Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 04. Dez. 2017 - ... mehr

ECLI:ECLI:DE:OLGKOBL:2017:1204.2WS406.419.17.00
bei uns veröffentlicht am04.12.2017

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Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss der 12. großen Strafkammer - Staatsschutzkammer - des Landgerichts Koblenz vom 29. Mai 2017 zu Ziffer I. (Einstellung des Verfahrens wegen überlanger Verfahrensdauer) aufgehoben.

Das Verfahren ist fortzusetzen.

2. Die sofortigen Beschwerden der Angeklagten ...[A], ...[B], ...[C], ...[E], ...[F], ...[H], ...[J], ...[L], ...[M], ...[N], ...[O], ...[P] und ...[Q] gegen Ziffer II. des vorgenannten Beschlusses (Versagung einer Entschädigung nach dem StrEG) sowie

die sofortigen Beschwerden der Angeklagten ...[B], ...[C], ...[E], ...[F], ...[H], ...[J], ...[L], ...[M], ...[N], ...[O], ...[P] und ...[Q] gegen Ziffer III. Nr. 3 des vorgenannten Beschlusses (Entscheidung über die notwendigen Auslagen)

sind erledigt.

3. Kostenentscheidungen sind nicht veranlasst.

Gründe

I.

1.

1

Gegenstand des Verfahrens sind Straftaten, die im Zusammenhang mit der Gründung und weiteren Aktivitäten des sog. „Aktionsbüros ...[Z]“ von Mitgliedern und Unterstützern dieser Organisation begangen worden sein sollen. Die Angeklagten ...[A], ...[B], ...[C], ...[D], ...[E], ...[F], ...[G], ...[H], ...[J], ...[K], ...[L], ...[N], ...[P] sowie weitere Personen sollen Mitglieder dieser Organisation gewesen sein, während die Angeklagten ...[M], ...[O], ...[R] und ...[Q] zum Kreis der Unterstützer gehört haben sollen. Die Ermittlungen wurden im Jahre 2010 eingeleitet.

2

Am 13. März 2012, zeitgleich mit der Durchsuchung des als „Braunes Haus“ bekannten Objekts in der ...[Y] Straße .. in ...[X], bzw. am Folgetag wurden die Angeklagten ...[A], ...[B], ...[C], ...[D], ...[E], ...[F], ...[G], ...[H], ...[J], ...[K], ...[L], ...[M], ...[N], ...[O], ...[P] und ...[Q] wegen des Verdachts der Bildung bzw. mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung festgenommen und anschließend auf der Grundlage von Haftbefehlen des Amtsgerichts Koblenz in Untersuchungshaft überführt. Am 10. April 2012 wurde der Haftbefehl gegen den Angeklagten ...[D] außer Vollzug gesetzt. Der Angeklagte ...[R] wurde am 8. Mai 2012 festgenommen und ebenfalls gemäß Haftbefehl des Amtsgerichts Koblenz in Untersuchungshaft genommen. Am 10. Mai 2012 wurde der Haftbefehl gegen den Angeklagten ...[O] außer Vollzug gesetzt.

3

Am 14. Juni 2012 erhob die Staatsanwaltschaft gegen die Angeklagten ...[A], ...[B], ...[C], ...[D], ...[E], ...[F], ...[G], ...[H], ...[J], ...[K], ...[L], ...[M], ...[N], ...[O], ...[P], ...[Q], ...[R] und neun weitere Beschuldigte, gegen die das Verfahren bereits abgeschlossen ist, Anklage zur 12. großen Strafkammer - Staatsschutzkammer - des Landgerichts Koblenz Den Angeklagten werden Gründung einer bzw. mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 StGB und eine Vielzahl weiterer Straftaten zur Last gelegt; wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die 926 Seiten umfassende Anklageschrift vom 25. Mai 2012.

4

Mit Beschluss vom 2. Juli 2012 setzte die Strafkammer den Haftbefehl gegen den Angeklagten ...[K] gegen Auflagen außer Vollzug. Der Haftbefehl wurde wegen eines Auflagenverstoßes in der Zeit vom 14. September bis zum 10. Oktober 2012 vorübergehend nochmals in Vollzug gesetzt.

2.

5

Durch Beschluss vom 6. August 2012 ließ die Strafkammer die Anklage im Wesentlichen zu und eröffnete das Hauptverfahren gegen die Angeklagten; darüber hinaus ordnete sie bezüglich der Angeklagten ...[A], ...[B], ...[C], ...[E], ...[F], ...[G], ...[H], ...[J], ...[L], ...[M], ...[N], ...[P], ...[Q] und ...[R] sowie drei weiteren Mitangeklagten, die zwischenzeitlich aus dem Verfahren ausgeschieden sind, die Fortdauer der Untersuchungshaft an.

6

Die Hauptverhandlung begann am 20. August 2012 unter Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters und zweier Ergänzungsschöffen. Sie dauerte bis zum 5. April 2017 an, wobei an 337 Tagen verhandelt wurde (2012: 28 Tage in 19 Wochen, durchschnittlich 1,5 Tage pro Woche; 2013: 69 Tage in 52 Wochen, durchschnittlich 1,3 Tage pro Woche; 2014: 59 Tage in 52 Wochen, durchschnittlich 1,1 Tage pro Woche; 2015: 76 Tage in 52 Wochen, durchschnittlich 1,5 Tage pro Woche; 2016: 83 Tage in 52 Wochen, durchschnittlich 1,6 Tage pro Woche; 2017: 16 Tage in 13 Wochen, durchschnittlich 1,2 Tage pro Woche).

7

Im Verlauf der Hauptverhandlung hob die Kammer die Haftbefehle gegen die Angeklagten ...[K] (07.03.2013), ...[O] (20.03.2013) und ...[D] (21.05.2013), am 21. Mai 2013 auch die Haftbefehle gegen die Angeklagten ...[G], ...[Q] und ...[R], welche zuvor am 18. Januar 2013 außer Vollzug gesetzt worden waren, sowie diejenigen gegen die Angeklagten ...[H], ...[J], ...[N] und ...[P], welche am 6. März 2013 unter Auflagen außer Vollzug gesetzt worden waren, auf.

8

Gegen vier geständige, nach Jugendstrafrecht zu beurteilende Angeklagte wurde das Verfahren abgetrennt und durch Urteil vom 21. November 2013 abgeschlossen. Gegen fünf weitere Angeklagte stellte die Kammer das Verfahren im Zeitraum von Februar 2014 bis Oktober 2016 auf Antrag bzw. mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft nach strafprozessualen Ermessensvorschriften ein.

9

Mit Beschluss vom 7. Januar 2014 hob sie schließlich auch die Haftbefehle gegen die letzten bis dahin noch inhaftierten Angeklagten ...[A], ...[B], ...[C], ...[E], ...[F], ...[L] und ...[M] auf.

10

Mit Ablauf des Monats Januar 2014 schied ein berufsrichterliches Mitglied der Strafkammer wegen Erreichens des 65. Lebensjahres kraft Gesetzes aus; es wurde ab dem 102. Verhandlungstag, dem 28. Januar 2014, durch den nachrückenden Ergänzungsrichter ersetzt. Auch die beiden Ergänzungsschöffen rückten im Laufe des Verfahrens für ausgeschiedene Schöffen nach.

11

Aus Sicht der Strafkammer sollte die Beweisaufnahme im Dezember 2016 im Wesentlichen abgeschlossen gewesen sein.

3.

12

Am 2. Mai 2017 setzte die Kammer die Hauptverhandlung gemäß § 228 Abs. 1 Satz 1 StPO im Hinblick auf das mit Ablauf des Monats Juni 2017 bevorstehende Ausscheiden des Vorsitzenden Richters wegen Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze aus. Die Strafkammer hielt es nicht mehr für möglich, das Verfahren bis zum Ausscheiden des Vorsitzenden Richters durch ein erstinstanzliches Urteil abzuschließen.

13

Mit Beschluss vom 29. Mai 2017 hat die Strafkammer das Verfahren gemäß § 206a StPO eingestellt. Sie hat bestimmt, dass der Angeklagte ...[K] für die gegen ihn vollzogene Untersuchungshaft, die Auflagen aus den Außervollzugsetzungsentscheidungen vom 2. Juli und 10. Oktober 2012, die am 13. März 2012 durchgeführte Durchsuchung einschließlich der anlässlich dieser Maßnahme erfolgten Sicherstellungen sowie für die erfolgte Beschlagnahme von Gegenständen zu entschädigen ist. Sie hat weiter angeordnet, dass auch der Angeklagte ...[R] für den Vollzug der Untersuchungshaft, die Auflagen aus den Außervollzugsetzungsbeschlüssen vom 18. Januar und 7. März 2013, die am 8. Mai 2012 erfolgte Durchsuchung einschließlich der erfolgten Sicherstellungen sowie für die Beschlagnahme von Gegenständen zu entschädigen ist. Hinsichtlich der übrigen Angeklagten hat sie bestimmt, dass eine Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen nicht zu gewähren ist. Sie hat ferner angeordnet, dass die Staatskasse die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten ...[K] und ...[R] zu tragen hat.

14

Die Strafkammer ist der Auffassung, dass wegen überlanger Dauer des Verfahrens ein Verfahrenshindernis gemäß Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gegeben sei. Die bereits in Anspruch genommene und nach Aussetzung des Verfahrens noch zu erwartende weitere Verfahrensdauer sowie die damit einhergegangenen oder noch zu erwartenden Belastungen für die Angeklagten einschließlich von ihnen erlittener Untersuchungshaft stünden in einem „deutlichen“ Missverhältnis zu den noch zu erwartenden Strafen. Dass während der Dauer der Hauptverhandlung zwei berufsrichterliche Mitglieder des Spruchkörpers wegen Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze ausscheiden würden, sei bei der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht absehbar gewesen. Zahlreiche Angeklagte und ihre Verteidiger hätten den Fortgang des Verfahrens durch ihr Verhalten und Verfahrenshandlungen aber auch bewusst sabotiert, um es so lange zu verzögern, dass es nicht mehr vor dem Ausscheiden des Vorsitzenden Richters habe abgeschlossen werden können. Wenn auch maßgeblich das kontraproduktive Verteidigungsverhalten die Aussetzung des Verfahrens verursacht habe, so müsse doch die gebotene Gesamtabwägung unter Berücksichtigung der von staatlicher Seite zu vertretenden Ursachen für das Zustandekommen einer unangemessen langen Verfahrensdauer dazu führen, dass eine Verfahrenseinstellung nach § 206a StPO geboten sei. Denn letztlich trage der Gesetzgeber die Verantwortung dafür, dass es den Angeklagten und ihren Verteidigern durch extensive und rechtsmissbräuchliche Anbringung von Befangenheitsanträgen ermöglicht worden sei, eine Vielzahl angesetzter Hauptverhandlungsterminen zum Ausfall zu bringen und dadurch das Verfahren zu verzögern. Die staatliche Ordnung sei auch dafür verantwortlich, dass keine Möglichkeit bestehe, ein begonnenes Hauptsacheverfahren durch Aufschieben des Eintritts des gesetzlichen Ruhestands eines Berufsrichters wenigstens bis zum Abschluss in erster Instanz fortzusetzen. Ein erheblicher Mitverursachungsanteil sei auf Seiten der Staatsanwaltschaft und darin zu sehen, dass 26 Mitglieder einer mutmaßlich kriminellen Vereinigung gemeinsam angeklagt worden seien, was wegen der damit verbundenen Vielzahl der Prozessbeteiligten die Durchführung einer ordnungsgemäßen Hauptverhandlung nahezu unmöglich gemacht habe. Schließlich sei auch die für die Verzögerung kausale Unterlassung der Beiziehung eines weiteren Ergänzungsrichters von Beginn an von den Justizbehörden zu vertreten.

4.

15

Gegen die Einstellung des Verfahrens wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 31. Mai 2017 (Bl. 14.269 ff. d.A.), welche am 1. Juni 2017 bei dem Landgericht eingegangen ist. Sie ist der Auffassung, ein Verfahrenshindernis sei nicht eingetreten und die Hauptverhandlung in neuer Gerichtsbesetzung vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts zu wiederholen.

16

Soweit ihnen eine Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen versagt worden ist, haben die Angeklagten ...[F] am 31. Mai 2017 (Bl. 14.273 d.A.), ...[O] und ...[L] am 1. Juni 2017 (Bl. 14.274 bzw. 14.282 d.A.), ...[B] am 3. Juni 2017 (Bl. 14.290 d.A.), ...[A] (Bl. 14.297 d.A.), ...[E] (Bl. 14.298, 14.309 d.A.), ...[M] (Bl. 14.299 d.A.), ...[P] (Bl. 14.312 d.A.) und ...[J] (Bl. 14.313 d.A.) am 6. Juni 2017, die Angeklagten ...[N] (Bl. 14.351 d.A.), ...[C] (Bl. 14.359 d.A.) und ...[H] (Bl. 14.365 d.A.) sowie der Angeklagte ...[Q] am 8. Juni 2017 (Bl. 14.370 d.A.) jeweils das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG eingelegt.

17

Darüber hinaus haben, soweit die Strafkammer davon abgesehen hat, ihre notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, der Angeklagte ...[F] am 31. Mai 2017 (Bl. 14.273 d.A.), ...[O] (Bl. 14.274 d.A.) und ...[L] (Bl. 14.275 ff. d.A.) am 1. Juni 2017, ...[B] (Bl. 14.290 d.A.) am 3. Juni 2017, ...[E] (Bl. 14.298 d.A.), ...[M] (Bl. 14.299 d.A.), ...[P] (Bl. 14.312 d.A.) und ...[J] (Bl. 14.313 d.A.) am 6. Juni 2017, ...[C] (Bl. 14.359 d.A.) und ...[H] (Bl. 14.365 d.A.) am 7. Juni 2017 sowie die Angeklagten ...[N] (Bl. 14.351 d.A.) und ...[Q] (Bl. 14.370 d.A.) am 8. Juni 2017 sofortige Beschwerde gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO gegen die Auslagenentscheidung (Ziffer III.3) eingelegt.

18

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Beschluss vom 29. Mai 2017 aufzuheben und festzustellen, dass eine Entscheidung über die sofortigen Beschwerden der Angeklagten ...[F], ...[O], ...[B], ...[A], ...[E], ...[M], ...[P], ...[J], ...[N], ...[C], ...[H] und ...[Q] nicht veranlasst ist.

II.

1.

19

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist gemäß § 206a Abs. 2 StPO statthaft und auch sonst zulässig eingelegt worden. Der Senat hat angesichts der dienstlichen Äußerungen des Geschäftsstellenbeamten beim Landgericht (Bl. 14.459 d.A.) sowie des für das Verfahren zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft vom 6. Juli 2017 (Bl. 14.462 d.A.) keinen Zweifel daran, dass das Rechtsmittel nach am 31. Mai 2017 erfolgter Zustellung der Entscheidung an die Staatsanwaltschaft (Bl. 14.251 d.A.) am 1. Juni 2017 und damit rechtzeitig innerhalb der am 7. Juni 2017 ablaufenden Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO bei Gericht eingegangen ist.

2.

20

Dieses Rechtsmittel hat auch in der Sache den von ihm erstrebten Erfolg. Die Entscheidung der Strafkammer, das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses außerhalb der Hauptverhandlung einzustellen, hat keinen Bestand, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Durch die bisherige Dauer des Strafverfahrens ist kein Verfahrenshindernis entstanden.

21

a) Gemäß § 206a Abs. 1 StPO kann das Gericht das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung - was vorliegend der Fall ist, da die Hauptverhandlung am 2. Mai 2017 ausgesetzt wurde und deswegen nicht mehr andauert - durch Beschluss einstellen, wenn sich nach der Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis herausstellt. Die Vorschrift, die der Verfahrensökonomie und dem Schutz des Angeklagten vor den Belastungen einer Hauptverhandlung dient, betrifft Umstände, die im Gegensatz zu vorübergehenden Verfahrenshindernissen im Sinne von § 205 StPO der Fortsetzung des Verfahrens dauerhaft entgegenstehen. Liegen die Voraussetzungen eines überdauernden Verfahrenshindernisses vor, so ist die Verfahrenseinstellung aus Rechtsgründen geboten, so dass das „kann“ der Vorschrift dem Gericht entgegen dem Wortlaut kein Ermessen in der Sache einräumt (vgl. KK-StPO/Schneider, 7. Aufl. § 206a Rn. 1 mwN.). Wesensmerkmal von überdauernden Verfahrenshindernisse ist, dass ihre einer Fortsetzung des Verfahrens regelmäßig entgegenstehenden Rechtsfolgen unmittelbar eintreten (vgl. BGH, 4 StR 595/97 v. 08.06.1999 - BGHR StPO § 206a Abs. 1 Verfahrenshindernis 7).

22

Verfahrenshindernisse werden nur durch solche Umstände begründet, die es ausschließen, dass über den Prozessgegenstand mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf. Die Umstände müssen deshalb so schwer wiegen, dass von ihrem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muss (vgl. BGH, 1 StR 104/15 v. 06.09.2016 - BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 fair-trial 12; 3 StR 104/87 v. 09.12.1987 - BGHSt 35, 137 ). Dies ist etwa der Fall beim Fehlen deutscher Gerichtsbarkeit oder Gerichtsunterworfenheit, Fehlen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses, Verbrauch der Strafklage, anderweitiger Rechtshängigkeit, vorläufiger Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO, Strafverfolgungsverjährung, Fehlen eines erforderlichen Strafantrags, Strafunmündigkeit eines Kindes, Tod des Angeklagten oder dessen dauernder Verhandlungsunfähigkeit (vgl. die Nachw. und weiteren Beispiele bei KK-StPO/Schneider, aaO. Rn. 7).

23

Darüber hinaus können aber auch Fehler bei der Verfahrensgestaltung zu einem Verfahrenshindernis von Verfassungs wegen führen, wenn dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht mehr durch angemessene Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen der Sachentscheidung, sondern nur noch durch Einstellung des Verfahrens angemessen Rechnung getragen werden kann (vgl. BVerfG, 2 BvR 1089/09 v. 04.09.2009 - Rn. 5 n. juris; 2 BvR 2262/07 v. 29.01.2008 - BVerfGK 13, 231 ; 2 BvR 1471/03 v. 21.01.2004 - BVerfGK 2, 239 ; BGH, 2 StR 232/00 v. 25.10.2000 - BGHSt 46, 159, 171 ; Liebhart NStZ 2017, 254, 262 mwN.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. MRK Art. 6 Rn. 9 mwN.).

24

Hauptanwendungsgebiet hierfür sind die Fälle der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Ein Strafverfahren von überlanger Dauer kann den Beschuldigten zusätzlichen fühlbaren Belastungen aussetzen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Dauer durch vermeidbare Verzögerungen der Justizorgane bedingt ist. Solche Belastungen, die in ihren Auswirkungen der Sanktion selbst gleichkommen können, treten mit zunehmender Verzögerung des Verfahrens in Widerstreit zu dem aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Grundsatz, wonach die Strafe verhältnismäßig sein und in einem gerechten Verhältnis zu dem Verschulden des Täters stehen muss (BVerfG, 2 BvR 1487/90 v. 19.04.1993 - NJW 1993, 3254 ; 1 BvR 505/78 v. 16.04.1980 - BVerfGE 54, 100 ). Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes fordert ebenso wie Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK die angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens, und zwar nicht zuletzt im Interesse des Beschuldigten. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren (vgl. BVerfG, 2 BvR 2338/06 v. 24.11.2006 - Rn. 7 n. juris; 2 BvR 1471/03 v. 21.01.2004 - BVerfGK 2, 239 ). Sie ist aber auch mit dem verfassungsrechtlichen Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege nicht zu vereinbaren, da unnötige Verfahrensverzögerungen die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage stellen und das verfassungsrechtlich abgesicherte öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung beeinträchtigen (vgl. BVerfG, 2 BvR 1089/09 v. 04.09.2009 - Rn. 3 n. juris; 2 BvR 2044/07 v. 15.01.2009 - BVerfGE 122, 248 ).

25

Ob eine mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht mehr in Einklang stehende Verfahrensverzögerung vorliegt, richtet sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls, die in einer umfassenden Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen werden müssen. Faktoren, die hierfür regelmäßig von Bedeutung sind, sind insbesondere der durch vermeidbare Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstands sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen (vgl. zu Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK: EGMR, Urt. 64387/01 v. 10.02.2005 - StV 2005, 475 ).

26

Allein eine überdurchschnittlich lange Dauer des Verfahrens lässt für sich genommen keine Rückschlüsse auf Existenz und Umfang einer den Justizbehörden anzulastenden Verfahrensverzögerung zu (vgl. BVerfG, 2 BvR 2262/07 v. 29.01.2008 - BVerfGK 13, 231 ; 2 BvR 2338/06 v. 24.11.2006 - Rn. 8 n. juris mwN.). Die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung kann jedenfalls dann nicht allein auf den insgesamt abgelaufenen Zeitraum gestützt werden, wenn dem Verfahren ein komplexer Sachverhalt zugrunde liegt, dessen Beurteilung umfangreiche und aufwendige Ermittlungen erforderlich macht (vgl. BGH, 2 StR 232/00 v. 25.10.2000 - BGHSt 46, 159 unter Bezugn. auf BVerfG, 2 BvR 121/83 v. 24.11.1983 - NJW 1984, 967). Der Dauer eines Strafverfahrens sind durch die Vorschriften über die Verfolgungsverjährung, insbesondere § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, von der Tatbeendigung an absolute Grenzen gesetzt, die es ausschließen, dass ein Strafverfahren endlos geführt wird.

27

Wird eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt, so führt dies aber nur in seltenen Ausnahmefällen zu einer Einstellung des Strafverfahrens aufgrund eines dadurch eingetretenen Verfahrenshindernisses. Denn die Tatsache und das Gewicht des Verstoßes lassen sich nur in einer Gesamtabwägung mit Blick auf die dem Verfahren zugrundeliegende Beschuldigung und das Maß des Verschuldens bestimmen; diese Feststellung entzieht sich einer allein formellen Betrachtung (vgl. BGH, 2 StR 232/00 v. 25.10.2000 - BGHSt 46, 159 ). Da dem Umstand der überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer neben der langen Zeitspanne zwischen Tatbegehung und Aburteilung bei der Strafzumessung eigenständige strafmildernde Bedeutung zukommt, wenn sie für den Angeklagten mit besonderen Belastungen verbunden ist (vgl. BGH, 1 StR 45/17 v. 09.06.2017 - NStZ-RR 2017, 305 ), kommt die Annahme eines Verfahrenshindernisses wegen rechtsstaatswidrig überlanger Verfahrensdauer nur in Betracht, wenn eine angemessene Kompensation des Verstoßes gegen das Verzögerungsverbot bei der Strafzumessung nicht mehr erreicht werden kann (vgl. KK-StPO/ Schneider, aaO. Rn. 8; LR-StPO/Stuckenberg, § 206a Rn. 83; Krehl/Eidam, Die überlange Dauer von Strafverfahren, NStZ 2006, 1 <9 f.>). Nur wenn das Recht des Verfolgten auf alsbaldige und schnelle Verhandlung in unerträglicher Weise verletzt ist und die eingetretene Verzögerung einer Rechtsverweigerung gleichkommt, kann die Verletzung des Beschleunigungsgebots als Prozesshindernis angesehen werden, weil in solchen Fällen ein anerkennenswertes Interesse an weiterer Strafverfolgung nicht mehr besteht und eine Fortsetzung des Verfahrens rechtsstaatlich nicht mehr hinnehmbar ist (vgl. OLG Koblenz, 1 Ws 502/92 v. 09.12.1992 - NJW 1994, 1887 unter Bezugn. auf. BVerfG, 2 BvR 121/81 v. 24.11.1993 - NJW 1984, 967; vgl. auch Kempf, StV 2001, 134 ff.).

28

b) Bei Anlegung dieses Maßstabs kann vorliegend eine zu einem Verfahrenshindernis führende überlange Verfahrensdauer nicht angenommen werden. Es liegt schon keine rechtsstaatswidrige Verzögerung vor.

29

Das Verfahren ist prozessordnungsgemäß durchgeführt und angemessen beschleunigt worden. Dass es bislang nicht zu einem Abschluss gebracht werden konnte, findet seine Ursache nicht in den Justizbehörden zurechenbaren Verzögerungen, sondern allein in Umfang und Komplexität des Verfahrensgegenstands sowie den gesetzlichen Vorgaben der Strafprozessordnung und des Landesrichtergesetzes.

30

aa) Soweit den nachfolgenden Ausführungen Feststellungen zu der vom 20. August 2012 bis zum 5. April 2017 durchgeführten Hauptverhandlung zu Grunde liegen, ist der Senat nicht daran gehindert, diese den vorliegenden Protokollbänden zu entnehmen, auch wenn die einzelnen Tagesprotokolle mehrheitlich nicht im Sinne von § 271 Abs. 1 StPO von den hierzu berufenen Personen unterschrieben sind. Die fehlende Fertigstellung des als eine Einheit anzusehenden Hauptverhandlungsprotokolls steht lediglich der Zustellung eines in der Verhandlung ergangenen Urteils entgegen (§ 273 Abs. 4 StPO), was für das vorliegende Verfahren ohnehin nicht mehr in Betracht kommt. Darüber hinaus verhindert die fehlende Unterschriftsleistung, dass das Protokoll Urkundenqualität erlangt. Trotz dieses Mangels kann der Senat das nicht fertiggestellte Hauptverhandlungsprotokoll für seine Sachentscheidung als sonstiges Schriftstück verwerten. Da es um eine Beweiserhebung außerhalb der Hauptverhandlung geht, sind die Grundsätze des Freibeweisverfahrens anzuwenden, bei dem es dem Gericht erlaubt ist, alle ihm zugänglichen Erkenntnisquellen zu benutzen, zu denen die Prozessbeteiligten rechtliches Gehör hatten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO. § 244 Rn. 7 u. 9; KK-StPO/Krehl, 7. Aufl. § 244 Rn. 16). Im Freibeweisverfahren ist das Gericht nicht auf die Verwertung von Urkunden beschränkt; es kann vielmehr alle verfahrensrelevanten Schriftstücke zum Gegenstand der Entscheidungsfindung machen. Dies betrifft auch die dem Senat vorliegenden Protokollbände, zu denen rechtliches Gehör gewährt worden ist.

31

bb) Der äußere Ablauf des Verfahrens lässt vermeidbare, das Rechtsstaatsgebot berührende Verzögerungen in der Sachbearbeitung nicht erkennen.

32

Durch die von 2010 bis zum Eintritt in die sog. „offene Phase“ durchgeführten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen wurden die Angeklagten nicht belastet, da ihnen weder die Durchführung der Ermittlungen noch der Tatvorwurf bekannt gegeben worden war. Abzustellen ist daher auf den Zeitraum nach Inhaftierung des überwiegenden Teils der Angeklagten (13. März 2012). Danach nahm der Abschluss der Ermittlungen bis zur Fertigstellung der Anklageschrift am 25. Mai 2012 nur noch einen Zeitraum von etwas mehr als drei Monaten in Anspruch, obwohl der Verfahrensstoff wegen der Vielzahl der Angeklagten und der ihnen zur Last gelegten Straftaten außergewöhnlich umfangreich ist.

33

Dass die Staatsanwaltschaft alle in Zusammenhang mit der Gründung der und mitgliedschaftlichen Beteiligung an der von ihr als kriminelle Vereinigung im Sinne von § 129 Abs. 1 StGB angesehenen Organisation stehenden Straftaten zu einem einzigen Strafverfahren verbunden und gemeinsam bei der Strafkammer angeklagt hat, hat nicht zu einer den Justizbehörden anzulastenden Verfahrensverzögerung geführt, sondern ist durch das Prozessrecht veranlasst und geboten gewesen. Die auf § 3 StPO gestützte Verbindung war auch in Ansehung der Vielzahl der Angeklagten und Straftaten sachgerecht, da sie Mehrarbeit erspart und insbesondere verhindert, dass derselbe Sachverhalt von mehreren Gerichten unterschiedlich beurteilt wird (vgl. hierzu BGH, 1 StR 265/62 v. 05.02.1963 - BGHSt 18, 238 ; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO. § 2 Rn. 2). Dass das Verbundverfahren einen weitaus überdurchschnittlichen und ungewöhnlich hohen Bearbeitungsaufwand erfordert, ist im Interesse einer funktionsfähigen Strafrechtspflege hinzunehmen (vgl. BVerfG, 2 BvR 804/76 v. 21.06.1977 - BVerfGE 45, 354 ). Abgesehen davon wäre die 12. Strafkammer des Landgerichts Koblenz als Staatsschutzkammer aber auch bei einer Aufspaltung des Verfahrens jedenfalls für die Mehrzahl der Angeklagten weiterhin zuständig und wegen der Inhaftierung der überwiegenden Anzahl der Angeklagten zum Zeitpunkt der Anklageerhebung zur zeitgleichen Durchführung von Parallelverhandlungen veranlasst gewesen, was unter verfahrensökonomischen Gesichtspunkten nicht sinnvoll gewesen wäre.

34

Auch im Zuständigkeitsbereich der Staatsschutzkammer ist das Verfahren mit angemessener Beschleunigung durchgeführt worden. Die am 14. Juni 2012 beim Landgericht eingegangene Anklageschrift ließ der Vorsitzende durch Verfügung vom 19. Juni 2017 an die Angeklagten und ihre Verteidiger mit einer dem Umfang der Anklageschrift angemessenen Erklärungsfrist von einem Monat zustellen (Bl. 5.761 d.A.). Nach Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens am 6. August 2012 begann die Hauptverhandlung bereits am 20. August 2012. Sie wurde fortlaufend zunächst an zwei Tagen pro Woche, seit 2014 überwiegend auch an drei Tagen pro Woche durchgeführt, obwohl nach Aufhebung der letzten noch bestehenden Haftbefehle am 7. Januar 2014 das Gebot der besonderen Beschleunigung von Haftsachen nicht mehr galt. Die sich daraus unter Berücksichtigung notwendiger Unterbrechungen, etwa wegen Abwesenheit von Verfahrensbeteiligten, Urlaubs von Senatsmitgliedern, ergebende, oben (Seite 6) aufgeführte Terminsfrequenz steht in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Beschleunigungsgebot in Haftsachen, wonach bei - wie hier - absehbar umfangreicheren Verfahren eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig ist (vgl. BGH, StB 5/16 v. 21.04.2016 - NStZ-RR 2016, 217 ). Insgesamt lässt der Ablauf des Verfahrens erkennen, dass es durch Staatsanwaltschaft und Gericht ununterbrochen gefördert worden ist, was, das gerichtliche Verfahren betreffend, auch daraus zu entnehmen ist, dass die befasste Strafkammer durch Präsidiumsbeschluss von der Bearbeitung weiterer Strafverfahren freigestellt worden war.

35

cc) Soweit die in der Hauptverhandlung zur Entscheidung des Gerichts gestellte Vielzahl von Anträgen - nach Darstellung der Kammer mehr als 500 Befangenheitsanträge, mehr als 240 Beweisanträge, mehr als 400 Anträge zum Verfahrensablauf und mehr als 50 Gegenvorstellungen - zu einer Hemmung des Verfahrensfortgangs beigetragen haben, ist daraus eine rechtsstaatswidrige Verzögerung nicht abzuleiten. Denn bei der Bewertung, ob eine solche eingetreten ist, finden Verzögerungen, die der Beschuldigte selbst verursacht hat, keine Berücksichtigung, gleichgültig ob die Verzögerungen auf zulässiges oder unzulässiges Prozessverhalten zurückzuführen sind (vgl. BVerfG, 2 BvR 2338/06 v. 24.11.2006 - Rn. 8 n. juris; 2 BvR 157/03 v. 30.06.2005 - NStZ-RR 2005, 346 ; 2 BvR 1487/90 v. 19.04.1993 - NJW 1993, 3254 ; 2 BvR 121/83 v. 24.11.1983 - NJW 1984, 967 ). Es kann daher dahinstehen, ob den Anträgen ein sachlich begründetes Begehren zugrunde lag oder sie nur zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt worden sind.

36

Eine Möglichkeit, die Stellung von Anträgen angesichts ihrer Vielzahl zu beschränken, hat für die Kammer nicht bestanden. Die Verfahrensordnung räumt es den Angeklagten aus Gründen der Waffengleichheit und wegen des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) ein, durch Anträge, Anregungen und Stellungnahmen auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfG, 2 BvR 2115/01 u.a. v. 19.09.2006 - BVerfGK 9, 174 ; BGH, GSSt 1/04 v. 03.03.2005 - BGHSt 50, 40 unter Bezugn. auf BVerfG, 2 BvR 1133/86 v. 27.01.1987 - NJW 1987, 2662 u. 2 BvR 215/81 v. 26.05.1981 - BVerfGE 57, 250 ). Dies betrifft etwa die Stellung von Beweisermittlungs- und Beweisanträgen (§ 244 Abs. 2, 3 StPO, vgl. hierzu BVerfG, 2 BvR 864/81 v. 12.01.1983 - BVerfGE 63, 45 ), beinhaltet aber auch die Möglichkeit, Ablehnungsgesuche anzubringen. Da ein verfassungsrechtlich verbürgter Anspruch auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter besteht (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), steht ihnen gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 StPO ein Ablehnungsrecht hinsichtlich solcher Richter zu, die von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen sind oder besorgen lassen, dass sie nicht unbefangen über den Verfahrensgegenstand entscheiden werden. Die Verteidiger sind nicht daran gehindert, diese strafprozessualen Rechte besonders häufig oder in großem Umfang in Anspruch zu nehmen, da die anwaltliche Berufsausübung grundsätzlich der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen unterliegt (vgl. BVerfG, 1 BvR 1078/80 v. 08.03.1983 - BVerfGE 63, 266 ).

