Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss, 12. Sept. 2018 - 1 Ws 71/18

bei uns veröffentlicht am12.09.2018

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden der Großen Strafkammer 3 des Landgerichts Hamburg, der Kamerafrau des Beschwerdeführers am 13. Juni 2018 vor Beginn der Hauptverhandlung in der Strafsache gegen Y. und Y. (Az.: 603 KLs 6/18) Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungsaal zu untersagen, rechtswidrig war.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die hierbei entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

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Der Beschwerdeführer, der als freier Journalist des Norddeutschen Rundfunks für das „Hamburg Journal“ tätig ist, wendet sich gegen eine sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden der Großen Strafkammer 3 vom 13. Juni 2018, mit der Foto- und Filmaufnahmen anlässlich des Prozessauftaktes eines Strafverfahrens im Sitzungssaal unmittelbar vor Beginn der mündlichen Verhandlung untersagt wurden.

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In dem zugrundeliegenden Strafverfahren mit dem Vorwurf der schweren räuberischen Erpressung waren zwei Männer angeklagt, am Morgen des 19. Dezember 2017 dem Geschädigten, gegen den sie wegen verschiedener Handwerkstätigkeiten Geldforderungen geltend machten, vor dessen Wohnhaus aufgelauert und ihn, als dieser sich zu seinem Pkw begab, unvermittelt geschlagen, getreten und mit einem Kuhfuß geschlagen zu haben, bis dieser zu Boden ging, seine EC-Karte einschließlich der zugehörigen PIN herausgab und versprach, das geforderte Geld zu übergeben. Gegen 14:30 Uhr begaben sich die Angeklagten erneut zum Wohnhaus des Geschädigten, um das zugesagte Geld entgegenzunehmen. Als der eine Angeklagte bemerkte, dass sich dort Polizeibeamte aufhielten, versuchte er, mit seinem Pkw zu flüchten. Er lenkte den Wagen auf ein Fahrzeug, aus dem ein Polizeibeamter gerade ausstieg, und prallte gegen die Fahrertür. Als beide Angeklagte auf der weiteren Flucht angehalten wurden, beschleunigte der fahrende Angeklagte den Pkw stark rückwärts, wobei er drei Fahrzeuge beschädigte und erst durch die Abgabe von insgesamt drei Warnschüssen gestoppt und festgenommen werden konnte.

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Die Eröffnung dieses Verfahrens, auf das die Staatsanwaltschaft zuvor in ihrer „Presseliste“ hingewiesen hatte, war am 13. Juni 2018 für die Zeit von 10:00 Uhr bis 10:25 Uhr als sog. „Kurztermin“ zur Verlesung der Anklageschrift angesetzt worden, da die Große Strafkammer von 11:00 Uhr bis 16:00 Uhr eine Hauptverhandlung in einer anderen Haftsache terminiert hatte. Unmittelbar vor Verhandlungsbeginn, der sich aufgrund eines Verteidigergesprächs kurz verzögert hatte, baten u.a. der vor dem Sitzungsaal anwesende Beschwerdeführer mit der für ihn tätigen Kamerafrau wie auch andere Pressevertreter um Erlaubnis, Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal vor Beginn der Verhandlung anzufertigen. Der Vorsitzende erklärte daraufhin, dass er entsprechende Aufnahmen nur zulasse, wenn er zuvor den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe, und wies unter Hinweis auf die Folgetermine zugleich darauf hin, dass es sich am heutigen Tag nur um einen sog. Kurztermin handeln würde. Er führte aus, dass es zweckmäßig sei, entsprechende Wünsche der Presse rechtzeitig vorher mitzuteilen, und eine schriftlich Ankündigung am Vortag sinnvoll wäre, um nach Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten und der Entscheidung des Vorsitzenden einen ansonsten reibungslosen Ablauf des Hauptverhandlungstermins zu gewährleisten. Nach einer sich bis 10:10 Uhr erstreckenden Diskussion erklärte der Vorsitzende, dass er Foto- und Filmaufnahmen im Saal an diesem Tag zu Beginn der Hauptverhandlung nicht zulasse, kündigte aber bei einem entsprechenden Antrag und nach Gewährung einer Stellungnahmemöglichkeit für die Verfahrensbeteiligten eine voraussichtliche Erlaubnis von Bildaufnahmen im Saal zu Beginn des nächsten Fortsetzungstermins an. Mit seiner gegen diese sitzungspolizeiliche Maßnahme eingelegten Beschwerde führt der Beschwerdeführer u.a. aus, eine mediengerechte Berichterstattung ohne Bilder aus dem Gerichtssaal sei kaum möglich und der Verweis auf Folgetermine werde einer tagesaktuellen Berichterstattung nicht gerecht. Der Beschwerde hat der Vorsitzende mit Verfügung vom 28. Juni 2018 konkludent nicht abgeholfen.

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Das Verfahren wurde vor der Großen Strafkammer 3 des Landgerichts Hamburg am 6. Juli 2018 mit Gesamtfreiheitsstrafen von vier Jahren und sechs Monaten sowie von zwei Jahren und neun Monaten abgeschlossen.

II.

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Die Beschwerde gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden des Landgerichts Hamburg ist zulässig und begründet.

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1. Die Beschwerde ist gemäß § 304 StPO statthaft, formgerecht (§ 306 Abs. 1 StPO) und erweist sich infolge der aus der sitzungspolizeilichen Anordnung für den Beschwerdeführer ergebenden Beschwer als zulässig.

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a) Ob sitzungspolizeiliche Maßnahmen des Vorsitzenden nach § 176 GVG grundsätzlich mit der Beschwerde angefochten werden können, braucht der Senat für die Zulässigkeit dieser Beschwerde nicht zu entscheiden, da sie im vorliegenden Einzelfall anfechtbar ist.

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aa) § 304 Abs. 1 StPO erklärt eine Beschwerde gegen Verfügungen des Vorsitzenden nur dann für nicht zulässig, wenn das Gesetz sie ausdrücklich einer Anfechtung entzieht. Es kann offenbleiben, ob angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Regelung des § 181 Abs. 1 GVG ihrem Wortlaut nach keinen ausdrücklichen Ausschluss der Anfechtung sitzungspolizeilicher Anordnung im Sinne des § 176 GVG enthält (BVerfG, Beschl. v. 17. April 2015 - 1 BvR 3276/08, StV 2015, 601, 602), der Umkehrschluss, dass andere sitzungspolizeiliche Maßnahmen als die Festsetzung von Ordnungsmitteln nach §§ 178, 180 GVG der gesonderten Anfechtung mit der Beschwerde grundsätzlich entzogen sind, noch gezogen werden kann (so die ältere Rechtsprechung: Senat, Beschl. v. 10. April 1992 - VAs 4/92, NStZ 1992, 509; OLG Nürnberg, Beschl. v. 28. November 1968 - Ws 506/68, MDR 1969, 600; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 26. März 1987 - 1 Ws 139 - 142/87, NStZ 1987, 477; 120; offengelassen von BGH, Beschl. v. 13. Oktober 2015 - StB 10/15, NJW 2015, 3671).

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Nach der jüngeren Rechtsprechung steht § 181 Abs. 1 GVG der Zulässigkeit der Beschwerde nicht im Wege. Sie wird auch nicht durch § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen, denn § 305 Satz 2 StPO nimmt alle Entscheidungen vom Ausschluss der Beschwerde aus, durch die dritte, nicht verfahrensbeteiligte Personen betroffen werden (BVerfG, Beschl. v. 17. April 2015, a.a.O.; OLG Celle, Beschl. v. 8. Juni 2015 - 2 Ws 92/15, juris Rn. 11; OLG Hamm, Beschlüsse v. 26. September 2017 - 2 Ws 127/17, juris Rn. 19 und v. 21. Dezember 2017 - 5 Ws 578/17, juris Rn. 29). Eine Beschwerdemöglichkeit gegen eine sitzungspolizeiliche Anordnung ist allerdings nur dann gegeben, wenn dieser eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt und insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von der Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17. April 2015, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29. Mai 2018 - III-2 Ws 260 + 273 - 278 /18, juris Rn. 13; OLG Celle, a.a.O., Rn. 12; HansOLG Bremen, Beschl. v. 13. April 2016 - 1 Ws 44/16, StV 2016, 549, 550; OLG Hamm, Beschlüsse v. 26. September 2017, Rn. 20 und v. 21. Dezember 2017, a.a.O., Rn. 30; OLG Stuttgart, Beschl. v. 22. September 2016 - 2 Ws 140/16, NStZ-RR 2016, 383, 384; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 8. März 2016 - 1 Ws 28/16, juris Rn. 8; KG, Beschl. v. 27. Mai 2010 - 4 Ws 61/10, NStZ 2011, 120; Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Aufl. § 176 GVG, Rn. 16).

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bb) So liegt der Fall hier. Der Beschwerdeführer macht eine den Kernbereich journalistischer Informationsgewinnung und Berichterstattung nachhaltig betreffende Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) durch die angefochtene sitzungspolizeiliche Anordnung geltend. Diese geht auch über die Dauer der Hauptverhandlung und über die Rechtskraft des Urteils hinaus. Der Beschwerdeführer durfte aufgrund der Maßnahme des Vorsitzenden zum Prozessauftakt des Strafverfahrens keine Foto- und Filmaufnahmen durch die in seinem Auftrag und seinem Interesse tätige Kamerafrau für seine aktuelle Fernsehberichterstattung im „Hamburg Journal“ über die Anklageverlesung machen.

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b) Die Beschwerde ist zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme zulässig, auch wenn das Strafverfahren vor der Großen Strafkammer mittlerweile abgeschlossen ist und sich die angegriffen Anordnung damit erledigt hat. Ein im Beschwerdeweg nach Art. 19 Abs. 4 GG verfolgbares Fortsetzungsfeststellungsinteresse wird in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe - namentlich bei einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Pressefreiheit - bejaht, wenn sich die angefochtene Maßnahme auf einen Zeitraum beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren kaum erlangen kann (BVerfG, Beschl. v. 30. April 1997 - 2 BvR 817/90, BVerfGE 96, 27, 40; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., vor § 296 Rn. 18a). Hier war eine kurzfristige Anfechtung der sitzungspolizeilichen Anordnung im Beschwerdeweg vor ihrer Erledigung durch den Fortgang des Verfahrens nicht mehr möglich.

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2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden, die eine Berichterstattung über eine strafrechtliche Hauptverhandlung dahingehend beschränkt, dass Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung am ersten Sitzungstag ausgeschlossen sind, ist ermessensfehlerhaft.

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a) Grundlage der sitzungspolizeilichen Anordnung des Vorsitzenden der Großen Strafkammer war § 176 GVG.

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aa) Gemäß § 176 GVG obliegt die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung dem Vorsitzenden. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung gehört es, den störungsfreien äußeren Ablauf der Sitzung zu gewährleisten, den Verfahrensbeteiligten eine ungestörte Ausübung ihrer Funktionen zu ermöglichen und den Prozess der Rechts- und Wahrheitsfindung sowie den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten und betroffener Dritter zu sichern (BVerfG, Beschl. [Kammer] v. 11. Mai 1994 - 1 BvR 733/94, NJW 1996, 310; Beschl. [Kammer] v. 9. September 2016 - 1 BvR 2022/16, NJW 2017, 798; vgl. BGH, Beschl. v. 11. Februar 1998 - StB 3/98, BGHSt 44, 23, 24; OLG Celle, a.a.O., Rn. 14; HansOLG Bremen, a.a.O., S. 551; LR-Wickern, 26. Aufl., § 176 GVG Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 176 GVG Rn. 4; KK-Diemer StPO, 7. Aufl., § 176 GVG, Rn. 1; Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl., § 176 Rn. 13). Art und Umfang der sitzungspolizeilichen Maßnahmen nach § 176 GVG sind gesetzlich nicht festgelegt. Ihre Zulässigkeit beurteilt sich im Einzelfall nach dem jeweils verfolgten Zweck und dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip. Dabei erstreckt sich die sitzungspolizeiliche Gewalt des Vorsitzenden auf alle Anwesenden, Medienvertreter genießen grundsätzlich keinen weitergehenden Schutz (Kissel/Mayer, a.a.O., Rn. 39). Der Vorsitzende trifft die Entscheidung über entsprechende Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen (BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 2007 - 1 BvR 620/07, BVerfGE 119, 309, 325; BGH, Urt. v. 10. April 1962 - 1 StR 22/62, BGHSt 17, 201, 203 f.; OLG Celle, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O., S. 384; HansOLG Bremen, a.a.O., S. 551; OLG Hamm, Beschl. v. 26. September 2017, a.a.O. Rn. 25; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rn. 6; Kissel/Mayer, a.a.O., § 169 GVG Rn. 89; LR-Wickern, a.a.O., § 169 Rn. 53 f.). Das von dem Vorsitzenden zu schützende Persönlichkeitsrecht der Verfahrensbeteiligten konkretisiert sich im Recht am eigenen Bild und bietet Entscheidungsmöglichkeiten nicht nur über die Verwendung, sondern auch über die Anfertigung von Fotografien und Aufzeichnungen der Person durch andere (BVerfG, Urt. v. 15. Dezember 1999 - 1 BvR 653/96, BVerfGE 101, 361, 381; Beschl. v. 19. Dezember 2007, a.a.O., BVerfGE 119, 309, 323).

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bb) Der Senat überprüft die angefochtene sitzungspolizeiliche Anordnung nur darauf, ob sie einen zulässigen Zweck verfolgt, verhältnismäßig ist und der Vorsitzende sein - gegebenenfalls in einer Nichtabhilfeentscheidung - dokumentiertes Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat. Die eingeschränkte, nicht auf eine Zweckmäßigkeitsprüfung ausgerichtete Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts ergibt sich aus dem Charakter der angefochtenen Maßnahme als sachnähere Prognoseentscheidung (OLG Stuttgart, a.a.O.; HansOLG Bremen, a.a.O.; OLG Celle, a.a.O.; OLG Hamm, Beschl. v. 26. September 2017, a.a.O., Rn. 26 und Beschl. v. 21. Dezember 2017, a.a.O., Rn. 34; OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 21; Meyer/Goßner-Schmitt, a.a.O., Rn. 16).

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b) Nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die angefochtene sitzungspolizeiliche Anordnung mit der gegebenen Begründung unter Berücksichtigung des Interesses des Beschwerdeführers, seine tagesaktuelle Prozessberichterstattung mit Foto- und Filmaufnahmen aus dem Sitzungssaal zu versehen, einer Ermessensüberprüfung nicht stand.

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aa) Die geplanten Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal fallen in den Schutzbereich des Grundrechts der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG). Dieses schützt die Beschaffung der Informationen und die Erstellung der Programminhalte bis hin zu ihrer Verbreitung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14. Juli 1994, a.a.O., BVerfGE 91, 125, 134 f.; std. Rspr.). Damit ist zum einen der gesamte Bereich publizistischer Vorbereitungstätigkeit, zu der insbesondere die Beschaffung von Informationen gehört, geschützt (vgl. BVerfG, Beschl. [Kammer] v. 11. Mai 1994 - 1 BvR 733/94, NJW 1996, 310; Urt. v. 24. Januar 2001 - 1 BvR 2623/95, 622/99, BVerfGE 103, 44, 59; OLG Hamm, Beschl. v. 26. September 2017, a.a.O., Rn. 27 und Beschl. v. 21. Dezember 2017, a.a.O., Rn. 30). Insoweit gelten für die Rundfunkfreiheit die zur Pressefreiheit entwickelten Maßgaben (BVerfG, Beschl. v. 14. Juli 1994 - 1 BvR 1595/92, BVerfGE 91, 125, 134; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl., Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 107). Zum anderen gehört zum Schutzbereich der Rundfunkfreiheit das Recht, für die Berichterstattung die dem Rundfunk eigenen Darstellungsmittel zu nutzen, darunter Töne und Bilder, mit deren Hilfe insbesondere der Eindruck der Authentizität und des Miterlebens vermittelt werden kann (vgl. BVerfG, Urt. v. 24. Januar 2001, a.a.O., S. 67). Das gilt auch für Zwecke der Berichterstattung aus Anlass einer öffentlichen Gerichtsverhandlung. Eine Vermittlung des Erscheinungsbildes eines Gerichtssaals und der in ihm handelnden Verfahrensbeteiligten kann den Bürgern eine der Befriedigung des Informationsinteresses dienende Anschaulichkeit von Gerichtsverfahren vermitteln. Derartige Bilder mit der sie begleitenden Geräuschkulisse sind typischer Inhalt der Gerichtsberichterstattung im Fernsehen und prägen entsprechende Erwartungen der Fernsehzuschauer (BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 2007, a.a.O., BVerfGE 119, 309, 320). Bei der Berichterstattung über ein Gerichtsverfahren ist in Bezug auf die Rundfunkfreiheit nicht nur die Schwere der Tat, sondern auch die öffentliche Aufmerksamkeit zu berücksichtigen, die das Strafverfahren etwa aufgrund besonderer Umstände gewonnen hat. Die öffentliche Aufmerksamkeit wird umso stärker sein, je mehr sich die Straftat etwa durch ihre besondere Begehungsweise von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt (BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 2007, a.a.O., S. 321 f.; Beschl. [Kammer] v. 30. März 2012 - 1 BvR 711/12, NJW 2012, 2178, 2179).

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bb) Der Vorsitzende hat mit seiner sitzungspolizeilichen Anordnung in die grundrechtlich geschützte Rundfunkfreiheit eingegriffen. Die vollständige Untersagung der Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal verhindert insbesondere die Beschaffung wesentlicher optischer Informationen, insbesondere über die Verfahrensbeteiligten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14. Juli 1994 - 1 BvR 1595, 1606/92, BVerfGE 91, 125, 134 f.; Beschl. v. 19. Dezember 2007, a.a.O., BVerfGE 119, 309, 320 f.; Beschl. v. 9. September 2016 - 1 BvR 2022/16, NJW 2017, 314).

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cc) Greift eine Anordnung nach § 176 GVG in die grundrechtlich geschützte Presse- bzw. Rundfunkfreiheit ein, hat der Vorsitzende die für seine Entscheidung maßgebenden Gründe offenzulegen, so dass für die Betroffenen erkennbar ist, dass er in die Abwägung alle dafür erheblichen Umstände eingestellt hat (BVerfG, Beschl. [Kammer] v. 31. Juli 2014 - 1 BvR 1858/14, NJW 2014, 3013; Beschl. [Kammer] v. 8. Juli 2016 - 1 BvR 1534/16, juris Rn. 3; OLG Hamm, Beschl. v. 26. September 2017, a.a.O., Rn. 27 und v. 21. Dezember 2017, a.a.O., Rn. 34; OLG Stuttgart, a.a.O., S. 384).

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Der Vorsitzende hat seine, in die grundrechtlich geschützte Rundfunkfreiheit eingreifende sitzungspolizeiliche Anordnung nach § 176 GVG hinreichend begründet. Die angegriffene Anordnung vom 13. Juni 2018 in der Fassung der - eine konkludente Nichtabhilfeentscheidung enthaltenden - Verfügung vom 28. Juni 2018 lässt erkennen, dass sich der Vorsitzende des ihm zustehenden Ermessens bewusst gewesen ist. Er hat erwogen, die Erlaubnis für Foto- und Filmaufnahmen gegebenenfalls im Folgetermin zu erteilen, und laut Beschwerdebegründung gegenüber den Pressevertretern explizit erklärt, einen Ermessensspielraum zu haben. Dass sich die Begründung zum Teil erst aus der eine konkludente Nichtabhilfeentscheidung enthaltenden Verfügung ergibt, ist nicht zu beanstanden, denn sie bildet mit der mündlich erteilten Anordnung am Sitzungstag eine verfahrensrechtliche Einheit, in der die Begründung nachgeholt werden kann (OLG Hamm, Beschl. v. 21. Dezember 2017, a.a.O., Rn. 36; OLG Stuttgart, a.a.O., S. 384).

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dd) Die Rundfunkfreiheit findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Hierunter fällt auch § 176 GVG (vgl. BVerfG, Beschl. [Kammer] v. 11. Mai 1994 - 1 BvR 733/94, NJW 1996, 310; HansOLG Bremen, a.a.O., S. 551). Beschränkt die sitzungspolizeiliche Anordnung die Berichterstattung durch Film- und Bildaufnahmen, muss diese Maßnahme der Bedeutung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Rechnung tragen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Die erforderliche Ermessensausübung hat danach einerseits die Rundfunkfreiheit mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und andererseits den Schutz der allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, namentlich der Angeklagten, aber auch die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege zu beachten (vgl. BVerfG, Beschl. [Kammer] v. 17. August 2017 - 1 BvR 1741/17, NJW 2017, 3288 f.; Beschl. v. 31. Juli 2014 - 1 BvR 1858/14, NJW 2014, 3013; Beschl. v. 19. Dezember 2007, a.a.O., S. 321 f.; vgl. Beschl. v. 14. Juli 1994, a.a.O., BVerfGE 91, 125, 138 f.; HansOLG Bremen, a.a.O., S. 551).

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ee) Hiernach erweist sich die sitzungspolizeiliche Anordnung der vollständigen Untersagung von Foto- und Filmaufnahmen kurz vor Verhandlungsbeginn im Sitzungssaal als nicht verhältnismäßig.

