Landesarbeitsgericht Hamm Beschluss, 22. Dez. 2015 - 14 Ta 468/15

ECLI:ECLI:DE:LAGHAM:2015:1222.14TA468.15.00
bei uns veröffentlicht am22.12.2015

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 21. Juli 2015 (2 Ca 417/15) teilweise abgeändert.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für die Anträge zu 2. und 3. aus der Klageschrift vom 28. April 2015 bewilligt. Im Umfang der Bewilligung wird dem Kläger Rechtsanwalt E aus E1 zur Wahrnehmung seiner Rechte in diesem Rechtszug beigeordnet.

Die Bewilligung erfolgt mit der Maßgabe, dass der Kläger keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten hat.

Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts zurückgewiesen.

Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Hälfte der Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.


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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


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Tenor 1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 22. Dezember 2011 - 26 W 21/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz

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(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.

(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.

Hinsichtlich der Beschwerde gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte oder ihrer Vorsitzenden gelten die für die Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte maßgebenden Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gilt § 72 Abs. 2 entsprechend. Über die sofortige Beschwerde entscheidet das Landesarbeitsgericht ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter, über die Rechtsbeschwerde das Bundesarbeitsgericht.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Tenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 22. Dezember 2011 - 26 W 21/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen.

2. ...

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für eine Schmerzensgeldklage wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei der Entscheidung über die Aufnahme auf die Warteliste für eine Organvermittlung.

2

1. Der Beschwerdeführer und Antragsteller des Ausgangsverfahrens war in dem von der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens betriebenen Krankenhaus wegen eines Herzleidens in Behandlung. Dieses lehnte die Aufnahme auf die Warteliste für die Organvermittlung zur Herztransplantation ab, weil aufgrund gravierender Verständigungsprobleme und der fehlenden Sicherheit der Compliance - also der Mitwirkung des Patienten bei der Vor- und Nachbehandlung - keine Indikation zur Herztransplantation vorliege. Später wurde der Beschwerdeführer auf Veranlassung eines anderen Krankenhauses auf die Warteliste aufgenommen.

3

Der Beschwerdeführer begehrte Prozesskostenhilfe für eine Schmerzensgeldklage gegen die Antragsgegnerin. Durch die Nichtaufnahme auf die Warteliste allein wegen fehlender Sprachkenntnisse habe sie ihn diskriminiert und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt. Das Landgericht lehnte die begehrte Prozesskostenhilfe durch angegriffenen Beschluss ab. Ein Anspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (im Folgenden: AGG) scheide aus, weil hiervon eine Benachteiligung aufgrund der Sprache nicht geschützt sei. Ein vertraglicher oder deliktischer Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestehe ebenfalls nicht. Es lägen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Voraussetzungen der Richtlinie der Bundesärztekammer für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Herztransplantation für eine Ablehnung auf die Warteliste nicht vorgelegen hätten. Die Antragsgegnerin habe die Ablehnung unter Zusammenschau der erhobenen Befunde mit der nicht sicheren Compliance aus Gründen der sprachlichen Verständigung und der dadurch fehlenden Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und der Nachbetreuung begründet. Der Beschwerdeführer habe keinen Beweis dafür angetreten, dass die nach der Richtlinie erforderliche psychologische Untersuchung nicht stattgefunden habe. Das Merkmal der fehlenden Compliance sei angemessen und verletze den Beschwerdeführer nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, weil hierdurch ein längerfristiger Erfolg der Transplantation und eine sachgerechte Verteilung der Spenderorgane gewährleistet würden. Die Hinzuziehung eines rund um die Uhr zur Verfügung stehenden Dolmetschers stehe in keinem Verhältnis zur Möglichkeit des Beschwerdeführers, sprachliche Grundkenntnisse zu erlernen. Für eine Benachteiligung aufgrund der ethnischen Herkunft lägen keine Anhaltspunkte vor.

4

Das Oberlandesgericht wies die sofortige Beschwerde durch angegriffenen Beschluss zurück. Es bestünden keine Ansprüche aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Das Verlangen hinreichender deutscher Sprachkenntnisse stelle keine unmittelbare Diskriminierung dar, weil es nicht an die entsprechenden gesetzlichen Merkmale anknüpfe. Eine mittelbare Benachteiligung liege ebenfalls nicht vor, weil die Anforderungen der Antragsgegnerin durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich seien. Angesichts des hochkomplizierten medizinischen Eingriffs sei es gerechtfertigt, ein hinreichendes sprachliches Verständnis zu fordern, um einen ausreichenden Kontakt zwischen Ärzten und Patienten, insbesondere auch in Notfällen, zu ermöglichen. Ansprüche aus Vertrag oder Delikt kämen mangels Verschuldens ebenfalls nicht in Betracht, weil sich die Antragsgegnerin entsprechend § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Transplantationsgesetzes (im Folgenden: TPG) an die Richtlinien der Bundesärztekammer für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Herz- und Lungentransplantation gehalten und die Entscheidung danach nicht ermessensfehlerhaft begründet habe. Es sei eine Evaluation vorgenommen und im Rahmen der Untersuchungen und der Behandlung festgestellt worden, dass trotz des Einsatzes von Dolmetschern eine Verständigung mit dem Beschwerdeführer kaum möglich gewesen sei. Weil beim Beschwerdeführer trotz mehrjährigen Aufenthalts in Deutschland und entgegen der Empfehlung, die deutsche Sprache zu erlernen, kaum ein Sprachschatz vorhanden gewesen sei, habe die Antragsgegnerin zu Recht vom Fehlen einer Mitwirkungsbereitschaft oder -fähigkeit ausgehen können. Dass der erforderliche Rat einer weiteren, psychologisch erfahrenen Person eingeholt worden sei, habe die Antragsgegnerin dargelegt und die bei ihr angestellte Psychologin als Zeugin benannt. Angesichts der von der Antragsgegnerin ausführlich dargestellten Ermittlungen spreche einiger Beweis dafür, dass das psychologische Gespräch stattgefunden habe. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein Gespräch gar nicht stattgefunden habe beziehungsweise aufgrund fehlerhafter Ermittlungen die Entscheidung ermessensfehlerhaft getroffen worden sei, weil die Darstellung der Antragsgegnerin nicht in den wesentlichen Punkten falsch sei.

5

2. Der Beschwerdeführer hat gegen die genannten Entscheidungen Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

6

Die Ausgangsgerichte hätten die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der Klage überspannt, indem sie die schwierige, in der Literatur kritisch beurteilte und höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage entschieden hätten, ob eine mangelnde Compliance den Zugang zu einem Teilhaberecht versperren könne. Die gegen den Anspruch auf eine gleichheitsgerechte Verteilung der Organe verstoßende und diskriminierende Differenzierung nach der Sprache sei nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Die Richtliniensetzung durch die Bundesärztekammer verstoße gegen das Demokratieprinzip und den Parlamentsvorbehalt. Außerdem begegne das Merkmal der Compliance inhaltlichen Bedenken, weil es sich nicht um ein medizinisches Kriterium handele und eine fehlende Compliance allenfalls Grund zu Unterstützungs- und Kontrollmaßnahmen gebe, nicht aber zur Exklusion führen könne. Darüber hinaus hätten die Ausgangsgerichte nicht beachtet, dass auch nach der Richtlinie die mangelnde Compliance nicht allein auf Sprachschwierigkeiten zurückgeführt werden könne. Sie hätten außerdem die in der Richtlinie verankerte Voraussetzung, den Rat einer psychologisch erfahrenen Person einzuholen, nicht ernsthaft verfolgt. Obwohl es verschiedene Anhaltspunkte dafür gebe, dass das vom Beschwerdeführer bestrittene Gespräch mit einer solchen Person nicht stattgefunden habe, die Behandlungsunterlagen keine psychologische Evaluation enthielten und der von der Antragsgegnerin unter Zeugenbeweis gestellte Gesprächsinhalt nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimme, sei das Oberlandesgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass ein solches Gespräch stattgefunden habe. Schließlich sei eine Aufnahme auf die Warteliste zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geboten gewesen, weil die Bereitstellung eines Dolmetschers möglich gewesen oder die Fortführung der konservativen Therapie unter Aufnahme auf die Warteliste bis zur Teilnahme an einem Sprachkurs in Betracht gekommen sei.

