Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 26. März 2018 - 12 BV 17.1765 u.a.
nachgehend
Tenor
I. Die Verfahren 12 BV 17.1765, 12 BV 17.1766, 12 BV 17.1767, 12 BV 17.1769 und 12 BV 17.1770 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Berufungen werden zurückgewiesen.
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
IV. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
II.
– […]
(e) Betrunkene vor den Diskotheken liegen, (f) Diskothekenbesucher im öffentlichen Straßenraum urinieren, (g) ständig Gäste kommen und gehen, (h) Betrunkene vor den Diskotheken stehen, sich gegenseitig anrempeln und laute Gespräche führen, die den Verkehrslärm übertönen, (i) Taxis und sonstige Fahrzeuge zu den Diskotheken aus der M-J.-Straße kommend anfahren und vom M.platz über die M-J.-Straße abfahren, teilweise vor dem „M & M.“ in der M-J.-Straße halten und dann weiterfahren,
(j) ein Betrunkener im Park vor dem „P.“ neben ca. zwanzig leeren Bierflaschen liegt,
(k) vor dem Eingang des „M & M.“ auf der M-J.-Straße eine offensichtlich betrunkene Person liegt, wobei einige Diskobesucher versuchen, ihr beim Aufstehen zu helfen, laute Gespräche der Besucher im öffentlichen Straßenraum stattfinden, während man im Hintergrund den Lärm der an- und abfahrenden Taxis hört, der allerdings immer wieder durch laute Gespräche, Rufen und Schreien übertönt wird, (l) ein Gast, der im öffentlichen Straßenraum uriniert, von einem Ordner angesprochen wird, ohne dass dies erkennbare Konsequenzen hat, (m) Diskothekenmusik deutlich hörbar nach außen dringt, (n) Taxischlangen mit bis zu 45 Taxen vor den Diskotheken stehen (o) um 5.45 Uhr immer noch Gäste aus dem „M & M.“ kommen, ständig Taxis dort anfahren, halten und wieder abfahren, das Video vom 12.04.2008 in Augenschein zu nehmen (Beweisantrag 1),
ra.de-Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 26. März 2018 - 12 BV 17.1765 u.a.
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 26. März 2018 - 12 BV 17.1765 u.a.
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenBayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 26. März 2018 - 12 BV 17.1765 u.a. zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).
Tenor
I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München
II.
Die Kostenentscheidung bleibt der neuen Entscheidung vorbehalten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
II.
Gründe
- 1
-
Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (1.), der Divergenz (2.) und eines Verfahrensmangels (3.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
- 2
-
1. Die Beschwerde ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
- 3
-
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14). Dem genügt die Beschwerde nicht.
- 4
-
a) Die Beschwerde hält die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig,
-
"ob das Bundesverwaltungsgericht die im Urteil vom 1. Oktober 1986 noch vorgenommene Unterscheidung zwischen qualifiziert beplanten Gebieten und unbeplanten Innenbereichen angesichts der inzwischen veränderten Rechtslage auch heute noch genauso treffen würde (vgl. Urteil v. 01.10.1986 - 8 C 155/81 - juris Rn. 16 a.E. unter Hinweis auf Urteil v. 02.12.1983)" (vgl. Beschwerdebegründung vom 16. Dezember 2014 S. 7).
- 5
-
Mit dieser Frage und ihrem weiteren Vorbringen wird die Beschwerde den Anforderungen an die Darlegung einer Grundsatzrüge nicht gerecht. Damit wird nicht die Auslegung einer konkreten Rechtsnorm des revisiblen Rechts angesprochen, wie dies für die Grundsatzrüge erforderlich ist. Vielmehr ist die Beschwerde darauf gerichtet, in Erfahrung zu bringen, ob das Bundesverwaltungsgericht an der im Urteil vom 1. Oktober 1986 - 8 C 53.85 - (Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 14) vertretenen, von der Beschwerde nicht näher dargelegten Rechtsauffassung festhält. Die höchstrichterliche Rechtsprechung als solche gehört indessen nicht zum revisiblen Recht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 137 Abs. 1 VwGO.
- 6
-
b) Das Vorbringen der Klägerin,
-
"Abgesehen davon begegnet die vom Verwaltungsgerichtshof - unausgesprochen unterstellte - generelle Zulässigkeit nicht akzessorischer Wohnnutzung im faktischen Kerngebiet grundsätzlichen Bedenken. Vielmehr wäre in Anbetracht der konkreten Umgebung (Feiermeile, verdichtete Ansiedlung von Diskos, Kneipen, Amüsierbetrieben) zu prüfen, ob eine Ausnahme (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) hier nicht schon prinzipiell ausscheidet, ohne dass es noch auf eine Einzelfallbeurteilung anhand § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ankommt" (vgl. Beschwerdebegründung vom 16. Dezember 2014 S. 8),
-
genügt ebenfalls schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Denn damit wird keine konkrete Rechtsfrage formuliert.
- 7
-
Der Sache nach rügt die Klägerin in der Art einer Revisionsbegründung die ihrer Ansicht nach fehlerhafte Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs und setzt dieser ihre eigene, zu einem anderen Ergebnis führende Rechtsmeinung entgegen. Eine solche Kritik der vorinstanzlichen Entscheidung kann in der Regel und so auch hier die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht begründen.
- 8
-
2. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
- 9
-
Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht. Die Beschwerdebegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende übergeordnete Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, BVerwG, vgl. Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26, vom 22. Februar 2011 - 2 B 72.10 - juris Rn. 4 und vom 5. Juni 2013 - 5 B 7.13 - juris Rn. 2 m.w.N.). Gemessen daran ist die Beschwerde nicht ausreichend begründet.
- 10
-
a) Dies gilt zunächst, soweit die Beschwerde geltend macht, die angefochtene Entscheidung weiche mit den Ausführungen zum "Postulat nach architektonischer Selbsthilfe (RdNr 31 des Urteils)" sowohl vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Oktober 1986 - 8 C 53.85 - (Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 14) als auch vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. November 2012 - 4 C 8.11 - (BVerwGE 145, 145) ab. Die Ausführungen im angegriffenen Beschluss stünden im Widerspruch zu dem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts, dass das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO nicht dadurch gewahrt werde, dass der Bauherr im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen habe (vgl. Beschwerdebegründung vom 16. Dezember 2014 S. 3 f.). Dies genügt schon deshalb nicht den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz, weil die Beschwerde dieser Rechtsansicht keinen vom Verwaltungsgerichtshof in dem angefochtenen Beschluss aufgestellten, abweichenden abstrakten Rechtssatz gegenüberstellt. Ein solcher Rechtssatz ist insbesondere den weiteren Ausführungen der Beschwerde, "[g]erade das verlangt aber der BayVGH im Rahmen seiner Ausführungen zur Zulässigkeit der Ausnahme nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO vom Eigentümer für den Fall, dass bei der geforderten Beweisaufnahme die Überschreitung der Grenzwerte festgestellt werden sollte" (vgl. Beschwerdebegründung vom 16. Dezember 2014 S. 4), nicht zu entnehmen. Ebenso wenig zeigt die Beschwerde auf, inwiefern der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs auf der behaupteten Abweichung beruht, zumal sie selbst davon ausgeht, dass die Forderung nach architektonischer Selbsthilfe nur für den Fall erhoben wird, dass bei der erst noch vom Verwaltungsgericht durchzuführenden Beweisaufnahme die Überschreitung der Grenzwerte festgestellt werden sollte. Des Weiteren ist dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Oktober 1986 - 8 C 53.85 - (Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 14) der ihm von der Beschwerde zugeschriebene Rechtssatz nicht zu entnehmen. Gleiches gilt für das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. November 2012 - 4 C 8.11 - (BVerwGE 145, 145). Soweit in diesem Urteil ausgeführt wird, "das Oberverwaltungsgericht durfte jedoch das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO nicht deswegen als gewahrt ansehen, weil der Beigeladene im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schallschutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen hat" (BVerwGE 145, 145 Rn. 14), handelt es sich um das Ergebnis der Subsumtion des Sachverhalts unter die nachfolgend formulierten Rechtssätze, das nicht in einen eigenständigen allgemeinen Rechtssatz umgedeutet werden kann.
- 11
-
b) Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang bemängelt, "[d]ie Forderung nach architektonischer Selbsthilfe [...] beinhaltet darüber hinaus einen zusätzlichen Eingriff in die eigentumsrechtliche Position" und "ist in keiner Weise mehr verfassungsrechtlich vertretbar" (vgl. Beschwerdebegründung vom 16. Dezember 2014 S. 4), benennt sie keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von der abgewichen wird.
- 12
-
c) Soweit die Beschwerde eine Abweichung von dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Juni 2012 (NJW-RR 2012, 1207) beanstandet (vgl. Beschwerdebegründung vom 16. Dezember 2014 S. 6), erfüllt dies die Begründungsanforderungen bereits deshalb nicht, weil Entscheidungen jenes Gerichts im Verfahren der verwaltungsgerichtlichen Nichtzulassungsbeschwerde nicht divergenzfähig sind.
- 13
-
3. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
- 14
-
Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Damit sind Verstöße gegen Vorschriften gemeint, die den Verfahrensablauf bzw. den Weg zu dem Urteil bzw. Beschluss und die Art und Weise des Urteils- bzw. Beschlusserlasses regeln, nicht jedoch Vorschriften, die den Urteils- bzw. Beschlussinhalt betreffen und deren Verletzung sich als Mangel der sachlichen Entscheidung darstellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2015 - 5 B 28.14 - juris Rn. 8 m.w.N.). Ein Verfahrensmangel ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. März 2014 - 5 B 48.13 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 62 Rn. 12 m.w.N.). Daran gemessen kommt die Zulassung der Revision nicht in Betracht.
- 15
-
Die Beschwerde sieht einen Verfahrensmangel darin, dass der Verwaltungsgerichtshof unter Verkennung der Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen habe. Denn die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hätten nicht vorgelegen. Das Verwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht verletzt. Es sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht verpflichtet gewesen, zur Klärung der Frage, ob die Wohnnutzung im Einzelfall vor allem unter Lärmgesichtspunkten ausnahmsweise baurechtlich zulässig sei, Beweis zu erheben, und könne hierzu auch in dem angefochtenen Beschluss nicht verpflichtet werden. Die Beklagte hätte entsprechende Ermittlungen durchführen müssen. Sie trage die Beweislast für die Zumutbarkeit der Wohnnutzung unter Lärmgesichtspunkten. Da sie derartige Ermittlungen unterlassen habe, hätte sie unter Aufhebung ihrer Bescheide zur Neubescheidung verpflichtet werden müssen (vgl. Beschwerdebegründung vom 16. Dezember 2014 S. 5 f.). Hiermit zeigt die Beschwerde keinen Verfahrensfehler auf, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht selbstständig tragend auch auf eine entsprechende Anwendung des § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gestützt, weil das Verwaltungsgericht aufgrund der Annahme, im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbs. BauNVO komme es lediglich auf eine typisierende Betrachtung an, die Weichen seiner Entscheidung falsch gestellt und damit im Ergebnis nicht in der Sache selbst entschieden habe (vgl. BA Rn. 25 und 30). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann bei einer solchen Mehrfachbegründung die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2015 - 3 B 6.14 - juris Rn. 6 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Gegen die Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs zur entsprechenden Anwendung des § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, insbesondere zur Notwendigkeit, im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbs. BauNVO eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, hat die Beschwerde keine durchgreifenden Zulassungsgründe erhoben.
- 17
-
5. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.
(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung
- 1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient: - a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs, - b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder - c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
- 2.
städtebaulich vertretbar ist und - 3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
(4) Die Gemeinde kann durch Satzung
- 1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, - 2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, - 3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.
(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
- 1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder - 2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder - 3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.
(1) Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur.
(2) Zulässig sind
- 1.
Geschäfts- , Büro- und Verwaltungsgebäude, - 2.
Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten, - 3.
sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe, - 4.
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke, - 5.
Tankstellen im Zusammenhang mit Parkhäusern und Großgaragen, - 6.
Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, - 7.
sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans.
(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden
- 1.
Tankstellen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 5 fallen, - 2.
Wohnungen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 6 und 7 fallen.
(4) Für Teile eines Kerngebiets kann, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (§ 9 Absatz 3 des Baugesetzbuchs), festgesetzt werden, dass
Dies gilt auch, wenn durch solche Festsetzungen dieser Teil des Kerngebiets nicht vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur dient.(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
Bundesrecht bricht Landesrecht.
(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.
(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung
- 1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient: - a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs, - b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder - c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
- 2.
städtebaulich vertretbar ist und - 3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
(4) Die Gemeinde kann durch Satzung
- 1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, - 2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, - 3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.
(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
- 1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder - 2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder - 3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.
(1) Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur.
(2) Zulässig sind
- 1.
Geschäfts- , Büro- und Verwaltungsgebäude, - 2.
Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten, - 3.
sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe, - 4.
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke, - 5.
Tankstellen im Zusammenhang mit Parkhäusern und Großgaragen, - 6.
Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, - 7.
sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans.
(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden
- 1.
Tankstellen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 5 fallen, - 2.
Wohnungen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 6 und 7 fallen.
(4) Für Teile eines Kerngebiets kann, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (§ 9 Absatz 3 des Baugesetzbuchs), festgesetzt werden, dass
Dies gilt auch, wenn durch solche Festsetzungen dieser Teil des Kerngebiets nicht vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur dient.(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Fabrikhalle in ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten.
- 2
-
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Holzbearbeitungsunternehmen betreibt. Auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück des Beigeladenen steht eine nicht mehr genutzte Fabrikhalle, die mit dem Betriebsgebäude des Klägers baulich verbunden ist. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Beklagten, der ein allgemeines Wohngebiet ausweist und für die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen erweiterten "Bestandsschutz gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO für bestehende Nutzung" festsetzt. Aus einem von der Beklagten im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich, dass die im Betrieb des Klägers vorhandenen Schallquellen an der nächstgelegenen Seite des Gebäudes des Beigeladenen Beurteilungspegel bis 70 dB(A) hervorrufen.
- 3
-
Die Baugenehmigung erteilte die Beklagte "nach Maßgabe der beigefügten geprüften Bauvorlagen". In einer mit einem Grünstempel versehenen schalltechnischen Untersuchung eines Ingenieurbüros heißt es, zur Beurteilung der Geräuschimmissionen des Betriebs des Klägers würden in Abstimmung mit der Beklagten die Beurteilungspegel des im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachtens herangezogen. In Abstimmung mit der Beklagten würden im Hinblick auf die ausschließlich an einer Seite des Gebäudes des Beigeladenen auftretende Überschreitung des Immissionsrichtwerts tags um 10 dB(A) keine aktiven Schallschutzmaßnahmen, sondern passive in Form von Schallschutzfenstern mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) für alle schutzbedürftigen Räume ausgearbeitet. Damit würden die Anhaltswerte für Innenschallpegel eingehalten. In einem ebenfalls grüngestempelten Schreiben des vom Beigeladenen beauftragten Planungsbüros an die Beklagte wird zur Ergänzung der Baubeschreibung ausgeführt, die Schallschutzmaßnahmen der schalltechnischen Untersuchung des Ingenieurbüros würden eingebaut und unterhalten.
- 4
-
Das die Baugenehmigung aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen geändert und die Klage abgewiesen. Weder bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans noch bei unterstellter Unwirksamkeit bestehe ein Aufhebungsanspruch des Klägers. Die genehmigte Wohnnutzung sei jedenfalls zulässig und verstoße nicht zum Nachteil des Klägers gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, das auch im Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans anwendbar sei, weil der Bebauungsplan den konkreten Immissionskonflikt nicht abschließend bewältige. Ob dem betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten seien, sei grundsätzlich anhand der TA Lärm zu bestimmen. Nach ihrer Nr. 6.1 sei am Wohnbauvorhaben des Beigeladenen an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden grundsätzlich der hier allein maßgebliche Tag-Immissionsrichtwert von 55 dB(A) einzuhalten. Dieser Wert sei in Anwendung von Nr. 6.1 c und Nr. 6.7 der TA Lärm auf einen "Mittelwert" von tagsüber 60 dB(A) zu erhöhen, weil sich das Wohnbauvorhaben in einer faktischen Gemengelage befinde. Ein solcher Wert lasse sich zwar nicht vollumfänglich einhalten. Das Rücksichtnahmegebot ermögliche und gebiete aber zusätzliche Differenzierungen mit der Folge, dass die grobmaschigen baugebietsbezogenen Richtwerte je nach Lage des Einzelfalls durch situationsbezogene Zumutbarkeitskriterien zu ergänzen seien. So sei ein Wohnbauvorhaben auf einem durch gewerblichen Lärm erheblich vorbelasteten Grundstück rücksichtslos und daher unzulässig, wenn bei seiner Verwirklichung auf naheliegende, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen verzichtet werde, welche eine erhebliche Lärmbetroffenheit der Wohnnutzung spürbar mindern würden. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO begründe insoweit eine Obliegenheit des Bauherrn zu "architektonischer Selbsthilfe", verlange aber auch vom Betreiber des - bestands-geschützten - emittierenden Gewerbebetriebs, auf die für das Nachbargrundstück festgesetzte (heranrückende) Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen. Welche Maßnahmen dem zur Rücksichtnahme auf seine Nachbarschaft verpflichteten Anlagenbetreiber zumutbar seien, bestimme sich nach den (dynamischen) Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Auch passiver Schallschutz könne ein zu berücksichtigender Baustein der "architektonischen Selbsthilfe" sein. Die im Gutachten des Ingenieurbüros vorgesehenen passiven Schallschutzmaßnahmen, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden seien und ausweislich der Erklärung von Beklagter und Beigeladenem in der mündlichen Verhandlung für alle schutzbedürftigen Räume einschließlich Loggia gälten, sicherten, dass die Anhaltswerte für Innenschallpegel in Wohnräumen von tags 30 bis 35 dB(A) und in Schlafräumen von 25 bis 30 dB(A) (Mittelungspegel) von schutzbedürftigen Räumen nach VDI 2179 eingehalten werden könnten.
- 5
-
Zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Vorinstanz gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass das Vorhaben trotz einer Überschreitung der (Außen-)Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 und Nr. 6.7 der TA Lärm aufgrund der festgesetzten passiven Schallschutzmaßnahmen zulässig sei. Passive Schallschutzmaßnahmen führten nicht zu einer Reduzierung des maßgeblichen Außen-Immissionsrichtwertes und seien nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig. Ohnehin sei das Rücksichtnahmegebot bereits in der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung aufgegangen, weil auch für den Konflikt zwischen den streitbefangenen Grundstücken der für andere Grundstücke festgesetzte Immissionswert von 60 dB(A) gelte. Außerdem verstoße die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht unter Verletzung der Aufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör den unter Beweis gestellten Sachvortrag, dass die Immissionsrichtwerte im Gebäudeinneren gemäß Nr. 6.2 der TA Lärm aufgrund der vorhandenen Gebäudeverbindung nicht eingehalten würden, zu Unrecht unbeachtet gelassen.
- 6
-
Beklagte und Beigeladener verteidigen das angegriffene Urteil.
- 7
-
Nach Ansicht der Beklagten zählen passive Schallschutzmaßnahmen zu den Mitteln der "architektonischen Selbsthilfe". Das ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Je nach den Umständen des Einzelfalls könne es - zumal wenn wie hier Außenwohnbereiche nicht betroffen seien - abwägungsfehlerfrei sein, eine Minderung der Immissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen.
- 8
-
Der Beigeladene hält den Bebauungsplan für unwirksam, weil er keine Konfliktlösung in Bezug auf sein Grundstück biete. Deswegen sei sein Vorhaben an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen. Es halte sich im vorgezeichneten Rahmen und verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Zum einen seien die Lärmgutachten von Betriebszuständen ausgegangen, die nicht dem Stand der Lärmminderungstechnik entsprächen und die, würden sie real ausgeführt, nach § 22 BImSchG untersagt werden könnten. Zum anderen seien die von ihm angebotenen und damit zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordenen Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe prinzipiell geeignet, im Rahmen einer Bewertung anhand des Gebotes der Rücksichtnahme Berücksichtigung zu finden. So würden die unmittelbar dem Grundstück des Klägers zugewandten Aufenthaltsräume während der Betriebszeiten ständig geschlossen gehalten und Fenster mit einem Schalldämmmaß ausgestattet, das die Einhaltung der Nr. 6.2 TA Lärm (Innenraumschutz) sicherstelle. Die Außenwohnbereiche befänden sich im Lärmschatten des Gebäudes.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht.
- 10
-
1. Die Verfahrensrügen des Klägers greifen allerdings nicht durch. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.
- 11
-
a) Mit seiner Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) macht der Kläger geltend, das Gericht hätte die Beschaffenheit des Verbindungstunnels zwischen den Gebäuden des Klägers und des Beigeladenen weiter aufklären müssen. Da er hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat, hätte er mit der Revision darlegen müssen, aus welchen Gründen sich der Vorinstanz die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu etwa Urteil vom 11. Juli 2002 - BVerwG 4 C 9.00 - Buchholz 451.17 § 12 EnergG Nr. 1 S. 12 f.). Das ist nicht geschehen. Aufgrund des - auch auf Nachfrage der Vorinstanz - lediglich allgemein gehaltenen und nicht gebäudebezogenen privatgutachterlichen Vorbringens des Klägers und der Feststellungen des Berichterstatters im Rahmen der Ortsbesichtigung ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass sich solche Aufklärungsmaßnahmen aufgedrängt hätten.
- 12
-
b) Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht erheben, wer sich rechtliches Gehör durch entsprechende Beweis- oder Vertagungsanträge in der mündlichen Verhandlung hätte verschaffen können (Beschluss vom 4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9 m.w.N.). Es ist weder dargelegt noch erkennbar, warum der Kläger dies im Hinblick auf die nach seiner Ansicht zeitlich und inhaltlich unzumutbare Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts zur Substantiierung seines Vorbringens zum Verbindungstunnel nicht getan hat.
- 13
-
2. Dass das Oberverwaltungsgericht die Bestimmtheit der angegriffenen Baugenehmigung auf der Grundlage seiner Auslegung dieses Verwaltungsakts bejaht hat, lässt ebenfalls keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen. Mit seiner Rüge eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz setzt der Kläger dieser Auslegung lediglich eine eigene Auslegung der Baugenehmigung gegenüber, aus der er ihre unzureichende Bestimmtheit ableitet. Die Auslegung eines Verwaltungsakts ist jedoch Sache des Tatsachengerichts und jedenfalls dann, wenn dieses sich - wie hier - dazu verhalten hat (Beschluss vom 6. April 2004 - BVerwG 4 B 2.04 - juris Rn. 8) und die Auslegung keinen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt (Urteil vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 6 C 36.11 - juris Rn. 26), der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen. Die Anforderungen des - revisiblen - Bestimmtheitsgebots (dazu etwa Urteil vom 2. Juli 2008 - BVerwG 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259 Rn. 11) hat das Oberverwaltungsgericht nicht verkannt. Soweit es dabei die Einbeziehung von grüngestempelten und damit eindeutig von der Behörde gekennzeichneten Antragsunterlagen des Beigeladenen sowie in der mündlichen Verhandlung abgegebenen und somit dem Kläger bekannten Erklärungen der Beklagten und des Beigeladenen als zulässig angesehen hat, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
- 14
-
3. Das Oberverwaltungsgericht durfte jedoch das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO nicht deswegen als gewahrt ansehen, weil der Beigeladene im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schallschutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen hat.
- 15
-
a) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Rücksichtnahmegebot im vorliegenden Fall unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans Anwendung findet. Der Einwand des Klägers, das Rücksichtnahmegebot sei im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans bereits aufgrund der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung des Ortsgesetzgebers "aufgezehrt" (vgl. hierzu Beschluss vom 11. Juli 1983 - BVerwG 4 B 123.81 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 54), greift nicht durch. Auch insoweit stellt der Kläger der bindenden und irrevisiblen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) lediglich seine eigene Auslegung gegenüber.
- 16
-
b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <318 f.> und vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <243>) stellt sich § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und als eine zulässige Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dar. Diese Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausgegangen.
- 17
-
c) Ebenfalls zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung die TA Lärm herangezogen. Obwohl aber nach seinen bindenden Feststellungen das genehmigte Wohnbauvorhaben gemessen an den Immissionsrichtwerten der Nr. 6.1 einschließlich Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 der TA Lärm an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden unzumutbaren Geräuschimmissionen ausgesetzt ist, hat das Oberverwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verneint, weil es angesichts der Vorbelastung des Vorhabengrundstücks durch gewerblichen Lärm noch Raum lasse, den gebotenen Interessenausgleich im Wege der architektonischen Selbsthilfe durch passive Schallschutzmaßnahmen zu bewirken. Diese Annahme verstößt gegen Bundesrecht.
- 18
-
aa) Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z.B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2) und Bewertungsspannen (z.B. A.2.5.3) Spielräume eröffnet (Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 m.w.N.).
- 19
-
Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundesimmissionsschutzrecht und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319 f.). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die TA Lärm enthalte lediglich Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von emittierenden Anlagen, regele aber nicht den Konflikt mit einer an eine latent störende gewerbliche Nutzung heranrückenden Wohnbebauung und sei deswegen für deren bauaufsichtliche Genehmigung nicht maßgeblich (so aber VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 5 S 1904/06 - NVwZ-RR 2007, 168 <169 f.>). Aus der Spiegelbildlichkeit der dargelegten gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Rücksichtnahmegebot für die konfligierenden Nutzungen ergibt sich vielmehr, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die - gemeinsame - Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststeht. Dass etwaige Lärmminderungspflichten, die sich aus der Anwendung der TA Lärm für den emittierenden Gewerbebetrieb ergeben können, nicht - etwa in Form einer Auflage - zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht werden können, steht nicht entgegen. Denn als Teil der vom Rücksichtnahmegebot geforderten Zuordnung der Nutzungen gehören die gebotenen Lärmminderungsmaßnahmen zur Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung und sind gegebenenfalls im Wege der §§ 24 und 22 BImSchG gegen den Gewerbebetrieb durchzusetzen. Auch aus der in der früheren Rechtsprechung des Senats verwendeten Formulierung, die TA Lärm gelte in diesen Fällen "nicht unmittelbar" (Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319), folgt nichts anderes. Der Senat hat hiermit keine Abstriche am Umfang ihrer Anwendbarkeit und Bindungswirkung verbunden.
- 20
-
bb) Passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung zwischen Gewerbe und Wohnen sieht die TA Lärm nicht vor. Nach ihrer Nr. 6.1 sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung außerhalb der betroffenen Gebäude gelegene Immissionsorte maßgeblich. Sie können durch passive Schallschutzmaßnahmen, wie sie die angefochtene Baugenehmigung vorschreibt, nicht beeinflusst werden. Aus Nr. 6.2 der TA Lärm folgt nichts anderes. Die Vorschrift regelt den Sonderfall der Körperschallübertragung und kann deswegen nicht als "Auffangregelung" verstanden werden, aus der abzuleiten wäre, dass letztlich maßgeblich auf - durch passive Schallschutzmaßnahmen beeinflussbare - Innen-Immissionswerte abzustellen ist. Soweit es - wie hier - um die Beurteilung von Luftschall geht, der über die Außenfassade einwirkt, sind die Außen-Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 anzuwenden (vgl. auch Feldhaus, Bundesimmissionsrecht, Bd. 4, Stand August 2012, Rn. 29 zu Nr. 6 TA Lärm).
- 21
-
cc) Auch die von der TA Lärm belassenen Spielräume bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze eröffnen nicht die Möglichkeit, der Überschreitung der Außen-Immissionsrichtwerte durch Anordnung von passivem Lärmschutz zu begegnen.
- 22
-
Entgegen der Ansicht des Beigeladenen kann insoweit nicht Nr. 3.2.2 der TA Lärm herangezogen werden, die eine ergänzende Prüfung im Sonderfall ermöglicht. Die Voraussetzungen der in Buchstaben a bis d genannten Umstände, bei deren Vorliegen eine solche Sonderfallprüfung "insbesondere" in Betracht kommt, sind nicht gegeben. Namentlich sind besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmission (Buchst. d) nicht schon dann zu bejahen, wenn sie von einer bestandskräftigen Genehmigung des emittierenden Gewerbebetriebs gedeckt ist. Auch begründet wegen des anzulegenden strengen Maßstabs für eine Sonderfallprüfung (Feldhaus a.a.O. Rn. 63 zu Nr. 3 TA Lärm) allein der Umstand, dass der Konflikt durch eine Gemengelage bedingt ist, noch keine besondere Standortbindung (Buchst. b).
- 23
-
Ein unbenannter Anwendungsfall der Regelung ist auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auszuschließen. Das folgt schon daraus, dass die insoweit allein in Betracht kommenden Umstände (Gemengelage, Vorbelastung, Prioritätsprinzip, konkrete Schutzwürdigkeit und Gebietsprägung) bereits Gegenstand der Regelung in Nr. 6.7 sind, die mit der Zwischenwertbildung eine auf die Gemengelagesituation und die genannten Umstände zugeschnittene Lösung enthält (vgl. auch Feldhaus a.a.O. m.w.N.). Es liegt fern, dass die TA Lärm für den Fall, dass - wie hier - trotz Zwischenwertbildung die Zumutbarkeit des Vorhabens nicht gewährleistet werden kann, aus denselben Gesichtspunkten einen zusätzlichen Spielraum für eine Lösung eröffnet, die, wie das Oberverwaltungsgericht nicht verkennt, die Rechtsordnung nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen unter strengen Voraussetzungen vorsieht.
- 24
-
Die Möglichkeit, einer Überschreitung der nach Nr. 6.1 und Nr. 6.7 maßgeblichen Immissionsrichtwerte mit passivem Lärmschutz zu begegnen, müsste auch das Schutzziel der TA Lärm verfehlen. Aus der Maßgeblichkeit der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3 des Anhangs der TA Lärm - bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes - ergibt sich, dass dieses Regelungswerk - anders als etwa für Verkehrsanlagen die 16. und 24. BImSchV - den Lärmkonflikt zwischen Gewerbe und schutzwürdiger (insbesondere Wohn-) Nutzung bereits an deren Außenwand und damit unabhängig von der Möglichkeit und Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen gelöst wissen will. Damit sichert die TA Lärm von vornherein für Wohnnutzungen einen Mindestwohnkomfort, der darin besteht, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen erweiterten Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommunikationssituation im Innern oder das Ruhebedürfnis und der Schlaf nachhaltig gestört werden können. Soweit andere Regelwerke wie die schon genannte 16. und 24. BImSchV passiven Lärmschutz zur Lösung des Nutzungskonflikts zulassen und damit einen geringeren Mindestwohnkomfort als Schutzziel zugrundelegen, beruht dies auf dem öffentlichen Interesse, das an den von diesen Regelungen erfassten (Verkehrs-)Anlagen besteht und weiterreichende Beschränkungen des Eigentumsinhalts zulasten der von Immissionen betroffenen Anliegern rechtfertigt.
- 25
-
Der von der TA Lärm gewährte Schutzstandard steht auch nicht zur Disposition des Lärmbetroffenen und kann nicht durch dessen Einverständnis mit passiven Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. Denn das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Das schließt es aus, das bei objektiver Betrachtung maßgebliche Schutzniveau auf das Maß zu senken, das der lärmbetroffene Bauwillige nach seiner persönlichen Einstellung bereit ist hinzunehmen (Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <324>).
- 26
-
dd) Schließlich bietet auch der Gesichtspunkt der architektonischen Selbsthilfe keine Rechtfertigung für die vom Oberverwaltungsgericht für zulässig angesehene Konfliktlösung mit Mitteln des passiven Lärmschutzes. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass sich aus dem Rücksichtnahmegebot die Obliegenheit des Bauherrn ergeben kann, durch Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe den Lärmkonflikt mit einem benachbarten Gewerbebetrieb in einer Weise zu lösen, die die Zumutbarkeit der ihn treffenden Immissionen gewährleistet und somit die Erteilung der Baugenehmigung für sein Vorhaben ermöglicht. Auf dieser Grundlage können dem Bauherrn im Anwendungsbereich der TA Lärm aber nur mit diesem Regelwerk vereinbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen abverlangt werden. Das schließt immissionsreduzierende Maßnahmen wie Veränderungen der Stellung des Gebäudes, des äußeren Zuschnitts des Hauses oder der Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, ohne Weiteres mit ein (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 323). Dasselbe gilt, soweit dies bauordnungsrechtlich zulässig ist, für den Einbau nicht zu öffnender Fenster (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2012 - BVerwG 4 BN 6.12 - juris), die keine relevanten Messpunkte im Sinne von Nr. 2.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A.1.3 ihres Anhangs darstellen. Passiver Lärmschutz als Mittel der architektonischen Selbsthilfe kann daher nur außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm und bei - hier nicht einschlägiger - Anwendung solcher Regelwerke in Betracht kommen, die diese Möglichkeit zulassen (vgl. Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - BVerwGE 128, 238 Rn. 16 f.).
- 27
-
4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze mit Blick auf die Bereitschaft des Beigeladenen, passiven Lärmschutz vorzusehen, unter Zugrundelegung derjenigen Lärmimmissionen ermittelt, die für das Grundstück des Beigeladenen im ungünstigsten Fall zu erwarten sind. Der Frage, welche Lärmminderungsmaßnahmen dem Kläger nach den (unter 3. b) dargelegten Vorgaben des Rücksichtnahmegebots obliegen, ist das Oberverwaltungsgericht nicht nachgegangen. Das wird es nachzuholen haben. Die dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Kläger insoweit zumutbaren Maßnahmen bestimmen sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG (Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <246 f.> m.w.N). Dass Möglichkeiten der Lärmminderung beim Gewerbebetrieb des Klägers, mit denen der nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Außen-Immissionswert von 60 dB(A) eingehalten werden könnte, schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen wären, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Auf die bestandskräftige Genehmigung seines Betriebs kann sich der Kläger gegenüber seinen dynamisch angelegten Grundpflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht berufen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O). Anders als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 21 f.) offenbar annimmt, sind diese Pflichten gegenüber - wie hier - heranrückender Wohnbebauung nicht von vornherein auf solche Lärmminderungsmaßnahmen beschränkt, zu denen der Gewerbebetrieb bereits gegenüber der vorhandenen Wohnbebauung verpflichtet gewesen wäre.
(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
- 1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder - 2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder - 3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.
(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
- 1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder - 2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder - 3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Fabrikhalle in ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten.
- 2
-
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Holzbearbeitungsunternehmen betreibt. Auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück des Beigeladenen steht eine nicht mehr genutzte Fabrikhalle, die mit dem Betriebsgebäude des Klägers baulich verbunden ist. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Beklagten, der ein allgemeines Wohngebiet ausweist und für die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen erweiterten "Bestandsschutz gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO für bestehende Nutzung" festsetzt. Aus einem von der Beklagten im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich, dass die im Betrieb des Klägers vorhandenen Schallquellen an der nächstgelegenen Seite des Gebäudes des Beigeladenen Beurteilungspegel bis 70 dB(A) hervorrufen.
- 3
-
Die Baugenehmigung erteilte die Beklagte "nach Maßgabe der beigefügten geprüften Bauvorlagen". In einer mit einem Grünstempel versehenen schalltechnischen Untersuchung eines Ingenieurbüros heißt es, zur Beurteilung der Geräuschimmissionen des Betriebs des Klägers würden in Abstimmung mit der Beklagten die Beurteilungspegel des im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachtens herangezogen. In Abstimmung mit der Beklagten würden im Hinblick auf die ausschließlich an einer Seite des Gebäudes des Beigeladenen auftretende Überschreitung des Immissionsrichtwerts tags um 10 dB(A) keine aktiven Schallschutzmaßnahmen, sondern passive in Form von Schallschutzfenstern mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) für alle schutzbedürftigen Räume ausgearbeitet. Damit würden die Anhaltswerte für Innenschallpegel eingehalten. In einem ebenfalls grüngestempelten Schreiben des vom Beigeladenen beauftragten Planungsbüros an die Beklagte wird zur Ergänzung der Baubeschreibung ausgeführt, die Schallschutzmaßnahmen der schalltechnischen Untersuchung des Ingenieurbüros würden eingebaut und unterhalten.
- 4
-
Das die Baugenehmigung aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen geändert und die Klage abgewiesen. Weder bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans noch bei unterstellter Unwirksamkeit bestehe ein Aufhebungsanspruch des Klägers. Die genehmigte Wohnnutzung sei jedenfalls zulässig und verstoße nicht zum Nachteil des Klägers gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, das auch im Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans anwendbar sei, weil der Bebauungsplan den konkreten Immissionskonflikt nicht abschließend bewältige. Ob dem betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten seien, sei grundsätzlich anhand der TA Lärm zu bestimmen. Nach ihrer Nr. 6.1 sei am Wohnbauvorhaben des Beigeladenen an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden grundsätzlich der hier allein maßgebliche Tag-Immissionsrichtwert von 55 dB(A) einzuhalten. Dieser Wert sei in Anwendung von Nr. 6.1 c und Nr. 6.7 der TA Lärm auf einen "Mittelwert" von tagsüber 60 dB(A) zu erhöhen, weil sich das Wohnbauvorhaben in einer faktischen Gemengelage befinde. Ein solcher Wert lasse sich zwar nicht vollumfänglich einhalten. Das Rücksichtnahmegebot ermögliche und gebiete aber zusätzliche Differenzierungen mit der Folge, dass die grobmaschigen baugebietsbezogenen Richtwerte je nach Lage des Einzelfalls durch situationsbezogene Zumutbarkeitskriterien zu ergänzen seien. So sei ein Wohnbauvorhaben auf einem durch gewerblichen Lärm erheblich vorbelasteten Grundstück rücksichtslos und daher unzulässig, wenn bei seiner Verwirklichung auf naheliegende, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen verzichtet werde, welche eine erhebliche Lärmbetroffenheit der Wohnnutzung spürbar mindern würden. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO begründe insoweit eine Obliegenheit des Bauherrn zu "architektonischer Selbsthilfe", verlange aber auch vom Betreiber des - bestands-geschützten - emittierenden Gewerbebetriebs, auf die für das Nachbargrundstück festgesetzte (heranrückende) Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen. Welche Maßnahmen dem zur Rücksichtnahme auf seine Nachbarschaft verpflichteten Anlagenbetreiber zumutbar seien, bestimme sich nach den (dynamischen) Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Auch passiver Schallschutz könne ein zu berücksichtigender Baustein der "architektonischen Selbsthilfe" sein. Die im Gutachten des Ingenieurbüros vorgesehenen passiven Schallschutzmaßnahmen, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden seien und ausweislich der Erklärung von Beklagter und Beigeladenem in der mündlichen Verhandlung für alle schutzbedürftigen Räume einschließlich Loggia gälten, sicherten, dass die Anhaltswerte für Innenschallpegel in Wohnräumen von tags 30 bis 35 dB(A) und in Schlafräumen von 25 bis 30 dB(A) (Mittelungspegel) von schutzbedürftigen Räumen nach VDI 2179 eingehalten werden könnten.
- 5
-
Zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Vorinstanz gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass das Vorhaben trotz einer Überschreitung der (Außen-)Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 und Nr. 6.7 der TA Lärm aufgrund der festgesetzten passiven Schallschutzmaßnahmen zulässig sei. Passive Schallschutzmaßnahmen führten nicht zu einer Reduzierung des maßgeblichen Außen-Immissionsrichtwertes und seien nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig. Ohnehin sei das Rücksichtnahmegebot bereits in der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung aufgegangen, weil auch für den Konflikt zwischen den streitbefangenen Grundstücken der für andere Grundstücke festgesetzte Immissionswert von 60 dB(A) gelte. Außerdem verstoße die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht unter Verletzung der Aufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör den unter Beweis gestellten Sachvortrag, dass die Immissionsrichtwerte im Gebäudeinneren gemäß Nr. 6.2 der TA Lärm aufgrund der vorhandenen Gebäudeverbindung nicht eingehalten würden, zu Unrecht unbeachtet gelassen.
- 6
-
Beklagte und Beigeladener verteidigen das angegriffene Urteil.
- 7
-
Nach Ansicht der Beklagten zählen passive Schallschutzmaßnahmen zu den Mitteln der "architektonischen Selbsthilfe". Das ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Je nach den Umständen des Einzelfalls könne es - zumal wenn wie hier Außenwohnbereiche nicht betroffen seien - abwägungsfehlerfrei sein, eine Minderung der Immissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen.
- 8
-
Der Beigeladene hält den Bebauungsplan für unwirksam, weil er keine Konfliktlösung in Bezug auf sein Grundstück biete. Deswegen sei sein Vorhaben an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen. Es halte sich im vorgezeichneten Rahmen und verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Zum einen seien die Lärmgutachten von Betriebszuständen ausgegangen, die nicht dem Stand der Lärmminderungstechnik entsprächen und die, würden sie real ausgeführt, nach § 22 BImSchG untersagt werden könnten. Zum anderen seien die von ihm angebotenen und damit zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordenen Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe prinzipiell geeignet, im Rahmen einer Bewertung anhand des Gebotes der Rücksichtnahme Berücksichtigung zu finden. So würden die unmittelbar dem Grundstück des Klägers zugewandten Aufenthaltsräume während der Betriebszeiten ständig geschlossen gehalten und Fenster mit einem Schalldämmmaß ausgestattet, das die Einhaltung der Nr. 6.2 TA Lärm (Innenraumschutz) sicherstelle. Die Außenwohnbereiche befänden sich im Lärmschatten des Gebäudes.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht.
- 10
-
1. Die Verfahrensrügen des Klägers greifen allerdings nicht durch. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.
- 11
-
a) Mit seiner Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) macht der Kläger geltend, das Gericht hätte die Beschaffenheit des Verbindungstunnels zwischen den Gebäuden des Klägers und des Beigeladenen weiter aufklären müssen. Da er hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat, hätte er mit der Revision darlegen müssen, aus welchen Gründen sich der Vorinstanz die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu etwa Urteil vom 11. Juli 2002 - BVerwG 4 C 9.00 - Buchholz 451.17 § 12 EnergG Nr. 1 S. 12 f.). Das ist nicht geschehen. Aufgrund des - auch auf Nachfrage der Vorinstanz - lediglich allgemein gehaltenen und nicht gebäudebezogenen privatgutachterlichen Vorbringens des Klägers und der Feststellungen des Berichterstatters im Rahmen der Ortsbesichtigung ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass sich solche Aufklärungsmaßnahmen aufgedrängt hätten.
- 12
-
b) Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht erheben, wer sich rechtliches Gehör durch entsprechende Beweis- oder Vertagungsanträge in der mündlichen Verhandlung hätte verschaffen können (Beschluss vom 4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9 m.w.N.). Es ist weder dargelegt noch erkennbar, warum der Kläger dies im Hinblick auf die nach seiner Ansicht zeitlich und inhaltlich unzumutbare Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts zur Substantiierung seines Vorbringens zum Verbindungstunnel nicht getan hat.