37

Dem Gericht zurechenbar werden die antragsursächlichen Verzögerungen auch nicht dadurch, dass die Kammer selbst Anträge mit unverständlichen und unsachlichen Inhalten oder solche, die ihrer Auffassung nach offensichtlich zum Zweck der Prozessverschleppung gestellt worden sind, zur Sachentscheidung entgegengenommen und nicht sofort verworfen hat. Das Gericht ist grundsätzlich verpflichtet, über Anträge, Anregungen und sonstige Eingaben unabhängig von Inhalt und Wortlaut nach Maßgabe der Vorschriften des Verfahrensrechts zu entscheiden, was, soweit nicht der Vorsitzende allein zuständig ist, eine förmliche Beratung voraussetzt und eine nachvollziehbare Begründung der Entscheidung nach sich zieht. Das Übergehen eines Antrags kann zu einer Beschränkung der Verteidigung im Sinne des Revisionsgrunds gemäß § 338 Nr. 8 StPO führen und gegebenenfalls den Bestand des Urteils gefährden (vgl. OLG Bamberg, 3 Ss OWi 58/15 v. 23.01.2015 - NStZ 2016, 375 ). Selbst bei auf den ersten Blick unsachlichen oder unzulässigen Anträgen ist zunächst durch Auslegung zu ermitteln, ob dem Ansinnen nicht eine rechtlich anerkennenswerte oder den Verfahrensgegenstand betreffende Bedeutung zugemessen werden kann (vgl. etwa für Befangenheitsanträge: BVerfG, 2 BvR 625/01 u.a. v. 02.06.2005 - BVerfGK 5, 269 ; BGH, 5 StR 180/05 v. 10.08.2005 - BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 13; für die Auslegung von Beweisanträgen vgl. die Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, aaO. § 244 Rn. 39). Da sich ein Angeklagter zu seiner Verteidigung unsachlicher Äußerungen bzw. scharfer, polemischer, überspitzter oder ironischer Formulierungen bedienen darf (vgl. BVerfG, 1 BvR 873/94 v. 10.07.1996 - NStZ 1997, 35 ; KG, (2) 1 Ss 470/09 v. 11.01.2010 - Rn. 32 n. juris), müssen auch Eingaben mit solchen Inhalten entgegengenommen, auf ihren sachlichen Gehalt untersucht und beschieden werden.

38

Eine Zurückweisung von Anträgen wegen Prozessverschleppung ist nur in Ausnahmefällen möglich. Das Gesetz sieht diese Möglichkeit für Beweisanträge und Ablehnungsgesuche zwar ausdrücklich vor (§§ 244 Abs. 3 S. 2 StPO; § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO), an die Begründung darauf gestützter Zurückweisungen werden jedoch hohe Anforderungen gestellt. Allein das Vorliegen von Verschleppungsabsicht reicht nicht aus. Neben der Eignung, den Abschluss des Verfahrens wesentlich hinauszuzögern, muss in objektiver Hinsicht feststehen, dass die beantragte Beweiserhebung aussichtslos ist bzw. eine Richterablehnung nicht erreicht werden kann. Subjektiv muss sich der Antragsteller der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bzw. der Unbegründetheit der Richterablehnung bewusst sein und mit dem Antrag bzw. dem Gesuch ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses bezwecken (zu Beweisanträgen: BGH, 4 StR 353/08 v. 18.09.2008 - NStZ-RR 2009, 21/22 ; 3 StR 46/16 v. 28.06.2016 - NStZ-RR 2017, 21 ; zu Ablehnungsgesuchen: KK-StPO/Scheuten, 7. Aufl. § 26a Rn. 10; LR-StPO/Siolek, 26. Aufl. § 26a Rn. 27). Einer Ablehnung wegen Prozessverschleppung sind damit enge Grenzen gesetzt.

39

dd) Nicht zu verantworten hat das Gericht auch Verfahrensverzögerungen, die durch ungehöriges Verhalten von Verteidigern entstanden sind, wie zum Beispiel das in der angefochtenen Entscheidung genannte Besteigen eines Tisches durch einen Verteidiger mit dem Zweck, sich verbal zu äußern. Im „Kampf um das Recht“ ist dem Verteidiger nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht nur die Benutzung starker, eindringlicher Ausdrücke und sinnfälliger Schlagworte (s.o.), sondern auch ein Verhalten erlaubt, dass von den anderen Verfahrensbeteiligten als stilwidrig, ungehörig oder als Verstoß gegen den „guten Ton“ und das Takt- und Anstandsgefühl empfunden wird. Grenzen seien dem Verteidigerverhalten, so das Bundesverfassungsgericht, nur dort gesetzt, wo es sich um strafbare Beleidigungen, die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solche neben der Sache liegenden herabsetzenden Äußerungen und Verhaltensweisen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben (vgl. BVerfG, 1 BvR 873/94 v. 10.07.1996 - NStZ 1997, 35 unter Bezugn. auf BVerfGE 76, 171 <191 ff.>; vgl. dazu die krit. Anm. Foth in NStZ 1997, 36/37). Ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen anwaltliche Verfahrenshandlungen im Strafprozess nicht mehr dem Gebot der Sachlichkeit (Art. 43a Abs. 3 S. 1 BRAO) entsprechen, ist jedoch nicht durch die Strafgerichte im laufenden Prozess, sondern gegebenenfalls im Nachgang durch das Anwaltsgericht zu entscheiden (§§ 113 ff. BRAO). Dem Gericht stehen auch keine Ordnungsmittel gegen Rechtsanwälte wegen ungehörigen Verhaltens in der Hauptverhandlung zu. Ihm bleibt in diesem Fall nur die Möglichkeit, die Verhandlung zu unterbrechen in der Erwartung, dass der Anwalt bei Fortsetzung der Verhandlung zur Einhaltung der allgemeinen Anstandsregeln zurückgefunden haben wird. Die Verzögerungen, die dadurch entstehen, muss es hinnehmen.

40

Das Zugeständnis nahezu unbeschränkter Verteidigerrechte beinhaltet stets das Risiko eines Scheiterns des Strafprozesses. Die Strafjustiz muss selbst dann an ihre Grenzen stoßen, wenn die Verteidigung formal korrekt und im Rahmen des Standesrechts geführt wird, sich aber dem traditionellen Ziel des Strafprozesses, der Wahrheitsfindung in einem prozessordnungsgemäßen Verfahren, nicht mehr verpflichtet fühlt, sondern die durch die Strafprozessordnung gewährleisteten Verfahrensrechte in einer Weise nutzt, die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgabe, den Angeklagten vor einem materiellen Fehlurteil oder prozessordnungswidrigem Verfahren zu schützen, nicht mehr zu erklären ist (vgl. BGH, 3 StR 237/06 v. 31.08.2006 - NStZ-RR 2007, 21; 3 StR 445/04 v. 25.01.2005 - NStZ 2005, 341). Dem entgegenzuwirken, ist allerdings nicht Aufgabe der Gerichte, sondern dem Gesetzgeber vorbehalten.

41

ee) Allein der durch die Ausführung bestimmter Verfahrensvorschriften verursachte Zeitaufwand - die Kammer führt hierzu insbesondere das Ablehnungsverfahren nach § 29 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 StPO an - kann schon begrifflich nicht zu einer die Einstellung rechtfertigenden rechtsstaatswidrigen Verzögerung beigetragen haben. Denn die Bindung des Gerichts an das Gesetz gehört zum Kernbereich des Rechtsstaatsgebots (Art. 20 Abs. 3 GG), so dass die Befolgung gesetzlicher Vorschriften, auch wenn sie sich im Einzelfall verfahrensverzögernd auswirken, das Gebot nicht verletzen kann.

42

Das Rechtsstaatsprinzip schließt es auch aus, einen den Justizbehörden anzulastenden Umstand darin zu sehen, dass im Laufe der Hauptverhandlung zwei berufsrichterliche Mitglieder der Kammer wegen Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze ausgeschieden sind, so dass der Spruchkörper schließlich entscheidungsunfähig geworden ist. Gemäß § 4 Abs. 1 Landesrichtergesetz Rheinland-Pfalz treten Richterinnen und Richter auf Lebenszeit mit dem Ende des Monats in den Ruhestand, in dem sie die für sie geltende Altersgrenze erreichen; der Eintritt in den Ruhestand kann nicht hinausgeschoben werden (§ 4 Abs. 2 LRiG). An diese Vorgabe des Gesetzgebers sind Justizverwaltung und Rechtsprechung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gebunden. Die Aussetzung des Verfahrens ist Folge dieser Gesetzesbindung und kann damit für sich betrachtet keinen Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot darstellen. Dass die Durchführung der Hauptverhandlung einen Zeitraum von nahezu fünf Jahren in Anspruch nehmen würde, so dass die Hinzuziehung eines zweiten Ergänzungsrichters geboten gewesen wäre, konnte auch angesichts des beträchtlichen Umfangs der Anklageschrift bei der Eröffnungsentscheidung nicht vorhergesehen werden.

43

ff) Die Belastungen der Angeklagten, die daraus resultieren, dass sie gemäß §§ 230 ff. StPO grundsätzlich verpflichtet sind, an einer langandauernden, eine Vielzahl von Sitzungstagen in Anspruch nehmenden Hauptverhandlung teilzunehmen, sind vorliegend nicht geeignet, ein Verfahrenshindernis zu begründen. Die bisherige Dauer des Verfahrens ist, wie dargestellt, maßgeblich durch das Verhalten ihrer Verteidiger verursacht worden, so dass auch die daraus resultierenden Belastungen von ihnen hinzunehmen sind. Da sie sich mittlerweile aber auch alle auf freiem Fuß befinden, gelten die Anforderungen des besonderen Beschleunigungsgebotes in Haftsachen mit der sich daraus ergebenden hohen Terminfrequenz nicht mehr. Deshalb besteht für das Gericht nunmehr bei der Terminierung ein größerer Gestaltungsspielraum, der es erlauben wird, schützenswerten Belangen der Angeklagten in stärkerem Maße nachzukommen als bisher. Dass es zu einem Verfahren mit nicht absehbarem Ende kommen werde, wie die Kammer vermutet, ist - wie dargestellt - durch die Vorschriften über die Verfolgungsverjährung ausgeschlossen. Die Verfolgung der angeklagten Taten ist ungeachtet zwischenzeitlich erfolgter Unterbrechungen dann nicht mehr zulässig, wenn die jeweiligen Zeitpunkte der doppelten Verjährung eintreten (§ 78c Abs. 3 S. 2 StGB), woraus sich ein überdauerndes Verfahrenshindernis ergäbe.

44

Die Frage, ob und bezüglich welcher Delikte doppelte Verjährung bereits eingetreten ist, gehört nicht zum Gegenstand der hier zu treffenden Beschwerdeentscheidung. Die Kammer hat die Einstellung des Verfahrens ausschließlich auf das - nicht vorliegende - Verfahrenshindernis der überlangen Verfahrensdauer gestützt. Deshalb ist hier nicht zu untersuchen, ob und inwieweit andere Verfahrenshindernisse vorliegen (vgl. Senat, 2 Ws 20/16 v. 23.03.2017). Zur Prüfung des Verjährungseintritts wäre der Senat auch nicht in der Lage, da dies nur auf Grundlage der Erkenntnisse aus der durchgeführten Hauptverhandlung geschehen könnte, über die der Senat nicht verfügt. Die Kammer wird daher die Verjährungsfrage in eigener Zuständigkeit zu prüfen und gegebenenfalls neu über eine Einstellung des Verfahrens zu entscheiden haben.

45

Ebenso wenig befasst sich der Senat mit dem - seiner eigenen Beurteilung ebenfalls nicht zugänglichen - Tatverdacht. Ob und in welchem Umfang er noch vorliegt, kann für eine Einstellung des Verfahrens nach § 206a StPO auch nicht von Bedeutung sein. Ein vollständiges Entfallen des Tatverdachts müsste - gegenüber einer Einstellung vorrangig (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO. § 260 Rn. 44 mwN.) - zum Freispruch der entlasteten Angeklagten durch die Strafkammer führen. Sollte der Tatverdacht gegen einzelne Angeklagte nur noch teilweise bestehen oder, wie die Kammer in pauschaler Darstellung anführt, die Taten gegenüber dem Anklagevorwurf in einem milderen Licht erscheinen lassen, kann sie eine Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 2 StPO oder § 153a Abs. 2 StPO anstreben.

46

c) Der Prozess ist nach alledem vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Koblenz fortzuführen.

III.

47

Die Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 StrEG sind unselbständiger Annex zur Sachentscheidung und setzen eine verfahrensabschließende Entscheidung voraus (vgl. BGH, StB 28/75 v. 09.12.1975 - BGHSt 26, 250 ). Soweit die Strafkammer deshalb Entschädigungsentscheidungen getroffen hat, geraten diese durch die Aufhebung der verfahrensabschließenden Entscheidung in Wegfall, ohne dass es hierzu eines gesonderten Ausspruchs bedürfte (Meyer-Goßner/Schmidt, aaO. § 353 Rn. 4). Soweit die in Ziffer 2. des Tenors aufgeführten Angeklagten dagegen sofortige Beschwerde gemäß § 8 Abs. 3 StrEG eingelegt haben, sind diese Rechtsmittel gegenstandslos geworden (vgl. OLG Köln, Ss 529/00 v. 28.12.2000 - VRS 100, 68 ; Meyer, StrEG, 10. Aufl. § 8 Rn. 60).

48

Dasselbe gilt für die sofortigen Beschwerden gegen die Nichtauferlegung ihrer notwendigen Auslagen auf die Staatskasse (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO.).

IV.

49

Kostenentscheidungen sind nicht veranlasst.

50

Da das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nicht auf die Beseitigung einer auf einem Irrtum des Gerichts beruhenden gesetzwidrigen Entscheidung (vgl. dazu OLG Düsseldorf, 1 Ws 701/99 v. 23.09.1999 - NStZ-RR 2000, 223), sondern darauf abzielte, das Verfahren fortzusetzen und die Angeklagten im Sinne der Anklageschrift zu verurteilen, ist es zu Ungunsten der Angeklagten eingelegt, so dass die durch dieses Rechtsmittel entstandenen Gerichtskosten zu den „Kosten des Verfahrens“ gehören, welche die Angeklagten dann zu tragen haben, wenn sie zu Strafe verurteilt werden (§ 465 StPO; vgl. BGH, 3 StR 55/63 v. 28.01.1964 - BGHSt 19, 226 ). Für die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten fehlt es an einer gesetzlichen Handhabe, diese der Staatskasse aufzuerlegen, so dass sie von ihnen selbst zu tragen sind (vgl. BGH aaO. Rn. 9; KG, 4 Ws 62/15 v. 14.08.2015, NStZ 2016, 374 mwN.; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO. § 473 Rn. 15 mwN.).

51

Da die sofortigen Beschwerden der Angeklagten gegen die Versagung einer Entschädigung nach dem StrEG und hinsichtlich der Nichtauferlegung ihrer notwendigen Auslagen auf die Staatskasse erst nach ihrer Einlegung gegenstandslos wurden, waren sie ohne Kostenentscheidung für erledigt zu erklären (vgl. Senat, 2 Ws 136/17 v. 22.03.2017; 2 Ws 17/17 v. 19.01.2017; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO. vor § 296 Rn. 17).

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(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

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Strafprozeßordnung - StPO | § 465 Kostentragungspflicht des Verurteilten


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Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid

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Strafprozeßordnung - StPO | § 464 Kosten- und Auslagenentscheidung; sofortige Beschwerde


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(2) Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.

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wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist oder
3.
soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach den §§ 84 bis 87 betreffen.

(4) Der Versuch, eine in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 bezeichnete Vereinigung zu gründen, ist strafbar.

(5) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern der Vereinigung gehört. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn der Zweck oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet ist, in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, b, d bis f und h bis o, Nummer 2 bis 8 und 10 der Strafprozessordnung genannte Straftaten mit Ausnahme der in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe h der Strafprozessordnung genannten Straftaten nach den §§ 239a und 239b des Strafgesetzbuches zu begehen.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, von einer Bestrafung nach den Absätzen 1 und 4 absehen.

(7) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter

1.
sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß Straftaten, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können;
erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.

(1) Über die Aussetzung einer Hauptverhandlung oder deren Unterbrechung nach § 229 Abs. 2 entscheidet das Gericht. Kürzere Unterbrechungen ordnet der Vorsitzende an.

(2) Eine Verhinderung des Verteidigers gibt, unbeschadet der Vorschrift des § 145, dem Angeklagten kein Recht, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen.

(3) Ist die Frist des § 217 Abs. 1 nicht eingehalten worden, so soll der Vorsitzende den Angeklagten mit der Befugnis, Aussetzung der Verhandlung zu verlangen, bekanntmachen.

(1) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis heraus, so kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren durch Beschluß einstellen.

(2) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar.

(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligten außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluß.

(2) Die Entscheidung muß die Art und gegebenenfalls den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme bezeichnen, für die Entschädigung zugesprochen wird.

(3) Gegen die Entscheidung über die Entschädigungspflicht ist auch im Falle der Unanfechtbarkeit der das Verfahren abschließenden Entscheidung die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig. § 464 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Strafprozeßordnung ist entsprechend anzuwenden.

(1) Jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Untersuchung einstellende Entscheidung muß darüber Bestimmung treffen, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen sind.

(2) Die Entscheidung darüber, wer die notwendigen Auslagen trägt, trifft das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt.

(3) Gegen die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen ist sofortige Beschwerde zulässig; sie ist unzulässig, wenn eine Anfechtung der in Absatz 1 genannten Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Das Beschwerdegericht ist an die tatsächlichen Feststellungen, auf denen die Entscheidung beruht, gebunden. Wird gegen das Urteil, soweit es die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen betrifft, sofortige Beschwerde und im übrigen Berufung oder Revision eingelegt, so ist das Berufungs- oder Revisionsgericht, solange es mit der Berufung oder Revision befaßt ist, auch für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde zuständig.

(1) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis heraus, so kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren durch Beschluß einstellen.

(2) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar.

(1) Für die Fälle der sofortigen Beschwerde gelten die nachfolgenden besonderen Vorschriften.

(2) Die Beschwerde ist binnen einer Woche einzulegen; die Frist beginnt mit der Bekanntmachung (§ 35) der Entscheidung.

(3) Das Gericht ist zu einer Abänderung seiner durch Beschwerde angefochtenen Entscheidung nicht befugt. Es hilft jedoch der Beschwerde ab, wenn es zum Nachteil des Beschwerdeführers Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet hat, zu denen dieser noch nicht gehört worden ist, und es auf Grund des nachträglichen Vorbringens die Beschwerde für begründet erachtet.

(1) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis heraus, so kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren durch Beschluß einstellen.

(2) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar.

Steht der Hauptverhandlung für längere Zeit die Abwesenheit des Angeschuldigten oder ein anderes in seiner Person liegendes Hindernis entgegen, so kann das Gericht das Verfahren durch Beschluß vorläufig einstellen. Der Vorsitzende sichert, soweit nötig, die Beweise.

(1) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis heraus, so kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren durch Beschluß einstellen.

(2) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 104/15
vom
6. September 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue
ECLI:DE:BGH:2016:060916U1STR104.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 26. Juli 2016 in der Sitzung am 6. September 2016, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf, Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung vom 26. Juli 2016 –, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung am 6. September 2016 – als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich – bei der Verkündung am 6. September 2016 –, Rechtsanwalt , Rechtsanwalt , Rechtsanwältin als Verteidiger,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 30. Mai 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der Untreue durch Unterlassen (Ziffer III. der Anklage) freigesprochen wurde.
2. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der Untreue in zwei Fällen, einmal in Tateinheit mit Anstiftung zur Untreue, und der Untreue durch Unterlassen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die, gestützt auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts, vor allem die Beweiswürdigung des Landgerichts beanstandet.
2
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.

I.

3
Mit der zugelassenen Anklage vom 28. März 2011 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten folgende Taten zur Last gelegt:
4
1. Der Angeklagte habe als Mitglied des Zentralvorstandes der Siemens AG im Frühjahr 2003 den Zeugen G. , den damaligen Leiter der zentralen kaufmännischen Abteilung des Geschäftsbereichs „P. T. a. D. “ (im Folgenden: PTD),angewiesen, den Zeugen M. zu Zahlungen in Höhe von 9,5 Mio. USD aus einer von diesem verwalteten schwarzen Kasse zu veranlassen. Damit sollen Schmiergelder an die Regierung Argentiniens geleistet worden sein; anschließend sei die schwarze Kasse wieder aufgefüllt worden (Ziffer II.2.a und b der Anklage).
5
2. Des Weiteren soll der Angeklagte Ende 2003 den Zeugen K. erfolgreich angewiesen haben, 4,7 Mio. USD als Schmiergeld an einen argentinischen Unternehmer namens S. zu zahlen (Ziffer II.2.c der Anklage).
6
3. Ferner liegt dem Angeklagten zur Last, in Kenntnis vom Fortbestehen einer schwarzen Kasse der Landesgesellschaften (im Folgenden: LGs) des Siemens-Konzerns in Südamerika mit einem Guthaben von ungefähr 35 Mio. USD nichts zu deren Auflösung und zur Rückführung der Gelder unternommen zu haben (Ziffer III. der Anklage).

II.

7
Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
8
1. Der Angeklagte war seit 1978 im Siemenskonzern tätig, wobei er unter anderem von 1991 bis 1996 die Position eines Chief Executive Officer (im Folgenden : CEO) der LG Kolumbien innehatte. 1996 kehrte der Angeklagte als Bereichsvorstandsvorsitzender des Geschäftsbereichs Energieversorgung, welcher später in „P. T. a. D. “, PTD, umbenannt wurde, nach Deutschland zurück. Mit Wirkung zum 1. Oktober 2000 wurde er in den Vorstand der Siemens AG berufen und zugleich Mitglied des Zentralvorstandes der Siemens AG. In dieser Funktion war der Angeklagte für die Geschäftsbereiche PTD und Power Generation sowie als Betreuer für die Region „Amerika“ für die Länder Nord-,Mittel- und Südamerikas zuständig. Daneben war er von Dezember 2000 bis September 2003 Mitglied des Verwaltungsrats der LG Argentinien und vom 27. August 2007 bis 27. Februar 2008 Aufsichtsratsvorsitzender der LG Kolumbien. Zum 31. Dezember 2007 schied der Angeklagte aus der Siemens AG aus.
9
2. Die Siemens AG ist in vertikaler Ebene in Geschäftsbereiche, wie z.B. den Geschäftsbereich PTD, selbständige Geschäftsgebiete und Bereiche mit eigener Rechtsform, wie z.B. die Siemens Business Services GmbH & Co. OHG (im Folgenden: SBS), untergliedert, und horizontal nach Regionen strukturiert , wobei die LGs jeweils juristisch selbständige Gesellschaften sind, die von deren jeweiligen Organen geführt werden. Geleitet wird die Siemens AG durch den Vorstand bzw. den aus Vorstandsmitgliedern bestehenden Zentralvorstand , deren Aufgaben in der Geschäftsordnung für den Vorstand der Siemens AG vom 24. Juli 2002 (im Folgenden: GeschO) normiert sind. Die Vorstandsmitglieder sind danach unter anderem gemäß § 2 Ziff. 2 GeschO dazu verpflichtet, für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu sorgen und darauf auch bei den Konzernunternehmen hinzuwirken, sowie das operative Geschäft zu überwachen. Gemäß § 10 Ziff. 1 GeschO werden ferner einzelnen Mitgliedern des Zentralvorstandes Betreuungszuständigkeiten für einen oder mehrere Geschäftsbereiche der Siemens AG zugeordnet, deren Belange sie wahrnehmen und den Zentralvorstand ihnen gegenüber vertreten müssen. Weisungen des Betreuers sind gegenüber den entsprechenden Bereichsvorständen gemäß § 10 Ziff. 2 GeschO bindend. Entsprechend der horizontalen Strukturierung der Siemens AG gibt es ferner regionale Betreuungszuständigkeiten für die verschiedenen Regionen, wobei der Angeklagte für den Bereich „Amerika“ zuständig war.
10
3. Anfang 1998 erhielt die SBS als Generalunternehmerin gemeinsam mit diversen Subunternehmen den Zuschlag für das DNI-Projekt in Argentinien. Dieses Projekt hatte unter anderem die Herstellung und Verteilung von fälschungssicheren Pässen und Ausweisen für die argentinische Bevölkerung zum Gegenstand. Kurz vor Zuschlag war die Ma. S.A. (im Folgenden: Ma. ) – ein Subunternehmen, das zu einer Projektgruppe bestehend aus den in Argentinien lebenden Unternehmern S. , C. und So. gehörte – gegen die Gesellschaft A. ausgetauscht worden. Nach einem Regierungswechsel in Argentinien 1999 geriet das DNI-Projekt ins Stocken. Schließlich kündigte die neue argentinische Regierung nach gescheiterten Vertragsverhandlungen den DNI-Projektvertrag am 18. Mai 2001. Da das SBSKonsortium erheblich in Vorleistung gegangen und dem Siemens-Konzern ferner ein beträchtlicher Gewinn entgangen war, leitete die Siemens AG ein Schiedsverfahren auf Schadensersatz in Höhe von 500 Mio. USD vor der Weltbank in Washington D.C., USA, ein. 2007 wurde der Staat Argentinien in diesem Schiedsverfahren zu einer Entschädigung in Höhe von 200 Mio. USD verurteilt.
11
a) Im Zusammenhang mit dem DNI-Projekt machte S. diverse Forderungen geltend, unter anderem auch solche mit korruptivem Hintergrund. Es bestanden nämlich sowohl Schmiergeldvereinbarungen mit der alten Regierung um Präsident Me. als auch Schmiergeldforderungen der neuen Regierung um Präsident D. . Letztlich kam es zu keiner Einigung.
12
Im März oder April 2003 suchte G. , der kaufmännische Leiter von PTD, den kaufmännischen Abteilungsleiter bei PTD St. , auf und teilte diesem mit, dass er im Auftrag des Angeklagten circa 7 Mio. EUR über die in Dubai ansässige Gesellschaft des M. , I. , nach Südamerika transferieren solle, PTD jedoch einen Ausgleich erhalten werde. In der Folge wurden gut 7 Mio. EUR mit Hilfe von Scheinrechnungen von PTD an die I. ausgeleitet, wobei PTD nachträglich intern von SBS einen Ausgleich in Höhe von 9,6 Mio. EUR erhielt.
13
b) Da S. sich weiterhin beklagte, dass ihm durch den Austausch der Ma. ein Schaden in Höhe von circa 5 Mio. USD entstanden sei, traf sich der Angeklagte im November 2003 mit S. und vereinbarte mit diesem, dass S. eine Rechnung in Höhe von 4,7 Mio. USD über K. , den damaligen CEO der LG Argentinien, an die SBS leiten solle, damit die Berechtigung dort geprüft werden könne. Mit dieser Zahlung müssten laut dem Angeklagten allerdings auch sämtliche Ansprüche aus dem DNI-Projekt beglichen sein. Ohne weitere Prüfung und auch ohne weitere Involvierung des Angeklagten wurden sodann die von S. im Dezember 2003 an K. übergebenen acht Rechnungen mit einem Gesamtbetrag über 4,7 Mio. USD am 21. Januar 2004 beglichen. Dennoch stellte die Mf. am 15. März 2005 einen Antrag bei der Züricher Handelskammer auf Einleitung eines Schiedsverfahrens gegen SBS zwecks Zahlung von gut 22 Mio. USD aus dem Mf. -Vertrag vom 3. Januar 2001 bzw. der Miami-Vereinbarung vom 6. Juli 2001, das letztlich am 11. Dezember 2006 durch Vergleich endete, der die SBS zur Zahlung von 8,8 Mio. USD verpflichtete.
14
4. Die schwarze Kasse der Regionalgesellschaft (im Folgenden: RG) An. wurde mittels von der zentralen Finanzabteilung der Siemens AG ausgestellter Verrechnungsschecks befüllt. Hierzu führte die zentrale Finanzabteilung neben den offiziellen Verrechnungskonten für die LGs auch noch inoffizielle Konten, die in der Bilanz der LGs jeweils nicht erschienen, jedoch auf Seiten der Siemens AG ordnungsgemäß gebucht wurden. Verfügungsberechtigt über die Konten der schwarzen Kasse war jeweils der Regionalleiter der RG An. und eine zweite Person aus dem kaufmännischen Bereich, in der Regel der Chief Financial Officer der LG Kolumbien. Diese führten die Konten der schwarzen Kasse nach eigenem Gutdünken ohne irgendeine Kontrolle. Von 1991 bis 1996 verwaltete der Angeklagte diese schwarze Kasse als Regionalleiter und war daher auch mit ihrer Befüllung über die inoffiziellen Verrechnungskonten der Siemens AG vertraut. Bei seinem Ausscheiden 1996 belief sich das Guthaben der schwarzen Kasse auf mindestens 35 Mio. USD. Sie wurde von seinen Nachfolgern T. , Ko. und Co. in gleicher Weise fortgeführt. Noch Ende 2004 rief der damalige Regionalleiter Co. – durch eine Bilanzbeschwerde betreffend die inoffiziellen Verrechnungskonten, die sog. Bilanzbeschwerde „Lombana“, alarmiert – 1,59 Mio. USD von den inoffizi- ellen Verrechnungskonten bei der zentralen Finanzbuchhaltung ab und führte diese mittels Verrechnungsschecks der schwarzen Kasse zu. Erst Ende 2006 offenbarte Ko. gegenüber dem Ombudsmann der Siemens AG die schwarzen Kassen, so dass diese schließlich 2008 aufgelöst und die verbliebenen Gelder in Höhe von 23,9 Mio. USD an die Siemens AG zurückgeführt wurden. Bereits seit der Einführung des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung von 1998 und vor allem durch die Listung der Siemensaktie an der New York Stock Exchange im März 2001 hatte eine tiefgreifende Umstrukturie- rung der Buchführung und Bilanzierung bei der Siemens AG stattgefunden. Es wurde – unterstützt durch den Aufbau einer entsprechenden ComplianceAbteilung – vermehrt darauf geachtet, dass keine schwarzen Kassen mehr existierten.

III.

