Bundessozialgericht Urteil, 03. Apr. 2014 - B 2 U 26/12 R

bei uns veröffentlicht am03.04.2014

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Juli 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Gewährung höherer Verletztenrente.

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Der Kläger übernahm im Jahr 2001 als alleiniger Gesellschafter die "Auto G. GmbH" in F., einen Betrieb bestehend aus einer Kfz-Werkstatt sowie einem Handel mit Kraftfahrzeugen, dessen Stammkapital er zu 100 vH hielt. Im Lohnnachweis für das Jahr 2005 wurden zwei Beschäftige für den Bereich der Kfz-Reparaturwerkstätte und ein Beschäftigter im kaufmännisch verwaltenden Bereich aufgeführt. Entsprechend wurde der Beitrag festgesetzt.

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Am 17.6.2005 übersandte die Rechtsvorgängerin der Beklagten an den Kläger persönlich Unterlagen zur freiwilligen Versicherung sowie ein Merkblatt mit Hinweis auf §§ 45, 48 der Satzung, in dem es heißt: "Im Antrag zur freiwilligen Unternehmerversicherung muss die gewünschte Versicherungssumme angegeben werden, sonst gilt die Mindestversicherungssumme." Der Kläger stellte zu keinem Zeitpunkt einen Antrag auf freiwillige Versicherung. Am 17.9.2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er sei nicht pflichtversichert. Ausweislich des vom Kläger handschriftlich ausgefüllten Formblatts "Lohnnachweis 2006" für das Jahr 2006 beschäftigte der Kläger zwei Angestellte, davon eine Person halbtags und eine Person als geringfügig Beschäftigte für das Büro. Als Arbeitsentgelt wird dort für zwei Beschäftigte jeweils ein zweifach durchgestrichener Betrag von 33 540 Euro und die ebenfalls zweifach durchgestrichene Zahl von insgesamt 3056 Arbeitsstunden angegeben. Darüber bzw darunter finden sich die nicht gestrichenen handschriftlichen Angaben von 23 285 Euro je Beschäftigtem sowie die Arbeitsstundenzahl von 1018. Der Beitrag für 2006 in Höhe von 356,77 Euro wurde am 23.4.2007 auf der Grundlage der ursprünglich erfassten, nicht korrigierten Lohnsumme eingezogen. Dies wurde von der Beklagten in einem Aktenvermerk vom 18.10.2007 entsprechend festgehalten. Als Arbeitsentgelt wurde ein Betrag in Höhe von 33 540 Euro bei insgesamt 3056 Arbeitsstunden zugrunde gelegt.

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Am 27.7.2007 verunfallte der Kläger und erlitt hierdurch eine Querschnittslähmung. Durch Bescheid vom 4.12.2007 hob die Beklagte "die Formalversicherung" mit Wirkung für die Zukunft zum 1.1.2008 auf. Durch Bescheid vom 25.2.2009 gewährte sie dem Kläger ab 23.1.2009 eine Rente in Höhe von monatlich 990,78 Euro auf unbestimmte Zeit unter Zugrundelegung des Mindestjahresarbeitsverdienstes (Mindest-JAV) und nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 100 vH. Zwar habe der Kläger im Unternehmen der "Autohaus G. GmbH" den Status eines versicherungsfreien Gesellschaftergeschäftsführers innegehabt, eine freiwillige Unternehmerversicherung nicht abgeschlossen und somit zum Unfallzeitpunkt nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Weil aber im Nachweis der Lohnsummen versehentlich sein Gehalt enthalten gewesen und auch hierauf in der Lohnnachweiskorrektur für das Jahr 2006 hingewiesen worden sei, habe zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls am 27.7.2007 eine Formalversicherung bestanden. Da seine Einkünfte in der Lohnsumme des Jahres 2006 mit 10 305 Euro beziffert worden seien und dieser Betrag unter dem Mindest-JAV gemäß § 85 Abs 1 Nr 2 SGB VII gelegen habe, sei der Mindest-JAV in Höhe von 17 640 Euro der Rentenberechnung zugrunde gelegt worden. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 18.5.2010).

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Das SG Augsburg hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 26.5.2011). Die Berufung hat das Bayerische LSG zurückgewiesen. Zur Begründung seines Urteils vom 31.7.2012 hat es ausgeführt, beim Kläger habe schon keine Formalversicherung bestanden. Ein Vertrauenstatbestand sei nicht geschaffen worden. Der Kläger sei auf die Möglichkeit hingewiesen worden, sich freiwillig zu versichern. Es fehle an einer langjährigen Entgegennahme anteilig auf den Kläger entfallender Beiträge ohne entsprechendes Tätigwerden der Beklagten. Bereits am 6.6.2005 habe diese dem Kläger einen Fragebogen zur Feststellung der Gesellschaftsverhältnisse übersandt und nach Überprüfung am 17.6.2005 Unterlagen zur freiwilligen Versicherung als Unternehmer übermittelt und damit einen etwaigen bis dahin bestehenden Vertrauensschutz beseitigt. Im Übrigen sei die Beklagte zu einer höheren Rentenzahlung nicht verpflichtet. Nach § 45 Satz 5 der Satzung gelte die Mindestversicherungssumme, sofern die Versicherungssumme in der Anmeldung nicht angegeben sei. Ausweislich des Lohnnachweises für das Jahr 2006 seien auf den Kläger anteilig 10 305 Euro des angemeldeten Arbeitsentgelts entfallen. Weil dieser Betrag den Mindest-JAV nach § 85 Abs 1 Nr 2 SGB VII unterschreite, bestimme sich der Jahresarbeitsverdienst (JAV) nach dem Mindest-JAV, der 60 vH der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße und damit 17 640 Euro betrage. Dies sei nicht unbillig iS des § 87 SGB VII, weil der Mindest-JAV mit einem monatlichen Verdienst von 1356,92 Euro dem Lohnniveau im unteren Bereich entspreche. Da der Kläger von einer freiwilligen Versicherung auf Antrag keinen Gebrauch gemacht habe, könne er nicht besser gestellt werden als ein freiwillig versicherter Unternehmer.

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Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 82, 83, 87 SGB VII sowie des § 123 SGG. Er ist zunächst der Ansicht, das LSG habe mit seiner Entscheidung, dass kein Formalversicherungsverhältnis bestanden habe, gegen das Verbot der reformatio in peius verstoßen. Die Beklagte sei darauf hingewiesen worden, dass er als Geschäftsführer der GmbH in den Lohnnachweisen mitaufgeführt werde. Am 29.1.2007 sei der Lohnnachweis von ihm mit dem Hinweis korrigiert worden, dass der Geschäftsführer (der Kläger) aus den Lohnnachweisen herausgenommen worden sei. Darüber hinaus sei die Beklagte bereits am 6.6.2005 über die Gesellschaftsverhältnisse aufgeklärt worden. Obwohl sie bereits zu diesem Zeitpunkt gewusst habe, dass er als Geschäftsführer nicht pflichtversichert sei, habe sie anteilig auf ihn - den Kläger - entfallende Beiträge im Zeitraum 2005 bis 2007 vereinnahmt. Die Beklagte habe seinen Unfallversicherungsschutz durch Bescheid anerkannt und somit eine Formalversicherung begründet, die sie durch Bescheid vom 4.12.2007 schließlich wieder aufgehoben habe. Aus diesem Verhalten ergebe sich ein Vertrauenstatbestand. Der Verletztenrente sei ein JAV in Höhe von 30 080 Euro zugrunde zu legen. Nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes müsse hier das tatsächlich erzielte Einkommen des Formalversicherten maßgeblich sein. Dies müsse auch gelten, wenn man von einem fingierten Versicherungsverhältnis des Klägers als freiwillig versicherter Unternehmer und nicht als versicherter Beschäftigter ausgehe. Inhalt und Umfang des Versicherungsverhältnisses richteten sich nach den äußeren Umständen, weil keine Willenserklärungen vorlägen. Er habe an die Beklagte Beiträge nach einem JAV in Höhe von 33 540 Euro gezahlt. Die Zahlungen schafften insoweit einen Vertrauenstatbestand, als er davon habe ausgehen dürfen, dass sich im Versicherungsfall die Leistungen der Beklagten an den eingezahlten Beiträgen orientierten. Zudem lägen die Voraussetzungen einer Erhöhung der Rente um 10 vH gemäß § 57 SGB VII vor.

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Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 26. Mai 2011 und das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Juli 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 25. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2010 zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente unter Zugrundelegung eines Jahresarbeitsverdienstes in Höhe von 30 080 Euro infolge des Arbeitsunfalls vom 27. Juli 2007 zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Unabhängig davon, ob eine Formalversicherung und damit ein schützenswerter Vertrauenstatbestand beim Kläger bestehe, habe dieser keinen Anspruch auf eine höhere Verletztenrente, weil der Rentenberechnung der Mindest-JAV gemäß § 85 Abs 1 Nr 2 SGB VII zugrunde zu legen sei. Dass auf den Kläger versehentlich anteilig 10 305 Euro an gemeldetem Arbeitsentgelt entfallen seien, rechtfertige keine Behandlung als abhängiger Beschäftigter. Es liege allenfalls eine fingierte freiwillige Unternehmerversicherung vor. Dabei sei es nicht gerechtfertigt, den Kläger besserzustellen als denjenigen, der tatsächlich eine freiwillige Versicherung abgeschlossen habe.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen den die Klage abweisenden Gerichtsbescheid des SG im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Verwaltungsakt im Bescheid der Beklagten vom 25.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.5.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte ist daher weder zu verurteilen, dem Kläger höhere Verletztenrente nach einem höheren, von der Beklagten festzustellenden JAV zu bewilligen (BSG Urteil vom 18.9.2012 - B 2 U 11/11 R - BSGE 112, 43 = SozR 4-2700 § 90 Nr 2), noch das Begehren des Klägers erneut zu verbescheiden.

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Der Kläger begehrt mit der Kombination aus zulässiger Anfechtungs- und zulässiger (unechter) Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) die Leistung einer höheren Verletztenrente nach Festsetzung eines höheren Werts der Rente aufgrund einer Regelberechnung des JAV nach § 56 Abs 1 Satz 1, Abs 3, § 82 Abs 1 Satz 1 SGB VII(BSG Urteil vom 18.9.2012 - B 2 U 11/11 R - BSGE 112, 43 = SozR 4-2700 § 90 Nr 2). Die Auslegung des klägerseitigen Vorbringens unter Berücksichtigung seiner Interessen (§ 123 SGG) ergibt, dass er hilfsweise auch die Höherbewertung auf Grundlage des § 87 SGB VII (Festsetzung eines höheren JAV nach billigem Ermessen) begehrt, wofür allerdings allein statthafte Klageart die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage(§ 54 Abs 1, Abs 2 Satz 1 und 2 SGG) ist (BSG Urteil vom 15.9.2011 - B 2 U 24/10 R - juris) wäre.

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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren Rechts auf Rente. Vielmehr hat die Beklagte den für die Rentenberechnung gemäß § 81 SGB VII maßgeblichen JAV zu Recht nicht iS der Regelberechnung nach § 82 SGB VII, sondern gemäß § 83 3. Alt SGB VII iVm § 45 der Satzung vom 29.3.2007 nach dem Mindest-JAV in Höhe von 17 640 Euro berechnet. Das LSG war entgegen der Ansicht der Revision nicht gehindert, das Bestehen einer Formalversicherung als Beschäftigter gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII oder als "Wie"-Beschäftigter nach § 2 Abs 2 SGB VII zu prüfen(dazu unter 1.). Der Kläger war bei der Beklagten weder als Beschäftigter noch als "Wie"-Beschäftigter versichert (dazu unter 2.). Er erfüllt auch nicht die Voraussetzungen einer formalen Versicherung als Beschäftigter oder "Wie"-Beschäftigter (dazu unter 3.). Die Festsetzung des JAV nach dem Mindest-JAV ist nicht zu beanstanden (dazu unter 4.). Ein Anspruch auf Verbescheidung einer Erhöhung des JAV nach billigem Ermessen nach § 87 SGB VII besteht ebenfalls nicht(dazu unter 5.). Die Bemessung der MdE in Höhe von 100 vH ist für den Senat bindend (dazu unter 6.). Hinsichtlich eines möglichen Anspruchs auf Erhöhung der Rente um 10 vH als Schwerverletzter gemäß § 57 SGB VII fehlt es bereits an der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens(dazu unter 7.).

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1. Das LSG hat nicht gegen § 123 SGG bzw das Verbot der reformatio in peius verstoßen, als es auch das Bestehen einer Formalversicherung des Klägers überprüft hat. Die Beklagte hat durch Bescheid vom 25.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.5.2010 mit bindender Wirkung die Zahlung einer unbefristeten Rente in Höhe von 990,78 Euro ab 23.1.2009 nach einer MdE in Höhe von 100 vH bewilligt. In diesen Bescheiden wird zudem ausdrücklich festgestellt, dass zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls eine "Formalversicherung" des Klägers begründet war. Ob das Bestehen von Versicherungsschutz als formal freiwillig Versicherter einen selbständigen Verfügungssatz mit entsprechender Bindungswirkung darstellt oder nur ein unselbständiges Begründungselement für die Rentenzahlung ist, kann der Senat letztlich dahinstehen lassen, weil dem Kläger unter keinem Gesichtspunkt ein Recht auf höhere Verletztenrente zusteht. Die Beklagte hat den Kläger jedenfalls nicht mit bindender Wirkung als formal pflichtversicherten Beschäftigten versichert, sondern ist davon ausgegangen, dass er zum Zeitpunkt des Unfallereignisses "im Sinne eines fingierten Versicherungsverhältnisses als freiwillig versicherter Unternehmer" unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.

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Bei der freiwilligen Versicherung, der Versicherung aufgrund Satzung sowie der Versicherung kraft Gesetzes handelt es sich jeweils um qualitativ unterschiedliche Versicherungsverhältnisse, die unterschiedliche Rechtsfolgen auslösen (vgl BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2). Für freiwillig Versicherte wird der JAV gemäß § 83 SGB VII durch die Satzung der Beklagten bestimmt. Ist der Unfall hingegen infolge einer kraft Gesetzes (pflicht-)versicherten Beschäftigung (§ 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII) oder einer "Wie"-Beschäftigung (§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII) eingetreten, richtet sich die Berechnung des JAV nach § 82 Abs 1 Satz 1 SGB VII(BSG Urteil vom 30.6.2009 - B 2 U 3/08 R - juris). Wäre der Kläger - wie er geltend macht - zum Zeitpunkt des Unfalls (formal) als Beschäftigter und nicht - wie die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden angenommen hat - nur als freiwillig versicherter Unternehmer formal versichert gewesen, wären die angefochtenen Verwaltungsakte aufzuheben und der beklagte Unfallversicherungsträger zu verurteilen, dem Kläger im Rahmen der JAV-Regelberechnung gemäß § 82 Abs 1 SGB VII und damit unter Berücksichtigung des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts bzw Arbeitseinkommens eine unter Umständen höhere Rente zu leisten.

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Zwar ist der Senat durch die bindende Verfügung in dem Bescheid vom 25.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.5.2010 jedenfalls an die Zahlung einer unbefristeten Verletztenrente in Höhe von 990,78 Euro monatlich (auf der Grundlage eines JAV von 17 640 Euro) gebunden, und darf insoweit wegen § 77 iVm § 123 SGG keine ungünstigere Entscheidung für den Kläger treffen. Jedoch ist der Senat nicht gehindert zu überprüfen, ob dem Kläger aufgrund eines Anspruchs auf Feststellung eines anderen Versicherungsverhältnisses - zB als Beschäftigter - zugleich ein Anspruch auf Feststellung eines höheren Rechts auf Rente nach einem höheren JAV zusteht. Die Beteiligten können dem Gericht insoweit nicht den Prüfungsmaßstab vorschreiben. Folglich hat das LSG auch nicht gegen das Verbot der reformatio in peius (Verböserungsverbot) verstoßen, als es die Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen hat, dass bereits die Voraussetzungen einer Formalversicherung des Klägers nicht vorgelegen hätten. Denn damit hat es weder eine dem Kläger ungünstigere Entscheidung als die Vorinstanz getroffen, noch eine Wesensänderung der ablehnenden Entscheidung vorgenommen, sondern die Klageabweisung lediglich mit anderen als den in den angegriffenen Bescheiden genannten Argumenten bestätigt (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap VII RdNr 62; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 123 RdNr 5; vgl BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 38; BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 14 AS 7/09 R - BSGE 106, 135 = SozR 4-4200 § 22 Nr 37; BSG Urteil vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 280).

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2. Der Kläger war nicht Beschäftigter iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII iVm § 7 Abs 1 SGB IV. Er war Geschäftsführer und Allein-Gesellschafter einer GmbH. Entscheidend für die Versicherungspflicht ist hier, ob er einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft ausübt (vgl BSG Urteil vom 13.12.1960 - 3 RK 2/56 - BSGE 13, 196, 200 = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF; BSG Urteil vom 31.7.1974 - 12 RK 26/72 - BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1; BSG Urteil vom 23.9.1982 - 10 RAr 10/81 - SozR 2100 § 7 Nr 7; BSG Urteil vom 25.10.1989 - 2 RU 12/89 - HV-Info 1990, 112; BSG Urteil vom 14.12.1995 - 2 RU 41/94 - SGb 1996, 487; BSG Urteil vom 30.6.1999 - B 2 U 35/98 R - SozR 3-2200 § 723 Nr 4). Hat ein Geschäftsführer aufgrund seiner Kapitalbeteiligung einen so maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft, dass er jeden ihm nicht genehmen Beschluss verhindern kann, so fehlt die das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis wesentlich kennzeichnende persönliche Abhängigkeit (vgl BSG Urteil vom 8.8.1990 - 11 RAr 77/89 - SozR 3-2400 § 7 Nr 4 S 13; BSG Urteil vom 23.6.1994 - 12 RK 72/92 - NJW 1994, 2974; BSG Urteil vom 14.12.1999 - B 2 U 48/98 R - juris). Dies ist jedenfalls bei Allein-Gesellschaftern wie dem Kläger grundsätzlich der Fall (vgl in diesem Sinne BSG Urteil vom 9.11.1989 - 11 RAr 39/89 - BSGE 66, 69 = SozR 4100 § 104 Nr 19 und BSG Urteil vom 5.2.1998 - B 11 AL 71/97 R - SozR 3-4100 § 168 Nr 22 S 64), die aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Position letztlich auch die Leitungsmacht gegenüber dem Geschäftsführer haben und damit nicht ihrerseits dessen Weisungsrecht unterliegen (BSG Urteil vom 25.1.2006 - B 12 KR 30/04 R - juris). Deshalb hat das LSG zu Recht entschieden, dass der Kläger nicht abhängig beschäftigt war. Ebenso liegen wegen der Unternehmerähnlichkeit die Voraussetzungen einer "Wie"-Beschäftigung iS von § 2 Abs 2 SGB VII nicht vor(BSG Urteil vom 28.6.1984 - 2 RU 63/83 - BSGE 57, 91 = SozR 2200 § 539 Nr 100; vgl BSG Urteil vom 12.4.2005 - B 2 U 5/04 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 4).

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3. Im Ergebnis hat das LSG auch zu Recht das Vorliegen einer Formalversicherung des Klägers als Beschäftigter verneint (vgl zur Abgrenzung der Formalversicherung in diesem Sinne von dem Bestehen eines "formalen Versicherungsverhältnisses" durch rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakt das Urteil des Senats vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R), denn ausgehend von den bindenden Feststellungen des LSG sind die Voraussetzungen für eine Formalversicherung des Klägers als Beschäftigter nicht gegeben.

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Die Rechtsprechung des BSG zur Formalversicherung basiert auf dem Vertrauensschutz desjenigen, der wegen der Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis als Mitglied und zugleich als Versicherter unbeanstandet Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung entrichtet hat (s BSG Urteil vom 30.3.1988 - 2 RU 34/87 - SozR 2200 § 539 Nr 126 mwN; s BSG Urteil vom 26.11.1987 - 2 RU 7/87 - SozR 2200 § 776 Nr 8 mwN). Grundlegend für den Versicherungsschutz über eine sog Formalversicherung ist zunächst die Anerkennung eines gesamten Betriebes oder der Person eines Unternehmers als versichert, was vorliegend bezüglich der "Auto G. GmbH" ausweislich der Beitragsbescheide der Beklagten der Fall ist (vgl BSG Urteil vom 14.12.1999 - B 2 U 48/98 R - juris; vgl BSG Urteil vom 27.7.1972 - 2 RU 193/68 - BSGE 34, 230, 233 = SozR Nr 1 zu § 664 RVO mwN).Die Formalversicherung erstreckt sich zwar auch auf Fälle, in denen einzelne nicht versicherungspflichtige Personen in den Lohnnachweis aufgenommen und bei der Bemessung der Beiträge berücksichtigt worden sind. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass dem Unfallversicherungsträger regelmäßig die Möglichkeit fehlt, eine genaue Prüfung durchzuführen, ob die einzelnen, in den Lohnnachweisen angegebenen Personen, auch tatsächlich versicherungspflichtige Tätigkeiten ausgeführt haben. Hier muss sich der Unfallversicherungsträger in der Regel darauf beschränken, seinen Mitgliedern die für die Versicherung in Betracht kommenden Grundsätze möglichst eingehend darzulegen. Wenn dennoch nicht versicherte Personen ohne nähere Erläuterung aufgeführt werden, so kann dieser Irrtum über die Versicherungspflicht allein eine Versicherung nicht erzeugen. Etwas anderes ist nur dann gerechtfertigt, wenn jemand mit Wissen der Organe des Verwaltungsträgers oder so, dass es diesen Organen bei der erforderlichen Aufmerksamkeit nicht unbekannt bleiben konnte, eine an sich nicht versicherte Person in den Lohnnachweisen mit aufgezählt und der Unfallversicherungsträger über einen längeren Zeitraum Beiträge aufgrund dieser Lohnnachweise erhoben hat, ohne seinerseits irgendwelche Feststellungen zu veranlassen (BSG Urteil vom 2.2.1999 - B 2 U 3/98 R - BSGE 83, 270 = SozR 3-2400 § 26 Nr 11). Bereits diese Voraussetzung der mehrjährigen Beitragserhebung für den Kläger als nicht versichertes Mitglied liegt nicht vor. Nach den bindenden Feststellungen des LSG hat die Beklagte lediglich für das Jahr 2006 das Arbeitsentgelt des Klägers bei der Beitragserhebung mitberücksichtigt, während dies noch 2005 nicht der Fall war. Ob darüber hinaus eine Formalversicherung des Klägers an seinem Verschulden aufgrund des grob fahrlässigen Nicht-Wissens der Versicherungsvoraussetzungen scheitert, kann der Senat folglich dahinstehen lassen (vgl BSG Urteil vom 26.6.1973 - 8/7 RU 34/71 - BSGE 36, 71, 73 = SozR Nr 40 zu § 539 RVO; BSG Urteil vom 26.11.1987 - 2 RU 7/87 - SozR 2200 § 776 Nr 8).

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4. Der Senat musste nicht weiter prüfen, ob die Beklagte durch den Bescheid vom 25.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.5.2010 das Bestehen eines formalen freiwilligen Versicherungsverhältnisses des Klägers (zum Begriff des formalen Versicherungsverhältnisses in Abgrenzung zur Formalversicherung vgl Urteil des Senats vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R) mit bindender Wirkung (§ 77 SGG) anerkannt hat oder ob auch dessen Bestehen als bloßes Begründungselement der Rentenberechnung einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Denn dem Kläger steht auch bei Vorliegen eines solchen formalen Versicherungsverhältnisses als freiwillig versicherter Unternehmer kein Recht auf Zahlung einer höheren Verletztenrente zu.Für kraft Satzung versicherte Unternehmer und für freiwillig Versicherte hat gemäß § 83 Satz 1 SGB VII die Satzung des Unfallversicherungsträgers die Höhe des JAV zu bestimmen(BSG Urteil vom 30.6.2009 - B 2 U 3/08 R - juris). Diese Regelung soll die bei Selbständigen regelmäßig schwierige Ermittlung des tatsächlichen jährlichen Arbeitsverdienstes erübrigen, indem durch Satzungsregelung, bei deren Abfassung dem Unfallversicherungsträger wie auch sonst in diesem Bereich ein weiter Gestaltungsspielraum (Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 83 RdNr 3b; BSG Urteil vom 11.4.2013 - B 2 U 8/12 R - juris RdNr 16 mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; vgl auch BSG Urteil vom 25.8.1994 - 2 RU 39/93 - BSGE 75, 45, 47 = SozR 3-2200 § 727 Nr 1 - juris RdNr 25; Spellbrink, SR 2012, 17, 21 mwN) zusteht, ein bestimmter Betrag - regelmäßig die "Versicherungssumme" - festgesetzt wird (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 2 U 25/04 R - SozR 4-2700 § 47 Nr 2). Der JAV ist ausschließlich nach § 83 SGB VII iVm der Satzung festzusetzen. § 85 SGB VII über den Mindest- und Höchst-JAV findet keine Anwendung und dementsprechend auch nicht § 87 SGB VII. § 87 SGB VII, der eine Verpflichtung zur Festsetzung des JAV nach billigem Ermessen ausspricht, wenn ein nach der Regelberechnung festgesetzter JAV in erheblichem Maße unbillig ist, verweist in seinem Satz 1 ausdrücklich auf die Regelberechnung des JAV nach § 82 SGB VII. Für freiwillig Versicherte hingegen wird der JAV gemäß § 83 SGB VII durch die Satzung der Beklagten bestimmt(BSG Urteil vom 30.6.2009 - B 2 U 3/08 R - juris).

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Die Beklagte war auch nicht durch § 85 Abs 2 Satz 1 SGB VII an der Festsetzung eines die dort festgelegten Beträge überschreitenden JAV gehindert. Nach § 85 Abs 2 Satz 2 SGB VII kann die Satzung eine höhere Obergrenze bestimmen. Die Beklagte hat durch § 35 Abs 2 ihrer hier maßgeblichen Satzung (Satzung der Berufsgenossenschaft Metall Nord Süd vom 9.3.2007, in Kraft mit Wirkung vom 30.3.2007) von dieser Möglichkeit einer abweichenden Höchstbetragsfestsetzung nach § 85 Abs 2 Satz 2 SGB VII Gebrauch gemacht. Der Senat sieht keine Veranlassung, die Festsetzung des JAV nach den Satzungsregelungen der Beklagten iVm § 83 SGB VII zu beanstanden. Diese Regelungen sind gemäß § 162 SGG einer rechtlichen Überprüfung zugänglich, weil sich ihr Geltungsbereich über den Bezirk des LSG hinaus erstreckte. Nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG sind auf den Kläger in dem Lohnnachweis für 2006 anteilig 10 305 Euro Arbeitsentgelt entfallen. Da dieser Betrag sogar den Mindest-JAV nach § 85 Abs 1 Nr 2 SGB VII unterschritt, hat die Beklagte zu Gunsten des Klägers aufgrund des Verweises in § 45 Satz 4 der Satzung diesen Mindest-JAV der Rentenberechnung zugrunde gelegt. Soweit die Revision begehrt, dass darüber hinaus das tatsächliche Einkommen des Klägers dem JAV zugrunde gelegt werden müsse, so fehlt hierfür jeglicher rechtlicher Anknüpfungspunkt, weil dieses tatsächliche Einkommen eben gerade nicht der Beitragszahlung zugrunde gelegen hat. Der Kläger hatte es zudem als Unternehmer selbst in der Hand, die Beitragshöhe zu bestimmen. Hierüber war er im Übrigen von der Beklagten auch aufgeklärt worden. Insofern bestehen unter Berücksichtigung der rechtlichen Vorgaben in § 83 SGB VII keine Bedenken gegen die Satzungsregelungen der Beklagten betreffend die Höhe des JAV für freiwillig Versicherte.

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5. Eine Korrektur des JAV im Rahmen des § 87 SGB VII wegen erheblicher Unbilligkeit scheidet hier aus. § 87 Satz 1 SGB VII ermöglicht - wie bereits ausgeführt - eine solche Korrektur nach billigem Ermessen der Beklagten nur bei einer Regelberechnung des JAV nach § 82 SGB VII. Ist der JAV hingegen nach § 83 SGB VII iVm der Satzung des Trägers festzustellen, so liegt gerade keine Regelberechnung gemäß § 82 SGB VII vor. Eine Anwendung des § 87 SGB VII zu Gunsten des Klägers wäre mithin nur denkbar, wenn die Satzung des zuständigen Unfallversicherungsträgers dies ausdrücklich vorsieht oder eine JAV-Feststellung nach den §§ 82 ff SGB VII vorschreibt, was beides vorliegend nicht der Fall ist(Schudmann in: jurisPK-SGB VII, § 87 RdNr 10; Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 87 RdNr 12; Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 87 RdNr 3; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 87 SGB VII RdNr 3; Kater/Leube, Gesetzliche Unfallversicherung, § 87 RdNr 4; Becker in: Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, § 87 RdNr 2). Zutreffend hat die Beklagte mithin den JAV nach der in § 45 Satz 4 der Satzung vorgesehenen Mindestsumme in Höhe von 60 vH der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV berechnet.

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6. Die Bemessung des Grades der MdE mit 100 vH ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Die Einschätzung der MdE nach § 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft(BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2 RdNr 10). An die Feststellung der MdE mit 100 vH durch das LSG ist der Senat gebunden (§ 163 SGG), weil sie nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen ist (BSG Urteil vom 30.6.2009 - B 2 U 3/08 R - juris RdNr 25).

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7. Über einen Anspruch auf Erhöhung der Rente um 10 vH gemäß § 57 SGB VII war nicht zu befinden, weil hierüber kein Vorverfahren stattgefunden hat. Eine darauf gerichtete Klage - selbst wenn die Anträge des Klägers, die indes lediglich auf eine Rentenerhöhung unter Zugrundelegung eines höheren JAV gerichtet waren, dahin ausgelegt würden - wäre unzulässig (§ 78 SGG). Insoweit handelt es sich um einen anderen Klagegrund und somit anderen Streitgegenstand, weil § 57 SGB VII ua voraussetzt, dass der Schwerverletzte infolge des Versicherungsfalles einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen kann und keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat. Die Erhöhung der Verletztenrente gemäß § 57 SGB VII ist durch Verwaltungsakt in einem gesonderten Verwaltungsverfahren festzustellen(Scholz in: jurisPK-SGB VII, § 57 RdNr 17). In den angegriffenen Bescheiden sind aber weder Verfügungssätze noch Begründungselemente enthalten, die auf eine Regelung über eine Rentenerhöhung nach § 57 SGB VII hindeuten.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundessozialgericht Urteil, 03. Apr. 2014 - B 2 U 26/12 R

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Bundessozialgericht Urteil, 03. Apr. 2014 - B 2 U 26/12 R zitiert 24 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 163


Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 7 Beschäftigung


(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. (1a) Eine B

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 170


(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision eb

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 2 Versicherung kraft Gesetzes


(1) Kraft Gesetzes sind versichert 1. Beschäftigte,2. Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,3. Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnliche

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 128


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 77


Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 18 Bezugsgröße


(1) Bezugsgröße im Sinne der Vorschriften für die Sozialversicherung ist, soweit in den besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige nichts Abweichendes bestimmt ist, das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vo

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 78


(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn 1. ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder2. der Verwaltungsakt v

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 123


Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 162


Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezir

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 56 Voraussetzungen und Höhe des Rentenanspruchs


(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versich

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 82 Regelberechnung


(1) Der Jahresarbeitsverdienst ist der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 des Vierten Buches) und Arbeitseinkommen (§ 15 des Vierten Buches) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 45 Voraussetzungen für das Verletztengeld


(1) Verletztengeld wird erbracht, wenn Versicherte1.infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können und2.unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigke

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 85 Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst


(1) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 18. Lebensjahr vollendet haben, mindestens 60 Prozent der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße. (1a) Der Jahresarbeitsverdi

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 87 Jahresarbeitsverdienst nach billigem Ermessen


Ist ein nach der Regelberechnung, nach den Vorschriften bei Berufskrankheiten oder nach der Regelung über den Mindestjahresarbeitsverdienst festgesetzter Jahresarbeitsverdienst in erheblichem Maße unbillig, wird er nach billigem Ermessen im Rahmen vo

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 83 Jahresarbeitsverdienst kraft Satzung


Für kraft Gesetzes versicherte selbständig Tätige, für kraft Satzung versicherte Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner und für freiwillig Versicherte hat die Satzung des Unfallversicherungsträgers die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes zu besti

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 57 Erhöhung der Rente bei Schwerverletzten


Können Versicherte mit Anspruch auf eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 vom Hundert oder mehr oder auf mehrere Renten, deren Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 50 erreichen (Schwerverletzte), infolge des Versicherung

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Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen.

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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. März 2011 wird zurückgewiesen.

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Bundessozialgericht Urteil, 17. Mai 2011 - B 2 U 18/10 R

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Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 31. März 2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Urteil des Sozialgerichts auch den Beitragsbescheid vom 2

Bundessozialgericht Urteil, 10. Mai 2011 - B 4 AS 100/10 R

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Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 06. Mai 2010 - B 14 AS 7/09 R

bei uns veröffentlicht am 06.05.2010

Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe der Beklagte die Umzugskosten des Klägers zu übernehmen hat.
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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL II ZR 387/17 Verkündet am: 1. Oktober 2019 Ginter Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2019:011019UIIZR387.17.0 Der II. Zivilsenat des Bundesgerichts

Bundesgerichtshof Urteil, 01. Okt. 2019 - II ZR 386/17

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL II ZR 386/17 Verkündet am: 1. Oktober 2019 Stoll Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nei

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 12. Sept. 2016 - L 2 U 221/15

bei uns veröffentlicht am 12.09.2016

Tenor I. Die Berufungen der beiden Berufungskläger gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.11.2014 werden zurückgewiesen. II. Beide Kläger und der Beigeladene zu 2) tragen die Kosten des Verfahrens und die

Sozialgericht Augsburg Schlussurteil, 15. Dez. 2014 - S 8 U 276/14

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Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Tatbestand Streitig ist ein Anspruch auf Schwerverletztenzulage. Der 1965 geborene Kläger kam am 27. Juli

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(1) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 18. Lebensjahr vollendet haben, mindestens 60 Prozent der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße.

(1a) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt mindestens:

1.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das sechste Lebensjahr nicht vollendet haben, 25 Prozent,
2.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das sechste, aber nicht das 15. Lebensjahr vollendet haben, 331/3Prozent,
3.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 15., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, 40 Prozent,
4.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 25., aber noch nicht das 30. Lebensjahr vollendet haben, 75 Prozent
der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße.

(1b) Die Absätze 1 und 1a finden keine Anwendung auf Versicherte nach § 3 Absatz 1 Nummer 3.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt höchstens das Zweifache der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße. Die Satzung kann eine höhere Obergrenze bestimmen.

Ist ein nach der Regelberechnung, nach den Vorschriften bei Berufskrankheiten oder nach der Regelung über den Mindestjahresarbeitsverdienst festgesetzter Jahresarbeitsverdienst in erheblichem Maße unbillig, wird er nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festgesetzt. Hierbei werden insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls berücksichtigt.

(1) Der Jahresarbeitsverdienst ist der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 des Vierten Buches) und Arbeitseinkommen (§ 15 des Vierten Buches) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Zum Arbeitsentgelt nach Satz 1 gehört auch das Arbeitsentgelt, auf das ein nach den zwölf Kalendermonaten abgeschlossener Tarifvertrag dem Versicherten rückwirkend einen Anspruch einräumt.

(2) Für Zeiten, in denen der Versicherte in dem in Absatz 1 Satz 1 genannten Zeitraum kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat, wird das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das seinem durchschnittlichen Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen in den mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen belegten Zeiten dieses Zeitraums entspricht. Erleidet jemand, der als Soldat auf Zeit, als Wehr- oder Zivildienstleistender oder als Entwicklungshelfer, beim besonderen Einsatz des Zivilschutzes oder bei einem Dienst nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz oder dem Bundesfreiwilligendienstgesetz tätig wird, einen Versicherungsfall, wird als Jahresarbeitsverdienst das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das er durch eine Tätigkeit erzielt hätte, die der letzten Tätigkeit vor den genannten Zeiten entspricht, wenn es für ihn günstiger ist. Ereignet sich der Versicherungsfall innerhalb eines Jahres seit Beendigung einer Berufsausbildung, bleibt das während der Berufsausbildung erzielte Arbeitsentgelt außer Betracht, wenn es für den Versicherten günstiger ist.

(3) Arbeitsentgelt und Ausbildungsbeihilfe nach den §§ 43 und 44 des Strafvollzugsgesetzes gelten nicht als Arbeitsentgelt im Sinne der Absätze 1 und 2.

(4) Erleidet jemand, dem sonst Unfallfürsorge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gewährleistet ist, einen Versicherungsfall, für den ihm Unfallfürsorge nicht zusteht, gilt als Jahresarbeitsverdienst der Jahresbetrag der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge, die der Berechnung eines Unfallruhegehalts zugrunde zu legen wären. Für Berufssoldaten gilt dies entsprechend.

Für kraft Gesetzes versicherte selbständig Tätige, für kraft Satzung versicherte Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner und für freiwillig Versicherte hat die Satzung des Unfallversicherungsträgers die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes zu bestimmen. Sie hat ferner zu bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen die kraft Gesetzes versicherten selbständig Tätigen und die kraft Satzung versicherten Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner auf ihren Antrag mit einem höheren Jahresarbeitsverdienst versichert werden.

Ist ein nach der Regelberechnung, nach den Vorschriften bei Berufskrankheiten oder nach der Regelung über den Mindestjahresarbeitsverdienst festgesetzter Jahresarbeitsverdienst in erheblichem Maße unbillig, wird er nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festgesetzt. Hierbei werden insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls berücksichtigt.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Können Versicherte mit Anspruch auf eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 vom Hundert oder mehr oder auf mehrere Renten, deren Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 50 erreichen (Schwerverletzte), infolge des Versicherungsfalls einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen und haben sie keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, erhöht sich die Rente um 10 vom Hundert.

(1) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 18. Lebensjahr vollendet haben, mindestens 60 Prozent der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße.

(1a) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt mindestens:

1.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das sechste Lebensjahr nicht vollendet haben, 25 Prozent,
2.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das sechste, aber nicht das 15. Lebensjahr vollendet haben, 331/3Prozent,
3.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 15., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, 40 Prozent,
4.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 25., aber noch nicht das 30. Lebensjahr vollendet haben, 75 Prozent
der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße.

(1b) Die Absätze 1 und 1a finden keine Anwendung auf Versicherte nach § 3 Absatz 1 Nummer 3.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt höchstens das Zweifache der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße. Die Satzung kann eine höhere Obergrenze bestimmen.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. März 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Verletztenrente auf Grund eines höheren zu berücksichtigenden Jahresarbeitsverdienstes (JAV).

2

Der 1978 geborene Kläger wurde im Jahre 1986 auf dem Heimweg von der Schule von einem Lkw angefahren und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Der Rechtsvorgänger der Beklagten (der Rheinische GUV) erkannte den Unfall in einem Bescheid vom 22.7.1988 als Arbeitsunfall an und stellte in dem Bescheid vom 31.1.1994 sein Recht auf Verletztenrente nach einer MdE von 90 vH fest. Dessen Jahreswert ergab sich aus dem Produkt aus dieser MdE und dem JAV. Als JAV wurden der Rentenberechnung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers 40 vH und danach 60 vH (Bescheid vom 12.7.1996) der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls maßgebenden Bezugsgröße zu Grunde gelegt.

3

Am 1.7.1997 begann der damals 19jährige Kläger bei der J. GmbH eine Ausbildung zum Fachinformatiker - Fachrichtung Anwendungsentwicklung, die er am 15.6.2000 erfolgreich abschloss. Nach dem Ende der Ausbildung schied er aus dem Unternehmen aus und nahm ein Informatikstudium auf.

4

In dem Bescheid vom 4.6.2004 stellte der Rheinische GUV fest, dem Kläger stehe ab 1.7.2000 höhere Verletztenrente zu. Dies ergebe sich aus einem höheren JAV, der gemäß § 90 Abs 1 SGB VII ab dem 16.6.2000, dem Tag nach Beendigung seiner Ausbildung, auf 21 381,09 EUR festgesetzt werde. Zur Begründung wird ausgeführt, die Neuberechnung des JAV erfolge auf Grundlage des Verdienstes eines Datenverarbeitungskaufmanns - Fachrichtung Fachinformatiker. Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, die zur Ermittlung des JAV zu Grunde gelegte Berufsbezeichnung entspreche nicht dem von ihm erreichten Abschluss als "Fachinformatiker - Anwendungsentwicklung". Mit Widerspruchsbescheid vom 13.2.2008 wies die Beklagte als Rechtsnachfolgerin des Rheinischen GUV den Widerspruch des Klägers zurück.

5

Mit der Klage zum SG hat der Kläger weiterhin vorgetragen, er habe keine Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann im Einzelhandel, sondern eine Ausbildung zum Fachinformatiker mit der Fachrichtung Anwendungsentwicklung absolviert, weshalb von dem ortsüblichen Entgelt eines Fachinformatikers auf dem Gebiet der Anwendungsentwicklung auszugehen sei. Angesichts der mit der Note "gut" abgeschlossenen Ausbildung sei ein JAV von mindestens 30 000,00 EUR angemessen.

6

Mit Urteil vom 31.3.2009 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Berechnung der Verletztenrente des Klägers einen anderen JAV unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu Grunde zu legen und ihm hierüber einen neuen Bescheid zu erteilen. Nach § 90 Abs 1 SGB VII sei ein anderer JAV zu Grunde zu legen, weil dieser an dem Entgelt in dem durch die Ausbildung angestrebten Beruf auszurichten sei.

7

Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten am 31.3.2011 das Urteil des SG "geändert" und die Klage abgewiesen. Der JAV sei hier ab dem Tag nach dem Ende der Ausbildung des Klägers und damit ab 16.6.2000 neu festzusetzen gewesen. Es sei nach § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII der Tarifvertrag des Ausbildungsbetriebs zu Grunde zu legen. Habe - wie hier - ein zum Ausbildungsziel führendes Ausbildungsverhältnis nach dem Berufsbildungsgesetz zwischen dem Versicherten und einem Ausbildungsbetrieb bestanden, sei der für dieses Unternehmen seiner Art nach am Stichtag, dh dem Tag nach dem Ende der Ausbildung, geltende Tarifvertrag maßgeblich. Denn maßgebend sei nicht der berufsspezifische, sondern der branchenspezifische Tarifvertrag, der für das Unternehmen generell in Betracht komme. Hierauf sei auch dann abzustellen, wenn der Versicherte nach dem Ausbildungsende aus dem Unternehmen ausscheide, um ein Studium aufzunehmen. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob der Versicherte im Ausbildungsunternehmen eine seiner Ausbildung entsprechende Tätigkeit hätte aufnehmen können. Für die ausnahmslose Anknüpfung an den für das Ausbildungsunternehmen seiner Art nach geltenden Tarifvertrag spreche insbesondere der Sinn und Zweck des § 90 SGB VII.

8

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 90 Abs 1 SGB VII. Der Gesetzeswortlaut stelle ausdrücklich darauf ab, dass der Tarifvertrag für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters zu Grunde zu legen sei. Es sei kein gesetzlicher Anhalt dafür ersichtlich, dass an die wirtschaftliche Ausrichtung des Ausbildungsbetriebs angeknüpft werden könne. Er habe stets unwidersprochen vorgetragen, dass er im technischen und gerade nicht im kaufmännischen Bereich ausgebildet worden sei.

9

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. März 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. März 2009 zurückzuweisen.

10

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend das Urteil des SG aufgehoben und (sinngemäß) die gemäß § 54 Abs 4 SGG zulässige Kombination aus zulässiger Anfechtungs- und zulässiger (unechter) Leistungsklage abgewiesen. Der Kläger hat ab dem 1.7.2000 keinen Anspruch auf Feststellung eines noch höheren Werts seines Rechts auf Verletztenrente, als ihm die Beklagte in dem Bescheid vom 4.6.2004 (Widerspruchsbescheid vom 13.2.2008) nach Aufhebung des bis dahin festgestellten niedrigeren Werts insoweit unangefochten neu zuerkannt hatte. Dem Kläger stand kein Anspruch auf höhere Rente unter "Festsetzung" eines höheren JAV nach § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII zu, weil er die Ausbildung planmäßig und ohne Verzögerung beendet hatte (hierzu unter 1.). Eine analoge Anwendung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auf Fallgestaltungen wie die vorliegende scheidet aus, weil § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII insofern keine Lücke aufweist (vgl unter 2.).

12

Ein höherer Rentenanspruch hätte für den Kläger gemäß § 56 Abs 3 SGB VII ab dem 1.7.2000 nur bestehen können, wenn ein noch höherer JAV, der zweite Wertfaktor der Rentenhöhe neben seiner unveränderten MdE von 90 vH, rechtlich maßgeblich geworden (= "neu festzusetzen" gewesen) wäre. Obwohl der Versicherungsfall schon 1986, also vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997, eintrat, war dies hier gemäß § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII nach § 90 Abs 1 SGB VII zu beurteilen. Danach wird, wenn der Versicherungsfall ua während der Schulausbildung, wie hier, eingetreten ist, falls dies für den Versicherten günstiger ist, der nach § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII aus Tarifvertrag, hilfsweise aus dem am Betriebsort geltenden Arbeitsentgelt zu ermittelnde neue JAV von dem Zeitpunkt an rechtlich maßgeblich, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre.

13

1. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII waren nicht erfüllt. Zwar hatte der Kläger seine Berufsausbildung am 1.7.1997 begonnen. Er hatte sie aber am 15.6.2000 erfolgreich und ohne Verzögerung abgeschlossen.

14

§ 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII bestimmt, dass dann, wenn der Versicherungsfall vor Beginn der Schulausbildung oder während einer Schul- oder Berufsausbildung eintritt, der JAV, wenn es für den Versicherten günstiger ist, von dem Zeitpunkt an neu festgesetzt wird, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII gewährt einen neuen höheren JAV als den im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgeblich gewordenen Ausgangs-JAV mithin nur, wenn die Ausbildung nicht oder verzögert abgeschlossen wurde. Es heißt in der Norm ausdrücklich nicht, dass der JAV von dem Zeitpunkt an neu festzusetzen ist, in dem die Ausbildung "beendet wurde oder" ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. Die Vorschrift setzt damit als Zeitpunkt für die Neufestsetzung des JAV einen fiktiven Zeitpunkt fest, nämlich den, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre.

