Bundesgerichtshof Urteil, 23. Dez. 2015 - 2 StR 457/14

ECLI:ECLI:DE:BGH:2015:231215U2STR457.14.0
bei uns veröffentlicht am23.12.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 457/14
vom
23. Dezember 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:231215U2STR457.14.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 25. November 2015, in der Sitzung am 23. Dezember 2015, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, Richter am Bundesgerichtshof Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof und Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwältin in der Verhandlung als Verteidigerin für den Angeklagten J. , Rechtsanwältin in der Verhandlung als Verteidigerin für die Angeklagte F. , Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Angeklagten F. wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 20. Mai 2014, soweit es sie betrifft und sie verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Angeklagten J. und F. im Fall 10 der Anklage freigesprochen worden sind,
b) soweit die Angeklagte F. verurteilt worden ist aa) im Fall 9 der Anklage, bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten J. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Angeklagte F. hat die Strafkammer unter Freisprechung im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer (ersten) Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer (weiteren) Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt; die von der Angeklagten in Frankreich (Guadeloupe) erlittene Auslieferungshaft hat es im Verhältnis 1:2 angerechnet.
2
Die Angeklagte F. beanstandet mit ihrer Revision das Verfahren und erhebt die Sachrüge, soweit sie verurteilt ist. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten der beiden Angeklagten auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision gegen den Freispruch im Fall 10 der Anklage. Außerdem beanstandet sie, dass die Angeklagte F. im Fall 9 der Anklage lediglich wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und nicht auch - tateinheitlich - wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist. Die Rechtsmittel haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

3
Das Landgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - u.a. folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Zwischen beiden aus der Dominikanischen Republik stammenden An- geklagten bestand spätestens ab Sommer 2012 „eine sexuelle Beziehung“, wo- bei sie „nicht ständig“ zusammen lebten. Der Angeklagte J. wohnte zuletzt in H. , die Angeklagte F. arbeitete als Prostituierte in verschiedenen Clubs, unter anderem auch in Deutschland.
5
a) Im Sommer 2012 erklärte sich die Angeklagte F. bereit, gemeinsam mit dem nicht revidierenden Angeklagten R. ein Kokaingeschäft über 2 kg Kokain durchzuführen. Der Angeklagte J. überwies auf Bitten der Angeklagten F. und in Kenntnis des Verwendungszwecks dem als Kurier tätigen Zeugen B. für dessen „Drogenkurierflug“ 1.300 €; die Angeklagte F. stellte u.a. den Kontakt zu den Drogenlieferanten in der Dominikanischen Republik her. Der erwartete Gewinn sollte zwischen den Angeklagten geteilt werden. Anlässlich einer Zollkontrolle in Br. wurden im Koffer des Kuriers insgesamt 4,4 kg Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 80% festgestellt; die dominikanischen Drogenlieferanten hatten auf Veranlassung der Angeklagten F. eine größere Kokainmenge in dem Koffer versteckt (Fall 1 der Anklage).
6
b) Ende Dezember 2012/Anfang Januar 2013 kamen der nicht revidierende Angeklagte R. und die Angeklagte F. erneut überein, mit der zuvor beschriebenen Aufgabenverteilung Kokain schmuggeln zu lassen, um es anschließend gewinnbringend zu veräußern. Die Angeklagte F. besorgte u.a. die Flugunterlagen für den als Kurier vorgesehenen Zeugen Ho. und finan- zierte die Fahrt zum Flughafen. Auf seinem Rückflug hatte der Zeuge Ho. 214,1 Gramm Kokain inkorporiert, mit einem - von der Strafkammer geschätzten - Wirkstoffgehalt von 50% (Fall 2 der Anklage).
7
c) Anfang 2013 erklärte sich die Angeklagte F. anlässlich eines gemeinsamen Treffens in D. gegenüber dem nicht revidierendenAngeklagten R. und einer albanischen Käufergruppe bereit, 1 kg Kokain zu liefern. Zu einer solchen Lieferung kam es letztlich nicht (Fall 4 der Anklage).
8
d) Wenige Wochen später kam es auf Veranlassung der Angeklagten F. zu einem Treffen in einem Restaurant in A. zwischen ihr, dem nicht revidierenden Angeklagten R. , albanischen Kaufinteressenten und zwei dunkelhäutigen potentiellen Verkäufern, die die Angeklagte dort einbestellt hatte, um eine Lieferung von 1 kg Kokain zu vermitteln. Zu einem Geschäftsabschluss kam es nicht (Fall 5 der Anklage).
9
e) Im Juni 2012 erschien der drogenabhängige Zeuge S. auf einer Polizeidienststelle in H. und gab an, 2 kg Kokain aus der Dominikanischen Republik nach Deutschland geschmuggelt und dafür 15.000 € erhal- ten zu haben. Der Zeuge, der „auf freiem Fuß“ blieb,machte in der Folgezeit Angaben zu weiteren Drogengeschäften und wurde wenig später wegen verschiedener Bedrohungen in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen.
10
Als der Zeuge S. im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes am 22. September 2012 zu seinem neuen Unterbringungsort gebracht werden sollte, überreichte er den ihn begleitenden Polizeibeamten eine Tasche, in der sich sieben in gleicher Weise eingepackte graue Pakete befanden, die insgesamt 322,22 Gramm Kokain enthielten. In der persönlichen Habe des Zeugen fanden sich zwei Tage später zwei weitere Pakete mit insgesamt 19,1 Gramm Kokain, das eine mit dem zuvor sichergestellten Kokain identische Zusammensetzung hinsichtlich des Kokainhydrochlorids und der Beimischung aufwies. Der Wirkstoff betrug insgesamt 240,35 Gramm Kokainhydrochlorid. DNA-Spuren, die sich an einem der von dem Zeugen übergebenen Body-Packs fanden, stimmten mit dem DNA-Muster der Angeklagten F. überein (Fall 9 der Anklage).
11
f) Im Fall 10 der Anklage hat das Landgericht die beiden Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Den Angeklagten ist vorgeworfen worden, die Zeugin Ba. beauftragt zu haben, im September 2012 insgesamt 30 Plomben gefüllt mit insgesamt etwa 300 Gramm Kokain nach Italien zu transportieren. Die Strafkammer hat zu diesem Vorwurf „keine sicheren Fest- stellungen“ treffen können. Der Angeklagte J. hat sich zur Sache nicht ein- gelassen, die Angeklagte F. hat den Vorwurf bestritten. Nach Auffassung der Strafkammer habe die einzige Belastungszeugin Ba. , „die jetzt in Italien lebt, und gegen die insoweit selbst als Beschuldigte ermittelt worden ist, […] umfassend von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht“. Ihre im Rahmen der Rechtshilfe in Italien durchgeführte - die Angeklagten belastende - frühere richterliche Vernehmung sei aufgrund eines Formfehlers nicht verwertbar. Allein der Umstand, dass von dem Angeklagten J. verschiedene Geldbeträge an die Zeugin Ba. überwiesen worden sind, reiche für eine Verurteilung nicht aus.
12
2. Die Angeklagte F. hat eine Tatbeteiligung im Fall 1 abgestritten; hinsichtlich des Falles 2 hat die Angeklagte F. das äußere Geschehen eingeräumt ; sie habe letztlich aber nur eine untergeordnete Rolle gespielt. In den Fällen 4 und 5 habe sie zwar die Treffen organisiert, aber zum einen sei es nicht darum gegangen, Drogen von ihr zu kaufen, zum anderen sei sie an den Gesprächen , die sie aufgrund der Sprachschwierigkeiten schon nicht verstanden habe, nicht beteiligt gewesen. Im Fall 9 schließlich habe der Zeuge S. die Unwahrheit gesagt.
13
Das Landgericht hat sich unter anderem aufgrund der Aussage des nicht revidierenden Angeklagten R. , der Aussagen der Zeugen B. und Ho. und weiterer Zeugen im Sinne der getroffenen Feststellungen überzeugt. Im Fall 9 hat die Strafkammer zwar ihre Überzeugung zur Tatbeteiligung der Angeklagten F. nicht auf die Aussage des Zeugen S. gestützt , weil dessen Angaben massive Widersprüche und Einschränkungen aufgewiesen hätten. Das Landgericht hat aber aufgrund der der Angeklagten F. zuzuordnenden DNA-Spuren die Überzeugung gewonnen, dass die Angeklagte in Deutschland mit den Drogen in Kontakt gekommen sei, „als sie diese etwa nach H. transportiert oder zumindest eine gewisse Zeit aufbewahrt hat“.
14
3. Das Landgericht hat die Angeklagte F. in den Fällen 1, 2 und 4 der Anklage jeweils wegen (täterschaftlichen) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in den Fällen 5 und 9 der Anklage jeweils wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen.

II.

