Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. Feb. 2018 - L 7 AY 3934/17
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. August 2017 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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Gründe
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(1) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 5, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, haben ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6, es sei denn, die Ausreise konnte aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden. Ihnen werden bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt. Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen auch andere Leistungen im Sinne von § 3 Absatz 1 Satz 1 gewährt werden. Die Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden.
(2) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5 und Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 6, soweit es sich um Familienangehörige der in § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5 genannten Personen handelt, die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, erhalten nur Leistungen entsprechend Absatz 1.
(3) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, erhalten ab dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag nur Leistungen entsprechend Absatz 1. Können bei nach § 1 Absatz 1 Nummer 6 leistungsberechtigten Ehegatten, Lebenspartnern oder minderjährigen Kindern von Leistungsberechtigten nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 oder 5 aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden, so gilt Satz 1 entsprechend.
(4) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 1a oder 5, für die in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) nach einer Verteilung durch die Europäische Union ein anderer Mitgliedstaat oder ein am Verteilmechanismus teilnehmender Drittstaat, der die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 anwendet, zuständig ist, erhalten ebenfalls nur Leistungen entsprechend Absatz 1. Satz 1 gilt entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 oder 1a, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von Satz 1
wenn der internationale Schutz oder das aus anderen Gründen gewährte Aufenthaltsrecht fortbesteht. Satz 2 Nummer 2 gilt für Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 5 entsprechend.(5) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 1a oder 7 erhalten nur Leistungen entsprechend Absatz 1, wenn
- 1.
sie ihrer Pflicht nach § 13 Absatz 3 Satz 3 des Asylgesetzes nicht nachkommen, - 2.
sie ihrer Mitwirkungspflicht nach § 15 Absatz 2 Nummer 4 des Asylgesetzes nicht nachkommen, - 3.
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellt hat, dass sie ihrer Mitwirkungspflicht nach § 15 Absatz 2 Nummer 5 des Asylgesetzes nicht nachkommen, - 4.
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellt hat, dass sie ihrer Mitwirkungspflicht nach § 15 Absatz 2 Nummer 6 des Asylgesetzes nicht nachkommen, - 5.
sie ihrer Mitwirkungspflicht nach § 15 Absatz 2 Nummer 7 des Asylgesetzes nicht nachkommen, - 6.
sie den gewährten Termin zur förmlichen Antragstellung bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht wahrgenommen haben oder - 7.
sie den Tatbestand nach § 30 Absatz 3 Nummer 2 zweite Alternative des Asylgesetzes verwirklichen, indem sie Angaben über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit verweigern,
(6) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig Vermögen, das gemäß § 7 Absatz 1 und 5 vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen ist,
- 1.
entgegen § 9 Absatz 3 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 60 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch nicht angeben oder - 2.
entgegen § 9 Absatz 3 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 60 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch nicht unverzüglich mitteilen
(7) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 oder 5, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 31 Absatz 6 des Asylgesetzes als unzulässig abgelehnt wurde und für die eine Abschiebung nach § 34a Absatz 1 Satz 1 zweite Alternative des Asylgesetzes angeordnet wurde, erhalten nur Leistungen entsprechend Absatz 1, auch wenn die Entscheidung noch nicht unanfechtbar ist. Satz 1 gilt nicht, sofern ein Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet hat.
(1) Leistungsberechtigte nach § 1 erhalten Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf).
(2) Bei einer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen im Sinne von § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes wird der notwendige Bedarf durch Sachleistungen gedeckt. Kann Kleidung nicht geleistet werden, so kann sie in Form von Wertgutscheinen oder anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen gewährt werden. Gebrauchsgüter des Haushalts können leihweise zur Verfügung gestellt werden. Der notwendige persönliche Bedarf soll durch Sachleistungen gedeckt werden, soweit dies mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich ist. Sind Sachleistungen für den notwendigen persönlichen Bedarf nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich, können auch Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen gewährt werden.
(3) Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes sind vorbehaltlich des Satzes 3 vorrangig Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs zu gewähren. Anstelle der Geldleistungen können, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, zur Deckung des notwendigen Bedarfs Leistungen in Form von unbaren Abrechnungen, von Wertgutscheinen oder von Sachleistungen gewährt werden. Der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat sowie für Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie wird, soweit notwendig und angemessen, gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht. Absatz 2 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden. Der notwendige persönliche Bedarf ist vorbehaltlich des Satzes 6 durch Geldleistungen zu decken. In Gemeinschaftsunterkünften im Sinne von § 53 des Asylgesetzes kann der notwendige persönliche Bedarf soweit wie möglich auch durch Sachleistungen gedeckt werden.
(4) Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft werden bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben den Leistungen nach den Absätzen 1 bis 3 entsprechend den §§ 34, 34a und 34b des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gesondert berücksichtigt. Die Regelung des § 141 Absatz 5 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend.
(5) Leistungen in Geld oder Geldeswert sollen der oder dem Leistungsberechtigten oder einem volljährigen berechtigten Mitglied des Haushalts persönlich ausgehändigt werden. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht; dabei wird der Monat mit 30 Tagen berechnet. Geldleistungen dürfen längstens einen Monat im Voraus erbracht werden. Von Satz 3 kann nicht durch Landesrecht abgewichen werden.
(6) (weggefallen)
(1) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 5, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, haben ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6, es sei denn, die Ausreise konnte aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden. Ihnen werden bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt. Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen auch andere Leistungen im Sinne von § 3 Absatz 1 Satz 1 gewährt werden. Die Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden.
(2) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5 und Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 6, soweit es sich um Familienangehörige der in § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5 genannten Personen handelt, die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, erhalten nur Leistungen entsprechend Absatz 1.
(3) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, erhalten ab dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag nur Leistungen entsprechend Absatz 1. Können bei nach § 1 Absatz 1 Nummer 6 leistungsberechtigten Ehegatten, Lebenspartnern oder minderjährigen Kindern von Leistungsberechtigten nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 oder 5 aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden, so gilt Satz 1 entsprechend.
(4) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 1a oder 5, für die in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) nach einer Verteilung durch die Europäische Union ein anderer Mitgliedstaat oder ein am Verteilmechanismus teilnehmender Drittstaat, der die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 anwendet, zuständig ist, erhalten ebenfalls nur Leistungen entsprechend Absatz 1. Satz 1 gilt entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 oder 1a, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von Satz 1
wenn der internationale Schutz oder das aus anderen Gründen gewährte Aufenthaltsrecht fortbesteht. Satz 2 Nummer 2 gilt für Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 5 entsprechend.(5) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 1a oder 7 erhalten nur Leistungen entsprechend Absatz 1, wenn
- 1.
sie ihrer Pflicht nach § 13 Absatz 3 Satz 3 des Asylgesetzes nicht nachkommen, - 2.
sie ihrer Mitwirkungspflicht nach § 15 Absatz 2 Nummer 4 des Asylgesetzes nicht nachkommen, - 3.
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellt hat, dass sie ihrer Mitwirkungspflicht nach § 15 Absatz 2 Nummer 5 des Asylgesetzes nicht nachkommen, - 4.
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellt hat, dass sie ihrer Mitwirkungspflicht nach § 15 Absatz 2 Nummer 6 des Asylgesetzes nicht nachkommen, - 5.
sie ihrer Mitwirkungspflicht nach § 15 Absatz 2 Nummer 7 des Asylgesetzes nicht nachkommen, - 6.
sie den gewährten Termin zur förmlichen Antragstellung bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht wahrgenommen haben oder - 7.
sie den Tatbestand nach § 30 Absatz 3 Nummer 2 zweite Alternative des Asylgesetzes verwirklichen, indem sie Angaben über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit verweigern,
(6) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig Vermögen, das gemäß § 7 Absatz 1 und 5 vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen ist,
- 1.
entgegen § 9 Absatz 3 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 60 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch nicht angeben oder - 2.
entgegen § 9 Absatz 3 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 60 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch nicht unverzüglich mitteilen
(7) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 oder 5, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 31 Absatz 6 des Asylgesetzes als unzulässig abgelehnt wurde und für die eine Abschiebung nach § 34a Absatz 1 Satz 1 zweite Alternative des Asylgesetzes angeordnet wurde, erhalten nur Leistungen entsprechend Absatz 1, auch wenn die Entscheidung noch nicht unanfechtbar ist. Satz 1 gilt nicht, sofern ein Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet hat.
(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
- 1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder - 2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.
(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.
(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
(1) Für die Öffentlichkeit, Sitzungspolizei und Gerichtssprache gelten die §§ 169, 171b bis 191a des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend.
(2) Für die Beratung und Abstimmung gelten die §§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend.
Ist die Berufung nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.
(1) Für die Öffentlichkeit, Sitzungspolizei und Gerichtssprache gelten die §§ 169, 171b bis 191a des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend.
(2) Für die Beratung und Abstimmung gelten die §§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend.
Die Gerichtssprache ist deutsch. Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 5. Kammer, Einzelrichterin - vom 12. September 2017 sowie der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
I.
- 1
Der 1993 oder 1997 geborene Kläger aus Somalia wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags und die Anordnung seiner Abschiebung nach Schweden. Er reiste zunächst nach Schweden ein, sodann nach Deutschland, wo er am 15.11.2016 einen Asylantrag stellte. Ein Übernahmeersuchen der Beklagten wurde von der schwedischen Behörde (Migrationsverket) am 13.01.2017 akzeptiert. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.02.2017 den Asylantrag ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote bestehen und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Schweden an. Die Aufforderung des Klägers, den Bescheid wegen Ablaufs der Überstellungsfrist aufzuheben, lehnt die Beklagte ab. Seine am 15.08.2017 eingegangene Klage hat das Verwaltungsgericht (Einzelrichterin der 5. Kammer) mit Gerichtsbescheid vom 12.09.2017 als unzulässig abgewiesen, da die einwöchige Klagefrist nicht gewahrt worden sei. Die dem Bescheid vom 24.02.2017 beigefügte Rechtsmittelbelehrung sei korrekt, insbesondere sei die Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein müsse, nicht geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass die Klage schriftlich erhoben werden müsse. Sie schließe insbesondere eine Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht aus. Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Klageerhebung in deutscher Sprache sei richtig.
- 2
Der Kläger erstrebt die Zulassung der Berufung. Er meint, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, da das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht bislang noch nicht über die Rechtsfrage entschieden habe, ob eine Rechtsmittelbelehrung mit der Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein muss, im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig ist.
II.
- 3
1. Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers ist abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Erfolgsaussichten hat (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
- 4
2. Der fristgerecht gestellte und begründete Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Frage, ob die in der Rechtsbehelfsbelehrung zum Bescheid der Beklagten vom 24.02.2017 enthaltene Formulierung, wonach die Klage „… in deutscher Sprache abgefasst sein“ muss, im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig ist, ist nicht grundsatzbedeutsam (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Sie bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, da sich ihre Beantwortung unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Das wird auch durch das in der Begründung des Zulassungsantrags in Bezug genommene Urteil des VGH Mannheim vom 18.04.2017 (A 9 S 333/17, NVwZ 2017, 1477) nicht in Frage gestellt.
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2.1 Die Rechtsbehelfsbelehrung wurde richtig erteilt.
- 6
Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO muss über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem er anzubringen ist, dessen Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt werden. Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt worden.
- 7
Soweit die Rechtsbehelfsbelehrung auch auf das Erfordernis der Klageerhebung „in deutscher Sprache“ hinweist, ist auch dies richtig (vgl. § 55 VwGO, § 184 GVG).
- 8
Eine Belehrung über das Formerfordernis des § 81 Abs. 1 VwGO, wonach die Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann, ist nach § 58 Abs. 1 VwGO nicht erforderlich; dies entspricht gefestigter Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 13.12.1978, 6 C 77.78, BVerwGE 57, 188 [bei Juris Rn. 22]; vgl. Meissner/Schenk, in: Schoch u. a., VwGO, 2016, § 58 Rn. 43 m. w. N.). Dazu gehört auch eine Angabe dazu, wie die Klage „abgefasst“ sein muss, denn sie betrifft das - nach § 58 Abs. 1 VwGO gesetzlich nicht geforderte - Formerfordernis einer Klageerhebung. Das begründet keine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung.
- 9
2.2 Angaben in einer Rechtsbehelfsbelehrung, die von den oben genannten Mindestanforderungen gemäß § 58 Abs. 1 VwGOnicht umfasst sind, können nur dann zu einer Unrichtigkeit i. S. d. § 58 Abs. 2 VwGO führen, wenn siegeeignet sind, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch davon abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen. Das ist in der Rechtsprechung geklärt (BVerwG, Urt. v. 21.03.2002, 4 C 2.01, DVBl. 2002, 1553 [zu einer „Vielzahl“ von Informationen in der Belehrung], BVerwG, Beschl. v. 03.03.2016, 3 PKH 5.15, Juris [zu einem irreführenden Zusatz], BVerwG, Beschl. v. 16.11.2012, 1 WB 3.12, NZWehrR 2013, 168 [bei Juris Rn. 14: zu einem Zusatz zu der Stelle, bei der die Beschwerde eingelegt werden kann]; vgl. dazu auch Meissner/Schenk, a.a.O., Rn. 44).
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Der hier verwendeten Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein muss, fehlt eine Eignung im o. g. Sinne.
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2.2.1 Hinsichtlich der (semantischen) Bedeutung des Wortes „abfassen“ fehlt schon die Möglichkeit, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen. Das Verb „abfassen“ bringt nur zum Ausdruck, dass die Klage ausformuliert erhoben werden muss. Indem die Rechtsbehelfsbelehrung die passive Form verwendet, ist für den objektiven Empfängerhorizont erkennbar, dass die Ausformulierung nicht nur durch den Kläger selbst (oder dessen Anwalt) erfolgen muss. Eine Klage ist auch dann (in deutscher Sprache) „abgefasst“, wenn dies in Form einer Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle geschieht. Die Klageerhebung zur Niederschrift ist eine Unterform der schriftlichen Klageerhebung. Eine Niederschrift dokumentiert das persönlich erklärte Rechtsschutzbegehren des Klägers, das von dem Urkundsbeamten pflichtgemäß entgegenzunehmen und schriftlich zu fixieren ist. Insoweit genügt die Unterschrift des Urkundsbeamten. Mit Abschluss des Protokolls über die Niederschrift ist die Klage erhoben und damit rechtshängig (vgl. Ortloff/Riese, in: Schoch u. a., VwGO, 2016, § 81 Rn. 10).
- 12
2.2.2 Selbst wenn man - dem (im Zulassungsantrag zitierten) Urteil des VGH Mannheim vom 18.04.2017 (a.a.O., bei Juris Rn. 30) folgend - annehmen wollte, dass der objektive Empfängerhorizont eines Bescheidempfängers „… abgefasst“ sprachlich im Sinne einer selbst veranlassten (eigenhändigen) Klageerhebung verstehen werde, würde der Bescheidempfänger dadurch nicht von einer Klageerhebung überhaupt oder einer rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten. Dafür genügt allein ein fehlender Hinweis auf die nach § 81 Abs. 1 VwGO zulässige Alternative einer Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht.
- 13
Ob die Annahme, wegen des unterbliebenen Hinweises auf die Möglichkeit einer Klageerhebung zur Niederschrift werde „die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise erschwert (VGH Mannheim, a.a.O. bei Juris Rn. 30) zutrifft, kann offen bleiben, weil eine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung (erst) dann anzunehmen ist, wenn sie geeignet ist, den Betroffenen von einer Einlegung des Rechtsbehelfs abzuhalten (BVerwG, Urt. v. 21.03.2002, a.a.O.). Dafür ist mehr erforderlich als eine bloße Erschwernis der Rechtsverfolgung, zumal dann, wenn eine solche (unterstellte) Erschwernis in zumutbarer Weise überwindbar ist.
- 14
Bei den hier in Betracht kommenden Alternativen - schriftliche Klageerhebung oder Klageerhebung zur Niederschrift - ist überdies fraglich, ob die zweite Alternative überhaupt eine „Erschwernis“ der Rechtsverfolgung bewirkt. Um eine Klage zur Niederschrift zu erheben, müsste sich der Rechtsschutzsuchende zum Gerichtsort begeben und dort die Rechtsantragsstelle aufsuchen. Dies mag erklären, dass diese Vorgehensweise in der (asylrechtlichen) Praxis (sehr) selten vorkommt. Die Erwägung, dass sich ein Rechtsschutzsuchender bestimmten, in der Rechtsbehelfsbelehrung genannten (zusätzlichen) Anforderungen „nicht gewachsen“ fühlen und sich so davon abhalten lassen könnte, eine an sich gewünschte Klage zu erheben, bezieht sich auf ganz andere Konstellationen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.01.1971, V C 53.70, VerwRSpr 1972, 121/122 [fehlerhafter Hinweis auf das Erfordernis eines Klageantrags] sowie BVerwGE 3, 273/274 [fehlerhafte Hinweise zum Einlegungsort und zur Klagebegründung]). Vorliegend geht es nicht um den Fall falscher oder „erschwerender“ Zusätze in der Rechtsbehelfsbelehrung, sondern um einen unterbliebenen Hinweis auf eine Variante der Einlegung einer - ansonsten in der Rechtsbehelfsbelehrung korrekt behandelten - Klage. Auch ein nicht deutschsprachiger Kläger kann eine evtl. erforderliche Hilfe beim „Abfassen“ seiner Klage bei einer „eigenhändigen“ Klageerhebung ebenso gut erlangen, wie es im Falle einer Klageerhebung durch Niederschrift der Fall wäre.