7

3. Zu der Verfassungsbeschwerde hatten das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Äußerung.

II.

8

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ebenfalls vorliegen.

9

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Inhalt und Reichweite des aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit bereits geklärt (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 ff.>; BVerfGK 2, 279 <281>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 2002 - 1 BvR 1450/00 -, NJW-RR 2002, S. 1069; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Februar 2008 - 1 BvR 1807/07 -, NJW 2008, S. 1060 <1061>).

10

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), wobei die geltend gemachte Grundrechtsverletzung besonderes Gewicht hat und den Beschwerdeführer schon wegen der sich aus der angegriffenen Entscheidung ergebenden Belastung in existentieller Weise betrifft (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

11

a) Dieses gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124 <130 f.>; 10, 264 <270>; 22, 83 <86>; 51, 295 <302>; 63, 380 <394 f.>; 67, 245 <248>). Zwar ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>).

12

Auslegung und Anwendung der §§ 114 f. ZPO obliegen dabei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Verfassungsrecht wird jedoch dann verletzt, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>; BVerfGK 2, 279 <281>). Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird (vgl. BVerfGE 81, 347 <358>).

13

Hiernach dürfen schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 1993 - 1 BvR 1523/92 -, NJW 1994, 241 <242>). Zwar braucht Prozesskostenhilfe nicht schon dann gewährt zu werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Liegt diese Voraussetzung dagegen vor, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>; BVerfGK 2, 279 <281>).

14

Zudem läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, wenn der unbemittelten Partei wegen Fehlens der Erfolgsaussichten ihres Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe verweigert wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 2002 - 1 BvR 1450/00 -, NJW-RR 2002, S. 1069; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Februar 2008 - 1 BvR 1807/07 -, NJW 2008, S. 1060 <1061>). Eine Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren ist nur in eng begrenztem Rahmen zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Mai 1997 - 1 BvR 296/94 -, NJW 1997, 2745 <2746>, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Februar 2008 - 1 BvR 1807/07 -, NJW 2008, S. 1060 <1061>).

15

b) Bei Anwendung dieser Maßstäbe erweist sich die Verfassungsbeschwerde als begründet. Die Ausgangsgerichte haben die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe verfehlt, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen.

16

(aa) Die Ausgangsgerichte haben schwierige und bislang ungeklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden, indem sie vertragliche und deliktische Schadensersatzansprüche durch die Anwendung des Merkmals der Compliance in der einschlägigen Richtlinie der Bundesärztekammer verneint haben.

17

In der Literatur wird bereits formal die Richtlinienermächtigung der Bundesärztekammer in § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TPG (vgl. etwa Bader, Organmangel und Organverteilung, 2010, S. 187; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, Transplantationsgesetz, 1. Aufl. 2005, § 16 Rn. 5 f.; Höfling, in: Höfling, Transplantationsgesetz, 2003, § 16 Rn. 17; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin aus deutscher und europäischer Sicht, 2009, S. 176) in Frage gestellt. Insbesondere aber wird inhaltlich die in den Richtlinien vorgesehene Kontraindikation der Compliance (vgl. etwa Bader, Organmangel und Organverteilung, 2010, S. 209 ff.; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, Transplantationsgesetz, 1. Aufl. 2005, § 16 Rn. 16; Lang, in: Höfling, Transplantationsgesetz, 2003, § 10 Rn. 43) und das Anknüpfen an sprachliche Verständigungsschwierigkeiten im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG (vgl. Lang, in: Höfling, Transplantationsgesetz, 2003, § 10 Rn. 43) und eine fehlende Erforderlichkeit durch die Möglichkeit der Hinzuziehung eines Dolmetschers (vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, 2010, S. 381 f. m.w.N.) kritisiert. Diese Fragen wurden in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt und lassen sich auch nicht mit den von der Rechtsprechung bereitgestellten Auslegungshilfen ohne Schwierigkeiten beantworten.

18

Auf die Beantwortung dieser Fragen kam es für die Beurteilung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Ansprüche an. Waren das Merkmal der Compliance und insbesondere das Abstellen auf fehlende Sprachkenntnisse rechtlich nicht haltbar, würde deren Anwendung trotz der Vermutungsregelung des § 16 Abs. 1 Satz 2 TPG sowohl eine Verletzung der vertraglichen Pflicht, über die Aufnahme auf die Warteliste nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 TPG), als auch eine durch eine umfassende Güter- und Interessenabwägung festzustellende rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen. Das außerdem erforderliche Verschulden kann ebenfalls nicht verneint werden, ohne entweder die Frage der Anwendbarkeit des Merkmals der Compliance oder die ebenfalls schwierige und im Anwendungsbereich ärztlicher Richtlinien bisher ungeklärte Rechtsfrage beantworten zu müssen, ob sich die Antragsgegnerin hier ausnahmsweise auf eine Richtigkeitsgewähr der angewendeten Richtlinie (vgl. etwa für Tarifverträge OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. Juni 2008 - 12 U 4/08 -, VersR 2009, S. 203 <204>) oder einen Beurteilungsspielraum aufgrund eines sonst nicht lösbaren Pflichtenwiderstreits hätte berufen können (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1995 - V ZB 4/94 -, NJW 1996, S. 1216 <1218>).

19

Ob das Merkmal der Compliance und insbesondere das Abstellen auf fehlende Sprachkenntnisse rechtlich haltbar ist, ist außerdem erheblich für die Beurteilung eines Schadensersatzanspruches aus § 21 Abs. 2 AGG. Für die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei einer mittelbaren Benachteiligung durch die Anknüpfung an Sprachkenntnisse (vgl. dazu BAG, Urteil vom 22. Juni 2011 - 8 AZR 48/10 -, NJW 2012, S. 171 <174>) kommt es auf die schwierige, in der Literatur aufgeworfene (vgl. nur Bader, Organmangel und Organverteilung, 2010, S. 381 f. m.w.N.) und in der Rechtsprechung nicht geklärte Frage an, ob das Verlangen hinreichender Sprachkenntnisse für eine Erfolgsaussicht einer Organübertragung erforderlich ist. Diese Fragen sind nicht etwa durch das Verschuldenserfordernis in § 21 Abs. 2 AGG entbehrlich. Diesbezüglich stellt sich seinerseits die schwierige und ungeklärte Rechtsfrage, ob das Verschuldenserfordernis im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Schadensersatz bei Diskriminierungen wegen des Geschlechts (vgl. EuGH, Urteil vom 8. November 1990 - C-177/88 Dekker -, EuGH Slg. 1990, I-3975, Rn. 22 ff.) europarechtskonform ist, ohne dass diese in der Literatur aufgeworfene Frage (vgl. dazu etwa Thüsing, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 21 AGG, Rn. 45 m.w.N.) in der Rechtsprechung geklärt wäre oder sich anhand der von der bisherigen Rechtsprechung zur Verfügung gestellten Auslegungshilfen beantworten ließe.