- 13
-
2. Dass das Oberverwaltungsgericht die Bestimmtheit der angegriffenen Baugenehmigung auf der Grundlage seiner Auslegung dieses Verwaltungsakts bejaht hat, lässt ebenfalls keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen. Mit seiner Rüge eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz setzt der Kläger dieser Auslegung lediglich eine eigene Auslegung der Baugenehmigung gegenüber, aus der er ihre unzureichende Bestimmtheit ableitet. Die Auslegung eines Verwaltungsakts ist jedoch Sache des Tatsachengerichts und jedenfalls dann, wenn dieses sich - wie hier - dazu verhalten hat (Beschluss vom 6. April 2004 - BVerwG 4 B 2.04 - juris Rn. 8) und die Auslegung keinen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt (Urteil vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 6 C 36.11 - juris Rn. 26), der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen. Die Anforderungen des - revisiblen - Bestimmtheitsgebots (dazu etwa Urteil vom 2. Juli 2008 - BVerwG 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259 Rn. 11) hat das Oberverwaltungsgericht nicht verkannt. Soweit es dabei die Einbeziehung von grüngestempelten und damit eindeutig von der Behörde gekennzeichneten Antragsunterlagen des Beigeladenen sowie in der mündlichen Verhandlung abgegebenen und somit dem Kläger bekannten Erklärungen der Beklagten und des Beigeladenen als zulässig angesehen hat, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
- 14
-
3. Das Oberverwaltungsgericht durfte jedoch das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO nicht deswegen als gewahrt ansehen, weil der Beigeladene im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schallschutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen hat.
- 15
-
a) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Rücksichtnahmegebot im vorliegenden Fall unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans Anwendung findet. Der Einwand des Klägers, das Rücksichtnahmegebot sei im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans bereits aufgrund der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung des Ortsgesetzgebers "aufgezehrt" (vgl. hierzu Beschluss vom 11. Juli 1983 - BVerwG 4 B 123.81 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 54), greift nicht durch. Auch insoweit stellt der Kläger der bindenden und irrevisiblen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) lediglich seine eigene Auslegung gegenüber.
- 16
-
b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <318 f.> und vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <243>) stellt sich § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und als eine zulässige Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dar. Diese Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausgegangen.
- 17
-
c) Ebenfalls zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung die TA Lärm herangezogen. Obwohl aber nach seinen bindenden Feststellungen das genehmigte Wohnbauvorhaben gemessen an den Immissionsrichtwerten der Nr. 6.1 einschließlich Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 der TA Lärm an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden unzumutbaren Geräuschimmissionen ausgesetzt ist, hat das Oberverwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verneint, weil es angesichts der Vorbelastung des Vorhabengrundstücks durch gewerblichen Lärm noch Raum lasse, den gebotenen Interessenausgleich im Wege der architektonischen Selbsthilfe durch passive Schallschutzmaßnahmen zu bewirken. Diese Annahme verstößt gegen Bundesrecht.
- 18
-
aa) Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z.B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2) und Bewertungsspannen (z.B. A.2.5.3) Spielräume eröffnet (Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 m.w.N.).
- 19
-
Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundesimmissionsschutzrecht und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319 f.). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die TA Lärm enthalte lediglich Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von emittierenden Anlagen, regele aber nicht den Konflikt mit einer an eine latent störende gewerbliche Nutzung heranrückenden Wohnbebauung und sei deswegen für deren bauaufsichtliche Genehmigung nicht maßgeblich (so aber VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 5 S 1904/06 - NVwZ-RR 2007, 168 <169 f.>). Aus der Spiegelbildlichkeit der dargelegten gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Rücksichtnahmegebot für die konfligierenden Nutzungen ergibt sich vielmehr, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die - gemeinsame - Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststeht. Dass etwaige Lärmminderungspflichten, die sich aus der Anwendung der TA Lärm für den emittierenden Gewerbebetrieb ergeben können, nicht - etwa in Form einer Auflage - zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht werden können, steht nicht entgegen. Denn als Teil der vom Rücksichtnahmegebot geforderten Zuordnung der Nutzungen gehören die gebotenen Lärmminderungsmaßnahmen zur Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung und sind gegebenenfalls im Wege der §§ 24 und 22 BImSchG gegen den Gewerbebetrieb durchzusetzen. Auch aus der in der früheren Rechtsprechung des Senats verwendeten Formulierung, die TA Lärm gelte in diesen Fällen "nicht unmittelbar" (Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319), folgt nichts anderes. Der Senat hat hiermit keine Abstriche am Umfang ihrer Anwendbarkeit und Bindungswirkung verbunden.
- 20
-
bb) Passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung zwischen Gewerbe und Wohnen sieht die TA Lärm nicht vor. Nach ihrer Nr. 6.1 sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung außerhalb der betroffenen Gebäude gelegene Immissionsorte maßgeblich. Sie können durch passive Schallschutzmaßnahmen, wie sie die angefochtene Baugenehmigung vorschreibt, nicht beeinflusst werden. Aus Nr. 6.2 der TA Lärm folgt nichts anderes. Die Vorschrift regelt den Sonderfall der Körperschallübertragung und kann deswegen nicht als "Auffangregelung" verstanden werden, aus der abzuleiten wäre, dass letztlich maßgeblich auf - durch passive Schallschutzmaßnahmen beeinflussbare - Innen-Immissionswerte abzustellen ist. Soweit es - wie hier - um die Beurteilung von Luftschall geht, der über die Außenfassade einwirkt, sind die Außen-Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 anzuwenden (vgl. auch Feldhaus, Bundesimmissionsrecht, Bd. 4, Stand August 2012, Rn. 29 zu Nr. 6 TA Lärm).
- 21
-
cc) Auch die von der TA Lärm belassenen Spielräume bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze eröffnen nicht die Möglichkeit, der Überschreitung der Außen-Immissionsrichtwerte durch Anordnung von passivem Lärmschutz zu begegnen.
- 22
-
Entgegen der Ansicht des Beigeladenen kann insoweit nicht Nr. 3.2.2 der TA Lärm herangezogen werden, die eine ergänzende Prüfung im Sonderfall ermöglicht. Die Voraussetzungen der in Buchstaben a bis d genannten Umstände, bei deren Vorliegen eine solche Sonderfallprüfung "insbesondere" in Betracht kommt, sind nicht gegeben. Namentlich sind besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmission (Buchst. d) nicht schon dann zu bejahen, wenn sie von einer bestandskräftigen Genehmigung des emittierenden Gewerbebetriebs gedeckt ist. Auch begründet wegen des anzulegenden strengen Maßstabs für eine Sonderfallprüfung (Feldhaus a.a.O. Rn. 63 zu Nr. 3 TA Lärm) allein der Umstand, dass der Konflikt durch eine Gemengelage bedingt ist, noch keine besondere Standortbindung (Buchst. b).
- 23
-
Ein unbenannter Anwendungsfall der Regelung ist auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auszuschließen. Das folgt schon daraus, dass die insoweit allein in Betracht kommenden Umstände (Gemengelage, Vorbelastung, Prioritätsprinzip, konkrete Schutzwürdigkeit und Gebietsprägung) bereits Gegenstand der Regelung in Nr. 6.7 sind, die mit der Zwischenwertbildung eine auf die Gemengelagesituation und die genannten Umstände zugeschnittene Lösung enthält (vgl. auch Feldhaus a.a.O. m.w.N.). Es liegt fern, dass die TA Lärm für den Fall, dass - wie hier - trotz Zwischenwertbildung die Zumutbarkeit des Vorhabens nicht gewährleistet werden kann, aus denselben Gesichtspunkten einen zusätzlichen Spielraum für eine Lösung eröffnet, die, wie das Oberverwaltungsgericht nicht verkennt, die Rechtsordnung nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen unter strengen Voraussetzungen vorsieht.
- 24
-
Die Möglichkeit, einer Überschreitung der nach Nr. 6.1 und Nr. 6.7 maßgeblichen Immissionsrichtwerte mit passivem Lärmschutz zu begegnen, müsste auch das Schutzziel der TA Lärm verfehlen. Aus der Maßgeblichkeit der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3 des Anhangs der TA Lärm - bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes - ergibt sich, dass dieses Regelungswerk - anders als etwa für Verkehrsanlagen die 16. und 24. BImSchV - den Lärmkonflikt zwischen Gewerbe und schutzwürdiger (insbesondere Wohn-) Nutzung bereits an deren Außenwand und damit unabhängig von der Möglichkeit und Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen gelöst wissen will. Damit sichert die TA Lärm von vornherein für Wohnnutzungen einen Mindestwohnkomfort, der darin besteht, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen erweiterten Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommunikationssituation im Innern oder das Ruhebedürfnis und der Schlaf nachhaltig gestört werden können. Soweit andere Regelwerke wie die schon genannte 16. und 24. BImSchV passiven Lärmschutz zur Lösung des Nutzungskonflikts zulassen und damit einen geringeren Mindestwohnkomfort als Schutzziel zugrundelegen, beruht dies auf dem öffentlichen Interesse, das an den von diesen Regelungen erfassten (Verkehrs-)Anlagen besteht und weiterreichende Beschränkungen des Eigentumsinhalts zulasten der von Immissionen betroffenen Anliegern rechtfertigt.
- 25
-
Der von der TA Lärm gewährte Schutzstandard steht auch nicht zur Disposition des Lärmbetroffenen und kann nicht durch dessen Einverständnis mit passiven Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. Denn das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Das schließt es aus, das bei objektiver Betrachtung maßgebliche Schutzniveau auf das Maß zu senken, das der lärmbetroffene Bauwillige nach seiner persönlichen Einstellung bereit ist hinzunehmen (Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <324>).
- 26
-
dd) Schließlich bietet auch der Gesichtspunkt der architektonischen Selbsthilfe keine Rechtfertigung für die vom Oberverwaltungsgericht für zulässig angesehene Konfliktlösung mit Mitteln des passiven Lärmschutzes. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass sich aus dem Rücksichtnahmegebot die Obliegenheit des Bauherrn ergeben kann, durch Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe den Lärmkonflikt mit einem benachbarten Gewerbebetrieb in einer Weise zu lösen, die die Zumutbarkeit der ihn treffenden Immissionen gewährleistet und somit die Erteilung der Baugenehmigung für sein Vorhaben ermöglicht. Auf dieser Grundlage können dem Bauherrn im Anwendungsbereich der TA Lärm aber nur mit diesem Regelwerk vereinbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen abverlangt werden. Das schließt immissionsreduzierende Maßnahmen wie Veränderungen der Stellung des Gebäudes, des äußeren Zuschnitts des Hauses oder der Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, ohne Weiteres mit ein (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 323). Dasselbe gilt, soweit dies bauordnungsrechtlich zulässig ist, für den Einbau nicht zu öffnender Fenster (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2012 - BVerwG 4 BN 6.12 - juris), die keine relevanten Messpunkte im Sinne von Nr. 2.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A.1.3 ihres Anhangs darstellen. Passiver Lärmschutz als Mittel der architektonischen Selbsthilfe kann daher nur außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm und bei - hier nicht einschlägiger - Anwendung solcher Regelwerke in Betracht kommen, die diese Möglichkeit zulassen (vgl. Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - BVerwGE 128, 238 Rn. 16 f.).
- 27
-
4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze mit Blick auf die Bereitschaft des Beigeladenen, passiven Lärmschutz vorzusehen, unter Zugrundelegung derjenigen Lärmimmissionen ermittelt, die für das Grundstück des Beigeladenen im ungünstigsten Fall zu erwarten sind. Der Frage, welche Lärmminderungsmaßnahmen dem Kläger nach den (unter 3. b) dargelegten Vorgaben des Rücksichtnahmegebots obliegen, ist das Oberverwaltungsgericht nicht nachgegangen. Das wird es nachzuholen haben. Die dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Kläger insoweit zumutbaren Maßnahmen bestimmen sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG (Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <246 f.> m.w.N). Dass Möglichkeiten der Lärmminderung beim Gewerbebetrieb des Klägers, mit denen der nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Außen-Immissionswert von 60 dB(A) eingehalten werden könnte, schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen wären, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Auf die bestandskräftige Genehmigung seines Betriebs kann sich der Kläger gegenüber seinen dynamisch angelegten Grundpflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht berufen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O). Anders als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 21 f.) offenbar annimmt, sind diese Pflichten gegenüber - wie hier - heranrückender Wohnbebauung nicht von vornherein auf solche Lärmminderungsmaßnahmen beschränkt, zu denen der Gewerbebetrieb bereits gegenüber der vorhandenen Wohnbebauung verpflichtet gewesen wäre.
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.
Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.
Tenor
I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München
II.
Die Kostenentscheidung bleibt der neuen Entscheidung vorbehalten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
II.
Tatbestand
- 1
-
Die Klägerin, eine iranische Staatsangehörige, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
- 2
-
Die 1985 in Teheran geborene Klägerin reiste im Juli 2001 zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16. August 2001 ab. Die Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 24. Juni 2003 rechtskräftig ab.
- 3
-
Im Dezember 2004 stellte die Klägerin einen Asylfolgeantrag. Zur Begründung berief sie sich auf Nachfluchtaktivitäten für die Arbeiterkommunistische Partei Irans. Mit Bescheid vom 11. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab.
- 4
-
Während des Klageverfahrens teilten ihre neuen Verfahrensbevollmächtigten am 30. März 2007 mit, dass die Klägerin bereits am 23. März 2003 zum christlichen Glauben konvertiert sei. Sie habe sich zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in einer evangelisch-freikirchlichen Gemeinde taufen lassen, besuche Gottesdienste und nehme wöchentlich an einem Bibelkreis teil. Da sie in Abkehr vom Islam ihren christlichen Glauben öffentlich praktiziere, müsse sie bei einer Rückkehr in den Iran mit einer Verfolgung aus religiösen Gründen rechnen. Von der Änderung der Rechtslage durch die Richtlinie 2004/83/EG - sog. Qualifikationsrichtlinie - habe sie erst jetzt erfahren.
- 5
-
Das Verwaltungsgericht hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu ihrem Glaubensübertritt näher befragt und die Klage sodann abgewiesen. Es hat in seinem Urteil vom 14. Mai 2007 letztlich offengelassen, ob der Glaubensübertritt der Klägerin und ihre kirchlichen Aktivitäten lediglich asyltaktische Hintergründe hätten oder auf einer wirklichen religiösen Überzeugung beruhten. Selbst wenn man Letzteres unterstelle, sei eine religiöse Verfolgung der Klägerin, die sich weder in herausgehobener Position für ihren Glauben eingesetzt noch missionarische Aktivitäten entfaltet habe, im Iran nicht wahrscheinlich.
- 6
-
Nach Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung hat das Oberverwaltungsgericht die Beteiligten unter näherer Darlegung seiner Einschätzung der Sach- und Rechtslage darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, durch Beschluss gemäß § 130a VwGO zu entscheiden. Es erachte die Berufung einstimmig für begründet und halte eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Daraufhin hat die Beklagte angeregt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, damit das Oberverwaltungsgericht sich einen persönlichen Eindruck von der Klägerin und deren Glaubwürdigkeit verschaffen könne. Das Berufungsgericht ist dem nicht gefolgt, sondern hat den Beteiligten mitgeteilt, dass es weiterhin beabsichtige, durch Beschluss zu entscheiden.
- 7
-
Mit Beschluss vom 30. Juli 2009 hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung der Klägerin verpflichtet. Es hat das Vorliegen der Wiederaufgreifensvoraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bejaht und darauf abgestellt, dass sich mit Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG am 10. Oktober 2006 die Rechtslage zugunsten der Klägerin geändert habe. Die Antragsfrist sei gewahrt, da die Klägerin erst durch ihren neuen Prozessbevollmächtigten von der Rechtsänderung erfahren habe. Unschädlich sei, dass sie die im März 2003 erfolgte Taufe nicht schon im ersten Asylverfahren geltend gemacht habe, da dieses Vorbringen unter der damaligen Rechtslage nicht zum Erfolg hätte führen können. Zudem habe sich die Sachlage durch den Beschluss des iranischen Parlaments zum Entwurf eines Apostasiestrafgesetzes im September 2008 zugunsten der Klägerin geändert.
- 8
-
Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG erweitere den Schutzbereich des Flüchtlingsrechts um die Religionsausübung in der Öffentlichkeit. Allerdings stelle nicht jede Beeinträchtigung der so verstandenen Ausübung der Religionsfreiheit eine Verfolgung dar. Unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie sei es einem Glaubenswechsler aber nicht mehr zuzumuten, öffentlich praktizierten Riten der Glaubensgemeinschaft wie Gottesdiensten oder Prozessionen fernzubleiben, um staatliche Sanktionen zu vermeiden. Der Glaubensangehörige sei auch verfolgt, wenn er aus Furcht vor staatlicher Repression zu unzumutbaren Ausweichhandlungen genötigt sei. Berufe sich der Schutzsuchende auf eine Verfolgungsgefährdung wegen Konversion zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion, müsse festgestellt werden, dass die Hinwendung zu dem angenommenen Glauben auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruhe. Erst wenn der neue Glauben die religiöse Identität des Schutzsuchenden in dieser Weise präge, könne ihm nicht angesonnen werden, in seinem Heimatland aus Angst vor Sanktionen auf die Religionsausübung zu verzichten.
- 9
-
Moslemische Apostaten, die sich dem Christentum zugewandt hätten, unterlägen im Iran einer Verfolgungsgefahr bereits dann, wenn sie ihre Abkehr vom Islam dadurch nach außen sichtbar werden ließen, dass sie in Ausübung ihres neu gewonnenen Glaubens an öffentlichen Riten wie Gottesdiensten und Prozessionen teilnehmen wollten. Einem besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage eines vom Islam zum Christentum übergetretenen Iraners sei die Rückkehr in den Iran unzumutbar, wenn er dort seinen christlichen Glauben auch außerhalb von Hausgemeinden praktizieren wolle. Die Lage habe sich durch das am 9. September 2008 vom iranischen Parlament in erster Lesung beschlossene strafbewehrte Apostasieverbot verschärft.
- 10
-
Hiernach drohe der Klägerin im Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgung. Denn sie sei aufgrund einer echten Glaubensentscheidung zum Christentum konvertiert und der christliche Glaube präge nunmehr ihre religiöse Identität. Sie habe eine Taufurkunde sowie Bescheinigungen vorgelegt, dass sie Mitglied einer christlich-iranischen Gemeinde sei und dort regelmäßig Gottesdienste und Bibelstunden besuche. Ihrer gleichzeitig getauften Mutter und Schwester sei aufgrund von deren Konversion Flüchtlingsschutz zuerkannt worden. Bei ihrer Befragung durch das Verwaltungsgericht habe sie ihren persönlichen Weg zum christlichen Glauben nachvollziehbar geschildert und hinreichende Kenntnisse über die christliche Religion offenbart. Die Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts werde nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass sie sich für die strikt antireligiöse Arbeiterkommunistische Partei Irans betätigt habe. Dazu habe sie vor dem Verwaltungsgericht nachvollziehbar ausgeführt, dass ihr Glaube in der Partei als Privatsache respektiert worden sei und sie sich als Sozialistin von den religionsfeindlich eingestellten Kommunisten abgrenze. Aufgrund ihrer Charakterisierung der Partei erscheine die Formulierung ihres früheren Prozessbevollmächtigten, sie habe sich bei der Anhörung vor dem Bundesamt als überzeugte Kommunistin gezeigt, nicht als Widerspruch zu ihren persönlichen Einlassungen, sondern als missverständliche Bewertung. Der Sachverhalt sei ausreichend geklärt und es bestehe kein Anlass, die Klägerin erneut zur Ernsthaftigkeit ihres Glaubenswechsels anzuhören.
- 11
-
Die Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG stehe der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entgegen, weil die Klägerin bereits vor Abschluss des Ausgangsverfahrens getauft worden sei. Abgesehen davon habe sie sich aufgrund einer ernstlichen Gewissensentscheidung und nicht lediglich aus asyltaktischen Gründen vom Islam ab- und dem Christentum zugewandt.
- 12
-
Die Beklagte hat die vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung formellen wie sachlichen Rechts. Sie macht im Hinblick auf die Feststellung der Ernsthaftigkeit der Konversion einen Verfahrensfehler wegen der Entscheidung durch Beschluss gemäß § 130a VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung geltend. Sachlich sei die Klägerin mit dem Vorbringen der Konversion gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG präkludiert, da sie diesen Umstand schon in dem im August abgeschlossenen Erstverfahren hätte geltend machen können. Ob dieses Vorbringen möglicherweise nicht ausgereicht hätte, die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung zu tragen, sei unerheblich. Zudem sei die Konversion nicht fristgerecht gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG geltend gemacht worden.
- 13
-
Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.
- 14
-
Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt. Er rügt, das Berufungsgericht habe § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht angewendet.
Entscheidungsgründe
- 15
-
Die zulässige Revision ist begründet, da die von der Beklagten angebrachten Verfahrensrügen durchgreifen. Das Berufungsgericht hat seine Pflicht zur Sachaufklärung sowie den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt, da es die Klägerin nicht persönlich angehört hat (1.). Zudem hat es über die Berufung unter Verstoß gegen § 130a Satz 1 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Beschluss entschieden (2.). Auf diesen Verfahrensmängeln beruht die angegriffene Entscheidung, so dass der Beschluss aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
- 16
-
1. Das Berufungsgericht hat seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) sowie den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 Abs. 1 VwGO) verletzt. Denn es hat die gebotene Aufklärungsmaßnahme nicht ergriffen, die Klägerin persönlich zur Ernsthaftigkeit ihres Glaubenswechsels anzuhören und sich zu dieser inneren Tatsache einen unmittelbaren Eindruck zu verschaffen. Um diese Aufklärung zu erreichen, hatte die Beklagte nach der ersten Anhörungsmitteilung auf der Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren bestanden.
- 17
-
a) Die Ernsthaftigkeit der Konversion erweist sich nach dem materiellrechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts, der bei der Prüfung auf Verfahrensfehler selbst dann zugrunde zu legen ist, wenn er verfehlt sein sollte (stRspr, vgl. Urteil vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>), als entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine Flüchtlingsanerkennung wegen der Gefahr religiöser Verfolgung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - nur dann in Betracht kommt, wenn die Hinwendung zu dem angenommenen Glauben auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht nur auf Opportunitätserwägungen beruht. Nur wenn die Konversion die religiöse Identität des Schutzsuchenden in dieser Weise präge, könne ihm nicht angesonnen werden, in seinem Heimatland auf die Religionsausübung zu verzichten, um staatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu entgehen (BA S. 9 f.).
- 18
-
b) Auf der Grundlage dieses materiellrechtlichen Ansatzes lag es nahe und hätte sich dem Berufungsgericht in der hier vorliegenden Prozesssituation aufdrängen müssen, die Klägerin persönlich anzuhören, um sich für die gerichtliche Beweiswürdigung einen unmittelbaren Eindruck von ihr zu verschaffen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es zwar grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen im ersten Rechtszug gehörten Zeugen oder Beteiligten erneut vernimmt. Es kann dessen schriftlich festgehaltene Aussage auch ohne nochmalige Vernehmung zu dem unverändert gebliebenen Beweisthema selbstständig würdigen. Von der erneuten Anhörung des Zeugen oder Beteiligten darf das Berufungsgericht jedoch dann nicht absehen, wenn es die Glaubwürdigkeit des in erster Instanz Vernommenen abweichend vom Erstrichter beurteilen will und es für diese Beurteilung auf den persönlichen Eindruck von dem Zeugen oder Beteiligten ankommt (vgl. etwa Beschlüsse vom 20. November 2001 - BVerwG 1 B 297.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 251 und vom 28. April 2000 - BVerwG 9 B 137.00 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 235). Diese Ausnahme greift - wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat (BA S. 22 f.) - nicht, da das Verwaltungsgericht nach Anhörung der Klägerin zwar erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Konversion geäußert hatte, diese Frage aber letztlich offengelassen hat.
- 19
-
Damit hat es aber nicht sein Bewenden, denn im Berufungsverfahren ist eine persönliche Anhörung des Asylbewerbers im Wege der "informatorischen Befragung" (§ 103 Abs. 3, § 104 Abs. 1 VwGO) oder der Parteivernehmung (§ 96 Abs. 1 Satz 2, § 98 VwGO i.V.m. §§ 450 ff. ZPO) auch dann geboten, wenn die Vorinstanz - wie hier - hinsichtlich eines zentralen Punkts seines tatsächlichen Vorbringens keine Feststellungen getroffen, sondern seine Glaubwürdigkeit insoweit offengelassen hat. Denn der Ausländer, der politische Verfolgung geltend macht, befindet sich hinsichtlich seines individuellen Verfolgungsschicksals typischerweise in Beweisnot und ist als "Zeuge in eigener Sache" zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an, so dass seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung maßgebliche Bedeutung zuzumessen ist (Urteil vom 16. April 1985 - BVerwG 9 C 109.84 - BVerwGE 71, 180 <182>). Soweit die tatrichterliche Würdigung des individuellen Vorbringens des Asylbewerbers wesentlich von seiner Glaubwürdigkeit abhängt, wird vom Gericht hierüber in aller Regel nur nach einer persönlichen Anhörung des Asylbewerbers entschieden werden können (Beschluss vom 10. Mai 2002 - BVerwG 1 B 392.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259 = NVwZ 2002, 1381 m.w.N. auch zu Ausnahmen). Das gilt nicht nur hinsichtlich der Würdigung seiner Angaben zum Vorfluchtschicksal, sondern in gleicher Weise für die innere Tatsache der ernsthaften, die Persönlichkeit des Asylbewerbers prägenden Glaubensüberzeugung. Stellt das Berufungsgericht diese nach seinem materiellrechtlichen Ansatz zentrale anspruchsbegründende Tatsache der Flüchtlingsanerkennung, zu der das Verwaltungsgericht sich nicht abschließend verhalten hat und über die das Bundesamt noch nicht zu entscheiden hatte, im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung allein aufgrund der Aktenlage fest, verletzt es in aller Regel - und so auch hier - die Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) sowie den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 Abs. 1 VwGO).
- 20
-
c) Der angefochtene Beschluss beruht auf den festgestellten Verfahrensverstößen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei einer persönlichen Anhörung der Klägerin deren Vorbringen zur Ernsthaftigkeit ihrer Konversion zum Christentum in anderer Weise gewürdigt und daraus geschlossen hätte, dass ihr eine Verfolgung aus religiösen Gründen nicht mit der notwendigen beachtlichen Wahrscheinlichkeit droht.
- 21
-
2. Das Oberverwaltungsgericht hat mit seiner Verfahrensweise darüber hinaus § 130a Satz 1 VwGO verletzt. Da die Beteiligten nicht gemäß § 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben, hätte es wegen der außergewöhnlich großen Schwierigkeit der Sache über die Berufung nicht durch Beschluss gemäß § 130a Satz 1 VwGO entscheiden dürfen.
- 22
-
a) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet über eine Berufung grundsätzlich durch Urteil, das aufgrund mündlicher Verhandlung ergeht (§ 125 i.V.m. § 101 VwGO). Ist eine Berufung unzulässig, kann sie nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss verworfen werden (§ 125 Abs. 2 VwGO). Nach der Vorschrift des § 130a Satz 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht auch dann über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Ist das sich auf die Begründetheit oder Unbegründetheit der Berufung beziehende Einstimmigkeitserfordernis (vgl. Beschluss vom 20. Januar 1998 - BVerwG 3 B 1.98 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 19 S. 12 f.) erfüllt, steht die Entscheidung, ob ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss befunden wird, im Ermessen des Gerichts. Die Vorschrift enthält keine expliziten materiellen Vorgaben für die richterliche Entscheidung, ob von der Durchführung der mündlichen Verhandlung abgesehen wird oder nicht. Die Grenzen des dem Berufungsgerichts eingeräumten Ermessens sind weit gezogen. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung für die Durchführung des vereinfachten Berufungsverfahrens nur darauf überprüfen, ob das Oberverwaltungsgericht von seinem Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. Beschlüsse vom 12. März 1999 - BVerwG 4 B 112.98 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 35 S. 5 m.w.N. und vom 25. September 2003 - BVerwG 4 B 68.03 - NVwZ 2004, 108 <109>). Ein Absehen von einer mündlichen Verhandlung ist seitens des Revisionsgerichts nur zu beanstanden, wenn es auf sachfremden Erwägungen oder einer groben Fehleinschätzung des Berufungsgerichts beruht (vgl. Beschluss vom 3. Februar 1999 - BVerwG 4 B 4.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 33 S. 2 m.w.N.).
- 23
-
Auch wenn § 130a VwGO keine ausdrücklichen Einschränkungen enthält, hat das Berufungsgericht bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass sich die Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nach der Ausgestaltung des Prozessrechts als gesetzlicher Regelfall und Kernstück auch des Berufungsverfahrens erweist (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 1 VwGO). Ausnahmen davon bedürfen gesonderter gesetzlicher Regelung. Diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis liegt die Vorstellung zugrunde, dass die gerichtliche Entscheidung grundsätzlich das Ergebnis eines diskursiven Prozesses zwischen Gericht und Beteiligten im Rahmen der mündlichen Verhandlung sein soll. Davon geht auch § 104 Abs. 1 VwGO aus, der dem Vorsitzenden des Gerichts die Pflicht auferlegt, in der mündlichen Verhandlung die Streitsache mit den Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu erörtern. Das Rechtsgespräch erfüllt zudem den Zweck, die Ergebnisrichtigkeit der gerichtlichen Entscheidung zu fördern. Das ergibt sich nicht zuletzt aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 EMRK, der aus dieser Verfahrensgarantie im Einzelfall die Notwendigkeit herleitet, auch in der zweiten Instanz mündlich zu verhandeln. Der Gerichtshof stellt bei Verfahrensordnungen, in denen im Berufungsrechtszug auch Tatfragen zu entscheiden sind, darauf ab, ob im konkreten Fall zentrale strittige Tatfragen zur Entscheidung anstehen und ob für die tatsächliche Feststellung die Entscheidungsfindung allein aufgrund der Aktenlage sachgerecht möglich ist (EGMR, Urteile vom 29. Oktober 1991 - Nr. 22/1990/213/275 - Helmers - NJW 1992, 1813 Nr. 36 unter Rückgriff auf das Urteil vom 26. Mai 1988 - Ekbatani, Serie A Nr. 134 Tz. 27; vom 29. Oktober 1991 - Nr. 35/1990/226/290 - Andersson - EuGRZ 1991, 419 und vom 29. Oktober 1991 - Nr. 36/1990/227/291 - Fejde - EuGRZ 1991, 420). Diese vom Gerichtshof zu Art. 6 Abs. 1 EMRK entwickelten Anforderungen sind bei konventionskonformer Anwendung im Rahmen der Ermessensausübung nach § 130a VwGO vom Berufungsgericht zu berücksichtigten und gestatten es in diesen Fällen nicht, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen (Beschluss vom 12. März 1999 a.a.O.). Das gilt auch in der vorliegenden asylrechtlichen Streitigkeit, da der deutsche Gesetzgeber das Verfahrensprinzip der öffentlichen mündlichen Verhandlung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK allgemein und ohne Rücksicht auf die Anwendbarkeit der auf "zivilrechtliche Ansprüche" beschränkten Vorschrift im Einzelfall gewahrt wissen wollte (Urteil vom 14. März 2002 - BVerwG 1 C 15.01 - BVerwGE 116, 123 <127 f.>).
- 24
-
Bei der Ermessensentscheidung gemäß § 130a Satz 1 VwGO dürfen die Funktionen der mündlichen Verhandlung und ihre daraus erwachsende Bedeutung für den Rechtsschutz nicht aus dem Blick geraten. Das Gebot, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung die Rechtssache auch im Interesse der Ergebnisrichtigkeit mit den Beteiligten zu erörtern, wird umso stärker, je schwieriger die vom Gericht zu treffende Entscheidung ist. Mit dem Grad der Schwierigkeit der Rechtssache wächst daher zugleich auch das Gewicht der Gründe, die gegen die Anwendung des § 130a VwGO und für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sprechen (vgl. dazu Urteile vom 30. Juni 2004 - BVerwG 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <214> und vom 21. März 2000 - BVerwG 9 C 39.99 - BVerwGE 111, 69 <74>). Die Grenzen des von § 130a Satz 1 VwGO eröffneten Ermessens werden überschritten, wenn im vereinfachten Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, obwohl die Sache - das Maß des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO übersteigend - in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht außergewöhnlich große Schwierigkeiten aufweist (Urteil vom 30. Juni 2004 a.a.O. S. 213); abzustellen ist insoweit auf die Gesamtumstände des Einzelfalles. Die Notwendigkeit, eine Rechtsnorm nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik oder Sinn und Zweck auszulegen, begründet für sich genommen noch keine außergewöhnlich große Schwierigkeit einer Rechtssache, insbesondere wenn das Berufungsgericht sich mit der Auslegung der Norm bereits befasst hat und seine Rechtsprechung lediglich fortführt (Beschluss vom 10. Juni 2008 - BVerwG 3 B 107.07 - juris Rn. 4). Stellt sich aber in einem Berufungsverfahren eine Vielzahl von ungeklärten Rechtsfragen und damit ein vielschichtiger Streitstoff, über den erstmalig zu befinden ist, spricht das für eine außergewöhnlich große Schwierigkeit (Urteil vom 30. Juni 2004 a.a.O. S. 218; Beschluss vom 10. Juni 2008 a.a.O. Rn. 5). In einem Asylprozess kann sich die besondere Komplexität des Streitstoffs in tatsächlicher Hinsicht auch daraus ergeben, dass aufgrund veränderter Umstände erstmals eine neue Beurteilung der allgemeinen Lage im Heimatstaat des Betroffenen geboten ist.
- 25
-
b) Auch unter Berücksichtigung der eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung erweist sich die Vorgehensweise des Berufungsgerichts hier als fehlerhaft, denn der vorliegende Fall weist sowohl in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht einen außergewöhnlich hohen Schwierigkeitsgrad auf. In rechtlicher Hinsicht ergibt sich das u.a. aus der auch in der Rechtsprechung des Berufungsgerichts noch nicht abschließend geklärten flüchtlingsrechtlichen Beurteilung einer religiöser Verfolgung (vgl. dazu die Vorlagebeschlüsse des Senats vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 und 10 C 21.09) insbesondere aufgrund eines Glaubenswechsels in einem Asylfolgeverfahren (§ 28 Abs. 2 AsylVfG). Zudem bestand eine hohe Komplexität in tatsächlicher Hinsicht, denn das Berufungsgericht hatte - soweit ersichtlich erstmals - die Verfolgungsgefahr für nicht exponiert tätige, zum Christentum konvertierte Muslime im Iran zu beurteilen, u.a. mit Blick auf den Beschluss des Iranischen Parlaments zur Strafbewehrung des Apostasieverbots vom September 2008 (BA S. 11 - 21). Jedenfalls hat es dazu in der Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht auf ältere eigene Entscheidungen verwiesen. Im Übrigen legte auch der Umstand, dass das Berufungsgericht eine abschließende Entscheidung nicht allein aufgrund der Aktenlage fällen durfte, sondern noch eine persönliche Anhörung der Klägerin erforderlich war (vgl. oben Rn. 18), die Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Blick auf die oben genannten Anforderungen des Gerichtshofs zu Art. 6 EMRK nahe.
- 26
-
c) Da das Berufungsgericht sich im Rahmen seines Ermessens nach § 130a VwGO unter den gegebenen Umständen nicht für Durchführung eines vereinfachten Berufungsverfahrens entscheiden durfte, verstößt der angefochtene Beschluss gegen § 101 Abs. 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Eine unter Verstoß gegen § 101 Abs. 1 VwGO ergangene Entscheidung verletzt zugleich den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs und stellt damit einen absoluten Revisionsgrund im Sinne von § 138 Nr. 3 VwGO dar (vgl. Urteil vom 30. Juni 2004 a.a.O. S. 221 m.w.N.).
- 27
-
d) Die auf dem Verstoß gegen § 130a, § 101 Abs. 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO beruhende Gehörsverletzung erfasst die Berufungsentscheidung in ihrer Gesamtheit und lässt sich nicht auf einzelne Tatsachenfeststellungen eingrenzen (vgl. Urteil vom 30. Juni 2004 a.a.O. S. 221 m.w.N.). Daher fehlen dem Revisionsgericht die für eine eigene abschließende Entscheidung notwendigen tatsächlichen Feststellungen, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
- 28
-
3. Sollte sich in dem erneuten Berufungsverfahren die vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Sachlage und insbesondere die Ernsthaftigkeit der Konversion - wie in der angefochtenen Entscheidung angenommen - bestätigen, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass entgegen der Ansicht der Beklagten die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens erfüllt sein dürften. Allerdings hat der Wiederaufgreifensgrund der nachträglichen Änderung der Sachlage (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG) nicht vorgelegen. Denn der durch die Taufe am 23. März 2003 dokumentierte Wechsel der Klägerin zum christlichen Glauben ist nicht nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Erstverfahren am 24. Juni 2003 eingetreten. Auf den vom Berufungsgericht als Wiederaufgreifensgrund zusätzlich hervorgehobenen Beschluss des Iranischen Parlaments vom 9. September 2008 über den Entwurf eines Apostasiestrafgesetzes und die dadurch eingetretene Verschärfung der Verfolgungsgefahr (BA S. 6) hat sich die Klägerin nicht innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG berufen, so dass auch dieser Umstand nicht die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens rechtfertigt. Denn weder das Bundesamt noch die Verwaltungsgerichte sind befugt, ihrer Entscheidung über die Wiederaufnahme andere als vom Antragsteller geltend gemachte Gründe zugrunde zu legen (Urteile vom 30. August 1988 - BVerwG 9 C 47.87 - Buchholz 402.25 § 14 AsylVfG Nr. 8 und vom 13. Mai 1993 - BVerwG 9 C 49.92 - InfAuslR 1993, 357 - insoweit in BVerwGE 92, 278 nicht abgedruckt). Die dreimonatige Ausschlussfrist gilt auch für im gerichtlichen Verfahren neu vorgebrachte Wiederaufgreifensgründe (Urteil vom 10. Februar 1998 - BVerwG 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171 <176 f.>).
- 29
-
Jedenfalls mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) am 28. August 2007 lag jedoch der Wiederaufgreifensgrund einer nachträglichen Änderung der Rechtslage vor (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG). Es ist zwar noch nicht abschließend geklärt, ob sich durch Umsetzung der Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Rechtslage mit Blick auf die Verfolgung aus religiösen Gründen zugunsten der Betroffenen geändert hat. Aber die durch die Zweifel über die Auslegung der unionsrechtlichen Vorgaben bewirkte Unsicherheit reicht aus, um ein Asylverfahren wiederaufzugreifen und diese Frage prüfen zu lassen. Auf die Änderung der Rechtslage hat sich die Klägerin auch rechtzeitig berufen. Denn jedenfalls im Flüchtlingsrecht ist aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit hier für den Beginn der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG nicht auf den Ablauf der Umsetzungsfrist (Art. 38 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG), sondern auf die Bekanntmachung im Gesetzblatt dokumentierte Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber abzustellen.
- 30
-
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Klägerin insoweit mit ihrem Vorbringen der Taufe und der Glaubensausübung nicht gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG präkludiert. Denn ein grobes Verschulden liegt nicht vor, wenn ein Asylbewerber Umstände im vorangegangenen Verfahren nicht vorgebracht hat, die mit Blick auf die damals geltende Rechtslage oder die damals gegebene Sachlage vorzutragen kein Anlass bestand. Allein aufgrund der Taufe hätte sich die unverfolgt ausgereiste Klägerin nach damaliger Sach- und Rechtslage nicht mit Erfolg auf eine ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende religiöse Verfolgung berufen können. Dann kann ihr die mangelnde Geltendmachung der Taufe im Erstverfahren auch nicht entgegengehalten werden. Denn in Fällen evident fehlender Relevanz eines nicht vorgetragenen Umstands für den Ausgang des Erstverfahrens kann dem Betreffenden nicht der Vorwurf gemacht werden, die ihm gebotene Sorgfalt in schwerwiegender Weise außer Acht gelassen zu haben (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, II-§ 71 Rn. 204, Stand Dezember 2007).
Gründe
- 1
-
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
- 2
-
1. Das Beschwerdevorbringen lässt nicht erkennen, dass die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
- 3
-
a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht deswegen verfahrensfehlerhaft, weil der Verwaltungsgerichtshof, nachdem er die Beteiligten hierzu angehört hat, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Verfahren gemäß § 130a VwGO entschieden hat.
- 4
-
Ob ein Berufungsgericht den ihm gemäß § 130a VwGO eröffneten Weg einer Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist; dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sache ein im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigender wesentlicher Gesichtspunkt (stRspr, vgl. Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213 f.> = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 64 S. 52 f. und Beschluss vom 27. Januar 2011 - BVerwG 3 B 63.10 - NJW 2011, 1830 Rn. 8). Hiernach erweist sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs für das Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO nicht als sachfremd oder grob fehlerhaft, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Streitfall einen außergewöhnlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Dass der Kläger einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich.
- 5
-
Der Verwaltungsgerichtshof war - entgegen der Ansicht der Beschwerde - nicht deshalb an einem Vorgehen gemäß § 130a VwGO gehindert, weil er die Frage der Verjährung der streitgegenständlichen Straßenbeitragsforderung ohne erneute Anhörung der vom Verwaltungsgericht zur Frage der Abnahme der Baumaßnahme gehörten Zeugen beurteilt hat, und zwar mit gegenteiligem Ergebnis als das Verwaltungsgericht. Darin liegt insbesondere kein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO).
- 6
-
Eine in der Vorinstanz durchgeführte Beweisaufnahme braucht vom Rechtsmittelgericht grundsätzlich nicht wiederholt zu werden. Namentlich für den Zeugenbeweis folgt aus § 98 VwGO i.V.m. § 398 Abs. 1 ZPO, wonach die erneute Zeugenvernehmung im Ermessen des Gerichts steht, dass ein bereits in der ersten Instanz gehörter Zeuge nicht stets in der Berufungsinstanz erneut zu vernehmen ist. Das Berufungsgericht darf seine Entscheidung vielmehr grundsätzlich ohne erneute Vernehmung auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme stützen (vgl. Beschlüsse vom 11. November 1991 - BVerwG 7 B 123.91 - juris Rn. 3 und vom 6. Januar 2011 - BVerwG 4 B 51.10- juris Rn. 16; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 96 Rn. 8). Zur erneuten Beweisaufnahme verpflichtet ist das Berufungsgericht dagegen, wenn es an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen der Vorinstanz zweifelt, insbesondere wenn es die Glaubwürdigkeit eines Zeugen abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2004 - 1 BvR 1935/03 - NJW 2005, 1487). Das ist hier nicht der Fall. Der Verwaltungsgerichtshof hat weder die Richtigkeit noch die Vollständigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts noch die Glaubwürdigkeit der Zeugen angezweifelt, sondern ist von der im erstinstanzlichen Urteil niedergelegten Tatsachengrundlage ausgegangen, namentlich von den vom Verwaltungsgericht im Ortstermin vom 7. November 2008 protokollierten Feststellungen und Bekundungen sowie von den Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2008 vernommenen (sachverständigen) Zeugen. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber dahin erkannt, dass diese Tatsachenfeststellungen nicht die vom Verwaltungsgericht gezogene rechtliche Schlussfolgerung tragen. Er hat bei gleicher Tatsachengrundlage diese lediglich rechtlich anders beurteilt.