15

Der Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII liegt wegen des hypothetisch formulierten Wortlautes ("voraussichtlich beendet worden wäre") und nicht zuletzt auch auf Grund der Überschrift der Norm ("Neufestsetzung nach voraussichtlicher Schul- oder Berufsausbildung oder Altersstufen") der typisierende Gedanke zu Grunde, dass der zuvor erlittene Versicherungsfall der Grund dafür ist, dass die Ausbildung später als vorgesehen oder überhaupt nicht abgeschlossen wurde. Für eine solche Sichtweise spricht im Übrigen auch § 90 Abs 4 SGB VII, der § 90 Abs 1 SGB VII ergänzt. Danach wird für den Fall, dass sich bei Eintritt des Versicherungsfalls vor Beginn der Berufsausbildung auch unter Berücksichtigung der weiteren Schul- oder Berufsausbildung nicht feststellen lässt, welches Ausbildungsziel die Versicherten voraussichtlich erreicht hätten, ein bestimmter näher bezeichneter Wert des JAV festgelegt. Eine solche Unmöglichkeit der Feststellung ist indes aber nur für Fälle denkbar, in denen die Berufsausbildung nicht plangemäß abgeschlossen wurde, in denen also eine fiktive Betrachtungsweise erforderlich ist.

16

Für eine strikte Begrenzung der Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auf die Fälle der verzögerten oder nicht beendeten Ausbildung spricht auch die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Norm. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung zum Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz ) vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) heißt es, die Vorschrift enthalte eine Neuregelung über eine pauschalierte, an der Bezugsgröße orientierte Neufestsetzung des JAV für bestimmte Unfälle im Kindesalter. In der Verwaltungspraxis und in der Rechtsprechung hätten sich bei der Anwendung des § 573 RVO dann Feststellungsschwierigkeiten ergeben, wenn sich der Versicherungsfall im frühen Lebensalter ereignet habe und sich weder aus der Zeit vor dem Versicherungsfall noch aus dem weiteren Werdegang des Kindes nach dem Versicherungsfall ausreichende Anhaltspunkte über dashypothetische Ausbildungsziel (ohne den Unfall) herleiten ließen (BT-Drucks 13/2204, S 96).

17

Auch die Vorgängervorschriften des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII enthielten - in unterschiedlicher Ausprägung - jeweils hypothetische (typisierende) Elemente. Der Grundsatz, dass bei der Rentenberechnung von den Einkommensverhältnissen des Verletzten während des letzten Jahres vor dem Arbeitsunfall auszugehen ist, gilt seit dem Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884 (RGBl S 69). Als Ergänzung war geregelt, dass zugunsten des Verletzten für das letzte Jahr vor dem Arbeitsunfall ein (fiktiver) Arbeitsverdienst anzunehmen ist, wenn der Verletzte vor dem Unfall noch kein volles Jahr in dem Betrieb beschäftigt war oder keinen Lohn oder weniger als das 300fache des ortsüblichen Tagelohns bezogen hatte (vgl etwa § 5 Abs 3 bis 5 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6.7.1884, § 10 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes vom 5.7.1900 - RGBl S 573, 585 - und §§ 563 ff RVO vom 19.7.1911 - RGBl S 509). Ein hypothetisch-typisierendes Element enthielt dann die mit Art 11 des Dritten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 20.12.1928 (RGBl I 405) für Versicherte, die im Feuerwehrdienst oder in Betrieben zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen beschäftigt sind, neu eingefügte Sondervorschrift des § 569b RVO, dessen Abs 3 folgenden Wortlaut hatte: "War der Verletzte zur Zeit des Unfalls noch in seiner Berufs- oder Schulausbildung begriffen, so ist für die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes ein Erwerbseinkommen zu Grunde zu legen, wie es der Verletzte nach Vollendung seiner Ausbildung gehabt haben würde".

18

Auch in dem mit Art 1 Nr 1 des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 (RGBl I 107) neu eingefügten § 565 RVO wird auf einen fiktiven Gesichtspunkt abgestellt. Dessen Abs 1 lautete wie folgt: "Befand sich der Verletzte zur Zeit des Unfalls noch in einer Berufs- oder Schulausbildung, so wird von dem Zeitpunkt ab, in welchem die begonnene Ausbildung voraussichtlich abgeschlossen worden wäre, der Jahresarbeitsverdienst nach dem Entgelt berechnet, der dann für Personen gleicher Ausbildung durch Tarif oder sonst allgemein für einzelne Berufsjahre festgesetzt ist; hierbei sind Verdiensterhöhungen, die von der Erreichung eines bestimmten Lebens- oder Berufsjahres ab allgemein festgesetzt sind, die der Verletzte aber voraussichtlich erst nach Vollendung seines dreißigsten Lebensjahres erreicht hätte, nicht zu berücksichtigen."

19

Der durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz ) vom 30.4.1963 (BGBl I 241) geschaffene § 573 RVO ist die unmittelbare Vorgängerregelung des § 90 SGB VII und war in seinem Abs 1 wie folgt formuliert: "Befand sich der Verletzte zur Zeit des Arbeitsunfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung, so wird, wenn es für den Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu berechnet". Wenngleich das hypothetische Element in dieser Vorschrift mit dem Wort "voraussichtlich" nicht mehr so deutlich in Erscheinung tritt wie in § 565 RVO, waren inhaltliche Änderungen nicht beabsichtigt. Denn in der Begründung zum Entwurf des UVNG heißt es zur Regelung des § 573 RVO(§ 574 RVO in der Entwurfsfassung, BT-Drucks IV/120, S 11, 57): "Auch für Jugendliche und in der Ausbildung befindliche Verletzte sieht bereits § 565 RVO einen Ausgleich für Mindereinnahmen vor. Diese Regelung wird in § 574 beibehalten."

20

Aus diesen Vorgängervorschriften des § 90 SGB VII(vgl zur Entwicklung seit 1884 bis zur Schaffung des § 573 RVO auch: Windelen, SGb 1970, 408) und dem der heutigen Fassung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII jeweils ähnlichen bzw sogar gleich lautenden Wortlaut, sowie aus dem Umstand, dass sich Anhaltspunkte für eine andere Sichtweise aus allen angeführten Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen lassen, folgt, dass von § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII jedenfalls nicht diejenigen Fallgestaltungen erfasst werden sollen, in denen die Ausbildung infolge des Arbeitsunfalls weder abgebrochen worden ist noch sie sich verzögert hat(vgl auch BSG, Urteil vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R - Juris RdNr 20, SozR 3-2700 § 90 Nr 1; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, 1. Aufl 2010, § 90 RdNr 27).

21

In § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII wurde mithin nur die Voraussetzung in das Gesetz aufgenommen, dass die Ausbildung sich verzögert hatte oder ggf aus sonstigen Gründen nicht beendet wurde. Denn nur in solchen Fällen wurde durch den ursprünglichen Versicherungsfall in abstrakter, typisierender Wertung, also nicht als tatbestandliche Voraussetzung im Einzelfall, ein weiterer Schaden verursacht. Nur dieser (typisierend angenommene) zusätzliche Folgeschaden des Versicherungsfalls rechtfertigt ausnahmsweise eine Ersetzung des Ausgangs-JAV durch einen neuen (günstigeren) JAV. Für diesen ist das hypothetische Arbeitsentgelt bestimmend, das in einem Tarifvertrag oder hilfsweise am Beschäftigungsort üblicherweise in dem Zeitpunkt der voraussichtlichen (aber eben nicht eingetretenen) Beendigung der Ausbildung für Personen gleicher Ausbildung und Alters vorgesehen ist (und ohne den Ausfall oder die Verzögerung des Ausbildungsabschlusses bei Beendigung der Ausbildung typischerweise voraussichtlich erzielt worden wäre). Die Verletzten, die ihre Ausbildung rechtzeitig beenden, haben typischerweise zu diesem Zeitpunkt keinen weiteren Nachteil, weil sie entsprechend höher entlohnt werden.

22

Sachgrund für diese gesetzliche, also materiell-rechtlich direkt eintretende Änderung der abstrakten Schadensbewertung des Ausgangs-JAV ist, dass es unbillig wäre, solche jungen Verletzten trotz des weiteren Folgeschadens an diesem JAV festzuhalten. Damit durchbricht diese Ausnahmeregelung, wie alle in § 90 SGB VII geregelten Ausnahmen, materiell-rechtlich den gesetzlichen Grundsatz, dass der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebliche Ausgangs-JAV für die gesamte Zeit, für die das Recht besteht, maßgeblich bleibt. Dieser Sachgrund der Norm spricht im Übrigen dagegen, dass die Norm aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 3 Abs 1 GG) zugunsten von Verletzten mit zeitgerechtem Ausbildungsabschluss korrigiert werden müsste (vgl hierzu im Einzelnen unten 2. c).

23

2. Das Begehren des Klägers hätte daher nur Erfolg haben können, wenn § 90 Abs 1 SGB VII analog anzuwenden gewesen wäre und dies einen noch höheren neuen JAV ergeben hätte, als von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden vom 4.6.2004/13.2.2008 zu Grunde gelegt wurde. § 90 Abs 1 SGB VII ist aber auf Verletzte, die ihre Ausbildung zeitgerecht abgeschlossen haben, nicht entsprechend anzuwenden.

24

a) Die Voraussetzungen für eine Analogie, nach der sich die Anwendung der Vorschrift des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auch auf die Fallgestaltungen erstrecken würde, in denen die Ausbildung plangemäß abgeschlossen worden ist, sind jedoch nicht gegeben. Diese Voraussetzungen lägen nur dann vor, wenn 1. eine (anfängliche oder nachträgliche) Gesetzeslücke besteht, 2. der nicht geregelte Tatbestand dem gesetzlich festgelegten ähnlich ist und 3. beide Tatbestände wegen ihrer Ähnlichkeit gleich zu bewerten sind (vgl BSG, Urteil vom 4.5.1999 - B 4 RA 55/98 R, SozR 3-2600 § 34 Nr 1 unter Verweis auf BSG SozR 4100 § 107 Nr 4 S 4 f; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 202 ff).

25

b) Es fehlt hier bereits an der ersten Voraussetzung einer zulässigen Analogie, dem Vorliegen einer Gesetzeslücke, die durch richterliche Rechtsfortbildung geschlossen werden könnte, denn die Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII enthält keine planwidrige Unvollständigkeit. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Gesetz den Kreis derjenigen, die bei typisierender Bewertung ihrer Schutzbedürftigkeit ausnahmsweise nicht weiter der Regelberechnung des JAV unterliegen, nur unvollständig erfasst hätte (vgl zu diesem Gesichtspunkt bei der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung von beurlaubten Berufssoldaten BSG, Urteil vom 29.7.2003 - B 12 KR 15/02 R, Juris RdNr 21, SozR 4-4100 § 169 Nr 1). Vielmehr erfasst das Gesetz im Rahmen der Neufeststellungsansprüche Fallgestaltungen, für die der Gesetzgeber typisierend davon ausgeht, dass es unbillig ist, für die Gewährung der Verletztenrente das tatsächliche Arbeitseinkommen der jeweils erfassten Personenkreise bei der Ermittlung des JAV zu Grunde zu legen. Insofern liegt dem § 90 SGB VII(iVm den §§ 82 ff SGB VII) ein stimmiges Konzept zu Grunde.

26

aa) § 90 Abs 1 SGB VII entspricht - wie bereits oben zu 1. dargestellt - im Wesentlichen dem am 1.1.1997 außer Kraft getretenen § 573 Abs 1 RVO(vgl Begründung zu Art 1 § 90 des Entwurfs eines UVEG, BT-Drucks 13/2204 S 96), der seinerseits mit Wirkung vom 1.7.1963 durch Art 1 des UVNG vom 30.4.1963 (BGBl I 241) in die damals neugefasste RVO übernommen wurde und dem der in wesentlichen Teilen inhaltsgleiche § 565 RVO vorausging, der durch das Sechste Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 (RGBl I 107) in die RVO eingefügt worden war.

27

Nach der bereits dargestellten Zweckbestimmung des § 90 Abs 1 SGB VII sollen - ebenso wie bei den genannten Vorgängervorschriften - Personen, die schon vor oder während der Zeit der Ausbildung für einen Beruf einen Arbeitsunfall erleiden und deshalb im Jahre vor dem Unfall regelmäßig noch nicht das volle Arbeitsentgelt erzielt haben, zur Vermeidung von Härten geschützt und so gestellt werden, als hätten sie den Unfall nach der voraussichtlichen Beendigung der Berufsausbildung - bei höherem JAV - erlitten(vgl BSG, Urteil vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R, Juris RdNr 17, SozR 3-2700 § 90 Nr 1 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 4.12.1991 - 2 RU 69/90, HV-Info 1992, 598 mwN; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 90 RdNr 2, Stand: 01/2007; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, 1. Aufl 2010, § 90 RdNr 4). Die zum Unfall führende Tätigkeit muss bei in Ausbildung stehenden Versicherten kein Teil der Ausbildung sein. Insoweit muss also kein innerer Zusammenhang zwischen der Schul- oder Berufsausbildung und der zum Unfall führenden Verrichtung gegeben sein; vielmehr genügt der zeitliche Zusammenhang mit der Ausbildung (BSGE 38, 216, 218, 219 = SozR 2200 § 573 Nr 2; BSGE 47, 137, 140 = SozR 2200 § 573 Nr 9; BSG, Urteil vom 24.6.1981 - 2 RU 11/80 - EzS 128/79; Ricke in: Kasseler Kommentar, § 90 SGB VII RdNr 4, Stand: Dezember 2010; Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 90 RdNr 4, Stand: März 2012).

28

Die in § 90 SGB VII normierten Neufestsetzungsansprüche regeln dabei im Einzelnen, weshalb eine notwendigerweise vorangehende Erstfeststellung der Höhe der Rente wegen eines nachträglich gemäß § 90 SGB VII erheblich gewordenen hypothetischen Umstandes, der zu einem günstigeren JAV zu einem späteren Zeitpunkt führte, nach Maßgabe des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X aufgehoben und ein höherer Rentenwert neu festgesetzt werden muss, worauf der Versicherte ggf einen Anspruch hat.

29

bb) Grundsätzlich wird durch die gesetzliche Unfallversicherung mittels der (hier umstrittenen) Verletztenrente (anteilig nach dem MdE-Grad) das durch den Versicherungsfall abstrakt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im weiteren Leben (möglicherweise) nicht mehr erzielbare Gesamteinkommen ersetzt. Deshalb wird zu dessen Schätzung im Rahmen der §§ 82 ff SGB VII grundsätzlich auf das Gesamteinkommen des letzten Kalenderjahres vor dem Versicherungsfall abgestellt, weil dies auch in der gesetzlichen Unfallversicherung zumeist eine hinreichende Beurteilungsgrundlage für das wirtschaftliche Ergebnis bildet, das der Verletzte ohne den Versicherungsfall voraussichtlich (weiterhin) erlangt hätte.

30

Dies geschieht aber schon bei der Erstfeststellung nicht schematisch, sondern mit Blick auf die Frage, ob und inwieweit die Entwicklung in diesem Jahr den wirtschaftlichen Standard wiedergibt, wie er ohne den Versicherungsfall fortbestanden hätte.

31

Im Rahmen der Regelberechnung regelt das Gesetz ab § 82 Abs 1 Satz 2 SGB VII bis § 86 sowie in § 88 SGB VII im Einzelnen Fallgruppen, in denen ua die Regelberechnung aus § 82 Abs 1 Satz 1 SGB VII keine gerechte oder billige Grundlage für die Schätzung des Entgangenen bildet. Soweit die Grundregelung und diese speziellen gesetzlichen Regelungen gleichwohl zu einem im Einzelfall erheblich unbilligen Ergebnis führen, sieht § 87 SGB VII subsidiär für die meisten von ihnen eine Einzelfall-Schätzung des JAV nach billigem Ermessen vor.

32

Schon bei der Erstfestsetzung der Rentenhöhe werden zur Schätzung des JAV ua nach § 82 Abs 2 Satz 2 und Satz 3 sowie § 82 Abs 4 SGB VII Hypothesen über den ohne den Versicherungsfall fortgesetzten oder erstmals eingetretenen Einkommensverlauf relevant. Schon hier hat das Gesetz die besondere Problematik der Regelberechnung für Berufsanfänger speziell aufgegriffen. Insbesondere § 82 Abs 2 Satz 3 SGB VII zeigt, dass die Erstschätzung des JAV vom Gesetz dann für möglicherweise "unangemessen" gehalten wird, wenn der Versicherungsfall binnen einen Jahres nach Abschluss der Berufsausbildung eintritt. Dann kann es unbillig sein, den Versicherten an einer ungünstigen Regelberechnung nach dem letzten Kalenderjahr vor dem Versicherungsfall festzuhalten, weil das keine angemessene Basis für die Schätzung ist, was er ohne den Versicherungsfall erlangt hätte.

33

cc) Gerade bei Kindern und Jugendlichen kann die Regelberechnung der Erstfeststellung allerdings grob unangemessen werden, wenn unberücksichtigt bleibt, dass ihr danach vermutlich fortgesetztes Gesamteinkommen (JAV der Erstfeststellung) unter Umständen nicht das wiedergibt, was sie im späteren Leben ohne den Versicherungsfall voraussichtlich als Einkommen zur Lebensführung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abstrakt hätten erlangen können. Dann würde schon abstrakt nicht hinreichend beachtet, welche Einbußen der Versicherungsfall zur Folge hatte.

34

Der Gesetzgeber hat diese Problematik in § 90 Abs 1 bis § 90 Abs 6 SGB VII typisierend geregelt. Alle Absätze der Vorschrift regeln Ansprüche auf Neufestsetzung der Höhe von Versicherungsleistungen (also Aufhebung des Höchstwerts der bisherigen Wertfestsetzung des Rechts auf Leistung und Feststellung eines höheren Werts), die von einem zuvor bereits festgestellten, dh als maßgeblich zu Grunde gelegten JAV abhängen. Gemeinsame Voraussetzung ist, dass zeitlich danach ein Ereignis (in hypothetischer und typisierender Beurteilung wegen des Versicherungsfalls) nicht oder verspätet eingetreten ist, das ein höheres Gesamteinkommen/Arbeitsentgelt erbracht hätte als es bei der Erstfestsetzung des JAV zu Grunde gelegt worden ist.

35

Den einzelnen Absätzen des § 90 SGB VII liegt damit das folgende stimmige Konzept zu Grunde:

-       

§ 90 Abs 1 SGB VII regelt zunächst Folgendes: Tritt der Versicherungsfall vor oder während der Schul- oder Berufsausbildung ein und ist der Höchstwert des Rechts auf Leistung bereits wirksam festgestellt, ist dieser aufzuheben und ein höherer Wert neu festzustellen, falls der JAV für den Versicherten günstiger ist, der sich nach Maßgabe von § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII für den Tag ergibt, an dem der Versicherte seine Ausbildung voraussichtlich beendet hätte. Hat er sie an diesem Tag beendet, gibt es keinen Raum für eine hypothetische Prüfung. Auch ist ihm, der seine Ausbildung pünktlich abgeschlossen hat, in der für das Gesetz erlaubten typisierenden Betrachtung kein weiterer Nachteil aus dem Versicherungsfall entstanden, weil er typischerweise nicht durch den Versicherungsfall gehindert ist, ein dem Tarifentgelt des § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII entsprechendes Gesamteinkommen zu erzielen.

-       

Ist hingegen der Versicherungsfall vor der Berufsausbildung eingetreten und die Erstfeststellung des Höchstwerts der Versicherungsleistung wirksam festgestellt worden und vollendet der Versicherte das 21. Lebensjahr (oder später das 25. Lebensjahr) und lässt sich nicht feststellen, welches Ausbildungsziel der Versicherte ohne den Versicherungsfall voraussichtlich erreicht hätte, ist der JAV ab diesem Tag mit 75 vH der Bezugsgröße (später 100 vH) anzusetzen (§ 90 Abs 1 iVm § 90 Abs 4 SGB VII).

-       

§ 90 Abs 2 SGB VII erfasst dann die Fälle, in denen nach der Erstfeststellung bei unter dreißigjährigen Versicherten diese vor Vollendung des 30. Lebensjahres an tarifvertraglichen oder ortsüblichen Erhöhungen des Arbeitsentgelts nicht teilgenommen haben, die zur Zeit des Versicherungsfalls für Personen mit gleichartiger Tätigkeit für den späteren Fall vorgesehen waren, dass sie ein bestimmtes Berufsjahr erreicht oder ein bestimmtes Lebensjahr vollendet hatten. Ihnen ist in der gesetzlichen typisierenden Betrachtung regelmäßig wegen des Versicherungsfalls die Entgelterhöhung entgangen. Wenn diese einen günstigeren JAV brächte, besteht ein Neufeststellungsanspruch.

-       

Hat in den Fällen von § 90 Abs 1 oder Abs 2 SGB VII der Versicherungsfall eine Erwerbstätigkeit unmöglich gemacht, entsteht gemäß § 90 Abs 3 SGB VII, falls es günstiger ist, ein Neufeststellungsanspruch jeweils und sogar über das 30. Lebensjahr hinaus, falls zur Zeit des Versicherungsfalls tarifvertraglich oder ortsüblich spätere Entgelterhöhungen nach Lebensalter, Berufsjahren oder Ablauf von Bewährungszeiten vorgesehen sind und diese Voraussetzungen erfüllt werden.

-       

Unter Berücksichtigung des § 90 Abs 5 und des § 90 Abs 6 SGB VII sowie insbesondere auch der subsidiären Billigkeitsregelung in § 91 SGB VII mit der nochmals subsidiären Neufeststellung nach billigem Ermessen ergibt sich damit ein stimmiges Konzept, das typisierend Fallgestaltungen regelt, in denen das Gesetz typische Fälle erfasst, in denen davon ausgegangen werden kann, dass das eigentlich nach der Regelberechnung der §§ 82 ff SGB VII zu Grunde zu legende Arbeitseinkommen als unbillig erscheint. Dementsprechend ist es auch nicht gesetzesplanwidrig, dass eine Neufeststellung dann nicht beansprucht werden kann, wenn aus dem Versicherungsfall (typisch gesehen) kein durch den Versicherungsfall bedingter weiterer Einkommensnachteil eingetreten ist, der von der Regelberechnung nicht erfasst wäre.

-       

Im Übrigen wird selbst bei denjenigen, die lediglich von der Regelberechnung erfasst werden und keinen Anspruch auf Neufeststellung nach § 90 SGB VII haben, im Falle eines besonders niedrigen Erwerbseinkommens im letzten Jahr vor dem Versicherungsfall in jedem Fall entweder der Mindest-JAV des § 85 SGB VII oder - bei Kindern, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben - ein besonders gesetzlich festgelegter JAV zu Grunde gelegt (§ 86 SGB VII).

36

Wenn danach ein stimmiges Konzept für die Fallgestaltungen vorliegt, in denen es dem Gesetz unbillig erscheint, die jeweils erfassten Personenkreise an ihrem (zu niedrigen) JAV nach Maßgabe der Regelberechnung nach den §§ 82 ff SGB VII festzuhalten, liegt für die Fallgestaltungen, in denen die Ausbildung - wie hier - plangemäß abgeschlossen worden ist, keine ausfüll-bare Gesetzeslücke vor. Dementsprechend kann § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auch nicht zu Gunsten des Klägers analog angewandt werden. Das BSG ist nicht dazu befugt, eine - wie oben ausgeführt - rechtlich vollständige, sozial- oder rechtspolitisch jedoch von einzelnen Personen oder Gruppen als defizitär empfundene Regelung fortbildend zu ergänzen und sich damit unter Verkennung seiner eigenen Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) in die Rolle einer normsetzenden Instanz zu begeben (so auch BSG, Urteil vom 29.7.2003 - B 12 KR 15/02 R, Juris RdNr 22, SozR 4-4100 § 169 Nr 1 unter Hinweis auf BVerfGE 34, 269, 290; 65, 182, 194; 82, 6, 11 ff; 87, 273, 280; ferner BVerfGE 96, 375, 394 f; 113, 88, 103).

37

c) Die entgegenstehenden, damals nicht tragenden und nicht näher begründeten Ausführungen in der zu § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII ergangenen Entscheidung des Senats vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R - (SozR 3-2700 § 90 Nr 1; vgl zuvor zu § 573 RVO: BSG, Urteil vom 15.6.1983 - 9b/8 RU 58/81 - SozR 2200 § 573 Nr 11) können demgemäß nicht aufrechterhalten bleiben, zumal die Voraussetzungen der Analogie dort nicht geprüft worden sind. Gleiches gilt für die eine solche Analogie befürwortenden Stimmen in der Literatur, die sich - soweit ersichtlich - nicht mit den rechtssystematischen Voraussetzungen der Analogiefähigkeit des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auseinandersetzen und lediglich die Entscheidung des BSG vom 7.11.2000 (aaO) zustimmend zitieren (vgl etwa Ricke in Kasseler Kommentar, § 90 SGB VII, RdNr 5, Stand: Dezember 2010; Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 90 RdNr 9a, Stand: März 2012; Burchardt in: Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 90 RdNr 18a, Stand: März 2007; Rütenik in: juris-PK SGB VII, 1. Aufl 2009, § 90 RdNr 42; Dahm in: Lauterbach, UV , § 90 RdNr 18, Stand: Oktober 2006; Becker in: Lehr- und Praxiskommentar, SGB VII, 3. Aufl 2011, § 90 RdNr 5; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 90 RdNr 27; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 90 SGB VII, RdNr 8.5, Stand 01/2007; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 90 RdNr 7; Kater in: Kater/Leube, SGB VII, 1997, § 90 RdNr 27).

38

Die Methode der Analogie ist eine verfassungsrechtlich anerkannte Form der richterlichen Rechtsfortbildung (vgl zB BVerfGE 82, 6, 11 ff mwN). Sie ist allerdings von der dem Gesetzgeber vorbehaltenen Gesetzeskorrektur abzugrenzen. Die vom Verfassungsrecht gezogene Grenze verläuft im allgemeinen dort, wo die Gerichte ohne das Vorhandensein einer sich aus Systematik und Sinn des Gesetzes ergebenden Lücke allein unter Berufung auf allgemeine Rechtsprinzipien, die eine konkrete rechtliche Ableitung nicht zulassen, oder aus rechtspolitischen Erwägungen Neuregelungen oder Rechtsinstitute schaffen (BVerfGE 34, 269, 290; 65, 182, 194). Dem Gericht ist es grundsätzlich verwehrt, sich unter Verkennung seiner eigenen Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben (BVerfGE 82, 6, 11 ff; 87, 273, 280). Demgemäß darf richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie stets nur dann eingesetzt werden, wenn das Gericht auf Grund einer Betrachtung und Wertung des einfachen Gesetzesrechts eine Gesetzeslücke feststellt (vgl BVerfG FamRZ 1995, 1052, 1054). Eine derartige Lücke ist aber nicht bereits dann gegeben, wenn eine erwünschte Ausnahmeregelung fehlt oder eine gesetzliche Regelung aus sozial- oder rechtspolitischen Erwägungen als unbefriedigend empfunden wird (vgl BVerfG NJW 1992, 1219; BVerfGE 65, 182, 194). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese - auch im Interesse der Rechtssicherheit für den einzelnen Bürger - nicht auf Grund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so ggf im Parlament gar nicht erreichbar war (vgl BVerfG FamRZ 1995, 1052, 1054; BVerfGE 82, 6, 12). So spricht die Entscheidung des BSG im zum alten Recht ergangenen Urteil vom 15.6.1983 (aaO, S 35) ohne nähere Gesetzesprüfung von einem "wenig einleuchtenden Ergebnis", das zu korrigieren sei. Eine solche Betrachtungsweise entspricht aber gerade nicht den strengen Voraussetzungen für die "Lücken"schließung durch Analogie. Eine Lücke im Gesetz liegt vielmehr nur dort vor, wo es eine Regelung weder ausdrücklich noch schlüssig getroffen hat und es deshalb nach dem Konzept des Gesetzes, dem "Gesetzesplan", unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist. Keine Gesetzeslücke liegt also vor, wenn die Nichtregelung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände entspricht, seine richterliche Ergänzung also dem "Willen des Gesetzes" widerspricht. Es muss sich um eine dem Plan des Gesetzgebers widersprechende, also eine "planwidrige Unvollständigkeit" handeln (stRspr des BSG, vgl zB Urteil vom 25.2.2010 - B 10 LW 1/09 R - SozR 4-5868 § 13 Nr 5; Urteil des Senats vom 27.5.2008 - B 2 U 21/07 R, Juris RdNr 17, UV-Recht Aktuell 2008, 1162; Urteil vom 16.12.1997 - 4 RA 67/97 - SozR 3-2600 § 58 Nr 13 S 74 f; BSG SozR 4100 § 107 Nr 4 S 4; BSGE 63, 120, 131 = SozR 4100 § 138 Nr 17 S 92; BSGE 25, 150, 151; BSGE 43, 128, 129 = SozR 4100 § 100 Nr 1 S 1; vgl auch Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl 1983, S 39, 197 f), die hier - wie soeben im Einzelnen unter 2 b) dargestellt - gerade nicht vorliegt.

39

Insbesondere verstößt § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG. Es liegt weder eine willkürliche Regelung noch eine ungerechtfertigte Nichtbeachtung, geschweige denn eine unverhältnismäßige, von sachlichen Unterschieden zwischen beiden Personengruppen vor.

40

§ 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII soll - wie oben unter 1. ausgeführt - bei Schülern und Auszubildenden einen typisierenden zusätzlichen Folgeschaden des Versicherungsfalls ausgleichen, nämlich die Tatsache, dass eine Ausbildung nach dem Versicherungsfall lediglich mit Verzögerungen oder überhaupt nicht beendet wurde. Dieser typisierte Schadensfall liegt bei dem Kläger und der von ihm repräsentierten Fallgruppe aber gerade nicht vor, weil die Ausbildung fristgerecht beendet wurde. Solche Versicherte haben daher, in der typisierenden Betrachtung des Gesetzes, keine weiteren (hypothetischen) Nachteile wegen des Versicherungsfalls erlitten. Zwischen den beiden Gruppen - privilegierte Verletzte mit verzögertem oder ausgefallenem Ausbildungsabschluss und typisiert unterstelltem Verzögerungsschaden einerseits und nicht durch § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII privilegierte Verletzte mit fristgerechtem Ausbildungsabschluss - bestehen daher gerade sachliche Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht(vgl BVerfGE 55, 72, 88; 84, 133, 157; 84, 197, 199; 85, 238, 244; 87, 1, 36; 95, 39, 45), dass sie vielmehr eine Ungleichbehandlung beider Gruppen im Lichte des Art 3 Abs 1 GG geradezu geboten erscheinen lassen. Denn andernfalls würde bei einem erfolgreichen Ausbildungsabschluss ein (hypothetischer) "Verzögerungsschaden" ersetzt, der tatsächlich überhaupt nicht vorliegt. Dadurch käme es wohl zu einer verfassungswidrigen Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem.

41

Soweit sich der Senat in der Entscheidung vom 7.11.2000 (aaO) ergänzend auf frühere Entscheidungen des BSG zur anders formulierten Vorgängerregelung des § 573 RVO berufen hat(Urteil vom 15.6.1983 - 9b/8 RU 58/81, SozR 2200 § 573 Nr 11; sowie Urteil vom 5.8.1993 - 2 RU 24/92 - SozR 3-2200 § 573 Nr 2), kann im Übrigen dahinstehen, inwieweit § 573 RVO einer entsprechenden Analogie tatsächlich zugänglich gewesen ist. Denn erst durch das UVEG vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) ist das soeben umrissene stimmige Konzept auch deutlich formuliert worden.

42

Da der Kläger durch die angefochtene Höchstwertfestsetzung bereits mehr erhielt, als ihm nach dem Gesetz zusteht, konnte sein Begehren auf noch höhere Rente keinen Erfolg haben.

43

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Der Jahresarbeitsverdienst ist der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 des Vierten Buches) und Arbeitseinkommen (§ 15 des Vierten Buches) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Zum Arbeitsentgelt nach Satz 1 gehört auch das Arbeitsentgelt, auf das ein nach den zwölf Kalendermonaten abgeschlossener Tarifvertrag dem Versicherten rückwirkend einen Anspruch einräumt.

(2) Für Zeiten, in denen der Versicherte in dem in Absatz 1 Satz 1 genannten Zeitraum kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat, wird das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das seinem durchschnittlichen Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen in den mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen belegten Zeiten dieses Zeitraums entspricht. Erleidet jemand, der als Soldat auf Zeit, als Wehr- oder Zivildienstleistender oder als Entwicklungshelfer, beim besonderen Einsatz des Zivilschutzes oder bei einem Dienst nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz oder dem Bundesfreiwilligendienstgesetz tätig wird, einen Versicherungsfall, wird als Jahresarbeitsverdienst das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das er durch eine Tätigkeit erzielt hätte, die der letzten Tätigkeit vor den genannten Zeiten entspricht, wenn es für ihn günstiger ist. Ereignet sich der Versicherungsfall innerhalb eines Jahres seit Beendigung einer Berufsausbildung, bleibt das während der Berufsausbildung erzielte Arbeitsentgelt außer Betracht, wenn es für den Versicherten günstiger ist.

(3) Arbeitsentgelt und Ausbildungsbeihilfe nach den §§ 43 und 44 des Strafvollzugsgesetzes gelten nicht als Arbeitsentgelt im Sinne der Absätze 1 und 2.

(4) Erleidet jemand, dem sonst Unfallfürsorge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gewährleistet ist, einen Versicherungsfall, für den ihm Unfallfürsorge nicht zusteht, gilt als Jahresarbeitsverdienst der Jahresbetrag der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge, die der Berechnung eines Unfallruhegehalts zugrunde zu legen wären. Für Berufssoldaten gilt dies entsprechend.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. März 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Verletztenrente auf Grund eines höheren zu berücksichtigenden Jahresarbeitsverdienstes (JAV).

2

Der 1978 geborene Kläger wurde im Jahre 1986 auf dem Heimweg von der Schule von einem Lkw angefahren und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Der Rechtsvorgänger der Beklagten (der Rheinische GUV) erkannte den Unfall in einem Bescheid vom 22.7.1988 als Arbeitsunfall an und stellte in dem Bescheid vom 31.1.1994 sein Recht auf Verletztenrente nach einer MdE von 90 vH fest. Dessen Jahreswert ergab sich aus dem Produkt aus dieser MdE und dem JAV. Als JAV wurden der Rentenberechnung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers 40 vH und danach 60 vH (Bescheid vom 12.7.1996) der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls maßgebenden Bezugsgröße zu Grunde gelegt.

3

Am 1.7.1997 begann der damals 19jährige Kläger bei der J. GmbH eine Ausbildung zum Fachinformatiker - Fachrichtung Anwendungsentwicklung, die er am 15.6.2000 erfolgreich abschloss. Nach dem Ende der Ausbildung schied er aus dem Unternehmen aus und nahm ein Informatikstudium auf.

4

In dem Bescheid vom 4.6.2004 stellte der Rheinische GUV fest, dem Kläger stehe ab 1.7.2000 höhere Verletztenrente zu. Dies ergebe sich aus einem höheren JAV, der gemäß § 90 Abs 1 SGB VII ab dem 16.6.2000, dem Tag nach Beendigung seiner Ausbildung, auf 21 381,09 EUR festgesetzt werde. Zur Begründung wird ausgeführt, die Neuberechnung des JAV erfolge auf Grundlage des Verdienstes eines Datenverarbeitungskaufmanns - Fachrichtung Fachinformatiker. Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, die zur Ermittlung des JAV zu Grunde gelegte Berufsbezeichnung entspreche nicht dem von ihm erreichten Abschluss als "Fachinformatiker - Anwendungsentwicklung". Mit Widerspruchsbescheid vom 13.2.2008 wies die Beklagte als Rechtsnachfolgerin des Rheinischen GUV den Widerspruch des Klägers zurück.

5

Mit der Klage zum SG hat der Kläger weiterhin vorgetragen, er habe keine Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann im Einzelhandel, sondern eine Ausbildung zum Fachinformatiker mit der Fachrichtung Anwendungsentwicklung absolviert, weshalb von dem ortsüblichen Entgelt eines Fachinformatikers auf dem Gebiet der Anwendungsentwicklung auszugehen sei. Angesichts der mit der Note "gut" abgeschlossenen Ausbildung sei ein JAV von mindestens 30 000,00 EUR angemessen.

6

Mit Urteil vom 31.3.2009 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Berechnung der Verletztenrente des Klägers einen anderen JAV unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu Grunde zu legen und ihm hierüber einen neuen Bescheid zu erteilen. Nach § 90 Abs 1 SGB VII sei ein anderer JAV zu Grunde zu legen, weil dieser an dem Entgelt in dem durch die Ausbildung angestrebten Beruf auszurichten sei.

7

Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten am 31.3.2011 das Urteil des SG "geändert" und die Klage abgewiesen. Der JAV sei hier ab dem Tag nach dem Ende der Ausbildung des Klägers und damit ab 16.6.2000 neu festzusetzen gewesen. Es sei nach § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII der Tarifvertrag des Ausbildungsbetriebs zu Grunde zu legen. Habe - wie hier - ein zum Ausbildungsziel führendes Ausbildungsverhältnis nach dem Berufsbildungsgesetz zwischen dem Versicherten und einem Ausbildungsbetrieb bestanden, sei der für dieses Unternehmen seiner Art nach am Stichtag, dh dem Tag nach dem Ende der Ausbildung, geltende Tarifvertrag maßgeblich. Denn maßgebend sei nicht der berufsspezifische, sondern der branchenspezifische Tarifvertrag, der für das Unternehmen generell in Betracht komme. Hierauf sei auch dann abzustellen, wenn der Versicherte nach dem Ausbildungsende aus dem Unternehmen ausscheide, um ein Studium aufzunehmen. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob der Versicherte im Ausbildungsunternehmen eine seiner Ausbildung entsprechende Tätigkeit hätte aufnehmen können. Für die ausnahmslose Anknüpfung an den für das Ausbildungsunternehmen seiner Art nach geltenden Tarifvertrag spreche insbesondere der Sinn und Zweck des § 90 SGB VII.

8

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 90 Abs 1 SGB VII. Der Gesetzeswortlaut stelle ausdrücklich darauf ab, dass der Tarifvertrag für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters zu Grunde zu legen sei. Es sei kein gesetzlicher Anhalt dafür ersichtlich, dass an die wirtschaftliche Ausrichtung des Ausbildungsbetriebs angeknüpft werden könne. Er habe stets unwidersprochen vorgetragen, dass er im technischen und gerade nicht im kaufmännischen Bereich ausgebildet worden sei.

9

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. März 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. März 2009 zurückzuweisen.

10

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend das Urteil des SG aufgehoben und (sinngemäß) die gemäß § 54 Abs 4 SGG zulässige Kombination aus zulässiger Anfechtungs- und zulässiger (unechter) Leistungsklage abgewiesen. Der Kläger hat ab dem 1.7.2000 keinen Anspruch auf Feststellung eines noch höheren Werts seines Rechts auf Verletztenrente, als ihm die Beklagte in dem Bescheid vom 4.6.2004 (Widerspruchsbescheid vom 13.2.2008) nach Aufhebung des bis dahin festgestellten niedrigeren Werts insoweit unangefochten neu zuerkannt hatte. Dem Kläger stand kein Anspruch auf höhere Rente unter "Festsetzung" eines höheren JAV nach § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII zu, weil er die Ausbildung planmäßig und ohne Verzögerung beendet hatte (hierzu unter 1.). Eine analoge Anwendung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auf Fallgestaltungen wie die vorliegende scheidet aus, weil § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII insofern keine Lücke aufweist (vgl unter 2.).

12

Ein höherer Rentenanspruch hätte für den Kläger gemäß § 56 Abs 3 SGB VII ab dem 1.7.2000 nur bestehen können, wenn ein noch höherer JAV, der zweite Wertfaktor der Rentenhöhe neben seiner unveränderten MdE von 90 vH, rechtlich maßgeblich geworden (= "neu festzusetzen" gewesen) wäre. Obwohl der Versicherungsfall schon 1986, also vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997, eintrat, war dies hier gemäß § 214 Abs 2 Satz 1 SGB VII nach § 90 Abs 1 SGB VII zu beurteilen. Danach wird, wenn der Versicherungsfall ua während der Schulausbildung, wie hier, eingetreten ist, falls dies für den Versicherten günstiger ist, der nach § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII aus Tarifvertrag, hilfsweise aus dem am Betriebsort geltenden Arbeitsentgelt zu ermittelnde neue JAV von dem Zeitpunkt an rechtlich maßgeblich, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre.

13

1. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII waren nicht erfüllt. Zwar hatte der Kläger seine Berufsausbildung am 1.7.1997 begonnen. Er hatte sie aber am 15.6.2000 erfolgreich und ohne Verzögerung abgeschlossen.

14

§ 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII bestimmt, dass dann, wenn der Versicherungsfall vor Beginn der Schulausbildung oder während einer Schul- oder Berufsausbildung eintritt, der JAV, wenn es für den Versicherten günstiger ist, von dem Zeitpunkt an neu festgesetzt wird, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII gewährt einen neuen höheren JAV als den im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgeblich gewordenen Ausgangs-JAV mithin nur, wenn die Ausbildung nicht oder verzögert abgeschlossen wurde. Es heißt in der Norm ausdrücklich nicht, dass der JAV von dem Zeitpunkt an neu festzusetzen ist, in dem die Ausbildung "beendet wurde oder" ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. Die Vorschrift setzt damit als Zeitpunkt für die Neufestsetzung des JAV einen fiktiven Zeitpunkt fest, nämlich den, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre.

15

Der Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII liegt wegen des hypothetisch formulierten Wortlautes ("voraussichtlich beendet worden wäre") und nicht zuletzt auch auf Grund der Überschrift der Norm ("Neufestsetzung nach voraussichtlicher Schul- oder Berufsausbildung oder Altersstufen") der typisierende Gedanke zu Grunde, dass der zuvor erlittene Versicherungsfall der Grund dafür ist, dass die Ausbildung später als vorgesehen oder überhaupt nicht abgeschlossen wurde. Für eine solche Sichtweise spricht im Übrigen auch § 90 Abs 4 SGB VII, der § 90 Abs 1 SGB VII ergänzt. Danach wird für den Fall, dass sich bei Eintritt des Versicherungsfalls vor Beginn der Berufsausbildung auch unter Berücksichtigung der weiteren Schul- oder Berufsausbildung nicht feststellen lässt, welches Ausbildungsziel die Versicherten voraussichtlich erreicht hätten, ein bestimmter näher bezeichneter Wert des JAV festgelegt. Eine solche Unmöglichkeit der Feststellung ist indes aber nur für Fälle denkbar, in denen die Berufsausbildung nicht plangemäß abgeschlossen wurde, in denen also eine fiktive Betrachtungsweise erforderlich ist.

16

Für eine strikte Begrenzung der Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auf die Fälle der verzögerten oder nicht beendeten Ausbildung spricht auch die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Norm. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung zum Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz ) vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) heißt es, die Vorschrift enthalte eine Neuregelung über eine pauschalierte, an der Bezugsgröße orientierte Neufestsetzung des JAV für bestimmte Unfälle im Kindesalter. In der Verwaltungspraxis und in der Rechtsprechung hätten sich bei der Anwendung des § 573 RVO dann Feststellungsschwierigkeiten ergeben, wenn sich der Versicherungsfall im frühen Lebensalter ereignet habe und sich weder aus der Zeit vor dem Versicherungsfall noch aus dem weiteren Werdegang des Kindes nach dem Versicherungsfall ausreichende Anhaltspunkte über dashypothetische Ausbildungsziel (ohne den Unfall) herleiten ließen (BT-Drucks 13/2204, S 96).

17

Auch die Vorgängervorschriften des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII enthielten - in unterschiedlicher Ausprägung - jeweils hypothetische (typisierende) Elemente. Der Grundsatz, dass bei der Rentenberechnung von den Einkommensverhältnissen des Verletzten während des letzten Jahres vor dem Arbeitsunfall auszugehen ist, gilt seit dem Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884 (RGBl S 69). Als Ergänzung war geregelt, dass zugunsten des Verletzten für das letzte Jahr vor dem Arbeitsunfall ein (fiktiver) Arbeitsverdienst anzunehmen ist, wenn der Verletzte vor dem Unfall noch kein volles Jahr in dem Betrieb beschäftigt war oder keinen Lohn oder weniger als das 300fache des ortsüblichen Tagelohns bezogen hatte (vgl etwa § 5 Abs 3 bis 5 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6.7.1884, § 10 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes vom 5.7.1900 - RGBl S 573, 585 - und §§ 563 ff RVO vom 19.7.1911 - RGBl S 509). Ein hypothetisch-typisierendes Element enthielt dann die mit Art 11 des Dritten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 20.12.1928 (RGBl I 405) für Versicherte, die im Feuerwehrdienst oder in Betrieben zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen beschäftigt sind, neu eingefügte Sondervorschrift des § 569b RVO, dessen Abs 3 folgenden Wortlaut hatte: "War der Verletzte zur Zeit des Unfalls noch in seiner Berufs- oder Schulausbildung begriffen, so ist für die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes ein Erwerbseinkommen zu Grunde zu legen, wie es der Verletzte nach Vollendung seiner Ausbildung gehabt haben würde".

18

Auch in dem mit Art 1 Nr 1 des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 (RGBl I 107) neu eingefügten § 565 RVO wird auf einen fiktiven Gesichtspunkt abgestellt. Dessen Abs 1 lautete wie folgt: "Befand sich der Verletzte zur Zeit des Unfalls noch in einer Berufs- oder Schulausbildung, so wird von dem Zeitpunkt ab, in welchem die begonnene Ausbildung voraussichtlich abgeschlossen worden wäre, der Jahresarbeitsverdienst nach dem Entgelt berechnet, der dann für Personen gleicher Ausbildung durch Tarif oder sonst allgemein für einzelne Berufsjahre festgesetzt ist; hierbei sind Verdiensterhöhungen, die von der Erreichung eines bestimmten Lebens- oder Berufsjahres ab allgemein festgesetzt sind, die der Verletzte aber voraussichtlich erst nach Vollendung seines dreißigsten Lebensjahres erreicht hätte, nicht zu berücksichtigen."