20

(bb) Eine Verletzung der Rechtsschutzgleichheit liegt außerdem darin, dass die Ausgangsgerichte dem Beschwerdeführer wegen Fehlens der Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe verweigert haben, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kam und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen könnte.

21

Für die im Ausgangsverfahren zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob ein Gespräch des Beschwerdeführers mit einer psychologisch erfahrenen Person stattgefunden hat, kommt eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht. Diese Frage ist entscheidungserheblich, da nach den Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung zur Herz-, Herz-Lungen- und Lungentransplantation vor der endgültigen Ablehnung der Aufnahme in die Warteliste der Rat einer psychologisch erfahrenen Person einzuholen ist. Ob das hierfür von den Ausgangsgerichten für erforderlich gehaltene Gespräch des Beschwerdeführers mit einer solchen Person stattgefunden hat, wäre unabhängig von der Frage der Beweislast durch eine Beweisaufnahme und selbst ohne einen entsprechenden Beweisantritt des Beschwerdeführers zu klären gewesen. Denn zur Wahrung des Grundsatzes der Waffengleichheit und des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie des Rechts auf Gewährleistung eines fairen Prozesses und eines wirkungsvollen Rechtsschutzes ist es erforderlich, einer Partei, die für ein Vieraugengespräch keinen Zeugen hat, Gelegenheit zu geben, ihre Darstellung des Gesprächs in den Prozess persönlich einzubringen und sie zu diesem Zweck entweder gemäß § 448 ZPO zu vernehmen oder gemäß § 141 ZPO anzuhören, es sei denn die Feststellungen über den Gesprächsverlauf werden nicht nur auf die Aussage des von der Gegenpartei benannten Zeugen, sondern zusätzlich auf sonstige Beweismittel oder Indizien gestützt (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2005 - XI ZR 216/04 -, NJW-RR 2006, S. 61 <63> m.w.N.). Hiernach hätte im Hauptsacheverfahren neben der von der Antragsgegnerin benannten Zeugin auch der Beschwerdeführer vernommen beziehungsweise angehört werden müssen, da es um ein entscheidungserhebliches Gespräch unter vier Augen zwischen einer Zeugin und dem Beschwerdeführer als Partei des Ausgangsverfahrens ging und keine weiteren Beweismittel oder Indizien vorhanden waren.

22

Es liegen außerdem keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde. Das Oberlandesgericht hat allein aus der Schlüssigkeit des Vortrages der Antragsgegnerin darauf geschlossen, dass diese den angetretenen Zeugenbeweis eines psychologischen Gesprächs führen kann. Dass dieser Vortrag persönliche Informationen über den Beschwerdeführer enthielt, erlaubte keine derartige Prognose, da die Antragsgegnerin diese Informationen auch anderweit erhalten haben kann und sie nicht vollständig mit der vom Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren vorgetragenen tatsächlichen Situation übereinstimmten.

23

Die Entscheidungen beruhen auch auf diesem Verstoß, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Ausgangsgerichte zu einem abweichenden, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gekommen wären, wenn sie die sich aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Grenzen einer antizipierten Beweiswürdigung beachtet hätten. Denn das Oberlandesgericht hat hinsichtlich einer für seine Entscheidung erheblichen Tatsache gegen dieses Gebot verstoßen. Hält man mit dem Oberlandesgericht die Anwendung des Merkmals der Compliance als solche noch nicht für pflichtwidrig, kommt es für die Frage eines Schadensersatzanspruchs wegen schuldhafter Verletzung von Pflichten aus dem Behandlungsvertrag maßgeblich darauf an, ob die in der Richtlinie geregelten Voraussetzungen eingehalten wurden, wozu unter anderem die Einholung des Rats einer psychologisch erfahrenen Person gehört.

III.

24

Der Beschluss des Oberlandesgerichts ist hiernach gemäß § 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

25

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG, diejenige über die Festsetzung des Gegenstandwerts auf § 14 Abs. 1, § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Wird das Berufsausbildungsverhältnis nach der Probezeit vorzeitig gelöst, so können Ausbildende oder Auszubildende Ersatz des Schadens verlangen, wenn die andere Person den Grund für die Auflösung zu vertreten hat. Dies gilt nicht im Falle des § 22 Absatz 2 Nummer 2.

(2) Der Anspruch erlischt, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses geltend gemacht wird.

(1) Ausbildende haben

1.
dafür zu sorgen, dass den Auszubildenden die berufliche Handlungsfähigkeit vermittelt wird, die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlich ist, und die Berufsausbildung in einer durch ihren Zweck gebotenen Form planmäßig, zeitlich und sachlich gegliedert so durchzuführen, dass das Ausbildungsziel in der vorgesehenen Ausbildungszeit erreicht werden kann,
2.
selbst auszubilden oder einen Ausbilder oder eine Ausbilderin ausdrücklich damit zu beauftragen,
3.
Auszubildenden kostenlos die Ausbildungsmittel, insbesondere Werkzeuge, Werkstoffe und Fachliteratur zur Verfügung zu stellen, die zur Berufsausbildung und zum Ablegen von Zwischen- und Abschlussprüfungen, auch soweit solche nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses stattfinden, erforderlich sind,
4.
Auszubildende zum Besuch der Berufsschule anzuhalten,
5.
dafür zu sorgen, dass Auszubildende charakterlich gefördert sowie sittlich und körperlich nicht gefährdet werden.

(2) Ausbildende haben Auszubildende zum Führen der Ausbildungsnachweise nach § 13 Satz 2 Nummer 7 anzuhalten und diese regelmäßig durchzusehen. Den Auszubildenden ist Gelegenheit zu geben, den Ausbildungsnachweis am Arbeitsplatz zu führen.

(3) Auszubildenden dürfen nur Aufgaben übertragen werden, die dem Ausbildungszweck dienen und ihren körperlichen Kräften angemessen sind.

(1) Wird das Berufsausbildungsverhältnis nach der Probezeit vorzeitig gelöst, so können Ausbildende oder Auszubildende Ersatz des Schadens verlangen, wenn die andere Person den Grund für die Auflösung zu vertreten hat. Dies gilt nicht im Falle des § 22 Absatz 2 Nummer 2.

(2) Der Anspruch erlischt, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses geltend gemacht wird.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam; ein vom Arbeitnehmer nach § 2 erklärter Vorbehalt erlischt.

(1) Wird das Berufsausbildungsverhältnis nach der Probezeit vorzeitig gelöst, so können Ausbildende oder Auszubildende Ersatz des Schadens verlangen, wenn die andere Person den Grund für die Auflösung zu vertreten hat. Dies gilt nicht im Falle des § 22 Absatz 2 Nummer 2.

(2) Der Anspruch erlischt, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses geltend gemacht wird.

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 20. Mai 2015 - 4 Ta 29/15 (1) - aufgehoben.

2. Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Zwickau vom 21. Januar 2015 - 7 Ca 1907/14 PKH - abgeändert:

Der Klägerin wird mit Wirkung ab dem 16. Dezember 2014 für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe mit der Maßgabe bewilligt, dass kein eigener Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten ist. Zur Wahrnehmung ihrer Rechte wird ihr Rechtsanwalt N, beigeordnet.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über die Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin gemäß § 23 BBiG Schadensersatz wegen einer durch den Beklagten mit Schreiben vom 21. November 2014 ausgesprochenen fristlosen Kündigung des Ausbildungsverhältnisses zu leisten. Gleichzeitig mit der Einreichung der Klageschrift beim Arbeitsgericht am 16. Dezember 2014 hat die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Anwaltsbeiordnung beantragt und die hierfür erforderlichen Unterlagen vorgelegt.

2

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21. Januar 2015 den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts N zurückgewiesen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg biete und mutwillig erscheine (§ 11a Abs. 1 ArbGG, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der hiergegen fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde vom 22. Januar 2015 hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 9. Februar 2015 nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Durch Beschluss vom 20. Mai 2015 hat dieses die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde für die Klägerin zugelassen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass keine hinreichende Erfolgsaussicht für die Klage bestehe.

3

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Klägerin ist begründet. Ihr ist für den ersten Rechtszug gemäß § 11a Abs. 1 ArbGG iVm. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen(§ 78 ArbGG iVm. § 577 Abs. 5 ZPO).

4

1. Die Rechtsbeschwerde hätte allerdings nicht zugelassen werden dürfen. Die Zulassung setzt nach § 78 Satz 2 ArbGG voraus, dass einer der Zulassungsgründe nach § 72 Abs. 2 ArbGG vorliegt. Diese Voraussetzungen kommen bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht. Hängt die Bewilligung der Prozesskostenhilfe allein von der Frage ab, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung (oder Rechtsverteidigung) hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, kommt eine Rechtsbeschwerde dagegen nicht in Betracht. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung kann zwar entscheidungserhebliche Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG aufwerfen. Das Prozesskostenhilfeverfahren hat aber nicht den Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen vorweg zu entscheiden. Deshalb ist die Erfolgsaussicht einer beabsichtigten Rechtsverfolgung zu bejahen und Prozesskostenhilfe, wenn die persönlichen Voraussetzungen gegeben sind, zu gewähren, wenn ein Rechtsmittel zugelassen werden müsste, weil die durch die Rechtsverfolgung aufgeworfenen Rechtsfragen einer höchstrichterlichen Klärung bedürfen. Ein Beschwerdegericht, das wegen der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG für gegeben hält, muss deshalb Prozesskostenhilfe bewilligen; es darf die Prozesskostenhilfe nicht ablehnen, gleichzeitig aber die Rechtsbeschwerde wegen eben jener Fragen zulassen. Geschieht dies dennoch, ist das Rechtsbeschwerdegericht allerdings nach § 78 ArbGG iVm. § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO an die Zulassung gebunden(vgl. BGH 13. Dezember 2005 - VI ZB 76/04 - zu II 2 b der Gründe; allgemein zur Bindung an die Zulassungsentscheidung BAG 5. April 2006 - 3 AZB 61/04 - Rn. 3 mwN, BAGE 117, 344).

5

2. Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben.

6

a) Das Landesarbeitsgericht hat die Rechtsbeschwerde nicht wegen Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Bewilligung zugelassen, sondern im Hinblick auf die Frage der Erfolgsaussichten eines möglichen Schadensersatzanspruchs nach § 23 Abs. 1 BBiG in der vorliegenden besonderen Konstellation. An diese Zulassung ist der Senat gebunden.

7

b) Mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde hat das Landesarbeitsgericht gleichzeitig deutlich gemacht, dass es im Hinblick auf die Auslegung und Anwendung des § 23 BBiG eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung sieht. Diese Frage kann und darf aber nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Deshalb kann die Prozesskostenhilfe nicht unter Hinweis auf mangelnde Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt werden, sondern ist zu bewilligen. Dies kann nach § 78 ArbGG iVm. § 577 Abs. 5 ZPO durch den Senat erfolgen. Die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen lagen zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Antragsstellung am 16. Dezember 2014 vor.

        

    Linck    

        

    Brune    

        

    W. Reinfelder    

        

        

        

        

        

        

                 

(1) Wird das Berufsausbildungsverhältnis nach der Probezeit vorzeitig gelöst, so können Ausbildende oder Auszubildende Ersatz des Schadens verlangen, wenn die andere Person den Grund für die Auflösung zu vertreten hat. Dies gilt nicht im Falle des § 22 Absatz 2 Nummer 2.

(2) Der Anspruch erlischt, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses geltend gemacht wird.

(1) Die Vergütung bemisst sich nach Monaten. Bei Berechnung der Vergütung für einzelne Tage wird der Monat zu 30 Tagen gerechnet.

(2) Ausbildende haben die Vergütung für den laufenden Kalendermonat spätestens am letzten Arbeitstag des Monats zu zahlen.

(3) Gilt für Ausbildende nicht nach § 3 Absatz 1 des Tarifvertragsgesetzes eine tarifvertragliche Vergütungsregelung, sind sie verpflichtet, den bei ihnen beschäftigten Auszubildenden spätestens zu dem in Absatz 2 genannten Zeitpunkt eine Vergütung mindestens in der bei Beginn der Berufsausbildung geltenden Höhe der Mindestvergütung nach § 17 Absatz 2 Satz 1 zu zahlen. Satz 1 findet bei einer Teilzeitberufsausbildung mit der Maßgabe Anwendung, dass die Vergütungshöhe unter Berücksichtigung des § 17 Absatz 5 Satz 3 mindestens dem prozentualen Anteil an der Arbeitszeit entsprechen muss.

Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Diese Vorschrift gilt entsprechend für Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen.

(2) Sind im Tarifvertrag gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorgesehen und geregelt (Lohnausgleichskassen, Urlaubskassen usw.), so gelten diese Regelungen auch unmittelbar und zwingend für die Satzung dieser Einrichtung und das Verhältnis der Einrichtung zu den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

(3) Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.

(4) Ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte ist nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Die Verwirkung von tariflichen Rechten ist ausgeschlossen. Ausschlußfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte können nur im Tarifvertrag vereinbart werden.

(5) Nach Ablauf des Tarifvertrags gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 19. Juni 2012 - 14 Sa 68/11 - aufgehoben, soweit es das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 20. Juni 2011 - 10 Ca 378/10 - abgeändert hat.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 20. Juni 2011 - 10 Ca 378/10 - wird insgesamt zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs.

2

Der 1981 geborene Kläger war seit dem 6. Mai 2009 bei der Beklagten in deren Hotel-Restaurant K als Koch beschäftigt. Er erhielt einen Bruttostundenlohn von zunächst 10,50 Euro, ab Juli 2009 von 11,50 Euro.