- 7
-
Der Verwaltungsgerichtshof hat entscheidungstragend angenommen, dass die Beitragsforderung der Beklagten bei Erlass des angefochtenen Bescheides noch nicht verjährt war. Die streitgegenständliche Straße sei nicht bereits im Dezember 2001 fertiggestellt gewesen. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei die im Dezember 2001 erfolgte Begehung der Baustelle noch keine förmliche Abnahme im Rechtsinne gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies eingehend und u.a. damit begründet (BA S. 10 ff.), dass es bereits an den entsprechenden formellen Voraussetzungen fehle, namentlich an einem schriftlichen Abnahmebefund, dass die bei der erwähnten Begehung besprochenen Punkte (u.a. betreffend die noch ausstehenden Arbeiten am Straßenbegleitgrün) im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2002 erledigt und im Wesentlichen durch Rechnung des Bauunternehmers vom 30. August 2002 besonders berechnet worden seien. Dieses Ergebnis sei - ungeachtet von Unterschieden im Detail - auch von den vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen bestätigt worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Baumaßnahme schon abgeschlossen sein sollte und die im Dezember 2001 übersandte Rechnung des Bauunternehmers bereits die Schlussrechnung darstellen sollte, ergäben sich aus keiner der Aussagen; vielmehr hätten die Zeugen übereinstimmend bekundet, dass diese Rechnung wegen der zum Jahresende anstehenden Währungsumstellung von DM auf Euro erteilt worden sei. Der maßgebliche Unterschied zwischen den Entscheidungen von Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof liegt - bei gleicher Tatsachengrundlage - mithin darin, dass Letzterer die Begehung der Baustelle im Dezember 2001 rechtlich als bloße Teilabnahme gewertet hat, weil das, was bei dieser Begehung als für eine vollständige Fertigstellung gemäß Bauprogramm noch fehlend festgestellt wurde, nicht abgenommen sein könne. Diese allein in rechtlicher Hinsicht abweichende Beurteilung der Zeugenaussagen und der vorliegenden Rechnungen durch den Verwaltungsgerichtshof liegt - noch - innerhalb der nach den dargestellten Maßstäben einem Berufungsgericht gezogenen verfahrensrechtlichen Grenzen. Daher liegt in der fehlenden Vernehmung der von der Beschwerde genannten Zeugen durch den Verwaltungsgerichtshof auch keine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).
- 8
-
b) Ein Verfahrensfehler durch Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
- 9
-
aa) Da der Verwaltungsgerichtshof seine Auffassung zur Frage der Verjährung den Beteiligten bereits im Beschluss vom 18. August 2009 über die Zulassung der Berufung dargelegt hat, stellt die Berufungsentscheidung auch unter dem Gesichtspunkt des Verbots einer Überraschungsentscheidung keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dar (vgl. dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juni 2003 - 1 BvR 2285/02 - NJW 2003, 2524).
- 10
-
bb) Die Beschwerde rügt ferner, dass der Verwaltungsgerichtshof einem Antrag des Klägers auf Akteneinsicht in beigezogene bzw. noch beizuziehende Verwaltungs- und Gerichtsakten nicht entsprochen hätte. Dieser Vorwurf ist nach Aktenlage unzutreffend. Nachdem sich der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bestellt und mit Schriftsatz vom 15. Februar 2011 um Zurverfügungstellung näher bezeichneter Unterlagen gebeten hatte, sind ihm im Parallelverfahren 5 A 2499/09 auf richterliche Anordnung vom 16. Februar 2011 unter demselben Datum sämtliche zu diesem Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge und eine weitere Gerichtsakte übersandt worden; gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, dass der Senat für eine Beiziehung weiterer Unterlagen derzeit keinen Anlass sehe. Selbst wenn hiernach der Umfang der Aktenüberlassung bzw. -beiziehung dem Wunsch des Klägers nicht vollständig entsprach, wäre es Sache des Klägers gewesen, substantiiert darzutun, dass und warum er die Beiziehung weiterer Unterlagen für erforderlich hielt, und dies beim Verwaltungsgerichtshof einzufordern. Dies hat der Kläger indes nicht getan; weder bei der Rückübersendung der übersandten Akten (Schriftsatz vom 17. März 2011) noch in dem weiteren Schriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof vom 29. April 2011 ist er hierauf zurückgekommen. Ein Gehörsverstoß bzw. eine Verletzung des Akteneinsichtsrechts nach § 100 VwGO liegt nicht vor, wenn der Betroffene es im vorinstanzlichen Verfahren selbst in der Hand hatte, den nunmehr behaupteten Verfahrensmangel zu vermeiden.
- 11
-
cc) Der wesentliche Gehalt der klägerischen Ausführungen im Schriftsatz vom 29. April 2011 zu weiteren Einwänden gegen die Beitragserhebung, ist im angefochtenen Beschluss unter I. der Gründe (BA ab S. 4 unten) aufgeführt, vom Verwaltungsgerichtshof also zur Kenntnis genommen und unter II. der Gründe beschieden worden, soweit der Verwaltungsgerichtshof sie für entscheidungserheblich gehalten hat. Eine weitergehende Befassung mit Einzelaspekten der Grundstücke der zur Beitragszahlung herangezogenen Straßenanlieger hat er aufgrund seiner rechtlichen Beurteilung nicht für erforderlich gehalten. Auch insoweit ist für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nichts ersichtlich. Denn dieser verpflichtet ein Gericht nicht, in der zu treffenden Entscheidung auf jedwedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich einzugehen und dieses im Einzelnen zu bescheiden, namentlich wenn es das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen durfte (stRspr, vgl. etwa die Beschlüsse vom 22. Mai 2006 - BVerwG 10 B 9.06 - NJW 2006, 2648 <2650> und vom 23. Juni 2008 - BVerwG 9 VR 13.08 - NVwZ 2008, 1027 <1028>, jeweils m.w.N.).
- 12
-
dd) Entgegen der Ansicht der Beschwerde war der Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu weiteren rechtlichen Hinweisen (§ 86 Abs. 3 VwGO) an den Kläger verpflichtet. Angesichts der rechtlichen Ausführungen im Beschluss über die Zulassung der Berufung vom 18. August 2009 und im Vergleichsvorschlag des Berichterstatters vom 29. November 2010, ferner angesichts des Anhörungsschreibens gemäß § 130a VwGO vom 28. März 2011 sowie der Mitteilung vom 2. Mai 2011, dass auch in Ansehung des klägerischen Schriftsatzes vom 29. April 2011 an der Absicht festgehalten werde, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, bestand für weitere Hinweise kein Anlass.
- 13
-
2. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) scheidet ebenfalls aus.
- 14
-
Insoweit genügt das Beschwerdevorbringen trotz seines Umfangs nicht den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), weil es sich in der Art eines zulassungsfreien oder zugelassenen Rechtsmittels in Angriffen gegen die tatsächliche und rechtliche Beurteilung des Streitfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erschöpft, ohne bestimmte, höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfragen des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung zu formulieren (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14). Dafür genügt nicht der bloße Hinweis, dass "die Frage der Verjährung und der Verwirkung sowie die Kompensation, Treu und Glauben und Unbilligkeit (...) straßenbeitragsrechtlich nicht ausreichend durch die Rechtsprechung geklärt" seien, was durch die Ausführungen der Beschwerde verdeutlicht werde (Beschwerdebegründung S. 32 unten). Einer Befassung mit den genannten Fragen in einem Revisionsverfahren steht im Übrigen entgegen, dass sie nicht revisibles Recht betreffen, weil sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Straßenbeitragsbescheids nach hessischem Landesrecht (§ 11 HessKAG) richtet. Dies gilt auch für die durch den Rechtsanwendungsbefehl in § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b HessKAG in Bezug genommenen Verjährungsvorschriften der Abgabenordnung sowie für die in Ergänzung des Landesrechts angewandten allgemeinen Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben und der Verwirkung; sie alle werden dadurch Teil des irrevisiblen Landesrechts (stRspr, vgl. Urteil vom 19. März 2009 - BVerwG 9 C 10.08 - Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 135 S. 8 und Beschluss vom 1. April 2004 - BVerwG 4 B 17.04 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 21 S. 6). Sie können daher nicht Maßstab revisionsgerichtlicher Prüfung sein (§ 137 Abs. 1 VwGO).
(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung.
(2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.
Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.
Gründe
-
I
- 1
-
Der Kläger wendet sich gegen zwei Bescheide, durch die der Beklagte Rundfunkbeiträge für die Monate Januar bis August 2013 nebst Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 159,84 € festgesetzt hat. Die Anfechtungsklage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO zurückgewiesen und die Revision gegen den Beschluss nicht zugelassen.
-
II
- 2
-
Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Zwar rechtfertigt sie nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (1.). Die Beschwerde macht jedoch mit Erfolg einen absoluten Verfahrensmangel geltend (2.). Dies führt gemäß § 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht (3.).
- 3
-
1. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass der geltend gemachte Revisionszulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegt.
- 4
-
Der Kläger hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, ob
-
die im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) geregelte Beitragspflicht verfassungswidrig ist.
- 5
-
Die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:270115B6B43.14.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht für eine bundesgerichtlich bereits beantwortete Rechtsfrage nur, wenn die Beschwerde neue rechtliche Gesichtspunkte aufzeigt, die ein Überdenken der bisherigen Rechtsprechung erforderlich machen (stRspr; vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. November 1992 - 6 B 27.92 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 306 S. 224).
- 6
-
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben: Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist durch die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. März 2016 - 6 C 6.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:180316U6C6.15.0] - (BVerwGE 154, 275) und vom 15. Juni 2016 - 6 C 35.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:150616U6C35.15.0] - geklärt. In den Gründen dieser Urteile hat das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtsfrage abgehandelt und die Gründe für ihre Beantwortung dargelegt. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Regelungen der §§ 2 ff. des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RBStV) über die Erhebung des Rundfunkbeitrags im privaten Bereich mit dem Grundgesetz und mit Unionsrecht vereinbar sind. Soweit es überhaupt nachvollziehbar ist, enthält das Beschwerdevorbringen des Klägers keine neuen, bislang nicht bedachten Gesichtspunkte. Vielmehr setzt der Kläger den Rechtsauffassungen des Bundesverwaltungsgerichts jeweils seine eigenen abweichenden Rechtsauffassungen entgegen. Der Umstand, dass er mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einverstanden ist, ist aber nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung seiner Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen.
- 7
-
Insbesondere ist das Bundesverwaltungsgericht in den erwähnten Entscheidungen auch bereits auf den Einwand des Klägers eingegangen, es fehle bei der Erhebung des Rundfunkbeitrags an der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderlichen Beziehung zwischen Leistung und Gegenleistung. Der Rundfunkbeitrag ist als Vorzugslast ausgestaltet, die die Gegenleistung für die Programmangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darstellt. Ob zwischen Leistung und Gegenleistung eine normative Verknüpfung besteht, ist durch Auslegung der abgabenrechtlichen Regelungen nach den herkömmlichen Methoden zu ermitteln. Zwar ist der durch den Rundfunkbeitrag abgegoltene Vorteil, die Möglichkeit der Nutzung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramme, im Wortlaut der §§ 2 ff. RBStV nicht ausdrücklich genannt. Er ergibt sich aber aus dem Normzweck dieser Regelungen. Auch der Rundfunkgebührenstaatsvertrag führte die Rundfunkempfangsmöglichkeit als Rechtfertigung für die Erhebung der Rundfunkgebühr nicht wörtlich auf. Das Gegenleistungsverhältnis und damit der Charakter der Rundfunkgebühr als Vorzugslast wurden dennoch allgemein bejaht, weil die Rundfunkgebührenpflicht an das Bereithalten eines Rundfunkempfangsgeräts geknüpft war. Aus dem gesetzlichen Gebührentatbestand des Bereithaltens wurde geschlossen, dass die Rundfunkgebühr den Vorteil der Empfangsmöglichkeit abgalt. Die Ersetzung der Rundfunkgebühr durch den Rundfunkbeitrag sollte an der Rechtsnatur der Abgabe als Vorzugslast nichts ändern. Dass jemand den Vorteil der Rundfunkempfangsmöglichkeit hat, wird nun nicht mehr aus dem Bereithalten eines Empfangsgeräts, sondern aus dem Innehaben einer Wohnung im Sinne von § 2 Abs. 1 RBStV geschlossen. Der Zweck dieses neuen Beitragstatbestands besteht wie der Zweck des früheren Gebührentatbestands des Gerätebesitzes darin, den Vorteil der Rundfunkempfangsmöglichkeit normativ zu erfassen (BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2016 - 6 C 35.15 - juris Rn. 27).
- 8
-
Auch soweit der Kläger geltend macht, die Einführung des Rundfunkbeitrags hätte als Änderung einer Beihilfe nach dem Unionsrecht notifiziert werden müssen, handelt es sich nicht um einen neuen Gesichtspunkt. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in den erwähnten Entscheidungen ausgeführt, dass die Ablösung der gerätebezogenen Rundfunkgebühr durch den wohnungsbezogenen Rundfunkbeitrag nicht nach Art. 108 Abs. 3 Satz 1 und 3 AEUV der vorherigen Zustimmung der Kommission der Europäischen Union bedurfte, weil diese Änderung die maßgebenden Faktoren der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht verändert hat. Ebenso wie die Rundfunkgebühr wird der Rundfunkbeitrag als Gegenleistung für das Rundfunkprogrammangebot erhoben, um die staatsferne bedarfsgerechte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sicherzustellen. Begünstigte sind nach wie vor die Rundfunkanstalten. Zur Finanzierung werden auch weiterhin diejenigen Personen herangezogen, die die Möglichkeit des Rundfunkempfangs haben. Geändert hat sich lediglich die tatbestandliche Anknüpfung der Abgabenpflicht. Der Umstand, dass der abgegoltene Vorteil der Rundfunkempfangsmöglichkeit nicht mehr durch den Besitz eines Empfangsgeräts, sondern durch das Innehaben einer Wohnung erfasst wird, stellt keine grundlegende, die Zustimmungspflicht auslösende Änderung der Finanzierung dar (BVerwG, Urteile vom 18. März 2016 - 6 C 6.15 - BVerwGE 154, 275 Rn. 51 f. und vom 15. Juni 2016 - 6 C 35.15 - juris Rn. 53 f.; vgl. nunmehr auch Urteil vom 25. Januar 2017 - 6 C 7.16 [ECLI:DE:BVerwG:2017:250117U6C7.16.0] - juris Rn. 53 f.).
- 9
-
2. Die Beschwerde hat jedoch deshalb Erfolg, weil ein von ihr geltend gemachter Verfahrensmangel vorliegt, auf dem der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es über die Berufung des Klägers verfahrensfehlerhaft durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO entschieden hat, gegen § 101 Abs. 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen und damit gleichzeitig das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) verletzt.
- 10
-
Nach § 130a Satz 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören (§ 130a Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat zwar den Kläger zu der beabsichtigten Verfahrensweise, ggf. nach § 130a VwGO zu entscheiden, angehört, seinen Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung aber nicht zur Kenntnis genommen und damit nicht erwogen. Infolgedessen hat es das ihm bei der Entscheidung für die Durchführung des vereinfachten Berufungsverfahrens zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt (a). Das führt auf den absoluten Revisionsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) (b).
- 11
-
a) Nach § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO sind die Beteiligten vorher zu hören, wenn das Oberverwaltungsgericht beabsichtigt, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden. An die Anhörungsmitteilung sind in formeller und inhaltlicher Hinsicht strenge Anforderungen zu stellen, da das damit eingeleitete Verfahren es dem Berufungsgericht ermöglicht, ohne die auch im Berufungsverfahren grundsätzlich vorgesehene mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 1 VwGO) zu entscheiden (BVerwG, Beschluss vom 22. April 1999 - 9 B 1037.98 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 38 S. 16). Die nach § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO erforderliche Anhörungsmitteilung muss nicht nur erkennen lassen, dass ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden werden soll und ob das Gericht die Berufung für begründet oder für unbegründet hält, sondern auch den Hinweis enthalten, dass sich die Beteiligten zu dem beabsichtigten Verfahren äußern können (BVerwG, Beschluss vom 13. August 2015 - 4 B 15.15 [ECLI:DE:BVerwG:2015:130815B4B15.15.0] - juris Rn. 5 m.w.N.). Machen die Beteiligten von der ihnen einzuräumenden Äußerungsbefugnis Gebrauch, muss das Gericht ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) dadurch Rechnung tragen, dass es das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht (vgl. allgemein: BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1975 - 2 BvR 1086/74 - BVerfGE 40, 101 <104 f.>).
- 12
-
Das Oberverwaltungsgericht hat zwar die formellen und inhaltlichen Anforderungen für die Anhörungsmitteilung nach § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO beachtet. Es hat die Beteiligten mit Schreiben vom 12. September 2016 darauf hingewiesen, dass es für den Fall der Fortsetzung des Verfahrens eine Anwendung des § 130a Satz 1 VwGO in Betracht ziehe, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt ebenso wie die einschlägigen rechtlichen Fragestellungen durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und die Vorentscheidungen des Oberverwaltungsgerichts als geklärt erschienen. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Aus den Gründen der Berufungsentscheidung ergibt sich jedoch deutlich, dass das Oberverwaltungsgericht das Vorbringen des Klägers in dessen Stellungnahme überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und in Folge dessen bei seiner Entscheidung, nach § 130a Satz 1 VwGO zu verfahren, ersichtlich auch nicht erwogen hat. Denn obwohl der Kläger mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2016 ausdrücklich erklärt hatte, dass kein Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung bestehe, und damit zumindest sinngemäß auch einer auf § 130a Satz 1 VwGO gestützten Entscheidung widersprochen hatte, führt das Oberverwaltungsgericht aus, dass der Kläger der beabsichtigten Vorgehensweise nicht entgegengetreten sei.
- 13
-
Der Verstoß gegen das Anhörungserfordernis gemäß § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO hat zur Folge, dass das Oberverwaltungsgericht das ihm bei der Entscheidung für die Durchführung des vereinfachten Berufungsverfahrens zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Ist das Einstimmigkeitserfordernis, das sich auf die Begründetheit oder Unbegründetheit der Berufung bezieht, erfüllt, steht die Entscheidung, ob ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss befunden wird, ausweislich des Wortlauts des § 130a Satz 1 VwGO ("kann") im Ermessen des Gerichts. Die Grenzen des dem Berufungsgericht eingeräumten Ermessens sind weit gezogen. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung für die Durchführung des vereinfachten Berufungsverfahrens nur darauf überprüfen, ob das Oberverwaltungsgericht von seinem Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213> m.w.N.). Ein Ermessensfehler ist nach den allgemeinen Grundsätzen unter anderem dann anzunehmen, wenn das Oberverwaltungsgericht nicht alle maßgebenden Gesichtspunkte ermittelt und in seine Entscheidung einbezogen hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 9. Juli 1992 - 7 C 21.91 - BVerwGE 90, 296 <300> und vom 24. September 1996 - 1 C 9.94 - BVerwGE 102, 63 <69 f.>, jeweils bezogen auf die Maßstäbe für behördliche Ermessensentscheidungen nach § 114 Satz 1 VwGO), oder wenn es bei seiner Entscheidung von in Wahrheit nicht vorliegenden Tatsachen ausgeht (vgl. hierzu - ebenfalls bezogen auf § 114 Satz 1 VwGO - BVerwG, Urteil vom 17. August 2016 - 6 C 24.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:170816U6C24.15.0] - DVBl 2017, 42 Rn. 33).
- 14
-
Ein derartiges Ermessensdefizit liegt hier vor. Das Oberverwaltungsgericht ist bei der Ausübung seines Ermessens von der Annahme ausgegangen, der Kläger sei der beabsichtigten Vorgehensweise nicht entgegengetreten. Diese Annahme ist offensichtlich unzutreffend, weil der Kläger im Rahmen der Anhörung nach § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO mitgeteilt hatte, es bestehe kein Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung. Zumindest sinngemäß hatte der Kläger damit nicht nur sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 VwGO verweigert, sondern auch einem - zum gleichen Ergebnis führenden - Verfahren des Gerichts nach § 130a Satz 1 VwGO widersprochen. Damit hat das Oberverwaltungsgericht einen maßgebenden Gesichtspunkt nicht in seine Entscheidung einbezogen. Widerspricht ein Beteiligter im Rahmen der Anhörung gemäß § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO der beabsichtigten Verfahrensweise, muss das Oberverwaltungsgericht diesen Umstand zur Kenntnis nehmen und bei der Ausübung seines Ermessens, ob es nach § 130a Satz 1 VwGO über die Berufung durch Beschluss entscheidet, in Erwägung ziehen.
- 15
-
Zwar hat das Oberverwaltungsgericht zur Begründung seiner Vorgehensweise weiter ausgeführt, dass es nur noch über - in seiner Rechtsprechung und in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Übrigen bereits geklärte - Rechtsfragen entscheide und das Verfahren auch keine außerordentlich großen Schwierigkeiten oder mit Blick auf die bereits entschiedenen Fallkonstellationen noch nicht erörterte Besonderheiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise, die einer Entscheidung durch Beschluss entgegenstehen könnten. Ebenso wenig sei - auch unter Berücksichtigung des umfangreichen Vortrags in der Berufungsbegründung ersichtlich, was die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Entscheidungsfindung noch beitragen könnte. Unabhängig davon, ob diese Erwägungen plausibel sind und das Absehen von der mündlichen Verhandlung rechtfertigen können, hätte das Oberverwaltungsgericht bei der Ausübung des Ermessens jedoch auch die Stellungnahme des Klägers zu dem beabsichtigten Verfahren beachten, gewichten und abwägen müssen. Denn der Umstand, dass der Kläger einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung widersprochen hat, macht das Verfahren nach § 130a VwGO zwar nicht fehlerhaft (BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 1997 - 2 B 117.97 - juris Rn. 1 m.w.N.). Wegen des Ausnahmecharakters des vereinfachten Verfahrens nach § 130a VwGO ist jedoch zu fordern, dass die Entscheidungsgründe zumindest erkennen lassen, dass das Oberverwaltungsgericht diesen Umstand in seine Ermessenserwägungen eingestellt und ihn in der Abwägung mit den gegen die Erforderlichkeit einer Berufungsverhandlung sprechenden Gründen zurückgestellt hat. Diese Abwägung ist hier unterblieben.
- 16
-
b) Der hier vorliegende Fehler bei der Ausübung des dem Berufungsgericht eröffneten Verfahrensermessens führt auf den absoluten Revisionsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO). Darauf, ob der angefochtene Beschluss auch tatsächlich auf diesem Verfahrensfehler beruht, kommt es deswegen nicht an.
- 17
-
3. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO den angefochtenen Beschluss aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen. Da die Grundsatzrüge des Klägers nicht durchgreift, macht der Senat von dieser Möglichkeit Gebrauch.
- 18
-
4. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur.
(2) Zulässig sind
- 1.
Geschäfts- , Büro- und Verwaltungsgebäude, - 2.
Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten, - 3.
sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe, - 4.
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke, - 5.
Tankstellen im Zusammenhang mit Parkhäusern und Großgaragen, - 6.
Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, - 7.
sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans.
(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden
- 1.
Tankstellen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 5 fallen, - 2.
Wohnungen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 6 und 7 fallen.
(4) Für Teile eines Kerngebiets kann, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (§ 9 Absatz 3 des Baugesetzbuchs), festgesetzt werden, dass
Dies gilt auch, wenn durch solche Festsetzungen dieser Teil des Kerngebiets nicht vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur dient.(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
- 1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder - 2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder - 3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.
(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.
(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung
- 1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient: - a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs, - b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder - c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
- 2.
städtebaulich vertretbar ist und - 3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
(4) Die Gemeinde kann durch Satzung
- 1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, - 2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, - 3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.
(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
- 1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder - 2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder - 3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.
(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.
(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung
- 1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient: - a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs, - b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder - c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
- 2.
städtebaulich vertretbar ist und - 3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
(4) Die Gemeinde kann durch Satzung
- 1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, - 2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, - 3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
Tenor
I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München
II.
Die Kostenentscheidung bleibt der neuen Entscheidung vorbehalten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
II.
(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
(1) Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur.
(2) Zulässig sind
- 1.
Geschäfts- , Büro- und Verwaltungsgebäude, - 2.
Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten, - 3.
sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe, - 4.
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke, - 5.
Tankstellen im Zusammenhang mit Parkhäusern und Großgaragen, - 6.
Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, - 7.
sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans.
(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden
- 1.
Tankstellen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 5 fallen, - 2.
Wohnungen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 6 und 7 fallen.
(4) Für Teile eines Kerngebiets kann, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (§ 9 Absatz 3 des Baugesetzbuchs), festgesetzt werden, dass
Dies gilt auch, wenn durch solche Festsetzungen dieser Teil des Kerngebiets nicht vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur dient.(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.
(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung
- 1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient: - a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs, - b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder - c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
- 2.
städtebaulich vertretbar ist und - 3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
(4) Die Gemeinde kann durch Satzung
- 1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, - 2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, - 3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.
(1) Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur.
(2) Zulässig sind
- 1.
Geschäfts- , Büro- und Verwaltungsgebäude, - 2.
Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten, - 3.
sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe, - 4.
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke, - 5.
Tankstellen im Zusammenhang mit Parkhäusern und Großgaragen, - 6.
Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, - 7.
sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans.
(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden
- 1.
Tankstellen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 5 fallen, - 2.
Wohnungen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 6 und 7 fallen.
(4) Für Teile eines Kerngebiets kann, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (§ 9 Absatz 3 des Baugesetzbuchs), festgesetzt werden, dass
Dies gilt auch, wenn durch solche Festsetzungen dieser Teil des Kerngebiets nicht vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur dient.(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
(1) Aufgabe der Bauleitplanung ist es, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde nach Maßgabe dieses Gesetzbuchs vorzubereiten und zu leiten.
(2) Bauleitpläne sind der Flächennutzungsplan (vorbereitender Bauleitplan) und der Bebauungsplan (verbindlicher Bauleitplan).
(3) Die Gemeinden haben die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist; die Aufstellung kann insbesondere bei der Ausweisung von Flächen für den Wohnungsbau in Betracht kommen. Auf die Aufstellung von Bauleitplänen und städtebaulichen Satzungen besteht kein Anspruch; ein Anspruch kann auch nicht durch Vertrag begründet werden.
(4) Die Bauleitpläne sind den Zielen der Raumordnung anzupassen.
(5) Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung gewährleisten. Sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern, sowie die städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und zu entwickeln. Hierzu soll die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen.
(6) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind insbesondere zu berücksichtigen:
- 1.
die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung, - 2.
die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere auch von Familien mit mehreren Kindern, die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen, die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung und die Anforderungen kostensparenden Bauens sowie die Bevölkerungsentwicklung, - 3.
die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere die Bedürfnisse der Familien, der jungen, alten und behinderten Menschen, unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen und Männer sowie die Belange des Bildungswesens und von Sport, Freizeit und Erholung, - 4.
die Erhaltung, Erneuerung, Fortentwicklung, Anpassung und der Umbau vorhandener Ortsteile sowie die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche, - 5.
die Belange der Baukultur, des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege, die erhaltenswerten Ortsteile, Straßen und Plätze von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung und die Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes, - 6.
die von den Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts festgestellten Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge, - 7.
die Belange des Umweltschutzes, einschließlich des Naturschutzes und der Landschaftspflege, insbesondere - a)
die Auswirkungen auf Tiere, Pflanzen, Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima und das Wirkungsgefüge zwischen ihnen sowie die Landschaft und die biologische Vielfalt, - b)
die Erhaltungsziele und der Schutzzweck der Natura 2000-Gebiete im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes, - c)
umweltbezogene Auswirkungen auf den Menschen und seine Gesundheit sowie die Bevölkerung insgesamt, - d)
umweltbezogene Auswirkungen auf Kulturgüter und sonstige Sachgüter, - e)
die Vermeidung von Emissionen sowie der sachgerechte Umgang mit Abfällen und Abwässern, - f)
die Nutzung erneuerbarer Energien sowie die sparsame und effiziente Nutzung von Energie, - g)
die Darstellungen von Landschaftsplänen sowie von sonstigen Plänen, insbesondere des Wasser-, Abfall- und Immissionsschutzrechts, - h)
die Erhaltung der bestmöglichen Luftqualität in Gebieten, in denen die durch Rechtsverordnung zur Erfüllung von Rechtsakten der Europäischen Union festgelegten Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden, - i)
die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Belangen des Umweltschutzes nach den Buchstaben a bis d, - j)
unbeschadet des § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, die Auswirkungen, die aufgrund der Anfälligkeit der nach dem Bebauungsplan zulässigen Vorhaben für schwere Unfälle oder Katastrophen zu erwarten sind, auf die Belange nach den Buchstaben a bis d und i,
- 8.
die Belange - a)
der Wirtschaft, auch ihrer mittelständischen Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung, - b)
der Land- und Forstwirtschaft, - c)
der Erhaltung, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen, - d)
des Post- und Telekommunikationswesens, insbesondere des Mobilfunkausbaus, - e)
der Versorgung, insbesondere mit Energie und Wasser, einschließlich der Versorgungssicherheit, - f)
der Sicherung von Rohstoffvorkommen,
- 9.
die Belange des Personen- und Güterverkehrs und der Mobilität der Bevölkerung, auch im Hinblick auf die Entwicklungen beim Betrieb von Kraftfahrzeugen, etwa der Elektromobilität, einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs und des nicht motorisierten Verkehrs, unter besonderer Berücksichtigung einer auf Vermeidung und Verringerung von Verkehr ausgerichteten städtebaulichen Entwicklung, - 10.
die Belange der Verteidigung und des Zivilschutzes sowie der zivilen Anschlussnutzung von Militärliegenschaften, - 11.
die Ergebnisse eines von der Gemeinde beschlossenen städtebaulichen Entwicklungskonzeptes oder einer von ihr beschlossenen sonstigen städtebaulichen Planung, - 12.
die Belange des Küsten- oder Hochwasserschutzes und der Hochwasservorsorge, insbesondere die Vermeidung und Verringerung von Hochwasserschäden, - 13.
die Belange von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden und ihrer Unterbringung, - 14.
die ausreichende Versorgung mit Grün- und Freiflächen.
(7) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen.
(8) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs über die Aufstellung von Bauleitplänen gelten auch für ihre Änderung, Ergänzung und Aufhebung.
(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.
(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung
- 1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient: - a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs, - b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder - c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
- 2.
städtebaulich vertretbar ist und - 3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
(4) Die Gemeinde kann durch Satzung
- 1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, - 2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, - 3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.
(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
Tenor
I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München
II.
Die Kostenentscheidung bleibt der neuen Entscheidung vorbehalten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
II.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
Tenor
I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München
II.
Die Kostenentscheidung bleibt der neuen Entscheidung vorbehalten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
II.
(1) Durch die Planfeststellung wird die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt; neben der Planfeststellung sind andere behördliche Entscheidungen, insbesondere öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse, Bewilligungen, Zustimmungen und Planfeststellungen nicht erforderlich. Durch die Planfeststellung werden alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt.
(1a) Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Erhebliche Mängel bei der Abwägung oder eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften führen nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung, wenn sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können; die §§ 45 und 46 bleiben unberührt.
(2) Ist der Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar geworden, so sind Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausgeschlossen. Treten nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines anderen erst nach Unanfechtbarkeit des Plans auf, so kann der Betroffene Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche die nachteiligen Wirkungen ausschließen. Sie sind dem Träger des Vorhabens durch Beschluss der Planfeststellungsbehörde aufzuerlegen. Sind solche Vorkehrungen oder Anlagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, so richtet sich der Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld. Werden Vorkehrungen oder Anlagen im Sinne des Satzes 2 notwendig, weil nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens auf einem benachbarten Grundstück Veränderungen eingetreten sind, so hat die hierdurch entstehenden Kosten der Eigentümer des benachbarten Grundstücks zu tragen, es sei denn, dass die Veränderungen durch natürliche Ereignisse oder höhere Gewalt verursacht worden sind; Satz 4 ist nicht anzuwenden.
(3) Anträge, mit denen Ansprüche auf Herstellung von Einrichtungen oder auf angemessene Entschädigung nach Absatz 2 Satz 2 und 4 geltend gemacht werden, sind schriftlich an die Planfeststellungsbehörde zu richten. Sie sind nur innerhalb von drei Jahren nach dem Zeitpunkt zulässig, zu dem der Betroffene von den nachteiligen Wirkungen des dem unanfechtbar festgestellten Plan entsprechenden Vorhabens oder der Anlage Kenntnis erhalten hat; sie sind ausgeschlossen, wenn nach Herstellung des dem Plan entsprechenden Zustands 30 Jahre verstrichen sind.
(4) Wird mit der Durchführung des Plans nicht innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen, so tritt er außer Kraft. Als Beginn der Durchführung des Plans gilt jede erstmals nach außen erkennbare Tätigkeit von mehr als nur geringfügiger Bedeutung zur plangemäßen Verwirklichung des Vorhabens; eine spätere Unterbrechung der Verwirklichung des Vorhabens berührt den Beginn der Durchführung nicht.
(1) Beamtinnen und Beamte können für Zwecke der Verteidigung auch ohne ihre Zustimmung zu einem anderen Dienstherrn abgeordnet oder zur Dienstleistung bei über- oder zwischenstaatlichen zivilen Dienststellen verpflichtet werden.
(2) Beamtinnen und Beamten können für Zwecke der Verteidigung auch Aufgaben übertragen werden, die nicht ihrem Amt oder ihrer Laufbahnbefähigung entsprechen, sofern ihnen die Übernahme nach ihrer Vor- und Ausbildung und im Hinblick auf die Ausnahmesituation zumutbar ist. Aufgaben einer Laufbahn mit geringeren Zugangsvoraussetzungen dürfen ihnen nur übertragen werden, wenn dies aus dienstlichen Gründen unabweisbar ist.
(3) Beamtinnen und Beamte haben bei der Erfüllung der ihnen für Zwecke der Verteidigung übertragenen Aufgaben Gefahren und Erschwernisse auf sich zu nehmen, soweit diese ihnen nach den Umständen und den persönlichen Verhältnissen zugemutet werden können.
(4) Beamtinnen und Beamte sind bei einer Verlegung ihrer Behörde oder Dienststelle auch in das Ausland zur Dienstleistung am neuen Dienstort verpflichtet.
(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden. Gleiches gilt für Werte in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nach § 48 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erlassen worden sind und den Stand der Technik wiedergeben.
(2) Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.
(3) Die Zuführung durch eine besondere Leitung ist unzulässig.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
Gründe
- 1
-
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
- 2
-
1. Das Beschwerdevorbringen lässt nicht erkennen, dass die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
- 3
-
a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht deswegen verfahrensfehlerhaft, weil der Verwaltungsgerichtshof, nachdem er die Beteiligten hierzu angehört hat, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Verfahren gemäß § 130a VwGO entschieden hat.
- 4
-
Ob ein Berufungsgericht den ihm gemäß § 130a VwGO eröffneten Weg einer Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist; dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sache ein im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigender wesentlicher Gesichtspunkt (stRspr, vgl. Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213 f.> = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 64 S. 52 f. und Beschluss vom 27. Januar 2011 - BVerwG 3 B 63.10 - NJW 2011, 1830 Rn. 8). Hiernach erweist sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs für das Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO nicht als sachfremd oder grob fehlerhaft, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Streitfall einen außergewöhnlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Dass der Kläger einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich.
- 5
-
Der Verwaltungsgerichtshof war - entgegen der Ansicht der Beschwerde - nicht deshalb an einem Vorgehen gemäß § 130a VwGO gehindert, weil er die Frage der Verjährung der streitgegenständlichen Straßenbeitragsforderung ohne erneute Anhörung der vom Verwaltungsgericht zur Frage der Abnahme der Baumaßnahme gehörten Zeugen beurteilt hat, und zwar mit gegenteiligem Ergebnis als das Verwaltungsgericht. Darin liegt insbesondere kein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO).
- 6
-
Eine in der Vorinstanz durchgeführte Beweisaufnahme braucht vom Rechtsmittelgericht grundsätzlich nicht wiederholt zu werden. Namentlich für den Zeugenbeweis folgt aus § 98 VwGO i.V.m. § 398 Abs. 1 ZPO, wonach die erneute Zeugenvernehmung im Ermessen des Gerichts steht, dass ein bereits in der ersten Instanz gehörter Zeuge nicht stets in der Berufungsinstanz erneut zu vernehmen ist. Das Berufungsgericht darf seine Entscheidung vielmehr grundsätzlich ohne erneute Vernehmung auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme stützen (vgl. Beschlüsse vom 11. November 1991 - BVerwG 7 B 123.91 - juris Rn. 3 und vom 6. Januar 2011 - BVerwG 4 B 51.10- juris Rn. 16; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 96 Rn. 8). Zur erneuten Beweisaufnahme verpflichtet ist das Berufungsgericht dagegen, wenn es an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen der Vorinstanz zweifelt, insbesondere wenn es die Glaubwürdigkeit eines Zeugen abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2004 - 1 BvR 1935/03 - NJW 2005, 1487). Das ist hier nicht der Fall. Der Verwaltungsgerichtshof hat weder die Richtigkeit noch die Vollständigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts noch die Glaubwürdigkeit der Zeugen angezweifelt, sondern ist von der im erstinstanzlichen Urteil niedergelegten Tatsachengrundlage ausgegangen, namentlich von den vom Verwaltungsgericht im Ortstermin vom 7. November 2008 protokollierten Feststellungen und Bekundungen sowie von den Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2008 vernommenen (sachverständigen) Zeugen. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber dahin erkannt, dass diese Tatsachenfeststellungen nicht die vom Verwaltungsgericht gezogene rechtliche Schlussfolgerung tragen. Er hat bei gleicher Tatsachengrundlage diese lediglich rechtlich anders beurteilt.
- 7
-
Der Verwaltungsgerichtshof hat entscheidungstragend angenommen, dass die Beitragsforderung der Beklagten bei Erlass des angefochtenen Bescheides noch nicht verjährt war. Die streitgegenständliche Straße sei nicht bereits im Dezember 2001 fertiggestellt gewesen. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei die im Dezember 2001 erfolgte Begehung der Baustelle noch keine förmliche Abnahme im Rechtsinne gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies eingehend und u.a. damit begründet (BA S. 10 ff.), dass es bereits an den entsprechenden formellen Voraussetzungen fehle, namentlich an einem schriftlichen Abnahmebefund, dass die bei der erwähnten Begehung besprochenen Punkte (u.a. betreffend die noch ausstehenden Arbeiten am Straßenbegleitgrün) im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2002 erledigt und im Wesentlichen durch Rechnung des Bauunternehmers vom 30. August 2002 besonders berechnet worden seien. Dieses Ergebnis sei - ungeachtet von Unterschieden im Detail - auch von den vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen bestätigt worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Baumaßnahme schon abgeschlossen sein sollte und die im Dezember 2001 übersandte Rechnung des Bauunternehmers bereits die Schlussrechnung darstellen sollte, ergäben sich aus keiner der Aussagen; vielmehr hätten die Zeugen übereinstimmend bekundet, dass diese Rechnung wegen der zum Jahresende anstehenden Währungsumstellung von DM auf Euro erteilt worden sei. Der maßgebliche Unterschied zwischen den Entscheidungen von Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof liegt - bei gleicher Tatsachengrundlage - mithin darin, dass Letzterer die Begehung der Baustelle im Dezember 2001 rechtlich als bloße Teilabnahme gewertet hat, weil das, was bei dieser Begehung als für eine vollständige Fertigstellung gemäß Bauprogramm noch fehlend festgestellt wurde, nicht abgenommen sein könne. Diese allein in rechtlicher Hinsicht abweichende Beurteilung der Zeugenaussagen und der vorliegenden Rechnungen durch den Verwaltungsgerichtshof liegt - noch - innerhalb der nach den dargestellten Maßstäben einem Berufungsgericht gezogenen verfahrensrechtlichen Grenzen. Daher liegt in der fehlenden Vernehmung der von der Beschwerde genannten Zeugen durch den Verwaltungsgerichtshof auch keine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).
- 8
-
b) Ein Verfahrensfehler durch Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
- 9
-
aa) Da der Verwaltungsgerichtshof seine Auffassung zur Frage der Verjährung den Beteiligten bereits im Beschluss vom 18. August 2009 über die Zulassung der Berufung dargelegt hat, stellt die Berufungsentscheidung auch unter dem Gesichtspunkt des Verbots einer Überraschungsentscheidung keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dar (vgl. dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juni 2003 - 1 BvR 2285/02 - NJW 2003, 2524).
- 10
-
bb) Die Beschwerde rügt ferner, dass der Verwaltungsgerichtshof einem Antrag des Klägers auf Akteneinsicht in beigezogene bzw. noch beizuziehende Verwaltungs- und Gerichtsakten nicht entsprochen hätte. Dieser Vorwurf ist nach Aktenlage unzutreffend. Nachdem sich der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bestellt und mit Schriftsatz vom 15. Februar 2011 um Zurverfügungstellung näher bezeichneter Unterlagen gebeten hatte, sind ihm im Parallelverfahren 5 A 2499/09 auf richterliche Anordnung vom 16. Februar 2011 unter demselben Datum sämtliche zu diesem Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge und eine weitere Gerichtsakte übersandt worden; gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, dass der Senat für eine Beiziehung weiterer Unterlagen derzeit keinen Anlass sehe. Selbst wenn hiernach der Umfang der Aktenüberlassung bzw. -beiziehung dem Wunsch des Klägers nicht vollständig entsprach, wäre es Sache des Klägers gewesen, substantiiert darzutun, dass und warum er die Beiziehung weiterer Unterlagen für erforderlich hielt, und dies beim Verwaltungsgerichtshof einzufordern. Dies hat der Kläger indes nicht getan; weder bei der Rückübersendung der übersandten Akten (Schriftsatz vom 17. März 2011) noch in dem weiteren Schriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof vom 29. April 2011 ist er hierauf zurückgekommen. Ein Gehörsverstoß bzw. eine Verletzung des Akteneinsichtsrechts nach § 100 VwGO liegt nicht vor, wenn der Betroffene es im vorinstanzlichen Verfahren selbst in der Hand hatte, den nunmehr behaupteten Verfahrensmangel zu vermeiden.
