Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 17. Feb. 2016 - 4 L 119/15

ECLI:ECLI:DE:OVGST:2016:0217.4L119.15.0A
17.02.2016

Gründe

I.

1

Die Klägerin, Eigentümerin mehrerer, mit zweigeschossigen Mehrfamilienwohnhäusern bebauter Grundstücke (Gemarkung G., Flur A, Flurstücke 38, 41, 26 und 28) im Verbandsgebiet des Beklagten, wendet sich gegen die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen.

2

Mit Bescheiden vom 7. Juni 2012 zog der Beklagte die Klägerin für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt an eine zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen waren, zu einem Beitrag für die Herstellung seiner Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung (Herstellungsbeitrag II) in Höhe von insgesamt 8.011,91 € heran. Mit Bescheiden vom 22. August 2012 mahnte der Beklagte die Klägerin und setzte darin Säumniszuschläge und Mahngebühren fest. Die gegen die Bescheide vom 22. August 2012 erhobenen Widersprüche der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 15. Januar 2013 zurück und zog sie mit Kostenfestsetzungsbescheiden vom selben Tag zu Kosten für den Erlass der Widerspruchsbescheide heran. Mit Widerspruchsbescheiden vom 15. Februar 2013 wies der Beklagte die Widersprüche der Klägerin gegen die Beitragsbescheide vom 7. Juni 2012 zurück.

3

Am 18. Februar 2013 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Halle Anfechtungsklage gegen die Beitragsbescheide, die Mahnbescheide sowie die Kostenfestsetzungsbescheide erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, ein Beitrag könne nicht gefordert werden, da nicht ersichtlich sei, welche Gegenleistung damit abgegolten werde. Die Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Beklagten sei nicht funktionstüchtig. Zudem widerspreche die Beitragserhebung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtssicherheit in der Gestalt der Gebote der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit. Die nunmehr in § 13b KAG LSA vorgesehene Verjährungshöchstfrist von 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage sei im Hinblick auf den Anschluss der Grundstücke an die Kanalisation in den 1930er Jahren längst abgelaufen. § 18 Abs. 2 KAG LSA sei nicht anwendbar. Hilfsweise rechne sie mit Ansprüchen auf Schadensersatz wegen Funktionsstörungen auf.

4

In der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2015 hat der Beklagte im Hinblick auf eine Änderung der Regelung für übergroße Wohngrundstücke in der Beitragssatzung die angegriffenen Beitragsbescheide geändert und den Beitrag auf insgesamt 7.976,28 € herabgesetzt; insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

5

Das Verwaltungsgericht Halle hat das Verfahren im Hinblick auf die Erledigungserklärungen teilweise eingestellt, die Beitragsbescheide aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Aufhebung der Beitragsbescheide hat das Gericht ausgeführt, die vom Beklagten herangezogene Beitragssatzung vom 9. März 2015 bilde keine taugliche Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung, weil es an einer wirksamen Regelung des Entstehens der (sachlichen) Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II fehle. Die Regelung in der Satzung, wonach die Beitragspflicht mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung für die entsprechenden Sachverhalte bereits zum 1. Januar 2010 entstehe, sei unwirksam, da sie gegen die höherrangige landesrechtliche Regelung in § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA verstoße. Früheres Satzungsrecht scheide als rechtliche Grundlage für die Beitragsbescheide ebenfalls aus.

6

Nachdem der Beklagte eine Beitragssatzung mit einer neuen Regelung über die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht erlassen und bekanntgemacht hatte, hat der Senat auf dessen Antrag mit Beschluss vom 17. November 2015 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

7

Der Beklagte macht zur Begründung seiner Berufung geltend, dass der vom Verwaltungsgericht festgestellte Satzungsfehler mit der Neufassung der Beitragssatzung geheilt worden sei. § 7 Abs. 1 dieser Satzung enthalte eine ausdrückliche Regelung zur Entstehung der Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag I und II. Im Übrigen habe das Verwaltungsgericht weitere Satzungsfehler nicht gesehen.

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Der Beklagte beantragt,

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das auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2015 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 4. Kammer - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

12

Sie trägt vor, der Beklagte verfolge Ansprüche aus Beitragsbescheiden vom 7. Juni 2012 in der Gestalt der am 15. Februar 2013 ergangenen Widerspruchsbescheide. Da die neue Satzung rückwirkend zum 5. Oktober 2013 in Kraft getreten sei, habe es zu diesem Zeitpunkt keine wirksame Satzung gegeben, die Grundlage für ihre Heranziehung seien könnte.

13

Die Höhe der angeforderten Beiträge, zu der das Verwaltungsgericht keine Prüfung vorgenommen habe, werde bestritten. Die auf die Altanschlussnehmer umgelegten Kosten seien im Einzelnen nicht nachgewiesen. Der streitige Herstellungsbeitrag II, der angeblich nicht gedeckte Kosten betreffe, stelle Kosten für die laufende Unterhaltung und Instandsetzung von Abwasseranlagen dar, die über Benutzungsgebühren umzulegen seien.

14

Sie könne als Altanschlussnehmerin nicht für die Kosten der Neuanschlüsse der nach dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes angeschlossenen Grundstücke herangezogen werden, sondern nur für die bei Inkrafttreten des Gesetzes schon bestehenden Anschlüsse ihrer Grundstücke. Da für solche Investitionen nichts ersichtlich sei, trete eine Privilegierung der Neuanschlussteilnehmer ein. Die angegriffene Beitragssatzung nehme mit dem Herstellungsbeitrag II allein die Altanschlussteilnehmer für Maßnahmen in Anspruch, die allen Anschlussnehmern zugutekämen. Hierin liege ein eklatanter Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit und der Beitragsgerechtigkeit.

15

Weiter seien die Anforderungen verjährt. Die Anschlüsse ihrer Grundstücke hätten im Jahre 2002 bereits annähernd 70 Jahre bestanden, so dass § 13b KAG LSA einschlägig sei. Hinsichtlich des Vorteilsausgleichs sei nach der Gesetzesbegründung an die jeweilige zurückliegende technische Herstellung anzuknüpfen. Hierdurch werde für das Land Sachsen-Anhalt nicht der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Ansicht gefolgt, wonach der auszugleichende Vorteil darin sehen zu sei, dass mit Übernahme der Abwasserversorgung durch die Kommunen die Beitragspflichtigen eine (angeblich) gesicherte Abwasserversorgung erhalten würden. Diese Unterstellung werde nicht nur durch die Intention des Landesgesetzgebers widerlegt, sondern auch durch die Situation im konkreten Fall. Denn die Abwasserentsorgung ihrer Grundstücke sei seit der Inbetriebnahme in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts völlig unproblematisch gewesen, während seit der Übernahme durch den Beklagten ganz erhebliche Probleme aufgetreten seien.

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Die Übergangsregelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA ändere nichts. Die Schlussfolgerungen, die das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 4. Juni 2015 (- 4 L 24/14 -) gezogen habe, griffen nicht. Denn dort sei es um einen Neuanschluss einer Straßenbeleuchtungsanlage im Jahr 1999 gegangen, für den es erst im Jahre 2003 eine gültige Straßenausbausatzung gegeben habe. Nach den Ausführungen des Gerichts in dem o.g. Verfahren komme es für das Entstehen einer Beitragspflicht nicht auf das Vorliegen einer wirksamen Beitragssatzung an, so dass ein Widerspruch zu seinen Bemerkungen bestehe, dass seine Rechtsprechung bisher immer eine wirksame Beitragssatzung voraussetze. In § 13b KAG LSA sei zudem klargestellt, dass die Beitragspflicht an den tatsächlichen Anschluss als Vorteilslage anknüpfe. Es handele sich um eine materielle Ausschlussfrist. Die Vorteilslage sei hier zu einem Zeitpunkt entstanden, für den die Ausschlussfrist auf jeden Fall eingreife, so dass eine Abgabenfestsetzung ausgeschlossen sei. Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Interpretation, wonach sich die Ausschlussfrist auf Grund der Regelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA auf bis zu 24,5 Jahre belaufen könne, stehe im krassen Gegensatz zu gefestigten Rechtsgrundsätzen. Vorteilsfälle, die weit in der Zeit vor dem Inkrafttreten des KAG LSA lägen, seien nach den zwingenden und auf jeden Fall zu berücksichtigenden Grundsätzen in der Verfassungsrechtsprechung, den Gesetzesmaterialien des Landesgesetzgebers sowie im KAG LSA und in der Beitragssatzung des Beklagten nicht beitragsfähig. Ansonsten greife das Kommunalabgabengesetz in einen Sachverhalt ein, der auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts vollständig abgeschlossen gewesen sei und der damit eine echte Rückwirkung darstelle. Eine Gesetzesauslegung, die eine solche Rückwirkung für zulässig erkläre, setze auch die jetzt im Gesetz festgeschriebene 10jährige materielle Ausschlussfrist außer Kraft. Dass hierfür eine Stütze in § 18 Abs. 2 KAG LSA gesehen werde, führe dazu, dass die verfassungskonforme Regelung in § 13b KAG LSA völlig außer Acht gelassen werde. Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Interpretation habe einen unlösbaren Widerspruch dieser Regelungen zur Folge. Damit werde eine völlig ungerechtfertigte Bevorzugung der fiskalischen Interessen der Verwaltung bewirkt. Das weite Ermessen des Gesetzgebers könne sich allenfalls auf die Bestimmung der Dauer der materiellen Ausschlussfrist beziehen. Dazu sei mit § 13b KAG LSA eine klare Regelung getroffen worden.

17

Die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. November 2015 (- 1 BvR 2691/14 - und - 1 BvR 3051/14 -) noch einmal hervorgehobenen Grundsätze für eine echte und somit unzulässige Rückwirkung träfen vollständig auch auf vorliegende Angelegenheiten zu. Dem könne nicht damit entgegengetreten werden, dass das Oberverwaltungsgericht schon immer als Anspruchsgrundlage vom Vorliegen einer wirksamen Satzung ausgegangen sei. Es komme nicht darauf an, wie die Gerichte die Rechtslage bisher beurteilt hätten, sondern wie es in der gesetzlichen Regelung tatsächlich fest verankert sei. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe zur Folge, dass die Neuregelungen in der Kommunalabgabenordnung eine neue gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in abgeschlossene Rechtsverhältnisse konstituierten.

18

Es werde beantragt, über die eingelegte Berufung nach durchgeführter mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.

II.

20

Der Senat entscheidet über die zulässige Berufung des Beklagten durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO, weil er sie einstimmig für begründet und bei geklärtem Sachverhalt keine mündliche Verhandlung für erforderlich hält. Das Verfahren wirft weder in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten auf noch bestehen erhebliche Unklarheiten in tatsächlicher Hinsicht.

21

Die Beteiligten wurden dazu angehört (§§ 130a Satz 2 i.V.m. 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Eine erneute Anhörung auf Grund der Schriftsätze der Klägerin vom 7. und 23. Januar 2016 sowie 8. Februar 2016 musste nicht erfolgen. Die Verfahrensbeteiligten sind nur dann durch eine erneute Anhörungsmitteilung von der fortbestehenden Absicht des Gerichts in Kenntnis zu setzen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn nach der entsprechenden Ankündigung ein erheblicher Beweisantrag gestellt wurde oder sich die prozessuale Lage des Rechtsstreits nach einer Anhörungsmitteilung wesentlich ändert, etwa dadurch, dass ein Prozessbeteiligter seinen bisherigen Sachvortrag in erheblicher Weise ergänzt oder erweitert (vgl. BVerwG, Beschlüsse v. 23. Juni 2011 - 9 B 94.10 -, v. 17. August 2010 - 10 B 19/10 - und v. 15. Mai 2008 - 2 B 77/07 - jeweils zit. nach JURIS). Eine solche möglicherweise entscheidungserhebliche Änderung der Prozesssituation lag nicht vor. Dass die Klägerin einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO - ohne neuen, erheblichen Sachvortrag oder zusätzliche Beweisangebote - ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7. Dezember 2015 - 1 B 66.15 -, zit. nach JURIS).

22

Die angefochtenen Beitragsbescheide des Beklagten vom 7. Juni 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15. Februar 2013 und der Änderungsbescheide vom 16. Juli 2015, die im Berufungsverfahren allein noch streitbefangen sind, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

23

Rechtsgrundlage der Bescheide über einen Anschlussbeitrag in der Gestalt des sog. besonderen Herstellungsbeitrages bzw. Herstellungsbeitrages II ist § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Möglichkeit der Inanspruchnahme der zentralen öffentlichen Abwasseranlagen und über die Kostenerstattung für Anschlusskanäle des Beklagten vom 31. August 2015 - BS -, die rückwirkend am 5. Oktober 2013 in Kraft getreten ist.

24

1. Nach welcher satzungsrechtlichen Grundlage der Beitrag zu bemessen ist, richtet sich nach dem geltenden Recht im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht. Die Beitragspflicht entsteht im Anschlussbeitragsrecht gem. § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA in der ab 9. Oktober 1997 geltenden Fassung - KAG LSA -, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung. Nach der vorher geltenden Fassung des § 6 Abs. 6 des Kommunalabgabengesetzes entstand die sachliche Beitragspflicht mit der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme. Werden in satzungsloser Zeit oder unter Geltung einer formell oder materiell unwirksamen Satzung die Anschlussvoraussetzungen für Grundstücke geschaffen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt zu beiden Gesetzesfassungen (vgl. Beschl. v. 3. Dezember 2012 - 4 L 59/13 -, zit. nach JURIS, m.w.N.) die sachliche Beitragspflicht für diese Grundstücke erst mit Inkrafttreten der ersten - wirksamen - Abgabensatzung entstehen. Für den sog. besonderen Herstellungsbeitrag bzw. Herstellungsbeitrag II gilt nichts anderes, da es sich dem Grunde nach um einen Herstellungsbeitrag i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA handelt (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 13. Juli 2006 - 4 L 127/06 -, zit. nach JURIS; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2228). Soweit in dem Urteil des beschließenden Senats vom 4. Juni 2015 (- 4 L 24/14 -, zit. nach JURIS) zu § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 16. April 1999 (GVBl. LSA S. 150) vertreten wird, dass in manchen Fällen eine Satzung vor der Entscheidung über die beitragsauslösende Maßnahme vorliegen muss, betrifft dies allein die Erhebung von (Straßen)Ausbaubeiträgen.

25

Die Satzung des Beklagten vom 31. August 2015 ist für die Grundstücke der Klägerin die erste wirksame Anschlussbeitragssatzung, da die vorher geltenden Beitragssatzungen des Beklagten keine taugliche Rechtsgrundlage dargestellt hatten.

26

Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil im Einzelnen dargelegt, dass sowohl die Beitragsatzung des Beklagten vom 12. November 2012 - auch in der Gestalt der 1. Änderungssatzung vom 9. September 2013 - als auch die Beitragssatzung des Beklagten vom 4. Februar 2002, zuletzt geändert durch die 4. Änderungssatzung vom 6. Dezember 2010, u.a. wegen eines Fehlers der Tiefenbegrenzungsregelung nichtig seien und weder geltend gemacht sei noch sonst dafür etwas ersichtlich, dass vorher erlassenes Satzungsrecht des Beklagten bzw. seines Rechtsvorgängers als Rechtsgrundlage für die angegriffenen Beitragsbescheide herangezogen werden könnte. Dem tritt der Beklagte nicht entgegen; Anhaltspunkte für eine abweichende Einschätzung liegen nicht vor. Weiter hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass die gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA notwendige Regelung zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II in der Beitragssatzung vom 9. März 2015 - BS 2015 - fehlte, da die in § 7 Abs. 3 BS 2015 getroffene Bestimmung nichtig war. Diese Beitragssatzung sollte rückwirkend zum 5. Oktober 2013 in Kraft treten (§ 16 BS 2015); die Festlegung eines Entstehenszeitpunktes der sachlichen Beitragspflicht auf den 1. Januar 2010 in § 7 Abs. 3 BS 2015 und damit auf einen Zeitpunkt vor dem Inkrafttreten der BS 2015 verstieß gegen § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA. Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass eine abweichende Auslegung der Satzungsbestimmung nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht möglich ist. Ohne eine wirksame Bestimmung über das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ist eine Beitragssatzung nichtig (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2012, a.a.O.).

27

Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ist für eine Heranziehung der neuen Satzung vom 31. August 2015 unschädlich, dass der Zeitpunkt des Erlasses der Beitragsbescheide und der Widerspruchsbescheide nicht von dem Geltungszeitraum der Satzung erfasst wird. Eine nachträglich erlassene Beitragssatzung kann auch dann als Rechtsgrundlage für einen vorher erlassenen Beitragsbescheid dienen, wenn sie sich keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe oder der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides beimisst. Eine auf Grund fehlender Satzungsgrundlage bestehende Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides wird durch die neue Satzung ex nunc geheilt; der Betroffene ist prozessrechtlich dadurch geschützt, dass er das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklären kann (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 11. September 2012 - 4 L 155/09 -, zit. nach JURIS; vgl. auch Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 173, m.w.N.).

28

2. Durchgreifende Bedenken an der formellen oder materiellen Rechtmäßigkeit der Beitragssatzung vom 31. August 2015 - BS - sind weder von der Klägerin substanziiert geltend gemacht noch nach dem im Berufungsverfahren maßgeblichen Prüfungsmaßstab sonst ersichtlich.

29

a) Soweit die Klägerin im Zulassungsverfahren pauschal die Ordnungsmäßigkeit der Bekanntmachung der Beitragssatzung bestritten hat, gibt es dafür keinerlei Anhaltspunkte. Die Satzung wurde entsprechend § 24 Abs. 1 Satz 1 der Verbandssatzung des Beklagten in den Amtsblättern der Stadt Landsberg und des Landkreises Anhalt-Bitterfeld vom 11. und 16. September 2015 veröffentlicht.

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b) Die Satzung enthält - was von der Klägerin auch nicht in Zweifel gezogen wird - mit ihrem § 7 Abs. 1 eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Regelung über das Entstehen der (sachlichen) Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II. Danach entsteht die Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag I und II, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung.

31

c) Dass der in § 5 Abs. 2 BS festgesetzte Beitragssatz für den Herstellungsbeitrag II von 2,12 €/m2 gegen das Aufwandsüberschreitungsverbot des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 29. April 2010 - 4 L 341/08 -, zit. nach JURIS) verstößt, ist weder hinreichend geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Berechnung des Beitragssatzes und damit die Höhe der auf die Altanschlussnehmer umgelegten Aufwendungen ergibt sich aus der vom Beklagten erstellten Beitragskalkulation, auf welche der Beklagte in den Widerspruchsbescheiden vom 15. Februar 2013 Bezug genommen hat. Gegen diese Kalkulation erhebt die Klägerin keine substanziierten Einwendungen. Für ihre pauschale Behauptung, mit dem erhobenen Beitrag würden „Kosten für die laufende Unterhaltung und Instandsetzung von Abwasseranlagen“ bzw. „durchlaufende Betriebskosten“ erhoben, die über Benutzungsgebühren umzulegen seien, gibt es keinerlei Anhaltspunkte; Belege nennt die Klägerin nicht. Demgegenüber hat der Beklagte in den Widerspruchsbescheiden ausdrücklich ausgeführt, in die Kalkulation seien nur die beitragsfähigen Investitionskosten eingeflossen.

32

d) Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit geltend macht, verkennt sie schon die rechtlichen Grundlagen.

33

Wie oben dargelegt handelt es sich bei dem Herstellungsbeitrag II dem Grunde nach um einen Herstellungsbeitrag i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA, der sich lediglich wegen der Regelung in § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA von einem „normalen“ Herstellungsbeitrag unterscheidet. § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA bestimmt zum einen, dass für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG LSA am 16. Juni 1991 an eine zentrale öffentliche leitungsgebundene Entsorgungsanlage angeschlossen waren oder eine Anschlussmöglichkeit hatten, in Abweichung von § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA eine Beitragspflicht i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA nicht für Investitionen entsteht, die vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt abgeschlossen worden sind. Zum anderen folgt aus der Regelung, dass bei der Bemessung des besonderen Herstellungsbeitrages für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes angeschlossen waren oder angeschlossen werden konnten, d.h. bei der Ermittlung der nach dem 15. Juni 1991 getätigten Investitionen, der Aufwand für die nach diesem Zeitpunkt neu erschlossenen oder zu erschließenden Gebiete unberücksichtigt bleiben muss (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 13. Juli 2006, a.a.O.). Danach gehört zum beitragsfähigen Aufwand beim Herstellungsbeitrag II der gesamte Aufwand, der notwendig ist, um die jeweilige öffentliche leitungsgebundene Einrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA entsprechend dem Abwasserbeseitigungskonzept zu schaffen und es ist lediglich der Aufwand abzuziehen, der notwendig geworden ist, um nach dem 15. Juni 1991 (Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes) erstmals Grundstücken eine Anschlussmöglichkeit zu bieten (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 19. Mai 2005 - 1 L 252/04 - und Urt. v. 28. Oktober 2009 - 4 L 117/07 - jeweils zit. nach JURIS; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2225).

34

Der Vorteil, der durch den Herstellungsbeitrag II abgegolten werden soll, ist Eigentümern von tatsächlich schon vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt angeschlossenen Grundstücken daher - wie bei dem allgemeinen Herstellungsbeitrag - erst in dem Zeitpunkt zugeflossen, in dem ihnen erstmals der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden ist, ihr Schmutzwasser mittels einer nach Inkrafttreten des Gesetzes geschaffenen öffentlichen Einrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA entsorgen zu können (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 4. Dezember 2003 - 1 L 226/03 -, zit. nach JURIS; Beschl. v. 18. November 2004 - 1 M 61/04 -; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2220f.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 15. April 2015 - 9 C 19.14 -, zit. nach JURIS). Dieser Vorteil knüpft gerade nicht an eine tatsächliche Anschlussnahme von Grundstücken an, die vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes erfolgt ist, so dass es auf das Vorbringen der Klägerin zu den Unterschieden in der Qualität der tatsächlichen Abwasserentsorgung ihrer Grundstücke nicht ankommt.

35

Es ist auch weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich, dass der Beklagte in die Beitragskalkulation für den Herstellungsbeitrag II Investitionen einbezogen hat, die vor dem 15. Juni 1991 abgeschlossen waren, oder Aufwand für nach dem 15. Juni 1991 geschaffene Anlagenteile, der dazu dient, neue Flächen durch die zentrale Abwasserentsorgungsanlage zu erschließen. Dafür bestehen angesichts der Höhe des in § 5 Abs. 1 BS festgesetzten Beitragssatzes von 10,23 €/m2 für den allgemeinen Herstellungsbeitrag auch keinerlei Anhaltspunkte.

36

3. Die Voraussetzungen für die Erhebung eines Herstellungsbeitrages II sind nach der Beitragssatzung des Beklagten erfüllt.

37

Die Grundstücke der Klägerin verfügten i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 3 BS am 15. Juni 1991 über einen Anschluss an eine bestehende, nicht lediglich provisorische zentrale öffentliche Abwasserbehandlungsanlage und hatten unstreitig i.S.d. § 7 Abs. 1 BS nach diesem Zeitpunkt eine Anschlussmöglichkeit an die gem. § 1 Abs. 1 Ziffer 1 der Entwässerungssatzung des Beklagten geschaffene Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung des Beklagten.

38

Soweit die Klägerin vorträgt, die tatsächliche Schmutzwasserentsorgung ihrer Grundstücke durch die Einrichtung des Beklagten sei immer wieder gestört, steht dieser Einwand einer Beitragserhebung nicht entgegen. Denn der Beitrag wird gem. § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA schon für die Möglichkeit der Inanspruchnahme erhoben. Dass eine ordnungsgemäße Schmutzwasserentsorgung ihrer Grundstücke auf Grund natürlicher Gegebenheiten technisch ausgeschlossen ist oder zu unzumutbaren Belastungen führt, ist weder ersichtlich noch von der Klägerin geltend gemacht.

39

Einwände gegen die Berechnung des Beitrages sind nicht substanziiert geltend gemacht; Fehler sind insoweit auch nicht ersichtlich. Das pauschale Bestreiten „der Höhe der angeforderten Beiträge“ durch die Klägerin ist nicht ausreichend.

40

Soweit sie im Klageverfahren eine hilfsweise Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen vorgenommen hat, steht dem gem. § 13a Abs. 1 Satz 5 KAG LSA i.V.m. § 226 Abs. 3 AO schon entgegen, dass diese Gegenansprüche weder unbestritten noch rechtskräftig festgestellt sind.

41

4. Die angefochtenen Bescheide vom 7. Juni 2012 sind nicht in festsetzungsverjährter Zeit erlassen worden.

42

Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. den §§ 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO ist eine Abgabenfestsetzung - vorbehaltlich der Feststellbarkeit des Beitragspflichtigen nach § 6 Abs. 8 KAG LSA - nicht mehr zulässig, wenn die für Kommunalabgaben maßgebliche Festsetzungsfrist von vier Jahren abgelaufen ist, wobei die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Abgabe entstanden ist. Da die sachliche Beitragspflicht für die Grundstücke der Klägerin erst mit der Beitragssatzung vom 31. August 2015 entstanden sein kann, die rückwirkend zum 5. Oktober 2013 in Kraft getreten ist, ist die Festsetzungsverjährungsfrist nicht abgelaufen.

43

5. Eine Beitragserhebung wird auf Grund der Regelung des § 18 Abs. 2 i.V.m. § 13b KAG LSA durch das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht ausgeschlossen.

44

Dieses Gebot schützt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davor, dass lange zurück liegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden könnten. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicher zu stellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Die Legitimation von Beiträgen liege - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen sei. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei stehe ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 -, zit. nach JURIS). Danach ist eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar (so BVerwG, Beschl. v. 26. August 2013 - 9 B 13.13 -, zit. nach JURIS; vgl. auch Urt. v. 15. April 2015, a.a.O. und Urt. v. 20. März 2014 - 4 C 11.13 -, zit. nach JURIS). Das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gilt für alle Fallkonstellationen, in denen eine abzugeltende Vorteilslage eintritt, die daran anknüpfenden Abgaben aber wegen des Fehlens sonstiger Voraussetzungen nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können (so BVerwG, Urt. v. 20. März 2014, a.a.O.) und damit für das gesamte Beitragsrecht (so BVerwG, Urt. v. 15. April 2015, a.a.O.).

45

Zwar sind sowohl § 6 Abs. 6 KAG a.F. als auch § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA - in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 6. Oktober 1997 (GVBl. LSA S. 878) wie auch in der inhaltgleichen Fassung des Änderungsgesetzes vom 16. April 1999 (GVBl. LSA S. 150) - in der bisher vorgenommenen Auslegung auf Grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit im Anschlussbeitragsrecht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2014, a.a.O.). Denn beide Regelungen ermöglichten in der bisherigen Auslegung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt, wonach die sachliche Beitragspflicht mit der ersten wirksamen Beitragssatzung entsteht, eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von Anschlussbeiträgen.

46

Dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit tragen aber die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA, die durch Art. 1 Nr. 9 und 12 des Gesetzes zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2014 (GVBl. LSA S. 522) eingefügt worden und am 24. Dezember 2014 in Kraft getreten sind, hinreichend Rechnung (so schon OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 4. Juni 2015, a.a.O.). Danach ist eine Abgabenfestsetzung unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit dem Ablauf des 10. Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen (§ 13b Satz 1 KAG LSA). Die nach Maßgabe des § 13b zu bestimmende Ausschlussfrist endet nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (§ 18 Abs. 2 KAG LSA). Damit hat der Gesetzgeber eine zeitliche Obergrenze für die Festsetzung von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben eingeführt und auf diese Weise den bislang bestehenden verfassungswidrigen Zustand beseitigt.

47

Die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA berücksichtigen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich einerseits und die Interessen des Einzelnen an Rechtssicherheit. Die gewählte Ausschlussfrist von grundsätzlich 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage, die jedoch nicht vor dem Ende des Jahres 2015 abläuft und daher im Einzelfall auf Grund des erstmaligen Inkrafttretens des KAG LSA im Jahre 1991 bis zu 24,5 Jahre betragen kann, hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber insoweit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 5. März 2013, a.a.O.) zustehenden weiten Gestaltungsspielraums und belastet die Abgabenpflichtigen nicht unzumutbar (vgl. VG Halle, Urt. v. 13. März 2015 - 4 A 13/15 HAL -; VG Magdeburg, Urt. vom 26. März 2015 - 9 A 253/14 MD -; Bücken-Thielmeyer/Fenzel, LKV 2014, 241, 244f, 248; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2254; Driehaus, KStZ 2014, 181, 184f.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16. Juli 2014 - OVG 9 N 69.14 - zu § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG BB, zit. nach JURIS; Martini, NVwZ-Extra 2014, S. 1, 8ff., 12; vgl. weiter § 3a Abs. 3 Satz 2 SächsKAG; a.M.: Beck/Neumann, DWW 2015, 362, 370ff., 374; vgl. auch Möller, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2015h ff.; Rottenwallner, KStZ 2014, 189, 194ff.). Zum einen unterschreitet sie die auch dem öffentlichen Recht nicht fremde dreißigjährige Verjährungsfrist (vgl. etwa § 53 Abs. 2 VwVfG), gegen deren grundsätzliche Anwendbarkeit im öffentlichen Recht aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens keine Bedenken bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11. Dezember 2008 - 3 C 37.07 -, zit. nach JURIS, m.w.N.; vgl. auch Urt. v. 20. März 2014 - 4 C 11.13 -, zit. nach JURIS) und die einen Maßstab für die Bestimmung einer Ausschlussfrist darstellt (vgl. Driehaus, KStZ 2014, 184f.; vgl. auch Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O., S. 244: äußerste Grenze). Zudem wirkt der Vorteil, der durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer Einrichtung vermittelt wird, lange in die Zukunft fort, während ein besonderes wirtschaftliches Interesse der Abgabepflichtigen an einer möglichst zeitnahen Geltendmachung des Beitragsanspruchs nicht besteht, sondern deren Interesse nur darin liegt, erkennen zu können, wann mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen ist (VG Halle, Urt. v. 13. März 2015, a.a.O.; Driehaus, KStZ 2014, 185; VGH Bayern, Urt. v. 12. März 2015 - 20 B 14.1441 -; VG Cottbus, Urt. v. 10. April 2014 - 6 K 370/13 -, jeweils zit. nach JURIS). Schließlich sind die nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit bestehenden Schwierigkeiten beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung sowie die sonstigen Schwierigkeiten, in einem neuen Bundesland wie Sachsen-Anhalt überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, in Rechnung zu stellen (VG Halle, Urt. v. 13. März 2015, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 15. April 2015 - 9 C 19.14 -, zit. nach JURIS: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16. Juli 2014, a.a.O.) und der Umstand, dass die abgabenerhebenden Körperschaften in Sachsen-Anhalt jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 auf Grund der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt darauf vertrauen durften, nicht wirksam entstandene Forderungen zeitlich grundsätzlich unbegrenzt geltend machen zu können (vgl. auch Martini, a.a.O., S. 12).

48

Die abgabenerhebenden Körperschaften werden durch die 10-Jahres-Ausschlussfrist, die zwar (teilweise deutlich) kürzer ist als vergleichbare Regelungen in anderen Bundesländern, ebenfalls nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise (vgl. dazu Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O. S. 245ff.) belastet (wohl a.M.: Driehaus, KStZ 2014, 185). Auch wenn es aus den verschiedensten Gründen zu einer Verzögerung der Erhebung von Abgaben kommen kann, die der zuständigen Körperschaft nicht anzulasten ist, durfte der Gesetzgeber mit der gewählten Frist, die jedenfalls mehr als doppelt so lang ist wie die Festsetzungsverjährungsfrist, die Interessen des einzelnen Abgabenschuldners sehr hoch gewichten. Weder werden dadurch die abgabenerhebenden Körperschaften in ihrer Finanzhoheit als Ausprägung des Rechts der kommunalen Selbstverwaltung verletzt noch ist das Gleichheitsgebot in seiner Ausprägung als Grundsatz der Abgabengerechtigkeit beeinträchtigt. Im Gesetzgebungsverfahren haben die Interessenverbände insoweit gerade keine durchgreifenden Einwendungen erhoben, sondern nur für eine längere Übergangsfrist plädiert. Durch § 18 Abs. 2 KAG LSA ist hinreichend sichergestellt, dass Altverfahren noch fristgerecht abgeschlossen werden können. Denn die abgabenerhebenden Körperschaften mussten schon seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 mit einer gesetzgeberischen Regelung rechnen.

49

Die vorgesehene Ausschlussfristenregelung ermöglicht damit einerseits die Sicherung der Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen und schränkt andererseits die Abgabenerhebung nach Eintritt der Vorteilslage zeitlich ein, nämlich auf einen Zeitraum von höchstens 24,5 Jahren. Insoweit enthält sie einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und des einzelnen Abgabenpflichtigen an Rechtssicherheit. Auch der Umstand, dass die "Übergangsregelung" in § 18 Abs. 2 KAG LSA sogenannte "Altfälle", bei denen die die Ausschlussfrist frühestens am 31. Dezember 2015 endet, gegenüber den Abgabenpflichtigen benachteiligt, bei denen die Vorteilslage erst nach 2005 eingetreten ist, führt unter Berücksichtigung von Art. 3 GG nicht zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Denn nach dem Vorhergesagten besteht jedenfalls ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung.