3

Dem Arbeitsverhältnis lag ein schriftlicher Arbeitsvertrag zugrunde, der auszugsweise lautet:

        

„Zwischen

        

…       

        

wird gemäß dem geltenden Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Baden-Württemberg, sofern nicht nachfolgend anderes vereinbart ist, folgender

        

1 Jahres-Arbeitsvertrag abgeschlossen:

        

§ 1 Anstellung und Probezeit

        

Der Arbeitnehmer wird mit Wirkung ab dem 06.05.2009 bis zum 05.05.2010 als Koch eingestellt. (…)

        

§ 2 Entgelt und Arbeitszeit

        

Es ist eine Festbeschäftigung mit flexibler Arbeitszeit nach den betrieblichen Erfordernissen vereinbart. Der Brutto-Stundenlohn beträgt € 10,50 und ab Juli beträgt der Brutto-Stundenlohn € 11,50. Für Sonn- und Feiertagsstunden wird ein steuerfreier Zuschlag in Höhe von 50 % vergütet. Die Zahlung dieses Zuschlages erfolgt freiwillig. Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung des Zuschlages wird auch bei wiederholter Zahlung nicht begründet. Im Stundenlohn sind neben der Grundvergütung auch die Teildienst- und Nachtzulage, Überstunden-Zuschläge, sowie zusätzliches Urlaubsgeld und die Weihnachtsgratifikation pauschal enthalten. Das Monats-Entgelt wird zum Anfang des nachfolgenden Monats per Verrechnungsscheck ausbezahlt. Die Höhe des Arbeitsentgeltes ist vertraulich zu behandeln. Gegenseitige Zahlungsansprüche, die nicht oder falsch in der Entgelt-Abrechnung berücksichtigt wurden, gelten als verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach ihrem Entstehen schriftlich geltend gemacht werden. Alle Kosten des Arbeitgebers für etwaige Lohnpfändungen trägt der Arbeitnehmer.“

4

Im Anschluss an den Arbeitsvertrag heißt es:

        

„Vertragsverlängerung

        

Dieser Arbeitsvertrag wird mit seinem gesamten Inhalt um drei Monate verlängert.

        

Das Beschäftigungsverhältnis endet - ohne dass es einer Kündigung bedarf - am 05.08.2010.“

5

Während der Kläger in den Monaten Mai und Juni 2009 länger als die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte von 39 Stunden, aber unter der tariflichen monatlichen Höchstarbeitszeit von 198 Stunden arbeitete, setzte ihn die Beklagte in der Folgezeit - in unterschiedlichem Umfang - nur kürzer ein. Der Kläger erhielt den vereinbarten Stundenlohn für die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten nebst Sonn- und Feiertagszuschlägen. Außerdem zahlte die Beklagte gemäß den Lohnabrechnungen für „Krankstunden“ in den Monaten September und Dezember 2009 sowie Februar, Mai und Juni 2010 insgesamt 1.369,84 Euro brutto. Ferner bezog der Kläger im Februar und März 2010 jeweils ein „Urlaubsentgelt“, mit dem insgesamt sechs Urlaubstage „abgerechnet“ sein sollten.

6

Ab dem 8. Juli 2010 war der Kläger arbeitsunfähig krank und kündigte mit Schreiben vom 14. Juli 2010 das Arbeitsverhältnis fristlos zum 15. Juli 2010.

7

Mit eigenem Schreiben vom 11. Juli 2010 und Anwaltsschreiben vom 28. Juli 2010 machte der Kläger - unter Fristsetzung bis zum 25. Juli 2010 bzw. 11. August 2010 - Entgeltdifferenzen auf der Basis einer 48-Stunden-Woche geltend. Die Beklagte wies die Forderung mit Schreiben vom 16. Juli 2010 zurück.

8

Am 24. September 2010 ging beim Arbeitsgericht ein auf den 22. September 2010 datierter Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung ein, dem als Anlagen eine - zunächst nicht unterschriebene - Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie ein als Klageentwurf überschriebener, nicht eigenhändig unterzeichneter Schriftsatz vom 22. September 2010 beigefügt waren. In dem Prozesskostenhilfegesuch heißt es abschließend und fettgedruckt: „Die Klage soll erst nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe zugestellt werden.“

9

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde dem nachmaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 4. Oktober 2010 zur Stellungnahme zugestellt. Die Beklagte trat mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2010 der Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Sach- und Rechtsausführungen entgegen.

10

Das Arbeitsgericht bewilligte dem Kläger mit Beschluss vom 5. November 2010 Prozesskostenhilfe und ordnete ihm Rechtsanwalt N bei. Daraufhin hat der Kläger am 15. November 2010 eine Leistungsklage eingereicht, die der Beklagten am 18. November 2010 zugestellt worden ist.

11

Er hat geltend gemacht, arbeitsvertraglich sei eine Vollzeitbeschäftigung vereinbart. Die Beklagte hätte ihm zumindest im Umfange der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit Arbeit zuweisen müssen. Durch den Nichtabruf der vollen Arbeitszeit sei sie in Annahmeverzug geraten.

12

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 7.686,99 Euro brutto nebst Zinsen nach bestimmter betragsmäßiger und zeitlicher Staffelung zu zahlen.

13

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger habe ohne Vereinbarung einer bestimmten Dauer der Arbeitszeit auf Abruf gearbeitet und sei entsprechend dem Arbeitsanfall eingesetzt worden. Dieser Handhabung habe der Kläger nicht widersprochen und eine über den tatsächlichen Einsatz hinausgehende Arbeitsleistung weder tatsächlich noch wörtlich angeboten. Jedenfalls sei der erhobene Anspruch nach § 23 Buchst. c des allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrags für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Baden-Württemberg vom 18. März 2002 verfallen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe habe die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung nicht wahren können.

14

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - der Klage überwiegend stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht teilweise stattgegeben. Die Klage ist unbegründet. Der erhobene Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs steht dem Kläger nicht zu.

16

I. Gemäß § 293 BGB kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung(vgl. BAG 15. Mai 2013 - 5 AZR 130/12 - Rn. 22 mwN) nicht annimmt.

17

In welchem zeitlichen Umfang dabei der Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten kann, richtet sich nach der arbeitsvertraglich vereinbarten oder - falls diese regelmäßig überschritten wird - nach der tatsächlich praktizierten Arbeitszeit. Denn die für das Arbeitsverhältnis maßgebliche Arbeitszeit bestimmt den zeitlichen Umfang, in welchem der Arbeitnehmer berechtigt ist, Arbeitsleistung zu erbringen und der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Arbeitsleistung anzunehmen (BAG 16. April 2014 - 5 AZR 483/12 - Rn. 13).

18

II. Danach befand sich die Beklagte im Streitzeitraum nicht im Annahmeverzug. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger seine Arbeitsleistung in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang - zumindest wörtlich - hätte anbieten müssen (vgl. BAG 25. April 2007 - 5 AZR 504/06 - Rn. 19; 16. April 2013 - 9 AZR 554/11 - Rn. 18 mwN) oder - wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat - § 296 Satz 1 BGB eingreift(vgl. BAG 8. Oktober 2008 - 5 AZR 715/07 - Rn. 24; 26. Januar 2011 - 5 AZR 819/09 - Rn. 19, BAGE 137, 38). Die Parteien haben kein Vollzeitarbeitsverhältnis, sondern ein Teilzeitarbeitsverhältnis in der Form der Arbeit auf Abruf (§ 12 TzBfG) vereinbart. Das ergibt die Auslegung des § 2 Satz 1 Arbeitsvertrag.