- 11
-
cc) Der wesentliche Gehalt der klägerischen Ausführungen im Schriftsatz vom 29. April 2011 zu weiteren Einwänden gegen die Beitragserhebung, ist im angefochtenen Beschluss unter I. der Gründe (BA ab S. 4 unten) aufgeführt, vom Verwaltungsgerichtshof also zur Kenntnis genommen und unter II. der Gründe beschieden worden, soweit der Verwaltungsgerichtshof sie für entscheidungserheblich gehalten hat. Eine weitergehende Befassung mit Einzelaspekten der Grundstücke der zur Beitragszahlung herangezogenen Straßenanlieger hat er aufgrund seiner rechtlichen Beurteilung nicht für erforderlich gehalten. Auch insoweit ist für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nichts ersichtlich. Denn dieser verpflichtet ein Gericht nicht, in der zu treffenden Entscheidung auf jedwedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich einzugehen und dieses im Einzelnen zu bescheiden, namentlich wenn es das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen durfte (stRspr, vgl. etwa die Beschlüsse vom 22. Mai 2006 - BVerwG 10 B 9.06 - NJW 2006, 2648 <2650> und vom 23. Juni 2008 - BVerwG 9 VR 13.08 - NVwZ 2008, 1027 <1028>, jeweils m.w.N.).
- 12
-
dd) Entgegen der Ansicht der Beschwerde war der Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu weiteren rechtlichen Hinweisen (§ 86 Abs. 3 VwGO) an den Kläger verpflichtet. Angesichts der rechtlichen Ausführungen im Beschluss über die Zulassung der Berufung vom 18. August 2009 und im Vergleichsvorschlag des Berichterstatters vom 29. November 2010, ferner angesichts des Anhörungsschreibens gemäß § 130a VwGO vom 28. März 2011 sowie der Mitteilung vom 2. Mai 2011, dass auch in Ansehung des klägerischen Schriftsatzes vom 29. April 2011 an der Absicht festgehalten werde, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, bestand für weitere Hinweise kein Anlass.
- 13
-
2. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) scheidet ebenfalls aus.
- 14
-
Insoweit genügt das Beschwerdevorbringen trotz seines Umfangs nicht den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), weil es sich in der Art eines zulassungsfreien oder zugelassenen Rechtsmittels in Angriffen gegen die tatsächliche und rechtliche Beurteilung des Streitfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erschöpft, ohne bestimmte, höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfragen des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung zu formulieren (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14). Dafür genügt nicht der bloße Hinweis, dass "die Frage der Verjährung und der Verwirkung sowie die Kompensation, Treu und Glauben und Unbilligkeit (...) straßenbeitragsrechtlich nicht ausreichend durch die Rechtsprechung geklärt" seien, was durch die Ausführungen der Beschwerde verdeutlicht werde (Beschwerdebegründung S. 32 unten). Einer Befassung mit den genannten Fragen in einem Revisionsverfahren steht im Übrigen entgegen, dass sie nicht revisibles Recht betreffen, weil sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Straßenbeitragsbescheids nach hessischem Landesrecht (§ 11 HessKAG) richtet. Dies gilt auch für die durch den Rechtsanwendungsbefehl in § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b HessKAG in Bezug genommenen Verjährungsvorschriften der Abgabenordnung sowie für die in Ergänzung des Landesrechts angewandten allgemeinen Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben und der Verwirkung; sie alle werden dadurch Teil des irrevisiblen Landesrechts (stRspr, vgl. Urteil vom 19. März 2009 - BVerwG 9 C 10.08 - Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 135 S. 8 und Beschluss vom 1. April 2004 - BVerwG 4 B 17.04 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 21 S. 6). Sie können daher nicht Maßstab revisionsgerichtlicher Prüfung sein (§ 137 Abs. 1 VwGO).
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.
(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.
(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.
(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
Gründe
- 1
-
1. Der Kläger, ein Oberstudienrat im Dienst des Beklagten, begehrt die Verpflichtung des Beklagten, das bei ihm bestehende Krankheitsbild als Dienstunfall im Sinne des § 31 Abs. 1 BeamtVG bzw. als Berufskrankheit im Sinne des § 31 Abs. 3 BeamtVG anzuerkennen. Der Kläger macht geltend, der bei ihm festgestellte Zustand nach Schadstoffbelastung mit Gleichgewichtsstörungen, Muskel- und Gelenkbeschwerden, Ekzemen, Schwindelgefühlen, Sehkraftschwankungen, Ermüdbarkeit, Leistungsminderung, erheblichem Erschöpfungssyndrom und toxischer Polyneuropathie sei darauf zurückzuführen, dass er sich in der Zeit vom 7. bis 16. November 2005 mehrfach jeweils für 3 bis 10 Minuten in Klassenräumen aufgehalten habe, in denen die Raumluft wegen unsachgemäß verarbeiteter Silikonfugen beeinträchtigt gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Nach Zurückverweisung und Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers erneut mit der Begründung zurückgewiesen, es stehe nicht mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit fest, dass die beim Aushärten der Silikonfugen in die Raumluft abgegebenen Schadstoffe beim Kläger einen dienstunfallrechtlich erheblichen Körperschaden verursacht hätten. Zwar hätten die in der Raumluft im Schulgebäude enthaltenen Schadstoffe die beim Kläger aufgetretenen Schleimhautirritationen und ggf. auch kurzfristige weitere Beschwerden wie Schwindel und Übelkeit verursacht, nicht jedoch die weiteren Gesundheitsbeeinträchtigungen, unter denen er leide. Der Anerkennung als Berufskrankheit nach § 31 Abs. 3 BeamtVG stehe zum einen entgegen, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Krankheitsbild des Klägers und der Schadstoffexposition nicht gegeben sei. Zum anderen zählten die beim Kläger festgestellten Erkrankungen nicht zu den Berufskrankheiten.
- 2
-
2. Die allein auf Verfahrensfehler gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat keinen Erfolg.
- 3
-
a) Soweit der Kläger den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 10. Februar 2011 unmittelbar angreift, mit dem es sein Ablehnungsgesuch gegen den vom Gericht bestellten Sachverständigen erneut abgelehnt hat, ist die Verfahrensrüge unzulässig (Beschluss vom 16. Februar 1988 - BVerwG 5 B 13.88 - Buchholz 303 § 548 ZPO Nr. 4). Denn die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts könnte insoweit einer Überprüfung im Revisionsverfahren nicht unterzogen werden. Nach § 557 Abs. 2 ZPO, der nach § 173 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden ist, unterliegen die dem Endurteil vorausgehenden Entscheidungen nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts, wenn sie unanfechtbar sind. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn ein Oberverwaltungsgericht nach § 98 VwGO i.V.m. § 406 ZPO die Ablehnung eines Sachverständigen für unbegründet erklärt. Denn eine solche Vorentscheidung kann nach § 152 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
- 4
-
b) Unbegründet ist die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe die ihm nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegende Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es seinem Urteil lediglich das Gutachten und die mündlichen Erläuterungen des von ihm bestellten Gutachters zugrunde gelegt und kein weiteres Gutachten eingeholt hat.
- 5
-
In der Berufungsverhandlung vom 25. Februar 2011 hat der Kläger nicht den Antrag im Sinne von § 86 Abs. 2 VwGO gestellt, seinen behandelnden Arzt als sachverständigen Zeugen zu hören oder ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen. Der dort von ihm hilfsweise gestellte Antrag, zu den entscheidungserheblichen medizinischen Fragestellungen ein weiteres Gutachten einzuholen, regt lediglich eine weitere Aufklärung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO an.
- 6
-
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entscheidet das Tatsachengericht über die Einholung eines weiteren Gutachtens oder die Ergänzung vorhandener Gutachten nach seinem Ermessen (z.B. Urteil vom 6. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31; Beschluss vom 24. März 2000 - BVerwG 9 B 530.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308). Das gilt auch dann, wenn eine solche Maßnahme der Sachverhaltsermittlung von einer der Parteien angeregt worden ist. Die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Tatsachengericht im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen. Die unterlassene Einholung eines weiteren Gutachtens kann deshalb nur dann verfahrensfehlerhaft sein, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste. Das ist wiederum nur dann der Fall, wenn die vorliegenden Gutachten und die mündlichen Erläuterungen durch den Gutachter in der mündlichen Verhandlung ihren Zweck nicht zu erfüllen vermögen, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Dies kommt dann in Betracht, wenn die dem Gericht vorliegenden Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht ( vgl. u.a. Urteile vom 19. Dezember 1968 - BVerwG 8 C 29.67 - BVerwGE 31, 149 <156> und vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <45> m.w.N. sowie Beschluss vom 19. Februar 2007 - BVerwG 2 B 19.07 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 49). Danach musste sich hier dem Oberverwaltungsgericht eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch Einholung eines weiteren Gutachtens nicht aufdrängen.
- 7
-
Das Gericht hat dem von ihm bestellten Gutachter die Stellungnahme des den Kläger behandelnden Arztes vom 2. Februar 2011 übermittelt und ihn aufgefordert, die dort angesprochenen Gesichtspunkte bei seiner Vorbereitung für die erneute Berufungsverhandlung zu berücksichtigen. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2011 hat der Sachverständige bei der Erläuterung seiner Gutachten auch die von dem behandelnden Arzt diskutierten Aspekte erörtert. Nach dem Protokoll über die mündliche Verhandlung hatten die Vertreter der Beteiligten im Anschluss an die Darlegungen des Gutachters keine weiteren Fragen.
- 8
-
Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung zu dem vom Kläger gegen den Sachverständigen gestellten Befangenheitsantrag geben keinen Anlass, an dessen Unparteilichkeit zu zweifeln. Die Behauptung, der Sachverständige sei ein langjähriger Gegner des den Kläger behandelnden Arztes und habe diesem gegenüber eine negative Grundeinstellung, reicht hierfür nicht aus. Auch begründen die Behauptungen, vor mehr als zehn Jahren hätten mehr als 20 Personen Strafanzeigen gegen den Gutachter wegen Erstellung von Falschgutachten erstattet und es habe der Vorwurf im Raum gestanden, Gutachten seien "am Fließband" und ohne sachliche Beschäftigung mit dem Thema erstellt worden, keine Zweifel an der Sachkunde des Gutachters, die die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 86 Abs. 1 VwGO hätten erforderlich erscheinen lassen.
- 9
-
Im Übrigen ist das Tatsachengericht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz seiner Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, grundsätzlich nicht verpflichtet, eine Beweiserhebung vorzunehmen, die eine anwaltlich vertretene Partei - entsprechend ihrer Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhalts - nicht beantragt hat (z.B. Urteil vom 22. Februar 1996 - BVerwG 2 C 12.94 - Buchholz 237.6 § 86 NdsLBG Nr. 4). Nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der anwaltlich vertretene Kläger entsprechende Beweisanträge nicht gestellt. Gründe, aus denen sich hier die von der Beschwerde vermisste Beweiserhebung dem Berufungsgericht auf der Grundlage seiner materiellen Rechtsauffassung - auf die es hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Aufklärungspflicht ankommt - von sich aus hätten aufdrängen müssen, sind von der Beschwerde nicht vorgetragen.
- 10
-
c) Das Oberverwaltungsgericht hat auch nicht das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO). Denn das Oberverwaltungsgericht hat die vom Kläger gegen die Gutachten des Sachverständigen erhobenen Einwände zur Kenntnis genommen. Die vom Kläger gegen das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 16. Dezember 2010 erhobenen Bedenken wurden in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht erörtert und in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils eingehend gewürdigt.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Fabrikhalle in ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten.
- 2
-
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Holzbearbeitungsunternehmen betreibt. Auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück des Beigeladenen steht eine nicht mehr genutzte Fabrikhalle, die mit dem Betriebsgebäude des Klägers baulich verbunden ist. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Beklagten, der ein allgemeines Wohngebiet ausweist und für die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen erweiterten "Bestandsschutz gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO für bestehende Nutzung" festsetzt. Aus einem von der Beklagten im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich, dass die im Betrieb des Klägers vorhandenen Schallquellen an der nächstgelegenen Seite des Gebäudes des Beigeladenen Beurteilungspegel bis 70 dB(A) hervorrufen.
- 3
-
Die Baugenehmigung erteilte die Beklagte "nach Maßgabe der beigefügten geprüften Bauvorlagen". In einer mit einem Grünstempel versehenen schalltechnischen Untersuchung eines Ingenieurbüros heißt es, zur Beurteilung der Geräuschimmissionen des Betriebs des Klägers würden in Abstimmung mit der Beklagten die Beurteilungspegel des im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachtens herangezogen. In Abstimmung mit der Beklagten würden im Hinblick auf die ausschließlich an einer Seite des Gebäudes des Beigeladenen auftretende Überschreitung des Immissionsrichtwerts tags um 10 dB(A) keine aktiven Schallschutzmaßnahmen, sondern passive in Form von Schallschutzfenstern mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) für alle schutzbedürftigen Räume ausgearbeitet. Damit würden die Anhaltswerte für Innenschallpegel eingehalten. In einem ebenfalls grüngestempelten Schreiben des vom Beigeladenen beauftragten Planungsbüros an die Beklagte wird zur Ergänzung der Baubeschreibung ausgeführt, die Schallschutzmaßnahmen der schalltechnischen Untersuchung des Ingenieurbüros würden eingebaut und unterhalten.
- 4
-
Das die Baugenehmigung aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen geändert und die Klage abgewiesen. Weder bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans noch bei unterstellter Unwirksamkeit bestehe ein Aufhebungsanspruch des Klägers. Die genehmigte Wohnnutzung sei jedenfalls zulässig und verstoße nicht zum Nachteil des Klägers gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, das auch im Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans anwendbar sei, weil der Bebauungsplan den konkreten Immissionskonflikt nicht abschließend bewältige. Ob dem betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten seien, sei grundsätzlich anhand der TA Lärm zu bestimmen. Nach ihrer Nr. 6.1 sei am Wohnbauvorhaben des Beigeladenen an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden grundsätzlich der hier allein maßgebliche Tag-Immissionsrichtwert von 55 dB(A) einzuhalten. Dieser Wert sei in Anwendung von Nr. 6.1 c und Nr. 6.7 der TA Lärm auf einen "Mittelwert" von tagsüber 60 dB(A) zu erhöhen, weil sich das Wohnbauvorhaben in einer faktischen Gemengelage befinde. Ein solcher Wert lasse sich zwar nicht vollumfänglich einhalten. Das Rücksichtnahmegebot ermögliche und gebiete aber zusätzliche Differenzierungen mit der Folge, dass die grobmaschigen baugebietsbezogenen Richtwerte je nach Lage des Einzelfalls durch situationsbezogene Zumutbarkeitskriterien zu ergänzen seien. So sei ein Wohnbauvorhaben auf einem durch gewerblichen Lärm erheblich vorbelasteten Grundstück rücksichtslos und daher unzulässig, wenn bei seiner Verwirklichung auf naheliegende, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen verzichtet werde, welche eine erhebliche Lärmbetroffenheit der Wohnnutzung spürbar mindern würden. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO begründe insoweit eine Obliegenheit des Bauherrn zu "architektonischer Selbsthilfe", verlange aber auch vom Betreiber des - bestands-geschützten - emittierenden Gewerbebetriebs, auf die für das Nachbargrundstück festgesetzte (heranrückende) Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen. Welche Maßnahmen dem zur Rücksichtnahme auf seine Nachbarschaft verpflichteten Anlagenbetreiber zumutbar seien, bestimme sich nach den (dynamischen) Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Auch passiver Schallschutz könne ein zu berücksichtigender Baustein der "architektonischen Selbsthilfe" sein. Die im Gutachten des Ingenieurbüros vorgesehenen passiven Schallschutzmaßnahmen, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden seien und ausweislich der Erklärung von Beklagter und Beigeladenem in der mündlichen Verhandlung für alle schutzbedürftigen Räume einschließlich Loggia gälten, sicherten, dass die Anhaltswerte für Innenschallpegel in Wohnräumen von tags 30 bis 35 dB(A) und in Schlafräumen von 25 bis 30 dB(A) (Mittelungspegel) von schutzbedürftigen Räumen nach VDI 2179 eingehalten werden könnten.
- 5
-
Zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Vorinstanz gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass das Vorhaben trotz einer Überschreitung der (Außen-)Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 und Nr. 6.7 der TA Lärm aufgrund der festgesetzten passiven Schallschutzmaßnahmen zulässig sei. Passive Schallschutzmaßnahmen führten nicht zu einer Reduzierung des maßgeblichen Außen-Immissionsrichtwertes und seien nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig. Ohnehin sei das Rücksichtnahmegebot bereits in der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung aufgegangen, weil auch für den Konflikt zwischen den streitbefangenen Grundstücken der für andere Grundstücke festgesetzte Immissionswert von 60 dB(A) gelte. Außerdem verstoße die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht unter Verletzung der Aufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör den unter Beweis gestellten Sachvortrag, dass die Immissionsrichtwerte im Gebäudeinneren gemäß Nr. 6.2 der TA Lärm aufgrund der vorhandenen Gebäudeverbindung nicht eingehalten würden, zu Unrecht unbeachtet gelassen.
- 6
-
Beklagte und Beigeladener verteidigen das angegriffene Urteil.
- 7
-
Nach Ansicht der Beklagten zählen passive Schallschutzmaßnahmen zu den Mitteln der "architektonischen Selbsthilfe". Das ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Je nach den Umständen des Einzelfalls könne es - zumal wenn wie hier Außenwohnbereiche nicht betroffen seien - abwägungsfehlerfrei sein, eine Minderung der Immissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen.
- 8
-
Der Beigeladene hält den Bebauungsplan für unwirksam, weil er keine Konfliktlösung in Bezug auf sein Grundstück biete. Deswegen sei sein Vorhaben an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen. Es halte sich im vorgezeichneten Rahmen und verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Zum einen seien die Lärmgutachten von Betriebszuständen ausgegangen, die nicht dem Stand der Lärmminderungstechnik entsprächen und die, würden sie real ausgeführt, nach § 22 BImSchG untersagt werden könnten. Zum anderen seien die von ihm angebotenen und damit zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordenen Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe prinzipiell geeignet, im Rahmen einer Bewertung anhand des Gebotes der Rücksichtnahme Berücksichtigung zu finden. So würden die unmittelbar dem Grundstück des Klägers zugewandten Aufenthaltsräume während der Betriebszeiten ständig geschlossen gehalten und Fenster mit einem Schalldämmmaß ausgestattet, das die Einhaltung der Nr. 6.2 TA Lärm (Innenraumschutz) sicherstelle. Die Außenwohnbereiche befänden sich im Lärmschatten des Gebäudes.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht.
- 10
-
1. Die Verfahrensrügen des Klägers greifen allerdings nicht durch. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.
- 11
-
a) Mit seiner Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) macht der Kläger geltend, das Gericht hätte die Beschaffenheit des Verbindungstunnels zwischen den Gebäuden des Klägers und des Beigeladenen weiter aufklären müssen. Da er hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat, hätte er mit der Revision darlegen müssen, aus welchen Gründen sich der Vorinstanz die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu etwa Urteil vom 11. Juli 2002 - BVerwG 4 C 9.00 - Buchholz 451.17 § 12 EnergG Nr. 1 S. 12 f.). Das ist nicht geschehen. Aufgrund des - auch auf Nachfrage der Vorinstanz - lediglich allgemein gehaltenen und nicht gebäudebezogenen privatgutachterlichen Vorbringens des Klägers und der Feststellungen des Berichterstatters im Rahmen der Ortsbesichtigung ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass sich solche Aufklärungsmaßnahmen aufgedrängt hätten.
- 12
-
b) Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht erheben, wer sich rechtliches Gehör durch entsprechende Beweis- oder Vertagungsanträge in der mündlichen Verhandlung hätte verschaffen können (Beschluss vom 4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9 m.w.N.). Es ist weder dargelegt noch erkennbar, warum der Kläger dies im Hinblick auf die nach seiner Ansicht zeitlich und inhaltlich unzumutbare Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts zur Substantiierung seines Vorbringens zum Verbindungstunnel nicht getan hat.
- 13
-
2. Dass das Oberverwaltungsgericht die Bestimmtheit der angegriffenen Baugenehmigung auf der Grundlage seiner Auslegung dieses Verwaltungsakts bejaht hat, lässt ebenfalls keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen. Mit seiner Rüge eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz setzt der Kläger dieser Auslegung lediglich eine eigene Auslegung der Baugenehmigung gegenüber, aus der er ihre unzureichende Bestimmtheit ableitet. Die Auslegung eines Verwaltungsakts ist jedoch Sache des Tatsachengerichts und jedenfalls dann, wenn dieses sich - wie hier - dazu verhalten hat (Beschluss vom 6. April 2004 - BVerwG 4 B 2.04 - juris Rn. 8) und die Auslegung keinen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt (Urteil vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 6 C 36.11 - juris Rn. 26), der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen. Die Anforderungen des - revisiblen - Bestimmtheitsgebots (dazu etwa Urteil vom 2. Juli 2008 - BVerwG 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259 Rn. 11) hat das Oberverwaltungsgericht nicht verkannt. Soweit es dabei die Einbeziehung von grüngestempelten und damit eindeutig von der Behörde gekennzeichneten Antragsunterlagen des Beigeladenen sowie in der mündlichen Verhandlung abgegebenen und somit dem Kläger bekannten Erklärungen der Beklagten und des Beigeladenen als zulässig angesehen hat, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
- 14
-
3. Das Oberverwaltungsgericht durfte jedoch das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO nicht deswegen als gewahrt ansehen, weil der Beigeladene im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schallschutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen hat.
- 15
-
a) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Rücksichtnahmegebot im vorliegenden Fall unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans Anwendung findet. Der Einwand des Klägers, das Rücksichtnahmegebot sei im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans bereits aufgrund der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung des Ortsgesetzgebers "aufgezehrt" (vgl. hierzu Beschluss vom 11. Juli 1983 - BVerwG 4 B 123.81 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 54), greift nicht durch. Auch insoweit stellt der Kläger der bindenden und irrevisiblen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) lediglich seine eigene Auslegung gegenüber.
- 16
-
b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <318 f.> und vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <243>) stellt sich § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und als eine zulässige Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dar. Diese Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausgegangen.
- 17
-
c) Ebenfalls zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung die TA Lärm herangezogen. Obwohl aber nach seinen bindenden Feststellungen das genehmigte Wohnbauvorhaben gemessen an den Immissionsrichtwerten der Nr. 6.1 einschließlich Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 der TA Lärm an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden unzumutbaren Geräuschimmissionen ausgesetzt ist, hat das Oberverwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verneint, weil es angesichts der Vorbelastung des Vorhabengrundstücks durch gewerblichen Lärm noch Raum lasse, den gebotenen Interessenausgleich im Wege der architektonischen Selbsthilfe durch passive Schallschutzmaßnahmen zu bewirken. Diese Annahme verstößt gegen Bundesrecht.
- 18
-
aa) Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z.B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2) und Bewertungsspannen (z.B. A.2.5.3) Spielräume eröffnet (Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 m.w.N.).
- 19
-
Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundesimmissionsschutzrecht und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319 f.). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die TA Lärm enthalte lediglich Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von emittierenden Anlagen, regele aber nicht den Konflikt mit einer an eine latent störende gewerbliche Nutzung heranrückenden Wohnbebauung und sei deswegen für deren bauaufsichtliche Genehmigung nicht maßgeblich (so aber VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 5 S 1904/06 - NVwZ-RR 2007, 168 <169 f.>). Aus der Spiegelbildlichkeit der dargelegten gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Rücksichtnahmegebot für die konfligierenden Nutzungen ergibt sich vielmehr, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die - gemeinsame - Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststeht. Dass etwaige Lärmminderungspflichten, die sich aus der Anwendung der TA Lärm für den emittierenden Gewerbebetrieb ergeben können, nicht - etwa in Form einer Auflage - zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht werden können, steht nicht entgegen. Denn als Teil der vom Rücksichtnahmegebot geforderten Zuordnung der Nutzungen gehören die gebotenen Lärmminderungsmaßnahmen zur Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung und sind gegebenenfalls im Wege der §§ 24 und 22 BImSchG gegen den Gewerbebetrieb durchzusetzen. Auch aus der in der früheren Rechtsprechung des Senats verwendeten Formulierung, die TA Lärm gelte in diesen Fällen "nicht unmittelbar" (Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319), folgt nichts anderes. Der Senat hat hiermit keine Abstriche am Umfang ihrer Anwendbarkeit und Bindungswirkung verbunden.
- 20
-
bb) Passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung zwischen Gewerbe und Wohnen sieht die TA Lärm nicht vor. Nach ihrer Nr. 6.1 sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung außerhalb der betroffenen Gebäude gelegene Immissionsorte maßgeblich. Sie können durch passive Schallschutzmaßnahmen, wie sie die angefochtene Baugenehmigung vorschreibt, nicht beeinflusst werden. Aus Nr. 6.2 der TA Lärm folgt nichts anderes. Die Vorschrift regelt den Sonderfall der Körperschallübertragung und kann deswegen nicht als "Auffangregelung" verstanden werden, aus der abzuleiten wäre, dass letztlich maßgeblich auf - durch passive Schallschutzmaßnahmen beeinflussbare - Innen-Immissionswerte abzustellen ist. Soweit es - wie hier - um die Beurteilung von Luftschall geht, der über die Außenfassade einwirkt, sind die Außen-Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 anzuwenden (vgl. auch Feldhaus, Bundesimmissionsrecht, Bd. 4, Stand August 2012, Rn. 29 zu Nr. 6 TA Lärm).
- 21
-
cc) Auch die von der TA Lärm belassenen Spielräume bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze eröffnen nicht die Möglichkeit, der Überschreitung der Außen-Immissionsrichtwerte durch Anordnung von passivem Lärmschutz zu begegnen.
- 22
-
Entgegen der Ansicht des Beigeladenen kann insoweit nicht Nr. 3.2.2 der TA Lärm herangezogen werden, die eine ergänzende Prüfung im Sonderfall ermöglicht. Die Voraussetzungen der in Buchstaben a bis d genannten Umstände, bei deren Vorliegen eine solche Sonderfallprüfung "insbesondere" in Betracht kommt, sind nicht gegeben. Namentlich sind besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmission (Buchst. d) nicht schon dann zu bejahen, wenn sie von einer bestandskräftigen Genehmigung des emittierenden Gewerbebetriebs gedeckt ist. Auch begründet wegen des anzulegenden strengen Maßstabs für eine Sonderfallprüfung (Feldhaus a.a.O. Rn. 63 zu Nr. 3 TA Lärm) allein der Umstand, dass der Konflikt durch eine Gemengelage bedingt ist, noch keine besondere Standortbindung (Buchst. b).
- 23
-
Ein unbenannter Anwendungsfall der Regelung ist auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auszuschließen. Das folgt schon daraus, dass die insoweit allein in Betracht kommenden Umstände (Gemengelage, Vorbelastung, Prioritätsprinzip, konkrete Schutzwürdigkeit und Gebietsprägung) bereits Gegenstand der Regelung in Nr. 6.7 sind, die mit der Zwischenwertbildung eine auf die Gemengelagesituation und die genannten Umstände zugeschnittene Lösung enthält (vgl. auch Feldhaus a.a.O. m.w.N.). Es liegt fern, dass die TA Lärm für den Fall, dass - wie hier - trotz Zwischenwertbildung die Zumutbarkeit des Vorhabens nicht gewährleistet werden kann, aus denselben Gesichtspunkten einen zusätzlichen Spielraum für eine Lösung eröffnet, die, wie das Oberverwaltungsgericht nicht verkennt, die Rechtsordnung nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen unter strengen Voraussetzungen vorsieht.
- 24
-
Die Möglichkeit, einer Überschreitung der nach Nr. 6.1 und Nr. 6.7 maßgeblichen Immissionsrichtwerte mit passivem Lärmschutz zu begegnen, müsste auch das Schutzziel der TA Lärm verfehlen. Aus der Maßgeblichkeit der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3 des Anhangs der TA Lärm - bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes - ergibt sich, dass dieses Regelungswerk - anders als etwa für Verkehrsanlagen die 16. und 24. BImSchV - den Lärmkonflikt zwischen Gewerbe und schutzwürdiger (insbesondere Wohn-) Nutzung bereits an deren Außenwand und damit unabhängig von der Möglichkeit und Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen gelöst wissen will. Damit sichert die TA Lärm von vornherein für Wohnnutzungen einen Mindestwohnkomfort, der darin besteht, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen erweiterten Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommunikationssituation im Innern oder das Ruhebedürfnis und der Schlaf nachhaltig gestört werden können. Soweit andere Regelwerke wie die schon genannte 16. und 24. BImSchV passiven Lärmschutz zur Lösung des Nutzungskonflikts zulassen und damit einen geringeren Mindestwohnkomfort als Schutzziel zugrundelegen, beruht dies auf dem öffentlichen Interesse, das an den von diesen Regelungen erfassten (Verkehrs-)Anlagen besteht und weiterreichende Beschränkungen des Eigentumsinhalts zulasten der von Immissionen betroffenen Anliegern rechtfertigt.
- 25
-
Der von der TA Lärm gewährte Schutzstandard steht auch nicht zur Disposition des Lärmbetroffenen und kann nicht durch dessen Einverständnis mit passiven Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. Denn das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Das schließt es aus, das bei objektiver Betrachtung maßgebliche Schutzniveau auf das Maß zu senken, das der lärmbetroffene Bauwillige nach seiner persönlichen Einstellung bereit ist hinzunehmen (Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <324>).
- 26
-
dd) Schließlich bietet auch der Gesichtspunkt der architektonischen Selbsthilfe keine Rechtfertigung für die vom Oberverwaltungsgericht für zulässig angesehene Konfliktlösung mit Mitteln des passiven Lärmschutzes. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass sich aus dem Rücksichtnahmegebot die Obliegenheit des Bauherrn ergeben kann, durch Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe den Lärmkonflikt mit einem benachbarten Gewerbebetrieb in einer Weise zu lösen, die die Zumutbarkeit der ihn treffenden Immissionen gewährleistet und somit die Erteilung der Baugenehmigung für sein Vorhaben ermöglicht. Auf dieser Grundlage können dem Bauherrn im Anwendungsbereich der TA Lärm aber nur mit diesem Regelwerk vereinbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen abverlangt werden. Das schließt immissionsreduzierende Maßnahmen wie Veränderungen der Stellung des Gebäudes, des äußeren Zuschnitts des Hauses oder der Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, ohne Weiteres mit ein (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 323). Dasselbe gilt, soweit dies bauordnungsrechtlich zulässig ist, für den Einbau nicht zu öffnender Fenster (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2012 - BVerwG 4 BN 6.12 - juris), die keine relevanten Messpunkte im Sinne von Nr. 2.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A.1.3 ihres Anhangs darstellen. Passiver Lärmschutz als Mittel der architektonischen Selbsthilfe kann daher nur außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm und bei - hier nicht einschlägiger - Anwendung solcher Regelwerke in Betracht kommen, die diese Möglichkeit zulassen (vgl. Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - BVerwGE 128, 238 Rn. 16 f.).
- 27
-
4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze mit Blick auf die Bereitschaft des Beigeladenen, passiven Lärmschutz vorzusehen, unter Zugrundelegung derjenigen Lärmimmissionen ermittelt, die für das Grundstück des Beigeladenen im ungünstigsten Fall zu erwarten sind. Der Frage, welche Lärmminderungsmaßnahmen dem Kläger nach den (unter 3. b) dargelegten Vorgaben des Rücksichtnahmegebots obliegen, ist das Oberverwaltungsgericht nicht nachgegangen. Das wird es nachzuholen haben. Die dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Kläger insoweit zumutbaren Maßnahmen bestimmen sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG (Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <246 f.> m.w.N). Dass Möglichkeiten der Lärmminderung beim Gewerbebetrieb des Klägers, mit denen der nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Außen-Immissionswert von 60 dB(A) eingehalten werden könnte, schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen wären, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Auf die bestandskräftige Genehmigung seines Betriebs kann sich der Kläger gegenüber seinen dynamisch angelegten Grundpflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht berufen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O). Anders als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 21 f.) offenbar annimmt, sind diese Pflichten gegenüber - wie hier - heranrückender Wohnbebauung nicht von vornherein auf solche Lärmminderungsmaßnahmen beschränkt, zu denen der Gewerbebetrieb bereits gegenüber der vorhandenen Wohnbebauung verpflichtet gewesen wäre.
(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Fabrikhalle in ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten.
- 2
-
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Holzbearbeitungsunternehmen betreibt. Auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück des Beigeladenen steht eine nicht mehr genutzte Fabrikhalle, die mit dem Betriebsgebäude des Klägers baulich verbunden ist. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Beklagten, der ein allgemeines Wohngebiet ausweist und für die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen erweiterten "Bestandsschutz gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO für bestehende Nutzung" festsetzt. Aus einem von der Beklagten im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich, dass die im Betrieb des Klägers vorhandenen Schallquellen an der nächstgelegenen Seite des Gebäudes des Beigeladenen Beurteilungspegel bis 70 dB(A) hervorrufen.
- 3
-
Die Baugenehmigung erteilte die Beklagte "nach Maßgabe der beigefügten geprüften Bauvorlagen". In einer mit einem Grünstempel versehenen schalltechnischen Untersuchung eines Ingenieurbüros heißt es, zur Beurteilung der Geräuschimmissionen des Betriebs des Klägers würden in Abstimmung mit der Beklagten die Beurteilungspegel des im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachtens herangezogen. In Abstimmung mit der Beklagten würden im Hinblick auf die ausschließlich an einer Seite des Gebäudes des Beigeladenen auftretende Überschreitung des Immissionsrichtwerts tags um 10 dB(A) keine aktiven Schallschutzmaßnahmen, sondern passive in Form von Schallschutzfenstern mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) für alle schutzbedürftigen Räume ausgearbeitet. Damit würden die Anhaltswerte für Innenschallpegel eingehalten. In einem ebenfalls grüngestempelten Schreiben des vom Beigeladenen beauftragten Planungsbüros an die Beklagte wird zur Ergänzung der Baubeschreibung ausgeführt, die Schallschutzmaßnahmen der schalltechnischen Untersuchung des Ingenieurbüros würden eingebaut und unterhalten.
- 4
-
Das die Baugenehmigung aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen geändert und die Klage abgewiesen. Weder bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans noch bei unterstellter Unwirksamkeit bestehe ein Aufhebungsanspruch des Klägers. Die genehmigte Wohnnutzung sei jedenfalls zulässig und verstoße nicht zum Nachteil des Klägers gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, das auch im Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans anwendbar sei, weil der Bebauungsplan den konkreten Immissionskonflikt nicht abschließend bewältige. Ob dem betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten seien, sei grundsätzlich anhand der TA Lärm zu bestimmen. Nach ihrer Nr. 6.1 sei am Wohnbauvorhaben des Beigeladenen an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden grundsätzlich der hier allein maßgebliche Tag-Immissionsrichtwert von 55 dB(A) einzuhalten. Dieser Wert sei in Anwendung von Nr. 6.1 c und Nr. 6.7 der TA Lärm auf einen "Mittelwert" von tagsüber 60 dB(A) zu erhöhen, weil sich das Wohnbauvorhaben in einer faktischen Gemengelage befinde. Ein solcher Wert lasse sich zwar nicht vollumfänglich einhalten. Das Rücksichtnahmegebot ermögliche und gebiete aber zusätzliche Differenzierungen mit der Folge, dass die grobmaschigen baugebietsbezogenen Richtwerte je nach Lage des Einzelfalls durch situationsbezogene Zumutbarkeitskriterien zu ergänzen seien. So sei ein Wohnbauvorhaben auf einem durch gewerblichen Lärm erheblich vorbelasteten Grundstück rücksichtslos und daher unzulässig, wenn bei seiner Verwirklichung auf naheliegende, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen verzichtet werde, welche eine erhebliche Lärmbetroffenheit der Wohnnutzung spürbar mindern würden. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO begründe insoweit eine Obliegenheit des Bauherrn zu "architektonischer Selbsthilfe", verlange aber auch vom Betreiber des - bestands-geschützten - emittierenden Gewerbebetriebs, auf die für das Nachbargrundstück festgesetzte (heranrückende) Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen. Welche Maßnahmen dem zur Rücksichtnahme auf seine Nachbarschaft verpflichteten Anlagenbetreiber zumutbar seien, bestimme sich nach den (dynamischen) Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Auch passiver Schallschutz könne ein zu berücksichtigender Baustein der "architektonischen Selbsthilfe" sein. Die im Gutachten des Ingenieurbüros vorgesehenen passiven Schallschutzmaßnahmen, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden seien und ausweislich der Erklärung von Beklagter und Beigeladenem in der mündlichen Verhandlung für alle schutzbedürftigen Räume einschließlich Loggia gälten, sicherten, dass die Anhaltswerte für Innenschallpegel in Wohnräumen von tags 30 bis 35 dB(A) und in Schlafräumen von 25 bis 30 dB(A) (Mittelungspegel) von schutzbedürftigen Räumen nach VDI 2179 eingehalten werden könnten.
- 5
-
Zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Vorinstanz gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass das Vorhaben trotz einer Überschreitung der (Außen-)Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 und Nr. 6.7 der TA Lärm aufgrund der festgesetzten passiven Schallschutzmaßnahmen zulässig sei. Passive Schallschutzmaßnahmen führten nicht zu einer Reduzierung des maßgeblichen Außen-Immissionsrichtwertes und seien nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig. Ohnehin sei das Rücksichtnahmegebot bereits in der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung aufgegangen, weil auch für den Konflikt zwischen den streitbefangenen Grundstücken der für andere Grundstücke festgesetzte Immissionswert von 60 dB(A) gelte. Außerdem verstoße die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht unter Verletzung der Aufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör den unter Beweis gestellten Sachvortrag, dass die Immissionsrichtwerte im Gebäudeinneren gemäß Nr. 6.2 der TA Lärm aufgrund der vorhandenen Gebäudeverbindung nicht eingehalten würden, zu Unrecht unbeachtet gelassen.
- 6
-
Beklagte und Beigeladener verteidigen das angegriffene Urteil.
- 7
-
Nach Ansicht der Beklagten zählen passive Schallschutzmaßnahmen zu den Mitteln der "architektonischen Selbsthilfe". Das ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Je nach den Umständen des Einzelfalls könne es - zumal wenn wie hier Außenwohnbereiche nicht betroffen seien - abwägungsfehlerfrei sein, eine Minderung der Immissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen.
- 8
-
Der Beigeladene hält den Bebauungsplan für unwirksam, weil er keine Konfliktlösung in Bezug auf sein Grundstück biete. Deswegen sei sein Vorhaben an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen. Es halte sich im vorgezeichneten Rahmen und verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Zum einen seien die Lärmgutachten von Betriebszuständen ausgegangen, die nicht dem Stand der Lärmminderungstechnik entsprächen und die, würden sie real ausgeführt, nach § 22 BImSchG untersagt werden könnten. Zum anderen seien die von ihm angebotenen und damit zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordenen Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe prinzipiell geeignet, im Rahmen einer Bewertung anhand des Gebotes der Rücksichtnahme Berücksichtigung zu finden. So würden die unmittelbar dem Grundstück des Klägers zugewandten Aufenthaltsräume während der Betriebszeiten ständig geschlossen gehalten und Fenster mit einem Schalldämmmaß ausgestattet, das die Einhaltung der Nr. 6.2 TA Lärm (Innenraumschutz) sicherstelle. Die Außenwohnbereiche befänden sich im Lärmschatten des Gebäudes.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht.
- 10
-
1. Die Verfahrensrügen des Klägers greifen allerdings nicht durch. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.
- 11
-
a) Mit seiner Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) macht der Kläger geltend, das Gericht hätte die Beschaffenheit des Verbindungstunnels zwischen den Gebäuden des Klägers und des Beigeladenen weiter aufklären müssen. Da er hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat, hätte er mit der Revision darlegen müssen, aus welchen Gründen sich der Vorinstanz die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu etwa Urteil vom 11. Juli 2002 - BVerwG 4 C 9.00 - Buchholz 451.17 § 12 EnergG Nr. 1 S. 12 f.). Das ist nicht geschehen. Aufgrund des - auch auf Nachfrage der Vorinstanz - lediglich allgemein gehaltenen und nicht gebäudebezogenen privatgutachterlichen Vorbringens des Klägers und der Feststellungen des Berichterstatters im Rahmen der Ortsbesichtigung ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass sich solche Aufklärungsmaßnahmen aufgedrängt hätten.
- 12
-
b) Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht erheben, wer sich rechtliches Gehör durch entsprechende Beweis- oder Vertagungsanträge in der mündlichen Verhandlung hätte verschaffen können (Beschluss vom 4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9 m.w.N.). Es ist weder dargelegt noch erkennbar, warum der Kläger dies im Hinblick auf die nach seiner Ansicht zeitlich und inhaltlich unzumutbare Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts zur Substantiierung seines Vorbringens zum Verbindungstunnel nicht getan hat.
- 13
-
2. Dass das Oberverwaltungsgericht die Bestimmtheit der angegriffenen Baugenehmigung auf der Grundlage seiner Auslegung dieses Verwaltungsakts bejaht hat, lässt ebenfalls keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen. Mit seiner Rüge eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz setzt der Kläger dieser Auslegung lediglich eine eigene Auslegung der Baugenehmigung gegenüber, aus der er ihre unzureichende Bestimmtheit ableitet. Die Auslegung eines Verwaltungsakts ist jedoch Sache des Tatsachengerichts und jedenfalls dann, wenn dieses sich - wie hier - dazu verhalten hat (Beschluss vom 6. April 2004 - BVerwG 4 B 2.04 - juris Rn. 8) und die Auslegung keinen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt (Urteil vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 6 C 36.11 - juris Rn. 26), der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen. Die Anforderungen des - revisiblen - Bestimmtheitsgebots (dazu etwa Urteil vom 2. Juli 2008 - BVerwG 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259 Rn. 11) hat das Oberverwaltungsgericht nicht verkannt. Soweit es dabei die Einbeziehung von grüngestempelten und damit eindeutig von der Behörde gekennzeichneten Antragsunterlagen des Beigeladenen sowie in der mündlichen Verhandlung abgegebenen und somit dem Kläger bekannten Erklärungen der Beklagten und des Beigeladenen als zulässig angesehen hat, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
- 14
-
3. Das Oberverwaltungsgericht durfte jedoch das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO nicht deswegen als gewahrt ansehen, weil der Beigeladene im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schallschutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen hat.
- 15
-
a) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Rücksichtnahmegebot im vorliegenden Fall unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans Anwendung findet. Der Einwand des Klägers, das Rücksichtnahmegebot sei im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans bereits aufgrund der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung des Ortsgesetzgebers "aufgezehrt" (vgl. hierzu Beschluss vom 11. Juli 1983 - BVerwG 4 B 123.81 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 54), greift nicht durch. Auch insoweit stellt der Kläger der bindenden und irrevisiblen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) lediglich seine eigene Auslegung gegenüber.
- 16
-
b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <318 f.> und vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <243>) stellt sich § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und als eine zulässige Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dar. Diese Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausgegangen.