50

Auch den von der Klägerin und einzelnen Literaturstimmen sonst genannten Einwendungen gegen die Übergangsfrist des § 18 Abs. 2 KAG LSA ist nicht zu folgen. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin kommt dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum nicht nur hinsichtlich der (zeitlichen) Ausgestaltung einer allgemeinen Ausschlussfrist zu, sondern auch hinsichtlich der Einräumung einer besonderen Übergangsfrist. Diesen Spielraum hat der Landesgesetzgeber (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-DrS 6/3419 vom 10. September 2014, S. 23) ausdrücklich genutzt und darauf abgestellt, dass die kommunalen Aufgabenträger erst mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 von einer neuen Rechtslage auszugehen hatten. Soweit das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung ausdrücklich gerügt hat, die Verjährung des in Rede stehenden Anschlussbeitrages könne nach den bisherigen gesetzlichen Regelungen unter Umständen „erst Jahrzehnte“ nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen, folgt daraus keine Absage an die Bestimmung einer Ausschlussfrist, die im Einzelfall zwanzig Jahre überschreiten kann. Zum einen wurde diese Aussage zu Regelungen im bayerischen Kommunalabgabengesetz über die (Festsetzungs)Verjährung getroffen, die gerade keine Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers enthielten. Zum anderen entfaltet § 18 Abs. 2 KAG LSA nur für einen Übergangszeitraum Geltung und ist durch landesspezifische Umstände gerechtfertigt. Beide Erwägungen hatte das Bundesverfassungsgericht zu dem damals streitigen bayerischen Kommunalabgabengesetz nicht zu berücksichtigen. Auch dass den Problemen bei der Bildung von Aufgabenträgern in Sachsen-Anhalt durch zwei Heilungsgesetze im Kommunalabgabenrecht Rechnung getragen wurde, hindert nicht eine Berücksichtigung der sonstigen Schwierigkeiten, überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, sowie eine Berücksichtigung der bis zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geltenden letztinstanzlichen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts. Soweit eine Geltendmachung von Fehlern der Abgabenfestsetzung durch den herangezogenen Abgabepflichtigen infolge des Zeitablaufs seit Entstehen der Vorteilslage (z.B. durch natürliche Änderungen der tatsächlichen Umstände oder Eigentümerwechsel) erschwert sein sollte, ist dem schon im Rahmen der Darlegungsverpflichtungen und der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen.

51

Die Regelungen der §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA sind anzuwenden, obwohl vor Inkrafttreten dieser Normen sowohl die sachliche Beitragspflicht entstanden ist als auch die angefochtenen Beitragsbescheide erlassen worden sind. Es handelt sich dabei um Regelungen, mit denen - wie § 18 Abs. 2 KAG LSA klarstellt - eine Ausschlussfrist festgesetzt wird (vgl. auch Driehaus, KStZ 2014, 183, m.w.N.; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2254). Deren umfassende Anwendbarkeit ergibt sich aus Sinn und Zweck dieser Vorschriften, der darin besteht, der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen und eine zeitliche Obergrenze für die Beitragserhebung im Kommunalabgabengesetz vorzusehen, um die Beitragserhebung verfassungsrechtlich sicher zu gestalten (vgl. Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 10. September 2014, LT-DrS 6/3419, S. 3; VG Halle, Urt. v. 13. März 2015, a.a.O.; vgl. auch VG Magdeburg, Urt. v. 26. März 2015, a.a.O.).

52

Da die streitbefangenen Beitragsbescheide vor Ende des Jahres 2015 erlassen worden sind, ist die Ausschlussfrist des § 13b KAG LSA jedenfalls gem. § 18 Abs. 2 KAG LSA gewahrt.

53

Es kann danach offen bleiben, zu welchem Zeitpunkt für die Grundstücke der Klägerin die Vorteilslage i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2014, a.a.O.; vgl. auch Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2255; Driehaus, KStZ 2014, 181, 183f.; Martensen, LKV 2014, 446, 451ff.) entstanden ist. Jedenfalls ist nach den obigen Darlegungen diese Vorteilslage nicht schon mit der tatsächlichen Anschlussnahme der Grundstücke an eine zentrale Entsorgungsanlage vor dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes erfolgt, da es sich dabei um eine beitragsrelevante Vorteilslage handeln muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. April 2015, a.a.O.). Auch aus dem Gesetzeswortlaut oder den „Intentionen“ des Gesetzgebers folgt im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin nichts anderes. In dem Gesetzentwurf der Landesregierung (LT-DrS 6/3419 vom 10. September 2014, S. 22f.) wird jeweils nur auf die „Vorteilslage“ bzw. die „tatsächliche Vorteilslage“ abgestellt. Soweit der Begriff „technische Herstellung“ verwendet wird (S. 3), bezieht er sich - wie aus dem Zusammenhang deutlich wird - auf den Vorteilsausgleich i.S.d. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dass nach den Angaben der Klägerin die tatsächliche Schmutzwasserentsorgung ihrer Grundstücke durch die Einrichtung des Beklagten immer wieder gestört sei, führt von vornherein nicht dazu, den Eintritt der Vorteilslage schon früher anzunehmen.

54

Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob bei einer Beitragsfestsetzung, die vor einem nach den §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA maßgebenden Zeitpunkt erfolgt ist, der Erlass der als Rechtsgrundlage heranzuziehenden Beitragssatzung nach diesem Zeitpunkt - möglicherweise auch verbunden mit einer Entstehung der sachlichen Beitragspflicht erst nach dem Zeitpunkt - zur Folge hat, dass die Ausschlussfrist nicht eingehalten ist (vgl. dazu Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2254 a.E.). Denn die heranzuziehende Beitragssatzung des Beklagten ist vor dem 31. Dezember 2015 erlassen worden, und auch die sachliche Beitragspflicht ist vor diesem Zeitpunkt entstanden.

55

6. Die im Anschlussbeitragsrecht geltenden Regelungen des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt haben auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (- 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 -, zit. nach JURIS) zu dem Kommunalabgabengesetz Brandenburg keine unzulässige Rückwirkung zur Folge.

56

Eine Rechtsnorm entfaltet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 12. November 2015, a.a.O., m.w.N. und Beschl. v. 2. Mai 2012 - 2 BvL 5/10 -, zit. nach JURIS, m.w.N.) echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll. Eine unechte Rückwirkung liegt dagegen vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet, so wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung").

57

a) Dass Grundstücke auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes zu Anschlussbeiträgen herangezogen werden, die schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 15. Juni 1991 eine Anschlussmöglichkeit an eine zentrale öffentliche leitungsgebundene Schmutzwasserentsorgungsanlage hatten, stellt entgegen der Auffassung der Klägerin schon deshalb keine unzulässige Rückwirkung dar, weil - wie oben dargelegt - damit nur an eine erst nach dem 15. Juni 1991 entstandene Vorteilslage durch die Anschlussmöglichkeit an eine nach diesem Zeitpunkt geschaffene öffentliche Einrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA angeknüpft wird.

58

b) Der mit Änderungsgesetz vom 6. Oktober 1997 (GVBl. LSA S. 878) eingeführte § 6 Abs. 6 Satz 2 entfaltet ebenfalls keine unzulässige Rückwirkung (so auch VG Halle, Urt. v. 25. Januar 2016 - 4 A 10/15 HAL -; a.M. wohl: Beck/Neumann, a.a.O., S. 364 Fn. 25, 374). Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA gegenüber der vorher geltenden Rechtslage nach § 6 Abs. 6 KAG LSA a.F. lediglich klarstellend verdeutliche, dass die sachliche Beitragspflicht im Anschlussbeitragsrecht unabhängig vom Abschluss der Baumaßnahme und der Begründung der Vorteilslage nicht vor Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung entsteht (so Urt. v. 6. März 2003 - 1 L 318/02 -, m.w.N.; Beschl. v. 23. Oktober 2000 - 1 M 209/00 -; Beschl. v. 10. November 1999 - B 3 S 29/98 -; Beschl. v. 25. Januar 2011 - 4 L 234/09 -; vgl. auch Beschl. v. 19. Februar 1998 - B 2 S 141/97 - zit. nach JURIS; vgl. weiter Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2202, m.w.N.). Dass nach der Gesetzesbegründung (LT-DrS 2/3895 v. 26. August 1997, S. 7) zu § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA „ein Hinausschieben der Entstehung der Beitragspflicht frühestens auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten rechtsgültigen Satzung“ erforderlich gewesen sei, um möglichen Beitragsausfällen oder Rückforderungen vorzubeugen, führt zu keiner anderen Auslegung. Ein Gesetz kann auch rein deklaratorische Wirkung haben, um das klarzustellen, was sich aus anderen Regelungen, wenn auch nicht ausdrücklich, bereits ergibt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 19. Februar 1998, a.a.O.). Daher fehlt es von vornherein schon an einem Anknüpfungspunkt für die Annahme einer (echten oder unechten) Rückwirkung, da die Rechtslage sich durch das Änderungsgesetz nicht geändert hat. Grundsätzlich liegt keine Rückwirkung vor, wenn eine Neuregelung deklaratorischer Art ist, also nur bestätigt, was von vornherein aus der verkündeten ursprünglichen Norm folgte (BVerfG, Beschl. v. 2. Mai 2010, a.a.O.).

59

Dass § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA dem Wortlaut nach im Wesentlichen der Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. entspricht, deren Abänderung durch die Einführung des Begriffes „rechtswirksam“ vor dem Wort „Satzung“ mit einem Änderungsgesetz vom 17. Dezember 2003 das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 12. November 2015 (a.a.O.) hinsichtlich der Fälle, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. nicht (mehr) erhoben werden konnten, als unzulässige Rückwirkung angesehen hat, steht dem nicht entgegen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in dem Änderungsgesetz deshalb eine konstitutive Änderung der Rechtslage bzw. einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes gesehen, weil das Oberverwaltungsgericht Brandenburg § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. in ständiger Rechtsprechung (seit Urt. v. 8. Juni 2000 - 2 D 29/98.NE -, zit. nach JURIS) so ausgelegt hatte, dass es für den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht und damit auch für den Zeitpunkt des Verjährungsbeginns lediglich auf das formelle Inkrafttreten der ersten - möglicherweise unwirksamen - Beitragssatzung, nicht aber auf das Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung ankam (vgl. dazu auch Herrmann, LKV 2016, 54ff.). Eine vergleichbare „Korrektur“ der die Festsetzungsverjährung betreffenden Rechtsprechung durch den Gesetzgeber erfolgte - schon im Hinblick darauf, dass das Oberverwaltungsgericht stets auf das Erfordernis einer wirksamen Satzung abgestellt hatte - in Sachsen-Anhalt gerade nicht.

60

Es muss daher nicht entschieden werden, ob selbst bei der Annahme einer Änderung der Rechtslage durch § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA vorliegend deshalb keine Rückwirkung eingetreten wäre, weil für die klägerischen Grundstücke bis zum Inkrafttreten des § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA keine öffentliche Einrichtung zur Schmutzwasserentsorgung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA existierte (vgl. VG Halle, Urt. v. 25. Januar 2016 - 4 A 10/15 HAL -).

61

c) Den §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA kommt danach schließlich auch keine (echte oder unechte) Rückwirkung zu. Auf Grund dieser Bestimmungen treten schon keine Rechtsfolgen mit belastender Wirkung ein, da die Rechtsprechung in Sachsen-Anhalt keine Ausschlussfrist angenommen hatte, innerhalb derer die abgabenerhebende Körperschaft nach dem Entstehen einer Vorteilslage die Abgabe festzusetzen hatte. Die Neuregelungen, mit denen eine solche Ausschlussfrist erstmalig eingeführt wird, haben für die betroffenen Abgabenpflichtigen daher allein eine begünstigende Wirkung.

62

Selbst wenn man aber den §§ 13b, 18 KAG LSA eine unechte Rückwirkung unterstellte, läge ein - für die Annahme der Verfassungswidrigkeit notwendiger - Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht vor. Die noch nicht herangezogenen Abgabenpflichtigen konnten weder vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 noch danach darauf vertrauen, dass ihnen gegenüber auf Grund eines langen Zeitraumes seit Entstehen einer Vorteilslage keine Abgabe mehr festgesetzt werden könnte. Insoweit kam es allein darauf an, ob und in welcher Weise der Landesgesetzgeber auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts reagieren würde.

63

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

64

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Beschlusses folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

65

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.

66

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.


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Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Tatbestand 1 Die Klägerin ficht Bescheide über Trinkwasseranschlussbeiträge an. 2 Sie ist eine in kommunaler Hand befindliche Wohnungsbaugesellschaft m

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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 2. Kammer - vom 6. Dezember 2013 geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die Erhebung eines einmaligen Straßenausbaubeitrags.

2

Sie sind Eigentümer des 1.379 m² großen, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks B-Straße (Flurstück 85/10, Flur A, Gemarkung B.).

3

In den Jahren 1995 bis 1998 ließ die Gemeinde B. in der B-Straße die Straßenbeleuchtung erneuern. Die zuvor an Freileitungsmasten der Energieversorgung vorhandenen Mastansatzleuchten wurden demontiert. Die Beleuchtungsanlage wurde mit Beleuchtungskörpern an freistehenden Masten und erdverlegten Kabeln neu errichtet. Weitere abrechenbare Maßnahmen wurden bisher nicht vorgenommen.

4

Die letzte Unternehmerrechnung ging am 14. August 1998 bei der Gemeinde B. ein.

5

Am 6. März 2003 beschloss der Gemeinderat der Gemeinde B. die Satzung über die Erhebung von einmaligen Straßenausbaubeiträgen im Gebiet der Gemeinde B., die im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft westlicher Saalkreis 6/2003 veröffentlicht wurde. Die 1. Änderungssatzung wurde am 21. Oktober 2004 beschlossen und im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft westlicher Saalkreis vom 14. Januar 2005 bekannt gemacht.

6

Zum 1. Januar 2010 wurde die Gemeinde B. aufgelöst und mit den Gemeinden Bennstedt, Fienstedt, Höhnstedt, Kloschwitz, Lieskau, Salzmünde, Schochwitz und Zappendorf zur Beklagten zusammengeschlossen.

7

Am 16. Juni 2011 beschloss der Gemeinderat der Beklagten eine Aufwandspaltung des Inhalts, dass die Teileinrichtung Beleuchtung in der Verkehrsanlage "E-Straße/B-Straße" selbständig abzurechnen sei.

8

Mit Bescheiden vom 28. September 2012 zog die Beklagte die Kläger für den Ausbau der Straßenbeleuchtung zu Ausbaubeiträgen in Höhe von je 121,59 €, insgesamt 243,92 € heran.

9

Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch der Kläger änderte die Beklagte den Straßenausbaubeitrag auf je 121,96 € und wies den Widerspruch im Übrigen mit Widerspruchsbescheiden vom 4. Dezember 2012 zurück. Die Überprüfung habe ergeben, dass die Grundstücke zum Teil mit einer veränderten Maßstabsfläche heranzuziehen seien, sodass sich eine geringfügige Erhöhung ergebe.

10

Zur Begründung ihrer am 6. Januar 2013 erhobenen Klage machen die Kläger geltend, dass die Bescheide den Grundsatz der Rechtssicherheit nach Art. 20 Abs. 3 GG missachteten, weil die Baumaßnahme zum Zeitpunkt der Abrechnung 14 Jahre zurückgelegen habe und die Gemeinde zum Zeitpunkt der Ausführung der Baumaßnahme noch keine Beitragssatzung beschlossen habe. Da die Verjährung nach Auffassung der Beklagten erst mit dem Kostenspaltungsbeschluss zu Laufen beginne, seien die geltenden Verjährungsregelungen im Fall nicht vollständig abgeschlossener Maßnahmen nicht geeignet, Rechtsfrieden herzustellen und Rechtssicherheit zu bieten. Im Übrigen habe es im gesamten Verfahren keine Aussagen zum vorherigen Ausbauzustand der Straßenbeleuchtung gegeben. Es sei daher noch offen, ob es sich um eine Erneuerung bzw. Verbesserung oder lediglich einer Reparatur handele. Auch die Frage, ob die Kosten sachgerecht seien, habe bisher nicht geklärt werden können.

11

Die Kläger haben beantragt,

12

die Bescheide der Beklagten vom 28. September 2012 und deren Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2012 aufzuheben.

13

Die Beklagte hat beantragt,

14

die Klage abzuweisen.

15

Das Verwaltungsgericht hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2013 die Beitragsbescheide vom 28. September 2012 und die Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2012 aufgehoben. Der für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht hier anzuwendende § 6 Abs. 6 KAG LSA in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Dezember 1996 sei im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (- 1 BvR 2457/08 -) verfassungskonform dahin auszulegen, dass Beiträge nicht verlangt werden könnten, wenn die Maßnahme vor Inkrafttreten einer insbesondere in ihrer Verteilungsregelung wirksamen Beitragssatzung endgültig abgeschlossen worden sei. Gleiches gelte nach Überzeugung der Kammer aufgrund der gleichen Interessenlage auch für den hier vorliegenden Fall, dass eine im Wege der Kostenspaltung grundsätzlich abrechenbare Teilmaßnahme vor Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung bauprogrammmäßig fertig gestellt worden sei. Die Ausbaumaßnahme der Beklagten bleibe danach beitragsfrei, weil zum Zeitpunkt ihrer Beendigung im Jahr 1998 noch keine Beitragssatzung vorhanden gewesen sei. Denn die Gemeinde B. habe erstmals mit ihrer Straßenausbaubeitragssatzung vom 6. März 2003 über eine wirksame Beitragssatzung verfügt. Jedenfalls im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 sei die Erhebung eines Straßenausbaubeitrags vorliegend nicht mit Treu und Glauben zu vereinbaren, denn die Interessenlage bei der hier vorliegenden Teilmaßnahme sei mit den Fällen der vollständigen Beendigung rechtlich vergleichbar, insbesondere sei die Vorteilslage in Bezug auf die allein abgerechnete Teileinrichtung Straßenbeleuchtung bereits im Jahr 1998 entstanden.

16

Die Beklagte hat fristgerecht die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung erhoben und trägt vor, dass das Gericht daran gehindert sei, eine verfassungskonforme Auslegung vorzunehmen, weil es allein dem Gesetzgeber obliege, das Kommunalabgabengesetz entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzupassen.

17

Die Beklagte beantragt,

18

das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 2. Kammer - vom 6. Dezember 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.

19

Die Kläger beantragen,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Sie machen geltend, dass sie ohne gültige Satzung nicht zu Beiträgen hätten herangezogen werden dürfen. Jedenfalls sei im Zeitpunkt der Erhebung der Beiträge keine Rechtssicherheit vorhanden gewesen. Dieser Vorstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG könne nicht nachträglich geheilt werden. § 18 KAG LSA sei zudem insoweit verfassungswidrig, als es eine zehnjährige Verjährungsfrist mit der Einschränkung vorsehe, dass die Verjährungsfrist nicht vor Ablauf des Jahres 2015 ende. Denn hierdurch verlängere sich vorliegend die Verjährungsfrist auf 17 Jahre. Dies sei unzumutbar in einem Verfahren, in dem es u. a. auf die örtlichen Gegebenheiten ankomme, die steten Veränderungen unterlägen, und zudem die Aktenaufbewahrungsfristen längst abgelaufen seien.

22

Zudem werde bestritten, dass die dem hier streitbefangenen Bescheid zugrunde liegenden Kosten überhaupt für die Straßenbeleuchtung angefallen seien, denn insgesamt erschienen sämtliche Kosten "übersetzt". Auch sei es wegen anderweitiger Beschäftigung der beteiligten Firmen im Gemeindebereich durchaus denkbar und wahrscheinlich, dass hier Kosten abgerechnet worden seien, die nicht über die Straßenbeleuchtungsabgaben abzurechnen seien.

23

Durch die Übergangsregelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA habe der Landesgesetzgeber den nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geforderten Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auch den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Abschluss der Baumaßnahme verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

25

Die zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.

26

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 28. September 2012 in der Gestalt ihrer Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2012 rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz VwGO).

27

Rechtsgrundlage der Beitragserhebung ist § 6 Abs. 1 KAG LSA i.V.m. der Straßenausbaubeitragssatzung der Gemeinde B. vom 6. März 2003 i.d.F. der 1. Änderungssatzung vom 21. Oktober 2004 - SBS -. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA erheben die Landkreise und Gemeinden zur Deckung ihres Aufwandes für die erforderliche Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung ihrer Verkehrsanlagen von den Beitragspflichtigen, denen durch die Inanspruchnahme dieser Leistungen ein Vorteil entsteht, Beiträge, soweit der Aufwand nicht durch Gebühren gedeckt ist.

28

1. Durch die vorliegend streitgegenständlichen Baumaßnahmen, mit der die Beleuchtungsanlage mit Beleuchtungskörpern an freistehenden Masten und erdverlegten Kabeln neu errichtet worden ist, ist die Teileinrichtung Straßenbeleuchtung unstreitig im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 SBS erneuert worden.

29

Zweifel an der Beitragsfähigkeit des von der Beklagten berechneten Aufwands für die Durchführung der Baumaßnahme in der streitgegenständlichen Verkehrsanlage in Höhe von 51.258,46 € bestehen entgegen der Auffassung der Kläger nicht. Nach den Angaben der Beklagten sind die Anteile der auf die streitgegenständliche Verkehrsanlage entfallenden Kosten der - auch für Baumaßnahmen an den Beleuchtungsanlagen anderer Verkehrsanlagen - entstandenen Kosten anhand der jeweiligen Lampenstandorte ermittelt und auf die Lampenanzahl der streitgegenständlichen Verkehrsanlage verteilt worden. Soweit die Kläger gegen die von der Beklagten vorgenommene Zuordnung der jeweiligen Rechnungsanteile auf die zu veranlagende Verkehrsanlage lediglich einwenden, dass sämtliche Kosten "übersetzt" schienen, und bezweifeln, dass die dem Bescheid zugrunde liegenden Kosten überhaupt für die Straßenbeleuchtung angefallen seien, ist ihr Vorbringen von vornherein nicht geeignet, die detaillierte Ermittlung der Beklagten in Zweifel zu ziehen.

30

2. Der Beitragsanspruch ist auch nicht (festsetzungs-)verjährt. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. den §§ 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO ist eine Abgabenfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist von 4 Jahren abgelaufen ist, die mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Beitragspflicht für Verkehrsanlagen entsteht gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA in der vom 9. Oktober 1997 bis 21. April 1999 geltenden Fassung - KAG LSA 1997 - mit der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme, in den Fällen des Abs. 2 mit der Beendigung der Teilmaßnahme und in den Fällen des Abs. 4 mit der Beendigung des Abschnitts.

31

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Sachsen-Anhalt, dass im Straßenausbaubeitragsrecht ein Beitragsanspruch bei - wie vorliegend - vor dem 22. April 1999 begonnenen Maßnahmen entsteht, wenn eine beitragsfähige Maßnahme tatsächlich beendet ist, der Aufwand festgestellt werden kann und eine wirksame Beitragssatzung vorliegt. Es ist dabei lediglich erforderlich, dass zu irgendeinem Zeitpunkt eine wirksame Satzung vorliegt. Dies kann der Zeitpunkt der Maßnahme, des Bescheiderlasses oder auch ein späterer Zeitpunkt sein (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 04.12.2014 - 4 L 220/13 -, zit. nach JURIS, m.w.N.). Das in § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA i.d.F. des Änderungsgesetztes vom 16. April 1999 normierte Erfordernis, wonach eine Satzung vor der Entscheidung über die beitragsauslösende Maßnahme vorliegen muss, gilt aufgrund einer insoweit gebotenen verfassungskonformen Auslegung nur für die Fälle, in denen die beitragsauslösende Maßnahme nach dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes am 22. April 1999 begonnen wurde (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 04.12.2014, a.a.O., m.w.N.).

32

Danach ist der Beitragsanspruch am 16. Juni 2011 mit dem Beschluss der Beklagten über die Aufwandspaltung (§ 6 Abs. 2 KAG LSA) entstanden. Die vierjährige Festsetzungsfrist war daher bei Erlass der Bescheide vom 28. September 2012 noch nicht abgelaufen.

33

3. Zwar ist § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997 in der bisher vorgenommenen Auslegung auf Grund der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit im Anschlussbeitragsrecht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 04.12.2014, a.a.O.). Dieses Gebot schütze davor, dass lange zurück liegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden könnten. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicher zu stellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Die Legitimation von Beiträgen liege - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen sei. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei stehe ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.03.2013 - 1 BvR 2457/08 -, zit. nach JURIS).

34

Danach ist eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar (so BVerwG, Beschl. v. 26.08.2013 - 9 B 13.13 -; vgl. auch Urt. v. 20.03.2014 - 4 C 11.13 - zu Sanierungsbeiträgen nach § 154 BauGB, jeweils zit. nach JURIS). Das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gilt für alle Fallkonstellationen, in denen eine abzugeltende Vorteilslage eintritt, die daran anknüpfenden Abgaben aber wegen des Fehlens sonstiger Voraussetzungen nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können (so BVerwG, Urt. v. 20.03.2014, a.a.O.). Die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betrifft damit auch einmalige Beiträge im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA, die zur Finanzierung von Aufwendungen für Verkehrsanlagen erhoben werden. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, durch gesetzliche Regelungen sicher zu stellen, dass eine bestimmbare zeitlich Obergrenze für die Inanspruchnahme von Beitragsschuldner besteht, die der Rechtssicherheit genügt.

35

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist die vom Verwaltungsgericht vorgenommene verfassungskonforme Auslegung des § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997 dahingehend, dass die sachliche Beitragspflicht für vor dem 22. April 1999 begonnene Straßenausbaumaßnahmen nur dann entsteht, wenn vor dem endgültigen Abschluss der Maßnahme eine wirksame Beitragssatzung vorliegt, jedoch nicht zulässig. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist insoweit unerheblich, dass erstmals mit der Veröffentlichung der SBS der Gemeinde B. vom 6. März 2003 eine (wirksame) Straßenausbaubeitragssatzung in Kraft getreten ist.

36

Der Senat hat durch das Urteil vom 4. Dezember 2014 (a.a.O.) in einem parallel liegenden Sachverhalt bereits entschieden:

37

"Das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Eine Norm ist daher nur dann verfassungswidrig, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Auch im Wege der verfassungskonformen Interpretation darf aber der normative Gehalt einer Regelung nicht neu bestimmt werden. Die zur Vermeidung eines Verfassungsverstoßes gefundene Interpretation muss daher eine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige Auslegung sein. Die Grenzen verfassungskonformer Auslegung ergeben sich damit grundsätzlich aus dem ordnungsgemäßen Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden. Der Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt (Art. 20 Abs. 2 GG) gebietet es dabei, in den Grenzen der Verfassung das Maximum dessen aufrechtzuerhalten, was der Gesetzgeber gewollt hat. Er fordert eine verfassungskonforme Auslegung der Norm, die durch den Wortlaut des Gesetzes gedeckt ist und die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers wahrt. Die Deutung darf nicht dazu führen, dass das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird. Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen mithin dort, wo sie zum Wortlaut der Norm und zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (so BVerwG, Urt. v. 20. März 2014, a.a.O., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG).

38

§ 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997 erfüllt zwar in der Auslegung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des für eine Beitragserhebung erforderlichen Erlasses einer Beitragssatzung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an eine dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit entsprechende gesetzliche Regelung. Durch die Verknüpfung des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht mit dem Vorliegen einer wirksamen Satzung vor dem endgültigen Abschluss der Maßnahme ist sichergestellt, dass innerhalb eines bestimmbaren Zeitraum die satzungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Beitragserhebung gegeben sein müssen, die wiederum Voraussetzung für den Beginn der Festsetzungsverjährung sind. Allerdings gibt es - wie oben dargelegt - neben dem Fehlen einer wirksamen Beitragssatzung noch weitere Konstellationen, die im einmaligen Straßenausbaubeitragsrecht zu einer zeitlich unbestimmten Verschiebung der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht - und damit des Beginns der Festsetzungsverjährungsfrist - führen können. Eine verfassungskonforme Auslegung des nach seinem Wortlaut allein auf die Beendigung der (Teil)Maßnahme bzw. des Abschnitts abstellenden § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997, die auch hinsichtlich dieser Fallkonstellationen sowohl die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt als auch die Beitragserhebungspflicht des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA nicht verletzt, ist ausgeschlossen. Da § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997 als einheitliche Regelung anzusehen ist, reicht es nicht aus, dass durch die Auslegung des Verwaltungsgerichts eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von Straßenausbaubeiträgen, die nach der bisherigen Rechtsprechung durch Anknüpfung des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht an das Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung gegeben war, verhindert wird."

39

4. Dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit tragen aber die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA, die durch Art. 1 Nr. 9 und 12 des Gesetzes zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2014 (GVBl. LSA S. 522) eingefügt worden und am 24. Dezember 2014 in Kraft getreten sind, hinreichend Rechnung. Danach ist eine Abgabenfestsetzung unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit dem Ablauf des 10. Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen (§ 13b Satz 1 KAG LSA). Die nach Maßgabe des § 13b zu bestimmende Ausschlussfrist endet nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (§ 18 Abs. 2 KAG LSA). Damit hat der Gesetzgeber eine zeitliche Obergrenze für die Festsetzung von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben eingeführt.

40

Diese Regelungen berücksichtigen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich einerseits und die Interessen des Einzelnen an Rechtssicherheit. Die gewählte Ausschlussfrist von grundsätzlich 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage, die jedoch nicht vor dem Ende des Jahres 2015 abläuft und daher im Einzelfall auf Grund des erstmaligen Inkrafttretens des KAG LSA im Jahre 1991 bis zu 24,5 Jahre betragen kann, hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber insoweit nach der Entscheidung des BVerfG (vgl. Beschl. v. 05.03.2013, a.a.O., Rdnr. 46) zustehenden weiten Gestaltungsspielraums und belastet die Abgabenpflichtigen nicht unzumutbar (vgl. VG Halle, Urt. v. 13.03.2015 - 4 A 13/15 HAL -; VG Magdeburg, Urt. vom 26.03.2015 - 9 A 253/14 MD -; Bücken-Thielmeyer/Fenzel, LKV 2014, 241, 244f, 248; Driehaus, KStZ 2014, 181, 184f.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.07.2014 - OVG 9 N 69.14 - zu § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG BB, zit. nach JURIS; vgl. weiter § 3a Abs. 3 Satz 2 SächsKAG). Zum einen unterschreitet sie die auch dem öffentlichen Recht nicht fremde dreißigjährige Verjährungsfrist (vgl. etwa § 53 Abs. 2 VwVfG), gegen deren grundsätzliche Anwendbarkeit im öffentlichen Recht aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens keine Bedenken bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2008 -, BVerwG 3 C 37.07 -, zit. nach JURIS, m.w.N.; vgl. auch Urt. v. 20.3.2014 - 4 C 11.13 -, zit. nach JURIS) und die einen Maßstab für die Bestimmung einer Ausschlussfrist darstellt (vgl. Driehaus, a.a.O. S. 184f.; vgl. auch Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O., S. 244: äußerste Grenze). Zudem wirkt der Vorteil, der durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer Einrichtung vermittelt wird, lange in die Zukunft fort, während ein besonderes wirtschaftliches Interesses der Abgabepflichtigen an einer möglichst zeitnahen Geltendmachung des Beitragsanspruchs nicht besteht, sondern deren Interesse nur darin liegt, erkennen zu können, wann mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen ist (VG Halle, Urt. v. 13.03.2015, a.a.O.; Driehaus, a.a.O. S. 185; VGH Bayern, Urt. v. 12.03.2015 - 20 B 14.1441 -; VG Cottbus, Urt. v. 10.04.2014 - 6 K 370/13 -, jeweils zit. nach JURIS). Schließlich sind die nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit bestehenden Schwierigkeiten beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung sowie die sonstigen Schwierigkeiten, in einem neuen Bundesland wie Sachsen-Anhalt überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, in Rechnung zu stellen (VG Halle, Urt. v. 13.03.2015, a.a.O.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.07.2014, a.a.O.).