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Soweit Unklarheiten über die formgerechte Klageerhebung dadurch entstehen, dass der Kläger der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig ist und deshalb nicht darauf kommt, dass er die Klage auch zur Niederschrift „abfassen“ kann, wäre dies nicht durch die Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung verursacht, sondern durch das mangelnde Sprachverständnis des Klägers. In Asylverfahren kann der Kläger dem unter Zuhilfenahme der Beklagten abhelfen. Diese ist verpflichtet, ihn „in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann“ über das Verfahren und - insbesondere - über Fristen und die Folgen einer Fristversäumung zu informieren (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), wie dies zu Beginn des Verfahrens bereits geschehen ist (vgl. Bl. 11 ff. der Verwaltungsvorgänge) und auch nach Erlass des Bescheides vom 24.02.2017 - auch innerhalb der Wochenfrist - noch möglich bleibt. Dafür genügt eine einfache Nachfrage. Unabhängig davon ist es (zumindest) fernliegend, dass allein eine fehlende Angabe dazu, dass eine Klage auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten „abgefasst“ werden kann, geeignet ist, den Kläger davon abzuhalten, die Klage rechtzeitig und in der richtigen Form einzulegen. Das wäre nur denkbar, wenn eine Klageerhebung zur Niederschrift typischerweise die näher liegende oder einfachere Form der Klageerhebung wäre. Das ist nicht der Fall und - zudem - lebensfremd.
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3. Der Zulassungsantrag war nach alledem abzulehnen.
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 14.12.2010 geändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 22.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009 verurteilt, dem Kläger ab dem 1.1.2011 Regelaltersrente zu gewähren. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Streitig ist Regelaltersrente, hilfsweise eine finanzielle Unterstützung.
3Der 1945 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger und war in Deutschland vom 6.10.1972 bis zum 5.3.1974, vom 1.4.1974 bis zum 30.11.1976, vom 1.2.1977 bis zum 31.3.1977 und vom 6.4.1977 bis zum 31.10.1978 versicherungspflichtig im Bergbau beschäftigt. Danach kehrte er nach Marokko zurück, wo er bis heute lebt.
4Im Juni 2004 beantragte der Kläger Rentenleistungen unter Vorlage einer Lohnabrechnung der S Bergbau AG Westfalen betreffend den Monat 7/1976. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil keine auf die Wartezeit anrechenbaren deutschen Versicherungszeiten mehr bestünden. Die zur deutschen Rentenversicherung in der Zeit vom 6.10.1972 bis zum 30.10.1978 entrichteten Beiträge seien mit Bescheid vom 20.7.1982 erstattet worden. Versicherungszeiten nach dem 20.7.1982 seien weder behauptet noch nachgewiesen (Bescheid vom 3.9.2004). Dieser Bescheid konnte trotz Einschaltung der Deutschen Botschaft in Rabat dem Kläger nicht wirksam zugestellt werden.
5Im April 2009 beantragte der Kläger die Gewährung einer Altersrente. Die Beklagte nahm einen (verschlüsselten) Ausdruck des den Kläger betreffenden (elektronisch gespeicherten) "Gesamtkontospiegels" zu den Akten. Darin sind im Versicherungskonto des Klägers unter der Schlüssel-Nr 1830 folgende Daten gespeichert: "Antrag 16.06.1982", "Bescheid 20.07.1982", "Erstattung von 06.10.1972 bis 31.10.1978", "Erstattungsbetrag 0,00" sowie "ESBT-KN 15661,20". Ferner ist nach diesem Kontospiegel - unter der Schlüssel-Nr 1860 "Ablehnung Versichertenrente" - der Bescheid vom 3.9.2004 gespeichert. Anschließend lehnte die Beklagte die Gewährung einer Regelaltersrente mit derselben Begründung wie 2004 ab (Bescheid vom 22.5.2009; Widerspruchsbescheid vom 11.11.2009). Der per Einschreiben mit Auslandsrückschein versandte Widerspruchsbescheid konnte wiederum nicht an den Kläger zugestellt werden; die Beklagte sandte ihn daraufhin erneut mit Begleitschreiben vom 25.1.2010 an den Kläger, dieses Mal mit einfachem Brief.
6Mit seiner am 19.2.2010 beim Sozialgericht (SG) Dortmund in französischer Sprache erhobenen und nicht in die deutsche Sprache übersetzten Klage ("réclamation"), der eine Kopie des Schreibens vom 25.1.2010 und des diesem Schreiben beigefügten Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009 beigefügt waren, hat der Kläger darauf hingewiesen, dass er in Deutschland gearbeitet und Beiträge gezahlt habe. Er sei ein alter Mann und befinde sich in einer schlechten finanziellen Situation. Er bitte, seine Akten nochmals zu prüfen und ihm eine Rente oder eine finanzielle Hilfe zu gewähren.
7Die Beklagte hat ihre Entscheidung weiter für richtig gehalten.
8Auf die in französischer Sprache verfasste Aufforderung des SG, Stellung zu der im Jahr 1982 erfolgten Beitragserstattung zu nehmen und hierzu ggf noch vorhandene Unterlagen vorzulegen, hat der Kläger mitgeteilt, er besitze die angeforderten Dokumente nicht.
9Nach Hinweis auf die beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat das SG die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Regelaltersrente, weil die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt sei. Auf Grund der Beitragserstattung sei das Versicherungsverhältnis aufgelöst. Es sei davon auszugehen, dass dem Kläger die von ihm entrichteten Beiträge erstattet worden seien. Der Vorgang der Beitragserstattung ergebe sich aus dem Gesamtkontospiegel. Es bestehe kein Anhaltspunkt, dass die sich hieraus ergebenden Grunddaten fehlerhaft sein könnten. Der Kläger habe weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren die Durchführung des vollständigen Beitragserstattungsverfahrens auch nur ansatzweise in Abrede gestellt. Schließlich zeige das Verhalten des Klägers nach der ersten Antragstellung im Jahr 2004, dass er selbst nicht davon ausgehe, einen berechtigten Anspruch gegenüber der Beklagten zu haben. Denn anderenfalls hätte er sich nicht erst wieder im Jahr 2009 bei der Beklagten gemeldet, um seinen vermeintlichen Anspruch geltend zu machen (Gerichtsbescheid vom 14.12.2010, zugestellt am 18.1.2011).
10Mit seiner am 23.2.2011 eingegangenen, in französischer Sprache verfassten Berufung ("recours"), deren in Auftrag gegebene deutsche Übersetzung dem Gericht am 30.3.2011 vorgelegen hat, hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er bittet erneut um die Überprüfung seiner Akte, damit er eine Altersrente oder eine finanzielle Unterstützung erhalte. Auf die Bitten des Gerichts - auch in französischer Sprache -, sämtliche Unterlagen, die er noch besitze, vorzulegen sowie Fragen zu der Beitragserstattung zu beantworten, hat der Kläger ergänzend ausgeführt, er widerspreche der Darstellung der Beklagten. Er bitte um eine günstige Entscheidung; für weitere Informationen stehe er jederzeit zur Verfügung.
11Der Kläger ist am 4.6.2014 vom Termin zur mündlichen Verhandlung mit dem Hinweis benachrichtigt worden, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne.
12Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist für den Kläger niemand erschienen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Berufung zurückzuweisen.
15Sie hält ihre Entscheidung sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und ist weiter der Auffassung, die für den Kläger vorgenommene Beitragserstattung ergebe sich nachweislich aus dem Gesamtkontospiegel. Die im Versicherungskonto gespeicherte Dokumentation der Beitragserstattung korrespondiere schlüssig mit den im Versicherungskonto abgelegten Versicherungszeiten. Sie hat eine Versicherungskarte des Klägers vorgelegt, auf der lediglich - neben dem Namen, dem Geburtsort sowie zwei Versicherungsnummern des Klägers - das Datum des Beschäftigungsbeginns am 6.10.1972 eingetragen ist. Diese Karte sei bei Aufnahme der knappschaftlich versicherten Beschäftigung ausgefertigt worden. Der Umstand, dass auf dieser Karte keine weiteren Eintragungen, insbesondere keine Vermerke über die durchgeführte Beitragserstattung vorhanden seien, erkläre sich damit, dass im Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses im Oktober 1978 sowie im Zeitpunkt der durchgeführten Beitragserstattung keine manuellen Notierungen in Papierform mehr vorgenommen worden seien.
16Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Parteivernehmung des Klägers beantragt zum Beweis der Tatsache, dass - wie in ihrem Gesamtkontospiegel vermerkt - ein vollständiges Beitragserstattungsverfahren durchgeführt worden ist. Sie ist der Ansicht, ihr müsse "im Falle eines Beweisnotstandes" als letztes Beweismittel auch die Parteivernehmung des betroffenen Versicherten offen stehen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten. Sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
18Entscheidungsgründe:
19A. Der Senat kann trotz Nichterscheinens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden. Denn der Kläger ist in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung (§§ 63 Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 175 Zivilprozessordnung (ZPO) iVm Art 31 Abs 1 S 3 des Deutsch-Marokkanischen Sozialversicherungsabkommens (DMSVA) vom 25.3.1981, in Kraft seit dem 1.8.1986, BGBl II 1986, 550 ff, 562, 772) auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, § 62 SGG.
20I. Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht und wirksam eingelegt worden. Der Gerichtsbescheid vom 14.12.2010 wurde dem Kläger ausweislich des Zustellungsvermerks am 18.1.2011 zugestellt. Die Frist zur Einlegung der Berufung beträgt drei Monate seit der Zustellung, §§ 153 Abs 1 iVm 87 Abs 1 S 2, 151 SGG (allgemeine Meinung, vgl nur Bundessozialgericht (BSG), SozR Nr 11 zu § 151 SGG), und endete mit Ablauf des 18.4.2011. Es kann offen bleiben, ob der Kläger bereits mit seinem am 23.2.2011 eingegangenen, in französischer Sprache verfassten Schreiben wirksam Berufung ("recours") eingelegt hat. Die Gerichtssprache ist (nur) die deutsche Sprache, § 61 SGG iVm § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG); eine in einer anderen Sprache eingelegte Berufung wahrt (vorbehaltlich zwischenstaatlicher Sonderregelungen) die Rechtsmittelfrist grundsätzlich nicht. Diese Regelung ist zwingend und von Amts wegen zu beachten (BSG, Urteil vom 22.10.1986, Az 9a RV 43/85, SozR 1500 § 61 Nr 1; Landessozialgericht (LSG) Berlin, Urteil vom 22.3.2001, Az L 3 U 23/00, juris). Der Senat kann hier dahinstehen lassen, ob die Einlegung der Berufung in französischer Sprache ausnahmsweise - nämlich nach Art 31 Abs 2 DMSVA und der tatsächlichen Handhabung der jeweiligen Verbindungsstellen - zulässig ist, weil die französische Sprache wie eine Amtssprache Marokkos im Rechtsverkehr mit dem (europäischen) Ausland anzusehen ist - wofür Vieles spricht und wohin auch der Senat tendiert -, oder dem Kläger gegebenenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre (vgl dazu auch: Urteile des Senats vom 15.11.2011, Az L 18 KN 30/10, vom 29.4.2013, Az L 18 KN 83/12, beide in juris und zuletzt vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11). Das Gericht hat nämlich das Berufungsschreiben, aus dem sich zweifelsfrei ergibt, dass der Kläger sich gegen den Gerichtsbescheid ("la décision") wendet, ins Deutsche übersetzen lassen; die deutsche Übersetzung lag dem Gericht spätestens am 30.3.2011 und damit innerhalb der dreimonatigen Berufungsfrist vor. Zwar war das Gericht nicht zur Übersetzung einer in einer Fremdsprache verfassten Berufungsschrift verpflichtet (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. 11. Aufl 2014. § 61 RdNr 7c mwN); die deutsche Übersetzung ist vom Gericht jedoch zu beachten, wenn sie vorliegt (vgl BSG, Urteil vom 22.10.1986, Az 9a RV 43/85, SozR 1500 § 61 Nr 1).
21II. Die Berufung ist begründet.
22Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 22.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente abgelehnt hat. Streitgegenstand ist damit das Begehren des Klägers, die genannten Bescheide abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Regelaltersrente zu gewähren. Der Senat geht davon aus, dass ausschließlich Regelaltersrente im Streit ist, weil andere Altersrenten für den Kläger ersichtlich nicht in Betracht kommen. Insoweit ist die Klage zulässig und entgegen der Auffassung des SG auch begründet. Da die Berufung des Klägers bereits mit dem Hauptbegehren auf Regelaltersrente erfolgreich ist, kann dahin stehen, ob das bereits in der ersten Instanz verfolgte Hilfsbegehren des Klägers, eine finanzielle Unterstützung ("une aide financière") zu erhalten, auch Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist.
231. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthafte Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben. Zwar hat das SG die Klageschrift - wohl versehentlich, wie das weitere Verfahren zeigt - nicht in die deutsche Sprache übersetzen lassen. Allerdings ist, da der Kläger seinem Klageschriftsatz vom 8.2.2010 eine Kopie des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 11.11.2009 beigefügt hat, mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen, dass der Kläger sich gegen die im Widerspruchsbescheid getroffene Regelung mit dem zulässigen Rechtsbehelf - der Klage - wenden wollte. Dass der Kläger mit dieser Entscheidung der Beklagten nicht einverstanden war und diese durch das Gericht überprüfen lassen wollte, ergibt sich zudem daraus, dass er im Betreff des Schriftsatzes den auch im Deutschen verständlichen Begriff "réclamation" angegeben hat. Entsprechend hat das SG das Rechtsschutzbegehren des Klägers durchweg als ordnungsgemäß erhobene "Klage" behandelt und ihm nicht die ansonsten wohl erforderliche "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" gewährt.
242. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger, § 54 Abs 2 S 1 SGG. Der Kläger hat ab dem 1.1.2011 Anspruch auf Regelaltersrente.
25Nach § 235 Abs 1 S 1 iVm Abs 2 S 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) erhalten Versicherte, die - wie der Kläger - vor dem 1.1.1947 geboren sind, Regelaltersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Der an einem unbekannten Tag eines unbekannten Monats im Jahr 1945 geborene Kläger hat (spätestens) Ende Dezember 2010 das 65. Lebensjahr vollendet. Er hat auch die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren mit Beitragszeiten (§§ 50 Abs 1, 51 Abs 1 SGB VI) erfüllt, weil er unstreitig in Deutschland 71 Monate mit (ausschließlich knappschaftlichen) Beitragszeiten zurückgelegt hat, so dass es nicht darauf ankommt, ob außerdem nach Art 24 DMSVA (zur "Aufstockung") marokkanische Zeiten zu berücksichtigen sind.
26Dagegen kann die Beklagte nicht mit Erfolg einwenden, Ansprüche aus den zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bestünden nicht mehr, weil dem Kläger die entsprechenden Beiträge erstattet worden seien und das Versicherungsverhältnis aufgelöst worden sei, § 210 Abs 6 S 2 und 3 SGB VI. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht nämlich nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine solche Beitragserstattung erfolgt ist. Die verbleibenden (Rest-)Zweifel wirken sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Beklagten aus. Dieser Grundsatz besagt, dass der Nachteil der Nichterweislichkeit von Tatsachen sich zu Lasten desjenigen auswirkt, der aus diesen Tatsachen Rechtsfolgen herleitet. Dies ist hier die Beklagte, die gegen den Rentenanspruch des Klägers - rechtsvernichtend - einwendet, das Versicherungsverhältnis sei 1982 durch eine Beitragserstattung aufgelöst worden.
27Eine rechtswirksame Beitragserstattung setzt voraus, dass nachweislich (1) ein Erstattungsantrag, (2) ein wirksamer Erstattungsbescheid und (3) eine rechtswirksame, befreiende Bewirkung der Leistung (= Erfüllung des Erstattungsanspruchs entsprechend § 362 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) vorliegen. Für die ordnungsgemäße und wirksame Durchführung der Beitragserstattung trägt die Beklagte die objektive Beweislast (vgl dazu und besonders zur Beweislast: BSGE 80, 41 ff = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6; vgl auch LSG NRW, Beschluss vom 21.9.2003, Az L 2 KN 19/03, und Urteil vom 16.8.2007, Az L 2 KN 259/06; stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 KN 30/10 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10, alle bei juris, und zuletzt Urteile vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11, L 18 KN 120/12 und vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11). Es kann offen bleiben, ob die rechtsgestaltende Wirkung der Beitragserstattung aus dem Erstattungsantrag oder aus dem Erstattungsbescheid folgt (LSG NRW, Urteil vom 18.10.2001, Az L 2 KN 64/01 mwN) und unter welchen Voraussetzungen sich die Beklagte bei nicht erwiesener Erfüllung der Erstattungsforderung nach Treu und Glauben darauf nicht (mehr) berufen kann. Denn hier ist weder erwiesen, dass der Kläger einen Antrag auf Erstattung der Beiträge gestellt hat noch dass die Beklagte einen Erstattungsbescheid erlassen, dem Kläger wirksam bekannt gegeben und ihre Erstattungsschuld erfüllt hat.
28Allein aufgrund der im Versicherungskonto elektronisch gespeicherten Daten (dem so genannten "Gesamtkontospiegel") sowie der Einlassungen des Klägers steht nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden, vernünftige Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit (Beweismaßstab des Vollbeweises) fest, dass die drei genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies gilt selbst dann, wenn man zugunsten der beweisbelasteten Beklagten ergänzend die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins (sog prima facie-Beweis) heranzieht. Diese Beweisregel gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren (BSGE 8, 245, 247; 12, 242, 246; 19, 52, 54; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. 11. Auf 2014. § 128 RdNr 9 mwN; Pawlak in Hennig. SGG. Stand August 2007. § 128 RdNr 96; Zeihe. Das SGG und seine Anwendung. Stand November 2010. 3.G. vor § 103; stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 KN 30/10, L 18 (2) KN 42/08 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012, Az L 18 KN 32/10, alle bei juris, und zuletzt Urteile vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11, L 18 KN 120/12 und vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11). Sie besagt, dass bei typischen Geschehensabläufen auf eine Tatsache geschlossen werden kann, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung regelmäßig Folge eines solchen Geschehensablaufs ist (BSG in: Breithaupt 1999, 357, 362; Keller. aaO. RdNr 9a). Dabei wird der (Voll )Beweis einer Tatsache vermutet, solange nicht Tatsachen erwiesen sind, die den vermuteten typischen Geschehensablauf in Zweifel ziehen (vgl Keller. AaO. RdNr 9e mwN; Pawlak. AaO. RdNrn 94, 99). Ein nachweislich durch eigenen Antrag eingeleitetes und durch bewilligenden Bescheid abgeschlossenes Verwaltungsverfahren zur (vollständigen) Beitragserstattung lässt bei Fehlen entgegenstehender Tatsachen typischerweise den Schluss zu, dass ein (Erstattungs )Bescheid zugegangen und die geschuldete Leistung bewirkt worden ist (stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 KN 30/10 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10, alle bei juris, und zuletzt Urteile vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11, L 18 KN 120/12 und vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11; LSG NRW, Urteile vom 3.6.2005, Az L 4 RJ 12/03, sowie vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06; LSG Hamburg, Urteil vom 27.4.2006, Az L 6 RJ 89/04 mwN). Letzteres muss jedenfalls dann gelten, wenn die Leistungsbewirkung nicht substantiiert bestritten worden ist und sich auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Leistungserbringung nicht zeitnah erfolgt ist (wie etwa zeitnahe Nachfragen des Versicherten, wo das Geld bleibe, vgl LSG NRW, Urteile vom 17.2.1997, Az L 4 J 16/95, und vom 3.6.2005, Az L 4 RJ 12/03; Bayerisches LSG, Urteile vom 14.5.2002, Az L 19 RJ 3/02, und vom 8.12.2004, Az L 19 RJ 203/03). Auch von einem solchen typischen Geschehensablauf kann nicht ausgegangen werden, weil es bereits an Urkunden (oder sonstigen Beweismitteln) fehlt, die einen Erstattungsantrag des Klägers beweisen.