- 17
-
c) Ebenfalls zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung die TA Lärm herangezogen. Obwohl aber nach seinen bindenden Feststellungen das genehmigte Wohnbauvorhaben gemessen an den Immissionsrichtwerten der Nr. 6.1 einschließlich Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 der TA Lärm an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden unzumutbaren Geräuschimmissionen ausgesetzt ist, hat das Oberverwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verneint, weil es angesichts der Vorbelastung des Vorhabengrundstücks durch gewerblichen Lärm noch Raum lasse, den gebotenen Interessenausgleich im Wege der architektonischen Selbsthilfe durch passive Schallschutzmaßnahmen zu bewirken. Diese Annahme verstößt gegen Bundesrecht.
- 18
-
aa) Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z.B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2) und Bewertungsspannen (z.B. A.2.5.3) Spielräume eröffnet (Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 m.w.N.).
- 19
-
Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundesimmissionsschutzrecht und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319 f.). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die TA Lärm enthalte lediglich Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von emittierenden Anlagen, regele aber nicht den Konflikt mit einer an eine latent störende gewerbliche Nutzung heranrückenden Wohnbebauung und sei deswegen für deren bauaufsichtliche Genehmigung nicht maßgeblich (so aber VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 5 S 1904/06 - NVwZ-RR 2007, 168 <169 f.>). Aus der Spiegelbildlichkeit der dargelegten gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Rücksichtnahmegebot für die konfligierenden Nutzungen ergibt sich vielmehr, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die - gemeinsame - Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststeht. Dass etwaige Lärmminderungspflichten, die sich aus der Anwendung der TA Lärm für den emittierenden Gewerbebetrieb ergeben können, nicht - etwa in Form einer Auflage - zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht werden können, steht nicht entgegen. Denn als Teil der vom Rücksichtnahmegebot geforderten Zuordnung der Nutzungen gehören die gebotenen Lärmminderungsmaßnahmen zur Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung und sind gegebenenfalls im Wege der §§ 24 und 22 BImSchG gegen den Gewerbebetrieb durchzusetzen. Auch aus der in der früheren Rechtsprechung des Senats verwendeten Formulierung, die TA Lärm gelte in diesen Fällen "nicht unmittelbar" (Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319), folgt nichts anderes. Der Senat hat hiermit keine Abstriche am Umfang ihrer Anwendbarkeit und Bindungswirkung verbunden.
- 20
-
bb) Passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung zwischen Gewerbe und Wohnen sieht die TA Lärm nicht vor. Nach ihrer Nr. 6.1 sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung außerhalb der betroffenen Gebäude gelegene Immissionsorte maßgeblich. Sie können durch passive Schallschutzmaßnahmen, wie sie die angefochtene Baugenehmigung vorschreibt, nicht beeinflusst werden. Aus Nr. 6.2 der TA Lärm folgt nichts anderes. Die Vorschrift regelt den Sonderfall der Körperschallübertragung und kann deswegen nicht als "Auffangregelung" verstanden werden, aus der abzuleiten wäre, dass letztlich maßgeblich auf - durch passive Schallschutzmaßnahmen beeinflussbare - Innen-Immissionswerte abzustellen ist. Soweit es - wie hier - um die Beurteilung von Luftschall geht, der über die Außenfassade einwirkt, sind die Außen-Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 anzuwenden (vgl. auch Feldhaus, Bundesimmissionsrecht, Bd. 4, Stand August 2012, Rn. 29 zu Nr. 6 TA Lärm).
- 21
-
cc) Auch die von der TA Lärm belassenen Spielräume bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze eröffnen nicht die Möglichkeit, der Überschreitung der Außen-Immissionsrichtwerte durch Anordnung von passivem Lärmschutz zu begegnen.
- 22
-
Entgegen der Ansicht des Beigeladenen kann insoweit nicht Nr. 3.2.2 der TA Lärm herangezogen werden, die eine ergänzende Prüfung im Sonderfall ermöglicht. Die Voraussetzungen der in Buchstaben a bis d genannten Umstände, bei deren Vorliegen eine solche Sonderfallprüfung "insbesondere" in Betracht kommt, sind nicht gegeben. Namentlich sind besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmission (Buchst. d) nicht schon dann zu bejahen, wenn sie von einer bestandskräftigen Genehmigung des emittierenden Gewerbebetriebs gedeckt ist. Auch begründet wegen des anzulegenden strengen Maßstabs für eine Sonderfallprüfung (Feldhaus a.a.O. Rn. 63 zu Nr. 3 TA Lärm) allein der Umstand, dass der Konflikt durch eine Gemengelage bedingt ist, noch keine besondere Standortbindung (Buchst. b).
- 23
-
Ein unbenannter Anwendungsfall der Regelung ist auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auszuschließen. Das folgt schon daraus, dass die insoweit allein in Betracht kommenden Umstände (Gemengelage, Vorbelastung, Prioritätsprinzip, konkrete Schutzwürdigkeit und Gebietsprägung) bereits Gegenstand der Regelung in Nr. 6.7 sind, die mit der Zwischenwertbildung eine auf die Gemengelagesituation und die genannten Umstände zugeschnittene Lösung enthält (vgl. auch Feldhaus a.a.O. m.w.N.). Es liegt fern, dass die TA Lärm für den Fall, dass - wie hier - trotz Zwischenwertbildung die Zumutbarkeit des Vorhabens nicht gewährleistet werden kann, aus denselben Gesichtspunkten einen zusätzlichen Spielraum für eine Lösung eröffnet, die, wie das Oberverwaltungsgericht nicht verkennt, die Rechtsordnung nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen unter strengen Voraussetzungen vorsieht.
- 24
-
Die Möglichkeit, einer Überschreitung der nach Nr. 6.1 und Nr. 6.7 maßgeblichen Immissionsrichtwerte mit passivem Lärmschutz zu begegnen, müsste auch das Schutzziel der TA Lärm verfehlen. Aus der Maßgeblichkeit der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3 des Anhangs der TA Lärm - bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes - ergibt sich, dass dieses Regelungswerk - anders als etwa für Verkehrsanlagen die 16. und 24. BImSchV - den Lärmkonflikt zwischen Gewerbe und schutzwürdiger (insbesondere Wohn-) Nutzung bereits an deren Außenwand und damit unabhängig von der Möglichkeit und Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen gelöst wissen will. Damit sichert die TA Lärm von vornherein für Wohnnutzungen einen Mindestwohnkomfort, der darin besteht, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen erweiterten Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommunikationssituation im Innern oder das Ruhebedürfnis und der Schlaf nachhaltig gestört werden können. Soweit andere Regelwerke wie die schon genannte 16. und 24. BImSchV passiven Lärmschutz zur Lösung des Nutzungskonflikts zulassen und damit einen geringeren Mindestwohnkomfort als Schutzziel zugrundelegen, beruht dies auf dem öffentlichen Interesse, das an den von diesen Regelungen erfassten (Verkehrs-)Anlagen besteht und weiterreichende Beschränkungen des Eigentumsinhalts zulasten der von Immissionen betroffenen Anliegern rechtfertigt.
- 25
-
Der von der TA Lärm gewährte Schutzstandard steht auch nicht zur Disposition des Lärmbetroffenen und kann nicht durch dessen Einverständnis mit passiven Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. Denn das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Das schließt es aus, das bei objektiver Betrachtung maßgebliche Schutzniveau auf das Maß zu senken, das der lärmbetroffene Bauwillige nach seiner persönlichen Einstellung bereit ist hinzunehmen (Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <324>).
- 26
-
dd) Schließlich bietet auch der Gesichtspunkt der architektonischen Selbsthilfe keine Rechtfertigung für die vom Oberverwaltungsgericht für zulässig angesehene Konfliktlösung mit Mitteln des passiven Lärmschutzes. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass sich aus dem Rücksichtnahmegebot die Obliegenheit des Bauherrn ergeben kann, durch Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe den Lärmkonflikt mit einem benachbarten Gewerbebetrieb in einer Weise zu lösen, die die Zumutbarkeit der ihn treffenden Immissionen gewährleistet und somit die Erteilung der Baugenehmigung für sein Vorhaben ermöglicht. Auf dieser Grundlage können dem Bauherrn im Anwendungsbereich der TA Lärm aber nur mit diesem Regelwerk vereinbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen abverlangt werden. Das schließt immissionsreduzierende Maßnahmen wie Veränderungen der Stellung des Gebäudes, des äußeren Zuschnitts des Hauses oder der Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, ohne Weiteres mit ein (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 323). Dasselbe gilt, soweit dies bauordnungsrechtlich zulässig ist, für den Einbau nicht zu öffnender Fenster (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2012 - BVerwG 4 BN 6.12 - juris), die keine relevanten Messpunkte im Sinne von Nr. 2.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A.1.3 ihres Anhangs darstellen. Passiver Lärmschutz als Mittel der architektonischen Selbsthilfe kann daher nur außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm und bei - hier nicht einschlägiger - Anwendung solcher Regelwerke in Betracht kommen, die diese Möglichkeit zulassen (vgl. Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - BVerwGE 128, 238 Rn. 16 f.).
- 27
-
4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze mit Blick auf die Bereitschaft des Beigeladenen, passiven Lärmschutz vorzusehen, unter Zugrundelegung derjenigen Lärmimmissionen ermittelt, die für das Grundstück des Beigeladenen im ungünstigsten Fall zu erwarten sind. Der Frage, welche Lärmminderungsmaßnahmen dem Kläger nach den (unter 3. b) dargelegten Vorgaben des Rücksichtnahmegebots obliegen, ist das Oberverwaltungsgericht nicht nachgegangen. Das wird es nachzuholen haben. Die dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Kläger insoweit zumutbaren Maßnahmen bestimmen sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG (Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <246 f.> m.w.N). Dass Möglichkeiten der Lärmminderung beim Gewerbebetrieb des Klägers, mit denen der nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Außen-Immissionswert von 60 dB(A) eingehalten werden könnte, schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen wären, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Auf die bestandskräftige Genehmigung seines Betriebs kann sich der Kläger gegenüber seinen dynamisch angelegten Grundpflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht berufen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O). Anders als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 21 f.) offenbar annimmt, sind diese Pflichten gegenüber - wie hier - heranrückender Wohnbebauung nicht von vornherein auf solche Lärmminderungsmaßnahmen beschränkt, zu denen der Gewerbebetrieb bereits gegenüber der vorhandenen Wohnbebauung verpflichtet gewesen wäre.
Bundesrecht bricht Landesrecht.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
Tenor
I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München
II.
Die Kostenentscheidung bleibt der neuen Entscheidung vorbehalten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
II.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Fabrikhalle in ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten.
- 2
-
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Holzbearbeitungsunternehmen betreibt. Auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück des Beigeladenen steht eine nicht mehr genutzte Fabrikhalle, die mit dem Betriebsgebäude des Klägers baulich verbunden ist. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Beklagten, der ein allgemeines Wohngebiet ausweist und für die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen erweiterten "Bestandsschutz gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO für bestehende Nutzung" festsetzt. Aus einem von der Beklagten im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich, dass die im Betrieb des Klägers vorhandenen Schallquellen an der nächstgelegenen Seite des Gebäudes des Beigeladenen Beurteilungspegel bis 70 dB(A) hervorrufen.
- 3
-
Die Baugenehmigung erteilte die Beklagte "nach Maßgabe der beigefügten geprüften Bauvorlagen". In einer mit einem Grünstempel versehenen schalltechnischen Untersuchung eines Ingenieurbüros heißt es, zur Beurteilung der Geräuschimmissionen des Betriebs des Klägers würden in Abstimmung mit der Beklagten die Beurteilungspegel des im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachtens herangezogen. In Abstimmung mit der Beklagten würden im Hinblick auf die ausschließlich an einer Seite des Gebäudes des Beigeladenen auftretende Überschreitung des Immissionsrichtwerts tags um 10 dB(A) keine aktiven Schallschutzmaßnahmen, sondern passive in Form von Schallschutzfenstern mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) für alle schutzbedürftigen Räume ausgearbeitet. Damit würden die Anhaltswerte für Innenschallpegel eingehalten. In einem ebenfalls grüngestempelten Schreiben des vom Beigeladenen beauftragten Planungsbüros an die Beklagte wird zur Ergänzung der Baubeschreibung ausgeführt, die Schallschutzmaßnahmen der schalltechnischen Untersuchung des Ingenieurbüros würden eingebaut und unterhalten.
- 4
-
Das die Baugenehmigung aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen geändert und die Klage abgewiesen. Weder bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans noch bei unterstellter Unwirksamkeit bestehe ein Aufhebungsanspruch des Klägers. Die genehmigte Wohnnutzung sei jedenfalls zulässig und verstoße nicht zum Nachteil des Klägers gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, das auch im Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans anwendbar sei, weil der Bebauungsplan den konkreten Immissionskonflikt nicht abschließend bewältige. Ob dem betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten seien, sei grundsätzlich anhand der TA Lärm zu bestimmen. Nach ihrer Nr. 6.1 sei am Wohnbauvorhaben des Beigeladenen an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden grundsätzlich der hier allein maßgebliche Tag-Immissionsrichtwert von 55 dB(A) einzuhalten. Dieser Wert sei in Anwendung von Nr. 6.1 c und Nr. 6.7 der TA Lärm auf einen "Mittelwert" von tagsüber 60 dB(A) zu erhöhen, weil sich das Wohnbauvorhaben in einer faktischen Gemengelage befinde. Ein solcher Wert lasse sich zwar nicht vollumfänglich einhalten. Das Rücksichtnahmegebot ermögliche und gebiete aber zusätzliche Differenzierungen mit der Folge, dass die grobmaschigen baugebietsbezogenen Richtwerte je nach Lage des Einzelfalls durch situationsbezogene Zumutbarkeitskriterien zu ergänzen seien. So sei ein Wohnbauvorhaben auf einem durch gewerblichen Lärm erheblich vorbelasteten Grundstück rücksichtslos und daher unzulässig, wenn bei seiner Verwirklichung auf naheliegende, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen verzichtet werde, welche eine erhebliche Lärmbetroffenheit der Wohnnutzung spürbar mindern würden. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO begründe insoweit eine Obliegenheit des Bauherrn zu "architektonischer Selbsthilfe", verlange aber auch vom Betreiber des - bestands-geschützten - emittierenden Gewerbebetriebs, auf die für das Nachbargrundstück festgesetzte (heranrückende) Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen. Welche Maßnahmen dem zur Rücksichtnahme auf seine Nachbarschaft verpflichteten Anlagenbetreiber zumutbar seien, bestimme sich nach den (dynamischen) Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Auch passiver Schallschutz könne ein zu berücksichtigender Baustein der "architektonischen Selbsthilfe" sein. Die im Gutachten des Ingenieurbüros vorgesehenen passiven Schallschutzmaßnahmen, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden seien und ausweislich der Erklärung von Beklagter und Beigeladenem in der mündlichen Verhandlung für alle schutzbedürftigen Räume einschließlich Loggia gälten, sicherten, dass die Anhaltswerte für Innenschallpegel in Wohnräumen von tags 30 bis 35 dB(A) und in Schlafräumen von 25 bis 30 dB(A) (Mittelungspegel) von schutzbedürftigen Räumen nach VDI 2179 eingehalten werden könnten.
- 5
-
Zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Vorinstanz gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass das Vorhaben trotz einer Überschreitung der (Außen-)Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 und Nr. 6.7 der TA Lärm aufgrund der festgesetzten passiven Schallschutzmaßnahmen zulässig sei. Passive Schallschutzmaßnahmen führten nicht zu einer Reduzierung des maßgeblichen Außen-Immissionsrichtwertes und seien nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig. Ohnehin sei das Rücksichtnahmegebot bereits in der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung aufgegangen, weil auch für den Konflikt zwischen den streitbefangenen Grundstücken der für andere Grundstücke festgesetzte Immissionswert von 60 dB(A) gelte. Außerdem verstoße die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht unter Verletzung der Aufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör den unter Beweis gestellten Sachvortrag, dass die Immissionsrichtwerte im Gebäudeinneren gemäß Nr. 6.2 der TA Lärm aufgrund der vorhandenen Gebäudeverbindung nicht eingehalten würden, zu Unrecht unbeachtet gelassen.
- 6
-
Beklagte und Beigeladener verteidigen das angegriffene Urteil.
- 7
-
Nach Ansicht der Beklagten zählen passive Schallschutzmaßnahmen zu den Mitteln der "architektonischen Selbsthilfe". Das ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Je nach den Umständen des Einzelfalls könne es - zumal wenn wie hier Außenwohnbereiche nicht betroffen seien - abwägungsfehlerfrei sein, eine Minderung der Immissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen.
- 8
-
Der Beigeladene hält den Bebauungsplan für unwirksam, weil er keine Konfliktlösung in Bezug auf sein Grundstück biete. Deswegen sei sein Vorhaben an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen. Es halte sich im vorgezeichneten Rahmen und verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Zum einen seien die Lärmgutachten von Betriebszuständen ausgegangen, die nicht dem Stand der Lärmminderungstechnik entsprächen und die, würden sie real ausgeführt, nach § 22 BImSchG untersagt werden könnten. Zum anderen seien die von ihm angebotenen und damit zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordenen Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe prinzipiell geeignet, im Rahmen einer Bewertung anhand des Gebotes der Rücksichtnahme Berücksichtigung zu finden. So würden die unmittelbar dem Grundstück des Klägers zugewandten Aufenthaltsräume während der Betriebszeiten ständig geschlossen gehalten und Fenster mit einem Schalldämmmaß ausgestattet, das die Einhaltung der Nr. 6.2 TA Lärm (Innenraumschutz) sicherstelle. Die Außenwohnbereiche befänden sich im Lärmschatten des Gebäudes.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht.
- 10
-
1. Die Verfahrensrügen des Klägers greifen allerdings nicht durch. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.
- 11
-
a) Mit seiner Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) macht der Kläger geltend, das Gericht hätte die Beschaffenheit des Verbindungstunnels zwischen den Gebäuden des Klägers und des Beigeladenen weiter aufklären müssen. Da er hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat, hätte er mit der Revision darlegen müssen, aus welchen Gründen sich der Vorinstanz die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu etwa Urteil vom 11. Juli 2002 - BVerwG 4 C 9.00 - Buchholz 451.17 § 12 EnergG Nr. 1 S. 12 f.). Das ist nicht geschehen. Aufgrund des - auch auf Nachfrage der Vorinstanz - lediglich allgemein gehaltenen und nicht gebäudebezogenen privatgutachterlichen Vorbringens des Klägers und der Feststellungen des Berichterstatters im Rahmen der Ortsbesichtigung ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass sich solche Aufklärungsmaßnahmen aufgedrängt hätten.
- 12
-
b) Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht erheben, wer sich rechtliches Gehör durch entsprechende Beweis- oder Vertagungsanträge in der mündlichen Verhandlung hätte verschaffen können (Beschluss vom 4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9 m.w.N.). Es ist weder dargelegt noch erkennbar, warum der Kläger dies im Hinblick auf die nach seiner Ansicht zeitlich und inhaltlich unzumutbare Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts zur Substantiierung seines Vorbringens zum Verbindungstunnel nicht getan hat.
- 13
-
2. Dass das Oberverwaltungsgericht die Bestimmtheit der angegriffenen Baugenehmigung auf der Grundlage seiner Auslegung dieses Verwaltungsakts bejaht hat, lässt ebenfalls keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen. Mit seiner Rüge eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz setzt der Kläger dieser Auslegung lediglich eine eigene Auslegung der Baugenehmigung gegenüber, aus der er ihre unzureichende Bestimmtheit ableitet. Die Auslegung eines Verwaltungsakts ist jedoch Sache des Tatsachengerichts und jedenfalls dann, wenn dieses sich - wie hier - dazu verhalten hat (Beschluss vom 6. April 2004 - BVerwG 4 B 2.04 - juris Rn. 8) und die Auslegung keinen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt (Urteil vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 6 C 36.11 - juris Rn. 26), der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen. Die Anforderungen des - revisiblen - Bestimmtheitsgebots (dazu etwa Urteil vom 2. Juli 2008 - BVerwG 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259 Rn. 11) hat das Oberverwaltungsgericht nicht verkannt. Soweit es dabei die Einbeziehung von grüngestempelten und damit eindeutig von der Behörde gekennzeichneten Antragsunterlagen des Beigeladenen sowie in der mündlichen Verhandlung abgegebenen und somit dem Kläger bekannten Erklärungen der Beklagten und des Beigeladenen als zulässig angesehen hat, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
- 14
-
3. Das Oberverwaltungsgericht durfte jedoch das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO nicht deswegen als gewahrt ansehen, weil der Beigeladene im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schallschutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen hat.
- 15
-
a) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Rücksichtnahmegebot im vorliegenden Fall unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans Anwendung findet. Der Einwand des Klägers, das Rücksichtnahmegebot sei im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans bereits aufgrund der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung des Ortsgesetzgebers "aufgezehrt" (vgl. hierzu Beschluss vom 11. Juli 1983 - BVerwG 4 B 123.81 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 54), greift nicht durch. Auch insoweit stellt der Kläger der bindenden und irrevisiblen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) lediglich seine eigene Auslegung gegenüber.
- 16
-
b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <318 f.> und vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <243>) stellt sich § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und als eine zulässige Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dar. Diese Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausgegangen.
- 17
-
c) Ebenfalls zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung die TA Lärm herangezogen. Obwohl aber nach seinen bindenden Feststellungen das genehmigte Wohnbauvorhaben gemessen an den Immissionsrichtwerten der Nr. 6.1 einschließlich Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 der TA Lärm an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden unzumutbaren Geräuschimmissionen ausgesetzt ist, hat das Oberverwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verneint, weil es angesichts der Vorbelastung des Vorhabengrundstücks durch gewerblichen Lärm noch Raum lasse, den gebotenen Interessenausgleich im Wege der architektonischen Selbsthilfe durch passive Schallschutzmaßnahmen zu bewirken. Diese Annahme verstößt gegen Bundesrecht.
- 18
-
aa) Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z.B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2) und Bewertungsspannen (z.B. A.2.5.3) Spielräume eröffnet (Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 m.w.N.).
- 19
-
Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundesimmissionsschutzrecht und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319 f.). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die TA Lärm enthalte lediglich Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von emittierenden Anlagen, regele aber nicht den Konflikt mit einer an eine latent störende gewerbliche Nutzung heranrückenden Wohnbebauung und sei deswegen für deren bauaufsichtliche Genehmigung nicht maßgeblich (so aber VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 5 S 1904/06 - NVwZ-RR 2007, 168 <169 f.>). Aus der Spiegelbildlichkeit der dargelegten gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Rücksichtnahmegebot für die konfligierenden Nutzungen ergibt sich vielmehr, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die - gemeinsame - Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststeht. Dass etwaige Lärmminderungspflichten, die sich aus der Anwendung der TA Lärm für den emittierenden Gewerbebetrieb ergeben können, nicht - etwa in Form einer Auflage - zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht werden können, steht nicht entgegen. Denn als Teil der vom Rücksichtnahmegebot geforderten Zuordnung der Nutzungen gehören die gebotenen Lärmminderungsmaßnahmen zur Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung und sind gegebenenfalls im Wege der §§ 24 und 22 BImSchG gegen den Gewerbebetrieb durchzusetzen. Auch aus der in der früheren Rechtsprechung des Senats verwendeten Formulierung, die TA Lärm gelte in diesen Fällen "nicht unmittelbar" (Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319), folgt nichts anderes. Der Senat hat hiermit keine Abstriche am Umfang ihrer Anwendbarkeit und Bindungswirkung verbunden.
- 20
-
bb) Passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung zwischen Gewerbe und Wohnen sieht die TA Lärm nicht vor. Nach ihrer Nr. 6.1 sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung außerhalb der betroffenen Gebäude gelegene Immissionsorte maßgeblich. Sie können durch passive Schallschutzmaßnahmen, wie sie die angefochtene Baugenehmigung vorschreibt, nicht beeinflusst werden. Aus Nr. 6.2 der TA Lärm folgt nichts anderes. Die Vorschrift regelt den Sonderfall der Körperschallübertragung und kann deswegen nicht als "Auffangregelung" verstanden werden, aus der abzuleiten wäre, dass letztlich maßgeblich auf - durch passive Schallschutzmaßnahmen beeinflussbare - Innen-Immissionswerte abzustellen ist. Soweit es - wie hier - um die Beurteilung von Luftschall geht, der über die Außenfassade einwirkt, sind die Außen-Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 anzuwenden (vgl. auch Feldhaus, Bundesimmissionsrecht, Bd. 4, Stand August 2012, Rn. 29 zu Nr. 6 TA Lärm).
- 21
-
cc) Auch die von der TA Lärm belassenen Spielräume bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze eröffnen nicht die Möglichkeit, der Überschreitung der Außen-Immissionsrichtwerte durch Anordnung von passivem Lärmschutz zu begegnen.
- 22
-
Entgegen der Ansicht des Beigeladenen kann insoweit nicht Nr. 3.2.2 der TA Lärm herangezogen werden, die eine ergänzende Prüfung im Sonderfall ermöglicht. Die Voraussetzungen der in Buchstaben a bis d genannten Umstände, bei deren Vorliegen eine solche Sonderfallprüfung "insbesondere" in Betracht kommt, sind nicht gegeben. Namentlich sind besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmission (Buchst. d) nicht schon dann zu bejahen, wenn sie von einer bestandskräftigen Genehmigung des emittierenden Gewerbebetriebs gedeckt ist. Auch begründet wegen des anzulegenden strengen Maßstabs für eine Sonderfallprüfung (Feldhaus a.a.O. Rn. 63 zu Nr. 3 TA Lärm) allein der Umstand, dass der Konflikt durch eine Gemengelage bedingt ist, noch keine besondere Standortbindung (Buchst. b).
- 23
-
Ein unbenannter Anwendungsfall der Regelung ist auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auszuschließen. Das folgt schon daraus, dass die insoweit allein in Betracht kommenden Umstände (Gemengelage, Vorbelastung, Prioritätsprinzip, konkrete Schutzwürdigkeit und Gebietsprägung) bereits Gegenstand der Regelung in Nr. 6.7 sind, die mit der Zwischenwertbildung eine auf die Gemengelagesituation und die genannten Umstände zugeschnittene Lösung enthält (vgl. auch Feldhaus a.a.O. m.w.N.). Es liegt fern, dass die TA Lärm für den Fall, dass - wie hier - trotz Zwischenwertbildung die Zumutbarkeit des Vorhabens nicht gewährleistet werden kann, aus denselben Gesichtspunkten einen zusätzlichen Spielraum für eine Lösung eröffnet, die, wie das Oberverwaltungsgericht nicht verkennt, die Rechtsordnung nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen unter strengen Voraussetzungen vorsieht.
- 24
-
Die Möglichkeit, einer Überschreitung der nach Nr. 6.1 und Nr. 6.7 maßgeblichen Immissionsrichtwerte mit passivem Lärmschutz zu begegnen, müsste auch das Schutzziel der TA Lärm verfehlen. Aus der Maßgeblichkeit der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3 des Anhangs der TA Lärm - bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes - ergibt sich, dass dieses Regelungswerk - anders als etwa für Verkehrsanlagen die 16. und 24. BImSchV - den Lärmkonflikt zwischen Gewerbe und schutzwürdiger (insbesondere Wohn-) Nutzung bereits an deren Außenwand und damit unabhängig von der Möglichkeit und Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen gelöst wissen will. Damit sichert die TA Lärm von vornherein für Wohnnutzungen einen Mindestwohnkomfort, der darin besteht, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen erweiterten Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommunikationssituation im Innern oder das Ruhebedürfnis und der Schlaf nachhaltig gestört werden können. Soweit andere Regelwerke wie die schon genannte 16. und 24. BImSchV passiven Lärmschutz zur Lösung des Nutzungskonflikts zulassen und damit einen geringeren Mindestwohnkomfort als Schutzziel zugrundelegen, beruht dies auf dem öffentlichen Interesse, das an den von diesen Regelungen erfassten (Verkehrs-)Anlagen besteht und weiterreichende Beschränkungen des Eigentumsinhalts zulasten der von Immissionen betroffenen Anliegern rechtfertigt.
- 25
-
Der von der TA Lärm gewährte Schutzstandard steht auch nicht zur Disposition des Lärmbetroffenen und kann nicht durch dessen Einverständnis mit passiven Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. Denn das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Das schließt es aus, das bei objektiver Betrachtung maßgebliche Schutzniveau auf das Maß zu senken, das der lärmbetroffene Bauwillige nach seiner persönlichen Einstellung bereit ist hinzunehmen (Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <324>).
- 26
-
dd) Schließlich bietet auch der Gesichtspunkt der architektonischen Selbsthilfe keine Rechtfertigung für die vom Oberverwaltungsgericht für zulässig angesehene Konfliktlösung mit Mitteln des passiven Lärmschutzes. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass sich aus dem Rücksichtnahmegebot die Obliegenheit des Bauherrn ergeben kann, durch Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe den Lärmkonflikt mit einem benachbarten Gewerbebetrieb in einer Weise zu lösen, die die Zumutbarkeit der ihn treffenden Immissionen gewährleistet und somit die Erteilung der Baugenehmigung für sein Vorhaben ermöglicht. Auf dieser Grundlage können dem Bauherrn im Anwendungsbereich der TA Lärm aber nur mit diesem Regelwerk vereinbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen abverlangt werden. Das schließt immissionsreduzierende Maßnahmen wie Veränderungen der Stellung des Gebäudes, des äußeren Zuschnitts des Hauses oder der Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, ohne Weiteres mit ein (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 323). Dasselbe gilt, soweit dies bauordnungsrechtlich zulässig ist, für den Einbau nicht zu öffnender Fenster (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2012 - BVerwG 4 BN 6.12 - juris), die keine relevanten Messpunkte im Sinne von Nr. 2.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A.1.3 ihres Anhangs darstellen. Passiver Lärmschutz als Mittel der architektonischen Selbsthilfe kann daher nur außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm und bei - hier nicht einschlägiger - Anwendung solcher Regelwerke in Betracht kommen, die diese Möglichkeit zulassen (vgl. Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - BVerwGE 128, 238 Rn. 16 f.).
- 27
-
4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze mit Blick auf die Bereitschaft des Beigeladenen, passiven Lärmschutz vorzusehen, unter Zugrundelegung derjenigen Lärmimmissionen ermittelt, die für das Grundstück des Beigeladenen im ungünstigsten Fall zu erwarten sind. Der Frage, welche Lärmminderungsmaßnahmen dem Kläger nach den (unter 3. b) dargelegten Vorgaben des Rücksichtnahmegebots obliegen, ist das Oberverwaltungsgericht nicht nachgegangen. Das wird es nachzuholen haben. Die dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Kläger insoweit zumutbaren Maßnahmen bestimmen sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG (Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <246 f.> m.w.N). Dass Möglichkeiten der Lärmminderung beim Gewerbebetrieb des Klägers, mit denen der nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Außen-Immissionswert von 60 dB(A) eingehalten werden könnte, schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen wären, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Auf die bestandskräftige Genehmigung seines Betriebs kann sich der Kläger gegenüber seinen dynamisch angelegten Grundpflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht berufen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O). Anders als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 21 f.) offenbar annimmt, sind diese Pflichten gegenüber - wie hier - heranrückender Wohnbebauung nicht von vornherein auf solche Lärmminderungsmaßnahmen beschränkt, zu denen der Gewerbebetrieb bereits gegenüber der vorhandenen Wohnbebauung verpflichtet gewesen wäre.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
(1) Beamtinnen und Beamte können für Zwecke der Verteidigung auch ohne ihre Zustimmung zu einem anderen Dienstherrn abgeordnet oder zur Dienstleistung bei über- oder zwischenstaatlichen zivilen Dienststellen verpflichtet werden.
(2) Beamtinnen und Beamten können für Zwecke der Verteidigung auch Aufgaben übertragen werden, die nicht ihrem Amt oder ihrer Laufbahnbefähigung entsprechen, sofern ihnen die Übernahme nach ihrer Vor- und Ausbildung und im Hinblick auf die Ausnahmesituation zumutbar ist. Aufgaben einer Laufbahn mit geringeren Zugangsvoraussetzungen dürfen ihnen nur übertragen werden, wenn dies aus dienstlichen Gründen unabweisbar ist.
(3) Beamtinnen und Beamte haben bei der Erfüllung der ihnen für Zwecke der Verteidigung übertragenen Aufgaben Gefahren und Erschwernisse auf sich zu nehmen, soweit diese ihnen nach den Umständen und den persönlichen Verhältnissen zugemutet werden können.
(4) Beamtinnen und Beamte sind bei einer Verlegung ihrer Behörde oder Dienststelle auch in das Ausland zur Dienstleistung am neuen Dienstort verpflichtet.
Gründe
- 1
-
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
- 2
-
1. Das Beschwerdevorbringen lässt nicht erkennen, dass die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
- 3
-
a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht deswegen verfahrensfehlerhaft, weil der Verwaltungsgerichtshof, nachdem er die Beteiligten hierzu angehört hat, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Verfahren gemäß § 130a VwGO entschieden hat.
- 4
-
Ob ein Berufungsgericht den ihm gemäß § 130a VwGO eröffneten Weg einer Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist; dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sache ein im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigender wesentlicher Gesichtspunkt (stRspr, vgl. Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213 f.> = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 64 S. 52 f. und Beschluss vom 27. Januar 2011 - BVerwG 3 B 63.10 - NJW 2011, 1830 Rn. 8). Hiernach erweist sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs für das Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO nicht als sachfremd oder grob fehlerhaft, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Streitfall einen außergewöhnlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Dass der Kläger einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich.
- 5
-
Der Verwaltungsgerichtshof war - entgegen der Ansicht der Beschwerde - nicht deshalb an einem Vorgehen gemäß § 130a VwGO gehindert, weil er die Frage der Verjährung der streitgegenständlichen Straßenbeitragsforderung ohne erneute Anhörung der vom Verwaltungsgericht zur Frage der Abnahme der Baumaßnahme gehörten Zeugen beurteilt hat, und zwar mit gegenteiligem Ergebnis als das Verwaltungsgericht. Darin liegt insbesondere kein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO).
- 6
-
Eine in der Vorinstanz durchgeführte Beweisaufnahme braucht vom Rechtsmittelgericht grundsätzlich nicht wiederholt zu werden. Namentlich für den Zeugenbeweis folgt aus § 98 VwGO i.V.m. § 398 Abs. 1 ZPO, wonach die erneute Zeugenvernehmung im Ermessen des Gerichts steht, dass ein bereits in der ersten Instanz gehörter Zeuge nicht stets in der Berufungsinstanz erneut zu vernehmen ist. Das Berufungsgericht darf seine Entscheidung vielmehr grundsätzlich ohne erneute Vernehmung auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme stützen (vgl. Beschlüsse vom 11. November 1991 - BVerwG 7 B 123.91 - juris Rn. 3 und vom 6. Januar 2011 - BVerwG 4 B 51.10- juris Rn. 16; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 96 Rn. 8). Zur erneuten Beweisaufnahme verpflichtet ist das Berufungsgericht dagegen, wenn es an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen der Vorinstanz zweifelt, insbesondere wenn es die Glaubwürdigkeit eines Zeugen abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2004 - 1 BvR 1935/03 - NJW 2005, 1487). Das ist hier nicht der Fall. Der Verwaltungsgerichtshof hat weder die Richtigkeit noch die Vollständigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts noch die Glaubwürdigkeit der Zeugen angezweifelt, sondern ist von der im erstinstanzlichen Urteil niedergelegten Tatsachengrundlage ausgegangen, namentlich von den vom Verwaltungsgericht im Ortstermin vom 7. November 2008 protokollierten Feststellungen und Bekundungen sowie von den Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2008 vernommenen (sachverständigen) Zeugen. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber dahin erkannt, dass diese Tatsachenfeststellungen nicht die vom Verwaltungsgericht gezogene rechtliche Schlussfolgerung tragen. Er hat bei gleicher Tatsachengrundlage diese lediglich rechtlich anders beurteilt.
- 7
-
Der Verwaltungsgerichtshof hat entscheidungstragend angenommen, dass die Beitragsforderung der Beklagten bei Erlass des angefochtenen Bescheides noch nicht verjährt war. Die streitgegenständliche Straße sei nicht bereits im Dezember 2001 fertiggestellt gewesen. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei die im Dezember 2001 erfolgte Begehung der Baustelle noch keine förmliche Abnahme im Rechtsinne gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies eingehend und u.a. damit begründet (BA S. 10 ff.), dass es bereits an den entsprechenden formellen Voraussetzungen fehle, namentlich an einem schriftlichen Abnahmebefund, dass die bei der erwähnten Begehung besprochenen Punkte (u.a. betreffend die noch ausstehenden Arbeiten am Straßenbegleitgrün) im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2002 erledigt und im Wesentlichen durch Rechnung des Bauunternehmers vom 30. August 2002 besonders berechnet worden seien. Dieses Ergebnis sei - ungeachtet von Unterschieden im Detail - auch von den vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen bestätigt worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Baumaßnahme schon abgeschlossen sein sollte und die im Dezember 2001 übersandte Rechnung des Bauunternehmers bereits die Schlussrechnung darstellen sollte, ergäben sich aus keiner der Aussagen; vielmehr hätten die Zeugen übereinstimmend bekundet, dass diese Rechnung wegen der zum Jahresende anstehenden Währungsumstellung von DM auf Euro erteilt worden sei. Der maßgebliche Unterschied zwischen den Entscheidungen von Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof liegt - bei gleicher Tatsachengrundlage - mithin darin, dass Letzterer die Begehung der Baustelle im Dezember 2001 rechtlich als bloße Teilabnahme gewertet hat, weil das, was bei dieser Begehung als für eine vollständige Fertigstellung gemäß Bauprogramm noch fehlend festgestellt wurde, nicht abgenommen sein könne. Diese allein in rechtlicher Hinsicht abweichende Beurteilung der Zeugenaussagen und der vorliegenden Rechnungen durch den Verwaltungsgerichtshof liegt - noch - innerhalb der nach den dargestellten Maßstäben einem Berufungsgericht gezogenen verfahrensrechtlichen Grenzen. Daher liegt in der fehlenden Vernehmung der von der Beschwerde genannten Zeugen durch den Verwaltungsgerichtshof auch keine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).
- 8
-
b) Ein Verfahrensfehler durch Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
- 9
-
aa) Da der Verwaltungsgerichtshof seine Auffassung zur Frage der Verjährung den Beteiligten bereits im Beschluss vom 18. August 2009 über die Zulassung der Berufung dargelegt hat, stellt die Berufungsentscheidung auch unter dem Gesichtspunkt des Verbots einer Überraschungsentscheidung keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dar (vgl. dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juni 2003 - 1 BvR 2285/02 - NJW 2003, 2524).
- 10
-
bb) Die Beschwerde rügt ferner, dass der Verwaltungsgerichtshof einem Antrag des Klägers auf Akteneinsicht in beigezogene bzw. noch beizuziehende Verwaltungs- und Gerichtsakten nicht entsprochen hätte. Dieser Vorwurf ist nach Aktenlage unzutreffend. Nachdem sich der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bestellt und mit Schriftsatz vom 15. Februar 2011 um Zurverfügungstellung näher bezeichneter Unterlagen gebeten hatte, sind ihm im Parallelverfahren 5 A 2499/09 auf richterliche Anordnung vom 16. Februar 2011 unter demselben Datum sämtliche zu diesem Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge und eine weitere Gerichtsakte übersandt worden; gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, dass der Senat für eine Beiziehung weiterer Unterlagen derzeit keinen Anlass sehe. Selbst wenn hiernach der Umfang der Aktenüberlassung bzw. -beiziehung dem Wunsch des Klägers nicht vollständig entsprach, wäre es Sache des Klägers gewesen, substantiiert darzutun, dass und warum er die Beiziehung weiterer Unterlagen für erforderlich hielt, und dies beim Verwaltungsgerichtshof einzufordern. Dies hat der Kläger indes nicht getan; weder bei der Rückübersendung der übersandten Akten (Schriftsatz vom 17. März 2011) noch in dem weiteren Schriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof vom 29. April 2011 ist er hierauf zurückgekommen. Ein Gehörsverstoß bzw. eine Verletzung des Akteneinsichtsrechts nach § 100 VwGO liegt nicht vor, wenn der Betroffene es im vorinstanzlichen Verfahren selbst in der Hand hatte, den nunmehr behaupteten Verfahrensmangel zu vermeiden.
- 11
-
cc) Der wesentliche Gehalt der klägerischen Ausführungen im Schriftsatz vom 29. April 2011 zu weiteren Einwänden gegen die Beitragserhebung, ist im angefochtenen Beschluss unter I. der Gründe (BA ab S. 4 unten) aufgeführt, vom Verwaltungsgerichtshof also zur Kenntnis genommen und unter II. der Gründe beschieden worden, soweit der Verwaltungsgerichtshof sie für entscheidungserheblich gehalten hat. Eine weitergehende Befassung mit Einzelaspekten der Grundstücke der zur Beitragszahlung herangezogenen Straßenanlieger hat er aufgrund seiner rechtlichen Beurteilung nicht für erforderlich gehalten. Auch insoweit ist für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nichts ersichtlich. Denn dieser verpflichtet ein Gericht nicht, in der zu treffenden Entscheidung auf jedwedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich einzugehen und dieses im Einzelnen zu bescheiden, namentlich wenn es das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen durfte (stRspr, vgl. etwa die Beschlüsse vom 22. Mai 2006 - BVerwG 10 B 9.06 - NJW 2006, 2648 <2650> und vom 23. Juni 2008 - BVerwG 9 VR 13.08 - NVwZ 2008, 1027 <1028>, jeweils m.w.N.).
- 12
-
dd) Entgegen der Ansicht der Beschwerde war der Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu weiteren rechtlichen Hinweisen (§ 86 Abs. 3 VwGO) an den Kläger verpflichtet. Angesichts der rechtlichen Ausführungen im Beschluss über die Zulassung der Berufung vom 18. August 2009 und im Vergleichsvorschlag des Berichterstatters vom 29. November 2010, ferner angesichts des Anhörungsschreibens gemäß § 130a VwGO vom 28. März 2011 sowie der Mitteilung vom 2. Mai 2011, dass auch in Ansehung des klägerischen Schriftsatzes vom 29. April 2011 an der Absicht festgehalten werde, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, bestand für weitere Hinweise kein Anlass.
- 13
-
2. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) scheidet ebenfalls aus.
- 14
-
Insoweit genügt das Beschwerdevorbringen trotz seines Umfangs nicht den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), weil es sich in der Art eines zulassungsfreien oder zugelassenen Rechtsmittels in Angriffen gegen die tatsächliche und rechtliche Beurteilung des Streitfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erschöpft, ohne bestimmte, höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfragen des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung zu formulieren (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14). Dafür genügt nicht der bloße Hinweis, dass "die Frage der Verjährung und der Verwirkung sowie die Kompensation, Treu und Glauben und Unbilligkeit (...) straßenbeitragsrechtlich nicht ausreichend durch die Rechtsprechung geklärt" seien, was durch die Ausführungen der Beschwerde verdeutlicht werde (Beschwerdebegründung S. 32 unten). Einer Befassung mit den genannten Fragen in einem Revisionsverfahren steht im Übrigen entgegen, dass sie nicht revisibles Recht betreffen, weil sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Straßenbeitragsbescheids nach hessischem Landesrecht (§ 11 HessKAG) richtet. Dies gilt auch für die durch den Rechtsanwendungsbefehl in § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b HessKAG in Bezug genommenen Verjährungsvorschriften der Abgabenordnung sowie für die in Ergänzung des Landesrechts angewandten allgemeinen Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben und der Verwirkung; sie alle werden dadurch Teil des irrevisiblen Landesrechts (stRspr, vgl. Urteil vom 19. März 2009 - BVerwG 9 C 10.08 - Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 135 S. 8 und Beschluss vom 1. April 2004 - BVerwG 4 B 17.04 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 21 S. 6). Sie können daher nicht Maßstab revisionsgerichtlicher Prüfung sein (§ 137 Abs. 1 VwGO).