Revision der Angeklagten F.
15
1. Die Revision der Angeklagten F. hat mit der Rüge, die Strafkammer habe gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK und den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, weil sie der der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten erst am 7. Hauptverhandlungstag eine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift überlassen und einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zurückgewiesen habe, Erfolg.
16
a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:
17
Der Vorsitzende der Strafkammer verfügte am 4. November 2013 die (formlose) Übersendung der 19 Seiten umfassenden Anklage der Staatsanwaltschaft Aachen vom 29. Oktober 2013 an alle drei Angeklagten, verbunden mit dem Zusatz, dass die Zustellung an den jeweiligen Verteidiger erfolge und die Übersetzung in die spanische Sprache veranlasst sei. Die Anklageschrift ging der Verteidigerin der Angeklagten F. am 5. November 2013 zu. Am 15. November 2013 ging die übersetzte Anklageschrift auf der Geschäftsstelle der Strafkammer ein. Mit Verfügung der Geschäftsstelle vom 18. November 2013 wurde die formlose Übersendung der übersetzten Anklageschriften an alle drei inhaftierten Angeklagten veranlasst. Die Angeklagte F. hat - anders als die beiden anderen Angeklagten - die Übersetzung der Anklageschrift nicht erhalten ; ein schriftliches Empfangsbekenntnis oder ein sonstiger Nachweis dafür, dass die der deutschen Sprache nicht mächtige Angeklagte F. die in die spanische Sprache übersetzte Anklageschrift in der Justizvollzugsanstalt tatsächlich erhalten hat, existiert nicht. Es kann lediglich nachgewiesen werden, dass der Angeklagten zu einem früheren Zeitpunkt eine Übersetzung des sechs Seiten umfassenden Haftbefehls vom 23. Mai 2013 ausgehändigt worden war, der aber nur einen Teil der später angeklagten Taten zum Gegenstand hatte.
18
Am 11. Februar 2014, dem ersten Hauptverhandlungstag, wurde die Anklage verlesen und durch eine Dolmetscherin für die spanische Sprache übersetzt. Weder an diesem Tag noch an den weiteren fünf Verhandlungstagen hat die Angeklagte eine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift erhalten.
19
Am 17. März 2014 stellte die Verteidigerin der Angeklagten F. im Rahmen einer weiteren Besprechung mit dieser fest, dass die Angeklagte lediglich - wie von ihr behauptet und wovon das Gericht aufgrund angestellter Nach- forschungen ausgeht - im Besitz einer Übersetzung des Haftbefehls vom 23. Mai 2013 war, eine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift hingegen nicht erhalten hatte. Nachdem die Angeklagte F. sich am folgenden Verhandlungstag (18. März 2014) zum Tatvorwurf eingelassen hatte, rügte die Verteidigerin , dass die Angeklagte keine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift erhalten habe und beantragte die Aussetzung des Verfahrens.
20
Die Strafkammer hat den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens mit Beschluss vom selben Tag zurückgewiesen. Ein Grund für eine Verfahrensaussetzung sei nicht gegeben, „nachdem das Gericht erst am heutigen siebten Verhandlungstag erfahren hat, dass die Angeklagte F. die an sie bereits im November 2013 übersandte Übersetzung der Anklage nach ihren Angaben nicht erhalten hat. Die Angeklagte ist anwaltlich vertreten. Der Nichterhalt der Übersetzung der Anklage hätte gegebenenfalls dem Gericht spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt werden können. Im Übrigen ist die Verlesung des Anklagesatzes am ersten Hauptverhandlungstag auch in die spani- sche Sprache übersetzt worden durch die Dolmetscherin“. Der Angeklagten wurde sodann ein Überstück der übersetzten Anklage ausgehändigt.
21
Die von der Verteidigerin erhobene Gegenvorstellung im Verhandlungstermin blieb ohne Erfolg. Unmittelbar danach wurde die Hauptverhandlung mit der Beweisaufnahme an weiteren sieben Verhandlungstagen fortgesetzt.
22
b) Die Verfahrensrüge ist begründet. Die Entscheidung der Strafkammer, den Antrag auf Aussetzung zurückzuweisen und die Hauptverhandlung unmittelbar fortzusetzen, ist rechtsfehlerhaft und verstößt gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK sowie den Grundsatz des fairen Verfahrens.
23
aa) Ein Angeklagter kann auf die das Strafverfahren abschließende Entscheidung nur dann hinreichend Einfluss nehmen, wenn ihm der Verfahrensge- genstand in vollem Umfang bekannt ist. Dies setzt auch die Kenntnis der Anklageschrift voraus. Deshalb hat ein Angeklagter nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK das Recht, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Dieses Recht beinhaltet für den der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Beschuldigten grundsätzlich die Übersendung einer Übersetzung der Anklageschrift in einer für ihn verständlichen Sprache; dies hat in aller Regel schon vor der Hauptverhandlung zu geschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 - 3 StR 262/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) Unterrichtung 1).
24
Die Überlassung der übersetzten Anklageschrift an die AngeklagteF. am siebten Verhandlungstag war deshalb zu spät. Die mündliche Übersetzung allein des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung genügt nur in Ausnahmefällen , namentlich dann, wenn - wie hier gerade nicht - der Verfahrensgegenstand tatsächlich und rechtlich einfach zu überschauen ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 18 mwN). Der Umstand, dass die Angeklagte eine Verteidigerin hat, führt - auch unter Berücksichtigung des § 187 Abs. 2 Satz 5 GVG - zu keiner abweichenden rechtlichen Bewertung (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 - 3 StR 262/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) Unterrichtung 1).
25
bb) Ein Angeklagter, dem die Anklageschrift nicht ordnungsgemäß mitgeteilt wurde, kann grundsätzlich die Aussetzung der Hauptverhandlung verlangen , um seine Verteidigung genügend vorbereiten zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 1977 - 3 StR 278/77, bei Holtz MDR 1978, 111 f.; OLG Celle, StV 1998, 531, 532; Stuckenberg, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 201 Rn. 46; Schneider, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 201 Rn. 11; MeyerGoßner /Schmitt, aaO, § 201 Rn. 10, jeweils mwN). Dem Tatrichter steht bei der Entscheidung über einen solchen Aussetzungsantrag entsprechend § 265 Abs. 4 StPO ein Ermessensspielraum zu (vgl. Stuckenberg, in: Löwe/ Rosenberg, aaO, § 265 Rn. 109). Ob dieser Ermessensspielraum wegen der Funktion der (übersetzten) Anklageschrift für die Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung auf Null reduziert ist und dem Gericht ein Ermessen deshalb nur im Rahmen der Entscheidung darüber zusteht, wie lange es den Zeitraum bemisst, den es dem Angeklagten für die Vorbereitung der (Fortsetzung der) Hauptverhandlung zur Verfügung stellt (vgl. OLG Celle, StV 1998, 531, 532; Rübenstahl, StraFo 2005, 30, 32), oder ob (bereits) eine angemessene Unterbrechung der Hauptverhandlung genügt (vgl. auch Stuckenberg, in: Löwe/ Rosenberg, aaO, § 265 Rn. 112; Kuckein, in: KK-StPO, aaO, § 265 Rn. 30; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 265 Rn. 39), kann der Senat hier offen lassen. Denn dem Beschluss vom 18. März 2013, mit dem die Strafkammer den Aussetzungsantrag zurückgewiesen hat, ist schon nicht zu entnehmen, dass sich das Landgericht überhaupt seines Ermessens bewusst gewesen ist.
26
cc) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil, das nach Überlassung der schriftlichen Übersetzung der Anklageschrift nach sieben weiteren Hauptverhandlungstagen ergangen ist, auf einem etwaigen Informationsdefizit beruht, zumal sich die Angeklagte in Unkenntnis der schriftlichen Übersetzung der Anklage bereits am siebten Hauptverhandlungstag zu den Tatvorwürfen eingelassen hat (vgl. - insoweit anders gelagert - BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 - 3 StR 262/14, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) Unterrichtung 1).

III.