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(1) Die Anordnung des Vorsitzenden verfolgte ausweislich ihrer Begründung zum einen den Zweck, den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zur Stellungnahme zu den beantragten Bildaufnahmen zu geben, zum anderen die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege durch Einhaltung der Terminierung zu gewährleisten. Beide Zwecke - Schutz der Verfahrensbeteiligten und störungsfreier äußerer Sitzungsablauf - sind vom Schutzzweck des § 176 GVG umfasst. Die sitzungspolizeiliche Anordnung, Foto- und Filmaufnahmen vor Sitzungsbeginn im Saal zuzulassen, war auch geeignet, diesen Zweck zu erreichen.

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(2) Die Untersagung von Foto- und Filmaufnahmen zur Ermöglichung einer diesbezüglichen Stellungnahme der Verfahrensbeteiligten war jedoch nicht erforderlich. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte Verfahrensbeteiligter gebietet eine vorherige Stellungnahme dieser zum Antrag von Pressevertretern auf Zulassung von Bildaufnahmen im Sitzungssaal bei einer strafrechtlichen Hauptverhandlung grundsätzlich nicht. Jenseits der hausrechtlichen Drehgenehmigung bedarf es keiner - noch dazu am Vortrag erfolgenden - Beantragung bei dem Vorsitzenden.

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(a) Mitglieder des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und Verteidiger als Organe der Rechtspflege - auch Dolmetscher werden hierzu zu rechnen sein - haben eine Prozessberichterstattung mit Foto- und Filmaufnahmen ihrer Person grundsätzlich hinzunehmen. Sie stehen kraft der ihnen obliegenden Aufgaben anlässlich ihrer Teilnahme an einer öffentlichen Gerichtsverhandlung im Blickfeld der Öffentlichkeit und der Medien. Ihr Persönlichkeitsschutz tritt insoweit zurück (BVerfG, Urt. v. 24. Januar 2001, a.a.O., BVerfGE 103, 44, 69; Beschl. v. 19. Dezember 2007, a.a.O., BVerfGE 119, 309, 323 f.; Beschl. [Kammer] v. 3 April 2009 - 1 BvR 654/09, NJW 2009, 2117, 2119; OLG Stuttgart, Beschl. v. 22. September 2016 - 2 Ws 140/16, NStZ-RR 2016, 383, 384). Die Fertigung und Veröffentlichung ihrer Aufnahmen kann nur dann eingeschränkt werden, wenn die Veröffentlichung eine Gefährdung der Sicherheit der Betroffenen durch Übergriffe Dritter bewirkt (BVerfG, Beschl. [Kammer] v. 21. Juli 2000 - 1 BvQ 17/00, NJW 2000, 2890, 2891 und Beschl. [Kammer] v. 7. Juni 2007 - 1 BvR 1438/07, NJW-RR 2007, 1416). Das Bestehen einer solchen Gefährdungslage lässt sich der Begründung des Vorsitzenden nicht entnehmen.

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Die angegriffene Anordnung war insbesondere nicht durch das Anliegen eines Schutzes der Schöffen gerechtfertigt. Beeinträchtigungen der Entscheidungsbildung dürfen ohne besondere Anhaltspunkte nicht unterstellt werden. Es darf grundsätzlich erwartet werden, dass sich der Schöffe den mit seiner Funktion verbundenen Erwartungen auch bei Mitwirkung an von der Öffentlichkeit beachteten Verfahren gewachsen zeigen wird, selbst wenn Medien darüber Bilder verbreiten (BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 2007, a.a.O., BVerfGE 119, 309, 329).

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Das Interesse der Öffentlichkeit an bildlicher Dokumentation des Geschehens am Rande einer Hauptverhandlung schließt auch die mitwirkenden Rechtsanwälte ein. Die Verteidiger stehen aufgrund ihrer Aufgabe als Organ der Rechtspflege aus Anlass einer öffentlichen Hauptverhandlung in stärkerem Maße im Blickfeld der Öffentlichkeit als meist bei ihrer übrigen Tätigkeit (BVerfG, a.a.O.). Konkrete Befürchtungen zu einer Gefährdung der Verteidiger als Folge einer Veröffentlichung von Aufnahmen ihrer Person sind vom Vorsitzenden nicht aufgezeigt worden.

28

Im Übrigen hätte eine unangemessenen Beeinträchtigung der beruflich an dem Strafverfahren Beteiligten durch eine Beschränkung der Aufzeichnungen auf Gesamtansichten unter Verzicht auf Großaufnahmen von Einzelgesichtern abgewehrt werden könne (BVerfG, a.a.O., S. 330).

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(b) Mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte der Angeklagten war zunächst das besondere Informationsinteresse der Öffentlichkeit an diesem Verfahren zu sehen. Angesichts des Motivs der Tat, Handwerkerforderungen einzutreiben, und der Schwere der Tat sowie des aufsehenerregenden Nachtatverhaltens kommt dem Strafverfahren eine gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit zu, die sich darin wiederspiegelt, dass das Verfahren auf der Presseliste der Staatsanwaltschaft stand. Zudem fördert die Rundfunkfreiheit grundsätzlich die öffentliche Kontrolle von Gerichtsverhandlung durch die Anwesenheit der Medien und deren Berichterstattung. Es liegt auch im Interesse der Justiz, mit ihren Verfahren öffentlich wahrgenommen zu werden, und zwar auch im Hinblick auf die Durchführung mündlicher Verhandlungen (BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 2007, BVerfGE 119, 309, 322). Dies führt zwangsläufig zu einer Einschränkung der Rechte eines Angeklagten, der im Einzelfall Gegenstand medialer Berichterstattung sein kann, die insbesondere die generalpräventive Wirkung von Strafverfahren fördert (OLG Hamm, Beschl. v. 21. Dezember 2017, a.a.O., Rn. 44). Bei einem noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten gebietet die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Unschuldsvermutung allerdings eine zurückhaltende und ausgewogene Berichterstattung (BVerfG, Beschl. [Kammer] v. 27. November 2008 - 1 BvR 46/08, NJW 2009, 350, 351). So sind auf Seiten der Angeklagten mögliche Prangerwirkungen oder Beeinträchtigungen des Anspruchs auf Achtung der Vermutung seiner Unschuld und Belange späterer Resozialisierung zu beachten, die durch eine identifizierende Medienberichterstattung bewirkt werden können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24. Januar 2001, a.a.O., BVerfGE 103, 44, 68; Beschl. v. 19. Dezember 2007, a.a.O., BVerfGE 119, 309, 323). Selbst eine um Sachlichkeit und Objektivität bemühte Fernsehberichterstattung stellt in der Regel einen weitaus stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar als eine Wort- und Schriftberichterstattung in Hörfunk und Printmedien. Dies folgt vor allem aus der stärkeren Intensität des optischen Eindrucks und der Kombination von Ton und Bild (vgl. BVerfG, Beschl. [Kammer] v. 27. November 2008 - 1 BvQ 47/08, NJW 2008, 350, 351; OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 25).

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Die Taten, die den Angeklagten mit der Anklage zur Last gelegt wurden, haben zwar die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit erregt. Allein der Gegenstand der Anklage rechtfertigt eine Individualisierung der Angeklagten, die weder zu den Personen des öffentlichen Lebens gehören noch sich im Vorfeld der Hauptverhandlung freiwillig einer bebilderten Medienberichterstattung gestellt habe, jedoch nicht (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 26).

31

(aa) Ein generelles Verbot von Foto- und Filmaufnahmen ist nicht erforderlich, wenn dem Schutz kollidierender Belange bereits durch eine beschränkende Anordnung Rechnung getragen werden kann, insbesondere durch das Erfordernis einer mittels geeigneter technischer Maßnahmen erfolgenden Anonymisierung der Bildaufnahme solcher Personen, die Anspruch auf besonderen Schutz haben. Wird die Gefahr einer Identifizierung der abgebildeten Personen durch die breite Öffentlichkeit insoweit ausgeschlossen, so kann das Risiko einer etwa verbleibenden Erkennbarkeit für den engeren Bekanntenkreis des Betroffenen hingenommen werden, soweit dem gewichtige Informationsinteressen der Öffentlichkeit gegenüberstehen und dem Betroffenen nicht gerade aus der Erkennbarkeit für sein engeres Umfeld erhebliche Nachteile drohen (BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 2007, a.a.O., BVerfGE 119, 309, 326). In der Regel wird der Vorsitzende das ihm zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausüben, wenn er bei einem auf der „Presseliste“ der Staatsanwaltschaft geführten Verfahren Filmaufnahmen unmittelbar vor Verhandlungsbeginn im Sitzungssaal mit der Anordnung zulässt, die gefertigten Aufnahmen von den Angeklagten mittels geeigneter technischer Maßnahmen zu anonymisieren. Da die Verpixelung technisch erst vor dem Senden und nicht schon bei der Aufnahme der Bilder bewirkt wird, können die Pressevertreter ihr etwaig bestehendes weitergehendes Recht auf nicht anonymisierte Bildberichterstattung gegebenenfalls im Zivilrechtswege verteidigen.

32

(bb) Nach diesen Maßstäben wäre als weniger einschränkende Maßnahme im Sinne eines milderen Mittels gegenüber dem generellen Verbot von Bildaufnahmen im Sitzungssaal die Anordnung der Anonymisierung mittels geeigneter technischer Maßnahmen, etwa eine Verpixelung der Aufnahmen, zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Angeklagten ausreichend gewesen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 2007, a.a.O., BVerfGE 119, 309, 330). Dies hätte eine Stellungnahme der Angeklagten zu den beantragten Bildaufnahmen erübrigt.

33

(c) Aufgrund der fehlenden Notwendigkeit einer vorherigen Stellungnahme der Verfahrensbeteiligten zu Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal bestand auch keine Gefahr für die äußere Ordnung des Strafverfahrens in zeitlicher Hinsicht, etwa nicht eingehaltener Terminierungen, und rechtfertigt ein vollständiges Verbot von Fernsehaufnahmen nicht.

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(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

(1) Die Beschwerde wird bei dem Gericht, von dem oder von dessen Vorsitzenden die angefochtene Entscheidung erlassen ist, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt.

(2) Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie ihr abzuhelfen; andernfalls ist die Beschwerde sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen, dem Beschwerdegericht vorzulegen.

(3) Diese Vorschriften gelten auch für die Entscheidungen des Richters im Vorverfahren und des beauftragten oder ersuchten Richters.

(1) Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden.

(2) An der Verhandlung beteiligte Personen dürfen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen. Der Vorsitzende kann Ausnahmen gestatten, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist.

(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

(1) Ist in den Fällen der §§ 178, 180 ein Ordnungsmittel festgesetzt, so kann gegen die Entscheidung binnen der Frist von einer Woche nach ihrer Bekanntmachung Beschwerde eingelegt werden, sofern sie nicht von dem Bundesgerichtshof oder einem Oberlandesgericht getroffen ist.

(2) Die Beschwerde hat in dem Falle des § 178 keine aufschiebende Wirkung, in dem Falle des § 180 aufschiebende Wirkung.

(3) Über die Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht.

(1) Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden.

(2) An der Verhandlung beteiligte Personen dürfen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen. Der Vorsitzende kann Ausnahmen gestatten, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist.

Gründe

I.

1

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin unmittelbar gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung in einem Strafprozess, mit welcher ihr aufgegeben wurde, vom Angeklagten und dem Nebenkläger nur anonymisierte ("verpixelte") Bilder zu veröffentlichen, und mittelbar gegen die Versagung eines fachgerichtlichen Rechtsbehelfs gegen diese Anordnung durch den Gesetzgeber.

2

1. Die Beschwerdeführerin ist eine bekannte Verlagsgesellschaft, die unter anderem die Tageszeitungen "BILD" und "Die Welt" herausgibt. In dem zugrundeliegenden Strafverfahren vor der Strafkammer wurde dem Angeklagten vorgeworfen, einen Holzklotz von einer Autobahnbrücke auf einen fahrenden Personenkraftwagen geworfen und dadurch die Beifahrerin getötet zu haben. Die Tat und die Strafverfolgung fanden bundesweit ein hohes mediales Interesse.

3

2. Nachdem im Rahmen der Berichterstattung über den ersten Verhandlungstag mindestens eine Zeitung unverpixelte Bilder des Angeklagten veröffentlichte, erließ der Vorsitzende Richter die mit der Verfassungsbeschwerde angefochtene, auf die Vorschrift des § 176 GVG gestützte sitzungspolizeiliche Anordnung:

In der Schwurgerichtssache gegen Herrn (…)

wegen Mordes

wird darauf hingewiesen, dass Bildaufnahmen des Angeklagten und des Nebenklägers nur im anonymisierten (etwa "verpixelten") Zustand veröffentlicht werden dürfen (…).

Bei dem Angeklagten, für den bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung streitet und der sich nur anonymisiert abbilden lassen will, handelt es sich angesichts des bundesweiten Interesses zwar um eine relative Person der Zeitgeschichte, die Foto- und Filmaufnahmen während des Prozesses von sich dulden muss, jedoch führt dieses im Hinblick auf sein Persönlichkeitsrecht am eigenen Bild hier nicht dazu, dass er auch die nicht anonymisierte bildliche Darstellung hinnehmen muss.

Auch der Nebenkläger wünscht im Hinblick auf sein Persönlichkeitsrecht nur Abbildungen seiner Person im anonymisierten Zustand.

4

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geltend. Ferner rügt sie eine Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG, hilfsweise des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs aus Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, weil es gegen die Verfügung des Vorsitzenden Richters keinen Rechtsschutz gebe.

5

4. Einen ursprünglich gleichzeitig gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG hat die Beschwerdeführerin nach dem ablehnenden Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. November 2008 in dem Parallelverfahren 1 BvQ 46/08 (veröffentlicht in: NJW 2009, S. 350 ff.) zurückgenommen.

6

5. Der Niedersächsischen Staatskanzlei und der Präsidentin des Bundesgerichtshofs ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Die Niedersächsische Staatskanzlei hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, weil die Beschwerdeführerin die ihr gesetzlich zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe nicht ergriffen habe. Bereits zum Zeitpunkt der Verfassungsbeschwerde hätten sich die Rechtsauffassungen, ob gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen Rechtsbehelfe vor den Fachgerichten ergriffen werden können, derart gewandelt, dass die auch vom Bundesverfassungsgericht vertretene Ansicht, gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen gebe es keinen Rechtsbehelf, als überholt angesehen werden müsse und der Prüfung der Zulässigkeit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde nicht zugrunde gelegt werden könne. Zwischenzeitlich habe sich vielmehr die Auffassung durchgesetzt, dass jedenfalls dann die Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO gegen sitzungspolizeiliche Verfügungen statthaft sei, wenn es zumindest möglich erscheine, dass die angefochtene Maßnahme Grundrechte oder andere Positionen der Betroffenen über die Hauptverhandlung hinaus dauerhaft tangiere und beeinträchtige oder dass sie sich nicht in der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung erschöpft, sondern weitergehende Wirkung entfalte. Der Beschwerdeführerin sei danach zumutbar gewesen, sich zunächst mit der Beschwerde gegen die streitgegenständliche sitzungspolizeiliche Maßnahme zur Wehr zu setzen, denn die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Beschwerde seien im vorliegenden Fall als erfüllt anzusehen: Die Einschränkung der Berichterstattung erschöpfe sich nicht in der Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung, sondern wirke weit über die Hauptverhandlung hinaus und greife in die Pressefreiheit der Beschwerdeführerin ein. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

7

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist.

8

1. Soweit sie sich gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden der 5. Strafkammer am Landgericht O. wendet, hat die Beschwerdeführerin den Rechtsweg gegen die angegriffene Verfügung nicht erschöpft.

9

a) Nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist eine Verfassungsbeschwerde grundsätzlich erst nach Erschöpfung des Rechtsweges zulässig. Danach muss ein Beschwerdeführer zunächst die ihm gesetzlich zur Verfügung stehenden, nicht offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelfe ergreifen; namentlich muss er den ihm nach der jeweiligen Verfahrensordnung eröffneten Instanzenzug durchlaufen (BVerfGE 68, 376 <380>). Durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte soll dem Bundesverfassungsgericht ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und ihm die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Fachgerichte vermittelt werden. Zugleich entspricht es der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, dass vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen selbst gewähren und etwaige im Instanzenzug auftretende Fehler durch Selbstkontrolle beheben (BVerfGE 68, 376 <380> m.w.N.).

10

Zwar gehören offensichtlich unzulässige Rechtsmittel nicht zum Rechtsweg. Andererseits muss der Beschwerdeführer vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf § 90 Abs. 2 BVerfGG von einem Rechtsmittel grundsätzlich auch dann Gebrauch machen, wenn zweifelhaft ist, ob es statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann (vgl. BVerfGE 16, 1 <2 f.>; 91, 93 <106>; vgl. auch BVerfGE 5, 17 <19>; 107, 299 <309>). In derartigen Fällen ist es grundsätzlich die Aufgabe der Fachgerichte, über streitige oder noch offene Zulässigkeitsfragen nach einfachem Recht unter Berücksichtigung der hierzu vertretenen Rechtsansichten zu entscheiden. Der Funktion der Verfassungsbeschwerde würde es zuwiderlaufen, sie anstelle oder gleichsam wahlweise neben einem möglicherweise statthaften Rechtsmittel zuzulassen. Es ist daher geboten und einem Beschwerdeführer auch zumutbar, vor der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde die Statthaftigkeit weiterer einfachrechtlicher Rechtsbehelfe sorgfältig zu prüfen und von ihnen auch Gebrauch zu machen, wenn sie nicht offensichtlich unzulässig sind (BVerfGE 68, 376 <381> m.w.N.; siehe auch BVerfGK 15, 484 <489>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2009 - 1 BvR 2436/09 -, juris, Rn. 4). Offensichtlich unzulässig ist ein Rechtsmittel nur dann, wenn der Rechtsmittelführer nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre zum maßgebenden Zeitpunkt über dessen Unzulässigkeit nicht im Ungewissen sein konnte (vgl. BVerfGE 28, 1 <6>; 48, 341 <344>; 49, 252 <255>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2009 - 1 BvR 2436/09 -, juris, Rn. 4).

11

b) Hier spricht zumindest vieles dafür, dass das Rechtsmittel der Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO gegeben ist. Nach dieser Vorschrift ist die Beschwerde gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug erlassenen Beschlüsse und Verfügungen des Vorsitzenden statthaft, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich der Anfechtbarkeit entzieht. Gemäß § 304 Abs. 2 StPO steht die Beschwerde grundsätzlich auch nicht verfahrensbeteiligten Personen zu, die durch die richterliche Entscheidung betroffen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2009 - 1 BvR 2436/09 -, juris, Rn. 5; ferner BGH, Beschluss vom 18. Januar 2005 - StB 6/04 -, juris, Rn. 4; Zabeck, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 304 Rn. 28). Dass die hier angegriffene Verfügung des Vorsitzenden auf Grundlage des § 176 GVG kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung einer Anfechtung entzogen wäre, ist nicht ersichtlich. Dies gilt sowohl mit Blick auf § 305 Satz 1 StPO als auch hinsichtlich § 181 Abs. 1 GVG. Denn § 305 Satz 2 StPO nimmt alle Entscheidungen vom Ausschluss der Beschwerde aus, durch die dritte, nicht verfahrensbeteiligte Personen betroffen werden, und § 181 Abs. 1 GVG enthält seinem Wortlaut nach ebenfalls keinen ausdrücklichen Ausschluss der Anfechtung sitzungspolizeilicher Anordnungen im Sinne des § 176 GVG.

12

Es ist nicht dargelegt, dass Rechtsprechung und Lehre in einer keine ernstlichen Zweifel mehr zulassenden Weise entsprechende Beschwerden regelmäßig als unstatthaft oder als aus anderen Gründen unzulässig ansehen. Zwar lehnte insbesondere die ältere fachgerichtliche Rechtsprechung eine Beschwerde gegen Verfügungen des Vorsitzenden nach § 176 GVG ab (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 22. Mai 1963 - 2 W 63-65/63 -, NJW 1963, S. 1508 <1508>; OLG Nürnberg, Beschluss vom 28. November 1968 - Ws 506/68 -, MDR 1969, S. 600 <600>; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Februar 1972 - 3 Ws 27/72 -, NJW 1972, S. 1246 <1247>; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26. März 1987 - 1 Ws 139-142/87 -, NStZ 1987, S. 477 <477>; OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Juni 1976 - 3 Ws 18/76 -, NJW 1976, S. 1987 <1987>; Beschluss vom 10. April 1992 - VAs 4/92 -, NStZ 1992, S. 509 <509>) und folgt ein Teil der Literatur bis heute dieser Auffassung (vgl. Allgayer, in: Graf, StPO, 2. Aufl. 2012, GVG § 181 Rn. 1; Kaehne, Die Anfechtung sitzungspolizeilicher Maßnahmen, 2000, S. 76 ff.; Jahn, NStZ 1998, S. 389 <392>; Lehr, NStZ 2001, S. 63 <66>). Der Bundesgerichtshof hat die Frage einer Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 StPO gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen bislang ausdrücklich offengelassen (vgl. BGHSt 44, 23 <25>). Doch sprach sich ein nicht unerheblicher Teil der neueren fachgerichtlichen Rechtsprechung bereits im Zeitpunkt der Einlegung der Verfassungsbeschwerde für die Statthaftigkeit der Beschwerde aus (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. August 1976 - 2 Ws 143/76 -, NJW 1977, S. 309 <309 f.>; OLG München, Beschluss vom 14. Juli 2006 - 2 Ws 679/06 u.a. -, NJW 2006, S. 3079 <3079>; LG Ravensburg, Beschluss vom 27. Januar 2007 - 2 Qs 10/07 -, NStZ-RR 2007, S. 348 <348 f.>; LAG Niedersachsen, Beschluss vom 29. September 2008 - 16 Ta 333/08 -, juris, Rn. 8). Voraussetzung sei, dass der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt und insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden. Auch die Kommentarliteratur hatte sich - bezogen auf den Zeitpunkt der Einlegung der Verfassungsbeschwerde - bereits dieser neuen obergerichtlichen Rechtsprechungslinie angeschlossen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, GVG § 176 Rn. 16; Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, GVG § 176 Rn. 7; noch weitergehend jetzt Velten, in: Wolter, SK-StPO, 4. Aufl. 2013, Band IX, GVG § 176 Rn. 17). Dieser Ansicht folgen mittlerweile weitere Gerichte (vgl. LG Mannheim, Beschluss vom 27. Januar 2009 - 4 Qs 52/08 -, NJW 2009, S. 1094 ff.; KG, Beschluss vom 27. Mai 2010 - 4 Ws 61/10 -, NStZ 2011, S. 120 <120>; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Juni 2011 - 4 Ws 136/11 -, NJW 2011, S. 2899 <2899>; OLG Hamm, Beschluss vom 24. November 2011 - 3 Ws 370/11 -, NStZ-RR 2012, S. 118 <118 f.>).