15
Das Landgericht hat den Angeklagten, der die Tatvorwürfe im Ermittlungsverfahren bestritten hatte, sich in der Hauptverhandlung aber nicht zur Sache eingelassen hat, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
16
1. Das Landgericht konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Angeklagte mit den Zeugen Tr. und Ste. über die Leistung von Schmiergeldzahlungen gesprochen und den Zeugen Tr. mit der Klärung der offenen DNI-Forderungen betraut hatte. Zwar habe der Zeuge Tr. laut Aussage der Ermittlungsbeamtin B. in der Beschuldigtenvernehmung vom 11. November 2010 angegeben, dass der Angeklagte immer über das Vorgehen von ihm und Ste. Bescheid gewusst, ihn sogar angewiesen hätte, die Forderungen zu begleichen, und ihn an G. verwiesen hätte.
17
a) Das Landgericht hielt die Angaben des Zeugen für zum Teil in sich widersprüchlich. So habe Tr. z.B. in seiner Beschuldigtenvernehmung behauptet , dass er keinen richtigen Überblick über die die Zahlungen betreffenden Verträge gehabt habe, es vielmehr nur seine Aufgabe gewesen sei, den Betrag herunterzuhandeln. In seinen Zeugenerklärungen im Mf. -Schiedsverfahren habe Tr. dagegen angegeben, dass er die auf Siemens-Seite am besten informierte Person gewesen sei. Auch widersprächen die Angaben des Tr. teilweise denen der anderen Zeugen. Während Tr. den Zeugen Bu. als aktiven Part und offen für „nützliche Aufwendungen“ geschildert habe, habe Bu. in seiner Zeugenaussage in der Hauptverhandlung angegeben, dass Tr. , Ste. und Bo. zwar mehrfach an ihn wegen Schmiergeldforderungen herangetreten seien, er derartige Zahlungen jedoch strikt abgelehnt habe. Da sich das Landgericht in der Hauptverhandlung keinen eigenen Eindruck von den Zeugen Tr. , Ste. und Bo. habe machen können, hätten diese Widersprüche nicht aufgeklärt werden können. Dies habe auch nicht mit Hilfe der Zeugin B. gelingen können, die die Beschuldigtenvernehmung des Tr. am 11. November 2010 geführt, jedoch die besagten Widersprüche nicht thematisiert, sondern vielmehr nur eine Bestätigung des „Tatbeteiligungsberichts des Bayerischen LKA“ vom 31. August 2009 gesucht habe. Unklar sei ferner Tr. s Motivation für seine widersprüchlichen Aussagen. Der Zeuge Dr. Sc. habe diesbezüglich eigene Bereicherungsabsichten des Tr. vermutet.
18
Da auch das Aussageverhalten des Zeugen Ste. in seinen Beschuldigtenvernehmungen vom 25. Juni 2008, 19. August 2008 und 19. Januar 2009 laut der Vernehmungsbeamtin RiLG Stef. in sich widersprüchlich und nicht konstant gewesen sei, so dass er insbesondere viele Punkte aus dem Gesprächs -Vermerk der Zeugin Am. aus dem Mf. -Schiedsverfahren als unzutreffend dargestellt habe, habe auch dieses hierzu keinen Erkenntnisgewinn geliefert. Letztlich habe das Landgericht nicht einmal feststellen können, ob die 18 Mio. USD an die Projektgruppe um S. sowie das argentinische Innenministerium tatsächlich gezahlt worden seien.
19
Auch die von Tr. im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung übergebene Dokumenten-Sammlung habe keinen Aufschluss bieten können, da für das Landgericht nicht feststellbar gewesen sei, ob es den darin enthaltenen E-Mail-Wechsel mit dem Angeklagten überhaupt gegeben habe oder ob die Dokumente vielmehr Ergebnis einer Manipulation gewesen seien. Diese hätten nämlich einige Auffälligkeiten wie z.B. Querstriche oder dem Landgericht nicht erklärliche Zeitangaben aufgewiesen. Einen Hilfsbeweisantrag der Staatsanwaltschaft auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass der E-Mail-Verkehr nicht nachträglich erstellt wurde, und Schreibfehler bei der Datumsangabe im E-Mail-Header vom 18. März 2005 auf softwarebedingter fehlerhafter Umsetzung des Umlautes „ä“ beruhen, lehn- te das Gericht mit der Begründung ab, dass ein Sachverständigengutachten hier ungeeignet sei, da es bei den von Tr. vorgelegten Blättern an entsprechenden Anknüpfungstatsachen gefehlt habe. Ferner wäre die Kammer selbst ohne Schreibfehler, Querstriche und Datumsangaben aufgrund der ungeklärten Hintergründe der Schriftstücke nicht davon ausgegangen, dass die E-Mails authentisch sind.
20
b) Dem Landgericht war es aus seiner Sicht außerdem nicht möglich, Einzelheiten zu den S. -Forderungen, insbesondere inwieweit diese einen korruptiven Hintergrund hatten und inwieweit sie berechtigt waren, aufzuklären. Weder aus den Zeugenaussagen noch aus den sonstigen Beweismittelnließe sich entnehmen, wie hoch der Entschädigungsanspruch der Ma. gewesen sei und wie hoch die Schmiergeldforderungen.
21
c) Ferner habe nicht festgestellt werden können, dass der Angeklagte den Zeugen G. im Jahr 2003 zweimal kontaktiert und angewiesen habe, für SBS Zahlungen aus einer von M. für PTD verwalteten schwarzen Kasse nach Argentinien zu leisten und die schwarze Kasse dann wiederum mit Mitteln von PTD erneut zu befüllen. Der Zeuge G. habe in der Hauptverhandlung bereits nicht bestätigt, dass der Angeklagte ihn diesbezüglich zweimal angesprochen habe. Vielmehr habe der Angeklagte ihn nur einmal im Frühjahr 2003 um Hilfe gebeten, wobei die Bitte nicht auf eine Zahlung aus einer schwarzen Kasse gerichtet gewesen sei. Der Angeklagte habe ihn auch nicht veranlasst, Gelder von PTD in eine schwarze Kasse auszuleiten. G. habe gar nicht gewusst, dass M. eine schwarze Kasse für PTD verwaltete, sondern sei davon ausgegangen, dass M. aufgrund seiner legalen Firmen in Dubai helfen könne. Diese Angaben hätten der Aussage widersprochen, die M. in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 11. Juni 2008 gemacht habe. Hier habe M. laut der Vernehmungsbeamtin B. vor allem angegeben, dass es zwei Zahlungsanfragen von G. gegeben habe. Diese und andere Widersprüche seien jedoch im Ermittlungsverfahren nicht thematisiert worden und hätten, da Tr. und M. nicht zur Hauptverhandlung erschienen seien, auch vom Gericht nicht aufgeklärt werden können. Da auch die Zeugen St. , May. , Al. und E. nur angegeben hätten, dass sie zu dem Angeklagten bezüglich der Geldausleitungen bei PTD nie Kontakt gehabt hätten , war eine – wie von der Staatsanwaltschaft behauptete – Involvierung des Angeklagten in diese Vorgänge für das Landgericht nicht feststellbar. Vielmehr läge es laut dem Landgericht nahe, dass G. sich bei den M. -Zahlungen nur „die Autorität des Angeklagten geliehen“ habe (UA S. 287).
22
d) Mangels entsprechender Unterlagen konnte sich das Landgericht noch nicht einmal davon überzeugen, dass es überhaupt Zahlungen in Höhe von insgesamt 9,5 Mio. USD an die Firmen des M. , Ch. Ltd. bzw. R. Ltd., gab. Auch diesbezüglich seien die Widersprüche in den Zeugenaussagen nicht aufklärbar, da sich das Gericht weder von M. noch von Tr. ein eigenes Bild in der Hauptverhandlung habe machen können.
23
e) Für eine verbindliche Zahlungsanweisung des Angeklagten zur Zahlung von 4,7 Mio. USD seitens SBS zu einem Zeitpunkt, als das DNI-Projekt bereits gescheitert war, konnte das Landgericht bereits kein Motiv des nicht für die SBS zuständigen Angeklagten erkennen. Die Zeugen Re. , Met. und But. hätten die Involvierung des Angeklagten in die Zahlung ausgeschlossen.
24
2. Von der Kenntnis des Angeklagten vom Fortbestand der schwarzen Kasse konnte sich das Landgericht ebenfalls nicht überzeugen.
25
a) Es habe bereits keine Feststellungen dazu treffen können, dass es tatsächlich mehrfach „Hilferufe“ des Zeugen Co. beim Angeklagten nach Übernahme der schwarzen Kasse hinsichtlich der Rückführung des Guthabens gegeben habe. Die Angaben des Zeugen Co. in der Hauptverhandlung hätten bezüglich der Anzahl der Gespräche mit dem Angeklagten, in denen Co. diesen um Hilfe gebeten haben will, geschwankt. Das Landgericht hielt die Aussage des Zeugen Co. nicht für glaubhaft. Insbesondere habe der Zeuge für das Landgericht nicht plausibel darlegen können, warum er sich nicht direkt nach Übernahme der schwarzen Kasse um deren Rückführung bemüht habe. Zu diesem Zeitpunkt hätte ihm kein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden können. Ferner spreche die Tatsache, dass Co. im Zusammenhang mit der Bilanzbeschwerde „Lombana“ die schwarze Kasse erneut mit 1,59 Mio. USD befüllt habe, gerade nicht für die Absicht, diese aufzulösen. Die Angaben Co. s seien schließlich auch nicht durch sonstige Beweismittel gestützt worden. Insbesondere der Zeuge Pr. habe keine eigene Wahrnehmung bezüglich der angeblichen Gespräche des Co. s mit dem Angeklagten gehabt, sondern habe von diesen nur vom Hörensagen über Co. gewusst.
26
b) Das Landgericht konnte auch nicht feststellen, dass der Angeklagte anderweitig Kenntnis von der schwarzen Kasse der RG An. im anklagegegenständlichen Zeitraum erlangt hat. Zwar habe er diese von 1991 bis 1996 als Regionalleiter der RG An. selber geführt, doch hätten für das Landgericht keine Anhaltspunkte dahingehend bestanden, dass der Angeklagte im Anklagezeitraum von deren Fortbestehen wusste. Vielmehr habe es in der Zwischenzeit zwei Zäsuren in Form der Einführung des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung 1998 und des Börsengangs der Siemens AG 2001 gegeben , aufgrund derer die Compliance-Struktur bei Siemens enorm ausgebaut worden sei, so dass der Angeklagte nach Auffassung des Landgerichts keine Indizien für den Fortbestand der schwarzen Kasse gehabt habe.

IV.

27
Die Revision gegen den Freispruch hinsichtlich der Untreue durch Unterlassen bezüglich der schwarzen Kasse (Ziffer III. der Anklage) hat bereits auf die Sachrüge hin Erfolg, denn die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dies führt zu einer Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht und zu einer erneuten umfassenden Sachprüfung in diesem Punkt.
28
1. Der Aufhebung des Freispruchs und der Zurückverweisung der Sache insoweit steht ein zur Verfahrenseinstellung führendes Verfahrenshindernis nicht entgegen.
29
Entgegen der Auffassung der Verteidigung liegt kein durch einen Verstoß gegen den Grundsatz der Aktenvollständigkeit in Kombination mit einer Verletzung des Akteneinsichtsrechts und einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung des Verfahrens begründetes Verfahrenshindernis vor.
30
Ein Verfahrenshindernis wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch solche Umstände begründet, die es ausschließen, dass über einen Prozessgegenstand mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf. Die Umstände müssen dabei so schwer wiegen, dass von ihrem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muss (vgl. BGH, Urteile vom 9. Dezember 1987 – 3 StR 104/87, BGHSt 35, 137, 140; vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 168 f. mit zahlr. w.N. und vom 11. August 2016 – 1 StR 196/16 Rn. 6; siehe auch Kudlich in Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., Einl. Rn. 353 und Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., Einl. K. Rn. 37 mwN). Bei bloßen Verfahrensfehlern wird dies in der Regel nicht der Fall sein. Der Gesetzgeber sieht selbst bei einem Verstoß gegen § 136a Abs. 1 StPO keinen Anlass, ein Verfahrenshindernis anzunehmen, sondern legt in § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO nur ein (nicht disponibles) Verwertungsverbotfest (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159). Für den Fall der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zuletzt unter sehr hohen Anforderungen und unter Beru- fung darauf, dass dies bei der „schonenden Einpassung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in das nationale Rechts- system“ erforderlich sei, ein Verfahrenshindernisbejaht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14, BGHSt 60, 276; vgl. aber auch Senat, Beschluss vom 19. Mai 2015 – 1 StR 128/15, BGHSt 60, 238). Diese Entscheidung kann jedoch nicht ohne Weiteres auf andere Verfahrensfehler übertragen werden. Ein durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in außergewöhnlichen Einzelfällen, in denen eine angemessene Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen der Sachentscheidung bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt, zu einem Verfahrenshindernis führen (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 171; vgl. auch Meyer-Goßner, Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse, 2011, S. 5 ff.).
31
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier offensichtlich nicht vor. Selbst die Kombination einer Verfahrensverzögerung mit einer fehlerhaften Aktenführung seitens der Staatsanwaltschaft wiegt nicht derart schwer, dass sich eine Entscheidung in der Sache verbietet. Der Senat kann offen lassen, ob das Hinzutreten von Fehlern in der Aktenführung bei gravierenden Verfahrensverzögerungen ein Verfahrenshindernis entstehen lassen könnte. Bei der hier gegebenen Sachlage lässt sich die Verzögerung des Verfahrens, die nicht einmal in der Nähe eines Verfahrenshindernisses angesiedelt werden kann, unter Beachtung der Regelungen der §§ 199, 198 GVG (vgl. hierzu Graf in BeckOK-StPO, Ed. 26, § 199 GVG Rn. 8 ff.) ausreichend kompensieren. Die unzureichende Aktenführung kann ein Gesichtspunkt sein, der im Rahmen der Beweiswürdigung Belang gewinnen kann.
32
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts erweist sich jedoch als rechtsfehlerhaft. Für die revisionsgerichtliche Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung gelten folgende Maßstäbe:
33
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dem Tatrichter obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen , wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZRR 2015, 178). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16 mwN). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). EineBeweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, BGHSt 52, 314 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Beweiswürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, BGHSt 52, 314 mwN). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, NStZ 2009, 512, 513). Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit , dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238). Der Tatrichter darf zudem keine überspannten Anforderungen an die für die Beurteilung erforderliche Gewissheit stellen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Juli 2016 – 1 StR 607/15). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN).
34
3. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil bezüglich des Tatvorwurfs der Untreue durch Unterlassen nicht gerecht. Das Landgericht hat insoweit überspannte Anforderungen an die für die Überzeugungsbildung erforderliche Gewissheit hinsichtlich des auf die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens und des daraus resultierenden Vermögensnachteils bezogenen Vorsatzes des Angeklagten gestellt.
35
Angesichts der Feststellungen des Landgerichts, dass der Angeklagte die schwarze Kasse der RG An. von 1991 bis 1996 selbst führte und auch das bei der zentralen Buchhaltung von Siemens etablierte System der inoffiziellen Verrechnungskonten zur Abverfügung von Geldern in schwarze Kassen kannte und durch die Bilanzbeschwerde „Lombana“ einen Hinweis auf den Fortbestand der inoffiziellen Verrechnungskonten und damit auf den Fortbestand der schwarzen Kasse erhalten hatte, hat das Landgericht nicht tragfähig begründet, warum die Kenntnis des Angeklagten von der schwarzen Kasse nachträglich entfallen sein soll. Insbesondere hatte die Einrichtung von Compliance -Strukturen bei der Siemens AG keinen direkten Bezug zu der schwarzen Kasse der Landesgesellschaften der Region An. . Diese Erwägung des Landgerichts bleibt hypothetisch und zeigt lediglich eine abstrakte Möglichkeit auf, die den Angeklagten zu der Annahme einer Rückführung der schwarzen Kasse veranlasst haben könnte. Es liegt nach den Feststellungen des Landgerichts bezüglich der juristischen Selbstständigkeit der Landesgesellschaften nicht ohne Weiteres nahe, dass sich entsprechende Maßnahmen bei der Siemens AG auch automatisch bei den Landesgesellschaften auswirkten. Allein mit der allgemeinen Erwägung der Einführung eines Compliance-Systems konnte vor diesem Hintergrund der Vorsatz des Angeklagten durch das Landgericht nicht tragfähig verneint werden.
36
4. Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Untreue durch Unterlassen kann hier auch nicht von vorneherein aus Rechtsgründen ausgeschlossen werden. Denn die Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten gegenüber der Siemens AG ergibt sich spätestens seit 1. Oktober 2000 aus seiner Stellung als Mitglied des Zentralvorstands. Zwar stellt nicht jedes Unterhalten einer schwarzen Kasse bzw. deren mangelnde Auflösung eine Untreue im Sinne des § 266 StGB dar, sondern nur, wenn es bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu einem Vermögensnachteil der Treugeberin kommt (vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 499/05, BGHSt 51, 100 und vom 29. August 2008 – 2 StR 587/07, BGHSt 52, 323). Zur Klärung, ob im vorliegenden Fall ein Ver- mögensnachteil der Siemens AG eingetreten ist, wird die neue Wirtschaftsstrafkammer in den Blick zu nehmen haben, ob die Siemens AG direkten Zugriff auf die Gelder der schwarzen Kasse hatte. Andernfalls wird der neue Tatrichter – gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen oder im Wege der Schätzung – bestimmen müssen, inwieweit eine Wertminderung der Anteile an den Tochtergesellschaften durch die mangelnde Rückführung der schwarzen Kasse eingetreten ist.
37
Einer Verurteilung wegen Untreue durch Unterlassen zum Nachteil der Siemens AG im Zeitraum Oktober 2000 bis zum Ausscheiden des Angeklagten im Dezember 2007 stünde dabei nicht entgegen, dass das Unterlassen in der Anklageschrift nur den Zeitraum ab Frühjahr 2004 erfasste und als Untreue zum Nachteil der Landesgesellschaften gewertet wurde. Hierbei handelt es sich um dieselbe prozessuale Tat im Sinne von § 264 StPO, denn darunter fallen alle mit dem in der Anklage enthaltenen Lebensvorgang zusammenhängenden und darauf bezogenen Vorkommnisse, auch wenn sie nicht explizit in der Anklage Erwähnung finden. Ein zeitliches Zusammentreffen der einzelnen Handlungen ist weder erforderlich noch ausreichend (BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 StR 542/11, NStZ-RR 2012, 355). Dies gilt insbesondere beim Unter- lassen, bei dem daher auf den sachlichen Zusammenhang abzustellen ist (BGH, Urteil vom 1. September 1994 – 4 StR 259/94, NStZ 1995, 46). Ein derartiger Zusammenhang liegt hier vor. Ausdrücklich angeklagt war das Verschweigen der schwarzen Kasse der RG An. ab Frühjahr 2004 zum Nachteil der Landesgesellschaften. Jedoch ergibt sich aus den Urteilsfeststellungen, dass der Angeklagte bereits seit 2000 Mitglied des Zentralvorstands war und ihn daher bereits spätestens seit diesem Zeitpunkt eine entsprechende Aufklärungspflicht gegenüber der Siemens AG traf. Zäsuren, die diese Pflicht zwischenzeitlich entfallen ließen, sind nicht ersichtlich. Die unterlassene Rückführung einer schwarzen Kasse stellt ein Dauerdelikt dar, das grundsätzlich erst mit Auflösung der schwarzen Kasse (BGH, Urteil vom 29. August 2008 – 2 StR 587/07, BGHSt 52, 323, 339) oder – im hiesigen Fall mit Ausscheiden des Angeklagten aus der Siemens AG im Dezember 2007 – beendet ist.

V.

38
Der Freispruch bezüglich der Untreuevorwürfe im Zusammenhang mit den Schmiergeldzahlungen (Ziffern II.2. a-c der Anklage) hat dagegen Bestand.
39
1. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
40
a) Der von der Revision beanstandete Verstoß der fehlerhaften Ablehnung des Hilfsbeweisantrags liegt nicht vor. Die Staatsanwaltschaft hat in der Hauptverhandlung einen Hilfsbeweisantrag dahingehend gestellt, dass, falls das Gericht nicht ohnehin zu dem Ergebnis kommen sollte, dass der vom Zeugen Tr. vorgelegte E-Mail-Verkehr authentisch ist und nicht erst nachträglich erstellt wurde, die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt werde. Dies sollte dem Nachweis dienen, dass der E-Mail-Verkehr des Zeugen Tr. nicht nachträglich erstellt wurde und dass ein Schreibfehler in der Datumsangabe des Headers der E-Mail des Zeugen Tr. vom 18. März 2005 auf einer softwarebedingten fehlerhaften Umsetzung des Umlautes „ä“ beruhte. Das Landgericht hat den Antrag rechtsfehlerfrei mit der Begründung abgelehnt, die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei vorliegend ungeeignet, da es an Anknüpfungstatsachen, die eine sachverständige Begutachtung ermöglichen , fehle, weil lediglich die vom Zeugen Tr. übergebenen Blätter vorlägen. Allein aus diesen Dokumenten könne auch ein Sachverständiger nicht die unter Beweis gestellten Rückschlüsse ziehen. Für die Beurteilung der Frage, ob es sich bei dem Schreibfehler im Header um eine softwarebedingte fehlerhafte Umsetzung handelte, habe es ferner an den Anknüpfungstatsachen, nämlich welche Software und welche Rechner verwendet worden seien, gefehlt.
41
b) Die Aufklärungsrüge, dass eine Beiziehung und Inaugenscheinnahme der vom Zeugen Tr. übergebenen Dokumente im Original hätte stattfinden müssen, dringt ebenfalls nicht durch. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Landgericht betonte, dass es aus dem Schreibfehler keinerlei Rückschlüsse auf die Authentizität des vom Zeugen Tr. vorgelegten E-Mail-Verkehrs ziehe und, selbst wenn die Dokumente keinerlei Schreibfehler oder Auffälligkeiten enthalten hätten, aufgrund der ungeklärten Hintergründe dieser Schriftstücke oder Kopien nicht davon ausgegangen wäre, dass die E-Mails authentisch und nicht nachträglich erstellt sind, ergibt sich, dass es sich dem Landgericht nicht aufdrängen musste, diese Dokumente in Augenschein zu nehmen.
42
c) Auch die Aufklärungsrüge, mit der die Revision die mangelnde Vernehmung der Zeugin Th. zu übergebenen E-Mail-Ausdrucken beanstandet , greift nicht durch.
43
Diese Rüge ist bereits unzulässig, da der Inhalt der betreffenden E-Mails nicht in der Revisionsbegründung selber wiedergegeben ist, sondern insoweit auf ein – nicht paginiertes – Anlagenkonvolut Bezug genommen wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. April 2010 – 2 StR 42/10 und vom 24. Juni 2008 – 3 StR 515/07; Cirener, NStZ-RR 2011, 134).
44
2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt bezüglich dieser Tatvorwürfe ebenfalls keinen Rechtsfehler auf.
45
a) Soweit der Generalbundesanwalt beanstandet, dass in der mangelnden Einvernahme der Zeugin Th. eine lückenhafte Beweiswürdigung zu sehen sei, bleibt dies erfolglos. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Erhalt einer beruflichen E-Mail vor über zehn Jahren für die damalige Assistentin des Angeklagten um einen Routinevorgang handelte, drängte sich eine nähere Erörterung eines möglichen Wissens der Zeugin Th. nicht auf. Fehler der Beweiswürdigung können sich grundsätzlich nur hinsichtlich erhobener Beweismittel ergeben. Die mangelnde Einvernahme der Zeugin Th. hätte daher nur aufgrund einer (hier aber nicht zulässig erhobenen) Aufklärungsrüge Berücksichtigung finden können. Die sachlich-rechtliche Beanstandung hat keinen Einfluss auf die fehlende Zulässigkeit der Aufklärungsrüge.
46
b) Auch bedurfte es keiner alle Tatkomplexe umspannenden Gesamtabwägung , da bezüglich der übrigen Tatvorwürfe der Untreue kein relevanter Zusammenhang mit der schwarzen Kasse im Fall III. gegeben ist. Raum Graf Radtke Mosbacher Fischer

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 78 b Abs. 3; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1

a) Die Ablaufhemmung des § 78 b Abs. 3 StGB wird auch durch ein Prozeßurteil
bewirkt, durch welches das Verfahren wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1
Satz 1 MRK eingestellt wird.

b) Ein durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkter Verstoß gegen
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kann in außergewöhnlichen Einzelfällen, wenn eine angemessene
Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Sachentscheidung
bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt, zu einem Verfahrenshindernis
führen, das vom Tatrichter zu beachten und vom Revisionsgericht
von Amts wegen zu berücksichtigen ist.

c) Im Prozeßurteil, durch welches das Verfahren wegen eines Verstoßes gegen
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz eingestellt
wird, hat der Tatrichter sowohl die Verfahrenstatsachen als auch Feststellungen
zum Schuldumfang des Angeklagten und die der Prognose über die weitere
Verfahrensdauer zugrundeliegenden Tatsachen sowie die die Entscheidung
tragende Gesamtwürdigung im einzelnen und in nachprüfbarer Weise darzulegen.
BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 - 2 StR 232/00 - LG Köln

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 232/00
vom
25. Oktober 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Verhandlung vom
4. Oktober 2000 in der Sitzung am 25. Oktober 2000, an denen teilgenommen
haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt in der Verhandlung,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
in der Verhandlung
als Verteidiger,
der Angeklagte in Person in der Verhandlung,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. Oktober 1999 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten wegen Betrugs in 60 Fällen und versuchten Betrugs in sieben Fällen durch Prozeßurteil eingestellt, weil einer Fortsetzung des Verfahrens eine rechtsstaatswidrige überlange Verfahrensdauer entgegenstehe. Die hiergegen eingelegte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie führt zur Aufhebung des Einstellungsurteils.

I.


1. Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, als Alleingesellschafter und Vorstand der D.-AG den Verkauf einer Vielzahl von Eigentumswohnungen in Wohnanlagen des sozialen Wohnungsbaus im sogenannten "Erwerbermodell" zwischen privaten Anlegern und mehreren von ihm beherrschten Gesellschaf-
ten, die die Immobilien zuvor angekauft hatten, betrügerisch vermittelt zu haben. Dabei sollen die Anleger zum einen durch eine den - überhöhten - Kaufpreis der minderwertigen, zumeist sanierungsbedürftigen Wohnungen weit übersteigende Gesamtfinanzierung, weiterhin durch das in Aussicht stellen von - angesichts der Einkommens- und Vermögenslage der Erwerber zumeist unrealistisch hohen - Steuerersparnissen, insbesondere aber durch eine von den jeweiligen Vermittlern mündlich gegebene Zusage zum Kauf veranlaßt worden sein, die erworbene Eigentumswohnung könne nach zwei Jahren zum Bruttofinanzierungspreis - der in Einzelfällen bei über 150 % des Kaufpreises lag - an die D.-AG "zurückgegeben" werden. Der Angeklagte soll als Alleinvorstand der D.-AG dieses Vertriebsmodell etwa im Jahre 1983 entwickelt und über seine beherrschende Rolle in drei zum De.-Konzern gehörenden Vermittlungs- und Finanzierungsgesellschaften sowie in zwei weiteren, als Treuhänder eingeschalteten Gesellschaften in der Weise umgesetzt haben, daß er in Besprechungen und Schulungen die nach Art einer Vertriebspyramide organisierten Vertriebsmitarbeiter der zum De.-Konzern gehörenden Gesellschaften unmittelbar oder mittelbar anwies, die Wohnungen insbesondere auch mit dem Rückkaufs-Argument anzubieten. Durch diese in Täuschungsabsicht abgegebene - und unter Hinweis auf die Steuerschädlichkeit nur mündlich erklärte und nicht beurkundete - Zusage sollen zwischen Oktober 1984 und November 1986 eine Vielzahl von Anlegern getäuscht und zum Kauf von Eigentumswohnungen zu überhöhten Preisen bewogen worden sein. Die Wohnungen sollen später entgegen der Zusage jedoch nur in Einzelfällen - bei Abschluß neuer Verträge - zurückgenommen, teilweise auch in Immobilienfonds eingebracht worden sein; ganz überwiegend sollen die Immobilien nach Ablauf einer vereinbarten Mietgarantie für die Erwerber nur weit unter dem Einstandspreis verwertbar oder auf dem freien Markt gar nicht mehr verkäuflich gewesen sein. Hierdurch
sei den Erwerbern jeweils ein Schaden in Höhe des Minderwerts der Wohnung entstanden.
2. Dem angefochtenen Urteil liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:

a) Strafanzeigen gegen den Angeklagten und andere am Vertrieb der Wohnungen beteiligte Personen gingen ab November 1986 bei verschiedenen Staatsanwaltschaften im Bundesgebiet ein. Der Angeklagte erhielt durch Ladung vom 19. Februar 1987 zur polizeilichen Vernehmung erstmals Kenntnis von den gegen ihn gerichteten Ermittlungen. Am 24. Mai 1988 verband die Staatsanwaltschaft Köln insgesamt acht an sie abgegebene und eigene Ermittlungsverfahren ; im August 1988 und Februar 1989 wurden weitere Verfahren hinzuverbunden. In der Folgezeit zog die Staatsanwaltschaft eine Vielzahl von Urkunden bei, insbesondere Handelsregister- und Grundbuchauszüge. Im Oktober 1988 ergingen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen den Angeklagten, vier weitere Mitbeschuldigte sowie gegen die von ihnen geführten Gesellschaften; die Durchsuchungen sowie die Beschlagnahme umfangreicher Unterlagen hinsichtlich 34 von der D.-AG vermittelter Wohnungsanlagen - die Wohnung des Angeklagten wurde erst fünf Monate später durchsucht - erfolgten im Februar 1989. Am 19. Dezember 1988 leitete die Staatsanwaltschaft die Akten der Kriminalpolizei Köln mit dem Auftrag zu, die notwendigen Ermittlungen durchzuführen.
Am 9. Februar 1989 ergingen auf Antrag der Staatsanwaltschaft weitere Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen eine weitere vom Angeklagten beherrschte Treuhand-Gesellschaft sowie gegen eine Vielzahl von Banken im gesamten Bundesgebiet, in der Folgezeit auch gegen eine Vielzahl
von Vermittlern. Eine Auswertung der Durchsuchungen sowie einer mittels Fragebogen bei zahlreichen Anlegern durchgeführten Zeugenbefragung legte die Polizei im Februar 1990 vor. Am 5. Oktober 1990 wurden die Ermittlungen auf eine weitere in die Gesamtabwicklung eingeschaltete Gesellschaft ausgedehnt. Es ergingen in der Folge weitere Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen verschiedene Gesellschaften und deren Mitarbeiter, unter anderem erneut gegen den Angeklagten und die von ihm geführte D.-AG; die Durchsuchungen wurden bis 6. Dezember 1990 vollzogen. Zwischen dem 11. Dezember 1990 und dem 14. November 1991 wurden sechs Mitarbeiter und Geschäftsführer von in das Vertriebssystem eingebundenen Gesellschaften vernommen; vermutlich im Frühjahr 1992 führte die Polizei darüber hinaus Befragungen von Vertriebsrepräsentanten durch. Am 27. August 1992 sandte die Kriminalpolizei Köln die Akten mit einem umfangreichen Schlußvermerk an die Staatsanwaltschaft zurück.

b) Eine Verfahrensförderung erfolgte dort - bis auf die Anforderung von Beiakten - zunächst nicht. Im November 1993 wurde der frühere Mitbeschuldigte G., der Geschäftsführer einer der eingeschalteten Gesellschaften, von der Staatsanwaltschaft vernommen; es wurde mit ihm eine mögliche Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO erörtert. Ein weiteres Gespräch über eine Verfahrenseinstellung fand mit dem früheren Mitbeschuldigten D. im Januar 1994 statt. Bei einer am 15. Dezember 1993 mit dem Verteidiger des Angeklagten geführten Besprechung über eine mögliche Verfahrenseinstellung wurde keine Einigkeit über die Höhe einer möglichen Geldzahlungsauflage erzielt.
Am 7. Juni 1994 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen G. gegen Zahlung eines Geldbetrags von 240.000 DM und das Verfahren gegen
D. gegen Zahlung eines Geldbetrags von 150.000 DM ein. Alle Verfahren gegen Bankmitarbeiter wurden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, ebenso die Verfahren gegen Mitarbeiter einer eingeschalteten Treuhand-Gesellschaft sowie gegen alle Vertriebsrepräsentanten. Die Verfahren gegen die Erwerber der Immobilien wegen Steuerdelikten wurden nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt, das Verfahren gegen Mitarbeiter einer weiteren Treuhand-Gesellschaft abgetrennt , das Verfahren gegen die Verantwortlichen zweier weiterer Gesellschaften nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die Tatvorwürfe gegen den Angeklagten als Vorstand einer Verwaltungsgesellschaft (V-AG) wurden nach § 154 Abs. 1 StPO ausgeschieden.

c) Am 1. August 1994 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage zur Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Köln wegen 74 selbständiger Fälle des Betrugs "bzw." des Betrugsversuchs im besonders schweren Fall in der Zeit zwischen September 1984 und November 1986, begangen jeweils in Mittäterschaft mit den früheren Mitbeschuldigten G. und D. Nur pauschal aufgeführt sind daneben weitere 256 Fälle, in denen bereits zum Zeitpunkt der Anklageerhebung die (absolute) Verjährung nach § 78 c Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB eingetreten war. Die Anklage im Fall 9 a (letzter Tatzeitpunkt ) wurde am 14. September 1994 zurückgenommen.
Anregungen der Kammervorsitzenden, die Täuschungshandlung und den jeweiligen Vermögensschaden darzulegen, trat die Staatsanwaltschaft am 14. September 1994 entgegen. Die Verteidigung beantragte am 17. Oktober 1994, im Zwischenverfahren Beweis zum Fehlen eines Vermögensschadens durch Einholung von Sachverständigen-Gutachten zu erheben.

d) Am 21. November 1994 erging - ohne weitere Beweiserhebung - Eröffnungsbeschluß. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde in einem Fall (Fall 11 a) wegen inzwischen eingetretener Verjährung, in fünf Fällen (Fälle 13 a, 14 b, 14 c, 14 e, 14 g der Anklage) mangels hinreichenden Tatverdachts abgelehnt; in sieben Fällen (Fälle 4 b, 6 f, 8 d, 8 g, 8 h, 10 g, 13 b) bejahte die Kammer hinreichenden Tatverdacht nur wegen versuchten Betrugs. Zur Frage der Verjährung führte der Eröffnungsbeschluß aus, es komme entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft für die Beendigung der Taten und damit für den Beginn der Verjährungsfrist nicht auf den Abschluß der notariellen Kaufoder Treuhandverträge, sondern auf den Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung an. Diesen Zeitpunkt habe die Kammer in neun Fällen den Akten entnehmen können ; in den übrigen Fällen sei es hinreichend wahrscheinlich, daß die Taten nicht verjährt seien. Eine Bescheidung des von der Verteidigung im Zwischenverfahren gestellten Beweisantrags erfolgte nicht. In einem Beschluß vom 22. Februar 1995, mit welchem ein Antrag der Verteidigung auf Nachholung des rechtlichen Gehörs zurückgewiesen wurde, ist hierzu ausgeführt, es habe der Beweiserhebung "zur Beurteilung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlichen dringenden Tatverdachts nicht bedurft"; davon abgesehen, hätte die Beweiserhebung "dazu geführt, daß die Verjährung hinsichtlich weiterer Fälle nicht rechtzeitig durch den Eröffnungsbeschluß zum Ruhen gebracht worden wäre. Dem hatte die Kammer auch unter Berücksichtigung und Abwägung der Interessen des Angeklagten an der beantragten Beweiserhebung durch rechtzeitigen Erlaß des Eröffnungsbeschlusses entgegenzuwirken."
Im folgenden wurde - unter Verfügung der Wiedervorlage zum 1. Juni, 1. September und 1. Dezember 1995 sowie zum 1. März 1996 - jeweils in der Akte vermerkt, eine Terminierung sei wegen vorrangiger Haftsachen nicht
möglich. Mit Beschluß vom 13. Juni 1996 ordnete das Landgericht die Erstellung von 69 Wertgutachten durch sieben Sachverständige zur Ermittlung des Verkehrswerts der Wohnungen an; die Gutachten gingen bis zum 19. März 1997 ein. Unter dem 21. März, 21. August und 21. November 1997, 20. Februar, 6. Mai und 24. Juni 1998 vermerkte der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer jeweils, eine Förderung des Verfahrens sei wegen anderweitiger Verhandlungen in Haftsachen nicht möglich.
Am 27. Juli 1998 beantragte der Verteidiger des Angeklagten, das Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer einzustellen, hilfsweise eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO. Bis zum Dezember 1998 folgten Verhandlungen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung über eine mögliche Verfahrenseinstellung gegen die Auflage einer Geldzahlung. Am 3. Dezember 1998 vermerkte der Vorsitzende in der Akte, die Kammer halte eine Einstellung nach § 153 a StPO für sachgerecht, eine Einigung zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung sei jedoch nicht erzielt worden. Am 11. Dezember 1998 wurde die Hauptverhandlung auf (vorerst) 126 Sitzungstage vom 13. Januar bis 29. Dezember 1999 terminiert.

e) Die Kammer verhandelte vom 13. Januar 1999 bis zum 30. September 1999 an insgesamt 44 Verhandlungstagen; es wurden 48 Zeugen und zwei Sachverständige vernommen. Im Laufe der Hauptverhandlung (29., 30., 31. Verhandlungstag) wurde erneut die Möglichkeit einer Einstellung nach § 153 a StPO erörtert, eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Am 34. Verhandlungstag (9. Juli 1999) stellte das Landgericht das Verfahren hinsichtlich aller Anklagepunkte bis auf 16 nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein.
Am 44. Verhandlungstag wurden diese eingestellten Fälle wieder einbezogen; am 45. Verhandlungstag erging das Einstellungsurteil.
3. In dem Urteil vom 4. Oktober 1999 hat das Landgericht ausgeführt, eine kurzfristige Beendigung des Verfahrens durch Sachurteil sei nicht möglich ; nach dem Stand der Beweisaufnahme seien noch eine Vielzahl weiterer Zeugen sowie weitere Sachverständige zu vernehmen. Die Verfahrensverzögerungen im Bereich der Justiz seien auf andauernde, strukturelle Umstände zurückzuführen ; eine Hilfsstrafkammer habe wegen der Personalknappheit beim Landgericht Köln nicht gebildet werden können. Die bisherige Beweisaufnahme habe ergeben, "daß eine möglicherweise festzustellende Schuld des Angeklagten ... jedenfalls nicht übermäßig groß ist" (UA S. 15). Die Schuld des Angeklagten sei, "sollte eine solche überhaupt feststellbar sein, jedenfalls gering" (UA S. 17); sie "würde sich ... jedenfalls geringer darstellen, als dies in der Anklageschrift zum Ausdruck kommt" (UA S. 18). Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen , daß die Erwerber der Wohnungen die angestrebten Steuervorteile tatsächlich erlangt haben. Es sei nicht ausgeschlossen, daß vor November 2001 - Eintritt der absoluten Verjährung des letzten Falles - ein Sachurteil nicht ergehen könne. In noch hinnehmbarer Zeit werde weder ein Sachurteil noch ein Abschluß des Verfahrens durch Einstellung nach § 153 a oder § 153 StPO möglich sein. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles habe zwar zu Beginn der Hauptverhandlung ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK noch nicht vorgelegen; die Fortsetzung der Hauptverhandlung sei jedoch mit rechtsstaatlichen Anforderungen nicht mehr vereinbar (UA S. 17).