Revision der Staatsanwaltschaft
27
Die zu Ungunsten der beiden Angeklagten J. und F. eingelegte und wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet mit einer Aufklärungs- und einer Beweisantragsrüge den Freispruch der Angeklagten im Fall 10 der Anklage. Außerdem wendet sie sich dagegen, dass die Angeklagte F. im Fall 9 der Anklage außer wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht auch - tateinheitlich - wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist. Bereits die Aufklärungsrüge dringt hinsichtlich der Teilfreisprüche durch. Die Sachrüge führt sowohl zugunsten wie auch zuungunsten der Angeklagten F. zur Aufhebung im Fall 9 der Anklage.
28
1. Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) führt zur Aufhebung hinsichtlich der Freisprüche im Fall 10 der Anklage.
29
a) Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft davon ausgegangen sei, die Zeugin Ba. habe sich umfassend auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO berufen; deswegen habe sie rechtsfehlerhaft von weiteren Anstrengungen, die Zeugin - gegebenenfalls im Rahmen einer audiovisuellen Vernehmung im Rechtshilfewege - zu vernehmen , Abstand genommen. Der Rüge liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde :
30
Die Zeugin Ba. war ordnungsgemäß zur Hauptverhandlung am 11. Februar 2014 geladen worden, jedoch nicht erschienen. Ausweislich des verlesenen Schreibens des Polizeipräsidiums T. vom 5. Februar 2014 hat die Zeugin erklärt, dass sie „aus überraschend eingetretenen gesundheitlichen Gründen der Ladung keine Folge leisten“ könne; sie sei bereit, „auf Anfrage der zuständigen Justizbehörde ein Arztattest vorzulegen“. Zu einem weiteren Hauptverhandlungstermin am 12. März 2014 erschien sie ebenfalls nicht. Ausweislich des verlesenen Schreibens des Polizeipräsidiums T. vom 12. März 2014 hat die Zeugin erklärt, dass sie „keine Absicht“ habe, „an der Verhandlung teilzunehmen, zumindest in der nahen Zukunft, weil dies gewisse Risiken für ihre Schwangerschaft birgen könnte, nachdem sie sich einer künstlichen Be- fruchtung unterzogen hat“. Die Zeugin hat darüber hinaus „unmissverständlich erklärt, dass sie im Rahmen dieses Strafverfahrens bereits ausführlich ausge- sagt hat“; insofernbetrachte sie ihre weitere Teilnahme an einer Verhandlung als überflüssig.
31
Im Hauptverhandlungstermin vom 31. März 2014 hat die Strafkammer sodann darauf hingewiesen, dass „eine Vernehmung der Zeugin Ba. nicht erfolgen soll, da nach ihren Erklärungen, die sie auf Veranlassung des Gerichts gegenüber den italienischen Polizeibehörden abgegeben hat und die von diesen an das Gericht mitgeteilt worden sind, davon auszugehen ist, dass die Zeugin ihr Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 55 StPO in Anspruch nimmt“.
32
b) Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet. Der von der Strafkammer gezogene Schluss, die Zeugin Ba. habe „umfassend von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht“, hält - unbeschadet dessen, ob und in welchem Umfang ihr ein solches Recht zusteht - rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Wie sich aus den verlesenen Mitteilungen der italienischen Polizei ergibt, ist die Zeugin zuvörderst aus gesundheitlichen Gründen zu beiden Hauptverhandlungsterminen nicht erschienen. Eine ausdrückliche (vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. August 1988 - 4 StR 326/88, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Zeugenvernehmung 5; Senge, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 55 Rn. 12 mwN) Weigerung der Zeugin, (umfassend) auszusagen, ist weder gegenüber den italienischen Beamten noch gegenüber dem deutschen Gericht erklärt worden. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zeugin auch deswegen ihre Teilnahme an einer Verhandlung als überflüssig bewertet hat, weil sie sich auf ihre im Ermittlungsverfahren gemachte ausführliche Aussage berief, liegt der Schluss der Strafkammer fern, sie habe damit von ihrem (umfassenden ) Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
33
Das Landgericht hätte demzufolge gesteigerte Anstrengungen unternehmen müssen, die Hauptbelastungszeugin Ba. entweder in der Hauptverhandlung oder zumindest in Form einer audiovisuellen Vernehmung im Rechtshilfewege zu vernehmen. Auf der Verletzung der Amtsaufklärungspflicht beruhen auch die Teilfreisprüche im Fall 10 der Anklage. Wie die Beschwerdeführerin ausführt, hätte die Zeugin bekundet, zu beiden Angeklagten J. und F. u.a. auch in D. Kontakt gehabt zu haben und von diesen als Drogenkurierin eingesetzt worden zu sein; im September 2012 habe sie im Auftrag der beiden Angeklagten 30 Plomben Kokain von H. nach Italien gebracht und dafür auf Weisung der Angeklagten F. durch den Angeklagten J. 1.000 € als Entlohnung erhalten. Der Senat kann demnach nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einem anderen Beweisergebnis gelangt wäre, wenn es die Zeugin vernommen hätte.
34
2. Da die Freisprüche im Fall 10 der Anklage bereits auf diesem Verfahrensverstoß beruhen, kommt es auf die weitere Verfahrensrüge der Beschwerdeführerin nicht an, die Strafkammer habe fehlerhaft einen Beweisantrag auf Vernehmung der beiden deutschen Ermittlungsbeamten, die der richterlichen Vernehmung der Zeugin Ba. in Italien beigewohnt hatten, als unzulässig (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) abgelehnt. Der Senat verweist insoweit auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 26. Februar 2015.
35
3. Die Sachrüge führt sowohl zugunsten wie auch zuungunsten der Angeklagten F. zur Aufhebung ihrer Verurteilung im Fall 9 der Anklage.
36
a) Es mangelt bereits an tragfähigen Feststellungen für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Insbesondere fehlen Feststellungen dazu, wo sich im Einzelnen die der Angeklagten F. zuzuordnenden DNA-Spuren an „einem der in dem Gutachten als Bodypack mit Umhüllung und Bindfaden bezeichneten mit heller Folie umpackten Päckchen“ befanden.Der Senat kann somit schon nicht prüfen, ob die Überzeugung des Landgerichts, die Angeklagte sei in Deutschland (bewusst ) mit den Drogen in Kontakt gekommen, „als sie diese etwa nach H. transportiert oder zumindest eine gewisse Zeit aufbewahrt hat“, nachvollziehbar ist oder es sich letztlich nur um eine Vermutung handelt.
37
Zudem belegen die knappen schlussfolgernden Ausführungen, die Angeklagte habe sich angesichts der DNA-Spuren an einem der Body-Packs an dem späteren Verkauf des - zumal gesamten - Kokains beteiligen wollen, für sich genommen noch keine tatsächlich erfolgte Förderung oder Erleichterung der Haupttat (vgl. auch Senat, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 2 StR 58/15, NStZRR 2015, 343, 344 mwN).
38
b) Ebensowenig ermöglichen die bisherigen - lückenhaften - Feststellungen zu den gesicherten DNA-Spuren einen Schluss auf die Besitzverhältnisse an den Betäubungsmitteln. Besitzen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes setzt ein bewusstes tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen und Besitzbewusstsein voraus, die darauf gerichtet sind, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf das Betäubungsmittel zu erhalten (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juni 2014 - 2 StR 246/10, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Besitz 6; Weber, BtMG, 4. Aufl., § 29 Rn. 1298 ff., je- weils mwN). Eine kurze Hilfstätigkeit ohne Herrschaftswillen genügt für die Annahme eines Besitzes nicht (vgl. Senat, Urteil vom 16. April 1975 - 2 StR 60/75, BGHSt 26, 117 f.; Weber, aaO, Rn. 1325). Der Senat kann nicht ausschließen, dass weitere Feststellungen dazu getroffen werden können, in welcher Intensität und in welchem Umfang die Angeklagte mit den Betäubungsmitteln in Berührung gekommen ist.
39
4. Die Aufhebung im Fall 9 der Anklage zieht die Aufhebung der gegen die Angeklagte F. verhängten (ersten) Gesamtstrafe nach sich. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt hat, wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer für die Angeklagte F. nunmehr eine einheitliche Gesamtstrafe zu bilden haben, nachdem - die auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls erfolgte Auslieferungsbewilligung bezog sich zunächst lediglich auf die Fälle 1, 8 und 9 der Anklage - einem Nachtragsersuchen für die Fälle 2, 4 und 5 der Anklage von dem Cour d'Appell de Basse Terre rechtskräftig stattgegeben worden ist, wodurch ein diesbezügliches Vollstreckungshindernis entfallen ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. August 1997 - 4 StR 345/97, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Einbeziehung 7; Beschluss vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, BGHR IRG § 83h Abs. 2 Nr. 3 Spezialität 1). Appl Eschelbach Ott Zeng Bartel

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Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 29 Straftaten


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt,

Strafgesetzbuch - StGB | § 55 Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe


(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 S t R 5 8 / 1 5 vom 9. Juli 2015 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Genera

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juli 2014 - 3 StR 262/14

bei uns veröffentlicht am 10.07.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 S t R 2 6 2 / 1 4 vom 10. Juli 2014 in der Strafsache gegen wegen schweren Bandendiebstahls u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. au
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 23. Dez. 2015 - 2 StR 457/14.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 19. Apr. 2018 - 2 C 59/16

bei uns veröffentlicht am 19.04.2018

Tatbestand 1 Gegenstand des Verfahrens ist die disziplinarrechtliche Ahndung des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, der durch ein ausländisches Strafgericht abgeu

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(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