41

Die beitragserhebenden Körperschaften werden durch die 10-Jahres-Ausschlussfrist, die zwar (teilweise deutlich) kürzer ist als vergleichbare Regelungen in anderen Bundesländern, dennoch nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise (vgl. dazu Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O. S. 245ff.) belastet (wohl a.M.: Driehaus, a.a.O. S. 185). Auch wenn es aus den verschiedensten Gründen zu einer Verzögerung der Erhebung von Beiträgen kommen kann, die der zuständigen Körperschaft nicht anzulasten ist, durfte der Gesetzgeber mit der gewählten Frist, die jedenfalls mehr als doppelt so lang ist wie die Festsetzungsverjährungsfrist, die Interessen des einzelnen Abgabenschuldners sehr hoch gewichten. Weder werden dadurch die beitragserhebenden Körperschaften in ihrer Finanzhoheit als Ausprägung des Rechts der kommunalen Selbstverwaltung verletzt noch ist das Gleichheitsgebot in seiner Ausprägung als Grundsatz der Abgabengerechtigkeit beeinträchtigt. Auch im Gesetzgebungsverfahren haben die Interessenverbände insoweit gerade keine durchgreifenden Einwendungen erhoben, sondern nur für eine längere Übergangsfrist plädiert. Durch § 18 Abs. 2 KAG LSA ist weiterhin hinreichend sichergestellt, dass Altverfahren noch fristgerecht abgeschlossen werden können. Denn die beitragserhebenden Körperschaften mussten schon seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 mit einer gesetzgeberischen Regelung rechnen.

42

Die vorgesehene Ausschlussfristenregelung ermöglicht damit einerseits die Sicherung der Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen und schränkt andererseits die Abgabenerhebung nach Eintritt der Vorteilslage zeitlich ein, nämlich auf einen Zeitraum von höchstens 24,5 Jahren. Insoweit enthält sie einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und des einzelnen Abgabenschuldners an Rechtssicherheit. Auch der Umstand, dass die "Übergangsregelung" in § 18 Abs. 2 KAG LSA sogenannte "Altfälle", bei denen die die Ausschlussfrist frühestens am 31. Dezember 2015 endet, gegenüber den Beitragspflichtigen benachteiligt, bei denen die Vorteilslage erst nach 2005 eingetreten ist, führt unter Berücksichtigung von Art. 3 GG nicht zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Denn nach dem Vorhergesagten besteht jedenfalls ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung.

43

Die Regelungen der §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA sind anzuwenden, obwohl vor Inkrafttreten dieser Normen sowohl die sachliche Beitragspflicht entstanden ist als auch die angefochtenen Beitragsbescheide erlassen worden sind. Es handelt sich dabei um Regelungen, mit denen - wie § 18 Abs. 2 KAG LSA klarstellt - eine Ausschlussfrist festgesetzt wird (vgl. auch Driehaus, a.a.O. S. 183, m.w.N.). Deren umfassende Anwendbarkeit ergibt sich aus Sinn und Zweck dieser Vorschriften, der darin besteht, der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen und eine zeitliche Obergrenze für die Beitragserhebung im Kommunalabgabengesetz vorzusehen, um die Beitragserhebung verfassungsrechtlich sicher zu gestalten (vgl. Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 10.09.2014, LT-Drucksache 6/3419, S. 3; VG Halle, Urt. v. 13.03.2015, a.a.O.; vgl. auch VG Magdeburg, Urt. v. 26.03.2015, a.a.O.).

44

Es kann danach offen bleiben, ob man als "Eintritt der Vorteilslage" i.S.d. § 13b Satz 1 KAG LSA hier den Abschluss der Bauarbeiten und die tatsächliche Inbetriebsetzung der Beleuchtungsanlage annimmt bzw. den Eingang der letzten Unternehmerrechnung oder insoweit auf den Zeitpunkt der Aufwandspaltung abstellt, mit dem Ergebnis, dass die zehnjährige Frist des § 13b Satz 1 KAG LSA noch nicht abgelaufen wäre. Jedenfalls ist § 18 Abs. 2 KAG LSA einschlägig, wonach die Ausschlussfrist nicht vor Ablauf des 31. Dezember 2015 endet.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.

46

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

47

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.

48

B e s c h l u s s

49

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 243,92 € festgesetzt.

50

Gründe:

51

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

52

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Gründe

1

Die Beschwerde des Klägers, mit der dieser einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend macht, bleibt ohne Erfolg.

2

Die Beschwerde sieht einen Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und zugleich eine Gehörsverletzung darin, dass das Berufungsgericht im Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO entschieden habe, obwohl der Bevollmächtigte des Klägers auf den entsprechenden Hinweis des Gerichts vom 12. Februar 2010 mit Schriftsätzen vom 23. und 25. Februar 2010 - jeweils mit Anlagen - sowie vom 16. März 2010 u.a. auf die Notwendigkeit der Medikation des Klägers mit Methylphenidat hingewiesen habe. Auf diesen neuen und entscheidungserheblichen Vortrag habe das Berufungsgericht eine konkrete Gefahrenlage lediglich mit Hinweis darauf verneint, dass dieses Medikament im Kosovo für den Kläger erreichbar sei. Das rechtliche Gehör des Klägers sei verletzt worden, weil kein weiterer Hinweis auf das Festhalten an der beabsichtigten Entscheidung nach § 130a VwGO erfolgt sei. Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich der gerügte Verfahrensmangel nicht.

3

Gemäß § 130a VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Ob das Gericht den ihm nach § 130a VwGO eröffneten Weg der Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist (stRspr, vgl. etwa Beschlüsse vom 3. Februar 1999 - BVerwG 4 B 4.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 33 und vom 8. August 2007 - BVerwG 10 B 74.07 - juris Rn. 3). Anhaltspunkte für derartige Ermessensfehler lassen sich der Beschwerde nicht entnehmen. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Vorbringen zur Unterlassung eines Hinweises nach Eingang der Stellungnahme des Klägers.

4

Die Bezugnahme der Beschwerde auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 6 EMRK führt schon im Ansatz nicht auf den behaupteten Verfahrensmangel. Denn Art. 6 Abs. 1 EMRK stand einer Entscheidung im Beschlussverfahren im vorliegenden Fall nicht entgegen. Diese Vorschrift ist in ausländer- und asylverfahrensrechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich nicht anwendbar, denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist ein Rechtsstreit über die Abschiebung eines Ausländers nicht als Streit über "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen (Beschluss vom 20. Dezember 2004 - BVerwG 1 B 67.04 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 69 m.w.N.).

5

Nach nationalem Recht gebietet es der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, die Verfahrensbeteiligten durch eine erneute Anhörungsmitteilung von der fortbestehenden Absicht des Gerichts in Kenntnis zu setzen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn nach der entsprechenden Ankündigung ein erheblicher Beweisantrag gestellt wurde oder sich die prozessuale Lage des Rechtsstreits nach einer Anhörungsmitteilung wesentlich ändert, etwa dadurch, dass ein Prozessbeteiligter seinen bisherigen Sachvortrag in erheblicher Weise ergänzt oder erweitert (vgl. Beschluss vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 m.w.N.). Derartige, eine erneute Mitteilung des Verwaltungsgerichtshofs erfordernde Umstände trägt die Beschwerde aber nicht vor.

6

Dass ein Beweisantrag gestellt wurde, behauptet die Beschwerde selbst nicht. Sie beruft sich vielmehr auf wesentliche neue Gesichtspunkte, die sich durch den Hinweis auf die aktuell notwendige Medikation des Klägers mit Methylphenidat ergeben hätten. Denn wäre eine erneute Anhörungsmitteilung erlassen worden, hätte ergänzend vorgetragen werden können, dass und aus welchem Grund eine Versorgung mit dem genannten Medikament für den Kläger gerade nicht erreichbar sei und ihm deshalb Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG hätte gewährt werden müssen. Mit diesem Vorbringen verfehlt die Beschwerde jedoch die Substantiierungsanforderungen, denen ihr Vorbringen auf die Anhörungsmitteilung des Berufungsgerichts vom 12. Februar 2010 hinsichtlich eines Abschiebungsverbots aus gesundheitlichen Gründen gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung hätte genügen müssen, um die Pflicht zu einer erneuten Anhörung seitens des Berufungsgerichts zu begründen. Denn nicht allein das Angewiesensein auf ein bestimmtes Medikament, sondern auch dessen mangelnde Erreichbarkeit gehört zu den notwendigen anspruchsbegründenden Tatsachen, die angesichts der vom Berufungsgericht zur Gesundheitsversorgung im Kosovo bereits eingeführten Stellungnahmen hätten substantiiert werden müssen.

7

Schließlich ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Möglichkeit der Versorgung mit Methylphenidat aus Sicht des Berufungsgerichts einen entscheidungserheblichen Umstand betrifft. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat in der angefochtenen Entscheidung vielmehr ausgeführt, es sei hinsichtlich des ADHS/HKS-Medikaments nicht erkennbar, dass ein durch Nichteinnahme möglicherweise ausgelöstes Unwohlsein des Klägers oder eine Konzentrationsschwierigkeit, wie sie im Bericht der Ergotherapeutin T. vom 25. August 2009 beschrieben werde, als erhebliche konkrete Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewertet werden könnte (BA S. 10).

8

Der Senat sieht von einer weiteren Begründung der Entscheidung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Gründe

I.

1

Die Klägerin, Eigentümer eines 1.406 m2 großen, bebauten Grundstücks (FlSt. 34 und 35, Flur A der Gemarkung S.) an der Straße „Dörfchen“ im Verbandsgebiet des Beklagten wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Anschlussbeitrag. Auf dem Grundstück wurde von den 1950er Jahren bis November 2000 ein Altenpflegeheim betrieben.

2

Mit Bescheid vom 24. Februar 2004 zog die Stadt D. die Klägerin für das Grundstück zu einem Beitrag für die Herstellung der Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung in Höhe von 4.454,46 € heran. Zum 1. April 2004 übertrug dann die Stadt D. die Aufgabe der Schmutzwasserbeseitigung auf den Beklagten, dessen Verbandsversammlung am 14. April 2004 eine Schmutzwasserbeseitigungsabgabensatzung beschloss.

3

Den gegen den Beitragsbescheid fristgerecht eingelegten Widerspruch, der nicht begründet worden ist, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 2008 zurück. Auf die am 20. Oktober 2008 erhobene Klage der Klägerin hob der Beklagte am 25. Februar 2009 den Widerspruchsbescheid auf und die Stadt D. beschied am 20. April 2009 den Widerspruch der Klägerin. Das Verwaltungsgericht Halle hob mit Urteil vom 19. August 2009 (- 4 A 51/09 HAL -) den Beitragsbescheid auf, da die in Betracht kommenden Beitragssatzungen der Stadt D. und ihres Rechtsvorgängers, des AZV D., als rechtliche Grundlage ausschieden; einen am 30. September 2009 gestellten Antrag der Stadt D. auf Zulassung auf Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 17. November 2010 (- 4 L 212/09 -) ab.

4

Mit Bescheid vom 21. Dezember 2010 zog der Beklagte die Klägerin nach seiner Schmutzwasserbeseitigungsabgabensatzung für das Grundstück zu einem Anschlussbeitrag in Höhe von 4.822,02 € heran. Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat die Klägerin am 4. Oktober 2011 beim Verwaltungsgericht Halle erneut Anfechtungsklage erhoben.

5

Das Gericht hat den Beitragsbescheid auf die mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2012 aufgehoben.

6

Der Bescheid sei festsetzungsverjährt, da die sachliche Beitragspflicht für das Grundstück mit Inkrafttreten der Schmutzwasserbeseitigungsabgabensatzung des Beklagten im Jahre 2004 entstanden sei. Die vorherige Beitragssatzung der Stadt D. sei unwirksam gewesen. § 171 Abs. 3a AO sei nicht einschlägig, da dessen Anwendung voraussetze, dass durch den zunächst angefochtenen Abgabenbescheid die Festsetzungsfrist für die Abgabe gewahrt worden sei, die mit dem späteren Abgabenbescheid (erneut) festgesetzt werde. Dies sei nicht der Fall. Mit dem angefochtenen Beitragsbescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2010 werde der im Jahre 2004 entstandene Beitrag geltend gemacht. Die im Hinblick auf diesen Beitrag mit Ablauf des Jahres 2004 begonnene Festsetzungsfrist sei durch den ursprünglich angefochtenen Beitragsbescheid der Stadt D. vom 24. Februar 2004 nicht gewahrt worden. Abgesehen davon, dass der Bescheid erlassen worden sei, bevor der Beitrag auf der Grundlage der erst am 14. April 2004 beschlossenen Schmutzwasserbeseitigungsabgabensatzung entstanden sei, habe es der Stadt D. an der sachlichen Zuständigkeit für die Festsetzung des vom Beklagten geltend gemachten Beitrags gefehlt. Die Festsetzungsfrist werde jedoch gem. § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO nur gewahrt, wenn der Abgabenbescheid von der zuständigen Behörde festgesetzt worden sei. Dies sei hier nicht der Fall, denn die Stadt D. sei nur für die Festsetzung ihrer eigenen Beitragsforderung zuständig, nicht aber für die Festsetzung der Beitragsforderung des Beklagten.

7

Auf Antrag des Beklagten hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 4. Juli 2013 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

8

Der Beklagte macht zur Begründung geltend, § 171 Abs. 3a AO sei auch dann einschlägig, wenn zwischen dem Erlass des ursprünglichen und dann aufgehobenen Beitragsbescheides und dem Erlass eines neuen Beitragsbescheides eine andere Behörde zuständig geworden sei. Der Abgabeschuldner dürfe nicht dadurch bessergestellt werden, dass - mehr oder weniger zufällig - im Lauf der Zeit Änderungen in der Zuständigkeit der abgabenerhebenden Behörde eingetreten seien. Maßgeblich sei, dass das veranlagte Grundstück einen Vorteil der Einrichtung zur Schmutzwasserentsorgung nach wie vor habe und dass mit dem Herstellungsbeitrag dieser Vorteil abgegolten werden solle. Selbst wenn man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (- 1 BvR 2457/08 -) zur Auslegung des § 171 Abs. 3a AO heranziehen wolle, könne dies allenfalls zur Folge haben, dass die abgabenerhebende Körperschaft zeitnah, mindestens innerhalb der gesetzlichen vierjährigen Festsetzungsverjährungsfrist einen neuen Beitragsbescheid erlassen müsse. Dies sei geschehen.

9

Daneben könne dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit durch eine Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben Rechnung getragen werden. Weder die Fallgruppe der Verwirkung noch der unzulässigen Rechtsausübung sei aber einschlägig. Die Vorteilslage für die Klägerin sei ausweislich des Bauabnahmeprotokolls für die Kanalbauarbeiten im Ortsteil S. in der Straße „Dörfchen“ im Mai 2000 entstanden. Eine zentrale Entsorgung sei dann ab dem Jahr 2004 möglich gewesen, nachdem das zentrale Kanalnetz fertiggestellt und das Schmutzwasser in die Zentralkläranlage in D. habe weitergeleitet werden können. Innerhalb der Festsetzungsverjährungsfrist habe die Stadt D. einen Beitragsbescheid erlassen, dessen Aufhebung durch das Verwaltungsgericht erst mit dem die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschluss vom 17. Oktober 2010 rechtskräftig geworden sei. Innerhalb eines Monats danach habe er erneut einen Beitrag festgesetzt, um seiner Beitragserhebungspflicht zu entsprechen. Zuvor sei er daran wegen des Verbots der Doppelveranlagung und des zwar zur gerichtlichen Überprüfung gestellten, aber wirksamen Beitragsbescheids der Stadt D. gehindert gewesen. Nicht im Ansatz könne von einer Pflichtverletzung ausgegangen werden.

10

Der Beklagte beantragt,

11

das auf die mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2012 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 4. Kammer - abzuändern und die Klage abzuweisen.

12

Die Klägerin beantragt,

13

die Berufung zurückzuweisen.

14

Sie trägt vor, die Ablaufhemmung könne nur zwischen den Beteiligten eines Klageverfahrens wirken und nicht gegenüber unbeteiligten Dritten. Mit Übernahme der Abwasserbeseitigung hätte der Beklagte prüfen müssen, ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt ihm zustehende Beitragsansprüche verjähren. Der Beklagte habe nicht das zwischen ihr und der Stadt D. geführte Klageverfahren abwarten können. Außerdem habe der Beklagte seine öffentliche Einrichtung weitergehend definiert als dies in der Stadt D. der Fall gewesen sei. Das Klageverfahren gegen die Stadt D. könne daher keine verjährungshemmenden Auswirkungen haben, weil es eine andere öffentliche Einrichtung betreffe. Eine erweiternde Auslegung der Abgabenordnung sei nicht möglich, da es sich um eine Schutznorm handele.

15

Zudem sei nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 eine Verjährung des Beitragsanspruches eingetreten. Auf Grund einer danach gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA entstehe die Beitragspflicht, sobald das Grundstück angeschlossen werden könne und eine (nicht zwingend rechtmäßige) Satzung bestehe. Eine mögliche Hemmungs- und Unterbrechungswirkung aus vorangegangenen Verfahren der Stadt D. wirke zum einen nicht zugunsten des Beklagten und ändere im Übrigen nichts an der Verjährung. Eine Anschlussmöglichkeit habe bereits im Jahre 1991 bestanden. Für das Objekt sei Ende 1991 ein Bauantrag gestellt worden, der hinsichtlich der Beseitigung des Abwassers die Einleitung in eine öffentliche Abwasseranlage mit zentraler Kläranlage im Trennsystem vorgesehen habe. Es sei beabsichtigt gewesen, einen Anbau zu dem Pflegeheim zu errichten. Unter dem 17. Dezember 1992 sei die Baugenehmigung erteilt worden. Auch der beauftragte Architekt habe für den Bereich Abwasser die Entsorgung in eine zentrale Kläranlage angegeben. Nach ihrer Erinnerung sei eine zentrale Entsorgung über die Straße „Dörfchen“ erfolgt; wohin das Leitungssystem letztendlich entsorgt habe, sei nicht bekannt. Auf einem Grundriss des Pflegeheims aus dem Jahr 1993 seien sowohl ein Schmutzwasser- als auch ein Regenwasserkanal eingezeichnet und auf der Fotodokumentation eines Wertgutachtens aus dem Jahr 1994 sein Kanaldeckel im Straßenbereich erkennbar. Ein Zeuge könne bestätigen, dass bereits 1993 ein Mischwasserkanal vorhanden gewesen sei, der über einen Überlauf in die Elster eingeleitet habe. Darüber hinaus sei 1995 einem Antrag auf Trinkwasserversorgung seitens des Wasserzweckverbandes (…) stattgegeben worden. Eine verfassungskonforme Auslegung auf der Grundlage der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. März 2014, die zu einer dreißigjährigen Verjährungsfrist führe, komme nicht in Betracht.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.

II.

17

Der Senat entscheidet über die zulässige Berufung durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO, weil er sie einstimmig für begründet und bei geklärtem Sachverhalt keine mündliche Verhandlung für erforderlich hält.

18

Die Beteiligten wurden dazu angehört (§§ 130a Satz 2 i.V.m. 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Eine erneute Anhörung auf Grund der Schriftsätze der Klägerin vom 19. November 2014 musste nicht erfolgen. Die Verfahrensbeteiligten sind nur dann durch eine erneute Anhörungsmitteilung von der fortbestehenden Absicht des Gerichts in Kenntnis zu setzen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn nach der entsprechenden Ankündigung ein erheblicher Beweisantrag gestellt wurde oder sich die prozessuale Lage des Rechtsstreits nach einer Anhörungsmitteilung wesentlich ändert, etwa dadurch, dass ein Prozessbeteiligter seinen bisherigen Sachvortrag in erheblicher Weise ergänzt oder erweitert (vgl. BVerwG, Beschlüsse v. 23. Juni 2011 - 9 B 94.10 -, v. 17. August 2010 - 10 B 19/10 - und v. 15. Mai 2008 - 2 B 77/07 - jeweils zit. nach JURIS). Eine solche möglicherweise entscheidungserhebliche Änderung der Prozesssituation lag nicht vor. Insbesondere die tatsächlichen Ausführungen der Klägerin zur Anschlusssituation sind nicht geeignet, ihre Auffassung zu stützen.

19

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

20

Rechtsgrundlage des Bescheides über einen Anschlussbeitrag ist § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA i.V.m. der Schmutzwasserbeseitigungsabgabensatzung des Beklagten vom 14. April 2004 - SBAS -, die ordnungsgemäß im Amtsblatt des Landkreises Wittenberg vom 8. Mai 2004 veröffentlicht wurde und in den hier maßgeblichen Teilen rückwirkend am 1. März 2004 in Kraft trat.

21

1. Nach welcher satzungsrechtlichen Grundlage der Beitrag zu bemessen ist, richtet sich nach dem geltenden Recht im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht. Die Beitragspflicht entsteht im Anschlussbeitragsrecht gem. § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA in der ab 9. Oktober 1997 geltenden Fassung - KAG LSA -, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung. Die in § 7 Abs. 1 SBAS getroffene Regelung, wonach die Beitragspflicht mit der betriebsfertigen Herstellung der Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung vor dem Grundstück entsteht, wird insoweit ergänzt. Nach der vorher geltenden Fassung des § 6 Abs. 6 des Kommunalabgabengesetzes entstand die sachliche Beitragspflicht mit der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme. Werden in satzungsloser Zeit oder unter Geltung einer formell oder materiell unwirksamen Satzung die Anschlussvoraussetzungen für Grundstücke geschaffen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt zu beiden Gesetzesfassungen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 25. Januar 2011 - 4 L 234/09 -; Urt. v. 6. März 2003 - 1 L 318/02 -, m.w.N.; vgl. auch Beschl. v. 10. November 1999 - B 3 S 29/98 -; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2202, m.w.N.) die sachliche Beitragspflicht für diese Grundstücke erst mit Inkrafttreten der ersten - wirksamen - Abgabensatzung entstehen.

22

Die Satzung des Beklagten vom 14. April 2004 ist für das Grundstück der Klägerin die erste wirksame Anschlussbeitragssatzung, da die vorher geltenden Beitragssatzungen der Rechtsvorgänger des Beklagten, der Stadt D. sowie des AZV D., keine taugliche Rechtsgrundlage waren. Wie das Verwaltungsgericht Halle mit Urteil vom 19. August 2009 (- 4 A 52/09 -) zur Recht festgestellt hat, verstieß die Abwasserbeseitigungsabgabensatzung der Stadt D. vom 11. Juli 2000 - auch in der Gestalt der vier Änderungssatzungen - mit der Festsetzung eines geringeren Beitragssatzes für Grundstücke, die die in der Zeit vom 15. Juni 1991 bis 4. November 1993 angeschlossen wurden oder anschließbar waren, gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (so auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 17. November 2010 - 4 L 213/09 -, zit. nach JURIS). Die Entwässerungsabgabensatzung des AZV D. vom 9. April 1996 enthielt keine wirksame Bestimmung über das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, die nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA in einer Beitragssatzung vorgeschrieben ist.

23

2. Durchgreifende Bedenken an der formellen oder materiellen Rechtmäßigkeit der Satzung vom 14. April 2004 sind weder von der Klägerin geltend gemacht noch nach dem im Berufungsverfahren maßgeblichen Prüfungsmaßstab sonst ersichtlich.

24

3. Der angefochtene Bescheid vom 21. Dezember 2010 ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht in festsetzungsverjährter Zeit erlassen worden.

25

Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. den §§ 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO ist eine Abgabenfestsetzung - vorbehaltlich der Feststellbarkeit des Beitragspflichtigen nach § 6 Abs. 8 KAG LSA - nicht mehr zulässig, wenn die für Kommunalabgaben maßgebliche Festsetzungsfrist von vier Jahren abgelaufen ist, wobei die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Abgabe entstanden ist.

26

Die sachliche Beitragspflicht für das Grundstück der Klägerin ist nach der zum 1. April 2004 erfolgten Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht auf den Beklagten und vor Ablauf des Jahres 2004 entstanden. Denn unstreitig bestand jedenfalls im Jahr 2004 eine dauerhaft gesicherte Anschlussmöglichkeit des Grundstücks an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung des Beklagten und die am 1. März 2004 in Kraft getretene Satzung des Beklagten vom 14. April 2004 war die erste wirksame Beitragssatzung. Dass die sachliche Beitragspflicht erst auf Grund der Satzungsregelungen des Beklagten entstanden ist, obwohl die Stadt D. vor der Übertragung der Aufgabe der Schmutzwasserbeseitigung auf den Beklagten schon ein Abwasserbeseitigungssystem hergestellt hatte, ist unschädlich.

27

Die Festsetzungsfrist begann daher mit Ablauf des 31. Dezember 2004 zu laufen und endete mit Ablauf des 31. Dezember 2008. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung ist jedoch gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. § 171 Abs. 3a AO durch die Einlegung des Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid der Stadt D. vom 24. Februar 2004 bis zum Eintritt der Bestandskraft des nunmehr streitigen Beitragsbescheides des Beklagten gehemmt worden.

28

Wird ein Abgabenbescheid mit einem Einspruch oder einer Klage angefochten, so läuft gem. § 171 Abs. 3a Satz 1 AO die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist; dies gilt auch, wenn der Rechtsbehelf erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingelegt wird. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist nach § 171 Abs. 3a Satz 2 AO hinsichtlich des gesamten Abgabenanspruchs gehemmt; dies gilt nicht, soweit der Rechtsbehelf unzulässig ist. § 171 Abs. 3a Satz 3 AO bestimmt, dass in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO über den Rechtsbehelf erst dann unanfechtbar entschieden ist, wenn ein auf Grund der genannten Vorschriften erlassener Abgabenbescheid unanfechtbar geworden ist.

29

a) Die Regelungen des § 171 Abs. 3a AO sind anwendbar. Zwar werden in § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA lediglich die Absätze 1 bis 4 und 7 bis 14 des § 171 AO, nicht jedoch dessen Absatz 3a auf kommunale Abgaben für entsprechend anwendbar erklärt. Gleichwohl ist auch der letztgenannte Absatz von der als dynamische Verweisung anzusehenden Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA erfasst (vgl. mit näherer Begründung OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 11. Oktober 2004 - 2 M 444/04 -; Beschl. v. 12. Juli 2002 - 1 M 273/01 -, jeweils zit. nach JURIS; vgl. auch Beschl. v. 26. September 2006 - 4 L 208/06 -; vgl. weiter Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 12 Rdnr. 38a, m.w.N.).

30

b) Die Voraussetzungen des § 171 Abs. 3a AO sind erfüllt.

31

Bei dem Beitragsbescheid der Stadt D. vom 24. Februar 2004 handelt es sich um einen Abgabenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 3a Satz 1 AO, der mit einem Widerspruch angefochten und in einem Klageverfahren gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufgehoben worden ist. Rechtsfolge des § 171 Abs. 3a Satz 3 AO ist, dass die Ablaufhemmung erst endet, wenn ein nachfolgender (neuer) Abgabenbescheid unanfechtbar geworden ist bzw. über den Rechtsbehelf gegen diesen Bescheid unanfechtbar entschieden ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23. Juli 2013 - OVG 9 B 64.11 -; OVG Thüringen, Beschl. v. 9. November 2011 - 4 EO 39/11 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30. August 2011 - 6 A 10475/11 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26. Oktober 2010 - 14 A 1345/10 -, jeweils zit. nach JURIS, m.w.N.; Driehaus, a.a.O., § 12 Rdnr. 36, m.w.N.).

32

Dass die Stadt D. den Bescheid vom 24. Februar 2004 erlassen hat, bevor die sachliche Beitragspflicht entstanden war, steht dem nicht entgegen. Es ist von vornherein unschädlich, wenn der Abgabenanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des Abgabenbescheides i.S.d. § 171 Abs. 3a Satz 1 AO noch nicht entstanden war. Der Ablaufhemmung im Sinne des § 171 Abs. 3a AO liegt die Konstellation zugrunde, dass die ursprüngliche Abgabenfestsetzung angefochten worden ist, und dass nunmehr die Möglichkeit einer erneuten Festsetzung der streitigen Abgabe nicht dadurch obsolet werden soll, dass zwischenzeitlich - d.h. während der Rechtsbehelf gegen die alte Festsetzung noch anhängig ist - die Festsetzungsfrist abläuft. Nur die Anfechtung eines nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. § 125 AO nichtigen Bescheids führt nicht zur Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO (VGH Bayern, Urt. v. 8. März 1991 - 23 B 89.134 -; BFH, Urt. v. 19. November 2009 - IV R 89/06 -, m.w.N., jeweils zit. nach JURIS zu § 171 Abs. 3 AO a.F.; Pahlke/König, AO, 2. A., § 171 Rdnr. 50).

33

Auch der Umstand, dass der Beklagte nach Erhebung des Widerspruches gegen den Bescheid vom 24. Februar 2004 für die Beitragserhebung zuständig geworden ist und somit nach Einsetzen der Hemmungswirkung des § 171 Abs. 3a Satz 1 AO ein Zuständigkeitswechsel stattgefunden hat, ist unschädlich (so i.E. auch OVG Saarland, Beschl. v. 24. August 2007 - 1 A 49/07 -, zit. nach JURIS zu einem Gebührenanspruch). Die Abgabenfestsetzung nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO und damit die Festsetzungsfrist beziehen sich zwar - was sich auch aus § 171 Abs. 3a AO Satz 2 AO ergibt - auf den konkreten Abgabenanspruch i.S.d. § 37 Abs. 1 AO, d.h. auf den Anspruch aus dem Abgabenschuldverhältnis nach § 38 AO zwischen Abgabengläubiger und Abgabenschuldner. Angesichts des Zwecks des § 171 Abs. 3a Satz 3 AO sowie des Umstands, dass diese Regelung nach § 13 Satz 1 KAG LSA nur entsprechend anzuwenden ist und eine vergleichbare Zuständigkeitsverlagerung in Verfahren nach der Abgabenordnung gerade nicht stattfinden kann, ist aber eine erweiternde Auslegung für den Fall vorzunehmen, dass die Befugnis zur Beitragserhebung auf eine insoweit als Rechtsnachfolger anzusehende andere Körperschaft übergeht. Die in § 171 Abs. 3a Satz 3 AO vorgenommene Verlängerung der Hemmung soll die Durchführung des behördlichen Verfahrens sichern (vgl. BFH, Urt. v. 5. Oktober 2004 - VII R 77/03 -, zit. nach JURIS unter Hinweis auf BT-Drs VI/1982, Seite 151; OVG Thüringen, Beschl. v. 9. November 2011, a.a.O.). Ohne eine solche Regelung wären gerade in kommunalabgabenrechtlichen Verfahren, deren Rechtsgrundlage kommunale Satzungen bilden, Einbußen der abgabenerhebenden Körperschaften zu befürchten. Denn ein Verweis auf § 174 Abs. 4 Satz 3 AO, wonach auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides eine Neubescheidung erfolgen kann, fehlt im Kommunalabgabengesetz Sachsen-Anhalt. Für die Hemmungswirkung des § 171 Abs. 3a Satz 3 AO ist es daher ausreichend, dass die Beitragsfestsetzung der vorher zuständigen Körperschaft auf einen nach den wesentlichen Merkmalen identischen Beitragsanspruch gerichtet war (vgl. dazu auch BFH, Beschl. v. 25. Januar 1994 - I B 139/93 -, zit. nach JURIS), so dass einer Beitragsfestsetzung durch die während der Hemmungswirkung zuständig gewordene Körperschaft die Ausschlusswirkung des Beitragsbescheides der vorher zuständigen Körperschaft entgegenstand. Dass die Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO nach der vom Verwaltungsgericht genannten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (Urt. v. 13. Dezember 2001 - III R 13/00 -, zit. nach JURIS) nur gewahrt ist, wenn der Abgabenbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der für die Abgabenfestsetzung zuständigen Behörde verlassen hat, hat für die Auslegung des § 171 Abs. 3a AO keine Bedeutung (vgl. auch BFH, Beschl. v. 25. Januar 1994, a.a.O.). Insoweit ausreichend ist, dass der Beitragsbescheid der Stadt D. vom 24. Februar 2004 fristwahrend i.S.d. § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO ihren Bereich verlassen hat.

34

Die erhobenen Einwendungen der Klägerin sind nicht durchgreifend. Abgesehen davon, dass die maßgeblichen Regelungen der Abgabenordnung entgegen ihrer Auffassung schon nicht als Schutznorm für die Beitragspflichtigen anzusehen sind, ergibt sich die hier vorgenommene Auslegung maßgeblich aus dem nur auf eine entsprechende Anwendung gerichteten Anwendungsbefehl des Gesetzgebers des Kommunalabgabengesetzes. Ohne Erfolg macht die Klägerin auch geltend, die öffentliche Entsorgungseinrichtung des Beklagten, um deren Herstellung es gehe, sei nicht identisch mit der ehemaligen öffentlichen Entsorgungseinrichtung der Stadt D., weil die Städte A und Z-E hinzugekommen seien. Diese Städte waren zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht nach der maßgebenden Abwasserbeseitigungssatzung des Beklagten vom 14. April 2004 noch nicht von der Einrichtung des Beklagten erfasst. Darüber hinaus lässt eine bloße flächenmäßige Erweiterung der öffentlichen Einrichtung nicht die Einstufung des Beitragsanspruchs des Beklagten als einen - verglichen mit dem Beitragsanspruch der Stadt D. - nach den wesentlichen Merkmalen identischen Beitragsanspruch entfallen.