13

Nach den fachgerichtlich entwickelten Kriterien wäre eine Beschwerde gegen die streitgegenständliche sitzungspolizeiliche Verfügung nicht offensichtlich unzulässig gewesen. Dass auch das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit und zuletzt im Jahr 2007 angenommen hat, ein Rechtsweg gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen nach § 176 GVG sei nicht eröffnet (vgl. BVerfGE 87, 334 <338 f.>; 91, 125 <133>; 103, 44 <58>; 119, 309 <317>), steht dem nicht entgegen. Denn im Zeitpunkt der Einlegung der Verfassungsbeschwerde war nach der weitgehenden Änderung der Auffassung in fachgerichtlicher Rechtsprechung und Literatur ein Rechtsmittel nach § 304 Abs. 1 StPO nicht mehr offensichtlich unzulässig. Die Verpixelungsanordnung reicht über die Dauer der Hauptverhandlung und sogar über die Rechtskraft des Urteils hinaus, denn sie untersagt das Veröffentlichen nicht anonymisierter Aufnahmen des Angeklagten sowie des Nebenklägers vor und nach den Sitzungen der Strafkammer zeitlich unbeschränkt. Auch dient die Anordnung nicht lediglich der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung, sondern vielmehr dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Angeklagtem und Nebenkläger. Sie war darauf gerichtet, die Wirkungen einer nicht anonymisierten Abbildung gerade des Angeklagten außerhalb des Verfahrens einzuschränken, um dem rechtsstaatlichen Gebot der Unschuldsvermutung gerecht zu werden. Schließlich reicht die sitzungspolizeiliche Verfügung auch insoweit über den Gang der Hauptverhandlung hinaus, als sie nicht nur prozessuale Rechte der nicht verfahrensbeteiligten Beschwerdeführerin tangiert, sondern darüber hinaus in ihre Pressefreiheit eingreift.

14

2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung eines fachgerichtlichen Rechtsbehelfs gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen nach § 176 GVG durch den Gesetzgeber richtet, ist sie wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Das Prozessrecht hält mit §§ 304, 306 StPO ein Rechtsmittel bereit, dessen Anwendungsbereich von den Fachgerichten - jedenfalls heute - in grundrechtsfreundlicher, der Garantie effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung tragender Auslegung so weit gezogen wird, dass er die streitgegenständliche sitzungspolizeiliche Anordnung bereits erfasst.

15

Dass § 304 Abs. 4 StPO Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofs sowie eines Oberlandesgerichts - mithin auch sitzungspolizeiliche Anordnungen, die der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht im ersten Rechtszuge trifft - von der Anfechtung ausnimmt, lässt mit Blick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes zwar weiterhin Fragen offen, braucht im vorliegenden Verfahren jedoch nicht entschieden zu werden. Auch hier ist im Übrigen eine Auslegung nicht ausgeschlossen, wonach die Aufzählung in § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO grundrechtskonform um Verfügungen des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht zu erweitern ist, die über die Hauptverhandlung hinausgehen und Grundrechte des Betreffenden beeinträchtigen. Bereits in der Vergangenheit hat der Bundesgerichtshof eine Analogie in Fallgestaltungen zugelassen, die besonders nachteilig in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreifen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1999 - StB 1/99 -, NJW 2000, S. 1427 <1428> m.w.N.).

16

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Gegen Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, kann vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden. Bei der Festsetzung von Ordnungsgeld ist zugleich für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, zu bestimmen, in welchem Maße Ordnungshaft an seine Stelle tritt.

(2) Über die Festsetzung von Ordnungsmitteln entscheidet gegenüber Personen, die bei der Verhandlung nicht beteiligt sind, der Vorsitzende, in den übrigen Fällen das Gericht.

(3) Wird wegen derselben Tat später auf Strafe erkannt, so sind das Ordnungsgeld oder die Ordnungshaft auf die Strafe anzurechnen.

Die in den §§ 176 bis 179 bezeichneten Befugnisse stehen auch einem einzelnen Richter bei der Vornahme von Amtshandlungen außerhalb der Sitzung zu.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
S t B 1 0 u n d 1 1 / 1 5
vom
13. Oktober 2015
in dem Strafverfahren
gegen
1.
2.
wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland u.a.
hier: Beschwerde der S. SE und der B. GmbH & Co. KG gegen
sitzungspolizeiliche Maßnahmen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie der Beschwerdeführer und ihrer Bevollmächtigten am
13. Oktober 2015 gemäß § 304 Abs. 4 Satz 1, 2 Halbsatz 1 StPO beschlossen:
Die Beschwerden der S. SE und der B. GmbH & Co. KG gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden des 4. Strafsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 14. Juli 2015 sowie gegen den Entzug der dem Medium "B. " erteilten Akkreditierung durch Verfügung vom 3. August 2015 werden verworfen.
Die Beschwerdeführerinnen tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.

Gründe:

1
Seit dem 3. August 2015 findet vor dem 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle die Hauptverhandlung gegen die Angeklagten statt. Vor deren Beginn hat der Vorsitzende des Strafsenats am 14. Juli 2015 eine sitzungspolizeiliche Anordnung getroffen. Darin hat er unter anderem verfügt, dass Film- und Fotoaufnahmen der Presse vor und nach der Sitzung sowie in den Sitzungspausen zwar erlaubt seien, die Gesichter der Angeklagten vor der Veröffentlichung aber durch technische Verfahren anonymisiert werden müssten. Nachdem die Beschwerdeführerin zu 2. am 1. Hauptverhandlungstag zwei Foto- und Videoaufnahmen aus dem Gerichtssaal veröffentlicht hatte, auf denen das Gesicht des Angeklagten Be. unverpixelt zu sehen war, hat der Vorsitzende noch am selben Tag entschieden, dem Medium "B. " die zuvor gewährte Akkreditierung für das Strafverfahren gegen die Angeklagten zu entziehen.
2
Mit ihren Rechtsmitteln wenden sich die Beschwerdeführerinnen gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden des Strafsenats vom 14. Juli 2015 sowie gegen den Entzug der Akkreditierung am 3. August 2015.
3
Die Beschwerden sind nicht zulässig. Die vom Vorsitzenden getroffenen sitzungspolizeilichen Anordnungen (§ 176 GVG) sind nicht anfechtbar. § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO lässt ein Rechtsmittel gegen Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte in Sachen, in denen sie im ersten Rechtszug zuständig sind, nur in ausdrücklich aufgeführten Fällen zu. Diesem Katalog unterfallen die angegriffenen Verfügungen nicht.
4
Im Einzelnen:
5
1. Bei den angefochtenen Anordnungen handelt es sich um sitzungspolizeiliche Maßnahmen im Sinne des § 176 GVG. Eine ausdrückliche Regelung zur Anfechtung dieser Maßnahmen enthält das Gerichtsverfassungsgesetz nicht. § 181 Abs. 1 GVG sieht lediglich ein befristetes Rechtsmittel gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln nach §§ 178, 180 GVG vor. Daraus zieht die herrschende Meinung den Schluss, dass alle sonstigen sitzungspolizeilichen Maßnahmen der Beschwerde entzogen sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Oktober 2009 - 1 BvR 2436/09, AfP 2009, 581, 582; vom 17. April 2015 - 1 BvR 3276/08, NJW 2015, 2175, 2176 mwN). Sie befindet sich damit im Einklang mit dem Willen des historischen Gesetzgebers (vgl. Hahn, Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Bd. 1, S. 883, 976).

6
Dieser Umkehrschluss aus § 181 GVG ist indes nicht zwingend. Denn die Regelung ist ihrem Wortlaut nach auf die Festsetzung von Ordnungsmitteln beschränkt. Dies lässt ein Verständnis nicht ausgeschlossen erscheinen, wonach für die Anfechtung der sonstigen sitzungspolizeilichen Maßnahmen die Rechtsmittelvorschriften der Prozessordnungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit gelten, in denen die Maßnahme angeordnet wurde. Entsprechend haben verschiedene Gerichte - jedenfalls in besonderen Fallkonstellationen - gestützt auf die allgemeine Vorschrift des § 304 Abs. 1 StPO ein Beschwerderecht des Betroffenen anerkannt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. August 1976 - 2 Ws 143/76, NJW 1977, 309; OLG München, Beschluss vom 14. Juli 2006 - 2 Ws 679/06, NJW 2006, 3079; OLG Celle, Beschluss vom 8. Juni 2015 - 2 Ws 92/15, juris Rn. 11 f.; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 24. November 2011 - III-3 Ws 370/11, NStZ-RR 2012, 118, 119; LG Ravensburg, Beschluss vom 22. Januar 2007 - 2 Qs 10/07, NStZ-RR 2007, 348, 349).
7
Ein solches Verständnis liegt erkennbar auch der Auffassung in Rechtsprechung und Literatur zugrunde, wonach sitzungspolizeiliche Maßnahmen mit potentiellem Einfluss auf die Urteilsfindung als sachleitende Anordnungen des Vorsitzenden im Sinne des § 238 Abs. 2 StPO anzusehen sind, gegen die der Betroffene nach dieser Vorschrift das Gericht anrufen kann und dies auch muss, wenn er sich eine entsprechende Revisionsrüge erhalten will (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2008 - 4 StR 46/08, NStZ 2008, 582; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 238 Rn. 21; SK-StPO/Velten, 4. Aufl., § 176 GVG Rn. 17; KK-Schneider, StPO, 7. Aufl., § 238 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 176 GVG Rn. 16; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2006 - 5 StR 472/06, NStZ 2007, 281, 282; aA Kissel/Mayer, GVG, 8. Aufl., § 176 Rn. 2, 48 f. mwN; KK-Diemer, StPO, 7. Aufl., § 176 GVG Rn. 7; Jahn, NStZ 1998, 389, 392); denn wäre aus § 181 GVG die Unanfechtbarkeit sitzungspolizeilicher Anordnungen abzuleiten, so könnte im Hinblick auf die Vorschrift des § 336 Satz 2 StPO die Revision auch nicht darauf gestützt werden , die sitzungspolizeiliche Maßnahme sei rechtsfehlerhaft gewesen (vgl. zur Frage des Ausschlusses der Revision bei Unanfechtbarkeit einer vorangegangenen Entscheidung: BGH, Beschluss vom 5. Januar 1977 - 3 StR 433/76, BGHSt 27, 96, 98).
8
2. All dies bedarf hier indes keiner Entscheidung. Sollten sitzungspolizeiliche Anordnungen überhaupt der Anfechtung unterliegen, so kommt - da eine "außerordentliche Beschwerde" im Strafverfahren nicht anzuerkennen ist (BGH, Beschluss vom 19. März 1999 - 2 ARs 103/99, BGHSt 45, 37) - als Rechtsmittel allein die Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO in Betracht, der auch am Verfahren nicht beteiligten Dritten ein Rechtsmittel gegen sie beschwerende Maßnahmen des Gerichts eröffnet (vgl. § 304 Abs. 2 StPO). Mit diesem Rechtsbehelf können alle richterlichen Anordnungen im Strafverfahren ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung angefochten werden, soweit sie nicht ausdrücklich von der Anfechtbarkeit ausgenommen sind (LR/Matt, StPO, 26. Aufl., § 304 Rn. 4). Einen solchen ausdrücklichen Ausschluss der Anfechtbarkeit sieht § 304 Abs. 4 Satz 1, 2 StPO für die hier in Rede stehende Sachverhaltskonstellation vor. Danach ist gegen Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte in Sachen, in denen sie im ersten Rechtszug zuständig sind, die Beschwerde nur in den in § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO ausdrücklich aufgeführten Fällen zulässig. Sitzungspolizeiliche Anordnungen finden dort keine Erwähnung.
9
Eine allenfalls im engsten Rahmen in Betracht kommende analoge Anwendung der nach ständiger Rechtsprechung restriktiv auszulegenden Ausnahmevorschriften (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 304 Rn. 12 mwN) scheidet im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Maßgaben, auf die sich die Beschwerdeführerinnen berufen, aus. Zwar hat der Bundesgerichtshof in wenigen besonderen Fällen Beschwerden zum Bundesgerichtshof gegen erstinstanzliche Beschlüsse der Oberlandesgerichte in entsprechender Anwendung des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO bei Maßnahmen für zulässig erachtet, die aus bestimmten Gründen besonders nachteilig in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreifen oder sonst von besonderem Gewicht sind. Er hat § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO bisher aber nur in solchen Fällen analog angewendet, in denen die angegriffenen Entscheidungen - insbesondere im Hinblick auf die durch sie beeinträchtigten Rechtspositionen - mit den im Katalog dieser Vorschrift genannten vergleichbar gewesen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1981 - StB 31/81, BGHSt 30, 168, 170 f.; Beschluss vom 3. Mai 1989 - StB 15 und 16/89, BGHSt 36, 192, 195 f.; auch BGH, Beschluss vom 4. August 1995 - StB 46/95, StV 1995, 628). Für eine entsprechende Anwendung der Vorschrift, mit der diese nicht nur auf Sachverhalte ausgedehnt würde, die mit den genannten Ausnahmefällen vergleichbar sind, sondern die den Ausnahmekatalog auf völlig anders gelagerte Konstellationen erweitern würde, sieht der Senat keine gesetzliche Grundlage. Eine solche Erweiterung des Ausnahmekatalogs ist vielmehr dem Gesetzgeber vorbehalten.
10
Auch dass vorliegend das Grundrecht der Pressefreiheit betroffen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2015 - 1 BvR 3276/08, NJW 2015, 2175, 2176 a. E.), rechtfertigt es nicht, entgegen dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers ein Beschwerderecht einzuräumen. Der Gesetzgeber hat in § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte - mit Ausnahme der im Katalog aufgeführten Eingriffe - einer Beschwerdemöglichkeit entzogen und es damit in Kauf genommen, dass in anderen Fällen mit Grundrechtsbezug ein Rechtsmittel nicht gegeben ist. Dies entspricht auch der gesetzgeberischen Wertung, die § 181 Abs. 1 letzter Halbsatz GVG zugrunde liegt. Denn auch die an sich statthafte Beschwerde gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen, mit denen Ordnungsgeld oder Ordnungshaft verhängt wurde, findet gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln durch ein Oberlandesgericht nicht statt. Damit hat der Gesetzgeber ausdrücklich eine sitzungspolizeiliche Anordnung, die in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eingreift, von der Rechtsmittelmöglichkeit ausgenommen, wenn diese von einem Oberlandesgericht erlassen wurde. Dies spricht gegen die Annahme, der Gesetzgeber habe bei Verfügungen und Beschlüssen eines Oberlandesgerichts , die in ein Grundrecht eingreifen, generell eine Rechtsmittelmöglichkeit vorsehen wollen.
Becker Schäfer Spaniol

(1) Ist in den Fällen der §§ 178, 180 ein Ordnungsmittel festgesetzt, so kann gegen die Entscheidung binnen der Frist von einer Woche nach ihrer Bekanntmachung Beschwerde eingelegt werden, sofern sie nicht von dem Bundesgerichtshof oder einem Oberlandesgericht getroffen ist.

(2) Die Beschwerde hat in dem Falle des § 178 keine aufschiebende Wirkung, in dem Falle des § 180 aufschiebende Wirkung.

(3) Über die Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht.

Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, unterliegen nicht der Beschwerde. Ausgenommen sind Entscheidungen über Verhaftungen, die einstweilige Unterbringung, Beschlagnahmen, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, das vorläufige Berufsverbot oder die Festsetzung von Ordnungs- oder Zwangsmitteln sowie alle Entscheidungen, durch die dritte Personen betroffen werden.

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin werden die unter Ziffer I. Nr. 1b und unter Ziffer II Nr. 8 Satz 2 und Nr. 9 der Verfügung der Vorsitzenden der 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart vom 4. August 2016 ergangenen Anordnung

a u f g e h o b e n.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin trägt die Staatskasse.