29Urkundliche Unterlagen zu dem von der Beklagten behaupteten Erstattungsverfahren (zB Antrag(sformular), Erstattungsbescheid) finden sich in den gesamten Akten nicht; dies gilt gleichermaßen für Nachweise über den Zugang eines Erstattungsbescheides sowie die Auszahlung bzw Überweisung des Erstattungsbetrages. Die aktenkundige Versicherungskarte ist als Urkunde insoweit unergiebig. Die Beklagte stützt sich zum Nachweis eines ordnungsgemäß durchgeführten Erstattungsverfahrens deshalb ausschließlich auf die im elektronischen Versicherungskonto des Klägers gespeicherten Daten. Diese Daten allein genügen zur Überzeugung des Senats aber nicht, eine vollständige wirksame Beitragserstattung mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden, vernünftige Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit zu beweisen. Sie lassen bestenfalls den Schluss auf einen intern abgelaufenen Verwaltungsvorgang zu und (im Übrigen) allenfalls als denkbar erscheinen, dass (außerdem) ein wirksamer Erstattungsantrag des betreffenden Versicherten gestellt und ein Erstattungsbescheid an ihn ergangen ist (vgl zuletzt Senatsurteil vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10, und Urteile vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 (2) KN 239/09 und L 18 KN 30/10, sämtlich zitiert nach juris; zuvor insbesondere Urteile des 2. Senats des LSG NRW vom 16.12.2010, Az L 2 KN 169/09, vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06, und vom 16.8.2007, Az L 2 KN 259/06, diese zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de). Zum Nachweis der wirksamen Antragstellung durch den Versicherten, des Zugangs eines Erstattungsbescheids und der Erfüllung der Erstattungsforderung bedarf es in der Regel (mindestens) weiterer feststehender Hilfstatsachen, die den Schluss auf die maßgeblichen Haupttatsachen (Antragstellung, Zugang eines Erstattungsbescheides, Leistung mit befreiender Wirkung an den - ehemaligen - Versicherten) zulassen. Der - vom SG zitierten - abweichenden Auffassung des Bayerischen LSG (zB Urteil vom 17.7.2013, Az L 13 R 275/12 sowie Urteil vom 18.11.2009, Az L 13 R 559/08, beide zitiert nach juris) schließt sich der Senat nicht an, weil diese Rechtsprechung nicht erklärt, inwiefern sich aus elektronisch gespeicherten Daten nach den maßgeblichen prozessualen Beweisgrundsätzen im Wege des Strengbeweises (vgl dazu M. Kühl in: Breitkreutz-Fichte. SGG. Kommentar. 2. Aufl. 2014, § 118 Rdnr 2) die Antragstellung, die Bekanntgabe des darin erwähnten Bescheids und die Erfüllung des festgestellten Erstattungsanspruchs ergeben sollen.
30Der Ausdruck des Gesamtkontospiegels, also der in dem von der Beklagten geführten elektronischen Versicherungskonto des Klägers gespeicherten Daten, ist keine öffentliche Urkunde, aus der sich die genannten Haupttatsachen ergeben, weder eine öffentliche Urkunde über Erklärungen nach § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 415 Abs 1 ZPO noch eine öffentliche Urkunde über eine amtliche Entscheidung nach § 417 ZPO. Allein mit einem solchen Ausdruck kann nicht bewiesen werden, dass die dort gespeicherten Vorgänge (Datum eines Antrags sowie eines Bescheids, Erstattungszeitraum sowie -betrag) so wie dort gespeichert stattgefunden haben. Der Ausdruck kann insoweit keine Urkunde sein, weil es sich lediglich um einen "Ausdruck" handelt, der (allenfalls) dokumentiert, dass die entsprechenden Daten elektronisch gespeichert sind. Zur objektiven Richtigkeit der Daten besagt er nichts. Urkunden in diesem Sinne können nur schriftliche Dokumente sein, von denen ein Original existiert bzw existiert hat, vgl § 435 ZPO. Beweiskraft kann einer Urkunde nur zukommen, wenn sie echt ist oder dies vermutet wird (§§ 437 ff ZPO; vgl Huber in: Musielak. ZPO. 11. Aufl 2014. § 415 RdNr 2). Diese Anforderungen kann ein (beliebig wiederholbarer) Ausdruck elektronisch gespeicherter Daten von vornherein nicht erfüllen.
31Der Ausdruck des Gesamtkontospiegels steht auch nicht - selbst wenn er mit einem Beglaubigungsvermerk versehen wäre - nach § 416a ZPO einer öffentlichen Urkunde in beglaubigter Abschrift gleich. Nach dieser Vorschrift steht der mit einem Beglaubigungsvermerk versehene Ausdruck eines öffentlichen elektronischen Dokuments gemäß § 371a Abs 3 ZPO einer öffentlichen Urkunde in beglaubigter Abschrift gleich, wenn ihn eine öffentliche Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder eine mit öffentlichem Glauben versehene Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form erstellt hat. Bei dem elektronischen Gesamtkontospiegel, also den in dem Versicherungskonto gespeicherten Daten, handelt es sich gerade nicht um ein öffentliches elektronisches Dokument nach § 371a Abs 3 S 1 ZPO. Danach sind öffentliche elektronische Dokumente (nur) elektronische Dokumente, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form erstellt worden sind. Die Regelung des § 416a ZPO soll gewährleisten, dass der Beweis durch Urkunden in Papierform auch dann geführt werden kann, wenn das Originaldokument (nur) in elektronischer Form besteht. Die Vorschrift bestimmt, unter welchen Voraussetzungen dem Papier-Ausdruck eines bestimmten elektronischen Dokuments die Wirkungen einer Urkunde zukommen können (Huber. AaO. § 416a RdNr 1). Daraus ergibt sich, dass ein öffentliches elektronisches Dokument iS der § 371a Abs 3 S 1 und § 416a ZPO mit Ausnahme der Schriftlichkeit die Merkmale einer öffentlichen Urkunde iS der §§ 415, 417 f ZPO erfüllen muss, um mit diesen gleichgestellt werden zu können. Dies ist bei dem elektronischen Gesamtkontospiegel nicht der Fall.
32Der elektronische Gesamtkontospiegel kann keiner öffentlichen Urkunde über Erklärungen nach § 415 Abs 1 ZPO gleichgestellt werden. Die Beweiskraft nach dieser Vorschrift erstreckt sich darauf, dass die Erklärung samt dem niedergelegten Inhalt und den Begleitumständen (Zeit, Ort, Behörde, Urkundsperson) zutreffend und vollständig so wie beurkundet, bzw - bei öffentlichen elektronischen Dokumenten - gespeichert, und nicht anders abgegeben wurde (Huber. aaO. § 415 RdNr 10). Daten mit dieser Aussagekraft über bei der Beklagten abgegebene Erklärungen enthält der elektronische Gesamtkontospiegel nicht. Der Kontospiegel gibt lediglich die Daten "Antrag 16.06.1982" wieder. Dies stellt die bloße Angabe dar, dass an dem genannten Datum eine Erklärung gegenüber der Beklagten bzw ihrer Rechtsvorgängerin, der Bundesknappschaft, abgegeben worden sein soll. Der tatsächliche Inhalt der Erklärung, der die Bewertung zulässt, es handele sich rechtlich um einen Antrag auf Erstattung der zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge, ist dem Gesamtkontospiegel gerade nicht zu entnehmen. Auch aus dem Umstand, dass die Beklagte diesen Antrag unter der "Schlüsselnummer" 1830, die nach Angabe der Beklagten für die Speicherung von Beitragserstattungsverfahren gebraucht wird, gespeichert haben mag, kann nicht auf den Inhalt der abgegebenen Erklärung geschlossen werden. Vielmehr muss sich aus dem öffentlichen elektronischen Dokument selbst die Erklärung mitsamt dem niedergelegten Inhalt ergeben, damit sich die Beweiskraft nach § 415 Abs 1 ZPO hierauf erstrecken kann. Darüber hinaus geht die Zuweisung zu dieser "Schlüsselnummer" nicht auf den Erklärenden, sondern auf die Beklagte zurück. Sie kann deshalb auch auf einer unzutreffenden Wertung einer Erklärung beruhen. Daneben ergibt sich aus den Daten des elektronischen Gesamtkontospiegels auch nicht, wer den etwaigen "Antrag" gestellt haben soll, ob dies der Kläger persönlich, ein Bevollmächtigter oder eine - uU nicht wirksam bevollmächtigte - dritte Person war. Da der Kläger nur bis Oktober 1978 in Deutschland beschäftigt war, liegt nahe, dass er im Zeitpunkt, an dem der Antrag gestellt worden sein soll, bereits nach Marokko zurückgekehrt war, so dass mindestens möglich erscheint, dass ein Dritter den (etwaigen) Antrag gestellt hat. In diesem Fall müsste die Beklagte nachweisen, dass diese dritte Person ordnungsgemäß von dem Kläger bevollmächtigt worden ist. Die Person des Erklärenden sowie mögliche Vollmachten des Versicherten lassen sich den gespeicherten Daten nicht entnehmen, so dass eine wirksame, dem Kläger zurechenbare Antragstellung dem elektronischen Gesamtkontospiegel gerade nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen ist.
33Dem elektronischen Gesamtkontospiegel kann auch nicht die Beweiskraft von öffentlichen Urkunden über amtliche Anordnungen, Verfügungen oder Entscheidungen nach § 417 ZPO zukommen, da er keine amtliche Entscheidung iS eines Verwaltungsakts ist. Im hier maßgeblichen Zusammenhang sind ihm lediglich die Daten "Bescheid 20.7.1982", "Erstattung von 06.10.1972 bis 31.10.1978", "Erstattungsbetrag 0,00" sowie "ESBT-KN 15661,20" zu entnehmen. Dies reicht nicht aus, um den elektronischen Gesamtkontospiegel einer öffentlichen Urkunde nach § 417 ZPO gleichstellen zu können. Die Beweiskraft nach dieser Vorschrift umfasst, dass die Anordnung, Verfügung oder Entscheidung tatsächlich erlassen wurde und hierbei den Inhalt hat, der sich aus der Urkunde ergibt, und unter den in der Urkunde angegebenen Umständen ergangen ist, also Beweis erbringt auch hinsichtlich Ort und Zeit (Krafka in: BeckOK ZPO. Stand: 15.6.2014. § 417 RdNr 5). Der vorliegende Sachverhalt zeigt besonders deutlich, dass sich aus dem elektronischen Gesamtkontospiegel nicht entnehmen lässt, ob die dort gespeicherten Bescheide formell wirksam erlassen, also dem Versicherten (auch) bekannt gegeben worden sind, § 39 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Denn in dem Kontospiegel ist unter der "Schlüsselnummer" 1860 sowie dem Hinweis "Ablehnung Versichertenrente" der Bescheid vom 3.9.2004 gespeichert. Nach dem Inhalt der Akten der Beklagten konnte dieser Bescheid aber trotz mehrfacher Versuche dem Kläger gerade nicht zugestellt werden, ist mithin also nie wirksam geworden. Im elektronischen Versicherungskonto ist er gleichwohl (wie der angebliche Bescheid vom 20.7.1982) gespeichert. Vor diesem Hintergrund ist der Senat nicht restlos davon überzeugt, dass sich aus der bloßen Speicherung von Bescheiddaten in einem elektronischen Gesamtkontospiegel mit der nötigen Sicherheit entnehmen lässt, diese Bescheide seien wirksam erlassen worden.
34Im Wege des Augenscheinbeweises kann dem Ausdruck des elektronischen Gesamtkontospiegel allenfalls entnommen werden, dass Bedienstete (oder Beauftragte) der Beklagten diese Daten irgendwann eingegeben und gespeichert haben. Den sicheren Schluss auf die entscheidungserheblichen Tatsachen lässt die Inaugenscheinnahme des elektronischen Gesamtkontospiegel bzw der Ausdrucke nicht zu. Es kann daraus bestenfalls der - wahrscheinliche, da Eingabefehler nie ganz auszuschließen sind - Schluss gezogen werden, dass zum Versichertenkonto des Klägers ein Vorgang existierte, den die Beklagte intern als "Erstattungsverfahren" bewertet und bearbeitet hat.
35Selbst Geschehensabläufe, die typischerweise den Schluss auf eine Beitragserstattung zulassen, sind danach nicht erwiesen. Dies gilt selbst dann, wenn man in Rechnung stellt, dass die zur Beitragserstattung gespeicherten Daten durchaus eine gewisse Plausibilität haben. Den letzten Pflichtbeitrag in Deutschland hat der Kläger im Oktober 1978 entrichtet. Nach § 95 Abs 1 S 2 Reichsknappschaftsgesetz war eine Beitragserstattung auch damals idR erst zwei Jahre nach Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung möglich. Im Zeitpunkt der gespeicherten Antragstellung im Juni 1982 (aber auch bereits 1980) war diese Frist abgelaufen. Daraus lässt sich aber gerade nicht typischerweise folgern, dass eine Beitragserstattung immer nach Ablauf der maßgeblichen Wartefrist wirksam durchgeführt worden ist. So sind dem Senat (und damit auch der Beklagten) auch Fälle bekannt, in denen eine Beitragserstattung gar nicht oder nicht zeitnah dokumentiert ist oder vom Rentenversicherungsträger (zB anlässlich eines Rentenantrags) angeregt worden ist. Auch die Versicherungskarte kann - ungeachtet des Beweiswerts im Übrigen - nicht für einen typischen Geschehensablauf herangezogen werden, da auf ihr nicht - wie in vielen vergleichbaren Fällen - eine Beitragserstattung (durch Stempel oder handschriftlich) vermerkt ist. Worauf dies ggf. beruhen könnte, ist unerheblich. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, dass ein solcher Vermerk fehlt.
36Entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten folgt nichts Anderes daraus, dass der Kläger weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren den Vortrag der Beklagten substantiiert bestritten hat. Dieses Schweigen des Klägers ist unergiebig. Immerhin ist der Kläger dem Vortrag der Beklagten ausdrücklich entgegengetreten ("trifft nicht zu") und hat erklärt, die angeforderten Unterlagen lägen ihm nicht vor. Welche weitergehenden Angaben zu "Nichttatsachen" von einem (mit hoher Wahrscheinlichkeit prozessunerfahrenen) Kläger verlangt werden sollen, ist dem Senat nicht klar. Aus den Äußerungen des Klägers ergeben sich (anders als in vielen ähnlich gelagerten Verfahren) auch keine mittelbaren Hinweise auf eine Erstattung oder den Erhalt eines Geldbetrages (dies unterscheidet den vorliegenden Sachverhalt im Übrigen von demjenigen, der dem Urteil des Bayerischen LSG vom 18.11.2009, Az L 13 R 559/08, zugrunde lag, da der dortige Kläger "nach anfänglichem Zögern eingeräumt (hatte), er habe damals einen Geldbetrag erhalten; er (hatte) diesen nur nicht als Beitragserstattung, sondern als Zahlung von Arbeitsentgelt" eingestuft).
37Ein Anhaltspunkt dafür, dass die Beitragserstattung rechtswirksam erfolgt ist, ergibt sich schließlich entgegen der Auffassung des SG nicht aus dem Verhalten des Klägers nach dem ersten Antrag, insbesondere nicht aus der Tatsache, dass er sich erst wieder im Jahr 2009 bei der Beklagten gemeldet hat. Auch dieses Verhalten ist unergiebig. Aus dem fünfjährigen Zuwarten bis zur erneuten Antragstellung kann nicht der Schluss gezogen werden, der Kläger selbst wisse, dass er - wegen der Beitragserstattung - keinen Anspruch auf die Regelaltersrente habe. Denn daraus, dass der zum zweiten Mal von der Beklagten die Gewährung einer Rente begehrt und diesen Anspruch bis in die zweite Instanz verfolgt, kann ebenso der gegenteilige Schluss gezogen werden.
38Es liegt schließlich kein Sachverhalt vor, der zu einer Umkehr der Beweislast oder einer Absenkung des Beweismaßstabs führte. Die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung als "Beweisnotstand" bezeichnete Beweislage resultiert in erster Linie daraus, dass sie ihre etwaigen (Original-)Unterlagen zu dem von ihr behaupteten Beitragserstattungsverfahren vernichtet hat, so dass ihr nur noch der elektronische Datenbestand des Versicherungskontos, der Gesamtkontospiegel, zu Nachweiszwecken zur Verfügung steht. Hieraus ergeben sich weder eine Absenkung des Beweismaßstabs noch eine Umkehr der Beweislast oder eine der Beklagten zugutekommende Beweiserleichterung. In Fällen einer Beweisnot (bei typischen und unverschuldeten Beweisschwierigkeiten) kann im sozialgerichtlichen Verfahren im Einzelfall zwar eine Beweiserleichterung angenommen werden, so dass sich das Gericht über Zweifel hinwegsetzen und eine Tatsache als bewiesen ansehen kann (BSG, Urteil vom 2.9.2004, Az B 7 AL 88/03 R, juris RdNr 17; vgl auch Keller. aaO. § 128 RdNr 3e mwN). Selbst wenn ein typischer und unverschuldeter Beweisnotstand vorläge, wäre der Senat jedoch weder befugt, das Beweismaß zu verringern (BSG, Urteil vom 27.5.1997, Az 2 RU 38/96, juris RdNr 25), noch träte eine Umkehr der Beweislast ein (BSG, Beschluss vom 4.2.1998, Az B 2 U 304/97 B, juris RdNr 4). Nach den dargestellten Grundsätzen können die Beweisschwierigkeiten der Beklagten nicht dazu führen, dass zu ihren Gunsten Beweiserleichterungen eingreifen, so dass an den Beweis der ordnungsgemäßen Beitragserstattung weniger hohe Anforderungen gestellt werden könnten.