35

4. Eine Beitragserhebung wird durch die die neueste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit im Anschlussbeitragsrecht nicht ausgeschlossen.

36

Dieses Gebot schütze davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden könnten. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Die Legitimation von Beiträgen liege - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen sei. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei stehe ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschluss v. 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 -, zit. nach JURIS).

37

Danach ist eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar (so BVerwG, Beschl. v. 26. August 2013 - 9 B 13.13 -; vgl. auch Urt. v. 20. März 2014 - 4 C 11.13 - zu Sanierungsbeträgen nach § 154 BauGB, jeweils zit. nach JURIS). Die in der Rechtsprechung angeführten Argumente gegen eine Anwendung der Entscheidung vom 5. März 2013 im Anschlussbeitragsrecht (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 1. April 2014 - 1 L 142/13 -; VG Greifswald, Urt. v. 14. November 2013 - 3 A 524/11 -; VG Schwerin, Urt. v. 11. April 2013 - 4 A 1250/12 -, jeweils zit. nach JURIS) sind angesichts der eindeutigen Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts von vornherein nicht durchgreifend. Die Überlegungen zu den Besonderheiten des beitragsrechtlichen Vorteilsbegriffs, zu der Komplexität der Rechtsbeziehungen im Bereich der Refinanzierung leitungsgebundener öffentlicher Einrichtungen im Hinblick auf die teilweise Gebührenfinanzierung und das Entstehen von Finanzierungslücken, zu der Sondersituation in den neuen Bundesländern, zu der Vergleichbarkeit mit dem Erschließungsbeitragsrecht sowie zu den Grundsätzen der kommunalen Selbstverwaltung (vgl. dazu umfassend OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 1. April 2014, a.a.O.) richten sich unmittelbar gegen die Auslegung der Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG in der Entscheidung vom 5. März 2013. Aber auch wenn die genannten Überlegungen und noch andere Erwägungen (z.B. der durch Inflation und Zinseszinseffekte bedingte Vorteil für den Beitragspflichtigen durch eine verzögerte Heranziehung) in dieser Entscheidung nicht ausdrücklich angesprochen werden, ist die verfassungsrechtlich maßgebliche Frage i.S.d. § 31 Abs. 1 BVerfGG als geklärt anzusehen. Der Gesetzgeber ist danach verpflichtet, durch gesetzliche Regelungen sicherzustellen, dass eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme von Beitragsschuldnern besteht, die der Rechtssicherheit genügt.

38

a) Zwar führen sowohl § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA (1) als auch § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. § 171 Abs. 3a Satz 3 AO (2) in der bisher von der Rechtsprechung vorgenommenen Auslegung zu mit dem genannten Verfassungsgebot nicht zu vereinbarenden Ergebnissen.

39

(1) § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA ermöglicht in der bisherigen Auslegung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt, wonach die sachliche Beitragspflicht mit der ersten wirksamen Beitragssatzung entsteht, eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von Anschlussbeiträgen. Denn gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. § 170 Abs. 1 AO wird damit auch die Festsetzungsverjährung hinausgeschoben. Es bleibt letztlich der beitragserhebenden Körperschaft überlassen, ob und wann sie eine Beitragssatzung erlässt, mit der wiederum erst die sachlich Beitragspflicht entsteht und die Festsetzungsverjährungsfrist zu laufen beginnt. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zulässig (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3. September 2013 - 1 BvR 1282/13 -; BVerwG, Beschl. v. 26. August 2013, a.a.O.; VG Halle, Beschl. v. 28. November 2013 - 4 B 266/13 -; VG A-Stadt, Beschl. v. 5. Februar 2014 - 9 B 16/14 -, jeweils zit. nach JURIS; OVG Sachsen, Beschl. v. 25. April 2013, a.a.O.; OVG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 16. Juli 2014 - OVG 9 N 69.14 -, zit. nach JURIS; Driehaus, KStZ 2014, 181, f., m.w.N.). Der Umstand, dass auf Grund des § 6 Abs. 8 KAG LSA die sachliche und persönliche Beitragspflicht für ein Grundstück auseinanderfallen kann und dann im Einzelfall möglicherweise kein Verstoß gegen des Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit vorliegt (vgl. dazu OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 1. April 2014, a.a.O.), ändert daran nichts.

40

(2) Entsprechendes gilt für § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. § 171 Abs. 3a Satz 3 AO. Danach besteht für den Erlass eines auf die Aufhebung eines angefochtenen Abgabenbescheides folgenden Bescheides, dessen Unanfechtbarkeit erst die bestehende Hemmung der Festsetzungsverjährungsfrist beseitigt, keine Frist (vgl. BFH, Urt. v. 23. März 1993 - VII R 38/92 - zu § 171 Abs. 3 Satz 3 AO a.F., zit. nach JURIS; Pahlke/König, AO, 2. A., § 171 Rdnr. 58). Im Falle der verwaltungsgerichtlichen Aufhebung eines Abgabenbescheides hat es also die abgabenerhebende Körperschaft in der Hand, ob und wann sie einen neuen Bescheid erlässt, so dass im Ergebnis dann ebenfalls eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit des Anschlussbeitrages vorliegt.

41

b) Eine verfassungskonforme Auslegung dieser Regelungen, mit der eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit verhindert wird, ist ausgeschlossen.

42

Das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Eine Norm ist daher nur dann verfassungswidrig, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Auch im Wege der verfassungskonformen Interpretation darf aber der normative Gehalt einer Regelung nicht neu bestimmt werden. Die zur Vermeidung eines Verfassungsverstoßes gefundene Interpretation muss daher eine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige Auslegung sein. Die Grenzen verfassungskonformer Auslegung ergeben sich damit grundsätzlich aus dem ordnungsgemäßen Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden. Der Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt (Art. 20 Abs. 2 GG) gebietet es dabei, in den Grenzen der Verfassung das Maximum dessen aufrechtzuerhalten, was der Gesetzgeber gewollt hat. Er fordert eine verfassungskonforme Auslegung der Norm, die durch den Wortlaut des Gesetzes gedeckt ist und die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers wahrt. Die Deutung darf nicht dazu führen, dass das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird. Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen mithin dort, wo sie zum Wortlaut der Norm und zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (so BVerwG, Urt. v. 20. März 2014, a.a.O., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG).

43

(1) Die nach dem Wortlaut der Regelung allein in Betracht kommende Auslegung des ab 9. Oktober 1997 geltenden § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA dahingehend, dass eine zur Heilung eines Rechtsmangels erlassene Beitragssatzung, um wirksam zu sein, rückwirkend zu dem Zeitpunkt in Kraft gesetzt werden muss, zu dem die ursprünglich nichtige Beitragssatzung in Kraft treten sollte (vgl. OVG Sachsen, Beschl. v. 25. April 2013 - 5 A 478/10 -, zit. nach JURIS; Storm, DWW 2013, 246, 248 Fn. 13; Martensen, LKV 2014, 446, 451; vgl. auch das von Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 5. März 2013 angeführte Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen v. 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535, 536 f.), ist mit den dargelegten Grenzen verfassungskonformer Auslegung nicht in Übereinstimmung zu bringen.

44

Mit einer solchen Auslegung dürfte schon hinsichtlich des durch § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA geregelten Erlasses der für die Beitragserhebung erforderlichen Beitragssatzung die verfassungsrechtliche Vorgabe einer bestimmbaren zeitlichen Obergrenze nicht erfüllt sein. Denn dadurch wird nicht die Fallkonstellation erfasst, dass die zuständige Körperschaft von vornherein keine Beitragssatzung erlässt (vgl. zur Notwendigkeit weiterer gesetzlicher Regelungen in einem solchen Fall die Gesetzesbegründung zu der Änderung des BayKAG vom 13. Januar 2014, LT-Drs 17/370, Seite 12 f.).

45

Jedenfalls steht einer abweichenden Auslegung die Entstehungsgeschichte des Gesetzes entgegen. Der Gesetzgeber hat mit dieser Neuregelung klar zum Ausdruck gebracht, dass vor dem Hintergrund der Problematik von ungültigen Zweckverbandsgründungen die sachliche Beitragspflicht bei Anschlussbeiträgen mit der ersten wirksamen Beitragssatzung entstehen sollte. Dies ergibt sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs zu der Regelung (LT-Drs 2/3895 vom 26. August 1997, Seite 7; vgl. weiter Begründung des Gesetzentwurfs zu der ab 1999 geltenden Neuregelung in LT-Drs 3/919 vom 28. Januar 1999, Seite 5) und entspricht dem prinzipiellen Zweck des Gesetzes (so auch VG Halle, Beschl. v. 28. November 2013, a.a.O.; VG A-Stadt, Beschl. v. 5. Februar 2014 - 9 B 16/14 -, zit. nach JURIS; vgl. auch Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 12 Rdnr. 41a, S. 22/27). Eine andere Auslegung würde also das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfälschen. Soweit das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in dem Urteil vom 18. Mai 1999 in Bezug auf eine zu § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA inhaltsgleiche Bestimmung des KAG NW eine abweichende Auslegung vornahm (vgl. auch OVG Brandenburg, Urt. v. 8. Juni 2000 - 2 D 29/98.NE - zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F., zit. nach JURIS; a.M.: OVG Saarland, Beschl. v. 24. August 2007 - 1 A 49/07 -; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 19. September 2002 - 2 S 976/02 -; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 13. November 2001 - 4 K 16/00 -, jeweils zit. nach JURIS zu vergleichbaren Regelungen) erfolgte dies unter ausdrücklichem Hinweis auf die im Ergebnis unterschiedliche Entstehungsgeschichte der Norm.

46

(2) Der eindeutige Wortlaut des § 171 Abs. 3a Satz 3 AO und die durch die Entstehungsgeschichte bestätigte Zielsetzung des Gesetzgebers der Abgabenordnung verhindert ebenfalls eine abweichende Auslegung des § 171 Abs. 3a AO. Auch wenn § 13 Abs. 1 KAG LSA ausdrücklich nur eine „entsprechende“ Anwendung der Regelungen der Abgabenordnung vorsieht, hat der Gesetzgeber des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt durch die vorgenommene Verweisung dieses gesetzgeberische Ziel übernommen.

47

c) Eine analoge Heranziehung von Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes Sachsen-Anhalt bzw. des Verwaltungsverfahrensgesetzes kommt nicht in Betracht.

48

Jede Art der richterlichen Rechtsfortbildung (hier die Analogie) setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen. Ob eine Gesetzeslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (so BVerwG, Urt. v. 12. September 2013 - 5 C 35.12 -, zit. nach JURIS, m.w.N.) bzw. wenn der Anwendungsbereich der Norm wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig ist (so BVerwG, Urt. v. 25. April 2013 - 6 C 5.12 -, zit. nach JURIS, m.w.N.). Eine solche Lücke darf von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden, wenn sich auf Grund der gesamten Umstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er ihn bedacht hätte (BVerwG, Urt. v. 25. April 2013, a.a.O.; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 30. Mai 2012 - 4 L 224/11 -, zit. nach JURIS).

49

Einer analogen Heranziehung des § 1 VwVfG LSA i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 1 VwVfG bzw. des § 53 Abs. 2 VwVfG LSA a.F. i.V.m. § 218 BGB a.F., die für unanfechtbare Verwaltungsakte zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers eine 30jährige Verjährungsfrist vorsehen (vgl. dazu VGH Bayern, Urt. v. 14. November 2013 - 6 B 12.704 -, zit. nach JURIS; zum Erschließungsbeitragsrecht; VG Dresden, Urt. v. 14. Mai 2013 - 2 K 742.11 -, zit. nach JURIS; Driehaus, KStZ 2014, 181, 187 f.), steht schon entgegen, dass das Verwaltungsverfahrensgesetz bzw. das Verwaltungsverfahrensgesetz Sachsen-Anhalt für Verwaltungsverfahren, soweit in ihnen Rechtsvorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind, ausdrücklich nicht gilt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG LSA bzw. § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG LSA a.F.). Das für Beitragsansprüche im Anschlussbeitragsrecht damit speziellere Kommunalabgabengesetz verweist aber gerade auch hinsichtlich der Verjährung von Ansprüchen (Festsetzungsverjährung, Zahlungsverjährung) auf die Abgabenordnung. Im Übrigen liegt keine Regelungslücke vor, da ein versehentliches Regelungsversäumnis des Gesetzgebers nicht anzunehmen ist (vgl. Rottenwallner, KStZ 2014, 145, 147), und es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte, die den Schluss zulassen, der Gesetzgeber hätte eine dreißigjährige Verjährungsfrist anordnen wollen, wenn er - eine Gesetzeslücke unterstellt - den Sachverhalt bedacht hätte.

50

d) Die Einhaltung des rechtsstaatlichen Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit und damit die Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Regelungen kann jedoch hier ausnahmsweise durch die Anwendung des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben in Gestalt des Einwandes der unzulässigen Rechtsausübung sichergestellt werden. Wie alle Generalklauseln ist auch der Grundsatz von Treu und Glauben in der Ausprägung der unzulässigen Rechtsausübung Einfallstor für verfassungsrechtliche Wertungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20. März 2014 - 4 C 11.13 - zu sanierungsrechtlichen Ausgleichsbeträgen; vgl. auch BFH, Urt. v. 3. Mai 1979 - I R 49/78 -, zit. nach JURIS zu § 146 Abs. 3 AO a.F.).

51

(1) Zwar ist es - wie das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 5. März 2013 ausdrücklich festgestellt hat - Sache des Gesetzgebers, im Ergebnis sicherzustellen, dass der Beitrag nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden kann. Dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit der zugrundeliegenden Normen mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben darauf hingewiesen hat, dass die Beitragsschuldner der Beitragspflicht nach der Rechtsprechung der Fachgerichte im Regelfall nicht durch den Einwand der Verwirkung entgehen könnten, steht dem nicht entgegen. Es handelt sich dabei lediglich um eine im Ergebnis nicht entscheidungserhebliche Erwägung zu den Auswirkungen des Verfassungsverstoßes. Danach ist durch die Möglichkeit einer Anwendung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben weder eine verfassungskonforme Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen zur Entstehung der sachlichen Beitragspflicht und deren Verjährung ausgeschlossen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 2. Oktober 2014 - 4 L 125/13 -) noch wird den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die notwendigen gesetzlichen Anpassungen Rechnung getragen. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Es muss für die Beitragsschuldner in erkennbarer Weise eine zeitliche Höchstgrenze für die Beitragserhebung festgesetzt werden. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung, dessen Eingreifen von mehreren unbestimmten Rechtsbegriffen und einer Abwägungsentscheidung abhängig ist, reicht dazu grundsätzlich nicht aus (a.M.: VG Karlsruhe, Urt. v. 11. September 2014 - 2 K 2326/13 -, zit. nach JURIS zu einem Wasserversorgungsbeitrag; Driehaus, KStZ 2014, 181, 188; Martensen, LKV 2014, 446, 450). Dementsprechend kann auch eine Lösung unter Anwendung von Billigkeitsgesichtspunkten (§§ 163, 227 AO) eine gesetzliche Regelung nicht ersetzen (so aber OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 1. April 2014, a.a.O.).

52

Allerdings ist eine zeitweilige Heranziehung des Instruments des Einwandes der unzulässigen Rechtsausübung bis zum Inkrafttreten der schon im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Ergänzung des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung vom 10. September 2014, LT-Drs 6/3419) vorzunehmen. Eine solche Heranziehung ist zur Sicherstellung der verfassungsrechtlichen Maßgaben dann zulässig und ausreichend, wenn eine gesetzliche Neuregelung in absehbarer Zeit erfolgen wird. Für einen derartigen Übergangszeitraum wird die grundsätzliche Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Normen in noch hinnehmbarer Weise ausgeglichen.

53

(2) Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung steht der Beitragserhebung durch den Beklagten nicht entgegen.

54

Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. März 2014 (a.a.O.), der sich der Senat insoweit anschließt, kann die Ausübung eines Rechts unzulässig sein, wenn dem Berechtigten eine Verletzung eigener Pflichten zur Last falle und die Ausübung des Rechts aufgrund dieser eigenen Pflichtenverletzung treuwidrig erscheine. Eine Abgabenerhebung sei dann treuwidrig, wenn es auf Grund der Pflichtverletzung der abgabenerhebenden Körperschaft unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls nicht mehr zumutbar erscheine, den Beitragsschuldner mit der Abgabenerhebung zu konfrontieren. Zugrunde zu legen sei ein enger Maßstab. Unter Heranziehung der in § 53 Abs. 2 VwVfG zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers, die Durchsetzbarkeit des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers auf die längste im Zivilrecht vorgesehene Verjährungsfrist von 30 Jahren (§ 197 BGB) zu beschränken, sei eine Abgabenerhebung generell ausgeschlossen, wenn seit dem Entstehen der Vorteilslage mehr als 30 Jahre vergangen sei. Aber auch vor Erreichen dieser zeitlichen Höchstgrenze könne die Erhebung nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls treuwidrig und deshalb als Rechtsausübung unzulässig sein. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung sei dabei eine von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung.

55

Nach diesen Maßgaben ist die Beitragserhebung durch den Beklagten nicht treuwidrig.

56

Eine Vorteilslage i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsteht im Anschlussbeitragsrecht nach den Darlegungen in der Entscheidung vom 5. März 2013 mit dem „Erschlossensein des Grundstücks durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung“, d.h. mit dem tatsächlichen Anschluss des Grundstücks an eine zentrale öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung oder mit einer rechtlich dauerhaft gesicherten Anschlussmöglichkeit (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16. Juli 2014 - OVG 9 N 69.14 -, zit. nach JURIS; Driehaus, KStZ 2014, 181, 183; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 12 Rdnr. 41a). Denn dann hat der Beitragsschuldner einen Vorteil erlangt, der durch den einmaligen Beitrag abgegolten wird.

57

Hier entstand die Vorteilslage für die Klägerin nach dem substanziierten Vorbringen des Beklagten frühestens mit der im Mai 2000 erfolgte Abnahme der Kanalbauarbeiten in der Straße, an der das klägerische Grundstück anliegt. Erst ab dann konnte das Grundstück an den Hauptsammler in dieser Straße angeschlossen werden. Ein von der Klägerin behaupteter Anschluss an eine zentrale öffentliche Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung bestand vor diesem Zeitpunkt nicht; vielmehr wurde das Schmutzwasser des auf dem Grundstück befindlichen Altenpflegeheims stets über eine dezentrale Anlage entsorgt. Aus den von der Klägerin genannten Unterlagen und Bekundungen Dritter ergibt sich nichts anderes. Die Mitteilung des Wasserzweckverbandes (…) aus dem Jahr 1995 über den Anschluss des Grundstücks an die Wasserversorgung ist von vornherein ohne Belang, weil daraus nicht auf eine bestehende Schmutzwasserbeseitigung dieses Grundstücks in eine zentrale Kläranlage geschlossen werden kann. Entsprechendes gilt für die Fotodokumentation eines Wertgutachtens aus dem Jahre 1994, auf der nach Mitteilung der Klägerin „Kanaldeckel im Straßenbereich erkennbar“ seien, sowie für eine Bekundung des ehemaligen Chefs der örtlichen Melioration, wonach ein Mischwasserkanal über einen Überlauf in die Elster eingeleitet habe. Der Bauantrag vom 13. November 1991 und die dazu ergangene Baugenehmigung vom 17. Dezember 1992 sind ebenfalls nicht ausreichend. Zwar wird in dem Bauantrag zur Beseitigung des Abwassers auf eine „Öffentliche Abwasseranlage mit zentraler Kläranlage: Trennsystem“ abgestellt und ein Gemeindekanal „Schmutzwasser: DN 200 der Stadt S. im Bereich der Zufahrt“ angeführt. Damit stellte der Bauantrag aber offensichtlich auf mögliche Planungen ab. Denn nach den Bedingungen Nr. 1.3. Satz 1 in der Anlage Nr. 1 zu der Baugenehmigung sind die anfallenden Abwässer in einer abflusslosen Sammelgrube ordnungsgemäß zu sammeln und zu entsorgen. Dementsprechend wird in einem zweiten Bauantrag der Klägerin aus dem Jahre 1997 zu dem streitbefangenen Grundstück („Rekonstruktion Alten- u. Pflegeheim“) ausdrücklich angegeben, dass die Grundstücksentwässerung über eine Kleinkläranlage erfolge. Nach einer Mitteilung des Abwasserzweckverbandes D. vom 3. Februar 1998 sei ein Anschluss an die zentrale Schmutzwasserleitung voraussichtlich erst ab dem Jahr 2002 möglich. Für das beplante Grundstück sei eine Übergangsmöglichkeit bzw. Dauerlösung gemäß DIN 4261 erforderlich und zwar eine Kleinkläranlage mit Nachbehandlung. Die Untere Wasserbehörde des Landkreises Wittenberg teilte der Klägerin im April 1998 mit, das Grundstück sei an die geplante Schmutzwasserleitung anzuschließen und als Behelfslösung bis zum Anschluss an die öffentliche Schmutzwasserkanalisation sei für die Abwasserentsorgung des Grundstückes eine abflusslose dichte Sammelgrube vorgesehen. Die Klägerin stellte daraufhin auch ausdrücklich einen Antrag auf wasserrechtliche Genehmigung einer abflusslosen Grube. Der Abwasserzweckverband erklärte in einem Schreiben vom 28. Mai 1998, die ordnungsgemäße Abwasserbeseitigung sei entsprechend der von der Unteren Wasserbehörde festgelegten Lösung für die Übergangszeit gesichert. Die von der Klägerin angeführten Grundrisse des Pflegeheims aus dem Jahre 1993 mit eingezeichneten Schmutzwasser- und Regenwasserkanälen beziehen sich daher allein auf den Anschluss an die dezentrale Anlage auf dem Grundstück.

58

Die Beitragserhebung durch den Beklagten mit Bescheid vom 21. Dezember 2010 erscheint nach den Umständen des Einzelfalles nicht als unzumutbar. Auch wenn die Zeitspanne zwischen dem Entstehen der Vorteilslage - falls man von einer Anschlussmöglichkeit schon ab Mai 2000 ausgeht - und der nunmehr streitbefangenen und damit maßgeblichen Beitragserhebung etwas mehr als zehn Jahre beträgt, ist der möglicherweise eine Pflichtverletzung begründende Zeitraum einer vorwerfbaren Untätigkeit des Beklagten oder der Stadt D. als seiner Rechtsvorgängerin deutlich kürzer. Dass die Stadt D. trotz Vorliegen einer Beitragssatzung fast vier Jahre bis zum Erlass des Beitragsbescheides vom 24. Februar 2004 benötigte, ist an sich nicht zu beanstanden, da der Körperschaft vor Erlass eines Beitragsbescheids ein angemessener Zeitraum zur Bearbeitung einzuräumen ist und dieser Zeitraum durch die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist begrenzt wird. Der Zeitablauf im Übrigen ist auf die Durchführung des Widerspruchsverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens gegen diesen ersten Bescheid zurückzuführen. Denn der Beklagte hat zeitnah zu dem rechtskräftigen Abschluss des gerichtlichen Verfahrens den streitigen Beitragsbescheid erlassen. Eine verzögerte Bearbeitung eines Widerspruchsverfahrens gegen einen Beitragsbescheid ist zwar als Pflichtverletzung anzusehen. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass die zeitliche Verzögerung in der Bearbeitung des Widerspruches der Klägerin gegen den Bescheid der Stadt D. teilweise auf die fehlende Begründung des Widerspruches sowie die Zuständigkeitsverlagerung zurückzuführen ist. Zudem hatte die Klägerin die Möglichkeit, im Rahmen einer Untätigkeitsklage ein gerichtliches Verfahren anzustrengen. Der allenfalls wenige Jahre betragende Zeitraum einer pflichtwidrigen Untätigkeit der Stadt D., der dem Beklagten zuzurechnen ist, ist danach zu kurz, um für sich genommen eine Beitragserhebung als unzumutbar zu qualifizieren. Da auch sonst keine besonderen Umstände vorliegen, die eine Beitragserhebung als treuwidrig erscheinen lassen, ist der Gesamtzeitraum nicht ausreichend, um nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eine Verletzung rechtsstaatlicher Vorgaben anzunehmen.

59

Es kann danach offen bleiben, ob die Vorteilslage nicht sogar erst im Jahr 2004 durch den vom Beklagten behaupteten Lückenschluss in der Kanalverbindung zum Klärwerk entstanden ist.

60

4. Einwände gegen die Berechnung des Beitrages sind nicht geltend gemacht; Fehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.

61

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

62

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Beschlusses folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

63

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.

64

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.


Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 2. Kammer - vom 6. Dezember 2013 geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die Erhebung eines einmaligen Straßenausbaubeitrags.

2

Sie sind Eigentümer des 1.379 m² großen, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks B-Straße (Flurstück 85/10, Flur A, Gemarkung B.).

3

In den Jahren 1995 bis 1998 ließ die Gemeinde B. in der B-Straße die Straßenbeleuchtung erneuern. Die zuvor an Freileitungsmasten der Energieversorgung vorhandenen Mastansatzleuchten wurden demontiert. Die Beleuchtungsanlage wurde mit Beleuchtungskörpern an freistehenden Masten und erdverlegten Kabeln neu errichtet. Weitere abrechenbare Maßnahmen wurden bisher nicht vorgenommen.

4

Die letzte Unternehmerrechnung ging am 14. August 1998 bei der Gemeinde B. ein.

5

Am 6. März 2003 beschloss der Gemeinderat der Gemeinde B. die Satzung über die Erhebung von einmaligen Straßenausbaubeiträgen im Gebiet der Gemeinde B., die im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft westlicher Saalkreis 6/2003 veröffentlicht wurde. Die 1. Änderungssatzung wurde am 21. Oktober 2004 beschlossen und im Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft westlicher Saalkreis vom 14. Januar 2005 bekannt gemacht.

6

Zum 1. Januar 2010 wurde die Gemeinde B. aufgelöst und mit den Gemeinden Bennstedt, Fienstedt, Höhnstedt, Kloschwitz, Lieskau, Salzmünde, Schochwitz und Zappendorf zur Beklagten zusammengeschlossen.

7

Am 16. Juni 2011 beschloss der Gemeinderat der Beklagten eine Aufwandspaltung des Inhalts, dass die Teileinrichtung Beleuchtung in der Verkehrsanlage "E-Straße/B-Straße" selbständig abzurechnen sei.

8

Mit Bescheiden vom 28. September 2012 zog die Beklagte die Kläger für den Ausbau der Straßenbeleuchtung zu Ausbaubeiträgen in Höhe von je 121,59 €, insgesamt 243,92 € heran.

9

Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch der Kläger änderte die Beklagte den Straßenausbaubeitrag auf je 121,96 € und wies den Widerspruch im Übrigen mit Widerspruchsbescheiden vom 4. Dezember 2012 zurück. Die Überprüfung habe ergeben, dass die Grundstücke zum Teil mit einer veränderten Maßstabsfläche heranzuziehen seien, sodass sich eine geringfügige Erhöhung ergebe.

10

Zur Begründung ihrer am 6. Januar 2013 erhobenen Klage machen die Kläger geltend, dass die Bescheide den Grundsatz der Rechtssicherheit nach Art. 20 Abs. 3 GG missachteten, weil die Baumaßnahme zum Zeitpunkt der Abrechnung 14 Jahre zurückgelegen habe und die Gemeinde zum Zeitpunkt der Ausführung der Baumaßnahme noch keine Beitragssatzung beschlossen habe. Da die Verjährung nach Auffassung der Beklagten erst mit dem Kostenspaltungsbeschluss zu Laufen beginne, seien die geltenden Verjährungsregelungen im Fall nicht vollständig abgeschlossener Maßnahmen nicht geeignet, Rechtsfrieden herzustellen und Rechtssicherheit zu bieten. Im Übrigen habe es im gesamten Verfahren keine Aussagen zum vorherigen Ausbauzustand der Straßenbeleuchtung gegeben. Es sei daher noch offen, ob es sich um eine Erneuerung bzw. Verbesserung oder lediglich einer Reparatur handele. Auch die Frage, ob die Kosten sachgerecht seien, habe bisher nicht geklärt werden können.

11

Die Kläger haben beantragt,

12

die Bescheide der Beklagten vom 28. September 2012 und deren Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2012 aufzuheben.

13

Die Beklagte hat beantragt,

14

die Klage abzuweisen.

15

Das Verwaltungsgericht hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2013 die Beitragsbescheide vom 28. September 2012 und die Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2012 aufgehoben. Der für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht hier anzuwendende § 6 Abs. 6 KAG LSA in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Dezember 1996 sei im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (- 1 BvR 2457/08 -) verfassungskonform dahin auszulegen, dass Beiträge nicht verlangt werden könnten, wenn die Maßnahme vor Inkrafttreten einer insbesondere in ihrer Verteilungsregelung wirksamen Beitragssatzung endgültig abgeschlossen worden sei. Gleiches gelte nach Überzeugung der Kammer aufgrund der gleichen Interessenlage auch für den hier vorliegenden Fall, dass eine im Wege der Kostenspaltung grundsätzlich abrechenbare Teilmaßnahme vor Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung bauprogrammmäßig fertig gestellt worden sei. Die Ausbaumaßnahme der Beklagten bleibe danach beitragsfrei, weil zum Zeitpunkt ihrer Beendigung im Jahr 1998 noch keine Beitragssatzung vorhanden gewesen sei. Denn die Gemeinde B. habe erstmals mit ihrer Straßenausbaubeitragssatzung vom 6. März 2003 über eine wirksame Beitragssatzung verfügt. Jedenfalls im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 sei die Erhebung eines Straßenausbaubeitrags vorliegend nicht mit Treu und Glauben zu vereinbaren, denn die Interessenlage bei der hier vorliegenden Teilmaßnahme sei mit den Fällen der vollständigen Beendigung rechtlich vergleichbar, insbesondere sei die Vorteilslage in Bezug auf die allein abgerechnete Teileinrichtung Straßenbeleuchtung bereits im Jahr 1998 entstanden.

16

Die Beklagte hat fristgerecht die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung erhoben und trägt vor, dass das Gericht daran gehindert sei, eine verfassungskonforme Auslegung vorzunehmen, weil es allein dem Gesetzgeber obliege, das Kommunalabgabengesetz entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzupassen.

17

Die Beklagte beantragt,

18

das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 2. Kammer - vom 6. Dezember 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.

19

Die Kläger beantragen,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Sie machen geltend, dass sie ohne gültige Satzung nicht zu Beiträgen hätten herangezogen werden dürfen. Jedenfalls sei im Zeitpunkt der Erhebung der Beiträge keine Rechtssicherheit vorhanden gewesen. Dieser Vorstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG könne nicht nachträglich geheilt werden. § 18 KAG LSA sei zudem insoweit verfassungswidrig, als es eine zehnjährige Verjährungsfrist mit der Einschränkung vorsehe, dass die Verjährungsfrist nicht vor Ablauf des Jahres 2015 ende. Denn hierdurch verlängere sich vorliegend die Verjährungsfrist auf 17 Jahre. Dies sei unzumutbar in einem Verfahren, in dem es u. a. auf die örtlichen Gegebenheiten ankomme, die steten Veränderungen unterlägen, und zudem die Aktenaufbewahrungsfristen längst abgelaufen seien.

22

Zudem werde bestritten, dass die dem hier streitbefangenen Bescheid zugrunde liegenden Kosten überhaupt für die Straßenbeleuchtung angefallen seien, denn insgesamt erschienen sämtliche Kosten "übersetzt". Auch sei es wegen anderweitiger Beschäftigung der beteiligten Firmen im Gemeindebereich durchaus denkbar und wahrscheinlich, dass hier Kosten abgerechnet worden seien, die nicht über die Straßenbeleuchtungsabgaben abzurechnen seien.

23

Durch die Übergangsregelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA habe der Landesgesetzgeber den nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geforderten Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auch den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Abschluss der Baumaßnahme verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

25

Die zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.

26

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 28. September 2012 in der Gestalt ihrer Widerspruchsbescheide vom 4. Dezember 2012 rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz VwGO).

27

Rechtsgrundlage der Beitragserhebung ist § 6 Abs. 1 KAG LSA i.V.m. der Straßenausbaubeitragssatzung der Gemeinde B. vom 6. März 2003 i.d.F. der 1. Änderungssatzung vom 21. Oktober 2004 - SBS -. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA erheben die Landkreise und Gemeinden zur Deckung ihres Aufwandes für die erforderliche Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung ihrer Verkehrsanlagen von den Beitragspflichtigen, denen durch die Inanspruchnahme dieser Leistungen ein Vorteil entsteht, Beiträge, soweit der Aufwand nicht durch Gebühren gedeckt ist.

28

1. Durch die vorliegend streitgegenständlichen Baumaßnahmen, mit der die Beleuchtungsanlage mit Beleuchtungskörpern an freistehenden Masten und erdverlegten Kabeln neu errichtet worden ist, ist die Teileinrichtung Straßenbeleuchtung unstreitig im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 SBS erneuert worden.