19

Der durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz ) vom 30.4.1963 (BGBl I 241) geschaffene § 573 RVO ist die unmittelbare Vorgängerregelung des § 90 SGB VII und war in seinem Abs 1 wie folgt formuliert: "Befand sich der Verletzte zur Zeit des Arbeitsunfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung, so wird, wenn es für den Versicherten günstiger ist, der Jahresarbeitsverdienst für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu berechnet". Wenngleich das hypothetische Element in dieser Vorschrift mit dem Wort "voraussichtlich" nicht mehr so deutlich in Erscheinung tritt wie in § 565 RVO, waren inhaltliche Änderungen nicht beabsichtigt. Denn in der Begründung zum Entwurf des UVNG heißt es zur Regelung des § 573 RVO(§ 574 RVO in der Entwurfsfassung, BT-Drucks IV/120, S 11, 57): "Auch für Jugendliche und in der Ausbildung befindliche Verletzte sieht bereits § 565 RVO einen Ausgleich für Mindereinnahmen vor. Diese Regelung wird in § 574 beibehalten."

20

Aus diesen Vorgängervorschriften des § 90 SGB VII(vgl zur Entwicklung seit 1884 bis zur Schaffung des § 573 RVO auch: Windelen, SGb 1970, 408) und dem der heutigen Fassung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII jeweils ähnlichen bzw sogar gleich lautenden Wortlaut, sowie aus dem Umstand, dass sich Anhaltspunkte für eine andere Sichtweise aus allen angeführten Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen lassen, folgt, dass von § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII jedenfalls nicht diejenigen Fallgestaltungen erfasst werden sollen, in denen die Ausbildung infolge des Arbeitsunfalls weder abgebrochen worden ist noch sie sich verzögert hat(vgl auch BSG, Urteil vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R - Juris RdNr 20, SozR 3-2700 § 90 Nr 1; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, 1. Aufl 2010, § 90 RdNr 27).

21

In § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII wurde mithin nur die Voraussetzung in das Gesetz aufgenommen, dass die Ausbildung sich verzögert hatte oder ggf aus sonstigen Gründen nicht beendet wurde. Denn nur in solchen Fällen wurde durch den ursprünglichen Versicherungsfall in abstrakter, typisierender Wertung, also nicht als tatbestandliche Voraussetzung im Einzelfall, ein weiterer Schaden verursacht. Nur dieser (typisierend angenommene) zusätzliche Folgeschaden des Versicherungsfalls rechtfertigt ausnahmsweise eine Ersetzung des Ausgangs-JAV durch einen neuen (günstigeren) JAV. Für diesen ist das hypothetische Arbeitsentgelt bestimmend, das in einem Tarifvertrag oder hilfsweise am Beschäftigungsort üblicherweise in dem Zeitpunkt der voraussichtlichen (aber eben nicht eingetretenen) Beendigung der Ausbildung für Personen gleicher Ausbildung und Alters vorgesehen ist (und ohne den Ausfall oder die Verzögerung des Ausbildungsabschlusses bei Beendigung der Ausbildung typischerweise voraussichtlich erzielt worden wäre). Die Verletzten, die ihre Ausbildung rechtzeitig beenden, haben typischerweise zu diesem Zeitpunkt keinen weiteren Nachteil, weil sie entsprechend höher entlohnt werden.

22

Sachgrund für diese gesetzliche, also materiell-rechtlich direkt eintretende Änderung der abstrakten Schadensbewertung des Ausgangs-JAV ist, dass es unbillig wäre, solche jungen Verletzten trotz des weiteren Folgeschadens an diesem JAV festzuhalten. Damit durchbricht diese Ausnahmeregelung, wie alle in § 90 SGB VII geregelten Ausnahmen, materiell-rechtlich den gesetzlichen Grundsatz, dass der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebliche Ausgangs-JAV für die gesamte Zeit, für die das Recht besteht, maßgeblich bleibt. Dieser Sachgrund der Norm spricht im Übrigen dagegen, dass die Norm aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 3 Abs 1 GG) zugunsten von Verletzten mit zeitgerechtem Ausbildungsabschluss korrigiert werden müsste (vgl hierzu im Einzelnen unten 2. c).

23

2. Das Begehren des Klägers hätte daher nur Erfolg haben können, wenn § 90 Abs 1 SGB VII analog anzuwenden gewesen wäre und dies einen noch höheren neuen JAV ergeben hätte, als von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden vom 4.6.2004/13.2.2008 zu Grunde gelegt wurde. § 90 Abs 1 SGB VII ist aber auf Verletzte, die ihre Ausbildung zeitgerecht abgeschlossen haben, nicht entsprechend anzuwenden.

24

a) Die Voraussetzungen für eine Analogie, nach der sich die Anwendung der Vorschrift des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auch auf die Fallgestaltungen erstrecken würde, in denen die Ausbildung plangemäß abgeschlossen worden ist, sind jedoch nicht gegeben. Diese Voraussetzungen lägen nur dann vor, wenn 1. eine (anfängliche oder nachträgliche) Gesetzeslücke besteht, 2. der nicht geregelte Tatbestand dem gesetzlich festgelegten ähnlich ist und 3. beide Tatbestände wegen ihrer Ähnlichkeit gleich zu bewerten sind (vgl BSG, Urteil vom 4.5.1999 - B 4 RA 55/98 R, SozR 3-2600 § 34 Nr 1 unter Verweis auf BSG SozR 4100 § 107 Nr 4 S 4 f; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 202 ff).

25

b) Es fehlt hier bereits an der ersten Voraussetzung einer zulässigen Analogie, dem Vorliegen einer Gesetzeslücke, die durch richterliche Rechtsfortbildung geschlossen werden könnte, denn die Regelung des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII enthält keine planwidrige Unvollständigkeit. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Gesetz den Kreis derjenigen, die bei typisierender Bewertung ihrer Schutzbedürftigkeit ausnahmsweise nicht weiter der Regelberechnung des JAV unterliegen, nur unvollständig erfasst hätte (vgl zu diesem Gesichtspunkt bei der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung von beurlaubten Berufssoldaten BSG, Urteil vom 29.7.2003 - B 12 KR 15/02 R, Juris RdNr 21, SozR 4-4100 § 169 Nr 1). Vielmehr erfasst das Gesetz im Rahmen der Neufeststellungsansprüche Fallgestaltungen, für die der Gesetzgeber typisierend davon ausgeht, dass es unbillig ist, für die Gewährung der Verletztenrente das tatsächliche Arbeitseinkommen der jeweils erfassten Personenkreise bei der Ermittlung des JAV zu Grunde zu legen. Insofern liegt dem § 90 SGB VII(iVm den §§ 82 ff SGB VII) ein stimmiges Konzept zu Grunde.

26

aa) § 90 Abs 1 SGB VII entspricht - wie bereits oben zu 1. dargestellt - im Wesentlichen dem am 1.1.1997 außer Kraft getretenen § 573 Abs 1 RVO(vgl Begründung zu Art 1 § 90 des Entwurfs eines UVEG, BT-Drucks 13/2204 S 96), der seinerseits mit Wirkung vom 1.7.1963 durch Art 1 des UVNG vom 30.4.1963 (BGBl I 241) in die damals neugefasste RVO übernommen wurde und dem der in wesentlichen Teilen inhaltsgleiche § 565 RVO vorausging, der durch das Sechste Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 (RGBl I 107) in die RVO eingefügt worden war.

27

Nach der bereits dargestellten Zweckbestimmung des § 90 Abs 1 SGB VII sollen - ebenso wie bei den genannten Vorgängervorschriften - Personen, die schon vor oder während der Zeit der Ausbildung für einen Beruf einen Arbeitsunfall erleiden und deshalb im Jahre vor dem Unfall regelmäßig noch nicht das volle Arbeitsentgelt erzielt haben, zur Vermeidung von Härten geschützt und so gestellt werden, als hätten sie den Unfall nach der voraussichtlichen Beendigung der Berufsausbildung - bei höherem JAV - erlitten(vgl BSG, Urteil vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R, Juris RdNr 17, SozR 3-2700 § 90 Nr 1 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 4.12.1991 - 2 RU 69/90, HV-Info 1992, 598 mwN; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 90 RdNr 2, Stand: 01/2007; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, 1. Aufl 2010, § 90 RdNr 4). Die zum Unfall führende Tätigkeit muss bei in Ausbildung stehenden Versicherten kein Teil der Ausbildung sein. Insoweit muss also kein innerer Zusammenhang zwischen der Schul- oder Berufsausbildung und der zum Unfall führenden Verrichtung gegeben sein; vielmehr genügt der zeitliche Zusammenhang mit der Ausbildung (BSGE 38, 216, 218, 219 = SozR 2200 § 573 Nr 2; BSGE 47, 137, 140 = SozR 2200 § 573 Nr 9; BSG, Urteil vom 24.6.1981 - 2 RU 11/80 - EzS 128/79; Ricke in: Kasseler Kommentar, § 90 SGB VII RdNr 4, Stand: Dezember 2010; Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 90 RdNr 4, Stand: März 2012).

28

Die in § 90 SGB VII normierten Neufestsetzungsansprüche regeln dabei im Einzelnen, weshalb eine notwendigerweise vorangehende Erstfeststellung der Höhe der Rente wegen eines nachträglich gemäß § 90 SGB VII erheblich gewordenen hypothetischen Umstandes, der zu einem günstigeren JAV zu einem späteren Zeitpunkt führte, nach Maßgabe des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X aufgehoben und ein höherer Rentenwert neu festgesetzt werden muss, worauf der Versicherte ggf einen Anspruch hat.

29

bb) Grundsätzlich wird durch die gesetzliche Unfallversicherung mittels der (hier umstrittenen) Verletztenrente (anteilig nach dem MdE-Grad) das durch den Versicherungsfall abstrakt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im weiteren Leben (möglicherweise) nicht mehr erzielbare Gesamteinkommen ersetzt. Deshalb wird zu dessen Schätzung im Rahmen der §§ 82 ff SGB VII grundsätzlich auf das Gesamteinkommen des letzten Kalenderjahres vor dem Versicherungsfall abgestellt, weil dies auch in der gesetzlichen Unfallversicherung zumeist eine hinreichende Beurteilungsgrundlage für das wirtschaftliche Ergebnis bildet, das der Verletzte ohne den Versicherungsfall voraussichtlich (weiterhin) erlangt hätte.

30

Dies geschieht aber schon bei der Erstfeststellung nicht schematisch, sondern mit Blick auf die Frage, ob und inwieweit die Entwicklung in diesem Jahr den wirtschaftlichen Standard wiedergibt, wie er ohne den Versicherungsfall fortbestanden hätte.

31

Im Rahmen der Regelberechnung regelt das Gesetz ab § 82 Abs 1 Satz 2 SGB VII bis § 86 sowie in § 88 SGB VII im Einzelnen Fallgruppen, in denen ua die Regelberechnung aus § 82 Abs 1 Satz 1 SGB VII keine gerechte oder billige Grundlage für die Schätzung des Entgangenen bildet. Soweit die Grundregelung und diese speziellen gesetzlichen Regelungen gleichwohl zu einem im Einzelfall erheblich unbilligen Ergebnis führen, sieht § 87 SGB VII subsidiär für die meisten von ihnen eine Einzelfall-Schätzung des JAV nach billigem Ermessen vor.

32

Schon bei der Erstfestsetzung der Rentenhöhe werden zur Schätzung des JAV ua nach § 82 Abs 2 Satz 2 und Satz 3 sowie § 82 Abs 4 SGB VII Hypothesen über den ohne den Versicherungsfall fortgesetzten oder erstmals eingetretenen Einkommensverlauf relevant. Schon hier hat das Gesetz die besondere Problematik der Regelberechnung für Berufsanfänger speziell aufgegriffen. Insbesondere § 82 Abs 2 Satz 3 SGB VII zeigt, dass die Erstschätzung des JAV vom Gesetz dann für möglicherweise "unangemessen" gehalten wird, wenn der Versicherungsfall binnen einen Jahres nach Abschluss der Berufsausbildung eintritt. Dann kann es unbillig sein, den Versicherten an einer ungünstigen Regelberechnung nach dem letzten Kalenderjahr vor dem Versicherungsfall festzuhalten, weil das keine angemessene Basis für die Schätzung ist, was er ohne den Versicherungsfall erlangt hätte.

33

cc) Gerade bei Kindern und Jugendlichen kann die Regelberechnung der Erstfeststellung allerdings grob unangemessen werden, wenn unberücksichtigt bleibt, dass ihr danach vermutlich fortgesetztes Gesamteinkommen (JAV der Erstfeststellung) unter Umständen nicht das wiedergibt, was sie im späteren Leben ohne den Versicherungsfall voraussichtlich als Einkommen zur Lebensführung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abstrakt hätten erlangen können. Dann würde schon abstrakt nicht hinreichend beachtet, welche Einbußen der Versicherungsfall zur Folge hatte.

34

Der Gesetzgeber hat diese Problematik in § 90 Abs 1 bis § 90 Abs 6 SGB VII typisierend geregelt. Alle Absätze der Vorschrift regeln Ansprüche auf Neufestsetzung der Höhe von Versicherungsleistungen (also Aufhebung des Höchstwerts der bisherigen Wertfestsetzung des Rechts auf Leistung und Feststellung eines höheren Werts), die von einem zuvor bereits festgestellten, dh als maßgeblich zu Grunde gelegten JAV abhängen. Gemeinsame Voraussetzung ist, dass zeitlich danach ein Ereignis (in hypothetischer und typisierender Beurteilung wegen des Versicherungsfalls) nicht oder verspätet eingetreten ist, das ein höheres Gesamteinkommen/Arbeitsentgelt erbracht hätte als es bei der Erstfestsetzung des JAV zu Grunde gelegt worden ist.

35

Den einzelnen Absätzen des § 90 SGB VII liegt damit das folgende stimmige Konzept zu Grunde:

-       

§ 90 Abs 1 SGB VII regelt zunächst Folgendes: Tritt der Versicherungsfall vor oder während der Schul- oder Berufsausbildung ein und ist der Höchstwert des Rechts auf Leistung bereits wirksam festgestellt, ist dieser aufzuheben und ein höherer Wert neu festzustellen, falls der JAV für den Versicherten günstiger ist, der sich nach Maßgabe von § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII für den Tag ergibt, an dem der Versicherte seine Ausbildung voraussichtlich beendet hätte. Hat er sie an diesem Tag beendet, gibt es keinen Raum für eine hypothetische Prüfung. Auch ist ihm, der seine Ausbildung pünktlich abgeschlossen hat, in der für das Gesetz erlaubten typisierenden Betrachtung kein weiterer Nachteil aus dem Versicherungsfall entstanden, weil er typischerweise nicht durch den Versicherungsfall gehindert ist, ein dem Tarifentgelt des § 90 Abs 1 Satz 2 SGB VII entsprechendes Gesamteinkommen zu erzielen.

-       

Ist hingegen der Versicherungsfall vor der Berufsausbildung eingetreten und die Erstfeststellung des Höchstwerts der Versicherungsleistung wirksam festgestellt worden und vollendet der Versicherte das 21. Lebensjahr (oder später das 25. Lebensjahr) und lässt sich nicht feststellen, welches Ausbildungsziel der Versicherte ohne den Versicherungsfall voraussichtlich erreicht hätte, ist der JAV ab diesem Tag mit 75 vH der Bezugsgröße (später 100 vH) anzusetzen (§ 90 Abs 1 iVm § 90 Abs 4 SGB VII).

-       

§ 90 Abs 2 SGB VII erfasst dann die Fälle, in denen nach der Erstfeststellung bei unter dreißigjährigen Versicherten diese vor Vollendung des 30. Lebensjahres an tarifvertraglichen oder ortsüblichen Erhöhungen des Arbeitsentgelts nicht teilgenommen haben, die zur Zeit des Versicherungsfalls für Personen mit gleichartiger Tätigkeit für den späteren Fall vorgesehen waren, dass sie ein bestimmtes Berufsjahr erreicht oder ein bestimmtes Lebensjahr vollendet hatten. Ihnen ist in der gesetzlichen typisierenden Betrachtung regelmäßig wegen des Versicherungsfalls die Entgelterhöhung entgangen. Wenn diese einen günstigeren JAV brächte, besteht ein Neufeststellungsanspruch.

-       

Hat in den Fällen von § 90 Abs 1 oder Abs 2 SGB VII der Versicherungsfall eine Erwerbstätigkeit unmöglich gemacht, entsteht gemäß § 90 Abs 3 SGB VII, falls es günstiger ist, ein Neufeststellungsanspruch jeweils und sogar über das 30. Lebensjahr hinaus, falls zur Zeit des Versicherungsfalls tarifvertraglich oder ortsüblich spätere Entgelterhöhungen nach Lebensalter, Berufsjahren oder Ablauf von Bewährungszeiten vorgesehen sind und diese Voraussetzungen erfüllt werden.

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Unter Berücksichtigung des § 90 Abs 5 und des § 90 Abs 6 SGB VII sowie insbesondere auch der subsidiären Billigkeitsregelung in § 91 SGB VII mit der nochmals subsidiären Neufeststellung nach billigem Ermessen ergibt sich damit ein stimmiges Konzept, das typisierend Fallgestaltungen regelt, in denen das Gesetz typische Fälle erfasst, in denen davon ausgegangen werden kann, dass das eigentlich nach der Regelberechnung der §§ 82 ff SGB VII zu Grunde zu legende Arbeitseinkommen als unbillig erscheint. Dementsprechend ist es auch nicht gesetzesplanwidrig, dass eine Neufeststellung dann nicht beansprucht werden kann, wenn aus dem Versicherungsfall (typisch gesehen) kein durch den Versicherungsfall bedingter weiterer Einkommensnachteil eingetreten ist, der von der Regelberechnung nicht erfasst wäre.

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Im Übrigen wird selbst bei denjenigen, die lediglich von der Regelberechnung erfasst werden und keinen Anspruch auf Neufeststellung nach § 90 SGB VII haben, im Falle eines besonders niedrigen Erwerbseinkommens im letzten Jahr vor dem Versicherungsfall in jedem Fall entweder der Mindest-JAV des § 85 SGB VII oder - bei Kindern, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben - ein besonders gesetzlich festgelegter JAV zu Grunde gelegt (§ 86 SGB VII).

36

Wenn danach ein stimmiges Konzept für die Fallgestaltungen vorliegt, in denen es dem Gesetz unbillig erscheint, die jeweils erfassten Personenkreise an ihrem (zu niedrigen) JAV nach Maßgabe der Regelberechnung nach den §§ 82 ff SGB VII festzuhalten, liegt für die Fallgestaltungen, in denen die Ausbildung - wie hier - plangemäß abgeschlossen worden ist, keine ausfüll-bare Gesetzeslücke vor. Dementsprechend kann § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auch nicht zu Gunsten des Klägers analog angewandt werden. Das BSG ist nicht dazu befugt, eine - wie oben ausgeführt - rechtlich vollständige, sozial- oder rechtspolitisch jedoch von einzelnen Personen oder Gruppen als defizitär empfundene Regelung fortbildend zu ergänzen und sich damit unter Verkennung seiner eigenen Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) in die Rolle einer normsetzenden Instanz zu begeben (so auch BSG, Urteil vom 29.7.2003 - B 12 KR 15/02 R, Juris RdNr 22, SozR 4-4100 § 169 Nr 1 unter Hinweis auf BVerfGE 34, 269, 290; 65, 182, 194; 82, 6, 11 ff; 87, 273, 280; ferner BVerfGE 96, 375, 394 f; 113, 88, 103).

37

c) Die entgegenstehenden, damals nicht tragenden und nicht näher begründeten Ausführungen in der zu § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII ergangenen Entscheidung des Senats vom 7.11.2000 - B 2 U 31/99 R - (SozR 3-2700 § 90 Nr 1; vgl zuvor zu § 573 RVO: BSG, Urteil vom 15.6.1983 - 9b/8 RU 58/81 - SozR 2200 § 573 Nr 11) können demgemäß nicht aufrechterhalten bleiben, zumal die Voraussetzungen der Analogie dort nicht geprüft worden sind. Gleiches gilt für die eine solche Analogie befürwortenden Stimmen in der Literatur, die sich - soweit ersichtlich - nicht mit den rechtssystematischen Voraussetzungen der Analogiefähigkeit des § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII auseinandersetzen und lediglich die Entscheidung des BSG vom 7.11.2000 (aaO) zustimmend zitieren (vgl etwa Ricke in Kasseler Kommentar, § 90 SGB VII, RdNr 5, Stand: Dezember 2010; Keller in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 90 RdNr 9a, Stand: März 2012; Burchardt in: Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 90 RdNr 18a, Stand: März 2007; Rütenik in: juris-PK SGB VII, 1. Aufl 2009, § 90 RdNr 42; Dahm in: Lauterbach, UV , § 90 RdNr 18, Stand: Oktober 2006; Becker in: Lehr- und Praxiskommentar, SGB VII, 3. Aufl 2011, § 90 RdNr 5; Merten in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 90 RdNr 27; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 90 SGB VII, RdNr 8.5, Stand 01/2007; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 90 RdNr 7; Kater in: Kater/Leube, SGB VII, 1997, § 90 RdNr 27).

38

Die Methode der Analogie ist eine verfassungsrechtlich anerkannte Form der richterlichen Rechtsfortbildung (vgl zB BVerfGE 82, 6, 11 ff mwN). Sie ist allerdings von der dem Gesetzgeber vorbehaltenen Gesetzeskorrektur abzugrenzen. Die vom Verfassungsrecht gezogene Grenze verläuft im allgemeinen dort, wo die Gerichte ohne das Vorhandensein einer sich aus Systematik und Sinn des Gesetzes ergebenden Lücke allein unter Berufung auf allgemeine Rechtsprinzipien, die eine konkrete rechtliche Ableitung nicht zulassen, oder aus rechtspolitischen Erwägungen Neuregelungen oder Rechtsinstitute schaffen (BVerfGE 34, 269, 290; 65, 182, 194). Dem Gericht ist es grundsätzlich verwehrt, sich unter Verkennung seiner eigenen Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben (BVerfGE 82, 6, 11 ff; 87, 273, 280). Demgemäß darf richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie stets nur dann eingesetzt werden, wenn das Gericht auf Grund einer Betrachtung und Wertung des einfachen Gesetzesrechts eine Gesetzeslücke feststellt (vgl BVerfG FamRZ 1995, 1052, 1054). Eine derartige Lücke ist aber nicht bereits dann gegeben, wenn eine erwünschte Ausnahmeregelung fehlt oder eine gesetzliche Regelung aus sozial- oder rechtspolitischen Erwägungen als unbefriedigend empfunden wird (vgl BVerfG NJW 1992, 1219; BVerfGE 65, 182, 194). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese - auch im Interesse der Rechtssicherheit für den einzelnen Bürger - nicht auf Grund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so ggf im Parlament gar nicht erreichbar war (vgl BVerfG FamRZ 1995, 1052, 1054; BVerfGE 82, 6, 12). So spricht die Entscheidung des BSG im zum alten Recht ergangenen Urteil vom 15.6.1983 (aaO, S 35) ohne nähere Gesetzesprüfung von einem "wenig einleuchtenden Ergebnis", das zu korrigieren sei. Eine solche Betrachtungsweise entspricht aber gerade nicht den strengen Voraussetzungen für die "Lücken"schließung durch Analogie. Eine Lücke im Gesetz liegt vielmehr nur dort vor, wo es eine Regelung weder ausdrücklich noch schlüssig getroffen hat und es deshalb nach dem Konzept des Gesetzes, dem "Gesetzesplan", unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist. Keine Gesetzeslücke liegt also vor, wenn die Nichtregelung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände entspricht, seine richterliche Ergänzung also dem "Willen des Gesetzes" widerspricht. Es muss sich um eine dem Plan des Gesetzgebers widersprechende, also eine "planwidrige Unvollständigkeit" handeln (stRspr des BSG, vgl zB Urteil vom 25.2.2010 - B 10 LW 1/09 R - SozR 4-5868 § 13 Nr 5; Urteil des Senats vom 27.5.2008 - B 2 U 21/07 R, Juris RdNr 17, UV-Recht Aktuell 2008, 1162; Urteil vom 16.12.1997 - 4 RA 67/97 - SozR 3-2600 § 58 Nr 13 S 74 f; BSG SozR 4100 § 107 Nr 4 S 4; BSGE 63, 120, 131 = SozR 4100 § 138 Nr 17 S 92; BSGE 25, 150, 151; BSGE 43, 128, 129 = SozR 4100 § 100 Nr 1 S 1; vgl auch Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl 1983, S 39, 197 f), die hier - wie soeben im Einzelnen unter 2 b) dargestellt - gerade nicht vorliegt.

39

Insbesondere verstößt § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG. Es liegt weder eine willkürliche Regelung noch eine ungerechtfertigte Nichtbeachtung, geschweige denn eine unverhältnismäßige, von sachlichen Unterschieden zwischen beiden Personengruppen vor.

40

§ 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII soll - wie oben unter 1. ausgeführt - bei Schülern und Auszubildenden einen typisierenden zusätzlichen Folgeschaden des Versicherungsfalls ausgleichen, nämlich die Tatsache, dass eine Ausbildung nach dem Versicherungsfall lediglich mit Verzögerungen oder überhaupt nicht beendet wurde. Dieser typisierte Schadensfall liegt bei dem Kläger und der von ihm repräsentierten Fallgruppe aber gerade nicht vor, weil die Ausbildung fristgerecht beendet wurde. Solche Versicherte haben daher, in der typisierenden Betrachtung des Gesetzes, keine weiteren (hypothetischen) Nachteile wegen des Versicherungsfalls erlitten. Zwischen den beiden Gruppen - privilegierte Verletzte mit verzögertem oder ausgefallenem Ausbildungsabschluss und typisiert unterstelltem Verzögerungsschaden einerseits und nicht durch § 90 Abs 1 Satz 1 SGB VII privilegierte Verletzte mit fristgerechtem Ausbildungsabschluss - bestehen daher gerade sachliche Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht(vgl BVerfGE 55, 72, 88; 84, 133, 157; 84, 197, 199; 85, 238, 244; 87, 1, 36; 95, 39, 45), dass sie vielmehr eine Ungleichbehandlung beider Gruppen im Lichte des Art 3 Abs 1 GG geradezu geboten erscheinen lassen. Denn andernfalls würde bei einem erfolgreichen Ausbildungsabschluss ein (hypothetischer) "Verzögerungsschaden" ersetzt, der tatsächlich überhaupt nicht vorliegt. Dadurch käme es wohl zu einer verfassungswidrigen Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem.

41

Soweit sich der Senat in der Entscheidung vom 7.11.2000 (aaO) ergänzend auf frühere Entscheidungen des BSG zur anders formulierten Vorgängerregelung des § 573 RVO berufen hat(Urteil vom 15.6.1983 - 9b/8 RU 58/81, SozR 2200 § 573 Nr 11; sowie Urteil vom 5.8.1993 - 2 RU 24/92 - SozR 3-2200 § 573 Nr 2), kann im Übrigen dahinstehen, inwieweit § 573 RVO einer entsprechenden Analogie tatsächlich zugänglich gewesen ist. Denn erst durch das UVEG vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) ist das soeben umrissene stimmige Konzept auch deutlich formuliert worden.

42

Da der Kläger durch die angefochtene Höchstwertfestsetzung bereits mehr erhielt, als ihm nach dem Gesetz zusteht, konnte sein Begehren auf noch höhere Rente keinen Erfolg haben.

43

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Ist ein nach der Regelberechnung, nach den Vorschriften bei Berufskrankheiten oder nach der Regelung über den Mindestjahresarbeitsverdienst festgesetzter Jahresarbeitsverdienst in erheblichem Maße unbillig, wird er nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festgesetzt. Hierbei werden insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls berücksichtigt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. September 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf höhere Verletztenrente hat. Die Klägerin hält es für unbillig, dass der Jahresarbeitsverdienst (JAV) nach ihrer zuletzt ausgeübten Teilzeitbeschäftigung berechnet worden ist.

2

Die 1965 geborene Klägerin arbeitete nach abgeschlossener Berufsausbildung als Krankenschwester. Der Umfang ihrer Arbeitszeit wechselte mehrfach zwischen Vollzeit- und Teilzeittätigkeiten. Im Einzelnen war sie wie folgt beschäftigt:

3
        

01.07.1984 - 30.09.1986

Praktikantin in der Krankenpflege, Vollzeit

01.10.1986 - 30.09.1989

Ausbildung zur Krankenpflegerin, Vollzeit

01.10.1989 - 30.04.1990

Krankenschwester, Vollzeit

01.05.1990 - 31.05.1990

unbelegt

01.06.1990 - 30.06.1991

Krankenschwester, Teilzeit

01.07.1991 - 31.01.1992

Krankenschwester, Vollzeit

01.02.1992 - 31.03.1995

Krankenschwester, Teilzeit

01.04.1995 - 21.07.1999

Krankenschwester, Vollzeit

22.07.1999 - 27.10.1999

Mutterschutz

28.10.1999 - 06.12.1999

Jahresurlaub gemäß einer Vollzeitstelle

07.12.1999 - 31.01.2000

Bezug von Erziehungsgeld

01.02.2000 - 31.08.2002

befristete Teilzeittätigkeit (19,00 Std.) im Rahmen des Erziehungsurlaubs

07.04.2001 - 02.07.2001

Eintritt des Versicherungsfalls, danach Entgeltfortzahlung aus Teilzeitbeschäftigung

03.07.2001 - 03.02.2002

Bezug von Verletztengeld

4

Mit Verwaltungsakt vom 25.5.2005 erkannte die Beklagte ua eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit (BK) nach Nr 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung an. Sie stellte fest, dass der Versicherungsfall am 7.4.2001 eingetreten war. Ab 4.2.2002 bewilligte sie der Klägerin Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH und legte der Berechnung der Rente einen JAV von 18.076,74 EUR zugrunde, der dem aus der Teilzeitbeschäftigung vom 1.4.2000 bis 31.3.2001 erzielten Arbeitsentgelt entsprach.

5

Gegen diesen Verwaltungsakt im Bescheid vom 25.5.2005 erhob die Klägerin Widerspruch. Sie machte geltend, die Berechnung des JAV nach dem Entgelt, das sie aus der während des Erziehungsurlaubs ausgeübten Teilzeitbeschäftigung erzielt habe, sei rechtswidrig. Hierin liege eine Benachteiligung ihrer Familie. Wegen fehlender Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren habe sie keine Alternative zum Erziehungsurlaub gehabt. Es sei für sie nicht nachvollziehbar, dass der Anspruch nunmehr nach der bei Eintritt des Versicherungsfalls ausgeübten Teilzeittätigkeit berechnet werde, da vor allem ihre Vollzeitbeschäftigung den Eintritt der BK begünstigt habe und eine erneute Vollzeitbeschäftigung geplant gewesen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 25.8.2005).

6

Die Klägerin hat beim SG Dortmund Klage erhoben und geltend gemacht, ihre Lebensstellung sei durch die Einkünfte aus der früheren Vollzeittätigkeit geprägt gewesen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.12.2008).

7

Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum LSG Nordrhein-Westfalen eingelegt. Sie hat dort vorgetragen, die Festsetzung des JAV durch die Beklagte sei unbillig, da der zugrunde gelegte JAV nicht der Einkommenssituation entspreche, die sie in ihrem Erwerbsleben erreicht habe. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass sie während ihrer Berufstätigkeit überwiegend eine Vollzeitstelle innegehabt und sich ihr Lebensstandard hieran orientiert habe. Eine Regelung zur Bemessung des JAV, die starr auf den Zeitraum des Jahres vor Eintritt des Versicherungsfalls abstelle, verletze ihre Grundrechte aus Art 6 und Art 3 GG.

8

Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 15.9.2010 zurückgewiesen. Die Berechnung des JAV entspreche den gesetzlichen Vorgaben, insbesondere des § 82 Abs 1 SGB VII. Eine Korrektur des Ergebnisses nach § 87 SGB VII sei nicht geboten, weil ein Fall unbilliger Härte nicht vorliege. Vielmehr sei das Unfallversicherungsrecht von dem Grundsatz geprägt, dass für die Berechnung der Leistung die Verhältnisse im Jahr vor dem Versicherungsfall maßgebend seien. Früher erzielte Entgelte seien grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Der nach Maßgabe des § 82 Abs 1 SGB VII festgesetzte JAV sei nicht unbillig, er könne deshalb nicht anders festgesetzt werden. Wäre ein Fall der Unbilligkeit gegeben, müsste das Entgelt nicht nach dem Verdienst einer Vollzeitbeschäftigung, sondern nach billigem Ermessen der Beklagten nach einem Wert zwischen dem Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festgesetzt werden. Die maßgebenden Regelungen des SGB VII seien von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Insbesondere entspreche es den gesetzlichen Regelungen in anderen Bereichen, dass für Zeiten des Erziehungsurlaubs bzw der Elternzeit geringere Leistungen erworben würden als ohne die Zurücklegung dieser Zeiten. Entsprechende gesetzliche Regelungen zur Berechnung von Sozialleistungen seien vom BVerfG gebilligt worden. Eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG (Gleichheitssatz), des Art 6 Abs 1 GG (Schutz von Ehe und Familie) oder des Art 6 Abs 4 GG (staatliche Schutzpflicht für Mütter) liege nicht vor.

9

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 87 SGB VII. Sie macht einen Anspruch auf höhere Rente geltend, der nach einem gemäß § 87 SGB VII höher festzusetzenden JAV zu berechnen sei. Die Festsetzung des JAV sei in erheblichem Maße unbillig. Sie habe unmittelbar vor dem Beginn der Mutterschutzfrist, nämlich in der Zeit vom 1.4.1995 bis 21.7.1999 in Vollzeit als Krankenschwester gearbeitet. Im Anschluss an die Mutterschutzzeit habe sie Erziehungsurlaub genommen. Dass sie vorübergehend eine geringer bezahlte Teilzeittätigkeit übernommen habe, führe zu einem deutlich geringeren Arbeitsentgelt. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass ein Abweichen des JAV gegenüber den tatsächlichen Gegebenheiten um ca 40 vH eine erhebliche Unbilligkeit begründe. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Auch habe sie den Umfang ihrer Beschäftigung wegen Kinderbetreuung nur vorübergehend reduziert. Dieser Umstand begründe ebenfalls die Unbilligkeit des JAV, sodass der festgesetzte JAV so zu korrigieren sei, dass der der Rente zugrunde gelegte JAV dem Entgelt aus einer Vollzeitbeschäftigung entspreche. Bei der Auslegung der Vorschrift sei der Schutzauftrag des Art 6 Abs 4 GG zu beachten, der gewährleiste, dass ihr durch die Mutterschaft keine Nachteile entstehen dürften. Schließlich enthalte § 87 SGB VII keinen Hinweis darauf, dass die Vorschrift Mütter im Erziehungsurlaub ausschließe.

10

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. September 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19. Dezember 2008 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. August 2005 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihr höhere Rente unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bewilligen.

11

Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

12

Sie hält die angefochtenen gerichtlichen Entscheidungen sowie ihre Bescheide für rechtmäßig.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.

14

Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Verwaltungsakt im Bescheid der Beklagten vom 25.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.8.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte ist daher nicht zu verpflichten, der Klägerin höhere Verletztenrente nach einem höheren, von der Beklagten festzusetzenden JAV zu bewilligen.

15

Die Klägerin macht einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Bewilligung eines höheren Rechts auf Rente gemäß § 56 Abs 1 Satz 1, Abs 3, § 82 Abs 1 Satz 1, § 87 SGB VII geltend. Um dieses Rechtsschutzziel zu erreichen, ist die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die richtige Klageart (§ 54 Abs 1, Abs 2 Satz 1 und 2 SGG; zur Klageart auch: LSG Berlin vom 9.8.2004 - L 16 U 79/03; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung einer solchen Klage: BSG vom 25.3.2003 - B 1 KR 33/01 R - SozR 4-1500 § 54 Nr 1). Wäre - wie die Klägerin geltend macht - ein nach der Regelberechnung festgesetzter JAV in erheblichem Maße unbillig, wären die angefochtenen Verwaltungsakte aufzuheben und der beklagte Unfallversicherungsträger zu verpflichten, die Klägerin aufgrund erforderlicher Neufestsetzung des JAV nach pflichtgemäßem Ermessen hinsichtlich der Höhe der Rente neu zu bescheiden (vgl auch BSG vom 30.10.1991 - 2 RU 61/90 - Juris RdNr 19 = HV-Info 1992, 428).

16

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere Rente nach § 56 SGB VII. Vielmehr hat die Beklagte die Rente der Klägerin zu Recht nach einem JAV von 18.076,74 Euro berechnet und bewilligt. Insbesondere ist der der Berechnung der Rente zugrunde gelegte JAV nicht gemäß § 87 Satz 1 SGB VII in erheblichem Maße unbillig und deshalb neu festzusetzen.

17

Der JAV ist zunächst nach der Regelberechnung des § 82 Abs 1 SGB VII (1.) und - falls dies günstiger ist - nach § 84 Satz 1 SGB VII (2.) festzusetzen. Erst nach dieser Festsetzung ist in einem weiteren Schritt zu prüfen (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 15/02 R - SozR 4-2700 § 87 Nr 1 RdNr 11), ob der im Einzelfall berechnete JAV in erheblichem Maße unbillig ist (3.). Die maßgeblichen Bestimmungen zur Berechnung des JAV verletzen nicht die Grundrechte der Klägerin (4.).

18

1. Gemäß § 82 Abs 1 Satz 1 SGB VII ist der JAV der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte(§ 14 SGB IV) und Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Unter Arbeitsentgelt sind nach der Legaldefinition des § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung zu verstehen, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf diese besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Arbeitsentgelt sind mithin solche Einnahmen, die einem Versicherten in ursächlichem Zusammenhang mit einer Beschäftigung zufließen (vgl BSGE 60, 39, 40 = SozR 2200 § 571 Nr 25 S 58; BSG SozR 2100 § 14 Nr 19).

19

Da der Versicherungsfall der BK 2108 bei der Klägerin am 7.4.2001, also im Kalendermonat April 2001 eingetreten ist, sind für die Festsetzung des JAV nach § 82 Abs 1 Satz 1 SGB VII die zwölf Kalendermonate vor diesem Monat, also die Zeit vom 1.4.2000 bis 31.3.2001 maßgebend. In diesem Zeitraum hat die Klägerin (allein) Arbeitsentgelt in Höhe von 18.076,74 Euro brutto erzielt. Diesem Betrag entspricht der nach § 82 Abs 1 Satz 1 SGB VII festzusetzende JAV.

20

2. Nach § 84 Satz 1 SGB VII gilt bei Berufskrankheiten für die Berechnung des JAV als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der letzte Tag, an dem die Versicherten versicherte Tätigkeiten verrichtet haben, die ihrer Art nach geeignet waren, die Berufskrankheit zu verursachen, wenn diese Berechnung für die Versicherten günstiger ist als eine Berechnung auf der Grundlage des in § 9 Abs 5 SGB VII genannten Zeitpunktes. Dies gilt nach § 84 Satz 2 SGB VII ohne Rücksicht darauf, aus welchen Gründen die schädigende versicherte Tätigkeit aufgegeben worden ist.

21

Wie zwischen den Beteiligten unstreitig feststeht, ist die Klägerin tatsächlich bis zum 7.4.2001, dem Tag des Eintritts des Versicherungsfalls, als Krankenschwester tätig gewesen. Aufgrund dieses Umstands gilt (auch) für die Berechnung des JAV nach § 84 Satz 1 SGB VII der 7.4.2001 als Zeitpunkt des Versicherungsfalls. Nach § 84 Satz 1 SGB VII ergibt sich für die Berechnung des JAV also derselbe Zeitraum wie nach § 82 Abs 1 Satz 1 SGB VII, nämlich die Zeit vom 1.4.2000 bis 31.3.2001. Der JAV beträgt 18.076,74 Euro.

22

3. Der JAV ist im Fall der Klägerin nicht gemäß § 87 Satz 1 SGB VII nach billigem Ermessen der Beklagten im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst neu festzusetzen, denn die Voraussetzungen des Tatbestands der Vorschrift sind nicht erfüllt. Die Festsetzung des JAV nach der Regelberechnung (§ 82 SGB VII) oder nach der Vorschrift bei Berufskrankheiten (§ 84 SGB VII) ist nicht "in erheblichem Maße unbillig".

23

§ 87 Satz 1 SGB VII bestimmt, dass der JAV, wenn er nach der Regelberechnung, nach den Vorschriften bei Berufskrankheiten, den Vorschriften für Kinder oder nach der Regelung über den Mindestjahresarbeitsverdienst festgesetzt ist und in erheblichem Maße unbillig ist, nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festgesetzt wird. Hierbei werden nach § 87 Satz 2 SGB VII insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls berücksichtigt. Voraussetzung für die Anwendung des § 87 SGB VII ist, dass in einem ersten Schritt eine Festsetzung des JAV nach § 82 SGB VII (Regelberechnung), nach § 84 SGB VII (JAV bei Berufskrankheiten), nach § 85 SGB VII (Mindest-JAV) oder nach § 86 SGB VII (JAV für Kinder) erfolgt ist. Bei dieser Festsetzung des JAV muss es sich um die erstmalige handeln (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 15/02 R - SozR 4-2700 § 87 Nr 1 RdNr 9).

24

Ob der berechnete JAV in erheblichem Maße unbillig ist, kann das Gericht in vollem Umfang selbst überprüfen, denn es handelt sich um die Auslegung und Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Der Unfallversicherungsträger ist insoweit nicht befugt, nach seinem Ermessen zu entscheiden, da die erhebliche Unbilligkeit Tatbestandsmerkmal ist. Ihm steht in dieser Frage auch kein Beurteilungsspielraum zu (jew noch zur Vorgängerregelung § 577 RVO: BSG vom 3.12.2002 - B 2 U 23/02 R - SozR 3-2200 § 577 Nr 2; BSG vom 28.1.1993 - 2 RU 15/92 - HV-Info 1993, 972; BSG vom 30.10.1991 - 2 RU 61/90 - HV-Info 1992, 428; BSGE 73, 258, 260 = SozR 3-2200 § 577 Nr 1 S 3; BSG vom 24.4.1975 - 8 RU 36/74; BSGE 32, 169, 173 = SozR Nr 1 zu § 577 RVO; BSG SozR 2200 § 577 Nr 9). Die Vorschrift soll atypische Fallgestaltungen erfassen und - ausgerichtet ua am Lebensstandard des Versicherten - für diesen zu einem billigen Ergebnis führen. Ziel der Regelung ist es, den JAV als Grundlage der Rente so zu bemessen, dass der Lebensstandard gesichert wird, den der Versicherte zeitnah vor dem Versicherungsfall erreicht und auf den er sich eingerichtet hat. Die Anwendung des § 87 SGB VII kann deshalb im Einzelfall sowohl eine Erhöhung als auch eine Reduzierung des nach §§ 82 bis 86 SGB VII berechneten JAV bewirken( Schudmann in jurisPK-SGB VII, § 87 SGB VII RdNr 6).

25

§ 87 Satz 2 SGB VII nennt, ohne abschließend zu sein(s bereits zum früheren Recht BSG vom 26.6.1958 - BSGE 7, 269, 273; BT-Drucks 13/2204 S 96), Kriterien für die Beurteilung der Unbilligkeit. Bei der Überprüfung des JAV sind die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls zu berücksichtigen. In Bezug auf die erreichte "Lebensstellung" ist darauf abzustellen, welche Einkünfte die Einkommenssituation des Versicherten geprägt haben (Schudmann in jurisPK-SGB VII § 87 RdNr 18). In zeitlicher Hinsicht ist zu prüfen, welche Einkünfte der Versicherte innerhalb der Jahresfrist vor dem Versicherungsfall erzielt hat. Seine Einnahmen aus Erwerbstätigkeit im maßgeblichen Jahreszeitraum sind mit dem Ergebnis der gesetzlichen Berechnung zu vergleichen. Durch diesen Vergleich ergibt sich, ob der nach gesetzlichen Vorgaben festgesetzte Betrag des JAV außerhalb jeder Beziehung zu den Einnahmen steht, die für den Versicherten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls oder innerhalb der Jahresfrist vor diesem Zeitpunkt die finanzielle Lebensgrundlage gebildet haben (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 15/02 R - SozR 4-2700 § 87 Nr 1 RdNr 17; so auch BSG vom 28.4.1977 - 2 RU 39/75 - BSGE 44, 12 = SozR 2200 § 571 Nr 10). Die Festsetzung des JAV ist danach nicht in erheblichem Maße unbillig, wenn der nach den §§ 82 bis 86 SGB VII ermittelte JAV den Fähigkeiten, der Ausbildung, Lebensstellung und Tätigkeit der Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat des Versicherungsfalls entspricht(so das LSG im angefochtenen Urteil; ebenso LSG Berlin vom 9.8.2004 - L 16 U 79/03; Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 87 RdNr 6).

26

Bei der Klägerin ist im maßgeblichen Jahreszeitraum eine solche Änderung in der Beschäftigung, der ausgeübten Tätigkeit, dem Stand ihrer Aus- und Weiterbildung sowie dem die Lebensstellung prägenden Arbeitsentgelt nicht eingetreten. Daher ist der gesetzliche JAV nach dem erzielten Entgelt nicht unbillig.

27

Ungleichheiten zwischen tatsächlichem Einkommen und gesetzlich berechnetem JAV, wie sie sich auch aus Änderungen der Arbeitszeit und des -entgelts ergeben können, begründen eine Unbilligkeit des JAV in erheblichem Maße nur, wenn sie innerhalb der auch nach § 87 SGB VII maßgebenden Jahresfrist eingetreten sind. Ist es dagegen so, dass - wie hier - der Umfang der Tätigkeit und das Arbeitsentgelt innerhalb des Zeitraums, nach dem sich der JAV errechnet, unverändert geblieben sind, fehlt es an einer Unbilligkeit der Festsetzung des JAV.