39Es handelt sich weder um typische noch um unverschuldete Beweisschwierigkeiten. Typische Beweisschwierigkeiten sind solche, die auf den Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts basieren, also etwa regelmäßig eintreten, wenn Versicherte, die im Ausland leben, Rentenleistungen beantragen. Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist dem Senat aus vielen vergleichbaren Verfahren bekannt, dass andere Rentenversicherungsträger, gelegentlich auch die Beklagte selbst, noch über Unterlagen zu Beitragserstattungsverfahren verfügen, selbst wenn diese vor langer Zeit stattgefunden haben. Dies beruht offenbar auf der klugen Entscheidung, Unterlagen auch nach Ablauf von Aufbewahrungsfristen aufzubewahren, wenn sie zum Nachweis der darin urkundlich belegten Tatsachen noch benötigt werden. Es liegen damit auch keine unverschuldeten Beweisschwierigkeiten vor, da die Beklagte diese selbst dadurch herbeigeführt hat, dass sie die Unterlagen zu dem behaupteten Beitragserstattungsverfahren vernichtet hat.
40Die Regelaltersrente beginnt mit dem Monat Januar 2011, § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen erst für den Beginn des Monats Januar 2011 nachweislich vor. Es ist nach Lage der Akten nämlich lediglich erwiesen, dass der Kläger im Jahr 1945 geboren wurde. Dass kein früheres Geburtsdatum als der letzte Tag dieses Jahres erwiesen ist, wirkt sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers aus. Der Senat geht davon aus, dass er durch diese gesetzeskonforme Rentengewährung dem allgemein gefassten (Haupt-)Begehren des Klägers vollständig entspricht, so dass eine Zurückweisung der Berufung im Übrigen nicht erforderlich ist.
413. Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Eine weitergehende Beweiserhebung iS des "Beweisantrags" der Beklagten ist nicht geboten.
42Bei dem Antrag auf "Parteivernehmung des Klägers", also den Kläger persönlich anzuhören, handelt es sich nicht um einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag. Nach den Vorschriften des SGG ist die Parteivernehmung kein im Sozialgerichtsverfahren zulässiges Beweismittel, denn § 118 Abs 1 SGG verweist nicht auf die §§ 445 ff ZPO (stRspr; vgl nur BSG, Beschlüsse vom 24.11.1990, Az 1 BA 45/90, juris, sowie vom 18.2.2003, Az B 11 AL 273/02 B, juris; M. Kühl. AaO). Hieran ändert sich entgegen der Auffassung der Beklagten nichts dadurch, dass sie sich auf einen "Beweisnotstand" beruft. Die im Sozialgerichtsverfahren zulässigen (Streng-)Beweismittel werden auch dann nicht erweitert, wenn ein Beweisnotstand iS von typischen und unverschuldeten Beweisschwierigkeiten (s.o.) vorliegt.
43Es ist zwar zutreffend, dass besondere Beweisschwierigkeiten bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden können, etwa wenn übliche Beweismittel (Zeugen, Urkunden) nicht zur Verfügung stehen, so dass vorhandene Erkenntnisquellen, etwa Beteiligtenvorbringen, an Gewicht gewinnen (vgl hierzu Keller. aaO. § 128 RdNr 3e mwN). Das gilt insbesondere für den Fall, dass der Beteiligte Tatsachen aus eigener Wahrnehmung angibt, und andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen (vgl dazu Beschluss des Senats vom 22.5.2013, Az L 18 KN 52/10; juris Rdnr 28). So liegt der Fall hier aber nicht. Die Beklagte erhofft sich vielmehr vom Kläger "ins Blaue hinein", dass er Angaben machen könnte, die ihren Standpunkt bestätigen. Allein deshalb fühlt sich der Senat nicht gedrängt, dem "Beweisantrag" der Beklagten nachzugehen und den Kläger entweder in Marokko oder in Deutschland zu der von der Beklagten behaupteten Beitragserstattung persönlich anzuhören. Denn der Senat hat sämtliche vorhandenen Erkenntnisquellen einschließlich des Vorbringens der Beteiligten - und damit auch das des Klägers - berücksichtigt und in die Beweiswürdigung eingezogen. Der Kläger hat den Vortrag der Beklagten zur Erstattung zur Gänze bestritten und vorgetragen, die angeforderten Unterlagen lägen ihm (folglich) nicht vor. Dieser Vortrag des Klägers blieb über die Dauer des gesamten Verfahrens frei von Widersprüchen. Welche über diesen Vortrag hinausgehenden Erkenntnisse die Beklagte sich von der persönlichen Anhörung des Klägers zu der von ihr behaupteten Beitragserstattung verspricht, vermag der Senat nicht zu erkennen. Auch die Beklagte trägt keinen konkreten Sachverhalt vor, den der Kläger vortragen oder bestätigen soll. Der Beweisantrag ist offenbar lediglich von der vagen Hoffnung getragen, der Kläger könnte - anders als mit seinem Vortrag im schriftlichen Verfahren - nunmehr ihre Behauptungen bestätigen. Da hierfür angesichts des bisherigen Vortrags des Klägers tatsächliche Grundlagen gänzlich fehlen, handelt es sich bei dem "Beweisantrag" der Beklagten um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis (vgl hierzu: BSG, Beschluss vom 19.11.2009, Az B 13 R 303/09 B, juris RdNr 12).
44B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 S 1, 193 Abs 1 S 1 SGG.
45C. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, vgl § 160 Abs 2 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 9. Februar 2017 gemäß § 304 Abs. 1, 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Angeklagte wurde in dieser Sache auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Januar 2015 am 16. Januar 2015 festgenommen und befand sich zunächst bis zur Aufhebung des Haftbefehls durch das Amtsgericht Tiergarten am 5. Februar 2015 in Untersuchungshaft.
- 2
- Am 6. März 2015 ist er auf Grund des von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin im Wege der Beschwerde erwirkten Haftbefehls des Landgerichts Berlin vom selben Tag, später abgeändert durch den Beschluss des Kammergerichts vom 8. April 2015, erneut in Untersuchungshaft genommen worden, die seither ununterbrochen andauert. Der Haftbefehl ist, nachdem der Generalbundesanwalt das Verfahren übernommen hatte, ersetzt worden durch den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. Juli 2015 in der Fassung des Invollzugsetzungsbeschlusses vom 13. Juli 2015. Nach Anklageerhebung durch den Generalbundesanwalt zum Kammergericht hat dieses den Haftbefehl anlässlich der Eröffnung des Hauptverfahrens mit Beschluss vom 4. Dezember 2015 aufrechterhalten.
- 3
- In dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs wird dem Angeklagten vorgeworfen, er habe zwischen Mitte Juni 2013 und Ende November 2014 durch neun selbständige Handlungen von Deutschland aus die in Syrien bestehende Vereinigung Junud ash-Sham, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, unterstützt und bei acht dieser Handlungen jeweils tateinheitlich hierzu eine Straftat nach § 211 oder § 212 StGB vorbereitet, die bestimmt und geeignet gewesen sei, den Bestand oder die Sicherheit eines Staats zu beeinträchtigen, indem er für deren Begehung nicht unerhebliche Vermögenswerte gesammelt, entgegengenommen oder zur Verfügung gestellt habe, strafbar als neun Fälle der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in acht dieser Fälle in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 aF, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, §§ 52, 53 StGB.
- 4
- Der Senat hat mit Beschlüssen vom 27. August 2015 (AK 23/15) und 10. Dezember 2015 (AK 47/15) die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs bzw. neun Monate hinaus angeordnet. Er hat den Angeklagten jedenfalls der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in acht Fällen gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, § 53 StGB (Fälle 1 bis 3 sowie 5 bis 9) für dringend verdächtig erachtet.
- 5
- Am 6. Oktober 2016 haben der Angeklagte und seine Verteidigerin die Aufhebung des gegen ihn bestehenden Haftbefehls beantragt. Mit am 13. Oktober 2016 verkündetem Beschluss hat das Kammergericht die Anträge zurückgewiesen und Haftfortdauer angeordnet. Es hat dort einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich der Fälle 2, 6, 7 und 9 des Haftbefehls bejaht, die infolge von vorgenommenen Verfahrensbeschränkungen allein noch Gegenstand der Hauptverhandlung sind.
- 6
- Am 28. Dezember 2016 hat der Angeklagte ein in türkischer Sprache abgefasstes Schreiben vom selben Tag per Telefax an das Kammergericht übersenden lassen. Aus der von diesem veranlassten Übersetzung in die deutsche Sprache ergibt sich, dass sich der Angeklagte mit der "Beschwerde gegen den Haftbeschluss" wendet. Mit Verfügung vom 9. Januar 2017 hat das Kammergericht dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.
- 7
- Auf den Antrag des Generalbundesanwalts, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, hat sich der Angeklagte mit weiterem per Telefax übersandtem , in türkischer Sprache abgefasstem Schreiben vom 26. Januar 2017 geäußert; seine Verteidigerin hat mit Schriftsatz vom 27. Januar 2017 Stellung genommen.
II.
- 8
- 1. Die statthafte (§ 304 Abs. 1, 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO) Beschwerde des Angeklagten ist auch im Übrigen zulässig. Der formgerechten Einlegung des Rechtsmittels (§ 306 Abs. 1 StPO) steht hier nicht entgegen, dass der Angeklagte das Beschwerdeschreiben vom 28. Dezember 2016 in türkischer Sprache abgefasst hat.
- 9
- a) Nach § 184 Satz 1 GVG ist die Gerichtssprache deutsch. Nach bislang ständiger Rechtsprechung sind fremdsprachige Schreiben grundsätzlich unbeachtlich, auch wenn der Verfasser die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 1981 - 1 StR 815/80, BGHSt 30, 182; vom 13. September 2005 - 3 StR 310/05, juris Rn. 2 [für die Revision]; BeckOK StPO/Walther, § 184 GVG Rn. 4; KK-Diemer, StPO, 7. Aufl., § 184 GVG Rn. 1, 2 mwN).
- 10
- Zwar hat der Europäische Gerichtshof diesen Grundsatz erheblich eingeschränkt , indem er entschieden hat, dass es für die Frage, ob ein fremdsprachig abgefasstes Schreiben von Amts wegen zu übersetzen und zu beachten ist, nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. Nr. L 280, S. 1) darauf ankommt , ob es sich um ein für das Verfahren wesentliches Dokument handelt (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C 216/14, NJW 2016, 303; vgl. SKStPO /Frister, 5. Aufl., § 187 GVG Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 184 GVG Rn. 2a). Ungeachtet dessen, dass sich die Wesentlichkeit ohne Übersetzung zumeist nicht beurteilen lassen dürfte, betrifft diese Entscheidung nur den nichtverteidigten Beschuldigten (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C 216/14, aaO, S. 305 Rn. 42 f.). Der Angeklagte hat aber zwei Verteidiger. Ein verteidigter Beschuldigter hat nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK Anspruch auf unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher beim Verkehr mit seinem Verteidiger (vgl. BeckOK StPO/Valerius, Art. 6 MRK Rn. 54, 57 mwN). Er ist zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte nicht in gleicher Weise auf amtswegige Übersetzungen seiner Schreiben angewiesen. Ähnlich sieht § 187 Abs. 1 Satz 1 StPO die Heranziehung eines Übersetzers nur vor, wenn dies zur Rechtswahrung erforderlich ist; dabei kann hier dahinstehen , inwieweit diese Vorschrift überhaupt auf vom Beschuldigten verfasste Schreiben Anwendung findet (so BeckOK StPO/Walther, § 187 GVG Rn. 3; SKStPO /Frister aaO, Rn. 5).
- 11
- b) Ob das Schreiben des Angeklagten vom 28. Dezember 2016 der gesetzlichen Form genügt, braucht der Senat indes nicht zu entscheiden. Denn es liegt jedenfalls deshalb eine formgerechte Beschwerde vor, weil das Kammergericht das Schreiben des Angeklagten tatsächlich übersetzt und die Verteidigerin sie sich in ihrem Schriftsatz vom 27. Januar 2017 zu eigen gemacht hat.
- 12
- c) Allerdings hat der Senat davon abgesehen, das Schreiben des Angeklagten vom 26. Januar 2017 übersetzen zu lassen, weil dieser die Möglichkeit hat, über seine Verteidiger seine Verteidigungsrechte geltend zu machen.
- 13
- 2. In der Sache bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.
- 14
- a) Gegen den Angeklagten besteht jedenfalls der dringende Tatverdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in vier Fällen gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, § 53 StGB.
- 15
- aa) Hinsichtlich der Darstellung der - nach den Verfahrensbeschränkungen verbleibenden - vier einzelnen Tatvorwürfe nimmt der Senat Bezug auf seine Ausführungen im Haftprüfungsbeschluss vom 27. August 2015 zu den Fällen 2, 6, 7 und 9, die denjenigen im Anklagesatz der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 27. Oktober 2015 (dort S. 4 ff.) entsprechen.
- 16
- bb) Die Bewertung des Verdachtsgrades hat das Kammergericht - nach 49-tägiger Hauptverhandlung - im angefochtenen Haftfortdauerbeschluss vom 13. Oktober 2016 sowie ergänzend - nach 56-tägiger Hauptverhandlung - in der Nichtabhilfeentscheidung vom 9. Januar 2017 ausführlich dargelegt. Diese Ausführungen ermöglichen dem Senat die eigenverantwortliche Entscheidung, dass der Verdacht weiterhin als dringend zu beurteilen ist (s. dazu im Einzelnen BGH, Beschluss vom 29. September 2016 - StB 30/16, NJW 2017, 341, 342; ferner BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143; vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12, NStZ-RR 2013, 16, 17 f.; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247, 248; vom 5. Februar 2015 - StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3; vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016,
217).
- 17
- Im Haftfortdauerbeschluss ist im Einzelnen nachvollziehbar ausgeführt, welche Beweiserhebungen aus Sicht des Kammergerichts den dringenden Tatverdacht begründen. Die Nichtabhilfeentscheidung enthält die Mitteilung, dass das gerichtliche Beweisprogramm schon geraume Zeit abgeschlossen ist und auch die weitere Beweisaufnahme keine durchgreifenden abweichenden Erkenntnisse erbracht hat. Soweit das Kammergericht seine Bewertung auf die Angaben des Zeugen K. stützt, hat es dargelegt, durch welche anderen Beweismittel diese bestätigt werden. Eine nähere Glaubhaftigkeitsanalyse der Aussage des Zeugen ist in den die Haft betreffenden Entscheidungen nicht erforderlich ; mit den Angriffen gegen dessen Glaubwürdigkeit kann die Beschwerde nicht gehört werden. Auch die detaillierte Schilderung von eigenen in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen, die im Widerspruch zu der gerichtlichen Würdigung stehen, kann dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen. Ebenso wenig verfängt der in der Stellungnahme der Verteidigerin erhobene Einwand, die Beweisaufnahme habe nicht bestätigt, dass - wie ursprünglich von den Strafverfolgungsbehörden zu Unrecht angenommen - der Mitangeklagte F. den Angeklagten in einem Internet-Chat mit "E. " betitelt habe; dies hat das Kammergericht ausdrücklich berücksichtigt.
- 18
- b) Bei dem Angeklagten liegt weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO vor. Wenngleich der von der Straferwartung ausgehende Fluchtanreiz mit zunehmender - hier bald zwei Jahre anhaltender - Dauer des Untersuchungshaftvollzugs geringer wird (zur sog. Nettostraferwartung vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 9 mwN), macht es die Würdigung sämtlicher Umstände wahrscheinlicher, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde.
- 19
- Hinsichtlich der eine Flucht indizierenden Umstände nimmt der Senat vorab Bezug auf seine Ausführungen im Haftprüfungsbeschluss vom 27. August 2015. Darüber hinausgehend hat das Kammergericht zutreffend als weitere Erkenntnisse in die Würdigung mit eingestellt, dass die Ehefrau des Angeklagten im Jahr 2014 in der Türkei ein Grundstück erwarb, diesem im Jahr 1996 ohne Reisepass oder andere Personaldokumente die erstmalige Einreise nach Deutschland gelungen war, er in den Folgejahren ausweislich der von der Ö. GmbH übersandten Unterlagen bei Flugbuchungen zehn verschiedene Geburtsdaten benutzte und er Schulden "in einem fünfstelligen Bereich angehäuft" hat.
- 20
- Ohne Erfolg bleibt demgegenüber der Einwand der Verteidigerin, dass die Unregelmäßigkeiten in den Buchungsunterlagen auf "Fehler(n) der Reisebüros" beruhten, was sie "unter Beweis gestellt" habe. Die Annahme der Fluchtgefahr setzt kein sicheres Wissen um die sie begründenden Tatsachen voraus. Sie müssen gerade nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen ; vielmehr genügt derselbe Grad der Wahrscheinlichkeit wie bei der Annahme des dringenden Tatverdachts (BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 112 Rn. 22 mwN). Gleiches gilt, soweit die Verteidigerin geltend macht, dass den finanziellen Verbindlichkeiten des Angeklagten "Forderungen in mehrstelliger Höhe aus seinem Baugewerbe gegen seine Auftragnehmer" gegenüberstünden, was ebenfalls "unter Beweis gestellt" worden sei.