(2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 2 6 2 / 1 4
vom
10. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 10. Juli
2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 11. November 2013 im Ausspruch über die Verfallsentscheidung aufgehoben; dieser entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in zehn Fällen und wegen versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verur- teilt und einen Betrag in Höhe von 333,21 € für verfallen erklärt. Dagegen wen- det sich der Beschwerdeführer mit seiner auf zwei Verfahrensbeanstandungen sowie die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen, geringfügigen Teilerfolg, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.
3
a) Die Beanstandung, die Strafkammer habe gegen die §§ 200, 201 StPO sowie gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, weil sie dem Angeklagten am zweiten Hauptverhandlungstag keine Übersetzung der Anklageschrift in einer für ihn verständlichen Sprache (Roma) überlassen, sondern ihn auf die mündliche Übersetzung der Anklageschrift verwiesen und zudem einen Antrag, ihm eine in die Sprache Roma übersetzte Anklageschrift auszuhändigen sowie das Verfahren bis zur Übergabe der übersetzten Anklage auszusetzen, unter Hinweis auf eine mehrere Stunden dauernde Unterbrechung zurückgewiesen habe, ist jedenfalls unbegründet.
4
Allerdings hatte der Angeklagte nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK das Recht, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Dieses Recht beinhaltet für den der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Beschuldigten grundsätzlich die Übersendung einer Übersetzung der Anklageschrift in einer für ihn verständlichen Sprache; dies hat in aller Regel schon vor der Hauptverhandlung zu geschehen. Auch die Überlassung der in die serbische Sprache übersetzten Anklageschrift war deshalb - ungeachtet des Umstands, dass der Angeklagte diese Sprache ebenfalls nicht beherrschte - grundsätzlich zu spät. Die mündliche Übersetzung genügt nur in Ausnahmefällen, namentlich dann, wenn der Verfahrensgegenstand tatsächlich und rechtlich einfach zu überschauen ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 18 mwN). Durch Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren vom 2. Juli 2013 (BGBl. I, S. 1938) ist zudem zur Umsetzung der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmet- scherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren § 187 GVG geändert worden. Die in Art. 3 der Richtlinie enthaltene inhaltliche Konkretisierung des Anspruches eines der Sprache des Strafverfahrens nicht mächtigen Beschuldigten auf schriftliche Übersetzung aller für seine Verteidigung und zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens wesentlichen Unterlagen findet danach nunmehr in § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG dahin ihren Niederschlag, dass in der Regel die schriftliche Übersetzung von freiheitsentziehenden Anordnungen sowie von Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen Urteilen für die Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten erforderlich ist. An die Stelle der schriftlichen Übersetzung kann nach § 187 Abs. 2 Satz 4 GVG zwar eine mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung treten, wenn dadurch die strafprozessualen Rechte des Beschuldigten gewahrt werden , was nach § 187 Abs. 2 Satz 5 GVG regelmäßig der Fall sein soll, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger hat (kritisch zu dieser Regelung Eisenberg, JR 2013, 442, 445). Insoweit hatte der Gesetzgeber indes vor allem die Übersetzung von Urteilen im Blick; die Verpflichtung zur schriftlichen Urteilsübersetzung sollte in der Regel dann nicht greifen, wenn eine effektive Verteidigung des nicht ausreichend sprachkundigen Angeklagten dadurch ausreichend gewährleistet wird, dass der von Gesetzes wegen für die Revisionsbegründung verantwortliche Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt (BT-Drucks. 17/12578, S. 12 mwN). Geht es um die Übersetzung der Anklageschrift, ist die Verfahrenslage aber eine andere, weil durch die Mitteilung der Anklageschrift gerade die durch Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK gewährleistete Information des Beschuldigten über den Tatvorwurf "in allen Einzelheiten" bewirkt werden soll. Auch die Erklärungsrechte des § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO werden möglicherweise beschnitten, wenn der Angeschuldigte über den Anklagevorwurf nicht umfassend und zeitnah unterrichtet wird.
5
Es kann im Ergebnis indes offen bleiben, ob das Vorgehen des Vorsitzenden der Strafkammer gemessen an diesen Maßstäben rechtsfehlerfrei war. Denn der Senat kann jedenfalls ausschließen, dass das Urteil, das nach 23 weiteren Hauptverhandlungstagen ergangen ist, in denen zu den Tatvorwürfen umfassend Beweis erhoben, der Sachverhalt somit umfassend aufgeklärt worden ist und der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten am letzten Hauptverhandlungstag auf Drängen seiner Verteidigung gestanden hat, auf einem etwaigen Informationsdefizit am zweiten Hauptverhandlungstag beruht, das durch die Ablehnung der Anträge der Verteidigung aufgetreten sein könnte.
6
b) Die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO durch die rechtsfehlerhafte Verwerfung eines Befangenheitsantrages als unzulässig ist ebenfalls unbegründet.
7
Der Beanstandung liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Nachdem die Strafkammer mit einem in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss das Verfahren gegen einen früheren Mitangeklagten entgegen dem Widerspruch der Verteidigung des Angeklagten am 14. Hauptverhandlungstag abgetrennt hatte, lehnte dieser "die Mitglieder der Kammer" wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies damit, dass "die gesamte Kammer" den Beschluss nach Kammerberatung gefällt habe, durch den sie den früheren Mitangeklagten zu einem Zeugen gegen den Angeklagten gemacht habe. Die Strafkammer verwarf das Gesuch durch die abgelehnten Richter als unzulässig , weil die Ablehnung eines Kollegialorgans als Ganzes unzulässig sei.
8
Dieses Vorgehen begegnet zwar rechtlichen Bedenken, weil die Begründung des Gesuchs, die zur Auslegung des Begehrens des Angeklagten heranzuziehen ist, hier ergibt, dass sich der Angeklagte nicht gegen ein Kollegialorgan als Ganzes, sondern gegen alle Richter eines solchen Organs wandte, die an einem bestimmten Beschluss mitgewirkt hatten. Ein solcher Befangenheitsantrag ist grundsätzlich zulässig (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1969 - 5 StR 468/69, BGHSt 23, 200, 202; aA Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 24 Rn. 3).
9
Dies gefährdet den Bestand des Urteils jedoch nicht, denn das Landgericht hätte das Gesuch jedenfalls deshalb nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig verwerfen müssen, weil dessen Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet war; ein solcher Fall steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO gleich (BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644, 645 mwN). Bei der Prüfung, ob die für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gegebene Begründung in dem genannten Sinne völlig ungeeignet ist, muss allerdings Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in den Blick genommen werden, weil von der richterlichen Beurteilung des Ablehnungsgesuchs als zulässig oder unzulässig die Zusammensetzung der Richterbank abhängt: Während im Regelfall des Verfahrens nach § 27 StPO der abgelehnte Richter nicht mitwirkt (§ 27 Abs. 1 aE StPO), scheidet er im Falle der Zurückweisung als unzulässig nicht aus (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO). Die Vorschrift des § 26a StPO ist deshalb eng auszulegen (BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410). Eine Begründung ist danach u.a. dann nicht völlig ungeeignet, wenn der abgelehnte Richter zur Prüfung des Ablehnungsgesuchs sein eigenes Verhalten beurteilen und somit eine Entscheidung in eigener Sache treffen muss (BGH aaO).
10
So verhielt es sich hier indes nicht. Der Angeklagte begründete das Ablehnungsgesuch damit, dass die abgelehnten Richter an einer vorangegangenen Entscheidung, dem Abtrennungsbeschluss, mitgewirkt hatten. Ein Ablehnungsgesuch ,das lediglich damit begründet wird, der Richter sei an einer Vor- oder Zwischenentscheidung beteiligt gewesen, ist jedoch auch eingedenk des strengen Prüfungsmaßstabs nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen. Da die Beteiligung an solchen Entscheidungen im selben und in anderen damit zusammenhängenden Verfahren von der Strafprozessordnung ausdrücklich vorgesehen ist, kann sie als solche aus normativen Gründen die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen. Ein allein darauf gestütztes Ablehnungsgesuch ist aus zwingenden rechtlichen Gründen völlig ungeeignet, ein Ablehnungsgesuch zu rechtfertigen (BGH, Urteil vom 29. Juni 2005 - 5 StR 485/05, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 14 mwN; BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06, juris Rn. 50). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn besondere Umstände hinzutreten, die über die Befassung mit einer Vor- oder Zwischenentscheidung als solche hinausgehen, etwa bei damit verbundenen unnötigen und sachlich nicht gerechtfertigten Äußerungen des Richters über den Angeklagten (vgl. BGH aaO; BVerfG aaO, Rn. 52).
11
Solche Besonderheiten im Verhalten der abgelehnten Richter sind von dem Ablehnungsgesuch nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Dass dem ehemaligen Mitangeklagten nach der Abtrennung in dem Verfahren gegen den verbleibenden Angeklagten formal eine Zeugenstellung zukam, war die zwingende Folge der Abtrennung und vermag damit für sich genommen eine Befangenheit nicht zu begründen. Außer der pauschalen Wertung, die Abtrennung sei "willkürlich" erfolgt, werden konkrete Umstände, die eine solche Wertung oder auch nur das Beruhen der Abtrennung auf sachfremden Erwägungen begründen könnten, nicht dargelegt. Im Übrigen wird in dem Ablehnungsgesuch umfänglich das Einlassungsverhalten des ehemaligen Mitangeklagten wiedergegeben und es werden Mutmaßungen dazu angestellt, wie die Strafkammer damit in dem weiteren Verfahren umgehen und welchen - "abgespeckten" - Maßstab sie für eine Glaubwürdigkeitsprüfung anlegen werde; tat- sächliche Verhaltensweisen der Kammermitglieder und der Schöffen, die diese Mutmaßungen belegen könnten oder aus anderen Gründen ein für den Angeklagten nachteiliges Vorgehen der abgelehnten Richter nahe legen oder nur möglich erscheinen lassen könnten, teilt das Ablehnungsgesuch nicht mit. Damit blieb als Ablehnungsgrund allein die Mitwirkung an der Abtrennungsentscheidung , die indes aus zwingenden rechtlichen Gründen die Ablehnung nicht rechtfertigen kann; es lag mithin eine völlig ungeeignete Begründung des Ablehnungsgesuchs vor.
12
Nach alledem war das Ablehnungsgesuch gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen; der Senat konnte im Revisionsverfahren den Verwerfungsgrund innerhalb des § 26a Abs. 1 StPO austauschen (BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644, 646; MeyerGoßner /Schmitt, aaO, § 26a Rn. 11 mwN).
13
2. Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die allgemein erhobene Sachrüge hat zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten ergeben. Die Anordnung des Verfalls kann indes keinen Bestand haben, weil das Landgericht offenbar den Anteil des Angeklagten an der Tatbeute vom 12. Oktober 2012 für verfallen erklären wollte und dabei nicht bedacht hat, dass der Verfallsanordnung zwingend Rückforderungsansprüche der Geschädigten im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen.
14
Aufgrund des geringfügigen Teilerfolgs erscheint es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
Becker Schäfer Mayer
Gericke Spaniol

(1) Das Gericht zieht für den Beschuldigten oder Verurteilten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, einen Dolmetscher oder Übersetzer heran, soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist. Das Gericht weist den Beschuldigten in einer ihm verständlichen Sprache darauf hin, dass er insoweit für das gesamte Strafverfahren die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers beanspruchen kann.

(2) Erforderlich zur Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, ist in der Regel die schriftliche Übersetzung von freiheitsentziehenden Anordnungen sowie von Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen Urteilen. Eine auszugsweise schriftliche Übersetzung ist ausreichend, wenn hierdurch die strafprozessualen Rechte des Beschuldigten gewahrt werden. Die schriftliche Übersetzung ist dem Beschuldigten unverzüglich zur Verfügung zu stellen. An die Stelle der schriftlichen Übersetzung kann eine mündliche Übersetzung der Unterlagen oder eine mündliche Zusammenfassung des Inhalts der Unterlagen treten, wenn hierdurch die strafprozessualen Rechte des Beschuldigten gewahrt werden. Dies ist in der Regel dann anzunehmen, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger hat.

