Zwang seiner Ansicht nach nur dann möglich gewesen wäre, wenn man diese Frage verneine.

c) Dass der Antragsteller die Feststellung begehrt, dass der Polizeibeamte in Zivilkleidung verpflichtet war, auf Verlangen des Antragstellers seinen Dienstausweis so vorzuzeigen, dass seine Lesbarkeit nicht durch das Ausweisfach beeinträchtigt wurde, ergibt sich mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im Vorbringen des Antragstellers unmittelbar aus dem Antrag zu 4.

d) Soweit der Antragsteller im Hinblick auf die beabsichtigte Klage beantragt festzustellen, dass die Androhung, sein Fahrrad sicherzustellen (Antrag zu 6.), und die Androhung, ihn im Wiederholungsfall über Nacht in Gewahrsam zu nehmen, zu Unrecht erfolgt und unzulässig gewesen seien (Antrag zu 7.), ist sein nach § 88 VwGO maßgebliches Klagebegehren als auf die vorbeugende Feststellung gerichtet zu verstehen, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, das Fahrrad des Antragstellers sicherzustellen und ihn in Gewahrsam zu nehmen.

Dem Antragsteller geht es mit der beabsichtigten Klage um die Klarstellung, dass die Polizei nicht berechtigt sei, ihn wegen seines, wie er meint, zulässigen Verhaltens in der Fußgängerzone während des Straßenmusikfestivals in Gewahrsam zu nehmen und sein Fahrrad sicherzustellen. Diesem Ziel entspricht es, die beabsichtigte Klage entgegen der Formulierung des Antragstellers nicht als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zu verstehen, die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Androhung gerichtet ist, das Fahrrad des Antragstellers sicherstellen und ihn in Gewahrsam zu nehmen, sondern als vorbeugende Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO mit dem Antrag festzustellen, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, das Fahrrad des Antragstellers sicherzustellen und ihn in Gewahrsam zu nehmen.

aa) Eine Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kommt mit den vom Antragsteller für die beabsichtigte Klage ausdrücklich angekündigten Anträgen festzustellen, dass die Androhung, sein Fahrrad sicherzustellen, und die Androhung, ihn im Wiederholungsfall über Nacht in Gewahrsam zu nehmen, zu Unrecht erfolgt und unzulässig gewesen seien, nicht in Betracht.

Zwar wäre eine solche Klage denkbar, wenn die Polizei dem Antragsteller mit ihren von diesem als Androhung von Sicherstellung und Gewahrsam verstandenen Äußerungen nach Art. 59 Abs. 1 Satz 1 PAG ein Zwangsmittel angedroht hätte. Denn die Zwangsmittelandrohung stellt einen Verwaltungsakt dar (vgl. Berner/Köhler/Käß, PAG, 20. Aufl. 2010, Art. 59 Rn. 5), gegen den im Falle seiner Erledigung in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO grundsätzlich mit der Fortsetzungsfeststellungsklage vorgegangen werden kann. Jedoch handelt es sich bei der Äußerung der Polizei, im Falle einer Zuwiderhandlung des Antragstellers gegen den Platzverweis könne sein Fahrrad sichergestellt und er selbst in Gewahrsam genommen werden, nicht um die Androhung von Zwangsmitteln. Denn die Sicherstellung des Fahrrads nach Art. 25 Nr. 1 PAG und der Gewahrsam zur Durchsetzung der Platzverweisung nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG stellen keine Zwangsmittel dar, die gemäß Art. 54 Abs. 2 PAG nach Maßgabe von Art. 59 und Art. 64 PAG anzudrohen sind, sondern eigenständige polizeiliche Maßnahmen. Daher dienten auch die vom Antragsteller als Androhung solcher Maßnahmen verstandenen Äußerungen der Polizei nicht der Einzelfallregelung, dass das Fahrrad des Antragstellers sichergestellt und er selbst in Gewahrsam genommen werde, wenn er gegen die Platzverweisung verstoße. Es handelte sich vielmehr, wie der Bericht des beteiligten Polizeibeamten vom 28. September 2012 bestätigt, lediglich um einen eine entsprechende Frage des Antragstellers beantwortenden Hinweis auf die der Polizei im Falle einer Nichtbeachtung des Platzverweises zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Lag damit ein Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG nicht vor, so scheidet auch eine Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO aus.