29

Zweifel an der Beitragsfähigkeit des von der Beklagten berechneten Aufwands für die Durchführung der Baumaßnahme in der streitgegenständlichen Verkehrsanlage in Höhe von 51.258,46 € bestehen entgegen der Auffassung der Kläger nicht. Nach den Angaben der Beklagten sind die Anteile der auf die streitgegenständliche Verkehrsanlage entfallenden Kosten der - auch für Baumaßnahmen an den Beleuchtungsanlagen anderer Verkehrsanlagen - entstandenen Kosten anhand der jeweiligen Lampenstandorte ermittelt und auf die Lampenanzahl der streitgegenständlichen Verkehrsanlage verteilt worden. Soweit die Kläger gegen die von der Beklagten vorgenommene Zuordnung der jeweiligen Rechnungsanteile auf die zu veranlagende Verkehrsanlage lediglich einwenden, dass sämtliche Kosten "übersetzt" schienen, und bezweifeln, dass die dem Bescheid zugrunde liegenden Kosten überhaupt für die Straßenbeleuchtung angefallen seien, ist ihr Vorbringen von vornherein nicht geeignet, die detaillierte Ermittlung der Beklagten in Zweifel zu ziehen.

30

2. Der Beitragsanspruch ist auch nicht (festsetzungs-)verjährt. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. den §§ 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO ist eine Abgabenfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist von 4 Jahren abgelaufen ist, die mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Beitragspflicht für Verkehrsanlagen entsteht gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA in der vom 9. Oktober 1997 bis 21. April 1999 geltenden Fassung - KAG LSA 1997 - mit der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme, in den Fällen des Abs. 2 mit der Beendigung der Teilmaßnahme und in den Fällen des Abs. 4 mit der Beendigung des Abschnitts.

31

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Sachsen-Anhalt, dass im Straßenausbaubeitragsrecht ein Beitragsanspruch bei - wie vorliegend - vor dem 22. April 1999 begonnenen Maßnahmen entsteht, wenn eine beitragsfähige Maßnahme tatsächlich beendet ist, der Aufwand festgestellt werden kann und eine wirksame Beitragssatzung vorliegt. Es ist dabei lediglich erforderlich, dass zu irgendeinem Zeitpunkt eine wirksame Satzung vorliegt. Dies kann der Zeitpunkt der Maßnahme, des Bescheiderlasses oder auch ein späterer Zeitpunkt sein (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 04.12.2014 - 4 L 220/13 -, zit. nach JURIS, m.w.N.). Das in § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA i.d.F. des Änderungsgesetztes vom 16. April 1999 normierte Erfordernis, wonach eine Satzung vor der Entscheidung über die beitragsauslösende Maßnahme vorliegen muss, gilt aufgrund einer insoweit gebotenen verfassungskonformen Auslegung nur für die Fälle, in denen die beitragsauslösende Maßnahme nach dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes am 22. April 1999 begonnen wurde (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 04.12.2014, a.a.O., m.w.N.).

32

Danach ist der Beitragsanspruch am 16. Juni 2011 mit dem Beschluss der Beklagten über die Aufwandspaltung (§ 6 Abs. 2 KAG LSA) entstanden. Die vierjährige Festsetzungsfrist war daher bei Erlass der Bescheide vom 28. September 2012 noch nicht abgelaufen.

33

3. Zwar ist § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997 in der bisher vorgenommenen Auslegung auf Grund der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit im Anschlussbeitragsrecht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 04.12.2014, a.a.O.). Dieses Gebot schütze davor, dass lange zurück liegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden könnten. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicher zu stellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Die Legitimation von Beiträgen liege - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen sei. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei stehe ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.03.2013 - 1 BvR 2457/08 -, zit. nach JURIS).

34

Danach ist eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar (so BVerwG, Beschl. v. 26.08.2013 - 9 B 13.13 -; vgl. auch Urt. v. 20.03.2014 - 4 C 11.13 - zu Sanierungsbeiträgen nach § 154 BauGB, jeweils zit. nach JURIS). Das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gilt für alle Fallkonstellationen, in denen eine abzugeltende Vorteilslage eintritt, die daran anknüpfenden Abgaben aber wegen des Fehlens sonstiger Voraussetzungen nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können (so BVerwG, Urt. v. 20.03.2014, a.a.O.). Die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betrifft damit auch einmalige Beiträge im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA, die zur Finanzierung von Aufwendungen für Verkehrsanlagen erhoben werden. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, durch gesetzliche Regelungen sicher zu stellen, dass eine bestimmbare zeitlich Obergrenze für die Inanspruchnahme von Beitragsschuldner besteht, die der Rechtssicherheit genügt.

35

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist die vom Verwaltungsgericht vorgenommene verfassungskonforme Auslegung des § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997 dahingehend, dass die sachliche Beitragspflicht für vor dem 22. April 1999 begonnene Straßenausbaumaßnahmen nur dann entsteht, wenn vor dem endgültigen Abschluss der Maßnahme eine wirksame Beitragssatzung vorliegt, jedoch nicht zulässig. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist insoweit unerheblich, dass erstmals mit der Veröffentlichung der SBS der Gemeinde B. vom 6. März 2003 eine (wirksame) Straßenausbaubeitragssatzung in Kraft getreten ist.

36

Der Senat hat durch das Urteil vom 4. Dezember 2014 (a.a.O.) in einem parallel liegenden Sachverhalt bereits entschieden:

37

"Das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Eine Norm ist daher nur dann verfassungswidrig, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Auch im Wege der verfassungskonformen Interpretation darf aber der normative Gehalt einer Regelung nicht neu bestimmt werden. Die zur Vermeidung eines Verfassungsverstoßes gefundene Interpretation muss daher eine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige Auslegung sein. Die Grenzen verfassungskonformer Auslegung ergeben sich damit grundsätzlich aus dem ordnungsgemäßen Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden. Der Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt (Art. 20 Abs. 2 GG) gebietet es dabei, in den Grenzen der Verfassung das Maximum dessen aufrechtzuerhalten, was der Gesetzgeber gewollt hat. Er fordert eine verfassungskonforme Auslegung der Norm, die durch den Wortlaut des Gesetzes gedeckt ist und die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers wahrt. Die Deutung darf nicht dazu führen, dass das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird. Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen mithin dort, wo sie zum Wortlaut der Norm und zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (so BVerwG, Urt. v. 20. März 2014, a.a.O., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG).

38

§ 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997 erfüllt zwar in der Auslegung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des für eine Beitragserhebung erforderlichen Erlasses einer Beitragssatzung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an eine dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit entsprechende gesetzliche Regelung. Durch die Verknüpfung des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht mit dem Vorliegen einer wirksamen Satzung vor dem endgültigen Abschluss der Maßnahme ist sichergestellt, dass innerhalb eines bestimmbaren Zeitraum die satzungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Beitragserhebung gegeben sein müssen, die wiederum Voraussetzung für den Beginn der Festsetzungsverjährung sind. Allerdings gibt es - wie oben dargelegt - neben dem Fehlen einer wirksamen Beitragssatzung noch weitere Konstellationen, die im einmaligen Straßenausbaubeitragsrecht zu einer zeitlich unbestimmten Verschiebung der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht - und damit des Beginns der Festsetzungsverjährungsfrist - führen können. Eine verfassungskonforme Auslegung des nach seinem Wortlaut allein auf die Beendigung der (Teil)Maßnahme bzw. des Abschnitts abstellenden § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997, die auch hinsichtlich dieser Fallkonstellationen sowohl die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt als auch die Beitragserhebungspflicht des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA nicht verletzt, ist ausgeschlossen. Da § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1997 als einheitliche Regelung anzusehen ist, reicht es nicht aus, dass durch die Auslegung des Verwaltungsgerichts eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von Straßenausbaubeiträgen, die nach der bisherigen Rechtsprechung durch Anknüpfung des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht an das Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung gegeben war, verhindert wird."

39

4. Dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit tragen aber die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA, die durch Art. 1 Nr. 9 und 12 des Gesetzes zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2014 (GVBl. LSA S. 522) eingefügt worden und am 24. Dezember 2014 in Kraft getreten sind, hinreichend Rechnung. Danach ist eine Abgabenfestsetzung unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit dem Ablauf des 10. Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen (§ 13b Satz 1 KAG LSA). Die nach Maßgabe des § 13b zu bestimmende Ausschlussfrist endet nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (§ 18 Abs. 2 KAG LSA). Damit hat der Gesetzgeber eine zeitliche Obergrenze für die Festsetzung von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben eingeführt.

40

Diese Regelungen berücksichtigen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich einerseits und die Interessen des Einzelnen an Rechtssicherheit. Die gewählte Ausschlussfrist von grundsätzlich 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage, die jedoch nicht vor dem Ende des Jahres 2015 abläuft und daher im Einzelfall auf Grund des erstmaligen Inkrafttretens des KAG LSA im Jahre 1991 bis zu 24,5 Jahre betragen kann, hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber insoweit nach der Entscheidung des BVerfG (vgl. Beschl. v. 05.03.2013, a.a.O., Rdnr. 46) zustehenden weiten Gestaltungsspielraums und belastet die Abgabenpflichtigen nicht unzumutbar (vgl. VG Halle, Urt. v. 13.03.2015 - 4 A 13/15 HAL -; VG Magdeburg, Urt. vom 26.03.2015 - 9 A 253/14 MD -; Bücken-Thielmeyer/Fenzel, LKV 2014, 241, 244f, 248; Driehaus, KStZ 2014, 181, 184f.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.07.2014 - OVG 9 N 69.14 - zu § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG BB, zit. nach JURIS; vgl. weiter § 3a Abs. 3 Satz 2 SächsKAG). Zum einen unterschreitet sie die auch dem öffentlichen Recht nicht fremde dreißigjährige Verjährungsfrist (vgl. etwa § 53 Abs. 2 VwVfG), gegen deren grundsätzliche Anwendbarkeit im öffentlichen Recht aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens keine Bedenken bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2008 -, BVerwG 3 C 37.07 -, zit. nach JURIS, m.w.N.; vgl. auch Urt. v. 20.3.2014 - 4 C 11.13 -, zit. nach JURIS) und die einen Maßstab für die Bestimmung einer Ausschlussfrist darstellt (vgl. Driehaus, a.a.O. S. 184f.; vgl. auch Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O., S. 244: äußerste Grenze). Zudem wirkt der Vorteil, der durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer Einrichtung vermittelt wird, lange in die Zukunft fort, während ein besonderes wirtschaftliches Interesses der Abgabepflichtigen an einer möglichst zeitnahen Geltendmachung des Beitragsanspruchs nicht besteht, sondern deren Interesse nur darin liegt, erkennen zu können, wann mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen ist (VG Halle, Urt. v. 13.03.2015, a.a.O.; Driehaus, a.a.O. S. 185; VGH Bayern, Urt. v. 12.03.2015 - 20 B 14.1441 -; VG Cottbus, Urt. v. 10.04.2014 - 6 K 370/13 -, jeweils zit. nach JURIS). Schließlich sind die nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit bestehenden Schwierigkeiten beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung sowie die sonstigen Schwierigkeiten, in einem neuen Bundesland wie Sachsen-Anhalt überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, in Rechnung zu stellen (VG Halle, Urt. v. 13.03.2015, a.a.O.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.07.2014, a.a.O.).

41

Die beitragserhebenden Körperschaften werden durch die 10-Jahres-Ausschlussfrist, die zwar (teilweise deutlich) kürzer ist als vergleichbare Regelungen in anderen Bundesländern, dennoch nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise (vgl. dazu Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O. S. 245ff.) belastet (wohl a.M.: Driehaus, a.a.O. S. 185). Auch wenn es aus den verschiedensten Gründen zu einer Verzögerung der Erhebung von Beiträgen kommen kann, die der zuständigen Körperschaft nicht anzulasten ist, durfte der Gesetzgeber mit der gewählten Frist, die jedenfalls mehr als doppelt so lang ist wie die Festsetzungsverjährungsfrist, die Interessen des einzelnen Abgabenschuldners sehr hoch gewichten. Weder werden dadurch die beitragserhebenden Körperschaften in ihrer Finanzhoheit als Ausprägung des Rechts der kommunalen Selbstverwaltung verletzt noch ist das Gleichheitsgebot in seiner Ausprägung als Grundsatz der Abgabengerechtigkeit beeinträchtigt. Auch im Gesetzgebungsverfahren haben die Interessenverbände insoweit gerade keine durchgreifenden Einwendungen erhoben, sondern nur für eine längere Übergangsfrist plädiert. Durch § 18 Abs. 2 KAG LSA ist weiterhin hinreichend sichergestellt, dass Altverfahren noch fristgerecht abgeschlossen werden können. Denn die beitragserhebenden Körperschaften mussten schon seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 mit einer gesetzgeberischen Regelung rechnen.

42

Die vorgesehene Ausschlussfristenregelung ermöglicht damit einerseits die Sicherung der Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen und schränkt andererseits die Abgabenerhebung nach Eintritt der Vorteilslage zeitlich ein, nämlich auf einen Zeitraum von höchstens 24,5 Jahren. Insoweit enthält sie einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und des einzelnen Abgabenschuldners an Rechtssicherheit. Auch der Umstand, dass die "Übergangsregelung" in § 18 Abs. 2 KAG LSA sogenannte "Altfälle", bei denen die die Ausschlussfrist frühestens am 31. Dezember 2015 endet, gegenüber den Beitragspflichtigen benachteiligt, bei denen die Vorteilslage erst nach 2005 eingetreten ist, führt unter Berücksichtigung von Art. 3 GG nicht zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Denn nach dem Vorhergesagten besteht jedenfalls ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung.

43

Die Regelungen der §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA sind anzuwenden, obwohl vor Inkrafttreten dieser Normen sowohl die sachliche Beitragspflicht entstanden ist als auch die angefochtenen Beitragsbescheide erlassen worden sind. Es handelt sich dabei um Regelungen, mit denen - wie § 18 Abs. 2 KAG LSA klarstellt - eine Ausschlussfrist festgesetzt wird (vgl. auch Driehaus, a.a.O. S. 183, m.w.N.). Deren umfassende Anwendbarkeit ergibt sich aus Sinn und Zweck dieser Vorschriften, der darin besteht, der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen und eine zeitliche Obergrenze für die Beitragserhebung im Kommunalabgabengesetz vorzusehen, um die Beitragserhebung verfassungsrechtlich sicher zu gestalten (vgl. Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 10.09.2014, LT-Drucksache 6/3419, S. 3; VG Halle, Urt. v. 13.03.2015, a.a.O.; vgl. auch VG Magdeburg, Urt. v. 26.03.2015, a.a.O.).

44

Es kann danach offen bleiben, ob man als "Eintritt der Vorteilslage" i.S.d. § 13b Satz 1 KAG LSA hier den Abschluss der Bauarbeiten und die tatsächliche Inbetriebsetzung der Beleuchtungsanlage annimmt bzw. den Eingang der letzten Unternehmerrechnung oder insoweit auf den Zeitpunkt der Aufwandspaltung abstellt, mit dem Ergebnis, dass die zehnjährige Frist des § 13b Satz 1 KAG LSA noch nicht abgelaufen wäre. Jedenfalls ist § 18 Abs. 2 KAG LSA einschlägig, wonach die Ausschlussfrist nicht vor Ablauf des 31. Dezember 2015 endet.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.

46

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

47

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.

48

B e s c h l u s s

49

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 243,92 € festgesetzt.

50

Gründe:

51

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

52

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Herstellung der öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungsanlage der Beklagten.

2

Die 1991 gegründete Klägerin, die bis zum 28. März 2003 als Chemiewerke A-Stadt GmbH firmierte, übernahm Flächen eines ehemaligen Betriebsteils der VEB Sprengstoffwerk A-Stadt, die durch jahrzehntelange Sprengstoffherstellung kontaminiert worden waren. Nachdem die Produktion eingestellt worden war, begann die Klägerin mit der Altlastensanierung und der Vorbereitung der Flächen für eine Neubesiedlung, u.a. durch Dekontaminierung der Sprengstoffanlagen und die Demontage von Gebäuden. Ihr Unternehmensgegenstand wurde die Vermietung und Verpachtung von gewerblich nutzbaren Flächen. In dem Areal des ehemaligen Sprengstoffwerks befinden sich weitere ehemalige Industriegrundstücke anderer Eigentümer. Die Bebauung ist aufgelockert, es befinden sich dort Grünflächen und alter Baumbestand. Die Altlasten aus der Zeit der Nutzung des Geländes als Sprengstoffwerk führten zur Errichtung eines Sicherheitszaunes. Es besteht für das Areal ein Flächennutzungsplan sowie eine Innenbereichs- und Arrondierungssatzung der Beklagten.

3

Mit Bescheid vom 14. August 2002, gefertigt von der Abwasserentsorgung A-Stadt - (...) - GmbH namens und im Auftrag der Beklagten, wurde gegenüber der Klägerin nach Anhörung für eine aus den Flurstücken 137, 138, 139, 412/48, 418/48 und 48/5 bestehende 420.174 m2 große Fläche ein Herstellungsbeitrag in Höhe von 581.940,99 € festgesetzt. Ein Betrag in Höhe von 20.387,20 € wurde gestundet. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2004 in einer Höhe von 568.710,78 € zurück (Nr. 1 des Tenors). Weiterhin wurde die bislang gewährte Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich des Teilbetrages in Höhe von 407.140,75 € aufgehoben (Nr. 2 des Tenors), eine Kostengrundentscheidung zu Lasten der Klägerin getroffen (Nr. 3 des Tenors) und darauf hingewiesen, dass für den Widerspruchsbescheid eine Verwaltungsgebühr erhoben werde, wozu ein gesonderter Bescheid ergehe (Nr. 4 des Tenors).

4

Am 23. Januar 2004 entrichtete die Klägerin einen Betrag in Höhe von 20.000,- €.

5

Am 13. Februar 2004 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben (9 A 39/04 MD) und einstweiligen Rechtsschutz begehrt. In dem Eilverfahren hat die Beklagte eine Berichtigung gem. § 129 AO vorgenommen und erklärt, unter Heranziehung einer beitragsrechtlich relevanten Fläche von 415.766 m2 ergebe sich für die Klägerin ein Kanalbaubeitrag in Höhe von 575.835,91 €.

6

Mit Beschluss vom 1. Juni 2004 (9 B 81/04 MD) hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet: Bei den herangezogenen Flurstücken handele es sich jeweils um eigene Grundstücke.

7

Die Beklagte hat daraufhin unter Bezugnahme auf diesen Beschluss einen „geänderten Widerspruchsbescheid“ vom 27. September 2004 erlassen. Darin hat sie unter Nr. 1 des Tenors jeweils für die als eigene Grundstücke anzusehenden Flurstücke 137, 138, 139, 48/5, 412/48, 414/48, 38/1 und 48/7 unter Zugrundelegung eines Nutzungsfaktors von 0,25 für zwei Geschosse gesonderte Anschlussbeiträge festgesetzt. Weiter heißt es in dem Tenor unter Nr. 1: „Im Übrigen wird der Heranziehungs- und Festsetzungsbescheid 0-1604 zum Beitrag für die öffentliche Schmutzwasserkanalisation vom 14.08.2002 aufgehoben. Der Widerspruchsbescheid vom 23.01.2004 bleibt in den übrigen Punkten unberührt.“ In der Nr. 2 des Tenors des Bescheides ist eine Kostengrundentscheidung zu Lasten der Beklagten erfolgt und unter Nr. 3 eine Entscheidung zur Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes. Unter Berücksichtigung von 20.000,- €, welche die Klägerin bereits bezahlt hatte, hat die Beklagte die Klägerin zur Zahlung von 561.990,86 € aufgefordert.

8

Am 1. November 2004 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben und ausgeführt, ihre Klage richte sich allein gegen die belastenden Regelungen des Bescheides vom 27. September 2004.

9

In einem Schriftsatz vom 3. November 2008 hat die Beklagte “klarstellend und unter gleichzeitiger Berichtigung der Beitragsfestsetzungen im geänderten Widerspruchsbescheid vom 27. September 2004“ erklären lassen:

10

 - Der Beitrag für das Flurstück 10059 (früher 137) werde auf 291.726,70 € festgesetzt und der bislang höhere Beitrag aufgehoben.

 - Der Beitrag für das Grundstück aus den Flurstücken 10078 bis 10081 (früher 414/48) werde auf 199.499,55 € festgesetzt, aber in der Höhe auf den bisherigen Beitrag von 199.370,75 € beschränkt.

 - Der Beitrag für das Grundstück aus den Flurstücken 10084 und 10085 (früher 412/48) betrage an sich 42.480,72 €, solle aber bei 42.412,85 € verbleiben.

 - Der Beitrag für das Grundstück aus den Flurstücken 10082 und 10083 (früher 48/7) werde auf 4.398,76 € festgesetzt und der bislang höhere Beitrag aufgehoben.

 - Der Beitrag für das Flurstück 38/1 verbleibe unverändert bei 8.827,99 €.

11

In einem Schriftsatz vom 28. Januar 2009 hat die Beklagte erklären lassen, sie halte trotz eines Bestehens von drei Vollgeschossen auf dem Flurstück 10146 an dem für das Ausgangsflurstück 10059 festgesetzten Beitrag ebenso fest wie an dem Beitrag für die Flurstücke 10078, 10079, 10080, 10081. Hinsichtlich des Flurstücks 139 halte sie gleichfalls an dem festgesetzten Beitrag fest, da sie das Grundstück nicht habe betreten können. Für die übrigen Flurstücke hat sie den Beitrag unter Herabsetzung auf insgesamt 552.258,36 € im Einzelnen wie folgt abändern und Teilrücknahmen in Höhe von insgesamt 29.732,50 € erklären lassen:

12

 - Flurstücke 10082 und 10083 auf 2.199,38 € unter Zugrundlegung einer Bebauung mit einem Vollgeschoss,

 - Flurstücke 10084 und 10085 auf 21.240,36 €,

 - Flurstück 38/1 auf 4.413,99 €,

 - Flurstück 138 auf 968,12 €,

 - Flurstück 48/5 auf 755,52 €

13

jeweils unter Zugrundlegung einer Umgebungsbebauung mit einem Vollgeschoss.

14

Mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2008 hat die Klägerin hilfsweise mit einem Rückforderungsanspruch von 115.752,50 € aufgerechnet. Ihr stehe ein „gegenwärtig nicht bezifferbarer Rückforderungsanspruch“ gegen die Beklagte in Höhe von 95.752,50 € aus einem Ablösungsvertrag nach dem BauGB zu, außerdem sei der von ihr bereits geleistete Betrag von 20.000,- € zurückzuzahlen.

15

Nachdem die Klägerin zunächst beantragt hatte, den geänderten Widerspruchsbescheid vom 27. September 2004 aufzuheben, hilfsweise den Bescheid vom 14. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2004 und des geänderten Widerspruchsbescheides vom 27. September 2004 aufzuheben, hat sie mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2008 beantragt, den als „geänderten Widerspruchsbescheid“ bezeichneten Bescheid vom 27. September 2004 in der ggfs. durch den Schriftsatz der Beklagten vom 3. November 2008 gefundenen Fassung aufzuheben, sowie „klageerweiternd im Wege der Untätigkeitsklage“ die Beklagte zu verpflichten, die auf Erlass und Stundung gerichteten Anträge zu bescheiden.

16

In einer mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2008 hat das Verwaltungsgericht Beweis über die Altlastenproblematik durch Vernehmung einer Mitarbeiterin der Landesanstalt für Altlastenfreistellung erhoben. In einer mündlichen Verhandlung vom 14. Mai 2009 haben die Beteiligten einen Vergleich geschlossen und auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet. Die Klägerin hat den Vergleich widerrufen, weil sie davon ausging, erhebliche Teilflächen der streitbefangenen Grundstücke lägen außerhalb des Bereiches der Innenbereichs - und Arrondierungssatzung der Beklagten.

17

Mit Urteil vom 24. Juni 2009 hat das Verwaltungsgericht das Verfahren teilweise eingestellt. Weiterhin hat es das Verfahren hinsichtlich der Verpflichtung zur Bescheidung der Billigkeitsanträge abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 9 A 174/09 MD fortgeführt. Schließlich hat das Gericht den geänderten Widerspruchsbescheid vom 27. September 2004 in der Gestalt der Änderungen durch die Schriftsätze der Beklagten vom 3. November 2008 und vom 28. Januar 2009 aufgehoben, soweit die Beklagte für das Flurstück 139 einen Beitrag von 31.583,54 € und für das Flurstück 138 einen Beitrag von 968,12 € festgesetzt hat. Im Übrigen hat das Gericht die Klage abgewiesen:

18

Das Verfahren sei einzustellen gewesen, soweit die Klägerin ihre Klage durch Änderung ihres Klageantrages im Schriftsatz vom 2. Dezember 2008 inzident zurückgenommen habe. Soweit sie auf die Änderung des Bescheides durch Schriftsatz der Beklagten vom 28. Januar 2009 ihre Klage nicht geändert habe, sei die Klage unzulässig, da der Klägerin insoweit das Rechtsschutzbedürfnis fehle.

19

Die Klage sei im Übrigen zulässig. Zwar klage die Klägerin isoliert gegen einen als Widerspruchsbescheid bezeichneten Bescheid und der Ausgangsbescheid sei auch nicht etwa nichtig. Dennoch sei sie ausnahmsweise befugt, nur den Widerspruchsbescheid anzugreifen, weil dieser sich auf Grund der darin enthaltenen neuen Berechnungen und Festsetzungen wie ein erstmaliger Beitragsbescheid darstelle.

20

Der Bescheid finde seine Rechtsgrundlage in der rückwirkend zum 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Abwasserabgabensatzung vom 14. Dezember 2006, bei der es sich um die erste wirksame Beitragssatzung der Beklagten handele. Formale Bedenken bestünden weder hinsichtlich der Satzung noch hinsichtlich des Bescheides in der Gestalt der letzten Änderung durch Schriftsatz der Beklagten. Die Satzung verstoße auch nicht gegen das Rückwirkungsverbot.

21

Die vom Beitragsbescheid in der nunmehrigen Fassung betroffenen Grundstücke der Klägerin seien grundsätzlich bebaubar. Sie befänden sich unfraglich jedenfalls im unbeplanten Innenbereich. Denn der Industriepark West bilde, unabhängig von der Wirksamkeit und rechtlichen Wirkung der von der Beklagten erlassenen Innenbereichs- und Arrondierungssatzung, selbst einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil. Er stelle sich nach seinem äußeren Eindruck als typisches Gewerbegebiet dar. Auch hinderten die auf dem Grundstück befindlichen Altlasten weder die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht noch minderten sie die der Beitragsbemessung zugrunde liegende Vorteilsfläche. Die Grundstücke seien nicht Unland gleichzusetzen, weil sie nicht auf unabsehbare Zeit unsanierbar seien. Dabei sei zu beachten, dass jeweils nur Teilflächen betroffen seien und die Klägerin von dem Vorteil der Anschlussmöglichkeit in der Vergangenheit durch Verkauf oder Vermietung sanierter Flächen auch Gebrauch gemacht habe. Die sachliche Beitragspflicht sei für die Flurstücke 48/5, 10078 - 10081, 10059, 10084/10085, 10082/10083 und 38/1 am 1. Januar 2006 entstanden, weil diese Flurstücke zu diesem Zeitpunkt im Eigentum der Klägerin gestanden und jeweils über eine gesicherte Anschlussmöglichkeit verfügt hätten. Auch die Billigkeitsregelungen nach § 8 Abs. 2 der Satzung führten nicht zur Kürzung des Beitragsanspruches. Denn danach werde lediglich die Vollgeschosszahl derjenigen Gebäude nicht berücksichtigt, die keinen Bedarf nach Anschluss hätten, nicht etwa werde die Grundstücksfläche um die Grundfläche der Gebäude gekürzt. Soweit die Klägerin mit einem angeblichen Gegenanspruch hilfsweise aufrechne, sei eine Aufrechnung nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen möglich.

22

Nur für die als Hinterliegergrundstücke anzusehenden Flurstücke 138 und 139 sei die sachliche Beitragspflicht noch nicht entstanden, weil die mit einer Grundstücksentwässerungsanlage zu überwindende Strecke ca. 400 m betrage und der damit einhergehende wirtschaftliche Aufwand unzumutbar sei.

23

Mit Bescheid vom 7. Juni 2010, gegen den die Klägerin - einen bislang noch nicht beschiedenen - Widerspruch erhoben hat, hat die Beklagte die Fälligkeit für mehrere Grundstücke und Teilflächen auf den 30. Juni 2010 festgesetzt und folgende Billigkeitsmaßnahmen vorgenommen:

24

Erlass des festgesetzten Beitrages für folgende Grundstücke.

25

 - 10059 (vormals 137) in einer Höhe von 173.457,40 €,

 - 38/1 vollständig (4.414,- €),

 - 414/48 (neues Flurstück 10124) in einer Höhe von 677,27 €.

26

Stundung des Beitrages bis zum 29. Juni 2025 mit einem Zinssatz von 1% p.a. für folgende Grundstücke:

27

 - 10146 (alt 137)

 113.257,- €,

 - 10147 (alt 414/48)

 123.285,78 €,

 - 10085 (alt 412/48)

  16.912,32 €,

 - 10083 (alt 48/7)

  1.334,45 €,

 - 48/5

  755,52 €.

28

In Schriftsätzen vom 3. August sowie 10. September 2010 und vom 30. August sowie 23. September 2010 haben die Beteiligten den Rechtsstreit in dem Verfahren teilweise für erledigt erklärt, soweit die Beitragsforderungen erlassen worden sind.

29

Mit Beschluss vom 27. September 2011 hat der erkennende Senat auf den Antrag der Klägerin die Berufung wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen.

30

Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen geltend:

31

Hinsichtlich der von Restitutions- und Vermögenszuordnungsbescheiden erfassten Flurstücke 48/5 und 48/7 sei noch vor dem 1. Januar 2006 ein Eigentumsübergang auf einen Dritten eingetreten. Die Eigentumsänderung nach dem VermG trete durch den Restitutionsbescheid selbst ein. Auch habe die Beklagte für Teilflächen durch notariellen Kaufvertrag die öffentlichen Lasten für leitungsgebundene Anlagen ab Besitzübergang übernommen, der vor dem 1. Januar 2006 gelegen habe.

32

In der Beitragssatzung vom 14. Dezember 2006 sei das Datum der Ausfertigung durch den Oberbürgermeister nicht angegeben und zwar sowohl in der Bekanntmachung als auch in der lediglich paraphierten Originalfassung. Sie habe durchgehend bestritten, dass die Satzung am Sonntag, dem 24. Dezember 2006, ortsüblich bekannt gegeben worden sei. Eine gemäß § 10 Abs. 1 KAG LSA zulässige satzungsmäßige Ermächtigung für die Beauftragung Dritter fehle in der Satzung.

33

Die rückwirkende Schaffung einer Satzungsgrundlage für den als Neufestsetzung anzusehenden, sogenannten geänderten Widerspruchsbescheid vom 27. September 2004 durch die Satzung vom 14. Dezember 2006 verstoße gegen die verfassungsrechtlichen Schranken rückwirkender Abgabensatzungen nach § 2 Abs. 2 Satz 1 KAG LSA. Es sei vorliegend eine sogenannte echte Rückwirkung gegeben, die mit dem Vertrauensschutz unvereinbar sei. Selbst wenn man eine lediglich unechte Rückwirkung annehmen wolle, scheitere sie bereits an der erforderlichen Abwägung, denn durch die neue Satzung seien die Unklarheiten nicht beseitigt, sondern verstärkt worden. Die landesgesetzlichen Schranken rückwirkender Abgabensatzungen nach § 2 Abs. 2 Satz 2 KAG LSA seien ebenfalls nicht gewahrt. Die Satzung verstoße auch gegen das Schlechterstellungsverbot des § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA.

34

Weiterhin seien durch die neue Beitragssatzung vom 30. Mai 2012 die abweichenden Bestimmungen der Vorgängersatzung aufgehoben worden, wozu auch die Rückwirkungsanordnung in der Satzung vom 14. Dezember 2006 gehöre. Allerdings sei die Festsetzungsverjährung zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses bereits abgelaufen und die ohne Rückwirkung erlassene Satzung vom 30. Mai 2012 könne den vor acht Jahren erlassenen Bescheiden nicht nachträglich die erforderliche Satzungsgrundlage verschaffen. Es werde beantragt, der Beklagten aufzugeben, mehrere der von ihr genannten Gerichtsurteile vorzulegen, und ihr - der Klägerin - für die Prüfung dieser Satzung eine Frist einzuräumen. Im Übrigen werde ausdrücklich gerügt, dass der Schriftsatz der Beklagten vom 11. Juni 2012 eingereicht worden sei, als die neue Satzung bereits veröffentlicht gewesen sei, was offenbar ihrer Irreführung und Desinformation habe dienen sollen.