(3) Der Beschuldigte kann auf eine schriftliche Übersetzung nur wirksam verzichten, wenn er zuvor über sein Recht auf eine schriftliche Übersetzung nach den Absätzen 1 und 2 und über die Folgen eines Verzichts auf eine schriftliche Übersetzung belehrt worden ist. Die Belehrung nach Satz 1 und der Verzicht des Beschuldigten sind zu dokumentieren.

(4) Absatz 1 gilt entsprechend für Personen, die nach § 395 der Strafprozessordnung berechtigt sind, sich der öffentlichen Klage mit der Nebenklage anzuschließen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 2 6 2 / 1 4
vom
10. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 10. Juli
2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 11. November 2013 im Ausspruch über die Verfallsentscheidung aufgehoben; dieser entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in zehn Fällen und wegen versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verur- teilt und einen Betrag in Höhe von 333,21 € für verfallen erklärt. Dagegen wen- det sich der Beschwerdeführer mit seiner auf zwei Verfahrensbeanstandungen sowie die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen, geringfügigen Teilerfolg, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.
3
a) Die Beanstandung, die Strafkammer habe gegen die §§ 200, 201 StPO sowie gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, weil sie dem Angeklagten am zweiten Hauptverhandlungstag keine Übersetzung der Anklageschrift in einer für ihn verständlichen Sprache (Roma) überlassen, sondern ihn auf die mündliche Übersetzung der Anklageschrift verwiesen und zudem einen Antrag, ihm eine in die Sprache Roma übersetzte Anklageschrift auszuhändigen sowie das Verfahren bis zur Übergabe der übersetzten Anklage auszusetzen, unter Hinweis auf eine mehrere Stunden dauernde Unterbrechung zurückgewiesen habe, ist jedenfalls unbegründet.
4
Allerdings hatte der Angeklagte nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK das Recht, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Dieses Recht beinhaltet für den der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Beschuldigten grundsätzlich die Übersendung einer Übersetzung der Anklageschrift in einer für ihn verständlichen Sprache; dies hat in aller Regel schon vor der Hauptverhandlung zu geschehen. Auch die Überlassung der in die serbische Sprache übersetzten Anklageschrift war deshalb - ungeachtet des Umstands, dass der Angeklagte diese Sprache ebenfalls nicht beherrschte - grundsätzlich zu spät. Die mündliche Übersetzung genügt nur in Ausnahmefällen, namentlich dann, wenn der Verfahrensgegenstand tatsächlich und rechtlich einfach zu überschauen ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 18 mwN). Durch Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren vom 2. Juli 2013 (BGBl. I, S. 1938) ist zudem zur Umsetzung der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmet- scherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren § 187 GVG geändert worden. Die in Art. 3 der Richtlinie enthaltene inhaltliche Konkretisierung des Anspruches eines der Sprache des Strafverfahrens nicht mächtigen Beschuldigten auf schriftliche Übersetzung aller für seine Verteidigung und zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens wesentlichen Unterlagen findet danach nunmehr in § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG dahin ihren Niederschlag, dass in der Regel die schriftliche Übersetzung von freiheitsentziehenden Anordnungen sowie von Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen Urteilen für die Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten erforderlich ist. An die Stelle der schriftlichen Übersetzung kann nach § 187 Abs. 2 Satz 4 GVG zwar eine mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung treten, wenn dadurch die strafprozessualen Rechte des Beschuldigten gewahrt werden , was nach § 187 Abs. 2 Satz 5 GVG regelmäßig der Fall sein soll, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger hat (kritisch zu dieser Regelung Eisenberg, JR 2013, 442, 445). Insoweit hatte der Gesetzgeber indes vor allem die Übersetzung von Urteilen im Blick; die Verpflichtung zur schriftlichen Urteilsübersetzung sollte in der Regel dann nicht greifen, wenn eine effektive Verteidigung des nicht ausreichend sprachkundigen Angeklagten dadurch ausreichend gewährleistet wird, dass der von Gesetzes wegen für die Revisionsbegründung verantwortliche Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt (BT-Drucks. 17/12578, S. 12 mwN). Geht es um die Übersetzung der Anklageschrift, ist die Verfahrenslage aber eine andere, weil durch die Mitteilung der Anklageschrift gerade die durch Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK gewährleistete Information des Beschuldigten über den Tatvorwurf "in allen Einzelheiten" bewirkt werden soll. Auch die Erklärungsrechte des § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO werden möglicherweise beschnitten, wenn der Angeschuldigte über den Anklagevorwurf nicht umfassend und zeitnah unterrichtet wird.
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Es kann im Ergebnis indes offen bleiben, ob das Vorgehen des Vorsitzenden der Strafkammer gemessen an diesen Maßstäben rechtsfehlerfrei war. Denn der Senat kann jedenfalls ausschließen, dass das Urteil, das nach 23 weiteren Hauptverhandlungstagen ergangen ist, in denen zu den Tatvorwürfen umfassend Beweis erhoben, der Sachverhalt somit umfassend aufgeklärt worden ist und der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten am letzten Hauptverhandlungstag auf Drängen seiner Verteidigung gestanden hat, auf einem etwaigen Informationsdefizit am zweiten Hauptverhandlungstag beruht, das durch die Ablehnung der Anträge der Verteidigung aufgetreten sein könnte.
6
b) Die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO durch die rechtsfehlerhafte Verwerfung eines Befangenheitsantrages als unzulässig ist ebenfalls unbegründet.
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Der Beanstandung liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Nachdem die Strafkammer mit einem in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss das Verfahren gegen einen früheren Mitangeklagten entgegen dem Widerspruch der Verteidigung des Angeklagten am 14. Hauptverhandlungstag abgetrennt hatte, lehnte dieser "die Mitglieder der Kammer" wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies damit, dass "die gesamte Kammer" den Beschluss nach Kammerberatung gefällt habe, durch den sie den früheren Mitangeklagten zu einem Zeugen gegen den Angeklagten gemacht habe. Die Strafkammer verwarf das Gesuch durch die abgelehnten Richter als unzulässig , weil die Ablehnung eines Kollegialorgans als Ganzes unzulässig sei.
8
Dieses Vorgehen begegnet zwar rechtlichen Bedenken, weil die Begründung des Gesuchs, die zur Auslegung des Begehrens des Angeklagten heranzuziehen ist, hier ergibt, dass sich der Angeklagte nicht gegen ein Kollegialorgan als Ganzes, sondern gegen alle Richter eines solchen Organs wandte, die an einem bestimmten Beschluss mitgewirkt hatten. Ein solcher Befangenheitsantrag ist grundsätzlich zulässig (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1969 - 5 StR 468/69, BGHSt 23, 200, 202; aA Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 24 Rn. 3).
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Dies gefährdet den Bestand des Urteils jedoch nicht, denn das Landgericht hätte das Gesuch jedenfalls deshalb nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig verwerfen müssen, weil dessen Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet war; ein solcher Fall steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO gleich (BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644, 645 mwN). Bei der Prüfung, ob die für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gegebene Begründung in dem genannten Sinne völlig ungeeignet ist, muss allerdings Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in den Blick genommen werden, weil von der richterlichen Beurteilung des Ablehnungsgesuchs als zulässig oder unzulässig die Zusammensetzung der Richterbank abhängt: Während im Regelfall des Verfahrens nach § 27 StPO der abgelehnte Richter nicht mitwirkt (§ 27 Abs. 1 aE StPO), scheidet er im Falle der Zurückweisung als unzulässig nicht aus (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO). Die Vorschrift des § 26a StPO ist deshalb eng auszulegen (BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410). Eine Begründung ist danach u.a. dann nicht völlig ungeeignet, wenn der abgelehnte Richter zur Prüfung des Ablehnungsgesuchs sein eigenes Verhalten beurteilen und somit eine Entscheidung in eigener Sache treffen muss (BGH aaO).
10
So verhielt es sich hier indes nicht. Der Angeklagte begründete das Ablehnungsgesuch damit, dass die abgelehnten Richter an einer vorangegangenen Entscheidung, dem Abtrennungsbeschluss, mitgewirkt hatten. Ein Ablehnungsgesuch ,das lediglich damit begründet wird, der Richter sei an einer Vor- oder Zwischenentscheidung beteiligt gewesen, ist jedoch auch eingedenk des strengen Prüfungsmaßstabs nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen. Da die Beteiligung an solchen Entscheidungen im selben und in anderen damit zusammenhängenden Verfahren von der Strafprozessordnung ausdrücklich vorgesehen ist, kann sie als solche aus normativen Gründen die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen. Ein allein darauf gestütztes Ablehnungsgesuch ist aus zwingenden rechtlichen Gründen völlig ungeeignet, ein Ablehnungsgesuch zu rechtfertigen (BGH, Urteil vom 29. Juni 2005 - 5 StR 485/05, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 14 mwN; BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06, juris Rn. 50). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn besondere Umstände hinzutreten, die über die Befassung mit einer Vor- oder Zwischenentscheidung als solche hinausgehen, etwa bei damit verbundenen unnötigen und sachlich nicht gerechtfertigten Äußerungen des Richters über den Angeklagten (vgl. BGH aaO; BVerfG aaO, Rn. 52).
11
Solche Besonderheiten im Verhalten der abgelehnten Richter sind von dem Ablehnungsgesuch nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Dass dem ehemaligen Mitangeklagten nach der Abtrennung in dem Verfahren gegen den verbleibenden Angeklagten formal eine Zeugenstellung zukam, war die zwingende Folge der Abtrennung und vermag damit für sich genommen eine Befangenheit nicht zu begründen. Außer der pauschalen Wertung, die Abtrennung sei "willkürlich" erfolgt, werden konkrete Umstände, die eine solche Wertung oder auch nur das Beruhen der Abtrennung auf sachfremden Erwägungen begründen könnten, nicht dargelegt. Im Übrigen wird in dem Ablehnungsgesuch umfänglich das Einlassungsverhalten des ehemaligen Mitangeklagten wiedergegeben und es werden Mutmaßungen dazu angestellt, wie die Strafkammer damit in dem weiteren Verfahren umgehen und welchen - "abgespeckten" - Maßstab sie für eine Glaubwürdigkeitsprüfung anlegen werde; tat- sächliche Verhaltensweisen der Kammermitglieder und der Schöffen, die diese Mutmaßungen belegen könnten oder aus anderen Gründen ein für den Angeklagten nachteiliges Vorgehen der abgelehnten Richter nahe legen oder nur möglich erscheinen lassen könnten, teilt das Ablehnungsgesuch nicht mit. Damit blieb als Ablehnungsgrund allein die Mitwirkung an der Abtrennungsentscheidung , die indes aus zwingenden rechtlichen Gründen die Ablehnung nicht rechtfertigen kann; es lag mithin eine völlig ungeeignete Begründung des Ablehnungsgesuchs vor.
12
Nach alledem war das Ablehnungsgesuch gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen; der Senat konnte im Revisionsverfahren den Verwerfungsgrund innerhalb des § 26a Abs. 1 StPO austauschen (BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644, 646; MeyerGoßner /Schmitt, aaO, § 26a Rn. 11 mwN).
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2. Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die allgemein erhobene Sachrüge hat zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten ergeben. Die Anordnung des Verfalls kann indes keinen Bestand haben, weil das Landgericht offenbar den Anteil des Angeklagten an der Tatbeute vom 12. Oktober 2012 für verfallen erklären wollte und dabei nicht bedacht hat, dass der Verfallsanordnung zwingend Rückforderungsansprüche der Geschädigten im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen.
14
Aufgrund des geringfügigen Teilerfolgs erscheint es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
Becker Schäfer Mayer
Gericke Spaniol