bb) Hingegen entspricht dem Ziel des Antragstellers, die Klarstellung zu erreichen, dass die Polizei nicht berechtigt ist, ihn wegen seines, wie er meint, zulässigen Verhaltens in der Fußgängerzone während des Straßenmusikfestivals in Gewahrsam zu nehmen und sein Fahrrad sicherzustellen, eine vorbeugende Feststellungsklage mit dem Antrag festzustellen, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, das Fahrrad des Antragstellers sicherzustellen und ihn in Gewahrsam zu nehmen.

Anders als eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist eine solche Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO auch statthaft. Denn die Feststellung, auf die sie sich bezieht, betrifft das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses, wie dies nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderlich ist. Als Rechtsverhältnis im Sinne dieser Regelung werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 23.1.1992 - 3 C 50/89 - juris Rn. 29). Danach stellt die Berechtigung des Beklagten, das Fahrrad des Antragstellers sicherzustellen und ihn in Gewahrsam zu nehmen, aber ein Rechtsverhältnis dar, dessen Nichtbestehen Gegenstand der vom Antragsteller begehrten Feststellung ist. Sie betrifft die rechtlichen Beziehungen des Beklagten zum Antragsteller, die sich unter Bedingungen, wie sie in der W. Fußgängerzone während des Straßenmusikfestes geherrscht haben, aus einem Verhalten des Antragstellers, wie er es unter diesen Bedingungen an den Tag gelegt hat, aus Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 und Art. 25 Nr. 1 PAG und damit aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund von diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Normen ergeben.

e) Dem Antrag zu 9. festzustellen, dass die Stadt W. und der Straßenbahnbetrieb selbst es gewesen seien, die die Verzögerungen des Straßenbahnverkehrs durch Besucher des Straßenmusikfestivals allgemein provoziert hätten, dass, wer versuche, mit einer Straßenbahn während einer offiziellen Veranstaltung durch solche Menschenmassen in einer Fußgängerzone zu fahren, als Konsequenz auch erhebliche Verzögerungen in Kauf zu nehmen habe und dass dies von der Polizei insbesondere nicht dem Antragsteller als Einzelperson habe zur Last gelegt werden dürfen, kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Mit ihm will der Antragsteller aufzeigen, dass die Entscheidung, den Straßenbahnverkehr während des Straßenmusikfestivals aufrechtzuerhalten, mit Verzögerungen verbunden gewesen sei, die von der Polizei nicht ihm und den anderen Festbesuchern zugerechnet werden dürften. Damit misst er der Frage der Zurechenbarkeit der Verzögerungen im Straßenverkehr während des Straßenmusikfestivals aber Bedeutung für alle polizeilichen Maßnahmen bei, auf die sich seine beabsichtigte Klage bezieht. Es handelt sich also seiner Ansicht nach um eine bei der Überprüfung dieser Maßnahmen jeweils zu beachtende Vorfrage.

2. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO a. F. für die im obengenannten Sinne verstandene Klage des Antragstellers liegen nicht vor.

Nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO a. F. erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Danach ist dem Antragsteller Prozesskostenhilfe aber nicht zu bewilligen. Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bot zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt (a) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (b).

a) Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2013 - 10 C 12.1757 - juris Rn. 25; B.v. 19.3.2013 - 10 C 13.334, 10 C 1310 C 13.371 - juris Rn. 26 m. w. N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (§ 166 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO a. F.) ein (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 - 10 C 39.07 u. a. - juris Rn. 1). Danach war der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe aber mit Eingang der Stellungnahme des Beklagten zu dem vollständigen Prozesskostenhilfeantrag vom 20. September 2012 am 25. Oktober 2012 entscheidungsreif.

b) Nach der Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt bot die beabsichtigte Klage aber keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

aa) Dies gilt zunächst, soweit die Klage auf die Feststellung gerichtet ist, dass die Platzverweisung durch den Polizeibeamten in Zivilkleidung rechtswidrig war. Denn die als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthafte Klage war zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt unbegründet. Denn die Platzverweisung, die in der an den Antragsteller gerichteten Aufforderung des Polizeibeamten in Zivilkleidung lag, das Straßenbahngleis freizugeben, war rechtmäßig.