28

Dies folgt aus Sinn und Zweck der §§ 82 f SGB VII. Die Regelungen zur Berechnung des JAV sollen eine einfache, schnell praktizierbare und nachvollziehbare Berechnung des JAV in der Verwaltungspraxis ermöglichen. Um dies zu erreichen, soll die Aufarbeitung einer langfristigen Erwerbsbiografie mit ggf schwierig zu ermittelnden Änderungen von Entgelt und/oder Einkommen gerade vermieden werden. Dieses Regelungskonzept kommt oftmals gerade den Versicherten zu Gute, insbesondere wenn sie zuletzt in ihrem Erwerbsleben eine vergleichsweise gute berufliche Position, einen hohen Ausbildungsstand und damit eine entsprechende Lebensstellung erreicht haben. Andererseits sieht das SGB VII aber gerade keine Verlängerung des maßgeblichen Jahreszeitraums vor, wenn die Arbeitszeit und das Arbeitsentgelt außerhalb der Jahresfrist reduziert wurden.

29

Der Gesetzgeber hat den Jahreszeitraum als Grundlage der Berechnung des JAV vielmehr bewusst gewählt, um eine zeitnahe Berechnungsgrundlage zu haben (BT-Drucks 13/2204, S 95; dazu auch Köllner in Lauterbach, Unfallversicherung SGB VII, Stand September 2007, § 82 RdNr 21; Schmitt, Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII, 4. Aufl § 82 RdNr 4). Nur wenn besondere Umstände vorliegen, die sich auf den maßgeblichen Zeitraum auswirken und die eine erhebliche Unbilligkeit der Regelberechnung begründen (unterwertige Beschäftigung; Verdienstausfall innerhalb der Jahresfrist zB durch unbezahlten Urlaub; dazu BSG 11.2.1981 - 2 RU 65/79 - BSGE 51, 178, 182), kann eine Korrektur des JAV über § 87 SGB VII angezeigt sein.

30

Welche Schwierigkeiten sich aus einer längere Zeiträume betrachtenden Prüfung ergeben würden, zeigt beispielhaft der vorliegende Fall. So soll nach Auffassung der Klägerin die Zeit der letzten Vollzeittätigkeit (1.4.1995 bis 21.7.1999) maßgeblich sein. Stattdessen hat das LSG auf das gesamte Erwerbsleben der Klägerin abgestellt, und gemeint, insoweit würde eine Vollzeitbeschäftigung der Klägerin nicht überwiegen (vgl auch BSG vom 29.10.1981 - 8/8a RU 68/80 - SozR 2200 § 577 Nr 9 S 12, 13). Beide Zeiträume sind aber als Vergleichsmaßstab ungeeignet, denn zu ermitteln ist der Jahres-Arbeitsverdienst.

31

Der Anwendung des Jahresprinzips für die Festsetzung des JAV ist auch die Rechtsprechung ganz überwiegend gefolgt. So hat es das LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 1.4.2003 - L 3 U 334/02) als rechtmäßig angesehen, den JAV im Rahmen des § 82 Abs 1 SGB VII nach dem Entgelt festzusetzen, das der Kläger aus einer Beschäftigung in (Alters-)Teilzeit erzielt hat. Für die Berechnung des JAV sei das tatsächlich erzielte Entgelt maßgebend und nicht das Entgelt, das er ohne eine Alters-Teilzeit-Vereinbarung erzielt hätte. Eine Entgeltlücke, die nach § 82 Abs 2 Satz 1 oder § 87 SGB VII aufzufüllen wäre, liege nicht vor. Allerdings sei eine Aufstockungsleistung des Arbeitgebers zu berücksichtigen, wenn sie innerhalb des Jahreszeitraums gezahlt worden sei.

32

Die Klägerin kann sich auch nicht auf die Entscheidung des BSG vom 29.10.1981 (8/8a RU 68/80 - SozR 2200 § 577 Nr 9) berufen. Das BSG hat in jenem Fall zwar einen unbilligen JAV angenommen. Ein LKW-Fahrer hatte dort seine frühere Erwerbstätigkeit nach einer Unterbrechung gerade innerhalb des Jahreszeitraums wieder aufgenommen und anschließend einen Versicherungsfall erlitten. Der JAV, der sich aus dem geringeren Einkommen errechnete, war nach billigem Ermessen neu festzusetzen.

33

Besondere, die Unbilligkeit begründende Umstände liegen im Fall der Klägerin nicht darin, dass sie ab 7.12.1999 in Erziehungsurlaub war und daneben eine Teilzeitbeschäftigung ausgeübt hat. Weder §§ 82 f SGB VII noch das BErzGG in der Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24.3.1997 (BGBl I 594), das zum 1.1.1998 in Kraft getreten ist, enthalten eine Regelung, nach der Sozialleistungen für Personen im arbeitsrechtlichen Erziehungsurlaub abweichend von den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zu berechnen wären.

34

Der Senat muss aus Anlass des vorliegenden Falls schließlich nicht entscheiden, ob eine Sozialleistung wie das Erziehungsgeld, das den Lebensstandard der Klägerin im Bezugszeitraum prägen kann, als Einkommen zugrunde zu legen ist, denn die Klägerin hat in dem hier maßgeblichen Jahreszeitraum kein Erziehungsgeld bezogen.

35

Der der Rentenberechnung zugrunde gelegte JAV ist mithin nicht in erheblichem Maße unbillig gemäß § 87 SGB VII.

36

4. Die für die Berechnung des JAV maßgeblichen Bestimmungen des SGB VII verletzen die Klägerin auch nicht in ihren Grundrechten.

37

a) Die Ausgestaltung der Regelungen über den Wert des Rechts auf Verletztenrente ohne besondere Berücksichtigung der Erziehung und Betreuung von Kindern verletzt nicht das Grundrecht aus Art 6 Abs 1 GG (vgl BVerfGE 87, 1 <35 ff>; 103, 242 <258 ff>; 109, 96 <125 f>). Zwar unterstellt Art 6 Abs 1 GG Ehe und Familie dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, verpflichtet den Staat jedoch nicht, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder die Familie ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange zu fördern.

38

Das Grundrecht garantiert in seiner hier nicht betroffenen abwehrrechtlichen Funktion die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des ehelichen und familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden. Deshalb hat der Staat die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich in ihrer jeweiligen eigenständigen und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren (vgl BVerfGE 99, 216, 231). Darüber hinausgehend lassen sich aus der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG ggf in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip keine konkreten Folgerungen dafür ableiten, wie in den einzelnen Rechtsgebieten und Teilsystemen ein Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist. Insoweit steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu (vgl BVerfGE 87, 1, 36 mwN), ohne dass aus dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen hergeleitet werden könnten (BVerfGE 107, 205, 213 mwN).

39

Mit der Gewährung von Erziehungsgeld und -urlaub sowie von Elterngeld und -zeit wird die Möglichkeit der Eigenbetreuung von Kindern bereits in beachtlichem Umfang gefördert. Zu einer weitergehenden Förderung der Kindesbetreuung innerhalb der Familie war der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht verpflichtet (zur Berücksichtigung von Erziehungsurlaub bei der Berechnung eines späteren Elterngelds BVerfG vom 6.6.2011 - 1 BvR 2712/09 - Juris RdNr 9; vgl auch BSG vom 17.2.2011 - B 10 EG 21/09 R; BVerfG 25.11.2004 - 1 BvR 2303/03 - BVerfGK 4, 215; BSG SozR 4-4300 § 124 Nr 1; BSG SozR 4-4300 § 147 Nr 3). Insbesondere ist zweifelhaft, ob das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV), dessen Versicherungsschutz ausschließlich aus Beiträgen der Arbeitgeber finanziert wird und das die zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers ersetzen soll, der geeignete Ort ist, die Schutzpflicht des Staates für die Familie einzufordern bzw zu verwirklichen. Die hier maßgeblichen Vorschriften über die Berechnung der Verletztenrente in der GUV, die einen besonderen Ausgleich für Zeiten des Erziehungsurlaubs nicht vorsehen, verletzen daher nicht das Grundrecht der Klägerin aus Art 6 Abs 1 GG.

40

b) Auch aus der Schutzpflicht des Staates für Mütter (Art 6 Abs 4 GG) können für Sachverhalte, die nicht allein Mütter betreffen, keine besonderen Rechte hergeleitet werden (vgl BVerfG 10.3.2010 - 1 BvL 11/07; BVerfG vom 12.3.1996 - 1 BvR 609/90 - BVerfGE 94, 241, 259 = SozR 3-2200 § 1255a Nr 5 S 13). Im vorliegenden Fall liegt kein Lebenssachverhalt vor, der hinsichtlich der Rechtsfolgen allein die Klägerin als Mutter betreffen kann. Vielmehr wäre ein Anspruch des Vaters des Kindes auf Verletztenrente nach denselben Grundsätzen zu beurteilen.

41

Aus Art 6 Abs 4 GG folgt - außer für die hier nicht fragliche Berücksichtigung von Mutterschutzzeiten - kein Schutzgebot, Personen, die Erziehungsurlaub genommen haben, hinsichtlich ihrer sozialrechtlichen Positionen so zu behandeln, wie ihre soziale Lebens- und Einkommenssituation vor der Geburt eines Kindes gewesen ist (vgl dazu BVerfG vom 28.3.2006 - 1 BvL 10/01 - BVerfGE 115, 259 = SozR 4-4300 § 123 Nr 3; BVerfG vom 11.3.2010 - 1 BvR 2909/08 - NZS 2010, 626) oder wie diese ohne den Erziehungsurlaub gewesen wäre. Erst recht ist der vollständige Ausgleich einer mit der Mutterschaft im weiteren Sinne zusammenhängenden, aber vor allem auf der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub beruhenden wirtschaftlichen Belastung durch Art 6 Abs 4 GG verfassungsrechtlich nicht geboten (vgl auch BVerfG vom 14.3.2011 - 1 BvL 13/07 - Juris RdNr 64).

42

c) Art 3 Abs 2 GG als spezieller Gleichheitssatz ist nicht berührt.

43

Zwar mögen mehr Frauen als Männer von dem nachteiligen Effekt der Berücksichtigung des Erziehungsurlaubs bei Bestimmung des nach §§ 82 Abs 1, 87 Satz 1 SGB VII zugrunde zulegenden Jahreszeitraums betroffen sein. Dies ist jedoch auf die verbreitete familiäre Rollenverteilung zurückzuführen, der das BErzGG und das BEEG gerade entgegenwirken wollen (vgl zum Elterngeld BT-Drucks 16/1889, S 15 f, 18, 23). Aufgrund der angegriffenen Regelung kann es für Eltern, die in den ersten Lebensjahren eine Betreuung ihrer Kinder innerhalb der Familie wünschen, attraktiv sein, dass auch der Vater mit der Wahrnehmung von Erziehungszeit die Kinderbetreuung zeitweilig übernimmt, damit die Mutter in den Beruf zurückkehren und Einkommen erwirtschaften kann, das dann bei der Berechnung einer Verletztenrente oder anderer Entgeltersatzleistungen herangezogen wird. Eine Regelung, die die Zeiten der Erziehung von Kindern ausblendet, könnte dagegen einen durch Art 3 Abs 2 GG gerade nicht gebotenen Anreiz für das längerfristige Ausscheiden eines Elternteils aus dem Berufsleben schaffen. Dass der Gesetzgeber, der gleichwohl auch längerfristige familienbedingte Auszeiten durch die Elternzeit ermöglicht, diese nicht auch finanziell über die Berechnung von Sozialleistungen fördert, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (zur Berücksichtigung von Erziehungsurlaub bei der Berechnung eines späteren Elterngelds: BVerfG vom 6.6.2011 - 1 BvR 2712/09 - Juris RdNr 5).

44

d) Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG) liegt, wie das LSG bereits zutreffend aufgezeigt hat, ebenfalls nicht vor.

45

aa) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber ist damit nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten abweichend behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (stRspr; vgl nur BVerfGE 117, 272, 300 f).

46

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich zwar umso engere Grenzen, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (BVerfGE 106, 166, 176; BVerfGE 111, 176, 184). Die Berücksichtigung von Erziehungszeiten bei sozialen Leistungen mag Einfluss darauf haben, wie Eltern ihre grundrechtlich verankerte Erziehungsverantwortung wahrnehmen und das Leben in der Familie gestalten. Die Grenzen des allgemeinen Gleichheitssatzes sind mit der in § 82 Abs 1 bzw in § 87 Satz 1 SGB VII gewählten Regelung jedoch nicht überschritten. Der dem Gesetzgeber im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit für die Abgrenzung der begünstigten Personengruppen grundsätzlich zukommende Gestaltungsspielraum (vgl BVerfGE 99, 165, 178; BVerfGE 106, 166, 175 f) besteht auch hinsichtlich der Ausgestaltung der Familienförderung (vgl BVerfGE 87, 1, 35 f; BVerfGE 103, 242, 260).

47

Die Grenzen dieses Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber gewahrt. Die Regelungen über den der Berechnung der Verletztenrente zugrunde liegenden Bemessungszeitraum sind - auch im Hinblick auf die mit der Verletztenrente verfolgten Zwecke - sachgerecht. Die Verletztenrente hat Einkommensersatzfunktion. Sie soll das Arbeitsentgelt oder -einkommen ersetzen, das ein erwerbsgeminderter Versicherter wegen des Versicherungsfalls nicht mehr erzielen kann (auch Entgeltausfallprinzip, vgl BVerfG vom 15.2.1993 - 1 BvR 1754/92 - Juris RdNr 7). Dies wird durch die §§ 82 f SGB VII erreicht. Zwar erwirtschaftet der betreuende Elternteil während des Erziehungsurlaubs, wenn er erwerbstätig ist, ein ersatzfähiges Einkommen. Dieses ist zwar nicht so hoch wie das durch eine Vollzeiterwerbstätigkeit erzielte Einkommen, das Entgelt aus einer Vollzeitbeschäftigung hat die Erwerbssituation der Familie aber in diesem zeitnah zum Versicherungsfall liegenden Zeitraum auch nicht geprägt. Mit Eintritt des Versicherungsfalls hat sich das Familieneinkommen deshalb nicht in dem Maße verschlechtert, in dem es sich verschlechtert hätte, wenn Entgelt aus einer Vollzeittätigkeit entfallen wäre (BVerfG vom 6.6.2011 - 1 BvR 2712/09 - Juris RdNr 8).

48

Art 3 Abs 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber auch nicht, die in der Gewährung von Erziehungsurlaub liegende familienpolitische Förderung auch in anderen Regelungszusammenhängen - hier bei der Gewährung sozialer Leistungen - uneingeschränkt zur Geltung zu bringen (vgl zur Berücksichtigung des Erziehungsurlaubs bei der Berechnung von Arbeitslosengeld: BVerfG vom 11.3.2010 - 1 BvR 2909/08 - NZS 2010, 626; BVerfG vom 25.11.2004 - 1 BvR 2303/03 - BVerfGK 4, 215, 218 f). Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, Zeiten, in denen der Bezieher von Verletztenrente aufgrund der Betreuung eines Kindes lediglich ein Entgelt aus Teilzeittätigkeit erwirtschaftet, bei der Berechnung von Verletztenrente über § 82 Abs 1 SGB VII oder § 87 Satz 1 SGB VII unberücksichtigt zu lassen oder gar von dem Entgelt einer Vollzeitbeschäftigung auszugehen.

49

bb) Schließlich liegt eine Ungleichbehandlung der Bezieher von Verletztenrente gegenüber den Beziehern anderer Sozialleistungen nicht vor. Der Gesetzgeber stellt vielmehr auch bei der Bemessung anderer Sozialleistungen auf vergleichsweise kurze Referenzzeiträume ab. Dies hat zur Folge, dass auch bei anderen Sozialleistungen mit Entgeltersatzfunktion Zeiten verminderten Einkommens in der Phase der Kindererziehung nicht ausgeglichen werden.

50

Bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes (Alg) sieht § 130 Abs 3 Nr 1 SGB III eine Erweiterung des Bemessungsrahmens auf zwei Jahre ausnahmsweise dann vor, wenn der im Regelbemessungsrahmen gemäß § 130 Abs 1 Satz 2 SGB III liegende Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält(zu den Motiven: BT-Drucks 15/1515 S 85 ). Daraus folgt in Verbindung mit dem in § 130 Abs 1 Satz 1 SGB III geregelten Grundsatz, wonach der Bemessungszeitraum nur von Entgeltabrechnungszeiträumen "im Bemessungsrahmen" (nach Satz 2 aaO das Jahr bis zum letzten Tag des Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs auf Alg gebildet werden kann, dass der Bemessung keine Zeiten mit Anspruch auf Arbeitsentgelt zugrunde gelegt werden können, die nicht wenigstens in einer Frist von zwei Jahren vor dem Versicherungsfall liegen(vgl zu der Berechnung nach Erziehungszeiten: BSG vom 29.5.2008 - B 11a/7a AL 64/06 R - Juris RdNr 25 f; zur Vereinbarung mit dem GG: BVerfG vom 25.11.2004 - 1 BvR 2303/03).

51

Das Krankengeld (Krg) wird nach dem Regelentgelt bemessen. Das ist das Entgelt, das während des letzten, mindestens vier Wochen umfassenden, vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegenden Entgeltabrechnungszeitraums erzielt worden ist (§ 47 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 1 SGB V). Der Anspruch auf Krg ruht allerdings, solange Versicherte Elternzeit nach dem BEEG in Anspruch nehmen (§ 49 Abs 1 Nr 2 SGB V), es sei denn, das Krg ist aus einem Entgelt zu berechnen, das aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung während der Elternzeit erzielt worden ist. Auch hier ist also nur das Entgelt zu ersetzen, das während der Elternzeit tatsächlich erzielt worden ist.

52

Für die Berechnung des Elterngeldes regelt § 2 BEEG, dass dieses in Höhe von 67 vH des in den zwölf Kalendermonaten vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 € monatlich für zwölf, beziehungsweise vierzehn Monate gezahlt wird, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Gemäß § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG bleiben bei der Bestimmung der zwölf für die Einkommensermittlung vor der Geburt des Kindes zugrunde zu legenden Monate jene Kalendermonate unberücksichtigt, während denen Elterngeld für ein älteres Kind oder Mutterschaftsgeld nach der RVO oder dem Gesetz über die Krankenversicherung für Landwirte bezogen wurde. Unberücksichtigt bleiben auch Monate, in denen wegen einer maßgeblich auf die Schwangerschaft zurückzuführenden Krankheit Einkommen aus Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise weggefallen ist. Einbezogen werden dagegen Monate, in denen der berechtigte Elternteil Elternzeit ohne den Bezug von Elterngeld wahrgenommen hat.

53

Gegenüber den hier dargestellten Entgeltersatzleistungen hat die Verletztenrente zwar eher den Charakter einer auf Dauer angelegten Leistung. Sie wird gezahlt, wenn und solange die Erwerbsfähigkeit über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus gemindert ist (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Bis zu drei Jahre lang kann die Rente als vorläufige Entschädigung festgesetzt werden (§ 62 Abs 1 Satz 1, Abs 2 SGB VII). Nach dieser Zeit sind Änderungen nur nach Maßgabe der §§ 73 SGB VII, 48 SGB X möglich. Ist eine MdE auf Dauer eingetreten, die eine Besserung nicht erwarten lässt, ist die Verletztenrente auf Dauer zu leisten. Die Rente unterscheidet sich insofern vom Alg, dessen Anspruchsdauer auf sechs bis höchstens 24 Monate begrenzt ist (§ 127 SGB III), und vom Krg, das für dieselbe Erkrankung auf 78 Wochen in drei Jahren begrenzt ist (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB V). Der Charakter der Verletztenrente als einer eher auf Dauer angelegten Leistung vermag den Gesetzgeber aber nicht zu verpflichten, für die Bemessung einer solchen Leistung zwingend einen längeren Bemessungszeitraum als ein Jahr zugrunde zu legen. Vielmehr ist der Gesetzgeber nur gehalten, ein sachgerechtes Konzept für die Bemessung der Leistung zu wählen und von diesem dann nicht aus sachlich nicht zu rechtfertigenden Gründen abzuweichen. Das ist hier nicht geschehen.

54

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Der Jahresarbeitsverdienst ist der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 des Vierten Buches) und Arbeitseinkommen (§ 15 des Vierten Buches) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Zum Arbeitsentgelt nach Satz 1 gehört auch das Arbeitsentgelt, auf das ein nach den zwölf Kalendermonaten abgeschlossener Tarifvertrag dem Versicherten rückwirkend einen Anspruch einräumt.

(2) Für Zeiten, in denen der Versicherte in dem in Absatz 1 Satz 1 genannten Zeitraum kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat, wird das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das seinem durchschnittlichen Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen in den mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen belegten Zeiten dieses Zeitraums entspricht. Erleidet jemand, der als Soldat auf Zeit, als Wehr- oder Zivildienstleistender oder als Entwicklungshelfer, beim besonderen Einsatz des Zivilschutzes oder bei einem Dienst nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz oder dem Bundesfreiwilligendienstgesetz tätig wird, einen Versicherungsfall, wird als Jahresarbeitsverdienst das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das er durch eine Tätigkeit erzielt hätte, die der letzten Tätigkeit vor den genannten Zeiten entspricht, wenn es für ihn günstiger ist. Ereignet sich der Versicherungsfall innerhalb eines Jahres seit Beendigung einer Berufsausbildung, bleibt das während der Berufsausbildung erzielte Arbeitsentgelt außer Betracht, wenn es für den Versicherten günstiger ist.

(3) Arbeitsentgelt und Ausbildungsbeihilfe nach den §§ 43 und 44 des Strafvollzugsgesetzes gelten nicht als Arbeitsentgelt im Sinne der Absätze 1 und 2.

(4) Erleidet jemand, dem sonst Unfallfürsorge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gewährleistet ist, einen Versicherungsfall, für den ihm Unfallfürsorge nicht zusteht, gilt als Jahresarbeitsverdienst der Jahresbetrag der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge, die der Berechnung eines Unfallruhegehalts zugrunde zu legen wären. Für Berufssoldaten gilt dies entsprechend.

(1) Verletztengeld wird erbracht, wenn Versicherte

1.
infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können und
2.
unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Heilbehandlung Anspruch auf Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, Krankengeld, Pflegeunterstützungsgeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, nicht nur darlehensweise gewährtes Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches oder nicht nur Leistungen für Erstausstattungen für Bekleidung bei Schwangerschaft und Geburt nach dem Zweiten Buch oder Mutterschaftsgeld hatten.

(2) Verletztengeld wird auch erbracht, wenn

1.
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich sind,
2.
diese Maßnahmen sich aus Gründen, die die Versicherten nicht zu vertreten haben, nicht unmittelbar an die Heilbehandlung anschließen,
3.
die Versicherten ihre bisherige berufliche Tätigkeit nicht wieder aufnehmen können oder ihnen eine andere zumutbare Tätigkeit nicht vermittelt werden kann oder sie diese aus wichtigem Grund nicht ausüben können und
4.
die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 2 erfüllt sind.
Das Verletztengeld wird bis zum Beginn der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für die Zeit bis zum Beginn und während der Durchführung einer Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung.

(3) Werden in einer Einrichtung Maßnahmen der Heilbehandlung und gleichzeitig Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für Versicherte erbracht, erhalten Versicherte Verletztengeld, wenn sie arbeitsunfähig sind oder wegen der Maßnahmen eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können und die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 2 erfüllt sind.

(4) Im Fall der Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines durch einen Versicherungsfall verletzten Kindes gilt § 45 des Fünften Buches entsprechend mit der Maßgabe, dass

1.
das Verletztengeld 100 Prozent des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts beträgt und
2.
das Arbeitsentgelt bis zu einem Betrag in Höhe des 450. Teils des Höchstjahresarbeitsverdienstes zu berücksichtigen ist.
Erfolgt die Berechnung des Verletztengeldes aus Arbeitseinkommen, beträgt dies 80 Prozent des erzielten regelmäßigen Arbeitseinkommens bis zu einem Betrag in Höhe des 450. Teils des Höchstjahresarbeitsverdienstes.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

Ist ein nach der Regelberechnung, nach den Vorschriften bei Berufskrankheiten oder nach der Regelung über den Mindestjahresarbeitsverdienst festgesetzter Jahresarbeitsverdienst in erheblichem Maße unbillig, wird er nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festgesetzt. Hierbei werden insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls berücksichtigt.

Können Versicherte mit Anspruch auf eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 vom Hundert oder mehr oder auf mehrere Renten, deren Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 50 erreichen (Schwerverletzte), infolge des Versicherungsfalls einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen und haben sie keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, erhöht sich die Rente um 10 vom Hundert.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 31. März 2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Urteil des Sozialgerichts auch den Beitragsbescheid vom 28. Juli 2009 aufgehoben hat.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.

Der Streitwert wird für jede Instanz auf 454,28 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger vom 1.1.2008 bis zum 30.11.2008 bei der beklagten BG freiwillig versichert war, sie ihn zu Recht zu der entsprechenden Gefahrklasse veranlagte und Beiträge für diese Zeit festsetzte.

2

Der Kläger war, wie etwa 251.000 andere Kleinunternehmer im Gaststätten- und Nahrungsmittelbereich aufgrund einer Satzung der Beklagten, die auf § 3 Abs 1 Nr 1 SGB VII gestützt war, pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Im Jahr 2007 beschloss die Beklagte eine Satzungsänderung, durch welche für diese Unternehmer die Pflichtversicherung kraft Satzung mit Ende des Jahres 2007 entfiel. Zugleich wurde in § 50 Abs 2 der Satzung eine Regelung getroffen, nach der die Mitgliedschaft ohne Antrag als freiwillige Versicherung ab dem 1.1.2008 fortbestehe, falls die davon unterrichteten Betroffenen nicht zuvor kündigten. Der Übergang zur freiwilligen Versicherung, über den im Oktober 2007 unterrichtet wurde, führte häufig zu einer höheren Beitragsbelastung.

3

Der Kläger betrieb seit August 1999 eine Gaststätte in dem Sportheim des FC C. e.V. Der Ausschank erfolgte bei Heimspielen wöchentlich für die Dauer von fünf bis sechs Stunden. Bis zum 31.12.2007 war der Kläger als Unternehmer in der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) bei der BGN kraft Satzung pflichtversichert. Als Jahresbeitrag wurde der Mindestbeitrag in Höhe von zuletzt 50 € erhoben. Mit Schreiben vom 10.10.2007 teilte ihm die BG mit, seine kraft Satzung bestehende Pflichtversicherung werde zum 31.12.2007 enden. Alle Unternehmer, die zum 31.12.2007 bei der BGN pflichtversichert seien, blieben aber weiter versichert, wenn sie dies wünschten. Ihre Pflichtversicherung laufe automatisch als freiwillige Versicherung weiter, ohne dass ein Antrag nötig sei. Sofern der Kläger keine Fortführung des Versicherungsschutzes als freiwillige Versicherung wünsche, "genüge ein kurzes Schreiben". Bei Eingang einer Kündigung bei der BGN bis zum 31.12.2007 ende die Versicherung. Bei Kündigungen nach dem 1.1.2008 ende die eingetretene freiwillige Versicherung mit Ablauf des Monats des Kündigungseingangs. Für alle freiwillig Versicherten gelte einheitlich eine Mindestversicherungssumme von 24.000 € und eine Gefahrklasse von 5,2. Beigefügt war auch ein Antragsformular auf freiwillige Versicherung. Der Kläger reagierte auf dieses Schreiben nicht.

4

Mit Bescheid vom 22.10.2008, der in drei Abschnitte gegliedert war, erhielt der Kläger einen "Versicherungsschein über die freiwillige Versicherung nach § 6 SGB VII i.V.m. der Satzung" ab dem 1.1.2008, einen "Bescheid über die Veranlagung zu den Gefahrklassen (§ 159 SGB VII)" mit Veranlagung unter dem Gewerbezweig freiwillige Versicherung zur Gefahrklasse 5,2 sowie einen "Vorauszahlungsbescheid" für das laufende Jahr über 531,65 €. Im Abschnitt "Versicherungsschein" ist ausgeführt, die satzungsmäßige Pflichtversicherung des Klägers sei zum 1.1.2008 in eine freiwillige Versicherung überführt worden, die Versicherungssumme betrage 24.000 €.

5

Der Kläger legte mit Schreiben vom 17.11.2008 Widerspruch ein. Mit der Überführung in eine freiwillige Versicherung erkläre er sich nicht einverstanden. Er sehe nicht ein, dass der Beitrag nahezu auf das elffache des bisherigen Beitrags festgesetzt worden sei. Die Beklagte wertete den Widerspruch als Kündigung der freiwilligen Versicherung zum 30.11.2008. Mit Bescheid vom 28.7.2009 setzte sie den Beitrag für die Zeit vom 1.1. bis 30.11.2008 auf 454,28 € fest.

6

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 30.9.2009). Die Überführung in die freiwillige Versicherung beruhe auf § 50 Abs 2 der Satzung idF des 9. Nachtrags vom 28.6.2007. Die Regelung diene dem Schutz der Unternehmer, die evtl auf die Fortdauer des Versicherungsschutzes vertrauten. Die vom Bundesversicherungsamt genehmigte Satzung sei rechtswirksam. Die Veranlagung sei nach dem seit 1.1.2008 gültigen Gefahrtarif mit Gefahrklasse 5,2 erfolgt. Der Beitrag sei im Bescheid vom 28.7.2009 zutreffend berechnet worden.

7

Dagegen hat der Kläger beim SG Aachen Klage erhoben. Eine freiwillige Versicherung komme nicht durch Schweigen eines Versicherten zustande. Die späte Übersendung des Versicherungsscheines im Oktober 2008 deute darauf hin, dass man die Adressaten bewusst habe in die Irre leiten wollen. Mit Urteil vom 31.3.2010 hat das SG den Bescheid vom 22.10.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.9.2009 aufgehoben. Die Bescheide seien rechtswidrig, da keine freiwillige Unternehmerversicherung zustande gekommen sei. Es fehle der erforderliche Antrag des Unternehmers auf Abschluss einer freiwilligen Unternehmerversicherung, so dass auch Beiträge zu Unrecht erhoben worden seien. § 50 der Satzung sei nach dem Gesamtzusammenhang so auszulegen, dass ein Antrag erforderlich sei. Eine andere Auslegung von § 50 Abs 2 der Satzung - im Sinne einer Überführung ohne Antrag - verstoße gegen § 6 Abs 1 SGB VII als höherrangiges Recht und könne keine rechtswirksame Grundlage für Erteilung eines Versicherungsscheines und die Erhebung von Beiträgen sein. Die Beklagte hat beim SG Antrag auf Zulassung der Sprungrevision gestellt. Sie hat das Schreiben des Klägerbevollmächtigten beigefügt, mit dem dieser mitgeteilt hat, dass er "die Zustimmung zum beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Revision" erteile. Das SG hat die Sprungrevision zugelassen.

8

Die Beklagte hat die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 50 Abs 2 Satz 1 ihrer Satzung sowie der §§ 6, 3 und 213 SGB VII. § 50 Abs 2 Satz 1 der Satzung regle rechtswirksam, dass für den Fall der Überführung der zum 31.12.2007 pflichtversicherten Unternehmer in die freiwillige Versicherung ausnahmsweise kein Antrag erforderlich sei, so dass die Beitragspflicht des Klägers entstanden sei. Dass die Vorschrift einen Antrag nicht voraussetze, ergebe sich schon aus dem Begriff "Überführung" sowie aus der Entstehungsgeschichte und dem Willen des Normgebers. Die Satzungsregelung orientiere sich an dem Entwurf zur Neufassung von § 213 SGB VII(§ 213 SGB VII-E), die in dem Referentenentwurf des "Gesetzes zur Reform der Gesetzlichen Unfallversicherung (UVRG)" als Übergangsregelung erwogen worden sei. § 213 SGB VII idF des Referentenentwurfs habe gelautet: "Unternehmer und ihre Ehegatten oder Lebenspartner, die am 31.12.2008 nach § 3 Abs 1 Nr 1 in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung in Verbindung mit der Satzung des Unfallversicherungsträgers versichert waren, bleiben versichert. Die Versicherung wird als freiwillige Versicherung weitergeführt; eines Antrags nach § 6 Abs 1 bedarf es nicht. […]" Zudem habe die Beklagte bestehende Übergangsregelungen für vergleichbare Fälle berücksichtigt, wie § 1149 Abs 2 RVO und § 213 Abs 1 SGB VII. Die Regelung sei in enger Abstimmung mit dem BVA getroffen worden, das die Satzungsänderung genehmigt und in späteren Stellungnahmen als rechtmäßig bestätigt habe. § 50 Abs 2 Satz 1 SGB VII verstoße nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere sei ein Antrag nach § 6 SGB VII nur erforderlich, wenn ein bislang nicht Versicherter erstmals "in den Kreis der freiwillig Versicherten" eintrete. Die Beklagte sei auch durch § 3 Abs 1 Nr 1 SGB VII zu einer solchen Regelung ermächtigt. Der weitreichende Entscheidungsspielraum für die Regelung einer Pflichtversicherung von Unternehmern kraft Satzung erstrecke sich auf deren Abschaffung und ermächtige zu Übergangsregelungen.

9

Hilfsweise sei § 50 Abs 2 Satz 1 der Satzung im Falle seiner Rechtswidrigkeit entsprechend der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 4.12.2007 (B 2 U 36/06 R) aus "zwingenden Gründen" weiter anzuwenden.

10

Dass der Beitrag des Klägers zur freiwilligen Versicherung 2008 deutlich höher sei als der Beitrag zur Pflichtversicherung 2007, beruhe auf der vorherigen Sonderregelung des § 44 Abs 4 der Satzung idF des 8. Nachtrags und der geringen Arbeitsstundenzahl des Klägers.

11

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 31. März 2010 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

12

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

13

Die mit dem Übergang auf eine freiwillige Versicherung verbundene Erhöhung der Beiträge sei unverhältnismäßig.

14

Das BSG hat Anfragen zur Zahl der betroffenen Unternehmer und zur Gestaltung von Satzungsregelungen beim Übergang von der Satzungspflichtversicherung auf die freiwillige Versicherung bei anderen BGen an das Bundesversicherungsamt (BVA) und die Beklagte gerichtet. Das BVA hat mit Schreiben vom 22.2.2011, die Beklagten mit Schreiben vom 28.2.2011 geantwortet.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist nicht begründet.

16

A. Die Revision ist zulässig.

17

Die von der Beklagten eingelegte Sprungrevision (§ 161 Abs 1 Satz 1 SGG) ist zulässig, denn das SG hat diese durch gesonderten Beschluss vom 21.7.2010 zugelassen. Dem Antrag auf Zulassung der Sprungrevision hat die Beklagte die für die Zulassung erforderliche schriftliche Zustimmung des Klägers zur Einlegung der Sprungrevision im Original beigefügt (§ 161 Abs 1 Satz 3 SGG). Auch ergibt sich aus der Zustimmungserklärung des Klägerbevollmächtigten hinreichend deutlich, dass er nicht nur der Zulassung, sondern auch der Einlegung der Sprungrevision zugestimmt hat, was aufgrund der erheblichen Bedeutung für den Rechtsschutz des Revisionsgegners erforderlich ist (vgl BSG vom 6.11.2008 - B 1 KR 37/07 R - SozR 4-2500 § 44 Nr 15 RdNr 11; BSG vom 28.11.1990 - 4 RA 19/90 - SozR 3-2200 § 1304a Nr 1 S 3). Die Erklärung ist vom rechtskundigen Bevollmächtigten des Klägers in Kenntnis des vollständig zugestellten Urteils abgegeben worden. Sie umfasst auch die Zustimmung zur Einlegung der Revision durch die Beklagte (vgl zur Auslegung einer Erklärung nach Urteilszustellung ua BSG vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R - BSGE 99, 252, 253 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3, RdNr 9; BSG vom 17.5.2000 - B 3 P 8/99 R - SozR 3-3300 § 39 Nr 2 - Juris RdNr 14; BSG vom 22.4.1998 - B 9 SB 7/97 R - SozR 3-1500 § 161 Nr 13 - Juris RdNr 17). Auch im Übrigen ist die Revision zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

18

B. Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

19

Das SG hat zu Recht die angefochtenen Verwaltungsakte in dem Bescheid der Beklagten vom 22.10.2008 sowie in dem Bescheid vom 28.7.2009, diese jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.9.2009 aufgehoben. Die Beklagte war nicht ermächtigt, den bei ihr bis Ende 2007 kraft Satzung als Unternehmer pflichtversicherten Kläger ohne dessen Antrag ab 1.1.2008 als freiwilliges Mitglied zu versichern (1.). Die Beklagte war auch nicht ermächtigt, das Unternehmen zu veranlagen und den Kläger zur Zahlung von Beiträgen zu verpflichten (2.).

20

1. Das SG hat zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 22.10.2008 aufgehoben, soweit dieser die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten als freiwillig versicherter Unternehmer feststellt. Der "Versicherungsschein" in dem Bescheid ist als Feststellung des Beginns einer freiwilligen Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten zu verstehen (a). Dem Erlass eines solchen Verwaltungsakts stand nicht die Bestandskraft des Verwaltungsakts entgegen, mit dem die Beklagte festgestellt hatte, der Kläger sei pflichtversichertes Mitglied kraft Satzung (b). Der Verwaltungsakt über die freiwillige Mitgliedschaft des Klägers ist zwar formell rechtmäßig ergangen (c), er ist aber materiell rechtswidrig, da die Satzungsregelung, auf die die Beklagte den Verwaltungsakt gestützt hat, mit § 6 Abs 1 SGB VII nicht vereinbar ist (d).

21

a) Die Feststellung des Bestehens der freiwilligen Versicherung des Klägers in dem Versicherungsschein im Bescheid vom 22.10.2008 ist ein Verwaltungsakt.

22

Diese an den Kläger gerichtete behördliche Erklärung im sogenannten Versicherungsschein, dass seine satzungsmäßige Pflichtversicherung in eine freiwillige Versicherung mit Versicherungsbeginn ab dem 1.1.2008 und einer Versicherungssumme von 24.000 € überführt wurde, ist aus objektivem Empfängerhorizont unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auszulegen. Die Verwaltungserklärung ist so zu verstehen, dass sie dem Kläger gegenüber das Bestehen eines freiwilligen Versicherungsverhältnisses zwischen ihm und der Beklagten, also ein Rechtsverhältnis, feststellen und so eine Regelung (siehe § 31 SGB I) im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X treffen sollte(vgl § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII; dazu Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII § 136 Anm 3.1; Diel in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 136 RdNr 10). Denn ein Empfänger des Versicherungsscheins, der zuvor mit Schreiben der Beklagten vom 10.10.2007 über die Beendigung der Pflichtversicherung und die "Überführung" in die freiwillige Versicherung informiert worden war, musste davon ausgehen, dass der an ihn individuell gerichtete Versicherungsschein nach Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen durch die BG in seinem konkreten Einzelfall im Rahmen eines - vom Amts wegen eingeleiteten - Verwaltungsverfahren iS von § 8 SGB X erfolgt ist. Der Abschluss dieses Verfahrens durch ein (Bestätigungs-)Schreiben der BG, hier Versicherungsschein genannt, ist aus Sicht eines objektiven Empfängers die Feststellung des Versicherungsverhältnisses im konkreten Einzelfall und damit ein Verwaltungsakt (vgl Ricke in Kasseler Kommentar, Stand Oktober 2010, § 6 SGB VII RdNr 8; Wiester in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, Stand Dezember 2001, § 6 RdNr 48).

23

b) Dieser Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb rechtswidrig, weil ihm die Bindungswirkung des Verwaltungsakts entgegensteht, mit dem die Beklagte dem Kläger gegenüber die Pflichtmitgliedschaft kraft Satzung festgestellt hat.

24

Zwar hatte die Beklagte mit bestandskräftig gewordenem Verwaltungsakt vom 10.12.1999 dem Kläger gegenüber bindend festgestellt, sie sei der für dessen Unternehmen zuständige Unfallversicherungsträger; die Pflichtversicherung des Unternehmers und seiner mitarbeitenden Ehegattin kraft Satzung werde hiermit festgestellt. Die Beklagte hat diesen Verwaltungsakt aber seinerseits durch Verwaltungsakt aufgehoben (§ 48 SGB X), als sie dem Kläger gegenüber mit Schreiben vom 10.10.2007 über die anstehende Änderung seiner Versicherung informiert und unmittelbar im ersten Absatz dieses Schreibens erklärt hat: "Wir informieren Sie heute über die Änderung Ihres Versicherungsschutzes … zum 1.1.2008. Die kraft Satzung bestehende Pflichtversicherung für Unternehmer und ihre mittätigen Ehegatten wird zum 31.12.2007 aufgehoben."

25

Nach § 31 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (vgl BSG vom 24.11.2005 - B 12 KR 18/04 R - SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 16; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 31 RdNr 24 f). Die Regelung eines aufhebenden Verwaltungsakts iS von § 31 SGB X besteht darin, den früheren Verwaltungsakt aufzuheben.

26

Die Erklärung der Beklagten im Schreiben vom 10.10.2007 ist darauf gerichtet und vom Kläger so zu verstehen gewesen, dass die frühere Regelung einer Pflichtversicherung kraft Satzung, die im Verhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger noch Bestand hatte, zum 31.12.2007 beseitigt werde. Zwar hat die Beklagte den aufzuhebenden Verwaltungsakt nicht ausdrücklich genannt, sondern nur geregelt, dass seine Pflichtversicherung als Unternehmer und diejenige seiner Ehefrau zum 31.12.2007 enden werde. Die Erklärung vom 10.10.2007, die bestehende Pflichtversicherung kraft Satzung werde beendet, ist eine Regelung. Denn für den Adressaten ist erkennbar gewesen, dass die früher durch Verwaltungsakt festgestellte Pflichtversicherung kraft Satzung beseitigt werden soll. Der Inhalt der Regelung ist jedoch entgegen § 33 Abs 1 SGB X nicht hinreichend bestimmt. Denn aus dem og Verfügungssatz ergibt sich für den Adressaten nicht klar und eindeutig, was die Beklagte geregelt hat. Es ist nicht konkret bestimmt, welcher frühere Verwaltungsakt in welchem Umfang aufgehoben wird (vgl BSG vom 30.3.2004 - B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 14 mwN; von "Klarstellungsfunktion" spricht BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13). Die Regelung der Aufhebung ist mangels Nennung des aufzuhebenden Bescheids zwar rechtswidrig, sie ist aber nicht nichtig iS des § 40 SGB X und damit wirksam(§ 39 Abs 2, 3 SGB X). Da der aufhebende Verwaltungsakt nicht binnen Jahresfrist angefochten worden ist, ist er zudem bindend geworden.

27

c) Der angegriffene Verwaltungsakt (Versicherungsschein vom 22.10.2008) ist nicht formell rechtswidrig und nicht aufzuheben, obwohl eine Anhörung des Klägers unterblieben war, denn von dieser konnte abgesehen werden.

28

Insoweit ist schon umstritten, ob vor Erlass eines Verwaltungsakts über die Feststellung der Zuständigkeit (§ 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII) oder Bestätigung einer freiwilligen Versicherung der Unternehmer, dem gegenüber die Regelung getroffen wird, zuvor nach § 24 SGB X anzuhören ist(für das Erfordernis einer Anhörung: Diel in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 136 RdNr 16; Krasney in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, Stand April 2009, § 136 RdNr 10; gegen Anhörung: Ricke in Kasseler Kommentar, Stand Januar 2009, § 136 SGB VII RdNr 5). Ob vor Erlass eines auf § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII gestützten Verwaltungsakt eine Anhörung des Adressaten zu erfolgen hat, kann hier dahingestellt bleiben. Der Verwaltungsakt ist schon deshalb nicht rechtswidrig, da eine Anhörungspflicht vorliegend nach § 24 Abs 2 Nr 4 Alt 2 SGB X nicht bestanden hat. Nach dieser Vorschrift kann von der Anhörung angesehen werden, wenn gleichartige Verwaltungsakte in großer Zahl erlassen werden sollen. Dies ist hier der Fall, denn die Beklagte hat mitgeteilt, dass bei ihr Ende 2007 ca 251.000 Unternehmer kraft Satzung pflichtversichert waren, deren Versicherungsverhältnisse zum 1.1.2008 auf freiwillige Versicherungen überführt werden sollten. Die Beklagte hatte gegenüber einer Vielzahl von Adressaten zum 1.1.2008 Regelungen zu treffen, die nach Art, Form und Inhalt gleich waren. In dieser Situation konnte sie von einer Anhörung absehen (vgl zur Umsetzung einer Satzungsregelung auch BSG vom 7.11.1991 - 12 RK 37/90 - BSGE 70, 13, 14; Mutschler in Kasseler Kommentar, Stand April 2011, § 24 SGB X RdNr 28).

29

d) Der die freiwillige Versicherung des Klägers ab 1.1.2008 feststellende Verwaltungsakt ist rechtswidrig, denn entgegen der Feststellung ist keine freiwillige Versicherung des Klägers bei der Beklagten begründet worden. Die Satzungsregelung, auf die der Verwaltungsakt gestützt wurde, ist nicht mit höherrangigem Recht vereinbar und bietet deshalb keine materiell-rechtliche Grundlage für die getroffene Regelung.

30

aa) Die Beklagte kann sich für den Erlass eines Verwaltungsakts über die Feststellung einer freiwilligen Versicherung nach § 6 SGB VII auf die Ermächtigung des § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII stützen.