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 2 6 2 / 1 4
vom
10. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 10. Juli
2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 11. November 2013 im Ausspruch über die Verfallsentscheidung aufgehoben; dieser entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in zehn Fällen und wegen versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verur- teilt und einen Betrag in Höhe von 333,21 € für verfallen erklärt. Dagegen wen- det sich der Beschwerdeführer mit seiner auf zwei Verfahrensbeanstandungen sowie die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen, geringfügigen Teilerfolg, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.
3
a) Die Beanstandung, die Strafkammer habe gegen die §§ 200, 201 StPO sowie gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, weil sie dem Angeklagten am zweiten Hauptverhandlungstag keine Übersetzung der Anklageschrift in einer für ihn verständlichen Sprache (Roma) überlassen, sondern ihn auf die mündliche Übersetzung der Anklageschrift verwiesen und zudem einen Antrag, ihm eine in die Sprache Roma übersetzte Anklageschrift auszuhändigen sowie das Verfahren bis zur Übergabe der übersetzten Anklage auszusetzen, unter Hinweis auf eine mehrere Stunden dauernde Unterbrechung zurückgewiesen habe, ist jedenfalls unbegründet.
4
Allerdings hatte der Angeklagte nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK das Recht, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Dieses Recht beinhaltet für den der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Beschuldigten grundsätzlich die Übersendung einer Übersetzung der Anklageschrift in einer für ihn verständlichen Sprache; dies hat in aller Regel schon vor der Hauptverhandlung zu geschehen. Auch die Überlassung der in die serbische Sprache übersetzten Anklageschrift war deshalb - ungeachtet des Umstands, dass der Angeklagte diese Sprache ebenfalls nicht beherrschte - grundsätzlich zu spät. Die mündliche Übersetzung genügt nur in Ausnahmefällen, namentlich dann, wenn der Verfahrensgegenstand tatsächlich und rechtlich einfach zu überschauen ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 18 mwN). Durch Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren vom 2. Juli 2013 (BGBl. I, S. 1938) ist zudem zur Umsetzung der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmet- scherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren § 187 GVG geändert worden. Die in Art. 3 der Richtlinie enthaltene inhaltliche Konkretisierung des Anspruches eines der Sprache des Strafverfahrens nicht mächtigen Beschuldigten auf schriftliche Übersetzung aller für seine Verteidigung und zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens wesentlichen Unterlagen findet danach nunmehr in § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG dahin ihren Niederschlag, dass in der Regel die schriftliche Übersetzung von freiheitsentziehenden Anordnungen sowie von Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen Urteilen für die Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten erforderlich ist. An die Stelle der schriftlichen Übersetzung kann nach § 187 Abs. 2 Satz 4 GVG zwar eine mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung treten, wenn dadurch die strafprozessualen Rechte des Beschuldigten gewahrt werden , was nach § 187 Abs. 2 Satz 5 GVG regelmäßig der Fall sein soll, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger hat (kritisch zu dieser Regelung Eisenberg, JR 2013, 442, 445). Insoweit hatte der Gesetzgeber indes vor allem die Übersetzung von Urteilen im Blick; die Verpflichtung zur schriftlichen Urteilsübersetzung sollte in der Regel dann nicht greifen, wenn eine effektive Verteidigung des nicht ausreichend sprachkundigen Angeklagten dadurch ausreichend gewährleistet wird, dass der von Gesetzes wegen für die Revisionsbegründung verantwortliche Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt (BT-Drucks. 17/12578, S. 12 mwN). Geht es um die Übersetzung der Anklageschrift, ist die Verfahrenslage aber eine andere, weil durch die Mitteilung der Anklageschrift gerade die durch Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) MRK gewährleistete Information des Beschuldigten über den Tatvorwurf "in allen Einzelheiten" bewirkt werden soll. Auch die Erklärungsrechte des § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO werden möglicherweise beschnitten, wenn der Angeschuldigte über den Anklagevorwurf nicht umfassend und zeitnah unterrichtet wird.
5
Es kann im Ergebnis indes offen bleiben, ob das Vorgehen des Vorsitzenden der Strafkammer gemessen an diesen Maßstäben rechtsfehlerfrei war. Denn der Senat kann jedenfalls ausschließen, dass das Urteil, das nach 23 weiteren Hauptverhandlungstagen ergangen ist, in denen zu den Tatvorwürfen umfassend Beweis erhoben, der Sachverhalt somit umfassend aufgeklärt worden ist und der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten am letzten Hauptverhandlungstag auf Drängen seiner Verteidigung gestanden hat, auf einem etwaigen Informationsdefizit am zweiten Hauptverhandlungstag beruht, das durch die Ablehnung der Anträge der Verteidigung aufgetreten sein könnte.
6
b) Die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO durch die rechtsfehlerhafte Verwerfung eines Befangenheitsantrages als unzulässig ist ebenfalls unbegründet.
7
Der Beanstandung liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Nachdem die Strafkammer mit einem in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss das Verfahren gegen einen früheren Mitangeklagten entgegen dem Widerspruch der Verteidigung des Angeklagten am 14. Hauptverhandlungstag abgetrennt hatte, lehnte dieser "die Mitglieder der Kammer" wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies damit, dass "die gesamte Kammer" den Beschluss nach Kammerberatung gefällt habe, durch den sie den früheren Mitangeklagten zu einem Zeugen gegen den Angeklagten gemacht habe. Die Strafkammer verwarf das Gesuch durch die abgelehnten Richter als unzulässig , weil die Ablehnung eines Kollegialorgans als Ganzes unzulässig sei.
8
Dieses Vorgehen begegnet zwar rechtlichen Bedenken, weil die Begründung des Gesuchs, die zur Auslegung des Begehrens des Angeklagten heranzuziehen ist, hier ergibt, dass sich der Angeklagte nicht gegen ein Kollegialorgan als Ganzes, sondern gegen alle Richter eines solchen Organs wandte, die an einem bestimmten Beschluss mitgewirkt hatten. Ein solcher Befangenheitsantrag ist grundsätzlich zulässig (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1969 - 5 StR 468/69, BGHSt 23, 200, 202; aA Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 24 Rn. 3).
9
Dies gefährdet den Bestand des Urteils jedoch nicht, denn das Landgericht hätte das Gesuch jedenfalls deshalb nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig verwerfen müssen, weil dessen Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet war; ein solcher Fall steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO gleich (BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644, 645 mwN). Bei der Prüfung, ob die für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gegebene Begründung in dem genannten Sinne völlig ungeeignet ist, muss allerdings Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in den Blick genommen werden, weil von der richterlichen Beurteilung des Ablehnungsgesuchs als zulässig oder unzulässig die Zusammensetzung der Richterbank abhängt: Während im Regelfall des Verfahrens nach § 27 StPO der abgelehnte Richter nicht mitwirkt (§ 27 Abs. 1 aE StPO), scheidet er im Falle der Zurückweisung als unzulässig nicht aus (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO). Die Vorschrift des § 26a StPO ist deshalb eng auszulegen (BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410). Eine Begründung ist danach u.a. dann nicht völlig ungeeignet, wenn der abgelehnte Richter zur Prüfung des Ablehnungsgesuchs sein eigenes Verhalten beurteilen und somit eine Entscheidung in eigener Sache treffen muss (BGH aaO).
10
So verhielt es sich hier indes nicht. Der Angeklagte begründete das Ablehnungsgesuch damit, dass die abgelehnten Richter an einer vorangegangenen Entscheidung, dem Abtrennungsbeschluss, mitgewirkt hatten. Ein Ablehnungsgesuch ,das lediglich damit begründet wird, der Richter sei an einer Vor- oder Zwischenentscheidung beteiligt gewesen, ist jedoch auch eingedenk des strengen Prüfungsmaßstabs nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen. Da die Beteiligung an solchen Entscheidungen im selben und in anderen damit zusammenhängenden Verfahren von der Strafprozessordnung ausdrücklich vorgesehen ist, kann sie als solche aus normativen Gründen die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen. Ein allein darauf gestütztes Ablehnungsgesuch ist aus zwingenden rechtlichen Gründen völlig ungeeignet, ein Ablehnungsgesuch zu rechtfertigen (BGH, Urteil vom 29. Juni 2005 - 5 StR 485/05, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 14 mwN; BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06, juris Rn. 50). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn besondere Umstände hinzutreten, die über die Befassung mit einer Vor- oder Zwischenentscheidung als solche hinausgehen, etwa bei damit verbundenen unnötigen und sachlich nicht gerechtfertigten Äußerungen des Richters über den Angeklagten (vgl. BGH aaO; BVerfG aaO, Rn. 52).
11
Solche Besonderheiten im Verhalten der abgelehnten Richter sind von dem Ablehnungsgesuch nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Dass dem ehemaligen Mitangeklagten nach der Abtrennung in dem Verfahren gegen den verbleibenden Angeklagten formal eine Zeugenstellung zukam, war die zwingende Folge der Abtrennung und vermag damit für sich genommen eine Befangenheit nicht zu begründen. Außer der pauschalen Wertung, die Abtrennung sei "willkürlich" erfolgt, werden konkrete Umstände, die eine solche Wertung oder auch nur das Beruhen der Abtrennung auf sachfremden Erwägungen begründen könnten, nicht dargelegt. Im Übrigen wird in dem Ablehnungsgesuch umfänglich das Einlassungsverhalten des ehemaligen Mitangeklagten wiedergegeben und es werden Mutmaßungen dazu angestellt, wie die Strafkammer damit in dem weiteren Verfahren umgehen und welchen - "abgespeckten" - Maßstab sie für eine Glaubwürdigkeitsprüfung anlegen werde; tat- sächliche Verhaltensweisen der Kammermitglieder und der Schöffen, die diese Mutmaßungen belegen könnten oder aus anderen Gründen ein für den Angeklagten nachteiliges Vorgehen der abgelehnten Richter nahe legen oder nur möglich erscheinen lassen könnten, teilt das Ablehnungsgesuch nicht mit. Damit blieb als Ablehnungsgrund allein die Mitwirkung an der Abtrennungsentscheidung , die indes aus zwingenden rechtlichen Gründen die Ablehnung nicht rechtfertigen kann; es lag mithin eine völlig ungeeignete Begründung des Ablehnungsgesuchs vor.
12
Nach alledem war das Ablehnungsgesuch gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen; der Senat konnte im Revisionsverfahren den Verwerfungsgrund innerhalb des § 26a Abs. 1 StPO austauschen (BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644, 646; MeyerGoßner /Schmitt, aaO, § 26a Rn. 11 mwN).
13
2. Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die allgemein erhobene Sachrüge hat zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten ergeben. Die Anordnung des Verfalls kann indes keinen Bestand haben, weil das Landgericht offenbar den Anteil des Angeklagten an der Tatbeute vom 12. Oktober 2012 für verfallen erklären wollte und dabei nicht bedacht hat, dass der Verfallsanordnung zwingend Rückforderungsansprüche der Geschädigten im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen.
14
Aufgrund des geringfügigen Teilerfolgs erscheint es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
Becker Schäfer Mayer
Gericke Spaniol