19

1. Bei dieser Klausel handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB). Dafür begründet bereits das äußere Erscheinungsbild eine tatsächliche Vermutung (vgl. BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 17; 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 11, BAGE 139, 44), der keine der Parteien entgegengetreten ist. Auch bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klausel vom Kläger in den Arbeitsvertrag eingeführt worden wäre (§ 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Für die Auslegung kommt es deshalb darauf an, wie die Klausel - ausgehend vom Vertragswortlaut - nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden wird, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Dabei unterliegt die Auslegung der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht (st. Rspr., vgl. zB BAG 23. Oktober 2013 - 5 AZR 135/12 - Rn. 15 mwN).

20

2. Ausgehend vom Wortlaut der Klausel haben die Parteien ausdrücklich keine Vollzeitbeschäftigung, sondern eine Festbeschäftigung mit flexibler Arbeitszeit nach den betrieblichen Erfordernissen vereinbart. Die Bezeichnung der Beschäftigung als „fest“ dokumentiert zwar den Willen verständiger und redlicher Vertragspartner, dass innerhalb der zuvor in § 1 Satz 1 Arbeitsvertrag fixierten Dauer des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer nicht nur gelegentlich zur Aushilfe, sondern stetig zur Arbeitsleistung herangezogen wird. Der Umfang der dabei zu leistenden Arbeitszeit ist aber offengelassen worden. Sie soll flexibel - also veränderlich - sein und sich nach den betrieblichen Erfordernissen - also dem Arbeitsanfall und dem Beschäftigungsbedarf - richten. Verbunden mit dem Fehlen jeglichen Hinweises auf eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit darf bei einer derartigen Klausel ein verständiger Arbeitnehmer redlicherweise nicht annehmen, es solle ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet werden. Er muss vielmehr davon ausgehen, dass nicht nur die Lage, sondern auch die Dauer der Arbeitszeit variabel ist und die regelmäßige Arbeitszeit im Durchschnitt des vereinbarten Beschäftigungsjahres unter der eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers bleibt, er also teilzeitbeschäftigt (§ 2 Abs. 1 Satz 2 TzBfG) ist.

21

In diesem Verständnis der Klausel haben die Parteien das Arbeitsverhältnis auch gelebt. Der von der Beklagten gepflegten Heranziehung zur Arbeitsleistung hat der Kläger nach den für den Senat bindenden (§ 559 Abs. 2 ZPO) tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht widersprochen. Soweit der Kläger erstmals im Schriftsatz vom 24. Juni 2014 vorbringt, anlässlich der Aushändigung von Lohnabrechnungen habe er den Hoteldirektor D mehrfach „seine Arbeitsleistungen“ angeboten und gefragt, „wann die Lohndifferenzen ausgeglichen werden“, handelt es sich um vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellten neuen Sachvortrag in der Revisionsinstanz, der nach § 559 ZPO unbeachtlich ist. Zudem ist der neue Sachvortrag wegen der vereinbarten Arbeit auf Abruf ungeeignet, Annahmeverzug der Beklagten zu begründen.

22

Für die vom Landesarbeitsgericht angewendete Regel, wonach bei Fehlen einer Teilzeitvereinbarung im Zweifel ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet werde (vgl. BAG 8. Oktober 2008 - 5 AZR 715/07 - Rn. 19; 15. Mai 2013 - 10 AZR 325/12 - Rn. 19) ist danach kein Raum.

23

3. Der Auslegung von § 2 Satz 1 Arbeitsvertrag als Arbeit auf Abruf im Teilzeitarbeitsverhältnis stehen weder § 12 Abs. 1 TzBfG noch der für allgemeinverbindlich erklärte Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Baden-Württemberg vom 18. März 2002 (im Folgenden: MTV) entgegen.

24

a) Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG muss die Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen. Das bedeutet aber nicht, Arbeit auf Abruf sei nur unter dieser Voraussetzung zulässig (vgl. BAG 7. Dezember 2005 - 5 AZR 535/04 - Rn. 31, BAGE 116, 267). Die Nichtvereinbarung einer bestimmten Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit bedingt nicht die Unwirksamkeit der Abrede, sondern führt dazu, dass nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine wöchentliche Arbeitszeit von zehn Stunden als vereinbart gilt und der Arbeitgeber nach § 12 Abs. 1 Satz 4 TzBfG die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers jeweils für mindestens drei aufeinander folgende Stunden in Anspruch nehmen muss(vgl. nur ErfK/Preis 14. Aufl. § 12 TzBfG Rn. 15, 21; HWK/Schmalenberg 6. Aufl. § 12 TzBfG Rn. 12). Für ein Unterschreiten dieser zum Schutze des Arbeitnehmers gesetzlich fingierten Mindestgrenzen bietet das Vorbringen des Klägers keinen Anhalt.

25

b) Die Festlegung einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden in § 6 A MTV betrifft nur vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer und steht einer Teilzeitbeschäftigung nicht entgegen. Das bestätigt § 11 Nr. 2 MTV, der in einem Klammerzusatz Teilzeitbeschäftigte definiert als Arbeitnehmer, mit denen eine geringere als die regelmäßige Arbeitszeit vereinbart ist. Der MTV enthält auch keine Regelungen, die die für Teilzeitbeschäftigte in § 12 TzBfG zugelassene Arbeit auf Abruf verbieten oder modifizieren würden.

26

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Müller-Glöge    

        

    Biebl    

        

    Weber    

        

        

        

    Kremser    

        

    Feldmeier    

                 

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 185/08
vom
17. Dezember 2008
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 234 Abs. 1 A, 517, 519 Abs. 2, 520 Abs. 3
Wenn die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift oder eine Berufungsbegründung
erfüllt sind, kommt die Deutung, dass der Schriftsatz nicht als
zugleich eingelegte Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt war, nur
dann in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen
Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse
vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726 und vom
20. Juli 2005 - XII ZB 31/05 - FamRZ 2005, 1537).
BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2008 - XII ZB 185/08 - OLG Nürnberg
AG Erlangen
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Dezember 2008 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterin Weber-Monecke und die
Richter Prof. Dr. Wagenitz, Dose und Dr. Klinkhammer

beschlossen:
Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 11. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 27. Februar 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Streitwert: 7.569 €

Gründe:


I.

1
Das klagabweisende Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 9. Juli 2007 zugestellt.
2
Am 8. August 2007 gingen beim Berufungsgericht zwei Schriftsätze der Klägerin vom 6. August 2007 ein. Der erste Schriftsatz war bezeichnet als "An- trag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Berufungsverfahrens". Nach dem Rubrum folgte der Antrag, "der Berufungsklägerin für das beabsichtigte Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen". In der Begründung wird ausgeführt, dass "beabsichtigt" sei, gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung einzulegen. Die Klägerin sei nicht in der Lage, die Kosten des Berufungsverfahrens aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Weiterhin wurde ausgeführt: "Die Berufung ist nicht mutwillig ... die Erfolgsaussichten ergeben sich aus der als Anlage beigefügten Berufungsbegründung."
3
Der beigefügte weitere Schriftsatz ist als "Berufung" überschrieben, enthält neben dem vollständigen Rubrum die Formulierung: "... legen wir im Auftrag der Klägerin und der Berufungsklägerin gegen das am 10.05.2007 verkündete und am 09.07.2007 zugestellte Urteil des Amtsgerichts ... Berufung ein." Auf die Ausfertigung des beigefügten Urteils wurde hingewiesen. Außerdem enthielt der Schriftsatz konkrete Berufungsanträge zum Kindesunterhalt und eine umfassende Berufungsbegründung. Der Schriftsatz ist von der Rechtsanwältin der Klägerin eigenhändig unterschrieben.
4
Das Berufungsgericht bewilligte der Klägerin mit Beschluss vom 17. Oktober 2007 Prozesskostenhilfe. Der Beschluss wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 24. Oktober 2007 zugestellt. In der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 und 2 ZPO wurde weder ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt noch die Berufung nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nachgeholt. Erst auf Hinweis des Gerichts vom 27. November 2007 wies die Klägervertreterin darauf hin, dass die Berufung und die Berufungsbegründung unbedingt eingelegt worden seien und beantragte unter erneuter Einlegung der Berufung und Bezugnahme auf die vorliegende Berufungsbegründung hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
5
Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen eingelegt und begründet worden sei. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat es abgelehnt, weil die Klägerin nach Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe nicht schuldlos gehindert gewesen seien, innerhalb der Fristen des § 234 ZPO Wiedereinsetzung zu beantragen und die Berufung bzw. die Berufungsbegründung nachzuholen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