II.


Ein Verfahrenshindernis läßt sich nicht abschließend feststellen.
1. Ein Verfahrenshindernis ergibt sich hier nicht aus dem Eintritt der Verfolgungsverjährung.

a) Das Landgericht hat im Eröffnungsbeschluß vom 21. November 1994 die auch von der Anklage vertretene Auffassung zugrunde gelegt, es handele sich bei den dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen um selbständige Taten mit jeweils einzeln zu bestimmendem Verjährungsbeginn. Auch wenn dies zuträfe, so war bei Erlaß des Eröffnungsbeschlusses die - absolute - Verjährungsfrist hinsichtlich derjenigen Fälle nicht abgelaufen, in welchen die vollständige Kaufpreiszahlung durch den jeweiligen Erwerber der Immobilie nach dem 20. November 1984 erfolgte, denn die Tatbeendigung tritt im Fall des § 263 StGB erst mit Erlangung des (letzten) Vermögensvorteils ein; erst zu diesem Zeitpunkt begann daher die Verjährungsfrist zu laufen (§ 78 a StGB). Die hier nach § 78 Abs. 3 Nr. 4, § 263 Abs. 1 a.F. StGB geltende regelmäßige Verjährungsfrist von fünf Jahren ist durch die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens, die mehrfachen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen sowie die Anklageerhebung wirksam unterbrochen worden.

b) Nach § 78 b Abs. 3 StGB läuft die Verjährung nach Erlaß eines Urteils im ersten Rechtszug nicht vor dem rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens ab. Die Wirkung der Ablaufhemmung, die nach § 78 c Abs. 3 Satz 3 StGB auch für den Eintritt der "absoluten" Verjährung nach § 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB gilt, tritt auch durch ein auf Einstellung lautendes Prozeßurteil unabhängig von
dessen sachlicher Richtigkeit ein (BGHSt 32, 209, 210; Jähnke in LK 11. Aufl. § 78 b Rdn. 14; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 78 b Rdn. 7; Stree in Schönke /Schröder, StGB 25. Aufl. § 78 b Rdn. 12; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 78 b Rdn. 11; jew.m.w.N.). Auch auf Mängel der Anklage oder des Eröffnungsbeschlusses kommt es - im Rahmen der Reichweite des § 264 StPO - für den Eintritt der Ablaufhemmung grundsätzlich nicht an (vgl. BGH NJW 1994, 808, 809; BGH NStZ-RR 1997, 167). Das gilt auch für ein Urteil, das die Einstellung des Verfahrens auf die Annahme eines aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verfahrenshindernisses stützt. Auch ein solches Urteil wird vom Wortlaut des § 78 b Abs. 3 StGB erfaßt; eine Differenzierung nach den das Einstellungsurteil tragenden Gründen ist dem Gesetz nicht zu entnehmen und wäre mit dem gerade im Verjährungsrecht geltenden Gebot klarer, einfacher Regelungen unvereinbar.

c) Der Eröffnungsbeschluß vom 21. November 1994 hatte entgegen der Auffassung der Verteidigung die Wirkung des § 78 b Abs. 4 Satz 1 StGB, wonach die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht in Fällen des § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB - hier § 263 Abs. 3 StGB a.F. - ein Ruhen der Verjährung für einen Zeitraum von höchstens 5 Jahren bewirkt. Diese Hinausschiebung des Eintritts der Verjährung auf einen Zeitpunkt bis zu 15 Jahre nach Tatbeendigung, falls zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses die absolute Verjährung noch nicht eingetreten war, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG NJW 1995, 1145) und entspricht einem dringenden praktischen Bedürfnis in Fällen besonders aufwendiger Hauptverhandlungen (vgl. BT-Drucks. 12/3832 S. 44 ff). Ob die verjährungsverlängernde Wirkung des Eröffnungsbeschlusses dann ausscheidet, wenn er in willkürlicher Weise ergangen ist, kann offenbleiben; es liegt dafür hier kein Anhaltspunkt vor. Ein
solcher ergibt sich auch nicht daraus, daß das Landgericht den Eröffnungsbeschluß angesichts des drohenden Ablaufs der (absoluten) Verjährungsfrist am 21. November 1994 erließ, ohne den vom Verteidiger des Angeklagten im Zwischenverfahren gestellten Beweisantrag zur Ermittlung eines möglichen Schadenseintritts zu bescheiden, die beantragte Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten jedoch - ohne daß das Verfahren zwischenzeitlich eine Förderung erfahren hatte - am 22. April 1996 anordnete. Dies mag, namentlich im Hinblick darauf, daß das Landgericht schon nach Eingang der Anklageschrift im August 1994 die Staatsanwaltschaft ersucht hatte, konkretisierend zur Frage des Eintritts eines Vermögensschadens Stellung zu nehmen (Bd. XVI Bl. 77 ff d.A.), zu einer weiteren vermeidbaren Verfahrensverzögerung geführt haben; gleichwohl wird die Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses davon nicht berührt. Das Landgericht hat im Eröffnungsbeschluß einen hinreichenden (im Beschluß mißverständlich: "dringenden") Tatverdacht im Umfang der zugelassenen Anklage bejaht und dies mit vertretbaren Erwägungen über den Nichteintritt der Verjährung in den Fällen begründet, in welchen sich der Zeitpunkt der Tatbeendigung weder aus der Anklage noch aus den Verfahrensakten ergab. Daß das Landgericht in einem weiteren, auf einen Antrag des Verteidigers nach § 33 a StPO ergangenen Beschluß vom 22. Februar 1995 ausgeführt hat, daß die Kammer durch rechtzeitigen Erlaß des Eröffnungsbeschlusses der Gefahr des Eintritts der absoluten Verjährung entgegenzuwirken "hatte" (Bd. XVI Bl. 280 ff. d.A.), gibt keinen Hinweis auf eine sachwidrige Behandlung , da Maßnahmen, welche einzig dem Ziel dienen, den Eintritt der Verjährung zu verhindern, auch im übrigen grundsätzlich zulässig sind (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 78 c Rdn. 11 m.w.N.).
2. Der Senat kann nicht abschließend prüfen, ob sich hier aus der Verletzung des Beschleunigungsgebots ein zur Einstellung zwingendes Verfahrenshindernis ergibt.

a) Ein Verfahrenshindernis wird durch solche Umstände begründet, die es ausschließen, daß über einen Prozeßgegenstand mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf (BGHSt 32, 345, 350; 36, 294, 295; 41, 72, 75; Rieß in LR 25. Aufl. § 206 a Rdn. 22; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. Einl. Rdn. 143; Tolksdorf in KK StPO 4. Aufl. § 206 a Rdn. 1; Pfeiffer, StPO 2. Aufl. § 206 a Rdn. 4 und in KK-StPO 4. Aufl. Einl. Rdn. 131). Sie müssen so schwer wiegen, daß von ihrem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muß (BGHSt 35, 137, 140). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt die Verletzung des Beschleunigungsgebots grundsätzlich nicht zu einem solchen Verfahrenshindernis (BGHSt 21, 81; 24, 239; 27, 274; 35, 137, 140; BGH NJW 1995, 737; 1996, 2739; wistra 1993, 340; 1997, 347; NStZ 1990, 94; 1996, 21; 1996, 506; 1997, 543; Strafverteidiger 1992, 452, 453; 1994, 652, 653; NStZ-RR 1998, 103, 104; 108). Dies hat seinen Grund darin, daß die Tatsache und das Gewicht des Verstoßes nur in einer Gesamtabwägung und mit Blick auf die dem Verfahren zugrundeliegende Beschuldigung und das Maß des Verschuldens bestimmt werden können; diese Feststellung entzieht sich einer allein formellen Betrachtung. Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluß vom 24. November 1983 (NJW 1984, 967) darauf hingewiesen , die Auffassung, aus einer Verletzung des Beschleunigungsgebots könne in keinem Fall ein Verfahrenshindernis hergeleitet werden, begegne verfassungsrechtlichen Bedenken. Zugleich hat es klargestellt, daß ein unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes abzuleitendes Verfahrenshin-
dernis allein dann in Betracht komme, wenn in extrem gelagerten Fällen, in welchen das Ausmaß der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiegt und die Dauer des Verfahrens zudem mit besonderen Belastungen für den Beschuldigten einhergegangen ist, das Strafverfahrensrecht keine Möglichkeit zur Verfahrensbeendigung, z.B. durch Anwendung des § 153 StPO, zur Verfügung stellt. Im Beschluß vom 19. April 1993 (NJW 1993, 3254 ff; vgl. auch BVerfG NJW 1995, 1277, 1278) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung müsse sich, da die Strafe verhältnismäßig sein und in einem gerechten Verhältnis zu dem Verschulden des Täters stehen müsse, bei der Strafzumessung auswirken, wenn sie nicht im Extrembereich zur Einstellung oder zum Vorliegen eines Verfahrenshindernisses führe.
Der Bundesgerichtshof hat in BGHSt 35, 137 im Fall eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK aufgrund einer willkürlichen, "außergewöhnlichen und beispiellosen Verzögerung" der Aktenvorlage nach § 347 StPO ein "Zurückverweisungsverbot" angenommen, das Verfahren abgebrochen und durch Urteil eingestellt. Dem lag die Besonderheit zugrunde, daß der Schuldspruch in dem außerordentlich umfangreichen und komplexen Verfahren von den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts nicht getragen wurde, so daß das Urteil insgesamt hätte aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung hätte zurückverwiesen werden müssen. Der Bundesgerichtshof ist in der genannten Entscheidung auf der Grundlage der tatrichterlichen - wenngleich unzureichenden - Feststellungen davon ausgegangen, daß eine neue Verhandlung auch zum Schuldspruch voraussichtlich erst nach Jahren zu einem Abschluß des Verfahrens führen und daher den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK weiter vertiefen würde; eine Einstellung des Verfahrens nach
§ 153 StPO kam wegen Verweigerung der Zustimmung durch die Staatsanwaltschaft nicht in Betracht.
Entsprechend haben verschiedene Oberlandesgerichte einen Abbruch des Verfahrens aus rechtsstaatlichen Gründen für unabweisbar gehalten, wenn einer außergewöhnlichen, vom Beschuldigten nicht zu vertretenden und auf Versäumnisse der Justiz zurückzuführenden Verfahrensverzögerung, die den Beschuldigten unter Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls, namentlich des Tatvorwurfs, des festgestellten oder voraussichtlich feststellbaren Schuldumfangs sowie möglicher Belastungen durch das Verfahren, in unverhältnismäßiger Weise belastet, im Rahmen einer Sachentscheidung keinesfalls mehr hinreichend Rechnung getragen werden kann (vgl. etwa OLG Zweibrükken NStZ 1989, 134 und NStZ 1995, 49; OLG Düsseldorf NStZ 1993, 450; vgl. auch BGH StV 1995, 130, 131). Ob das bei einer solchen Sachlage bestehende Verfolgungsverbot als stets von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis zu verstehen ist (so etwa OLG Koblenz NJW 1994, 1887; OLG Zweibrücken NStZ 1989, 134; LG Düsseldorf NStZ 1988, 427; LG Bad Kreuznach NJW 1993, 1725), hat der Bundesgerichtshof bislang offen gelassen (BGHSt 35, 137, 143; vgl. auch NJW 1996, 2739; wistra 1993, 340; 1994, 21; BGH, Beschluß vom 16. August 1996 - 1 StR 745/95 [in BGHSt 42, 219 nicht abgedruckt]). In der Literatur ist die Frage umstritten; überwiegend wird die Annahme eines Verfahrenshindernisses auch in Extremfällen abgelehnt (vgl. etwa Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl. 1999, Rdn. 9 zu Art. 6 MRK; Rieß in Löwe /Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 206 a Rdn. 56; Paulus in KMR StPO § 206 a Rdn. 35; Pfeiffer in KK-StPO, 4. Aufl. Einl. Rdn. 12 f., 131; jeweils m.w.Nachw.).
Der Senat ist der Ansicht, daß das in ganz außergewöhnlichen Sonderfällen aus der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz folgende Verbot einer weiteren Strafverfolgung als Verfahrenshindernis zu behandeln und v om Tatrichter zu beachten ist; vom Revisionsgericht ist sein Vorliegen in diesen Fällen von Amts wegen zu berücksichtigen. Dem stehen weder der Zusammenhang mit dem materiell -rechtlichen Schuldgrundsatz noch das Erfordernis entgegen, das Vorliegen des Hindernisses aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu prüfen. Deren Notwendigkeit kann sich im Einzelfall auch bei der Prüfung anderer Verfahrensvoraussetzungen ergeben, etwa der des Vorliegens eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung, des Nichteintritts der Verfolgungsverjährung oder des Eingreifens eines Straffreiheitsgesetzes. Im Hinblick auf die Bedeutung des in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kodizifierten Menschenrechts auf eine rechtsstaatliche Behandlung und Entscheidung über die erhobene strafrechtliche Anklage innerhalb angemessener Frist kann ein Verstoß hiergegen, wenn seine Kompensation im Rahmen einer Sachentscheidung nicht mehr in Betracht kommt, für die Zulässigkeit des weiteren Verfahrens keine geringeren Folgen haben als der Verjährungseintritt, der einer Sachentscheidung sogar unabhängig von der konkreten Tatschuld entgegensteht. Der Gesichtspunkt, daß Verfahrenshindernisse in der Regel - wenngleich nicht stets - an objektiv feststellbare Tatsachen anknüpfen und nicht Ergebnis wertender Abwägungen sind (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. Einl. Rdn. 148 m.w.Nachw.), tritt dem gegenüber dann zurück, wenn feststeht, daß für eine solche Abwägung aufgrund des Gewichts des Verstoßes kein Raum bleibt. In diesem Fall würde eine Fortsetzung des Verfahrens allein zur Vertiefung des Grundrechtsverstoßes führen; dem steht das Rechtsstaatsprinzip entgegen.


b) Der Senat kann hier auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen und des ihm zugänglichen Akteninhalts feststellen, daß ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK aufgrund einer vom Angeklagten nicht zu vertretenden überlangen Verfahrensdauer vorliegt: Das Verfahren dauert seit der erstmaligen Bekanntgabe an den Angeklagten bereits 13 1/2 Jahre an. Bis zum Schlußbericht der Kriminalpolizei vergingen mehr als fünf Jahre, in denen die Ermittlungen mehrfach ausgedehnt wurden, aber jedenfalls seit Ende 1988 offenbar wenig substantiellen Erkenntnisgewinn brachten. Erst im Dezember 1990 erfolgte die erste Vernehmung eines Tatbeteiligten; Vernehmungen der Vertriebsmitarbeiter, durch welche die täuschenden Zusagen unmittelbar an die Geschädigten weitergegeben worden sein sollen, sind erst im Frühjahr 1992 durchgeführt worden. Zwischen dem Eingang des Schlußberichts der Kriminalpolizei vom 27. August 1992 und der Erhebung der Anklage am 27. Juli 1994, die im wesentlichen den Inhalt des Schlußberichts wiedergibt, vergingen zwei Jahre, in denen fast ausschließlich Verhandlungen mit verschiedenen Beschuldigten über Verfahrenseinstellungen geführt wurden. Zwischen dem Erlaß des Eröffnungsbeschlusses am 21. November 1994 und der Terminierung der Hauptverhandlung am 11. Dezember 1998 sind weitere vier Jahre vergangen, in denen außer der Einholung von Sachverständigengutachten zwischen April 1996 und März 1997 eine Verfahrensförderung nicht festzustellen ist. Eine durch das Verhalten des Angeklagten verursachte Verzögerung des Verfahrens liegt nicht vor; die Verzögerungen sind vielmehr, soweit dies dem Schreiben des Präsidenten des Landgerichts Köln vom 30. August 1999 an den Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer und dem Inhalt der Verfahrensakte entnommen werden kann, jedenfalls seit Eingang der Anklageschrift allein auf organisatorische Gründe im Bereich der Justiz zurückzuführen.

Auch wenn die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung jedenfalls dann nicht allein auf den insgesamt abgelaufenen Zeitraum gestützt werden kann, wenn dem Verfahren ein komplexer Sachverhalt zugrunde liegt, dessen Beurteilung umfangreiche und aufwendige Ermittlungen erforderlich macht (vgl. BVerfG NJW 1984, 967; 1993, 3254, 3255; BGH wistra 1993, 340; BGHR MRK Art. 6 I Verfahrensverzögerung 5, 6, 8, 9), so ist doch hier angesichts des Umstands, daß die Grenze der absoluten Verjährung inzwischen um mehr als drei Jahre überschritten wäre und das Verfahren seit Anklageerhebung mindestens fünf Jahre lang aus allein im Bereich der Justiz liegenden Gründen nicht gefördert wurde, ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gegeben. Entgegen der Auffassung des Landgerichts lag dieser auch bereits zu Beginn der Hauptverhandlung vor; die Annahme, er sei erst nach Beginn der Hauptverhandlung, die an durchschnittlich zwei Tagen pro Woche stattfand, oder gerade durch diese eingetreten, trifft nicht zu.

c) Das Landgericht hat den Abbruch der Hauptverhandlung auf die rechtliche Erwägung gestützt, die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK vor demjenigen Zeitpunkt, in welchem eine verfahrensabschließende Sachentscheidung ergehen kann, führe jedenfalls dann zwangsläufig zum Eintritt eines Verfahrenshindernisses, wenn die weitere Dauer des Verfahrens nicht absehbar ist, weil eine bewußte Vertiefung der Rechtsverletzung durch Fortsetzung der Hauptverhandlung - allein mit Blick auf eine spätere Kompensation bei der Rechtsfolgenentscheidung - ihrerseits mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar wäre (UA S. 31 ff.). Die Urteilsausführungen hierzu setzen im Ergebnis die Feststellung des Verstoßes mit der Notwendigkeit des Verfahrensabbruchs gleich; das ergibt sich auch aus der Annahme
des Landgerichts, bis zum Beginn der Hauptverhandlung habe ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK noch nicht vorgelegen. Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Die Feststellung eines gravierenden Verfahrensverstoßes führt auch in sonstigen Fällen - etwa bei unzulässiger Tatprovokation durch polizeiliche V-Leute, bei Verstößen gegen § 136 a StPO oder gegen das rechtsstaatliche Gebot des "fair trial" - nicht zur Undurchführbarkeit des Verfahrens. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bei einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK nicht etwa einen Abbruch des Verfahrens gefordert, sondern eine Verpflichtung des Mitgliedsstaates festgestellt, die Rechtsverletzung in Anwendung des nationalen Rechts in angemessener Weise zu kompensieren (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Juli 1982, EuGRZ 1983, 371). Dem entspricht der auch in BGHSt 35, 137, 140 ff. hervorgehobene Grundsatz, daß weder die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK noch die Entscheidung darüber, in welcher Weise sich dieser Verstoß auf das Verfahrensergebnis auswirken muß, unabhängig von den Umständen des Einzelfalles , namentlich auch vom Maß der Schuld des Angeklagten möglich ist. Ob ein festgestellter Verstoß so gewichtig ist, daß eine Kompensation im Rahmen einer Sachentscheidung nicht mehr in Betracht kommt, und er daher der Weiterführung des Verfahrens insgesamt entgegensteht, kann regelmäßig nicht ohne tatsächliche Feststellungen zur Tatschuld des Angeklagten beurteilt werden.
Das Landgericht hat hierzu, wie die Revision zutreffend hervorhebt, keine für das Revisionsgericht nachprüfbaren Feststellungen getroffen. Ergebnisse der mehr als 40 Verhandlungstage umfassenden Beweisaufnahme sind in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt; diese erschöpfen sich vielmehr in einer Darstellung der Verfahrensgeschichte sowie rechtlichen Ausführungen zum
Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Das Urteil enthält auch keine Feststellungen darüber, aus welchen Gründen es dem Landgericht nicht möglich war festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Betrugs vorliegen. Die Ausführungen des Landgerichts zum Verschulden des Angeklagten , dieses sei "nicht übermäßig groß" (UA S. 15), "jedenfalls gering" (UA S. 17), eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO gegen Zahlung eines Geldbetrags von mindestens 1,5 Mio. DM, wie es die Staatsanwaltschaft gefordert habe, werde "der bisher durchgeführten Beweisaufnahme in keiner Weise gerecht" (UA S. 29), finden in den Urteilsfeststellungen keine Grundlage ; der Senat kann aufgrund des Fehlens tatsächlicher Feststellungen die rechtliche Bewertung durch das Landgericht nicht überprüfen.
Dies gilt gleichermaßen für die nur lückenhaft mitgeteilten Verfahrenstatsachen. Die Urteilsgründe geben keinen Aufschluß darüber, auf Grundlage welcher bisherigen Beweisergebnisse das Landgericht zu der Ansicht gelangt ist, eine Sachentscheidung sei "unter Umständen" nicht vor dem Ende des Jahres 2001 möglich. Insoweit wird nur pauschal erwähnt, es sei noch "eine Vielzahl von weiteren Zeugen, die zum Teil im Ausland aufhältig sind, und weitere Sachverständige zu hören" (UA S. 8); hinsichtlich sieben Fällen sei die Erstellung eines neuen Sachverständigengutachtens erforderlich (ebenda). Hieraus ergibt sich nicht mit einer vom Revisionsgericht überprüfbaren Deutlichkeit, welche tatsächlichen Hindernisse hier die vom Landgericht prognostizierte weitere Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren begründen könnten.
Indem das Landgericht sich in dem angefochtenen Urteil weitgehend auf die Ausführung rechtlicher Wertungen beschränkt, von der Mitteilung der diesen zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen jedoch absieht, entzieht
es dem Revisionsgericht zugleich die Grundlage für eine rechtliche Überprüfung. Dem Senat ist es - anders, als dies der Entscheidung BGHSt 35, 137 zugrunde lag - aufgrund des gänzlichen Fehlens tatsächlicher Feststellungen nicht möglich zu beurteilen, ob die Umstände des Einzelfalls angesichts der überlangen Verfahrensdauer und des vom Angeklagten nicht zu vertretenden Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot hier einen Extremfall begründen, in welchem der Verstoß weder durch eine Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung - ggf. unter Anwendung von § 59 StGB - noch etwa durch Einstellung nach § 153 a oder § 153 StPO hinreichend ausgeglichen werden kann.
Der rechtsfehlerhafte Verzicht auf nachprüfbare Tatsachenfeststellungen muß daher zur Aufhebung des Urteils führen. Die Prüfung aufgrund des dem Senat auch ohne Verfahrensrüge zugänglichen Akteninhalts erlaubt hier zwar die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, nicht aber eine Entscheidung, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles, insbesondere auch des dem Angeklagten zuzurechnenden Schuldumfangs, eine Verfahrenseinstellung in Fortentwicklung der Grundsätze in BGHSt 35, 137 erfolgen muß. Tatrichterliche Feststellungen zum Schuldumfang kann das Revisionsgericht nicht selbst treffen; der Tatrichter hat sie, wenn er den Eintritt eines Verfahrenshindernisses wegen überlanger Verfahrensdauer bejaht, im Einstellungsurteil ebenso wie die Verfahrenstatsachen und die der Prognose über die voraussichtliche weitere Verfahrensdauer zugrundeliegenden Tatsachen in nachprüfbarer Weise darzulegen. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß sich das Tatgericht insbesondere bei schwierigen und umfangreichen Verfahren durch nicht begründete und daher auch nicht überprüfbare Prozeßentscheidungen der Aufgabe entheben könnte, auch solche Verfahren bei
straffer Verfahrensführung und angemessener Beschränkung des Prozeßstoffs in vertretbarer Zeit einer Sachentscheidung zuzuführen.
Nach dem Akteninhalt kommt vorliegend bei der gebotenen zügigen Sachbehandlung eine Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Rechtsfolgeentscheidung durchaus noch in Betracht.

III.


Der Senat hat im Hinblick auf die der Sache nicht förderliche Auseinandersetzung zwischen Landgericht und Staatsanwaltschaft über die Verantwortung für die eingetretenen Verfahrensverzögerungen von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch gemacht, die Sache an die Wirtschaftsstrafkammer eines anderen Gerichts zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
1. Bei dem hier in Betracht kommenden sog. "unechten Erfüllungsbetrug" kommt es für die Feststellung eines tatbestandlichen Vermögensschadens auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an, der aufgrund der täuschenden Erklärung erschlichen worden ist. Soweit das Landgericht - eher kursorisch - in den Urteilsgründen erwähnt hat, die Käufer der Eigentumswohnungen hätten die von ihnen erstrebten Steuervorteile tatsächlich erhalten, wird zu berücksichtigen sein, in welchem Umfang diese steuerlichen Vorteile aufgrund der Rückveräußerungsabsicht der Käufer und der damit fehlenden Gewinner-
zielungsabsicht von vornherein nur aufgrund einer Straftat nach § 370 AO erzielt werden konnten und der Rückerstattungspflicht unterlagen.
2. Der neue Tatrichter wird schon im Hinblick auf die inzwischen vorliegende gravierende Verfahrensverzögerung den Verfahrensstoff sinnvoll zu beschränken und die Beweiserhebung auf solche Tatsachen zu konzentrieren haben, die eine Beurteilung des Schuldumfangs ermöglichen. Ob diese Feststellungen zur gegebenen Zeit eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a oder § 153 StPO, gegebenenfalls auch eine Sachentscheidung nach § 59 StGB nahelegen und rechtfertigen, werden der neue Tatrichter sowie die Staatsanwaltschaft zu beachten haben.
Jähnke Otten Rothfuß Fischer Elf

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 78 b Abs. 3; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1

a) Die Ablaufhemmung des § 78 b Abs. 3 StGB wird auch durch ein Prozeßurteil
bewirkt, durch welches das Verfahren wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1
Satz 1 MRK eingestellt wird.

b) Ein durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkter Verstoß gegen
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kann in außergewöhnlichen Einzelfällen, wenn eine angemessene
Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Sachentscheidung
bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt, zu einem Verfahrenshindernis
führen, das vom Tatrichter zu beachten und vom Revisionsgericht
von Amts wegen zu berücksichtigen ist.

c) Im Prozeßurteil, durch welches das Verfahren wegen eines Verstoßes gegen
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz eingestellt
wird, hat der Tatrichter sowohl die Verfahrenstatsachen als auch Feststellungen
zum Schuldumfang des Angeklagten und die der Prognose über die weitere
Verfahrensdauer zugrundeliegenden Tatsachen sowie die die Entscheidung
tragende Gesamtwürdigung im einzelnen und in nachprüfbarer Weise darzulegen.
BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 - 2 StR 232/00 - LG Köln

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 232/00
vom
25. Oktober 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Verhandlung vom
4. Oktober 2000 in der Sitzung am 25. Oktober 2000, an denen teilgenommen
haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt in der Verhandlung,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
in der Verhandlung
als Verteidiger,
der Angeklagte in Person in der Verhandlung,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. Oktober 1999 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten wegen Betrugs in 60 Fällen und versuchten Betrugs in sieben Fällen durch Prozeßurteil eingestellt, weil einer Fortsetzung des Verfahrens eine rechtsstaatswidrige überlange Verfahrensdauer entgegenstehe. Die hiergegen eingelegte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie führt zur Aufhebung des Einstellungsurteils.

I.


1. Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, als Alleingesellschafter und Vorstand der D.-AG den Verkauf einer Vielzahl von Eigentumswohnungen in Wohnanlagen des sozialen Wohnungsbaus im sogenannten "Erwerbermodell" zwischen privaten Anlegern und mehreren von ihm beherrschten Gesellschaf-
ten, die die Immobilien zuvor angekauft hatten, betrügerisch vermittelt zu haben. Dabei sollen die Anleger zum einen durch eine den - überhöhten - Kaufpreis der minderwertigen, zumeist sanierungsbedürftigen Wohnungen weit übersteigende Gesamtfinanzierung, weiterhin durch das in Aussicht stellen von - angesichts der Einkommens- und Vermögenslage der Erwerber zumeist unrealistisch hohen - Steuerersparnissen, insbesondere aber durch eine von den jeweiligen Vermittlern mündlich gegebene Zusage zum Kauf veranlaßt worden sein, die erworbene Eigentumswohnung könne nach zwei Jahren zum Bruttofinanzierungspreis - der in Einzelfällen bei über 150 % des Kaufpreises lag - an die D.-AG "zurückgegeben" werden. Der Angeklagte soll als Alleinvorstand der D.-AG dieses Vertriebsmodell etwa im Jahre 1983 entwickelt und über seine beherrschende Rolle in drei zum De.-Konzern gehörenden Vermittlungs- und Finanzierungsgesellschaften sowie in zwei weiteren, als Treuhänder eingeschalteten Gesellschaften in der Weise umgesetzt haben, daß er in Besprechungen und Schulungen die nach Art einer Vertriebspyramide organisierten Vertriebsmitarbeiter der zum De.-Konzern gehörenden Gesellschaften unmittelbar oder mittelbar anwies, die Wohnungen insbesondere auch mit dem Rückkaufs-Argument anzubieten. Durch diese in Täuschungsabsicht abgegebene - und unter Hinweis auf die Steuerschädlichkeit nur mündlich erklärte und nicht beurkundete - Zusage sollen zwischen Oktober 1984 und November 1986 eine Vielzahl von Anlegern getäuscht und zum Kauf von Eigentumswohnungen zu überhöhten Preisen bewogen worden sein. Die Wohnungen sollen später entgegen der Zusage jedoch nur in Einzelfällen - bei Abschluß neuer Verträge - zurückgenommen, teilweise auch in Immobilienfonds eingebracht worden sein; ganz überwiegend sollen die Immobilien nach Ablauf einer vereinbarten Mietgarantie für die Erwerber nur weit unter dem Einstandspreis verwertbar oder auf dem freien Markt gar nicht mehr verkäuflich gewesen sein. Hierdurch
sei den Erwerbern jeweils ein Schaden in Höhe des Minderwerts der Wohnung entstanden.
2. Dem angefochtenen Urteil liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:

a) Strafanzeigen gegen den Angeklagten und andere am Vertrieb der Wohnungen beteiligte Personen gingen ab November 1986 bei verschiedenen Staatsanwaltschaften im Bundesgebiet ein. Der Angeklagte erhielt durch Ladung vom 19. Februar 1987 zur polizeilichen Vernehmung erstmals Kenntnis von den gegen ihn gerichteten Ermittlungen. Am 24. Mai 1988 verband die Staatsanwaltschaft Köln insgesamt acht an sie abgegebene und eigene Ermittlungsverfahren ; im August 1988 und Februar 1989 wurden weitere Verfahren hinzuverbunden. In der Folgezeit zog die Staatsanwaltschaft eine Vielzahl von Urkunden bei, insbesondere Handelsregister- und Grundbuchauszüge. Im Oktober 1988 ergingen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen den Angeklagten, vier weitere Mitbeschuldigte sowie gegen die von ihnen geführten Gesellschaften; die Durchsuchungen sowie die Beschlagnahme umfangreicher Unterlagen hinsichtlich 34 von der D.-AG vermittelter Wohnungsanlagen - die Wohnung des Angeklagten wurde erst fünf Monate später durchsucht - erfolgten im Februar 1989. Am 19. Dezember 1988 leitete die Staatsanwaltschaft die Akten der Kriminalpolizei Köln mit dem Auftrag zu, die notwendigen Ermittlungen durchzuführen.
Am 9. Februar 1989 ergingen auf Antrag der Staatsanwaltschaft weitere Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen eine weitere vom Angeklagten beherrschte Treuhand-Gesellschaft sowie gegen eine Vielzahl von Banken im gesamten Bundesgebiet, in der Folgezeit auch gegen eine Vielzahl
von Vermittlern. Eine Auswertung der Durchsuchungen sowie einer mittels Fragebogen bei zahlreichen Anlegern durchgeführten Zeugenbefragung legte die Polizei im Februar 1990 vor. Am 5. Oktober 1990 wurden die Ermittlungen auf eine weitere in die Gesamtabwicklung eingeschaltete Gesellschaft ausgedehnt. Es ergingen in der Folge weitere Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen verschiedene Gesellschaften und deren Mitarbeiter, unter anderem erneut gegen den Angeklagten und die von ihm geführte D.-AG; die Durchsuchungen wurden bis 6. Dezember 1990 vollzogen. Zwischen dem 11. Dezember 1990 und dem 14. November 1991 wurden sechs Mitarbeiter und Geschäftsführer von in das Vertriebssystem eingebundenen Gesellschaften vernommen; vermutlich im Frühjahr 1992 führte die Polizei darüber hinaus Befragungen von Vertriebsrepräsentanten durch. Am 27. August 1992 sandte die Kriminalpolizei Köln die Akten mit einem umfangreichen Schlußvermerk an die Staatsanwaltschaft zurück.

b) Eine Verfahrensförderung erfolgte dort - bis auf die Anforderung von Beiakten - zunächst nicht. Im November 1993 wurde der frühere Mitbeschuldigte G., der Geschäftsführer einer der eingeschalteten Gesellschaften, von der Staatsanwaltschaft vernommen; es wurde mit ihm eine mögliche Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO erörtert. Ein weiteres Gespräch über eine Verfahrenseinstellung fand mit dem früheren Mitbeschuldigten D. im Januar 1994 statt. Bei einer am 15. Dezember 1993 mit dem Verteidiger des Angeklagten geführten Besprechung über eine mögliche Verfahrenseinstellung wurde keine Einigkeit über die Höhe einer möglichen Geldzahlungsauflage erzielt.
Am 7. Juni 1994 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen G. gegen Zahlung eines Geldbetrags von 240.000 DM und das Verfahren gegen
D. gegen Zahlung eines Geldbetrags von 150.000 DM ein. Alle Verfahren gegen Bankmitarbeiter wurden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, ebenso die Verfahren gegen Mitarbeiter einer eingeschalteten Treuhand-Gesellschaft sowie gegen alle Vertriebsrepräsentanten. Die Verfahren gegen die Erwerber der Immobilien wegen Steuerdelikten wurden nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt, das Verfahren gegen Mitarbeiter einer weiteren Treuhand-Gesellschaft abgetrennt , das Verfahren gegen die Verantwortlichen zweier weiterer Gesellschaften nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die Tatvorwürfe gegen den Angeklagten als Vorstand einer Verwaltungsgesellschaft (V-AG) wurden nach § 154 Abs. 1 StPO ausgeschieden.

c) Am 1. August 1994 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage zur Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Köln wegen 74 selbständiger Fälle des Betrugs "bzw." des Betrugsversuchs im besonders schweren Fall in der Zeit zwischen September 1984 und November 1986, begangen jeweils in Mittäterschaft mit den früheren Mitbeschuldigten G. und D. Nur pauschal aufgeführt sind daneben weitere 256 Fälle, in denen bereits zum Zeitpunkt der Anklageerhebung die (absolute) Verjährung nach § 78 c Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB eingetreten war. Die Anklage im Fall 9 a (letzter Tatzeitpunkt ) wurde am 14. September 1994 zurückgenommen.
Anregungen der Kammervorsitzenden, die Täuschungshandlung und den jeweiligen Vermögensschaden darzulegen, trat die Staatsanwaltschaft am 14. September 1994 entgegen. Die Verteidigung beantragte am 17. Oktober 1994, im Zwischenverfahren Beweis zum Fehlen eines Vermögensschadens durch Einholung von Sachverständigen-Gutachten zu erheben.

d) Am 21. November 1994 erging - ohne weitere Beweiserhebung - Eröffnungsbeschluß. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde in einem Fall (Fall 11 a) wegen inzwischen eingetretener Verjährung, in fünf Fällen (Fälle 13 a, 14 b, 14 c, 14 e, 14 g der Anklage) mangels hinreichenden Tatverdachts abgelehnt; in sieben Fällen (Fälle 4 b, 6 f, 8 d, 8 g, 8 h, 10 g, 13 b) bejahte die Kammer hinreichenden Tatverdacht nur wegen versuchten Betrugs. Zur Frage der Verjährung führte der Eröffnungsbeschluß aus, es komme entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft für die Beendigung der Taten und damit für den Beginn der Verjährungsfrist nicht auf den Abschluß der notariellen Kaufoder Treuhandverträge, sondern auf den Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung an. Diesen Zeitpunkt habe die Kammer in neun Fällen den Akten entnehmen können ; in den übrigen Fällen sei es hinreichend wahrscheinlich, daß die Taten nicht verjährt seien. Eine Bescheidung des von der Verteidigung im Zwischenverfahren gestellten Beweisantrags erfolgte nicht. In einem Beschluß vom 22. Februar 1995, mit welchem ein Antrag der Verteidigung auf Nachholung des rechtlichen Gehörs zurückgewiesen wurde, ist hierzu ausgeführt, es habe der Beweiserhebung "zur Beurteilung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlichen dringenden Tatverdachts nicht bedurft"; davon abgesehen, hätte die Beweiserhebung "dazu geführt, daß die Verjährung hinsichtlich weiterer Fälle nicht rechtzeitig durch den Eröffnungsbeschluß zum Ruhen gebracht worden wäre. Dem hatte die Kammer auch unter Berücksichtigung und Abwägung der Interessen des Angeklagten an der beantragten Beweiserhebung durch rechtzeitigen Erlaß des Eröffnungsbeschlusses entgegenzuwirken."
Im folgenden wurde - unter Verfügung der Wiedervorlage zum 1. Juni, 1. September und 1. Dezember 1995 sowie zum 1. März 1996 - jeweils in der Akte vermerkt, eine Terminierung sei wegen vorrangiger Haftsachen nicht
möglich. Mit Beschluß vom 13. Juni 1996 ordnete das Landgericht die Erstellung von 69 Wertgutachten durch sieben Sachverständige zur Ermittlung des Verkehrswerts der Wohnungen an; die Gutachten gingen bis zum 19. März 1997 ein. Unter dem 21. März, 21. August und 21. November 1997, 20. Februar, 6. Mai und 24. Juni 1998 vermerkte der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer jeweils, eine Förderung des Verfahrens sei wegen anderweitiger Verhandlungen in Haftsachen nicht möglich.
Am 27. Juli 1998 beantragte der Verteidiger des Angeklagten, das Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer einzustellen, hilfsweise eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO. Bis zum Dezember 1998 folgten Verhandlungen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung über eine mögliche Verfahrenseinstellung gegen die Auflage einer Geldzahlung. Am 3. Dezember 1998 vermerkte der Vorsitzende in der Akte, die Kammer halte eine Einstellung nach § 153 a StPO für sachgerecht, eine Einigung zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung sei jedoch nicht erzielt worden. Am 11. Dezember 1998 wurde die Hauptverhandlung auf (vorerst) 126 Sitzungstage vom 13. Januar bis 29. Dezember 1999 terminiert.

e) Die Kammer verhandelte vom 13. Januar 1999 bis zum 30. September 1999 an insgesamt 44 Verhandlungstagen; es wurden 48 Zeugen und zwei Sachverständige vernommen. Im Laufe der Hauptverhandlung (29., 30., 31. Verhandlungstag) wurde erneut die Möglichkeit einer Einstellung nach § 153 a StPO erörtert, eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Am 34. Verhandlungstag (9. Juli 1999) stellte das Landgericht das Verfahren hinsichtlich aller Anklagepunkte bis auf 16 nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein.
Am 44. Verhandlungstag wurden diese eingestellten Fälle wieder einbezogen; am 45. Verhandlungstag erging das Einstellungsurteil.
3. In dem Urteil vom 4. Oktober 1999 hat das Landgericht ausgeführt, eine kurzfristige Beendigung des Verfahrens durch Sachurteil sei nicht möglich ; nach dem Stand der Beweisaufnahme seien noch eine Vielzahl weiterer Zeugen sowie weitere Sachverständige zu vernehmen. Die Verfahrensverzögerungen im Bereich der Justiz seien auf andauernde, strukturelle Umstände zurückzuführen ; eine Hilfsstrafkammer habe wegen der Personalknappheit beim Landgericht Köln nicht gebildet werden können. Die bisherige Beweisaufnahme habe ergeben, "daß eine möglicherweise festzustellende Schuld des Angeklagten ... jedenfalls nicht übermäßig groß ist" (UA S. 15). Die Schuld des Angeklagten sei, "sollte eine solche überhaupt feststellbar sein, jedenfalls gering" (UA S. 17); sie "würde sich ... jedenfalls geringer darstellen, als dies in der Anklageschrift zum Ausdruck kommt" (UA S. 18). Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen , daß die Erwerber der Wohnungen die angestrebten Steuervorteile tatsächlich erlangt haben. Es sei nicht ausgeschlossen, daß vor November 2001 - Eintritt der absoluten Verjährung des letzten Falles - ein Sachurteil nicht ergehen könne. In noch hinnehmbarer Zeit werde weder ein Sachurteil noch ein Abschluß des Verfahrens durch Einstellung nach § 153 a oder § 153 StPO möglich sein. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles habe zwar zu Beginn der Hauptverhandlung ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK noch nicht vorgelegen; die Fortsetzung der Hauptverhandlung sei jedoch mit rechtsstaatlichen Anforderungen nicht mehr vereinbar (UA S. 17).

II.


Ein Verfahrenshindernis läßt sich nicht abschließend feststellen.
1. Ein Verfahrenshindernis ergibt sich hier nicht aus dem Eintritt der Verfolgungsverjährung.

a) Das Landgericht hat im Eröffnungsbeschluß vom 21. November 1994 die auch von der Anklage vertretene Auffassung zugrunde gelegt, es handele sich bei den dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen um selbständige Taten mit jeweils einzeln zu bestimmendem Verjährungsbeginn. Auch wenn dies zuträfe, so war bei Erlaß des Eröffnungsbeschlusses die - absolute - Verjährungsfrist hinsichtlich derjenigen Fälle nicht abgelaufen, in welchen die vollständige Kaufpreiszahlung durch den jeweiligen Erwerber der Immobilie nach dem 20. November 1984 erfolgte, denn die Tatbeendigung tritt im Fall des § 263 StGB erst mit Erlangung des (letzten) Vermögensvorteils ein; erst zu diesem Zeitpunkt begann daher die Verjährungsfrist zu laufen (§ 78 a StGB). Die hier nach § 78 Abs. 3 Nr. 4, § 263 Abs. 1 a.F. StGB geltende regelmäßige Verjährungsfrist von fünf Jahren ist durch die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens, die mehrfachen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen sowie die Anklageerhebung wirksam unterbrochen worden.

b) Nach § 78 b Abs. 3 StGB läuft die Verjährung nach Erlaß eines Urteils im ersten Rechtszug nicht vor dem rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens ab. Die Wirkung der Ablaufhemmung, die nach § 78 c Abs. 3 Satz 3 StGB auch für den Eintritt der "absoluten" Verjährung nach § 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB gilt, tritt auch durch ein auf Einstellung lautendes Prozeßurteil unabhängig von
dessen sachlicher Richtigkeit ein (BGHSt 32, 209, 210; Jähnke in LK 11. Aufl. § 78 b Rdn. 14; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 78 b Rdn. 7; Stree in Schönke /Schröder, StGB 25. Aufl. § 78 b Rdn. 12; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 78 b Rdn. 11; jew.m.w.N.). Auch auf Mängel der Anklage oder des Eröffnungsbeschlusses kommt es - im Rahmen der Reichweite des § 264 StPO - für den Eintritt der Ablaufhemmung grundsätzlich nicht an (vgl. BGH NJW 1994, 808, 809; BGH NStZ-RR 1997, 167). Das gilt auch für ein Urteil, das die Einstellung des Verfahrens auf die Annahme eines aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verfahrenshindernisses stützt. Auch ein solches Urteil wird vom Wortlaut des § 78 b Abs. 3 StGB erfaßt; eine Differenzierung nach den das Einstellungsurteil tragenden Gründen ist dem Gesetz nicht zu entnehmen und wäre mit dem gerade im Verjährungsrecht geltenden Gebot klarer, einfacher Regelungen unvereinbar.

c) Der Eröffnungsbeschluß vom 21. November 1994 hatte entgegen der Auffassung der Verteidigung die Wirkung des § 78 b Abs. 4 Satz 1 StGB, wonach die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht in Fällen des § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB - hier § 263 Abs. 3 StGB a.F. - ein Ruhen der Verjährung für einen Zeitraum von höchstens 5 Jahren bewirkt. Diese Hinausschiebung des Eintritts der Verjährung auf einen Zeitpunkt bis zu 15 Jahre nach Tatbeendigung, falls zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses die absolute Verjährung noch nicht eingetreten war, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG NJW 1995, 1145) und entspricht einem dringenden praktischen Bedürfnis in Fällen besonders aufwendiger Hauptverhandlungen (vgl. BT-Drucks. 12/3832 S. 44 ff). Ob die verjährungsverlängernde Wirkung des Eröffnungsbeschlusses dann ausscheidet, wenn er in willkürlicher Weise ergangen ist, kann offenbleiben; es liegt dafür hier kein Anhaltspunkt vor. Ein
solcher ergibt sich auch nicht daraus, daß das Landgericht den Eröffnungsbeschluß angesichts des drohenden Ablaufs der (absoluten) Verjährungsfrist am 21. November 1994 erließ, ohne den vom Verteidiger des Angeklagten im Zwischenverfahren gestellten Beweisantrag zur Ermittlung eines möglichen Schadenseintritts zu bescheiden, die beantragte Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten jedoch - ohne daß das Verfahren zwischenzeitlich eine Förderung erfahren hatte - am 22. April 1996 anordnete. Dies mag, namentlich im Hinblick darauf, daß das Landgericht schon nach Eingang der Anklageschrift im August 1994 die Staatsanwaltschaft ersucht hatte, konkretisierend zur Frage des Eintritts eines Vermögensschadens Stellung zu nehmen (Bd. XVI Bl. 77 ff d.A.), zu einer weiteren vermeidbaren Verfahrensverzögerung geführt haben; gleichwohl wird die Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses davon nicht berührt. Das Landgericht hat im Eröffnungsbeschluß einen hinreichenden (im Beschluß mißverständlich: "dringenden") Tatverdacht im Umfang der zugelassenen Anklage bejaht und dies mit vertretbaren Erwägungen über den Nichteintritt der Verjährung in den Fällen begründet, in welchen sich der Zeitpunkt der Tatbeendigung weder aus der Anklage noch aus den Verfahrensakten ergab. Daß das Landgericht in einem weiteren, auf einen Antrag des Verteidigers nach § 33 a StPO ergangenen Beschluß vom 22. Februar 1995 ausgeführt hat, daß die Kammer durch rechtzeitigen Erlaß des Eröffnungsbeschlusses der Gefahr des Eintritts der absoluten Verjährung entgegenzuwirken "hatte" (Bd. XVI Bl. 280 ff. d.A.), gibt keinen Hinweis auf eine sachwidrige Behandlung , da Maßnahmen, welche einzig dem Ziel dienen, den Eintritt der Verjährung zu verhindern, auch im übrigen grundsätzlich zulässig sind (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 78 c Rdn. 11 m.w.N.).
2. Der Senat kann nicht abschließend prüfen, ob sich hier aus der Verletzung des Beschleunigungsgebots ein zur Einstellung zwingendes Verfahrenshindernis ergibt.

a) Ein Verfahrenshindernis wird durch solche Umstände begründet, die es ausschließen, daß über einen Prozeßgegenstand mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf (BGHSt 32, 345, 350; 36, 294, 295; 41, 72, 75; Rieß in LR 25. Aufl. § 206 a Rdn. 22; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. Einl. Rdn. 143; Tolksdorf in KK StPO 4. Aufl. § 206 a Rdn. 1; Pfeiffer, StPO 2. Aufl. § 206 a Rdn. 4 und in KK-StPO 4. Aufl. Einl. Rdn. 131). Sie müssen so schwer wiegen, daß von ihrem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muß (BGHSt 35, 137, 140). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt die Verletzung des Beschleunigungsgebots grundsätzlich nicht zu einem solchen Verfahrenshindernis (BGHSt 21, 81; 24, 239; 27, 274; 35, 137, 140; BGH NJW 1995, 737; 1996, 2739; wistra 1993, 340; 1997, 347; NStZ 1990, 94; 1996, 21; 1996, 506; 1997, 543; Strafverteidiger 1992, 452, 453; 1994, 652, 653; NStZ-RR 1998, 103, 104; 108). Dies hat seinen Grund darin, daß die Tatsache und das Gewicht des Verstoßes nur in einer Gesamtabwägung und mit Blick auf die dem Verfahren zugrundeliegende Beschuldigung und das Maß des Verschuldens bestimmt werden können; diese Feststellung entzieht sich einer allein formellen Betrachtung. Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluß vom 24. November 1983 (NJW 1984, 967) darauf hingewiesen , die Auffassung, aus einer Verletzung des Beschleunigungsgebots könne in keinem Fall ein Verfahrenshindernis hergeleitet werden, begegne verfassungsrechtlichen Bedenken. Zugleich hat es klargestellt, daß ein unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes abzuleitendes Verfahrenshin-
dernis allein dann in Betracht komme, wenn in extrem gelagerten Fällen, in welchen das Ausmaß der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiegt und die Dauer des Verfahrens zudem mit besonderen Belastungen für den Beschuldigten einhergegangen ist, das Strafverfahrensrecht keine Möglichkeit zur Verfahrensbeendigung, z.B. durch Anwendung des § 153 StPO, zur Verfügung stellt. Im Beschluß vom 19. April 1993 (NJW 1993, 3254 ff; vgl. auch BVerfG NJW 1995, 1277, 1278) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung müsse sich, da die Strafe verhältnismäßig sein und in einem gerechten Verhältnis zu dem Verschulden des Täters stehen müsse, bei der Strafzumessung auswirken, wenn sie nicht im Extrembereich zur Einstellung oder zum Vorliegen eines Verfahrenshindernisses führe.
Der Bundesgerichtshof hat in BGHSt 35, 137 im Fall eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK aufgrund einer willkürlichen, "außergewöhnlichen und beispiellosen Verzögerung" der Aktenvorlage nach § 347 StPO ein "Zurückverweisungsverbot" angenommen, das Verfahren abgebrochen und durch Urteil eingestellt. Dem lag die Besonderheit zugrunde, daß der Schuldspruch in dem außerordentlich umfangreichen und komplexen Verfahren von den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts nicht getragen wurde, so daß das Urteil insgesamt hätte aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung hätte zurückverwiesen werden müssen. Der Bundesgerichtshof ist in der genannten Entscheidung auf der Grundlage der tatrichterlichen - wenngleich unzureichenden - Feststellungen davon ausgegangen, daß eine neue Verhandlung auch zum Schuldspruch voraussichtlich erst nach Jahren zu einem Abschluß des Verfahrens führen und daher den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK weiter vertiefen würde; eine Einstellung des Verfahrens nach
§ 153 StPO kam wegen Verweigerung der Zustimmung durch die Staatsanwaltschaft nicht in Betracht.
Entsprechend haben verschiedene Oberlandesgerichte einen Abbruch des Verfahrens aus rechtsstaatlichen Gründen für unabweisbar gehalten, wenn einer außergewöhnlichen, vom Beschuldigten nicht zu vertretenden und auf Versäumnisse der Justiz zurückzuführenden Verfahrensverzögerung, die den Beschuldigten unter Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls, namentlich des Tatvorwurfs, des festgestellten oder voraussichtlich feststellbaren Schuldumfangs sowie möglicher Belastungen durch das Verfahren, in unverhältnismäßiger Weise belastet, im Rahmen einer Sachentscheidung keinesfalls mehr hinreichend Rechnung getragen werden kann (vgl. etwa OLG Zweibrükken NStZ 1989, 134 und NStZ 1995, 49; OLG Düsseldorf NStZ 1993, 450; vgl. auch BGH StV 1995, 130, 131). Ob das bei einer solchen Sachlage bestehende Verfolgungsverbot als stets von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis zu verstehen ist (so etwa OLG Koblenz NJW 1994, 1887; OLG Zweibrücken NStZ 1989, 134; LG Düsseldorf NStZ 1988, 427; LG Bad Kreuznach NJW 1993, 1725), hat der Bundesgerichtshof bislang offen gelassen (BGHSt 35, 137, 143; vgl. auch NJW 1996, 2739; wistra 1993, 340; 1994, 21; BGH, Beschluß vom 16. August 1996 - 1 StR 745/95 [in BGHSt 42, 219 nicht abgedruckt]). In der Literatur ist die Frage umstritten; überwiegend wird die Annahme eines Verfahrenshindernisses auch in Extremfällen abgelehnt (vgl. etwa Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl. 1999, Rdn. 9 zu Art. 6 MRK; Rieß in Löwe /Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 206 a Rdn. 56; Paulus in KMR StPO § 206 a Rdn. 35; Pfeiffer in KK-StPO, 4. Aufl. Einl. Rdn. 12 f., 131; jeweils m.w.Nachw.).
Der Senat ist der Ansicht, daß das in ganz außergewöhnlichen Sonderfällen aus der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz folgende Verbot einer weiteren Strafverfolgung als Verfahrenshindernis zu behandeln und v om Tatrichter zu beachten ist; vom Revisionsgericht ist sein Vorliegen in diesen Fällen von Amts wegen zu berücksichtigen. Dem stehen weder der Zusammenhang mit dem materiell -rechtlichen Schuldgrundsatz noch das Erfordernis entgegen, das Vorliegen des Hindernisses aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu prüfen. Deren Notwendigkeit kann sich im Einzelfall auch bei der Prüfung anderer Verfahrensvoraussetzungen ergeben, etwa der des Vorliegens eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung, des Nichteintritts der Verfolgungsverjährung oder des Eingreifens eines Straffreiheitsgesetzes. Im Hinblick auf die Bedeutung des in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kodizifierten Menschenrechts auf eine rechtsstaatliche Behandlung und Entscheidung über die erhobene strafrechtliche Anklage innerhalb angemessener Frist kann ein Verstoß hiergegen, wenn seine Kompensation im Rahmen einer Sachentscheidung nicht mehr in Betracht kommt, für die Zulässigkeit des weiteren Verfahrens keine geringeren Folgen haben als der Verjährungseintritt, der einer Sachentscheidung sogar unabhängig von der konkreten Tatschuld entgegensteht. Der Gesichtspunkt, daß Verfahrenshindernisse in der Regel - wenngleich nicht stets - an objektiv feststellbare Tatsachen anknüpfen und nicht Ergebnis wertender Abwägungen sind (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. Einl. Rdn. 148 m.w.Nachw.), tritt dem gegenüber dann zurück, wenn feststeht, daß für eine solche Abwägung aufgrund des Gewichts des Verstoßes kein Raum bleibt. In diesem Fall würde eine Fortsetzung des Verfahrens allein zur Vertiefung des Grundrechtsverstoßes führen; dem steht das Rechtsstaatsprinzip entgegen.


b) Der Senat kann hier auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen und des ihm zugänglichen Akteninhalts feststellen, daß ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK aufgrund einer vom Angeklagten nicht zu vertretenden überlangen Verfahrensdauer vorliegt: Das Verfahren dauert seit der erstmaligen Bekanntgabe an den Angeklagten bereits 13 1/2 Jahre an. Bis zum Schlußbericht der Kriminalpolizei vergingen mehr als fünf Jahre, in denen die Ermittlungen mehrfach ausgedehnt wurden, aber jedenfalls seit Ende 1988 offenbar wenig substantiellen Erkenntnisgewinn brachten. Erst im Dezember 1990 erfolgte die erste Vernehmung eines Tatbeteiligten; Vernehmungen der Vertriebsmitarbeiter, durch welche die täuschenden Zusagen unmittelbar an die Geschädigten weitergegeben worden sein sollen, sind erst im Frühjahr 1992 durchgeführt worden. Zwischen dem Eingang des Schlußberichts der Kriminalpolizei vom 27. August 1992 und der Erhebung der Anklage am 27. Juli 1994, die im wesentlichen den Inhalt des Schlußberichts wiedergibt, vergingen zwei Jahre, in denen fast ausschließlich Verhandlungen mit verschiedenen Beschuldigten über Verfahrenseinstellungen geführt wurden. Zwischen dem Erlaß des Eröffnungsbeschlusses am 21. November 1994 und der Terminierung der Hauptverhandlung am 11. Dezember 1998 sind weitere vier Jahre vergangen, in denen außer der Einholung von Sachverständigengutachten zwischen April 1996 und März 1997 eine Verfahrensförderung nicht festzustellen ist. Eine durch das Verhalten des Angeklagten verursachte Verzögerung des Verfahrens liegt nicht vor; die Verzögerungen sind vielmehr, soweit dies dem Schreiben des Präsidenten des Landgerichts Köln vom 30. August 1999 an den Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer und dem Inhalt der Verfahrensakte entnommen werden kann, jedenfalls seit Eingang der Anklageschrift allein auf organisatorische Gründe im Bereich der Justiz zurückzuführen.

Auch wenn die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung jedenfalls dann nicht allein auf den insgesamt abgelaufenen Zeitraum gestützt werden kann, wenn dem Verfahren ein komplexer Sachverhalt zugrunde liegt, dessen Beurteilung umfangreiche und aufwendige Ermittlungen erforderlich macht (vgl. BVerfG NJW 1984, 967; 1993, 3254, 3255; BGH wistra 1993, 340; BGHR MRK Art. 6 I Verfahrensverzögerung 5, 6, 8, 9), so ist doch hier angesichts des Umstands, daß die Grenze der absoluten Verjährung inzwischen um mehr als drei Jahre überschritten wäre und das Verfahren seit Anklageerhebung mindestens fünf Jahre lang aus allein im Bereich der Justiz liegenden Gründen nicht gefördert wurde, ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gegeben. Entgegen der Auffassung des Landgerichts lag dieser auch bereits zu Beginn der Hauptverhandlung vor; die Annahme, er sei erst nach Beginn der Hauptverhandlung, die an durchschnittlich zwei Tagen pro Woche stattfand, oder gerade durch diese eingetreten, trifft nicht zu.

c) Das Landgericht hat den Abbruch der Hauptverhandlung auf die rechtliche Erwägung gestützt, die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK vor demjenigen Zeitpunkt, in welchem eine verfahrensabschließende Sachentscheidung ergehen kann, führe jedenfalls dann zwangsläufig zum Eintritt eines Verfahrenshindernisses, wenn die weitere Dauer des Verfahrens nicht absehbar ist, weil eine bewußte Vertiefung der Rechtsverletzung durch Fortsetzung der Hauptverhandlung - allein mit Blick auf eine spätere Kompensation bei der Rechtsfolgenentscheidung - ihrerseits mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar wäre (UA S. 31 ff.). Die Urteilsausführungen hierzu setzen im Ergebnis die Feststellung des Verstoßes mit der Notwendigkeit des Verfahrensabbruchs gleich; das ergibt sich auch aus der Annahme
des Landgerichts, bis zum Beginn der Hauptverhandlung habe ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK noch nicht vorgelegen. Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Die Feststellung eines gravierenden Verfahrensverstoßes führt auch in sonstigen Fällen - etwa bei unzulässiger Tatprovokation durch polizeiliche V-Leute, bei Verstößen gegen § 136 a StPO oder gegen das rechtsstaatliche Gebot des "fair trial" - nicht zur Undurchführbarkeit des Verfahrens. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bei einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK nicht etwa einen Abbruch des Verfahrens gefordert, sondern eine Verpflichtung des Mitgliedsstaates festgestellt, die Rechtsverletzung in Anwendung des nationalen Rechts in angemessener Weise zu kompensieren (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Juli 1982, EuGRZ 1983, 371). Dem entspricht der auch in BGHSt 35, 137, 140 ff. hervorgehobene Grundsatz, daß weder die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK noch die Entscheidung darüber, in welcher Weise sich dieser Verstoß auf das Verfahrensergebnis auswirken muß, unabhängig von den Umständen des Einzelfalles , namentlich auch vom Maß der Schuld des Angeklagten möglich ist. Ob ein festgestellter Verstoß so gewichtig ist, daß eine Kompensation im Rahmen einer Sachentscheidung nicht mehr in Betracht kommt, und er daher der Weiterführung des Verfahrens insgesamt entgegensteht, kann regelmäßig nicht ohne tatsächliche Feststellungen zur Tatschuld des Angeklagten beurteilt werden.
Das Landgericht hat hierzu, wie die Revision zutreffend hervorhebt, keine für das Revisionsgericht nachprüfbaren Feststellungen getroffen. Ergebnisse der mehr als 40 Verhandlungstage umfassenden Beweisaufnahme sind in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt; diese erschöpfen sich vielmehr in einer Darstellung der Verfahrensgeschichte sowie rechtlichen Ausführungen zum
Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Das Urteil enthält auch keine Feststellungen darüber, aus welchen Gründen es dem Landgericht nicht möglich war festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Betrugs vorliegen. Die Ausführungen des Landgerichts zum Verschulden des Angeklagten , dieses sei "nicht übermäßig groß" (UA S. 15), "jedenfalls gering" (UA S. 17), eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO gegen Zahlung eines Geldbetrags von mindestens 1,5 Mio. DM, wie es die Staatsanwaltschaft gefordert habe, werde "der bisher durchgeführten Beweisaufnahme in keiner Weise gerecht" (UA S. 29), finden in den Urteilsfeststellungen keine Grundlage ; der Senat kann aufgrund des Fehlens tatsächlicher Feststellungen die rechtliche Bewertung durch das Landgericht nicht überprüfen.
Dies gilt gleichermaßen für die nur lückenhaft mitgeteilten Verfahrenstatsachen. Die Urteilsgründe geben keinen Aufschluß darüber, auf Grundlage welcher bisherigen Beweisergebnisse das Landgericht zu der Ansicht gelangt ist, eine Sachentscheidung sei "unter Umständen" nicht vor dem Ende des Jahres 2001 möglich. Insoweit wird nur pauschal erwähnt, es sei noch "eine Vielzahl von weiteren Zeugen, die zum Teil im Ausland aufhältig sind, und weitere Sachverständige zu hören" (UA S. 8); hinsichtlich sieben Fällen sei die Erstellung eines neuen Sachverständigengutachtens erforderlich (ebenda). Hieraus ergibt sich nicht mit einer vom Revisionsgericht überprüfbaren Deutlichkeit, welche tatsächlichen Hindernisse hier die vom Landgericht prognostizierte weitere Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren begründen könnten.
Indem das Landgericht sich in dem angefochtenen Urteil weitgehend auf die Ausführung rechtlicher Wertungen beschränkt, von der Mitteilung der diesen zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen jedoch absieht, entzieht
es dem Revisionsgericht zugleich die Grundlage für eine rechtliche Überprüfung. Dem Senat ist es - anders, als dies der Entscheidung BGHSt 35, 137 zugrunde lag - aufgrund des gänzlichen Fehlens tatsächlicher Feststellungen nicht möglich zu beurteilen, ob die Umstände des Einzelfalls angesichts der überlangen Verfahrensdauer und des vom Angeklagten nicht zu vertretenden Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot hier einen Extremfall begründen, in welchem der Verstoß weder durch eine Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung - ggf. unter Anwendung von § 59 StGB - noch etwa durch Einstellung nach § 153 a oder § 153 StPO hinreichend ausgeglichen werden kann.
Der rechtsfehlerhafte Verzicht auf nachprüfbare Tatsachenfeststellungen muß daher zur Aufhebung des Urteils führen. Die Prüfung aufgrund des dem Senat auch ohne Verfahrensrüge zugänglichen Akteninhalts erlaubt hier zwar die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, nicht aber eine Entscheidung, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles, insbesondere auch des dem Angeklagten zuzurechnenden Schuldumfangs, eine Verfahrenseinstellung in Fortentwicklung der Grundsätze in BGHSt 35, 137 erfolgen muß. Tatrichterliche Feststellungen zum Schuldumfang kann das Revisionsgericht nicht selbst treffen; der Tatrichter hat sie, wenn er den Eintritt eines Verfahrenshindernisses wegen überlanger Verfahrensdauer bejaht, im Einstellungsurteil ebenso wie die Verfahrenstatsachen und die der Prognose über die voraussichtliche weitere Verfahrensdauer zugrundeliegenden Tatsachen in nachprüfbarer Weise darzulegen. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß sich das Tatgericht insbesondere bei schwierigen und umfangreichen Verfahren durch nicht begründete und daher auch nicht überprüfbare Prozeßentscheidungen der Aufgabe entheben könnte, auch solche Verfahren bei
straffer Verfahrensführung und angemessener Beschränkung des Prozeßstoffs in vertretbarer Zeit einer Sachentscheidung zuzuführen.
Nach dem Akteninhalt kommt vorliegend bei der gebotenen zügigen Sachbehandlung eine Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Rechtsfolgeentscheidung durchaus noch in Betracht.