Gründe

 
I.
Die Beschwerdeführerin, ein Medienunternehmen, das auch Printmedien herausgibt, wendet sich gegen einzelne Anordnungen der Vorsitzenden der 1. großen Strafkammer in einer Schwurgerichtssache, soweit diese insbesondere zu einem umfassenden Verbot des Fotografierens im Sitzungssaal im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung führen.
a) Vor der genannten Schwurgerichtskammer ist ein Verfahren gegen den o.g. Angeklagten wegen Mordes und wegen gefährlicher Körperverletzung anhängig. Dem Angeklagten wird dabei vorgeworfen, er habe am 9. März 2016 in Stuttgart heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen die Mutter seiner Verlobten in deren Wohnung mit einem Küchenmesser erstochen und seine schwangere Verlobte mit dem gleichen Messer lebensgefährlich verletzt.
Die Hauptverhandlung in dieser Sache hat bislang am 8., 9. und 21. September stattgefunden. Weitere sechs Hauptverhandlungstermine sind ab dem 12. Oktober 2016 bis zum 15. November 2016 vorgesehen.
b) Am 4. August 2016 ordnete die Vorsitzende der Schwurgerichtskammer unter Ziffer I. Nr. 1b und unter Ziffer II Nr. 8 Satz 2 und Nr. 9 einer Verfügung zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptverhandlung gem. § 176 GVG als Sicherungsmaßnahmen an,
I. 1. Den Sitzungssaal darf nicht betreten, wer….
b) mobile Telefonapparate, Funkgeräte, Notebooks, Kameras aller Art oder Tonaufnahmegeräte aller Art mit sich führt.
II. 8. …Sofern sie (Anmerkung: gemeint sind die Pressevertreter) glaubhaft versichern, keine unter Ziff. I dieser Verfügung fallenden Gegenstände mit sich zu führen, können die Kontrollen auf den äußeren Augenschein beschränkt werden.
9. Ton- und Bildaufnahmen dürfen im Sitzungssaal nicht gemacht werden.
Eine Begründung enthielt diese Verfügung nicht.
10 
c) Mit Beschwerde vom 7. September 2016 wendet sich die Beschwerdeführerin gegen diese, ihr am 2. September 2016 bekannt gewordenen Anordnungen. Sie gibt an, sie beabsichtige, über das Verfahren, das schon wegen seines Gegenstandes zur Zeitgeschichte gehöre, zu berichten. Die Verhaftung des Angeklagten habe bereits große öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Das Tötungsdelikt sei Gegenstand umfangreicher Medienberichte gewesen.
11 
Die genannten Anordnungen der Vorsitzenden vom 4. August 2016 verletzten sie bei der beabsichtigten Berichterstattung in ihrem Recht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (Pressefreiheit), da sie ihr (auch) untersage, im Gerichtssaal am Rande der Hauptverhandlung Fotografien von Prozessbeteiligten zur späteren Veröffentlichung zu fertigen. Die Anordnung und die damit untersagte Möglichkeit zur Fertigung von Fotos beschwere sie dabei über die Dauer der Hauptverhandlung hinaus, da sie auch künftig Fotos nicht veröffentlichen oder archivieren könne. Auch sei zu besorgen, dass derartige beschwerende und rechtswidrige Verfügungen von anderen Vorsitzenden künftig ebenfalls getroffen würden.
12 
d) Die Vorsitzende der Schwurgerichtskammer half dieser Beschwerde mit Verfügung vom 12. September 2016 nicht ab. Die Nichtabhilfe begründete sie damit, das vorliegende Strafverfahren sei kein zeitgeschichtliches Ereignis, die aufzuklärende Tat sei nämlich ganz überwiegend von regionalem bzw. lokalem Interesse. Eine uneingeschränkte Möglichkeit, außerhalb der Hauptverhandlung im Sitzungssaal von allen Prozessbeteiligten Ton- und Bildaufnahmen zu fertigen, sei in Bezug auf das angeklagte Tatgeschehen unverhältnismäßig.
13 
Aber auch eine eingeschränkte Aufnahmemöglichkeit verbiete sich. Zum einen gebiete eine aus anderer Sache resultierende, aber akute und ernstzunehmende Bedrohungslage gegen Kammermitglieder, dass Mitglieder der 1. Schwurgerichtskammer so wenig wie möglich mit Bild in den Medien und im Internet präsent seien. Zum anderen habe sie keine Befugnis, andere Beteiligte zu verpflichten, sich aufnehmen zu lassen. Wer dies wolle, könne sich schließlich außerhalb des Sitzungssaals aufnehmen lassen. Auflagen bei der Verbreitung von Aufnahmen versprächen mangels Kontrollmöglichkeit keinen Erfolg.
14 
Was die Geschädigte beträfe, zu deren Schutz bereits die Übertragung ihrer - bereits erfolgten - Vernehmung aus einem Nebenraum in den Sitzungssaal angeordnet worden sei, habe die Fertigung und mögliche öffentliche Verbreitung von Aufnahmen von ihr vor ihrer Aussage eine Beeinträchtigung der Qualität der Zeugenaussage besorgen lassen.
15 
Die Beschwerdeführerin, die Generalstaatstaatsanwaltschaft und der Angeklagte hatten Gelegenheit, zur Beschwerde bzw. der Nichtabhilfeentscheidung Stellung zu nehmen. Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Beschwerde für zulässig und begründet.
II.
16 
1. Die Beschwerde ist zulässig. Bei den angefochtenen Anordnungen handelt es sich - soweit sich das Gebot zur Fertigung von Ton - und Bildaufnahmen nicht bereits aus § 169 Satz 2 GVG ergibt - um sitzungspolizeiliche Maßnahme im Sinne des § 176 GVG. Diese sind zumindest bei einer besonderen und hier auch gegebenen Konstellation anfechtbar.
17 
a) Eine ausdrückliche Regelung zur Anfechtung dieser Maßnahmen enthält das Gerichtsverfassungsgesetz nicht. § 181 Abs. 1 GVG sieht lediglich ein befristetes Rechtsmittel gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln nach §§ 178, 180 GVG vor. Der Umkehrschluss, dass alle sonstigen sitzungspolizeilichen Maßnahmen der Beschwerde entzogen sind, ist indes nicht zwingend (BGH, NJW 2015, 3671-3672 m.w.N.). Denn die Regelung des § 181 GVG ist ihrem Wortlaut nach auf die Festsetzung von Ordnungsmitteln beschränkt. Dies schließt nicht aus, dass für die Anfechtung der sonstigen sitzungspolizeilichen Maßnahmen die Rechtsmittelvorschriften der Prozessordnungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit gelten, in denen die Maßnahme angeordnet wurde.
18 
b) Entsprechend dieser Einschätzung haben verschiedene Gerichte - jedenfalls in besonderen Fallkonstellationen - gestützt auf die allgemeine Vorschrift des § 304 Abs. 1 StPO ein Beschwerderecht des Betroffenen anerkannt, allerdings einschränkend nur unter der Voraussetzung, dass der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommtund insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden (vgl. OLG Karlsruhe, NJW 1977, 309; OLG München, NJW 2006, 3079; OLG Stuttgart, NJW 2011, 2899-2901 m.w.N.; Hanseatisches OLG in Bremen, StV 2016, 549).
19 
Ein Verständnis von der grundsätzlichen Anfechtbarkeit sitzungspolizeilicher Verfügungen liegt erkennbar auch der Auffassung in Rechtsprechung und Literatur zugrunde, wonach sitzungspolizeiliche Maßnahmen mit potentiellem Einfluss auf die Urteilsfindung als sachleitende Anordnungen des/der Vorsitzenden im Sinne des § 238 Abs. 2 StPO anzusehen sind, gegen die der Betroffene nach dieser Vorschrift das Gericht anrufen kann und dies auch muss, wenn er sich eine entsprechende Revisionsrüge erhalten will (vgl. BGH, NStZ 2008, 582, LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 238 Rn. 21).
20 
c) Der Senat schließt sich der neueren fachgerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur an, wonach eine Beschwerde gegen eine sitzungspolizeiliche Verfügung gem. § 176 GVG statthaft ist unter der Voraussetzung, dass der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommtund insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.) Auch das Bundesverfassungsgericht neigt nunmehr zu dieser Auffassung (BVerfG, NJW 2015, 2175-2176).
21 
d) Eine Fallkonstellation, die der Beschwerdeführerin das Beschwerderecht einräumt, ist vorliegend auch gegeben. Der von der Beschwerdeführerin vorgetragene Eingriff in die Pressefreiheit, der über die Dauer der Hauptverhandlung hinaus fortbesteht, ist evident. Das durch die Anordnungen untersagte Fertigen von Ton- und Bildaufnahmen zum Zwecke der späteren Veröffentlichung ist von der Presse- und Rundfunkfreiheit umfasst und entfaltet über die Hauptverhandlung hinausgehende Wirkung auf die Berichterstattung.
22 
2. Die Beschwerde ist auch begründet, da die Anordnungen der Vorsitzenden - soweit sie nicht lediglich und ohne eigene Regelungswirkung die Gesetzeslage wiedergeben - keine ermessenfehlerfreie Begründung enthalten.
23 
a) Soweit die Anordnung das Fertigen von Film- und Tonaufnahmen für Pressezwecke während der Hauptverhandlung verbietet, war eine Ermessensausübung allerdings nicht erforderlich. Das Verbot des Fertigens von Film- und Tonaufnahmen für Pressezwecke während der Hauptverhandlung ergibt sich nämlich bereits aus § 169 Satz 2 GVG. Von diesem Verbot darf weder die Vorsitzende noch das Gericht eine Ausnahme zulassen, so dass die Anordnung unter II Nr. 9 der Verfügung vom 4. August 2016, soweit sie lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholt, keine Regelungswirkung entfaltet.
24 
b) Grundlage der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung im Übrigen ist allein die von der Vorsitzenden mitgeteilte Ermessensabwägung. Der Senat ist insoweit nicht befugt, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Auf die Beschwerde hin ist die angefochtene Anordnung lediglich auf Ermessensfehler und die Zulässigkeit des von ihr verfolgten Zwecks zu prüfen.
25 
Art und Umfang der sitzungspolizeilichen Maßnahmen nach § 176 GVG sind gesetzlich nicht festgelegt. Ihre Zulässigkeit beurteilt sich deshalb im Einzelfall nach dem jeweils verfolgten Zweck und dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip (OLG Karlsruhe NJW 1977, 309, 310). Dabei steht dem/der Vorsitzenden ein Ermessen zu (BGHSt 17, 201, 203). Dieses bezieht sich sowohl auf die Frage, ob überhaupt eingeschritten wird, als auch auf die Frage, in welcher Weise er/sie auf eine (drohende) Störung reagiert.
26 
Diese Ermessensausübung des/der Vorsitzenden kann im Beschwerdeverfahren nicht ersetzt werden. Zwar widerspricht dies dem Grundsatz, dass das Beschwerdegericht zu einer eigenen Sachentscheidung befugt ist, die unter Umständen eine eigene Ermessensausübung einschließt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 309 Rn 4 m.w.N.); auch die gesetzlichen Ausnahmefälle der §§ 305a Abs. 1 Satz 2, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO liegen nicht vor. Die eingeschränkte Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts ergibt sich vorliegend jedoch aus dem Charakter der angefochtenen Maßnahme: Die Ausübung sitzungspolizeilicher Gewalt setzt Prognosen voraus, und zwar sowohl über die Intensität und die Bedeutung von Gefahren für die Ordnung in der Sitzung als auch über die Wirksamkeit etwaiger sitzungspolizeilicher Maßnahmen. Diese Prognosen hängen von vielerlei Umständen ab, von denen sich der/die Vorsitzende während des Zwischen- und des Hauptverfahrens einen persönlichen Eindruck verschaffen konnte bzw. kann. Auf die daraus resultierende größere Sachnähe der Vorsitzenden hat das Beschwerdegericht Rücksicht zu nehmen. Seine Prüfung beschränkt sich deshalb ausnahmsweise allein auf Rechts- und Ermessensfehler (OLG Stuttgart, NJW 2011, 2899ff).
27 
c) Die eingeschränkte Prüfung ergibt vorliegend, dass das den angefochtenen Anordnungen zugrunde zu legende Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt wurde.
28 
Dabei kommt es nicht maßgeblich darauf an, dass die Anordnungen nicht bereits bei ihrem Erlass begründet wurde. Die Begründung ist zwar keinesfalls entbehrlich. Eine das Fertigen von Aufnahmen ausschließende oder begrenzende Anordnung am Rande einer Hauptverhandlung setzt im Interesse der Wirksamkeit des materiellen Grundrechtsschutzes vielmehr voraus, dass der/die Vorsitzende die für seine Entscheidung maßgebenden Gründe offenlegt und dadurch für die Betroffenen erkennen lässt, dass in die Abwägung alle dafür erheblichen Umstände eingestellt worden sind (vgl. BVerfGE 119, 309). Der/die Vorsitzende hat bei einer die Pressefreiheit einschränkenden Anordnung der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. BVerfGE 91, 125; 119, 309). Bei der Ermessensausübung sind deshalb einerseits die Pressefreiheit und andererseits der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten, namentlich der Angeklagten und der Zeugen, aber auch der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere was die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung anbelangt, zu beachten (vgl. BVerfGE 103, 44, 119, 309). Der/die Vorsitzende muss dabei die tatsächlichen Umstände, die Beschränkungen der Pressefreiheit erforderlich machen, konkret darlegen, wenn diese nicht auf der Hand liegen und sich für einen verständigen Prozessbeteiligten von selbst verstehen.
29 
Die Begründung kann sich jedoch auch aus einer Nichtabhilfeentscheidung ergeben. Jedoch belegen vorliegend auch die in der Nichtabhilfeentscheidung der Vorsitzenden mitgeteilten Erwägungen, die zu den Anordnungen führten, keine fehlerfreie Ermessensausübung.
30 
aa) Das von der Anordnung unter Ziffer II Nr. 9 der Verfügung der Vorsitzenden beinhaltete Verbot des Fertigens einzelner Bildaufnahmen (Fotografieren) auch während der Hauptverhandlung wird von § 169 Satz 2 GVG nicht untersagt. Das Fertigen von Aufnahmen ist jedoch im Rahmen der sitzungspolizeilichen Möglichkeiten u.a. zu unterbinden, wenn die geplante Veröffentlichung dieser Aufnahmen unzulässig wäre.
31 
Die Zulässigkeit einer Bildveröffentlichung von im Zuge einer Hauptverhandlung gefertigten Fotografien ist zunächst nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen, wonach Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden dürfen (§ 22 S. 1 KUG). Hiervon besteht gemäß § 23 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, sofern berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden. Dabei erfordert schon die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits (vgl. BVerfGE 120, 180; BGH, NJW 2008, 3138). Maßgebend ist hierbei das Interesse der Öffentlichkeit an vollständiger Information über das Zeitgeschehen, wobei dieser Begriff zugunsten der Pressefreiheit in einem weiten Sinn zu verstehen ist. Er umfasst nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Eine Wertung dergestalt, ob es sich um einen "niveauvollen" oder "wertvollen" Beitrag zu einer Frage von allgemeiner Bedeutung handelt, darf das Gericht nicht vornehmen. Zum Kern der Meinungsäußerungsfreiheit der Presse gehört, dass die Medien nach eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht. Auch Straftaten gehören zunächst zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien überhaupt ist. Die Verletzung der allgemeinen Rechtsordnung, die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft, die Sympathie mit den Opfern und ihren Angehörigen, die Furcht vor Wiederholungen solcher Straftaten und das Bestreben, dem vorzubeugen, begründen ein durchaus anzuerkennendes Interesse an näherer Information über Tat und Täter. Dieses wird umso stärker sein, je mehr die Straftat sich durch die Besonderheit des Angriffsobjekts, die Art der Begehung oder die Schwere der Folgen über die gewöhnliche Kriminalität heraushebt. Bei schweren Gewaltverbrechen nach Art der hier dargestellten Straftat gibt es daher neben allgemeiner Neugier und Sensationslust ernstzunehmende Gründe für das Interesse an Information darüber, wer die Täter waren, welche Motive sie hatten, was geschehen ist, um sie zu ermitteln und zu bestrafen und um gleichartige Delikte zu verhüten. Dabei wird zunächst der Wunsch nach Kenntnis der reinen Tatsachen im Vordergrund stehen, während mit zunehmendem zeitlichem Abstand das Interesse an einer tiefer greifenden Interpretation der Tat, ihrer Hintergründe und gesellschaftsbedingten Voraussetzungen Bedeutung gewinnt. Nicht zuletzt fällt das legitime demokratische Bedürfnis nach Kontrolle der für die Sicherheit und Ordnung zuständigen Staatsorgane und Behörden, der Strafverfolgungsbehörden und der Strafgerichte maßgebend ins Gewicht (BVerfGE 35, 202).
32 
Davon ausgehend steht außer Frage, dass das anhängige Schwurgerichtsverfahren und die daran Beteiligten von (relativem) zeitgeschichtlichem Interesse sind.
33 
Soweit dem öffentlichen Informationsinteresse schutzwürdige Interessen der Beteiligten entgegen stehen, hat dies der/die Vorsitzende im Rahmen der Sitzungsgewalt bei der Entscheidung, ob er das Fertigen solcher Abbildungen gestattet, zu entscheiden. Dabei muss bezüglich jedes Beteiligten eine Abwägung zwischen der Pressefreiheit einerseits und dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten sowie den Belangen der Rechtspflege - insbesondere um Einflussnahmen auf die Wahrheitsfindung oder eine Störung der Verhandlung auszuschließen - vorgenommen werden.
34 
bb) Die vorliegende Nichtabhilfeentscheidung der Vorsitzenden enthält jedoch keine genügende Ermessensabwägung bezüglich der Interessen aller Verfahrensbeteiligter.
35 
Sie teilt nur die - durchaus schutzwürdigen - Interessen der Angehörigen des Spruchkörpers mit. Eine Abwägung erfolgt jedoch nicht. Bereits aus diesem Grunde ist die Ermessensausübung fehlerhaft. Die Ermessensausübung ist auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Persönlichkeitsrecht oder der Schutz von Gerichtsangehörigen uneingeschränkt Vorrang vor anderen Interessen hat. Vielmehr ist zu beachten, dass regelmäßig Abbildungen der Mitglieder des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger gestattet werden müssen und deren Persönlichkeitsschutz insoweit zurücktritt. Die Fertigung und Veröffentlichung solcher Bilder kann nur dann eingeschränkt werden, wenn die Veröffentlichung von Abbildungen eine Gefährdung der Sicherheit der Betroffenen durch Übergriffe Dritter bewirken kann. Eine Abwägung zwischen der Gefährdungslage der Kammermitglieder und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit hat vorliegend im Rahmen des umfassenden Verbots von Ablichtungen nicht stattgefunden, ebenso wenig eine Abwägung, inwiefern weniger einschränkende Maßnahmen wie etwa eine „Verpixelung“ zum Schutz einzelner Beteiligter genügen.
36 
Auch soweit in der Nichtabhilfeentscheidung das Fotografieren der Geschädigten ausdrücklich thematisiert wird, fehlt eine Abwägung zwischen deren Persönlichkeitsrecht und dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Soweit zur Begründung des Fotografierverbots Belange der Rechtspflege angeführt werden, lässt sich der Begründung nicht entnehmen, inwiefern erwogen wurde, ob etwa das Fertigen von Lichtbildern nach der Aussage der Geschädigten gestattet werden kann.
37 
cc) Soweit die Anordnung über das Fotografieren hinaus auch das - ebenfalls nach § 22, 23 KUG zu beurteilende - Fertigen von Ton- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal außerhalb der Hauptverhandlung betrifft, also unmittelbar vor und nach deren Beginn sowie in Sitzungspausen, kann dieses nach den bereits ausgeführten Gesichtspunkten zwar grundsätzlich durch eine sitzungspolizeiliche Verfügung eingeschränkt werden. Dies bedarf jedoch konkreter, auf die Gesichtspunkte der Sitzungsleitung bezogener Gründe, welche in der einschränkenden Anordnung nicht umfassend dargelegt sind.
38 
dd) Das angefochtene Verbot, Geräte in den Sitzungssaal mitzubringen, die für Aufzeichnungen oder Übertragungen genutzt werden können, ist ohne umfassend wirksame Untersagung solcher Handlungen nicht ermessensfehlerfrei. Zwar erlaubt allein der Umstand, dass man die Einhaltung von einschränkenden Maßnahmen nicht kontrollieren kann, das Verbot des Mitbringens von Gegenständen, die diese Maßnahmen unterlaufen könnten. Dies setzt jedoch eine - hier nicht gegebene - rechtmäßige Anordnung voraus. Gleiches gilt für die Anordnung von Kontrollmaßnahmen, so dass mangels zulässigem Ziel auch die Anordnungen unter Ziffer I. Nr. 1b und unter Ziffer II Nr. 8 Satz 2 der Verfügung der Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer vom 4. August 2016 ermessensfehlerhaft sind.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden.

(2) An der Verhandlung beteiligte Personen dürfen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen. Der Vorsitzende kann Ausnahmen gestatten, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist.

Tenor

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 24.000 € (in Worten: vierundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). Sie berücksichtigt, dass dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund der Zeitgebundenheit des Anliegens der Beschwerdeführerinnen eine größere Bedeutung zukommt, als dies im Rahmen des Verfahrens der einstweiligen Anordnung regelmäßig der Fall ist, und dass im Falle der Vertretung mehrerer Beschwerdeführer, die gemeinschaftlich Verfassungsbeschwerde erheben, die Werte der jeweiligen subjektiven Interessen zusammengerechnet werden (vgl. BVerfGE 96, 251 <258>).

2

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden.

(2) An der Verhandlung beteiligte Personen dürfen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen. Der Vorsitzende kann Ausnahmen gestatten, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist.

(1) Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich. Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig. Die Tonübertragung in einen Arbeitsraum für Personen, die für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder für andere Medien berichten, kann von dem Gericht zugelassen werden. Die Tonübertragung kann zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens teilweise untersagt werden. Im Übrigen gilt für den in den Arbeitsraum übertragenen Ton Satz 2 entsprechend.

(2) Tonaufnahmen der Verhandlung einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse können zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken von dem Gericht zugelassen werden, wenn es sich um ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland handelt. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen teilweise untersagt werden. Die Aufnahmen sind nicht zu den Akten zu nehmen und dürfen weder herausgegeben noch für Zwecke des aufgenommenen oder eines anderen Verfahrens genutzt oder verwertet werden. Sie sind vom Gericht nach Abschluss des Verfahrens demjenigen zuständigen Bundes- oder Landesarchiv zur Übernahme anzubieten, das nach dem Bundesarchivgesetz oder einem Landesarchivgesetz festzustellen hat, ob den Aufnahmen ein bleibender Wert zukommt. Nimmt das Bundesarchiv oder das jeweilige Landesarchiv die Aufnahmen nicht an, sind die Aufnahmen durch das Gericht zu löschen.

(3) Abweichend von Absatz 1 Satz 2 kann das Gericht für die Verkündung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in besonderen Fällen Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zulassen. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen oder deren Übertragung teilweise untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig gemacht werden.

(4) Die Beschlüsse des Gerichts nach den Absätzen 1 bis 3 sind unanfechtbar.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Tenor

Die Beschlüsse des Landgerichts Hamburg vom 9. März 2012 - 606 KLs 25/11 - 3190 Js 27/11 - und vom 24. Februar 2012 - 606 KLs 25/11 - 3190 Js 27/11 - werden einstweilen in ihrer Wirksamkeit ausgesetzt.

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zwei Beschlüsse der Großen Strafkammer 6 des Landgerichts Hamburg vom 24. Februar 2012 und vom 9. März 2012, durch die der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung von Fernsehaufnahmen anlässlich eines Strafverfahrens an den Verhandlungstagen außerhalb der Sitzungen, im Sitzungssaal und im Eingangsbereich, um die Prozessbeteiligten abzulichten, abgelehnt wurde. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihres Grundrechts auf Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und der Rechtsschutzgewähr gemäß Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG beziehungsweise des allgemeinen Justizgewähranspruchs gemäß Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

2

1. In dem zugrundeliegenden Strafverfahren ist ein 30-jähriger Mann angeklagt, der am 19. August 2011 mit einer Waffe und einer selbst gebauten Handgranate eine israelische Studentin, die er über einen Arbeitskollegen kennengelernt hatte, aus ihrem Studentenwohnheim entführte und sie in seine zu einer Art Gefängnis umgebaute Wohnung verbrachte. Die Wohnung war mit Stacheldraht vor den Fenstern und gesicherten Türen versehen. In einer Ecke stand eine schallisolierte Telefonzelle. Dem Opfer gelang es, aus einem Fenster der Wohnung zu fliehen. Dem Angeklagten werden versuchte Geiselnahme, Freiheitsberaubung und Verstöße gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz vorgeworfen. Seine Schuldfähigkeit ist zweifelhaft, und in dem Strafverfahren wird über eine etwaige Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB zu befinden sein. Laut Presseberichten hat er die Tat am zweiten Verhandlungstag gestanden.

3

Die Beschwerdeführerin ist freie TV-Journalistin und betreibt als Inhaberin die Firma T. …, die auch audiovisuelle Gerichtsberichterstattung anbietet. Sie berichtet über das streitgegenständliche Strafverfahren und beabsichtigt, an den letzten beiden Verhandlungstagen Fernsehaufnahmen aller Verfahrensbeteiligter, insbesondere des Angeklagten und seiner Verteidigerin, anzufertigen und stellte bei Gericht einen entsprechenden Antrag.