6
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Die Klägerin ist in den Verfahren auf Kindesunterhalt auch nach wie vor prozessführungsbefugt. Denn sie hatte die Klage vor der Ehescheidung nach § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB in zulässiger Weise im eigenen Namen erhoben und diese gesetzliche Prozessstandschaft gilt nach ständiger Rechtsprechung des Senats regelmäßig über die Scheidung hinaus bis zum Abschluss des Unterhaltsprozesses fort (Senatsurteil 15. November 1989 - IVb ZR 3/89 - FamRZ 1990, 283, 284; Wendl/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 10 Rdn. 135 d).
7
1. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/04 - FamRZ 2005, 971, 972 m.w.N.) dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garan- tieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 = NJW 2002, 3029, 3031 m.w.N.). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.
8
2. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil sowohl die Berufung als auch die Berufungsbegründung rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen sind.
9
a) Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus, wonach ein Schriftsatz , der alle formellen Anforderungen an eine Berufung oder eine Berufungsbegründung erfüllt, regelmäßig als wirksam eingelegte Prozesserklärung zu behandeln ist. Eine Deutung dahin, dass er gleichwohl nicht unbedingt als Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt ist, kommt nur in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726, 1727, vom 20. Juli 2005 - XII ZR 31/05 - FamRZ 2005, 1537 und vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04 - FamRZ 2004, 1553, 1554). Solches ist hier jedoch entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht der Fall.
10
b) Der am 8. August 2007 eingegangene weitere Schriftsatz der Klägerin erfüllt sämtliche formellen Anforderungen an einen Berufungsschriftsatz und eine Berufungsbegründung. Entsprechend § 519 Abs. 2 ZPO wurde das ange- fochtene Urteil unter Angabe des vollständigen Rubrums konkret bezeichnet und es wurde gegen dieses Urteil ohne Einschränkung Berufung eingelegt. Auch eine Ausfertigung des angefochtenen Urteils wurde entsprechend § 519 Abs. 3 ZPO beigefügt. Der Schriftsatz enthält außerdem Berufungsanträge und deren Begründung (§ 520 Abs. 3 Ziff. 1 bis 4 ZPO). Schließlich war der Schriftsatz als "Berufung" bezeichnet und von der postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin eigenhändig unterschrieben.
11
Zweifel gegen eine unbedingte Berufungseinlegung und Berufungsbegründung konnten sich deswegen allein aus dem Zusammenwirken mit dem zeitgleich eingereichten Prozesskostenhilfegesuch vom 6. August 2007 ergeben. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts spricht allerdings schon dieser Schriftsatz allein nicht eindeutig gegen ein gleichzeitig eingelegtes Rechtsmittel. Zwar wird in dem Schriftsatz darauf hingewiesen, dass Prozesskostenhilfe "für das beabsichtigte Berufungsverfahren" begehrt werde. Auch in der Begründung des Prozesskostenhilfeantrags wird ausgeführt, dass die Klägerin "beabsichtige", gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung einzulegen. Andererseits wird die Erfolgsaussicht damit begründet, dass "die Berufung" nicht mutwillig sei. Zu den Erfolgsaussichten der Berufung wird auf die als Anlage beigefügte "Berufungsbegründung" Bezug genommen. Ob ein Berufungsverfahren danach nur beabsichtigt war oder die Berufung doch schon eingelegt sein sollte, ist schon nach dem Inhalt dieses Schriftsatzes nicht eindeutig zu beantworten. Soweit die Klägerin in dem Prozesskostenhilfeantrag weiter ausführt , dass sie nicht in der Lage sei, die Kosten des Berufungsverfahrens aus eigenen Mitteln zu bestreiten, folgt auch daraus nicht mit hinreichender Deutlichkeit , dass die beigefügte Berufung und Berufungsbegründung - mit den dadurch bedingten Unwägbarkeiten - zunächst nur bedingt eingelegt werden sollten (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726, 1727 m.w.N.).
12
Zusätzlich steht der Prozesskostenhilfeantrag im Widerspruch zu dem eindeutigen Inhalt der beigefügten "Berufung". Denn dieser Schriftsatz allein lässt keine Deutung dahin zu, dass das Rechtsmittel nur für den Fall der Bewilligung der Prozesskostenhilfe eingelegt werden sollte. Dieser Widerspruch zwischen dem Berufungsschriftsatz und dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe lässt sich nicht zugunsten des Inhalts einer der Schriftsätze auflösen. Selbst wenn trotz des eindeutigen Inhalts des Berufungsschriftsatzes Zweifel verbleiben, ob die Berufung schon mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe eingelegt werden sollte, ist zugunsten des Rechtsmittelführers anzunehmen, dass er eher das Kostenrisiko einer ganz oder teilweise erfolglosen Berufung auf sich nehmen wollte, als zu riskieren, dass seine Berufung als unzulässig verworfen wird (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726, 1727 m.w.N.).
13
3. Weil die Klägerin ihre Berufung somit rechtzeitig eingelegt und begründet hat, ist der Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben. Auf den in der Berufungsinstanz hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin kommt es danach nicht an.
Hahne Wagenitz Weber-Monecke Dose Klinkhammer

Vorinstanzen:
AG Erlangen, Entscheidung vom 10.05.2007 - 2 F 104/06 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 27.02.2008 - 11 UF 1043/07 -

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 185/08
vom
17. Dezember 2008
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 234 Abs. 1 A, 517, 519 Abs. 2, 520 Abs. 3
Wenn die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift oder eine Berufungsbegründung
erfüllt sind, kommt die Deutung, dass der Schriftsatz nicht als
zugleich eingelegte Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt war, nur
dann in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen
Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse
vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726 und vom
20. Juli 2005 - XII ZB 31/05 - FamRZ 2005, 1537).
BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2008 - XII ZB 185/08 - OLG Nürnberg
AG Erlangen
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Dezember 2008 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterin Weber-Monecke und die
Richter Prof. Dr. Wagenitz, Dose und Dr. Klinkhammer

beschlossen:
Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 11. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 27. Februar 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Streitwert: 7.569 €

Gründe:


I.