III.


Der Senat hat im Hinblick auf die der Sache nicht förderliche Auseinandersetzung zwischen Landgericht und Staatsanwaltschaft über die Verantwortung für die eingetretenen Verfahrensverzögerungen von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch gemacht, die Sache an die Wirtschaftsstrafkammer eines anderen Gerichts zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
1. Bei dem hier in Betracht kommenden sog. "unechten Erfüllungsbetrug" kommt es für die Feststellung eines tatbestandlichen Vermögensschadens auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an, der aufgrund der täuschenden Erklärung erschlichen worden ist. Soweit das Landgericht - eher kursorisch - in den Urteilsgründen erwähnt hat, die Käufer der Eigentumswohnungen hätten die von ihnen erstrebten Steuervorteile tatsächlich erhalten, wird zu berücksichtigen sein, in welchem Umfang diese steuerlichen Vorteile aufgrund der Rückveräußerungsabsicht der Käufer und der damit fehlenden Gewinner-
zielungsabsicht von vornherein nur aufgrund einer Straftat nach § 370 AO erzielt werden konnten und der Rückerstattungspflicht unterlagen.
2. Der neue Tatrichter wird schon im Hinblick auf die inzwischen vorliegende gravierende Verfahrensverzögerung den Verfahrensstoff sinnvoll zu beschränken und die Beweiserhebung auf solche Tatsachen zu konzentrieren haben, die eine Beurteilung des Schuldumfangs ermöglichen. Ob diese Feststellungen zur gegebenen Zeit eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a oder § 153 StPO, gegebenenfalls auch eine Sachentscheidung nach § 59 StGB nahelegen und rechtfertigen, werden der neue Tatrichter sowie die Staatsanwaltschaft zu beachten haben.
Jähnke Otten Rothfuß Fischer Elf

(1) Die Verjährung wird unterbrochen durch

1.
die erste Vernehmung des Beschuldigten, die Bekanntgabe, daß gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, oder die Anordnung dieser Vernehmung oder Bekanntgabe,
2.
jede richterliche Vernehmung des Beschuldigten oder deren Anordnung,
3.
jede Beauftragung eines Sachverständigen durch den Richter oder Staatsanwalt, wenn vorher der Beschuldigte vernommen oder ihm die Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekanntgegeben worden ist,
4.
jede richterliche Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnung und richterliche Entscheidungen, welche diese aufrechterhalten,
5.
den Haftbefehl, den Unterbringungsbefehl, den Vorführungsbefehl und richterliche Entscheidungen, welche diese aufrechterhalten,
6.
die Erhebung der öffentlichen Klage,
7.
die Eröffnung des Hauptverfahrens,
8.
jede Anberaumung einer Hauptverhandlung,
9.
den Strafbefehl oder eine andere dem Urteil entsprechende Entscheidung,
10.
die vorläufige gerichtliche Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Angeschuldigten sowie jede Anordnung des Richters oder Staatsanwalts, die nach einer solchen Einstellung des Verfahrens oder im Verfahren gegen Abwesende zur Ermittlung des Aufenthalts des Angeschuldigten oder zur Sicherung von Beweisen ergeht,
11.
die vorläufige gerichtliche Einstellung des Verfahrens wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeschuldigten sowie jede Anordnung des Richters oder Staatsanwalts, die nach einer solchen Einstellung des Verfahrens zur Überprüfung der Verhandlungsfähigkeit des Angeschuldigten ergeht, oder
12.
jedes richterliche Ersuchen, eine Untersuchungshandlung im Ausland vorzunehmen.
Im Sicherungsverfahren und im selbständigen Verfahren wird die Verjährung durch die dem Satz 1 entsprechenden Handlungen zur Durchführung des Sicherungsverfahrens oder des selbständigen Verfahrens unterbrochen.

(2) Die Verjährung ist bei einer schriftlichen Anordnung oder Entscheidung in dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem die Anordnung oder Entscheidung abgefasst wird. Ist das Dokument nicht alsbald nach der Abfassung in den Geschäftsgang gelangt, so ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem es tatsächlich in den Geschäftsgang gegeben worden ist.

(3) Nach jeder Unterbrechung beginnt die Verjährung von neuem. Die Verfolgung ist jedoch spätestens verjährt, wenn seit dem in § 78a bezeichneten Zeitpunkt das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist und, wenn die Verjährungsfrist nach besonderen Gesetzen kürzer ist als drei Jahre, mindestens drei Jahre verstrichen sind. § 78b bleibt unberührt.

(4) Die Unterbrechung wirkt nur gegenüber demjenigen, auf den sich die Handlung bezieht.

(5) Wird ein Gesetz, das bei der Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert und verkürzt sich hierdurch die Frist der Verjährung, so bleiben Unterbrechungshandlungen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts vorgenommen worden sind, wirksam, auch wenn im Zeitpunkt der Unterbrechung die Verfolgung nach dem neuen Recht bereits verjährt gewesen wäre.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 78 b Abs. 3; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1

a) Die Ablaufhemmung des § 78 b Abs. 3 StGB wird auch durch ein Prozeßurteil
bewirkt, durch welches das Verfahren wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1
Satz 1 MRK eingestellt wird.

b) Ein durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkter Verstoß gegen
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kann in außergewöhnlichen Einzelfällen, wenn eine angemessene
Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Sachentscheidung
bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt, zu einem Verfahrenshindernis
führen, das vom Tatrichter zu beachten und vom Revisionsgericht
von Amts wegen zu berücksichtigen ist.

c) Im Prozeßurteil, durch welches das Verfahren wegen eines Verstoßes gegen
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz eingestellt
wird, hat der Tatrichter sowohl die Verfahrenstatsachen als auch Feststellungen
zum Schuldumfang des Angeklagten und die der Prognose über die weitere
Verfahrensdauer zugrundeliegenden Tatsachen sowie die die Entscheidung
tragende Gesamtwürdigung im einzelnen und in nachprüfbarer Weise darzulegen.
BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 - 2 StR 232/00 - LG Köln

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 232/00
vom
25. Oktober 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Verhandlung vom
4. Oktober 2000 in der Sitzung am 25. Oktober 2000, an denen teilgenommen
haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt in der Verhandlung,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
in der Verhandlung
als Verteidiger,
der Angeklagte in Person in der Verhandlung,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. Oktober 1999 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten wegen Betrugs in 60 Fällen und versuchten Betrugs in sieben Fällen durch Prozeßurteil eingestellt, weil einer Fortsetzung des Verfahrens eine rechtsstaatswidrige überlange Verfahrensdauer entgegenstehe. Die hiergegen eingelegte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie führt zur Aufhebung des Einstellungsurteils.

I.


1. Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, als Alleingesellschafter und Vorstand der D.-AG den Verkauf einer Vielzahl von Eigentumswohnungen in Wohnanlagen des sozialen Wohnungsbaus im sogenannten "Erwerbermodell" zwischen privaten Anlegern und mehreren von ihm beherrschten Gesellschaf-
ten, die die Immobilien zuvor angekauft hatten, betrügerisch vermittelt zu haben. Dabei sollen die Anleger zum einen durch eine den - überhöhten - Kaufpreis der minderwertigen, zumeist sanierungsbedürftigen Wohnungen weit übersteigende Gesamtfinanzierung, weiterhin durch das in Aussicht stellen von - angesichts der Einkommens- und Vermögenslage der Erwerber zumeist unrealistisch hohen - Steuerersparnissen, insbesondere aber durch eine von den jeweiligen Vermittlern mündlich gegebene Zusage zum Kauf veranlaßt worden sein, die erworbene Eigentumswohnung könne nach zwei Jahren zum Bruttofinanzierungspreis - der in Einzelfällen bei über 150 % des Kaufpreises lag - an die D.-AG "zurückgegeben" werden. Der Angeklagte soll als Alleinvorstand der D.-AG dieses Vertriebsmodell etwa im Jahre 1983 entwickelt und über seine beherrschende Rolle in drei zum De.-Konzern gehörenden Vermittlungs- und Finanzierungsgesellschaften sowie in zwei weiteren, als Treuhänder eingeschalteten Gesellschaften in der Weise umgesetzt haben, daß er in Besprechungen und Schulungen die nach Art einer Vertriebspyramide organisierten Vertriebsmitarbeiter der zum De.-Konzern gehörenden Gesellschaften unmittelbar oder mittelbar anwies, die Wohnungen insbesondere auch mit dem Rückkaufs-Argument anzubieten. Durch diese in Täuschungsabsicht abgegebene - und unter Hinweis auf die Steuerschädlichkeit nur mündlich erklärte und nicht beurkundete - Zusage sollen zwischen Oktober 1984 und November 1986 eine Vielzahl von Anlegern getäuscht und zum Kauf von Eigentumswohnungen zu überhöhten Preisen bewogen worden sein. Die Wohnungen sollen später entgegen der Zusage jedoch nur in Einzelfällen - bei Abschluß neuer Verträge - zurückgenommen, teilweise auch in Immobilienfonds eingebracht worden sein; ganz überwiegend sollen die Immobilien nach Ablauf einer vereinbarten Mietgarantie für die Erwerber nur weit unter dem Einstandspreis verwertbar oder auf dem freien Markt gar nicht mehr verkäuflich gewesen sein. Hierdurch
sei den Erwerbern jeweils ein Schaden in Höhe des Minderwerts der Wohnung entstanden.
2. Dem angefochtenen Urteil liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:

a) Strafanzeigen gegen den Angeklagten und andere am Vertrieb der Wohnungen beteiligte Personen gingen ab November 1986 bei verschiedenen Staatsanwaltschaften im Bundesgebiet ein. Der Angeklagte erhielt durch Ladung vom 19. Februar 1987 zur polizeilichen Vernehmung erstmals Kenntnis von den gegen ihn gerichteten Ermittlungen. Am 24. Mai 1988 verband die Staatsanwaltschaft Köln insgesamt acht an sie abgegebene und eigene Ermittlungsverfahren ; im August 1988 und Februar 1989 wurden weitere Verfahren hinzuverbunden. In der Folgezeit zog die Staatsanwaltschaft eine Vielzahl von Urkunden bei, insbesondere Handelsregister- und Grundbuchauszüge. Im Oktober 1988 ergingen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen den Angeklagten, vier weitere Mitbeschuldigte sowie gegen die von ihnen geführten Gesellschaften; die Durchsuchungen sowie die Beschlagnahme umfangreicher Unterlagen hinsichtlich 34 von der D.-AG vermittelter Wohnungsanlagen - die Wohnung des Angeklagten wurde erst fünf Monate später durchsucht - erfolgten im Februar 1989. Am 19. Dezember 1988 leitete die Staatsanwaltschaft die Akten der Kriminalpolizei Köln mit dem Auftrag zu, die notwendigen Ermittlungen durchzuführen.
Am 9. Februar 1989 ergingen auf Antrag der Staatsanwaltschaft weitere Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen eine weitere vom Angeklagten beherrschte Treuhand-Gesellschaft sowie gegen eine Vielzahl von Banken im gesamten Bundesgebiet, in der Folgezeit auch gegen eine Vielzahl
von Vermittlern. Eine Auswertung der Durchsuchungen sowie einer mittels Fragebogen bei zahlreichen Anlegern durchgeführten Zeugenbefragung legte die Polizei im Februar 1990 vor. Am 5. Oktober 1990 wurden die Ermittlungen auf eine weitere in die Gesamtabwicklung eingeschaltete Gesellschaft ausgedehnt. Es ergingen in der Folge weitere Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen verschiedene Gesellschaften und deren Mitarbeiter, unter anderem erneut gegen den Angeklagten und die von ihm geführte D.-AG; die Durchsuchungen wurden bis 6. Dezember 1990 vollzogen. Zwischen dem 11. Dezember 1990 und dem 14. November 1991 wurden sechs Mitarbeiter und Geschäftsführer von in das Vertriebssystem eingebundenen Gesellschaften vernommen; vermutlich im Frühjahr 1992 führte die Polizei darüber hinaus Befragungen von Vertriebsrepräsentanten durch. Am 27. August 1992 sandte die Kriminalpolizei Köln die Akten mit einem umfangreichen Schlußvermerk an die Staatsanwaltschaft zurück.

b) Eine Verfahrensförderung erfolgte dort - bis auf die Anforderung von Beiakten - zunächst nicht. Im November 1993 wurde der frühere Mitbeschuldigte G., der Geschäftsführer einer der eingeschalteten Gesellschaften, von der Staatsanwaltschaft vernommen; es wurde mit ihm eine mögliche Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO erörtert. Ein weiteres Gespräch über eine Verfahrenseinstellung fand mit dem früheren Mitbeschuldigten D. im Januar 1994 statt. Bei einer am 15. Dezember 1993 mit dem Verteidiger des Angeklagten geführten Besprechung über eine mögliche Verfahrenseinstellung wurde keine Einigkeit über die Höhe einer möglichen Geldzahlungsauflage erzielt.
Am 7. Juni 1994 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen G. gegen Zahlung eines Geldbetrags von 240.000 DM und das Verfahren gegen
D. gegen Zahlung eines Geldbetrags von 150.000 DM ein. Alle Verfahren gegen Bankmitarbeiter wurden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, ebenso die Verfahren gegen Mitarbeiter einer eingeschalteten Treuhand-Gesellschaft sowie gegen alle Vertriebsrepräsentanten. Die Verfahren gegen die Erwerber der Immobilien wegen Steuerdelikten wurden nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt, das Verfahren gegen Mitarbeiter einer weiteren Treuhand-Gesellschaft abgetrennt , das Verfahren gegen die Verantwortlichen zweier weiterer Gesellschaften nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die Tatvorwürfe gegen den Angeklagten als Vorstand einer Verwaltungsgesellschaft (V-AG) wurden nach § 154 Abs. 1 StPO ausgeschieden.

c) Am 1. August 1994 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage zur Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Köln wegen 74 selbständiger Fälle des Betrugs "bzw." des Betrugsversuchs im besonders schweren Fall in der Zeit zwischen September 1984 und November 1986, begangen jeweils in Mittäterschaft mit den früheren Mitbeschuldigten G. und D. Nur pauschal aufgeführt sind daneben weitere 256 Fälle, in denen bereits zum Zeitpunkt der Anklageerhebung die (absolute) Verjährung nach § 78 c Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB eingetreten war. Die Anklage im Fall 9 a (letzter Tatzeitpunkt ) wurde am 14. September 1994 zurückgenommen.
Anregungen der Kammervorsitzenden, die Täuschungshandlung und den jeweiligen Vermögensschaden darzulegen, trat die Staatsanwaltschaft am 14. September 1994 entgegen. Die Verteidigung beantragte am 17. Oktober 1994, im Zwischenverfahren Beweis zum Fehlen eines Vermögensschadens durch Einholung von Sachverständigen-Gutachten zu erheben.

d) Am 21. November 1994 erging - ohne weitere Beweiserhebung - Eröffnungsbeschluß. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde in einem Fall (Fall 11 a) wegen inzwischen eingetretener Verjährung, in fünf Fällen (Fälle 13 a, 14 b, 14 c, 14 e, 14 g der Anklage) mangels hinreichenden Tatverdachts abgelehnt; in sieben Fällen (Fälle 4 b, 6 f, 8 d, 8 g, 8 h, 10 g, 13 b) bejahte die Kammer hinreichenden Tatverdacht nur wegen versuchten Betrugs. Zur Frage der Verjährung führte der Eröffnungsbeschluß aus, es komme entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft für die Beendigung der Taten und damit für den Beginn der Verjährungsfrist nicht auf den Abschluß der notariellen Kaufoder Treuhandverträge, sondern auf den Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung an. Diesen Zeitpunkt habe die Kammer in neun Fällen den Akten entnehmen können ; in den übrigen Fällen sei es hinreichend wahrscheinlich, daß die Taten nicht verjährt seien. Eine Bescheidung des von der Verteidigung im Zwischenverfahren gestellten Beweisantrags erfolgte nicht. In einem Beschluß vom 22. Februar 1995, mit welchem ein Antrag der Verteidigung auf Nachholung des rechtlichen Gehörs zurückgewiesen wurde, ist hierzu ausgeführt, es habe der Beweiserhebung "zur Beurteilung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlichen dringenden Tatverdachts nicht bedurft"; davon abgesehen, hätte die Beweiserhebung "dazu geführt, daß die Verjährung hinsichtlich weiterer Fälle nicht rechtzeitig durch den Eröffnungsbeschluß zum Ruhen gebracht worden wäre. Dem hatte die Kammer auch unter Berücksichtigung und Abwägung der Interessen des Angeklagten an der beantragten Beweiserhebung durch rechtzeitigen Erlaß des Eröffnungsbeschlusses entgegenzuwirken."
Im folgenden wurde - unter Verfügung der Wiedervorlage zum 1. Juni, 1. September und 1. Dezember 1995 sowie zum 1. März 1996 - jeweils in der Akte vermerkt, eine Terminierung sei wegen vorrangiger Haftsachen nicht
möglich. Mit Beschluß vom 13. Juni 1996 ordnete das Landgericht die Erstellung von 69 Wertgutachten durch sieben Sachverständige zur Ermittlung des Verkehrswerts der Wohnungen an; die Gutachten gingen bis zum 19. März 1997 ein. Unter dem 21. März, 21. August und 21. November 1997, 20. Februar, 6. Mai und 24. Juni 1998 vermerkte der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer jeweils, eine Förderung des Verfahrens sei wegen anderweitiger Verhandlungen in Haftsachen nicht möglich.
Am 27. Juli 1998 beantragte der Verteidiger des Angeklagten, das Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer einzustellen, hilfsweise eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO. Bis zum Dezember 1998 folgten Verhandlungen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung über eine mögliche Verfahrenseinstellung gegen die Auflage einer Geldzahlung. Am 3. Dezember 1998 vermerkte der Vorsitzende in der Akte, die Kammer halte eine Einstellung nach § 153 a StPO für sachgerecht, eine Einigung zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung sei jedoch nicht erzielt worden. Am 11. Dezember 1998 wurde die Hauptverhandlung auf (vorerst) 126 Sitzungstage vom 13. Januar bis 29. Dezember 1999 terminiert.

e) Die Kammer verhandelte vom 13. Januar 1999 bis zum 30. September 1999 an insgesamt 44 Verhandlungstagen; es wurden 48 Zeugen und zwei Sachverständige vernommen. Im Laufe der Hauptverhandlung (29., 30., 31. Verhandlungstag) wurde erneut die Möglichkeit einer Einstellung nach § 153 a StPO erörtert, eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Am 34. Verhandlungstag (9. Juli 1999) stellte das Landgericht das Verfahren hinsichtlich aller Anklagepunkte bis auf 16 nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein.
Am 44. Verhandlungstag wurden diese eingestellten Fälle wieder einbezogen; am 45. Verhandlungstag erging das Einstellungsurteil.
3. In dem Urteil vom 4. Oktober 1999 hat das Landgericht ausgeführt, eine kurzfristige Beendigung des Verfahrens durch Sachurteil sei nicht möglich ; nach dem Stand der Beweisaufnahme seien noch eine Vielzahl weiterer Zeugen sowie weitere Sachverständige zu vernehmen. Die Verfahrensverzögerungen im Bereich der Justiz seien auf andauernde, strukturelle Umstände zurückzuführen ; eine Hilfsstrafkammer habe wegen der Personalknappheit beim Landgericht Köln nicht gebildet werden können. Die bisherige Beweisaufnahme habe ergeben, "daß eine möglicherweise festzustellende Schuld des Angeklagten ... jedenfalls nicht übermäßig groß ist" (UA S. 15). Die Schuld des Angeklagten sei, "sollte eine solche überhaupt feststellbar sein, jedenfalls gering" (UA S. 17); sie "würde sich ... jedenfalls geringer darstellen, als dies in der Anklageschrift zum Ausdruck kommt" (UA S. 18). Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen , daß die Erwerber der Wohnungen die angestrebten Steuervorteile tatsächlich erlangt haben. Es sei nicht ausgeschlossen, daß vor November 2001 - Eintritt der absoluten Verjährung des letzten Falles - ein Sachurteil nicht ergehen könne. In noch hinnehmbarer Zeit werde weder ein Sachurteil noch ein Abschluß des Verfahrens durch Einstellung nach § 153 a oder § 153 StPO möglich sein. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles habe zwar zu Beginn der Hauptverhandlung ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK noch nicht vorgelegen; die Fortsetzung der Hauptverhandlung sei jedoch mit rechtsstaatlichen Anforderungen nicht mehr vereinbar (UA S. 17).

II.


Ein Verfahrenshindernis läßt sich nicht abschließend feststellen.
1. Ein Verfahrenshindernis ergibt sich hier nicht aus dem Eintritt der Verfolgungsverjährung.

a) Das Landgericht hat im Eröffnungsbeschluß vom 21. November 1994 die auch von der Anklage vertretene Auffassung zugrunde gelegt, es handele sich bei den dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen um selbständige Taten mit jeweils einzeln zu bestimmendem Verjährungsbeginn. Auch wenn dies zuträfe, so war bei Erlaß des Eröffnungsbeschlusses die - absolute - Verjährungsfrist hinsichtlich derjenigen Fälle nicht abgelaufen, in welchen die vollständige Kaufpreiszahlung durch den jeweiligen Erwerber der Immobilie nach dem 20. November 1984 erfolgte, denn die Tatbeendigung tritt im Fall des § 263 StGB erst mit Erlangung des (letzten) Vermögensvorteils ein; erst zu diesem Zeitpunkt begann daher die Verjährungsfrist zu laufen (§ 78 a StGB). Die hier nach § 78 Abs. 3 Nr. 4, § 263 Abs. 1 a.F. StGB geltende regelmäßige Verjährungsfrist von fünf Jahren ist durch die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens, die mehrfachen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen sowie die Anklageerhebung wirksam unterbrochen worden.

b) Nach § 78 b Abs. 3 StGB läuft die Verjährung nach Erlaß eines Urteils im ersten Rechtszug nicht vor dem rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens ab. Die Wirkung der Ablaufhemmung, die nach § 78 c Abs. 3 Satz 3 StGB auch für den Eintritt der "absoluten" Verjährung nach § 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB gilt, tritt auch durch ein auf Einstellung lautendes Prozeßurteil unabhängig von
dessen sachlicher Richtigkeit ein (BGHSt 32, 209, 210; Jähnke in LK 11. Aufl. § 78 b Rdn. 14; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 78 b Rdn. 7; Stree in Schönke /Schröder, StGB 25. Aufl. § 78 b Rdn. 12; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 78 b Rdn. 11; jew.m.w.N.). Auch auf Mängel der Anklage oder des Eröffnungsbeschlusses kommt es - im Rahmen der Reichweite des § 264 StPO - für den Eintritt der Ablaufhemmung grundsätzlich nicht an (vgl. BGH NJW 1994, 808, 809; BGH NStZ-RR 1997, 167). Das gilt auch für ein Urteil, das die Einstellung des Verfahrens auf die Annahme eines aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verfahrenshindernisses stützt. Auch ein solches Urteil wird vom Wortlaut des § 78 b Abs. 3 StGB erfaßt; eine Differenzierung nach den das Einstellungsurteil tragenden Gründen ist dem Gesetz nicht zu entnehmen und wäre mit dem gerade im Verjährungsrecht geltenden Gebot klarer, einfacher Regelungen unvereinbar.

c) Der Eröffnungsbeschluß vom 21. November 1994 hatte entgegen der Auffassung der Verteidigung die Wirkung des § 78 b Abs. 4 Satz 1 StGB, wonach die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht in Fällen des § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB - hier § 263 Abs. 3 StGB a.F. - ein Ruhen der Verjährung für einen Zeitraum von höchstens 5 Jahren bewirkt. Diese Hinausschiebung des Eintritts der Verjährung auf einen Zeitpunkt bis zu 15 Jahre nach Tatbeendigung, falls zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses die absolute Verjährung noch nicht eingetreten war, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG NJW 1995, 1145) und entspricht einem dringenden praktischen Bedürfnis in Fällen besonders aufwendiger Hauptverhandlungen (vgl. BT-Drucks. 12/3832 S. 44 ff). Ob die verjährungsverlängernde Wirkung des Eröffnungsbeschlusses dann ausscheidet, wenn er in willkürlicher Weise ergangen ist, kann offenbleiben; es liegt dafür hier kein Anhaltspunkt vor. Ein
solcher ergibt sich auch nicht daraus, daß das Landgericht den Eröffnungsbeschluß angesichts des drohenden Ablaufs der (absoluten) Verjährungsfrist am 21. November 1994 erließ, ohne den vom Verteidiger des Angeklagten im Zwischenverfahren gestellten Beweisantrag zur Ermittlung eines möglichen Schadenseintritts zu bescheiden, die beantragte Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten jedoch - ohne daß das Verfahren zwischenzeitlich eine Förderung erfahren hatte - am 22. April 1996 anordnete. Dies mag, namentlich im Hinblick darauf, daß das Landgericht schon nach Eingang der Anklageschrift im August 1994 die Staatsanwaltschaft ersucht hatte, konkretisierend zur Frage des Eintritts eines Vermögensschadens Stellung zu nehmen (Bd. XVI Bl. 77 ff d.A.), zu einer weiteren vermeidbaren Verfahrensverzögerung geführt haben; gleichwohl wird die Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses davon nicht berührt. Das Landgericht hat im Eröffnungsbeschluß einen hinreichenden (im Beschluß mißverständlich: "dringenden") Tatverdacht im Umfang der zugelassenen Anklage bejaht und dies mit vertretbaren Erwägungen über den Nichteintritt der Verjährung in den Fällen begründet, in welchen sich der Zeitpunkt der Tatbeendigung weder aus der Anklage noch aus den Verfahrensakten ergab. Daß das Landgericht in einem weiteren, auf einen Antrag des Verteidigers nach § 33 a StPO ergangenen Beschluß vom 22. Februar 1995 ausgeführt hat, daß die Kammer durch rechtzeitigen Erlaß des Eröffnungsbeschlusses der Gefahr des Eintritts der absoluten Verjährung entgegenzuwirken "hatte" (Bd. XVI Bl. 280 ff. d.A.), gibt keinen Hinweis auf eine sachwidrige Behandlung , da Maßnahmen, welche einzig dem Ziel dienen, den Eintritt der Verjährung zu verhindern, auch im übrigen grundsätzlich zulässig sind (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 78 c Rdn. 11 m.w.N.).
2. Der Senat kann nicht abschließend prüfen, ob sich hier aus der Verletzung des Beschleunigungsgebots ein zur Einstellung zwingendes Verfahrenshindernis ergibt.

a) Ein Verfahrenshindernis wird durch solche Umstände begründet, die es ausschließen, daß über einen Prozeßgegenstand mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf (BGHSt 32, 345, 350; 36, 294, 295; 41, 72, 75; Rieß in LR 25. Aufl. § 206 a Rdn. 22; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. Einl. Rdn. 143; Tolksdorf in KK StPO 4. Aufl. § 206 a Rdn. 1; Pfeiffer, StPO 2. Aufl. § 206 a Rdn. 4 und in KK-StPO 4. Aufl. Einl. Rdn. 131). Sie müssen so schwer wiegen, daß von ihrem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muß (BGHSt 35, 137, 140). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt die Verletzung des Beschleunigungsgebots grundsätzlich nicht zu einem solchen Verfahrenshindernis (BGHSt 21, 81; 24, 239; 27, 274; 35, 137, 140; BGH NJW 1995, 737; 1996, 2739; wistra 1993, 340; 1997, 347; NStZ 1990, 94; 1996, 21; 1996, 506; 1997, 543; Strafverteidiger 1992, 452, 453; 1994, 652, 653; NStZ-RR 1998, 103, 104; 108). Dies hat seinen Grund darin, daß die Tatsache und das Gewicht des Verstoßes nur in einer Gesamtabwägung und mit Blick auf die dem Verfahren zugrundeliegende Beschuldigung und das Maß des Verschuldens bestimmt werden können; diese Feststellung entzieht sich einer allein formellen Betrachtung. Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluß vom 24. November 1983 (NJW 1984, 967) darauf hingewiesen , die Auffassung, aus einer Verletzung des Beschleunigungsgebots könne in keinem Fall ein Verfahrenshindernis hergeleitet werden, begegne verfassungsrechtlichen Bedenken. Zugleich hat es klargestellt, daß ein unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes abzuleitendes Verfahrenshin-
dernis allein dann in Betracht komme, wenn in extrem gelagerten Fällen, in welchen das Ausmaß der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiegt und die Dauer des Verfahrens zudem mit besonderen Belastungen für den Beschuldigten einhergegangen ist, das Strafverfahrensrecht keine Möglichkeit zur Verfahrensbeendigung, z.B. durch Anwendung des § 153 StPO, zur Verfügung stellt. Im Beschluß vom 19. April 1993 (NJW 1993, 3254 ff; vgl. auch BVerfG NJW 1995, 1277, 1278) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung müsse sich, da die Strafe verhältnismäßig sein und in einem gerechten Verhältnis zu dem Verschulden des Täters stehen müsse, bei der Strafzumessung auswirken, wenn sie nicht im Extrembereich zur Einstellung oder zum Vorliegen eines Verfahrenshindernisses führe.
Der Bundesgerichtshof hat in BGHSt 35, 137 im Fall eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK aufgrund einer willkürlichen, "außergewöhnlichen und beispiellosen Verzögerung" der Aktenvorlage nach § 347 StPO ein "Zurückverweisungsverbot" angenommen, das Verfahren abgebrochen und durch Urteil eingestellt. Dem lag die Besonderheit zugrunde, daß der Schuldspruch in dem außerordentlich umfangreichen und komplexen Verfahren von den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts nicht getragen wurde, so daß das Urteil insgesamt hätte aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung hätte zurückverwiesen werden müssen. Der Bundesgerichtshof ist in der genannten Entscheidung auf der Grundlage der tatrichterlichen - wenngleich unzureichenden - Feststellungen davon ausgegangen, daß eine neue Verhandlung auch zum Schuldspruch voraussichtlich erst nach Jahren zu einem Abschluß des Verfahrens führen und daher den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK weiter vertiefen würde; eine Einstellung des Verfahrens nach
§ 153 StPO kam wegen Verweigerung der Zustimmung durch die Staatsanwaltschaft nicht in Betracht.
Entsprechend haben verschiedene Oberlandesgerichte einen Abbruch des Verfahrens aus rechtsstaatlichen Gründen für unabweisbar gehalten, wenn einer außergewöhnlichen, vom Beschuldigten nicht zu vertretenden und auf Versäumnisse der Justiz zurückzuführenden Verfahrensverzögerung, die den Beschuldigten unter Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls, namentlich des Tatvorwurfs, des festgestellten oder voraussichtlich feststellbaren Schuldumfangs sowie möglicher Belastungen durch das Verfahren, in unverhältnismäßiger Weise belastet, im Rahmen einer Sachentscheidung keinesfalls mehr hinreichend Rechnung getragen werden kann (vgl. etwa OLG Zweibrükken NStZ 1989, 134 und NStZ 1995, 49; OLG Düsseldorf NStZ 1993, 450; vgl. auch BGH StV 1995, 130, 131). Ob das bei einer solchen Sachlage bestehende Verfolgungsverbot als stets von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis zu verstehen ist (so etwa OLG Koblenz NJW 1994, 1887; OLG Zweibrücken NStZ 1989, 134; LG Düsseldorf NStZ 1988, 427; LG Bad Kreuznach NJW 1993, 1725), hat der Bundesgerichtshof bislang offen gelassen (BGHSt 35, 137, 143; vgl. auch NJW 1996, 2739; wistra 1993, 340; 1994, 21; BGH, Beschluß vom 16. August 1996 - 1 StR 745/95 [in BGHSt 42, 219 nicht abgedruckt]). In der Literatur ist die Frage umstritten; überwiegend wird die Annahme eines Verfahrenshindernisses auch in Extremfällen abgelehnt (vgl. etwa Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl. 1999, Rdn. 9 zu Art. 6 MRK; Rieß in Löwe /Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 206 a Rdn. 56; Paulus in KMR StPO § 206 a Rdn. 35; Pfeiffer in KK-StPO, 4. Aufl. Einl. Rdn. 12 f., 131; jeweils m.w.Nachw.).
Der Senat ist der Ansicht, daß das in ganz außergewöhnlichen Sonderfällen aus der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz folgende Verbot einer weiteren Strafverfolgung als Verfahrenshindernis zu behandeln und v om Tatrichter zu beachten ist; vom Revisionsgericht ist sein Vorliegen in diesen Fällen von Amts wegen zu berücksichtigen. Dem stehen weder der Zusammenhang mit dem materiell -rechtlichen Schuldgrundsatz noch das Erfordernis entgegen, das Vorliegen des Hindernisses aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu prüfen. Deren Notwendigkeit kann sich im Einzelfall auch bei der Prüfung anderer Verfahrensvoraussetzungen ergeben, etwa der des Vorliegens eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung, des Nichteintritts der Verfolgungsverjährung oder des Eingreifens eines Straffreiheitsgesetzes. Im Hinblick auf die Bedeutung des in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kodizifierten Menschenrechts auf eine rechtsstaatliche Behandlung und Entscheidung über die erhobene strafrechtliche Anklage innerhalb angemessener Frist kann ein Verstoß hiergegen, wenn seine Kompensation im Rahmen einer Sachentscheidung nicht mehr in Betracht kommt, für die Zulässigkeit des weiteren Verfahrens keine geringeren Folgen haben als der Verjährungseintritt, der einer Sachentscheidung sogar unabhängig von der konkreten Tatschuld entgegensteht. Der Gesichtspunkt, daß Verfahrenshindernisse in der Regel - wenngleich nicht stets - an objektiv feststellbare Tatsachen anknüpfen und nicht Ergebnis wertender Abwägungen sind (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. Einl. Rdn. 148 m.w.Nachw.), tritt dem gegenüber dann zurück, wenn feststeht, daß für eine solche Abwägung aufgrund des Gewichts des Verstoßes kein Raum bleibt. In diesem Fall würde eine Fortsetzung des Verfahrens allein zur Vertiefung des Grundrechtsverstoßes führen; dem steht das Rechtsstaatsprinzip entgegen.


b) Der Senat kann hier auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen und des ihm zugänglichen Akteninhalts feststellen, daß ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK aufgrund einer vom Angeklagten nicht zu vertretenden überlangen Verfahrensdauer vorliegt: Das Verfahren dauert seit der erstmaligen Bekanntgabe an den Angeklagten bereits 13 1/2 Jahre an. Bis zum Schlußbericht der Kriminalpolizei vergingen mehr als fünf Jahre, in denen die Ermittlungen mehrfach ausgedehnt wurden, aber jedenfalls seit Ende 1988 offenbar wenig substantiellen Erkenntnisgewinn brachten. Erst im Dezember 1990 erfolgte die erste Vernehmung eines Tatbeteiligten; Vernehmungen der Vertriebsmitarbeiter, durch welche die täuschenden Zusagen unmittelbar an die Geschädigten weitergegeben worden sein sollen, sind erst im Frühjahr 1992 durchgeführt worden. Zwischen dem Eingang des Schlußberichts der Kriminalpolizei vom 27. August 1992 und der Erhebung der Anklage am 27. Juli 1994, die im wesentlichen den Inhalt des Schlußberichts wiedergibt, vergingen zwei Jahre, in denen fast ausschließlich Verhandlungen mit verschiedenen Beschuldigten über Verfahrenseinstellungen geführt wurden. Zwischen dem Erlaß des Eröffnungsbeschlusses am 21. November 1994 und der Terminierung der Hauptverhandlung am 11. Dezember 1998 sind weitere vier Jahre vergangen, in denen außer der Einholung von Sachverständigengutachten zwischen April 1996 und März 1997 eine Verfahrensförderung nicht festzustellen ist. Eine durch das Verhalten des Angeklagten verursachte Verzögerung des Verfahrens liegt nicht vor; die Verzögerungen sind vielmehr, soweit dies dem Schreiben des Präsidenten des Landgerichts Köln vom 30. August 1999 an den Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer und dem Inhalt der Verfahrensakte entnommen werden kann, jedenfalls seit Eingang der Anklageschrift allein auf organisatorische Gründe im Bereich der Justiz zurückzuführen.