4

2. Mit angegriffenem Beschluss vom 24. Februar 2012 lehnte der Vorsitzende der Großen Strafkammer 6 den Antrag ab. Er begründete dies damit, dass das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege. Zu berücksichtigen seien die Unschuldsvermutung und die Tatsache, dass für das Verfahren Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten bestimmend seien, und dass über eine etwaige Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB zu befinden sei, was das eingeholte psychiatrische Gutachten nahelege. Bei dieser Prozesslage komme gemäß § 171a GVG sogar der vollständige Ausschluss der Öffentlichkeit bis zur Urteilsverkündung in Betracht. Das Verfahren sei auch nicht von zeitgeschichtlicher Bedeutung, auch nicht für den regionalen Bereich Hamburgs. Den kranken Angeklagten auch noch durch Bildberichterstattung - selbst in anonymisierter Form - in die Öffentlichkeit zu bringen, befriedige bei der hier gegebenen Sachlage kein nachvollziehbares, berechtigtes Informationsinteresse.

5

3. Den "Widerspruch" der Beschwerdeführerin wies der Stellvertreter des Vorsitzenden mit angegriffenem Beschluss vom 9. März 2012 im Wesentlichen unter Bezugnahme auf den angefochtenen Beschluss zurück.

6

Die Öffentlichkeit wurde bislang nicht gemäß § 171a GVG ausgeschlossen.

7

4. Die Beschwerdeführerin rügt unter anderem die Verletzung ihres Grundrechts auf Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Folgenabwägung rechtfertige den Erlass der einstweiligen Anordnung.

II.

8

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und im Wesentlichen begründet.

9

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.>; stRspr). Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; stRspr).

10

2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Anordnungen des Vorsitzenden nach § 176 GVG, mit denen die Anfertigung von Bild- und Fernsehaufnahmen vom Geschehen im Sitzungssaal am Rande der Hauptverhandlung untersagt oder Beschränkungen unterworfen wird, stellen Eingriffe in den Schutzbereich der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. BVerfGE 91, 125 <134 f.>; 119, 309 <320 f.>). Beim Erlass solcher Anordnungen hat der Vorsitzende der Bedeutung der Rundfunkfreiheit Rechnung zu tragen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. BVerfGE 91, 125 <138 f.>; 119, 309 <321>). Bei Anlegung dieses Maßstabes ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls nicht offensichtlich unbegründet.

11

3. Die danach gebotene Folgenabwägung fällt zugunsten der Beschwerdeführerin aus.

12

a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich aber die Verfassungsbeschwerde als begründet, so könnte eine Fernsehbildberichterstattung über das Strafverfahren nicht stattfinden.

13

Bei der Gewichtung der Nachteile ist in Bezug auf die Rundfunkfreiheit nicht nur die Schwere der Tat, sondern auch die öffentliche Aufmerksamkeit zu berücksichtigen, die das Strafverfahren etwa aufgrund besonderer Umstände und Rahmenbedingungen gewonnen hat. Die öffentliche Aufmerksamkeit wird umso stärker sein, je mehr sich die Straftat durch ihre besondere Begehungsweise oder die Schwere ihrer Folgen von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt (vgl. BVerfGE 35, 202 <230 f.>; 119, 309 <321 f.>).

14

Die besonderen Umstände der hier in Rede stehenden Straftat - Entführung des Opfers mit Waffengewalt sowie die vorgesehene Einkerkerung in einer zu einer Art Gefängnis umgebauten Wohnung - begründen ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem in Rede stehenden Strafverfahren.

15

Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist aber regelmäßig nicht allein auf diesen und die ihm zur Last gelegten Taten, sondern auch auf diejenigen Personen gerichtet, die in dem der besonderen Aufmerksamkeit unterliegenden Fall als Mitglieder des Spruchkörpers, als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft oder als zur Mitwirkung an der Verhandlung berufener Rechtsanwalt an der Rechtsfindung mitwirken (vgl. BVerfGE 119, 309 <322>).

16

Mit den angegriffenen Maßnahmen wird die Berichterstattung über das Gerichtsverfahren in fernsehtypischer Weise durch aktuelle Film- und Tonaufnahmen aus dem Gerichtssaal in Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten am Rande der mündlichen Verhandlung praktisch vollständig untersagt. Ohne solche Bewegtbilder lässt sich unter den Bedingungen des Fernsehens in diesem Medium nur sehr begrenzt über ein Ereignis überhaupt noch berichten. Ausgeschlossen wäre hierdurch nicht nur eine näher individualisierende Ablichtung des Angeklagten, sondern eine Aufnahme seiner Person überhaupt sowie auch eine bildliche Dokumentation des Erscheinens und der Anwesenheit aller anderen Verfahrensbeteiligten im Sitzungssaal.

17

Hierin liegt ein schwerer Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG.

18

b) Erginge die einstweilige Anordnung dagegen, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, wären Filmaufnahmen vom Angeklagten im Umkreis des Strafverfahrens gefertigt und verbreitet worden, auf die weder die Beschwerdeführerin noch die Öffentlichkeit Anspruch hatten. Der hierin liegende Nachteil kann allerdings erhebliches Gewicht haben.

19

In Gerichtsverfahren gewinnt der Persönlichkeitsschutz der Verfahrensbeteiligten eine über den allgemein in der Rechtsordnung anerkannten Schutzbedarf hinausgehende Bedeutung. Dies gilt mit besonderer Intensität für den Schutz der Angeklagten im Strafverfahren, die sich unfreiwillig der Verhandlung und damit der Öffentlichkeit stellen müssen (vgl. BVerfGE 103, 44 <68>; 119, 309 <322 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. November 2008 - 1 BvQ 46/08 - NJW 2009, S. 350 <351>). Einem Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Person des Täters, welches sich auf die Schwere der Tat und ihre besonderen Umstände stützt, kann entgegenstehen, dass der Angeklagte, für den die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Unschuldsvermutung streitet, im Falle einer Fernsehberichterstattung, die sein - insbesondere nicht anonymisiertes - Bildnis zeigt, Gefahr läuft, eine erhebliche Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts zu erleiden, die im Einzelfall trotz späteren Freispruches schwerwiegende und nachhaltige Folgen haben kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. November 2008 - 1 BvQ 46/08 -, NJW 2009, S. 350 <352>). Dies gilt insbesondere, wenn sich im Laufe des Verfahrens herausstellt, dass der Angeklagte schuldunfähig und in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen ist.

20

Die nach der Begründung der angegriffenen Entscheidung zu erwartenden Nachteile für den geordneten Ablauf der Sitzung sowie für das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten wiegen indes vorliegend dennoch nicht so schwer, als dass sie eine absolute Beschränkung der Bildberichterstattung rechtfertigten.

21

Zum einen kann das Argument der Unschuldsvermutung an Gewicht verlieren, wenn der Angeklagte - wie hier - seine Tat gestanden hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 3048/11 -, juris). Zum anderen bestehen hier, soweit aus der Begründung der angegriffenen Entscheidung ersichtlich, keine Anhaltspunkte dafür, dass Bildaufnahmen von dem Angeklagten spezifische Auswirkungen auf seinen psychischen Zustand haben. Die von dem Landgericht herangezogene Ratio des § 171a GVG besteht darin, dass Erörterungen in der Hauptverhandlung in Strafsachen über die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus regelmäßig Sachverhalte höchstpersönlicher Art betreffen, die die Intimsphäre berühren und von Einfluss sein können auf die Erfolgsaussichten der Unterbringung und die spätere Resozialisierung (Kissel/Mayer, GVG, 6. Aufl. 2010, § 171a Rn. 1). Die hier von der Antragstellerin beabsichtigten Bildaufnahmen sollen und können aber nur außerhalb der Hauptverhandlung aufgenommen werden, § 169 GVG, und betreffen auch nicht die Intimsphäre des Angeklagten. Ungeachtet der zurecht hervorgehobenen gewichtigen Schutzbelange eines Angeklagten, der möglicherweise schuldunfähig ist, lässt die Begründung der angegriffenen Entscheidung nicht erkennen, dass vorliegend auch solche Ablichtungen außerhalb der Hauptverhandlung in der von der Antragstellerin gewünschten Weise mittels einer Poollösung für den Angeklagten mit schwerwiegenden Nachteilen verbunden wären.

22

4. Die angegriffenen Beschlüsse sind einstweilen in ihrer Wirksamkeit auszusetzen. Der Vorsitzende der zuständigen Strafkammer wird zu entscheiden haben, ob zum Schutz des Angeklagten für den weiteren Fortgang des Strafverfahrens erneut eine Anordnung gemäß § 176 GVG geboten ist, mit der die Bildberichterstattung untersagt oder eingeschränkt wird. Er wird hierbei nach Maßgabe einer Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten zu berücksichtigen haben, dass ein Verbot nur dann in Betracht kommt, wenn dem Schutz der kollidierenden Belange nicht auch durch eine beschränkende Anordnung, etwa indem nur eine anonymisierte Bildaufnahme des Angeklagten gestattet wird, Rechnung getragen werden kann (vgl. zu den hierfür maßgeblichen Kriterien BVerfGE 119, 309 <325 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. April 2009 - 1 BvR 654/09 -, NJW 2009, S. 2117).

23

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.

Tenor

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 24.000 € (in Worten: vierundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). Sie berücksichtigt, dass dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund der Zeitgebundenheit des Anliegens der Beschwerdeführerinnen eine größere Bedeutung zukommt, als dies im Rahmen des Verfahrens der einstweiligen Anordnung regelmäßig der Fall ist, und dass im Falle der Vertretung mehrerer Beschwerdeführer, die gemeinschaftlich Verfassungsbeschwerde erheben, die Werte der jeweiligen subjektiven Interessen zusammengerechnet werden (vgl. BVerfGE 96, 251 <258>).

2

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden.

(2) An der Verhandlung beteiligte Personen dürfen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen. Der Vorsitzende kann Ausnahmen gestatten, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist.

Tenor

1. Die Ziffern 1a), 3., 5., 6., 7. und 8. Satz 1 der sitzungspolizeilichen Anordnung des Vorsitzenden Richters der Großen Strafkammer 1 am Landgericht … vom 3. Juni 2014 im Verfahren 601 Ks 3/14 werden bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten, in ihrer Wirksamkeit ausgesetzt.

2. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

3. Die F. hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe

1

Der mit einer Verfassungsbeschwerde verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wendet sich gegen eine sitzungspolizeiliche Anordnung zur Beschränkung der Presseberichterstattung über ein Strafverfahren.

I.

2

1. Die Beschwerdeführerin ist Verlegerin mehrerer Zeitungen, darunter die bundesweit verbreiteten Tageszeitungen "Bild" und "Die Welt". Am 11. Juni 2014 begann vor der Großen Strafkammer 1 des Landgerichts … die Hauptverhandlung im Strafverfahren wegen eines im Dezember 2013 an inneren Verletzungen verstorbenen dreijährigen Mädchens.

3

Angeklagte des Strafverfahrens sind die Eltern des Kindes. Dem Vater wird die Misshandlung von Schutzbefohlenen und Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Die Mutter ist wegen Mordes angeklagt. Erster Verhandlungstag war der 11. Juni 2014. Insgesamt sind bis Ende September 22 Verhandlungstermine angesetzt. Der Prozess war und ist Gegenstand umfangreicher Berichterstattung in den regionalen und überregionalen Medien und beschäftigte die Öffentlichkeit so nachhaltig, dass schließlich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Aufklärung von möglichen Fehlern in den zuständigen Behörden und Trägern eingesetzt wurde, der die Vernachlässigung der Kindeswohlsicherung durch staatliche Stellen aufklären und Empfehlungen zur Verbesserung des Kindesschutzes ausarbeiten sollte. Die Tätigkeit dieses Untersuchungsausschusses war ebenfalls Gegenstand einer umfassenden Medienberichterstattung.

4

2. Am 3. Juni 2014 erließ der Vorsitzende der Großen Strafkammer 1 des Landgerichts … die Medienverfügung, die die Beschwerdeführerin am selben Tag erreichte. Die Anordnung hat folgenden Wortlaut:

In dem Verfahren gegen die Eltern des im Dezember 2013 verstorbenen Kindes … hat der Vorsitzende folgende Anordnung gemäß § 176 GVG getroffen:

1. Ton-, Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal werden nach Maßgabe der nachstehend beschriebenen "Poollösung" gestattet.

a) Sofern bei den Medien der Wunsch besteht, werden an den Sitzungstagen jeweils unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung und nur in Anwesenheit des Gerichts Foto- und Fernsehaufnahmen im Verhandlungssaal gestattet und zwar im Rahmen der sogenannten Poollösung unter der Bedingung, dass die Aufnahmen nicht zu einer Störung des Sitzungsbetriebes führen.

b) Als Poolführer werden je ein Kamerateam (jeweils bestehend aus höchstens 3 Personen) der öffentlich rechtlichen Anstalten und der privaten Fernsehsender sowie ein Fotograf der Nachrichtenagenturen, ein Fotograf der Bildagenturen und ein weiterer Fotograf zugelassen, sofern sie sich jeweils für ihren Bereich gegenüber der Gerichtspressestelle des … Oberlandesgerichts schriftlich bis spätestens 14 Uhr des den Sitzungstagen vorangehenden Werktags verpflichtet haben, ihr gesamtes Filmmaterial konkurrierenden Berichterstattern unverzüglich und kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Poolführer kann nur sein, wer über die technischen Voraussetzungen verfügt.

c) Die Bestimmung der Poolführer bleibt einer Einigung der interessierten Presseorgane überlassen.

2. Die Aufnahmen sind auf ein entsprechendes Zeichen des Vorsitzenden sofort einzustellen.

3. Film und Fotoaufnahmen im Vorraum zum Sitzungssaal (beim Saal 237 der gesamte Bereich hinter der Stahltür) und im Umkreis von 5 m zum Eingang des Sitzungssaals sind nicht gestattet.

4. Die Aufnahmen sowie Zeichnungen der beiden Angeklagten sind zu anonymisieren, es sei denn, diese erklären ausdrücklich ihre Zustimmung zu einer abweichenden Vorgehensweise.

5. Nahaufnahmen (Porträtaufnahmen) des Gerichts sind nicht zulässig.

6. Nahaufnahmen (Porträtaufnahmen) der Verteidigerin / des Verteidigers und des Sitzungsvertreters / der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft sind nur zulässig, wenn diese ihre Zustimmung erklären.

7. Von Zeugen und Sachverständigen dürfen ohne ihre Zustimmung keine Aufnahmen angefertigt werden.

8. Darüber hinaus sind Foto-, Film- und Tonbandaufnahmen im Sitzungssaal nicht gestattet. Aufnahmegeräte, Mobiltelefone und Laptops sind während der Verhandlung auszustellen.

9. Die vorstehenden Regelungen befreien die Medienvertreter nicht von der ihnen obliegenden Verpflichtung zu prüfen und zu gewährleisten, dass sie mit ihrer Berichterstattung nicht die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzen.

10. Es wird untersagt, im Sitzungssaal mit den Verfahrensbeteiligten Interviews oder interviewähnliche Gespräche zu führen.

11. Den Anweisungen der Wachtmeister ist Folge zu leisten.

12. Bei Unklarheiten oder Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung oder Anwendung dieser Verfügung ist die Entscheidung des Vorsitzenden oder seiner Vertreterin einzuholen.

13. Medienberichterstatter erhalten gegen Vorlage eines gültigen Presse- und Identitätsausweises Zutritt zu dem ihnen zugewiesenen Bereich im Zuschauerraum, sofern dort auf den der Presse zugewiesenen Plätzen noch Sitzgelegenheiten bestehen. Es stehen in Saal 237 für Berichterstatter 15 Plätze zur Verfügung, die nach dem zeitlichen Erscheinen am Sitzungstage verteilt werden. Für Berichterstatter, die den Saal verlassen, werden keine Plätze freigehalten.

5

In seiner Stellungnahme auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts begründet der Vorsitzende die Verfügung wie folgt:

6

Wegen des großen Medieninteresses habe er die von der Rechtsprechung anerkannte und gebilligte Poollösung gewählt. Im Übrigen sei die angegriffene Anordnung das Ergebnis einer von ihm getroffenen Güterabwägung unter Berücksichtigung des hohen Stellenwerts der in Art. 5 GG garantierten Pressefreiheit, der schutzwürdigen Interessen und Persönlichkeitsrechte der beiden Angeklagten und aller weiteren Verfahrensbeteiligten sowie der Pflicht zur Gewährleistung eines geordneten und sachorientierten Sitzungsverlaufs. Diese Güterabwägung wird nicht weiter erläutert.

7

2. Die Beschwerdeführerin, der die Gründe der angegriffenen Entscheidungen nach ihrem Vortrag nicht bekannt waren, wendet sich gegen Ziff. 1 a), 3. bis 8., 10. der sitzungspolizeilichen Anordnung sowie Ziff. 4, soweit für eine nicht anonymisierte Abbildung die ausdrückliche Zustimmung der Angeklagten notwendig ist und beantragt ihre Aussetzung. Die Anonymisierung von Aufnahmen der Angeklagten greift die Beschwerdeführerin explizit nicht an. Die angegriffenen Punkte der Verfügung bewirkten bereits einzeln, erst recht jedoch in ihrer Kumulation eine schwerwiegende Einschränkung ihres Rechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

II.

8

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und überwiegend begründet.

9

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.>; stRspr). Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; stRspr). Im Eilrechtsschutzverfahren sind die erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu berücksichtigen, wenn absehbar ist, dass über eine Verfassungsbeschwerde nicht rechtzeitig entschieden werden kann. Ergibt die Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 111, 147 <153>).

10

2. Hinsichtlich der Ziffern 1. a), 3., 5., 6., 7. und 8. Satz 1 der sitzungspolizeilichen Anordnung ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet. Die Verfügung des Vorsitzenden genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, da sie nicht gegenüber den Betroffenen begründet wurde.

11

a) Da Ton- und Bildaufnahmen unmittelbar vor oder nach einer Verhandlung oder in den Sitzungspausen von der Presse- und Rundfunkfreiheit umfasst sind, setzt eine solche Aufnahmen ausschließende oder begrenzende Anordnung im Interesse der Wirksamkeit des materiellen Grundrechtsschutzes voraus, dass der Vorsitzende die für seine Entscheidung maßgebenden Gründe offenlegt und dadurch für die Betroffenen erkennen lässt, dass in die Abwägung alle dafür erheblichen Umstände eingestellt worden sind (vgl. BVerfGE 119, 309 <327 f.>; vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. April 2009 - 1 BvR 654/09 -, NJW 2009, S. 2117 <2118>). Der Vorsitzende hat der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. BVerfGE 91, 125 <138 f.>; 119, 309 <321>). Bei der Ermessensausübung sind einerseits die Pressefreiheit und andererseits der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten, namentlich der Angeklagten und der Zeugen, aber auch der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung zu beachten (vgl. BVerfGE 103, 44 <64>; 119, 309 <322>). Der Vorsitzende muss die tatsächlichen Umstände, die Beschränkungen der Pressefreiheit erforderlich machen, konkret darlegen, wenn diese nicht auf der Hand liegen und sich für einen verständigen Prozessbeteiligten von selbst verstehen.

12

Diesen Maßstäben wird die angegriffene Anordnung hinsichtlich der Ziffern 1. a), 3., 5., 6., 7. und 8. Satz 1 der Verfügung nicht gerecht. Die später übersendete Stellungnahme konnte diesen Mangel nicht heilen. Der Anordnung fehlt es an einer sachhaltigen Begründung. Zwar erläutert der Vorsitzende in seiner Stellungnahme, weshalb die Poollösung gewählt wurde. Im Übrigen beschränken sich die Erläuterungen aber formelhaft auf die nicht weiter nachvollziehbare Behauptung, dass die angegriffene Anordnung das Ergebnis einer Güterabwägung unter Berücksichtigung des hohen Stellenwertes der in Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Pressefreiheit, der schutzwürdigen Interessen und Persönlichkeitsrechte der beiden Angeklagten und aller weiteren Verfahrensbeteiligten sowie der Pflicht zur Gewährleistung eines geordneten und sachorientierten Sitzungsverlaufs sei. Da hierin keine tragfähige Begründung liegt, ist die sitzungspolizeiliche Anordnung hinsichtlich der Ziffern 1. a), 3., 5., 6., 7. und 8. Satz 1 auszusetzen.

13

b) Der Vorsitzende Richter wird zu prüfen haben, ob er eine neue Anordnung erlässt und unter welchen Gesichtspunkten er hierbei einen Ausgleich im Wege praktischer Konkordanz herbeiführt. Im Rahmen seiner Sitzungsleitung hat er diese Entscheidung selbst zu treffen und kann diese nicht der Pressestelle überlassen. Er hat hierbei die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu beachten (vgl. BVerfGE 91, 125 <133 ff.>; 103, 44 <63 ff.>; 119, 309 <328 ff.>; BVerfGK 10, 435 <438 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. April 2009 - 1 BvR 654/09 -, NJW 2009, S. 2117; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. November 2008 - 1 BvQ 46/08 -, NJW 2009, S. 350).

14

Es ist insoweit auf Folgendes hinzuweisen:

15

Da Anordnungen des Vorsitzenden nach § 176 GVG, mit denen die Anfertigung von Bild- und Fernsehaufnahmen vom Geschehen im Sitzungssaal am Rande der Hauptverhandlung Beschränkungen unterworfen wird, Eingriffe in den Schutzbereich der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG darstellen (vgl. BVerfGE 91, 125 <134 f.>; 119, 309 <320 f.>), bedarf es konkreter, auf Gesichtspunkte der Sitzungsleitung bezogener Gründe zum Schutz des Angeklagten und der sonstigen Verfahrensbeteiligten, eines ungestörten Verlaufs der Sitzung oder der Bedingungen für eine ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung. Eines der wesentlichen Ziele der Hauptverhandlung, wahrheitsgemäße und vollständige, forensisch brauchbare Angaben aller Aussagepersonen zu erlangen, setzt Rahmenbedingungen voraus, die Hemmungen und Aufgeregtheit - gerade beim im Umgang mit Medien nicht erfahrenen Personen - vermeiden helfen (vgl. BVerfGE 119, 309 <325>).