35

Die Unrichtigkeit des Urteils ergebe sich aus der mangelnden Bestimmtheit des Bescheides vom 27. September 2004 in Verbindung mit diversen Änderungserklärungen in den Beklagtenschriftsätzen und mit dem auf diese verweisenden Urteilstenor. Selbst wenn durch die Bezeichnung der Buchgrundstücke zum 1. Januar 2006 in den Schriftsätzen dem Bestimmtheitserfordernis als solchem Genüge getan sein sollte, so werde verkannt, dass die sachliche Beitragspflicht neben einer wirksamen Satzung die konkrete Bevorteilung bei sonstiger, insbesondere straßenseitiger Erschließung und eine tatsächlich und rechtlich dauerhafte Sicherung der Anschlussmöglichkeit voraussetze. Es sei also nicht am 1. Januar 2006 zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht gekommen, sondern - wenn überhaupt - später zu unterschiedlichen Zeitpunkten, in denen wiederum überdies ganz andere Buchgrundstücke bestanden hätten. Die vermeintlich klarstellenden Schriftsätze hätten in Wirklichkeit zur Unklarheit und Unbestimmtheit geführt.

36

Die verkehrliche Erschließung der herangezogenen Grundflächen sei im maßgeblichen Zeitraum bis 2006 einschließlich ausdrücklich gerade nicht über die W-Straße und den M-Ring vorgenommen worden. Auch eine verkehrliche Erschließung über die Verlängerung der Hohendorfer Straße habe am 1. Januar 2006 nicht vorgelegen.

37

Weiterhin läge auf den noch streitgegenständlichen Flurstücken eine erhebliche Verunreinigung mit ökologischen Altlasten und mit Sprengstoffen vor, die die Flächen jedenfalls teilweise zu Unland mache. Mit Ausnahme des tatsächlich genutzten Verwaltungsgebäudes und der wenigen sanierten Flächen könne in keiner der ihr verbliebenen Teilflächen innerhalb des früheren eingefriedeten Sprengstoffwerkgeländes von einer selbständigen baulichen Nutzbarkeit ausgegangen werden. Gäbe es auf dem Gelände nachweislich nennenswerte unbelastete Flächen, hätte das Landesamt sie aus der Störerverantwortlichkeit entlassen müssen. In den vorliegenden Berichten seien einige hochgradig kontaminierte Flächen nicht erwähnt, insbesondere in Altkanälen. Daneben gebe es Bereiche, die bis heute nicht untersucht seien, in denen aber hohe Bodenbelastungen zu erwarten seien, so insbesondere im Bereich ehemaliger Tanklager. Auf Grund der Sanierungskosten könne für keines der verbleibenden, für den Beitrag herangezogenen Buchgrundstücke innerhalb der Umfriedung des früheren Sprengstoffwerks ein nach Abzug der Kosten der Altlastenbeseitigung noch verbleibender positiver Verkehrswert angenommen werden. Es fehle überdies an einer Beitragspflicht nach § 3 der Satzung vom 14. Dezember 2006, da große, großflächig kontaminierte Altlasten- und Altlastenverdachtsflächen nach der Verkehrsauffassung gerade kein Bauland seien. Ihr gesamtes Gelände sei im Altlastenkataster des Landes als Altlastenfläche ausgewiesen. Eine Beplanung von Altlastenflächen durch Bebauungsplan sei rechtswidrig und würde zu Amtshaftungsansprüchen gegen die Gemeinde führen. Daher könne selbst in Bereichen, in denen eine Bebauung im Zusammenhang oder ein Ortsteil als Planersatz vorläge, eine Nutzbarkeit von Altlastenflächen nicht angenommen werden.

38

Es handele sich bei den streitgegenständlichen Flächen insgesamt um Grundstücke im Außenbereich, mindestens gingen die meisten und insbesondere die größeren unter ihnen unmittelbar in den Außenbereich über. Es bleibe nach dem angefochtenen Urteil unklar, was das Verwaltungsgericht überhaupt als „Gebiet“ und was es als „Industriepark West“ ansehe und wo nach seiner Auffassung der Bebauungszusammenhang anfange und aufhöre. Die wenigen, am 1. Januar 2006 aufstehenden Gebäude, von denen ein Großteil Ruinen und durch Kontaminationen nicht nutzbar seien, hätten keinen Ortsteil und keinen Bebauungszusammenhang gebildet. Sie sei nicht auf eine gesonderte Anfechtung der lediglich deklaratorisch wirkenden Innenbereichs- und Arrondierungssatzung vom 28. November 2002 zu verweisen. Die Satzung enthalte mit der das gesamte umfriedete Werksgelände umfassenden „Klarstellungslinie“ eine Klarstellungsfestsetzung i.S.d. § 34 Abs. 4 Nr. 1 BauGB a.F. Einzelne herangezogene Flächen lägen indessen außerhalb dieser Linie und der Umfriedung des früheren Werks. Die Beklagte habe selbst mittelbar bestätigt, dass sie bestimmte Flächen in der Satzung selbst dem Außenbereich zugeordnet habe. Die Festsetzung sei auch im Übrigen unwirksam. Durch eine Klarstellungssatzung könnten allenfalls die Grenzen eines schon vorhandenen Ortsteils festgelegt werden, nicht aber eine Industriebrache im Außenbereich zum Ortsteil erhoben werden. Auch eine Festsetzung durch eine Abrundungs-, Einbeziehungs- oder Ergänzungssatzung wäre unwirksam und rechtswidrig.

39

Es habe keine Anschlüsse und Anschlussmöglichkeiten vor dem Jahr 2006 gegeben, da die Übergabeschächte nicht vor den von der Beklagten genannten Grundstücken, sondern hinter dazwischen liegenden Fremdgrundstücken bzw. hinter Außenbereichsflächen gelegen hätten. Am 1. Januar 2006 bis heute lägen zwischen den erst viel später hergestellten Abwasserleitungen in der M-Allee und in der W-Straße jeweils Fremdgrundstücke. Von dem damaligen Endpunkt der Abwasseranlage in der Hohendorfer Straße habe sie gerade nicht angeschlossen werden können. Ob irgendeiner der von der Beklagten angegebenen Kanalabschnitte an der sogenannten Grenzlinie ende oder ob eine rechtliche Anschlussmöglichkeit der Hinterliegergrundstücke über ein Leitungsrecht oder eine Dienstbarkeit zu den Straßen vorgelegen habe, sei nicht festgestellt. Diese Voraussetzungen lägen auch erkennbar nicht vor. Die maßgebliche Formulierung in der Satzung, dass die Beitragspflicht mit der betriebsfertigen Herstellung der Schmutzwasseranlage für das zu entwässernde Grundstück entstehe, sei mehr als unklar und unbestimmt. Die sachliche Beitragspflicht sei auch nicht bereits mit der betriebsfertigen Herstellung des Hauptsammlers entstanden, zu der - und deren Zeitpunkt - die Beklagte nichts weiter vortrage. Denn es habe mangels wirksamer Satzung keinen Erstattungsanspruch nach § 8 KAG LSA gegeben. Daneben seien die Hausanschlüsse, wie die Beklagte selbst vortrage, ausschließlich von dieser selbst herzustellen, so dass durchweg nicht die betriebsbereite Herstellung der Hauptsammler irgendwo vor den herangezogenen Grundstücken genüge.

40

Es fehle weiterhin auf Grund der Entfernungen von Hunderten von Metern und dazwischen liegenden Hindernisse (Altlasten, Ruinen, Betonfundamente, Altleitungen) jedenfalls an der Zumutbarkeit einer Anschlussnahme. Die durchschnittliche Leitungslänge habe über 200 m betragen. Fehlerhaft sei auch die Annahme des Verwaltungsgerichtes, dass es keine unverhältnismäßig hohen Kosten verursacht hätte, über das Flurstück 10085 und das Flurstück 10059 jeweils Anschlussleitungen zu den Hinterliegergrundstücken zu legen.

41

Bei der Ermittlung der Vollgeschosszahlen sei § 8 Abs. 2 Satz 1 der Satzung zu Unrecht nicht angewandt worden und zwar weder auf die zahlreichen Ruinen noch die denkmalgeschützten Baulichkeiten und Bunker noch die kontaminierten und deswegen nicht nutzbaren Baulichkeiten. Die Ermittlung sei weiterhin offenkundig fehlerhaft gewesen. Das Verwaltungsgericht beziehe sich auf die Durchschnittsbetrachtungen durch die (...) bzw. die ... aus dem Jahr 2002. Dabei seien die 25 einstöckigen und überwiegend denkmalgeschützten Bunker nicht berücksichtigt worden und es fehle eine Ermächtigung zur Beauftragung Dritter in der Satzung. Auch auf Grund der Änderungen in den maßgeblichen Satzungsregelungen und der Bebauung sei es unzulässig, auf diese Durchschnittszahlen zurückzugreifen. Zahlreiche Gebäude seien abgerissen worden. Weiterhin habe das Verwaltungsgericht einen methodischen Fehler begangen. Auch sei die Bezugnahme auf die „nähere Umgebung“ in der Beitragssatzung zu unbestimmt und die vorgenommene Ermittlung einer näheren Umgebung der streitbefangenen Grundstücke entspreche nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Schließlich sei die flächendeckende Heranziehung mit zwei Vollgeschossen wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz unzulässig, weil die benachbarte L... GmbH mit nur einem Vollgeschoss herangezogen worden sei.

42

Die vorgenommenen Aufrechnungen seien zu Unrecht nicht anerkannt worden. Die Zahlung und die Verrechnung eines Betrages in Höhe von 20.000,- € seien unstreitig. Sie habe die Hilfsaufrechnung allein deswegen nochmals erklärt, weil die verschiedenen Verrechnungen der Beklagten sich widersprochen hätten und die Beweislage ungewiss gewesen sei. Die weitergehende Aufrechnung mit einer Gegenforderung in Höhe von 95.752,50 € wegen des Ablösebetrages für den Straßenausbau sei nicht unzulässig. Diese Forderung sei nicht bestritten worden. Eine solche Feststellung ergebe sich weder aus einem Protokoll noch aus dem Tatbestand des Urteils oder einem Beklagtenschriftsatz. Die Anrechnung im angefochtenen Bescheid sei durch den Billigkeitsbescheid auch aufgehoben worden.

43

Ihr Eigentum werde durch diverse Zugriffe der öffentlichen Stellen des Landes gänzlich ausgehöhlt. Die Sanierungskosten gemeinsam mit den geforderten Beiträgen und den Kosten der behördlicherseits auferlegten Bewachung der Altlast hätten eine mit Art. 14 GG nicht zu vereinbarende erdrosselnde Wirkung.

44

Die Klägerin beantragt,

45

das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 24. Juni 2009 abzuändern und den Heranziehungs- und Festsetzungsbescheid vom 14. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 23. Januar 2004, ihres Schriftsatzes vom 13. April 2004 und ihres Bescheides vom 27. September 2004 sowie der Schriftsätze der Beklagten vom 3. November 2008 und 28. Januar 2009 und ihres Bescheides vom 7. Juni 2010 aufzuheben, soweit das Verfahren nicht in der Hauptsache auf Grund des Billigkeitsbescheides vom 7. Juni 2010 übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist,

46

hilfsweise,

47

zum Beweis der Behauptung der Klägerin, es seien auf jedem einzelnen der streitgegenständlichen Grundstücke selbständig baulich nutzbare, von Altlasten unbelastete oder nur unwesentlich unterhalb der Gefahrenschwelle belastete Grundflächen nicht vorhanden, und zur Widerlegung der gegenteiligen Behauptung der Beklagten

48

die Einholung eines Sachverständigengutachtens,
die Einholung einer Auskunft der Landesanstalt für Altlastenfreistellung,
zum Beweis der Behauptung der Klägerin, es liege in der näheren Umgebung der streitgegenständlichen Grundstücke eine eingeschossige Bebauung vor,
die Einholung eines Sachverständigengutachtens,

49

weiter hilfsweise,

50

Beweis zu folgenden Fragen zu erheben:

51

welche Grundstücke der Klägerin sind von Altlasten betroffen, welche Altlasten lagern dort ?

52

Beeinträchtigten die Altlasten die Bebaubarkeit/Nutzung der Grundstücke und können die Altlasten beseitigt werden ?

53

In welchem Zeitraum und mit welchem Kostenaufwand können die Altlasten für die jeweiligen Grundstücke beseitigt werden ?

54

Die Beklagte beantragt,

55

die Berufung zurückzuweisen.

56

Sie trägt vor, die der Satzung vom 14. Dezember 2006 vorgehenden Abwasserbeseitigungsabgabensatzungen seien mit ihrem Beitragsteil jeweils nichtig, da sie einen unvollständigen und damit fehlerhaften Beitragsmaßstab enthielten.

57

Die Klägerin sei ausweislich einer Stellungnahme des Liegenschaftsamtes am 1. Januar 2006 Eigentümerin des Flurstücks 48/5 gewesen und ausweislich eines Schreibens des Amtsgerichts Schönebeck zu diesem Zeitpunkt ebenfalls Eigentümerin des Flurstücks 48/7.

58

Eine Kontamination durch Altlasten habe keinen Einfluss auf die Beitragshöhe. Alle Grundstücke seien schon allein wegen ihrer Bebauung und der auf ihr ausgeübten gewerblichen Nutzung fähig, aus der Anschlussmöglichkeit bevorteilt zu werden. Nur wenn durch die Kontamination für die Gesamtfläche eines Grundstücks jede Art einer beitragsrechtlich relevanten Nutzbarkeit ausgeschlossen sei, bleibe ein solches Grundstück bis zur Beseitigung des der Nutzbarkeit entgegen stehenden Hindernisses beitragsfrei. Derartige Gegebenheiten gebe es bei den streitbefangenen Grundstücken nicht. Ein Baugrundstück sei - mit Ausnahme von Grundstücken in Kerngebieten - nie vollständig überbaubar. Eine andere Frage sei, ob bei der Großflächigkeit der Altlastenbelastung nicht möglicherweise die uneingeschränkte Beitragsbelastung eine sachliche Härte darstelle. Der jetzt behaupteten „Schwerstkontamination“ müsse im Rahmen des Widerspruchs gegen den Billigkeitsbescheid vom 7. Juni 2010 nachgegangen werden. Eine künftige Nutzung von Teilflächen sei in den Berichten der von der Landesanstalt für Altlastenfreistellung beauftragten Firma nicht ausgeschlossen. Es sei auch relevant, dass auf Antrag der Klägerin die Aufstellung eines Bebauungsplans zur Errichtung eines Solarparks beschlossen worden sei, der teilweise streitbefangene Flächen erfasse. Bei den noch streitigen Grundstücksflächen, die von der Klägerin als „schwerst kontaminiert“ bezeichnet würden, handele es sich wohl um eine Fläche von 14.785 m2 südlich des sog. Sicherheitszaunes. Die Flurstücksbezeichnungen dieser „schwerst kontaminierten Flächen“ könnten nicht nachvollzogen werden.

59

Die Innenbereichs- und Arrondierungssatzung sei seit dem Jahre 2002 nicht überarbeitet worden. Nach dem aktuellen Flächennutzungsplan lägen Teilflächen der von der Beitragserhebung erfassten Grundstücke nicht im Geltungsbereich der Satzung. Durch den Neubau der im Oktober 2003 gewidmeten „W-Straße“ sei allerdings fraglich, ob die Annahme des Außenbereichs noch zutreffend sei. Auch das Verwaltungsgericht habe angenommen, der Industriepark West bilde selbst einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil.

60

Es komme nach der Satzungslage für das Entstehen der Vorteilslage jeweils nur auf die betriebsfertige Herstellung des Hauptsammlers an. Aus den bereits erstinstanzlich vorgelegten Unterlagen ergebe sich die betriebsfertige Herstellung der Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung im Jahre 1999 in dem östlichen Teil der „Hohendorfer Straße“ bis westlich des heutigen Abzweigs der „W-Straße“. Von dem Endpunkt in der „Hohendorfer Straße“ habe die Klägerin mit dem früheren Flurstück 137 angeschlossen werden können. Von der „W-Straße“ aus seien zwei Grundstücksanschlüsse vom Flurstück 412/48 bereits im Jahre 2003 hergestellt worden. Darüber hinaus habe wegen der Eigentümeridentität auch für das aus den Flurstücken 10078, 10079, 10080 und 10081 bestehende bürgerlich-rechtliche Grundstück und für das aus den Flurstücken 10082 und 10083 bestehende bürgerlich-rechtliche Grundstück die tatsächlich und rechtlich gesicherte Inanspruchnahmemöglichkeit zur „W-Straße“ bestanden, da die Klägerin es allein in der Hand gehabt habe, ihre Anschlussrechte für das Flurstück 10085 wahrzunehmen. Dieser Anschluss wäre mit verhältnismäßig geringen Kosten möglich gewesen.

61

Die Widmung der Straßen im Industriepark West als öffentliche Straßen sei mit Eintritt der Bestandskraft der ortsüblichen Bekanntgabe am 10. Oktober 2003 erfolgt. Die „Hohendorfer Straße“ habe zunächst aus dem östlich des Flurstücks 38/1 verlaufenden Straßenteil bestanden, der seit Oktober 2003 straßenrechtlich öffentlich sei. Die auf dem Flurstück 38/1 verlaufende Teillänge der „Hohendorfer Straße“ sei u.a. einschließlich der Einrichtungen zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung in der Zeit von Mai 2005 bis Juni 2006 endgültig hergestellt worden. Gewidmet worden sei diese Teillänge durch die nach dem 26. März 2007 bestandskräftig gewordene Widmungsverfügung. Da bereits Ende 1999 die Anschlussmöglichkeit gesichert gewesen sei, komme es auf die Verlegung der Einrichtung in der Verlängerung der „Hohendorfer Straße“ nicht an.

62

Die von der Klägerin geltend gemachten Gegenforderungen seien von ihr bestritten worden und würden weiterhin bestritten.

63

In ihrem Amtsblatt vom 10. Juni 2012 hat die Beklagte eine Abwasserabgabensatzung vom 30. Mai 2012 bekannt gemacht, die am Tag nach ihrer Bekanntmachung in Kraft treten sollte.

64

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten - jeweils dieses Verfahrens und des Streitverfahrens 4 L 160/09 - Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

65

Das Verfahren ist zunächst einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache auf Grund des Billigkeitsbescheides vom 7. Juni 2010 übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Dies betrifft zum einen auf Grund des in dem Billigkeitsbescheid vorgenommenen Erlasses die Festsetzung von Beiträgen in Höhe von 173.457,40 € für das (ehemalige) Flurstück 137, in Höhe von 4.414,- € für das Flurstück 38/1 und in Höhe von 677,27 € für das (ehemalige) Flurstück 414/48. Zum anderen ist der Rechtsstreit auch für erledigt erklärt worden, soweit in dem Billigkeitsbescheid für verschiedene Beitragsforderungen der Fälligkeitszeitraum nachträglich verringert worden ist. Auch wenn sich die Erledigungserklärungen teilweise nach ihrem Wortlaut nur auf die erlassenen Beiträge bezogen haben, ergab sich doch aus den Gesamtumständen, dass die Beteiligten der Erledigungswirkung des Billigkeitsbescheides Rechnung tragen wollten.

66

Die Berufung ist weiterhin ausweislich ihrer Begründung dahingehend auszulegen (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO), dass sie sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts richtet, soweit darin die Klage als unbegründet abgewiesen worden ist. Soweit in dem Urteil die Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen worden ist, weil die Klägerin nicht auf die teilweise Bescheidaufhebung durch den Schriftsatz der Beklagten vom 28. Januar 2009 reagiert habe, ist damit das Urteil und insbesondere die damit verbundene Kostenentscheidung nicht Gegenstand der Berufung.

67

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

68

Der Heranziehungs- und Festsetzungsbescheid vom 14. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 23. Januar 2004, ihres Schriftsatzes vom 13. April 2004 und ihres Bescheides vom 27. September 2004 sowie der Schriftsätze der Beklagten vom 3. November 2008 und 28. Januar 2009 und ihres Bescheides vom 7. Juni 2010 ist - soweit er im Berufungsverfahren noch streitbefangen ist - rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

69

1. Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) der Klägerin ist zulässig.

70

Die Klage hat insbesondere den richtigen Verwaltungsakt zum Klagegegenstand gemacht. Nach Erlass des Ausgangsbescheides vom 14. August 2002 und des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2004 sowie einer Berichtigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG LSA i.V.m. § 129 AO in einem Schriftsatz vom 13. April 2004 hat die Beklagte einen „geänderten Widerspruchsbescheid“ vom 27. September 2004 erlassen. Es handelte sich dabei nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont trotz der missverständlichen Bezeichnung nicht um die Ersetzung, sondern die Abänderung (vgl. dazu auch Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 1375 m.w.N., Rdnr. 1510) des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2004. Wie sich aus der mehrfachen Bezugnahme auf den Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts in der Einleitung und der Begründung des Bescheides vom 27. September 2004 ergibt, trug die Beklagte mit diesem Bescheid lediglich der Beanstandung der Veranlagung mehrerer selbständiger Grundstücke als ein Grundstück Rechnung. Der Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2004 sollte nach der Nr. 1 des Tenors des Bescheides vom 27. September 2004 ausdrücklich „in den übrigen Punkten unberührt“, d.h. bestehen, bleiben. Auch wenn Beiträge und Leistungsgebot neu festgesetzt worden sind, entfaltete danach zumindest die Aufhebung der gewährten Aussetzung der Vollziehung (Nr. 2 des Tenors des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2004) weiter eine Regelungswirkung. Daneben sollte ersichtlich ansonsten die in dem Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2004 enthaltene Begründung für die Zurückweisung des Widerspruchs fortgelten. Eine zumindest der Sache nach vollständige Ersetzung (vgl. dazu OVG Sachsen, Beschl. v. 10. Februar 2012 - 5 A 12/09 -; OVG Thüringen, Beschl. v. 9. November 2011 - 4 EO 39/11 -, m.w.N. jeweils zit. nach JURIS) des Ausgangsbescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2004 liegt im Gegensatz zur Auffassung des Verwaltungsgerichts danach ebenfalls nicht vor. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 27. September 2004, in der auf die Klagemöglichkeit verwiesen wird, ist für die Unterscheidung zwischen Ersetzung und Abänderung von vornherein nicht maßgeblich, weil in beiden Fällen eine Anfechtungsklage zumindest statthaft wäre. Es macht auch keinen Unterschied, dass nur der Widerspruchsbescheid und nicht ausdrücklich der Ausgangsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides abgeändert worden ist (vgl. auch OVG Niedersachsen, Urt. v. 12. Dezember 1989 - 9 A 62/88 -, NVwZ 1990, 590). Denn Ausgangs- und Widerspruchsbehörde sind vorliegend identisch und der Widerspruchsbescheid gab gem. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO dem Ausgangsbescheid seine endgültige Gestalt. Dass in dem Bescheid vom 27. September 2004 der Ausgangsbescheid „im Übrigen“ aufgehoben worden ist, sollte daher auch lediglich klarstellen, dass die dem Bescheid vom 27. September 2004 entgegenstehenden Regelungsbestandteile des Ausgangsbescheides keine Rechtswirkung mehr entfalten sollten.

71

Durch die im Klageverfahren vorgelegten Schriftsätze der Beklagten vom 3. November 2008 und 28. Januar 2009 erfolgte ausdrücklich eine weitere Abänderung durch teilweise Aufhebung der Beitragsfestsetzungen. Schließlich wurde durch den Billigkeitsbescheid vom 7. Juni 2010 der Fälligkeitszeitpunkt für bestimmte Grundstücke und Teilflächen abweichend von der bisherigen Zahlungsanforderung auf den 30. Juni 2010 festgesetzt und damit eine teilweise Aufhebung des Bescheides vorgenommen.

72

Die im Klageverfahren erfolgte Einbeziehung des Schriftsatzes vom 3. November 2008 und die erst im Berufungsverfahren erfolgte Einbeziehung des Schriftsatzes vom 28. Januar 2009 und des Billigkeitsbescheides vom 7. Juni 2010 waren jeweils nach § 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Klagebeschränkungen. Soweit die Klägerin erst im Berufungsverfahren den Ausgangsbescheid vom 14. August 2002, die Berichtigung in dem Schriftsatz vom 13. April 2004 sowie den Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2004 in ihren Klageantrag einbezogen hat, stellte dies eine nach § 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Klageerweiterung dar.

73

2. Die Klage ist auch begründet.

74

Als erste wirksame Beitragssatzung kommt allein die im Juni 2012 in Kraft getretene Abwasserabgabensatzung der Beklagten vom 30. Mai 2012 - AAS 2012 - in Betracht (a). Deshalb kann die sachliche Beitragspflicht - bei unterstellter Wirksamkeit dieser Satzung - jeweils erst im Juni 2012 entstanden sein und die Klägerin für die zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr) in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke nicht herangezogen werden (b). Die zu diesem Zeitpunkt in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke werden in dem streitbefangenen Beitragsbescheid nicht hinreichend benannt (c). Ob sonstige Einwendungen der Klägerin gegen die Beitragserhebung durchgreifen, muss danach nicht abschließend entschieden werden (d).

75

a) (1) Die vor der Abwasserabgabensatzung in der Fassung der 3. Änderungssatzung vom 14. Dezember 2006 erlassenen Abwasserabgabensatzungen der Beklagten waren sämtlich wegen Unvollständigkeit des jeweiligen Verteilungsmaßstabs zumindest in ihrem Beitragsteil nichtig. Grundsätzlich muss im Anschlussbeitragsrecht der Verteilungsmaßstab alle im Versorgungsgebiet in Betracht kommenden Anwendungsfälle regeln (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 30. Juni 2004 - 4 K 34/02 -; OVG Thüringen, Urt. v. 21. Juni 2006 - 4 N 574/98 -; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 12. August 2003 - 9 LA 36/03 -; OVG Sachsen, Urt. v. 29. November 2001 - 5 D 25/00 -; jeweils zit. nach JURIS; BVerwG, Urt. v. 19. August 1994 - 8 C 23/92 -, zit. nach JURIS zum Erschließungsbeitragsrecht). Inwieweit auf eine Maßstabsregelung ausnahmsweise verzichtet werden kann, weil Anwendungsfälle tatsächlich nicht entstehen und auch nicht entstehen werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27. Juni 2012 - OVG 9 B 20.11 -; jeweils zit. nach JURIS) oder die Unvollständigkeit ohne Auswirkung auf die im Beitragssatz zum Ausdruck kommende vorteilsgerechte Verteilung des Aufwandes bleibt (vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 15. Dezember 2011 - 9 A 272/10 -, zit. nach JURIS; Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 2200 m.w.N.) bzw. nur wenige atypische Fälle nicht geregelt werden (vgl. VGH Hessen, Urt. v. 17. März 1994 - 5 UE 2001/91 -, zit. nach JURIS; Rosenzweig/Freese, KAG Nds, § 6 Rdnr. 192), muss dabei angesichts des Umfanges der vorliegend jeweils nicht geregelten Anwendungsfälle nicht abschließend entschieden werden.

76

Die Abwasserabgabensatzung vom 27. Januar 1994 enthielt schon keine ausdrückliche Regelung zu Grundstücken im Außenbereich, sondern nur eine einheitliche Bestimmung bei Nichtbestehen eines Bebauungsplans. In der Abwasserabgabensatzung vom 3. April 1997 waren - auch in der Gestalt der Änderungssatzung vom 26. März 1998 - keine Regelungen für Grundstücke enthalten, die vom Innen- in den Außenbereich übergehen. In den Abwasserabgabensatzungen vom 27. Februar 2001 und vom 20. Juni 2002 fehlten Regelungen zur Zahl der Vollgeschosse bei Außenbereichsgrundstücken. Die Bestimmungen in § 4 Abs. 3 Buchst. d dieser Satzungen bezogen sich ersichtlich nur auf Innenbereichsgrundstücke. Zudem wäre es bei bebauten Außenbereichsgrundstücken nicht erlaubt, auf die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse der Baulichkeiten auf einem Grundstück abzustellen, da es nur auf die angeschlossenen Baulichkeiten des Grundstücks ankommt.

77

(2) Die Abwasserabgabensatzung in der Fassung der 3. Änderungssatzung vom 14. Dezember 2006, die rückwirkend zum 1. Januar 2006 in Kraft treten sollte, ist nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden, da in dem veröffentlichten Satzungstext das Datum der bei der Ausfertigung geleisteten Unterschrift des zuständigen Amtsträgers fehlt und die Veröffentlichung des Datums auch nicht nachgeholt worden ist.

78

§ 6 Abs. 2 Satz 2 GO LSA bestimmt, dass Satzungen von dem Bürgermeister zu unterzeichnen und bekanntzumachen sind. Die Angabe des Datums der Unterschriftsleistung ist für die Wirksamkeit der Ausfertigung zwingend notwendig, weil nur so die Einhaltung der notwendigen zeitlichen Reihenfolge von Normerlass, Ausfertigung und Bekanntmachung gewährleistet werden kann (vgl. OVG Sachsen, Urt. v. 23. Oktober 2000 - 1 D 33/00 -, NVwZ-RR 2001, 426; OVG Niedersachsen, Urt. v. 5. September 2007 - 1 KN 204/05 -; zit. nach JURIS m.w.N.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. A., Rdnr. 279; Lübking/Beck, GO LSA, § 6 Rdnr. 40; Ziegler, DVBl. 1987, 280, 283; a.M.: Wiegand, Kommunalverfassungsrecht Sachsen-Anhalt, § 6 GO LSA, Nr. 7, S. 9). Da mit der Ausfertigung bezeugt wird, dass der Inhalt der Urkunde mit dem Beschluss des zuständigen Organs übereinstimmt, ist es weiterhin nicht nur unverzichtbar, dass die Unterschrift als nach der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt notwendiges Element des Rechtsetzungsverfahrens mit der Satzung veröffentlicht wird (so schon OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 24. November 2010 - 4 K 368/08 -, zit. nach JURIS), sondern auch das Datum der Unterschriftsleistung. Die Veröffentlichung der Ausfertigung bzw. des Ausfertigungsvermerks dient der Sicherung des Rechtsetzungsverfahrens, insbesondere der Gewährleistung der Übereinstimmung von Urkundeninhalt und Beschlussinhalt, und erfüllt darüber hinaus auch die Verlautbarungsfunktion der Bekanntmachung, die zum Ausdruck bringen muss, dass Gegenstand der Publikation eine Rechtsnorm ist, und als amtliche Verlautbarung im Sinne eines zum Rechtsetzungsverfahren gehörigen Formalakts erkennbar sein muss. Unterbleibt diese Veröffentlichung gemeinsam mit der Satzung, ist dies nur dann unbeachtlich, wenn die Satzung bei der Bekanntmachung tatsächlich ausgefertigt war und die Ausfertigung der Satzung in der üblichen Form jedenfalls nachträglich bestätigt wird.

79

(3) Durchgreifende Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der im Amtsblatt der Beklagten vom 10. Juni 2012 (einem Sonntag) veröffentlichten Abwasserabgabensatzung vom 30. Mai 2012, insbesondere gegen die ordnungsgemäße Ausfertigung und Bekanntmachung dieser Satzung sind weder substanziiert geltend gemacht noch ersichtlich. Ein Bekanntmachungsnachweis für diese Satzung liegt vor. Der von der Klägerin gegen die Satzung vom 14. Dezember 2006 erhobene Einwand, eine ortsübliche Bekanntmachung einer Satzung in einem an einem Sonntag erscheinenden Amtsblatt sei nicht zulässig, verfängt nicht. Es gibt keinerlei rechtliche Begründung dafür, dass ein Amtsblatt nicht an einem Sonntag erscheinen darf.

80

Auch materiell-rechtliche Fehler der Satzung sind bislang nicht vorgetragen. Dass in der Satzung eine Regelung nach § 10 Abs. 1 KAG LSA für die Ermächtigung Dritter (vgl. dazu Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 2248; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 20. August 2009 - 4 L 173/07 -, zit. nach JURIS) fehlt, stellt keinen Mangel der Satzung dar, sondern führt allenfalls zur Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides, falls ein Dritter bei der Beitragserhebung eingeschaltet worden ist.

81

Soweit die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 7. September 2012 anscheinend geltend macht, sie habe erst nachträglich von der Bekanntmachung dieser Satzung erfahren, und um eine „auskömmliche Prüfungs- und Erklärungsfrist von 8 Wochen“ bittet, war dem nicht nachzukommen. Es erscheint schon eher fernliegend, dass ein mit der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken im Gemeindegebiet befasstes Unternehmen nicht über die Veröffentlichung einer neuen Abwasserabgabensatzung dieser Gemeinde informiert sein soll. Auch obliegt es der Klägerin selbst, sich die vom Prozessgegner benannten Gerichtsurteile zu beschaffen. Jedenfalls aber kommt es die Wirksamkeit der Abwasserabgabensatzung der Beklagten vom 30. Mai 2012 nicht entscheidungserheblich an.