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.
(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
Gründe
- 1
-
1. Der Kläger, ein Oberstudienrat im Dienst des Beklagten, begehrt die Verpflichtung des Beklagten, das bei ihm bestehende Krankheitsbild als Dienstunfall im Sinne des § 31 Abs. 1 BeamtVG bzw. als Berufskrankheit im Sinne des § 31 Abs. 3 BeamtVG anzuerkennen. Der Kläger macht geltend, der bei ihm festgestellte Zustand nach Schadstoffbelastung mit Gleichgewichtsstörungen, Muskel- und Gelenkbeschwerden, Ekzemen, Schwindelgefühlen, Sehkraftschwankungen, Ermüdbarkeit, Leistungsminderung, erheblichem Erschöpfungssyndrom und toxischer Polyneuropathie sei darauf zurückzuführen, dass er sich in der Zeit vom 7. bis 16. November 2005 mehrfach jeweils für 3 bis 10 Minuten in Klassenräumen aufgehalten habe, in denen die Raumluft wegen unsachgemäß verarbeiteter Silikonfugen beeinträchtigt gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Nach Zurückverweisung und Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers erneut mit der Begründung zurückgewiesen, es stehe nicht mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit fest, dass die beim Aushärten der Silikonfugen in die Raumluft abgegebenen Schadstoffe beim Kläger einen dienstunfallrechtlich erheblichen Körperschaden verursacht hätten. Zwar hätten die in der Raumluft im Schulgebäude enthaltenen Schadstoffe die beim Kläger aufgetretenen Schleimhautirritationen und ggf. auch kurzfristige weitere Beschwerden wie Schwindel und Übelkeit verursacht, nicht jedoch die weiteren Gesundheitsbeeinträchtigungen, unter denen er leide. Der Anerkennung als Berufskrankheit nach § 31 Abs. 3 BeamtVG stehe zum einen entgegen, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Krankheitsbild des Klägers und der Schadstoffexposition nicht gegeben sei. Zum anderen zählten die beim Kläger festgestellten Erkrankungen nicht zu den Berufskrankheiten.
- 2
-
2. Die allein auf Verfahrensfehler gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat keinen Erfolg.
- 3
-
a) Soweit der Kläger den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 10. Februar 2011 unmittelbar angreift, mit dem es sein Ablehnungsgesuch gegen den vom Gericht bestellten Sachverständigen erneut abgelehnt hat, ist die Verfahrensrüge unzulässig (Beschluss vom 16. Februar 1988 - BVerwG 5 B 13.88 - Buchholz 303 § 548 ZPO Nr. 4). Denn die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts könnte insoweit einer Überprüfung im Revisionsverfahren nicht unterzogen werden. Nach § 557 Abs. 2 ZPO, der nach § 173 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden ist, unterliegen die dem Endurteil vorausgehenden Entscheidungen nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts, wenn sie unanfechtbar sind. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn ein Oberverwaltungsgericht nach § 98 VwGO i.V.m. § 406 ZPO die Ablehnung eines Sachverständigen für unbegründet erklärt. Denn eine solche Vorentscheidung kann nach § 152 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
- 4
-
b) Unbegründet ist die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe die ihm nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegende Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es seinem Urteil lediglich das Gutachten und die mündlichen Erläuterungen des von ihm bestellten Gutachters zugrunde gelegt und kein weiteres Gutachten eingeholt hat.
- 5
-
In der Berufungsverhandlung vom 25. Februar 2011 hat der Kläger nicht den Antrag im Sinne von § 86 Abs. 2 VwGO gestellt, seinen behandelnden Arzt als sachverständigen Zeugen zu hören oder ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen. Der dort von ihm hilfsweise gestellte Antrag, zu den entscheidungserheblichen medizinischen Fragestellungen ein weiteres Gutachten einzuholen, regt lediglich eine weitere Aufklärung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO an.
- 6
-
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entscheidet das Tatsachengericht über die Einholung eines weiteren Gutachtens oder die Ergänzung vorhandener Gutachten nach seinem Ermessen (z.B. Urteil vom 6. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31; Beschluss vom 24. März 2000 - BVerwG 9 B 530.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308). Das gilt auch dann, wenn eine solche Maßnahme der Sachverhaltsermittlung von einer der Parteien angeregt worden ist. Die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Tatsachengericht im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen. Die unterlassene Einholung eines weiteren Gutachtens kann deshalb nur dann verfahrensfehlerhaft sein, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste. Das ist wiederum nur dann der Fall, wenn die vorliegenden Gutachten und die mündlichen Erläuterungen durch den Gutachter in der mündlichen Verhandlung ihren Zweck nicht zu erfüllen vermögen, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Dies kommt dann in Betracht, wenn die dem Gericht vorliegenden Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht ( vgl. u.a. Urteile vom 19. Dezember 1968 - BVerwG 8 C 29.67 - BVerwGE 31, 149 <156> und vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <45> m.w.N. sowie Beschluss vom 19. Februar 2007 - BVerwG 2 B 19.07 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 49). Danach musste sich hier dem Oberverwaltungsgericht eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch Einholung eines weiteren Gutachtens nicht aufdrängen.
- 7
-
Das Gericht hat dem von ihm bestellten Gutachter die Stellungnahme des den Kläger behandelnden Arztes vom 2. Februar 2011 übermittelt und ihn aufgefordert, die dort angesprochenen Gesichtspunkte bei seiner Vorbereitung für die erneute Berufungsverhandlung zu berücksichtigen. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2011 hat der Sachverständige bei der Erläuterung seiner Gutachten auch die von dem behandelnden Arzt diskutierten Aspekte erörtert. Nach dem Protokoll über die mündliche Verhandlung hatten die Vertreter der Beteiligten im Anschluss an die Darlegungen des Gutachters keine weiteren Fragen.
- 8
-
Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung zu dem vom Kläger gegen den Sachverständigen gestellten Befangenheitsantrag geben keinen Anlass, an dessen Unparteilichkeit zu zweifeln. Die Behauptung, der Sachverständige sei ein langjähriger Gegner des den Kläger behandelnden Arztes und habe diesem gegenüber eine negative Grundeinstellung, reicht hierfür nicht aus. Auch begründen die Behauptungen, vor mehr als zehn Jahren hätten mehr als 20 Personen Strafanzeigen gegen den Gutachter wegen Erstellung von Falschgutachten erstattet und es habe der Vorwurf im Raum gestanden, Gutachten seien "am Fließband" und ohne sachliche Beschäftigung mit dem Thema erstellt worden, keine Zweifel an der Sachkunde des Gutachters, die die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 86 Abs. 1 VwGO hätten erforderlich erscheinen lassen.
- 9
-
Im Übrigen ist das Tatsachengericht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz seiner Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, grundsätzlich nicht verpflichtet, eine Beweiserhebung vorzunehmen, die eine anwaltlich vertretene Partei - entsprechend ihrer Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhalts - nicht beantragt hat (z.B. Urteil vom 22. Februar 1996 - BVerwG 2 C 12.94 - Buchholz 237.6 § 86 NdsLBG Nr. 4). Nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der anwaltlich vertretene Kläger entsprechende Beweisanträge nicht gestellt. Gründe, aus denen sich hier die von der Beschwerde vermisste Beweiserhebung dem Berufungsgericht auf der Grundlage seiner materiellen Rechtsauffassung - auf die es hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Aufklärungspflicht ankommt - von sich aus hätten aufdrängen müssen, sind von der Beschwerde nicht vorgetragen.
- 10
-
c) Das Oberverwaltungsgericht hat auch nicht das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO). Denn das Oberverwaltungsgericht hat die vom Kläger gegen die Gutachten des Sachverständigen erhobenen Einwände zur Kenntnis genommen. Die vom Kläger gegen das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 16. Dezember 2010 erhobenen Bedenken wurden in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht erörtert und in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils eingehend gewürdigt.
Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
Gründe
-
I
- 1
-
Die Klägerin wendet sich gegen das Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung im Wiederholungsversuch.
- 2
-
Ihre Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht auf entsprechende Behauptungen der Klägerin das Landesjustizprüfungsamt am 7. Juli 2016 unter Bezug auf eine Zeugenaussage in einem Strafverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes aufgefordert mitzuteilen, in welchem Zeitraum die in verschiedenen Unterlagen erwähnte "Sonderarbeitsgemeinschaft/Zusatzunterricht" von Herrn M. stattgefunden habe, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe. Hierauf hat der Beklagte mitgeteilt, durch eine Anzeige von Referendaren an das Landesjustizprüfungsamt sei im Juli 2010 bekannt geworden, dass der Prüfer M. damals einige Zusatzunterricht-Veranstaltungen mit einigen wenigen Referendaren durchgeführt habe. Herr M. sei zu diesem Zeitpunkt Prüfer und Leiter einer Arbeitsgemeinschaft für die dritte Pflichtstation gewesen. Das Landesjustizprüfungsamt habe hinsichtlich des Einsatzes als Prüfer sofort reagiert und Herrn M. im Rahmen eines Gesprächs zu dem Sachverhalt befragt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Prüfer nur allgemein für die Ausbildung bestimmte Klausuren für die Arbeitsgemeinschaft und den Zusatzunterricht verwendet und keinen Zugang zu anderen Materialien gehabt habe. Vorsorglich sei er aber zunächst von der weiteren Durchführung von Prüfungen ausgenommen und erst ab Januar 2011 wieder als Prüfer in der ersten Prüfung und ab Oktober 2011 wieder als Prüfer für das zweite Staatsexamen eingesetzt worden.
- 3
-
In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin beantragt, über die Behauptung der Tatsache, dass der Prüfer M. in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 1. Juli 2013 Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften mit einigen Referendarinnen und Referendaren durchgeführt habe, diesen Zusatzunterricht nicht allen Referendarinnen und Referendaren angeboten habe, die sich in dem genannten Zeitraum in der Ausbildung zur Abnahme der großen juristischen Staatsprüfung befanden, und in diesem Zusatzunterricht Wissen vermittelt habe, das über das in den von ihm geführten Arbeitsgemeinschaften der dritten Pflichtstation vermittelte Wissen hinausging oder dieses vertiefte, Beweis durch Vernehmung des Herrn M. zu erheben. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. In den Gründen des die Berufung der Klägerin zurückweisenden Urteils vom 14. Juli 2016 hat es dazu ausgeführt, die Klägerin habe keine plausiblen Anhaltspunkte für die Behauptung benannt, Herr M. sei ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden. Derartiges lasse sich auch nicht den dem Senat vorliegenden Unterlagen entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde.
-
II
- 4
-
Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln gestützte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin macht mit Erfolg einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dies führt gemäß § 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.
- 5
-
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es den Antrag auf Einvernahme von Herrn M. zu dem als erheblich erachteten Beweisthema "Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften" als unzulässigen Beweisermittlungsantrag bewertet und abgelehnt hat, § 86 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 244 Abs. 3 StPO (analog) verletzt.
- 6
-
a) Bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteile vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 und vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; stRspr).
- 7
-
b) Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, der als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" erhoben worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 30. Januar 2002 - 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69 und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:221014B8B99.13.0] - juris Rn. 40; stRspr). Eine Behauptung kann nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Beteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Dem Beteiligten ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 - 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14).
- 8
-
An diesem Maßstab gemessen findet die Ablehnung des o.g. Beweisantrags als unzulässiger Beweisermittlungsantrag im Prozessrecht keine Stütze. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren - wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - als selbständige Rüge geltend gemacht, der Grundsatz der Chancengleichheit sei bereits in der Ausbildung verletzt worden, da eine von Herrn M., Erstgutachter der von ihr verfassten VA-Klausur, durchgeführte Sonderarbeitsgemeinschaft nicht allen Referendaren offengestanden habe. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nach seinem materiellrechtlichen Ansatz unter dem Aspekt einer selbständigen Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit als erheblich angesehen. Das ergibt sich daraus, dass es diesem Vortrag der Klägerin durch eine an den Beklagten gerichtete Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin vom 7. Juli 2016 (GA Bl. 674) nachgegangen ist. Zudem hat es den Beweisantrag der Klägerin nicht als unerheblich, sondern als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. Schließlich hat es diesen Themenkomplex in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils getrennt von der seitens der Klägerin in den Raum gestellten Möglichkeit der Informationsverschaffung über Prüfungsaufgaben abgehandelt (UA S. 15 f.: "Zum anderen ..."). Das detailarme Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2016 (GA Bl. 679 f.) hatte den Vortrag der Klägerin jedoch nicht in einer Weise entkräftet, dass die Beweisbehauptung der Klägerin nunmehr als unsubstantiiert anzusehen wäre. Denn zu den nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für den hier vorliegenden Fall relevanten Fragen, in welchem Zeitraum der Zusatzunterricht stattgefunden habe, womit der für die Ausbildung der Klägerin maßgebliche Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2013 im Fokus stand, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe, verhält sich die Einlassung des Beklagten in dem Schreiben vom 11. Juli 2016 nicht. Damit hat der Beklagte nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass Herr M. ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden ist und Zusatzunterricht nur für einige Referendare erteilt hat.
- 9
-
c) Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Entscheidungsausspruch beurteilt sich aus der Perspektive des Berufungsgerichts; dabei reicht die Möglichkeit aus, dass ohne den Verfahrensmangel anders entschieden worden wäre (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 41 ff. m.w.N.).
- 10
-
Das Oberverwaltungsgericht hat den Maßstab für einen "generelle[n] Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit" (UA S. 11 ff.) fallbezogen dahingehend konkretisiert, dass es nicht nur entscheidungserheblich darauf ankommt, ob einzelne Prüfungsteilnehmer "in vorwerfbarer Weise Kenntnis von den Prüfungsaufgaben erlangt" haben (UA S. 11). Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 f.) lassen vielmehr erkennen, dass es nach seinem materiellrechtlichen Ansatz eine Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit grundsätzlich auch durch eine unterschiedlich intensive Wissensvermittlung in der Ausbildung für möglich erachtet, jedenfalls wenn Prüfer als Ausbilder fungiert haben. Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, woran der beschließende Senat erhebliche Zweifel hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1984 - 7 B 169.83 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 189; VGH München, Urteil vom 16. Mai 2012 - 7 B 11.2645 - juris), ist für das Beruhenserfordernis ohne Bedeutung. Denn auch insoweit ist auf die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz abzustellen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte.
- 11
-
2. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
- 12
-
3. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Fabrikhalle in ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten.
- 2
-
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Holzbearbeitungsunternehmen betreibt. Auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück des Beigeladenen steht eine nicht mehr genutzte Fabrikhalle, die mit dem Betriebsgebäude des Klägers baulich verbunden ist. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Beklagten, der ein allgemeines Wohngebiet ausweist und für die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen erweiterten "Bestandsschutz gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO für bestehende Nutzung" festsetzt. Aus einem von der Beklagten im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich, dass die im Betrieb des Klägers vorhandenen Schallquellen an der nächstgelegenen Seite des Gebäudes des Beigeladenen Beurteilungspegel bis 70 dB(A) hervorrufen.
- 3
-
Die Baugenehmigung erteilte die Beklagte "nach Maßgabe der beigefügten geprüften Bauvorlagen". In einer mit einem Grünstempel versehenen schalltechnischen Untersuchung eines Ingenieurbüros heißt es, zur Beurteilung der Geräuschimmissionen des Betriebs des Klägers würden in Abstimmung mit der Beklagten die Beurteilungspegel des im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachtens herangezogen. In Abstimmung mit der Beklagten würden im Hinblick auf die ausschließlich an einer Seite des Gebäudes des Beigeladenen auftretende Überschreitung des Immissionsrichtwerts tags um 10 dB(A) keine aktiven Schallschutzmaßnahmen, sondern passive in Form von Schallschutzfenstern mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) für alle schutzbedürftigen Räume ausgearbeitet. Damit würden die Anhaltswerte für Innenschallpegel eingehalten. In einem ebenfalls grüngestempelten Schreiben des vom Beigeladenen beauftragten Planungsbüros an die Beklagte wird zur Ergänzung der Baubeschreibung ausgeführt, die Schallschutzmaßnahmen der schalltechnischen Untersuchung des Ingenieurbüros würden eingebaut und unterhalten.
- 4
-
Das die Baugenehmigung aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen geändert und die Klage abgewiesen. Weder bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans noch bei unterstellter Unwirksamkeit bestehe ein Aufhebungsanspruch des Klägers. Die genehmigte Wohnnutzung sei jedenfalls zulässig und verstoße nicht zum Nachteil des Klägers gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, das auch im Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans anwendbar sei, weil der Bebauungsplan den konkreten Immissionskonflikt nicht abschließend bewältige. Ob dem betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten seien, sei grundsätzlich anhand der TA Lärm zu bestimmen. Nach ihrer Nr. 6.1 sei am Wohnbauvorhaben des Beigeladenen an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden grundsätzlich der hier allein maßgebliche Tag-Immissionsrichtwert von 55 dB(A) einzuhalten. Dieser Wert sei in Anwendung von Nr. 6.1 c und Nr. 6.7 der TA Lärm auf einen "Mittelwert" von tagsüber 60 dB(A) zu erhöhen, weil sich das Wohnbauvorhaben in einer faktischen Gemengelage befinde. Ein solcher Wert lasse sich zwar nicht vollumfänglich einhalten. Das Rücksichtnahmegebot ermögliche und gebiete aber zusätzliche Differenzierungen mit der Folge, dass die grobmaschigen baugebietsbezogenen Richtwerte je nach Lage des Einzelfalls durch situationsbezogene Zumutbarkeitskriterien zu ergänzen seien. So sei ein Wohnbauvorhaben auf einem durch gewerblichen Lärm erheblich vorbelasteten Grundstück rücksichtslos und daher unzulässig, wenn bei seiner Verwirklichung auf naheliegende, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen verzichtet werde, welche eine erhebliche Lärmbetroffenheit der Wohnnutzung spürbar mindern würden. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO begründe insoweit eine Obliegenheit des Bauherrn zu "architektonischer Selbsthilfe", verlange aber auch vom Betreiber des - bestands-geschützten - emittierenden Gewerbebetriebs, auf die für das Nachbargrundstück festgesetzte (heranrückende) Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen. Welche Maßnahmen dem zur Rücksichtnahme auf seine Nachbarschaft verpflichteten Anlagenbetreiber zumutbar seien, bestimme sich nach den (dynamischen) Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Auch passiver Schallschutz könne ein zu berücksichtigender Baustein der "architektonischen Selbsthilfe" sein. Die im Gutachten des Ingenieurbüros vorgesehenen passiven Schallschutzmaßnahmen, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden seien und ausweislich der Erklärung von Beklagter und Beigeladenem in der mündlichen Verhandlung für alle schutzbedürftigen Räume einschließlich Loggia gälten, sicherten, dass die Anhaltswerte für Innenschallpegel in Wohnräumen von tags 30 bis 35 dB(A) und in Schlafräumen von 25 bis 30 dB(A) (Mittelungspegel) von schutzbedürftigen Räumen nach VDI 2179 eingehalten werden könnten.
- 5
-
Zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Vorinstanz gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass das Vorhaben trotz einer Überschreitung der (Außen-)Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 und Nr. 6.7 der TA Lärm aufgrund der festgesetzten passiven Schallschutzmaßnahmen zulässig sei. Passive Schallschutzmaßnahmen führten nicht zu einer Reduzierung des maßgeblichen Außen-Immissionsrichtwertes und seien nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig. Ohnehin sei das Rücksichtnahmegebot bereits in der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung aufgegangen, weil auch für den Konflikt zwischen den streitbefangenen Grundstücken der für andere Grundstücke festgesetzte Immissionswert von 60 dB(A) gelte. Außerdem verstoße die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht unter Verletzung der Aufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör den unter Beweis gestellten Sachvortrag, dass die Immissionsrichtwerte im Gebäudeinneren gemäß Nr. 6.2 der TA Lärm aufgrund der vorhandenen Gebäudeverbindung nicht eingehalten würden, zu Unrecht unbeachtet gelassen.
- 6
-
Beklagte und Beigeladener verteidigen das angegriffene Urteil.
- 7
-
Nach Ansicht der Beklagten zählen passive Schallschutzmaßnahmen zu den Mitteln der "architektonischen Selbsthilfe". Das ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Je nach den Umständen des Einzelfalls könne es - zumal wenn wie hier Außenwohnbereiche nicht betroffen seien - abwägungsfehlerfrei sein, eine Minderung der Immissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen.
- 8
-
Der Beigeladene hält den Bebauungsplan für unwirksam, weil er keine Konfliktlösung in Bezug auf sein Grundstück biete. Deswegen sei sein Vorhaben an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen. Es halte sich im vorgezeichneten Rahmen und verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Zum einen seien die Lärmgutachten von Betriebszuständen ausgegangen, die nicht dem Stand der Lärmminderungstechnik entsprächen und die, würden sie real ausgeführt, nach § 22 BImSchG untersagt werden könnten. Zum anderen seien die von ihm angebotenen und damit zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordenen Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe prinzipiell geeignet, im Rahmen einer Bewertung anhand des Gebotes der Rücksichtnahme Berücksichtigung zu finden. So würden die unmittelbar dem Grundstück des Klägers zugewandten Aufenthaltsräume während der Betriebszeiten ständig geschlossen gehalten und Fenster mit einem Schalldämmmaß ausgestattet, das die Einhaltung der Nr. 6.2 TA Lärm (Innenraumschutz) sicherstelle. Die Außenwohnbereiche befänden sich im Lärmschatten des Gebäudes.
Entscheidungsgründe
- 9
-
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht.
- 10
-
1. Die Verfahrensrügen des Klägers greifen allerdings nicht durch. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.
- 11
-
a) Mit seiner Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) macht der Kläger geltend, das Gericht hätte die Beschaffenheit des Verbindungstunnels zwischen den Gebäuden des Klägers und des Beigeladenen weiter aufklären müssen. Da er hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat, hätte er mit der Revision darlegen müssen, aus welchen Gründen sich der Vorinstanz die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu etwa Urteil vom 11. Juli 2002 - BVerwG 4 C 9.00 - Buchholz 451.17 § 12 EnergG Nr. 1 S. 12 f.). Das ist nicht geschehen. Aufgrund des - auch auf Nachfrage der Vorinstanz - lediglich allgemein gehaltenen und nicht gebäudebezogenen privatgutachterlichen Vorbringens des Klägers und der Feststellungen des Berichterstatters im Rahmen der Ortsbesichtigung ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass sich solche Aufklärungsmaßnahmen aufgedrängt hätten.
- 12
-
b) Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht erheben, wer sich rechtliches Gehör durch entsprechende Beweis- oder Vertagungsanträge in der mündlichen Verhandlung hätte verschaffen können (Beschluss vom 4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9 m.w.N.). Es ist weder dargelegt noch erkennbar, warum der Kläger dies im Hinblick auf die nach seiner Ansicht zeitlich und inhaltlich unzumutbare Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts zur Substantiierung seines Vorbringens zum Verbindungstunnel nicht getan hat.
- 13
-
2. Dass das Oberverwaltungsgericht die Bestimmtheit der angegriffenen Baugenehmigung auf der Grundlage seiner Auslegung dieses Verwaltungsakts bejaht hat, lässt ebenfalls keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen. Mit seiner Rüge eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz setzt der Kläger dieser Auslegung lediglich eine eigene Auslegung der Baugenehmigung gegenüber, aus der er ihre unzureichende Bestimmtheit ableitet. Die Auslegung eines Verwaltungsakts ist jedoch Sache des Tatsachengerichts und jedenfalls dann, wenn dieses sich - wie hier - dazu verhalten hat (Beschluss vom 6. April 2004 - BVerwG 4 B 2.04 - juris Rn. 8) und die Auslegung keinen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt (Urteil vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 6 C 36.11 - juris Rn. 26), der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen. Die Anforderungen des - revisiblen - Bestimmtheitsgebots (dazu etwa Urteil vom 2. Juli 2008 - BVerwG 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259 Rn. 11) hat das Oberverwaltungsgericht nicht verkannt. Soweit es dabei die Einbeziehung von grüngestempelten und damit eindeutig von der Behörde gekennzeichneten Antragsunterlagen des Beigeladenen sowie in der mündlichen Verhandlung abgegebenen und somit dem Kläger bekannten Erklärungen der Beklagten und des Beigeladenen als zulässig angesehen hat, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
- 14
-
3. Das Oberverwaltungsgericht durfte jedoch das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO nicht deswegen als gewahrt ansehen, weil der Beigeladene im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schallschutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen hat.
- 15
-
a) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Rücksichtnahmegebot im vorliegenden Fall unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans Anwendung findet. Der Einwand des Klägers, das Rücksichtnahmegebot sei im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans bereits aufgrund der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung des Ortsgesetzgebers "aufgezehrt" (vgl. hierzu Beschluss vom 11. Juli 1983 - BVerwG 4 B 123.81 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 54), greift nicht durch. Auch insoweit stellt der Kläger der bindenden und irrevisiblen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) lediglich seine eigene Auslegung gegenüber.
- 16
-
b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <318 f.> und vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <243>) stellt sich § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und als eine zulässige Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dar. Diese Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausgegangen.
- 17
-
c) Ebenfalls zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung die TA Lärm herangezogen. Obwohl aber nach seinen bindenden Feststellungen das genehmigte Wohnbauvorhaben gemessen an den Immissionsrichtwerten der Nr. 6.1 einschließlich Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 der TA Lärm an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden unzumutbaren Geräuschimmissionen ausgesetzt ist, hat das Oberverwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verneint, weil es angesichts der Vorbelastung des Vorhabengrundstücks durch gewerblichen Lärm noch Raum lasse, den gebotenen Interessenausgleich im Wege der architektonischen Selbsthilfe durch passive Schallschutzmaßnahmen zu bewirken. Diese Annahme verstößt gegen Bundesrecht.
- 18
-
aa) Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z.B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2) und Bewertungsspannen (z.B. A.2.5.3) Spielräume eröffnet (Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 m.w.N.).
- 19
-
Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundesimmissionsschutzrecht und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319 f.). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die TA Lärm enthalte lediglich Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von emittierenden Anlagen, regele aber nicht den Konflikt mit einer an eine latent störende gewerbliche Nutzung heranrückenden Wohnbebauung und sei deswegen für deren bauaufsichtliche Genehmigung nicht maßgeblich (so aber VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 5 S 1904/06 - NVwZ-RR 2007, 168 <169 f.>). Aus der Spiegelbildlichkeit der dargelegten gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Rücksichtnahmegebot für die konfligierenden Nutzungen ergibt sich vielmehr, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die - gemeinsame - Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststeht. Dass etwaige Lärmminderungspflichten, die sich aus der Anwendung der TA Lärm für den emittierenden Gewerbebetrieb ergeben können, nicht - etwa in Form einer Auflage - zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht werden können, steht nicht entgegen. Denn als Teil der vom Rücksichtnahmegebot geforderten Zuordnung der Nutzungen gehören die gebotenen Lärmminderungsmaßnahmen zur Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung und sind gegebenenfalls im Wege der §§ 24 und 22 BImSchG gegen den Gewerbebetrieb durchzusetzen. Auch aus der in der früheren Rechtsprechung des Senats verwendeten Formulierung, die TA Lärm gelte in diesen Fällen "nicht unmittelbar" (Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319), folgt nichts anderes. Der Senat hat hiermit keine Abstriche am Umfang ihrer Anwendbarkeit und Bindungswirkung verbunden.
- 20
-
bb) Passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung zwischen Gewerbe und Wohnen sieht die TA Lärm nicht vor. Nach ihrer Nr. 6.1 sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung außerhalb der betroffenen Gebäude gelegene Immissionsorte maßgeblich. Sie können durch passive Schallschutzmaßnahmen, wie sie die angefochtene Baugenehmigung vorschreibt, nicht beeinflusst werden. Aus Nr. 6.2 der TA Lärm folgt nichts anderes. Die Vorschrift regelt den Sonderfall der Körperschallübertragung und kann deswegen nicht als "Auffangregelung" verstanden werden, aus der abzuleiten wäre, dass letztlich maßgeblich auf - durch passive Schallschutzmaßnahmen beeinflussbare - Innen-Immissionswerte abzustellen ist. Soweit es - wie hier - um die Beurteilung von Luftschall geht, der über die Außenfassade einwirkt, sind die Außen-Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 anzuwenden (vgl. auch Feldhaus, Bundesimmissionsrecht, Bd. 4, Stand August 2012, Rn. 29 zu Nr. 6 TA Lärm).
- 21
-
cc) Auch die von der TA Lärm belassenen Spielräume bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze eröffnen nicht die Möglichkeit, der Überschreitung der Außen-Immissionsrichtwerte durch Anordnung von passivem Lärmschutz zu begegnen.
- 22
-
Entgegen der Ansicht des Beigeladenen kann insoweit nicht Nr. 3.2.2 der TA Lärm herangezogen werden, die eine ergänzende Prüfung im Sonderfall ermöglicht. Die Voraussetzungen der in Buchstaben a bis d genannten Umstände, bei deren Vorliegen eine solche Sonderfallprüfung "insbesondere" in Betracht kommt, sind nicht gegeben. Namentlich sind besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmission (Buchst. d) nicht schon dann zu bejahen, wenn sie von einer bestandskräftigen Genehmigung des emittierenden Gewerbebetriebs gedeckt ist. Auch begründet wegen des anzulegenden strengen Maßstabs für eine Sonderfallprüfung (Feldhaus a.a.O. Rn. 63 zu Nr. 3 TA Lärm) allein der Umstand, dass der Konflikt durch eine Gemengelage bedingt ist, noch keine besondere Standortbindung (Buchst. b).
- 23
-
Ein unbenannter Anwendungsfall der Regelung ist auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auszuschließen. Das folgt schon daraus, dass die insoweit allein in Betracht kommenden Umstände (Gemengelage, Vorbelastung, Prioritätsprinzip, konkrete Schutzwürdigkeit und Gebietsprägung) bereits Gegenstand der Regelung in Nr. 6.7 sind, die mit der Zwischenwertbildung eine auf die Gemengelagesituation und die genannten Umstände zugeschnittene Lösung enthält (vgl. auch Feldhaus a.a.O. m.w.N.). Es liegt fern, dass die TA Lärm für den Fall, dass - wie hier - trotz Zwischenwertbildung die Zumutbarkeit des Vorhabens nicht gewährleistet werden kann, aus denselben Gesichtspunkten einen zusätzlichen Spielraum für eine Lösung eröffnet, die, wie das Oberverwaltungsgericht nicht verkennt, die Rechtsordnung nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen unter strengen Voraussetzungen vorsieht.
- 24
-
Die Möglichkeit, einer Überschreitung der nach Nr. 6.1 und Nr. 6.7 maßgeblichen Immissionsrichtwerte mit passivem Lärmschutz zu begegnen, müsste auch das Schutzziel der TA Lärm verfehlen. Aus der Maßgeblichkeit der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3 des Anhangs der TA Lärm - bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes - ergibt sich, dass dieses Regelungswerk - anders als etwa für Verkehrsanlagen die 16. und 24. BImSchV - den Lärmkonflikt zwischen Gewerbe und schutzwürdiger (insbesondere Wohn-) Nutzung bereits an deren Außenwand und damit unabhängig von der Möglichkeit und Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen gelöst wissen will. Damit sichert die TA Lärm von vornherein für Wohnnutzungen einen Mindestwohnkomfort, der darin besteht, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen erweiterten Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommunikationssituation im Innern oder das Ruhebedürfnis und der Schlaf nachhaltig gestört werden können. Soweit andere Regelwerke wie die schon genannte 16. und 24. BImSchV passiven Lärmschutz zur Lösung des Nutzungskonflikts zulassen und damit einen geringeren Mindestwohnkomfort als Schutzziel zugrundelegen, beruht dies auf dem öffentlichen Interesse, das an den von diesen Regelungen erfassten (Verkehrs-)Anlagen besteht und weiterreichende Beschränkungen des Eigentumsinhalts zulasten der von Immissionen betroffenen Anliegern rechtfertigt.
- 25
-
Der von der TA Lärm gewährte Schutzstandard steht auch nicht zur Disposition des Lärmbetroffenen und kann nicht durch dessen Einverständnis mit passiven Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. Denn das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Das schließt es aus, das bei objektiver Betrachtung maßgebliche Schutzniveau auf das Maß zu senken, das der lärmbetroffene Bauwillige nach seiner persönlichen Einstellung bereit ist hinzunehmen (Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <324>).
- 26
-
dd) Schließlich bietet auch der Gesichtspunkt der architektonischen Selbsthilfe keine Rechtfertigung für die vom Oberverwaltungsgericht für zulässig angesehene Konfliktlösung mit Mitteln des passiven Lärmschutzes. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass sich aus dem Rücksichtnahmegebot die Obliegenheit des Bauherrn ergeben kann, durch Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe den Lärmkonflikt mit einem benachbarten Gewerbebetrieb in einer Weise zu lösen, die die Zumutbarkeit der ihn treffenden Immissionen gewährleistet und somit die Erteilung der Baugenehmigung für sein Vorhaben ermöglicht. Auf dieser Grundlage können dem Bauherrn im Anwendungsbereich der TA Lärm aber nur mit diesem Regelwerk vereinbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen abverlangt werden. Das schließt immissionsreduzierende Maßnahmen wie Veränderungen der Stellung des Gebäudes, des äußeren Zuschnitts des Hauses oder der Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, ohne Weiteres mit ein (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 323). Dasselbe gilt, soweit dies bauordnungsrechtlich zulässig ist, für den Einbau nicht zu öffnender Fenster (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2012 - BVerwG 4 BN 6.12 - juris), die keine relevanten Messpunkte im Sinne von Nr. 2.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A.1.3 ihres Anhangs darstellen. Passiver Lärmschutz als Mittel der architektonischen Selbsthilfe kann daher nur außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm und bei - hier nicht einschlägiger - Anwendung solcher Regelwerke in Betracht kommen, die diese Möglichkeit zulassen (vgl. Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - BVerwGE 128, 238 Rn. 16 f.).
- 27
-
4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze mit Blick auf die Bereitschaft des Beigeladenen, passiven Lärmschutz vorzusehen, unter Zugrundelegung derjenigen Lärmimmissionen ermittelt, die für das Grundstück des Beigeladenen im ungünstigsten Fall zu erwarten sind. Der Frage, welche Lärmminderungsmaßnahmen dem Kläger nach den (unter 3. b) dargelegten Vorgaben des Rücksichtnahmegebots obliegen, ist das Oberverwaltungsgericht nicht nachgegangen. Das wird es nachzuholen haben. Die dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Kläger insoweit zumutbaren Maßnahmen bestimmen sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG (Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <246 f.> m.w.N). Dass Möglichkeiten der Lärmminderung beim Gewerbebetrieb des Klägers, mit denen der nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Außen-Immissionswert von 60 dB(A) eingehalten werden könnte, schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen wären, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Auf die bestandskräftige Genehmigung seines Betriebs kann sich der Kläger gegenüber seinen dynamisch angelegten Grundpflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht berufen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O). Anders als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 21 f.) offenbar annimmt, sind diese Pflichten gegenüber - wie hier - heranrückender Wohnbebauung nicht von vornherein auf solche Lärmminderungsmaßnahmen beschränkt, zu denen der Gewerbebetrieb bereits gegenüber der vorhandenen Wohnbebauung verpflichtet gewesen wäre.
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.
(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.
(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.
(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.
Gründe
- 1
-
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
- 2
-
1. Das Beschwerdevorbringen lässt nicht erkennen, dass die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
- 3
-
a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht deswegen verfahrensfehlerhaft, weil der Verwaltungsgerichtshof, nachdem er die Beteiligten hierzu angehört hat, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Verfahren gemäß § 130a VwGO entschieden hat.
- 4
-
Ob ein Berufungsgericht den ihm gemäß § 130a VwGO eröffneten Weg einer Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist; dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sache ein im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigender wesentlicher Gesichtspunkt (stRspr, vgl. Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213 f.> = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 64 S. 52 f. und Beschluss vom 27. Januar 2011 - BVerwG 3 B 63.10 - NJW 2011, 1830 Rn. 8). Hiernach erweist sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs für das Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO nicht als sachfremd oder grob fehlerhaft, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Streitfall einen außergewöhnlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Dass der Kläger einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich.
- 5
-
Der Verwaltungsgerichtshof war - entgegen der Ansicht der Beschwerde - nicht deshalb an einem Vorgehen gemäß § 130a VwGO gehindert, weil er die Frage der Verjährung der streitgegenständlichen Straßenbeitragsforderung ohne erneute Anhörung der vom Verwaltungsgericht zur Frage der Abnahme der Baumaßnahme gehörten Zeugen beurteilt hat, und zwar mit gegenteiligem Ergebnis als das Verwaltungsgericht. Darin liegt insbesondere kein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO).
- 6
-
Eine in der Vorinstanz durchgeführte Beweisaufnahme braucht vom Rechtsmittelgericht grundsätzlich nicht wiederholt zu werden. Namentlich für den Zeugenbeweis folgt aus § 98 VwGO i.V.m. § 398 Abs. 1 ZPO, wonach die erneute Zeugenvernehmung im Ermessen des Gerichts steht, dass ein bereits in der ersten Instanz gehörter Zeuge nicht stets in der Berufungsinstanz erneut zu vernehmen ist. Das Berufungsgericht darf seine Entscheidung vielmehr grundsätzlich ohne erneute Vernehmung auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme stützen (vgl. Beschlüsse vom 11. November 1991 - BVerwG 7 B 123.91 - juris Rn. 3 und vom 6. Januar 2011 - BVerwG 4 B 51.10- juris Rn. 16; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 96 Rn. 8). Zur erneuten Beweisaufnahme verpflichtet ist das Berufungsgericht dagegen, wenn es an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen der Vorinstanz zweifelt, insbesondere wenn es die Glaubwürdigkeit eines Zeugen abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2004 - 1 BvR 1935/03 - NJW 2005, 1487). Das ist hier nicht der Fall. Der Verwaltungsgerichtshof hat weder die Richtigkeit noch die Vollständigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts noch die Glaubwürdigkeit der Zeugen angezweifelt, sondern ist von der im erstinstanzlichen Urteil niedergelegten Tatsachengrundlage ausgegangen, namentlich von den vom Verwaltungsgericht im Ortstermin vom 7. November 2008 protokollierten Feststellungen und Bekundungen sowie von den Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2008 vernommenen (sachverständigen) Zeugen. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber dahin erkannt, dass diese Tatsachenfeststellungen nicht die vom Verwaltungsgericht gezogene rechtliche Schlussfolgerung tragen. Er hat bei gleicher Tatsachengrundlage diese lediglich rechtlich anders beurteilt.
- 7
-
Der Verwaltungsgerichtshof hat entscheidungstragend angenommen, dass die Beitragsforderung der Beklagten bei Erlass des angefochtenen Bescheides noch nicht verjährt war. Die streitgegenständliche Straße sei nicht bereits im Dezember 2001 fertiggestellt gewesen. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei die im Dezember 2001 erfolgte Begehung der Baustelle noch keine förmliche Abnahme im Rechtsinne gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies eingehend und u.a. damit begründet (BA S. 10 ff.), dass es bereits an den entsprechenden formellen Voraussetzungen fehle, namentlich an einem schriftlichen Abnahmebefund, dass die bei der erwähnten Begehung besprochenen Punkte (u.a. betreffend die noch ausstehenden Arbeiten am Straßenbegleitgrün) im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2002 erledigt und im Wesentlichen durch Rechnung des Bauunternehmers vom 30. August 2002 besonders berechnet worden seien. Dieses Ergebnis sei - ungeachtet von Unterschieden im Detail - auch von den vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen bestätigt worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Baumaßnahme schon abgeschlossen sein sollte und die im Dezember 2001 übersandte Rechnung des Bauunternehmers bereits die Schlussrechnung darstellen sollte, ergäben sich aus keiner der Aussagen; vielmehr hätten die Zeugen übereinstimmend bekundet, dass diese Rechnung wegen der zum Jahresende anstehenden Währungsumstellung von DM auf Euro erteilt worden sei. Der maßgebliche Unterschied zwischen den Entscheidungen von Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof liegt - bei gleicher Tatsachengrundlage - mithin darin, dass Letzterer die Begehung der Baustelle im Dezember 2001 rechtlich als bloße Teilabnahme gewertet hat, weil das, was bei dieser Begehung als für eine vollständige Fertigstellung gemäß Bauprogramm noch fehlend festgestellt wurde, nicht abgenommen sein könne. Diese allein in rechtlicher Hinsicht abweichende Beurteilung der Zeugenaussagen und der vorliegenden Rechnungen durch den Verwaltungsgerichtshof liegt - noch - innerhalb der nach den dargestellten Maßstäben einem Berufungsgericht gezogenen verfahrensrechtlichen Grenzen. Daher liegt in der fehlenden Vernehmung der von der Beschwerde genannten Zeugen durch den Verwaltungsgerichtshof auch keine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).
- 8
-
b) Ein Verfahrensfehler durch Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
- 9
-
aa) Da der Verwaltungsgerichtshof seine Auffassung zur Frage der Verjährung den Beteiligten bereits im Beschluss vom 18. August 2009 über die Zulassung der Berufung dargelegt hat, stellt die Berufungsentscheidung auch unter dem Gesichtspunkt des Verbots einer Überraschungsentscheidung keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dar (vgl. dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juni 2003 - 1 BvR 2285/02 - NJW 2003, 2524).
- 10
-
bb) Die Beschwerde rügt ferner, dass der Verwaltungsgerichtshof einem Antrag des Klägers auf Akteneinsicht in beigezogene bzw. noch beizuziehende Verwaltungs- und Gerichtsakten nicht entsprochen hätte. Dieser Vorwurf ist nach Aktenlage unzutreffend. Nachdem sich der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bestellt und mit Schriftsatz vom 15. Februar 2011 um Zurverfügungstellung näher bezeichneter Unterlagen gebeten hatte, sind ihm im Parallelverfahren 5 A 2499/09 auf richterliche Anordnung vom 16. Februar 2011 unter demselben Datum sämtliche zu diesem Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge und eine weitere Gerichtsakte übersandt worden; gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, dass der Senat für eine Beiziehung weiterer Unterlagen derzeit keinen Anlass sehe. Selbst wenn hiernach der Umfang der Aktenüberlassung bzw. -beiziehung dem Wunsch des Klägers nicht vollständig entsprach, wäre es Sache des Klägers gewesen, substantiiert darzutun, dass und warum er die Beiziehung weiterer Unterlagen für erforderlich hielt, und dies beim Verwaltungsgerichtshof einzufordern. Dies hat der Kläger indes nicht getan; weder bei der Rückübersendung der übersandten Akten (Schriftsatz vom 17. März 2011) noch in dem weiteren Schriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof vom 29. April 2011 ist er hierauf zurückgekommen. Ein Gehörsverstoß bzw. eine Verletzung des Akteneinsichtsrechts nach § 100 VwGO liegt nicht vor, wenn der Betroffene es im vorinstanzlichen Verfahren selbst in der Hand hatte, den nunmehr behaupteten Verfahrensmangel zu vermeiden.