- 21
- Weniger einschneidende Maßnahmen (§ 116 Abs. 1 StPO) bieten bei einer Gesamtschau der Umstände voraussichtlich keinen Erfolg. Für eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls fehlt es unter den gegebenen Umständen an einer ausreichenden Vertrauensgrundlage in der Person des Angeklagten.
- 22
- c) Die Haftfortdauer steht nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 112 Abs. 1 Satz 2, § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Auch unter Berücksichtigung der bisherigen Dauer der Untersuchungs- haft von nunmehr fast zwei Jahren erscheint die Fortdauer der Haft mit Blick auf das Gewicht der dem Angeklagten angelasteten Taten sowie der für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehenden Strafe und des - unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung gemäß § 57 StGB - hypothetischen Strafendes als nicht unverhältnismäßig.
- 23
- d) Auch ein Verstoß gegen das in Haftsachen geltende verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot liegt nicht vor. Dieses verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um mit der gebotenen Schnelligkeit die notwendigen Ermittlungen abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche erforderlich. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Insgesamt ist eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich, bei der es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer ankommt. Sie kann abhängig sein von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Prozessverhalten des Angeklagten und des Verteidigers, ohne dass es in diesem Zusammenhang maßgeblich darauf ankommt, inwieweit es sich um sachdienliches Verteidigungsverhalten handelt oder dessen Grenzen überschritten sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2016 - StB 1/16, juris Rn. 25; vom 22. September 2016 - StB 29/16, NStZ-RR 2017, 18, 19). Zu würdigen sind auch die voraus- sichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Strafe (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640; BGH, Beschlüsse vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217, 218; vom 1. Dezember 2016 - StB 37/16, Rn. 10).
- 24
- Gemessen hieran ist das Verfahren und insbesondere die Hauptverhandlung mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Bezüglich der Beurteilung des Verfahrensgangs bis zur am 4. Dezember 2015 angeordneten Eröffnung des Hauptverfahrens verweist der Senat auf seine Ausführungen in den Haftprüfungsbeschlüssen vom 27. August 2015 und vom 10. Dezember 2015.
- 25
- Die Hauptverhandlung hat am 8. Januar 2016 begonnen. Am 4. Januar 2017 hat der 56. Verhandlungstag stattgefunden. Nachdem - ausweislich der Darstellung des Verfahrensablaufs in dem angefochtenen Haftfortdauerbeschluss und der Nichtabhilfeentscheidung - das gerichtliche Beweisprogramm seit mehreren Monaten abgeschlossen, das Verfahren schon längere Zeit durch eine kontinuierliche Vielzahl von Beweisanträgen, -ermittlungsanträgen und -anregungen seitens der Verteidigung geprägt und die Beantwortung eines antragsgemäß gestellten Rechtshilfeersuchens an die Republik Türkei abzuwarten ist, erweist sich die Terminierung als hinreichend straff. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass das Kammergericht bereits anberaumte Termine auf zahlreiche Anträge der Verteidigung wegen Verhinderung jeweils beider Verteidiger aufgehoben hat.
Die Gerichtssprache ist deutsch. Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet.
(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.
(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
(1) Der Lauf einer Frist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung.
(2) Eine nach Tagen bestimmte Frist endet mit dem Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fehlt dem letzten Monat der entsprechende Tag, so endet die Frist mit dem Monat.
(3) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags.
(1) Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, sind den Beteiligten zuzustellen, bei Verkündung jedoch nur, wenn es ausdrücklich vorgeschrieben ist. Terminbestimmungen und Ladungen sind bekannt zu geben.
(2) Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung. §§ 173, 175 und 178 Abs. 1 Nr. 2 der Zivilprozessordnung sind entsprechend anzuwenden auf die nach § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 9 zur Prozessvertretung zugelassenen Personen.
(3) Wer nicht im Inland wohnt, hat auf Verlangen einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen.
Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung.
(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.
(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 67 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.
(1) Der Lauf einer Frist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung.
(2) Eine nach Tagen bestimmte Frist endet mit dem Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fehlt dem letzten Monat der entsprechende Tag, so endet die Frist mit dem Monat.
(3) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags.
(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
(2) Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat. Der Beschluß, der die Wiedereinsetzung bewilligt, ist unanfechtbar.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.
(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
- 1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder - 2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.
(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.
(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
(1) Für die Öffentlichkeit, Sitzungspolizei und Gerichtssprache gelten die §§ 169, 171b bis 191a des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend.
(2) Für die Beratung und Abstimmung gelten die §§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend.
Ist die Berufung nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.
(1) Für die Öffentlichkeit, Sitzungspolizei und Gerichtssprache gelten die §§ 169, 171b bis 191a des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend.
(2) Für die Beratung und Abstimmung gelten die §§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend.
Die Gerichtssprache ist deutsch. Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 5. Kammer, Einzelrichterin - vom 12. September 2017 sowie der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
I.
- 1
Der 1993 oder 1997 geborene Kläger aus Somalia wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags und die Anordnung seiner Abschiebung nach Schweden. Er reiste zunächst nach Schweden ein, sodann nach Deutschland, wo er am 15.11.2016 einen Asylantrag stellte. Ein Übernahmeersuchen der Beklagten wurde von der schwedischen Behörde (Migrationsverket) am 13.01.2017 akzeptiert. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.02.2017 den Asylantrag ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote bestehen und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Schweden an. Die Aufforderung des Klägers, den Bescheid wegen Ablaufs der Überstellungsfrist aufzuheben, lehnt die Beklagte ab. Seine am 15.08.2017 eingegangene Klage hat das Verwaltungsgericht (Einzelrichterin der 5. Kammer) mit Gerichtsbescheid vom 12.09.2017 als unzulässig abgewiesen, da die einwöchige Klagefrist nicht gewahrt worden sei. Die dem Bescheid vom 24.02.2017 beigefügte Rechtsmittelbelehrung sei korrekt, insbesondere sei die Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein müsse, nicht geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass die Klage schriftlich erhoben werden müsse. Sie schließe insbesondere eine Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht aus. Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Klageerhebung in deutscher Sprache sei richtig.
- 2
Der Kläger erstrebt die Zulassung der Berufung. Er meint, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, da das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht bislang noch nicht über die Rechtsfrage entschieden habe, ob eine Rechtsmittelbelehrung mit der Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein muss, im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig ist.
II.
- 3
1. Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers ist abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Erfolgsaussichten hat (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
- 4
2. Der fristgerecht gestellte und begründete Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Frage, ob die in der Rechtsbehelfsbelehrung zum Bescheid der Beklagten vom 24.02.2017 enthaltene Formulierung, wonach die Klage „… in deutscher Sprache abgefasst sein“ muss, im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig ist, ist nicht grundsatzbedeutsam (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Sie bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, da sich ihre Beantwortung unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Das wird auch durch das in der Begründung des Zulassungsantrags in Bezug genommene Urteil des VGH Mannheim vom 18.04.2017 (A 9 S 333/17, NVwZ 2017, 1477) nicht in Frage gestellt.
- 5
2.1 Die Rechtsbehelfsbelehrung wurde richtig erteilt.
- 6
Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO muss über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem er anzubringen ist, dessen Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt werden. Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt worden.
- 7
Soweit die Rechtsbehelfsbelehrung auch auf das Erfordernis der Klageerhebung „in deutscher Sprache“ hinweist, ist auch dies richtig (vgl. § 55 VwGO, § 184 GVG).
- 8
Eine Belehrung über das Formerfordernis des § 81 Abs. 1 VwGO, wonach die Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann, ist nach § 58 Abs. 1 VwGO nicht erforderlich; dies entspricht gefestigter Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 13.12.1978, 6 C 77.78, BVerwGE 57, 188 [bei Juris Rn. 22]; vgl. Meissner/Schenk, in: Schoch u. a., VwGO, 2016, § 58 Rn. 43 m. w. N.). Dazu gehört auch eine Angabe dazu, wie die Klage „abgefasst“ sein muss, denn sie betrifft das - nach § 58 Abs. 1 VwGO gesetzlich nicht geforderte - Formerfordernis einer Klageerhebung. Das begründet keine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung.
- 9
2.2 Angaben in einer Rechtsbehelfsbelehrung, die von den oben genannten Mindestanforderungen gemäß § 58 Abs. 1 VwGOnicht umfasst sind, können nur dann zu einer Unrichtigkeit i. S. d. § 58 Abs. 2 VwGO führen, wenn siegeeignet sind, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch davon abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen. Das ist in der Rechtsprechung geklärt (BVerwG, Urt. v. 21.03.2002, 4 C 2.01, DVBl. 2002, 1553 [zu einer „Vielzahl“ von Informationen in der Belehrung], BVerwG, Beschl. v. 03.03.2016, 3 PKH 5.15, Juris [zu einem irreführenden Zusatz], BVerwG, Beschl. v. 16.11.2012, 1 WB 3.12, NZWehrR 2013, 168 [bei Juris Rn. 14: zu einem Zusatz zu der Stelle, bei der die Beschwerde eingelegt werden kann]; vgl. dazu auch Meissner/Schenk, a.a.O., Rn. 44).
- 10
Der hier verwendeten Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein muss, fehlt eine Eignung im o. g. Sinne.
- 11
2.2.1 Hinsichtlich der (semantischen) Bedeutung des Wortes „abfassen“ fehlt schon die Möglichkeit, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen. Das Verb „abfassen“ bringt nur zum Ausdruck, dass die Klage ausformuliert erhoben werden muss. Indem die Rechtsbehelfsbelehrung die passive Form verwendet, ist für den objektiven Empfängerhorizont erkennbar, dass die Ausformulierung nicht nur durch den Kläger selbst (oder dessen Anwalt) erfolgen muss. Eine Klage ist auch dann (in deutscher Sprache) „abgefasst“, wenn dies in Form einer Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle geschieht. Die Klageerhebung zur Niederschrift ist eine Unterform der schriftlichen Klageerhebung. Eine Niederschrift dokumentiert das persönlich erklärte Rechtsschutzbegehren des Klägers, das von dem Urkundsbeamten pflichtgemäß entgegenzunehmen und schriftlich zu fixieren ist. Insoweit genügt die Unterschrift des Urkundsbeamten. Mit Abschluss des Protokolls über die Niederschrift ist die Klage erhoben und damit rechtshängig (vgl. Ortloff/Riese, in: Schoch u. a., VwGO, 2016, § 81 Rn. 10).
- 12
2.2.2 Selbst wenn man - dem (im Zulassungsantrag zitierten) Urteil des VGH Mannheim vom 18.04.2017 (a.a.O., bei Juris Rn. 30) folgend - annehmen wollte, dass der objektive Empfängerhorizont eines Bescheidempfängers „… abgefasst“ sprachlich im Sinne einer selbst veranlassten (eigenhändigen) Klageerhebung verstehen werde, würde der Bescheidempfänger dadurch nicht von einer Klageerhebung überhaupt oder einer rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten. Dafür genügt allein ein fehlender Hinweis auf die nach § 81 Abs. 1 VwGO zulässige Alternative einer Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht.
- 13
Ob die Annahme, wegen des unterbliebenen Hinweises auf die Möglichkeit einer Klageerhebung zur Niederschrift werde „die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise erschwert (VGH Mannheim, a.a.O. bei Juris Rn. 30) zutrifft, kann offen bleiben, weil eine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung (erst) dann anzunehmen ist, wenn sie geeignet ist, den Betroffenen von einer Einlegung des Rechtsbehelfs abzuhalten (BVerwG, Urt. v. 21.03.2002, a.a.O.). Dafür ist mehr erforderlich als eine bloße Erschwernis der Rechtsverfolgung, zumal dann, wenn eine solche (unterstellte) Erschwernis in zumutbarer Weise überwindbar ist.
- 14
Bei den hier in Betracht kommenden Alternativen - schriftliche Klageerhebung oder Klageerhebung zur Niederschrift - ist überdies fraglich, ob die zweite Alternative überhaupt eine „Erschwernis“ der Rechtsverfolgung bewirkt. Um eine Klage zur Niederschrift zu erheben, müsste sich der Rechtsschutzsuchende zum Gerichtsort begeben und dort die Rechtsantragsstelle aufsuchen. Dies mag erklären, dass diese Vorgehensweise in der (asylrechtlichen) Praxis (sehr) selten vorkommt. Die Erwägung, dass sich ein Rechtsschutzsuchender bestimmten, in der Rechtsbehelfsbelehrung genannten (zusätzlichen) Anforderungen „nicht gewachsen“ fühlen und sich so davon abhalten lassen könnte, eine an sich gewünschte Klage zu erheben, bezieht sich auf ganz andere Konstellationen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.01.1971, V C 53.70, VerwRSpr 1972, 121/122 [fehlerhafter Hinweis auf das Erfordernis eines Klageantrags] sowie BVerwGE 3, 273/274 [fehlerhafte Hinweise zum Einlegungsort und zur Klagebegründung]). Vorliegend geht es nicht um den Fall falscher oder „erschwerender“ Zusätze in der Rechtsbehelfsbelehrung, sondern um einen unterbliebenen Hinweis auf eine Variante der Einlegung einer - ansonsten in der Rechtsbehelfsbelehrung korrekt behandelten - Klage. Auch ein nicht deutschsprachiger Kläger kann eine evtl. erforderliche Hilfe beim „Abfassen“ seiner Klage bei einer „eigenhändigen“ Klageerhebung ebenso gut erlangen, wie es im Falle einer Klageerhebung durch Niederschrift der Fall wäre.
- 15
Soweit Unklarheiten über die formgerechte Klageerhebung dadurch entstehen, dass der Kläger der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig ist und deshalb nicht darauf kommt, dass er die Klage auch zur Niederschrift „abfassen“ kann, wäre dies nicht durch die Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung verursacht, sondern durch das mangelnde Sprachverständnis des Klägers. In Asylverfahren kann der Kläger dem unter Zuhilfenahme der Beklagten abhelfen. Diese ist verpflichtet, ihn „in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann“ über das Verfahren und - insbesondere - über Fristen und die Folgen einer Fristversäumung zu informieren (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), wie dies zu Beginn des Verfahrens bereits geschehen ist (vgl. Bl. 11 ff. der Verwaltungsvorgänge) und auch nach Erlass des Bescheides vom 24.02.2017 - auch innerhalb der Wochenfrist - noch möglich bleibt. Dafür genügt eine einfache Nachfrage. Unabhängig davon ist es (zumindest) fernliegend, dass allein eine fehlende Angabe dazu, dass eine Klage auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten „abgefasst“ werden kann, geeignet ist, den Kläger davon abzuhalten, die Klage rechtzeitig und in der richtigen Form einzulegen. Das wäre nur denkbar, wenn eine Klageerhebung zur Niederschrift typischerweise die näher liegende oder einfachere Form der Klageerhebung wäre. Das ist nicht der Fall und - zudem - lebensfremd.
- 16
3. Der Zulassungsantrag war nach alledem abzulehnen.
- 17
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
- 18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
- 19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 14.12.2010 geändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 22.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009 verurteilt, dem Kläger ab dem 1.1.2011 Regelaltersrente zu gewähren. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Streitig ist Regelaltersrente, hilfsweise eine finanzielle Unterstützung.
3Der 1945 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger und war in Deutschland vom 6.10.1972 bis zum 5.3.1974, vom 1.4.1974 bis zum 30.11.1976, vom 1.2.1977 bis zum 31.3.1977 und vom 6.4.1977 bis zum 31.10.1978 versicherungspflichtig im Bergbau beschäftigt. Danach kehrte er nach Marokko zurück, wo er bis heute lebt.
4Im Juni 2004 beantragte der Kläger Rentenleistungen unter Vorlage einer Lohnabrechnung der S Bergbau AG Westfalen betreffend den Monat 7/1976. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil keine auf die Wartezeit anrechenbaren deutschen Versicherungszeiten mehr bestünden. Die zur deutschen Rentenversicherung in der Zeit vom 6.10.1972 bis zum 30.10.1978 entrichteten Beiträge seien mit Bescheid vom 20.7.1982 erstattet worden. Versicherungszeiten nach dem 20.7.1982 seien weder behauptet noch nachgewiesen (Bescheid vom 3.9.2004). Dieser Bescheid konnte trotz Einschaltung der Deutschen Botschaft in Rabat dem Kläger nicht wirksam zugestellt werden.
5Im April 2009 beantragte der Kläger die Gewährung einer Altersrente. Die Beklagte nahm einen (verschlüsselten) Ausdruck des den Kläger betreffenden (elektronisch gespeicherten) "Gesamtkontospiegels" zu den Akten. Darin sind im Versicherungskonto des Klägers unter der Schlüssel-Nr 1830 folgende Daten gespeichert: "Antrag 16.06.1982", "Bescheid 20.07.1982", "Erstattung von 06.10.1972 bis 31.10.1978", "Erstattungsbetrag 0,00" sowie "ESBT-KN 15661,20". Ferner ist nach diesem Kontospiegel - unter der Schlüssel-Nr 1860 "Ablehnung Versichertenrente" - der Bescheid vom 3.9.2004 gespeichert. Anschließend lehnte die Beklagte die Gewährung einer Regelaltersrente mit derselben Begründung wie 2004 ab (Bescheid vom 22.5.2009; Widerspruchsbescheid vom 11.11.2009). Der per Einschreiben mit Auslandsrückschein versandte Widerspruchsbescheid konnte wiederum nicht an den Kläger zugestellt werden; die Beklagte sandte ihn daraufhin erneut mit Begleitschreiben vom 25.1.2010 an den Kläger, dieses Mal mit einfachem Brief.
6Mit seiner am 19.2.2010 beim Sozialgericht (SG) Dortmund in französischer Sprache erhobenen und nicht in die deutsche Sprache übersetzten Klage ("réclamation"), der eine Kopie des Schreibens vom 25.1.2010 und des diesem Schreiben beigefügten Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009 beigefügt waren, hat der Kläger darauf hingewiesen, dass er in Deutschland gearbeitet und Beiträge gezahlt habe. Er sei ein alter Mann und befinde sich in einer schlechten finanziellen Situation. Er bitte, seine Akten nochmals zu prüfen und ihm eine Rente oder eine finanzielle Hilfe zu gewähren.