Als Rechtsgrundlage kam Art. 16 Satz 1 PAG in Betracht. Danach kann die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes untersagen. Diese Voraussetzungen waren erfüllt. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Polizeibeamte das ihm dadurch eröffnete Ermessen fehlerhaft ausgeübt hätte.

aaa) Durch die Aufforderung, zur Seite zu gehen und das Gleis für die Straßenbahn freizugeben, hat der Polizeibeamte den Antragsteller vorübergehend von einem Ort verwiesen. Dies geschah auch zur Abwehr einer Gefahr.

Zur Abwehr einer Gefahr erfolgt die Platzverweisung ebenso wie eine Maßnahme aufgrund von Art. 11 Abs. 1 oder 2 PAG insbesondere, wenn sie der Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit dient (vgl. Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG, 3. Aufl. 2011, Art. 16 Rn. 14; Berner/Köh-ler/Käß, PAG, 20. Aufl. 2010, Art. 16 Rn. 2). Die öffentliche Sicherheit umfasst dabei die Unversehrtheit der Rechtsordnung. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, zu deren Abwehr eine Platzverweisung grundsätzlich erfolgen kann, besteht daher bei jedem Verstoß gegen Rechtsvorschriften (vgl. Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG, 3. Aufl. 2011, Art. 11 Rn. 57 und 62 ff.; Berner/Köhler/Käß, PAG, 20. Aufl. 2010, Art. 2 Rn. 5). Danach durfte der Polizeibeamte auf der Grundlage der ihm im Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten, die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der erforderlichen Gefahrenprognose maßgeblich sind (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.1974 - 1 C 31.72 - juris Rn. 38; U.v. 1.7.1975 - 1 C 35.70 - juris Rn. 32; BayVGH, U.v. 26.11.1992 - 21 B 92/1672 - juris Rn. 34), aber vom Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen. Zwar ist offen, ob das Verhalten des Antragstellers mit § 1 Abs. 2 StVO im Einklang stand. Jedenfalls hat der Antragsteller aber gegen § 11 Abs. 3 Halbsatz 1 StVO verstoßen.

(1) Der Antragsteller befand sich zum Zeitpunkt der Platzverweisung in dem durch Zeichen 242.1 ausgewiesenen Fußgängerbereich, der nach § 41 Abs. 1 StVO in Verbindung mit Anlage 2 lfd.Nr. 21 Spalte 3 Nr. 1 zu § 41 Abs. 1 StVO (jeweils in der vom 1. September 2009 bis zum 31. März 2013 gültigen Fassung; a. F.) durch andere Verkehrsteilnehmer nicht benutzt werden durfte, es sei denn, dass dies durch Zusatzzeichen angezeigt war. Fahrzeugführer, die den Fußgängerbereich aufgrund eines solchen Zusatzzeichens benutzen durften, mussten in diesem Fall auf Fußgänger Rücksicht nehmen und die Geschwindigkeit an den Fußgängerverkehr anpassen. Fußgänger durften weder gefährdet noch behindert werden. Wenn nötig mussten Fahrzeugführer warten (§ 41 Abs. 1 StVO a. F. in Verbindung mit Anlage 2 lfd.Nr. 21 Spalte 3 Nr. 2 zu § 41 Abs. 1 StVO a. F.). Diese Regelung galt auch für die durch den Fußgängerbereich fahrenden Straßenbahnen. Da sie in der W. Fußgängerzone, wie die in den Akten befindlichen Fotos belegen, auf straßenbündigem Bahnkörper fahren, nehmen sie am Straßenverkehr teil (§ 55 Abs. 1 Satz 1 BOStrab). Die Fahrzeugführer müssen dabei die sie betreffenden Vorschriften der Straßenverkehrsordnung beachten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 BOStrab). Nach § 50 Abs. 3 BOStrab darf die für den übrigen Straßenverkehr jeweils geltende Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten werden.