31

Ermächtigungsgrundlage für diese Feststellung ist § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII. Danach stellt der Unfallversicherungsträger Beginn und Ende seiner Zuständigkeit für ein Unternehmen durch schriftlichen Bescheid gegenüber dem Unternehmer fest(BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 3/07 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 4 RdNr 14). Die Vorschrift ermächtigt nicht nur zur Feststellung der sachlichen und örtlichen "Zuständigkeit", sondern auch dazu, einem Unternehmer gegenüber (irgend)ein Versicherungsverhältnis zwischen diesem und dem Träger festzustellen. Die Ermächtigung gilt auch dann, wenn die Feststellung erfolgt, ohne dass materiell-rechtlich die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Dann ist der Verwaltungsakt zwar rechtswidrig, aber wirksam (§ 39 Abs 1 bis 3 SGB X). Durch einen solchen materiell-rechtlich rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakt wird ggf ein sog Formalversicherungsverhältnis begründet. Die Beklagte hat sich somit auf eine vorhandene Ermächtigungsgrundlage gestützt, um den Beginn der von ihr angenommenen Zuständigkeit aufgrund einer freiwilligen Versicherung des Unternehmers festzustellen (sog Aufnahmebescheid, dazu Streubel in LPK-SGB VII, 3. Aufl 2011, § 136 RdNr 5; zur Bestätigung einer freiwilligen Versicherung vgl auch Ricke in Kasseler Kommentar, Stand Oktober 2010, § 6 SGB VII RdNr 8).

32

Der Verwaltungsakt ist aber rechtswidrig, da der Tatbestand des § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII nicht erfüllt ist, weil die Beklagte für den Kläger nicht zuständig war. Dies wäre sie nur gewesen, wenn ein freiwilliges Versicherungsverhältnis am 1.1.2008 entstanden wäre. Nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VII (bb) und auch nach § 50 Abs 2 Satz 1 der Satzung (cc) ist dies aber nicht der Fall.

33

bb) Zwar ist der Kläger Unternehmer iS des § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VII, da ihm das Ergebnis des Unternehmens - der Gaststätte - unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht(§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII); eine Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich (vgl auch BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - Juris RdNr 16 mwN). Eine freiwillige Versicherung gemäß § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VII oder § 50 Abs 1 der Satzung kann aber nur durch schriftlichen Antrag begründet werden. Da der Kläger keinen schriftlichen Antrag auf freiwillige Versicherung bei der Beklagten gestellt hat, sind die Voraussetzungen dieser Vorschriften nicht erfüllt.

34

cc) Die freiwillige Versicherung des Klägers bei der Beklagten wurde auch nicht nach § 50 Abs 2 Satz 1 der Satzung der Beklagten begründet.

35

Zwar sieht diese Satzungsregelung vor, dass die Versicherung der Unternehmer, die bis 31.12.2007 kraft Satzung pflichtversichert waren, ohne Antrag als freiwillige Versicherung fortbesteht, wenn der Unternehmer nicht bis 31.12.2007 widerspricht oder kündigt.

36

Die Regelung des angegriffenen Verwaltungsakts entspricht inhaltlich der Satzungsregelung, ist also satzungskonform. Der Verwaltungsakt ist dennoch rechtswidrig, weil die Satzungsregelung, auf die er gestützt worden ist, unwirksam ist. Die Beklagte hatte für eine solche Satzungsregelung keine "Satzungskompetenz". Es gehörte nicht zu ihren gesetzlichen Aufgaben, eine freiwillige Versicherung ohne Antrag oder einen "Mischtyp" aus Pflichtversicherung kraft Satzung und freiwilliger Versicherung zu schaffen.

37

Über den allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes hinaus hat der Gesetzgeber in § 31 SGB I bestimmt, dass in den Sozialleistungsbereichen des SGB I einschließlich der GUV(vgl § 22 SGB I) Rechte und Pflichten nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden dürfen, soweit es ein Gesetz vorschreibt oder zulässt. Ohne Ermächtigung durch Parlamentsgesetz ist dem Sozialversicherungsträger die Regelung von Rechten oder Pflichten des Bürgers verwehrt. Insoweit bedürfen untergesetzliche Normen wie Satzungen einer Inhalt und Umfang bestimmenden Ermächtigungsgrundlage in einem formellen Gesetz (vgl Rüfner in Wannagat, SGB I, Stand Juli 2000, § 31 RdNr 7; Klose in Jahn, SGB I, Stand Februar 2011, § 31 RdNr 11 f; Seewald in Kasseler Kommentar, September 2007, § 31 SGB I RdNr 8 und 13). Die Unfallversicherungsträger als Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechts gemäß § 29 SGB IV, denen das GG keine Aufgaben mittels Generalklausel zuweist(anders Art 28 Abs 2 GG für örtliche Angelegenheiten der Gemeinden, Allzuständigkeit), haben nur Satzungs- und Regelungskompetenz mit Wirkung gegenüber dem Bürger, wenn und soweit ihnen Aufgaben ausdrücklich vom Gesetzgeber übertragen worden sind (vgl Schlegel in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts - UV-Recht , 1996, § 19 RdNr 5; Steinbach in Hauck/Noftz, SGB IV, K § 34 RdNr 5; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl 2011, § 23 RdNr 42).

38

Zwar sind Satzungen der Berufsgenossenschaften autonomes Recht (§ 34 SGB IV), wobei der Grund für die Übertragung dieser Regelungsgegenstände auf die Selbstverwaltung in ihrer besonderen Sachkunde und Sachnähe zu sehen ist (vgl BSG vom 16.11.2005 - B 2 U 15/04 R - Juris RdNr 17). Von den Gerichten ist daher nicht zu entscheiden, ob die Vertreterversammlung im gesetzlichen Rahmen die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Satzungsregelung beschlossen hat (vgl BSG vom 16.11.2005 - B 2 U 15/04 R - Juris RdNr 18 mwN). Die Satzungsregelungen unterliegen aber der gerichtlichen Nachprüfung im Hinblick darauf, ob sie mit der Ermächtigungsnorm und sonstigem höherrangigem Recht vereinbar sind (vgl aaO). Für die Regelung in § 50 Abs 2 Satz 1 der Satzung, die eine freiwillige Versicherung bislang pflichtversicherter Unternehmer ohne schriftlichen Antrag zum 1.1.2008 begründet, fehlt der Beklagten eine Satzungskompetenz.

39

aaa) Eine Ermächtigung, die freiwillige Versicherung kraft Satzung zu regeln, besteht nicht.

40

§ 34 Abs 1 Satz 1 SGB IV räumt der Beklagten zwar Satzungsautonomie ein, die Vorschrift bietet aber keine Ermächtigungsgrundlage für die getroffene Satzungsregelung. Die Satzungsregelungen der Versicherungsträger unterliegen trotz der durch § 34 Abs 1 Satz 1 SGB IV eingeräumten Kompetenz, Angelegenheiten durch Satzung zu regeln, gemäß Art 20 Abs 3 GG dem Vorrang des Gesetzes und allen grund- und parlamentsgesetzlichen Gesetzesvorbehalten(vgl Schneider-Danwitz, jurisPK-SGB IV, § 34 RdNr 43, 46). Die Inhalte der Satzungen sollen für die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung unterschiedlich ausgestaltet werden. Deshalb finden sich die entsprechenden Ermächtigungen zu inhaltlichen Regelungen in den besonderen Vorschriften des SGB, hier im SGB VII. Aus der grundsätzlich eingeräumten Satzungsautonomie lässt sich deshalb keine Ermächtigung zu konkreten inhaltlichen Bestimmungen herleiten. Vielmehr dürfen die Versicherungsträger auch "Geschäfte" wie den Erlass einer Satzung nur zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben führen (§ 30 Abs 1 SGB IV).

41

bbb) Der Gesetzgeber hat den nicht in der GUV pflichtversicherten Personen, die von § 6 SGB VII erfasst werden, ein subjektiv-öffentliches Gestaltungsrecht zur Begründung einer freiwilligen Versicherung eingeräumt, sofern sie die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Er hat darin die Unfallversicherungsträger aber nicht ermächtigt, in ihrer Satzung eine "freiwillige Versicherung" unabhängig von den Voraussetzungen des § 6 Abs 1 SGB VII zu schaffen, insbesondere unter "Verzicht" auf einen schriftlichen Antrag. Da § 6 SGB VII keine ausdrückliche Zuweisung einer Satzungskompetenz enthält, umfasst die (allgemeine) Kompetenz der Beklagten insoweit nur Regelungen über ein durch Antrag entstandenes freiwilliges Versicherungsverhältnis.

42

Dass § 6 SGB VII als Tatbestandsvoraussetzung für eine freiwillige Versicherung immer einen schriftlichen Antrag erfordert, folgt aus dem Gesetzeswortlaut und wird durch die Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt. Bereits zu den Vorgängerregelungen des § 6 SGB VII, nach der sich Unternehmer versichern(so § 539 RVO idF des 6. UVÄndG vom 9.3.1942 - RGBl I 107) oder freiwillig der Unfallversicherung beitreten konnten (so § 545 Abs 1 RVO idF des UVNG vom 30.4.1963 - BGBl I 241), hat das BSG ausgeführt, dass es zur Begründung der freiwilligen Versicherung eines Antrags, also einer auf die Begründung des Versicherungsverhältnisses gerichteten Willenserklärung des Unternehmers, bedarf (vgl BSG vom 25.8.1965 - 2 RU 167/62 - BSGE 23, 248, 251; BSG vom 22.9.1988 - 2/9b RU 36/87 - BSGE 64, 89, 91 - Juris RdNr 20). Dieses Antragserfordernis hat der Gesetzgeber (vgl Art 1 des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch vom 7.8.1996, BGBl I 1254) ausdrücklich in den Wortlaut von § 6 SGB VII, der als Nachfolgeregelung im Wesentlichen § 545 Abs 1 Satz 1 RVO entsprechen soll(vgl BT-Drucks 13/2204 S 77 zu § 6), aufgenommen und zudem Schriftform vorgeschrieben.

43

§ 50 Abs 2 Satz 1 der Satzung kann also nicht auf § 6 SGB VII gestützt werden.

44

ccc) Auch aus § 3 Abs 1 Nr 1 SGB VII ergibt sich eine Ermächtigung zu einer Satzungsnorm, wie sie § 50 Abs 2 Satz 1 der Satzung der Beklagten enthält, nicht.

45

Die Vorschrift ermächtigt die Beklagte, als Satzungsgeberin zu regeln, ob und unter welchen Voraussetzungen sich die Pflichtversicherung in der GUV auf Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner erstreckt (vgl BT-Drucks 13/2204 S 76 zu § 3). Miterfasst ist die Ermächtigung, mit Wirkung für die Zukunft zu bestimmen, dass eine bisher geltende Pflichtversicherung kraft Satzung endet, sich also nicht mehr auf den bisher versicherten Personenkreis erstreckt. Die Beklagte kann durch Satzung auch bestimmte Voraussetzungen für die Pflichtversicherung festlegen. Nach dieser Vorschrift ist die Beklagte ermächtigt gewesen, Satzungsregelungen wie §§ 43 bis 48 ihrer Satzung idF vom 15.9.2006 zu erlassen, die die Pflichtversicherung von Unternehmern mit Wirkung zum 1.1.2008 beenden.

46

Soweit § 50 Abs 2 Satz 1 der Satzung zum 1.1.2008 für ehemals kraft Satzung pflichtversicherte Unternehmer anordnet, dass die Versicherung unter bestimmten Voraussetzungen als eine freiwillige fortbesteht, liegt darin gerade keine Bestimmung über das "Ob" oder "Wie" einer Pflichtversicherung kraft Satzung im Sinne von § 3 Abs 1 Nr 1 SGB VII. Die freiwillige Versicherung nach dem SGB VII ist nicht eine "Art" der Versicherung über die die Beklagte gemäß § 3 SGB VII kraft Satzung Regelungen treffen kann. Vielmehr sind die gesetzlichen Vorgaben beider Arten von Versicherungen hinsichtlich des betroffenen Personenkreises und des Beginns der Versicherung unterschiedlich ausgestaltet. § 3 SGB VII enthält keine (stillschweigende) gesetzliche Ermächtigung für die Schaffung einer freiwilligen Versicherung durch Satzung in Abweichung oder neben dem vom Gesetz ausgestalteten Institut der freiwilligen Versicherung gemäß § 6 SGB VII.

47

ddd) § 3 SGB VII verschafft der Beklagten auch keine Satzungsermächtigung, eine der getroffenen Regelung entsprechende "Übergangsregelung" im Zusammenhang mit der Beendigung der Pflichtversicherung kraft Satzung zu treffen.

48

Zunächst hat der Gesetzgeber selbst in § 213 SGB VII für bestimmte Unternehmer und ihre Ehegatten eine Übergangsregelung als eine von § 6 Abs 1 SGB VII abweichende Sonderregelung zum Entstehen und Beginn einer freiwilligen Versicherung geschaffen. Eine Satzungskompetenz hat er dafür den Unfallversicherungsträgern aber gerade nicht eingeräumt. Aus "eigenem Recht" können diese eine solche Übergangsregelung nicht schaffen, da eine solche Satzungskompetenz den Trägern der GUV nicht durch Gesetz übertragen worden ist. § 213 SGB VII ist ua schon mangels Regelungslücke im SGB VII auch nicht im Wege der Analogie auf die untergesetzliche Ebene der Satzungsregelungen zu übertragen, weil jede Satzungskompetenz gerade eine parlamentsgesetzliche Zuweisung von Normsetzungsmacht voraussetzt.

49

§ 3 SGB VII weist der Beklagten nur die Befugnis zu, für die Pflichtversicherung kraft Satzung Regelungen zu treffen. Die Anordnung der Fortsetzung der Versicherung als freiwillige ist aber keine Regelung mehr, die sich innerhalb der Kompetenz zur Regelung von Satzungspflichtversicherungen hält, sondern geht darüber hinaus. Wie die Beklagte gezeigt hat, hat der Gesetzgeber erwogen, den Trägern der GUV eine entsprechende Satzungskompetenz zu übertragen. An diesem Gesetzentwurf hat sich die Beklagte auch orientiert. Allerdings hat - aus welchen Gründen ist weder bekannt noch erheblich - der Gesetzgeber keinen Gesetzesbeschluss gefasst, der der Beklagten die Kompetenz zur Regelung solcher "Übergänge" eingeräumt hat.

50

§ 3 SGB VII ermächtigt die Beklagte schließlich nicht dazu, einen Mischtyp von Versicherungen zu schaffen, sozusagen eine Beendigung der Pflichtversicherung kraft Satzung unter der Bedingung der Fortführung als freiwillige Versicherung oder eine Pflichtversicherung kraft Satzung mit den Kündigungsrechten einer freiwilligen Versicherung. Das SGB VII kennt solche Mischformen nicht. § 3 SGB VII ermöglicht die Begründung einer Pflichtversicherung nur für Personengruppen, die ähnlich wie die in § 2 SGB VII genannten Gruppen des Schutzes der GUV bedürfen. Es wäre in sich widersprüchlich, eine Personengruppe nach Maßgabe des § 3 SGB VII aufgrund einer Satzung in die Versicherungspflicht einzubeziehen, da sie des Schutzes der GUV bedürfe, ihr aber zugleich die Entscheidung zu eröffnen, der Einbeziehung in die Versicherung widersprechen oder sie kündigen zu können.

51

Wegen Verstoßes gegen § 6 Abs 1 SGB VII ist § 50 Abs 2 Satz 1 der Satzung der Beklagten nichtig, der darauf gestützte Verwaltungsakt rechtswidrig, da er ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII in den Rechtskreis des Klägers eingreift.

52

dd) Eine "weitere Anwendung" der mit dem SGB VII nicht vereinbaren Satzungsregelung für eine Übergangszeit, ist nicht erlaubt. Ein extremer Ausnahmefall, in dem anderes gelten könnte, liegt nicht vor. Insbesondere geht es nicht darum, eine durch die Nichtanwendung drohende Situation abzuwenden, die noch weiter von den gesetzlichen oder verfassungsrechtlichen Vorgaben entfernt wäre als die durch eine Anwendung der nichtigen Satzungsnorm entstehende, sondern nur um die Frage, ob zu einem bestimmten Zeitpunkt eine freiwillige Versicherung begründet worden ist.

53

Grundsätzlich sind Satzungsregelungen, wie hier § 50 Abs 2 Satz 1 der Satzung der Beklagten, bei einem Verstoß gegen höherrangiges Recht nichtig(vgl BSG vom 4.12.2007 - B 2 U 36/06 R - SozR 4-2700 § 182 Nr 3 RdNr 19). Normen, die gegen höhere Normen verstoßen, dürfen grundsätzlich nicht angewendet werden, da Verwaltung und Gerichte nach Art 20 Abs 3 GG an Gesetz und Recht gebunden und deshalb gehalten sind, gesetzeswidrige Handlungen zu unterlassen (vgl BVerfG vom 3.11.1982 - 1 BvR 620/78 - BVerfGE 61, 319-357 - Juris RdNr 101 mwN).

54

Zwar hat der Senat mehrfach entschieden, dass Satzungsregelungen, die im Falle des Verstoßes gegen höherrangiges Recht nichtig sind, ausnahmsweise aber für eine Übergangszeit (weiter) anzuwenden sind (vgl BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38, 46 RdNr 19 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1 RdNr 18 - Juris RdNr 30; ebenso BSG vom 4.12.2007 - B 2 U 36/06 R - SozR 4-2700 § 182 Nr 3 RdNr 18 f). Voraussetzung für die Weiteranwendung ist nach dieser Rechtsprechung aber, dass der Zustand bei Nichtanwendung der Norm für die Übergangszeit von der gesetzes- und verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als ein Zustand, bei dem den Normunterworfenen die Anwendung der rechtswidrigen Norm für eine begrenzte Zeit zugemutet wird. Im Beitragsrecht kommt dies nur bei haushaltsrechtlich bedeutsamen Normen in Betracht, bei denen eine Rückabwicklung faktisch unmöglich ist und unkalkulierbare Haushaltsrisiken bis hin zu drohender Zahlungsunfähigkeit des Versicherungsträgers vermieden werden müssen (vgl BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38, 46 RdNr 19 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1 RdNr 18 - Juris RdNr 30; BSG vom 4.12.2007 - B 2 U 36/06 R - SozR 4-2700 § 182 Nr 3 RdNr 19 f). So hat es der Senat als nicht hinnehmbar angesehen, dass bis zum Erlass einer rechtskonformen Satzung alle Beitragsbescheide als rechtswidrig angegriffen und neue Beitragsbescheide aufgrund einer neuen Satzung ggf rückwirkend hätten erteilt werden müssen (vgl BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38, 47 RdNr 20 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1 RdNr 19 - Juris RdNr 31; BSG vom 4.12.2007 - B 2 U 36/06 R - SozR 4-2700 § 182 Nr 3 RdNr 21), zumal das BSG in der Vergangenheit die Satzungen ausdrücklich als gesetzeskonform angesehen hatte.

55

Mit solchen Konstellationen ist der Fall des Klägers indes nicht vergleichbar. Denn während in den oben genannten Fällen der Satzungsgeber die notwendige Satzungskompetenz hatte, um - ggf uU sogar rückwirkend - eine rechtswirksame, mit dem Gesetz in Einklang stehende Beitragssatzung mit demselben Inhalt wie die bisherige Regelung zu erlassen und damit rückwirkend eine wirksame Rechtsgrundlage für die beanstandeten Verwaltungsakte zu schaffen, ist der Beklagten der rückwirkende Erlass einer Satzung, die eine freiwillige Versicherung ohne schriftlichen Antrag vorsieht, mangels entsprechender Satzungskompetenz dauerhaft verwehrt.

56

Die Anwendung des § 50 Abs 2 Satz 1 der Satzung scheidet deshalb aus.

57

2. Die Revision ist auch insoweit unbegründet, als das SG auch die Verwaltungsakte über die Veranlagung zum Gefahrtarif und die Beitragsfestsetzungen aufgehoben hat (vgl zum Beitragsverfahren auch Mutschler WzS 2009, 353, 354).

58

Der Verwaltungsakt vom 22.10.2008 über die Veranlagung des Klägers unter Gefahrtarifstelle 18 wegen freiwilliger Versicherung mit der Gefahrklasse 5,2 ist mangels freiwilliger Versicherung wegen unrichtiger Einordnung des Klägers rechtswidrig und beeinträchtigt ihn in seinen Rechten.

59

Soweit das SG auch den Vorauszahlungsbescheid vom 22.10.2008 idF des Widerspruchsbescheides vom 30.9.2009 aufgehoben hat, bedarf das Urteil der Richtigstellung. Der Vorauszahlungsbescheid vom 22.10.2008 ist durch den endgültigen Beitragsbescheid vom 28.7.2009 vollständig ersetzt worden und war daher bereits vor Klageerhebung gemäß § 39 Abs 2 SGB X "auf andere Weise" erledigt(vgl hierzu Keller in Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr 8a; BSG vom 13.11.1985 - 1/8 RR 5/83 - BSGE 59, 122, 126 und 131; BSG vom 27.3.2007 - B 13 RJ 43/05 R - Juris RdNr 13 mwN). Die Festsetzung des endgültigen Beitrags und das entsprechende Zahlungsgebot im Beitragsbescheid vom 28.7.2009 sind an die Stelle der Festsetzung der voraussichtlichen Beitragsschuld und des darauf bezogenen Zahlungsgebots getreten.

60

Zwar ist im Tenor des Urteils nur die Aufhebung des "Bescheides vom 22.10.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2009" ausgesprochen. Unter Berücksichtigung der Urteilsgründe hat das SG auch den Beitragsbescheid vom 28.7.2009 aufgehoben. Einerseits hat es durch seinen Ausspruch deutlich gemacht, dass es den Bescheid vom 22.10.2008 idF des Widerspruchsbescheides vom 30.9.2009 auch hinsichtlich seiner beitragsrechtlichen Regelung beseitigen wollte. Das SG hat auch gesehen, dass der Beitragsbescheid vom 28.7.2009 die Beitragsforderung durch die endgültige Festsetzung geändert hat. Entsprechend dem Klagebegehren des Klägers, der die Bescheide vom 8.4.2009 und 28.7.2009 seiner Klagebegründung beigefügt hat, ist der Ausspruch des SG dahingehend auszulegen, dass das SG auch den ersetzenden Verwaltungsakt vom 28.7.2009 aufgehoben hat, was aus Gründen der Rechtssicherheit klargestellt worden ist.

61

Die Revision der Beklagten ist auch unbegründet, soweit angefochten wird, dass das SG den Beitragsbescheid vom 28.7.2009 aufgehoben hat. Der Beitragsbescheid durfte nicht ergehen, da der Kläger nicht bei der Beklagten freiwillig versichert und daher nicht nach § 150 Abs 1 Satz 2 SGB VII beitragspflichtig ist.

62

3. Die Kostengrundentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

63

Der Kläger gehört - was das SG übersehen hat - nicht zu den in § 183 SGG kostenprivilegierten Personen, da er mit dem Rechtsstreit keine Rechte als Versicherter auf Leistungen aus der GUV verfolgt, sondern sich gegen die Einbeziehung in die GUV als freiwillig versicherter Unternehmer, gegen die Veranlagung und die Beitragserhebung gewandt hat(vgl BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - Juris RdNr 28; BSG vom 5.3.2008 - B 2 U 353/07 B - Juris RdNr 6; BSG vom 3.1.2006 - B 2 U 367/05 B; BSG vom 23.11.2006 - B 2 U 258/06 B). Der Senat kann die insoweit fehlerhafte Kostenentscheidung der Vorinstanz ändern, denn das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (vgl BSG vom 1.7.2010 - B 11 AL 6/09 R - Juris RdNr 24; BSG vom 5.10.2006 - B 10 LW 5/05 R - BSGE 97, 153, 157 RdNr 20; BSGE 62, 131, 136 = SozR 4100 § 141b Nr 40).

64

Gemäß § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO sind der Beklagten die Kosten aufzuerlegen, da die Klage Erfolg hatte und die Revision der Beklagten gegen das Urteil des SG trotz der Maßgabe im Tenor ohne Erfolg geblieben ist.

65

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 Satz 1 und § 63 Abs 2 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).

66

Der Streitwert ist in erster Linie nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs 1 GKG). Die Bedeutung der Sache bestimmt sich nach dem Gegenstand des konkreten Prozesses, evtl mittelbare Folgewirkungen sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (vgl BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - Juris RdNr 32). Die Bedeutung der Sache bestimmt sich für die Beteiligten in beiden Instanzen nach den geforderten Beiträgen in Höhe von 454,28 € (§ 52 Abs 3 GKG).

67

Zwar ist nach der Rechtsprechung des Senats mindestens der Auffangstreitwert zu Grunde zu legen, wenn die Beteiligten über die Erhebung von Beiträgen als Unternehmer streiten, weil die den Gegenstand des Prozesses bildenden Rechtsfragen in der Regel über den konkret streitigen Zeitraum hinaus auch für die Beitragsfestsetzung in späteren Jahren von Bedeutung sind (vgl hierzu BSG vom 5.3.2008 - B 2 U 353/07 B - Juris RdNr 6 f; BSG vom 23.11.2006 - B 2 U 258/06 B - Juris). Diese Regel greift aber nicht, wenn - wie hier - bereits vor Klageerhebung die Mitgliedschaft unstreitig beendet worden und damit eine Bedeutung des Rechtsstreits für spätere Beitragsjahre ausgeschlossen ist.

68

Der Senat hat als Revisionsgericht den Streitwert zugleich für das Klageverfahren festgesetzt (§ 63 Abs 3 Satz 1 GKG). Zumindest bei betragsmäßig von vornherein feststehendem und in allen Instanzen offensichtlich gleich bleibendem Streitwert darf das Rechtsmittelgericht aus Gründen der Prozessökonomie die von den Instanzgerichten getroffene Festsetzung ändern und eine ggf unterbliebene Streitwertfestsetzung nachholen (vgl BSG vom 5.10.2006 - B 10 LW 5/05 R - BSGE 97, 153, 157 RdNr 23; BSG vom 1.7.2010 - B 11 AL 6/09 R - Juris RdNr 24).

Für kraft Gesetzes versicherte selbständig Tätige, für kraft Satzung versicherte Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner und für freiwillig Versicherte hat die Satzung des Unfallversicherungsträgers die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes zu bestimmen. Sie hat ferner zu bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen die kraft Gesetzes versicherten selbständig Tätigen und die kraft Satzung versicherten Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner auf ihren Antrag mit einem höheren Jahresarbeitsverdienst versichert werden.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Der Jahresarbeitsverdienst ist der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 des Vierten Buches) und Arbeitseinkommen (§ 15 des Vierten Buches) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Zum Arbeitsentgelt nach Satz 1 gehört auch das Arbeitsentgelt, auf das ein nach den zwölf Kalendermonaten abgeschlossener Tarifvertrag dem Versicherten rückwirkend einen Anspruch einräumt.

(2) Für Zeiten, in denen der Versicherte in dem in Absatz 1 Satz 1 genannten Zeitraum kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat, wird das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das seinem durchschnittlichen Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen in den mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen belegten Zeiten dieses Zeitraums entspricht. Erleidet jemand, der als Soldat auf Zeit, als Wehr- oder Zivildienstleistender oder als Entwicklungshelfer, beim besonderen Einsatz des Zivilschutzes oder bei einem Dienst nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz oder dem Bundesfreiwilligendienstgesetz tätig wird, einen Versicherungsfall, wird als Jahresarbeitsverdienst das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das er durch eine Tätigkeit erzielt hätte, die der letzten Tätigkeit vor den genannten Zeiten entspricht, wenn es für ihn günstiger ist. Ereignet sich der Versicherungsfall innerhalb eines Jahres seit Beendigung einer Berufsausbildung, bleibt das während der Berufsausbildung erzielte Arbeitsentgelt außer Betracht, wenn es für den Versicherten günstiger ist.

(3) Arbeitsentgelt und Ausbildungsbeihilfe nach den §§ 43 und 44 des Strafvollzugsgesetzes gelten nicht als Arbeitsentgelt im Sinne der Absätze 1 und 2.

(4) Erleidet jemand, dem sonst Unfallfürsorge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gewährleistet ist, einen Versicherungsfall, für den ihm Unfallfürsorge nicht zusteht, gilt als Jahresarbeitsverdienst der Jahresbetrag der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge, die der Berechnung eines Unfallruhegehalts zugrunde zu legen wären. Für Berufssoldaten gilt dies entsprechend.

Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005.

2

Die 1959 geborene Klägerin ist alleinstehend und bewohnt eine Ein-Zimmer-Wohnung, die durch zwei Gas-Einzelöfen und einen Heizlüfter im Bad beheizt wird. Im Oktober 2004 beantragte sie bei dem Beklagten die Gewährung von Alg II und legte dabei eine Bescheinigung ihrer Hausärztin vor, wonach bei ihr aufgrund eines Diabetes mellitus Typ I Krankenkost (Diabeteskost) erforderlich sei.

3

Mit Bescheid vom 13.11.2004 bewilligte der Beklagte Alg II von Januar bis Mai 2005 in Höhe von 794,56 Euro und für Juni 2005 in Höhe von 777,16 Euro, wobei er neben einem befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II in Höhe von 134 Euro einen monatlichen Mehrbedarf von 25,56 Euro für kostenaufwändige Ernährung wegen Diabetes mellitus Typ I berücksichtigte. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass der Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung zu gering sei und ihr einschließlich Praxisgebühr und Zuzahlung monatliche Kosten in Höhe von mindestens 50 Euro entstünden. Mit Widerspruchsbescheid vom 4.2.2005 bewilligte der Beklagte daraufhin für die Zeit von Januar bis Mai 2005 monatlich 795,23 Euro und für Juni 2005 775,18 Euro. Den darüber hinausgehenden Widerspruch wies er als unbegründet zurück.

4

Am 1.3.2005 erhob die Klägerin Klage zum SG und begründete ihre Klage insbesondere damit, dass eine Anpassung des seit 1997 nicht erhöhten Mehrbedarfsbetrages zu erfolgen habe, die Regelleistung in Höhe von 345 Euro zu gering sei und zusätzliche Stromkosten von monatlich 11 Euro zu berücksichtigen seien, weil sie ihr Bad mit einem Heizlüfter beheize. Während des Klageverfahrens hat der Beklagte mit Änderungsbescheiden vom 4.3.2005, 7.9.2005 und 15.11.2005 zuletzt Leistungen für Januar und Februar in Höhe von monatlich 806,33 Euro, für März 689,26 Euro, für April 810,33 Euro, für Mai 802,82 Euro und für Juni 2005 782,72 Euro bewilligt. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Beklagte am 29.6.2006 ein Teilanerkenntnis abgegeben und sich bereit erklärt, der Klägerin über die mit Bescheid vom 15.11.2005 zuerkannten Leistungen hinaus für März 2005 Leistungen in Höhe von 795,23 Euro (gemäß dem Widerspruchsbescheid), für Mai 2005 in Höhe von 807,56 Euro und für Juni 2005 in Höhe von 784,46 Euro (gemäß dem Bescheid vom 4.3.2005) zu bewilligen. Dieses Teilanerkenntnis hat die Klägerin angenommen. Mit Urteil vom 29.6.2006 hat das SG die darüber hinausgehende Klage abgewiesen.

5

Mit Urteil vom 15.12.2006 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass sie einen Bedarf habe, der in der Höhe erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Insofern werde auf die Entscheidungsgründe des SG verwiesen, wonach ein Mehrbetrag für kostenaufwändige Ernährung nach dem Krankheitsbild der Klägerin nicht gerechtfertigt sei und die Kosten für Arztbesuche und Zuzahlungen im Regelbetrag enthalten seien.

6

Auf die Revision der Klägerin hat das BSG mit Urteil vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R - das Urteil des LSG vom 15.12.2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, da es an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen fehle, insbesondere für die von der Klägerin geltend gemachten Kosten für eine kostenaufwändige Krankenernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB II.

7

Das LSG hat hierauf die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Außerdem hat das LSG ein gerichtliches Sachverständigengutachten bei dem Internisten Dr. S. eingeholt. Mit Urteil vom 23.10.2009 hat das LSG der Klägerin einen Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung zugesprochen. Insoweit sei bei den Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) ein Anteil an den Stromkosten, der für eine angemessene Beheizung des Bades mittels des vorhandenen Heizlüfters erforderlich sei, ergänzend zu berücksichtigen. Der konkrete Stromverbrauch des Heizlüfters zur Beheizung des Bades - etwa über einen getrennten Zähler - werde nicht erfasst. Die vom SG berücksichtigte Betriebsdauer des Heizlüfters von einer halben Stunde täglich sei sehr knapp bemessen, weshalb zu Gunsten der Klägerin im Rahmen der Schätzung eine volle Stunde zugrunde gelegt werde. Insgesamt belaufe sich die der Klägerin zustehende Nachzahlung für Kosten der Unterkunft und Heizung für den streitgegenständlichen Zeitraum auf 60,69 Euro. Im Übrigen hat das LSG die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Es bestehe unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme kein Anspruch der Klägerin auf Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung. Wegen des Verbots der reformatio in peius verbleibe es jedoch bei dem von der Beklagten zuerkannten Mehrbedarf in Höhe von 25,56 Euro monatlich. Eine Verrechnung mit dem Nachzahlungsanspruch auf Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung komme nicht in Betracht.

8

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 21 Abs 5 SGB II. Das Tatbestandsmerkmal "medizinische Gründe" in § 21 Abs 5 SGB II umfasse auch nicht krankheitsbedingte und in der körperlichen Verfassung eines Menschen liegende Umstände, die ärztlich festgestellt werden könnten. Vorliegend bestehe ein erhöhter Grundumsatz bzw ein erhöhter Kalorienverbrauch, der zu einer finanziellen Mehrbelastung führe, welche die bereits monatlich gewährten 25,56 Euro deutlich übersteige. Weder der Wortlaut der Norm noch die Gesetzesbegründung würden die Beschränkung auf Gesundheitsschäden hergeben. Ausgehend von ihren Angaben, wonach sie bereits seit ihrer Kindheit habe sehr viel essen müssen, hätte das LSG eine individuelle Kaloriemetrie zur Ermittlung ihres erhöhten Grundbedarfs durchführen müssen. Der Hinweis des LSG auf die Regelleistung des § 20 Abs 1 SGB II gehe fehl, da ein pauschaler Regelleistungsbetrag nur den durchschnittlichen Bedarf decke. Die vorliegend erforderliche Vollkost lasse sich nicht aus dem Regelsatz finanzieren. Auch hierzu fehle es an Feststellungen des LSG. Es liege eine Verletzung des § 170 Abs 5 SGG vor, da das LSG insoweit entgegen der Rechtsprechung des BSG die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 herangezogen und hieraus abgeleitet habe, dass Vollkost aus dem Regelsatz finanzierbar sei. Hilfsweise bestehe ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Bedarfs, der nicht von den Leistungen nach § 20 SGB II erfasst werde, jedoch zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zwingend zu decken sei. Schließlich sei der vom LSG errechnete Betrag für die Leistungen für Unterkunft und Heizung wegen fehlerhafter Anwendung der Rundungsregel des § 41 Abs 2 SGB II um 1 Euro zu niedrig.

9

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2009 abzuändern und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung seiner Bescheide vom 13. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2005, dieser in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 4. März 2005, 7. September 2005 und 15. November 2005 zu verurteilen, ihr höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 zu gewähren.

10

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen im streitigen Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005.

12

1. Die Klägerin ist im streitigen Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2005 nach den Feststellungen des LSG leistungsberechtigt als erwerbsfähige Hilfebedürftige iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Damit hat sie Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 SGB II, idF des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954).

13

2. Die Klägerin hat weder wegen eines erhöhten Kalorienbedarfs noch aufgrund einer etwaigen Ernährung mit sog "Vollkost" einen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.

14

a) Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, erhalten nach § 21 Abs 5 SGB II einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Dieser ergänzt die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 21 SGB II idF des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Er umfasst Bedarfe, die nicht durch die Regelleistung abgedeckt sind (§ 21 Abs 1 SGB II).

15

Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ist kein abtrennbarer Teil der Regelung über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Die Gewährung des Mehrbedarfs allein kann damit nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein (BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

16

b) Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist (BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, Stand Juli 2010, § 21 RdNr 19). Es muss also ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung vorliegen. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor.

17

aa) Mit "medizinischen Gründen" sind nur krankheitsbedingte Gründe gemeint. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 21 Abs 5 SGB II bewusst an den Rechtszustand des § 23 Abs 4 BSHG angeknüpft. Danach war für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anzuerkennen. Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur war ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer drohenden oder bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung tatbestandliche Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs (Hofmann in: LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 23 RdNr 28; vgl auch Behrend in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 21 RdNr 43). Unter der Geltung des BSHG wurde die kostenaufwändige Ernährung gemäß § 23 Abs 4 BSHG deshalb auch als "Krankenkostzulage" bezeichnet(vgl Knopp/Fichtner, BSHG, 5. Aufl 1983, § 23 RdNr 22; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl 1997, § 23 RdNr 30; Schoch, Sozialhilfe, 3. Aufl 2001, S 167; Hofmann in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 23 RdNr 28; Linhart, BSHG § 23 RdNr 14 - Stand 39. EL, Juli 2004).

18

Wie in der früheren Sozialhilfe, dem Referenzsystem für das SGB II (BT-Drucks 15/1514 S 1), wollte der Gesetzgeber auch im Rahmen des Alg II einen Mehrbedarf wegen krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung vorsehen. In der Gesetzesbegründung ist unter Bezugnahme auf den Rechtszustand des BSHG zum Tatbestandsmerkmal "aus medizinischen Gründen" ausgeführt worden: "Wie in der Sozialhilfe ist auch im Rahmen des Arbeitslosengeldes II ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung vorgesehen. Hierbei ist eine Präzisierung dahin gehend vorgenommen worden, dass der Mehrbedarf nur bei Nachweis des Bedarfs aus medizinischen Gründen anzuerkennen ist. Zur Angemessenheit des Mehrbedarfs können die hierzu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen herangezogen werden." (BT-Drucks 15/1516, S 57).

19

Auch die vergleichende Betrachtung der Vorschriften des § 21 Abs 5 SGB II und des § 30 Abs 5 des SGB XII bestätigt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung erforderlich ist. Die Definition des Kreises der Anspruchsberechtigten ist in § 21 Abs 5 SGB II zwar anders formuliert als in § 30 Abs 5 SGB XII, der dem früheren § 23 Abs 4 BSHG nachgebildet ist. Gemäß § 30 Abs 5 SGB XII in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung des Gesetzes vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Hingegen sind auch anspruchsberechtigt erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer aufwendigen Ernährung bedürfen. Wie aufgezeigt, sollte nach der Gesetzesbegründung zu § 21 Abs 5 SGB II(BT-Drucks 15/1516, S 57) mit der Formulierung klargestellt werden, dass der Mehrbedarf nur bei Nachweis des Bedarfs aus medizinischen Gründen anzuerkennen sei.

20

Folglich hat der Gesetzgeber inhaltliche Unterschiede zwischen § 21 Abs 5 SGB II und § 30 Abs 5 SGB XII nicht beabsichtigt. Sinn und Zweck der Leistungen ist es in beiden Fällen, durch die krankheitsbedingte besondere Ernährung drohende oder bestehende Gesundheitsschäden abzuwenden oder zu verhindern (Lang/Knickrehm in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 21 RdNr 49 f; Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, § 21 RdNr 31; O. Loose in GK-SGB II § 21 RdNr 32, 34; Münder in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 21 RdNr 25; Simon in: jurisPK-SGB XII, § 30 RdNr 92; vgl auch Behrend in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 21 RdNr 43). Anspruchsvoraussetzung bei § 21 Abs 5 SGB II ist daher immer das Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer drohenden oder bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung. Dementsprechend hat auch das BSG bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 Abs 5 SGB II bislang stets von "Krankenernährung" oder "krankheitsbedingtem Mehrbedarf" gesprochen(BSG vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R) und ausgeführt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm nur vorliegen, wenn eine oder mehrere Erkrankungen eine kostenaufwändige Ernährung bedingen (BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5; vgl auch BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).

21

bb) Der von der Klägerin behauptete erhöhte Kalorienbedarf ist nach den Feststellungen des LSG nicht auf eine Krankheit, also auf einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, zurückzuführen. Nach diesen Feststellungen liegen bei der Klägerin zwar verschiedene Krankheiten, insbesondere ein Diabetes mellitus Typ I vor; diese verursachen jedoch weder einen erhöhten Kalorienbedarf noch einen anderen Ernährungsmehrbedarf iS des § 21 Abs 5 SGB II. Das LSG hat den Sachverhalt vollständig und ausreichend ermittelt, indem es sachverständige Zeugenauskünfte sowie ein internistisches ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt hat, um sich die erforderliche Sachkunde zu verschaffen. Damit hat das LSG von den Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung gestanden haben, Gebrauch gemacht (vgl BSG vom 12.2.2009 - B 5 R 48/08 B; BSG vom 11.12.1969 - GS 2/68 - BSGE 30, 192, 205 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO). Ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) liegt nicht vor.

22

Nach den Feststellungen, die das LSG nach ausreichenden Ermittlungen des Sachverhalts getroffen hat, liegen keine begründeten Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Krankenkost vor. Das LSG konnte nach der vorgenommenen eigenständigen Aufklärung des Sachverhalts und der Prüfung der Umstände des Einzelfalles dahinstehen lassen, ob die überarbeiteten, aktualisierten Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sind (zum Meinungsstand siehe Düring in Gagel, SGB III mit SGB II, § 21 RdNr 40). Auch durch die aktuellen Empfehlungen wird die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, die Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts von Amts wegen aufzuklären ( § 20 SGB X bzw § 103 SGG ), nicht aufgehoben. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (abgedruckt in NDV 2008, 503 ff) ersetzen nicht eine ggf erforderliche Begutachtung im Einzelfall.

23

Unabhängig von der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage, ob die Empfehlungen 2008 als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen sind (bejahend zB Sächsisches LSG vom 27.8.2009 - L 3 AS 245/08 - und vom 22.6.2009 - L 7 AS 250/08; Bayerisches LSG vom 23.4.2009 - L 11 AS 124/08; LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 9.3.2009 - L 8 AS 68/08; offen gelassen: LSG Nordrhein-Westfalen vom 15.3.2010 - L 19 <20> AS 50/09 - und vom 4.10.2010 - L 19 AS 1140/10), können die Empfehlungen 2008 jedenfalls als Orientierungshilfe dienen und es sind weitere Ermittlungen im Einzelfall nur dann erforderlich, sofern Besonderheiten, insbesondere von den Empfehlungen abweichende Bedarfe, substantiiert geltend gemacht werden (so bereits zu den Empfehlungen 1997: BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 7 f). Da die Empfehlungen des Deutschen Vereins keine Rechtsnormqualität aufweisen (BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83, 89 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 S 44 und - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 6 f), gibt es auch keine Hinderungsgründe, die darin enthaltenen medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse auch mit den Ergebnissen der Amtsermittlung zu vergleichen bzw in diese einfließen zu lassen, wenn diese Zeiträume betreffen, die vor der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen am 1.10.2008 lagen (so bereits Sächsisches LSG vom 26.2.2009 - L 2 AS 152/07; LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 9.3.2009 - L 8 AS 68/08). Wenn dann - wie vorliegend - nach dem Ergebnis der im Einzelfall durchgeführten Amtsermittlung eine Abweichung von den Empfehlungen nicht festzustellen ist (vgl zu diesem Gesichtspunkt auch BVerfG vom 20.6.2006 - 1 BvR 2673/05 - juris RdNr 19), ist eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht erforderlich.

24

cc) Da nur für eine krankheitsbedingt erforderliche kostenaufwändige Ernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB II ein Mehrbedarf zu gewähren ist, hat das LSG zu Recht davon abgesehen, den individuell angemessenen Ernährungsbedarf bzw den tatsächlichen individuellen Grundumsatz und Kalorienbedarf der Klägerin zu ermitteln. Auf die Gewährung eines individuell angemessenen Bedarfs für Ernährung besteht kein Anspruch. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlich zulässigen System der Gewährung einer statistisch ermittelten Regelleistung als Festbetrag. Maßgeblich für die Bestimmung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB II sind in diesem System stets die im Einzelfall medizinisch begründeten tatsächlichen Kosten für eine besondere Ernährung, die von der Regelleistung nicht gedeckt ist. Für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren, ist § 21 Abs 5 SGB II jedoch kein Auffangtatbestand(Münder in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 21 RdNr 24).

25

dd) Die Ernährung mit einer sog "Vollkost" bei Diabetes mellitus I/II unterfällt nicht § 21 Abs 5 SGB II, da es sich nicht um eine Krankenkost handelt, auf die die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt.

26

Die Vollkost ist jedoch aus der Regelleistung zu bestreiten. Auch insoweit gilt, dass für die allgemeine Kritik, eine ausgewogene Ernährung sei aus dem Regelsatz nicht zu finanzieren, § 21 Abs 5 SGB II kein Auffangtatbestand ist.

27

3. Der Sache nach ist das Begehren der Klägerin demnach darauf gerichtet, für ihren geltend gemachten individuellen Ernährungsbedarf eine höhere Regelleistung zu erstreiten. Dieses Begehren hat gleichfalls keinen Erfolg.

28

a) Im streitgegenständlichen Zeitraum besteht lediglich ein Anspruch auf eine monatliche Regelleistung in Höhe von 345 Euro. Zwar hat das BVerfG die Vorschriften über die Höhe der Regelleistung, ua die des § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II, mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt. Daraus folgt aber nicht, dass einem Hilfebedürftigen ein höherer Anspruch auf Leistungen zusteht. Vielmehr gilt die Vorschrift des § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II in der jeweils anzuwendenden Fassung bis zum 31.12.2010 fort. Der Gesetzgeber wurde lediglich verpflichtet, die Regelleistung für die Zukunft neu festzusetzen (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 ff - juris RdNr 210 ff; BVerfG vom 18.2.2010 - 1 BvR 1523/08; BVerfG vom 24.3.2010 - 1 BvR 395/09; BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 17/10 R). Folglich ist im vorliegenden Verfahren davon auszugehen, dass die der Klägerin im Jahre 2005 bewilligte Regelleistung in Höhe von 345 Euro für den hier streitigen Zeitraum hinzunehmen ist (vgl BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 17/10 R - juris RdNr 16).

29

b) Zudem hat das BVerfG ausgeführt, die Regelleistung reiche zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums aus: "Für den Betrag der Regelleistung von 345 Euro nach § 20 Abs 2 1. Halbsatz SGB II aF kann eine evidente Unterschreitung nicht festgestellt werden, weil die Regelleistung zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums zumindest ausreicht und der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der sozialen Seite des Existenzminimums weiter ist. So kommt beispielsweise eine Untersuchung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zu dem Ergebnis, dass die Beträge des § 2 Abs 2 Regelsatzverordnung für 'Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren' sowie für 'Beherbergungsdienstleistungen, Gaststättenbesuche' die Ernährung eines Alleinstehenden mit Vollkost decken können (vgl seine Empfehlungen zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 3. Aufl., sub III 2 )" (RdNr 152 des Urteils vom 9.2.2010).