82

b) Denn die sachliche Beitragspflicht kann danach (frühestens) auf Grund dieser Abwasserabgabensatzung entstanden sein.

83

Werden in satzungsloser Zeit oder unter Geltung einer formell oder materiell unwirksamen Satzung die Anschlussvoraussetzungen für Grundstücke geschaffen, so entsteht für diese Grundstücke die sachliche Beitragspflicht erst mit Inkrafttreten der ersten - wirksamen - Abgabensatzung (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 30. Mai 2012, a.a.O. m.w.N.; Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 2202 m.w.N.). Eine solche nachträglich erlassene Beitragssatzung kann auch dann als Rechtsgrundlage für einen vorher erlassenen Beitragsbescheid dienen, wenn sie sich keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe oder der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides beimisst. Eine auf Grund fehlender Satzungsgrundlage bestehende Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides wird durch die neue Satzung ex nunc geheilt; der Betroffene ist prozessrechtlich dadurch geschützt, dass er das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklären kann (vgl. Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 173 m.w.N.).

84

Ohne Erfolg macht die Klägerin daher geltend, eine ohne Rückwirkung erlassene Satzung könne nicht als Rechtsgrundlage für einen vorher erlassenen Beitragsbescheid dienen. Ebenfalls von vornherein nicht begründet ist ihr Vorbringen, die Festsetzungsverjährungsfrist des § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. §§ 169 ff. AO sei abgelaufen. Dabei verkennt sie, dass die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Jahres zu laufen beginnt, in dem die Abgabe entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO).

85

Da die sachliche Beitragspflicht erstmalig im Juni 2012 entstanden sein konnte, waren nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden Grundbuchsituation allenfalls die noch im Eigentum der Klägerin befindlichen Flurstücke 10192, 10199 und 10203 beitragspflichtig, bei denen es sich jeweils um eigene Grundstücke handelt bzw. gehandelt hat. Die in der mit der Berufungserwiderung vorgelegten Aufstellung zusätzlich genannten Flurstücke 10202, 10197 und 10198 standen seit der am 5. April 2012 im Grundbuch erfolgten Eintragung im Eigentum der (...) C. GmbH.

86

Soweit in dem streitbefangenen Bescheid Grundstücke herangezogen werden, die im Juni 2012 im Eigentum von Dritten standen, ist der Bescheid schon deshalb rechtswidrig. Auch wenn § 6 Abs. 8 KAG LSA für die Entstehung der persönlichen Beitragspflicht auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides abstellt, kann die persönliche Beitragspflicht nicht vor der sachlichen Beitragspflicht entstehen. Entstehen die sachlichen Beitragspflichten (ausnahmsweise) erst nach der Bekanntgabe des Bescheides, ist zwar grundsätzlich derjenige persönlich beitragspflichtig, dem der Bescheid bereits bekannt gegeben worden ist. Dies gilt allerdings nur, sofern er im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten noch Eigentümer bzw. Erbbau- oder Nutzungsberechtigter ist (so OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 30. Mai 2012 - 4 L 226/11 -; Beschl. v. 5. November 2009 - 4 M 94/09 - jeweils zit. nach JURIS).

87

c) Einem Entstehen der persönlichen Beitragspflicht und damit der Heranziehung der Flurstücke 10192, 10199 und 10203 steht entgegen, dass sie in dem streitbefangenen Bescheid nicht mit ihrer jeweiligen Flurstücksbezeichnung benannt werden.

88

Für eine Heilung eines Beitragsbescheids durch eine die sachliche Beitragspflicht an sich erst herbeiführende Beitragssatzung ist kein Raum, wenn das in diesem Bescheid benannte Grundstück vor Inkrafttreten der Satzung durch Vereinigung mit anderen Grundstücken bzw. Aufteilung in neue Grundstücke seine rechtliche Existenz verloren hat (so auch VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 9. April 1992 - 2 S 1958/90 -, zit. nach JURIS zum Erschließungsbeitragsrecht). Insoweit besteht eine Vergleichbarkeit mit dem erstmaligen Erlass eines Beitragsbescheides. Dass einer später wirksam gewordenen Beitragssatzung eine Heilungswirkung für einen vorher erlassenen Beitragsbescheid zugebilligt wird, beruht vor allem darauf, dass dieser Bescheid bei einer Aufhebung mit demselben Inhalt sofort wieder erlassen werden müsste (vgl. BVerwG, Urt. v. 27. April 1990 - 8 C 87/88 -, zit. nach JURIS). Dies ist hier gerade nicht der Fall. Weiterhin zwingt die Tatsache, dass ab Entstehen der sachlichen Beitragspflicht die öffentliche Last (§ 6 Abs. 9 KAG LSA) auf dem (Buch)Grundstück ruht, zu einer formalen Auslegung hinsichtlich der Benennung der von der Beitragspflicht erfassten Grundstücke.

89

Die im Juni 2012 bestehenden Buchgrundstücke der Klägerin waren auf Grund der abweichenden Flurstücksbezeichnungen nicht Gegenstand des streitbefangenen Beitragsbescheides, auch nicht in Gestalt der vorgenommenen Änderungen. Der Beitragsbescheid bezieht sich allein auf Grundstücke, die entweder nicht mehr im Eigentum der Klägerin stehen oder durch Trennungen rechtlich untergegangen sind. Auch können die Flächen der untergegangenen Grundstücke nicht auf die Flächen der neu gebildeten Grundstücke der Klägerin reduziert werden. Denn Gegenstand der Beitragserhebung ist das Grundstück im grundbuchrechtlichen Sinn. Eine Auslegung des angefochtenen Bescheides dahingehend, dass sich die Veranlagung der untergegangenen Grundstücke auf inzwischen neu gebildete Grundstücke beziehen soll, wäre mit dem Bestimmtheitserfordernis des § 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG LSA i.V.m. § 119 Abs. 1 AO nicht vereinbar. Dieses Erfordernis setzt voraus, dass ein Beitragsbescheid in seinem verfügenden Teil, d.h. dem Entscheidungssatz oder Spruch, dem die Regelungswirkung zukommt, hinreichend deutlich erkennen lässt, von wem was für welche Maßnahme und für welches Grundstück gefordert wird (vgl. auch § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO). Den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots ist genügt, wenn der Betroffene aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, aus der von dem Beklagten gegebenen Begründung oder aus den ihm bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer am Grundsatz von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit über den Inhalt des Spruchs gewinnen kann (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 26. Oktober 2010 - 4 L 55/09 - und v. 13. Oktober 2008 - 4 L 408/06 -, m.w.N.; Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 76, Rdnr. 1505). Danach muss der Beitragsbescheid das der sachlichen Beitragspflicht unterliegende (Buch-)Grundstück, für das der Beitrag festgesetzt wird, auch konkret benennen. Die bloße Erwähnung der zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht noch existenten Grundstücke der Klägerin in dem Billigkeitsbescheid vom 7. Juni 2010 oder in Berufungsschriftsätzen der Beklagten ist nicht ausreichend,

90

d) Zu den sonstigen Einwendungen der Klägerin weist der Senat - ohne insoweit eine abschließende Prüfung vorgenommen zu haben - auf folgendes hin:

91

Auf den von der Klägerin behaupteten Eigentumsübergang der Flurstücke 48/5 und 48/7 schon vor dem 1. Januar 2006 - dem die Beklagte allerdings substanziiert widersprochen hat - kommt es auf Grund der Nichtigkeit der Satzung vom 14. Dezember 2006 ebenso wenig an wie auf ihren Vortrag, die Beklagte habe mit einem notariellen Vertrag einer Übernahme öffentlicher Lasten schon ab Besitzübergang zugestimmt.

92

Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob die Rückwirkungsanordnung in dieser Satzung fehlerhaft ist. Allerdings liegt nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats zum Anschlussbeitragsrecht ein Verstoß gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte nach § 2 Abs. 2 Satz 1 KAG LSA oder gegen § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA nicht vor, wenn die Beitragssatzung mit ihrer Rückwirkungsanordnung Zeiträume erfasst, in denen nichtige Beitragssatzungen eigentlich gelten sollten. Einer Rückwirkung steht auch nicht entgegen, dass zwischen der Bekanntgabe des Beitragsbescheides und dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht durch die rückwirkend in Kraft getretene Satzung Eigentumsveränderungen stattfanden. Dabei handelt es sich - wie oben dargelegt - um Fragen der persönlichen Beitragspflicht nach § 6 Abs. 8 KAG LSA.

93

Soweit streitig ist, ob die herangezogenen Grundstücke im Innenbereich oder (teilweise) im Außenbereich liegen, spricht Überwiegendes dafür, dass eine Innenbereichsabgrenzung durch eine nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB erlassene Satzung der Gemeinde für das Gericht bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Anschlussbeitrags maßgeblich und verbindlich ist (VG Cottbus, Urt. v. 19. Mai 2011 - 6 K 198/08 -, zit. nach JURIS m.w.N.; vgl. auch Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 1031, 1465; a.M.: OVG Sachsen, Beschl. v. 2. März 2010 - 5 D 149/09 -; VG Dessau, Urt. v. 28. April 2006 - 1 A 466/05 -, jeweils zit. nach JURIS; Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 550). Denn für die Beitragserhebung ist grundsätzlich von der Rechtsverbindlichkeit bauplanerischer Satzungen auszugehen, solange diese nicht aufgehoben oder durch (allgemein-)verbindlichen Ausspruch in einer gerichtlichen Entscheidung, ggf. in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO für nichtig bzw. unwirksam erklärt worden sind (so OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 13. September 2011 - 4 L 196/10 -, zit. nach JURIS zu einem Bebauungsplan; vgl. auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 29. Juni 2005 - 1 L 411/04 -). Zwar ist die Gemeinde bei der Aufstellung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB an die Grenzen des tatsächlich vorhandenen Innenbereichs gebunden; sie ist nicht ermächtigt, planerisch über die Zugehörigkeit von Flächen zum Innenbereich zu entscheiden. In diesem Sinne hat eine Klarstellungssatzung lediglich deklaratorische Wirkung (so BVerwG, Urt. v. 22. September 2010 - 4 CN 2/10 -, zit. nach JURIS). Entscheidend im Rahmen der Prüfung einer beitragsrechtlichen Vorteilslage dürfte aber sein, dass der Klarstellungssatzung gegenüber öffentlichen Planungsträgern und sonstigen öffentlichen Stellen - ähnlich dem § 7 BauGB - Bindungswirkung zukommt. Insbesondere ist die Baugenehmigungsbehörde an die Festlegung der Grenzen gebunden (so OVG Sachsen, Urt. v. 23. Oktober 2000 - 1 D 33/00 -, zit. nach JURIS; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 34 Rdnr. 99; Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 414). Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung anscheinend die Rechtsauffassung vertreten hat, die Klägerin könne im beitragsrechtlichen Verfahren mit Erfolg die Innenbereichslage ihrer Grundstücke negieren und gleichzeitig im bau(planungs)rechtlichen Verfahren einen Anspruch auf Bebauung dieser Grundstücke auf der Grundlage einer Innenbereichssatzung durchsetzen, trifft dies nicht zu.

94

Falls Grundstücke nur teilweise von der Geltungswirkung einer Innenbereichssatzung erfasst werden, dürfte allerdings nach den Vorgaben der Beitragssatzung vom 30. Mai 2012 von vornherein nur die von der Innenbereichssatzung erfasste Fläche herangezogen werden dürfen. Denn nach § 4 Abs. 3 Buchst. Nr. 3 AAS 2012 gilt bei Grundstücken, die im Bereich einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB liegen sowie bei Grundstücken, die über die Grenzen einer solchen Satzung hinausreichen, - sofern sie nicht unter Nr. 6 oder Nr. 7 fallen - die Fläche im Satzungsbereich, wenn diese baulich oder gewerblich genutzt werden kann. Damit dürfte eine Anwendbarkeit des § 4 Abs. 3 Nr. 4 Buchst. a AAS 2012 auf die Grundstücksteile, die nicht von der Innenbereichssatzung erfasst werden, ausgeschlossen sein.

95

Sollte es darauf ankommen, wo die Grenze eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB und damit die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht verläuft, lässt sich dies nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des erkennenden Senats nicht unter Anwendung von geographisch-mathematischen Maßstäben bestimmen, sondern bedarf einer Beurteilung aufgrund einer „echten Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts". Bei dieser Wertung und Bewertung kann nur eine komplexe, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigende Betrachtungsweise im Einzelfall zu einer sachgerechten Entscheidung führen. Grundlage und Ausgangspunkt dieser bewertenden Beurteilung sind die tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten, also insbesondere die vorhandenen baulichen Anlagen, sowie darüber hinaus auch andere topographische Verhältnisse und Straßen. Zu berücksichtigen sind indes nur äußerlich erkennbare Umstände, d.h. mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse. Die Anwendbarkeit des § 34 BauGB setzt danach eine bestehende aufeinander folgende Bebauung voraus (Bebauungszusammenhang), die einen „Ortsteil“ bildet. Ortsteil in diesem Sinne ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Dabei erfordert das Merkmal der organischen Siedlungsstruktur nicht, dass es sich um eine nach Art und Zweckbestimmung einheitliche Bebauung handelt. Auch eine unterschiedliche, unter Umständen sogar eine in ihrer Art und Zweckbestimmung gegensätzliche Bebauung kann einen Ortsteil bilden. Ebenso wenig kommt es auf die Entstehungsweise der vorhandenen Bebauung oder darauf an, dass die Bebauung einem bestimmten städtebaulichen Ordnungsbild entspricht (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27. April 2011 - 4 M 43/11 - und v. 19. Dezember 2011 - 4 L 75/11 -, jeweils zit. nach JURIS m.w.N.). Danach unterbricht ein tatsächlich bebautes Grundstück grundsätzlich nicht den Bebauungszusammenhang. Insoweit kann auch eine aufgegebene oder dem Verfall preisgegebene Bebauung eine fortdauernd prägende Wirkung entfalten. Unter den Begriff „Bebauung“ fallen allerdings auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur Bauwerke, die maßstabsbildend, also optisch wahrnehmbar und nach Art und Gewicht geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten städtebaulichen Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen zu dienen bestimmt sind. Eine ursprünglich vorhandene Prägung der näheren Umgebung kann zwar auch noch für eine gewisse Zeit nach Aufgabe einer Nutzung nachwirken. Eine tatsächlich beendete bauliche Nutzung verliert indes ihre maßstabsbildende Wirkung, wenn sie endgültig aufgegeben worden ist und nach der Verkehrsauffassung mit ihr nicht mehr gerechnet werden kann (so OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27. April 2011 - 4 M 43/11 -, zit. nach JURIS m.w.N.).

96

Ein Vorteil i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 5. Mai 2011 - 4 L 175/09 -, zit. nach JURIS m.w.N.; Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 2152) entsteht nur bei baulich oder zumindest abwasserrechtlich vergleichbar nutzbaren Grundstücken. Dementsprechend macht § 3 Abs. 1 Nr. 2 AAS 2012 bei Grundstücken, für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung nicht festgesetzt ist, die Beitragspflicht davon abhängig, ob sie nach der Verkehrsauffassung Bauland sind und nach der geordneten baulichen Entwicklung in der Stadt zur Bebauung oder gewerblichen Nutzung anstehen und es gilt gem. § 4 Abs. 3 Nr. 3 AAS 2012 bei der Flächenermittlung von Grundstücken im Bereich von § 34 BauGB-Satzungen eine Einschränkung hinsichtlich ihrer baulichen oder gewerblichen Nutzbarkeit.

97

Die Vorteilslage besteht nicht oder nicht in vollem Umfang, wenn die Bebaubarkeit bzw. Nutzbarkeit eines Grundstücks durch darauf lagernde Altlasten (wie hier durch Munition, Munitionsteile und andere chemische Stoffe) im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht vollständig ausgeschlossen ist. Dies ist voraussichtlich erst dann der Fall, wenn auch eine Räumung bzw. Sanierung des Grundstücks tatsächlich nicht möglich oder aus wirtschaftlichen Gründen objektiv nicht vertretbar ist. Dann ist es sog. Unland gleichzusetzen, zu dem gem. § 45 Abs. 1 BewG die Betriebsflächen von land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen gehören, die auch bei geordneter Wirtschaftsweise keinen Ertrag abwerfen können. Die Eintragung im Altlastenregister an sich bzw. die fehlende Entlassung der Klägerin aus der Störerverantwortlichkeit führt danach allerdings noch nicht zu einer fehlenden Vorteilslage, weil eine Sanierbarkeit gegeben sein könnte. Die Sanierungspflichten des Eigentümers nach § 4 Abs. 3 BBodSchG wiederum sind allein nicht ausreichend, eine Vorteilslage anzunehmen. Denn diese Pflichten sollen nach der Regelung lediglich Gefahren, Nachteile oder Belästigungen für Einzelne oder die Allgemeinheit ausschließen (Satz 1) und es wird ausdrücklich auf den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit abgestellt (Satz 3).

98

Es spricht Überwiegendes dafür, dass im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Beklagten nicht die Gesamtfläche eines Grundstücks durch Kontamination einer beitragsrechtlich relevanten Nutzbarkeit entzogen sein muss, um von einer fehlenden Bevorteilung auszugehen. Selbst wenn nur Teilflächen dieses Grundstücks derart betroffen sind, dürfte ein Vorteil für diese Teilflächen nicht gegeben sein. Dass bau(planungs)rechtlich nicht immer die gesamte Grundstücksfläche nutzbar ist, dürfte bei der Betroffenheit durch Altlasten weder dazu führen, dass diese Einschränkungen erst im Rahmen von Billigkeitsentscheidungen zu berücksichtigen sind, noch, dass hinsichtlich derart betroffener Flächen eine Gleichbehandlung mit den einen Verminderungszwang auslösenden öffentlich-rechtlichen Baubeschränkungen (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 10. März 2006 - 4 L 250/05 -, zit. nach JURIS; Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 2178, 2181) vorzunehmen ist (a.M.: VGH Hessen, Urt. v. 17. Dezember 2003 - 5 UE 1734/02 -, zit. nach JURIS). Abgesehen davon, dass bei Anwendung des § 4 Abs. 3 Nr. 3 AAS 2012 schon auf Grund der ausdrücklichen Anordnung zur baulichen oder gewerblichen Nutzbarkeit der heranzuziehenden Grundstücksfläche eine solche Nutzbarkeit Voraussetzung für die Grundstücksflächenermittlung ist, besteht zwischen öffentlich-rechtlichen Baubeschränkungen und dem Ausschluss jeglicher Nutzbarkeit durch Altlasten ein substanzieller und auch rechtlich erheblicher Unterschied (vgl. auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 9. August 2006 - 4 L 255/06 -, zit. nach JURIS).

99

Die Ermittlung derart unsanierbarer Grundstücksflächen obliegt nach dem im Abgabenrecht geltenden Untersuchungsgrundsatz (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KAG LSA i.V.m. § 88 AO) der Behörde, die nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KAG LSA i.V.m. § 99 AO dazu Betretungsrechte hat. Sie kann dazu auch sachverständige Aussagen anderer Behörden, etwa der Landesanstalt für Altlastenfreistellung, verwenden. Jedoch hat der Grundstückseigentümer nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KAG LSA i.V.m. § 90 Abs. 1 AO umfassende Mitwirkungspflichten bei der Ermittlung von Art und Umfang der Kontaminierungen. Die pauschalen Behauptungen der Klägerin zu den bestehenden Altlasten ohne eine nähere Substanziierung wären daher keinesfalls ausreichend. Dies gilt umso mehr, weil die Klägerin einen Großteil der streitbefangenen Flächen zum Verkauf anbietet oder angeboten hat bzw. solche Flächen tatsächlich verkauft worden sind und schon deshalb zumindest eine erhebliche Indizwirkung dafür besteht, dass es sich dabei um baulich nutzbare Flächen handelt bzw. eine Sanierung wirtschaftlich vertretbar ist. Auf das Vorbringen der Klägerin, es seien auf jedem einzelnen der streitgegenständlichen Grundstücke selbständig baulich nutzbare, von Altlasten unbelastete oder nur unwesentlich unterhalb der Gefahrenschwelle belastete Grundflächen nicht vorhanden, kommt es schon deshalb nicht an, weil auch sanierungsfähige Flächen aus der Anschlussmöglichkeit einen wirtschaftlichen Vorteil ziehen können. Es kann daher offen bleiben, ob diese Behauptung zudem nicht schon durch ihren sonstigen Vortrag und die dargestellten tatsächlichen Umstände zu dem Verkauf von Teilflächen widerlegt wird.

100

Zur Entstehung der sachlichen Beitragspflicht muss - falls das herangezogene Grundstück nicht schon tatsächlich an die zentrale Abwasserentsorgungseinrichtung angeschlossen ist - jedenfalls die gesicherte Möglichkeit der Anschlussnahme an die Einrichtung gegeben sein. In diesem Zusammenhang ist die Regelung des § 6 Abs. 1 AAS 2012, wonach die Beitragspflicht mit der betriebsfertigen Herstellung der zentralen öffentlichen Schmutzwasseranlage für das zu entwässernde Grundstück entsteht, dahingehend auszulegen, dass dazu die betriebsfertige Herstellung des Hauptsammlers vor dem zu entwässernden Grundstück ausreicht. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ist diese Regelung nicht zu unbestimmt. Die betriebsfertige Herstellung i.S.d. § 6 Abs. 1 AAS 2012 umfasst weiterhin nicht die Herstellung des Grundstücksanschlusses. Zwar gehören nach § 2 Abs. 8 Buchst. a Satz 2 der Abwassersatzung der Beklagten in der Fassung der 4. Novellierung vom 20. Juni 2002 in der Gestalt der 2. Änderungssatzung vom 10. März 2005 - AbwS - zur öffentlichen Einrichtung der zentralen Abwasseranlage auch die Grundstücksanschlüsse. Bei einer Erhebung von gesonderten Kosten für die Grundstücksanschlüsse, wie sie in den §§ 17 ff. AAS 2012 vorgesehen ist, genügt es für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht, dass der Hauptsammler betriebsfertig hergestellt ist. Die in § 8 Satz 2 KAG LSA ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit, für die Herstellung von Grundstücksanschlüssen auch dann Kostenerstattungen nach § 8 Satz 1 KAG LSA geltend zu machen, wenn der Grundstücksanschluss durch Satzung zum Bestandteil der öffentlichen Einrichtung bestimmt wurde, bewirkt eine Aufwandspaltung (so OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 8. September 2006 - 4 M 44/06 -, zit. nach JURIS; Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 1068, Rdnr. 2204). Daher ist es auch unbeachtlich, dass die Herstellung der Grundstücksanschlüsse als Teil der öffentlichen Einrichtung gem. § 11 Abs. 3 AbwS der (...) GmbH oder einem von ihr beauftragten Unternehmen obliegt.

101

Soweit die Klägerin unter Hinweis auf die Größe der Grundstücke und Hindernisse auf den Grundstücken die Zumutbarkeit der Anschlussmöglichkeit bestreitet, fehlt sowohl hinsichtlich einer Anschlussmöglichkeit der Vorderliegergrundstücke (vgl. auch Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 542, Rdnr. 1050, Rdnr. 2205 jeweils m.w.N.) als auch hinsichtlich einer Anschlussmöglichkeit von Hinterliegergrundstücken (vgl. auch Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 1050b, Rdnr. 2211 jeweils m.w.N.; Rosenzweig/Freese, a.a.O., § 6 Rdnr. 243 m.w.N.) schon eine hinreichende Substanziierung. Die pauschale Auflistung von tatsächlichen Hindernissen ohne Anknüpfung an die konkrete Grundstückssituation und der bloße Hinweis auf eine „durchschnittliche Leitungslänge“ von „über 200 m“ und die bloße Rüge, das Verwaltungsgericht habe insbesondere verschiedene Kostenpositionen nicht ermittelt, ist nicht ausreichend. Darüber hinaus dürfte auch hier zu berücksichtigen sein, dass die Klägerin diese Flächen bzw. erhebliche Teile davon als Gewerbeflächen zum Verkauf anbietet und angeboten hat.

102

Soweit die Klägerin geltend macht, die Ermittlung der Vollgeschosszahlen, die sich bei Innenbereichsgrundstücken i.S.d. § 3 Abs. 3 Nr. 3 bis 5 AAS 2012 gem. § 4 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a und b AAS 2012 nach der höchsten Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse bei bebauten Grundstücken und der Zahl der in der näheren Umgebung überwiegend vorhandenen Vollgeschosse bei unbebauten Grundstücken richtet, sei auf Grund von Ermittlungsfehlern im Einzelfall und auf Grund von mehreren methodischen Fehlern offenkundig verfehlt, lässt ihr Vorbringen nicht einmal ansatzweise erkennen, von welchen Vollgeschosszahlen stattdessen auszugehen sei. Ihr Einwand, der Begriff „nähere Umgebung“ sei zu unbestimmt, ist angesichts der gleichlautenden Formulierung in § 34 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BauGB offensichtlich unbegründet (vgl. auch OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 16. Januar 2004 - 1 L 146/03 -, zit. nach JURIS). Der weiterhin geltend gemachte Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz hinsichtlich der benachbarten L... GmbH läuft auf eine unzulässige (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 2. September 2009 - 4 L 467/08 - und Beschl. v. 25. Juli 2006 - 4 M 293/06 -, jeweils zit. nach JURIS) Gleichbehandlung im Unrecht hinaus. Im Übrigen geht die Klägerin zu Unrecht von einer „flächendeckenden Heranziehung mit zwei Vollgeschossen“ aus. In dem Schriftsatz vom 28. Januar 2009 hat die Beklagte für mehrere Grundstücke nur noch eine (Umgebungs)Bebauung von einem Vollgeschoss angenommen und die Beiträge entsprechend festgesetzt.

103

Eine Aufrechnung mit dem von der Klägerin schon gezahlten Betrag in Höhe von 20.000,- € ist schon deshalb ausgeschlossen, weil es sich dabei nicht um einen Gegenanspruch i.S.d. § 13a Abs. 1 Satz 5 KAG LSA i.V.m. § 226 Abs. 3 AO handelt.

104

Hinsichtlich der Aufrechnung mit einer Rückforderung in Höhe von 95.752,50 € aus einem Ablösevertrag nach dem Baugesetzbuch müsste für die Frage, ob diese Forderung i.S.d. § 226 Abs. 3 AO unbestritten ist, im Einzelnen geprüft werden, wann die Beklagte den Anspruch bestritten hat und ob diese Erklärung nicht als verspätet angesehen werden muss (vgl. dazu Pahlke, AO, 2. A., § 226 Rdnr. 32; Klein, AO, 11. A., § 226 Rdnr. 40; vgl. auch BFH, Urt. v. 5. Februar 1985 - VII R 124/80 -, zit. nach JURIS).

105

Eine fehlerhafte Anwendung der satzungsrechtlichen Billigkeitsregelungen nach § 6c Abs. 3 KAG LSA hat die Klägerin lediglich behauptet, ohne substanziiert darzustellen, für welche Grundstücke eine abweichende Berechnung des Beitrages geboten gewesen wäre.

106

Der bloße Einwand, ihr Eigentum werde „gänzlich ausgehöhlt“ und die Belastungen durch staatliche Forderungen überstiegen den jeweiligen Grundstückswert, ist schließlich - unabhängig von der fehlenden Konkretisierung und Substanziierung dieser Behauptung - von vornherein nicht geeignet, im Rahmen einer Anfechtungsklage Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzung zu wecken. Insoweit müsste die Klägerin mit einer Verpflichtungsklage Billigkeitsmaßnahmen nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. § 163 Abs. 1 AO oder nach § 13a Abs. 1 KAG LSA i.V.m. § 227 AO verfolgen.

107

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 1, 161 Abs. 2 VwGO. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin voll obsiegt, für das erstinstanzliche Verfahren ist zu berücksichtigen, dass ein Teil der Klage unzulässig war. Im Rahmen der Kostenentscheidung gem. § 161 Abs. 2 VwGO über den durch die Erledigungserklärungen erfassten Teil des Rechtsstreits entspricht es billigem Ermessen, dass die Beklagte die Kosten des Verfahrens trägt. Denn die Klage hätte auch hinsichtlich der insoweit betroffenen Grundstücke Erfolg gehabt.


Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu Beiträgen für die Herstellung der öffentlichen Trinkwasserversorgungsanlage des Beklagten.

2

Seit dem 10. April 2006 ist der Kläger Eigentümer der Grundstücke Am M. in A-Stadt (Flur A, Flurstück 1261/163 mit einer Größe von 1799 m² und Flurstück 1263/163 mit einer Größe von 4.515 m²).

3

Im Jahre 1997 verlegte der Beklagte in der Straße vor den klägerischen Grundstücken erstmals die Trinkwasserhauptleitung und errichtete für das Flurstück 1263/163 im Jahre 2006 einen Trinkwasserhausanschluss. Bis 2006 - und nach Angaben des Klägers bereits vor 1991 - wurde das Flurstück 1263/163 über das Flurstück 1284/0 mit Trinkwasser versorgt, d. h. das klägerische Grundstück war mit der grundstückseigenen Trinkwasserversorgungsanlage des Flurstücks 1284/0 verbunden, das seinerseits über die in der Neuen H. Straße verlegte Hauptleitung mit Trinkwasser versorgt wird. Das Flurstück 1284/0, eingetragen im Grundbuch von A-Stadt, Blatt A, stand vom 4. April 1991 bis zum 14. Oktober 1996 im Eigentum der Landtechnik Metallbau A-Stadt GmbH und vom 14. Oktober 1996 bis zum 2. Oktober 2002 im Eigentum der (...) Berlin. Seit dem 2. Oktober 2002 ist die (..) AG mit Sitz in H-Stadt Eigentümerin des Grundstücks. Die von dem Trinkwasserversorgungsnetz des Flurstücks 1284/0 abzweigende Leitung zum klägerischen Flurstück 1263/163 führt über die Flurstücke 1282/0, 1285/163 und 1280/0, die bis zum 13. Juni 2002 im Eigentum der Landtechnik Metallbau A-Stadt GmbH standen. Seit dem 13. Juni 2002 ist der Kläger Eigentümer dieser Flurstücke. Für das benachbarte Flurstück 1261/163 wurde kein eigener Hausanschluss errichtet.

4

Mit Bescheid vom 30. August 2006 setzte der Beklagte für das Flurstück 1261/163 einen Trinkwasserbeitrag in Höhe von 3.130,26 Euro (= 1.799 m² x 1,0 x 1,50 €/m² + 16 % MwSt.) und für das Flurstück 1263/163 einen solchen in Höhe von 7.861,32 Euro (= 4.518 m² x 1,0 x 1,50 €/m² + 16 % MwSt.) fest. Hiergegen legte der Kläger am 29. September 2006 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2006 zurückwies.

5

Am 3. November 2006 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, es sei bekannt, dass er Eigentümer der Grundstücke H. Straße 67a, b und c (= Flurstücke 1282/0, 1285/163 und 1280/0) sei. Über diese Grundstücke sei auch das Flurstück 1263/163 mittels einer Verbrauchsleitung mitversorgt worden, so dass die Herstellung der öffentlichen Wasserversorgungsanlage nicht im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA erforderlich gewesen sei. Des Weiteren sei nicht ersichtlich, wie der Beklagte die Erhebung von Beiträgen für das Flurstück 1261/163 begründen wolle. Zwar grenze das Grundstück an die im M. verlaufende zentrale öffentliche Wasserversorgungsleitung an und unterliege somit einer Beitragspflicht gemäß der Wasserbeitragssatzung des Beklagten. Jedoch verkenne der Beklagte, dass ihm § 3 Abs. 1 der Satzung ein Ermessen einräume. Den durch das Ermessen eingeräumten Spielraum habe der Beklagte nicht beachtet, indem er nicht berücksichtigt habe, dass er für das Flurstück 1261/163 keinen Anschluss benötige und das Flurstück 1263/163 im Übrigen bereits über einen Anschluss über einen auf dem Flurstück 1284/0 bestehenden Grundstücksanschluss von der Neuen H. Straße aus verfüge.

6

Der Kläger hat beantragt,

7

den Bescheid des Beklagten vom 30. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2006 aufzuheben.

8

Der Beklagte hat beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Er hat vorgetragen, bei der von dem Grundstücksanschluss 1284/0 über weitere bürgerlich-rechtliche Grundstücke verlaufenden Verbrauchsleitung bis zum Flurstück 1263/163 handele es sich nicht um eine öffentliche Trinkwasserleitung, sondern eine Verbrauchsanlage des bzw. der damaligen Grundstückseigentümer. Die Grundstücke des Klägers verfügten über keinen eigenen Trinkwasseranschluss. Bis zur Herstellung des hier streitgegenständlichen Wasseranschlusses sei eine zentrale Wasser-versorgungsanlage für das klägerische Grundstück nicht betriebsfertig hergestellt gewesen.