Durfte der Antragsteller danach aber auch den Bereich der zum Fußgängerbereich gehörenden Straßenbahngleise nutzen und hatte er dabei Vorrang vor den Straßenbahnen, deren Fahrzeugführer auf ihn als Fußgänger Rücksicht nehmen mussten, ihre Geschwindigkeit dem Fußgängerverkehr anzupassen hatten, ihn weder gefährden noch behindern durften und wenn nötig warten mussten, so spricht dies im Ausgangspunkt dafür, dass er grundsätzlich auch, wie er es seinen Angaben nach getan hat, auf den Straßenbahnschienen stehen durfte, um einer Musikdarbietung im Rahmen des Straßenmusikfestivals zuzuhören.

Offen ist allerdings insoweit, ob er dadurch gegen § 1 Abs. 2 StVO verstieß, nach dem derjenige, der am Verkehr teilnimmt, sich so zu verhalten hat, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Denn soweit § 1 Abs. 2 StVO die Verpflichtung enthält, sich so zu verhalten, dass kein anderer mehr, als nach den Umständen unvermeidbar behindert wird, ist bereits unklar, ob und in welchem Umfang dieses Gebot im Fußgängerbereich für Fußgänger im Verhältnis zum Fahrzeugverkehr überhaupt galt. Nach § 39 Abs. 2 StVO gehen Regelungen durch Verkehrszeichen den allgemeinen Verkehrsregelungen vor. § 1 Abs. 2 StVO galt deshalb nur, soweit § 41 Abs. 1 StVO a. F. in Verbindung mit Anlage 2 lfd.Nr. 21 Spalte 3 zu § 41 Abs. 1 StVO a. F. die Behinderung des Fahrzeugverkehrs durch Fußgänger im Fußgängerbereich nicht regelte. Ob dies der Fall war, ist allerdings nicht ohne weiteres ersichtlich. Zwar regelte § 41 Abs. 1 StVO a. F. in Verbindung mit Anlage 2 lfd.Nr. 21 Spalte 3 zu § 41 Abs. 1 StVO a. F. das Verhalten von Fußgängern gegenüber dem Fahrzeugverkehr seinem Wortlaut nach nicht ausdrücklich und ließ insoweit Raum für die Anwendung der allgemeinen Regelung des § 1 Abs. 2 StVO. Jedoch kam im Hinblick darauf, dass andere Verkehrsteilnehmer als Fußgänger den Fußgängerbereich nur ausnahmsweise benutzen durften, Fahrzeugführer in diesem Fall auf die Fußgänger Rücksicht nehmen, ihre Geschwindigkeit dem Fußgängerverkehr anpassen und, wenn nötig, warten mussten, auch ein anderes Verständnis von § 41 Abs. 1 StVO a. F. in Verbindung mit Anlage 2 lfd.Nr. 21 Spalte 3 zu § 41 Abs. 1 StVO a. F. in Betracht. Die Regelung hätte insoweit möglicherweise im Sinne einer Einschränkung des Gebots des § 1 Abs. 2 StVO verstanden werden können, andere nicht mehr als nach den Umständen unvermeidbar zu behindern. Es stellt sich insoweit insbesondere die Frage, ob eine solche Auslegung daraus folgen könnte, dass § 42 Abs. 2 StVO a. F. in Verbindung mit Anlage 3 lfd.Nr. 12 Spalte 3 Nr. 3 zu § 42 Abs. 2 StVO a. F. für den verkehrsberuhigten Bereich, in dem von vornherein Fahrzeugverkehr neben dem Fußgängerverkehr zulässig war, anders als § 41 Abs. 1 StVO a. F. in Verbindung mit Anlage 2 lfd.Nr. 21 Spalte 3 zu § 41 Abs. 1 StVO a. F. für den grundsätzlich dem Fußgängerverkehr vorbehaltenen Fußgängerbereich ausdrücklich vorsah, dass Fußgänger den Fahrzeugverkehr nicht unnötig behindern durften (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2014 - 10 C 12.132 - Rn. 39).