- 11
-
cc) Der wesentliche Gehalt der klägerischen Ausführungen im Schriftsatz vom 29. April 2011 zu weiteren Einwänden gegen die Beitragserhebung, ist im angefochtenen Beschluss unter I. der Gründe (BA ab S. 4 unten) aufgeführt, vom Verwaltungsgerichtshof also zur Kenntnis genommen und unter II. der Gründe beschieden worden, soweit der Verwaltungsgerichtshof sie für entscheidungserheblich gehalten hat. Eine weitergehende Befassung mit Einzelaspekten der Grundstücke der zur Beitragszahlung herangezogenen Straßenanlieger hat er aufgrund seiner rechtlichen Beurteilung nicht für erforderlich gehalten. Auch insoweit ist für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nichts ersichtlich. Denn dieser verpflichtet ein Gericht nicht, in der zu treffenden Entscheidung auf jedwedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich einzugehen und dieses im Einzelnen zu bescheiden, namentlich wenn es das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen durfte (stRspr, vgl. etwa die Beschlüsse vom 22. Mai 2006 - BVerwG 10 B 9.06 - NJW 2006, 2648 <2650> und vom 23. Juni 2008 - BVerwG 9 VR 13.08 - NVwZ 2008, 1027 <1028>, jeweils m.w.N.).
- 12
-
dd) Entgegen der Ansicht der Beschwerde war der Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu weiteren rechtlichen Hinweisen (§ 86 Abs. 3 VwGO) an den Kläger verpflichtet. Angesichts der rechtlichen Ausführungen im Beschluss über die Zulassung der Berufung vom 18. August 2009 und im Vergleichsvorschlag des Berichterstatters vom 29. November 2010, ferner angesichts des Anhörungsschreibens gemäß § 130a VwGO vom 28. März 2011 sowie der Mitteilung vom 2. Mai 2011, dass auch in Ansehung des klägerischen Schriftsatzes vom 29. April 2011 an der Absicht festgehalten werde, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, bestand für weitere Hinweise kein Anlass.
- 13
-
2. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) scheidet ebenfalls aus.
- 14
-
Insoweit genügt das Beschwerdevorbringen trotz seines Umfangs nicht den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), weil es sich in der Art eines zulassungsfreien oder zugelassenen Rechtsmittels in Angriffen gegen die tatsächliche und rechtliche Beurteilung des Streitfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erschöpft, ohne bestimmte, höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfragen des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung zu formulieren (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14). Dafür genügt nicht der bloße Hinweis, dass "die Frage der Verjährung und der Verwirkung sowie die Kompensation, Treu und Glauben und Unbilligkeit (...) straßenbeitragsrechtlich nicht ausreichend durch die Rechtsprechung geklärt" seien, was durch die Ausführungen der Beschwerde verdeutlicht werde (Beschwerdebegründung S. 32 unten). Einer Befassung mit den genannten Fragen in einem Revisionsverfahren steht im Übrigen entgegen, dass sie nicht revisibles Recht betreffen, weil sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Straßenbeitragsbescheids nach hessischem Landesrecht (§ 11 HessKAG) richtet. Dies gilt auch für die durch den Rechtsanwendungsbefehl in § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b HessKAG in Bezug genommenen Verjährungsvorschriften der Abgabenordnung sowie für die in Ergänzung des Landesrechts angewandten allgemeinen Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben und der Verwirkung; sie alle werden dadurch Teil des irrevisiblen Landesrechts (stRspr, vgl. Urteil vom 19. März 2009 - BVerwG 9 C 10.08 - Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 135 S. 8 und Beschluss vom 1. April 2004 - BVerwG 4 B 17.04 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 21 S. 6). Sie können daher nicht Maßstab revisionsgerichtlicher Prüfung sein (§ 137 Abs. 1 VwGO).
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.
(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.
(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.
(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.
Gründe
- 1
-
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
- 2
-
1. Das Beschwerdevorbringen lässt nicht erkennen, dass die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
- 3
-
a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht deswegen verfahrensfehlerhaft, weil der Verwaltungsgerichtshof, nachdem er die Beteiligten hierzu angehört hat, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Verfahren gemäß § 130a VwGO entschieden hat.
- 4
-
Ob ein Berufungsgericht den ihm gemäß § 130a VwGO eröffneten Weg einer Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist; dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sache ein im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigender wesentlicher Gesichtspunkt (stRspr, vgl. Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213 f.> = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 64 S. 52 f. und Beschluss vom 27. Januar 2011 - BVerwG 3 B 63.10 - NJW 2011, 1830 Rn. 8). Hiernach erweist sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs für das Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO nicht als sachfremd oder grob fehlerhaft, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Streitfall einen außergewöhnlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Dass der Kläger einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich.
- 5
-
Der Verwaltungsgerichtshof war - entgegen der Ansicht der Beschwerde - nicht deshalb an einem Vorgehen gemäß § 130a VwGO gehindert, weil er die Frage der Verjährung der streitgegenständlichen Straßenbeitragsforderung ohne erneute Anhörung der vom Verwaltungsgericht zur Frage der Abnahme der Baumaßnahme gehörten Zeugen beurteilt hat, und zwar mit gegenteiligem Ergebnis als das Verwaltungsgericht. Darin liegt insbesondere kein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO).
- 6
-
Eine in der Vorinstanz durchgeführte Beweisaufnahme braucht vom Rechtsmittelgericht grundsätzlich nicht wiederholt zu werden. Namentlich für den Zeugenbeweis folgt aus § 98 VwGO i.V.m. § 398 Abs. 1 ZPO, wonach die erneute Zeugenvernehmung im Ermessen des Gerichts steht, dass ein bereits in der ersten Instanz gehörter Zeuge nicht stets in der Berufungsinstanz erneut zu vernehmen ist. Das Berufungsgericht darf seine Entscheidung vielmehr grundsätzlich ohne erneute Vernehmung auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme stützen (vgl. Beschlüsse vom 11. November 1991 - BVerwG 7 B 123.91 - juris Rn. 3 und vom 6. Januar 2011 - BVerwG 4 B 51.10- juris Rn. 16; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 96 Rn. 8). Zur erneuten Beweisaufnahme verpflichtet ist das Berufungsgericht dagegen, wenn es an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen der Vorinstanz zweifelt, insbesondere wenn es die Glaubwürdigkeit eines Zeugen abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2004 - 1 BvR 1935/03 - NJW 2005, 1487). Das ist hier nicht der Fall. Der Verwaltungsgerichtshof hat weder die Richtigkeit noch die Vollständigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts noch die Glaubwürdigkeit der Zeugen angezweifelt, sondern ist von der im erstinstanzlichen Urteil niedergelegten Tatsachengrundlage ausgegangen, namentlich von den vom Verwaltungsgericht im Ortstermin vom 7. November 2008 protokollierten Feststellungen und Bekundungen sowie von den Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2008 vernommenen (sachverständigen) Zeugen. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber dahin erkannt, dass diese Tatsachenfeststellungen nicht die vom Verwaltungsgericht gezogene rechtliche Schlussfolgerung tragen. Er hat bei gleicher Tatsachengrundlage diese lediglich rechtlich anders beurteilt.
- 7
-
Der Verwaltungsgerichtshof hat entscheidungstragend angenommen, dass die Beitragsforderung der Beklagten bei Erlass des angefochtenen Bescheides noch nicht verjährt war. Die streitgegenständliche Straße sei nicht bereits im Dezember 2001 fertiggestellt gewesen. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei die im Dezember 2001 erfolgte Begehung der Baustelle noch keine förmliche Abnahme im Rechtsinne gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies eingehend und u.a. damit begründet (BA S. 10 ff.), dass es bereits an den entsprechenden formellen Voraussetzungen fehle, namentlich an einem schriftlichen Abnahmebefund, dass die bei der erwähnten Begehung besprochenen Punkte (u.a. betreffend die noch ausstehenden Arbeiten am Straßenbegleitgrün) im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2002 erledigt und im Wesentlichen durch Rechnung des Bauunternehmers vom 30. August 2002 besonders berechnet worden seien. Dieses Ergebnis sei - ungeachtet von Unterschieden im Detail - auch von den vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen bestätigt worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Baumaßnahme schon abgeschlossen sein sollte und die im Dezember 2001 übersandte Rechnung des Bauunternehmers bereits die Schlussrechnung darstellen sollte, ergäben sich aus keiner der Aussagen; vielmehr hätten die Zeugen übereinstimmend bekundet, dass diese Rechnung wegen der zum Jahresende anstehenden Währungsumstellung von DM auf Euro erteilt worden sei. Der maßgebliche Unterschied zwischen den Entscheidungen von Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof liegt - bei gleicher Tatsachengrundlage - mithin darin, dass Letzterer die Begehung der Baustelle im Dezember 2001 rechtlich als bloße Teilabnahme gewertet hat, weil das, was bei dieser Begehung als für eine vollständige Fertigstellung gemäß Bauprogramm noch fehlend festgestellt wurde, nicht abgenommen sein könne. Diese allein in rechtlicher Hinsicht abweichende Beurteilung der Zeugenaussagen und der vorliegenden Rechnungen durch den Verwaltungsgerichtshof liegt - noch - innerhalb der nach den dargestellten Maßstäben einem Berufungsgericht gezogenen verfahrensrechtlichen Grenzen. Daher liegt in der fehlenden Vernehmung der von der Beschwerde genannten Zeugen durch den Verwaltungsgerichtshof auch keine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).
- 8
-
b) Ein Verfahrensfehler durch Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
- 9
-
aa) Da der Verwaltungsgerichtshof seine Auffassung zur Frage der Verjährung den Beteiligten bereits im Beschluss vom 18. August 2009 über die Zulassung der Berufung dargelegt hat, stellt die Berufungsentscheidung auch unter dem Gesichtspunkt des Verbots einer Überraschungsentscheidung keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dar (vgl. dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juni 2003 - 1 BvR 2285/02 - NJW 2003, 2524).
- 10
-
bb) Die Beschwerde rügt ferner, dass der Verwaltungsgerichtshof einem Antrag des Klägers auf Akteneinsicht in beigezogene bzw. noch beizuziehende Verwaltungs- und Gerichtsakten nicht entsprochen hätte. Dieser Vorwurf ist nach Aktenlage unzutreffend. Nachdem sich der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bestellt und mit Schriftsatz vom 15. Februar 2011 um Zurverfügungstellung näher bezeichneter Unterlagen gebeten hatte, sind ihm im Parallelverfahren 5 A 2499/09 auf richterliche Anordnung vom 16. Februar 2011 unter demselben Datum sämtliche zu diesem Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge und eine weitere Gerichtsakte übersandt worden; gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, dass der Senat für eine Beiziehung weiterer Unterlagen derzeit keinen Anlass sehe. Selbst wenn hiernach der Umfang der Aktenüberlassung bzw. -beiziehung dem Wunsch des Klägers nicht vollständig entsprach, wäre es Sache des Klägers gewesen, substantiiert darzutun, dass und warum er die Beiziehung weiterer Unterlagen für erforderlich hielt, und dies beim Verwaltungsgerichtshof einzufordern. Dies hat der Kläger indes nicht getan; weder bei der Rückübersendung der übersandten Akten (Schriftsatz vom 17. März 2011) noch in dem weiteren Schriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof vom 29. April 2011 ist er hierauf zurückgekommen. Ein Gehörsverstoß bzw. eine Verletzung des Akteneinsichtsrechts nach § 100 VwGO liegt nicht vor, wenn der Betroffene es im vorinstanzlichen Verfahren selbst in der Hand hatte, den nunmehr behaupteten Verfahrensmangel zu vermeiden.
- 11
-
cc) Der wesentliche Gehalt der klägerischen Ausführungen im Schriftsatz vom 29. April 2011 zu weiteren Einwänden gegen die Beitragserhebung, ist im angefochtenen Beschluss unter I. der Gründe (BA ab S. 4 unten) aufgeführt, vom Verwaltungsgerichtshof also zur Kenntnis genommen und unter II. der Gründe beschieden worden, soweit der Verwaltungsgerichtshof sie für entscheidungserheblich gehalten hat. Eine weitergehende Befassung mit Einzelaspekten der Grundstücke der zur Beitragszahlung herangezogenen Straßenanlieger hat er aufgrund seiner rechtlichen Beurteilung nicht für erforderlich gehalten. Auch insoweit ist für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nichts ersichtlich. Denn dieser verpflichtet ein Gericht nicht, in der zu treffenden Entscheidung auf jedwedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich einzugehen und dieses im Einzelnen zu bescheiden, namentlich wenn es das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen durfte (stRspr, vgl. etwa die Beschlüsse vom 22. Mai 2006 - BVerwG 10 B 9.06 - NJW 2006, 2648 <2650> und vom 23. Juni 2008 - BVerwG 9 VR 13.08 - NVwZ 2008, 1027 <1028>, jeweils m.w.N.).
- 12
-
dd) Entgegen der Ansicht der Beschwerde war der Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu weiteren rechtlichen Hinweisen (§ 86 Abs. 3 VwGO) an den Kläger verpflichtet. Angesichts der rechtlichen Ausführungen im Beschluss über die Zulassung der Berufung vom 18. August 2009 und im Vergleichsvorschlag des Berichterstatters vom 29. November 2010, ferner angesichts des Anhörungsschreibens gemäß § 130a VwGO vom 28. März 2011 sowie der Mitteilung vom 2. Mai 2011, dass auch in Ansehung des klägerischen Schriftsatzes vom 29. April 2011 an der Absicht festgehalten werde, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, bestand für weitere Hinweise kein Anlass.
- 13
-
2. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) scheidet ebenfalls aus.
- 14
-
Insoweit genügt das Beschwerdevorbringen trotz seines Umfangs nicht den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), weil es sich in der Art eines zulassungsfreien oder zugelassenen Rechtsmittels in Angriffen gegen die tatsächliche und rechtliche Beurteilung des Streitfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erschöpft, ohne bestimmte, höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfragen des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung zu formulieren (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14). Dafür genügt nicht der bloße Hinweis, dass "die Frage der Verjährung und der Verwirkung sowie die Kompensation, Treu und Glauben und Unbilligkeit (...) straßenbeitragsrechtlich nicht ausreichend durch die Rechtsprechung geklärt" seien, was durch die Ausführungen der Beschwerde verdeutlicht werde (Beschwerdebegründung S. 32 unten). Einer Befassung mit den genannten Fragen in einem Revisionsverfahren steht im Übrigen entgegen, dass sie nicht revisibles Recht betreffen, weil sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Straßenbeitragsbescheids nach hessischem Landesrecht (§ 11 HessKAG) richtet. Dies gilt auch für die durch den Rechtsanwendungsbefehl in § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b HessKAG in Bezug genommenen Verjährungsvorschriften der Abgabenordnung sowie für die in Ergänzung des Landesrechts angewandten allgemeinen Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben und der Verwirkung; sie alle werden dadurch Teil des irrevisiblen Landesrechts (stRspr, vgl. Urteil vom 19. März 2009 - BVerwG 9 C 10.08 - Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 135 S. 8 und Beschluss vom 1. April 2004 - BVerwG 4 B 17.04 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 21 S. 6). Sie können daher nicht Maßstab revisionsgerichtlicher Prüfung sein (§ 137 Abs. 1 VwGO).
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
Gründe
-
I
- 1
-
Die Klägerin wendet sich gegen das Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung im Wiederholungsversuch.
- 2
-
Ihre Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht auf entsprechende Behauptungen der Klägerin das Landesjustizprüfungsamt am 7. Juli 2016 unter Bezug auf eine Zeugenaussage in einem Strafverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes aufgefordert mitzuteilen, in welchem Zeitraum die in verschiedenen Unterlagen erwähnte "Sonderarbeitsgemeinschaft/Zusatzunterricht" von Herrn M. stattgefunden habe, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe. Hierauf hat der Beklagte mitgeteilt, durch eine Anzeige von Referendaren an das Landesjustizprüfungsamt sei im Juli 2010 bekannt geworden, dass der Prüfer M. damals einige Zusatzunterricht-Veranstaltungen mit einigen wenigen Referendaren durchgeführt habe. Herr M. sei zu diesem Zeitpunkt Prüfer und Leiter einer Arbeitsgemeinschaft für die dritte Pflichtstation gewesen. Das Landesjustizprüfungsamt habe hinsichtlich des Einsatzes als Prüfer sofort reagiert und Herrn M. im Rahmen eines Gesprächs zu dem Sachverhalt befragt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Prüfer nur allgemein für die Ausbildung bestimmte Klausuren für die Arbeitsgemeinschaft und den Zusatzunterricht verwendet und keinen Zugang zu anderen Materialien gehabt habe. Vorsorglich sei er aber zunächst von der weiteren Durchführung von Prüfungen ausgenommen und erst ab Januar 2011 wieder als Prüfer in der ersten Prüfung und ab Oktober 2011 wieder als Prüfer für das zweite Staatsexamen eingesetzt worden.
- 3
-
In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin beantragt, über die Behauptung der Tatsache, dass der Prüfer M. in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 1. Juli 2013 Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften mit einigen Referendarinnen und Referendaren durchgeführt habe, diesen Zusatzunterricht nicht allen Referendarinnen und Referendaren angeboten habe, die sich in dem genannten Zeitraum in der Ausbildung zur Abnahme der großen juristischen Staatsprüfung befanden, und in diesem Zusatzunterricht Wissen vermittelt habe, das über das in den von ihm geführten Arbeitsgemeinschaften der dritten Pflichtstation vermittelte Wissen hinausging oder dieses vertiefte, Beweis durch Vernehmung des Herrn M. zu erheben. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. In den Gründen des die Berufung der Klägerin zurückweisenden Urteils vom 14. Juli 2016 hat es dazu ausgeführt, die Klägerin habe keine plausiblen Anhaltspunkte für die Behauptung benannt, Herr M. sei ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden. Derartiges lasse sich auch nicht den dem Senat vorliegenden Unterlagen entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde.
-
II
- 4
-
Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln gestützte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin macht mit Erfolg einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dies führt gemäß § 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.
- 5
-
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es den Antrag auf Einvernahme von Herrn M. zu dem als erheblich erachteten Beweisthema "Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften" als unzulässigen Beweisermittlungsantrag bewertet und abgelehnt hat, § 86 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 244 Abs. 3 StPO (analog) verletzt.
- 6
-
a) Bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteile vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 und vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; stRspr).
- 7
-
b) Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, der als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" erhoben worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 30. Januar 2002 - 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69 und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:221014B8B99.13.0] - juris Rn. 40; stRspr). Eine Behauptung kann nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Beteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Dem Beteiligten ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 - 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14).
- 8
-
An diesem Maßstab gemessen findet die Ablehnung des o.g. Beweisantrags als unzulässiger Beweisermittlungsantrag im Prozessrecht keine Stütze. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren - wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - als selbständige Rüge geltend gemacht, der Grundsatz der Chancengleichheit sei bereits in der Ausbildung verletzt worden, da eine von Herrn M., Erstgutachter der von ihr verfassten VA-Klausur, durchgeführte Sonderarbeitsgemeinschaft nicht allen Referendaren offengestanden habe. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nach seinem materiellrechtlichen Ansatz unter dem Aspekt einer selbständigen Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit als erheblich angesehen. Das ergibt sich daraus, dass es diesem Vortrag der Klägerin durch eine an den Beklagten gerichtete Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin vom 7. Juli 2016 (GA Bl. 674) nachgegangen ist. Zudem hat es den Beweisantrag der Klägerin nicht als unerheblich, sondern als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. Schließlich hat es diesen Themenkomplex in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils getrennt von der seitens der Klägerin in den Raum gestellten Möglichkeit der Informationsverschaffung über Prüfungsaufgaben abgehandelt (UA S. 15 f.: "Zum anderen ..."). Das detailarme Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2016 (GA Bl. 679 f.) hatte den Vortrag der Klägerin jedoch nicht in einer Weise entkräftet, dass die Beweisbehauptung der Klägerin nunmehr als unsubstantiiert anzusehen wäre. Denn zu den nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für den hier vorliegenden Fall relevanten Fragen, in welchem Zeitraum der Zusatzunterricht stattgefunden habe, womit der für die Ausbildung der Klägerin maßgebliche Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2013 im Fokus stand, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe, verhält sich die Einlassung des Beklagten in dem Schreiben vom 11. Juli 2016 nicht. Damit hat der Beklagte nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass Herr M. ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden ist und Zusatzunterricht nur für einige Referendare erteilt hat.
- 9
-
c) Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Entscheidungsausspruch beurteilt sich aus der Perspektive des Berufungsgerichts; dabei reicht die Möglichkeit aus, dass ohne den Verfahrensmangel anders entschieden worden wäre (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 41 ff. m.w.N.).
- 10
-
Das Oberverwaltungsgericht hat den Maßstab für einen "generelle[n] Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit" (UA S. 11 ff.) fallbezogen dahingehend konkretisiert, dass es nicht nur entscheidungserheblich darauf ankommt, ob einzelne Prüfungsteilnehmer "in vorwerfbarer Weise Kenntnis von den Prüfungsaufgaben erlangt" haben (UA S. 11). Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 f.) lassen vielmehr erkennen, dass es nach seinem materiellrechtlichen Ansatz eine Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit grundsätzlich auch durch eine unterschiedlich intensive Wissensvermittlung in der Ausbildung für möglich erachtet, jedenfalls wenn Prüfer als Ausbilder fungiert haben. Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, woran der beschließende Senat erhebliche Zweifel hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1984 - 7 B 169.83 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 189; VGH München, Urteil vom 16. Mai 2012 - 7 B 11.2645 - juris), ist für das Beruhenserfordernis ohne Bedeutung. Denn auch insoweit ist auf die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz abzustellen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte.
- 11
-
2. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
- 12
-
3. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
Gründe
-
I
- 1
-
Die Klägerin wendet sich gegen das Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung im Wiederholungsversuch.
- 2
-
Ihre Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht auf entsprechende Behauptungen der Klägerin das Landesjustizprüfungsamt am 7. Juli 2016 unter Bezug auf eine Zeugenaussage in einem Strafverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes aufgefordert mitzuteilen, in welchem Zeitraum die in verschiedenen Unterlagen erwähnte "Sonderarbeitsgemeinschaft/Zusatzunterricht" von Herrn M. stattgefunden habe, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe. Hierauf hat der Beklagte mitgeteilt, durch eine Anzeige von Referendaren an das Landesjustizprüfungsamt sei im Juli 2010 bekannt geworden, dass der Prüfer M. damals einige Zusatzunterricht-Veranstaltungen mit einigen wenigen Referendaren durchgeführt habe. Herr M. sei zu diesem Zeitpunkt Prüfer und Leiter einer Arbeitsgemeinschaft für die dritte Pflichtstation gewesen. Das Landesjustizprüfungsamt habe hinsichtlich des Einsatzes als Prüfer sofort reagiert und Herrn M. im Rahmen eines Gesprächs zu dem Sachverhalt befragt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Prüfer nur allgemein für die Ausbildung bestimmte Klausuren für die Arbeitsgemeinschaft und den Zusatzunterricht verwendet und keinen Zugang zu anderen Materialien gehabt habe. Vorsorglich sei er aber zunächst von der weiteren Durchführung von Prüfungen ausgenommen und erst ab Januar 2011 wieder als Prüfer in der ersten Prüfung und ab Oktober 2011 wieder als Prüfer für das zweite Staatsexamen eingesetzt worden.
- 3
-
In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin beantragt, über die Behauptung der Tatsache, dass der Prüfer M. in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 1. Juli 2013 Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften mit einigen Referendarinnen und Referendaren durchgeführt habe, diesen Zusatzunterricht nicht allen Referendarinnen und Referendaren angeboten habe, die sich in dem genannten Zeitraum in der Ausbildung zur Abnahme der großen juristischen Staatsprüfung befanden, und in diesem Zusatzunterricht Wissen vermittelt habe, das über das in den von ihm geführten Arbeitsgemeinschaften der dritten Pflichtstation vermittelte Wissen hinausging oder dieses vertiefte, Beweis durch Vernehmung des Herrn M. zu erheben. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. In den Gründen des die Berufung der Klägerin zurückweisenden Urteils vom 14. Juli 2016 hat es dazu ausgeführt, die Klägerin habe keine plausiblen Anhaltspunkte für die Behauptung benannt, Herr M. sei ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden. Derartiges lasse sich auch nicht den dem Senat vorliegenden Unterlagen entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde.
-
II
- 4
-
Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln gestützte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin macht mit Erfolg einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dies führt gemäß § 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.
- 5
-
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es den Antrag auf Einvernahme von Herrn M. zu dem als erheblich erachteten Beweisthema "Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften" als unzulässigen Beweisermittlungsantrag bewertet und abgelehnt hat, § 86 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 244 Abs. 3 StPO (analog) verletzt.
- 6
-
a) Bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteile vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 und vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; stRspr).
- 7
-
b) Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, der als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" erhoben worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 30. Januar 2002 - 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69 und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:221014B8B99.13.0] - juris Rn. 40; stRspr). Eine Behauptung kann nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Beteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Dem Beteiligten ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 - 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14).
- 8
-
An diesem Maßstab gemessen findet die Ablehnung des o.g. Beweisantrags als unzulässiger Beweisermittlungsantrag im Prozessrecht keine Stütze. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren - wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - als selbständige Rüge geltend gemacht, der Grundsatz der Chancengleichheit sei bereits in der Ausbildung verletzt worden, da eine von Herrn M., Erstgutachter der von ihr verfassten VA-Klausur, durchgeführte Sonderarbeitsgemeinschaft nicht allen Referendaren offengestanden habe. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nach seinem materiellrechtlichen Ansatz unter dem Aspekt einer selbständigen Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit als erheblich angesehen. Das ergibt sich daraus, dass es diesem Vortrag der Klägerin durch eine an den Beklagten gerichtete Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin vom 7. Juli 2016 (GA Bl. 674) nachgegangen ist. Zudem hat es den Beweisantrag der Klägerin nicht als unerheblich, sondern als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. Schließlich hat es diesen Themenkomplex in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils getrennt von der seitens der Klägerin in den Raum gestellten Möglichkeit der Informationsverschaffung über Prüfungsaufgaben abgehandelt (UA S. 15 f.: "Zum anderen ..."). Das detailarme Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2016 (GA Bl. 679 f.) hatte den Vortrag der Klägerin jedoch nicht in einer Weise entkräftet, dass die Beweisbehauptung der Klägerin nunmehr als unsubstantiiert anzusehen wäre. Denn zu den nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für den hier vorliegenden Fall relevanten Fragen, in welchem Zeitraum der Zusatzunterricht stattgefunden habe, womit der für die Ausbildung der Klägerin maßgebliche Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2013 im Fokus stand, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe, verhält sich die Einlassung des Beklagten in dem Schreiben vom 11. Juli 2016 nicht. Damit hat der Beklagte nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass Herr M. ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden ist und Zusatzunterricht nur für einige Referendare erteilt hat.
- 9
-
c) Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Entscheidungsausspruch beurteilt sich aus der Perspektive des Berufungsgerichts; dabei reicht die Möglichkeit aus, dass ohne den Verfahrensmangel anders entschieden worden wäre (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 41 ff. m.w.N.).
- 10
-
Das Oberverwaltungsgericht hat den Maßstab für einen "generelle[n] Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit" (UA S. 11 ff.) fallbezogen dahingehend konkretisiert, dass es nicht nur entscheidungserheblich darauf ankommt, ob einzelne Prüfungsteilnehmer "in vorwerfbarer Weise Kenntnis von den Prüfungsaufgaben erlangt" haben (UA S. 11). Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 f.) lassen vielmehr erkennen, dass es nach seinem materiellrechtlichen Ansatz eine Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit grundsätzlich auch durch eine unterschiedlich intensive Wissensvermittlung in der Ausbildung für möglich erachtet, jedenfalls wenn Prüfer als Ausbilder fungiert haben. Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, woran der beschließende Senat erhebliche Zweifel hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1984 - 7 B 169.83 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 189; VGH München, Urteil vom 16. Mai 2012 - 7 B 11.2645 - juris), ist für das Beruhenserfordernis ohne Bedeutung. Denn auch insoweit ist auf die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz abzustellen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte.
- 11
-
2. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
- 12
-
3. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
Gründe
-
I
- 1
-
Die Klägerin wendet sich gegen das Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung im Wiederholungsversuch.
- 2
-
Ihre Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht auf entsprechende Behauptungen der Klägerin das Landesjustizprüfungsamt am 7. Juli 2016 unter Bezug auf eine Zeugenaussage in einem Strafverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes aufgefordert mitzuteilen, in welchem Zeitraum die in verschiedenen Unterlagen erwähnte "Sonderarbeitsgemeinschaft/Zusatzunterricht" von Herrn M. stattgefunden habe, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe. Hierauf hat der Beklagte mitgeteilt, durch eine Anzeige von Referendaren an das Landesjustizprüfungsamt sei im Juli 2010 bekannt geworden, dass der Prüfer M. damals einige Zusatzunterricht-Veranstaltungen mit einigen wenigen Referendaren durchgeführt habe. Herr M. sei zu diesem Zeitpunkt Prüfer und Leiter einer Arbeitsgemeinschaft für die dritte Pflichtstation gewesen. Das Landesjustizprüfungsamt habe hinsichtlich des Einsatzes als Prüfer sofort reagiert und Herrn M. im Rahmen eines Gesprächs zu dem Sachverhalt befragt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Prüfer nur allgemein für die Ausbildung bestimmte Klausuren für die Arbeitsgemeinschaft und den Zusatzunterricht verwendet und keinen Zugang zu anderen Materialien gehabt habe. Vorsorglich sei er aber zunächst von der weiteren Durchführung von Prüfungen ausgenommen und erst ab Januar 2011 wieder als Prüfer in der ersten Prüfung und ab Oktober 2011 wieder als Prüfer für das zweite Staatsexamen eingesetzt worden.
- 3
-
In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin beantragt, über die Behauptung der Tatsache, dass der Prüfer M. in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 1. Juli 2013 Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften mit einigen Referendarinnen und Referendaren durchgeführt habe, diesen Zusatzunterricht nicht allen Referendarinnen und Referendaren angeboten habe, die sich in dem genannten Zeitraum in der Ausbildung zur Abnahme der großen juristischen Staatsprüfung befanden, und in diesem Zusatzunterricht Wissen vermittelt habe, das über das in den von ihm geführten Arbeitsgemeinschaften der dritten Pflichtstation vermittelte Wissen hinausging oder dieses vertiefte, Beweis durch Vernehmung des Herrn M. zu erheben. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. In den Gründen des die Berufung der Klägerin zurückweisenden Urteils vom 14. Juli 2016 hat es dazu ausgeführt, die Klägerin habe keine plausiblen Anhaltspunkte für die Behauptung benannt, Herr M. sei ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden. Derartiges lasse sich auch nicht den dem Senat vorliegenden Unterlagen entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde.
-
II
- 4
-
Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln gestützte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin macht mit Erfolg einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dies führt gemäß § 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.
- 5
-
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es den Antrag auf Einvernahme von Herrn M. zu dem als erheblich erachteten Beweisthema "Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften" als unzulässigen Beweisermittlungsantrag bewertet und abgelehnt hat, § 86 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 244 Abs. 3 StPO (analog) verletzt.
- 6
-
a) Bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteile vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 und vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; stRspr).
- 7
-
b) Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, der als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" erhoben worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 30. Januar 2002 - 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69 und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:221014B8B99.13.0] - juris Rn. 40; stRspr). Eine Behauptung kann nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Beteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Dem Beteiligten ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 - 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14).
- 8
-
An diesem Maßstab gemessen findet die Ablehnung des o.g. Beweisantrags als unzulässiger Beweisermittlungsantrag im Prozessrecht keine Stütze. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren - wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - als selbständige Rüge geltend gemacht, der Grundsatz der Chancengleichheit sei bereits in der Ausbildung verletzt worden, da eine von Herrn M., Erstgutachter der von ihr verfassten VA-Klausur, durchgeführte Sonderarbeitsgemeinschaft nicht allen Referendaren offengestanden habe. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nach seinem materiellrechtlichen Ansatz unter dem Aspekt einer selbständigen Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit als erheblich angesehen. Das ergibt sich daraus, dass es diesem Vortrag der Klägerin durch eine an den Beklagten gerichtete Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin vom 7. Juli 2016 (GA Bl. 674) nachgegangen ist. Zudem hat es den Beweisantrag der Klägerin nicht als unerheblich, sondern als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. Schließlich hat es diesen Themenkomplex in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils getrennt von der seitens der Klägerin in den Raum gestellten Möglichkeit der Informationsverschaffung über Prüfungsaufgaben abgehandelt (UA S. 15 f.: "Zum anderen ..."). Das detailarme Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2016 (GA Bl. 679 f.) hatte den Vortrag der Klägerin jedoch nicht in einer Weise entkräftet, dass die Beweisbehauptung der Klägerin nunmehr als unsubstantiiert anzusehen wäre. Denn zu den nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für den hier vorliegenden Fall relevanten Fragen, in welchem Zeitraum der Zusatzunterricht stattgefunden habe, womit der für die Ausbildung der Klägerin maßgebliche Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2013 im Fokus stand, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe, verhält sich die Einlassung des Beklagten in dem Schreiben vom 11. Juli 2016 nicht. Damit hat der Beklagte nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass Herr M. ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden ist und Zusatzunterricht nur für einige Referendare erteilt hat.
- 9
-
c) Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Entscheidungsausspruch beurteilt sich aus der Perspektive des Berufungsgerichts; dabei reicht die Möglichkeit aus, dass ohne den Verfahrensmangel anders entschieden worden wäre (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 41 ff. m.w.N.).
- 10
-
Das Oberverwaltungsgericht hat den Maßstab für einen "generelle[n] Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit" (UA S. 11 ff.) fallbezogen dahingehend konkretisiert, dass es nicht nur entscheidungserheblich darauf ankommt, ob einzelne Prüfungsteilnehmer "in vorwerfbarer Weise Kenntnis von den Prüfungsaufgaben erlangt" haben (UA S. 11). Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 f.) lassen vielmehr erkennen, dass es nach seinem materiellrechtlichen Ansatz eine Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit grundsätzlich auch durch eine unterschiedlich intensive Wissensvermittlung in der Ausbildung für möglich erachtet, jedenfalls wenn Prüfer als Ausbilder fungiert haben. Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, woran der beschließende Senat erhebliche Zweifel hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1984 - 7 B 169.83 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 189; VGH München, Urteil vom 16. Mai 2012 - 7 B 11.2645 - juris), ist für das Beruhenserfordernis ohne Bedeutung. Denn auch insoweit ist auf die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz abzustellen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte.
- 11
-
2. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
- 12
-
3. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
Gründe
-
I
- 1
-
Die Klägerin wendet sich gegen das Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung im Wiederholungsversuch.
- 2
-
Ihre Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht auf entsprechende Behauptungen der Klägerin das Landesjustizprüfungsamt am 7. Juli 2016 unter Bezug auf eine Zeugenaussage in einem Strafverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes aufgefordert mitzuteilen, in welchem Zeitraum die in verschiedenen Unterlagen erwähnte "Sonderarbeitsgemeinschaft/Zusatzunterricht" von Herrn M. stattgefunden habe, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe. Hierauf hat der Beklagte mitgeteilt, durch eine Anzeige von Referendaren an das Landesjustizprüfungsamt sei im Juli 2010 bekannt geworden, dass der Prüfer M. damals einige Zusatzunterricht-Veranstaltungen mit einigen wenigen Referendaren durchgeführt habe. Herr M. sei zu diesem Zeitpunkt Prüfer und Leiter einer Arbeitsgemeinschaft für die dritte Pflichtstation gewesen. Das Landesjustizprüfungsamt habe hinsichtlich des Einsatzes als Prüfer sofort reagiert und Herrn M. im Rahmen eines Gesprächs zu dem Sachverhalt befragt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Prüfer nur allgemein für die Ausbildung bestimmte Klausuren für die Arbeitsgemeinschaft und den Zusatzunterricht verwendet und keinen Zugang zu anderen Materialien gehabt habe. Vorsorglich sei er aber zunächst von der weiteren Durchführung von Prüfungen ausgenommen und erst ab Januar 2011 wieder als Prüfer in der ersten Prüfung und ab Oktober 2011 wieder als Prüfer für das zweite Staatsexamen eingesetzt worden.
- 3
-
In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin beantragt, über die Behauptung der Tatsache, dass der Prüfer M. in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 1. Juli 2013 Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften mit einigen Referendarinnen und Referendaren durchgeführt habe, diesen Zusatzunterricht nicht allen Referendarinnen und Referendaren angeboten habe, die sich in dem genannten Zeitraum in der Ausbildung zur Abnahme der großen juristischen Staatsprüfung befanden, und in diesem Zusatzunterricht Wissen vermittelt habe, das über das in den von ihm geführten Arbeitsgemeinschaften der dritten Pflichtstation vermittelte Wissen hinausging oder dieses vertiefte, Beweis durch Vernehmung des Herrn M. zu erheben. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. In den Gründen des die Berufung der Klägerin zurückweisenden Urteils vom 14. Juli 2016 hat es dazu ausgeführt, die Klägerin habe keine plausiblen Anhaltspunkte für die Behauptung benannt, Herr M. sei ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden. Derartiges lasse sich auch nicht den dem Senat vorliegenden Unterlagen entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde.
-
II
- 4
-
Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln gestützte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin macht mit Erfolg einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dies führt gemäß § 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.
- 5
-
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es den Antrag auf Einvernahme von Herrn M. zu dem als erheblich erachteten Beweisthema "Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften" als unzulässigen Beweisermittlungsantrag bewertet und abgelehnt hat, § 86 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 244 Abs. 3 StPO (analog) verletzt.
- 6
-
a) Bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteile vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 und vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; stRspr).
- 7
-
b) Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, der als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" erhoben worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 30. Januar 2002 - 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69 und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:221014B8B99.13.0] - juris Rn. 40; stRspr). Eine Behauptung kann nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Beteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Dem Beteiligten ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 - 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14).
- 8
-
An diesem Maßstab gemessen findet die Ablehnung des o.g. Beweisantrags als unzulässiger Beweisermittlungsantrag im Prozessrecht keine Stütze. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren - wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - als selbständige Rüge geltend gemacht, der Grundsatz der Chancengleichheit sei bereits in der Ausbildung verletzt worden, da eine von Herrn M., Erstgutachter der von ihr verfassten VA-Klausur, durchgeführte Sonderarbeitsgemeinschaft nicht allen Referendaren offengestanden habe. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nach seinem materiellrechtlichen Ansatz unter dem Aspekt einer selbständigen Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit als erheblich angesehen. Das ergibt sich daraus, dass es diesem Vortrag der Klägerin durch eine an den Beklagten gerichtete Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin vom 7. Juli 2016 (GA Bl. 674) nachgegangen ist. Zudem hat es den Beweisantrag der Klägerin nicht als unerheblich, sondern als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. Schließlich hat es diesen Themenkomplex in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils getrennt von der seitens der Klägerin in den Raum gestellten Möglichkeit der Informationsverschaffung über Prüfungsaufgaben abgehandelt (UA S. 15 f.: "Zum anderen ..."). Das detailarme Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2016 (GA Bl. 679 f.) hatte den Vortrag der Klägerin jedoch nicht in einer Weise entkräftet, dass die Beweisbehauptung der Klägerin nunmehr als unsubstantiiert anzusehen wäre. Denn zu den nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für den hier vorliegenden Fall relevanten Fragen, in welchem Zeitraum der Zusatzunterricht stattgefunden habe, womit der für die Ausbildung der Klägerin maßgebliche Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2013 im Fokus stand, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe, verhält sich die Einlassung des Beklagten in dem Schreiben vom 11. Juli 2016 nicht. Damit hat der Beklagte nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass Herr M. ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden ist und Zusatzunterricht nur für einige Referendare erteilt hat.
- 9
-
c) Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Entscheidungsausspruch beurteilt sich aus der Perspektive des Berufungsgerichts; dabei reicht die Möglichkeit aus, dass ohne den Verfahrensmangel anders entschieden worden wäre (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 41 ff. m.w.N.).
- 10
-
Das Oberverwaltungsgericht hat den Maßstab für einen "generelle[n] Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit" (UA S. 11 ff.) fallbezogen dahingehend konkretisiert, dass es nicht nur entscheidungserheblich darauf ankommt, ob einzelne Prüfungsteilnehmer "in vorwerfbarer Weise Kenntnis von den Prüfungsaufgaben erlangt" haben (UA S. 11). Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 f.) lassen vielmehr erkennen, dass es nach seinem materiellrechtlichen Ansatz eine Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit grundsätzlich auch durch eine unterschiedlich intensive Wissensvermittlung in der Ausbildung für möglich erachtet, jedenfalls wenn Prüfer als Ausbilder fungiert haben. Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, woran der beschließende Senat erhebliche Zweifel hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1984 - 7 B 169.83 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 189; VGH München, Urteil vom 16. Mai 2012 - 7 B 11.2645 - juris), ist für das Beruhenserfordernis ohne Bedeutung. Denn auch insoweit ist auf die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz abzustellen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte.
- 11
-
2. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
- 12
-
3. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
Gründe
-
I
- 1
-
Die Klägerin wendet sich gegen das Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung im Wiederholungsversuch.
- 2
-
Ihre Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht auf entsprechende Behauptungen der Klägerin das Landesjustizprüfungsamt am 7. Juli 2016 unter Bezug auf eine Zeugenaussage in einem Strafverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes aufgefordert mitzuteilen, in welchem Zeitraum die in verschiedenen Unterlagen erwähnte "Sonderarbeitsgemeinschaft/Zusatzunterricht" von Herrn M. stattgefunden habe, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe. Hierauf hat der Beklagte mitgeteilt, durch eine Anzeige von Referendaren an das Landesjustizprüfungsamt sei im Juli 2010 bekannt geworden, dass der Prüfer M. damals einige Zusatzunterricht-Veranstaltungen mit einigen wenigen Referendaren durchgeführt habe. Herr M. sei zu diesem Zeitpunkt Prüfer und Leiter einer Arbeitsgemeinschaft für die dritte Pflichtstation gewesen. Das Landesjustizprüfungsamt habe hinsichtlich des Einsatzes als Prüfer sofort reagiert und Herrn M. im Rahmen eines Gesprächs zu dem Sachverhalt befragt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Prüfer nur allgemein für die Ausbildung bestimmte Klausuren für die Arbeitsgemeinschaft und den Zusatzunterricht verwendet und keinen Zugang zu anderen Materialien gehabt habe. Vorsorglich sei er aber zunächst von der weiteren Durchführung von Prüfungen ausgenommen und erst ab Januar 2011 wieder als Prüfer in der ersten Prüfung und ab Oktober 2011 wieder als Prüfer für das zweite Staatsexamen eingesetzt worden.