1
Das klagabweisende Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 9. Juli 2007 zugestellt.
2
Am 8. August 2007 gingen beim Berufungsgericht zwei Schriftsätze der Klägerin vom 6. August 2007 ein. Der erste Schriftsatz war bezeichnet als "An- trag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Berufungsverfahrens". Nach dem Rubrum folgte der Antrag, "der Berufungsklägerin für das beabsichtigte Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen". In der Begründung wird ausgeführt, dass "beabsichtigt" sei, gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung einzulegen. Die Klägerin sei nicht in der Lage, die Kosten des Berufungsverfahrens aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Weiterhin wurde ausgeführt: "Die Berufung ist nicht mutwillig ... die Erfolgsaussichten ergeben sich aus der als Anlage beigefügten Berufungsbegründung."
3
Der beigefügte weitere Schriftsatz ist als "Berufung" überschrieben, enthält neben dem vollständigen Rubrum die Formulierung: "... legen wir im Auftrag der Klägerin und der Berufungsklägerin gegen das am 10.05.2007 verkündete und am 09.07.2007 zugestellte Urteil des Amtsgerichts ... Berufung ein." Auf die Ausfertigung des beigefügten Urteils wurde hingewiesen. Außerdem enthielt der Schriftsatz konkrete Berufungsanträge zum Kindesunterhalt und eine umfassende Berufungsbegründung. Der Schriftsatz ist von der Rechtsanwältin der Klägerin eigenhändig unterschrieben.
4
Das Berufungsgericht bewilligte der Klägerin mit Beschluss vom 17. Oktober 2007 Prozesskostenhilfe. Der Beschluss wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 24. Oktober 2007 zugestellt. In der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 und 2 ZPO wurde weder ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt noch die Berufung nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nachgeholt. Erst auf Hinweis des Gerichts vom 27. November 2007 wies die Klägervertreterin darauf hin, dass die Berufung und die Berufungsbegründung unbedingt eingelegt worden seien und beantragte unter erneuter Einlegung der Berufung und Bezugnahme auf die vorliegende Berufungsbegründung hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
5
Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen eingelegt und begründet worden sei. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat es abgelehnt, weil die Klägerin nach Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe nicht schuldlos gehindert gewesen seien, innerhalb der Fristen des § 234 ZPO Wiedereinsetzung zu beantragen und die Berufung bzw. die Berufungsbegründung nachzuholen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

6
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Die Klägerin ist in den Verfahren auf Kindesunterhalt auch nach wie vor prozessführungsbefugt. Denn sie hatte die Klage vor der Ehescheidung nach § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB in zulässiger Weise im eigenen Namen erhoben und diese gesetzliche Prozessstandschaft gilt nach ständiger Rechtsprechung des Senats regelmäßig über die Scheidung hinaus bis zum Abschluss des Unterhaltsprozesses fort (Senatsurteil 15. November 1989 - IVb ZR 3/89 - FamRZ 1990, 283, 284; Wendl/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 10 Rdn. 135 d).
7
1. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/04 - FamRZ 2005, 971, 972 m.w.N.) dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garan- tieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 = NJW 2002, 3029, 3031 m.w.N.). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.
8
2. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil sowohl die Berufung als auch die Berufungsbegründung rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen sind.
9
a) Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus, wonach ein Schriftsatz , der alle formellen Anforderungen an eine Berufung oder eine Berufungsbegründung erfüllt, regelmäßig als wirksam eingelegte Prozesserklärung zu behandeln ist. Eine Deutung dahin, dass er gleichwohl nicht unbedingt als Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt ist, kommt nur in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726, 1727, vom 20. Juli 2005 - XII ZR 31/05 - FamRZ 2005, 1537 und vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04 - FamRZ 2004, 1553, 1554). Solches ist hier jedoch entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht der Fall.
10
b) Der am 8. August 2007 eingegangene weitere Schriftsatz der Klägerin erfüllt sämtliche formellen Anforderungen an einen Berufungsschriftsatz und eine Berufungsbegründung. Entsprechend § 519 Abs. 2 ZPO wurde das ange- fochtene Urteil unter Angabe des vollständigen Rubrums konkret bezeichnet und es wurde gegen dieses Urteil ohne Einschränkung Berufung eingelegt. Auch eine Ausfertigung des angefochtenen Urteils wurde entsprechend § 519 Abs. 3 ZPO beigefügt. Der Schriftsatz enthält außerdem Berufungsanträge und deren Begründung (§ 520 Abs. 3 Ziff. 1 bis 4 ZPO). Schließlich war der Schriftsatz als "Berufung" bezeichnet und von der postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin eigenhändig unterschrieben.
11
Zweifel gegen eine unbedingte Berufungseinlegung und Berufungsbegründung konnten sich deswegen allein aus dem Zusammenwirken mit dem zeitgleich eingereichten Prozesskostenhilfegesuch vom 6. August 2007 ergeben. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts spricht allerdings schon dieser Schriftsatz allein nicht eindeutig gegen ein gleichzeitig eingelegtes Rechtsmittel. Zwar wird in dem Schriftsatz darauf hingewiesen, dass Prozesskostenhilfe "für das beabsichtigte Berufungsverfahren" begehrt werde. Auch in der Begründung des Prozesskostenhilfeantrags wird ausgeführt, dass die Klägerin "beabsichtige", gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung einzulegen. Andererseits wird die Erfolgsaussicht damit begründet, dass "die Berufung" nicht mutwillig sei. Zu den Erfolgsaussichten der Berufung wird auf die als Anlage beigefügte "Berufungsbegründung" Bezug genommen. Ob ein Berufungsverfahren danach nur beabsichtigt war oder die Berufung doch schon eingelegt sein sollte, ist schon nach dem Inhalt dieses Schriftsatzes nicht eindeutig zu beantworten. Soweit die Klägerin in dem Prozesskostenhilfeantrag weiter ausführt , dass sie nicht in der Lage sei, die Kosten des Berufungsverfahrens aus eigenen Mitteln zu bestreiten, folgt auch daraus nicht mit hinreichender Deutlichkeit , dass die beigefügte Berufung und Berufungsbegründung - mit den dadurch bedingten Unwägbarkeiten - zunächst nur bedingt eingelegt werden sollten (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726, 1727 m.w.N.).
12
Zusätzlich steht der Prozesskostenhilfeantrag im Widerspruch zu dem eindeutigen Inhalt der beigefügten "Berufung". Denn dieser Schriftsatz allein lässt keine Deutung dahin zu, dass das Rechtsmittel nur für den Fall der Bewilligung der Prozesskostenhilfe eingelegt werden sollte. Dieser Widerspruch zwischen dem Berufungsschriftsatz und dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe lässt sich nicht zugunsten des Inhalts einer der Schriftsätze auflösen. Selbst wenn trotz des eindeutigen Inhalts des Berufungsschriftsatzes Zweifel verbleiben, ob die Berufung schon mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe eingelegt werden sollte, ist zugunsten des Rechtsmittelführers anzunehmen, dass er eher das Kostenrisiko einer ganz oder teilweise erfolglosen Berufung auf sich nehmen wollte, als zu riskieren, dass seine Berufung als unzulässig verworfen wird (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726, 1727 m.w.N.).
13
3. Weil die Klägerin ihre Berufung somit rechtzeitig eingelegt und begründet hat, ist der Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben. Auf den in der Berufungsinstanz hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin kommt es danach nicht an.
Hahne Wagenitz Weber-Monecke Dose Klinkhammer

Vorinstanzen:
AG Erlangen, Entscheidung vom 10.05.2007 - 2 F 104/06 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 27.02.2008 - 11 UF 1043/07 -