(2) Jedoch verstieß der Antragsteller gegen § 11 Abs. 3 Halbsatz 1 StVO, als er sich weigerte, die Straßenbahngleise zu verlassen, um einer wartenden Straßenbahn die Weiterfahrt zu ermöglichen, als ihn die im Rahmen des Straßenmusikfestivals zu diesem Zweck eingesetzten Ordner dazu aufforderten, und als er stattdessen auf dem Recht beharrte, den Musikdarbietungen auch auf den Gleisen zuzuhören, das er für sich in Anspruch nahm. Denn auch wer sonst nach den Verkehrsregeln weiterfahren darf oder anderweitig Vorrang hat, muss nach dieser Regelung darauf verzichten, wenn die Verkehrslage es erfordert. Selbst wenn der Antragsteller, wie er meint, aufgrund von § 41 Abs. 1 StVO a. F. in Verbindung mit Anlage 2 lfd.Nr. 21 Spalte 3 Nr. 2 zu § 41 Abs. 1 StVO a. F. berechtigt gewesen wäre, sich weiter auf den Gleisen aufzuhalten, und er auch nicht nach § 1 Abs. 2 StVO verpflichtet gewesen wäre, die wartende Straßenbahn vorbeifahren zu lassen, hätte er danach aber auf seinen Vorrang verzichten müssen. Denn die Verkehrslage erforderte dies.

§ 11 Abs. 3 Halbsatz 1 StVO gebietet es den Verkehrsteilnehmern, nicht auf ihren Vorrang zu pochen, sondern Rücksicht auf andere - an sich nicht Bevorrechtigte - zu nehmen, um ihnen schwierige Verkehrsvorgänge zu erleichtern (vgl. Heß in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl. 2014, § 11 StVO Rn. 4). Legt man diesen Zweck zugrunde, so erforderte es hier die Verkehrslage aber offensichtlich, dass der Antragsteller auf seinen Vorrang verzichtete, um die Straßenbahn vorbeifahren zu lassen. Zwar musste diese nach § 41 Abs. 1 StVO a. F. in Verbindung mit Anlage 2 lfd.Nr. 21 Spalte 3 Nr. 2 zu § 41 StVO a. F. auf Fußgänger Rücksicht nehmen, durfte sie nicht behindern und musste, wie sie es auch getan hat, wenn nötig, warten. Unter Beachtung dieses Vorrangs der Fußgänger war sie jedoch gleichwohl berechtigt, durch die Fußgängerzone zu fahren. Unter den Umständen, wie sie beim Straßenmusikfestival auf dem D-platz herrschten, war ihr dies angesichts ihrer Schienengebundenheit jedoch nur dann möglich, wenn der Antragsteller, der mit seinem Fahrrad auf den Straßenbahnschienen stand, um einer Musikdarbietung zuzuhören, sie vorbeifahren ließ. Berücksichtigt man, dass er dazu lediglich für die Dauer des Vorbeifahrens zur Seite gehen musste, so erforderte es die Verkehrslage, dass er auf die Straßenbahn Rücksicht nahm und ihr durch einen Verzicht auf seinen Vorrang die angesichts des hohen Fußgängeraufkommens während des Straßenmusikfestivals schwierige Durchfahrt durch den Fußgängerbereich erleichterte, statt auf diesen Vorrang zu pochen. Da er dies unterließ und damit gegen § 11 Abs. 3 Halbsatz 1 StVO verstieß, lag aber eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, zu deren Abwehr er nach Art. 16 Satz 1 PAG vorübergehend von den Schienen verwiesen werden konnte.

bbb) Die Platzverweisung war auch nicht ermessensfehlerhaft. Der Polizeibeamte in Zivilkleidung, der den Antragsteller aufforderte, zur Seite zu gehen, hat sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung in Art. 16 Satz 1 PAG ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten (Art. 40 BayVwVfG; § 114 Satz 1 VwGO).

Da Art. 16 Satz 1 PAG die Polizei ermächtigt, Personen zur Abwehr einer Gefahr von einem Ort zu verweisen, und das Verweilen des Antragstellers auf den Straßenbahngleisen unter Inanspruchnahme seines Vorrangs gegenüber der Straßenbahn, wie ausgeführt, im Hinblick auf den darin liegenden Verstoß gegen § 11 Abs. 3 Halbsatz 1 StVO hhhHHheine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellte, entsprach es dem Zweck der Ermächtigung, diese Gefahr durch Aufforderung des Antragstellers zu beseitigen, zur Seite zu gehen und die Gleise zu verlassen.