30

c) Eine abweichende Bedarfsermittlung kommt nicht in Betracht. Nach dem Leistungssystem des SGB II ist eine individuelle Bedarfsermittlung bzw abweichende Bestimmung der Höhe der Regelleistung nicht vorgesehen (vgl dazu BSG 18.6.2008 - B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 76 f = SozR 4-4200 § 11 Nr 11 S 65 f). Dies gilt sowohl zu Gunsten wie auch zu Lasten des Grundsicherungsempfängers. Bei der Ernährung handelt es sich um einen Grundbedarf, der von der Regelleistung des § 20 Abs 1 SGB II gedeckt werden soll. Es ist konstitutiver Bestandteil des Systems des SGB II, eine abweichende Festsetzung der Bedarfe, wie sie § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII zulässt, gerade nicht vorzusehen. Folglich gestattet es das SGB II nicht, außerhalb von § 21 Abs 5 SGB II einen individuellen Ernährungsbedarf bedarfserhöhend geltend zu machen.

31

Der Verzicht auf eine individuelle Bedarfsbestimmung entspricht im Übrigen auch dem Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit einer Pauschalierung der Regelleistung im SGB II verband. Die pauschalierte Regelleistung sollte gerade die Selbstverantwortung und Eigenständigkeit der Hilfeempfänger fördern (BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 11 RdNr 24). Diese sind darauf angewiesen, mit dem in der Regelleistung pauschaliert enthaltenen Betrag ihre grundlegenden Bedürfnisse zu decken. Außerhalb der gemäß § 21 SGB II gewährten Mehrbedarfe und der gemäß § 23 Abs 3 SGB II aF - in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung - gewährten einmaligen Leistungen sind monetäre Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Das System des SGB II ist insofern abschließend (vgl BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83, 91 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 S 45).

32

In diesem vom Gesetzgeber in zulässiger Weise gewählten System der pauschalierten Regelleistung ist weder - wie von der Klägerin begehrt - eine individuelle Kaloriemetrie vorzunehmen, noch durch eine isolierte Herausnahme und Überprüfung einzelner Bedarfspositionen zu prüfen, ob eine bestimmte individuell gewünschte Ernährungsweise von einer bestimmten Bedarfsposition der Regelleistung direkt erfasst und abgebildet wird. Das BVerfG hat hierzu im Urteil vom 9.2.2010, aaO, RdNr 205 ausgeführt: "Die Gewährung einer Regelleistung als Festbetrag ist grundsätzlich zulässig. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf der Gesetzgeber typisierende und pauschalierende Regelungen treffen (vgl BVerfGE 87, 234 <255 f>; 100, 59 <90>; 195 <205>). Dies gilt auch für Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Allerdings verlangt Art 1 Abs 1 GG , der die Menschenwürde jedes einzelnen Individuums ohne Ausnahme schützt, dass das Existenzminimum in jedem Einzelfall sichergestellt wird. Der Hilfebedürftige, dem ein pauschaler Geldbetrag zur Verfügung gestellt wird, kann über seine Verwendung im Einzelnen selbst bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen ausgleichen. Dies ist ihm auch zumutbar. Dass sich der Gesamtbetrag aus statistisch erfassten Ausgaben in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zusammensetzt, bedeutet nicht, dass jedem Hilfebedürftigen die einzelnen Ausgabenpositionen und -beträge stets uneingeschränkt zur Verfügung stehen müssen. Es ist vielmehr dem Statistikmodell eigen, dass der individuelle Bedarf eines Hilfebedürftigen vom statistischen Durchschnittsfall abweichen kann. Die regelleistungsrelevanten Ausgabepositionen und -beträge sind von vornherein als abstrakte Rechengrößen konzipiert, die nicht bei jedem Hilfebedürftigen exakt zutreffen müssen, sondern erst in ihrer Summe ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten sollen. Wenn das Statistikmodell entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben angewandt und der Pauschalbetrag insbesondere so bestimmt worden ist, dass ein Ausgleich zwischen verschiedenen Bedarfspositionen möglich ist […], kann der Hilfebedürftige in der Regel sein individuelles Verbrauchsverhalten so gestalten, dass er mit dem Festbetrag auskommt; vor allem hat er bei besonderem Bedarf zuerst auf das Ansparpotenzial zurückzugreifen, das in der Regelleistung enthalten ist.“

33

Folglich ist nicht individuell zu ermitteln, ob eine bestimmte Ernährungsweise, die nicht von § 21 Abs 5 SGB II umfasst wird, sondern aus der Regelleistung zu bestreiten ist, im Einzelnen von der entsprechenden Bedarfsposition gedeckt wird. Denn es ist Sache des Hilfebedürftigen selbst, über die Verwendung des bewilligten Festbetrages im Einzelnen zu bestimmen und einen gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen.

34

4. Ansprüche auf Gewährung einer von der Regelleistung abweichenden Leistung auf der Grundlage sonstiger Anspruchsgrundlagen bestehen gleichfalls nicht.

35

a) Die Klägerin kann keinen Anspruch aus einer entsprechenden Anwendung des § 73 SGB XII herleiten. Nach Satz 1 dieser Vorschrift können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Voraussetzung eines Anspruchs nach § 73 SGB XII ist nach der Rechtsprechung des 7b. Senats, der sich auch der 14. Senat des BSG angeschlossen hat, eine besondere Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist. Zugleich muss auch der Bereich der Grundrechtsausübung tangiert sein (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 250 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1 RdNr 22 f; BSG vom 19.8.2010 - B 14 AS 13/10 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 19 f). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil es sich bei der Ernährung mit ausgewogener Mischkost bzw sog "Vollkost" um einen typischen, innerhalb des SGB II zu befriedigenden Bedarf handelt.

36

b) Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht im Hinblick auf die durch eine Anordnung des BVerfG im Urteil vom 9.2.2010 (aaO) geschaffene Härtefallregelung, die der Gesetzgeber mittlerweile mWv 3.6.2010 in § 21 Abs 6 SGB II geregelt hat(Gesetz vom 27.5.2010, BGBl I 671). Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 9.2.2010 (insbesondere RdNr 207) klargestellt, dass der von ihm verfassungsrechtlich abgeleitete, zusätzliche Anspruch immer dann notwendig werde, wenn ein bestimmter fortlaufender atypischer Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II nicht gedeckt werden könne. Nach den Feststellungen des LSG kann die Klägerin keinen derartigen besonderen Bedarf geltend machen.

37

5. Schließlich hat die Klägerin keinen Anspruch auf einen höheren Leistungsbetrag mit Rücksicht auf die fehlerhafte Anwendung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II durch das LSG. Hierbei geht der Senat davon aus, dass der Ansatz des LSG hinsichtlich der hier ausnahmsweise als KdU anteilig zu berücksichtigenden Stromkosten nicht zu beanstanden ist. Das LSG hat jedoch nicht beachtet, dass lediglich Endzahlbeträge der monatlichen Leistung nach § 41 Abs 2 SGB II zu runden sind, Zwischenberechnungsschritte aber von der Rundung ausgenommen sind(vgl BSG SozR 4-4200 § 24 Nr 3 RdNr 25).

38

Aus einer fehlerhaften Anwendung der Rundungsregelung folgt hier schon deshalb kein höherer Zahlbetrag, weil der Beklagte - wie bereits ausgeführt worden ist - bei der Leistungsbewilligung einen Betrag von monatlich 25,56 Euro für kostenaufwändige Ernährung in Ansatz gebracht hatte, auf den die Klägerin keinen Anspruch hatte. Zwar folgt hieraus nicht, dass die Bescheide durch den erkennenden Senat zu Lasten der Klägerin zu ändern waren, denn einer solchen Änderung steht das Verbot der reformatio in peius entgegen (vgl BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 S 8; BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 48/08 R - BSGE 102, 274, 281 = SozR 4-4200 § 22 Nr 18 S 130). Da jedoch im Verfahren der Anspruch auf Alg II einschließlich der angemessenen KdU insgesamt streitig ist, kann die Klägerin einen höheren Zahlbetrag nur beanspruchen, wenn der Verfügungssatz der Bewilligung von Alg II sich insoweit der Höhe nach als unrichtig erweist. Insoweit ist die Höhe der Leistung unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen.

39

Dem steht nicht entgegen, dass das BSG eine Beschränkung des Klagebegehrens auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw die Kosten für Unterkunft für zulässig erachtet hat (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 18), denn die Klägerin hat eine Beschränkung ihres Klagebegehrens nicht vorgenommen. Eine (Teil-)Bestandskraft ist hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich des zuerkannten Mehrbedarfs folglich nicht eingetreten.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe der Beklagte die Umzugskosten des Klägers zu übernehmen hat.

2

Der Kläger ist im Jahre 1942 geboren. Er bezog bis zum 31.12.2004 Leistungen der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von der Stadt B in Hessen. Im November 2004 beantragte er bei dem Beklagten die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Der Beklagte forderte im November 2004 den Kläger auf, die Kosten der Unterkunft (KdU) zu senken. Angemessen sei für ihn eine Gesamtmiete von 372,50 Euro. Die tatsächliche Miete in Höhe von bisher 1175,97 Euro werde nur bis zum 31.1.2005 anerkannt und ab 1.2.2005 werde nur noch die angemessene Miete gewährt. Durch Schreiben vom 27.12.2004 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er zum 1.2.2005 eine kostengünstigere Wohnung in Wolfenbüttel gefunden habe. Er beantragte die Übernahme der Umzugskosten und kündigte an, Kostenvoranschläge einzureichen. Mit am 12.1.2005 beim Beklagten eingegangenem Schreiben zeigte der Kläger an, dass er eine Wohnung in Wolfenbüttel bereits angemietet habe, die nach dem SGB II angemessen sei. Er legte einen Kostenvoranschlag eines Umzugsunternehmens über 3645,07 Euro vor und bat um Bewilligung bis 20.1.2005, weil er dann den Auftrag an die Umzugsfirma vergeben müsse.

3

Der Beklagte reagierte auf die Schreiben des Klägers nicht. Dieser führte sodann den Umzug am 26.1.2005 durch und beantragte am 28.1.2005 beim Beklagten unter Vorlage der Rechnung eines Umzugsunternehmens die Übernahme der Umzugskosten in Höhe von 3705,10 Euro. Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 11.4.2005 ab. Den Widerspruch wies er zurück. In dem Widerspruchsbescheid vom 1.8.2005 ist ausgeführt, es müsse eine vorherige Zustimmung zu den Umzugskosten vorliegen. Der Kläger habe aber erst am 12.1.2005 den Kostenvoranschlag eingereicht. Von einer treuwidrigen Verzögerung der Entscheidung durch den Beklagten könne daher nicht die Rede sein.

4

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Braunschweig durch Urteil vom 6.7.2006 die angefochtenen Bescheide "aufgehoben" und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger Umzugskosten in Höhe von 951,25 Euro zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die vorherige Zusicherung gemäß § 22 Abs 3 SGB II sei hier entbehrlich gewesen, weil die Entscheidung über die Umzugskosten in treuwidriger Weise verzögert worden sei. Das Leistungsermessen des Beklagten sei auch eingeschränkt gewesen, weil der kommunale Träger den Umzug veranlasst habe. Der Anspruch auf Übernahme der Umzugskosten beschränke sich jedoch auf die notwendigen und angemessenen Kosten. Der Beklagte sei nicht grundsätzlich verpflichtet, die Kosten eines professionellen Umzugsunternehmens zu tragen. Vielmehr sei auf Grund der Obliegenheit, die eigene Hilfebedürftigkeit zu verringern, der Umzug vorrangig in Eigenregie durchzuführen. Ausnahmen würden nur bei Alter oder Gebrechlichkeit gelten. Der Kläger sei jedoch körperlich in guter Verfassung gewesen. Es habe auch keine medizinische Notwendigkeit bestanden, gerade nach Niedersachsen umzuziehen. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände seien die Umzugskosten angemessen, die bei einem selbst organisierten Umzug unter Heranziehung von studentischen Hilfskräften angemessen wären. Hier seien lediglich die Kosten der Anmietung eines Umzugsfahrzeugs, Benzinkosten, Kosten für drei studentische Hilfskräfte als Umzugshelfer und Fahrer, Kosten für eine Haftpflichtversicherung für die Umzugshelfer, Kosten für Umzugskartons und Verpackungsmaterial angemessen. Unter Heranziehung von Quellen aus dem Internet hat das SG sodann für diese Positionen die ausgeurteilten Umzugskosten in Höhe von 951,25 Euro ermittelt.

5

Hiergegen hat lediglich der Kläger Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 5.6.2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es gemäß § 153 Abs 2 SGG auf die Gründe des Urteils des SG verwiesen und ergänzend ausgeführt, dem Kläger sei ein selbst organisierter Umzug zumutbar gewesen. Der Kläger sei im Besitz einer Fahrerlaubnis und habe nach eigenen Angaben zusammen mit Freunden die Gegenstände in der bisherigen Wohnung ein- und in der neuen Wohnung selbst wieder ausgepackt. Es sei daher nicht erkennbar, wieso er aus medizinischen Gründen gehindert gewesen sein sollte, den Umzug selbst durchzuführen. Darüber hinaus sei der weite Umzug des Klägers von Hessen nach Niedersachsen weder aus medizinischen noch aus besonderen persönlichen Gründen erforderlich gewesen, sodass diese Kosten nicht der Allgemeinheit in Rechnung gestellt werden dürften. Dies gelte insbesondere auch für den auf dem Weg erfolgten Möbeltransport zu dem in Göttingen lebenden Sohn des Klägers.

6

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner - vom Senat zugelassenen - Revision. Er rügt eine Verletzung des § 22 Abs 3 SGB II. Zwar werde auch in der Literatur vertreten, dass nur angemessene bzw notwendige Umzugskosten zu erstatten seien, allerdings finde diese Auffassung im Gesetzeswortlaut keinen Anhalt. § 22 Abs 3 Satz 1 SGB II spreche ausdrücklich nicht von "angemessenen" Umzugskosten, sodass eine solche Einschränkung nicht möglich sei, was auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II zeige. Dort habe es der erkennende Senat abgelehnt, das Kriterium der Angemessenheit in den Rechtsanspruch auf Übernahme der Kosten einer mehrtägigen Klassenfahrt hineinzulesen. Es sei zweifelhaft, ob die Obliegenheit in § 2 Abs 1 SGB II "die Hilfebedürftigkeit zu verringern", soweit gehe, dass auch die kostensparende Selbstorganisation eines Umzugs von Hilfebedürftigen gefordert werden dürfe. Jedenfalls finde sich für die Rechtsansicht des LSG, dass ein Umzug grundsätzlich selbst organisiert werden müsse, es sei denn, dies sei für den Hilfebedürftigen unzumutbar, kein gesetzlicher Anhalt. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG trügen im Übrigen nicht den rechtlichen Schluss, dass er - der Kläger - tatsächlich in der Lage gewesen sei, den Umzug auch selbst zu organisieren. Zu mehr als einer Mithilfe bei der Umzugsfirma sei er gesundheitlich nicht in der Lage gewesen. Hinsichtlich der Notwendigkeit nach Niedersachsen umzuziehen sei § 33 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) zu berücksichtigen, nach dem bei der Ausgestaltung von sozialen Rechten die persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen seien.

7

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 5. Juni 2008 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 6. Juli 2006 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger weitere Umzugskosten in Höhe von 2753,85 Euro zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Der Beklagte beruft sich darauf, dass hier eine vorherige Zustimmung zu den Umzugskosten nicht entbehrlich gewesen sei. Eine besondere Eilbedürftigkeit habe nicht vorgelegen, sodass es dem Kläger zumutbar gewesen wäre, eine Entscheidung über die Umzugskosten abzuwarten. Im Übrigen beschränke sich die Revisionsbegründung auf Vorbringen im tatsächlichen Bereich, das einer Überprüfung durch das Revisionsgericht nicht zugänglich sei.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Bescheide und einer Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung begründet. Der Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Erstattung der am 26.1.2005 angefallenen Umzugskosten zu Unrecht wegen fehlender Zusicherung zur Übernahme der Umzugskosten in vollem Umfang abgelehnt (sogleich unter 1.). Er hätte stattdessen gemäß § 22 Abs 3 Satz 1 SGB II eine Ermessensentscheidung über die Höhe der zu übernehmenden Umzugskosten zu treffen gehabt, die bislang nicht erfolgt ist. Bei der Nachholung dieser Entscheidung wird der Beklagte zu beachten haben, dass dem Kläger zumindest die von den Vorinstanzen zugesprochenen 951,25 Euro zustehen, weil der Beklagte hiergegen keine Rechtsmittel eingelegt hat (hierzu unter 3.). Ein Anspruch gemäß § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II steht dem Kläger hingegen nicht zu, weil der Umzug nicht als vom Beklagten "veranlasst" oder "aus anderen Gründen notwendig" betrachtet werden kann (vgl unter 2.).

11

Streitgegenstand ist allein die Frage, inwieweit der Beklagte verpflichtet ist, die Kosten des Umzugs des Klägers von B in die Umgebung von Braunschweig zu tragen. Hierüber ist in den angefochtenen Bescheiden vom 11.4. und 1.8.2005 eine isolierte Regelung getroffen worden. Die Frage, in welcher Höhe dem Kläger im Übrigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff SGB II zustehen, ist hiervon nicht berührt. Der Anspruch auf Übernahme von Umzugskosten hängt allerdings davon ab, dass dem Kläger überhaupt dem Grunde nach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustehen. Hieran bestehen aber nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen der Vorinstanzen keine Zweifel.

12

1. Der Anspruch des Klägers scheitert nicht bereits daran, dass vor seinem Umzug keine Zusicherung des bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Trägers über die Umzugskosten vorlag (§ 22 Abs 3 Satz 1 SGB II). Entgegen der Rechtsansicht des LSG hat der Beklagte auf eine Prüfung dieses rechtlichen Gesichtspunkts nicht dadurch verzichtet, dass er keine Berufung gegen das Urteil des SG eingelegt hat. Die Nichteinlegung der Berufung bzw Revision durch den Beklagten hat lediglich zur Folge, dass auf Grund des Verbots der reformatio in peius der Leistungsausspruch des SG nicht mehr aufgehoben werden darf. Im Übrigen haben beide Rechtsmittelinstanzen den Anspruch des Klägers aber unter allen möglichen Gesichtspunkten zu prüfen.

13

Eine vorherige Zusicherung der Umzugskosten ist nicht erforderlich, wenn eine fristgerecht mögliche Entscheidung vom Verwaltungsträger treuwidrig verzögert worden ist (vgl Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 22 RdNr 106, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). So lagen die Verhältnisse hier. Der Beklagte hatte den Kläger bereits im November 2004 in Form eines Bescheides aufgefordert, seine bisherige Wohnung aufzugeben, weil diese unangemessen hohe Mietkosten verursache. In dem Aufforderungsschreiben des Beklagten wird zudem deutlich gemacht, dass eine Übernahme der bisherigen Mietkosten nur bis 1.2.2005 gewährleistet werde. Dementsprechend enthält der Bewilligungsbescheid vom 16.12.2004 über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ab 1.2.2005 nur noch eine im Verhältnis zur bisherigen Miete stark reduzierte Bewilligung von KdU. Der Kläger hat auch in seinem nachfolgenden Schreiben an den Beklagten zum Ausdruck gebracht, dass er die vom Beklagten angedrohte Reduktion der gewährten KdU um monatlich 803,47 Euro nicht aus eigenen Mitteln abfangen könne. Von daher war durch den Beklagten selbst ein starker, möglicherweise sogar rechtswidriger, Druck gesetzt worden, zum 1.2.2005 die Wohnung zu wechseln. Unter diesem zeitlichen Aspekt hat das SG zu Recht entschieden, dass die Verzögerung bzw das Nichttreffen einer Entscheidung über die Zusicherung der Umzugskosten seitens des Beklagten nach dem gesonderten Antrag des Klägers vom 12.1.2005 als treuwidrig einzustufen ist.

14

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Umzugskosten gemäß § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II, weil der konkrete Umzug nicht vom Beklagten "veranlasst" wurde oder aus "anderen Gründen notwendig" war. § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II bestimmt, dass die Zusicherung erteilt werden soll, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Hieraus ergibt sich für den Regelfall eine Pflicht des Trägers, eine Zusicherung zu erteilen. Der Anspruch des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen geht dabei auf die "angemessenen" Kosten des Umzugs iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Der erkennende Senat leitet dies aus der Überlegung ab, dass die Kosten eines Umzugs, der auf Veranlassung des Trägers stattgefunden hat, ohne die Sonderregelung des § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II bereits als KdU von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II umfasst wären. Eine ähnliche Überlegung hat der 4. Senat des BSG bereits in einem obiter dictum angestellt (BSGE 102, 194 = SozR 4-4200 § 22 Nr 16, RdNr 15). Auf solche Umzugskosten bestünde dann - die Regelung des § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II hinweggedacht - gemäß § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II ein Rechtsanspruch bis zur Grenze der Angemessenheit. Könnte der Umzug des Klägers hier also im Sinne der Norm des § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II als vom kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen als notwendig betrachtet werden, so stünden dem Kläger gemäß § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II die angemessenen Umzugskosten(wie in § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II) zu.

15

a) Der Umzug in die Umgebung von Braunschweig kann nicht iS des § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II als vom Träger veranlasst betrachtet werden. Denn der vom Kläger konkret durchgeführte Umzug wäre, wenn der Beklagte vor dem Umzug über den Antrag entschieden hätte, nicht "zusicherungsfähig" gewesen im Sinne dieser Norm. Zusicherungsfähig ist ein Umzug grundsätzlich nur dann, wenn er zur Verminderung der tatsächlichen KdU oder zur Eingliederung in Arbeit geboten ist. Danach könnte hier der Auszug des Klägers aus seiner Wohnung als vom Beklagten veranlasst zu betrachten sein, denn der Beklagte hat auf Grund der zu hohen Kosten der bisherigen Mietwohnung durch sein Verwaltungshandeln (Aufforderungsschreiben) den Kläger zur Aufgabe der Wohnung veranlasst. Keinesfalls kann jedoch davon ausgegangen werden, dass auch der Umzug in die konkrete neue Wohnung in der Nähe von Braunschweig vom Beklagten veranlasst worden ist iS des § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II. Anders als ein Auszug umfasst der Umzug schon begrifflich auch das Endziel (die neue Wohnung). Mithin müsste gerade auch das konkrete Ziel des Wohnungswechsels (der Bezug der neuen Wohnung) veranlasst worden sein.

16

Dient der Umzug der Verminderung der bisherigen KdU, so ist grundsätzlich nur ein Umzug innerhalb des "räumlichen Vergleichsraums" im Sinne der Rechtsprechung zu den angemessenen Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II(zusammenfassend zur Rechtsprechung des BSG zum sog schlüssigen Konzept zuletzt Knickrehm in Spellbrink, Das SGB II in der Praxis der Sozialgerichte, 2010, S 79 ff) "zusicherungsfähig". Ein Umzug innerhalb des maßgeblichen räumlichen Vergleichsraums des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II dürfte dabei im Regelfall als vom Träger veranlasst auch iS des § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II gelten können. Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen in Betracht, wenn Umstände vorliegen, die im Rahmen des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II die Unzumutbarkeit eines Umzugs aus der bisherigen Wohnung begründen. Dies könnte etwa bei besonderen Behinderungen oder besonderen medizinischen oder gesundheitlichen Gründen der Fall sein (vgl BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - RdNr 33 ff; vgl bereits Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263). Hierzu haben die Vorinstanzen bindend festgestellt (§ 163 SGG), dass keine gesundheitlichen oder sonstigen Gründe vorliegen, die einen Umzug des Klägers gerade über diese Distanz geboten erschienen ließen.

17

b) Der Umzug gerade nach Braunschweig wäre auch nicht als "aus anderen Gründen notwendig" "zusicherungsfähig" iS des § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II gewesen, wenn der Beklagte rechtzeitig über den Antrag des Klägers entschieden hätte. Eine solche Notwendigkeit aus anderen Gründen könnte etwa bei Pflegebedürftigkeit oder beim Vorhandensein kleiner Kinder vorliegen, wenn erwerbsfähige Hilfebedürftige auf Grund dieser Umstände gerade auf ein bestimmtes räumliches Umfeld in der Nähe von Verwandten und deren Betreuung angewiesen wären. Der bloße Wunsch des Klägers hingegen, sich räumlich wieder in die Nähe seiner erwachsenen Kinder zu bewegen, fällt dem rein privaten Bereich zu. Im Rahmen eines Fürsorgesystems vermag auch insofern die Argumentation des Revisionsklägers nicht zu verfangen, § 33 SGB I gebiete eine besondere Berücksichtigung der persönlichen Belange des Klägers. Es ist nicht Aufgabe des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die grundsätzlich das Ziel hat, Erwerbsfähige wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, Umzüge zu finanzieren, die einem rein privaten Zweck dienen. Mithin liegen keine Gründe vor, die im Sinne des § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II für eine Notwendigkeit des Umzugs des Klägers gerade nach Braunschweig sprechen könnten. Anhaltspunkte dafür, dass der Umzug zur Eingliederung in Arbeit geboten gewesen wäre, sind ebenfalls nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.

18

3. Da es sich hier mithin nicht um einen vom Träger veranlassten oder aus anderen Gründen notwendigen Umzug iS des § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II handelte, greift zu Gunsten des Klägers lediglich die Auffangnorm des § 22 Abs 3 Satz 1 SGB II ein, die grundsätzlich für den Fall des nicht notwendigen bzw veranlassten Umzugs einschlägig ist(vgl BSGE 102, 194 = SozR 4-4200 § 22 Nr 16, RdNr 15). § 22 Abs 3 Satz 1 SGB II räumt dem Leistungsträger bei der Übernahme der Umzugskosten Ermessen ein(vgl Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 22 RdNr 104). Das Ermessen betrifft sowohl das "ob" der Übernahme der Umzugskosten als auch die Höhe der Umzugskosten. Dies folgt aus der Verwendung des Wortes "können", das sich nach dem Wortlaut der Norm sowohl auf das "ob" als auch auf die Höhe der Bewilligung der Umzugskosten bezieht. Der Beklagte hat eine solche Ermessensentscheidung bislang nicht getroffen. Gemäß § 54 Abs 2 Satz 2 SGG war er daher zunächst zu verpflichten, eine entsprechende Entscheidung nachzuholen. Dabei darf der Beklagte allerdings nicht hinter dem bereits von den Vorinstanzen zugesprochenen Betrag von 951,25 Euro zurückbleiben, weil lediglich der Kläger Rechtsmittel eingelegt hat.

19

Die Vorinstanzen haben dabei allerdings Erwägungen angestellt, die der Beklagte bei einer Entscheidung im Rahmen des § 22 Abs 3 Satz 1 SGB II als Ermessenserwägungen zu Grunde legen kann. Auch Gesichtspunkte, die bei der Prüfung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit der Umzugskosten eines an sich genehmigungsfähigen Umzugs gemäß § 22 Abs 3 Satz 2 SGB II maßgebend wären, können hier als Ermessenskriterien herangezogen werden. So haben LSG und SG darauf abgestellt, dass den Hilfebedürftigen im SGB II grundsätzlich die Obliegenheit trifft, seine Hilfebedürftigkeit zu verringern. Nach § 2 Abs 1 Satz 1 SGB II müssen erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Die in § 2 SGB II zum Ausdruck gekommene Obliegenheit zur Eigenaktivität kann als Auslegungshilfe bei der Anwendung und Interpretation aller Regelungen, die Rechte und Pflichten der Leistungsberechtigen normieren, herangezogen werden(vgl Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 2 RdNr 8; Spellbrink in Spellbrink/Eicher, SGB II, 2. Aufl 2008, § 2 RdNr 5). Hieraus ist abzuleiten, dass der Hilfebedürftige im Rahmen eines aus Steuermitteln finanzierten Fürsorgesystems gehalten ist, einen Umzug grundsätzlich selbst zu organisieren und durchzuführen (so bereits SG Dresden Beschluss vom 15.8.2005 - S 23 AS 692/05 ER - ZfF 2006, 159; Sächsisches LSG Beschluss vom 19.9.2007 - L 3 B 411/06 AS ER -; vgl auch Piepenstock in juris PK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 22 RdNr 125). Als notwendige Umzugskosten könnten daher bei einer Ermessensentscheidung gemäß § 22 Abs 3 Satz 1 SGB II insbesondere die Aufwendungen für einen erforderlichen Mietwagen, die Anmietung von Umzugskartons, die Kosten für Verpackungsmaterial und Sperrmüllentsorgung und die üblichen Kosten für die Versorgung mithelfender Familienangehöriger und Bekannter zu übernehmen sein(vgl Berlit aaO; Piepenstock aaO; vgl auch Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 22 RdNr 84). Lediglich dann, wenn der Leistungsberechtigte den Umzug etwa wegen Alters, Behinderung, körperlicher Konstitution oder wegen der Betreuung von Kleinstkindern nicht selbst vornehmen oder durchführen kann, kann auch die Übernahme der Aufwendungen für einen gewerblich organisierten Umzug in Betracht kommen. Der Beklagte wird im Rahmen seiner Ermessensentscheidung daher hier zunächst noch zu ermitteln haben, ob der Kläger gesundheitlich und körperlich in der Lage war, den Umzug selbst zu organisieren und durchzuführen. War dies der Fall, so dürfte der Beklagte bei seiner Ermessensentscheidung nach § 22 Abs 3 Satz 1 SGB II wohl davon ausgehen, dass Kosten nur in Höhe der Kosten eines selbst organisierten Umzugs zu erstatten sind. Soweit das SG und ihm folgend das LSG diese Kosten beziffert haben, handelt es sich um eine Schätzung im Sinne des § 202 SGG iVm § 287 Zivilprozessordnung. Unabhängig davon, ob diese Schätzung im Einzelnen zutreffend war oder nicht, hat jedenfalls der Beklagte gegen seine Verurteilung in Höhe von 951,25 Euro kein Rechtsmittel eingelegt, sodass dieser Betrag dem Kläger in jedem Falle zu bewilligen sein wird.

20

Der Beklagte kann in seine Erwägungen auch den Gesichtspunkt einbeziehen, dass sich die Ermessensleistungen nach § 22 Abs 3 Satz 1 SGB II insgesamt in den Leistungsrahmen des SGB II einpassen müssen. So entspricht der hier vom Kläger geforderte Betrag für Umzugskosten in Höhe von 3700 Euro der Regelleistung gemäß § 20 Abs 2 SGB II für einen Alleinstehenden für fast ein Jahr. Ebenso belaufen sich die vom Kläger geltend gemachten Umzugskosten auf zehn Monatsmieten in der Höhe, wie sie der Beklagte für den Kläger als KdU für angemessen iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II hielt. Insofern wäre eine Übernahme der Umzugskosten in Höhe der Rechnung eines professionellen Anbieters eine Privilegierung gerade dieses Kostenanteils im Gesamtzusammenhang des Leistungssystems des SGB II, für den sich weder in den Gesetzesmaterialien noch im Gesetzeswortlaut ein Anhalt findet. Dies unterscheidet die Umzugskosten gerade von den Kosten für mehrtägige Klassenfahrten (zu den rechtlichen Erwägungen im Zusammenhang mit dem Anspruch auf tatsächliche Kostenübernahme gemäß § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II vgl BSGE 102, 68 = SozR 4-4200 § 23 Nr 1), auf die sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Wege der Analogie beruft.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

(1a) Eine Beschäftigung besteht auch in Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung von mehr als einem Monat, wenn

1.
während der Freistellung Arbeitsentgelt aus einem Wertguthaben nach § 7b fällig ist und
2.
das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die vorausgegangenen zwölf Kalendermonate abweicht, in denen Arbeitsentgelt bezogen wurde.
Satz 1 gilt entsprechend, wenn während einer bis zu dreimonatigen Freistellung Arbeitsentgelt aus einer Vereinbarung zur flexiblen Gestaltung der werktäglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit oder dem Ausgleich betrieblicher Produktions- und Arbeitszeitzyklen fällig ist. Beginnt ein Beschäftigungsverhältnis mit einer Zeit der Freistellung, gilt Satz 1 Nummer 2 mit der Maßgabe, dass das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die Zeit der Arbeitsleistung abweichen darf, mit der das Arbeitsentgelt später erzielt werden soll. Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht während der Zeit der Freistellung auch, wenn die Arbeitsleistung, mit der das Arbeitsentgelt später erzielt werden soll, wegen einer im Zeitpunkt der Vereinbarung nicht vorhersehbaren vorzeitigen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr erbracht werden kann. Die Vertragsparteien können beim Abschluss der Vereinbarung nur für den Fall, dass Wertguthaben wegen der Beendigung der Beschäftigung auf Grund verminderter Erwerbsfähigkeit, des Erreichens einer Altersgrenze, zu der eine Rente wegen Alters beansprucht werden kann, oder des Todes des Beschäftigten nicht mehr für Zeiten einer Freistellung von der Arbeitsleistung verwendet werden können, einen anderen Verwendungszweck vereinbaren. Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigte, auf die Wertguthaben übertragen werden. Bis zum 31. Dezember 2024 werden Wertguthaben, die durch Arbeitsleistung im Beitrittsgebiet erzielt werden, getrennt erfasst; sind für die Beitrags- oder Leistungsberechnung im Beitrittsgebiet und im übrigen Bundesgebiet unterschiedliche Werte vorgeschrieben, sind die Werte maßgebend, die für den Teil des Inlandes gelten, in dem das Wertguthaben erzielt worden ist.

(1b) Die Möglichkeit eines Arbeitnehmers zur Vereinbarung flexibler Arbeitszeiten gilt nicht als eine die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber begründende Tatsache im Sinne des § 1 Absatz 2 Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes.

(2) Als Beschäftigung gilt auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung.

(3) Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gilt als fortbestehend, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Eine Beschäftigung gilt auch als fortbestehend, wenn Arbeitsentgelt aus einem der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben bezogen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn Krankengeld, Krankentagegeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Pflegeunterstützungsgeld oder Mutterschaftsgeld oder nach gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen oder Wehrdienst oder Zivildienst geleistet wird. Satz 1 gilt auch nicht für die Freistellung nach § 3 des Pflegezeitgesetzes.

(4) Beschäftigt ein Arbeitgeber einen Ausländer ohne die nach § 284 Absatz 1 des Dritten Buches erforderliche Genehmigung oder ohne die nach § 4a Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit, wird vermutet, dass ein Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt für den Zeitraum von drei Monaten bestanden hat.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. September 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 3. November 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 23. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. September 2010 aufgehoben und festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 17. Mai 2008 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für alle drei Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines am 17.5.2008 erlittenen Unfalls als Arbeitsunfall.

2

Der 1946 geborene Kläger ist niederländischer Staatsangehöriger und übte in den Niederlanden bis zur Insolvenz seines Unternehmens eine hauptberufliche selbständige Erwerbstätigkeit als Bauunternehmer aus. Neben seinem Wohnsitz in den Niederlanden verfügte er seit Mai 2002 in der Gemeinde I. bei T. über einen weiteren Wohnsitz. Zusammen mit einer anderen Person pachtete der Kläger im Jahre 2003 den Jagdbezirk I. I, sowie im Jahre 2005 den angrenzenden Jagdbezirk V. Durch Bescheid vom 28.7.2005 wurde die Jagdgemeinschaft "H./K." ab 1.4.2005 in das Unternehmerverzeichnis aufgenommen. Dort heißt es: "Als Jagdpächter sind sie ab dem vorgenannten Zeitpunkt Pflichtmitglied der Berufsgenossenschaft und unterliegen ab der Beitragsumlage 2005 der Beitragspflicht." Der Aufnahmebescheid ist an die Adresse des Klägers in I. adressiert; beigefügt war ein Merkblatt, in dem ausgeführt wird: "Gemäß § 2 SGB VII umfasst die gesetzliche Unfallversicherung zunächst alle Beschäftigten. Als versicherte Personen in den Jagden kommen hauptsächlich Berufsjäger, Treiber, bestätigte Jagdaufseher usw., also alle Personen in Frage, die für Rechnung und im Auftrage des Jagdunternehmers bei der Jagd und Hege beschäftigt werden. Als Besonderheit der LUV erstreckt sich der Versicherungsschutz außerdem auch auf den Unternehmer (Eigenjagdbesitzer oder Jagdpächter)." Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagten unbekannt, dass der Kläger noch über einen niederländischen Wohnsitz verfügte sowie in den Niederlanden eine selbständige Tätigkeit als Bauunternehmer ausübte.

3

Bei Reparaturarbeiten an seinem Hochsitz im Jagdbezirk stürzte der Kläger am 17.5.2008 aus mehreren Meter Höhe ab und zog sich hierbei Verletzungen zu. Die Beklagte gewährte bis Oktober 2009 die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung. Durch Bescheid vom 23.3.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.9.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls als von ihr zu entschädigenden Arbeitsunfall ab, weil der Kläger nach den Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts zum Zeitpunkt des Unfalls nicht in der deutschen Unfallversicherung versichert gewesen sei. Da sich nach seinen Angaben der Hauptwohnsitz in den Niederlanden befunden habe und er dort selbständig tätig gewesen sei, seien auf der Basis des EG-Vertrages (EGV) die Regelungen der VO (EWG) 1408/71 einschlägig.

4

Durch Urteil vom 3.11.2011 hat das SG Trier die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger unterliege aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit und seines gewöhnlichen Aufenthalts in den Niederlanden ausschließlich dem dortigen Sozialversicherungssystem. Seine hiergegen erhobene Berufung hat der Kläger im Wesentlichen darauf gestützt, dass es gemäß § 3 SGB IV für die Beurteilung seines Versicherungsschutzes allein auf die Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit als Jagdpächter in der Bundesrepublik Deutschland ankomme.

5

Das LSG Rheinland-Pfalz hat die Berufung durch Urteil vom 6.9.2012 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es komme nicht alleine auf die inländische unternehmerische Tätigkeit als Jagdpächter an. Der Vorrang des Wohnsitzstaats werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass die entsprechende selbständige Tätigkeit in den Niederlanden versicherungsfrei sei. Dies gelte auch bei Anwendung der Neuregelung der Art 11 Abs 1 iVm 13 Abs 2 VO (EG) 883/2004. Auch unter dem Gesichtspunkt der Formalversicherung könne der Kläger keine Leistungsansprüche geltend machen. Aus der Beitragszahlung für das Unternehmen folge kein Vertrauensschutz, weil sich der Beitrag für Jagden gemäß § 47 der Satzung der Beklagten nach dem Veranlagungswert in Form der bejagbaren Fläche richte und mithin keine Beiträge konkret für einzelne Versicherte - auch nicht für den Kläger als Unternehmer - erhoben würden.

6

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision vertritt der Kläger die Auffassung, dass seine Versicherungspflicht insbesondere in dem Aufnahmebescheid vom 28.7.2005 festgestellt worden sei. Das LSG verkenne die Grundsätze der sog Formalversicherung. Die Beklagte dürfe nach der Rechtsprechung des BVerfG auch nicht ohne gewichtige sachliche Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung wechseln. Zudem habe die Jagdpacht keinerlei Bezugspunkt zu den Niederlanden und dem dort geltenden Sozialversicherungssystem. Insofern liege keine Kollisionslage vor, die durch die Anwendung der besonderen europarechtlichen Kollisionsvorschriften auf seine Leistungsansprüche gelöst werden müsste.

7

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. September 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 3. November 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. September 2010 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall des Klägers vom 17. Mai 2008 ein Arbeitsunfall ist.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die angefochtenen Urteile und Bescheide beruhen auf einer Rechtsverletzung. Der Kläger stand nach dem Gesamtzusammenhang der in dem Bescheid vom 28.7.2005 getroffenen Regelungen bei der Beklagten in einem formalen Versicherungsverhältnis (dazu unter 1.) und hat als bei der Beklagten Versicherter am 17.5.2008 einen Arbeitsunfall erlitten (hierzu unter 2.). Dem Anspruch auf Feststellung eines Arbeitsunfalls nach deutschem Recht stehen europarechtliche Regelungen nicht entgegen (vgl unter 3.).

11

Der Kläger begehrt mit der zulässigen Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage die Feststellung, dass der Unfall vom 17.5.2008, als er beim Reparieren eines Hochsitzes auf dem Gelände der von ihm betriebenen Jagdpacht abstürzte und verschiedene Verletzungen erlitt, ein Arbeitsunfall ist. Die Anfechtungsklage ist begründet, weil die Ablehnung der Feststellung eines Arbeitsunfalls durch die Beklagte rechtswidrig war und der Kläger dadurch in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG). Er hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf die begehrte Feststellung, weil ein Arbeitsunfall iS von § 8 SGB VII vorliegt. Damit ist auch die Feststellungsklage begründet, weil das umstrittene Rechtsverhältnis besteht.

12

1. Der Kläger stand bei der Beklagten zum Zeitpunkt des Unfallereignisses in einem (formalen) Versicherungsverhältnis. Der Bescheid vom 28.7.2005 beinhaltet bei objektiver Betrachtung die Feststellung des Bestehens einer Pflichtversicherung des Klägers als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten (dazu a). Dieser auf eine bestehende Befugnisnorm (dazu b) gestützte Bescheid ist zwar rechtswidrig (dazu c). Die in dem Bescheid getroffenen Regelungen beruhen auf einer Ermächtigungsgrundlage (dazu d), ihre Wirksamkeit scheitert weder an europarechtlichen Kollisionsnormen (dazu e), noch sind sie nach deutschem Sozialverwaltungsrecht nichtig (dazu f). Dahinstehen kann, ob darüber hinaus die Voraussetzungen einer Formalversicherung bestehen, weil bereits ein formales Versicherungsverhältnis vorliegt (dazu g).

13

a) Nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII sind Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sowie ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner kraft Gesetzes unfallversichert. Hierzu zählen auch Jagdpächter iS von § 11 Bundesjagdgesetz(BJgdG, idF der Bekanntmachung vom 29.9.1976 , zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29.5.2013 ) und zwar ohne Rücksicht darauf, ob mit der Ausübung des Jagdrechts ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird (BSG Urteil vom 20.12.1961 - 2 RU 136/60 - BSGE 16, 79 = SozR Nr 24 zu § 537 RVO).

14

Unabhängig von der Frage, ob für den Kläger aufgrund europarechtlicher Kollisionsnormen (§ 6 SGB IV iVm Art 13 ff VO 1408/71) wegen seiner selbständigen Tätigkeit und seines Wohnsitzes in den Niederlanden die Anwendung des deutschen Sozialversicherungsrechts ausgeschlossen ist und dementsprechend die gesetzlichen Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII auf ihn keine Anwendung finden(vgl hierzu im Einzelnen unter 1 c), war er jedenfalls aufgrund des bestandskräftigen Verwaltungsakts vom 28.7.2005 gegen Unfälle, die seiner Jagdpacht zuzurechnen sind, versichert. Die Feststellung des Bestehens der Pflichtmitgliedschaft ist ein Verwaltungsakt gemäß § 31 SGB X, weil sie die Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts beinhaltet und auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist(vgl BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2 zum Versicherungsschein; BSG Urteil vom 24.11.2005 - B 12 KR 18/04 R - SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 16; Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 31 RdNr 23 f).

15

Der Senat legt den Bescheid vom 28.7.2005 nach dem Gesamtzusammenhang seiner Verfügungssätze so aus, dass der Kläger als Empfänger diesen nur so verstehen konnte, dass ihm persönlich Versicherungsschutz bei seiner Tätigkeit als Jagdpächter zustehen soll. Zwar beziehen sich die in dem Bescheid vom 28.7.2005 ausdrücklich formulierten Verfügungssätze lediglich auf die Eintragung in das Unternehmerverzeichnis, die Feststellung der Pflichtmitgliedschaft und die damit verbundene Beitragspflicht sowie die Größe des Jagdreviers als Berechnungsgrundlage für den zu zahlenden Beitrag. Bei der Auslegung von Verfügungssätzen iS des § 31 SGB X ist jedoch vom Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten(§ 133 BGB) auszugehen, wobei alle Zusammenhänge zu berücksichtigen sind, die die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl BSG Urteil vom 16.11.2005 - B 2 U 28/04 R - juris RdNr 13; BSG Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11 f; BSG Urteil vom 16.11.1995 - 4 RLw 4/94 - SozR 3-1300 § 31 Nr 10 S 12). Maßgebend ist der objektive Sinngehalt der Erklärung (BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 8/07 R - juris RdNr 12; BSG Urteil vom 28.10.2008 - B 8 SO 33/07 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 15; vgl BSG Urteil vom 12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R - BSGE 89, 90, 99 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 12 f; Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 31 RdNr 56) bzw das objektivierte Empfängerverständnis (BSG Urteil vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 25; vgl BSG Urteil vom 1.3.1979 - 6 RKa 3/78 - BSGE 48, 56, 58 f = SozR 2200 § 368a Nr 5 S 10). Zur Bestimmung des objektiven Regelungsgehaltes eines Verwaltungsaktes kommt es mithin darauf an, wie Adressaten und Drittbetroffene ihn nach Treu und Glauben verstehen mussten bzw durften (vgl BVerwG Urteil vom 7.6.1991 - 7 C 43/90 - NVwZ 1993, 177, 179; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl 2012, § 35 RdNr 54). Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (BVerwG Urteil vom 18.6.1980 - 6 C 55/79 - BVerwGE 60, 223, 228).