Auch wenn die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung jedenfalls dann nicht allein auf den insgesamt abgelaufenen Zeitraum gestützt werden kann, wenn dem Verfahren ein komplexer Sachverhalt zugrunde liegt, dessen Beurteilung umfangreiche und aufwendige Ermittlungen erforderlich macht (vgl. BVerfG NJW 1984, 967; 1993, 3254, 3255; BGH wistra 1993, 340; BGHR MRK Art. 6 I Verfahrensverzögerung 5, 6, 8, 9), so ist doch hier angesichts des Umstands, daß die Grenze der absoluten Verjährung inzwischen um mehr als drei Jahre überschritten wäre und das Verfahren seit Anklageerhebung mindestens fünf Jahre lang aus allein im Bereich der Justiz liegenden Gründen nicht gefördert wurde, ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gegeben. Entgegen der Auffassung des Landgerichts lag dieser auch bereits zu Beginn der Hauptverhandlung vor; die Annahme, er sei erst nach Beginn der Hauptverhandlung, die an durchschnittlich zwei Tagen pro Woche stattfand, oder gerade durch diese eingetreten, trifft nicht zu.

c) Das Landgericht hat den Abbruch der Hauptverhandlung auf die rechtliche Erwägung gestützt, die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK vor demjenigen Zeitpunkt, in welchem eine verfahrensabschließende Sachentscheidung ergehen kann, führe jedenfalls dann zwangsläufig zum Eintritt eines Verfahrenshindernisses, wenn die weitere Dauer des Verfahrens nicht absehbar ist, weil eine bewußte Vertiefung der Rechtsverletzung durch Fortsetzung der Hauptverhandlung - allein mit Blick auf eine spätere Kompensation bei der Rechtsfolgenentscheidung - ihrerseits mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar wäre (UA S. 31 ff.). Die Urteilsausführungen hierzu setzen im Ergebnis die Feststellung des Verstoßes mit der Notwendigkeit des Verfahrensabbruchs gleich; das ergibt sich auch aus der Annahme
des Landgerichts, bis zum Beginn der Hauptverhandlung habe ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK noch nicht vorgelegen. Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Die Feststellung eines gravierenden Verfahrensverstoßes führt auch in sonstigen Fällen - etwa bei unzulässiger Tatprovokation durch polizeiliche V-Leute, bei Verstößen gegen § 136 a StPO oder gegen das rechtsstaatliche Gebot des "fair trial" - nicht zur Undurchführbarkeit des Verfahrens. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bei einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK nicht etwa einen Abbruch des Verfahrens gefordert, sondern eine Verpflichtung des Mitgliedsstaates festgestellt, die Rechtsverletzung in Anwendung des nationalen Rechts in angemessener Weise zu kompensieren (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Juli 1982, EuGRZ 1983, 371). Dem entspricht der auch in BGHSt 35, 137, 140 ff. hervorgehobene Grundsatz, daß weder die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK noch die Entscheidung darüber, in welcher Weise sich dieser Verstoß auf das Verfahrensergebnis auswirken muß, unabhängig von den Umständen des Einzelfalles , namentlich auch vom Maß der Schuld des Angeklagten möglich ist. Ob ein festgestellter Verstoß so gewichtig ist, daß eine Kompensation im Rahmen einer Sachentscheidung nicht mehr in Betracht kommt, und er daher der Weiterführung des Verfahrens insgesamt entgegensteht, kann regelmäßig nicht ohne tatsächliche Feststellungen zur Tatschuld des Angeklagten beurteilt werden.
Das Landgericht hat hierzu, wie die Revision zutreffend hervorhebt, keine für das Revisionsgericht nachprüfbaren Feststellungen getroffen. Ergebnisse der mehr als 40 Verhandlungstage umfassenden Beweisaufnahme sind in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt; diese erschöpfen sich vielmehr in einer Darstellung der Verfahrensgeschichte sowie rechtlichen Ausführungen zum
Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Das Urteil enthält auch keine Feststellungen darüber, aus welchen Gründen es dem Landgericht nicht möglich war festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Betrugs vorliegen. Die Ausführungen des Landgerichts zum Verschulden des Angeklagten , dieses sei "nicht übermäßig groß" (UA S. 15), "jedenfalls gering" (UA S. 17), eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO gegen Zahlung eines Geldbetrags von mindestens 1,5 Mio. DM, wie es die Staatsanwaltschaft gefordert habe, werde "der bisher durchgeführten Beweisaufnahme in keiner Weise gerecht" (UA S. 29), finden in den Urteilsfeststellungen keine Grundlage ; der Senat kann aufgrund des Fehlens tatsächlicher Feststellungen die rechtliche Bewertung durch das Landgericht nicht überprüfen.
Dies gilt gleichermaßen für die nur lückenhaft mitgeteilten Verfahrenstatsachen. Die Urteilsgründe geben keinen Aufschluß darüber, auf Grundlage welcher bisherigen Beweisergebnisse das Landgericht zu der Ansicht gelangt ist, eine Sachentscheidung sei "unter Umständen" nicht vor dem Ende des Jahres 2001 möglich. Insoweit wird nur pauschal erwähnt, es sei noch "eine Vielzahl von weiteren Zeugen, die zum Teil im Ausland aufhältig sind, und weitere Sachverständige zu hören" (UA S. 8); hinsichtlich sieben Fällen sei die Erstellung eines neuen Sachverständigengutachtens erforderlich (ebenda). Hieraus ergibt sich nicht mit einer vom Revisionsgericht überprüfbaren Deutlichkeit, welche tatsächlichen Hindernisse hier die vom Landgericht prognostizierte weitere Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren begründen könnten.
Indem das Landgericht sich in dem angefochtenen Urteil weitgehend auf die Ausführung rechtlicher Wertungen beschränkt, von der Mitteilung der diesen zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen jedoch absieht, entzieht
es dem Revisionsgericht zugleich die Grundlage für eine rechtliche Überprüfung. Dem Senat ist es - anders, als dies der Entscheidung BGHSt 35, 137 zugrunde lag - aufgrund des gänzlichen Fehlens tatsächlicher Feststellungen nicht möglich zu beurteilen, ob die Umstände des Einzelfalls angesichts der überlangen Verfahrensdauer und des vom Angeklagten nicht zu vertretenden Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot hier einen Extremfall begründen, in welchem der Verstoß weder durch eine Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung - ggf. unter Anwendung von § 59 StGB - noch etwa durch Einstellung nach § 153 a oder § 153 StPO hinreichend ausgeglichen werden kann.
Der rechtsfehlerhafte Verzicht auf nachprüfbare Tatsachenfeststellungen muß daher zur Aufhebung des Urteils führen. Die Prüfung aufgrund des dem Senat auch ohne Verfahrensrüge zugänglichen Akteninhalts erlaubt hier zwar die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, nicht aber eine Entscheidung, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles, insbesondere auch des dem Angeklagten zuzurechnenden Schuldumfangs, eine Verfahrenseinstellung in Fortentwicklung der Grundsätze in BGHSt 35, 137 erfolgen muß. Tatrichterliche Feststellungen zum Schuldumfang kann das Revisionsgericht nicht selbst treffen; der Tatrichter hat sie, wenn er den Eintritt eines Verfahrenshindernisses wegen überlanger Verfahrensdauer bejaht, im Einstellungsurteil ebenso wie die Verfahrenstatsachen und die der Prognose über die voraussichtliche weitere Verfahrensdauer zugrundeliegenden Tatsachen in nachprüfbarer Weise darzulegen. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß sich das Tatgericht insbesondere bei schwierigen und umfangreichen Verfahren durch nicht begründete und daher auch nicht überprüfbare Prozeßentscheidungen der Aufgabe entheben könnte, auch solche Verfahren bei
straffer Verfahrensführung und angemessener Beschränkung des Prozeßstoffs in vertretbarer Zeit einer Sachentscheidung zuzuführen.
Nach dem Akteninhalt kommt vorliegend bei der gebotenen zügigen Sachbehandlung eine Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Rechtsfolgeentscheidung durchaus noch in Betracht.

III.


Der Senat hat im Hinblick auf die der Sache nicht förderliche Auseinandersetzung zwischen Landgericht und Staatsanwaltschaft über die Verantwortung für die eingetretenen Verfahrensverzögerungen von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch gemacht, die Sache an die Wirtschaftsstrafkammer eines anderen Gerichts zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
1. Bei dem hier in Betracht kommenden sog. "unechten Erfüllungsbetrug" kommt es für die Feststellung eines tatbestandlichen Vermögensschadens auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an, der aufgrund der täuschenden Erklärung erschlichen worden ist. Soweit das Landgericht - eher kursorisch - in den Urteilsgründen erwähnt hat, die Käufer der Eigentumswohnungen hätten die von ihnen erstrebten Steuervorteile tatsächlich erhalten, wird zu berücksichtigen sein, in welchem Umfang diese steuerlichen Vorteile aufgrund der Rückveräußerungsabsicht der Käufer und der damit fehlenden Gewinner-
zielungsabsicht von vornherein nur aufgrund einer Straftat nach § 370 AO erzielt werden konnten und der Rückerstattungspflicht unterlagen.
2. Der neue Tatrichter wird schon im Hinblick auf die inzwischen vorliegende gravierende Verfahrensverzögerung den Verfahrensstoff sinnvoll zu beschränken und die Beweiserhebung auf solche Tatsachen zu konzentrieren haben, die eine Beurteilung des Schuldumfangs ermöglichen. Ob diese Feststellungen zur gegebenen Zeit eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a oder § 153 StPO, gegebenenfalls auch eine Sachentscheidung nach § 59 StGB nahelegen und rechtfertigen, werden der neue Tatrichter sowie die Staatsanwaltschaft zu beachten haben.
Jähnke Otten Rothfuß Fischer Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 45/17
vom
9. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:090617B1STR45.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 9. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 25. August 2016 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in vier tatmehrheitlichen Fällen sowie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die in dieser Sache in Ungarn in der Zeit vom 17. Dezember 2015 bis zum 28. Dezember 2015 erlittene Auslieferungshaft hat die Kammer im Verhältnis 1:1 auf die ausgeurteilte Freiheitsstrafe angerechnet.
2
Die hiergegen gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie aus den Grün- den der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 30. März 2017 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Auf die eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung betreffende Verfahrensrüge kommt es nicht an.

II.

3
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Rechtsfolgenausspruch kann hingegen nicht bestehen bleiben, weil die Strafzumessung durchgreifende Rechtsfehler enthält.
4
1. Die vom Landgericht festgesetzten Einzelstrafen in den Fällen III. 3. (G. GmbH) und III. 4. (K. GmbH) der Urteilsgründe haben keinen Bestand. Das Landgericht hat insoweit – in Fall III. 3. der Urteilsgründe neben dem Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO – jeweils das Regelbeispiel der bandenmäßigen Begehung nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO bejaht und die Strafe dem Strafrahmen des § 370 Abs. 3 Satz 1 AO entnommen. Die Feststellungen des Landgerichts tragen hingegen die Annahme einer bandenmäßigen Begehung nicht.
5
Eine Bande setzt im Fall des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich zur fortgesetzten Begehung einer noch unbestimmten Vielzahl von Taten nach § 370 Abs. 1 AO verbunden haben. Erforderlich ist eine Bandenabrede, bei der das einzelne Mitglied den Willen hat, sich mit mindestens zwei anderen Personen zur Begehung solcher Straftaten in der Zukunft für eine gewisse Dauer zusammenzutun. Als Bandenmitglied ist danach anzusehen, wer in die Organisation der Bande eingebunden ist, die dort geltenden Regeln akzeptiert, zum Fortbestand der Bande beiträgt und sich an den Straftaten als Täter oder Teilnehmer beteiligt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 2010 – 4 StR 497/09, wistra 2010, S. 347 f.). Dagegen ist ein „gefestigter Bandenwille” oder ein „Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse” nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 22. März 2001 – GSSt 1/00, BGHSt 46, 321, 325).
6
Den Feststellungen des Landgerichts, die sich jeweils in der Beschreibung der Mitwirkung weiterer Personen an dem den Gegenstand der Verurteilung bildenden Fall der Steuerhinterziehung bezogen auf die G. GmbH (Fall III. 3. der Urteilsgründe) bzw. die K. GmbH (Fall III. 4. der Urteilsgründe ) erschöpfen, lässt sich nicht hinreichend entnehmen, dass der Angeklagte , der gesondert Verurteilte Dr. F. und die weiteren genannten Personen sich jeweils mit dem Willen verbunden haben, zukünftig und für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Steuerhinterziehungen zu begehen. In beiden Fällen fehlt es überdies an ausreichend konkreten Feststellungen zu der Art der zukünftigen Tatbeteiligung der weiteren Personen.
7
2. Unabhängig von dem zuvor Ausgeführten, haben alle festgesetzten Einzelstrafen auch bereits deshalb keinen Bestand, weil die Ausführungen des Landgerichts besorgen lassen, dass es bei der für die Bemessung der Strafen erforderlichen Gesamtwürdigung aller für die Wertung der Taten und des Täters in Betracht kommender Umstände einen wesentlichen mildernden Gesichtspunkt nicht berücksichtigt hat.
8
Die Strafkammer hatte – freilich rechtsfehlerhaft erst bei Bemessung der Gesamtstrafe – zwar im Blick, dass zwischen den abgeurteilten Taten und dem Urteil fünf bzw. sechs Jahre vergangen sind („Taten … bereits längere Zeit zurückliegen“ , UA S. 99) und dass eine solch lange Zeitspanne zwischen Bege- hung der Tat und ihrer Aburteilung einen wesentlichen Strafmilderungsgrund darstellt (vgl. BGH, Urteile vom 20. Dezember 1995 – 2 StR 468/95, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zeitablauf 1 mwN und vom 29. September 2015 – 2 StR 128/15, NStZ-RR 2016, 7). Daneben hätte das Tatgericht bei der Bemessung aller Einzelstrafen hier zu bedenken gehabt, dass auch einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige strafmildernde Bedeutung zukommt , wenn sie für den Angeklagten mit besonderen Belastungen verbunden ist (BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2009 – 3 StR 173/09, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 20; vom 29. September 2015 – 2 StR 128/15, NStZ-RR 2016, 7 und vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 142).
9
Die Nichterwähnung in den Urteilsgründen legt nahe, dass das Tatgericht diesen bestimmenden Milderungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in seiner Bedeutung verkannt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 2011 – 5 StR 585/10, NStZ-RR 2011, 171). Dies gilt besonders vor dem Hintergrund , dass die Kammer die Verfahrensdauer vorliegend gar nicht – auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer möglichen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) – in den Blick genommen hat.
10
Damit sind auch der Gesamtstrafenausspruch, die im vorliegenden Fall damit zusammenhängende Entscheidung über das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung und die – für sich genommen nicht zu beanstandende – Anrechnungsentscheidung sowie die dem Rechtsfolgenausspruch zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben. Dem neuen Tatgericht wird so die Möglichkeit gegeben, über den Rechtsfolgenausspruch insgesamt neu zu befinden. Raum Graf Jäger Bellay Hohoff

(1) Über die Hauptverhandlung ist ein Protokoll aufzunehmen und von dem Vorsitzenden und dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, soweit dieser in der Hauptverhandlung anwesend war, zu unterschreiben. Der Tag der Fertigstellung ist darin anzugeben oder aktenkundig zu machen.

(2) Ist der Vorsitzende verhindert, so unterschreibt für ihn der älteste beisitzende Richter. Ist der Vorsitzende das einzige richterliche Mitglied des Gerichts, so genügt bei seiner Verhinderung die Unterschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle.

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.

(2) Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.

(3) Absatz 1 ist nicht anzuwenden,

1.
wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat,
2.
wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist oder
3.
soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach den §§ 84 bis 87 betreffen.

(4) Der Versuch, eine in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 bezeichnete Vereinigung zu gründen, ist strafbar.

(5) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern der Vereinigung gehört. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn der Zweck oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet ist, in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, b, d bis f und h bis o, Nummer 2 bis 8 und 10 der Strafprozessordnung genannte Straftaten mit Ausnahme der in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe h der Strafprozessordnung genannten Straftaten nach den §§ 239a und 239b des Strafgesetzbuches zu begehen.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, von einer Bestrafung nach den Absätzen 1 und 4 absehen.

(7) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter

1.
sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß Straftaten, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können;
erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.

Ein Zusammenhang ist vorhanden, wenn eine Person mehrerer Straftaten beschuldigt wird oder wenn bei einer Tat mehrere Personen als Täter, Teilnehmer oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beschuldigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
StB 5/16
vom
21. April 2016
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Beihilfe zum Mord
ECLI:DE:BGH:2016:210416BSTB5.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 21. April 2016 gemäß § 304 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 1. Oktober 2014 (7 St 5/14) wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

1
Der Angeklagte ist auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom 4. Juni 2009 (3 BJs 19/08-2) und des zugrundeliegenden Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Mai 2009 (1 BGs 118/09) am 17. April 2014 in Kroatien festgenommen und - bewilligt durch Beschluss des Bezirksgerichts Varazdin vom 27. März 2014 (Kv-eun 8/14) sowie durch Beschluss des Obersten Gerichts der Republik Kroatien vom 15. April 2014 (Kz-eun 20/14-6) - am 17. April 2014 an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert worden. Seit diesem Zeitpunkt befindet er sich im vorliegenden Strafverfahren ununterbrochen in Untersuchungshaft.
2
Den Haftbefehl gegen den Angeklagten vom 18. Mai 2009 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs durch Beschluss vom 18. April 2014 (1 BGs 84/14) abgeändert und neu gefasst; zugleich hat er den Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet. Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, als Leiter eines Geheimdienstes des ehemaligen Jugoslawien seinen damaligen Untergebenen , den Mitangeklagten P. , damit beauftragt zu haben, den Mord an dem Exilkroaten D. , der am 28. Juli 1983 in W. getötet wurde, zu planen und logistisch vorzubereiten.
3
Unter dem 15. Juli 2014 hat der Generalbundesanwalt wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Mord bei dem Oberlandesgericht München gegen den Angeklagten Anklage erhoben, die am 22. Juli 2014 beim dortigen 7. Strafsenat eingegangen ist. Dieser Senat des Oberlandesgerichts hat am 1. September 2014 die Anklage des Generalbundesanwalts zur Hauptverhandlung zugelassen , das Hauptverfahren eröffnet und zugleich Haftfortdauer gegen den Angeklagten angeordnet (§ 207 Abs. 4 StPO). Erneut und bislang letztmalig hat der 7. Strafsenat des Oberlandesgerichts München durch Beschluss vom 1. Oktober 2014 (7 St 5/14 (2)), mit dem die Akten dem Bundesgerichtshof im Haftprüfungsverfahren gemäß §§ 121, 122 StPO vorgelegt worden sind, Haftfortdauer gegen den Angeklagten angeordnet.
4
Am 17. Oktober 2014 hat die Hauptverhandlung vor dem 7. Strafsenat des Oberlandesgerichts München begonnen, die bisher an insgesamt 99 Tagen durchgeführt worden ist. Derzeit sind weitere 27 Hauptverhandlungstage bis zum 2. August 2016 bestimmt.
5
Mit Schriftsatz seiner Verteidiger vom 16. März 2016 hat der Angeklagte Haftbeschwerde eingelegt und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben.
6
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

7
Die Beschwerde ist in ihrer Auslegung durch den Senat gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässig.
8
Der Schriftsatz der Verteidiger des Angeklagten vom 16. März 2016 ist als Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts München vom 1. Oktober 2014 anzusehen (§ 300 StPO). Diese Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft war die zeitlich letzte, den Bestand des Haftbefehls gegen den Angeklagten betreffende Entscheidung, gegen die eine Beschwerde zulässig erhoben werden kann. Der aus der Regelung des § 117 Abs. 2 StPO abgeleitete allgemeine Grundsatz, dass der Beschuldigte nur die jeweils letzte Haftentscheidung anfechten kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 117 Rn. 8 mwN), liegt die Erwägung zugrunde, dass es einem vernünftigen Verfahrensablauf widersprechen würde, wenn ein Beschwerdeführer in beliebiger Art und Weise auf frühere, möglicherweise in ihrer Begründung bereits überholte Haftentscheidungen zurückgreifen und es hierdurch im Ergebnis zu einander widersprechenden Entscheidungen verschiedener mit der Sache befasster Gerichte kommen könnte.

III.

9
Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
10
1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin der dringende Tatverdacht, an der Tötung von D. beteiligt gewesen zu sein. Sein Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Insofern gilt:
11
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (vgl. Beschlüsse vom 5. Februar 2015 - StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247, 248; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143; vom 2. September 2003 - StB 11/03, NStZ-RR 2003, 368). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen, unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen , die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind, ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Ent- scheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste (vgl. auch BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2015 - StB 14/15, juris Rn. 7 mwN).
12
b) Nach diesen Maßstäben ist die durch den Nichtabhilfebeschluss vom 17. März 2016 näher begründete Bewertung des Oberlandesgerichts, dass der dringende Tatverdacht der Beihilfe zum Mord gegen den Angeklagten weiterhin besteht, nicht zu beanstanden. Auf die Ausführungen in den Gründen dieser Nichtabhilfeentscheidung wird Bezug genommen. Wie sich daraus im Einzelnen ergibt, stellen die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts der Beteiligung des Angeklagten an der Tötung von D. nach vorläufiger Bewertung nicht in Frage. Für den Senat besteht auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, das eine abweichende Bewertung des in der Hauptverhandlung zu erwartenden Beweisergebnisses vornimmt, kein greifbarer Anhaltspunkt, der es rechtfertigen würde, von der - keine ins Auge fallenden Unplausibilitäten enthaltenden - Bewertung des bisher erzielten Kenntnisstandes und der noch nicht erhobenen Beweise durch das Oberlandesgericht abzuweichen und in eigener Einschätzung der Beweislage den dringenden Tatverdacht zu verneinen.
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2. Zutreffend ist das Oberlandesgericht auch davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten neben dem Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO weiterhin vorliegt. Dem gegebenen erheblichen Fluchtanreiz stehen weiterhin keine privaten Bindungen und sozialen Beziehungen des Angeklagten in Deutschland gegenüber.
Diese Umstände schließen auch eine Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach § 116 Abs. 1 StPO aus. Mildere Maßnahmen, mit denen der Zweck der Untersuchungshaft ebenfalls zu erreichen wäre, sind nicht ersichtlich.
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3. Die Untersuchungshaft hat mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Angeklagten und dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung bei Berücksichtigung und Abwägung der gegebenen Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens - auch angesichts der bereits nahezu zwei Jahre währenden Untersuchungshaft und der zu erwartenden Gesamtdauer des Verfahrens - fortzudauern. Ihr weiterer Vollzug steht angesichts der gegebenen Besonderheiten auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
15
a) Hierbei ist freilich das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit in besonderer Weise zu beachten. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung , die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt.
16
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass diese nicht außer Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen. Das Gewicht des Frei- heitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft. Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu.
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Das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der etwaigen späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist daher stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 mwN, juris Rn. 39 ff.; BGH, Beschluss vom 19. März 2013 - StB 2/13, juris Rn. 12 ff.).
18
b) Daran gemessen ist der Haftbefehl gegen den Angeklagten aufrechtzuerhalten und die Untersuchungshaft weiter zu vollziehen. Der Generalbundesanwalt hat nach der Festnahme des Angeklagten in Kroatien und seiner Auslieferung am 17. April 2014 die Ermittlungen mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung abgeschlossen und bereits unter dem 15. Juli 2014 die Anklage gegen den Angeklagten erhoben. Auch die Durchführung des Zwischenverfahrens und der bisherige Verlauf der Hauptverhandlung lassen erhebliche vermeidbare Verzögerungen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2009 - 2 BvR 388/09, StV 2009, 479, 480 f.) nicht erkennen. Zwar ergibt die rein rechnerische Betrachtung der "Sitzungsfrequenz" mit Blick auf den seit Beginn der Hauptverhandlung am 17. Oktober 2014 verstrichenen Zeitraum und die Anzahl von bisher 99 Verhandlungstagen, dass das Oberlandesgericht die Hauptverhandlung im Durchschnitt an weniger als zwei Tagen pro Woche durchgeführt hat. Jedoch ist - auch ohne Darlegung des Verlaufs der bisherigen Hauptverhandlung im Detail und der Ursachen hierfür im Einzelnen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 19. März 2013 - StB 2/13, juris Rn. 18 ff.) - aus der Nichtabhilfeentscheidung vom 17. März 2016 hinreichend ersichtlich, dass das Oberlandesgericht seine Hauptverhandlung mit der in Haftsachen gebotenen zügigen Verfahrensweise durchgeführt hat, insbesondere eine höhere "Sitzungsfrequenz" wegen der Besonderheiten der vorliegenden Sache nicht möglich war. Hierfür war insbesondere deren Auslandsbezug verantwortlich , der mit Blick auf den Aufklärungsgrundsatz eine hohe Zahl neuer Rechtshilfeersuchen und schwierige Zeugenladungen notwendig machte. Auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts hierzu wird Bezug genommen. Anhaltspunkte dafür, dass diese den besonderen Verlauf der Hauptverhandlung nicht zu- treffend wiedergeben, bestehen nicht. Bedeutsame Verzögerungen oder Versäumnisse , die die Fortdauer der Untersuchungshaft mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hindern würden, sind nicht ersichtlich.
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Nach alledem ist der weitere Vollzug der Untersuchungshaft angesichts der Bedeutung der Sache und der konkreten Erwartung einer hohen Freiheitsstrafe immer noch verhältnismäßig (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker Schäfer Tiemann

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Ein Ablehnungsgesuch ist auch dann im Sinne von § 338
Nr. 3 StPO „mit Unrecht verworfen“, wenn die unter Mitwirkung
des abgelehnten Richters beschlossene Verwerfung
gemäß § 26a StPO als unzulässig auf einer willkürlichen
oder die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG
grundlegend verkennenden Rechtsanwendung beruht; auf
die sachliche Berechtigung der Ablehnungsgründe kommt
es in diesem Fall nicht an (Abkehr von BGHSt 23, 265;
im Anschluss an BVerfG [Kammer], Beschluss vom
2. Juni 2005 – 2 BvR 625 und 638/01).
BGH, Beschluss vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05
LG Hamburg-

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 10. August 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. August 2005

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 17. August 2004 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Einbeziehung verschiedener Einzelfreiheitsstrafen aus einer vorangegangenen Verurteilung – wegen Vergewaltigung (Einsatzfreiheitsstrafe sechs Jahre) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
a) Der Angeklagte hat den Vorsitzenden der Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er hat seine Ablehnung auf die Mitwirkung des Richters in einem vorangegangenen Verfahren gegen einen anderen Angeklagten unter anderem wegen weiterer Vergewaltigungen desselben Opfers und wegen Menschenhandels gestützt: Der Richter habe aufgrund der Angaben der in beiden Verfahren als Hauptbelastungszeugin auftretenden Geschädigten Feststellungen zu dem Vorwurf des hiesigen Verfahrens – einer zuvor verübten Vergewaltigung – getroffen, die nach Auffassung des Angeklagten in jenem Verfahren nicht zwingend erforderlich gewesen wären.
Aufgrund des Ausmaßes der vorangegangenen Festlegung zum Tatgeschehen sowie zur Glaubwürdigkeit der Zeugin gebe es für den Angeklagten begründeten Anlass, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln. Die Feststellungen im Vorverfahren zum Tatvorwurf im hiesigen Verfahren stünden weder notwendig noch untrennbar mit den zuvor verhandelten Vorwürfen gegen den damaligen Angeklagten in Zusammenhang, so dass ein Sonderfall vorliege, der ausnahmsweise die Ablehnung wegen Vorbefassung rechtfertige.

b) Die Strafkammer hat das Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung des abgelehnten Richters gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig verworfen : Die angegebene Begründung sei aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet, was dem Fehlen einer Begründung im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO gleichstehe; für einen in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefall vom Grundsatz, dass eine Vorbefassung die Besorgnis der Befangenheit regelmäßig nicht begründe, gebe es keinerlei Anhaltspunkte.
2. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO liegt vor. Bei dem angegriffenen Urteil hat ein Richter mitgewirkt, nachdem ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen wurde. Die Strafkammer durfte nicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO verfahren; damit hat sie die Grenzen dieser Norm in einer die Anforderungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Weise überschritten.