Diese Platzverweisung war dazu auch geeignet. Denn der Verstoß gegen § 11 Abs. 3 Halbsatz 1 StVO wäre beendet gewesen, wenn der Antragsteller unter Verzicht auf seinen Vorrang die Straßenbahngleise verlassen hätte.

Der Platzverweis war darüber hinaus erforderlich, um die in der Verletzung von § 11 Abs. 3 Halbsatz 1 StVO liegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu beseitigen. Denn die Versuche des Polizeibeamten, den Antragsteller ohne polizeiliche Anordnung im Gespräch durch Argumente dazu zu bringen, die Gleise freiwillig zu verlassen, waren erfolglos geblieben, so dass ein den Antragsteller weniger belastendes Mittel nicht mehr zur Verfügung stand (Art. 4 Abs. 1 PAG).

Schließlich führte die Platzverweisung auch nicht zu einem Nachteil, der zu dem erstrebten Erfolg außer Verhältnis stand (Art. 4 Abs. 2 PAG). Der Nachteil, der für den Antragsteller bestanden hätte, wenn er der Aufforderung, zur Seite zu gehen, um die Straßenbahn vorbeifahren zu lassen, beschränkte sich darauf, dass er die Gleise für einen kurzen Zeitraum verlassen musste. Je nachdem, auf welche Seite der Gleise er sich dabei begeben hätte, hätte er außerdem für die Dauer des Vorbeifahrens der Straßenbahn der Musikdarbietung, der er zuhören wollte, nicht mehr oder nur noch eingeschränkt folgen können. Dieser Nachteil steht aber nicht erkennbar außer Verhältnis zu dem mit dem Platzverweis erstrebten Erfolg. Denn dieser bestand darin, der Straßenbahn und insbesondere deren Fahrgästen eine weitere Verzögerung von ungewisser Dauer zu ersparen. Das Interesse der Fahrgäste, ohne vermeidbare Verspätung an ihr Ziel zu gelangen, überwog aber im Hinblick darauf, dass der Verzicht auf seinen Vorrang für den Antragsteller, wie dargelegt, nur mit geringen Nachteilen verbunden gewesen wäre, sein Interesse an der Wahrung dieses Vorrangs.

bb) Keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat die beabsichtigte Klage auch, soweit der Antragsteller die Feststellung begehrt, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Platzverweisung rechtswidrig war. Denn insoweit ist die Klage bereits unzulässig. Sie ist nicht in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft, weil ein Verwaltungsakt, dessen Rechtswidrigkeit festgestellt werden könnte, nicht vorlag.

Zwar handelt es sich bei der Anwendung von unmittelbarem Zwang zur Durchsetzung einer Platzverweisung um einen Verwaltungsakt (vgl. Berner/Köhler/Käß, PAG, 20. Aufl. 2010, Art. 58 Rn. 8; BVerwG, U.v. 9.2.1967 - 1 V 69.64 - juris Rn. 14). Jedoch hat der Polizeibeamte in Zivilkleidung aller Wahrscheinlichkeit nach zur Durchsetzung seines Platzverweises keinen unmittelbaren Zwang angewandt.

Der Antragsteller trägt zwar vor, der Polizeibeamte sei auf dem Weg vom D-platz zum Dom schräg hinter oder neben ihm gegangen, habe mehrfach an seinem Fahrrad gezerrt und ihm etwa fünfzehn Rammstöße mit der Schulter oder dem Gesäß versetzt. Bei vier Stößen habe der Antragsteller erhebliche Schwierigkeiten gehabt, nicht seitlich über sein Rad zu stürzen. Jedoch stellt der Polizeibeamte in seiner Stellungnahme vom 28. September 2012 dies in Abrede. Das Vorbringen des Antragstellers entbehre insoweit jeglicher Grundlage. Es sei zwar wohl ein paar Mal zu seitlichem Körperkontakt gekommen. Dies habe aber auf Lenkbewegungen des Antragstellers beruht. Nach Aussage eines Zeugen, der den Antragsteller und den Polizeibeamten auf dem Weg zum Dom begleitete, versuchte der Polizeibeamte zwar, den Antragsteller nach rechts von den Gleisen zu leiten. Von einem Zerren am Fahrrad des Antragstellers oder von Rammstößen mit Schultern oder Gesäß berichtet er jedoch nicht. Nach den Wahrnehmungen der Straßenbahnfahrerin schubste hingegen der Antragsteller.