16

Auch für die Frage der Ablichtung von Zeugen und Sachverständigen ist eine Abwägung vorzunehmen. Hier gelten die für den Angeklagten entwickelten Grundsätze entsprechend (vgl. BVerfGE 119, 309 <322>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. November 2008 - 1 BvQ 46/08 -, NJW 2009, S. 350 <351>). Freilich wird aus der vorgelegten bisherigen Presseberichterstattung über das Verfahren deutlich, dass die Zeugen des Verfahrens jedenfalls großenteils unter besonderem öffentlichen Druck stehen und ihnen in der Presse zum Teil eine Mitschuld am Tod des Opfers der angeklagten Tat zugewiesen wurde. Es ist insofern naheliegend, dass bei einer Abbildung dieser Zeugen eine erhebliche Belästigung oder Gefährdung ihrer Sicherheit durch Übergriffe Dritter zu befürchten ist, und ihr Schutz vor ungewollten Abbildungen auch einem sachlichen, die Wahrheitsfindung fördernden Verfahrensverlauf dienen kann (vgl. BVerfGE 119, 309 <324>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. April 2009 - 1 BvR 654/09 -, NJW 2009, S. 2117 <2119 f.>). Etwas anderes kann allerdings für Zeugen oder Sachverständige gelten, die sich, wie hier die Beschwerdeführerin geltend macht, mit ihren Äußerungen zuvor freiwillig in die Öffentlichkeit begeben haben.

17

Es ist weiter zu beachten, dass Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidiger als Organe der Rechtspflege kraft der ihnen obliegenden Aufgaben anlässlich ihrer Teilnahme an einer öffentlichen Gerichtsverhandlung im Blickfeld der Öffentlichkeit und der Medien stehen und deshalb nicht in gleichem Ausmaße einen Anspruch auf Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte haben wie eine von dem Verfahren betroffene Privatperson (vgl. BVerfGE 119, 309 <323 f.>). Auch ihnen kann aber ein Anspruch auf Schutz zustehen, der das Veröffentlichungsinteresse überwiegen kann, etwa wenn die Veröffentlichung von Abbildungen eine erhebliche Belästigung oder eine Gefährdung ihrer Sicherheit durch Übergriffe Dritter bewirken kann. Dabei kann auch eine Mitwirkung in anderen Verfahren, aus denen sich solche Umstände für Verfahrensbeteiligte ergeben, von Bedeutung sein (vgl. BVerfGE 119, 309 <324>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. April 2009 - 1 BvR 654/09 -, NJW 2009, S. 2117 <2119 f.>).

18

All dies ist in die Bewertung und Begründung der sitzungspolizeilichen Anordnung durch den Vorsitzenden nachvollziehbar einzustellen.

19

3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen Ziff. 8 Satz 2 wendet, wonach die Benutzung von Aufnahmegeräten, Mobiltelefonen und Laptops während der Verhandlung nicht gestattet ist, ist die Verfassungsbeschwerde demgegenüber offensichtlich unbegründet. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt insoweit nicht in Betracht.

20

Der Verfügung fehlt es diesbezüglich nicht an einer Begründung. Denn ihrer bedarf es nicht, wenn keine durch das spezifische Verfahren und das Gewicht des konkret in Frage stehenden Persönlichkeitsrechts geprägte Abwägungsentscheidung zu treffen ist sondern eine typisierte Regelung zur allgemeinen Gewährleistung eines geordneten Sitzungsablaufs oder eine Anordnung, für deren Untersagung die Gründe auf der Hand liegen (vgl. BVerfGE 119, 309 <328>). So aber liegt es hier. Ersichtlich könnte bei einer Gestattung der Benutzung von Aufnahmegeräten, Mobiltelefonen und Laptops während der Verhandlung kaum kontrolliert werden, ob entgegen § 169 Satz 2 GVG Aufnahmen angefertigt werden und damit der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt wird. Demgegenüber wird die Pressefreiheit hierdurch nicht in erheblichem Maße beeinträchtigt, da weder der Zugang der Medienorgane zur Gerichtsverhandlung eingeschränkt wird noch die Presseberichterstattung inhaltlich oder sonst substanziell von der Zulassung dieser Geräte abhängt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Dezember 2008 - 1 BvQ 47/08 -, NJW 2009, S. 352 <353>).

21

4. Hinsichtlich Ziff. 10 der Verfügung fehlt es an einem schweren Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG, da diese sich lediglich auf Interviews und interviewähnliche Gespräche im Sitzungssaal selbst beschränkt. Dem steht gegenüber eine naheliegende Beeinträchtigung der Erfordernisse eines fairen Verfahrens sowie einer funktionstüchtigen Rechtspflege, weil entsprechende Ansprachen im Sitzungssaal - zumal bei nicht medienerfahrenen Beteiligten - die Konzentration auf ihre verfahrensmäßigen Aufgaben und Pflichten beeinträchtigen können und es Aufgabe des Vorsitzenden ist, die Rahmenbedingungen für forensisch brauchbare Angaben zu schaffen und zu wahren.

22

5. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Anordnung in Ziff. 4 wendet, dass für eine nicht anonymisierte Abbildung die ausdrückliche Zustimmung der Angeklagten erforderlich ist, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Die Beschwerdeführerin legt nicht substantiiert dar, weshalb das Zustimmungserfordernis einen zusätzlichen Grundrechtseingriff darstellen sollte.

23

6. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.

Tenor

1. Die Ziffern IV. Nr. 2 Satz 2 und Nr. 3 der Anordnung des Vorsitzenden Richters des 7. Strafsenats des Oberlandesgerichts München vom 6. Juni 2016 - 7 St 1/16 - werden bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten, in ihrer Wirksamkeit ausgesetzt.

2. Die Anordnung des Vorsitzenden Richters des 7. Strafsenats des Oberlandesgerichts München vom 15. Juni 2016 - 7 St 1/16 - wird bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten, in ihrer Wirksamkeit ausgesetzt.

3. Der Freistaat Bayern hat den Antragstellerinnen die notwendigen Auslagen im Verfahren der einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe

1

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg. Die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Entscheidung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmende Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; stRspr) führt zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen.

2

1. Im verfassungsgerichtlichen Eilverfahren braucht nicht geklärt zu werden, ob sitzungspolizeiliche Anordnungen, die der Vorsitzende Richter des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszuge trifft, mit Blick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes in grundrechtskonformer Erweiterung des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO fachgerichtlichem Rechtsschutz zugänglich sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 17. April 2015 - 1 BvR 3276/08 -, NJW 2015, S. 2175 <2176>). Jedenfalls war den Antragstellerinnen die vorrangige Inanspruchnahme des Rechtsbehelfs der Beschwerde unter Berücksichtigung der entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzumutbar (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 - StB 10/15, StB 11/15 -, NJW 2015, S. 3671 <3671 f.>).

3

2. Über den Antrag auf einstweilige Anordnung ist nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt zugunsten der Antragstellerinnen aus. Die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich der angegriffenen sitzungspolizeilichen Anordnungen offensichtlich begründet. Die Anordnungen des Vorsitzenden genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, weil der Vorsitzende die für seine Entscheidung maßgebenden Gründe nicht offengelegt und dadurch den Betroffenen nicht zu erkennen gegeben hat, dass in die Abwägung alle dafür erheblichen Umstände eingestellt worden sind (vgl. BVerfGE 119, 309 <327  f.>; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. April 2009 - 1 BvR 654/09 -, NJW 2009, S. 2117 <2118>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 31. Juli 2014 - 1 BvR 1858/14 -, NJW 2014, S. 3013 <3013 f.>). Weder die Anordnung vom 6. Juni 2016 noch die sitzungspolizeiliche Verfügung vom 15. Juni 2016 lassen die für die Entscheidung maßgeblichen Gründe erkennen. Bereits aus diesem Grund war die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen. Dem Vorsitzenden bleibt es unbenommen, neuerlich eine Anordnung zu erlassen, in der die maßgebenden Gründe offengelegt werden.

4

3. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.

(1) Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden.

(2) An der Verhandlung beteiligte Personen dürfen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen. Der Vorsitzende kann Ausnahmen gestatten, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden.

(2) An der Verhandlung beteiligte Personen dürfen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen. Der Vorsitzende kann Ausnahmen gestatten, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Der mit einer Verfassungsbeschwerde verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wendet sich gegen eine sitzungspolizeiliche Anordnung zur Beschränkung der Presseberichterstattung über ein Strafverfahren sowie die nachgehende Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts.

2

1. In einem Strafverfahren im Zusammenhang mit der Insolvenz einer Drogeriemarktkette ordnete der Vorsitzende Richter der 11. Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts mit angegriffener sitzungspolizeilicher Verfügung vom 18. Januar 2017 auszugsweise Folgendes an:

4. Ton-, Bild- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal sind - mit Ausnahme der nachfolgend unter Nr. 5. getroffenen Bestimmungen - nicht gestattet; der Ton-, Bild- oder Filmaufnahme dienende Ge-genstände dürfen nicht mitgeführt werden.

5. Jeweils 10 Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung am ersten Sitzungstag (06. März 2017) und vor Beginn der Urteilsverkündung werden Ton-, Bild- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal mit folgenden Maßgaben gestattet: (…)

f) Von den Mitgliedern der 11. Strafkammer dürfen in einer Gesamtansicht Film- oder Bildaufnahmen bei deren Einzug in den Sitzungssaal bis zum Beginn der Hauptverhandlung gefertigt werden. Großaufnahmen von Einzelpersonen oder -gesichtern sind nicht zulässig. Dies gilt entsprechend auch für Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und andere Justizangehörige.

g) Film- und Bildaufnahmen der Angeklagten dürfen nur in anonymisiertem Zustand (etwa "verpixelt") veröffentlicht werden, es sei denn, sie sind mit der Veröffentlichung ihres Bildnisses einverstanden oder es handelt sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§§ 22, 23 KUrhG). Die Prüfung der Voraussetzungen einer identifizierenden Bildberichterstattung nach dem vom Bundesgerichtshof (beginnend mit BGHZ 71, 275 ff.) entwickelten "abgestuften Schutzkonzept", obliegt den veröffentlichenden Medien bzw. Personen. Gleiches gilt auch für Zeugen.

h) Film- oder Bildaufnahmen sind nach Aufforderung des Vorsitzenden oder der von ihm beauftragten Personen (Pressesprecher, Justizwachtmeister) sofort einzustellen, die Geräte abzuschalten und aus dem Sitzungssaal zu entfernen. (…)

6. Die Genehmigung von Ton-, Bild- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal vor anderen Verhandlungstagen oder in Sitzungspausen werden auf Antrag vom Vorsitzenden jeweils geprüft.

3

2. Anträge der Beschwerdeführerin auf Gestattung der Anfertigung von Bildaufnahmen an den Sitzungstagen am 20. März, 25. April und 2. Mai 2017 unter Verweis auf die unter Ziffer 6 der angegriffenen Verfügung angeordnete Öffnungsklausel wurden am 16. März, 24. April und 26. April 2017 abgelehnt. Zur Begründung verwies der Vorsitzende vor allem auf das Interesse der Angeklagten sowie der Zeugen an einer "stressfreien Teilnahme" an den Terminen, welches das Interesse der Presse daran, nochmals gleichartige Aufnahmen anzufertigen, überwiege. Mit Verfügung vom 18. Mai 2017 machte der Vorsitzende sodann von der Öffnungsklausel nach Ziffer 6 Gebrauch und ließ Ton-, Bild- und Filmaufnahmen 10 Minuten vor Beginn der Verhandlung am 17. Juli 2017 für näher bezeichnete akkreditierte Fernsehteams, Agentur- und weitere Fotografen zu, da an dem betreffenden Sitzungstag der Insolvenzverwalter des Unternehmens vernommen werden sollte.

4

3. Der Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen die sitzungspolizeiliche Verfügung vom 18. Januar 2017, in der insbesondere deren mangelnde Begründung geltend gemacht wurde, half der Vorsitzende Richter nicht ab. Die in der Beschwerde angesprochene Ablehnung weiterer Aufnahmen beruhe jeweils auf einer Abwägung der Interessen der Beteiligten und insbesondere der Zeugen mit den Interessen der Medienunternehmen. Dabei habe der Vorsitzende Richter berücksichtigt, dass die bisher vernommenen Zeugen weiterhin in anderen Firmen berufstätig seien und kein Interesse daran hätten, über ihr Bild in den Medien mit der Insolvenz der Drogeriemarktkette und insbesondere möglichem eigenen Fehlverhalten in Verbindung gebracht zu werden. Fast alle bislang vernommenen Zeugen besäßen ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO, und einige hätten hiervon - zum Teil auch als ehemals Mitbeschuldigte - im Ermittlungsverfahren Gebrauch gemacht und vor der Hauptverhandlung nicht ausgesagt. Bislang hätten dagegen während der Hauptverhandlung alle erschienenen Zeugen Angaben gemacht. Weil das Gericht diese Zeugen jedoch zu keiner Aussage zwingen könne, halte der Vorsitzende Richter es im Interesse der Aufklärung des Sachverhalts für geboten, auf die Interessen der Zeugen einzugehen und ihre Vernehmung so zu gestalten, dass sie nicht durch den befürchteten "Medienrummel" und eine Prangerwirkung durch Bildaufnahmen eingeschüchtert werden und deshalb keine Angaben machen oder über Zeugenbeistände vorab mitteilen, dass sie nicht aussagen und daher auch nicht erscheinen wollen, somit auch den Interessen der Öffentlichkeit nicht gedient wäre. Zwei in der Schweiz wohnhafte Zeugen hätten über ihren Anwalt mitgeteilt, dass sie unter anderem wegen des zu erwartenden Medienrummels nicht bereit seien, in Deutschland auszusagen, und auch zur Teilnahme an einer Videovernehmung nicht bereit seien. Sie seien daher nicht zu den geplanten Terminen in Stuttgart erschienen und müssten nun aufwendig im Rechtshilfeweg vernommen werden. Dies verzögere das Verfahren und zeige, dass sich die Gefahr eines Medienrummels bereits in einer Beschränkung der unmittelbaren Wahrheitsfindung realisiert habe.

5

Auch den Angeklagten könne - bei weitestgehend unveränderter Sachlage und Aussehen - kaum zugemutet werden, dass sie jeweils vor den Verhandlungen als Objekte der Berichterstattung zum Zwecke der Auflagensteigerung von Medienunternehmen benutzt werden. Dies gelte insbesondere für die bis vor kurzem mitangeklagten Wirtschaftsprüfer, die keine Personen der Zeitgeschichte seien. Aber auch der 72 Jahre alte angeklagte Unternehmer, dessen 69 Jahre alte Ehefrau und deren Kinder, die sich früher - wohl auch wegen der Entführung der beiden jüngeren Angeklagten - konsequent aus der Öffentlichkeit fern gehalten hätten, verdienten eine angemessene Rücksichtnahme.

6

4. Mit ebenfalls angefochtenem Beschluss verwarf das Oberlandesgericht die Beschwerde als unbegründet, soweit sie sich gegen das Film- und Fotografierverbot in der sitzungspolizeilichen Anordnung vom 18. Januar 2017 richtete.

7

Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin handele es sich vorliegend gerade nicht um ein generelles Verbot, außer am ersten Verhandlungstag und am Tag der Urteilsverkündung Bildaufnahmen von Verfahrensbeteiligten im Sitzungssaal anzufertigen. Denn durch die in Ziffer 6 enthaltene Öffnungsklausel entscheide der Vorsitzende für die über 25 Verhandlungstage und sieben Monate terminierte, langandauernde Hauptverhandlung auf Antrag der Medienvertreter jeweils im konkreten Einzelfall, ob für den jeweiligen Sitzungstag vor Sitzungsbeginn oder in den Sitzungspausen Ton-, Bild- und Filmaufnahmen genehmigt werden. Die Anordnung verkehre auch nicht das von der Beschwerdeführerin angeführte Regel-Ausnahme-Verhältnis in sein Gegenteil. Nach den aktenkundigen Planungen der Strafkammer seien mit wenigen Ausnahmen an den bisherigen Verhandlungstagen eine Vielzahl auskunftsverweigerungsberechtigter Zeugen vorgesehen gewesen. Bei einem solchen Sachverhalt seien keine Ermessensfehler erkennbar, sofern, wie im vorliegenden Fall geschehen, die Anordnung eine Öffnungsklausel vorsehe, die es dem Vorsitzenden ermögliche, zu einem späteren Zeitpunkt die tagesgenaue Planung im Rahmen einer erneuten Ermessensausübung zu berücksichtigen. Dieses Vorgehen diene gerade dazu, die Pressefreiheit durch möglichst geringe Eingriffe im Rahmen einer aktuellen Ermessensausübung zu schützen. Dass es sich bei Ziffer 6 der sitzungspolizeilichen Anordnung nicht nur um eine bloße "Leerklausel" handele, sondern diese auch im vorliegenden Verfahren zum Einsatz komme, zeige die am 18. Mai 2017 getroffene Verfügung.

8

Es liege auch insoweit kein Ermessensfehler vor, als die Beschwerdeführerin geltend mache, dass es ausgereicht hätte, das Bildnis der Zeugen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verpixeln. Im vorliegenden Fall habe der Vorsitzende befürchten müssen, dass die Zeugen, die im Ermittlungsverfahren von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatten, aufgrund der Medienpräsenz überhaupt nicht mehr kommen würden und daher die Wahrheits- und Rechtsfindung erheblich eingeschränkt worden wäre. Die Zusage, die Medienunternehmen müssten die Bilder der Zeugen bei der Veröffentlichung anonymisieren, hätte an dieser Gefahr nichts geändert, zumal das Gericht auf die Art der Veröffentlichung keinen direkten Einfluss habe. Dass es sich hierbei nicht um eine abwegige Vermutung handele, sondern Zeugen tatsächlich auch mit dieser Begründung nicht vor Gericht erschienen sind, zeige sich an dem Beispiel zweier Zeugen aus der Schweiz.

9

5. Mit der am 3. August 2017 eingegangenen Verfassungsbeschwerde verbunden mit einem Eilantrag rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sowie eine Verletzung des Willkürverbots nach Art. 3 Abs. 1 GG. Die angegriffene Anordnung des Vorsitzenden beschränke die von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfasste Freiheit der Bildberichterstattung, die auch ein Recht der Medien auf bildliche Dokumentationen des Geschehens in öffentlichen Gerichtsverhandlungen zumindest außerhalb der Hauptverhandlung umfasse, in nicht gerechtfertigter Weise. Es mangele schon an einer verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Begründung der angegriffenen Anordnung, denn auch die in der Nichtabhilfeentscheidung "nachgeschobene" Begründung weise keine auf den konkreten Einzelfall bezogene Begründung auf, die die durch den Vorsitzenden Richter vorgenommene Einzelfallprüfung nachvollziehbar werden lasse, und gehe auf das öffentliche Informationsinteresse in Bezug auf das Strafverfahren und die diesem zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände nicht ein. Das öffentliche Informationsinteresse sei wegen der Schwere der angeklagten Taten, der öffentlichen Aufmerksamkeit sowie der politischen Relevanz besonders hoch einzuschätzen. Mehrere Tausend Arbeitsplätze seien infolge der kriminellen Handlungen der Angeklagten, die zu einer der größten Insolvenzen der Nachkriegsgeschichte geführt hätten, verloren gegangen. Ferner habe der Vorsitzende aus Verhältnismäßigkeitsgründen zunächst eine Anonymisierungsanordnung ("Verpixelung") in Betracht ziehen müssen und gebe ein mit der Stellung der Presse in einer demokratischen Gesellschaft unvereinbares Grundverständnis zu erkennen, wenn er hinsichtlich der Handhabung der Öffnungsklausel nach Ziffer 6 der angegriffenen Anordnung mitteile, dass er in allen zukünftigen Strafverfahren zunächst sämtlichen Beteiligten zu entsprechenden Anträgen auf Bildberichterstattung rechtliches Gehör einräumen werde und kurzfristige Anfragen dann nicht mehr bearbeiten werde können.

II.

10

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet.

11

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.>; stRspr). Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; stRspr).

12

2. Die vorliegend bereits erhobene Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die danach gebotene Folgenabwägung fällt jedoch zuungunsten der Beschwerdeführerin aus.

13

a) Anordnungen des Vorsitzenden nach § 176 GVG, mit denen die Anfertigung von Bildaufnahmen vom Geschehen im Sitzungssaal am Rande der Hauptverhandlung untersagt oder Beschränkungen unterworfen wird, stellen Eingriffe in den Schutzbereich der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. BVerfGE 91, 125 <134 f.>; 119, 309 <320 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 9. September 2016 - 1 BvR 2022/16 -, juris, Rn. 3). Diese umfasst die bildliche Dokumentation des Erscheinens und der Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten im Sitzungssaal (vgl. BVerfGK 10, 435 <438>). Beim Erlass solcher Anordnungen hat der Vorsitzende der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. BVerfGE 91, 125 <138 f.>; 119, 309 <321>). Bei der Ermessensausübung sind einerseits die Pressefreiheit und andererseits der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten, namentlich der Angeklagten und der Zeugen, aber auch der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung zu beachten (vgl. BVerfGE 103, 44 <64>; 119, 309 <322>).