a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war bislang anerkannt , dass die fehlerhafte Ablehnung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO für sich keinen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 3 StPO eröffnet, sondern das Revisionsgericht auch in diesen Fällen nach Beschwerdegrundsätzen prüft, ob das Ablehnungsgesuch in der Sache begründet war oder nicht (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 18, 200, 203; 23, 265; BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 1, 3, 9). Mit dem Gene- ralbundesanwalt, der seinen Antrag nach § 349 Abs. 2 StPO vor der nachfolgend genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gestellt hat, liegt es nahe anzunehmen, dass das in Frage stehende Ablehnungsgesuch als unbegründet zu bewerten gewesen wäre und die entsprechende Rüge der Revision deshalb nach dem Maßstab der bisherigen Rechtsprechung nicht zum Erfolg verholfen hätte.
Diese Rechtsprechung kann indes nicht mehr in vollem Umfang aufrecht erhalten werden. Ein Ablehnungsgesuch ist jedenfalls auch dann im Sinne von § 338 Nr. 3 StPO „mit Unrecht verworfen“, wenn die unter Mitwirkung des abgelehnten Richters beschlossene Verwerfung gemäß § 26a StPO als unzulässig auf einer willkürlichen oder die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Rechtsanwendung beruht; auf die sachliche Berechtigung der Ablehnungsgründe kommt es in diesem Fall nicht an.
aa) Nach der Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625 und 638/01 – (vgl. auch schon BVerfG [Kammer ] StraFo 2005, 109; BGH NStZ 2005, 218, 219) darf die Anwendung von § 26a StPO nicht dazu führen, dass der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und damit „Richter in eigener Sache“ wird. Werden die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO in sachlich nicht nachvollziehbarer Weise dahingehend ausgelegt, dass das Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung des abgelehnten Richters in der Sache auf seine Begründetheit überprüft wird, entzieht dies dem Beschuldigten im Ablehnungsverfahren seinen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Zugleich kann ein solches Vorgehen den Anspruch des Beschuldigten auf Wahrung rechtlichen Gehörs verletzen (BVerfG [Kammer], Beschluss vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625 und 638/01).
bb) Ist ein Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung des abgelehnten Richters (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO) als unzulässig verworfen worden, darf das Revisionsgericht sich demnach nicht darauf beschränken, die hypothetische Begründetheit des Ablehnungsgesuchs nach Beschwerdegrundsätzen (§ 28 Abs. 2 StPO) zu prüfen; vielmehr muss das Revisionsgericht zunächst darüber entscheiden, ob die Grenzen der Vorschrift des § 26a StPO, die den gesetzlichen Richter gewährleistet, eingehalten wurden (vgl. BVerfG aaO). Jedenfalls bei einer willkürlichen oder die Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erheblich missachtenden Überschreitung des durch § 26a StPO abgesteckten Rahmens hat das Revisionsgericht – eine ordnungsgemäße Rüge des Verfahrensfehlers gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorausgesetzt – das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Tatgericht zurückzuverweisen (vgl. BVerfG aaO).
cc) Willkür in diesem Sinne liegt vor, wenn die Entscheidung des Gerichts auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts beruht und daher in der Sache offensichtlich unhaltbar ist. Ebenso zu behandeln ist der Fall, dass das Gericht bei der Rechtsanwendung Bedeutung und Tragweite des von der Verfassung garantierten Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) grundlegend verkennt. Ob ein solcher Fall vorliegt, kann nur anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.
dd) Für die Anwendung von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO hat dies insbesondere folgende Konsequenzen: Grundsätzlich ist die Gleichsetzung eines Ablehnungsgesuchs, dessen Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet ist, mit einem Ablehnungsgesuch ohne Angabe eines Ablehnungsgrundes (§ 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StPO) – auch aus verfassungsrechtlicher Sicht – unbedenklich (BVerfG aaO; BGH NStZ 1999, 311). Entscheidend für die Abgrenzung zu „offensichtlich unbegründeten“ Ablehnungsgesuchen, die von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht erfasst und damit nach § 27 StPO zu behandeln sind (BGH StraFo 2004, 238; BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 9), ist die Frage, ob das Ablehnungsgesuch ohne nähere Prüfung und losgelöst von den konkreten Umständen des Einzelfalls zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet ist (BVerfG aaO). Über diese bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe im Rahmen von Entscheidungen nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zum „Richter in eigener Sache“ machen. Dabei muss die Auslegung des Ablehnungsgesuchs darauf ausgerichtet sein, es seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen, um nicht im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung einzutreten (BVerfG aaO).
Bleiben bei der Abgrenzung Zweifel, ist einem Vorgehen nach § 27 StPO der Vorzug zu geben. Dieses hat zudem den Vorteil, dass der abgelehnte Richter durch seine dienstliche Stellungnahme gemäß § 26 Abs. 3 StPO mögliche Missverständnisse aus dem Weg zu räumen vermag. Das Fehlen einer Stellungnahme beim Vorgehen gemäß § 26a StPO kann bereits nach bisheriger Rechtsprechung der Revision nach § 338 Nr. 3 StPO zum Erfolg verhelfen, wenn es deshalb an einer Grundlage für die sachliche Überprüfung des Ablehnungsgesuchs mangelte (vgl. BGHSt 23, 200, 202 f.) oder das im Befangenheitsgesuch enthaltene tatsächliche Vorbringen der Revisionsentscheidung ohne weiteres zugrunde zu legen war (BGHR StPO § 338 Nr. 3 Revisibilität 1; BGH NStZ 2005, 218, 219).
ee) Nach diesen Kriterien unbedenklich ist die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs nach § 26a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 StPO, das lediglich damit begründet wird, der Richter sei an einer Vorentscheidung zu Lasten des Angeklagten – etwa Eröffnungsbeschluss, Haftentscheidungen, Zurückweisungen vorangegangener Ablehnungsgesuche, den Umfang der Beweisaufnahme bestimmende Beschlüsse, Urteil über dieselbe Tat gegen einen daran Beteiligten in einem abgetrennten Verfahren – beteiligt gewesen. Da eine solche Beteiligung an Vorentscheidungen im nämlichen und in anderen damit zusammenhängenden Verfahren von Strafprozessordnung und Ge- richtsverfassungsrecht ausdrücklich vorgesehen und vorausgesetzt wird, kann die Vorbefassung als solche – abgesehen von den in § 22 Nr. 4 und Nr. 5, § 23 und § 148a Abs. 2 Satz 1 StPO genannten Ausschließungstatbeständen – die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 3 Strafkammer 1, insoweit in BGHSt 43, 96 nicht abgedruckt). Auch (vermeintliche) Rechtsfehler bei der Vorentscheidung können für sich genommen eine Ablehnung nicht ohne weiteres rechtfertigen (BGH NStZ 1999, 311). Unzulässig wäre auch der Versuch, einen Streit über das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme zum Gegenstand des Ablehnungsverfahrens zu machen, weil der Ort, um den entscheidungserheblichen Inhalt der Beweisaufnahme festzustellen, das Urteil ist (vgl. BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 10 m.w.N.). Wird das Ablehnungsgesuch allein auf solche Umstände der Vorbefassung gestützt, kann es ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO verworfen werden, weil eine solche Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet ist und dies dem Fehlen einer Begründung gleichsteht (BGH aaO).
Anders verhält es sich allerdings beim Hinzutreten besonderer Umstände , die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen sowie d ie übrigen genannten Aspekte hinausgehen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn Äußerungen in früheren Urteilen nach der Sachlage unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über einen der jetzigen Angeklagten enthalten (BGHR StPO § 338 Nr. 3 Strafkammer 1, insoweit in BGHSt 43, 96 nicht abgedruckt) oder wenn ein Richter sich bei einer Vorentscheidung in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat (vgl. BGH StV 2002, 116; NStZ 2005, 218).
Allerdings darf auch hinsichtlich der hinzutretenden besonderen Umstände die Besorgnis der Befangenheit nur aus Tatsachen, nicht aus bloßen Vermutungen des Antragstellers abgeleitet werden (vgl. BGH NStZ 1998, 422, 424; StV 1996, 355); insbesondere haltlose Behauptungen ohne tatsächliche Grundlage können deshalb ein im übrigen allein auf Vorbefassung gestütztes Ablehnungsgesuch nicht zulässig begründen (vgl. BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 2). Unabhängig hiervon bleibt dem Tatrichter in jedem Fall die Möglichkeit unbenommen, die Verwerfung des Befangenheitsgesuchs auf § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO zu stützen, wenn mit haltloser Begründung versucht wird, das Institut der Richterablehnung als Druckmittel zur Durchsetzung genehmer oder Verhinderung unangenehmer Entscheidungen zu missbrauchen; gerade die völlige Abwegigkeit der Ablehnungsgründe kann die Sachfremdheit des angebrachten Gesuchs im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO deutlich machen (vgl. BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 7).
Für die Frage, ob auf Vorbefassung gestützte Ablehnungsanträge nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig verworfen werden können oder nach § 27 StPO zu behandeln sind, kommt es damit entscheidend darauf an, ob der Antragsteller neben der Vorbefassung und den damit notwendig einhergehenden inhaltlichen Aussagen besondere Umstände konkret vorträgt und glaubhaft macht (vgl. hierzu BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 2; BGH NStZ 1999, 311), die eine inhaltliche Prüfung erfordern und den abgelehnten Richter bei einer Beteiligung an der Entscheidung nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO deshalb zum „Richter in eigener Sache“ machen würden.

b) Den genannten Anforderungen aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wird die von der Revision gerügte Verwerfung des Befangenheitsgesuchs als unzulässig gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht gerecht.
Das Ablehnungsgesuch hat gerade solche zur Vorbefassung hinzutretenden besonderen Umstände vorgetragen, die eine inhaltliche Prüfung erforderten. Die im vorangegangenen Verfahren unter maßgeblicher Mitwirkung des abgelehnten Richters getroffenen Festlegungen zum Tatbeitrag des Revisionsführers waren vom dortigen Verfahrensstoff nicht zweifelsfrei unbedingt erfordert (vgl. hierzu BGHR StPO § 338 Nr. 3 Strafkammer 1, insoweit in BGHSt 43, 96 nicht abgedruckt). Zudem ging es in beiden Verfahren entscheidend um die Frage der Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin. Beide Aspekte zusammen hätten eine inhaltliche Prüfung erfordert, ob diese Umstände ausnahmsweise geeignet sind, eine Besorgnis der Befangenheit wegen Vorbefassung zu begründen. Statt in einer dienstlichen Stellungnahme nach § 26 Abs. 3 StPO seine trotz der konkreten Vorbefassung verbliebene Offenheit für die Beurteilung der Schuldfrage in Bezug auf den Angeklagten herauszustellen und danach die Entscheidung über die Frage berechtigter Bedenken an seiner erforderlichen Unvoreingenommenheit nach § 27 StPO von anderen Richtern entscheiden zu lassen, hat sich der abgelehnte Richter mit dem Vorgehen nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO unter eigener Beteiligung zum „Richter in eigener Sache“ gemacht; damit sind im Verwerfungsbeschluss die Anforderungen aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt worden.

c) Bei derartigen Verfassungsverstößen im Ablehnungsverfahren obliegt es dem Revisionsgericht, diese durch Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen zu beheben. Nach der Systematik des Revisionsrechts ist eine solche Aufhebung und Zurückverweisung jedoch nicht isoliert in der Weise möglich, dass lediglich erneut über das Ablehnungsgesuch in der Besetzung des § 27 StPO entschieden werden könnte (missverständlich daher BVerfG aaO unter IV. 3. c am Ende). Vielmehr muss in Fällen, in denen der Angeklagte im Rahmen einer willkürlichen Verwerfung des Ablehnungsgesuchs nach § 26a StPO seinem gesetzlichen Richter entzogen wurde, der Anwendungsbereich des § 338 Nr. 3 StPO mit der Folge der Urteilsaufhebung auch dann eröffnet sein, wenn die Ablehnung womöglich sachlich nicht begründet gewesen wäre (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 338 Rdn. 28).

d) Einer Divergenzvorlage nach § 132 Abs. 2 GVG bedarf es nicht. Die bisherigen entgegenstehenden Entscheidungen der übrigen Senate des Bundesgerichtshofs sind mit der genannten Entscheidung der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts überholt (vgl. Hannich in KK 5. Aufl. § 132 GVG Rdn. 8; vgl. auch BGHSt 44, 171, 173 zu § 121 GVG). Nach § 93c Abs. 1 Satz 2 BVerfGG steht die Kammerentscheidung der Entscheidung eines Senats des Bundesverfassungsgerichts gleich; ihr kommt damit auch die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG zu (vgl. BVerfG [Kammer] NJW 1991, 2821; Graßhof in Maunz/SchmidtBleibtreu /Klein/Bethge BVerfGG § 93c Rdn. 34). Demnach ist die rechtliche Grundlage der früheren anders lautenden Entscheidungen in Fällen wie dem vorliegenden entfallen (vgl. BGHSt 46, 17, 20).
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal

(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn

1.
die Ablehnung verspätet ist,
2.
ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angegeben wird oder
3.
durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen.

(2) Das Gericht entscheidet über die Verwerfung nach Absatz 1, ohne daß der abgelehnte Richter ausscheidet. Im Falle des Absatzes 1 Nr. 3 bedarf es eines einstimmigen Beschlusses und der Angabe der Umstände, welche den Verwerfungsgrund ergeben. Wird ein beauftragter oder ein ersuchter Richter, ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein Strafrichter abgelehnt, so entscheidet er selbst darüber, ob die Ablehnung als unzulässig zu verwerfen ist.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn

1.
die Ablehnung verspätet ist,
2.
ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angegeben wird oder
3.
durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen.

(2) Das Gericht entscheidet über die Verwerfung nach Absatz 1, ohne daß der abgelehnte Richter ausscheidet. Im Falle des Absatzes 1 Nr. 3 bedarf es eines einstimmigen Beschlusses und der Angabe der Umstände, welche den Verwerfungsgrund ergeben. Wird ein beauftragter oder ein ersuchter Richter, ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein Strafrichter abgelehnt, so entscheidet er selbst darüber, ob die Ablehnung als unzulässig zu verwerfen ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 353/08
vom
18. September 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 18. September 2008 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 13. März 2008, soweit es diesen Angeklagten betrifft, mit den Feststellungen, soweit danach dieser Angeklagte der Mittäter des Mitangeklagten Mindaugas R. war, aufgehoben; im Übrigen bleiben die Feststellungen bestehen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten Darius R. und seinen jüngeren Bruder, den Mitangeklagten Mindaugas R. , jeweils des gemeinschaftlich begangenen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und der gemeinschaftlich begangenen versuchten schweren räuberischen Erpressung schuldig befunden und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und den Mitangeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Während der Senat die Revision des Mitangeklagten durch Beschluss vom heutigen Tage als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO verworfen hat, hat die Revision des Angeklagten Darius R. mit einer Verfahrensrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
2
1. Die Revision beanstandet zu Recht die Ablehnung eines Beweisantrages wegen Prozessverschleppung. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
3
Zu Beginn der Hauptverhandlung kam es auf Betreiben des Verteidigers des Mitangeklagten Mindaugas R. zu einem Verständigungsgespräch, in dessen Folge dieser Angeklagte über seinen Verteidiger ein Geständnis ablegte. Demgegenüber gab der Beschwerdeführer bis zum Schluss der Hauptverhandlung keine Erklärung ab und äußerte sich auch nicht zur Sache. Mit mehreren Beweisanträgen, die im Wesentlichen auf die Vernehmung von sogenannten Auslandszeugen gerichtet waren, versuchte die Verteidigung den Nachweis zu führen, dass sich der Angeklagte zur Tatzeit in Litauen aufgehalten habe. Nachdem sämtliche Beweisanträge von der Strafkammer zurückgewiesen worden waren, stellte der Verteidiger am letzten Hauptverhandlungstag den weiteren Beweisantrag, Lena F. , wohnhaft in G. , eine frühere Bekannte des Angeklagten, als Zeugin zum Beweis der Tatsache zu vernehmen , dass der Angeklagte am 21. März 2007 [Tatzeit hier war der Nachmittag des 20. März 2007] gemeinsam mit ihr mit einem Bus von Litauen nach Deutschland zurückgefahren sei. Diesen Antrag lehnte die Strafkammer mit folgender Begründung gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO wegen Prozessverschleppungsabsicht ab: "Nachdem der Angeklagte seit Mai 2007 in U-Haft sitzt, hat er am fünften Verhandlungstag durch Benennung eines Zeugen aus Litauen versucht, seine Anwesenheit in Litauen zum Tatzeitpunkt zu belegen. Heute hat er dazu zunächst einen weite- ren Zeugen aus Litauen benannt. Es ist nicht ersichtlich, warum erst am letzten Verhandlungstag um 17.10 Uhr nunmehr zu diesem Beweisthema eine Zeugin aus G. benannt wird und dies nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt ist, zumal es sich bei Frau F. um die Mittäterin des Angeklagten Darius R. aus seiner Vorstrafe wegen räuberischen Diebstahls handelt. Die Vernehmung der Frau F. würde zu einer nicht unerheblichen Verfahrensverzögerung führen, weil zumindest ein zusätzlicher Verhandlungstag anberaumt werden müsste".
4
Diese Begründung trägt die Ablehnung nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO in objektiver Hinsicht zwei Voraussetzungen: Die verlangte Beweiserhebung kann nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen; darüber hinaus muss sie geeignet sein, den Abschluss des Verfahrens wesentlich hinauszuzögern; in subjektiver Hinsicht muss sich der Antragsteller der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst sein und mit dem Antrag ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses bezwecken (vgl. BGHSt 51, 333, 336). Insoweit fehlt es in dem beanstandeten Beschluss aber bereits an jeglicher Darlegung, weshalb der Beweis nichts Entlastendes für den Beschwerdeführer erbringen könnte. Ebenso wenig ist dargetan, dass der Antragsteller - hier also der Verteidiger - sich der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst war. Der späte Zeitpunkt der Antragstellung ist für sich allein kein ausreichendes Anzeichen für ein solches Bewusstsein (BGHSt aaO). Dies gilt schon deshalb, weil der Gesetzgeber ungeachtet der grundlegenden Bedeutung desBeschleunigungsgebots die Vorschrift des § 246 Abs. 1 StPO, nach der eine Beweiserhebung nicht deshalb abgelehnt werden darf, weil das Beweismittel oder die zu beweisende Tatsache zu spät vorgebracht worden sei, nicht geändert hat. Das Bewusstsein der Nutzlosigkeit der beantragten Beweiserhebung folgt auch nicht ohne Weiteres aus dem "eher pauschalen" Geständnis des Anklagesachverhalts durch den Mitangeklagten Mindaugas R. und der Tatsache, dass in dem Pkw des Geschädigten S. eine Wollmütze gefunden wurde, die ausschließlich DNA des Beschwerdeführers aufwies. Denn der Beweisantrag diente gerade dazu, diese Beweisgrundlagen zu erschüttern.
5
Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht die Verurteilung des Beschwerdeführers. Denn trotz der gewichtigen für seine Tatbeteiligung sprechenden Umstände kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer insoweit Zweifel gehabt hätte, wenn die benannte Zeugin die Beweisbehauptung bestätigt hätte.
6
2. Der Senat hebt deshalb das Urteil mit den Feststellungen auf, soweit es festgestellt hat, dass es sich bei dem Mittäter des Mitangeklagten Mindaugas R. um den Beschwerdeführer gehandelt hat. Nur insoweit sind die Feststellungen des angefochtenen Urteils durch die fehlerhafte Zurückweisung des Beweisantrags betroffen (§ 353 Abs. 2 2. Halbs. StPO). Die übrigen Feststellungen zum Tatgeschehen einschließlich der Rollenverteilung der beiden Täter bei den Taten beruhen dagegen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und können deshalb bestehen bleiben.
Tepperwien Maatz Kuckein
Athing Solin-Stojanović

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 46/16
vom
28. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:280616B3STR46.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 28. Juni 2016 einstimmig
beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 4. November 2015 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Zu der von dem Angeklagten M. erhobenen Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO wegen Zurückweisung des Antrags seines Verteidigers vom 19. Oktober 2015 auf Vernehmung des am 17. Januar 2015 "diensthabenden Portiers" des Hotel C. bemerkt der Senat ergänzend: Das Landgericht hat den Antrag auch wegen Prozessverschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 6 StPO) abgelehnt. Hierzu hat es zunächst - im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH, Urteil vom 3. August 1966 - 2 StR 242/66, BGHSt 21, 118, 121 f.; Beschlüsse vom 18. September 2008 - 4 StR 353/08, NStZ-RR 2009, 21; vom 8. Juni 2011 - 3 StR 49/11, NStZ 2011, 646; jew. mwN) - ausgeführt, Voraussetzung einer Ablehnung wegen Prozessverschleppungsabsicht sei, dass die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches erbringen könne. Diese Auffassung hat die Strafkammer alsdann damit begründet, dass die Bestätigung der Beweistatsache "völlig unwahrscheinlich" sei. Dies könnte rechtlichen Bedenken begegnen, weil sie damit möglicherweise einen unzutreffenden Maßstab angelegt hat: Voraussetzung der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht ist insoweit , dass das Gericht zu der Überzeugung gelangt, die Beweiserhebung werde objektiv unter keinem Gesichtspunkt etwas zu Gunsten des Angeklagten erbringen; erforderlich ist mithin die Aussichtslosigkeit der beantragten Beweiserhebung (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 269 mwN; vgl. auch MüKoStPO/ Trüg/Habetha, § 244 Rn. 322: "Nutzlosigkeit"; ähnlich MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 244 Rn. 68; HK-StPO-Julius, 5. Aufl., § 244 Rn. 38; SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 244 Rn. 173: Beweiserhebung "sinnlos"). Soweit in der Literatur vereinzelt die vom Landgericht verwendete, auf weniger strenge Anforderungen hindeutende Formulierung gebraucht wird (vgl. KK-Krehl, StPO, 7. Aufl., § 244 Rn. 176; SSW-StPO/Sättele, 2. Aufl., § 244 Rn. 219), weist der Senat darauf hin, dass sich diese in den von diesen Autoren zitierten Entscheidungen nicht findet.
Letztlich kann die Frage indes dahinstehen, denn die Rüge ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil sich die Ablehnung des Antrags wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 4 StPO) als rechtsfehlerfrei erweist.
Becker Schäfer Mayer Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 237/06
vom
31. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 31. August 2006 einstimmig

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 25. Januar 2006 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: 1. Soweit der Verteidiger Rechtsanwalt B. aus M. in seiner Revisionsbegründung und seiner Stellungnahme zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts unter verschiedenen Aspekten das Verfahren im Zusammenhang mit der Vernehmung der Hauptbelastungszeugin beanstandet, ist ein Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten nicht dargetan. Diese Rügen und die Schilderung der Befragung der Zeugin durch den Verteidiger des Angeklagten in den Urteilsgründen geben dem Senat aber Veranlassung, auf die Fürsorgepflicht des Gerichts, die der Angeklagte für sich in Anspruch nehmen will, gegenüber dem Opfer hinzuweisen. In dem Urteil heißt es dazu (UA S. 57, 58): "Die Vernehmung der Zeugin durch die Kammer, die Staatsanwaltschaft , den Nebenklägervertreter und die Sachverständigen hat insgesamt unter 2 Stunden angedauert. Daran hat sich über mehrere Sitzungstage die intensive Befragung des Verteidigers angeschlossen. Dabei ist festzustellen, dass das Tatgeschehen von seinem eigentlichen Ablauf her einfach gelagert und wenig komplex ist. Insofern war die Beweiserhebung nicht schwierig. Im Hinblick auf die im Raume stehenden schweren Rechtsfolgen -Sicherungsverwahrung bzw. mittelbar der Widerruf der lebenslangen Freiheitsstrafe- hat die Kammer dem Verteidiger zugestanden, den Kreis der abzufragenden Themenkomplexe außerordentlich weit zu ziehen, zumal die Zeugin einzige unmittelbare Tatzeugin ist. Jedoch hat der Verteidiger im Rahmen seiner mehrstündigen Vernehmung zeitweilig auch diese Grenzen überschritten, etwa bei zahlreichen Fragen und anschließenden Nachfragen zu einem ihrer -durch Suizid verstorbenen Halbbrüder K. , der möglicherweise mit ihrer Halbschwester G. ein behindertes Kind gezeugt hat. Die vom Verteidiger auf die jeweiligen Rügen/Nachfragen des Vorsitzenden wortreich angekündigte spätere Erkenntnis eines Sachbezuges zu den eigentlichen Beweisfragen blieb dabei vielfach allerdings aus." Dieses Verfahren des Landgerichts ist - wodurch der Angeklagte allerdings nicht beschwert ist - nicht unbedenklich. Das Gericht ist verpflichtet, bei seiner Entscheidung über den Umfang der Beweisaufnahme Opferschutzinteressen in seine Erwägungen einzubeziehen (BGH NJW 2005, 1519). Das bedeutet auch, das Opfer vor einer rechtsstaatswidrigen Verteidigung des Angeklagten zu schützen (BGH NStZ 2005, 579, 580). Auch sonst gibt die Verteidigung des Angeklagten dem Senat Anlass, erneut darauf hinzuweisen, dass die Strafjustiz auf Dauer an ihre Grenzen stößt, wenn die Verteidigung in Strafverfahren, wie der Senat zunehmend beobachtet, zwar formal korrekt und im Rahmen des Standesrechts geführt wird, sich aber dem traditionellen Ziel des Strafprozesses, der Wahrheitsfindung in einem prozessordnungsgemäßen Verfahren, nicht mehr verpflichtet fühlt und die durch die Strafprozessordnung gewährleisteten Verfahrensrechte in einer Weise nutzt, die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgabe, den Angeklagten vor einem materiellen Fehlurteil oder (auch nur) einem prozessordnungswidrigen Verfahren zu schützen, nicht mehr zu erklären ist (vgl. BGH NStZ 2005, 341 m. w. N.; BVerfG NStZ 1997, 35; 2004, 259, 260; Hanack StV 1987, 500, 501). 2. Soweit sich der Verteidiger - offenbar ernsthaft gemeint - darüber beschwert , die Antragsschrift des Generalbundesanwalts greife unzulässigerweise in seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (sic!) ein, indem sie bestimmte Verfahrensrügen als nicht formgerecht im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben bewertet, woraus jeder Dritte den Schluss ziehen könne, er habe die Revision in einigen Teilen noch nicht einmal ausreichend begründet, geht der Senat davon aus, dass er eine Bescheidung nicht erwartet. 3. Die Ausführungen des Verteidigers in der Erwiderung auf die in jeder Hinsicht zutreffende Stellungnahme des Generalbundesanwalts lassen jeglichen Bezug zu einer sachlichen Auseinandersetzung vermissen. Insbesondere Äußerungen wie - der Generalbundesanwalt habe sich "nur oberflächlich und nicht mit ausreichendem juristischen Tiefgang mit der differenzierten Revisionsbegründung auseinandergesetzt", - die Antragsschrift bestehe in wesentlichen Teilen nur aus "wahllos zusammengefügten Textbausteinen", - sie enthalte zu einer Verfahrensrüge "nur Plattitüden unter Ignorierung elementarer Verfassungsprinzipien" und - sei "gelinde ausgedrückt einfach unglaublich" sind grob ungehörig und inakzeptabel.
VRiBGH Prof. Dr. Tolksdorf Miebach von Lienen ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert. Miebach RiBGHHubertistwegen Becker Urlaubsabwesenheitan derUnterschriftsleistung gehindert. Miebach

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Verjährung wird unterbrochen durch

1.
die erste Vernehmung des Beschuldigten, die Bekanntgabe, daß gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, oder die Anordnung dieser Vernehmung oder Bekanntgabe,
2.
jede richterliche Vernehmung des Beschuldigten oder deren Anordnung,
3.
jede Beauftragung eines Sachverständigen durch den Richter oder Staatsanwalt, wenn vorher der Beschuldigte vernommen oder ihm die Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekanntgegeben worden ist,
4.
jede richterliche Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnung und richterliche Entscheidungen, welche diese aufrechterhalten,
5.
den Haftbefehl, den Unterbringungsbefehl, den Vorführungsbefehl und richterliche Entscheidungen, welche diese aufrechterhalten,
6.
die Erhebung der öffentlichen Klage,
7.
die Eröffnung des Hauptverfahrens,
8.
jede Anberaumung einer Hauptverhandlung,
9.
den Strafbefehl oder eine andere dem Urteil entsprechende Entscheidung,
10.
die vorläufige gerichtliche Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Angeschuldigten sowie jede Anordnung des Richters oder Staatsanwalts, die nach einer solchen Einstellung des Verfahrens oder im Verfahren gegen Abwesende zur Ermittlung des Aufenthalts des Angeschuldigten oder zur Sicherung von Beweisen ergeht,
11.
die vorläufige gerichtliche Einstellung des Verfahrens wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeschuldigten sowie jede Anordnung des Richters oder Staatsanwalts, die nach einer solchen Einstellung des Verfahrens zur Überprüfung der Verhandlungsfähigkeit des Angeschuldigten ergeht, oder
12.
jedes richterliche Ersuchen, eine Untersuchungshandlung im Ausland vorzunehmen.
Im Sicherungsverfahren und im selbständigen Verfahren wird die Verjährung durch die dem Satz 1 entsprechenden Handlungen zur Durchführung des Sicherungsverfahrens oder des selbständigen Verfahrens unterbrochen.

(2) Die Verjährung ist bei einer schriftlichen Anordnung oder Entscheidung in dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem die Anordnung oder Entscheidung abgefasst wird. Ist das Dokument nicht alsbald nach der Abfassung in den Geschäftsgang gelangt, so ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem es tatsächlich in den Geschäftsgang gegeben worden ist.

(3) Nach jeder Unterbrechung beginnt die Verjährung von neuem. Die Verfolgung ist jedoch spätestens verjährt, wenn seit dem in § 78a bezeichneten Zeitpunkt das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist und, wenn die Verjährungsfrist nach besonderen Gesetzen kürzer ist als drei Jahre, mindestens drei Jahre verstrichen sind. § 78b bleibt unberührt.

(4) Die Unterbrechung wirkt nur gegenüber demjenigen, auf den sich die Handlung bezieht.

(5) Wird ein Gesetz, das bei der Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert und verkürzt sich hierdurch die Frist der Verjährung, so bleiben Unterbrechungshandlungen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts vorgenommen worden sind, wirksam, auch wenn im Zeitpunkt der Unterbrechung die Verfolgung nach dem neuen Recht bereits verjährt gewesen wäre.

(1) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis heraus, so kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren durch Beschluß einstellen.

(2) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar.

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Als Auflagen oder Weisungen kommen insbesondere in Betracht,

1.
zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine bestimmte Leistung zu erbringen,
2.
einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen,
3.
sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen,
4.
Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe nachzukommen,
5.
sich ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich) und dabei seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gut zu machen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben,
6.
an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder
7.
an einem Aufbauseminar nach § 2b Abs. 2 Satz 2 oder an einem Fahreignungsseminar nach § 4a des Straßenverkehrsgesetzes teilzunehmen.
Zur Erfüllung der Auflagen und Weisungen setzt die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten eine Frist, die in den Fällen des Satzes 2 Nummer 1 bis 3, 5 und 7 höchstens sechs Monate, in den Fällen des Satzes 2 Nummer 4 und 6 höchstens ein Jahr beträgt. Die Staatsanwaltschaft kann Auflagen und Weisungen nachträglich aufheben und die Frist einmal für die Dauer von drei Monaten verlängern; mit Zustimmung des Beschuldigten kann sie auch Auflagen und Weisungen nachträglich auferlegen und ändern. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen, so kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen nicht, so werden Leistungen, die er zu ihrer Erfüllung erbracht hat, nicht erstattet. § 153 Abs. 1 Satz 2 gilt in den Fällen des Satzes 2 Nummer 1 bis 6 entsprechend. § 246a Absatz 2 gilt entsprechend.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren vorläufig einstellen und zugleich dem Angeschuldigten die in Absatz 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Auflagen und Weisungen erteilen. Absatz 1 Satz 3 bis 6 und 8 gilt entsprechend. Die Entscheidung nach Satz 1 ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar. Satz 4 gilt auch für eine Feststellung, daß gemäß Satz 1 erteilte Auflagen und Weisungen erfüllt worden sind.

(3) Während des Laufes der für die Erfüllung der Auflagen und Weisungen gesetzten Frist ruht die Verjährung.

(4) § 155b findet im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 6, auch in Verbindung mit Absatz 2, entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, dass personenbezogene Daten aus dem Strafverfahren, die nicht den Beschuldigten betreffen, an die mit der Durchführung des sozialen Trainingskurses befasste Stelle nur übermittelt werden dürfen, soweit die betroffenen Personen in die Übermittlung eingewilligt haben. Satz 1 gilt entsprechend, wenn nach sonstigen strafrechtlichen Vorschriften die Weisung erteilt wird, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen.

(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligten außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluß.

(2) Die Entscheidung muß die Art und gegebenenfalls den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme bezeichnen, für die Entschädigung zugesprochen wird.

(3) Gegen die Entscheidung über die Entschädigungspflicht ist auch im Falle der Unanfechtbarkeit der das Verfahren abschließenden Entscheidung die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig. § 464 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Strafprozeßordnung ist entsprechend anzuwenden.

(1) Die Kosten des Verfahrens hat der Angeklagte insoweit zu tragen, als sie durch das Verfahren wegen einer Tat entstanden sind, wegen derer er verurteilt oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung gegen ihn angeordnet wird. Eine Verurteilung im Sinne dieser Vorschrift liegt auch dann vor, wenn der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt wird oder das Gericht von Strafe absieht.

(2) Sind durch Untersuchungen zur Aufklärung bestimmter belastender oder entlastender Umstände besondere Auslagen entstanden und sind diese Untersuchungen zugunsten des Angeklagten ausgegangen, so hat das Gericht die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten. Dies gilt namentlich dann, wenn der Angeklagte wegen einzelner abtrennbarer Teile einer Tat oder wegen einzelner von mehreren Gesetzesverletzungen nicht verurteilt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für die notwendigen Auslagen des Angeklagten. Das Gericht kann anordnen, dass die Erhöhung der Gerichtsgebühren im Falle der Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters ganz oder teilweise unterbleibt, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten.

(3) Stirbt ein Verurteilter vor eingetretener Rechtskraft des Urteils, so haftet sein Nachlaß nicht für die Kosten.