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

(2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 5 8 / 1 5
vom
9. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. Juli 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 14. August 2014, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der nicht revidierende Mitangeklagte G. 211,9 Gramm Kokain sowie 755,2 Gramm Cannabisharz zum gewinnbringenden Weiterverkauf. Er versteckte die Drogen an ver- schiedenen Stellen in seiner Wohnung, wo sie am 24. Oktober 2013 bei einer Wohnungsdurchsuchung aufgefunden wurden. In der Wohnung nächtigte zu diesem Zeitpunkt neben weiteren Personen auch der Angeklagte. Er hatte sich schon zuvor auf Bitten des G. bereit erklärt, einen Teil des Straßenverkaufs zu übernehmen und zu diesem Zweck 10 Kokain-Briefchen mit insgesamt 8,69 Gramm Kokain in seinem Schrankfach im Schlafzimmer gelagert.
3
2. Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Zwar habe er Kenntnis davon gehabt, dass G. Betäubungsmittel in der Wohnung gelagert habe, die er verkaufen wollte. Er habe G. aber weder unterstützt noch dies vorgehabt.

II.

4
Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
1. Die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
Die Beweiswürdigung ist zwar Sache des Tatgerichts; der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt aber, ob diesem dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZRR 2004, 238; Urteil vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928). So liegt es hier:
7
Dass sich der Angeklagte bereit erklärt hat, einen Teil des Straßenverkaufs zu übernehmen, steht zur Überzeugung des Landgerichts aufgrund des Umstands fest, dass 10 Kokain-Briefchen in einer Schrankabtrennung gefunden wurden, in der sich auch der Ausweis des Angeklagten befand. Die Einlassung des Angeklagten sowie des Wohnungsinhabers G. , es habe keine feste Zuteilung der Schrankabtrennungen gegeben, hat das Gericht als reine Schutzbehauptung bewertet, die lebensfremd erscheine.
8
Diese Überzeugungsbildung des Landgerichts ist lückenhaft. Das Landgericht ist offenkundig davon ausgegangen, dass in einer Wohnung vorhandene Schrankfächer nach allgemeiner Lebenserfahrung den einzelnen Nutzern einer Wohnung fest zugeteilt werden. Schon das Bestehen eines solchen Erfahrungssatzes erscheint zweifelhaft. Jedenfalls aber hätte sich das Gericht mit tatsächlichen Umständen auseinandersetzen müssen, die einen solchen Erfahrungssatz hier in Frage stellen können. Solche Umstände waren vorliegend gegeben , denn zum Zeitpunkt der Wohnungsdurchsuchung hielten sich in der Wohnung neben dem Angeklagten und dem Wohnungsinhaber G. regelmäßig noch drei weitere Personen auf. Die Küche war provisorisch eingerichtet, alle fünf Personen schliefen auf am Boden liegenden Matratzen. Der Schrank, in dem sich die Kokain-Briefchen befanden, bestand aus vier Abtrennungen. Für die Strafkammer bestand daher hinreichend Anlass, insbesondere die vorgefundene Wohnsituation sowie die Existenz von nur vier Schrankabtrennungen für fünf Personen in die Beweiswürdigung einzustellen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht schon unter Berücksichtigung dieser Umstände zu einer anderen Überzeugung gelangt wäre.
9
2. Dessen ungeachtet tragen die landgerichtlichen Feststellungen auch nicht den Schuldspruch, denn hinsichtlich der Beihilfehandlung des Angeklagten fehlen ausreichende Feststellungen zum äußeren und inneren Tatgeschehen.
10
Als Gehilfe wird gemäß § 27 Abs. 1 StGB nur bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Diese Hilfeleistung muss sich auf die Begehung der Haupttat zwar nicht kausal auswirken; erforderlich ist aber, dass sie die Haupttat zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung in irgendeiner Weise erleichtert oder fördert (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 2008 - 2 StR 535/07, NStZ 2008, 284 mwN).
11
Feststellungen dazu hat das Landgericht nicht getroffen. Die knappen Ausführungen, der Angeklagte habe sich an dem späteren Verkauf der 10 Kokain -Briefchen beteiligen wollen, belegen für sich genommen keine tatsächlich erfolgte Förderung oder Erleichterung der Haupttat. Zwar kann eine Haupttat in Ausnahmefällen auch schon durch das bloße Bereiterklären späterer Unterstützung gefördert oder erleichtert werden. Aber auch die Voraussetzungen einer solchen psychischen Beihilfe sind nicht belegt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Angeklagte den Haupttäter G. durch seine Zusage, ihm beim späteren Abverkauf zu unterstützen, in seinem Tatentschluss bestärkt oder ihm ein erhöhtes Sicherheitsgefühl gegeben hätte.
12
Eine bloß versuchte Beihilfe ist demgegenüber straflos. Auch eine Verurteilung nach § 30 Abs. 2 StGB (Verabredung zu einem Verbrechen) käme nur dann in Betracht, wenn der in Aussicht genommene Tatbeitrag des Angeklagten täterschaftliche Qualität erreichen sollte. Ist seine Mitwirkung - wie hier - im Falle der Durchführung nur als die eines Gehilfen zu werten, bleibt er insoweit straffrei (Senatsurteil vom 31. Oktober 2001 - 2 StR 315/01, NStZ-RR 2002, 74,

75).