7Die Beklagte hat ihre Entscheidung weiter für richtig gehalten.
8Auf die in französischer Sprache verfasste Aufforderung des SG, Stellung zu der im Jahr 1982 erfolgten Beitragserstattung zu nehmen und hierzu ggf noch vorhandene Unterlagen vorzulegen, hat der Kläger mitgeteilt, er besitze die angeforderten Dokumente nicht.
9Nach Hinweis auf die beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat das SG die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Regelaltersrente, weil die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt sei. Auf Grund der Beitragserstattung sei das Versicherungsverhältnis aufgelöst. Es sei davon auszugehen, dass dem Kläger die von ihm entrichteten Beiträge erstattet worden seien. Der Vorgang der Beitragserstattung ergebe sich aus dem Gesamtkontospiegel. Es bestehe kein Anhaltspunkt, dass die sich hieraus ergebenden Grunddaten fehlerhaft sein könnten. Der Kläger habe weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren die Durchführung des vollständigen Beitragserstattungsverfahrens auch nur ansatzweise in Abrede gestellt. Schließlich zeige das Verhalten des Klägers nach der ersten Antragstellung im Jahr 2004, dass er selbst nicht davon ausgehe, einen berechtigten Anspruch gegenüber der Beklagten zu haben. Denn anderenfalls hätte er sich nicht erst wieder im Jahr 2009 bei der Beklagten gemeldet, um seinen vermeintlichen Anspruch geltend zu machen (Gerichtsbescheid vom 14.12.2010, zugestellt am 18.1.2011).
10Mit seiner am 23.2.2011 eingegangenen, in französischer Sprache verfassten Berufung ("recours"), deren in Auftrag gegebene deutsche Übersetzung dem Gericht am 30.3.2011 vorgelegen hat, hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er bittet erneut um die Überprüfung seiner Akte, damit er eine Altersrente oder eine finanzielle Unterstützung erhalte. Auf die Bitten des Gerichts - auch in französischer Sprache -, sämtliche Unterlagen, die er noch besitze, vorzulegen sowie Fragen zu der Beitragserstattung zu beantworten, hat der Kläger ergänzend ausgeführt, er widerspreche der Darstellung der Beklagten. Er bitte um eine günstige Entscheidung; für weitere Informationen stehe er jederzeit zur Verfügung.
11Der Kläger ist am 4.6.2014 vom Termin zur mündlichen Verhandlung mit dem Hinweis benachrichtigt worden, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne.
12Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist für den Kläger niemand erschienen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Berufung zurückzuweisen.
15Sie hält ihre Entscheidung sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und ist weiter der Auffassung, die für den Kläger vorgenommene Beitragserstattung ergebe sich nachweislich aus dem Gesamtkontospiegel. Die im Versicherungskonto gespeicherte Dokumentation der Beitragserstattung korrespondiere schlüssig mit den im Versicherungskonto abgelegten Versicherungszeiten. Sie hat eine Versicherungskarte des Klägers vorgelegt, auf der lediglich - neben dem Namen, dem Geburtsort sowie zwei Versicherungsnummern des Klägers - das Datum des Beschäftigungsbeginns am 6.10.1972 eingetragen ist. Diese Karte sei bei Aufnahme der knappschaftlich versicherten Beschäftigung ausgefertigt worden. Der Umstand, dass auf dieser Karte keine weiteren Eintragungen, insbesondere keine Vermerke über die durchgeführte Beitragserstattung vorhanden seien, erkläre sich damit, dass im Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses im Oktober 1978 sowie im Zeitpunkt der durchgeführten Beitragserstattung keine manuellen Notierungen in Papierform mehr vorgenommen worden seien.
16Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Parteivernehmung des Klägers beantragt zum Beweis der Tatsache, dass - wie in ihrem Gesamtkontospiegel vermerkt - ein vollständiges Beitragserstattungsverfahren durchgeführt worden ist. Sie ist der Ansicht, ihr müsse "im Falle eines Beweisnotstandes" als letztes Beweismittel auch die Parteivernehmung des betroffenen Versicherten offen stehen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten. Sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
18Entscheidungsgründe:
19A. Der Senat kann trotz Nichterscheinens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden. Denn der Kläger ist in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung (§§ 63 Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 175 Zivilprozessordnung (ZPO) iVm Art 31 Abs 1 S 3 des Deutsch-Marokkanischen Sozialversicherungsabkommens (DMSVA) vom 25.3.1981, in Kraft seit dem 1.8.1986, BGBl II 1986, 550 ff, 562, 772) auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, § 62 SGG.
20I. Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht und wirksam eingelegt worden. Der Gerichtsbescheid vom 14.12.2010 wurde dem Kläger ausweislich des Zustellungsvermerks am 18.1.2011 zugestellt. Die Frist zur Einlegung der Berufung beträgt drei Monate seit der Zustellung, §§ 153 Abs 1 iVm 87 Abs 1 S 2, 151 SGG (allgemeine Meinung, vgl nur Bundessozialgericht (BSG), SozR Nr 11 zu § 151 SGG), und endete mit Ablauf des 18.4.2011. Es kann offen bleiben, ob der Kläger bereits mit seinem am 23.2.2011 eingegangenen, in französischer Sprache verfassten Schreiben wirksam Berufung ("recours") eingelegt hat. Die Gerichtssprache ist (nur) die deutsche Sprache, § 61 SGG iVm § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG); eine in einer anderen Sprache eingelegte Berufung wahrt (vorbehaltlich zwischenstaatlicher Sonderregelungen) die Rechtsmittelfrist grundsätzlich nicht. Diese Regelung ist zwingend und von Amts wegen zu beachten (BSG, Urteil vom 22.10.1986, Az 9a RV 43/85, SozR 1500 § 61 Nr 1; Landessozialgericht (LSG) Berlin, Urteil vom 22.3.2001, Az L 3 U 23/00, juris). Der Senat kann hier dahinstehen lassen, ob die Einlegung der Berufung in französischer Sprache ausnahmsweise - nämlich nach Art 31 Abs 2 DMSVA und der tatsächlichen Handhabung der jeweiligen Verbindungsstellen - zulässig ist, weil die französische Sprache wie eine Amtssprache Marokkos im Rechtsverkehr mit dem (europäischen) Ausland anzusehen ist - wofür Vieles spricht und wohin auch der Senat tendiert -, oder dem Kläger gegebenenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre (vgl dazu auch: Urteile des Senats vom 15.11.2011, Az L 18 KN 30/10, vom 29.4.2013, Az L 18 KN 83/12, beide in juris und zuletzt vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11). Das Gericht hat nämlich das Berufungsschreiben, aus dem sich zweifelsfrei ergibt, dass der Kläger sich gegen den Gerichtsbescheid ("la décision") wendet, ins Deutsche übersetzen lassen; die deutsche Übersetzung lag dem Gericht spätestens am 30.3.2011 und damit innerhalb der dreimonatigen Berufungsfrist vor. Zwar war das Gericht nicht zur Übersetzung einer in einer Fremdsprache verfassten Berufungsschrift verpflichtet (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. 11. Aufl 2014. § 61 RdNr 7c mwN); die deutsche Übersetzung ist vom Gericht jedoch zu beachten, wenn sie vorliegt (vgl BSG, Urteil vom 22.10.1986, Az 9a RV 43/85, SozR 1500 § 61 Nr 1).
21II. Die Berufung ist begründet.
22Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 22.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente abgelehnt hat. Streitgegenstand ist damit das Begehren des Klägers, die genannten Bescheide abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Regelaltersrente zu gewähren. Der Senat geht davon aus, dass ausschließlich Regelaltersrente im Streit ist, weil andere Altersrenten für den Kläger ersichtlich nicht in Betracht kommen. Insoweit ist die Klage zulässig und entgegen der Auffassung des SG auch begründet. Da die Berufung des Klägers bereits mit dem Hauptbegehren auf Regelaltersrente erfolgreich ist, kann dahin stehen, ob das bereits in der ersten Instanz verfolgte Hilfsbegehren des Klägers, eine finanzielle Unterstützung ("une aide financière") zu erhalten, auch Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist.
231. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthafte Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben. Zwar hat das SG die Klageschrift - wohl versehentlich, wie das weitere Verfahren zeigt - nicht in die deutsche Sprache übersetzen lassen. Allerdings ist, da der Kläger seinem Klageschriftsatz vom 8.2.2010 eine Kopie des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 11.11.2009 beigefügt hat, mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen, dass der Kläger sich gegen die im Widerspruchsbescheid getroffene Regelung mit dem zulässigen Rechtsbehelf - der Klage - wenden wollte. Dass der Kläger mit dieser Entscheidung der Beklagten nicht einverstanden war und diese durch das Gericht überprüfen lassen wollte, ergibt sich zudem daraus, dass er im Betreff des Schriftsatzes den auch im Deutschen verständlichen Begriff "réclamation" angegeben hat. Entsprechend hat das SG das Rechtsschutzbegehren des Klägers durchweg als ordnungsgemäß erhobene "Klage" behandelt und ihm nicht die ansonsten wohl erforderliche "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" gewährt.
242. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger, § 54 Abs 2 S 1 SGG. Der Kläger hat ab dem 1.1.2011 Anspruch auf Regelaltersrente.
25Nach § 235 Abs 1 S 1 iVm Abs 2 S 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) erhalten Versicherte, die - wie der Kläger - vor dem 1.1.1947 geboren sind, Regelaltersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Der an einem unbekannten Tag eines unbekannten Monats im Jahr 1945 geborene Kläger hat (spätestens) Ende Dezember 2010 das 65. Lebensjahr vollendet. Er hat auch die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren mit Beitragszeiten (§§ 50 Abs 1, 51 Abs 1 SGB VI) erfüllt, weil er unstreitig in Deutschland 71 Monate mit (ausschließlich knappschaftlichen) Beitragszeiten zurückgelegt hat, so dass es nicht darauf ankommt, ob außerdem nach Art 24 DMSVA (zur "Aufstockung") marokkanische Zeiten zu berücksichtigen sind.
26Dagegen kann die Beklagte nicht mit Erfolg einwenden, Ansprüche aus den zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bestünden nicht mehr, weil dem Kläger die entsprechenden Beiträge erstattet worden seien und das Versicherungsverhältnis aufgelöst worden sei, § 210 Abs 6 S 2 und 3 SGB VI. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht nämlich nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine solche Beitragserstattung erfolgt ist. Die verbleibenden (Rest-)Zweifel wirken sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Beklagten aus. Dieser Grundsatz besagt, dass der Nachteil der Nichterweislichkeit von Tatsachen sich zu Lasten desjenigen auswirkt, der aus diesen Tatsachen Rechtsfolgen herleitet. Dies ist hier die Beklagte, die gegen den Rentenanspruch des Klägers - rechtsvernichtend - einwendet, das Versicherungsverhältnis sei 1982 durch eine Beitragserstattung aufgelöst worden.
27Eine rechtswirksame Beitragserstattung setzt voraus, dass nachweislich (1) ein Erstattungsantrag, (2) ein wirksamer Erstattungsbescheid und (3) eine rechtswirksame, befreiende Bewirkung der Leistung (= Erfüllung des Erstattungsanspruchs entsprechend § 362 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) vorliegen. Für die ordnungsgemäße und wirksame Durchführung der Beitragserstattung trägt die Beklagte die objektive Beweislast (vgl dazu und besonders zur Beweislast: BSGE 80, 41 ff = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6; vgl auch LSG NRW, Beschluss vom 21.9.2003, Az L 2 KN 19/03, und Urteil vom 16.8.2007, Az L 2 KN 259/06; stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 KN 30/10 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10, alle bei juris, und zuletzt Urteile vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11, L 18 KN 120/12 und vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11). Es kann offen bleiben, ob die rechtsgestaltende Wirkung der Beitragserstattung aus dem Erstattungsantrag oder aus dem Erstattungsbescheid folgt (LSG NRW, Urteil vom 18.10.2001, Az L 2 KN 64/01 mwN) und unter welchen Voraussetzungen sich die Beklagte bei nicht erwiesener Erfüllung der Erstattungsforderung nach Treu und Glauben darauf nicht (mehr) berufen kann. Denn hier ist weder erwiesen, dass der Kläger einen Antrag auf Erstattung der Beiträge gestellt hat noch dass die Beklagte einen Erstattungsbescheid erlassen, dem Kläger wirksam bekannt gegeben und ihre Erstattungsschuld erfüllt hat.
28Allein aufgrund der im Versicherungskonto elektronisch gespeicherten Daten (dem so genannten "Gesamtkontospiegel") sowie der Einlassungen des Klägers steht nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden, vernünftige Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit (Beweismaßstab des Vollbeweises) fest, dass die drei genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies gilt selbst dann, wenn man zugunsten der beweisbelasteten Beklagten ergänzend die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins (sog prima facie-Beweis) heranzieht. Diese Beweisregel gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren (BSGE 8, 245, 247; 12, 242, 246; 19, 52, 54; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. 11. Auf 2014. § 128 RdNr 9 mwN; Pawlak in Hennig. SGG. Stand August 2007. § 128 RdNr 96; Zeihe. Das SGG und seine Anwendung. Stand November 2010. 3.G. vor § 103; stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 KN 30/10, L 18 (2) KN 42/08 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012, Az L 18 KN 32/10, alle bei juris, und zuletzt Urteile vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11, L 18 KN 120/12 und vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11). Sie besagt, dass bei typischen Geschehensabläufen auf eine Tatsache geschlossen werden kann, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung regelmäßig Folge eines solchen Geschehensablaufs ist (BSG in: Breithaupt 1999, 357, 362; Keller. aaO. RdNr 9a). Dabei wird der (Voll )Beweis einer Tatsache vermutet, solange nicht Tatsachen erwiesen sind, die den vermuteten typischen Geschehensablauf in Zweifel ziehen (vgl Keller. AaO. RdNr 9e mwN; Pawlak. AaO. RdNrn 94, 99). Ein nachweislich durch eigenen Antrag eingeleitetes und durch bewilligenden Bescheid abgeschlossenes Verwaltungsverfahren zur (vollständigen) Beitragserstattung lässt bei Fehlen entgegenstehender Tatsachen typischerweise den Schluss zu, dass ein (Erstattungs )Bescheid zugegangen und die geschuldete Leistung bewirkt worden ist (stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 KN 30/10 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10, alle bei juris, und zuletzt Urteile vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11, L 18 KN 120/12 und vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11; LSG NRW, Urteile vom 3.6.2005, Az L 4 RJ 12/03, sowie vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06; LSG Hamburg, Urteil vom 27.4.2006, Az L 6 RJ 89/04 mwN). Letzteres muss jedenfalls dann gelten, wenn die Leistungsbewirkung nicht substantiiert bestritten worden ist und sich auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Leistungserbringung nicht zeitnah erfolgt ist (wie etwa zeitnahe Nachfragen des Versicherten, wo das Geld bleibe, vgl LSG NRW, Urteile vom 17.2.1997, Az L 4 J 16/95, und vom 3.6.2005, Az L 4 RJ 12/03; Bayerisches LSG, Urteile vom 14.5.2002, Az L 19 RJ 3/02, und vom 8.12.2004, Az L 19 RJ 203/03). Auch von einem solchen typischen Geschehensablauf kann nicht ausgegangen werden, weil es bereits an Urkunden (oder sonstigen Beweismitteln) fehlt, die einen Erstattungsantrag des Klägers beweisen.
29Urkundliche Unterlagen zu dem von der Beklagten behaupteten Erstattungsverfahren (zB Antrag(sformular), Erstattungsbescheid) finden sich in den gesamten Akten nicht; dies gilt gleichermaßen für Nachweise über den Zugang eines Erstattungsbescheides sowie die Auszahlung bzw Überweisung des Erstattungsbetrages. Die aktenkundige Versicherungskarte ist als Urkunde insoweit unergiebig. Die Beklagte stützt sich zum Nachweis eines ordnungsgemäß durchgeführten Erstattungsverfahrens deshalb ausschließlich auf die im elektronischen Versicherungskonto des Klägers gespeicherten Daten. Diese Daten allein genügen zur Überzeugung des Senats aber nicht, eine vollständige wirksame Beitragserstattung mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden, vernünftige Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit zu beweisen. Sie lassen bestenfalls den Schluss auf einen intern abgelaufenen Verwaltungsvorgang zu und (im Übrigen) allenfalls als denkbar erscheinen, dass (außerdem) ein wirksamer Erstattungsantrag des betreffenden Versicherten gestellt und ein Erstattungsbescheid an ihn ergangen ist (vgl zuletzt Senatsurteil vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10, und Urteile vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 (2) KN 239/09 und L 18 KN 30/10, sämtlich zitiert nach juris; zuvor insbesondere Urteile des 2. Senats des LSG NRW vom 16.12.2010, Az L 2 KN 169/09, vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06, und vom 16.8.2007, Az L 2 KN 259/06, diese zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de). Zum Nachweis der wirksamen Antragstellung durch den Versicherten, des Zugangs eines Erstattungsbescheids und der Erfüllung der Erstattungsforderung bedarf es in der Regel (mindestens) weiterer feststehender Hilfstatsachen, die den Schluss auf die maßgeblichen Haupttatsachen (Antragstellung, Zugang eines Erstattungsbescheides, Leistung mit befreiender Wirkung an den - ehemaligen - Versicherten) zulassen. Der - vom SG zitierten - abweichenden Auffassung des Bayerischen LSG (zB Urteil vom 17.7.2013, Az L 13 R 275/12 sowie Urteil vom 18.11.2009, Az L 13 R 559/08, beide zitiert nach juris) schließt sich der Senat nicht an, weil diese Rechtsprechung nicht erklärt, inwiefern sich aus elektronisch gespeicherten Daten nach den maßgeblichen prozessualen Beweisgrundsätzen im Wege des Strengbeweises (vgl dazu M. Kühl in: Breitkreutz-Fichte. SGG. Kommentar. 2. Aufl. 2014, § 118 Rdnr 2) die Antragstellung, die Bekanntgabe des darin erwähnten Bescheids und die Erfüllung des festgestellten Erstattungsanspruchs ergeben sollen.