14

b) Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, wären Bildaufnahmen der Verfahrensbeteiligten im Umkreis des Strafverfahrens gefertigt und verbreitet worden, auf die weder die Beschwerdeführerin noch die Öffentlichkeit Anspruch hatten. Erginge die einstweilige Anordnung dagegen nicht, erwiese sich aber die Verfassungsbeschwerde als begründet, so wäre die Pressebildberichterstattung über das Strafverfahren nur in begrenzterem Umfang möglich gewesen als von der Pressefreiheit verbürgt. Die hieraus nach dem bisherigen Sachstand zu erwartenden Nachteile für die Pressefreiheit wiegen indes nicht so schwer, als dass schon im Verfahren des Eilrechtsschutzes weitergehende Möglichkeiten der Bildberichterstattung durch die Beschwerdeführerin angeordnet werden müssten.

15

Zwar besteht aufgrund der öffentlichen Aufmerksamkeit der hier in Rede stehenden Straftaten ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem in Rede stehenden Strafverfahren (vgl. BVerfGE 35, 202 <230 f.>; 119, 309 <321 f.>), und begründen Einschränkungen der Berichterstattung insofern grundsätzlich einen gewichtigen Nachteil für die Pressefreiheit im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG. Bildaufnahmen der Verfahrensbeteiligten werden durch Ziffer 5 Satz 1 in Verbindung mit Ziffer 6 der angegriffenen Anordnung jedoch nicht vollständig verboten. Namentlich an den regelmäßig besondere öffentliche und mediale Aufmerksamkeit genießenden Terminen eines Strafverfahrens, dem Beginn der Hauptverhandlung und der Urteilsverkündung, sind Ton-, Bild- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal nach der angegriffenen Anordnung gestattet, auf die im Rahmen der weiteren Berichterstattung auch zurückgegriffen werden kann.

16

Darüber hinaus können nach Ziffer 6 der angegriffenen Anordnung Ton-, Bild- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal vor anderen Verhandlungstagen oder in Sitzungspausen auf Antrag vom Vorsitzenden genehmigt werden. Von dieser Möglichkeit hat der Vorsitzende mit Verfügung vom 18. Mai 2017 Gebrauch gemacht und weitere Bildaufnahmen zugelassen. Nach der Begründung der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts beruht die Versagung weitergehender Bildberichterstattung auf der Planung des Verhandlungsverlaufs und deren zunächst im Vordergrund stehenden Fokus, aussageverweigerungsberechtigte Zeugen zu einer Aussage zu bewegen, und hat somit nur vorläufigen Charakter. Dieser soll es ermöglichen, in Abhängigkeit des weiteren Verlaufs der Verhandlung eine Abwägung der widerstreitenden Interessen tagesgenau vorzunehmen. Von daher ist zu erwarten, dass der Vorsitzende über entsprechende Anträge auf Zulassung von Ton-, Bild- und Filmaufnahmen auch zukünftig so zeitnah entscheidet, dass der verfassungsrechtliche Schutz der Pressefreiheit nicht leerläuft, und die tatsächlichen Umstände, die Beschränkungen der Pressefreiheit im Einzelfall erforderlich machen, konkret darlegt und sie damit rechtlich überprüfbar macht. Um den Eingriff in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu rechtfertigen, muss er seine Entscheidung dabei jeweils auf konkrete, auf Gesichtspunkte der Sitzungsleitung bezogene Gründe zum Schutz der Angeklagten und der sonstigen Verfahrensbeteiligten, eines ungestörten Verlaufs der Sitzung oder der Bedingungen für eine ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung stützen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 31. Juli 2014 - 1 BvR 1858/14 -, NJW 2014, S. 3013 <3014>). Die bloße Lästigkeit der Anwesenheit von Presse und Rundfunk als solche und damit notwendig verbundene untergeordnete Auswirkungen auf die Flüssigkeit des Verfahrensablaufs rechtfertigen demgegenüber das Verbot der Erstellung von Bildaufnahmen ebenso wenig wie nicht weiter konkretisierte Auswirkungen eines Medienrummels oder das Bedürfnis der Verfahrensbeteiligten an einer stressfreien Teilnahme an den Verhandlungsterminen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 9. September 2016 - 1 BvR 2022/16 -, juris, Rn. 8).

17

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

1. Die Ziffern 1a), 3., 5., 6., 7. und 8. Satz 1 der sitzungspolizeilichen Anordnung des Vorsitzenden Richters der Großen Strafkammer 1 am Landgericht … vom 3. Juni 2014 im Verfahren 601 Ks 3/14 werden bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten, in ihrer Wirksamkeit ausgesetzt.

2. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

3. Die F. hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe

1

Der mit einer Verfassungsbeschwerde verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wendet sich gegen eine sitzungspolizeiliche Anordnung zur Beschränkung der Presseberichterstattung über ein Strafverfahren.

I.

2

1. Die Beschwerdeführerin ist Verlegerin mehrerer Zeitungen, darunter die bundesweit verbreiteten Tageszeitungen "Bild" und "Die Welt". Am 11. Juni 2014 begann vor der Großen Strafkammer 1 des Landgerichts … die Hauptverhandlung im Strafverfahren wegen eines im Dezember 2013 an inneren Verletzungen verstorbenen dreijährigen Mädchens.

3

Angeklagte des Strafverfahrens sind die Eltern des Kindes. Dem Vater wird die Misshandlung von Schutzbefohlenen und Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Die Mutter ist wegen Mordes angeklagt. Erster Verhandlungstag war der 11. Juni 2014. Insgesamt sind bis Ende September 22 Verhandlungstermine angesetzt. Der Prozess war und ist Gegenstand umfangreicher Berichterstattung in den regionalen und überregionalen Medien und beschäftigte die Öffentlichkeit so nachhaltig, dass schließlich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Aufklärung von möglichen Fehlern in den zuständigen Behörden und Trägern eingesetzt wurde, der die Vernachlässigung der Kindeswohlsicherung durch staatliche Stellen aufklären und Empfehlungen zur Verbesserung des Kindesschutzes ausarbeiten sollte. Die Tätigkeit dieses Untersuchungsausschusses war ebenfalls Gegenstand einer umfassenden Medienberichterstattung.

4

2. Am 3. Juni 2014 erließ der Vorsitzende der Großen Strafkammer 1 des Landgerichts … die Medienverfügung, die die Beschwerdeführerin am selben Tag erreichte. Die Anordnung hat folgenden Wortlaut:

In dem Verfahren gegen die Eltern des im Dezember 2013 verstorbenen Kindes … hat der Vorsitzende folgende Anordnung gemäß § 176 GVG getroffen:

1. Ton-, Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal werden nach Maßgabe der nachstehend beschriebenen "Poollösung" gestattet.

a) Sofern bei den Medien der Wunsch besteht, werden an den Sitzungstagen jeweils unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung und nur in Anwesenheit des Gerichts Foto- und Fernsehaufnahmen im Verhandlungssaal gestattet und zwar im Rahmen der sogenannten Poollösung unter der Bedingung, dass die Aufnahmen nicht zu einer Störung des Sitzungsbetriebes führen.

b) Als Poolführer werden je ein Kamerateam (jeweils bestehend aus höchstens 3 Personen) der öffentlich rechtlichen Anstalten und der privaten Fernsehsender sowie ein Fotograf der Nachrichtenagenturen, ein Fotograf der Bildagenturen und ein weiterer Fotograf zugelassen, sofern sie sich jeweils für ihren Bereich gegenüber der Gerichtspressestelle des … Oberlandesgerichts schriftlich bis spätestens 14 Uhr des den Sitzungstagen vorangehenden Werktags verpflichtet haben, ihr gesamtes Filmmaterial konkurrierenden Berichterstattern unverzüglich und kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Poolführer kann nur sein, wer über die technischen Voraussetzungen verfügt.

c) Die Bestimmung der Poolführer bleibt einer Einigung der interessierten Presseorgane überlassen.

2. Die Aufnahmen sind auf ein entsprechendes Zeichen des Vorsitzenden sofort einzustellen.

3. Film und Fotoaufnahmen im Vorraum zum Sitzungssaal (beim Saal 237 der gesamte Bereich hinter der Stahltür) und im Umkreis von 5 m zum Eingang des Sitzungssaals sind nicht gestattet.

4. Die Aufnahmen sowie Zeichnungen der beiden Angeklagten sind zu anonymisieren, es sei denn, diese erklären ausdrücklich ihre Zustimmung zu einer abweichenden Vorgehensweise.

5. Nahaufnahmen (Porträtaufnahmen) des Gerichts sind nicht zulässig.

6. Nahaufnahmen (Porträtaufnahmen) der Verteidigerin / des Verteidigers und des Sitzungsvertreters / der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft sind nur zulässig, wenn diese ihre Zustimmung erklären.

7. Von Zeugen und Sachverständigen dürfen ohne ihre Zustimmung keine Aufnahmen angefertigt werden.

8. Darüber hinaus sind Foto-, Film- und Tonbandaufnahmen im Sitzungssaal nicht gestattet. Aufnahmegeräte, Mobiltelefone und Laptops sind während der Verhandlung auszustellen.

9. Die vorstehenden Regelungen befreien die Medienvertreter nicht von der ihnen obliegenden Verpflichtung zu prüfen und zu gewährleisten, dass sie mit ihrer Berichterstattung nicht die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzen.

10. Es wird untersagt, im Sitzungssaal mit den Verfahrensbeteiligten Interviews oder interviewähnliche Gespräche zu führen.

11. Den Anweisungen der Wachtmeister ist Folge zu leisten.

12. Bei Unklarheiten oder Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung oder Anwendung dieser Verfügung ist die Entscheidung des Vorsitzenden oder seiner Vertreterin einzuholen.

13. Medienberichterstatter erhalten gegen Vorlage eines gültigen Presse- und Identitätsausweises Zutritt zu dem ihnen zugewiesenen Bereich im Zuschauerraum, sofern dort auf den der Presse zugewiesenen Plätzen noch Sitzgelegenheiten bestehen. Es stehen in Saal 237 für Berichterstatter 15 Plätze zur Verfügung, die nach dem zeitlichen Erscheinen am Sitzungstage verteilt werden. Für Berichterstatter, die den Saal verlassen, werden keine Plätze freigehalten.

5

In seiner Stellungnahme auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts begründet der Vorsitzende die Verfügung wie folgt:

6

Wegen des großen Medieninteresses habe er die von der Rechtsprechung anerkannte und gebilligte Poollösung gewählt. Im Übrigen sei die angegriffene Anordnung das Ergebnis einer von ihm getroffenen Güterabwägung unter Berücksichtigung des hohen Stellenwerts der in Art. 5 GG garantierten Pressefreiheit, der schutzwürdigen Interessen und Persönlichkeitsrechte der beiden Angeklagten und aller weiteren Verfahrensbeteiligten sowie der Pflicht zur Gewährleistung eines geordneten und sachorientierten Sitzungsverlaufs. Diese Güterabwägung wird nicht weiter erläutert.

7

2. Die Beschwerdeführerin, der die Gründe der angegriffenen Entscheidungen nach ihrem Vortrag nicht bekannt waren, wendet sich gegen Ziff. 1 a), 3. bis 8., 10. der sitzungspolizeilichen Anordnung sowie Ziff. 4, soweit für eine nicht anonymisierte Abbildung die ausdrückliche Zustimmung der Angeklagten notwendig ist und beantragt ihre Aussetzung. Die Anonymisierung von Aufnahmen der Angeklagten greift die Beschwerdeführerin explizit nicht an. Die angegriffenen Punkte der Verfügung bewirkten bereits einzeln, erst recht jedoch in ihrer Kumulation eine schwerwiegende Einschränkung ihres Rechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

II.

8

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und überwiegend begründet.

9

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.>; stRspr). Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; stRspr). Im Eilrechtsschutzverfahren sind die erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu berücksichtigen, wenn absehbar ist, dass über eine Verfassungsbeschwerde nicht rechtzeitig entschieden werden kann. Ergibt die Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 111, 147 <153>).

10

2. Hinsichtlich der Ziffern 1. a), 3., 5., 6., 7. und 8. Satz 1 der sitzungspolizeilichen Anordnung ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet. Die Verfügung des Vorsitzenden genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, da sie nicht gegenüber den Betroffenen begründet wurde.

11

a) Da Ton- und Bildaufnahmen unmittelbar vor oder nach einer Verhandlung oder in den Sitzungspausen von der Presse- und Rundfunkfreiheit umfasst sind, setzt eine solche Aufnahmen ausschließende oder begrenzende Anordnung im Interesse der Wirksamkeit des materiellen Grundrechtsschutzes voraus, dass der Vorsitzende die für seine Entscheidung maßgebenden Gründe offenlegt und dadurch für die Betroffenen erkennen lässt, dass in die Abwägung alle dafür erheblichen Umstände eingestellt worden sind (vgl. BVerfGE 119, 309 <327 f.>; vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. April 2009 - 1 BvR 654/09 -, NJW 2009, S. 2117 <2118>). Der Vorsitzende hat der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. BVerfGE 91, 125 <138 f.>; 119, 309 <321>). Bei der Ermessensausübung sind einerseits die Pressefreiheit und andererseits der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten, namentlich der Angeklagten und der Zeugen, aber auch der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung zu beachten (vgl. BVerfGE 103, 44 <64>; 119, 309 <322>). Der Vorsitzende muss die tatsächlichen Umstände, die Beschränkungen der Pressefreiheit erforderlich machen, konkret darlegen, wenn diese nicht auf der Hand liegen und sich für einen verständigen Prozessbeteiligten von selbst verstehen.

12

Diesen Maßstäben wird die angegriffene Anordnung hinsichtlich der Ziffern 1. a), 3., 5., 6., 7. und 8. Satz 1 der Verfügung nicht gerecht. Die später übersendete Stellungnahme konnte diesen Mangel nicht heilen. Der Anordnung fehlt es an einer sachhaltigen Begründung. Zwar erläutert der Vorsitzende in seiner Stellungnahme, weshalb die Poollösung gewählt wurde. Im Übrigen beschränken sich die Erläuterungen aber formelhaft auf die nicht weiter nachvollziehbare Behauptung, dass die angegriffene Anordnung das Ergebnis einer Güterabwägung unter Berücksichtigung des hohen Stellenwertes der in Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Pressefreiheit, der schutzwürdigen Interessen und Persönlichkeitsrechte der beiden Angeklagten und aller weiteren Verfahrensbeteiligten sowie der Pflicht zur Gewährleistung eines geordneten und sachorientierten Sitzungsverlaufs sei. Da hierin keine tragfähige Begründung liegt, ist die sitzungspolizeiliche Anordnung hinsichtlich der Ziffern 1. a), 3., 5., 6., 7. und 8. Satz 1 auszusetzen.

13

b) Der Vorsitzende Richter wird zu prüfen haben, ob er eine neue Anordnung erlässt und unter welchen Gesichtspunkten er hierbei einen Ausgleich im Wege praktischer Konkordanz herbeiführt. Im Rahmen seiner Sitzungsleitung hat er diese Entscheidung selbst zu treffen und kann diese nicht der Pressestelle überlassen. Er hat hierbei die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu beachten (vgl. BVerfGE 91, 125 <133 ff.>; 103, 44 <63 ff.>; 119, 309 <328 ff.>; BVerfGK 10, 435 <438 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. April 2009 - 1 BvR 654/09 -, NJW 2009, S. 2117; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. November 2008 - 1 BvQ 46/08 -, NJW 2009, S. 350).

14

Es ist insoweit auf Folgendes hinzuweisen:

15

Da Anordnungen des Vorsitzenden nach § 176 GVG, mit denen die Anfertigung von Bild- und Fernsehaufnahmen vom Geschehen im Sitzungssaal am Rande der Hauptverhandlung Beschränkungen unterworfen wird, Eingriffe in den Schutzbereich der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG darstellen (vgl. BVerfGE 91, 125 <134 f.>; 119, 309 <320 f.>), bedarf es konkreter, auf Gesichtspunkte der Sitzungsleitung bezogener Gründe zum Schutz des Angeklagten und der sonstigen Verfahrensbeteiligten, eines ungestörten Verlaufs der Sitzung oder der Bedingungen für eine ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung. Eines der wesentlichen Ziele der Hauptverhandlung, wahrheitsgemäße und vollständige, forensisch brauchbare Angaben aller Aussagepersonen zu erlangen, setzt Rahmenbedingungen voraus, die Hemmungen und Aufgeregtheit - gerade beim im Umgang mit Medien nicht erfahrenen Personen - vermeiden helfen (vgl. BVerfGE 119, 309 <325>).

16

Auch für die Frage der Ablichtung von Zeugen und Sachverständigen ist eine Abwägung vorzunehmen. Hier gelten die für den Angeklagten entwickelten Grundsätze entsprechend (vgl. BVerfGE 119, 309 <322>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. November 2008 - 1 BvQ 46/08 -, NJW 2009, S. 350 <351>). Freilich wird aus der vorgelegten bisherigen Presseberichterstattung über das Verfahren deutlich, dass die Zeugen des Verfahrens jedenfalls großenteils unter besonderem öffentlichen Druck stehen und ihnen in der Presse zum Teil eine Mitschuld am Tod des Opfers der angeklagten Tat zugewiesen wurde. Es ist insofern naheliegend, dass bei einer Abbildung dieser Zeugen eine erhebliche Belästigung oder Gefährdung ihrer Sicherheit durch Übergriffe Dritter zu befürchten ist, und ihr Schutz vor ungewollten Abbildungen auch einem sachlichen, die Wahrheitsfindung fördernden Verfahrensverlauf dienen kann (vgl. BVerfGE 119, 309 <324>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. April 2009 - 1 BvR 654/09 -, NJW 2009, S. 2117 <2119 f.>). Etwas anderes kann allerdings für Zeugen oder Sachverständige gelten, die sich, wie hier die Beschwerdeführerin geltend macht, mit ihren Äußerungen zuvor freiwillig in die Öffentlichkeit begeben haben.

17

Es ist weiter zu beachten, dass Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidiger als Organe der Rechtspflege kraft der ihnen obliegenden Aufgaben anlässlich ihrer Teilnahme an einer öffentlichen Gerichtsverhandlung im Blickfeld der Öffentlichkeit und der Medien stehen und deshalb nicht in gleichem Ausmaße einen Anspruch auf Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte haben wie eine von dem Verfahren betroffene Privatperson (vgl. BVerfGE 119, 309 <323 f.>). Auch ihnen kann aber ein Anspruch auf Schutz zustehen, der das Veröffentlichungsinteresse überwiegen kann, etwa wenn die Veröffentlichung von Abbildungen eine erhebliche Belästigung oder eine Gefährdung ihrer Sicherheit durch Übergriffe Dritter bewirken kann. Dabei kann auch eine Mitwirkung in anderen Verfahren, aus denen sich solche Umstände für Verfahrensbeteiligte ergeben, von Bedeutung sein (vgl. BVerfGE 119, 309 <324>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. April 2009 - 1 BvR 654/09 -, NJW 2009, S. 2117 <2119 f.>).

18

All dies ist in die Bewertung und Begründung der sitzungspolizeilichen Anordnung durch den Vorsitzenden nachvollziehbar einzustellen.

19

3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen Ziff. 8 Satz 2 wendet, wonach die Benutzung von Aufnahmegeräten, Mobiltelefonen und Laptops während der Verhandlung nicht gestattet ist, ist die Verfassungsbeschwerde demgegenüber offensichtlich unbegründet. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt insoweit nicht in Betracht.

20

Der Verfügung fehlt es diesbezüglich nicht an einer Begründung. Denn ihrer bedarf es nicht, wenn keine durch das spezifische Verfahren und das Gewicht des konkret in Frage stehenden Persönlichkeitsrechts geprägte Abwägungsentscheidung zu treffen ist sondern eine typisierte Regelung zur allgemeinen Gewährleistung eines geordneten Sitzungsablaufs oder eine Anordnung, für deren Untersagung die Gründe auf der Hand liegen (vgl. BVerfGE 119, 309 <328>). So aber liegt es hier. Ersichtlich könnte bei einer Gestattung der Benutzung von Aufnahmegeräten, Mobiltelefonen und Laptops während der Verhandlung kaum kontrolliert werden, ob entgegen § 169 Satz 2 GVG Aufnahmen angefertigt werden und damit der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt wird. Demgegenüber wird die Pressefreiheit hierdurch nicht in erheblichem Maße beeinträchtigt, da weder der Zugang der Medienorgane zur Gerichtsverhandlung eingeschränkt wird noch die Presseberichterstattung inhaltlich oder sonst substanziell von der Zulassung dieser Geräte abhängt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Dezember 2008 - 1 BvQ 47/08 -, NJW 2009, S. 352 <353>).

21

4. Hinsichtlich Ziff. 10 der Verfügung fehlt es an einem schweren Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG, da diese sich lediglich auf Interviews und interviewähnliche Gespräche im Sitzungssaal selbst beschränkt. Dem steht gegenüber eine naheliegende Beeinträchtigung der Erfordernisse eines fairen Verfahrens sowie einer funktionstüchtigen Rechtspflege, weil entsprechende Ansprachen im Sitzungssaal - zumal bei nicht medienerfahrenen Beteiligten - die Konzentration auf ihre verfahrensmäßigen Aufgaben und Pflichten beeinträchtigen können und es Aufgabe des Vorsitzenden ist, die Rahmenbedingungen für forensisch brauchbare Angaben zu schaffen und zu wahren.