13
Da indes nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein neuer Tatrichter noch ergänzende Feststellungen zur Beihilfehandlung des Angeklagten - jedenfalls aber zu den Voraussetzungen eines möglichen Besitzes von Betäubungsmitteln - treffen kann, verweist der Senat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Tatgericht zurück. Fischer Eschelbach Ott RiBGH Zeng ist wegen Bartel Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Fischer

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft,
2.
eine ausgenommene Zubereitung (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) ohne Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 herstellt,
3.
Betäubungsmittel besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein,
4.
(weggefallen)
5.
entgegen § 11 Abs. 1 Satz 2 Betäubungsmittel durchführt,
6.
entgegen § 13 Abs. 1 Betäubungsmittel
a)
verschreibt,
b)
verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt,
6a.
entgegen § 13 Absatz 1a Satz 1 und 2 ein dort genanntes Betäubungsmittel überlässt,
6b.
entgegen § 13 Absatz 1b Satz 1 Betäubungsmittel verabreicht,
7.
entgegen § 13 Absatz 2
a)
Betäubungsmittel in einer Apotheke oder tierärztlichen Hausapotheke,
b)
Diamorphin als pharmazeutischer Unternehmer
abgibt,
8.
entgegen § 14 Abs. 5 für Betäubungsmittel wirbt,
9.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um für sich oder einen anderen oder für ein Tier die Verschreibung eines Betäubungsmittels zu erlangen,
10.
einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, eine solche Gelegenheit öffentlich oder eigennützig mitteilt oder einen anderen zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verleitet,
11.
ohne Erlaubnis nach § 10a einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, oder wer eine außerhalb einer Einrichtung nach § 10a bestehende Gelegenheit zu einem solchen Verbrauch eigennützig oder öffentlich mitteilt,
12.
öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches) dazu auffordert, Betäubungsmittel zu verbrauchen, die nicht zulässigerweise verschrieben worden sind,
13.
Geldmittel oder andere Vermögensgegenstände einem anderen für eine rechtswidrige Tat nach Nummern 1, 5, 6, 7, 10, 11 oder 12 bereitstellt,
14.
einer Rechtsverordnung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 oder § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2a oder 5 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.
Die Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Betäubungsmittelabhängige und die öffentliche Information darüber sind kein Verschaffen und kein öffentliches Mitteilen einer Gelegenheit zum Verbrauch nach Satz 1 Nr. 11.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5 oder 6 Buchstabe b ist der Versuch strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 5, 6, 10, 11 oder 13 gewerbsmäßig handelt,
2.
durch eine der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 6 oder 7 bezeichneten Handlungen die Gesundheit mehrerer Menschen gefährdet.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5, 6 Buchstabe b, Nummer 6b, 10 oder 11 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(5) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach den Absätzen 1, 2 und 4 absehen, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.

(6) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 sind, soweit sie das Handeltreiben, Abgeben oder Veräußern betreffen, auch anzuwenden, wenn sich die Handlung auf Stoffe oder Zubereitungen bezieht, die nicht Betäubungsmittel sind, aber als solche ausgegeben werden.

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 303/11
vom
27. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. Juli 2011 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 14. Januar 2011 im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittel bleibt dem für das Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, unter Einbeziehung der durch das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 26. März 2010 verhängten Einzelstrafen und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es bestimmt, dass die in Bulgarien erlittene Auslieferungshaft im Maßstab 1:1 auf die Strafe angerechnet wird. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die zu Gunsten des Angeklagten eingelegte und wirksam auf den Ausspruch über die Gesamtstrafe beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützt ist, hat Erfolg.
2
Das Urteil hat keinen Bestand, soweit das Landgericht unter Einbeziehung der durch das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 26. März 2010 verhängten Einzelstrafen eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe nach § 55 Abs. 1 StGB gebildet hat. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt: „Der Angeklagte ist aufgrund des Europäischen Haftbefehls vom 26. Juli 2010 (SA Bd. III, Bl. 670), der Bezug nimmt auf den Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 25. Juni 2010 (SA Bd. III, Bl. 612) aus Bulgarien ausgeliefert worden (SA Bd. III, Bl. 687), nachdem das Bezirksgericht Burgas mit Beschluss vom 30. August 2010 wegen der im Haftbefehl aufgeführten Betäubungsmitteldelikte die Auslieferung bewilligt hatte (SA Bd. IV, Bl. 882).
Der Angeklagte hat der Durchführung des vereinfachten Auslieferungsverfahrens widersprochen und auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität nicht verzichtet (SA Bd. IV, Bl. 882). Eine Auslieferungsbewilligung zur Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Herford liegt bisher nicht vor.

a) Der das Auslieferungsrecht beherrschende Grundsatz der Spezialität – Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens , § 83h IRG – verbietet es grundsätzlich, die mangels Zustimmung der bulgarischen Behörden nicht vollstreckbare Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Herford in eine neue Gesamtstrafe einzubeziehen (Senat,
Beschluss vom 12. August 1997, 4 StR 345/97 m.w.N.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. April 2004, 3 StR 115/04).

b) Die Strafkammer weist zwar zu Recht darauf hin, dass § 83h Abs. 2 IRG im Hinblick auf Personen, die – wie vorliegend – von einem EU-Mitgliedsstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls überstellt worden sind, Ausnahmen vom Grundsatz der Spezialität vorsieht. Diese greifen jedoch für den vorliegenden Fall nicht durch.
Nach § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG entfällt die Spezialität, wenn die Strafverfolgung im konkreten Fall nicht zu einer Freiheitsbeschränkung führt. Diese – ursprünglich für Geldstrafen vorgesehene (vgl. Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 83h IRG, Rdn. 5 m.w.N.) – Ausnahme dürfte nach der Entscheidung des EuGH vom 1. Dezember 2008 (NStZ 2010, 35) zwar – wie vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg entschieden (Beschluss vom 29. Juli 2010, 3 Ws 96/10 = StraFo 2010, 469) – einen Widerrufsbeschluss hinsichtlich einer Strafaussetzung zur Bewährung ermöglichen. Anderes muss jedoch für die Einbeziehung einer Strafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe gelten, da – worauf die Staatsanwaltschaft in ihrer Revision zutreffend hinweist – die Sach- und Rechtslage nicht vergleichbar ist. Zwar bleiben bei einer nach § 55 StGB gebildeten Gesamtstrafe – anders als bei der Einheitsjugendstrafe nach § 31 JGG – die zugrunde liegenden Einzelstrafen in gewissem Umfang selbständig, dies ändert jedoch nichts daran, dass – im Falle der Rechtskraft – die Gesamtfreiheitsstrafe vollstreckt wird. Dies kann aber nur mit Zustimmung des ausliefernden Staates erfolgen (EuGH, aaO). … Rechtshilferechtlich zulässig wäre wohl allenfalls eine vollständige Zurückstellung der Vollstreckung der verhängten Gesamtstrafe. Dies würde jedoch zum einen eklatant dem Gebot widersprechen, die Vollstreckung unverzüglich nach Eintritt der Rechtskraft einzuleiten (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 449 Rdn. 2), und wäre im Falle von Untersuchungshaft – wie vorliegend – praktisch nicht durchführbar, da die Untersuchungshaft mit der Rechtskraft des Urteils unmittelbar in die Strafhaft übergeht (BGHSt 38, 63).

c) Das Landgericht wird somit aus den für die abgeurteilten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtsfehlerfrei bestimmten Einzelstrafen von vier und fünf Jahren unter Beachtung des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO eine neue Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden haben. Dies kann im Beschlusswege nach den §§ 460, 462 StPO erfolgen (§ 354 Abs. 1 b StPO). Im Falle einer nachträglichen Zustimmung Bulgariens zur Vollstreckung des Urteils des Amtsgerichts Herford wird – ebenfalls gemäß § 460 StPO – nachträglich eine neue Gesamtstrafe zu bilden sein (Senat, Beschluss vom 12. August 1997, 4 StR 345/97).“
3
Dem tritt der Senat bei. Nach der vom Generalbundesanwalt zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 1. Dezember 2008 ist die in Art. 27 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (= § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG) vorgesehene Ausnahme dahin auszulegen, dass bei einer "anderen Handlung" als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, nach Art. 27 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses um Zustimmung ersucht werden und diese Zustimmung spätestens dann eingegangen sein muss, wenn eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßnahme zu vollstrecken ist. Die übergebene Person kann wegen einer solchen Handlung verfolgt und verurteilt werden, bevor diese Zustimmung eingegangen ist, sofern während des diese Handlung betreffenden Ermittlungs- und Strafverfahrens keine freiheitsbeschränkende Maßnahme angewandt wird. Die Ausnahme des Art. 27 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses verbietet es jedoch nicht, die übergebene Person einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme zu unterwerfen, bevor die Zustimmung eingegangen ist, wenn diese Beschränkung durch andere Anklagepunkte im Europäischen Haftbefehl gerechtfertigt wird. Jedenfalls in der hier vorliegenden Fallgestaltung, in der Untersuchungshaft wegen der Taten vollzogen wird, derentwegen die Auslieferung bewilligt wurde, steht der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe mit Einzelstrafen aus einer nicht von der Auslieferungsbewilligung umfassten Vorverurteilung bereits das vom Europäischen Gerichtshof angenommene Vollstreckungshindernis entgegen. In einem solchen Fall ginge nicht nur die Untersuchungshaft mit Rechtskraft (§ 34a StPO) in Strafhaft über (§ 449 StPO), sondern die Gesamtfreiheitsstrafe wäre infolge der Anrechnung nach § 51 Abs. 1 StGB bereits teilweise vollstreckt.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Bender Quentin

(1) Von einem Mitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergebene Personen dürfen

1.
wegen einer vor der Übergabe begangenen anderen Tat als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, weder verfolgt noch verurteilt noch einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen werden und
2.
nicht an einen dritten Staat weitergeliefert, überstellt oder in einen dritten Staat abgeschoben werden.

(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn

1.
die übergebene Person den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder nach Verlassen in ihn zurückgekehrt ist,
2.
die Straftat nicht mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung bedroht ist,
3.
die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme führt,
4.
die übergebene Person der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung ohne Freiheitsentzug unterzogen wird, selbst wenn diese Strafe oder Maßnahme die persönliche Freiheit einschränken kann, oder
5.
der ersuchte Mitgliedstaat oder die übergebene Person darauf verzichtet hat.

(3) Der nach Übergabe erfolgte Verzicht der übergebenen Person ist zu Protokoll eines Richters oder Staatsanwalts zu erklären. Die Verzichtserklärung ist unwiderruflich. Die übergebene Person ist hierüber zu belehren.