16

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien durfte der Kläger davon ausgehen, dass mit der Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis und der Feststellung der Pflichtmitgliedschaft eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung in einem an ihn persönlich adressierten und unter Erwähnung der von ihm selbst ausgeübten Jagdpacht gefassten Bescheid, er persönlich gegen Unfälle im Zusammenhang mit der Jagdpacht künftig versichert werden sollte (vgl BSG Urteil vom 13.9.2006 - B 12 AL 1/05 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 2). Dies folgt zum einen daraus, dass in dem Begründungstext des Bescheids vom 28.7.2005 auf § 123 SGB VII verwiesen wird, aus dem sich iVm § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII die Versicherungspflicht für Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens als zwingende Rechtsfolge ergibt. Auch wenn sich die Bindungswirkung eines Verwaltungsakts iS des § 77 SGG grundsätzlich auf den Verfügungssatz beschränkt(BSG Urteil vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261 = SozR 3-2500 § 33 Nr 21), kann einem Satz der Begründung eines Verwaltungsakts nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht eine solche Bedeutung zukommen, dass er unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten als selbständige Feststellung im Sinne eines (weiteren) Verfügungssatzes zu werten ist (BSG Urteil vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261 = SozR 3-2500 § 33 Nr 21; BSG Urteil vom 30.1.1990 - 11 RAr 47/88 - BSGE 66, 168, 173 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1). Verstärkt wird dies im vorliegenden Fall durch den Umstand, dass nach den Feststellungen des LSG, die seitens der Beteiligten nicht in Zweifel gezogen werden, dem Bescheid als Anlage ein "Merkblatt über die gesetzliche Unfallversicherung der Jagden" beigefügt war, welches unter Nennung des § 2 SGB VII ausdrücklich ausführt, dass sich der Versicherungsschutz in der LUV auch auf den Unternehmer (Eigenjagdbesitzer oder Jagdpächter) erstrecke.Diese Erklärung kann von einem objektiven Empfängerhorizont aus nur so verstanden werden, dass dem Kläger gegenüber das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses zwischen ihm und der Beklagten, also ein Rechtsverhältnis, festgestellt wird (BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2).

17

Der Kläger musste zudem davon ausgehen, dass der an ihn persönlich gerichtete Bescheid nach Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen durch eine Berufsgenossenschaft in seinem konkreten Einzelfall im Rahmen eines - von Amts wegen eingeleiteten - Verwaltungsverfahren iS von § 8 SGB X erfolgt ist(BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2), und daher alle rechtlichen Aspekte geprüft wurden. Bei Irrtum der erlassenden Behörde über rechtliche Voraussetzungen oder tatsächliche Umstände bleibt bis zum Eintritt des Versicherungsfalls allenfalls das Rücknahmeinstrumentarium der §§ 44 ff SGB X, von dem die Beklagte vorliegend gerade keinen Gebrauch gemacht hat(vgl BSG Urteil vom 5.7.1994 - 2 RU 33/93 - juris; BSG Urteil vom 26.9.1986 - 2 RU 54/85 - mwN in HV-Info 1987, 33).

18

b) Ermächtigungsgrundlage für die Feststellung der Versicherungspflicht ist § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII, wonach der Unfallversicherungsträger Beginn und Ende seiner Zuständigkeit für ein Unternehmen durch schriftlichen Bescheid gegenüber dem Unternehmer feststellt(BSG Urteil vom 5.2.2008 - B 2 U 3/07 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 4 RdNr 14). Die Vorschrift ermächtigt nicht nur zur Feststellung der sachlichen und örtlichen "Zuständigkeit", sondern auch dazu, einem Unternehmer gegenüber (irgend)ein Versicherungsverhältnis zwischen diesem und dem Träger festzustellen (BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2, RdNr 31).

19

c) Der Verwaltungsakt der Beklagten vom 28.7.2005 ist jedoch, was das LSG zutreffend erkannt hat, rechtswidrig, weil der Kläger kraft europäischer Kollisionsnormen ausschließlich dem gesetzlichen Regelungsregime der Niederlanden unterlag. Dies ändert jedoch nichts an der Wirksamkeit der in dem Bescheid aus der Sicht des Empfängerhorizonts (vgl soeben b) getroffenen Regelungen über einen Versicherungsschutz des Klägers als Jagdpächter (sogleich unter d ff).

20

Auf den Rechtsstreit finden noch die Vorschriften der VO (EWG) 1408/71 vom 14.6.1971 (ABl L 149 vom 5.7.1971, S 2-50) Anwendung und nicht die VO (EG) 883/2004, die die VO (EWG) 1408/71 erst zum 1.5.2010 - mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009 - abgelöst hat (Art 91 VO 883/2004; Art 97 VO 987/2009). Aus Art 87 Abs 1 VO (EG) 883/2004, der nach Art 93 VO (EG) 987/2009 für Sachverhalte im Anwendungsbereich der Durchführungsverordnung gilt, ergibt sich, dass das neue Recht keinen Anspruch für den Zeitraum vor Beginn seiner Anwendung begründet (vgl EuGH Urteil vom 19.7.2012 - C-522/10 - "Reichel-Albert" - EuGHE I 2012, 518, RdNr 26). Zum einen begehrt der Kläger vorliegend nur die Feststellung eines Versicherungsfalls, nicht hingegen die Zahlbarmachung einer konkreten Leistung. Aber selbst wenn man diese Feststellung als (notwendige) Vorstufe für den Leistungsfall ansieht, stellt sie die Grundlage für die bereits seitens der Beklagten unmittelbar nach dem Unfallereignis erbrachten Sachleistungen dar, weshalb Gegenstand des Rechtsstreits nicht alleine Leistungen für die Zeit nach Inkrafttreten der VO (EG) 883/2004 sind. Der Fall ist daher umfassend nach der VO (EWG) 1408/71 zu prüfen.

21

Der Kläger unterlag hier den Vorschriften des niederländischen Rechts. Nach Art 13 Abs 1 Satz 1 VO (EWG) 1408/71 unterliegen, vorbehaltlich der Art 14c und 14f, Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Art 13 Abs 2 lit b VO (EWG) 1408/71 bestimmt näher, dass eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats eine selbständige Tätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Staats unterliegt, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. Abweichend hiervon sieht Art 14a Nr 2 und 3 der VO (EWG) 1408/71 vor, dass eine Person, die eine selbständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegt, in dessen Gebiet sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Mitgliedstaats ausübt. Eine Person, die eine selbständige Tätigkeit in einem Unternehmen ausübt, das seinen Sitz im Gebiet eines Mitgliedstaats hat und durch dessen Betrieb die gemeinsame Grenze von zwei Mitgliedstaaten verläuft, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Unternehmen seinen Sitz hat (Nr 3). Keine dieser Varianten liegt hier vor. Vielmehr verfügt der Kläger nach den Feststellungen des LSG über zwei Wohnsitze und übt zwei verschiedene selbständige Tätigkeiten in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten isoliert nebeneinander aus. Der EuGH hat hierzu durch Beschluss vom 20.10.2000 klargestellt, dass der in Art 13 VO (EWG) 1408/71 verankerte Grundsatz der Anwendbarkeit nur eines Rechts gebiete, auch in solchen Fällen auf den "Wohnort" abzustellen (EuGH Urteil vom 20.10.2000 - C-242/99 - "Vogler" - EuGHE I 2000, 9083, RdNr 24 und RdNr 27; in diesem Sinne auch EuGH Urteil vom 18.4.2013 - C-548/11 - "Mulders" - vgl dazu Fuchs, NZS 2014, 121, 124).

22

Der Kläger hatte seinen Wohnort in diesem Sinne in den Niederlanden. Als Wohnort bestimmt Art 1 lit h VO (EWG) 1408/71 den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Kommen zwei Aufenthaltsorte (Art 1 lit i VO 1408/71) in Betracht, bestimmt sich der Wohnort nach objektiven und subjektiven Umständen. Entscheidend ist, wo sich der gewöhnliche Mittelpunkt der Interessen des Einzelnen befindet (Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Art 1 RdNr 31). Der EuGH hat darauf hingewiesen, dass der Begriff des Mitgliedstaats, in dem die Person wohnt, den Staat bezeichnet, in dem die Person gewöhnlich wohnt und in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt ihrer Interessen befindet (EuGH Urteil vom 16.5.2013 - C-589/10 - "Wencel" - ZESAR 2013, 456; EuGH Urteil vom 25.2.1999 - C-90/97 - "Swaddling" - EuGHE I 1999, 1075, RdNr 29). Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG hielt sich der Kläger zeitlich überwiegend an seinem Wohnort in den Niederlanden auf, wo er eine hauptberufliche selbständige Erwerbstätigkeit als Bauunternehmer ausübte. Die rechtliche Schlussfolgerung des LSG, den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers und damit seinen Wohnort iS von Art 1 lit h und i VO (EWG) 1408/71 als in den Niederlanden liegend zu bestimmen, ist daher nicht zu beanstanden. Ein anderes Ergebnis würde sich im Übrigen wohl auch nicht unter Anwendung der VO (EG) 883/2004 ergeben.

23

d) Trotz seiner Rechtswidrigkeit ist der Verwaltungsakt vom 28.7.2005 gleichwohl wirksam. Der Verwaltungsakt vom 28.7.2005 wurde dem Kläger ordnungsgemäß bekannt gegeben (§ 37 Abs 1 SGB X; BSG Urteil vom 13.11.1985 - 1/8 RR 5/83 - BSGE 59, 122, 128 = SozR 2200 § 253 Nr 2). Die Ermächtigung des § 136 Abs 1 SGB VII gilt nämlich auch dann, wenn die Feststellung erfolgt, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Beklagte hat sich somit auf eine vorhandene Ermächtigungsgrundlage gestützt, um durch den Aufnahmebescheid den Beginn der von ihr angenommenen Zuständigkeit aufgrund einer gesetzlichen Versicherung des Unternehmers nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII festzustellen(BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2; s zum Aufnahmebescheid Streubel in LPK-SGB VII, 3. Aufl 2011, § 136 RdNr 5).

24

e) Die Wirksamkeit der Feststellung des Versicherungsschutzes scheitert nicht an europarechtlichen Kollisionsnormen, die lediglich das anzuwendende materielle Recht (Statut), nicht hingegen - wie Sachnormen - unmittelbar das zugrunde liegende Lebensverhältnis und damit auch das Verfahrensrecht regeln (von Maydell, Sach- und Kollisionsnormen, 1967, S 22 ff). Zwar genießen unmittelbar geltende Vorschriften des Unionsrechts im Kollisionsfall Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht (s EuGH Urteil vom 15.7.1964 - C-6/64 - "Costa./. E.N.E.L" - EuGHE 1964, 1251; EuGH Urteil vom 7.2.1991 - C-184/89 - "Nimz" - EuGHE I 1991, I-297, RdNr 19; BVerfGE 75, 223, 244; BVerfGE 85, 191, 204).Jedoch beeinflusst der Grundsatz vom "Vorrang des Unionsrechts" nicht die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl 2011, Einführung II RdNr 38), wonach diese berechtigt und verpflichtet sind, das Unionsrecht ebenso wie das nationale Recht nach den Regelungen des nationalen (Verwaltungs-) Verfahrensrechts unter Berücksichtigung der allgemeinen Verfahrensgrundsätze der EU zu vollziehen, soweit nicht unmittelbar geltende Verfahrensbestimmungen der EU ausnahmsweise vorgehen (vgl EuGH Urteil vom 21.9.1983 - C-205/82 - "Milchkontor" - EuGHE 1983, 2633, 2665; vgl BVerwG Urteil vom 29.11.1990 - 3 C 77.87 - BVerwGE 87, 154, 158). Art 48 AEUV sieht wie zuvor Art 42 EGV gerade eine Koordinierung und keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vor, weshalb im Übrigen die materiellen und formellen Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten und folglich zwischen den Ansprüchen der dort Versicherten durch diese Bestimmung nicht berührt werden. Somit bleibt jeder Mitgliedstaat dafür zuständig, im Einklang mit dem Unionsrecht in seinen Rechtsvorschriften festzulegen, unter welchen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen die Leistungen eines Systems der sozialen Sicherheit gewährt werden (vgl EuGH Urteil vom 30.6.2011 - C-388/09 - "da Silva Martins" - EuGHE I 2011, 5737). Ebenso wenig wie die VO (EWG) 1408/71 gemäß § 6 SGB IV gegenüber § 3 SGB IV vorrangige Regelungen zum Bestehen der Versicherungspflicht nach nationalem Recht sowie einer Pflichtmitgliedschaft bei einem nationalen Sozialversicherungsträger enthält, sondern diese nur ergänzt(BSG Urteil vom 26.1.2005 - B 12 P 4/02 R - SozR 4-2400 § 3 Nr 1; vgl BSG Urteil vom 16.6.1999 - B 1 KR 5/98 R - BSGE 84, 98, 100 = SozR 3-2400 § 3 Nr 6 S 8), kann sie demgemäß ein nach nationalem Verwaltungsverfahrensrecht entstandenes (formales) Versicherungsverhältnis beseitigen. Eine europarechtliche Norm, die bestimmt, dass ein materiell europarechtswidriger Verwaltungsakt grundsätzlich nichtig ist, existiert ersichtlich nicht.

25

f) Der das Versicherungsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten feststellende Verwaltungsakt vom 28.7.2005 ist auch nicht gemäß § 40 SGB X nichtig. Die in § 40 Abs 2 SGB X genannten Tatbestände liegen nicht vor. Nach § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Auch wenn aufgrund europarechtlicher Kollisionsnormen der Kläger alleine dem niederländischen Sozialversicherungsrecht unterfällt und die Feststellung eines Sozialversicherungsverhältnisses nach deutschem Recht mithin objektiv rechtswidrig war, war dieser Fehler nach den Kriterien des § 40 Abs 1 SGB X nicht "offensichtlich". Maßstab für die "Offensichtlichkeit" eines Fehlers ist der Durchschnittsbürger, der ohne besondere Sachkenntnis den Fehler erkennen können muss (vgl nur Roos in von Wulffen, SGB X, 8. Aufl 2014, § 40 RdNr 10 mwN). Dass ein Jagdpächter, der zumindest auch über einen Wohnsitz im Gebiet des Geltungsbereichs des SGB X verfügt, hinsichtlich seiner in Deutschland betriebenen Jagdpachten deutschem Sozialversicherungsrecht nicht unterliegt, ist nicht in diesem Sinne offenkundig (vgl BSG Beschluss vom 23.2.2005 - B 2 U 409/04 B - juris). Selbst bei groben Zuständigkeitsverstößen ist ein Feststellungsbescheid daher zwar rechtswidrig aber nicht nichtig (BSG Urteil vom 28.11.1961 - 2 RU 36/58 - BSGE 15, 282, 285 = SozR Nr 1 zu § 666 RVO; BSG Urteil vom 30.10.1974 - 2 RU 42/73 - BSGE 38, 187, 192 = SozR 2200 § 664 Nr 1; s auch Ricke in Kasseler Kommentar, SGB VII, § 136 RdNr 3). Schließlich führt auch der (oben unter e> bereits zitierte) Grundsatz vom "Vorrang des Europarechts" nicht dazu, dass jeder Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht binnenstaatlich als Nichtigkeitsgrund zu behandeln ist (BVerwG Beschluss vom 11.5.2000 - 11 B 26/00 - NVwZ 2000, 1039; BVerwG Urteil vom 18.4.1997 - 3 C 3.95 - BVerwGE 104, 289, 295 f; vgl EuGH Urteil vom 19.9.2006 - C-392/04, C-422/04 - "i-21 Germany und Arcor" - EuGH I 2006, 8559 ff).

26

g) Der Senat konnte es aufgrund des durch Verwaltungsakt vom 28.7.2005 festgestellten formalen Versicherungsverhältnisses dahinstehen lassen, ob auch die Voraussetzungen einer Formalversicherung vorliegen, weil die Beklagte den Kläger ohne dessen Verschulden auch vom Beitragsjahr 2005 an regelmäßig zu Beiträgen veranlagt hat. Während das hier vorliegende formale Versicherungsverhältnis durch einen rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakt begründet wird (vgl grundlegend BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2), stellt die Rechtsprechung des BSG zur Formalversicherung im Wesentlichen auf den Vertrauensschutz desjenigen ab, der (wegen der Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis als Mitglied und zugleich als Versicherter) unbeanstandet Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung entrichtet hat (s BSG Urteil vom 30.3.1988 - 2 RU 34/87 - SozR 2200 § 539 Nr 126 mwN; BSG Urteil vom 26.11.1987 - 2 RU 7/87 - SozR 2200 § 776 Nr 8 mwN; BSG Urteil vom 26.6.1973 - 8/7 RU 34/71 - BSGE 36, 71 = SozR Nr 40 zu § 539 RVO). Die Formalversicherung kann sich auch auf Fälle erstrecken, in denen einzelne nicht versicherungspflichtige Personen in den Lohnnachweis aufgenommen und bei der Bemessung der Beiträge berücksichtigt worden sind (BSG Urteil vom 14.12.1999 - B 2 U 48/98 R - juris; vgl BSG Urteil vom 27.7.1972 - 2 RU 193/68 - BSGE 34, 230, 233 = SozR Nr 1 zu § 664 RVO mwN).

27

Durch den materiell-rechtlich rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakt vom 28.7.2005 (§ 39 Abs 1 bis 3 SGB X), der dem Kläger ordnungsgemäß bekanntgegeben wurde (§ 37 Abs 1 SGB X)ist somit ein formales Versicherungsverhältnis begründet worden (BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2; s auch Streubel in LPK-SGB VII, 3. Aufl 2011, § 136 RdNr 5). Damit war der Kläger kraft der Regelungswirkung des Verwaltungsakts und unabhängig von dem anwendbaren Rechtsstatut zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Ereignisses gegen im wesentlichen Zusammenhang mit seiner Jagdpacht stehende Unfälle versichert, weil die Beklagte das versicherungsrechtliche Wagnis, gegen das die Unfallversicherung schützt, rechtsverbindlich übernommen hat (vgl BSG Urteil vom 30.6.1965 - 2 RU 175/63 - BSGE 23, 139, 141 = SozR Nr 1 zu § 555 RVO; BSG Urteil vom 27.7.1989 - 2 RU 54/88 - SozR 2200 § 551 Nr 3).

28

2. Das Ereignis vom 17.5.2008 stellte auch einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs 1 SGB VII dar. Hiernach sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Tatbestandsvoraussetzung eines Arbeitsunfalls (BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 2 U 9/10 R - BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr 17; vgl BSG Urteil vom 4.9.2007 - B 2 U 24/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 24 RdNr 9 mwN).

29

Der Unfall in Form des Sturzes vom Hochsitz ereignete sich bei einer Verrichtung des Klägers, die sowohl objektiv (BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22) als auch subjektiv auf Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet war. Im Bereich der Unternehmerversicherung sind alle Tätigkeiten, die im inneren Zusammenhang mit dem Unternehmen stehen, versichert (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 2 RdNr 10.3.), und daher auch alle Nebentätigkeiten, die dem Erhalt des Jagdreviers dienen, somit auch die Reparatur eines Hochsitzes (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 123 RdNr 13). Der Kläger hat zudem rechtlich wesentlich durch das angeschuldigte Unfallereignis verursacht Gesundheitsschäden in Form von Frakturen zweier Lendenwirbelkörper und des Handgelenks erlitten.

30

3. Aus dem formalen Versicherungsverhältnis folgt der Anspruch des Klägers, den Versicherungsfall festzustellen. Die Anerkennung eines Versicherungsfalls nach deutschem Unfallversicherungsrecht führt auch nicht zu Wirkungsverlusten des Unionsrechts. Zum einen wird dadurch keine verfahrensrechtliche Schlechterstellung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten im Sinne des Diskriminierungsverbots bewirkt (s EuGH Urteil vom 21.9.1983 - C-205/215/82 - "Milchkontor" - EuGHE I 1983, 2633) noch wird zum anderen die effektive Durchsetzung des Unionsrechts dadurch behindert (sog Effektivitätsgebot, EuGH Urteil vom 15.9.1998 - C-231/96 - "Edis" - EuGHE I 1998, 4951, RdNr 19 und 34). Die Bestimmungen der VO (EWG) 1408/71 sind im Lichte des Art 48 AEUV so auszulegen, dass sie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer erleichtern sollen (EuGH Urteil vom 30.6.2011 - C-388/09 - "da Silva Martins" - EuGHE I 2011, 5737, RdNr 70). Dies impliziert, dass Wanderarbeitnehmer nicht deshalb Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder geringere Leistungen erhalten dürfen, weil sie ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben. Eine Auslegung dieser Bestimmungen, die es einem Mitgliedstaat verbietet, Arbeitnehmern sowie deren Familienangehörigen einen weitergehenden sozialen Schutz zu gewähren, als sich aus der Anwendung europarechtlicher Normen ergibt, liefe dem Ziel der VO (EWG) 1408/71 und Art 48 AEUV zuwider (vgl EuGH Urteil vom 16.7.2009 - C 208/07 - "von Chamier-Gliszinski" - EuGHE I 2009, 6097, RdNr 56). Entscheidend ist, ob bei unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der Art 13 ff der VO (EWG) 1408/71 gewährten Leistungen des nicht zuständigen Mitgliedstaates (hier Deutschlands) ein Arbeitnehmer in Folge der Wahrnehmung seines Rechts auf Freizügigkeit einen Rechtsnachteil erleidet (s EuGH Urteil vom 12.6.2012 - C-611/10 ua - "Hudzinski" - juris RdNr 26 ff).Dies gilt auch für die Freiheit der Selbständigen als Teil der Niederlassungsfreiheit (Art 49 AEUV), da die Freizügigkeit auch diesbezüglich oberster Leitgedanke der Koordinierung ist (s Art 48 Abs 1 AEUV; vgl Fuchs in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 1 Aufl 2009, VO 1408/71 RdNr 4 zu Art 39 ff; Langer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Vorbemerkungen zu Art 39 EG RdNr 1).

31

Durch die vom Kläger begehrte Feststellung des Versicherungsfalls in Deutschland sind indes keinerlei Nachteile oder gar ein Verlust etwaiger Leistungsansprüche im zuständigen Mitgliedstaat Niederlande zu befürchten. Das BSG ist nicht durch § 162 SGG gehindert, insoweit auch ausländisches Recht zu prüfen(BSG Urteil vom 18.12.2008 - B 11 AL 32/07 R - BSGE 102, 211 = SozR 4-4300 § 142 Nr 4; vgl auch BSG Urteil vom 6.3.1991 - 13/5 RJ 39/90 - BSGE 68, 184, 187 = SozR 3-2400 § 18a Nr 2 mwN; BSG Urteil vom 24.7.1997 - 11 RAr 95/96 - BSGE 80, 295, 299 = SozR 3-4100 § 142 Nr 1; BSG Urteil vom 5.9.2007 - B 11b AS 49/06 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 7 RdNr 25; BSG Urteil vom 31.8.1977 - 1 RA 155/75 - BSGE 44, 221, 222 = SozR 5050 § 15 Nr 8), weil das LSG - aus seiner Sicht konsequent - das niederländische Recht nicht erörtert hat (vgl BSG Urteil vom 18.12.2008 - B 11 AL 32/07 R - BSGE 102, 211 = SozR 4-4300 § 142 Nr 4; BSG Urteil vom 13.10.1992 - 4 RA 24/91 - BSGE 71, 163 = SozR 3-5050 § 15 Nr 4; BSG Urteil vom 8.7.1993 - 7 RAr 64/92 - BSGE 73, 10 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4; BSG Urteil vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1).

32

Eine gesetzliche Unfallversicherung existiert in den Niederlanden nicht (Fuchs in Europäisches Sozialrecht, 4 Aufl 2005, Art 61 RdNr 2). Ansprüche wegen Arbeitsunfähigkeit oder Invalidität werden dort unabhängig von der Entstehungsursache durch verschiedene Arbeitnehmerversicherungen (werknemersverzekeringen) entschädigt, die im Unterschied zu den wohnsitzabhängigen Volksversicherungen (volksverzekeringen) alleine abhängig Beschäftigten, nicht aber Selbständigen offenstehen (vgl Pabst, BPUZ 11/2002, 580; Walser, ZFSH/SGB 2008, 195; s auch http://www.svb.nl/int/de sowie http://www.government.nl/documents-and-publications/leaflets/2012/08/02/short-survey-of-social-security-in-the-netherlands-1-july-2012.html). Der Senat hat keine Zweifel, dass der Kläger als Bauunternehmer in den Niederlanden eine selbständige Berufstätigkeit ausgeübt hat, in deren Rahmen er Leistungen erhielt, die es ihm ermöglichten, ganz oder teilweise seinen Lebensunterhalt zu bestreiten (EuGH Urteil vom 23.10.1986 - C-300/84 - "van Roosmalen" - EuGHE I 1986, 3097). Nach den Angaben des Klägers hat dieser auch von der im niederländischen Recht vereinzelt bestehenden Möglichkeit, sich freiwillig in einem Zweig der gesetzlichen Arbeitnehmerversicherung gegen Krankheit oder Invalidität zu versichern, keinen Gebrauch gemacht. Im Ergebnis ist somit das Eingreifen nationaler Antikumulierungsvorschriften iS von Art 12 Abs 2 VO (EWG) 1408/71, die zu einem Rechtsnachteil für den Kläger führen könnten, wenn Versicherungsschutz (und Leistungen) nach deutschem Recht gewährt werden, nicht denkbar. Der Senat konnte dabei dahinstehen lassen, ob der Kläger eine private Unfallversicherung zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfallereignisses abgeschlossen hatte, weil diese nicht zu den in Art 4 VO (EWG) 1408/71 vorausgesetzten Zweigen der sozialen Sicherheit zählt (vgl Fuchs in Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Art 4 RdNr 5) und dementsprechend bei etwaigen Antikumulierungsnormen keine Berücksichtigung findet.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

Für kraft Gesetzes versicherte selbständig Tätige, für kraft Satzung versicherte Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner und für freiwillig Versicherte hat die Satzung des Unfallversicherungsträgers die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes zu bestimmen. Sie hat ferner zu bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen die kraft Gesetzes versicherten selbständig Tätigen und die kraft Satzung versicherten Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner auf ihren Antrag mit einem höheren Jahresarbeitsverdienst versichert werden.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Streitwert wird auf 792 999,25 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist die Veranlagung der Klägerin zur Gefahrtarifstelle 1 im Gefahrtarif 2005 der Beklagten.

2

Die Klägerin betreibt ein Unternehmen, das im Wege der industriellen Fertigung Tiefkühltorten und -kuchen, Feingebäck, aber auch Brötchen, Baguette und Desserts herstellt. Sie ist Mitgliedsunternehmen der Beklagten.

3

Im Gefahrtarif 1999 der Beklagten, der von 1999 bis Ende 2004 Gültigkeit besaß, waren zwei getrennte Gefahrtarifstellen für Bäckereien (Gefahrtarifstelle 1 - Gewerbegruppe 11 - Gefahrklasse 6,7) und für Konditoreien (Gefahrtarifstelle 2 - Gewerbegruppe 12 - Gefahrklasse 3,7) festgestellt. Damals war die Klägerin mit wesentlichen Teilen ihres Unternehmens durch Veranlagungsbescheid vom 10.8.1999 zur Gefahrtarifstelle 2 (Konditoreien) veranlagt worden. Zur Vorbereitung eines neuen Gefahrtarifs ermittelte die Verwaltung der Beklagten als Vorlage für die Beschlussfassung im April 2004 aus dem Beobachtungszeitraum 1999 bis 2003 eine Gefahrklasse von 4,0 für Konditoreien und von 6,3 für Bäckereien. Die Vertreterversammlung der Beklagten beschloss allerdings später bei Erlass des Gefahrtarifs 2005, die Gefahrtarifstellen für Bäckereien und Konditoreien zusammenzuführen. Der Gefahrtarif 2005 sah eine gemeinsame Gefahrtarifstelle 1 für die "Herstellung von Back- und Konditoreiwaren", Gewerbegruppe 11 mit der Gefahrklasse 6,0 vor. Der neue Gefahrtarif wurde vom Bundesversicherungsamt (BVA) genehmigt.

4

Mit Verwaltungsakt vom 20.8.2005 veranlagte die Beklagte die Klägerin ab 1.1.2005 mit dem Unternehmensteil "Produktion" zur Gefahrtarifstelle 1 (Gefahrklasse 6,0) des Gefahrtarifs 2005. Der Bürobereich (Gefahrklasse 0,8) sowie der Vertrieb (Gefahrklasse 3,0) wurden jeweils eigenen Gefahrtarifstellen zugeordnet. Die Klägerin erhob gegen den Veranlagungsbescheid vom 20.8.2005 Widerspruch, soweit Teile ihres Unternehmens zu der Gefahrtarifstelle 1 veranlagt wurden. Die Zusammenfassung von Konditoreien und Bäckereien in einer einheitlichen Gefahrtarifstelle sei rechtswidrig. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 14.10.2005).

5

Die Klägerin hat Klage beim SG Osnabrück erhoben, das den Veranlagungsbescheid der Beklagten mit Urteil vom 12.5.2010 (insgesamt) aufgehoben hat. Die Gewerbezweige Bäckerei und Konditorei seien durch ein relevant abweichendes Gefährdungsrisiko geprägt, so dass ein Anspruch der Unternehmen des Konditoreigewerbes auf Verselbstständigung als eigener Gewerbezweig in dem Gefahrtarif bestehe.

6

Gegen das Urteil des SG hat die Beklagte Berufung eingelegt und geltend gemacht, den Unfallversicherungsträgern sei bezüglich des Gefahrtarifs ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt. Das SG habe in seinem Urteil unzutreffend eigene Überlegungen zur Zweckmäßigkeit der vorgenommenen Gefahrtarifänderung angestellt. Das LSG hat durch Urteil vom 22.3.2012 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Gliederung des Gefahrtarifs 2005 mit einer einzigen Gefahrtarifstelle für Bäckereien und Konditoreien sei nach den maßgebenden rechtlichen Bestimmungen nicht zu beanstanden. Ein Gewerbezweigtarif basiere auf der Erkenntnis, dass technologisch artverwandte Unternehmen gleiche oder ähnliche Unfallrisiken aufwiesen und der Gewerbezweig deshalb eine geeignete Grundlage für die Bildung möglichst homogener Gefahrengemeinschaften darstelle. Eine erheblich abweichende Unfallgefahr in Konditoreien gegenüber Bäckereien sei nicht festzustellen. Dies folge bereits aus der Überschneidung der von beiden Handwerken hergestellten Produkte. Auch handele es sich bei Bäckern und Konditoren um verwandte Handwerke iS von § 7 Abs 1 Satz 2 Handwerksordnung. Ein wesentlicher Unterschied in den Produktionsweisen liege nicht mehr vor. Insbesondere habe die Klägerin selbst darauf hingewiesen, dass sie einen Mischbetrieb führe. Art 3 Abs 1 GG sei nicht verletzt.

7

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 157 Abs 2 Satz 1 SGB VII. Die Beklagte sei für die Voraussetzungen des Veranlagungsbescheids, der einen belastenden Verwaltungsakt darstelle, darlegungs- und beweispflichtig. Sie habe nicht hinreichend durch Tatsachen belegen können, dass eine gemeinsame Veranlagung von Bäckereien und Konditoreien gerechtfertigt sei. In einer Gefahrtarifstelle dürften nur Gewerbezweige mit annähernd gleichen Unfallrisiken zusammengefasst werden. Nach der Rechtsprechung sei eine auffällige Abweichung der Belastungsziffern verschiedener Gewerbezweige vom Tarifstellendurchschnitt bereits bei einer Abweichung von 36,2 vH anzunehmen. In solchen Fällen sei für verschiedene Gewerbezweige jeweils eine eigene Gefahrtarifstelle zu bilden. Die Abweichung der Belastungsziffer der Konditoreien (3,7) von der Belastungsziffer der Bäckereien bzw von gemeinsamen Belastungsziffern der Unternehmen der Gefahrtarifgruppe 1 (Gefahrklasse 6,0) sei erheblich, sie betrage 38,3 vH. Die Heraufsetzung der Gefahrklasse für Konditoreien von 3,7 auf 6,0 verstoße zudem gegen das Übermaßverbot, denn die daraus resultierende Beitragssteigerung von 62 vH überschreite die zulässigen Belastungsgrenzen.

8

Für die Bestimmung der Gefährdungsrisiken seien nicht - wie vom LSG angenommen - die Vielzahl der Produkte oder die den Produkten gegebenen Namen maßgeblich. Unerheblich sei auch, ob mehr gemeinsame oder mehr getrennte Produkte von Konditoreien und Bäckereien hergestellt würden. Für die gewerbetypische Gefahr könne nur die aufgewendete Zahl an Arbeitsstunden für gemeinsam bzw getrennt hergestellte Waren maßgebend sein. Belege hierfür fehlten. Das LSG habe hinsichtlich einzelner Arbeitsbedingungen - etwa der Arbeitszeit an computergesteuerten Backöfen - nicht festgestellt, dass die Mitarbeiter in beiden Handwerkszweigen zu mehr als 50 vH ihrer Arbeitszeit mit derartigen Backöfen arbeiteten. Vielmehr habe es nur pauschal festgestellt, dass das Konditoreigewerbe in einigen Arbeitsbedingungen (Maschinen, Öfen, Kontakt mit Mehl, Hitze und Kälte usw) mit denen der Bäckereien übereinstimme.

9

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 12. Mai 2010 zurückzuweisen.

10

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

11

Das Vorbringen der Klägerin erschöpfe sich im Wesentlichen im Bestreiten des vom LSG zugrunde gelegten Zahlenmaterials, dessen Herkunft und Richtigkeit den Gerichten nachgewiesen worden sei. Überzeugend habe das LSG dargelegt, dass eine weite Überschneidung der von beiden Handwerken hergestellten Produkte bestehe. Deswegen sei auch plausibel, dass bei der Herstellung der Produkte weitgehend ähnliche Produktionsweisen und Arbeitsbedingungen herrschten. Zudem habe sich in den letzten Jahren die Tendenz entwickelt, dass die Zahl von Mischbetrieben, die sowohl Bäckerei- als auch Konditoreiwaren herstellten, zunehme, was dazu führe, dass eine genaue Abgrenzung zwischen Konditorei- und Bäckereibetrieben faktisch unmöglich sei.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.

13

1. Die von der Klägerin gegen den Veranlagungsbescheid der Beklagten vom 20.8.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2005 geführte Teilanfechtungsklage bezieht sich nur auf den Teil der Regelung, der den Unternehmensbereich "Produktion" im Unternehmen der Klägerin zu der Gefahrtarifstelle 1 (Gefahrklasse 6,0) veranlagt. Die zulässige Klage ist in der Sache unbegründet.

14

2. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind gemäß § 150 SGB VII nur die Unternehmer beitragspflichtig. Die Beiträge der Unternehmer berechnen sich gemäß § 153 Abs 1 SGB VII nach dem Finanzbedarf der Träger (Umlagesoll), den Arbeitsentgelten der Versicherten und den Gefahrklassen. Rechtsgrundlage für die Veranlagung der Klägerin durch die Beklagte ist § 159 Abs 1 Satz 1 SGB VII. Danach wird die Klägerin als Mitgliedsunternehmen der Beklagten für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu Gefahrklassen veranlagt. Dabei ist zwischen den Beteiligten insbesondere streitig, ob der der Veranlagung zugrunde liegende Gefahrtarif 2005 rechtswidrig ist.

15

Der Unfallversicherungsträger setzt die Gefahrklassen in einem Gefahrtarif durch seine Vertreterversammlung als autonomes Recht fest (§ 157 Abs 1 SGB VII, § 33 Abs 1 Satz 1 SGB IV). Der Gefahrtarif ergeht als autonome Satzung (BSG vom 8.5.2007 - B 2 U 14/06 R - BSGE 98, 229 = SozR 4-2700 § 153 Nr 2; BSG vom 24.6.2003 - B 2 U 21/02 R - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 11 ff; Spellbrink, SR 2012, 17, 19; ders in BPuVZ 2012, 88, 89; Fenn, Verfassungsfragen der Beitragsgestaltung in der gewerblichen Unfallversicherung, 2006, 132 ff; ders, NZS 2006, 237; Heldmann, Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, 2006, 87 ff mwN; vgl bereits Papier/Möller, SGb 1998, 337), die öffentlich bekannt zu machen ist (§ 34 Abs 2 Satz 1 SGB IV). In den Satzungsregelungen sind zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen (§ 157 Abs 1 Satz 2 SGB VII). Der Gefahrtarif ist nach Tarifstellen zu gliedern, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden (§ 157 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Gefahrklassen werden aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet (§ 157 Abs 3 SGB VII). Der beschlossene Gefahrtarif hat eine Geltungsdauer von höchstens sechs Kalenderjahren (§ 157 Abs 5 SGB VII). Er ist vom BVA als Aufsichtsbehörde zu genehmigen (§ 158 Abs 1 SGB VII).

16

Bei der Erfüllung der Rechtspflicht, einen Gefahrtarif festzusetzen und Gefahrklassen zu bilden, steht der Vertreterversammlung als Organ der Beklagten ein autonom auszufüllendes Rechtsetzungsrecht zu. Den Unfallversicherungsträgern als ihre Angelegenheiten selbst regelnde öffentlich-rechtliche Körperschaften ist hierbei ein Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt, soweit sie innerhalb der ihnen erteilten gesetzlichen Ermächtigung autonomes Recht setzen (BSG vom 13.12.1960 - 2 RU 67/58 - BSGE 13, 189 = SozR Nr 2 zu § 915 RVO; BSG vom 14.12.1967 - 2 RU 60/65 - BSGE 27, 237, 240 = SozR Nr 1 zu § 730 RVO; BSG vom 29.11.1973 - 8/2 RU 33/70 - SozR Nr 4 zu § 725 RVO; BSG vom 22.3.1983 - 2 RU 27/81 - BSGE 55, 26, 27 = SozR 2200 § 734 Nr 3; BSG vom 18.10.1984 - 2 RU 31/83 - SozR 2200 § 725 Nr 10; BSG vom 12.12.1985 - 2 RU 49/84 - SozR 2200 § 734 Nr 5; BSG vom 12.12.1985 - 2 RU 40/85 - SozR 2200 § 731 Nr 2; BSG vom 21.8.1991 - 2 RU 54/90 - NZA 1992, 335; BSG vom 18.10.1994 - 2 RU 6/94 - SGb 1995, 253, 255; grundlegend gebilligt von BVerfG vom 3.7.2007 - 1 BvR 1696/03 - SozR 4-2700 § 157 Nr 3; zur Satzungsautonomie und der Nichtanwendbarkeit der Kriterien des Art 80 Abs 1 Satz 2 GG vgl auch den sog Facharztbeschluss vom 9.5.1972 - 1 BvR 518/62 - BVerfGE 33, 125, 155 ff; weiterhin BSG vom 24.6.2003 - B 2 U 21/02 R - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 12 mwN; "weiter inhaltl Regelungsspielraum", vgl auch Ricke in KassKomm, Stand Dezember 2011, § 157 SGB VII RdNr 5; Spellbrink, SR 2012, 17, 20 mwN; für das Kassenarztrecht: BSG vom 14.12.2011 - B 6 KA 6/11 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 68 RdNr 27).

17

Der Gefahrtarif der Beklagten kann nur inzident, dh im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Veranlagungsbescheid überprüft werden (Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 157 RdNr 6 mwN; Ricke in KassKomm, Stand Dezember 2011, § 157 SGB VII RdNr 5a; ein Verfahren der Normenkontrolle - wie es zB § 55a SGG vorsieht - steht für die Prüfung von Gefahrtarifen nicht zur Verfügung). Wie der Senat bereits betont hat, stellen der Veranlagungs- (und auch der Beitragsbescheid) belastende Verwaltungsakte dar, die nur aufgrund einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage erlassen werden dürfen (vgl BSG vom 18.10.1994 - 2 RU 6/94 - SGb 1995, 253, 255; dazu Spellbrink, BPuVZ 2012, 88, 90). Die Rechtmäßigkeit der Bildung anderer als der hier streitigen Gefahrtarifstellen im Gefahrtarif 2005 der Beklagten, denen das klagende Unternehmen nicht zuzuordnen ist oder die es im Rahmen der Klage gegen den Veranlagungsbescheid nicht angefochten hat, hat dabei keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der für das Unternehmen einschlägigen und angegriffenen untergesetzlichen Normen (BSG vom 21.3.2006 - B 2 U 2/05 R - HVBG-INFO 2006, Nr 7, S 891; Fenn, NZS 2006, 237). Der Gefahrtarif 2005 ist daher nur bezüglich der hier streitigen Gefahrtarifstelle zu überprüfen.

18

Prüfungsmaßstab für die zu prüfende Rechtmäßigkeit der Gefahrtarifstelle 1 des Gefahrtarifs 2005 der Beklagten ist, ob das autonom gesetzte Recht mit dem SGB VII, insbesondere mit der Ermächtigungsgrundlage in § 157 SGB VII, sowie mit tragenden Grundsätzen des Unfallversicherungsrechts und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist(vgl insbesondere zur Tarifstellenbildung: BSG vom 21.8.1991 - 2 RU 54/90 - NZA 1992, 335 = HV-INFO 1991, 2159; BSG vom 18.10.1994 - 2 RU 6/94 - SGb 1995, 253; BSG vom 18.4.2000 - B 2 U 2/99 R - HVBG-INFO 2000, 1816; BSG vom 11.11.2003 - B 2 U 55/02 R - HVBG-INFO 2004, 62; BSG vom 28.11.2006 - B 2 U 33/05 R - BSGE 97, 279 = SozR 4-2700 § 136 Nr 2; BSG vom 28.11.2006 - B 2 U 10/05 R - UV-Recht Aktuell 2007, 105; BSG vom 20.3.2007 - B 2 U 9/06 R - UV-Recht Aktuell 2007, 316; BSG vom 8.5.2007 - B 2 U 14/06 R - BSGE 98, 229 = SozR 4-2700 § 153 Nr 2; umfassend referiert die Rechtsprechung zur Tarifstellenbildung Burchardt in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII, Stand März 2008, § 157 RdNr 17 f; zuletzt auch Eckhoff, Anreizsysteme bei der Beitragsgestaltung in der gesetzlichen Unfallversicherung, 2010, S 54 ff; ähnlich zu den Anordnungen der Bundesanstalt für Arbeit: BSG vom 20.6.2001 - B 11 AL 10/01 R - BSGE 88, 172, 179; BSG vom 27.6.2012 - B 6 KA 28/11 R - BSGE 111, 114 = SozR 4-2500 § 87 Nr 26, RdNr 28; zur Festsetzung der Beitragsbemessungsgrundlagen in der gesetzlichen Krankenversicherung: BSG vom 29.2.2012 - B 12 KR 7/10 R - BSGE 110, 151; vgl auch BVerfG vom 3.7.2007 - 1 BvR 1696/03 - SozR 4-2700 § 157 Nr 3). Dagegen steht den Gerichten die Prüfung, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung trifft, nicht zu (BSG vom 28.11.2006 - B 2 U 10/05 R - UV-Recht Aktuell 2007, 105). Die Abwägung zwischen mehreren, für die eine oder andere Regelung bei der Ausgestaltung des Gefahrtarifs sprechenden Gesichtspunkte und die Entscheidung hierüber obliegt dem zur autonomen Rechtsetzung berufenen Organ des Unfallversicherungsträgers (vgl BSG vom 12.12.1985 - 2 RU 40/85 - SozR 2200 § 731 Nr 2; BSG vom 24.1.1991 - 2 RU 62/89 - BSGE 68, 111 = SozR 3-2200 § 809 Nr 1). Welche und wie viele Tarifstellen der Gefahrtarif enthalten soll, kann der Unfallversicherungsträger im Rahmen dieser Regelungsbefugnis bestimmen (Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 157 RdNr 9).

19

3. Von diesen Maßstäben ausgehend ist der Veranlagungsbescheid der Beklagten in der hier streitigen Gefahrtarifstelle 1 nicht zu beanstanden. Dem Erlass des Verwaltungsaktes stand keine bindende frühere Regelung entgegen (a). Der Bescheid war auch sonst rechtmäßig. Insbesondere ist der Gefahrtarif in Übereinstimmung mit den einfachgesetzlichen Vorgaben der §§ 157, 158 SGB VII erlassen worden (b).

20

a) Die Beklagte war durch den vorherigen Veranlagungsbescheid vom 10.8.1999, der zum Gefahrtarif 1999 ergangen war, nicht an einer Neuveranlagung der Klägerin im Jahre 2005 gehindert.

21

Hat der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ein Unternehmen nach Maßgabe des § 159 SGB VII durch Verwaltungsakt zu einer Gefahrtarifstelle veranlagt, wird dieser Verwaltungsakt gegenüber dem Adressaten mit der Bekanntgabe wirksam(§ 39 Abs 1 Satz 1 SGB X). Der Veranlagungsbescheid ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der, nachdem er unanfechtbar geworden ist, in Bestandskraft erwächst (§ 77 SGG; dazu Fenn, NZS 2006, 237, 238).

22

Hier steht die Bestandskraft des Veranlagungsbescheids 1999 dem Erlass des angefochtenen Veranlagungsbescheids zum Gefahrtarif 2005 nicht entgegen, denn der Gefahrtarif 1999 galt gesetzlich befristet für eine Dauer von höchstens sechs Jahren (§ 157 Abs 5 SGB VII). Auf die Begrenzung der Geltungsdauer wurde die Klägerin als Adressatin des früheren Veranlagungsbescheids ausdrücklich hingewiesen. Für Zeiträume nach dem 31.12.2004 traf der Veranlagungsbescheid 1999 keine Regelung. Der aufgrund des Gefahrtarifs 1999 erlassene Verwaltungsakt hatte sich deshalb mit Ablauf des Jahres 2004 durch Zeitablauf erledigt (§ 39 Abs 2 Alt 4 SGB X).

23

b) Die Beklagte durfte dem Veranlagungsbescheid die Regelung der Gefahrtarifstelle 1 des Gefahrtarifs 2005 zugrunde legen, denn diese Satzungsregelung ist rechtmäßig.

24

Der Gefahrtarif 2005 der Beklagten wurde durch deren Vertreterversammlung beschlossen und öffentlich bekannt gemacht (§ 33 Abs 1 Satz 1, § 34 Abs 2 Satz 1 SGB IV). Der Gefahrtarif war neu festzusetzen, weil der zuvor geltende Gefahrtarif 1999 über den 31.12.2004 hinaus keine Geltung mehr beanspruchen konnte (§ 157 Abs 5 SGB VII). Die Gefahrklasse ist nach dem Verhältnis der gezahlten Leistungen an Versicherte in den Unternehmen der Gewerbezweige zu den dort gezahlten Arbeitsentgelten berechnet worden (§ 157 Abs 3 SGB VII). Die Beklagte hat die herangezogenen Zahlen dargelegt, die die Ermittlung der Gefahrklasse belegen. Der Gefahrtarif 2005 wurde durch das BVA als Aufsichtsbehörde genehmigt (§ 158 SGB VII).

