Folgen eines zu spät errichteten Behindertentestaments
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Was ist ein Behindertentestament?
Mit einem Behindertentestament soll verhindert werden, dass der Sozialhilfeträger Zugriff auf das Erbe erlangt.
Grundsätzlich ist es nämlich so, dass ein Mensch mit Behinderung, der Sozialhilfeleistungen in Anspruch nimmt zunächst sein eigenes und sodann auch geerbtes Vermögen für den Lebensunterhalt bis zur Grenze des Schonvermögens einzusetzen hat.
Der Grund hierfür liegt darin, dass derjenige, der sich durch sein eigenes Einkommen und/oder Vermögen selbst finanzieren kann, keine Sozialhilfeleistung benötigt.
Alle geldwerten Ansprüche des Behinderten unterliegen dem Zugriff des Sozialhilfeträgers.
Welche Folgen ein zu spät errichtetes Behindertentestament in der Praxis haben kann, zeigt das Urteil vom 28.02.2013 des Oberlandesgerichts Hamm, Az: I-10 U 71/12.
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde (Die Namen sind frei erfunden):
Aus der Ehe zwischen Manfred und Frida Spät sind vier Töchter hervorgegangen. Die jüngste Tochter namens Magda ist seit ihrer Geburt behindert. Magda wohnt in einem Wohnheim für Behinderte und bezieht Sozialhilfeleistungen.
- Das gemeinschaftliche Testament der Eheleute -
Die Eheleute Spät hatten ein gemeinschaftliches Testament in Form eines Berliner Testaments errichtet, in dem sie sich wechselseitig zu Alleinerben und ihre Töchter als Erben des überlebenden Ehepartners einsetzten. Eine Pflichtteilsstrafklausel, nach der ein Kind, das nach dem Tode des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangt, auch nach dem Tod des Letztversterbenden nur den Pflichtteil und nicht den Erbteil verlangen kann, beinhaltete das gemeinschaftliche Testaments ebenfalls. Weitere Regelungen, insbesondere was nach dem Tod des letztversterbenden Ehepartners mit der Miterbenstellung der behinderten Tochter Magda werden soll, fanden sich nicht im Testament.
- Der (erste) Zugriff des Sozialhilfeträgers -
Nach dem Tod von Manfred Spät machte der Sozialhilfeträger gegenüber der Alleinerbin Frida Spät den Pflichtteilsanspruch von Magda erfolgreich geltend, weil mit dem Erbfall der Pflichtteilsanspruch des Behinderten auf den Sozialhilfeträger übergeht.
- Ein neues (Behinderten)Testament -
Um die verbleibenden Töchter nach dem Tod von Frida Spät vor einem erneuten Zugriff des Sozialhilfeträgers auf den Pflichtteil der Magda zu schützen, ging Frida Spät zum Notar und errichtete ein neues, diesmal notarielles (Behinderten)Testament.
In dem Behindertentestament setzte Frida Spät ihre vier Töchter zu gleichen Teilen ein und bestimmte Magda als Vorerbin und die drei verbleibenden Töchter als Nacherben.
Was bedeutet es Vorerbe zu sein?
Ganz allgemein bedeutet es, dass derjenige der als (nicht befreiter) Vorerbe eingesetzt wurde, in seiner Verfügungsgewalt über den Nachlass beschränkt ist. Das bedeutet der (nicht befreite) Vorerbe kann ohne Zustimmung des Nacherben nicht über ein Grundstück verfügen oder muss das Geld mündelsicher anlegen, wenn der Nacherbe dies verlangt. Der (nicht befreite) Vorerbe hat auch nur einen Anspruch auf Erträge, die der Nachlass abwirft, wie z.B. Mieteinnahmen oder Zinsen bei Geldvermögen.
Auf diese Weise bleibt der zunächst dem Vorerben zufallende Nachlass in seiner Substanz für den Nacherben erhalten.
Durch die Einsetzung der Magda zum (nicht befreiten) Vorerben und Bestimmung der Schwestern als Nacherben nach dem Tod von Magda, wird also das Erbe geschützt. Zugleich wird sichergestellt, dass der behinderte Angehörige auch einen materiellen Nutzen aus dem Erbe ziehen kann. Empfehlenswert ist, dies noch in Verbindung mit der Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung zu regeln. Der Testamentsvollstrecker verwaltet hier dann die Vorerbschaft.