Unabhängig davon, ob der wiederholte Körperkontakt zwischen dem Antragsteller und dem Polizeibeamten durch den Polizeibeamten herbeigeführt worden ist oder ob er auf dem Verhalten des Antragstellers beruhte, lässt er sich aller Wahrscheinlichkeit nach jedenfalls nicht als Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung des vorangegangen Platzverweises verstehen. Nach seiner Stellungnahme vom 28. September 2012 sah der Polizeibeamte vielmehr von weiteren polizeilichen Maßnahmen ab, um ein Eskalieren der Situation zu vermeiden, nachdem der Antragsteller der Aufforderung, das Straßenbahngleis kurzfristig für den seinetwegen wartenden Straßenbahnzug freizumachen, nicht nachgekommen war. Dass dies zutrifft und dass der Polizeibeamte dementsprechend auch nicht versucht hat, seine Platzverweisung mit Hilfe von unmittelbarem Zwang durchzusetzen, wird dabei dadurch bestätigt, dass er stattdessen eine Polizeistreife angefordert hat, um das Verhalten des Antragstellers zu unterbinden. Schließlich spricht dafür auch, dass der Beamte auf dem Weg vom D-platz zum Dom genügend Zeit gehabt hätte, den Antragsteller tatsächlich mit körperlicher Gewalt von den Schienen zu entfernen, wenn er dies vorgehabt hätte.

cc) Auch soweit der Antragsteller die Feststellung begehrt, dass der Polizeibeamte in Zivilkleidung verpflichtet war, auf Verlangen des Antragstellers seinen Dienstausweis so vorzuzeigen, dass seine Lesbarkeit nicht durch das Ausweisfach beeinträchtigt wurde, hat die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Klage ist mangels des erforderlichen Feststellungsinteresses unzulässig. Der Antragsteller hat nicht das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Interesse an der baldigen Feststellung des Rechtsverhältnisses, auf das sich seine Feststellungsklage bezieht. Insbesondere ergibt sich ein solches Feststellungsinteresse weder aus einer Wiederholungsgefahr noch aus einem Rehabilitierungsinteresse des Antragstellers (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 43 Rn. 34).

aaa) Eine Wiederholungsgefahr liegt nicht vor. Eine hinreichend bestimmte Gefahr, dass die Polizei unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen ein gleichartiges Verhalten an den Tag legen wird, besteht nicht (vgl. BVerwG, B.v. 21.10.1999 - 1 B 37.99 - juris Rn. 5; U.v. 12.10.2006 - 4 C 12.04 - juris Rn. 8; U.v. 18.10.2007 - 6 C 47.06 - juris Rn. 13). Zwar ist es nicht auszuschließen, dass der Antragsteller, gegen den wegen des Betretens und Begehens der Straßenbahngleise in der W. Fußgängerzone bereits wiederholt polizeiliche Maßnahmen ergangen sind, erneut in Kontakt mit der Polizei kommen wird. Jedoch bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dies unter den gleichen tatsächlichen Umständen geschehen wird wie während des Straßenmusikfestivals. Insbesondere erscheint es eher unwahrscheinlich, dass erneut ein zufällig hinzukommender Polizeibeamter in Zivilkleidung, der seinen Dienstausweis in einem Ausweisfach seines Geldbeutels mit schwarzer „Fliegendrahtvergitterung“ mit sich führt, wegen des Aufenthalts des Antragstellers auf den Straßenbahngleisen gegen ihn polizeiliche Maßnahmen ergreifen wird, die dem Antragsteller Anlass geben, sich seinen Dienstausweis nach Art. 6 Satz 1 PAG vorlegen zu lassen.