22

5. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Anordnung in Ziff. 4 wendet, dass für eine nicht anonymisierte Abbildung die ausdrückliche Zustimmung der Angeklagten erforderlich ist, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Die Beschwerdeführerin legt nicht substantiiert dar, weshalb das Zustimmungserfordernis einen zusätzlichen Grundrechtseingriff darstellen sollte.

23

6. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.

(1) Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden.

(2) An der Verhandlung beteiligte Personen dürfen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen. Der Vorsitzende kann Ausnahmen gestatten, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist.

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin werden die unter Ziffer I. Nr. 1b und unter Ziffer II Nr. 8 Satz 2 und Nr. 9 der Verfügung der Vorsitzenden der 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart vom 4. August 2016 ergangenen Anordnung

a u f g e h o b e n.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin trägt die Staatskasse.

Gründe

 
I.
Die Beschwerdeführerin, ein Medienunternehmen, das auch Printmedien herausgibt, wendet sich gegen einzelne Anordnungen der Vorsitzenden der 1. großen Strafkammer in einer Schwurgerichtssache, soweit diese insbesondere zu einem umfassenden Verbot des Fotografierens im Sitzungssaal im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung führen.
a) Vor der genannten Schwurgerichtskammer ist ein Verfahren gegen den o.g. Angeklagten wegen Mordes und wegen gefährlicher Körperverletzung anhängig. Dem Angeklagten wird dabei vorgeworfen, er habe am 9. März 2016 in Stuttgart heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen die Mutter seiner Verlobten in deren Wohnung mit einem Küchenmesser erstochen und seine schwangere Verlobte mit dem gleichen Messer lebensgefährlich verletzt.
Die Hauptverhandlung in dieser Sache hat bislang am 8., 9. und 21. September stattgefunden. Weitere sechs Hauptverhandlungstermine sind ab dem 12. Oktober 2016 bis zum 15. November 2016 vorgesehen.
b) Am 4. August 2016 ordnete die Vorsitzende der Schwurgerichtskammer unter Ziffer I. Nr. 1b und unter Ziffer II Nr. 8 Satz 2 und Nr. 9 einer Verfügung zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptverhandlung gem. § 176 GVG als Sicherungsmaßnahmen an,
I. 1. Den Sitzungssaal darf nicht betreten, wer….
b) mobile Telefonapparate, Funkgeräte, Notebooks, Kameras aller Art oder Tonaufnahmegeräte aller Art mit sich führt.
II. 8. …Sofern sie (Anmerkung: gemeint sind die Pressevertreter) glaubhaft versichern, keine unter Ziff. I dieser Verfügung fallenden Gegenstände mit sich zu führen, können die Kontrollen auf den äußeren Augenschein beschränkt werden.
9. Ton- und Bildaufnahmen dürfen im Sitzungssaal nicht gemacht werden.
Eine Begründung enthielt diese Verfügung nicht.
10 
c) Mit Beschwerde vom 7. September 2016 wendet sich die Beschwerdeführerin gegen diese, ihr am 2. September 2016 bekannt gewordenen Anordnungen. Sie gibt an, sie beabsichtige, über das Verfahren, das schon wegen seines Gegenstandes zur Zeitgeschichte gehöre, zu berichten. Die Verhaftung des Angeklagten habe bereits große öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Das Tötungsdelikt sei Gegenstand umfangreicher Medienberichte gewesen.
11 
Die genannten Anordnungen der Vorsitzenden vom 4. August 2016 verletzten sie bei der beabsichtigten Berichterstattung in ihrem Recht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (Pressefreiheit), da sie ihr (auch) untersage, im Gerichtssaal am Rande der Hauptverhandlung Fotografien von Prozessbeteiligten zur späteren Veröffentlichung zu fertigen. Die Anordnung und die damit untersagte Möglichkeit zur Fertigung von Fotos beschwere sie dabei über die Dauer der Hauptverhandlung hinaus, da sie auch künftig Fotos nicht veröffentlichen oder archivieren könne. Auch sei zu besorgen, dass derartige beschwerende und rechtswidrige Verfügungen von anderen Vorsitzenden künftig ebenfalls getroffen würden.
12 
d) Die Vorsitzende der Schwurgerichtskammer half dieser Beschwerde mit Verfügung vom 12. September 2016 nicht ab. Die Nichtabhilfe begründete sie damit, das vorliegende Strafverfahren sei kein zeitgeschichtliches Ereignis, die aufzuklärende Tat sei nämlich ganz überwiegend von regionalem bzw. lokalem Interesse. Eine uneingeschränkte Möglichkeit, außerhalb der Hauptverhandlung im Sitzungssaal von allen Prozessbeteiligten Ton- und Bildaufnahmen zu fertigen, sei in Bezug auf das angeklagte Tatgeschehen unverhältnismäßig.
13 
Aber auch eine eingeschränkte Aufnahmemöglichkeit verbiete sich. Zum einen gebiete eine aus anderer Sache resultierende, aber akute und ernstzunehmende Bedrohungslage gegen Kammermitglieder, dass Mitglieder der 1. Schwurgerichtskammer so wenig wie möglich mit Bild in den Medien und im Internet präsent seien. Zum anderen habe sie keine Befugnis, andere Beteiligte zu verpflichten, sich aufnehmen zu lassen. Wer dies wolle, könne sich schließlich außerhalb des Sitzungssaals aufnehmen lassen. Auflagen bei der Verbreitung von Aufnahmen versprächen mangels Kontrollmöglichkeit keinen Erfolg.
14 
Was die Geschädigte beträfe, zu deren Schutz bereits die Übertragung ihrer - bereits erfolgten - Vernehmung aus einem Nebenraum in den Sitzungssaal angeordnet worden sei, habe die Fertigung und mögliche öffentliche Verbreitung von Aufnahmen von ihr vor ihrer Aussage eine Beeinträchtigung der Qualität der Zeugenaussage besorgen lassen.
15 
Die Beschwerdeführerin, die Generalstaatstaatsanwaltschaft und der Angeklagte hatten Gelegenheit, zur Beschwerde bzw. der Nichtabhilfeentscheidung Stellung zu nehmen. Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Beschwerde für zulässig und begründet.
II.
16 
1. Die Beschwerde ist zulässig. Bei den angefochtenen Anordnungen handelt es sich - soweit sich das Gebot zur Fertigung von Ton - und Bildaufnahmen nicht bereits aus § 169 Satz 2 GVG ergibt - um sitzungspolizeiliche Maßnahme im Sinne des § 176 GVG. Diese sind zumindest bei einer besonderen und hier auch gegebenen Konstellation anfechtbar.
17 
a) Eine ausdrückliche Regelung zur Anfechtung dieser Maßnahmen enthält das Gerichtsverfassungsgesetz nicht. § 181 Abs. 1 GVG sieht lediglich ein befristetes Rechtsmittel gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln nach §§ 178, 180 GVG vor. Der Umkehrschluss, dass alle sonstigen sitzungspolizeilichen Maßnahmen der Beschwerde entzogen sind, ist indes nicht zwingend (BGH, NJW 2015, 3671-3672 m.w.N.). Denn die Regelung des § 181 GVG ist ihrem Wortlaut nach auf die Festsetzung von Ordnungsmitteln beschränkt. Dies schließt nicht aus, dass für die Anfechtung der sonstigen sitzungspolizeilichen Maßnahmen die Rechtsmittelvorschriften der Prozessordnungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit gelten, in denen die Maßnahme angeordnet wurde.
18 
b) Entsprechend dieser Einschätzung haben verschiedene Gerichte - jedenfalls in besonderen Fallkonstellationen - gestützt auf die allgemeine Vorschrift des § 304 Abs. 1 StPO ein Beschwerderecht des Betroffenen anerkannt, allerdings einschränkend nur unter der Voraussetzung, dass der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommtund insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden (vgl. OLG Karlsruhe, NJW 1977, 309; OLG München, NJW 2006, 3079; OLG Stuttgart, NJW 2011, 2899-2901 m.w.N.; Hanseatisches OLG in Bremen, StV 2016, 549).
19 
Ein Verständnis von der grundsätzlichen Anfechtbarkeit sitzungspolizeilicher Verfügungen liegt erkennbar auch der Auffassung in Rechtsprechung und Literatur zugrunde, wonach sitzungspolizeiliche Maßnahmen mit potentiellem Einfluss auf die Urteilsfindung als sachleitende Anordnungen des/der Vorsitzenden im Sinne des § 238 Abs. 2 StPO anzusehen sind, gegen die der Betroffene nach dieser Vorschrift das Gericht anrufen kann und dies auch muss, wenn er sich eine entsprechende Revisionsrüge erhalten will (vgl. BGH, NStZ 2008, 582, LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 238 Rn. 21).
20 
c) Der Senat schließt sich der neueren fachgerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur an, wonach eine Beschwerde gegen eine sitzungspolizeiliche Verfügung gem. § 176 GVG statthaft ist unter der Voraussetzung, dass der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommtund insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.) Auch das Bundesverfassungsgericht neigt nunmehr zu dieser Auffassung (BVerfG, NJW 2015, 2175-2176).
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d) Eine Fallkonstellation, die der Beschwerdeführerin das Beschwerderecht einräumt, ist vorliegend auch gegeben. Der von der Beschwerdeführerin vorgetragene Eingriff in die Pressefreiheit, der über die Dauer der Hauptverhandlung hinaus fortbesteht, ist evident. Das durch die Anordnungen untersagte Fertigen von Ton- und Bildaufnahmen zum Zwecke der späteren Veröffentlichung ist von der Presse- und Rundfunkfreiheit umfasst und entfaltet über die Hauptverhandlung hinausgehende Wirkung auf die Berichterstattung.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet, da die Anordnungen der Vorsitzenden - soweit sie nicht lediglich und ohne eigene Regelungswirkung die Gesetzeslage wiedergeben - keine ermessenfehlerfreie Begründung enthalten.
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a) Soweit die Anordnung das Fertigen von Film- und Tonaufnahmen für Pressezwecke während der Hauptverhandlung verbietet, war eine Ermessensausübung allerdings nicht erforderlich. Das Verbot des Fertigens von Film- und Tonaufnahmen für Pressezwecke während der Hauptverhandlung ergibt sich nämlich bereits aus § 169 Satz 2 GVG. Von diesem Verbot darf weder die Vorsitzende noch das Gericht eine Ausnahme zulassen, so dass die Anordnung unter II Nr. 9 der Verfügung vom 4. August 2016, soweit sie lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholt, keine Regelungswirkung entfaltet.
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b) Grundlage der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung im Übrigen ist allein die von der Vorsitzenden mitgeteilte Ermessensabwägung. Der Senat ist insoweit nicht befugt, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Auf die Beschwerde hin ist die angefochtene Anordnung lediglich auf Ermessensfehler und die Zulässigkeit des von ihr verfolgten Zwecks zu prüfen.
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Art und Umfang der sitzungspolizeilichen Maßnahmen nach § 176 GVG sind gesetzlich nicht festgelegt. Ihre Zulässigkeit beurteilt sich deshalb im Einzelfall nach dem jeweils verfolgten Zweck und dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip (OLG Karlsruhe NJW 1977, 309, 310). Dabei steht dem/der Vorsitzenden ein Ermessen zu (BGHSt 17, 201, 203). Dieses bezieht sich sowohl auf die Frage, ob überhaupt eingeschritten wird, als auch auf die Frage, in welcher Weise er/sie auf eine (drohende) Störung reagiert.
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Diese Ermessensausübung des/der Vorsitzenden kann im Beschwerdeverfahren nicht ersetzt werden. Zwar widerspricht dies dem Grundsatz, dass das Beschwerdegericht zu einer eigenen Sachentscheidung befugt ist, die unter Umständen eine eigene Ermessensausübung einschließt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 309 Rn 4 m.w.N.); auch die gesetzlichen Ausnahmefälle der §§ 305a Abs. 1 Satz 2, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO liegen nicht vor. Die eingeschränkte Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts ergibt sich vorliegend jedoch aus dem Charakter der angefochtenen Maßnahme: Die Ausübung sitzungspolizeilicher Gewalt setzt Prognosen voraus, und zwar sowohl über die Intensität und die Bedeutung von Gefahren für die Ordnung in der Sitzung als auch über die Wirksamkeit etwaiger sitzungspolizeilicher Maßnahmen. Diese Prognosen hängen von vielerlei Umständen ab, von denen sich der/die Vorsitzende während des Zwischen- und des Hauptverfahrens einen persönlichen Eindruck verschaffen konnte bzw. kann. Auf die daraus resultierende größere Sachnähe der Vorsitzenden hat das Beschwerdegericht Rücksicht zu nehmen. Seine Prüfung beschränkt sich deshalb ausnahmsweise allein auf Rechts- und Ermessensfehler (OLG Stuttgart, NJW 2011, 2899ff).
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c) Die eingeschränkte Prüfung ergibt vorliegend, dass das den angefochtenen Anordnungen zugrunde zu legende Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt wurde.
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Dabei kommt es nicht maßgeblich darauf an, dass die Anordnungen nicht bereits bei ihrem Erlass begründet wurde. Die Begründung ist zwar keinesfalls entbehrlich. Eine das Fertigen von Aufnahmen ausschließende oder begrenzende Anordnung am Rande einer Hauptverhandlung setzt im Interesse der Wirksamkeit des materiellen Grundrechtsschutzes vielmehr voraus, dass der/die Vorsitzende die für seine Entscheidung maßgebenden Gründe offenlegt und dadurch für die Betroffenen erkennen lässt, dass in die Abwägung alle dafür erheblichen Umstände eingestellt worden sind (vgl. BVerfGE 119, 309). Der/die Vorsitzende hat bei einer die Pressefreiheit einschränkenden Anordnung der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. BVerfGE 91, 125; 119, 309). Bei der Ermessensausübung sind deshalb einerseits die Pressefreiheit und andererseits der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten, namentlich der Angeklagten und der Zeugen, aber auch der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere was die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung anbelangt, zu beachten (vgl. BVerfGE 103, 44, 119, 309). Der/die Vorsitzende muss dabei die tatsächlichen Umstände, die Beschränkungen der Pressefreiheit erforderlich machen, konkret darlegen, wenn diese nicht auf der Hand liegen und sich für einen verständigen Prozessbeteiligten von selbst verstehen.
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Die Begründung kann sich jedoch auch aus einer Nichtabhilfeentscheidung ergeben. Jedoch belegen vorliegend auch die in der Nichtabhilfeentscheidung der Vorsitzenden mitgeteilten Erwägungen, die zu den Anordnungen führten, keine fehlerfreie Ermessensausübung.
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aa) Das von der Anordnung unter Ziffer II Nr. 9 der Verfügung der Vorsitzenden beinhaltete Verbot des Fertigens einzelner Bildaufnahmen (Fotografieren) auch während der Hauptverhandlung wird von § 169 Satz 2 GVG nicht untersagt. Das Fertigen von Aufnahmen ist jedoch im Rahmen der sitzungspolizeilichen Möglichkeiten u.a. zu unterbinden, wenn die geplante Veröffentlichung dieser Aufnahmen unzulässig wäre.
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Die Zulässigkeit einer Bildveröffentlichung von im Zuge einer Hauptverhandlung gefertigten Fotografien ist zunächst nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen, wonach Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden dürfen (§ 22 S. 1 KUG). Hiervon besteht gemäß § 23 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, sofern berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden. Dabei erfordert schon die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits (vgl. BVerfGE 120, 180; BGH, NJW 2008, 3138). Maßgebend ist hierbei das Interesse der Öffentlichkeit an vollständiger Information über das Zeitgeschehen, wobei dieser Begriff zugunsten der Pressefreiheit in einem weiten Sinn zu verstehen ist. Er umfasst nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Eine Wertung dergestalt, ob es sich um einen "niveauvollen" oder "wertvollen" Beitrag zu einer Frage von allgemeiner Bedeutung handelt, darf das Gericht nicht vornehmen. Zum Kern der Meinungsäußerungsfreiheit der Presse gehört, dass die Medien nach eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht. Auch Straftaten gehören zunächst zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien überhaupt ist. Die Verletzung der allgemeinen Rechtsordnung, die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft, die Sympathie mit den Opfern und ihren Angehörigen, die Furcht vor Wiederholungen solcher Straftaten und das Bestreben, dem vorzubeugen, begründen ein durchaus anzuerkennendes Interesse an näherer Information über Tat und Täter. Dieses wird umso stärker sein, je mehr die Straftat sich durch die Besonderheit des Angriffsobjekts, die Art der Begehung oder die Schwere der Folgen über die gewöhnliche Kriminalität heraushebt. Bei schweren Gewaltverbrechen nach Art der hier dargestellten Straftat gibt es daher neben allgemeiner Neugier und Sensationslust ernstzunehmende Gründe für das Interesse an Information darüber, wer die Täter waren, welche Motive sie hatten, was geschehen ist, um sie zu ermitteln und zu bestrafen und um gleichartige Delikte zu verhüten. Dabei wird zunächst der Wunsch nach Kenntnis der reinen Tatsachen im Vordergrund stehen, während mit zunehmendem zeitlichem Abstand das Interesse an einer tiefer greifenden Interpretation der Tat, ihrer Hintergründe und gesellschaftsbedingten Voraussetzungen Bedeutung gewinnt. Nicht zuletzt fällt das legitime demokratische Bedürfnis nach Kontrolle der für die Sicherheit und Ordnung zuständigen Staatsorgane und Behörden, der Strafverfolgungsbehörden und der Strafgerichte maßgebend ins Gewicht (BVerfGE 35, 202).
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Davon ausgehend steht außer Frage, dass das anhängige Schwurgerichtsverfahren und die daran Beteiligten von (relativem) zeitgeschichtlichem Interesse sind.
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Soweit dem öffentlichen Informationsinteresse schutzwürdige Interessen der Beteiligten entgegen stehen, hat dies der/die Vorsitzende im Rahmen der Sitzungsgewalt bei der Entscheidung, ob er das Fertigen solcher Abbildungen gestattet, zu entscheiden. Dabei muss bezüglich jedes Beteiligten eine Abwägung zwischen der Pressefreiheit einerseits und dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten sowie den Belangen der Rechtspflege - insbesondere um Einflussnahmen auf die Wahrheitsfindung oder eine Störung der Verhandlung auszuschließen - vorgenommen werden.
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bb) Die vorliegende Nichtabhilfeentscheidung der Vorsitzenden enthält jedoch keine genügende Ermessensabwägung bezüglich der Interessen aller Verfahrensbeteiligter.
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Sie teilt nur die - durchaus schutzwürdigen - Interessen der Angehörigen des Spruchkörpers mit. Eine Abwägung erfolgt jedoch nicht. Bereits aus diesem Grunde ist die Ermessensausübung fehlerhaft. Die Ermessensausübung ist auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Persönlichkeitsrecht oder der Schutz von Gerichtsangehörigen uneingeschränkt Vorrang vor anderen Interessen hat. Vielmehr ist zu beachten, dass regelmäßig Abbildungen der Mitglieder des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger gestattet werden müssen und deren Persönlichkeitsschutz insoweit zurücktritt. Die Fertigung und Veröffentlichung solcher Bilder kann nur dann eingeschränkt werden, wenn die Veröffentlichung von Abbildungen eine Gefährdung der Sicherheit der Betroffenen durch Übergriffe Dritter bewirken kann. Eine Abwägung zwischen der Gefährdungslage der Kammermitglieder und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit hat vorliegend im Rahmen des umfassenden Verbots von Ablichtungen nicht stattgefunden, ebenso wenig eine Abwägung, inwiefern weniger einschränkende Maßnahmen wie etwa eine „Verpixelung“ zum Schutz einzelner Beteiligter genügen.
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Auch soweit in der Nichtabhilfeentscheidung das Fotografieren der Geschädigten ausdrücklich thematisiert wird, fehlt eine Abwägung zwischen deren Persönlichkeitsrecht und dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Soweit zur Begründung des Fotografierverbots Belange der Rechtspflege angeführt werden, lässt sich der Begründung nicht entnehmen, inwiefern erwogen wurde, ob etwa das Fertigen von Lichtbildern nach der Aussage der Geschädigten gestattet werden kann.
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cc) Soweit die Anordnung über das Fotografieren hinaus auch das - ebenfalls nach § 22, 23 KUG zu beurteilende - Fertigen von Ton- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal außerhalb der Hauptverhandlung betrifft, also unmittelbar vor und nach deren Beginn sowie in Sitzungspausen, kann dieses nach den bereits ausgeführten Gesichtspunkten zwar grundsätzlich durch eine sitzungspolizeiliche Verfügung eingeschränkt werden. Dies bedarf jedoch konkreter, auf die Gesichtspunkte der Sitzungsleitung bezogener Gründe, welche in der einschränkenden Anordnung nicht umfassend dargelegt sind.
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dd) Das angefochtene Verbot, Geräte in den Sitzungssaal mitzubringen, die für Aufzeichnungen oder Übertragungen genutzt werden können, ist ohne umfassend wirksame Untersagung solcher Handlungen nicht ermessensfehlerfrei. Zwar erlaubt allein der Umstand, dass man die Einhaltung von einschränkenden Maßnahmen nicht kontrollieren kann, das Verbot des Mitbringens von Gegenständen, die diese Maßnahmen unterlaufen könnten. Dies setzt jedoch eine - hier nicht gegebene - rechtmäßige Anordnung voraus. Gleiches gilt für die Anordnung von Kontrollmaßnahmen, so dass mangels zulässigem Ziel auch die Anordnungen unter Ziffer I. Nr. 1b und unter Ziffer II Nr. 8 Satz 2 der Verfügung der Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer vom 4. August 2016 ermessensfehlerhaft sind.