- 3
-
In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin beantragt, über die Behauptung der Tatsache, dass der Prüfer M. in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 1. Juli 2013 Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften mit einigen Referendarinnen und Referendaren durchgeführt habe, diesen Zusatzunterricht nicht allen Referendarinnen und Referendaren angeboten habe, die sich in dem genannten Zeitraum in der Ausbildung zur Abnahme der großen juristischen Staatsprüfung befanden, und in diesem Zusatzunterricht Wissen vermittelt habe, das über das in den von ihm geführten Arbeitsgemeinschaften der dritten Pflichtstation vermittelte Wissen hinausging oder dieses vertiefte, Beweis durch Vernehmung des Herrn M. zu erheben. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. In den Gründen des die Berufung der Klägerin zurückweisenden Urteils vom 14. Juli 2016 hat es dazu ausgeführt, die Klägerin habe keine plausiblen Anhaltspunkte für die Behauptung benannt, Herr M. sei ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden. Derartiges lasse sich auch nicht den dem Senat vorliegenden Unterlagen entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde.
-
II
- 4
-
Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln gestützte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin macht mit Erfolg einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dies führt gemäß § 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.
- 5
-
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es den Antrag auf Einvernahme von Herrn M. zu dem als erheblich erachteten Beweisthema "Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften" als unzulässigen Beweisermittlungsantrag bewertet und abgelehnt hat, § 86 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 244 Abs. 3 StPO (analog) verletzt.
- 6
-
a) Bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteile vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 und vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; stRspr).
- 7
-
b) Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, der als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" erhoben worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 30. Januar 2002 - 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69 und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:221014B8B99.13.0] - juris Rn. 40; stRspr). Eine Behauptung kann nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Beteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Dem Beteiligten ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 - 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14).
- 8
-
An diesem Maßstab gemessen findet die Ablehnung des o.g. Beweisantrags als unzulässiger Beweisermittlungsantrag im Prozessrecht keine Stütze. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren - wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - als selbständige Rüge geltend gemacht, der Grundsatz der Chancengleichheit sei bereits in der Ausbildung verletzt worden, da eine von Herrn M., Erstgutachter der von ihr verfassten VA-Klausur, durchgeführte Sonderarbeitsgemeinschaft nicht allen Referendaren offengestanden habe. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nach seinem materiellrechtlichen Ansatz unter dem Aspekt einer selbständigen Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit als erheblich angesehen. Das ergibt sich daraus, dass es diesem Vortrag der Klägerin durch eine an den Beklagten gerichtete Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin vom 7. Juli 2016 (GA Bl. 674) nachgegangen ist. Zudem hat es den Beweisantrag der Klägerin nicht als unerheblich, sondern als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. Schließlich hat es diesen Themenkomplex in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils getrennt von der seitens der Klägerin in den Raum gestellten Möglichkeit der Informationsverschaffung über Prüfungsaufgaben abgehandelt (UA S. 15 f.: "Zum anderen ..."). Das detailarme Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2016 (GA Bl. 679 f.) hatte den Vortrag der Klägerin jedoch nicht in einer Weise entkräftet, dass die Beweisbehauptung der Klägerin nunmehr als unsubstantiiert anzusehen wäre. Denn zu den nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für den hier vorliegenden Fall relevanten Fragen, in welchem Zeitraum der Zusatzunterricht stattgefunden habe, womit der für die Ausbildung der Klägerin maßgebliche Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2013 im Fokus stand, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe, verhält sich die Einlassung des Beklagten in dem Schreiben vom 11. Juli 2016 nicht. Damit hat der Beklagte nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass Herr M. ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden ist und Zusatzunterricht nur für einige Referendare erteilt hat.
- 9
-
c) Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Entscheidungsausspruch beurteilt sich aus der Perspektive des Berufungsgerichts; dabei reicht die Möglichkeit aus, dass ohne den Verfahrensmangel anders entschieden worden wäre (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 41 ff. m.w.N.).
- 10
-
Das Oberverwaltungsgericht hat den Maßstab für einen "generelle[n] Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit" (UA S. 11 ff.) fallbezogen dahingehend konkretisiert, dass es nicht nur entscheidungserheblich darauf ankommt, ob einzelne Prüfungsteilnehmer "in vorwerfbarer Weise Kenntnis von den Prüfungsaufgaben erlangt" haben (UA S. 11). Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 f.) lassen vielmehr erkennen, dass es nach seinem materiellrechtlichen Ansatz eine Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit grundsätzlich auch durch eine unterschiedlich intensive Wissensvermittlung in der Ausbildung für möglich erachtet, jedenfalls wenn Prüfer als Ausbilder fungiert haben. Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, woran der beschließende Senat erhebliche Zweifel hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1984 - 7 B 169.83 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 189; VGH München, Urteil vom 16. Mai 2012 - 7 B 11.2645 - juris), ist für das Beruhenserfordernis ohne Bedeutung. Denn auch insoweit ist auf die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz abzustellen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte.
- 11
-
2. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
- 12
-
3. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
Gründe
-
I
- 1
-
Die Klägerin wendet sich gegen das Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung im Wiederholungsversuch.
- 2
-
Ihre Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht auf entsprechende Behauptungen der Klägerin das Landesjustizprüfungsamt am 7. Juli 2016 unter Bezug auf eine Zeugenaussage in einem Strafverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes aufgefordert mitzuteilen, in welchem Zeitraum die in verschiedenen Unterlagen erwähnte "Sonderarbeitsgemeinschaft/Zusatzunterricht" von Herrn M. stattgefunden habe, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe. Hierauf hat der Beklagte mitgeteilt, durch eine Anzeige von Referendaren an das Landesjustizprüfungsamt sei im Juli 2010 bekannt geworden, dass der Prüfer M. damals einige Zusatzunterricht-Veranstaltungen mit einigen wenigen Referendaren durchgeführt habe. Herr M. sei zu diesem Zeitpunkt Prüfer und Leiter einer Arbeitsgemeinschaft für die dritte Pflichtstation gewesen. Das Landesjustizprüfungsamt habe hinsichtlich des Einsatzes als Prüfer sofort reagiert und Herrn M. im Rahmen eines Gesprächs zu dem Sachverhalt befragt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Prüfer nur allgemein für die Ausbildung bestimmte Klausuren für die Arbeitsgemeinschaft und den Zusatzunterricht verwendet und keinen Zugang zu anderen Materialien gehabt habe. Vorsorglich sei er aber zunächst von der weiteren Durchführung von Prüfungen ausgenommen und erst ab Januar 2011 wieder als Prüfer in der ersten Prüfung und ab Oktober 2011 wieder als Prüfer für das zweite Staatsexamen eingesetzt worden.
- 3
-
In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin beantragt, über die Behauptung der Tatsache, dass der Prüfer M. in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 1. Juli 2013 Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften mit einigen Referendarinnen und Referendaren durchgeführt habe, diesen Zusatzunterricht nicht allen Referendarinnen und Referendaren angeboten habe, die sich in dem genannten Zeitraum in der Ausbildung zur Abnahme der großen juristischen Staatsprüfung befanden, und in diesem Zusatzunterricht Wissen vermittelt habe, das über das in den von ihm geführten Arbeitsgemeinschaften der dritten Pflichtstation vermittelte Wissen hinausging oder dieses vertiefte, Beweis durch Vernehmung des Herrn M. zu erheben. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. In den Gründen des die Berufung der Klägerin zurückweisenden Urteils vom 14. Juli 2016 hat es dazu ausgeführt, die Klägerin habe keine plausiblen Anhaltspunkte für die Behauptung benannt, Herr M. sei ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden. Derartiges lasse sich auch nicht den dem Senat vorliegenden Unterlagen entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde.
-
II
- 4
-
Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln gestützte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin macht mit Erfolg einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dies führt gemäß § 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.
- 5
-
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es den Antrag auf Einvernahme von Herrn M. zu dem als erheblich erachteten Beweisthema "Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften" als unzulässigen Beweisermittlungsantrag bewertet und abgelehnt hat, § 86 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 244 Abs. 3 StPO (analog) verletzt.
- 6
-
a) Bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteile vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 und vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; stRspr).
- 7
-
b) Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, der als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" erhoben worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 30. Januar 2002 - 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69 und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:221014B8B99.13.0] - juris Rn. 40; stRspr). Eine Behauptung kann nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Beteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Dem Beteiligten ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 - 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14).
- 8
-
An diesem Maßstab gemessen findet die Ablehnung des o.g. Beweisantrags als unzulässiger Beweisermittlungsantrag im Prozessrecht keine Stütze. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren - wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - als selbständige Rüge geltend gemacht, der Grundsatz der Chancengleichheit sei bereits in der Ausbildung verletzt worden, da eine von Herrn M., Erstgutachter der von ihr verfassten VA-Klausur, durchgeführte Sonderarbeitsgemeinschaft nicht allen Referendaren offengestanden habe. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nach seinem materiellrechtlichen Ansatz unter dem Aspekt einer selbständigen Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit als erheblich angesehen. Das ergibt sich daraus, dass es diesem Vortrag der Klägerin durch eine an den Beklagten gerichtete Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin vom 7. Juli 2016 (GA Bl. 674) nachgegangen ist. Zudem hat es den Beweisantrag der Klägerin nicht als unerheblich, sondern als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. Schließlich hat es diesen Themenkomplex in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils getrennt von der seitens der Klägerin in den Raum gestellten Möglichkeit der Informationsverschaffung über Prüfungsaufgaben abgehandelt (UA S. 15 f.: "Zum anderen ..."). Das detailarme Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2016 (GA Bl. 679 f.) hatte den Vortrag der Klägerin jedoch nicht in einer Weise entkräftet, dass die Beweisbehauptung der Klägerin nunmehr als unsubstantiiert anzusehen wäre. Denn zu den nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für den hier vorliegenden Fall relevanten Fragen, in welchem Zeitraum der Zusatzunterricht stattgefunden habe, womit der für die Ausbildung der Klägerin maßgebliche Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2013 im Fokus stand, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe, verhält sich die Einlassung des Beklagten in dem Schreiben vom 11. Juli 2016 nicht. Damit hat der Beklagte nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass Herr M. ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden ist und Zusatzunterricht nur für einige Referendare erteilt hat.
- 9
-
c) Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Entscheidungsausspruch beurteilt sich aus der Perspektive des Berufungsgerichts; dabei reicht die Möglichkeit aus, dass ohne den Verfahrensmangel anders entschieden worden wäre (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 41 ff. m.w.N.).
- 10
-
Das Oberverwaltungsgericht hat den Maßstab für einen "generelle[n] Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit" (UA S. 11 ff.) fallbezogen dahingehend konkretisiert, dass es nicht nur entscheidungserheblich darauf ankommt, ob einzelne Prüfungsteilnehmer "in vorwerfbarer Weise Kenntnis von den Prüfungsaufgaben erlangt" haben (UA S. 11). Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 f.) lassen vielmehr erkennen, dass es nach seinem materiellrechtlichen Ansatz eine Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit grundsätzlich auch durch eine unterschiedlich intensive Wissensvermittlung in der Ausbildung für möglich erachtet, jedenfalls wenn Prüfer als Ausbilder fungiert haben. Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, woran der beschließende Senat erhebliche Zweifel hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1984 - 7 B 169.83 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 189; VGH München, Urteil vom 16. Mai 2012 - 7 B 11.2645 - juris), ist für das Beruhenserfordernis ohne Bedeutung. Denn auch insoweit ist auf die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz abzustellen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte.
- 11
-
2. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
- 12
-
3. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.
(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.
(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.
(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.
Gründe
- 1
-
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
- 2
-
1. Das Beschwerdevorbringen lässt nicht erkennen, dass die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
- 3
-
a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht deswegen verfahrensfehlerhaft, weil der Verwaltungsgerichtshof, nachdem er die Beteiligten hierzu angehört hat, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Verfahren gemäß § 130a VwGO entschieden hat.
- 4
-
Ob ein Berufungsgericht den ihm gemäß § 130a VwGO eröffneten Weg einer Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist; dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sache ein im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigender wesentlicher Gesichtspunkt (stRspr, vgl. Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213 f.> = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 64 S. 52 f. und Beschluss vom 27. Januar 2011 - BVerwG 3 B 63.10 - NJW 2011, 1830 Rn. 8). Hiernach erweist sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs für das Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO nicht als sachfremd oder grob fehlerhaft, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Streitfall einen außergewöhnlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Dass der Kläger einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich.
- 5
-
Der Verwaltungsgerichtshof war - entgegen der Ansicht der Beschwerde - nicht deshalb an einem Vorgehen gemäß § 130a VwGO gehindert, weil er die Frage der Verjährung der streitgegenständlichen Straßenbeitragsforderung ohne erneute Anhörung der vom Verwaltungsgericht zur Frage der Abnahme der Baumaßnahme gehörten Zeugen beurteilt hat, und zwar mit gegenteiligem Ergebnis als das Verwaltungsgericht. Darin liegt insbesondere kein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO).
- 6
-
Eine in der Vorinstanz durchgeführte Beweisaufnahme braucht vom Rechtsmittelgericht grundsätzlich nicht wiederholt zu werden. Namentlich für den Zeugenbeweis folgt aus § 98 VwGO i.V.m. § 398 Abs. 1 ZPO, wonach die erneute Zeugenvernehmung im Ermessen des Gerichts steht, dass ein bereits in der ersten Instanz gehörter Zeuge nicht stets in der Berufungsinstanz erneut zu vernehmen ist. Das Berufungsgericht darf seine Entscheidung vielmehr grundsätzlich ohne erneute Vernehmung auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme stützen (vgl. Beschlüsse vom 11. November 1991 - BVerwG 7 B 123.91 - juris Rn. 3 und vom 6. Januar 2011 - BVerwG 4 B 51.10- juris Rn. 16; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 96 Rn. 8). Zur erneuten Beweisaufnahme verpflichtet ist das Berufungsgericht dagegen, wenn es an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen der Vorinstanz zweifelt, insbesondere wenn es die Glaubwürdigkeit eines Zeugen abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2004 - 1 BvR 1935/03 - NJW 2005, 1487). Das ist hier nicht der Fall. Der Verwaltungsgerichtshof hat weder die Richtigkeit noch die Vollständigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts noch die Glaubwürdigkeit der Zeugen angezweifelt, sondern ist von der im erstinstanzlichen Urteil niedergelegten Tatsachengrundlage ausgegangen, namentlich von den vom Verwaltungsgericht im Ortstermin vom 7. November 2008 protokollierten Feststellungen und Bekundungen sowie von den Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2008 vernommenen (sachverständigen) Zeugen. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber dahin erkannt, dass diese Tatsachenfeststellungen nicht die vom Verwaltungsgericht gezogene rechtliche Schlussfolgerung tragen. Er hat bei gleicher Tatsachengrundlage diese lediglich rechtlich anders beurteilt.
- 7
-
Der Verwaltungsgerichtshof hat entscheidungstragend angenommen, dass die Beitragsforderung der Beklagten bei Erlass des angefochtenen Bescheides noch nicht verjährt war. Die streitgegenständliche Straße sei nicht bereits im Dezember 2001 fertiggestellt gewesen. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei die im Dezember 2001 erfolgte Begehung der Baustelle noch keine förmliche Abnahme im Rechtsinne gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies eingehend und u.a. damit begründet (BA S. 10 ff.), dass es bereits an den entsprechenden formellen Voraussetzungen fehle, namentlich an einem schriftlichen Abnahmebefund, dass die bei der erwähnten Begehung besprochenen Punkte (u.a. betreffend die noch ausstehenden Arbeiten am Straßenbegleitgrün) im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2002 erledigt und im Wesentlichen durch Rechnung des Bauunternehmers vom 30. August 2002 besonders berechnet worden seien. Dieses Ergebnis sei - ungeachtet von Unterschieden im Detail - auch von den vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen bestätigt worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Baumaßnahme schon abgeschlossen sein sollte und die im Dezember 2001 übersandte Rechnung des Bauunternehmers bereits die Schlussrechnung darstellen sollte, ergäben sich aus keiner der Aussagen; vielmehr hätten die Zeugen übereinstimmend bekundet, dass diese Rechnung wegen der zum Jahresende anstehenden Währungsumstellung von DM auf Euro erteilt worden sei. Der maßgebliche Unterschied zwischen den Entscheidungen von Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof liegt - bei gleicher Tatsachengrundlage - mithin darin, dass Letzterer die Begehung der Baustelle im Dezember 2001 rechtlich als bloße Teilabnahme gewertet hat, weil das, was bei dieser Begehung als für eine vollständige Fertigstellung gemäß Bauprogramm noch fehlend festgestellt wurde, nicht abgenommen sein könne. Diese allein in rechtlicher Hinsicht abweichende Beurteilung der Zeugenaussagen und der vorliegenden Rechnungen durch den Verwaltungsgerichtshof liegt - noch - innerhalb der nach den dargestellten Maßstäben einem Berufungsgericht gezogenen verfahrensrechtlichen Grenzen. Daher liegt in der fehlenden Vernehmung der von der Beschwerde genannten Zeugen durch den Verwaltungsgerichtshof auch keine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).
- 8
-
b) Ein Verfahrensfehler durch Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
- 9
-
aa) Da der Verwaltungsgerichtshof seine Auffassung zur Frage der Verjährung den Beteiligten bereits im Beschluss vom 18. August 2009 über die Zulassung der Berufung dargelegt hat, stellt die Berufungsentscheidung auch unter dem Gesichtspunkt des Verbots einer Überraschungsentscheidung keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dar (vgl. dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juni 2003 - 1 BvR 2285/02 - NJW 2003, 2524).
- 10
-
bb) Die Beschwerde rügt ferner, dass der Verwaltungsgerichtshof einem Antrag des Klägers auf Akteneinsicht in beigezogene bzw. noch beizuziehende Verwaltungs- und Gerichtsakten nicht entsprochen hätte. Dieser Vorwurf ist nach Aktenlage unzutreffend. Nachdem sich der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bestellt und mit Schriftsatz vom 15. Februar 2011 um Zurverfügungstellung näher bezeichneter Unterlagen gebeten hatte, sind ihm im Parallelverfahren 5 A 2499/09 auf richterliche Anordnung vom 16. Februar 2011 unter demselben Datum sämtliche zu diesem Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge und eine weitere Gerichtsakte übersandt worden; gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, dass der Senat für eine Beiziehung weiterer Unterlagen derzeit keinen Anlass sehe. Selbst wenn hiernach der Umfang der Aktenüberlassung bzw. -beiziehung dem Wunsch des Klägers nicht vollständig entsprach, wäre es Sache des Klägers gewesen, substantiiert darzutun, dass und warum er die Beiziehung weiterer Unterlagen für erforderlich hielt, und dies beim Verwaltungsgerichtshof einzufordern. Dies hat der Kläger indes nicht getan; weder bei der Rückübersendung der übersandten Akten (Schriftsatz vom 17. März 2011) noch in dem weiteren Schriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof vom 29. April 2011 ist er hierauf zurückgekommen. Ein Gehörsverstoß bzw. eine Verletzung des Akteneinsichtsrechts nach § 100 VwGO liegt nicht vor, wenn der Betroffene es im vorinstanzlichen Verfahren selbst in der Hand hatte, den nunmehr behaupteten Verfahrensmangel zu vermeiden.
- 11
-
cc) Der wesentliche Gehalt der klägerischen Ausführungen im Schriftsatz vom 29. April 2011 zu weiteren Einwänden gegen die Beitragserhebung, ist im angefochtenen Beschluss unter I. der Gründe (BA ab S. 4 unten) aufgeführt, vom Verwaltungsgerichtshof also zur Kenntnis genommen und unter II. der Gründe beschieden worden, soweit der Verwaltungsgerichtshof sie für entscheidungserheblich gehalten hat. Eine weitergehende Befassung mit Einzelaspekten der Grundstücke der zur Beitragszahlung herangezogenen Straßenanlieger hat er aufgrund seiner rechtlichen Beurteilung nicht für erforderlich gehalten. Auch insoweit ist für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nichts ersichtlich. Denn dieser verpflichtet ein Gericht nicht, in der zu treffenden Entscheidung auf jedwedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich einzugehen und dieses im Einzelnen zu bescheiden, namentlich wenn es das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen durfte (stRspr, vgl. etwa die Beschlüsse vom 22. Mai 2006 - BVerwG 10 B 9.06 - NJW 2006, 2648 <2650> und vom 23. Juni 2008 - BVerwG 9 VR 13.08 - NVwZ 2008, 1027 <1028>, jeweils m.w.N.).
- 12
-
dd) Entgegen der Ansicht der Beschwerde war der Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu weiteren rechtlichen Hinweisen (§ 86 Abs. 3 VwGO) an den Kläger verpflichtet. Angesichts der rechtlichen Ausführungen im Beschluss über die Zulassung der Berufung vom 18. August 2009 und im Vergleichsvorschlag des Berichterstatters vom 29. November 2010, ferner angesichts des Anhörungsschreibens gemäß § 130a VwGO vom 28. März 2011 sowie der Mitteilung vom 2. Mai 2011, dass auch in Ansehung des klägerischen Schriftsatzes vom 29. April 2011 an der Absicht festgehalten werde, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, bestand für weitere Hinweise kein Anlass.
- 13
-
2. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) scheidet ebenfalls aus.
- 14
-
Insoweit genügt das Beschwerdevorbringen trotz seines Umfangs nicht den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), weil es sich in der Art eines zulassungsfreien oder zugelassenen Rechtsmittels in Angriffen gegen die tatsächliche und rechtliche Beurteilung des Streitfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erschöpft, ohne bestimmte, höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfragen des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung zu formulieren (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14). Dafür genügt nicht der bloße Hinweis, dass "die Frage der Verjährung und der Verwirkung sowie die Kompensation, Treu und Glauben und Unbilligkeit (...) straßenbeitragsrechtlich nicht ausreichend durch die Rechtsprechung geklärt" seien, was durch die Ausführungen der Beschwerde verdeutlicht werde (Beschwerdebegründung S. 32 unten). Einer Befassung mit den genannten Fragen in einem Revisionsverfahren steht im Übrigen entgegen, dass sie nicht revisibles Recht betreffen, weil sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Straßenbeitragsbescheids nach hessischem Landesrecht (§ 11 HessKAG) richtet. Dies gilt auch für die durch den Rechtsanwendungsbefehl in § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b HessKAG in Bezug genommenen Verjährungsvorschriften der Abgabenordnung sowie für die in Ergänzung des Landesrechts angewandten allgemeinen Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben und der Verwirkung; sie alle werden dadurch Teil des irrevisiblen Landesrechts (stRspr, vgl. Urteil vom 19. März 2009 - BVerwG 9 C 10.08 - Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 135 S. 8 und Beschluss vom 1. April 2004 - BVerwG 4 B 17.04 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 21 S. 6). Sie können daher nicht Maßstab revisionsgerichtlicher Prüfung sein (§ 137 Abs. 1 VwGO).
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
Gründe
-
I
- 1
-
Die Klägerin wendet sich gegen das Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung im Wiederholungsversuch.
- 2
-
Ihre Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht auf entsprechende Behauptungen der Klägerin das Landesjustizprüfungsamt am 7. Juli 2016 unter Bezug auf eine Zeugenaussage in einem Strafverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes aufgefordert mitzuteilen, in welchem Zeitraum die in verschiedenen Unterlagen erwähnte "Sonderarbeitsgemeinschaft/Zusatzunterricht" von Herrn M. stattgefunden habe, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe. Hierauf hat der Beklagte mitgeteilt, durch eine Anzeige von Referendaren an das Landesjustizprüfungsamt sei im Juli 2010 bekannt geworden, dass der Prüfer M. damals einige Zusatzunterricht-Veranstaltungen mit einigen wenigen Referendaren durchgeführt habe. Herr M. sei zu diesem Zeitpunkt Prüfer und Leiter einer Arbeitsgemeinschaft für die dritte Pflichtstation gewesen. Das Landesjustizprüfungsamt habe hinsichtlich des Einsatzes als Prüfer sofort reagiert und Herrn M. im Rahmen eines Gesprächs zu dem Sachverhalt befragt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Prüfer nur allgemein für die Ausbildung bestimmte Klausuren für die Arbeitsgemeinschaft und den Zusatzunterricht verwendet und keinen Zugang zu anderen Materialien gehabt habe. Vorsorglich sei er aber zunächst von der weiteren Durchführung von Prüfungen ausgenommen und erst ab Januar 2011 wieder als Prüfer in der ersten Prüfung und ab Oktober 2011 wieder als Prüfer für das zweite Staatsexamen eingesetzt worden.
- 3
-
In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin beantragt, über die Behauptung der Tatsache, dass der Prüfer M. in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 1. Juli 2013 Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften mit einigen Referendarinnen und Referendaren durchgeführt habe, diesen Zusatzunterricht nicht allen Referendarinnen und Referendaren angeboten habe, die sich in dem genannten Zeitraum in der Ausbildung zur Abnahme der großen juristischen Staatsprüfung befanden, und in diesem Zusatzunterricht Wissen vermittelt habe, das über das in den von ihm geführten Arbeitsgemeinschaften der dritten Pflichtstation vermittelte Wissen hinausging oder dieses vertiefte, Beweis durch Vernehmung des Herrn M. zu erheben. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. In den Gründen des die Berufung der Klägerin zurückweisenden Urteils vom 14. Juli 2016 hat es dazu ausgeführt, die Klägerin habe keine plausiblen Anhaltspunkte für die Behauptung benannt, Herr M. sei ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden. Derartiges lasse sich auch nicht den dem Senat vorliegenden Unterlagen entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde.
-
II
- 4
-
Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln gestützte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin macht mit Erfolg einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dies führt gemäß § 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.
- 5
-
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es den Antrag auf Einvernahme von Herrn M. zu dem als erheblich erachteten Beweisthema "Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften" als unzulässigen Beweisermittlungsantrag bewertet und abgelehnt hat, § 86 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 244 Abs. 3 StPO (analog) verletzt.
- 6
-
a) Bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteile vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 und vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; stRspr).
- 7
-
b) Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, der als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" erhoben worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 30. Januar 2002 - 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69 und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:221014B8B99.13.0] - juris Rn. 40; stRspr). Eine Behauptung kann nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Beteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Dem Beteiligten ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 - 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14).
- 8
-
An diesem Maßstab gemessen findet die Ablehnung des o.g. Beweisantrags als unzulässiger Beweisermittlungsantrag im Prozessrecht keine Stütze. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren - wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - als selbständige Rüge geltend gemacht, der Grundsatz der Chancengleichheit sei bereits in der Ausbildung verletzt worden, da eine von Herrn M., Erstgutachter der von ihr verfassten VA-Klausur, durchgeführte Sonderarbeitsgemeinschaft nicht allen Referendaren offengestanden habe. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nach seinem materiellrechtlichen Ansatz unter dem Aspekt einer selbständigen Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit als erheblich angesehen. Das ergibt sich daraus, dass es diesem Vortrag der Klägerin durch eine an den Beklagten gerichtete Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin vom 7. Juli 2016 (GA Bl. 674) nachgegangen ist. Zudem hat es den Beweisantrag der Klägerin nicht als unerheblich, sondern als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. Schließlich hat es diesen Themenkomplex in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils getrennt von der seitens der Klägerin in den Raum gestellten Möglichkeit der Informationsverschaffung über Prüfungsaufgaben abgehandelt (UA S. 15 f.: "Zum anderen ..."). Das detailarme Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2016 (GA Bl. 679 f.) hatte den Vortrag der Klägerin jedoch nicht in einer Weise entkräftet, dass die Beweisbehauptung der Klägerin nunmehr als unsubstantiiert anzusehen wäre. Denn zu den nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für den hier vorliegenden Fall relevanten Fragen, in welchem Zeitraum der Zusatzunterricht stattgefunden habe, womit der für die Ausbildung der Klägerin maßgebliche Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2013 im Fokus stand, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe, verhält sich die Einlassung des Beklagten in dem Schreiben vom 11. Juli 2016 nicht. Damit hat der Beklagte nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass Herr M. ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden ist und Zusatzunterricht nur für einige Referendare erteilt hat.
- 9
-
c) Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Entscheidungsausspruch beurteilt sich aus der Perspektive des Berufungsgerichts; dabei reicht die Möglichkeit aus, dass ohne den Verfahrensmangel anders entschieden worden wäre (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 41 ff. m.w.N.).
- 10
-
Das Oberverwaltungsgericht hat den Maßstab für einen "generelle[n] Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit" (UA S. 11 ff.) fallbezogen dahingehend konkretisiert, dass es nicht nur entscheidungserheblich darauf ankommt, ob einzelne Prüfungsteilnehmer "in vorwerfbarer Weise Kenntnis von den Prüfungsaufgaben erlangt" haben (UA S. 11). Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 f.) lassen vielmehr erkennen, dass es nach seinem materiellrechtlichen Ansatz eine Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit grundsätzlich auch durch eine unterschiedlich intensive Wissensvermittlung in der Ausbildung für möglich erachtet, jedenfalls wenn Prüfer als Ausbilder fungiert haben. Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, woran der beschließende Senat erhebliche Zweifel hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1984 - 7 B 169.83 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 189; VGH München, Urteil vom 16. Mai 2012 - 7 B 11.2645 - juris), ist für das Beruhenserfordernis ohne Bedeutung. Denn auch insoweit ist auf die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz abzustellen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte.
- 11
-
2. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
- 12
-
3. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
Gründe
-
I
- 1
-
Die Klägerin wendet sich gegen das Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung im Wiederholungsversuch.
- 2
-
Ihre Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht auf entsprechende Behauptungen der Klägerin das Landesjustizprüfungsamt am 7. Juli 2016 unter Bezug auf eine Zeugenaussage in einem Strafverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes aufgefordert mitzuteilen, in welchem Zeitraum die in verschiedenen Unterlagen erwähnte "Sonderarbeitsgemeinschaft/Zusatzunterricht" von Herrn M. stattgefunden habe, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe. Hierauf hat der Beklagte mitgeteilt, durch eine Anzeige von Referendaren an das Landesjustizprüfungsamt sei im Juli 2010 bekannt geworden, dass der Prüfer M. damals einige Zusatzunterricht-Veranstaltungen mit einigen wenigen Referendaren durchgeführt habe. Herr M. sei zu diesem Zeitpunkt Prüfer und Leiter einer Arbeitsgemeinschaft für die dritte Pflichtstation gewesen. Das Landesjustizprüfungsamt habe hinsichtlich des Einsatzes als Prüfer sofort reagiert und Herrn M. im Rahmen eines Gesprächs zu dem Sachverhalt befragt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Prüfer nur allgemein für die Ausbildung bestimmte Klausuren für die Arbeitsgemeinschaft und den Zusatzunterricht verwendet und keinen Zugang zu anderen Materialien gehabt habe. Vorsorglich sei er aber zunächst von der weiteren Durchführung von Prüfungen ausgenommen und erst ab Januar 2011 wieder als Prüfer in der ersten Prüfung und ab Oktober 2011 wieder als Prüfer für das zweite Staatsexamen eingesetzt worden.
- 3
-
In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin beantragt, über die Behauptung der Tatsache, dass der Prüfer M. in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 1. Juli 2013 Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften mit einigen Referendarinnen und Referendaren durchgeführt habe, diesen Zusatzunterricht nicht allen Referendarinnen und Referendaren angeboten habe, die sich in dem genannten Zeitraum in der Ausbildung zur Abnahme der großen juristischen Staatsprüfung befanden, und in diesem Zusatzunterricht Wissen vermittelt habe, das über das in den von ihm geführten Arbeitsgemeinschaften der dritten Pflichtstation vermittelte Wissen hinausging oder dieses vertiefte, Beweis durch Vernehmung des Herrn M. zu erheben. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. In den Gründen des die Berufung der Klägerin zurückweisenden Urteils vom 14. Juli 2016 hat es dazu ausgeführt, die Klägerin habe keine plausiblen Anhaltspunkte für die Behauptung benannt, Herr M. sei ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden. Derartiges lasse sich auch nicht den dem Senat vorliegenden Unterlagen entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde.
-
II
- 4
-
Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln gestützte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin macht mit Erfolg einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dies führt gemäß § 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.
- 5
-
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es den Antrag auf Einvernahme von Herrn M. zu dem als erheblich erachteten Beweisthema "Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften" als unzulässigen Beweisermittlungsantrag bewertet und abgelehnt hat, § 86 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 244 Abs. 3 StPO (analog) verletzt.
- 6
-
a) Bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteile vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 und vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; stRspr).
- 7
-
b) Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, der als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" erhoben worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 30. Januar 2002 - 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69 und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:221014B8B99.13.0] - juris Rn. 40; stRspr). Eine Behauptung kann nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Beteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Dem Beteiligten ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 - 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14).
- 8
-
An diesem Maßstab gemessen findet die Ablehnung des o.g. Beweisantrags als unzulässiger Beweisermittlungsantrag im Prozessrecht keine Stütze. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren - wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - als selbständige Rüge geltend gemacht, der Grundsatz der Chancengleichheit sei bereits in der Ausbildung verletzt worden, da eine von Herrn M., Erstgutachter der von ihr verfassten VA-Klausur, durchgeführte Sonderarbeitsgemeinschaft nicht allen Referendaren offengestanden habe. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nach seinem materiellrechtlichen Ansatz unter dem Aspekt einer selbständigen Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit als erheblich angesehen. Das ergibt sich daraus, dass es diesem Vortrag der Klägerin durch eine an den Beklagten gerichtete Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin vom 7. Juli 2016 (GA Bl. 674) nachgegangen ist. Zudem hat es den Beweisantrag der Klägerin nicht als unerheblich, sondern als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. Schließlich hat es diesen Themenkomplex in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils getrennt von der seitens der Klägerin in den Raum gestellten Möglichkeit der Informationsverschaffung über Prüfungsaufgaben abgehandelt (UA S. 15 f.: "Zum anderen ..."). Das detailarme Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2016 (GA Bl. 679 f.) hatte den Vortrag der Klägerin jedoch nicht in einer Weise entkräftet, dass die Beweisbehauptung der Klägerin nunmehr als unsubstantiiert anzusehen wäre. Denn zu den nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für den hier vorliegenden Fall relevanten Fragen, in welchem Zeitraum der Zusatzunterricht stattgefunden habe, womit der für die Ausbildung der Klägerin maßgebliche Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2013 im Fokus stand, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe, verhält sich die Einlassung des Beklagten in dem Schreiben vom 11. Juli 2016 nicht. Damit hat der Beklagte nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass Herr M. ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden ist und Zusatzunterricht nur für einige Referendare erteilt hat.
- 9
-
c) Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Entscheidungsausspruch beurteilt sich aus der Perspektive des Berufungsgerichts; dabei reicht die Möglichkeit aus, dass ohne den Verfahrensmangel anders entschieden worden wäre (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 41 ff. m.w.N.).
- 10
-
Das Oberverwaltungsgericht hat den Maßstab für einen "generelle[n] Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit" (UA S. 11 ff.) fallbezogen dahingehend konkretisiert, dass es nicht nur entscheidungserheblich darauf ankommt, ob einzelne Prüfungsteilnehmer "in vorwerfbarer Weise Kenntnis von den Prüfungsaufgaben erlangt" haben (UA S. 11). Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 f.) lassen vielmehr erkennen, dass es nach seinem materiellrechtlichen Ansatz eine Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit grundsätzlich auch durch eine unterschiedlich intensive Wissensvermittlung in der Ausbildung für möglich erachtet, jedenfalls wenn Prüfer als Ausbilder fungiert haben. Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, woran der beschließende Senat erhebliche Zweifel hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1984 - 7 B 169.83 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 189; VGH München, Urteil vom 16. Mai 2012 - 7 B 11.2645 - juris), ist für das Beruhenserfordernis ohne Bedeutung. Denn auch insoweit ist auf die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz abzustellen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte.
- 11
-
2. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
- 12
-
3. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
Gründe
-
I
- 1
-
Die Klägerin wendet sich gegen das Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung im Wiederholungsversuch.
- 2
-
Ihre Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht auf entsprechende Behauptungen der Klägerin das Landesjustizprüfungsamt am 7. Juli 2016 unter Bezug auf eine Zeugenaussage in einem Strafverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes aufgefordert mitzuteilen, in welchem Zeitraum die in verschiedenen Unterlagen erwähnte "Sonderarbeitsgemeinschaft/Zusatzunterricht" von Herrn M. stattgefunden habe, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe. Hierauf hat der Beklagte mitgeteilt, durch eine Anzeige von Referendaren an das Landesjustizprüfungsamt sei im Juli 2010 bekannt geworden, dass der Prüfer M. damals einige Zusatzunterricht-Veranstaltungen mit einigen wenigen Referendaren durchgeführt habe. Herr M. sei zu diesem Zeitpunkt Prüfer und Leiter einer Arbeitsgemeinschaft für die dritte Pflichtstation gewesen. Das Landesjustizprüfungsamt habe hinsichtlich des Einsatzes als Prüfer sofort reagiert und Herrn M. im Rahmen eines Gesprächs zu dem Sachverhalt befragt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Prüfer nur allgemein für die Ausbildung bestimmte Klausuren für die Arbeitsgemeinschaft und den Zusatzunterricht verwendet und keinen Zugang zu anderen Materialien gehabt habe. Vorsorglich sei er aber zunächst von der weiteren Durchführung von Prüfungen ausgenommen und erst ab Januar 2011 wieder als Prüfer in der ersten Prüfung und ab Oktober 2011 wieder als Prüfer für das zweite Staatsexamen eingesetzt worden.
- 3
-
In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin beantragt, über die Behauptung der Tatsache, dass der Prüfer M. in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 1. Juli 2013 Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften mit einigen Referendarinnen und Referendaren durchgeführt habe, diesen Zusatzunterricht nicht allen Referendarinnen und Referendaren angeboten habe, die sich in dem genannten Zeitraum in der Ausbildung zur Abnahme der großen juristischen Staatsprüfung befanden, und in diesem Zusatzunterricht Wissen vermittelt habe, das über das in den von ihm geführten Arbeitsgemeinschaften der dritten Pflichtstation vermittelte Wissen hinausging oder dieses vertiefte, Beweis durch Vernehmung des Herrn M. zu erheben. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. In den Gründen des die Berufung der Klägerin zurückweisenden Urteils vom 14. Juli 2016 hat es dazu ausgeführt, die Klägerin habe keine plausiblen Anhaltspunkte für die Behauptung benannt, Herr M. sei ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden. Derartiges lasse sich auch nicht den dem Senat vorliegenden Unterlagen entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde.
-
II
- 4
-
Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln gestützte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin macht mit Erfolg einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dies führt gemäß § 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.
- 5
-
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es den Antrag auf Einvernahme von Herrn M. zu dem als erheblich erachteten Beweisthema "Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften" als unzulässigen Beweisermittlungsantrag bewertet und abgelehnt hat, § 86 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 244 Abs. 3 StPO (analog) verletzt.
- 6
-
a) Bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteile vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 und vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; stRspr).
- 7
-
b) Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, der als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" erhoben worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 30. Januar 2002 - 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69 und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:221014B8B99.13.0] - juris Rn. 40; stRspr). Eine Behauptung kann nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Beteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Dem Beteiligten ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 - 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14).
- 8
-
An diesem Maßstab gemessen findet die Ablehnung des o.g. Beweisantrags als unzulässiger Beweisermittlungsantrag im Prozessrecht keine Stütze. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren - wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - als selbständige Rüge geltend gemacht, der Grundsatz der Chancengleichheit sei bereits in der Ausbildung verletzt worden, da eine von Herrn M., Erstgutachter der von ihr verfassten VA-Klausur, durchgeführte Sonderarbeitsgemeinschaft nicht allen Referendaren offengestanden habe. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nach seinem materiellrechtlichen Ansatz unter dem Aspekt einer selbständigen Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit als erheblich angesehen. Das ergibt sich daraus, dass es diesem Vortrag der Klägerin durch eine an den Beklagten gerichtete Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin vom 7. Juli 2016 (GA Bl. 674) nachgegangen ist. Zudem hat es den Beweisantrag der Klägerin nicht als unerheblich, sondern als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. Schließlich hat es diesen Themenkomplex in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils getrennt von der seitens der Klägerin in den Raum gestellten Möglichkeit der Informationsverschaffung über Prüfungsaufgaben abgehandelt (UA S. 15 f.: "Zum anderen ..."). Das detailarme Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2016 (GA Bl. 679 f.) hatte den Vortrag der Klägerin jedoch nicht in einer Weise entkräftet, dass die Beweisbehauptung der Klägerin nunmehr als unsubstantiiert anzusehen wäre. Denn zu den nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für den hier vorliegenden Fall relevanten Fragen, in welchem Zeitraum der Zusatzunterricht stattgefunden habe, womit der für die Ausbildung der Klägerin maßgebliche Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2013 im Fokus stand, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe, verhält sich die Einlassung des Beklagten in dem Schreiben vom 11. Juli 2016 nicht. Damit hat der Beklagte nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass Herr M. ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden ist und Zusatzunterricht nur für einige Referendare erteilt hat.
- 9
-
c) Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Entscheidungsausspruch beurteilt sich aus der Perspektive des Berufungsgerichts; dabei reicht die Möglichkeit aus, dass ohne den Verfahrensmangel anders entschieden worden wäre (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 41 ff. m.w.N.).
- 10
-
Das Oberverwaltungsgericht hat den Maßstab für einen "generelle[n] Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit" (UA S. 11 ff.) fallbezogen dahingehend konkretisiert, dass es nicht nur entscheidungserheblich darauf ankommt, ob einzelne Prüfungsteilnehmer "in vorwerfbarer Weise Kenntnis von den Prüfungsaufgaben erlangt" haben (UA S. 11). Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 f.) lassen vielmehr erkennen, dass es nach seinem materiellrechtlichen Ansatz eine Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit grundsätzlich auch durch eine unterschiedlich intensive Wissensvermittlung in der Ausbildung für möglich erachtet, jedenfalls wenn Prüfer als Ausbilder fungiert haben. Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, woran der beschließende Senat erhebliche Zweifel hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1984 - 7 B 169.83 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 189; VGH München, Urteil vom 16. Mai 2012 - 7 B 11.2645 - juris), ist für das Beruhenserfordernis ohne Bedeutung. Denn auch insoweit ist auf die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz abzustellen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte.
- 11
-
2. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
- 12
-
3. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden. Gleiches gilt für Werte in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nach § 48 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erlassen worden sind und den Stand der Technik wiedergeben.
(2) Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.
(3) Die Zuführung durch eine besondere Leitung ist unzulässig.
(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
Tenor
I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München
II.
Die Kostenentscheidung bleibt der neuen Entscheidung vorbehalten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
II.
(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
Tenor
I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München
II.
Die Kostenentscheidung bleibt der neuen Entscheidung vorbehalten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
II.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.