bbb) Auch bestand zum maßgeblichen Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage entgegen der Ansicht des Antragstellers ein Rehabilitierungsinteresse nicht wegen der therapeutischen Rehabilitation in Bezug auf seine, wie er vorträgt, durch das polizeiliche Verhalten ausgelöste Retraumatisierung. Denn bei der Annahme eines Feststellungsinteresses nach § 43 Abs. 1 VwGO wegen eines berechtigten Interesses an einer Rehabilitierung geht es nicht um eine Rehabilitation im medizinischen Sinne, wie der Antragsteller sie ins Feld führt. Ein Rehabilitierungsinteresse im Sinne des nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderlichen Feststellungsinteresses kann vielmehr nur bestehen, wenn ein Verwaltungshandeln einen diskriminierenden, ehrenrührigen Inhalt hat, der dem Ansehen des Betroffenen abträglich ist (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 113 Rn. 92 m. w. N.). Dass das Vorzeigen eines polizeilichen Dienstausweises nur deshalb einen diskriminierenden oder ehrenrührigen, den Antragsteller herabsetzenden Inhalt haben könnte, weil der Dienstausweis sich in einem mit schwarzer „Fliegendrahtvergitterung“ versehenen Ausweisfach eines Geldbeutels befand, ist aber nicht ersichtlich.

dd) Schließlich bot die beabsichtigte Klage auch insoweit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, als der Antragsteller im Wege der vorbeugenden Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO die Feststellung begehrt, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, das Fahrrad des Antragstellers sicherzustellen und ihn in Gewahrsam zu nehmen. Denn eine solche Klage wäre zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags unzulässig gewesen. Der Antragsteller hatte nicht das für die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1985 - 3 C 34.84 - juris Rn. 34), weil ihm die Sicherstellung seines Fahrrads nach Art. 25 Nr. 1 PAG und polizeilicher Gewahrsam nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG nicht hinreichend sicher drohten (vgl. Pietzcker in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 25. Ergänzungslieferung 2013, § 43 Rn. 49 und § 42 Abs. 1 Rn. 163 und 165 m. w. N.).

Zwar hat die Polizeistreife, die ihn am Dom wegen Nötigung als Beschuldigten vernommen hat, dem Antragsteller gegenüber geäußert, dass sein Fahrrad sichergestellt werden und er gegebenenfalls während des Straßenmusikfestivals über Nacht in Gewahrsam genommen werden könne, wenn er dem von der Streife ausgesprochenen Platzverweis zuwiderhandele. Jedoch kann daraus nicht mit der erforderlichen hinreichenden Sicherheit geschlossen werden, dass dem Antragsteller zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt Sicherstellung und Gewahrsam tatsächlich drohten. Das Straßenmusikfestival, in Zusammenhang mit dem der Platzverweis und die Äußerungen der Polizeistreife zur Möglichkeit, das Fahrrad des Antragstellers sicherzustellen und ihn in Gewahrsam zu nehmen, erfolgten, war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen, ohne dass das Fahrrad sichergestellt oder der Antragsteller in Gewahrsam genommen worden war. Hinreichend sichere Anhaltspunkte dafür, dass solche Maßnahmen auch bei einem späteren Straßenmusikfestival noch erfolgen könnten, liegen aber nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.

(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen einem Verbot der zuständigen Dienststelle eine militärische Einrichtung oder Anlage oder eine Örtlichkeit betritt, die aus Sicherheitsgründen zur Erfüllung dienstlicher Aufgaben der Bundeswehr gesperrt ist.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.

(1) Wer bei öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führt, ohne dazu behördlich ermächtigt zu sein, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer ohne behördliche Ermächtigung Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinne des Satzes 1 auf dem Weg zu öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen mit sich führt, zu derartigen Veranstaltungen hinschafft oder sie zur Verwendung bei derartigen Veranstaltungen bereithält oder verteilt.

(2) Wer

1.
entgegen § 17a Abs. 1 bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich führt,
2.
entgegen § 17a Abs. 2 Nr. 1 an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilnimmt oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurücklegt oder
3.
sich im Anschluß an oder sonst im Zusammenhang mit derartigen Veranstaltungen mit anderen zusammenrottet und dabei
a)
Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führt,
b)
Schutzwaffen oder sonstige in Nummer 1 bezeichnete Gegenstände mit sich führt oder
c)
in der in Nummer 2 bezeichneten Weise aufgemacht ist,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.