30Der Ausdruck des Gesamtkontospiegels, also der in dem von der Beklagten geführten elektronischen Versicherungskonto des Klägers gespeicherten Daten, ist keine öffentliche Urkunde, aus der sich die genannten Haupttatsachen ergeben, weder eine öffentliche Urkunde über Erklärungen nach § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 415 Abs 1 ZPO noch eine öffentliche Urkunde über eine amtliche Entscheidung nach § 417 ZPO. Allein mit einem solchen Ausdruck kann nicht bewiesen werden, dass die dort gespeicherten Vorgänge (Datum eines Antrags sowie eines Bescheids, Erstattungszeitraum sowie -betrag) so wie dort gespeichert stattgefunden haben. Der Ausdruck kann insoweit keine Urkunde sein, weil es sich lediglich um einen "Ausdruck" handelt, der (allenfalls) dokumentiert, dass die entsprechenden Daten elektronisch gespeichert sind. Zur objektiven Richtigkeit der Daten besagt er nichts. Urkunden in diesem Sinne können nur schriftliche Dokumente sein, von denen ein Original existiert bzw existiert hat, vgl § 435 ZPO. Beweiskraft kann einer Urkunde nur zukommen, wenn sie echt ist oder dies vermutet wird (§§ 437 ff ZPO; vgl Huber in: Musielak. ZPO. 11. Aufl 2014. § 415 RdNr 2). Diese Anforderungen kann ein (beliebig wiederholbarer) Ausdruck elektronisch gespeicherter Daten von vornherein nicht erfüllen.
31Der Ausdruck des Gesamtkontospiegels steht auch nicht - selbst wenn er mit einem Beglaubigungsvermerk versehen wäre - nach § 416a ZPO einer öffentlichen Urkunde in beglaubigter Abschrift gleich. Nach dieser Vorschrift steht der mit einem Beglaubigungsvermerk versehene Ausdruck eines öffentlichen elektronischen Dokuments gemäß § 371a Abs 3 ZPO einer öffentlichen Urkunde in beglaubigter Abschrift gleich, wenn ihn eine öffentliche Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder eine mit öffentlichem Glauben versehene Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form erstellt hat. Bei dem elektronischen Gesamtkontospiegel, also den in dem Versicherungskonto gespeicherten Daten, handelt es sich gerade nicht um ein öffentliches elektronisches Dokument nach § 371a Abs 3 S 1 ZPO. Danach sind öffentliche elektronische Dokumente (nur) elektronische Dokumente, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form erstellt worden sind. Die Regelung des § 416a ZPO soll gewährleisten, dass der Beweis durch Urkunden in Papierform auch dann geführt werden kann, wenn das Originaldokument (nur) in elektronischer Form besteht. Die Vorschrift bestimmt, unter welchen Voraussetzungen dem Papier-Ausdruck eines bestimmten elektronischen Dokuments die Wirkungen einer Urkunde zukommen können (Huber. AaO. § 416a RdNr 1). Daraus ergibt sich, dass ein öffentliches elektronisches Dokument iS der § 371a Abs 3 S 1 und § 416a ZPO mit Ausnahme der Schriftlichkeit die Merkmale einer öffentlichen Urkunde iS der §§ 415, 417 f ZPO erfüllen muss, um mit diesen gleichgestellt werden zu können. Dies ist bei dem elektronischen Gesamtkontospiegel nicht der Fall.
32Der elektronische Gesamtkontospiegel kann keiner öffentlichen Urkunde über Erklärungen nach § 415 Abs 1 ZPO gleichgestellt werden. Die Beweiskraft nach dieser Vorschrift erstreckt sich darauf, dass die Erklärung samt dem niedergelegten Inhalt und den Begleitumständen (Zeit, Ort, Behörde, Urkundsperson) zutreffend und vollständig so wie beurkundet, bzw - bei öffentlichen elektronischen Dokumenten - gespeichert, und nicht anders abgegeben wurde (Huber. aaO. § 415 RdNr 10). Daten mit dieser Aussagekraft über bei der Beklagten abgegebene Erklärungen enthält der elektronische Gesamtkontospiegel nicht. Der Kontospiegel gibt lediglich die Daten "Antrag 16.06.1982" wieder. Dies stellt die bloße Angabe dar, dass an dem genannten Datum eine Erklärung gegenüber der Beklagten bzw ihrer Rechtsvorgängerin, der Bundesknappschaft, abgegeben worden sein soll. Der tatsächliche Inhalt der Erklärung, der die Bewertung zulässt, es handele sich rechtlich um einen Antrag auf Erstattung der zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge, ist dem Gesamtkontospiegel gerade nicht zu entnehmen. Auch aus dem Umstand, dass die Beklagte diesen Antrag unter der "Schlüsselnummer" 1830, die nach Angabe der Beklagten für die Speicherung von Beitragserstattungsverfahren gebraucht wird, gespeichert haben mag, kann nicht auf den Inhalt der abgegebenen Erklärung geschlossen werden. Vielmehr muss sich aus dem öffentlichen elektronischen Dokument selbst die Erklärung mitsamt dem niedergelegten Inhalt ergeben, damit sich die Beweiskraft nach § 415 Abs 1 ZPO hierauf erstrecken kann. Darüber hinaus geht die Zuweisung zu dieser "Schlüsselnummer" nicht auf den Erklärenden, sondern auf die Beklagte zurück. Sie kann deshalb auch auf einer unzutreffenden Wertung einer Erklärung beruhen. Daneben ergibt sich aus den Daten des elektronischen Gesamtkontospiegels auch nicht, wer den etwaigen "Antrag" gestellt haben soll, ob dies der Kläger persönlich, ein Bevollmächtigter oder eine - uU nicht wirksam bevollmächtigte - dritte Person war. Da der Kläger nur bis Oktober 1978 in Deutschland beschäftigt war, liegt nahe, dass er im Zeitpunkt, an dem der Antrag gestellt worden sein soll, bereits nach Marokko zurückgekehrt war, so dass mindestens möglich erscheint, dass ein Dritter den (etwaigen) Antrag gestellt hat. In diesem Fall müsste die Beklagte nachweisen, dass diese dritte Person ordnungsgemäß von dem Kläger bevollmächtigt worden ist. Die Person des Erklärenden sowie mögliche Vollmachten des Versicherten lassen sich den gespeicherten Daten nicht entnehmen, so dass eine wirksame, dem Kläger zurechenbare Antragstellung dem elektronischen Gesamtkontospiegel gerade nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen ist.
33Dem elektronischen Gesamtkontospiegel kann auch nicht die Beweiskraft von öffentlichen Urkunden über amtliche Anordnungen, Verfügungen oder Entscheidungen nach § 417 ZPO zukommen, da er keine amtliche Entscheidung iS eines Verwaltungsakts ist. Im hier maßgeblichen Zusammenhang sind ihm lediglich die Daten "Bescheid 20.7.1982", "Erstattung von 06.10.1972 bis 31.10.1978", "Erstattungsbetrag 0,00" sowie "ESBT-KN 15661,20" zu entnehmen. Dies reicht nicht aus, um den elektronischen Gesamtkontospiegel einer öffentlichen Urkunde nach § 417 ZPO gleichstellen zu können. Die Beweiskraft nach dieser Vorschrift umfasst, dass die Anordnung, Verfügung oder Entscheidung tatsächlich erlassen wurde und hierbei den Inhalt hat, der sich aus der Urkunde ergibt, und unter den in der Urkunde angegebenen Umständen ergangen ist, also Beweis erbringt auch hinsichtlich Ort und Zeit (Krafka in: BeckOK ZPO. Stand: 15.6.2014. § 417 RdNr 5). Der vorliegende Sachverhalt zeigt besonders deutlich, dass sich aus dem elektronischen Gesamtkontospiegel nicht entnehmen lässt, ob die dort gespeicherten Bescheide formell wirksam erlassen, also dem Versicherten (auch) bekannt gegeben worden sind, § 39 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Denn in dem Kontospiegel ist unter der "Schlüsselnummer" 1860 sowie dem Hinweis "Ablehnung Versichertenrente" der Bescheid vom 3.9.2004 gespeichert. Nach dem Inhalt der Akten der Beklagten konnte dieser Bescheid aber trotz mehrfacher Versuche dem Kläger gerade nicht zugestellt werden, ist mithin also nie wirksam geworden. Im elektronischen Versicherungskonto ist er gleichwohl (wie der angebliche Bescheid vom 20.7.1982) gespeichert. Vor diesem Hintergrund ist der Senat nicht restlos davon überzeugt, dass sich aus der bloßen Speicherung von Bescheiddaten in einem elektronischen Gesamtkontospiegel mit der nötigen Sicherheit entnehmen lässt, diese Bescheide seien wirksam erlassen worden.
34Im Wege des Augenscheinbeweises kann dem Ausdruck des elektronischen Gesamtkontospiegel allenfalls entnommen werden, dass Bedienstete (oder Beauftragte) der Beklagten diese Daten irgendwann eingegeben und gespeichert haben. Den sicheren Schluss auf die entscheidungserheblichen Tatsachen lässt die Inaugenscheinnahme des elektronischen Gesamtkontospiegel bzw der Ausdrucke nicht zu. Es kann daraus bestenfalls der - wahrscheinliche, da Eingabefehler nie ganz auszuschließen sind - Schluss gezogen werden, dass zum Versichertenkonto des Klägers ein Vorgang existierte, den die Beklagte intern als "Erstattungsverfahren" bewertet und bearbeitet hat.
35Selbst Geschehensabläufe, die typischerweise den Schluss auf eine Beitragserstattung zulassen, sind danach nicht erwiesen. Dies gilt selbst dann, wenn man in Rechnung stellt, dass die zur Beitragserstattung gespeicherten Daten durchaus eine gewisse Plausibilität haben. Den letzten Pflichtbeitrag in Deutschland hat der Kläger im Oktober 1978 entrichtet. Nach § 95 Abs 1 S 2 Reichsknappschaftsgesetz war eine Beitragserstattung auch damals idR erst zwei Jahre nach Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung möglich. Im Zeitpunkt der gespeicherten Antragstellung im Juni 1982 (aber auch bereits 1980) war diese Frist abgelaufen. Daraus lässt sich aber gerade nicht typischerweise folgern, dass eine Beitragserstattung immer nach Ablauf der maßgeblichen Wartefrist wirksam durchgeführt worden ist. So sind dem Senat (und damit auch der Beklagten) auch Fälle bekannt, in denen eine Beitragserstattung gar nicht oder nicht zeitnah dokumentiert ist oder vom Rentenversicherungsträger (zB anlässlich eines Rentenantrags) angeregt worden ist. Auch die Versicherungskarte kann - ungeachtet des Beweiswerts im Übrigen - nicht für einen typischen Geschehensablauf herangezogen werden, da auf ihr nicht - wie in vielen vergleichbaren Fällen - eine Beitragserstattung (durch Stempel oder handschriftlich) vermerkt ist. Worauf dies ggf. beruhen könnte, ist unerheblich. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, dass ein solcher Vermerk fehlt.
36Entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten folgt nichts Anderes daraus, dass der Kläger weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren den Vortrag der Beklagten substantiiert bestritten hat. Dieses Schweigen des Klägers ist unergiebig. Immerhin ist der Kläger dem Vortrag der Beklagten ausdrücklich entgegengetreten ("trifft nicht zu") und hat erklärt, die angeforderten Unterlagen lägen ihm nicht vor. Welche weitergehenden Angaben zu "Nichttatsachen" von einem (mit hoher Wahrscheinlichkeit prozessunerfahrenen) Kläger verlangt werden sollen, ist dem Senat nicht klar. Aus den Äußerungen des Klägers ergeben sich (anders als in vielen ähnlich gelagerten Verfahren) auch keine mittelbaren Hinweise auf eine Erstattung oder den Erhalt eines Geldbetrages (dies unterscheidet den vorliegenden Sachverhalt im Übrigen von demjenigen, der dem Urteil des Bayerischen LSG vom 18.11.2009, Az L 13 R 559/08, zugrunde lag, da der dortige Kläger "nach anfänglichem Zögern eingeräumt (hatte), er habe damals einen Geldbetrag erhalten; er (hatte) diesen nur nicht als Beitragserstattung, sondern als Zahlung von Arbeitsentgelt" eingestuft).
37Ein Anhaltspunkt dafür, dass die Beitragserstattung rechtswirksam erfolgt ist, ergibt sich schließlich entgegen der Auffassung des SG nicht aus dem Verhalten des Klägers nach dem ersten Antrag, insbesondere nicht aus der Tatsache, dass er sich erst wieder im Jahr 2009 bei der Beklagten gemeldet hat. Auch dieses Verhalten ist unergiebig. Aus dem fünfjährigen Zuwarten bis zur erneuten Antragstellung kann nicht der Schluss gezogen werden, der Kläger selbst wisse, dass er - wegen der Beitragserstattung - keinen Anspruch auf die Regelaltersrente habe. Denn daraus, dass der zum zweiten Mal von der Beklagten die Gewährung einer Rente begehrt und diesen Anspruch bis in die zweite Instanz verfolgt, kann ebenso der gegenteilige Schluss gezogen werden.
38Es liegt schließlich kein Sachverhalt vor, der zu einer Umkehr der Beweislast oder einer Absenkung des Beweismaßstabs führte. Die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung als "Beweisnotstand" bezeichnete Beweislage resultiert in erster Linie daraus, dass sie ihre etwaigen (Original-)Unterlagen zu dem von ihr behaupteten Beitragserstattungsverfahren vernichtet hat, so dass ihr nur noch der elektronische Datenbestand des Versicherungskontos, der Gesamtkontospiegel, zu Nachweiszwecken zur Verfügung steht. Hieraus ergeben sich weder eine Absenkung des Beweismaßstabs noch eine Umkehr der Beweislast oder eine der Beklagten zugutekommende Beweiserleichterung. In Fällen einer Beweisnot (bei typischen und unverschuldeten Beweisschwierigkeiten) kann im sozialgerichtlichen Verfahren im Einzelfall zwar eine Beweiserleichterung angenommen werden, so dass sich das Gericht über Zweifel hinwegsetzen und eine Tatsache als bewiesen ansehen kann (BSG, Urteil vom 2.9.2004, Az B 7 AL 88/03 R, juris RdNr 17; vgl auch Keller. aaO. § 128 RdNr 3e mwN). Selbst wenn ein typischer und unverschuldeter Beweisnotstand vorläge, wäre der Senat jedoch weder befugt, das Beweismaß zu verringern (BSG, Urteil vom 27.5.1997, Az 2 RU 38/96, juris RdNr 25), noch träte eine Umkehr der Beweislast ein (BSG, Beschluss vom 4.2.1998, Az B 2 U 304/97 B, juris RdNr 4). Nach den dargestellten Grundsätzen können die Beweisschwierigkeiten der Beklagten nicht dazu führen, dass zu ihren Gunsten Beweiserleichterungen eingreifen, so dass an den Beweis der ordnungsgemäßen Beitragserstattung weniger hohe Anforderungen gestellt werden könnten.
39Es handelt sich weder um typische noch um unverschuldete Beweisschwierigkeiten. Typische Beweisschwierigkeiten sind solche, die auf den Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts basieren, also etwa regelmäßig eintreten, wenn Versicherte, die im Ausland leben, Rentenleistungen beantragen. Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist dem Senat aus vielen vergleichbaren Verfahren bekannt, dass andere Rentenversicherungsträger, gelegentlich auch die Beklagte selbst, noch über Unterlagen zu Beitragserstattungsverfahren verfügen, selbst wenn diese vor langer Zeit stattgefunden haben. Dies beruht offenbar auf der klugen Entscheidung, Unterlagen auch nach Ablauf von Aufbewahrungsfristen aufzubewahren, wenn sie zum Nachweis der darin urkundlich belegten Tatsachen noch benötigt werden. Es liegen damit auch keine unverschuldeten Beweisschwierigkeiten vor, da die Beklagte diese selbst dadurch herbeigeführt hat, dass sie die Unterlagen zu dem behaupteten Beitragserstattungsverfahren vernichtet hat.
40Die Regelaltersrente beginnt mit dem Monat Januar 2011, § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen erst für den Beginn des Monats Januar 2011 nachweislich vor. Es ist nach Lage der Akten nämlich lediglich erwiesen, dass der Kläger im Jahr 1945 geboren wurde. Dass kein früheres Geburtsdatum als der letzte Tag dieses Jahres erwiesen ist, wirkt sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers aus. Der Senat geht davon aus, dass er durch diese gesetzeskonforme Rentengewährung dem allgemein gefassten (Haupt-)Begehren des Klägers vollständig entspricht, so dass eine Zurückweisung der Berufung im Übrigen nicht erforderlich ist.
413. Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Eine weitergehende Beweiserhebung iS des "Beweisantrags" der Beklagten ist nicht geboten.
42Bei dem Antrag auf "Parteivernehmung des Klägers", also den Kläger persönlich anzuhören, handelt es sich nicht um einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag. Nach den Vorschriften des SGG ist die Parteivernehmung kein im Sozialgerichtsverfahren zulässiges Beweismittel, denn § 118 Abs 1 SGG verweist nicht auf die §§ 445 ff ZPO (stRspr; vgl nur BSG, Beschlüsse vom 24.11.1990, Az 1 BA 45/90, juris, sowie vom 18.2.2003, Az B 11 AL 273/02 B, juris; M. Kühl. AaO). Hieran ändert sich entgegen der Auffassung der Beklagten nichts dadurch, dass sie sich auf einen "Beweisnotstand" beruft. Die im Sozialgerichtsverfahren zulässigen (Streng-)Beweismittel werden auch dann nicht erweitert, wenn ein Beweisnotstand iS von typischen und unverschuldeten Beweisschwierigkeiten (s.o.) vorliegt.