Der Schutz des Nacherben vor Inanspruchnahme durch den Sozialhilfeträger ist ebenfalls Zweck eines Behindertentestaments.
Die Nacherben sind die eigentlichen Erben des Erblassers, also hier der Frida Spät. Da die Nacherben gerade nicht den Vorerben beerben, kann der Sozialhilfeträger die Nacherben auch nicht rückwirkend wegen der Kosten für die Betreuung des behinderten Angehörigen in Anspruch nehmen.
- Der erneute Zugriff des Sozialhilfeträgers -
Nach dem Tod von Mutter Frida verlangte der Sozialhilfeträger erneut den Pflichtteil der Magda aus übergegangen Recht, diesmal von den drei verbleibenden Schwestern/Töchtern.
Da Frida Spät seinerzeit doch das notarielle (Behinderten)Testament errichtet hatte um genau diesen Zugriff zu verhindern, verweigerten die drei Schwestern/Töchter natürlich die Zahlung des entsprechenden Pflichtteils.
Also zog der Sozialhilfeträger vor Gericht und bekam Recht.
Wie der Sozialhilfeträger Recht bekommen konnte?
Mit dem Berliner Testament, in dem sich die Eheleute Spät gegenseitig als Alleinerben und die Töchter als Erben des letztversterbenden Ehepartners einsetzten, schafften diese aufgrund der wechselbezüglichen Erbeinsetzungen eine Bindungswirkung.
Die Erbeinsetzungen sind wechselbezüglich, weil Magda Spät ihren Ehemann Manfred Spät nur deshalb als Alleinerben und die Kinder als Schlusserben eingesetzt hatte, weil ihr Ehemann eine ebensolche Verfügung vornahm.
Wenn aufgrund solcher wechselbezüglichen Verfügungen eine Bindungswirkung eintritt, hat dies zur Folge, dass ein neues Testament des überlebenden Ehepartners, welches dem früheren gemeinschaftlichen Testament entgegensteht, nichtig ist.
Magda Spät war also an das gemeinschaftliche Testament (Berliner Testament) mit ihrem Ehemann wegen der wechselbezüglichen Erbeinsetzungen gebunden und konnte das notarielle Behindertentestament gar nicht mehr wirksam errichten.
Anders wäre es, wenn die Ehepartner im Berliner Testament bestimmt hätten, dass dem überlebenden Ehepartner eine Änderung des Testaments bezüglich der Schlusserben vorbehalten ist.
Das Berliner Testament der Eheleute Spät ist und bleibt wirksam und damit auch die Pflichtteilsstrafklausel
Da Frida Spät nach dem Tod ihres Mannes das bestehende gemeinschaftliche Testament hinsichtlich der Schlusserbenbestimmung nicht mehr abändern durfte, ist das neue, notarielle (Behinderten)Testament nicht wirksam.
Damit gilt das Berliner Testament der Eheleute für die Beurteilung, ob der Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch der Magda Spät geltend machen durfte oder nicht.
In diesem war mit der Pflichtteilsstrafklausel bestimmt, dass das Kind, das nach dem Tode des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangt, auch nach dem Tod des Letztversterbenden nur den Pflichtteil und nicht den Erbteil verlangen kann.
Wer seinen Pflichtteil nach dem Tod des Erstverstorbenen geltend macht, wird enterbt.
Die Geltendmachung des Pflichtteils nach dem Tod des Vaters Manfred Spät durch den Sozialhilfeträger führte dazu, dass Magda nach dem Tod der Mutter Frida ebenfalls nur auf den Pflichtteil beschränkt war. Denn durch das Verlangen des Pflichtteils nach dem Tod des Manfred Spät wurde Magda enterbt.
Dabei kommt es auch nicht darauf an, dass es nicht Magda selbst war, die den Pflichtteil geltend gemacht hatte, sondern der Sozialhilfeträger.
Eine Enterbung hat zur Folge, dass der Erbe nur in Höhe seines Pflichtteils (Hälfte des gesetzlichen Erbteils) an dem Nachlass teilhaben darf.
Aus diesem Grund konnte der Sozialhilfeträger auch nach dem Tod des zweiten Elternteils erfolgreich den Pflichtteil des behinderten Angehörigen aus übergegangenem Recht beanspruchen.
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