25

Im Kern ist zwischen den Beteiligten nur streitig, ob die Veranlagung der Gewerbezweige "Bäckereien" und "Konditoreien" zu einer Gefahrtarifstelle rechtlich zulässig ist. Die Klägerin wendet sich gegen die Veranlagung zu einer Gefahrtarifstelle mit der Begründung, dass in früheren Gefahrtarifen der Beklagten über lange Zeiträume hinweg die Bäckereien einer eigenen Gefahrtarifstelle (zuletzt mit Gefahrklasse 6,7) zugeordnet waren, während die Konditoreien getrennt davon einer anderen Gefahrtarifstelle mit einer wesentlich niedrigeren Gefahrklasse (zuletzt 3,7) zugeordnet waren. Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Beklagte habe die langfristig getrennte Zuordnung beider Gewerbezweige zu Tarifstellen im Gefahrtarif 2005 beibehalten müssen.

26

Maßstab für die Prüfung der Frage, ob eine gemeinsame Veranlagung beider Gewerbezweige in einer Gefahrtarifstelle rechtlich zulässig war, ist § 157 Abs 2 Satz 1 SGB VII. Danach sind im Gefahrtarif Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken und unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs zu bilden.

27

Im Grundsatz ist anerkannt und wird von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen, dass nach § 157 Abs 2 SGB VII die Gefahrengemeinschaften entsprechend der Gliederung nach Gewerbezweigen durch einen gewerbezweigspezifischen Gefahrtarif gebildet werden können(sog Gewerbezweigprinzip, dazu BSG vom 24.6.2003 - B 2 U 21/02 R - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1 sowie BSG vom 5.7.2005 - B 2 U 32/03 R - BSGE 95, 47 = SozR 4-2700 § 157 Nr 2; dazu auch K. Palsherm in Brandenburg jurisPK-SGB VII, § 157 RdNr 27 f; Becker, BG 2004, 528, 529 ff; Heldmann, BG 2007, 36). Nach Maßgabe dieser Vorschrift ist es alternativ möglich, einen nach Tätigkeiten gegliederten Gefahrtarif festzusetzen und darin Tätigkeiten mit annähernd gleichem Risiko zu Tarifstellen zusammenzufassen (BSG vom 24.6.2003 - B 2 U 21/02 R - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1).

28

Vorliegend hat die Beklagte den Gefahrtarif in der hier streitigen Teilregelung nach dem Gewerbezweigprinzip aufgestellt. Ein solcher gewerbezweigorientierter Gefahrtarif findet seine Rechtfertigung in der Gleichartigkeit der Versicherungsfallrisiken und der Präventionserfordernisse in den Betrieben. Die Gefährdungsrisiken werden ihrerseits durch die hergestellten Erzeugnisse, die Produktionsweise, die verwendeten Werkstoffe, die eingesetzten Maschinen und sonstigen Betriebseinrichtungen sowie die gesamte Arbeitsumgebung geprägt (BSG vom 5.7.2005 - B 2 U 32/03 R - BSGE 95, 47 = SozR 4-2700 § 157 Nr 2, RdNr 27). Dies setzt in der Regel voraus, dass die in einer Tarifstelle zusammengefassten Unternehmen strukturelle, technologische und wirtschaftliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Werden in einer Tarifstelle Unternehmen aus verschiedenen Gewerbezweigen zusammengefasst, dürfen die Belastungsziffern der einzelnen Zweige nicht auffällig (statistisch signifikant) von der durchschnittlichen Belastungsziffer der Tarifstelle abweichen. Der Grad der noch unschädlichen Abweichung hängt auch von der Größe der einzelnen Gewerbezweige ab (vgl Schulz, BG 1984, 657, 659). Damit ggf eine Neugliederung vorgenommen werden kann, muss die Belastung der jeweils zusammengefassten Unternehmenszweige gesondert festgehalten werden (Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 157 RdNr 10).

29

Die Beklagte war von diesen Maßstäben ausgehend berechtigt, Bäckereien und Konditoreien im Gefahrtarif 2005 zu einer Gefahrtarifstelle zusammenzufassen. Sie hat dabei die Vorgaben des § 157 Abs 2 Satz 1 SGB VII nicht verletzt.

30

aa) Anknüpfungspunkt für Definition und Zuschnitt eines Gewerbezweigs sind Art und Gegenstand der zu veranlagenden Unternehmen (BSG vom 24.6.2003 - B 2 U 21/02 R - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 15). Die Beklagte ist davon ausgegangen, die Unternehmen des Bäckerei- und Konditoreigewerbes könnten nach Produktionsweise und Art der hergestellten Produkte in der Praxis kaum noch unterschieden werden, so dass aufgrund einer vergleichbaren Risikolage die beiden Handwerke einer Tarifstelle zuzuweisen seien. Gegen die Annahme, dass bei Erlass des Gefahrtarifs 2005 nur noch ein Gewerbezweig bestand, spricht aber, dass es der Beklagten bislang immer möglich war, die Gefährdungsrisiken beider Gewerbezweige nach den oben genannten Kriterien zu unterscheiden und verschiedenen Gefahrtarifstellen zuzuordnen. Dies war auch im Jahre 2004 bei der Vorbereitung des Gefahrtarifs 2005 noch möglich, wie sich schon daraus ergibt, dass die Beklagte noch getrennte Belastungsziffern für beide Gewerbe ermitteln konnte und eine Zuordnung zu getrennten Gefahrtarifstellen zumindest als eine der möglichen Regelungen im Gefahrtarif in Betracht kam. Die Führung des Gewerbezweigs "Konditoreien" in einer eigenen Tarifstelle scheiterte auch nicht daran, dass die Zahl der dem Gewerbezweig zugehörigen Betriebe und Einrichtungen keine Größenordnung erreicht, bei der sich eine gewerbetypische Unfalllast berechnen lässt.

31

Soweit die Klägerin rügt, die Beklagte habe in der Gefahrtarifstelle 1 des Gefahrtarifs 2005 beide Gewerbearten als einheitlichen Gewerbezweig zusammengefasst, trifft es zwar zu, dass die Tarifstelle im Gefahrtarif 2005 von einer "Gewerbegruppe" ausgeht. Allerdings sind im Gefahrtarif der Beklagten auch sonst (zB Gewerbegruppe 18 mit Herstellung von Bonbons, Erdnussröstereien, Verarbeitung von Honig oder Gewerbegruppe 33 mit Pilzverwertung, industrielle Fertigung von Pizzen, Herstellung von Tierfutterkonserven) offensichtlich unterschiedliche Gewerbezweige in einer Gruppe zusammengefasst. Es kommt hinzu, dass der Terminus "Gewerbegruppe" kein gesetzlich maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die rechtmäßige oder rechtswidrige Gliederung eines Gefahrtarifs ist.

32

bb) Selbst wenn man aber im Folgenden zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass es sich bei den Bäckereien und Konditoreien um zwei getrennte Gewerbezweige handelte, die getrennt veranlagt werden konnten, war die Beklagte von Gesetzes wegen nicht gehindert, beide Gewerbezweige einer Gefahrtarifstelle zuzuordnen. Zu Recht hat das LSG aufgrund der von ihm festgestellten Tatsachen entschieden, dass Unternehmen, die sich mit der Herstellung von Back- und Konditoreiwaren beschäftigen, nach ihren jeweiligen Gefährdungsrisiken und unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Ausgleichs eine Gefahrengemeinschaft iS des § 157 Abs 2 Satz 1 SGB VII bilden können.

33

Zutreffend hat das LSG bei dieser Überprüfung der Grenzen des Regelungsspielraums der Beklagten darauf abgestellt, dass bei der Bildung einer Gefahrengemeinschaft aus mehreren Gewerbezweigen diese nur zusammengefasst werden dürfen, wenn sie nach den in den jeweiligen Unternehmen anzutreffenden Arbeits- und Produktionsbedingungen gleichartige Unfallrisiken und Präventionserfordernisse aufweisen. Aufgrund der vom LSG festgestellten technologisch zumindest verwandten Produktionsweise in Betrieben, die Back- und Konditoreiwaren herstellen, liegen zwischen beiden Gewerben keine so wesentlichen Unterschiede vor, dass diese unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Ausgleichs nicht zu einer Gefahrtarifstelle veranlagt werden dürfen. In Unternehmen des Konditorei- und Bäckereigewerbes kommen gleichermaßen Teig-, Rühr-, Knetmaschinen und teilweise computergesteuerte Maschinen zum Einsatz. Bei der Herstellung der Produkte herrschen weitgehend ähnliche Produktionsweisen und Arbeitsbedingungen. Schließlich hat das LSG auch anhand anderer Kriterien als der Produktionsweise und -mittel aufgezeigt, dass es Anhaltspunkte für erhebliche Gemeinsamkeiten zwischen beiden Gewerbezweigen gibt (Verordnung über die Berufsausbildung zum Bäcker/zur Bäckerin vom 21.4.2004, BGBl I 632; Verordnung über die Berufsausbildung zum Konditor/zur Konditorin vom 3.6.2003, BGBl I 790; Verordnung über verwandte Handwerke vom 22.6.2004, BGBl I 1314). Dahinstehen kann hier, dass das Hessische LSG in seinem Urteil vom 30.8.2011 (L 3 U 147/08), das dem Urteil des Senats vom heutigen Tage (11.4.2013 - B 2 U 4/12 R) zugrunde lag, für den Senat dort gemäß § 163 SGG bindend festgestellt hat, dass jedenfalls in sog Mischbetrieben eine verwaltungspraktikable Zuordnung der einzelnen Tätigkeiten zu der Gruppe der Bäcker oder Konditoren nicht mehr möglich ist, was ebenfalls für eine Zusammenfassung der beiden Gewerbe in einer Gefahrtarifstelle spricht.

34

Ein Gebot der getrennten Zuordnung zu Gefahrklassen besteht auch nicht deshalb, weil der Gewerbezweig der Konditoreien ein vom Durchschnitt der Tarifstelle erheblich abweichendes Gefährdungsrisiko hat. Der Senat hat bereits entschieden (vgl BSG vom 28.11.2006 - B 2 U 10/05 R - RdNr 18 ff), dass namentlich bei heterogen zusammengesetzten Gewerbezweigen geprüft werden muss, ob die nach technologischen Gesichtspunkten vorgenommene Zuordnung und die daran geknüpfte Vermutung einer gemeinsamen "gewerbetypischen" Unfallgefahr die tatsächliche Risikosituation in den betroffenen Unternehmen zutreffend widerspiegelt. Ergibt sich, dass bei einer bestimmten Art von Unternehmen ein vom Durchschnitt des Gewerbezweigs erheblich abweichendes Gefährdungsrisiko besteht, kann daraus ein Anspruch auf Verselbstständigung als eigener Gewerbezweig oder auf Zuteilung zu einem anderen, "passenderen" Gewerbezweig folgen (dazu bereits BSG vom 14.12.1967 - 2 RU 60/65 - BSGE 27, 237, 241 ff = SozR Nr 1 zu § 730 RVO; ferner: BSG vom 22.9.1988 - 2 RU 2/88 - HV-INFO 1988, 2215; vgl hierzu auch Spellbrink, SR 2012, 17, 25 mwN).

35

Läge ein solches "erheblich abweichendes Gefährdungsrisiko" im Sinne der Rechtsprechung des Senats vor, könnten die Unternehmer des Gewerbezweigs "Konditoreien" einen Anspruch auf Verselbstständigung als eigener Gewerbezweig oder auf Zuteilung zu einem anderen, "passenderen" Gewerbezweig haben (s auch BSG vom 5.7.2005 - B 2 U 32/03 R - BSGE 95, 47 = SozR 4-2700 § 157 Nr 2), denn die Veranlagung nach Gefahrklassen soll eine gerechte Verteilung der Unfalllast auf die Beitragspflichtigen gewährleisten (BVerfG vom 4.3.1982 - 1 BvR 34/82 - SozR 2200 § 734 Nr 2). Weichen die Belastungsziffern verschiedener Gewerbezweige also auffällig voneinander ab, kann dies eine Pflicht zur Neuordnung der Gefahrtarifstellen begründen. Angesichts des Regelungsspielraums, welcher den Unfallversicherungsträgern bei der Abstufung nach Gefahrklassen eingeräumt ist, können diese allerdings auch vorgreifliche Regelungen treffen und die Entwicklung der Belastungsziffern langfristig beobachten (BSG vom 12.12.1985 - 2 RU 40/85 - SozR 2200 § 731 Nr 2).

36

Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hätte sich bei getrennter Veranlagung für die Klägerin eine günstigere Gefahrklasse ergeben. Das Unternehmen der Klägerin hätte dann nach den Berechnungen der Verwaltung der Beklagten, die der Beschlussfassung im Jahre 2004 zunächst zugrunde lagen, ab 1.1.2005 die Gefahrklasse 4,0 statt (tatsächlich) 6,0 erhalten. Mithin bestand eine Differenz des Gefährdungsrisikos zwischen der Klägerin und dem der Gefahrengemeinschaft von 33,3 vH (4,0 im Verhältnis zu 6,0). Unter Zugrundelegung dieses Wertes hat sich der Satzungsgeber aber noch innerhalb des ihm durch § 157 SGB VII eröffneten Regelungsspielraums gehalten.

37

Der Senat hat in den bisher getroffenen Entscheidungen einen Grenzwert für das Überschreiten des Gestaltungsspielraums des Satzungsgebers bei der Zusammenlegung von Risiken in einer Gefahrengemeinschaft nach § 157 Abs 2 SGB VII nicht festgelegt. Die Klägerin hat insoweit zwar auf das Urteil vom 12.12.1985 (BSG - 2 RU 40/85 - SozR 2200 § 731 Nr 2)verwiesen, nach dem eine Abweichung des Gefährdungsrisikos von plus 36,2 und minus 36,6 gegenüber der Gefahrtarifstelle nicht mehr hinnehmbar sei. Bei einer Addition lagen die Abweichungen der Gefährdungsrisiken zwischen den dortigen gemeinsam veranlagten Gewerbezweigen aber bei über 70 vH. Wenn die Klägerin im Übrigen Literaturstellen anführt, die geringere Grenzwerte für eine noch zulässige Abweichung als ca 33 vH angeben, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zwar ist die vorliegende Abweichung durchaus erheblich, andererseits zeigt gerade die Normformulierung des § 157 Abs 2 Satz 1 SGB VII, dass die Risiken der Gewerbezweige nicht gleich oder sehr ähnlich sein müssen, weil § 157 Abs 2 Satz 1 SGB VII ua auch einen versicherungsmäßigen Ausgleich der Risiken ausdrücklich fordert. Hierauf hat etwa der EuGH in seiner Entscheidung zur Europarechtskonformität des Systems der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung maßgeblich abgestellt und betont, dass § 157 Abs 2 SGB VII ein Ausdruck des Solidaritätsgedankens sei(vgl EuGH vom 5.3.2009 - C-350/07 - Slg 2009, I-1513 - Kattner-Stahlbau, RdNr 47 Juris; hierzu Spellbrink, SR 2012, 17, 36).

38

Daneben muss und soll ein neuer Gefahrtarif von den in der Vergangenheit aufgetretenen Belastungsziffern ausgehend die Tarifstellen der Mitgliedsunternehmen der jeweiligen Berufsgenossenschaft für die Zukunft regeln. Der Satzungsgeber darf deshalb berücksichtigen, wenn sich Gefährdungsrisiken in bestimmten Gewerbezweigen aufgrund sich ändernder Produktionsbedingungen einander annähern. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte dies hier so angenommen hat. Die Gewerbezweige "Bäckerei" und "Konditorei" waren früher überwiegend handwerklich geprägt. Sie haben sich inzwischen zu einer stärker industriell geprägten Herstellung von Back- und Konditoreiwaren fortentwickelt. Dadurch haben sich auch die Gefährdungsrisiken einander angenähert. Bei der Prüfung der Abweichung der Gefährdungsrisiken durfte der Satzungsgeber annehmen, dass die Zahl an Mischbetrieben zunimmt und eine Abgrenzung beider Gewerbezweige dadurch in Zukunft schwieriger vorzunehmen sein wird (vgl hierzu insbesondere das Urteil des Senats vom 11.4.2013 - B 2 U 4/12 R). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Satzungsgeber in der beanstandeten Tarifstelle ausdrücklich zulässt, dass abgrenzbare Betriebsteile, die zB die Herstellung von Desserts, Süßwaren oder Dauerbackwaren betreiben, zu der Gefahrtarifstelle 2 (Gefahrklasse 3,4) veranlagt werden.

39

Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist die Beklagte für die Bildung der Gefahrtarifstellen den Unternehmern gegenüber auch nicht darlegungs- und nachweispflichtig. Die Bildung des Gefahrtarifs ist eine Maßnahme untergesetzlicher Normsetzung, die zwar einer Ermächtigungsgrundlage bedarf, für deren einzelne Regelungen der Normgeber dem Normunterworfenen aber nicht im Einzelnen begründungspflichtig ist (vgl hierzu auch BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - RdNr 63 mwN, für SozR 4 vorgesehen). Insofern besteht eine Beweislast der Beklagten für die Zweckmäßigkeit und Sachgerechtigkeit einer getroffenen Satzungsregelung nicht. Die Rechtsprechung überprüft folglich auch nicht, ob der Satzungsgeber jeweils die vernünftigste oder gerechteste Regelung getroffen hat. Das Revisionsgericht wiederum überprüft, ob die Tatsachengerichte aufgrund der von ihnen festgestellten Tatsachen noch zutreffend den rechtlichen Schluss gezogen haben, der Satzungsgeber habe noch innerhalb der ihm eröffneten Satzungsautonomie gehandelt.

40

Dieser vom LSG getroffene rechtliche Schluss war hier nicht zu beanstanden, denn eine Differenz von 33,3 vH im Gefährdungsrisiko liegt angesichts der besonderen Umstände der hier gemeinsam veranlagten Gewerbe noch innerhalb des Gestaltungsspielraums des Normgebers.

41

4. § 157 SGB VII als Ermächtigungsgrundlage für den Gefahrtarif 2005 ist mit höherrangigem Recht vereinbar.

42

a) In dem durch § 157 SGB VII eingeräumten weiten Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers liegt kein Verstoß gegen die aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG abzuleitende Wesentlichkeitstheorie. Die Satzungsbefugnis der Unfallversicherungsträger besteht nicht unbegrenzt, sondern findet ihre Grenzen im Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG). Dieses erfordert ua, dass der Gesetzgeber bei Grundrechtseingriffen in Abhängigkeit von deren Intensität die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss (vgl hierzu insbesondere Papier/Möller, SGb 1998, 337, die davon ausgingen, die Regelungsermächtigung verstoße gegen die Wesentlichkeitstheorie; kritisch hierzu bereits Schulz, SGb 1999, 172; zum damaligen Streit vgl Spellbrink, SR 2012, 17, 39; vgl auch BVerfG vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24, 58).

43

§ 157 SGB VII verletzt diese Vorgaben nicht. Angesichts der oben dargestellten langjährigen Anwendung und Auslegung der Regelung durch Unfallversicherungsträger und Rechtsprechung konnte und kann nicht festgestellt werden, dass diese Satzungsermächtigung zur Bildung von Gefahrtarifen wegen Unbestimmtheit verfassungswidrig ist (so auch BVerfG vom 4.3.1982 - 1 BvR 34/82 - SozR 2200 § 734 Nr 2; BVerfG vom 3.7.2007 - 1 BvR 1696/03 - SozR 4-2700 § 157 Nr 3 = DVBl 2007, 1172, RdNr 19). Vielmehr ist § 157 SGB VII bei historischer Auslegung (ua auch zu den weitgehend inhaltsgleichen Vorgängerregelungen der §§ 730 ff RVO) und unter Berücksichtigung seiner Anwendung durch die Fachgerichte hinsichtlich der einfachgesetzlich normierten Anforderung, "Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs" zu bilden, hinreichend bestimmt(vgl zum Zweck der Norm BT-Drucks 13/2204, S 111; zur Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz BVerfG aaO; sowie BSG vom 24.6.2003 - B 2 U 21/02 R - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 29 ff).

44

b) Die Satzungsregelung ist auch im Hinblick auf die Grundrechte der Unternehmer aus Art 2 Abs 1 GG nicht zu beanstanden.

45

Angesichts der Zwangsmitgliedschaft von Unternehmern in einem öffentlich-rechtlichen Verband, die deren wirtschaftliche Handlungsfreiheit iS des Art 2 Abs 1 GG einschränkt, liegt in der Anordnung oder Erhöhung von Beitragspflichten ein Eingriff in das von Art 2 Abs 1 GG umfasste Grundrecht auf freie wirtschaftliche Betätigung (vgl BVerfG vom 31.5.1988 - 1 BvL 22/85 - BVerfGE 78, 232, 244 f; BVerfG vom 9.12.2003 - 1 BvR 558/99 - BVerfGE 109, 96, 109; vgl zuletzt BVerfG vom 16.7.2012 - 1 BvR 2983/10 - NVwZ 2012, 1535; dazu auch Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl, Art 2 RdNr 5). Dies gilt besonders für Unternehmen, die wie dasjenige der Klägerin nicht zwischen verschiedenen Trägern mit unterschiedlichen Beitragssätzen wählen können, sondern kraft Gesetzes einem bestimmten Träger als beitragspflichtiges Unternehmen zugewiesen sind (§ 150 Abs 1 Satz 1, § 121 Abs 1 SGB VII).

46

Art 2 Abs 1 GG gewährleistet die unternehmerische Handlungsfreiheit allerdings nur in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung (BVerfG vom 16.1.1957 - 1 BvR 253/56 - BVerfGE 6, 32, 38; stRspr). Das Grundrecht kann grundsätzlich durch einfaches Recht einschließlich der untergesetzlichen Normen eingeschränkt werden (Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl, Art 2 RdNr 20; vgl auch BSG vom 20.6.2001 - B 11 AL 10/01 R - BSGE 88, 172, 179). Eine Eingriffsnorm muss (nur) die Voraussetzungen und den Umfang des Eingriffs hinreichend klar beschreiben und verhältnismäßig sein, dh einen legitimen Zweck mit geeigneten, erforderlichen und angemessenen Mitteln verfolgen (BVerfG vom 4.4.2006 - 1 BvR 518/02 - BVerfGE 115, 320, 345). Die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme - hier der gesetzlichen Unfallversicherung - ist in einem Sozialstaat (Art 20 Abs 3 GG) ein wichtiges Anliegen, das einen Eingriff in die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Unternehmer durch Erhebung von Beiträgen grundsätzlich rechtfertigt (zum Verhältnis von Handlungsfreiheit und Beitragszwang in der Sozialversicherung grundlegend: BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 2014/95 - BVerfGE 103, 197 = SozR 3-1100 Art 74 Nr 4; BVerfG vom 26.6.2007 - 1 BvR 2204/00, 1 BvR 1355/03 - SozR 4-2600 § 2 Nr 10; vgl zu Kammerbeiträgen: BVerfG vom 29.12.2004 - 1 BvR 113/03 - BVerfGK 4, 349, 353 f mwN; vgl insbesondere zur verfassungsrechtlichen Billigung des Beitragsrechts der gesetzlichen Unfallversicherung: BVerfG vom 9.3.2011 - 1 BvR 2326/07 - Bestätigung von BSG vom 8.5.2007 - B 2 U 14/06 R; BVerfG vom 10.3.2011 - 1 BvR 2891/07 - Bestätigung von BSG vom 20.3.2007 - B 2 U 9/06 R; zur verfassungsgerichtlichen Akzeptanz des Unfallversicherungssystems auch Spellbrink, BPuVZ 2012,88).

47

Die Beklagte ist deshalb berechtigt, durch Satzung Gefahrtarife festzusetzen und spätestens nach Ablauf des in § 157 Abs 5 SGB VII bestimmten Zeitraums neu zu regeln. Dabei kann sie auch entscheiden, ob sich für zukünftige Veranlagungszeiträume Veränderungen ergeben sollen (vgl BSG vom 24.6.2003 - B 2 U 21/02 R - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 31).

48

c) Die Satzungsregelung, die der Veranlagung der Klägerin zu der Gefahrtarifstelle 1 des Gefahrtarifs 2005 zugrunde liegt, verletzt auch nicht den rechtsstaatlich gewährleisteten Vertrauensschutz (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG).

49

Insbesondere war die Beklagte nicht gehalten, in dem neuen Gefahrtarif 2005 eine Übergangsregelung vorzusehen.Das BSG hat bei Neuregelungen im Beitragsrecht bislang keinen Anlass gesehen, zu Gunsten der von einer Neuregelung in einem Gefahrtarif negativ Betroffenen aus Vertrauensschutzgesichtspunkten Übergangsregelungen zu fordern (vgl BSG vom 5.7.2005 - B 2 U 32/03 R - BSGE 95, 47 = SozR 4-2700 § 157 Nr 2, RdNr 42). Dies folgte für das BSG insbesondere daraus, dass die Regelungen eines Gefahrtarifs nach den gesetzlichen Bestimmungen in § 159 Abs 1 Satz 1 SGB VII nur "für die Tarifzeit" gelten(vgl zur fehlenden Bindung an frühere Herabsetzungsentscheidungen: BSG vom 6.5.2003 - B 2 U 7/02 R - SozR 4-2700 § 162 Nr 1 RdNr 15; zum Vertrauensschutz bei der Änderung von Veranlagungsbescheiden: BSG vom 9.12.2003 - B 2 U 54/02 R - BSGE 91, 287 = SozR 4-2700 § 160 Nr 1, jeweils RdNr 15). Die betroffenen Unternehmer können daher in der Regel nicht erwarten, dass sich für zukünftige Veranlagungszeiträume keine Veränderungen ergeben werden.

50

Auch hier hatte die Klägerin eine geschützte Rechtsposition jeweils nur im Rahmen eines bestimmten Gefahrtarifs inne, der gemäß § 157 Abs 5 SGB VII von vornherein auf eine Geltungsdauer von maximal sechs Jahren begrenzt war. Ihre Rechtsposition aus dem Gefahrtarif 1999 galt mithin nur bis Ende 2004. Selbst wenn man von einer vertrauensbegründenden langen Tradition einer unterschiedlichen Zuordnung von Konditoreien und Bäckereien in früheren Gefahrtarifen der Beklagten ausgehen wollte, hatte die Klägerin jedenfalls keine formelle Rechtsposition erworben, in die durch den neuen Gefahrtarif 2005 eingegriffen wurde. Mithin lag hier keine Entwertung einer bestehenden Rechtsposition mit Wirkung für die Zukunft vor, so dass sich der Gefahrtarif 2005 noch nicht einmal unechte Rückwirkung beimaß (hierzu etwa BVerfG vom 7.10.2008 - 1 BvR 2995/06, 1 BvR 740/07 - BVerfGK 14, 287). Da zudem eine Änderung der Gefahrklasse für Konditoreien im Sinne einer Zusammenfassung in einer Gefahrtarifstelle mit Bäckereien nach den Feststellungen des LSG bereits früher diskutiert worden war, durften die Unternehmer des Konditoreigewerbes ohnehin nicht auf einen dauerhaften Fortbestand der von den Bäckereien getrennten Veranlagung ihres Gewerbezweigs vertrauen. Auch ist nicht geltend gemacht oder ersichtlich, dass die Klägerin im Vertrauen auf den Fortbestand einer getrennten Veranlagung Vermögensdispositionen getätigt hätte oder gar eine existenzielle Bedrohung der Unternehmen in Frage stand (vgl BSG vom 24.6.2003 - B 2 U 21/02 R - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 31).

51

d) Die streitige Regelung des Gefahrtarifs verletzt auch nicht den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.

52

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl BVerfGE 88, 87, 96 f). Da der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung (vgl BVerfGE 55, 72, 88).

53

Da die Regelungen des Gefahrtarifs nicht an persönliche Eigenschaften der Unternehmer anknüpfen, sondern an der Art des Unternehmensgegenstands, sind die Gliederungen im Gefahrtarif der Beklagten nach Maßgabe des Art 3 Abs 1 GG nur daraufhin überprüfbar, ob der Satzungsgeber sich in den Grenzen einer zulässigen, den Bedürfnissen einer Massenverwaltung genügenden Typisierung gehalten hat (vgl BVerfG vom 4.3.1982 - 1 BvR 34/82 - SozR 2200 § 734 Nr 2; BVerfG vom 3.7.2007 - 1 BvR 1696/03 - SozR 4-2700 § 157 Nr 3).

54

Für die Bildung der Gefahrtarifklasse 1 im Gefahrtarif 2005 der Beklagten sind sachfremde oder willkürliche Erwägungen nicht erkennbar. Der Gefahrtarif wählt eine an Sachkriterien orientierte und langfristig anerkannte Anknüpfung, indem er sich in dem hier streitigen Teil nach Gewerbezweigen gliedert. Insbesondere ist es nicht sachfremd, Gewerbezweige mit ähnlichen Versicherungsrisiken und Präventionserfordernissen zusammenzufassen.

55

Das zuständige Organ der Beklagten durfte bei der Normsetzung auch berücksichtigen, dass es dem Willen des Gesetzgebers des SGB VII entspricht (vgl Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung - UVMG - vom 30.10.2008, BGBl I 2130), die Vielzahl früher getrennt bestehender Solidargemeinschaften, wie sie sich in Form einer größeren Anzahl von Berufsgenossenschaften unterschiedlicher Größen, Betriebszahlen und Anzahlen von Versicherten herausgebildet hatten, langfristig zu nur noch neun Unfallversicherungsträgern zusammenzufassen, um Unterschiede in den Beiträgen der Berufsgenossenschaften deutlich zu reduzieren (vgl BT-Drucks 16/9154, S 1; zu den Auswirkungen der Fusionen von Berufsgenossenschaften auf die Beitragsbelastung vgl Rothe, DGUV-Forum 5/2009, 18 ff; Spellbrink, BPuVZ 2012, 88). Damit entspricht es gerade dem Willen des Gesetzgebers, größere Solidargemeinschaften zu bilden, die einen geringeren Lastenausgleich erfordern und deren Beitragsbelastung sich einander angleicht. Von diesen Zielvorgaben ausgehend ist es auch sachgerecht, innerhalb der größer organisierten Solidargemeinschaften bei der Bildung von Gefahrengemeinschaften für den Gefahrtarif eine Zusammenfassung zu größeren Gruppen von Gewerbezweigen anzustreben und nicht für jeden früher getrennt geführten Gewerbezweig weiterhin eine eigene Gefahrtarifstelle anzubieten.

56

Die Beklagte hat mithin eine gemäß Art 3 Abs 1 GG zulässige Typisierung getroffen, als sie bei Erlass des Gefahrtarifs davon ausging, dass Unternehmen, die Back- oder Konditoreiwaren herstellen, zumindest ähnliche Risiken für den Eintritt von Versicherungsfällen und vergleichbare Präventionserfordernisse haben.

57

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1, § 183 SGG und § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

58

Der Streitwert war gemäß § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und § 63 Abs 3 Gerichtskostengesetz (GKG) mit 792 999,25 Euro festzusetzen.

59

Gemäß § 52 Abs 1 GKG ist die Höhe des Streitwerts nach der sich aus dem Antrag der Klägerin für sie ergebenden Bedeutung der Rechtssache nach Ermessen zu bestimmen. Der Streitwert ist nicht nach § 52 Abs 2 GKG mit dem Auffangstreitwert von 5000 Euro festzusetzen, wie es der Senat ua für Entscheidungen über Fragen der Mitgliedschaft angenommen hat(vgl hierzu BSG vom 5.3.2008 - B 2 U 353/07 B - Juris RdNr 6 f; BSG vom 23.11.2006 - B 2 U 258/06 B - Juris; BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - SozR 4-2700 § 123 Nr 2; BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 3/11 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 18), weil der Sach- und Streitstand hier hinreichende Anhaltspunkte bietet, um das wirtschaftliche Interesse der Klägerin anhand der sich aus dem angefochtenen Veranlagungsbescheid mittelbar ergebenden Beitragsmehrbelastung beziffern zu können. Die Geltungsdauer des streitigen Gefahrtarifs endete bereits am 31.12.2007. Eine Bedeutung des Rechtsstreits für spätere Veranlagungsjahre ist daher ausgeschlossen (BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2, RdNr 67; zum Streitwert bei Veranlagungsbescheid nach der Differenz der tatsächlichen und zu erwartenden Beitragslast: Becker/Spellbrink, NZS 2012, 283, 286).

60

Das Interesse der Klägerin bemisst sich nach der Differenz der innerhalb der streitigen drei Jahre voraussichtlich geschuldeten Beiträge bei Veranlagung nach getrennten Gefahrklassen für Konditoreien und Bäckereien, die - wie vom LSG festgestellt - 4,0 betragen hätte, zu den Beiträgen bei Veranlagung nach der von der Beklagten im angefochtenen Bescheid festgesetzten Gefahrklasse von 6,0. Diese Differenz beträgt für den hier streitigen Zeitraum 792 999,25 Euro. Die von der Klägerin vorgeschlagene Festsetzung des Streitwerts nach der Differenz zwischen einem Beitrag "Null" und dem von ihr in drei Jahren gezahlten Gesamtbeitrag ist dagegen nicht zugrunde zu legen, weil die begehrte Teilaufhebung des angefochtenen Veranlagungsbescheids auch bei Nichtigkeit der mittelbar angegriffenen Satzungsregelung wirtschaftlich nur zu einer geringeren Beitragsbelastung, nicht jedoch zu einem Beitrag "Null" der Klägerin hätte führen können.

Für kraft Gesetzes versicherte selbständig Tätige, für kraft Satzung versicherte Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner und für freiwillig Versicherte hat die Satzung des Unfallversicherungsträgers die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes zu bestimmen. Sie hat ferner zu bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen die kraft Gesetzes versicherten selbständig Tätigen und die kraft Satzung versicherten Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner auf ihren Antrag mit einem höheren Jahresarbeitsverdienst versichert werden.

(1) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 18. Lebensjahr vollendet haben, mindestens 60 Prozent der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße.

(1a) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt mindestens:

1.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das sechste Lebensjahr nicht vollendet haben, 25 Prozent,
2.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das sechste, aber nicht das 15. Lebensjahr vollendet haben, 331/3Prozent,
3.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 15., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, 40 Prozent,
4.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 25., aber noch nicht das 30. Lebensjahr vollendet haben, 75 Prozent
der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße.

(1b) Die Absätze 1 und 1a finden keine Anwendung auf Versicherte nach § 3 Absatz 1 Nummer 3.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt höchstens das Zweifache der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße. Die Satzung kann eine höhere Obergrenze bestimmen.

Ist ein nach der Regelberechnung, nach den Vorschriften bei Berufskrankheiten oder nach der Regelung über den Mindestjahresarbeitsverdienst festgesetzter Jahresarbeitsverdienst in erheblichem Maße unbillig, wird er nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festgesetzt. Hierbei werden insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls berücksichtigt.

(1) Der Jahresarbeitsverdienst ist der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 des Vierten Buches) und Arbeitseinkommen (§ 15 des Vierten Buches) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Zum Arbeitsentgelt nach Satz 1 gehört auch das Arbeitsentgelt, auf das ein nach den zwölf Kalendermonaten abgeschlossener Tarifvertrag dem Versicherten rückwirkend einen Anspruch einräumt.

(2) Für Zeiten, in denen der Versicherte in dem in Absatz 1 Satz 1 genannten Zeitraum kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat, wird das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das seinem durchschnittlichen Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen in den mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen belegten Zeiten dieses Zeitraums entspricht. Erleidet jemand, der als Soldat auf Zeit, als Wehr- oder Zivildienstleistender oder als Entwicklungshelfer, beim besonderen Einsatz des Zivilschutzes oder bei einem Dienst nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz oder dem Bundesfreiwilligendienstgesetz tätig wird, einen Versicherungsfall, wird als Jahresarbeitsverdienst das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das er durch eine Tätigkeit erzielt hätte, die der letzten Tätigkeit vor den genannten Zeiten entspricht, wenn es für ihn günstiger ist. Ereignet sich der Versicherungsfall innerhalb eines Jahres seit Beendigung einer Berufsausbildung, bleibt das während der Berufsausbildung erzielte Arbeitsentgelt außer Betracht, wenn es für den Versicherten günstiger ist.

(3) Arbeitsentgelt und Ausbildungsbeihilfe nach den §§ 43 und 44 des Strafvollzugsgesetzes gelten nicht als Arbeitsentgelt im Sinne der Absätze 1 und 2.

(4) Erleidet jemand, dem sonst Unfallfürsorge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gewährleistet ist, einen Versicherungsfall, für den ihm Unfallfürsorge nicht zusteht, gilt als Jahresarbeitsverdienst der Jahresbetrag der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge, die der Berechnung eines Unfallruhegehalts zugrunde zu legen wären. Für Berufssoldaten gilt dies entsprechend.

Für kraft Gesetzes versicherte selbständig Tätige, für kraft Satzung versicherte Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner und für freiwillig Versicherte hat die Satzung des Unfallversicherungsträgers die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes zu bestimmen. Sie hat ferner zu bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen die kraft Gesetzes versicherten selbständig Tätigen und die kraft Satzung versicherten Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner auf ihren Antrag mit einem höheren Jahresarbeitsverdienst versichert werden.

(1) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 18. Lebensjahr vollendet haben, mindestens 60 Prozent der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße.

(1a) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt mindestens:

1.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das sechste Lebensjahr nicht vollendet haben, 25 Prozent,
2.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das sechste, aber nicht das 15. Lebensjahr vollendet haben, 331/3Prozent,
3.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 15., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, 40 Prozent,
4.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 25., aber noch nicht das 30. Lebensjahr vollendet haben, 75 Prozent
der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße.

(1b) Die Absätze 1 und 1a finden keine Anwendung auf Versicherte nach § 3 Absatz 1 Nummer 3.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt höchstens das Zweifache der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße. Die Satzung kann eine höhere Obergrenze bestimmen.

Für kraft Gesetzes versicherte selbständig Tätige, für kraft Satzung versicherte Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner und für freiwillig Versicherte hat die Satzung des Unfallversicherungsträgers die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes zu bestimmen. Sie hat ferner zu bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen die kraft Gesetzes versicherten selbständig Tätigen und die kraft Satzung versicherten Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner auf ihren Antrag mit einem höheren Jahresarbeitsverdienst versichert werden.

Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.

(1) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 18. Lebensjahr vollendet haben, mindestens 60 Prozent der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße.

(1a) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt mindestens:

1.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das sechste Lebensjahr nicht vollendet haben, 25 Prozent,
2.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das sechste, aber nicht das 15. Lebensjahr vollendet haben, 331/3Prozent,
3.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 15., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, 40 Prozent,
4.
für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 25., aber noch nicht das 30. Lebensjahr vollendet haben, 75 Prozent
der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße.

(1b) Die Absätze 1 und 1a finden keine Anwendung auf Versicherte nach § 3 Absatz 1 Nummer 3.

(2) Der Jahresarbeitsverdienst beträgt höchstens das Zweifache der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße. Die Satzung kann eine höhere Obergrenze bestimmen.

Für kraft Gesetzes versicherte selbständig Tätige, für kraft Satzung versicherte Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner und für freiwillig Versicherte hat die Satzung des Unfallversicherungsträgers die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes zu bestimmen. Sie hat ferner zu bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen die kraft Gesetzes versicherten selbständig Tätigen und die kraft Satzung versicherten Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner auf ihren Antrag mit einem höheren Jahresarbeitsverdienst versichert werden.

Ist ein nach der Regelberechnung, nach den Vorschriften bei Berufskrankheiten oder nach der Regelung über den Mindestjahresarbeitsverdienst festgesetzter Jahresarbeitsverdienst in erheblichem Maße unbillig, wird er nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festgesetzt. Hierbei werden insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls berücksichtigt.

(1) Der Jahresarbeitsverdienst ist der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 des Vierten Buches) und Arbeitseinkommen (§ 15 des Vierten Buches) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Zum Arbeitsentgelt nach Satz 1 gehört auch das Arbeitsentgelt, auf das ein nach den zwölf Kalendermonaten abgeschlossener Tarifvertrag dem Versicherten rückwirkend einen Anspruch einräumt.

(2) Für Zeiten, in denen der Versicherte in dem in Absatz 1 Satz 1 genannten Zeitraum kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat, wird das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das seinem durchschnittlichen Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen in den mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen belegten Zeiten dieses Zeitraums entspricht. Erleidet jemand, der als Soldat auf Zeit, als Wehr- oder Zivildienstleistender oder als Entwicklungshelfer, beim besonderen Einsatz des Zivilschutzes oder bei einem Dienst nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz oder dem Bundesfreiwilligendienstgesetz tätig wird, einen Versicherungsfall, wird als Jahresarbeitsverdienst das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das er durch eine Tätigkeit erzielt hätte, die der letzten Tätigkeit vor den genannten Zeiten entspricht, wenn es für ihn günstiger ist. Ereignet sich der Versicherungsfall innerhalb eines Jahres seit Beendigung einer Berufsausbildung, bleibt das während der Berufsausbildung erzielte Arbeitsentgelt außer Betracht, wenn es für den Versicherten günstiger ist.

(3) Arbeitsentgelt und Ausbildungsbeihilfe nach den §§ 43 und 44 des Strafvollzugsgesetzes gelten nicht als Arbeitsentgelt im Sinne der Absätze 1 und 2.

(4) Erleidet jemand, dem sonst Unfallfürsorge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gewährleistet ist, einen Versicherungsfall, für den ihm Unfallfürsorge nicht zusteht, gilt als Jahresarbeitsverdienst der Jahresbetrag der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge, die der Berechnung eines Unfallruhegehalts zugrunde zu legen wären. Für Berufssoldaten gilt dies entsprechend.

Für kraft Gesetzes versicherte selbständig Tätige, für kraft Satzung versicherte Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner und für freiwillig Versicherte hat die Satzung des Unfallversicherungsträgers die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes zu bestimmen. Sie hat ferner zu bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen die kraft Gesetzes versicherten selbständig Tätigen und die kraft Satzung versicherten Unternehmer und Ehegatten oder Lebenspartner auf ihren Antrag mit einem höheren Jahresarbeitsverdienst versichert werden.

(1) Der Jahresarbeitsverdienst ist der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 des Vierten Buches) und Arbeitseinkommen (§ 15 des Vierten Buches) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Zum Arbeitsentgelt nach Satz 1 gehört auch das Arbeitsentgelt, auf das ein nach den zwölf Kalendermonaten abgeschlossener Tarifvertrag dem Versicherten rückwirkend einen Anspruch einräumt.

(2) Für Zeiten, in denen der Versicherte in dem in Absatz 1 Satz 1 genannten Zeitraum kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat, wird das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das seinem durchschnittlichen Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen in den mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen belegten Zeiten dieses Zeitraums entspricht. Erleidet jemand, der als Soldat auf Zeit, als Wehr- oder Zivildienstleistender oder als Entwicklungshelfer, beim besonderen Einsatz des Zivilschutzes oder bei einem Dienst nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz oder dem Bundesfreiwilligendienstgesetz tätig wird, einen Versicherungsfall, wird als Jahresarbeitsverdienst das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das er durch eine Tätigkeit erzielt hätte, die der letzten Tätigkeit vor den genannten Zeiten entspricht, wenn es für ihn günstiger ist. Ereignet sich der Versicherungsfall innerhalb eines Jahres seit Beendigung einer Berufsausbildung, bleibt das während der Berufsausbildung erzielte Arbeitsentgelt außer Betracht, wenn es für den Versicherten günstiger ist.

(3) Arbeitsentgelt und Ausbildungsbeihilfe nach den §§ 43 und 44 des Strafvollzugsgesetzes gelten nicht als Arbeitsentgelt im Sinne der Absätze 1 und 2.

(4) Erleidet jemand, dem sonst Unfallfürsorge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gewährleistet ist, einen Versicherungsfall, für den ihm Unfallfürsorge nicht zusteht, gilt als Jahresarbeitsverdienst der Jahresbetrag der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge, die der Berechnung eines Unfallruhegehalts zugrunde zu legen wären. Für Berufssoldaten gilt dies entsprechend.

Ist ein nach der Regelberechnung, nach den Vorschriften bei Berufskrankheiten oder nach der Regelung über den Mindestjahresarbeitsverdienst festgesetzter Jahresarbeitsverdienst in erheblichem Maße unbillig, wird er nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festgesetzt. Hierbei werden insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls berücksichtigt.

(1) Bezugsgröße im Sinne der Vorschriften für die Sozialversicherung ist, soweit in den besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige nichts Abweichendes bestimmt ist, das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr, aufgerundet auf den nächsthöheren, durch 420 teilbaren Betrag.

(2) Die Bezugsgröße für das Beitrittsgebiet (Bezugsgröße [Ost]) verändert sich zum 1. Januar eines jeden Kalenderjahres auf den Wert, der sich ergibt, wenn der für das vorvergangene Kalenderjahr geltende Wert der Anlage 1 zum Sechsten Buch durch den für das Kalenderjahr der Veränderung bestimmten Wert der Anlage 10 zum Sechsten Buch geteilt wird, aufgerundet auf den nächsthöheren, durch 420 teilbaren Betrag. Für die Zeit ab 1. Januar 2025 ist eine Bezugsgröße (Ost) nicht mehr zu bestimmen.

(3) Beitrittsgebiet ist das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Können Versicherte mit Anspruch auf eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 vom Hundert oder mehr oder auf mehrere Renten, deren Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 50 erreichen (Schwerverletzte), infolge des Versicherungsfalls einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen und haben sie keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, erhöht sich die Rente um 10 vom Hundert.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn

1.
ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder
2.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde, einer obersten Landesbehörde oder von dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
3.
ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will.

(2) (weggefallen)

(3) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

Können Versicherte mit Anspruch auf eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 vom Hundert oder mehr oder auf mehrere Renten, deren Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 50 erreichen (Schwerverletzte), infolge des Versicherungsfalls einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen und haben sie keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, erhöht sich die Rente um 10 vom Hundert.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.