43Es ist zwar zutreffend, dass besondere Beweisschwierigkeiten bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden können, etwa wenn übliche Beweismittel (Zeugen, Urkunden) nicht zur Verfügung stehen, so dass vorhandene Erkenntnisquellen, etwa Beteiligtenvorbringen, an Gewicht gewinnen (vgl hierzu Keller. aaO. § 128 RdNr 3e mwN). Das gilt insbesondere für den Fall, dass der Beteiligte Tatsachen aus eigener Wahrnehmung angibt, und andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen (vgl dazu Beschluss des Senats vom 22.5.2013, Az L 18 KN 52/10; juris Rdnr 28). So liegt der Fall hier aber nicht. Die Beklagte erhofft sich vielmehr vom Kläger "ins Blaue hinein", dass er Angaben machen könnte, die ihren Standpunkt bestätigen. Allein deshalb fühlt sich der Senat nicht gedrängt, dem "Beweisantrag" der Beklagten nachzugehen und den Kläger entweder in Marokko oder in Deutschland zu der von der Beklagten behaupteten Beitragserstattung persönlich anzuhören. Denn der Senat hat sämtliche vorhandenen Erkenntnisquellen einschließlich des Vorbringens der Beteiligten - und damit auch das des Klägers - berücksichtigt und in die Beweiswürdigung eingezogen. Der Kläger hat den Vortrag der Beklagten zur Erstattung zur Gänze bestritten und vorgetragen, die angeforderten Unterlagen lägen ihm (folglich) nicht vor. Dieser Vortrag des Klägers blieb über die Dauer des gesamten Verfahrens frei von Widersprüchen. Welche über diesen Vortrag hinausgehenden Erkenntnisse die Beklagte sich von der persönlichen Anhörung des Klägers zu der von ihr behaupteten Beitragserstattung verspricht, vermag der Senat nicht zu erkennen. Auch die Beklagte trägt keinen konkreten Sachverhalt vor, den der Kläger vortragen oder bestätigen soll. Der Beweisantrag ist offenbar lediglich von der vagen Hoffnung getragen, der Kläger könnte - anders als mit seinem Vortrag im schriftlichen Verfahren - nunmehr ihre Behauptungen bestätigen. Da hierfür angesichts des bisherigen Vortrags des Klägers tatsächliche Grundlagen gänzlich fehlen, handelt es sich bei dem "Beweisantrag" der Beklagten um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis (vgl hierzu: BSG, Beschluss vom 19.11.2009, Az B 13 R 303/09 B, juris RdNr 12).
44B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 S 1, 193 Abs 1 S 1 SGG.
45C. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, vgl § 160 Abs 2 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 9. Februar 2017 gemäß § 304 Abs. 1, 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Angeklagte wurde in dieser Sache auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Januar 2015 am 16. Januar 2015 festgenommen und befand sich zunächst bis zur Aufhebung des Haftbefehls durch das Amtsgericht Tiergarten am 5. Februar 2015 in Untersuchungshaft.
- 2
- Am 6. März 2015 ist er auf Grund des von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin im Wege der Beschwerde erwirkten Haftbefehls des Landgerichts Berlin vom selben Tag, später abgeändert durch den Beschluss des Kammergerichts vom 8. April 2015, erneut in Untersuchungshaft genommen worden, die seither ununterbrochen andauert. Der Haftbefehl ist, nachdem der Generalbundesanwalt das Verfahren übernommen hatte, ersetzt worden durch den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. Juli 2015 in der Fassung des Invollzugsetzungsbeschlusses vom 13. Juli 2015. Nach Anklageerhebung durch den Generalbundesanwalt zum Kammergericht hat dieses den Haftbefehl anlässlich der Eröffnung des Hauptverfahrens mit Beschluss vom 4. Dezember 2015 aufrechterhalten.
- 3
- In dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs wird dem Angeklagten vorgeworfen, er habe zwischen Mitte Juni 2013 und Ende November 2014 durch neun selbständige Handlungen von Deutschland aus die in Syrien bestehende Vereinigung Junud ash-Sham, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, unterstützt und bei acht dieser Handlungen jeweils tateinheitlich hierzu eine Straftat nach § 211 oder § 212 StGB vorbereitet, die bestimmt und geeignet gewesen sei, den Bestand oder die Sicherheit eines Staats zu beeinträchtigen, indem er für deren Begehung nicht unerhebliche Vermögenswerte gesammelt, entgegengenommen oder zur Verfügung gestellt habe, strafbar als neun Fälle der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in acht dieser Fälle in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 aF, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, §§ 52, 53 StGB.
- 4
- Der Senat hat mit Beschlüssen vom 27. August 2015 (AK 23/15) und 10. Dezember 2015 (AK 47/15) die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs bzw. neun Monate hinaus angeordnet. Er hat den Angeklagten jedenfalls der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in acht Fällen gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, § 53 StGB (Fälle 1 bis 3 sowie 5 bis 9) für dringend verdächtig erachtet.
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- Am 6. Oktober 2016 haben der Angeklagte und seine Verteidigerin die Aufhebung des gegen ihn bestehenden Haftbefehls beantragt. Mit am 13. Oktober 2016 verkündetem Beschluss hat das Kammergericht die Anträge zurückgewiesen und Haftfortdauer angeordnet. Es hat dort einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich der Fälle 2, 6, 7 und 9 des Haftbefehls bejaht, die infolge von vorgenommenen Verfahrensbeschränkungen allein noch Gegenstand der Hauptverhandlung sind.
- 6
- Am 28. Dezember 2016 hat der Angeklagte ein in türkischer Sprache abgefasstes Schreiben vom selben Tag per Telefax an das Kammergericht übersenden lassen. Aus der von diesem veranlassten Übersetzung in die deutsche Sprache ergibt sich, dass sich der Angeklagte mit der "Beschwerde gegen den Haftbeschluss" wendet. Mit Verfügung vom 9. Januar 2017 hat das Kammergericht dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.
- 7
- Auf den Antrag des Generalbundesanwalts, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, hat sich der Angeklagte mit weiterem per Telefax übersandtem , in türkischer Sprache abgefasstem Schreiben vom 26. Januar 2017 geäußert; seine Verteidigerin hat mit Schriftsatz vom 27. Januar 2017 Stellung genommen.
II.
- 8
- 1. Die statthafte (§ 304 Abs. 1, 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO) Beschwerde des Angeklagten ist auch im Übrigen zulässig. Der formgerechten Einlegung des Rechtsmittels (§ 306 Abs. 1 StPO) steht hier nicht entgegen, dass der Angeklagte das Beschwerdeschreiben vom 28. Dezember 2016 in türkischer Sprache abgefasst hat.
- 9
- a) Nach § 184 Satz 1 GVG ist die Gerichtssprache deutsch. Nach bislang ständiger Rechtsprechung sind fremdsprachige Schreiben grundsätzlich unbeachtlich, auch wenn der Verfasser die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 1981 - 1 StR 815/80, BGHSt 30, 182; vom 13. September 2005 - 3 StR 310/05, juris Rn. 2 [für die Revision]; BeckOK StPO/Walther, § 184 GVG Rn. 4; KK-Diemer, StPO, 7. Aufl., § 184 GVG Rn. 1, 2 mwN).
- 10
- Zwar hat der Europäische Gerichtshof diesen Grundsatz erheblich eingeschränkt , indem er entschieden hat, dass es für die Frage, ob ein fremdsprachig abgefasstes Schreiben von Amts wegen zu übersetzen und zu beachten ist, nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. Nr. L 280, S. 1) darauf ankommt , ob es sich um ein für das Verfahren wesentliches Dokument handelt (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C 216/14, NJW 2016, 303; vgl. SKStPO /Frister, 5. Aufl., § 187 GVG Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 184 GVG Rn. 2a). Ungeachtet dessen, dass sich die Wesentlichkeit ohne Übersetzung zumeist nicht beurteilen lassen dürfte, betrifft diese Entscheidung nur den nichtverteidigten Beschuldigten (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C 216/14, aaO, S. 305 Rn. 42 f.). Der Angeklagte hat aber zwei Verteidiger. Ein verteidigter Beschuldigter hat nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK Anspruch auf unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher beim Verkehr mit seinem Verteidiger (vgl. BeckOK StPO/Valerius, Art. 6 MRK Rn. 54, 57 mwN). Er ist zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte nicht in gleicher Weise auf amtswegige Übersetzungen seiner Schreiben angewiesen. Ähnlich sieht § 187 Abs. 1 Satz 1 StPO die Heranziehung eines Übersetzers nur vor, wenn dies zur Rechtswahrung erforderlich ist; dabei kann hier dahinstehen , inwieweit diese Vorschrift überhaupt auf vom Beschuldigten verfasste Schreiben Anwendung findet (so BeckOK StPO/Walther, § 187 GVG Rn. 3; SKStPO /Frister aaO, Rn. 5).
- 11
- b) Ob das Schreiben des Angeklagten vom 28. Dezember 2016 der gesetzlichen Form genügt, braucht der Senat indes nicht zu entscheiden. Denn es liegt jedenfalls deshalb eine formgerechte Beschwerde vor, weil das Kammergericht das Schreiben des Angeklagten tatsächlich übersetzt und die Verteidigerin sie sich in ihrem Schriftsatz vom 27. Januar 2017 zu eigen gemacht hat.
- 12
- c) Allerdings hat der Senat davon abgesehen, das Schreiben des Angeklagten vom 26. Januar 2017 übersetzen zu lassen, weil dieser die Möglichkeit hat, über seine Verteidiger seine Verteidigungsrechte geltend zu machen.
- 13
- 2. In der Sache bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.
- 14
- a) Gegen den Angeklagten besteht jedenfalls der dringende Tatverdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in vier Fällen gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, § 53 StGB.
- 15
- aa) Hinsichtlich der Darstellung der - nach den Verfahrensbeschränkungen verbleibenden - vier einzelnen Tatvorwürfe nimmt der Senat Bezug auf seine Ausführungen im Haftprüfungsbeschluss vom 27. August 2015 zu den Fällen 2, 6, 7 und 9, die denjenigen im Anklagesatz der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 27. Oktober 2015 (dort S. 4 ff.) entsprechen.
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- bb) Die Bewertung des Verdachtsgrades hat das Kammergericht - nach 49-tägiger Hauptverhandlung - im angefochtenen Haftfortdauerbeschluss vom 13. Oktober 2016 sowie ergänzend - nach 56-tägiger Hauptverhandlung - in der Nichtabhilfeentscheidung vom 9. Januar 2017 ausführlich dargelegt. Diese Ausführungen ermöglichen dem Senat die eigenverantwortliche Entscheidung, dass der Verdacht weiterhin als dringend zu beurteilen ist (s. dazu im Einzelnen BGH, Beschluss vom 29. September 2016 - StB 30/16, NJW 2017, 341, 342; ferner BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143; vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12, NStZ-RR 2013, 16, 17 f.; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247, 248; vom 5. Februar 2015 - StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3; vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016,
217).
- 17
- Im Haftfortdauerbeschluss ist im Einzelnen nachvollziehbar ausgeführt, welche Beweiserhebungen aus Sicht des Kammergerichts den dringenden Tatverdacht begründen. Die Nichtabhilfeentscheidung enthält die Mitteilung, dass das gerichtliche Beweisprogramm schon geraume Zeit abgeschlossen ist und auch die weitere Beweisaufnahme keine durchgreifenden abweichenden Erkenntnisse erbracht hat. Soweit das Kammergericht seine Bewertung auf die Angaben des Zeugen K. stützt, hat es dargelegt, durch welche anderen Beweismittel diese bestätigt werden. Eine nähere Glaubhaftigkeitsanalyse der Aussage des Zeugen ist in den die Haft betreffenden Entscheidungen nicht erforderlich ; mit den Angriffen gegen dessen Glaubwürdigkeit kann die Beschwerde nicht gehört werden. Auch die detaillierte Schilderung von eigenen in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen, die im Widerspruch zu der gerichtlichen Würdigung stehen, kann dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen. Ebenso wenig verfängt der in der Stellungnahme der Verteidigerin erhobene Einwand, die Beweisaufnahme habe nicht bestätigt, dass - wie ursprünglich von den Strafverfolgungsbehörden zu Unrecht angenommen - der Mitangeklagte F. den Angeklagten in einem Internet-Chat mit "E. " betitelt habe; dies hat das Kammergericht ausdrücklich berücksichtigt.
- 18
- b) Bei dem Angeklagten liegt weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO vor. Wenngleich der von der Straferwartung ausgehende Fluchtanreiz mit zunehmender - hier bald zwei Jahre anhaltender - Dauer des Untersuchungshaftvollzugs geringer wird (zur sog. Nettostraferwartung vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 9 mwN), macht es die Würdigung sämtlicher Umstände wahrscheinlicher, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde.
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- Hinsichtlich der eine Flucht indizierenden Umstände nimmt der Senat vorab Bezug auf seine Ausführungen im Haftprüfungsbeschluss vom 27. August 2015. Darüber hinausgehend hat das Kammergericht zutreffend als weitere Erkenntnisse in die Würdigung mit eingestellt, dass die Ehefrau des Angeklagten im Jahr 2014 in der Türkei ein Grundstück erwarb, diesem im Jahr 1996 ohne Reisepass oder andere Personaldokumente die erstmalige Einreise nach Deutschland gelungen war, er in den Folgejahren ausweislich der von der Ö. GmbH übersandten Unterlagen bei Flugbuchungen zehn verschiedene Geburtsdaten benutzte und er Schulden "in einem fünfstelligen Bereich angehäuft" hat.
- 20
- Ohne Erfolg bleibt demgegenüber der Einwand der Verteidigerin, dass die Unregelmäßigkeiten in den Buchungsunterlagen auf "Fehler(n) der Reisebüros" beruhten, was sie "unter Beweis gestellt" habe. Die Annahme der Fluchtgefahr setzt kein sicheres Wissen um die sie begründenden Tatsachen voraus. Sie müssen gerade nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen ; vielmehr genügt derselbe Grad der Wahrscheinlichkeit wie bei der Annahme des dringenden Tatverdachts (BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 112 Rn. 22 mwN). Gleiches gilt, soweit die Verteidigerin geltend macht, dass den finanziellen Verbindlichkeiten des Angeklagten "Forderungen in mehrstelliger Höhe aus seinem Baugewerbe gegen seine Auftragnehmer" gegenüberstünden, was ebenfalls "unter Beweis gestellt" worden sei.
- 21
- Weniger einschneidende Maßnahmen (§ 116 Abs. 1 StPO) bieten bei einer Gesamtschau der Umstände voraussichtlich keinen Erfolg. Für eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls fehlt es unter den gegebenen Umständen an einer ausreichenden Vertrauensgrundlage in der Person des Angeklagten.
- 22
- c) Die Haftfortdauer steht nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 112 Abs. 1 Satz 2, § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Auch unter Berücksichtigung der bisherigen Dauer der Untersuchungs- haft von nunmehr fast zwei Jahren erscheint die Fortdauer der Haft mit Blick auf das Gewicht der dem Angeklagten angelasteten Taten sowie der für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehenden Strafe und des - unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung gemäß § 57 StGB - hypothetischen Strafendes als nicht unverhältnismäßig.
- 23
- d) Auch ein Verstoß gegen das in Haftsachen geltende verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot liegt nicht vor. Dieses verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um mit der gebotenen Schnelligkeit die notwendigen Ermittlungen abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche erforderlich. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Insgesamt ist eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich, bei der es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer ankommt. Sie kann abhängig sein von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Prozessverhalten des Angeklagten und des Verteidigers, ohne dass es in diesem Zusammenhang maßgeblich darauf ankommt, inwieweit es sich um sachdienliches Verteidigungsverhalten handelt oder dessen Grenzen überschritten sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2016 - StB 1/16, juris Rn. 25; vom 22. September 2016 - StB 29/16, NStZ-RR 2017, 18, 19). Zu würdigen sind auch die voraus- sichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Strafe (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640; BGH, Beschlüsse vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217, 218; vom 1. Dezember 2016 - StB 37/16, Rn. 10).
- 24
- Gemessen hieran ist das Verfahren und insbesondere die Hauptverhandlung mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Bezüglich der Beurteilung des Verfahrensgangs bis zur am 4. Dezember 2015 angeordneten Eröffnung des Hauptverfahrens verweist der Senat auf seine Ausführungen in den Haftprüfungsbeschlüssen vom 27. August 2015 und vom 10. Dezember 2015.
- 25
- Die Hauptverhandlung hat am 8. Januar 2016 begonnen. Am 4. Januar 2017 hat der 56. Verhandlungstag stattgefunden. Nachdem - ausweislich der Darstellung des Verfahrensablaufs in dem angefochtenen Haftfortdauerbeschluss und der Nichtabhilfeentscheidung - das gerichtliche Beweisprogramm seit mehreren Monaten abgeschlossen, das Verfahren schon längere Zeit durch eine kontinuierliche Vielzahl von Beweisanträgen, -ermittlungsanträgen und -anregungen seitens der Verteidigung geprägt und die Beantwortung eines antragsgemäß gestellten Rechtshilfeersuchens an die Republik Türkei abzuwarten ist, erweist sich die Terminierung als hinreichend straff. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass das Kammergericht bereits anberaumte Termine auf zahlreiche Anträge der Verteidigung wegen Verhinderung jeweils beider Verteidiger aufgehoben hat.
Die Gerichtssprache ist deutsch. Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet.
(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.
(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
(1) Der Lauf einer Frist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung.
(2) Eine nach Tagen bestimmte Frist endet mit dem Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fehlt dem letzten Monat der entsprechende Tag, so endet die Frist mit dem Monat.
(3) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags.
(1) Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, sind den Beteiligten zuzustellen, bei Verkündung jedoch nur, wenn es ausdrücklich vorgeschrieben ist. Terminbestimmungen und Ladungen sind bekannt zu geben.
(2) Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung. §§ 173, 175 und 178 Abs. 1 Nr. 2 der Zivilprozessordnung sind entsprechend anzuwenden auf die nach § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 9 zur Prozessvertretung zugelassenen Personen.
(3) Wer nicht im Inland wohnt, hat auf Verlangen einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen.
Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung.
(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.
(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 67 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.
(1) Der Lauf einer Frist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung.
(2) Eine nach Tagen bestimmte Frist endet mit dem Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fehlt dem letzten Monat der entsprechende Tag, so endet die Frist mit dem Monat.
(3) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags.
(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
(2) Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat. Der Beschluß, der die Wiedereinsetzung bewilligt, ist unanfechtbar.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.