11

Mit dem angefochtenen Urteil vom 18. Juni 2008 hat das Verwaltungsgericht Magdeburg den angefochtenen Bescheid des Beklagten aufgehoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der in § 5 Abs. 1 der Wasserbeitragssatzung des Beklagten auf 1,50 €/m² festgesetzte Beitragssatz sei nichtig, weil der Beklagte auf der Flächenseite der Kalkulation zu wenig Grundstücke berücksichtigt habe. Ausweislich der vorgelegten Kalkulation und der Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung decke die Rechnungsperiode fast den gesamten Investitionsaufwand des Beklagten für die Herstellung der Trinkwasserversorgung ab. Berücksichtige er aber - wie vorgetragen - 90 % des Gesamtaufwandes für die Anlage, so müsse dieser Aufwand auch auf 90 % der bevorteilten Grundstücke verteilt werden. Dies sei vorliegend nicht geschehen. Vielmehr habe der Beklagte auf der Flächenseite der Kalkulation im Wesentlichen nur die Grundstücke eingestellt, die in der Rechnungsperiode neu angeschlossen worden seien. Dies ergebe sich zum einen aus der Aufstellung der Flächen in der Kalkulation (Stand 3/2008) und dem Vorwort zur Kalkulation („2.5.1.Flächenberechnung und Flächenaufstellung“), und es lasse sich zum anderen auch einem Vergleich der bevorteilten Flächen in der Globalkalkulation zum Herstellungsbeitrag für die Herstellung der öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungsanlage mit der hier vorgelegten Kalkulation entnehmen. Bei der Kalkulation des Schmutzwasserbeitrags sei der Beklagte von einer Fläche von 8.052.046 m² ausgegangen, wohingegen er vorliegend nur eine Netto-Grundstücksfläche von 1.064.469 m² zugrunde lege, obgleich die Flächen nahezu identisch sein müssten, da in der Regel der Anfall von Abwasser eine Versorgung mit Trinkwasser voraussetze. Der Beklagte lege somit der Kalkulation der Trinkwasserbeiträge nur 1/8 der bevorteilten Grundstücksflächen zugrunde. Nicht zuletzt habe der Beklagte diese Angaben in der mündlichen Verhandlung auch bestätigt und lediglich die Rechtsansicht vertreten, es müssten nur die Grundstücke eingestellt werden, die in der Rechnungsperiode angeschlossen würden. Dies sei nicht zutreffend. Der Grundsatz der Repräsentativität verlange nicht nur das Einstellen eines repräsentativen Investitionsaufwandes, sondern auch das Einstellen repräsentativer Grundstücksflächen. Auch im Rahmen einer Rechnungsperiodenkalkulation gelte das Vorteilsprinzip, auch hier müsse der Aufwand gleichmäßig verteilt werden, d.h. ein Aufwand von 90 % müsse auf 90 % der Flächen verteilt werden, und zwar auf 90 % der Gesamtflächen, denn die Rechnungsperiodenkalkulation setze das Gesamtanlagenprinzip nicht außer Kraft. Soweit der Beklagte auf Schwierigkeiten bei der Ermittlung der zu berücksichtigenden Flächen verweise, spreche dies nicht gegen die vertretene Rechtsauffassung, sondern könne eine Indiz dafür sein, dass in Fällen, in welchen bereits ein erheblicher Teil der von der Anlage bevorteilten Flächen schon vor Beginn der Rechnungsperiode und vor Beginn der Zeit, in welcher ein großer Teil des Investitionsaufwandes getätigt worden sei, angeschlossen gewesen seien, eine Rechnungsperiodenkalkulation nicht mehr in Betracht komme, sondern im Wege der Globalkalkulation zu kalkulieren sei. In jedem Fall sei die Repräsentativität auch auf der Flächenseite zu gewährleisten.

12

Im Übrigen begegne der streitbefangene Bescheid jedenfalls insoweit teilweise rechtlichen Bedenken, als der Beklagte mit dem Flurstück 1263/163 ein Grundstück herangezogen habe, das jedenfalls nach Angaben des Klägers bereits vor 1991 an die öffentliche Trinkwasserversorgungsanlage angeschlossen gewesen sei. Der Kläger schulde in diesem Fall für dieses Grundstück gemäß § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA nur einen besonderen Herstellungsbeitrag im Sinne der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt. Insoweit fehle es indessen in der Beitragssatzung des Beklagten an der Festsetzung eines Beitragssatzes.

13

Der Beklagte macht zur Begründung der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung geltend, das Verwaltungsgericht habe die Unterschiede, die sich aus der Anwendung der Globalkalkulation einerseits und der Rechnungsperiodenkalkulation andererseits zwangsläufig ergäben, nicht hinreichend berücksichtigt. Anders als bei einer Globalkalkulation könnten bei der hier für die Trinkwasserversorgung streitgegenständlichen Rechnungsperiodenkalkulation für den Herstellungsbeitrag I nur diejenigen Grundstücke auf der Flächenseite berücksichtigt werden, die noch nicht angeschlossen seien und in dem gewählten Zeitraum der Periodenkalkulation noch angeschlossen würden. Grundstücke, die erst nach Beendigung der Kalkulationsperiode angeschlossen würden, blieben ebenso unberücksichtigt wie bereits angeschlossene Grundstücke. Wesen und bestimmendes Element der Periodenkalkulation sei es, dass nur diejenigen Kosten, die innerhalb des gewählten Zeitraums entstünden, auf die Grundstücke umgelegt würden, die durch die in der Periode durchgeführten Maßnahmen erstmals bevorteilt würden. Bereits angeschlossene Grundstücke könnten allenfalls über den Herstellungsbeitrag II an Kosten in der Rechnungsperiode beteiligt werden. Ein Herstellungsbeitrag II werde jedoch für die Trinkwasserversorgung nicht erhoben. Die vom Verwaltungsgericht bemängelten Unterschiede auf der Flächenseite der Kalkulation ergäben sich daraus, dass der Anschlussgrad an die zentrale Wasserversorgungsanlage wesentlich höher gewesen sei als bei der zentralen Abwasserbeseitigungsanlage, was sich auch der Trinkwasserkonzeption 1996-2006 entnehmen lasse. Die vom Verwaltungsgericht vertretene Ansicht, dass Grundstücksflächen bei der Kalkulation des Abwasserbeitrages und bei der Kalkulation des Trinkwasserbeitrages in etwa gleich sein müssten, sei auf Grund der unterschiedlichen Kalkulationsmethoden systemwidrig und berücksichtige nicht den unterschiedlichen Anschlussgrad der Grundstücke an die jeweilige Anlage. Auch der Grundsatz der Repräsentativität stehe nicht entgegen. Insoweit müssten sowohl die Planung als auch der Ausbauzustand in den Blick genommen werden. Wenn - wie im vorliegenden Fall - bei Übernahme existierender Anlagen ein sehr hoher Ausbauzustand bzw. Anschlussgrad vorhanden sei, sei der verbleibende Aufwand zur erstmaligen Herstellung der Anlage relativ gering und dementsprechend auf relativ wenige Grundstücke zu verteilen. Dabei ergebe sich systembedingt bei der Rechnungsperiodenkalkulation, dass nicht 100 % der Kosten für die endgültige Herstellung auf alle nicht angeschlossenen Grundstücke zu verteilen seien, sondern nur die in der gewählten Rechnungsperiode entstehenden Kosten auf die in der Rechnungsperiode neu anzuschließenden Grundstücke. Eine andere Vorgehensweise würde gegen die Grundzüge der Rechnungsperiodenkalkulation verstoßen.

14

Schließlich sei das klägerische Flurstück 1263/163 entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht bereits vor dem Jahre 1991 an die öffentliche Trinkwasserversorgungsanlage angeschlossen gewesen. Vielmehr stünden die Grundstücke, über die die Leitung zum Flurstück 1263/163 führe, in unterschiedlichem Eigentum. Ein direkter Anschluss an die Trinkwasserversorgungsanlage sei für das klägerische Grundstück nicht vorhanden gewesen. Auch bestehe keine dauerhafte Sicherung des Leitungsrechts zu Gunsten des Grundstücks. Hinzu komme, dass nach § 7 der Wasserbeitragssatzung die sachliche Beitragspflicht entweder mit betriebsfertiger Herstellung der öffentlichen Wasserversorgungsanlage vor dem Grundstück oder bei tatsächlicher Anschlussnahme im Sinne von § 3 Abs. 2 der Satzung gemäß § 7 Abs. 3 der Satzung mit dessen Genehmigung entstehe; die schlichte tatsächliche Anschlussnahme reiche demgemäß nicht aus.

15

Der Beklagte beantragt,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 9. Kammer - vom 18. Juni 2008 zu ändern und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

19

Er meint, die Beitragskalkulation des Beklagten sei in einem wesentlichen Punkt mangelhaft, da der Beklagte auf der Flächenseite der Kalkulation zu wenig Grundstücke berücksichtigt habe. Sinn und Zweck einer Rechnungsperiode sei, dass der ihr zugrunde gelegte Aufwand stellvertretend für den Aufwand der öffentlichen Einrichtungen in ihrer endgültigen Ausdehnung stehe. Eine Rechnungsperiode repräsentiere die Gesamtzeit dadurch, dass sie sowohl den in der Vergangenheit entstandenen als auch den zukünftigen Investitionsaufwand einschließe und für diesen Zeitraum die Verteilungseinheiten (hier: Beitragsflächen) bestimme. Eine Rechnungsperiode bestehe damit grundsätzlich aus einem in der Vergangenheit liegenden „Abrechnungszeitraum“ und einem in der Zukunft liegenden „Prognosezeitraum“. Der Beitragspflichtige werde so an den Kosten der Gesamtanlage, und zwar an den in der Vergangenheit entstandenen als auch an den zukünftig entstehenden Kosten, beteiligt. Methodisch werde also die Gesamtzeit von den Anfängen bis zur künftigen Fertigstellung der Anlage durch eine kürzere zeitnahe Rechnungsperiode ersetzt. Diese repräsentiere die Gesamtzeit dadurch, dass sie sowohl den in der Vergangenheit entstandenen als auch den zukünftigen Investitionsaufwand einschließe. Der in die Kalkulation einzustellende Investitionsaufwand und/oder das gewählte Verteilungsgebiet müssten unter Berücksichtigung der Siedlungsstruktur und Entwicklung zeitlich und räumlich hinreichend repräsentativ sein. Im Übrigen sei der Beitragssatz methodisch so zu ermitteln, dass stets der gesamte umlagefähige Aufwand für die Gesamtanlage durch die Summe der Maßstabseinheiten dividiert werde. Das gelte auch dann, wenn der durchschnittliche Aufwand auf der Grundlage repräsentativer Gebiete veranschlagt werde. Zusammenfassend bleibe festzuhalten, dass im Rahmen der Rechnungsperiodenkalkulation nicht hinreichend berücksichtigt worden sei, dass der Aufwand in der Rechnungsperiode stellvertretend für den Gesamtaufwand für die Anlage in ihrer endgültigen Ausdehnung stehe und somit der Aufwand gleichmäßig verteilt werden müsse, so dass ein 90%iger Aufwand auch eine ebenso repräsentative Fläche umfassen sollte. Im Übrigen bleibe er mit Blick auf den Grundstückskaufvertrag vom 19. April 2006 bei seiner Auffassung, dass das Flurstück 1263/163 bereits über einen Anschluss verfügt habe, so dass - auch mit Blick auf § 7 der Wasserbeitragssatzung - eine Herstellung des Anschlusses nicht erforderlich gewesen sei.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

22

Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 30. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

23

1. Allerdings stimmt der Senat nicht der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu, dass der angefochtene Bescheid jedenfalls insoweit teilweise rechtlichen Bedenken begegne, als der Beklagte mit dem Flurstück 1263/163 ein Grundstück herangezogen habe, das jedenfalls nach Angaben des Klägers bereits vor 1991 an die öffentliche Trinkwasserversorgungsanlage angeschlossen gewesen sei. Nach den im Berufungsverfahren aufgeklärten tatsächlichen (Eigentums-)Verhältnissen an den streitbefangenen Flurstücken war das klägerische Flurstück 1263/163 zwar vor 1991 mit der grundstückseigenen Trinkwasserversorgungsanlage des Flurstücks 1284/0 verbunden, das seinerseits über die in der Neuen H. Straße verlegte Hauptleitung mit Trinkwasser versorgt wurde. Da das Flurstück 1284/0 nach dem in der erstinstanzlichen Gerichtsakte befindlichen Lageplan nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zum Flurstück 1263/163 liegt, führte die von dem Trinkwasserversorgungsnetz des Flurstücks 1284/0 abzweigende Leitung zum klägerischen Flurstück 1263/163 über die Flurstücke 1282/0, 1285/163 und 1280/0, die seit dem 13. Juni 2002 im Eigentum des Klägers stehen. Allerdings stand das hier maßgebliche „Versorgungsgrundstück“ 1284/0 zu keinem Zeitpunkt im Eigentum des Klägers. Auch ist eine dingliche Sicherung der Trinkwasserversorgung nicht geltend gemacht oder ersichtlich, so dass das Flurstück 1263/163 mangels gesicherter Vorteilslage nicht als bereits vor 1991 angeschlossen im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA gelten kann. Vielmehr ist für das Grundstück erst mit der Herstellung der Trinkwasserhauptleitung im Jahre 1997 die zur Beitragserhebung rechtfertigende Vorteilslage entstanden. Gleiches gilt im Übrigen für das Flurstück 1261/163, dem ebenfalls unstreitig erstmals mit der betriebsfertigen Herstellung der Trinkwasserhauptleitung im Jahre 1997 die Möglichkeit der Inanspruchnahme im Sinne des § 3 Abs. 1 der Wasserbeitragssatzung des Beklagten vom 8. September 2005 - WBS 05 -, die ordnungsgemäß am 30. November 2005 im Amtsblatt des Landkreises Wernigerode veröffentlicht worden ist und am 1. Januar 2006 in Kraft trat, eröffnet wurde; auf eine tatsächliche Anschlussnahme kommt es zur Begründung einer beitragsrelevanten Vorteilslage gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA nicht an.

24

2. Der angefochtene Bescheid erweist sich aber deswegen als rechtswidrig, weil die dem Bescheid zugrunde liegende Wasserbeitragssatzung des Beklagten vom 8. September 2005 hinsichtlich der Regelung des Beitragssatzes (§ 5 Abs. 1 WBS 05) nichtig ist. Dies wiederum zieht die Gesamtnichtigkeit der Satzung nach sich, weil diese ohne gültige Regelung zum Beitragssatz nicht mehr den Mindestanforderungen des § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA entspricht.

25

Dabei geht der Senat von folgenden Grundsätzen aus:

26

Die Festlegung eines der Höhe nach bestimmten Beitragssatzes, wie ihn eine Beitragssatzung im Recht der öffentlichen leitungsgebundenen Einrichtungen zwingend enthalten muss, beruht auf der Division des Betrages des beitragsfähigen Aufwands durch die Summe der Maßstabseinheiten, die in Anwendung der Maßstabsregelung der Satzung für die Gesamtheit der zu prognostizierenden Beitragsfälle zu ermitteln sind. Dabei erfordert die Bestimmung des Beitragssatzes eine differenzierte Kalkulation; denn sowohl die Aufwandsermittlung, die nur nach einer der aus § 6 Abs. 3 Satz 4 KAG LSA herzuleitenden Methoden erfolgen darf, als auch die Ermittlung der zu berücksichtigenden Grundstücksflächen sind komplexe Vorgänge, die bestimmten vom Satzungsgeber zu beachtenden gesetzlichen Anforderungen unterliegen. Fehler in der Beitragskalkulation, also in der Gesamtheit aller Ermittlungen, Berechnungen, Ermessens- und Wertentscheidungen sowie Schätzungen, die der Festsetzung des Beitragssatzes zu Grunde liegen, ziehen nur dann die Unwirksamkeit der Beitragssatzung nach sich, wenn das Aufwandsüberschreitungsverbot des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA erheblich oder gröblich verletzt ist, d. h. Fehler bei der Aufwandsermittlung können nicht als solche, sondern nur im Hinblick auf eine etwaige Verletzung des Aufwandsüberschreitungsverbots zur Ungültigkeit der Beitragssatzregelung führen. Für die Gültigkeit des in einer Beitragssatzung festgesetzten Beitragssatzes kommt es nämlich allein darauf an, ob er sich im Ergebnis als „richtig" (im Sinne von „nicht überhöht" nach Maßgabe des Aufwandsüberschreitungsverbots) erweist (OVG LSA, Beschl. v. 02.08.2007 - 4 M 44/07 -; Urt. v. 27.07.2006 - 4 K 253/05 -; Urt. v. 07.09.2000 - 1 K 14/00 -; alle zit. nach juris). Solche zur Nichtigkeit der Beitragssatzregelung führenden Fehler bei der Aufwandsermittlung liegen erstens dann vor, wenn in erheblichem Umfang nicht beitragsfähiger Aufwand angesetzt und daher gegen das Aufwandsüberschreitungsverbot verstoßen wird (vgl. VG Halle, Urt. v. 18.12.2009 - 4 A 308/07 -, zit. nach juris, m. w. N.; BVerwG, Beschl. v. 30.04.1997 - BVerwG 8 B 105.97 -, zit. nach juris). Darüber hinaus führen Fehler der Beitragskalkulation - zweitens - aber auch dann zur Unwirksamkeit der Satzung, wenn erhebliche methodische Fehler die Feststellung unmöglich machen, ob das Aufwandsüberschreitungsverbot beachtet ist oder nicht (OVG NW, Beschl. v. 03.11.2000 - 15 A 2340/97 -; OVG Brandenburg, Urt. v. 03.12.2003 - 2 A 417/01 -, beide zit. nach juris).

27

Allerdings wird im gerichtlichen Verfahren die Kalkulation - vorbehaltlich konkreter Rügen auf der Klägerseite - nur insoweit überprüft, als es um die Plausibilität der Berechnung des konkreten Beitragssatzes geht (zum Prüfungsmaßstab des Abgabensatzes bei Abgabensatzungen: BVerwG, Urt. v. 17.04.2002 - BVerwG 9 CN 1.01 -, zit. nach juris; OVG LSA, Beschl. v. 02.03.2010 - 4 L 199/09 -, m. w. N.).

28

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der von dem Beklagten in § 5 Abs. 1 WBS 05 festgesetzte Beitragssatz zu beanstanden; denn die zur Rechtfertigung des Beitragssatzes in Höhe von 1,50 Euro/m² vorgelegte Periodenkalkulation für die Wasserversorgung (Dokumentation April 2005 und Kontrollkalkulation Stand 4/2005 und 3/2008) weist erhebliche methodische Fehler auf.

29

2.1. Zwar ist die der Ermittlung der Beitragssätze zugrunde liegende sogenannte Rechnungsperiodenkalkulation eine grundsätzlich zulässige Berechnungsart für Beitragssätze (vgl. hierzu Klausing, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, § 8 Rdnr. 998 ff.; OVG LSA, Beschl. v. 09.07.2007 - 4 M 168/07 -, m. w. N.). Sie erfasst nicht wie die Gesamtanlagenkalkulation im Sinne einer Globalkalkulation die gesamte öffentliche Einrichtung mit allen ihren vorhandenen und absehbar geplanten Anlagen (Kosten von Baubeginn bis Fertigstellung), sondern nur den in einem bestimmten Zeitraum, der zeitlich abgegrenzten Rechnungsperiode, durchschnittlich anfallenden Aufwand für die Einrichtung (Klausing, a. a. O., § 8 Rdnr. 994). Mit dem Verwaltungsgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass das Kommunalabgabengesetz für das Land Sachsen-Anhalt dieser Kalkulationsmethode nicht entgegen steht, sondern der Zweckverband (bzw. die Gemeinde) in Ausübung seines (ihres) Ermessens wählen kann, ob er (sie) bei der Aufwandsermittlung auf die Gesamtanlage oder auf den in einer Rechnungsperiode durchschnittlich anfallenden Aufwand abstellen will. Zwar könnte die Formulierung der von dem Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Vorschrift des § 6 Abs. 3 Satz 4 KAG LSA, wonach bei leitungsgebundenen Einrichtungen „der durchschnittliche Aufwand für die gesamte Einrichtung veranschlagt und zugrunde gelegt werden“ kann, gegen die Möglichkeit der Ermittlung des durchschnittlichen Aufwandes für eine Rechnungsperiode sprechen, weil die Vorschrift auf den durchschnittlichen Aufwand der „gesamten Einrichtung“ und damit auf den wesentlichen Anknüpfungspunkt der Globalkalkulation abstellt. Allerdings hebt die Vorschrift auch ab auf den „durchschnittlichen“ Aufwand, so dass sie - wie das Verwaltungsgericht zu Recht annimmt - auch „zeitlich“ in dem Sinne verstanden werden kann, dass der in einer bestimmten, zeitlich begrenzten Rechnungsperiode anfallende Investitionsaufwand für die Herstellung der gesamten Einrichtung in dieser Zeit zu ermitteln ist (vgl. Klausing, a. a. O., § 8 Rdnr. 998 m. w. N. zu ähnlichen Regelungen in § 8 Abs. 4 Satz 3 KAG des Landes Nordrhein-Westfalen, § 6 Abs. 3 Satz 5 KAG des Landes Niedersachsen). Ausgehend von diesen Erwägungen hält der Senat gemäß § 6 Abs. 3 Satz 4 KAG LSA sowohl die Global- als auch die Rechnungsperiodenkalkulation im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen nach dem KAG LSA für zulässig.

30

Auch ist dem Verwaltungsgericht darin zu folgen, dass die von dem Beklagten vorgenommene zeitliche Einordnung der Periode nicht zu beanstanden ist, soweit mit ihr zwar der Zeitpunkt seit der Übernahme der Trinkwasserversorgung im Verbandsgebiet, nicht aber der davor liegende Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAG LSA abgedeckt wird. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass der Beginn der Rechnungsperiode nicht zwingend mit dem erstmaligen Inkrafttreten des KAG LSA zusammen fallen muss (so aber OVG MV, Beschl. v. 15.02.2002 - 1 M 70/01 -, zit. nach juris); denn in dem Zeitraum vor 1996 war der Beklagte nicht Einrichtungsträger, so dass weder die Einrichtungsidentität gegeben war noch der Verband Investitionen tätigen konnte.

31

2.2. Die von dem Beklagten vorgelegte Rechnungsperiodenkalkulation weist jedoch methodische Fehler auf, indem sie den in der Rechnungsperiode entstandenen Aufwand, der nach den Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht 90 % des Gesamtaufwandes ausmacht, ausschließlich auf diejenigen Grundstücke verteilt, die noch nicht angeschlossen sind und in dem gewählten Zeitraum der Periodenkalkulation tatsächlich noch angeschlossen werden (vgl. Nr. 2.5.1. der Periodenkalkulation).

32

2.2.1. Dabei kann der Senat offen lassen, ob die Aufwandsermittlung, die für bereits abgeschlossene Investitionen und für die bis zum voraussichtlichen Ausbauzustand 2011 geplanten Anlagenteile prozentual bestimmte Kosten in Ansatz bringt, bezogen auf die Kosten für zentrale Einrichtungen den Grundsätzen einer Rechnungsperiodenkalkulation entspricht; insbesondere ist nicht erkennbar, ob der Beklagte bei der Veranschlagung der Kosten beachtet hat, dass diese (innerhalb einer bestimmten Rechnungsperiode hergestellten) Anlagenteile nach ihrer Funktion häufig einem größeren Gebiet, u. U. sogar dem gesamten Gebiet des Zweckverbands dienen als den Grundstücken, denen in der gewählten Rechnungsperiode eine Anschlussmöglichkeit geboten wird. Es wäre deshalb nicht gerechtfertigt, diese Aufwendungen in ihrer gesamten oder in einer zu geringen Höhe dem Aufwand für eine Rechnungsperiode zuzurechnen. Der Aufwand muss vielmehr zunächst auf die Summe der Maßstabseinheiten des gesamten Satzungsgebietes verteilt werden, um auf der Grundlage der auf die Rechnungsperiode entfallenden Maßstabseinheiten eine sachgerechte Zuordnung dieses Aufwandes zu ermöglichen (BayVGH, Urt. v. 09.07.2009 - 20 B 09.28 -, zit. nach juris; vgl. auch Dietzel, in: Driehaus, a. a. O., § 8 Rdnr. 590). Insoweit fließen in die Rechnungsperiodenkalkulation auch Elemente der Globalkalkulation ein (vgl. Hatopp Kommentar zum NKAG, § 6 Rdnr. 240). Ob der Beklagte diese Grundsätze befolgt hat, lässt sich nicht abschließend feststellen. Aus 2.5. (Kostenzusammenstellung) ergibt sich allerdings, dass Gegenstand der Kostenaufstellung (Anlage 1: Grunddaten Kostenaufstellung Wasserversorgung) das gesamte , also grundsätzlich auch das zentrale Anlagevermögen der Rechnungsperiode ist.

33

Auch bestehen vom Ansatz her mit Blick auf die noch nicht endgültige Herstellung der Trinkwasserversorgungseinrichtung des Beklagten keine Bedenken in Bezug auf die Länge der gewählten Periode von immerhin fünfzehn Jahren (1996 bis 2011).

34

2.2.2. Allein eine nicht zu beanstandende Zeitdauer reicht jedoch für eine ordnungsgemäß durchgeführte Rechnungsperiodenkalkulation nicht aus. Vielmehr ist kennzeichnendes Merkmal dieser Kalkulationsmethode, dass sie auf den durchschnittlichen Aufwand der Anlage in einem bestimmten Abschnitt aus der Zeit von Beginn der Herstellung bis zur Fertigstellung der Anlage abstellt. Dies wiederum macht es nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur erforderlich, dass die gewählte Rechnungsperiode den Aufwand für die gesamte Anlage innerhalb der Gesamtzeit hinreichend repräsentiert (Dietzel, a. a. O., § 8 Rdnr. 589a; Hatopp, a. a. O., § 6 Rdnr. 238; Habermann, Kommentar zum KAG SH, § 8 Rdnr. 546). In diesem Sinne setzt die Rechnungsperiodenkalkulation kontinuierlich entstehenden und sich auf den Gesamtzeitraum etwa gleichmäßig verteilenden Aufwand voraus; sie ist deshalb vom Ansatz her zugeschnitten auf den laufend anfallenden Anschaffungsaufwand für das durch das Hinzukommen neuer Baugebiete ständig erweitere Leitungsnetz (vgl. BayVGH, Urt. v. 23.07.2009 - 20 BV 08.1197 -, zit. nach juris). Dabei kann auf den Durchschnitt der in der Vergangenheit und Zukunft angeschlossenen oder anzuschließenden Maßstabseinheiten abgestellt werden. Ebenso können Aspekte der gemeindlichen Siedlungsstruktur als typische Indizien für die durchschnittliche Entwicklung des Verteilungsgebiets herangezogen werden. Repräsentativ sind dabei Gebiete, die in ihrer Gesamtheit aufgrund der örtlichen, geographischen und geologischen Gegebenheiten und sonstiger relevanter Umstände mit den sonstigen Gebieten (im Gemeindegebiet) vergleichbar sind (vgl. VG Regensburg, Urt. v. 20.02.2008 - RN 3 K 07.00735 -, zit. nach juris, m. w. N.). Die Rechnungsperiodenkalkulation soll es dem Satzungsgeber also nur ermöglichen, stellvertretend für die gesamte Einrichtung auf einen zeitlichen Ausschnitt, der Rechnungsperiode, abzustellen. Im Ergebnis sollen danach der Investitionsaufwand und die in der Rechnungsperiode angeschlossenen Gebiete mit dem Durchschnitt des gesamten erschlossenen und zu erschließenden Satzungsgebietes vergleichbar sein. Mithin ist dem Repräsentativerfordernis, das die Anwendbarkeit der Rechnungsperiodenkalkulation im Hinblick auf den Solidaritätsgedanken (gleichbleibende Beitragsstruktur) einschränkt, nur Genüge getan, wenn - im Rahmen einer anzustellenden Kontrollberechnung - das Verhältnis von Aufwand und Maßstabeinheiten in der Rechnungsperiode mit dem Verhältnis von (Gesamt)Aufwand und den (prognostischen) Maßstabseinheiten im Gesamtgebiet des Verbandes vergleichbar ist. Nur dann ist das der Rechnungsperiode zugrunde liegende Gebiet als repräsentativ anzusehen (BayVGH, Urt. v. 23.07.2009, a. a. O.) Dabei mag sich angesichts einer der Globalkalkulation angenäherten Kontrollberechnung zwar die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Rechnungsperiodenkalkulation stellen (vgl. zu den Vorteilen: Habermann, a. a. O., § 8 Rdnr. 544), eine Kontrollberechnung stellt sich indes mit Blick auf das Repräsentativerfordernis als nicht entbehrlich dar.

35

Diesen für eine Rechnungsperiodenkalkulation nach Auffassung des Senats durch die Verwendung des Begriffs „durchschnittlich“ in § 6 Abs. 3 Satz 4 KAG LSA notwendigen Vergleich mit der gesamten Einrichtung zur Wahrung des Grundsatzes der Repräsentativität hat der Beklagte im Rahmen seiner Periodenkalkulation jedoch unstreitig nicht angestellt, weil er die Auffassung vertritt und - auch noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - vertreten hat, Wesen und bestimmendes Element der Periodenkalkulation sei es, (schlicht) nur diejenigen Kosten, die innerhalb des gewählten Zeitraums entstünden, auf die Grundstücke umzulegen, die durch die in der Periode durchgeführten Maßnahmen erstmals bevorteilt würden (vgl. auch Schriftsatz vom 06.08.2008, Seite 3). Dementsprechend lässt die vorliegende Periodenkalkulation keine Beschränkung auf eine bestimmte als repräsentativ für den Gesamtzeitraum der Herstellung angesehene, zeitlich eingeschränkte Rechnungsperiode erkennen, sondern hebt ausschließlich auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitraum ab Übernahme der Trinkwasserversorgung im Jahre 1996 bis zum Jahre 2011 ab. Folgerichtig lassen sich den Kalkulationsunterlagen - von dem Beklagten zu Unrecht auch als nicht erforderlich erachtete - Berechnungen, ob der für die Rechnungsperiode ermittelte Beitragssatz mit dem auf der Grundlage des Gesamtaufwandes und der Maßstabseinheiten insgesamt berechnete Satz vergleichbar ist, nicht entnehmen. Damit weicht der Beklagte aber von den maßgeblichen methodischen Grundsätzen der Rechnungsperiodenkalkulation ab, dass die Kalkulation nachvollziehbar und belegbar anhand einer für das gesamte Einrichtungsgebiet repräsentativen Rechnungsperiode zu erfolgen hat. Der bloße Hinweis des Beklagten, dass - mit Blick auf Beitragssätze weiterer Rechnungsperioden - durch die Länge der vorliegend gewählten Rechnungsperiode dem Repräsentativ- und Solidargedanken widersprechende Beitragssätze vermieden werden, ist allein nicht ausreichend.

36

2.2.3. Unabhängig davon hat der Beklagte im Rahmen seiner Periodenkalkulation methodisch fehlerhaft die bis zur Übernahme der Trinkwasserversorgung im Jahre 1996 angeschlossenen und anschließbaren Grundstücke bei der Ermittlung der Grundstücksflächen nicht berücksichtigt, obwohl auch sie durch die streitgegenständliche Trinkwasserversorgungseinrichtung erstmals bevorteilt werden und deshalb grundsätzlich der Herstellungsbeitragspflicht unterfallen (VG Cottbus, Urt. v. 05.02.2009 - 6 K 24/08 -, zit. nach juris). Denn erst mit der Übernahme der Trinkwasserversorgung durch den Beklagten kann ein hier im Rahmen der Beitragskalkulation für die hiesige Einrichtung zu berücksichtigender „Vorteil“ entstanden sein, auch wenn faktisch schon zuvor der Anschluss bestand bzw. eine Anschlussmöglichkeit gegeben war. Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte die Trinkwasserversorgung erst im Jahre 1996 übernommen hat. Ist die Aufgabe der Trinkwasserversorgung von einem Einrichtungsträger - hier den Stadtwerken - auf einen anderen Einrichtungsträger - hier den Beklagten - übergegangen, ist dieser grundsätzlich befugt, einen Herstellungsbeitrag zur Deckung des Aufwandes für seine öffentliche leitungsgebundene Einrichtung auch von den Eigentümern, die bereits vor der Übernahme an die öffentliche Einrichtung angeschlossen waren, zu erheben, da die öffentliche Einrichtung des Zweckverbandes mit der vormaligen Einrichtung nicht identisch ist (bei Wechsel von Mitgliedsgemeinde auf Zweckverband entschieden vom BayVGH, Urt. v. 31.03.1992 - 23 B 89.1906 -, KStZ 1994, 55 f.; VG Halle, Beschl. v. 26.03.2008 - 4 B 521/07 -, zit. nach juris).

37

Daraus folgt, dass zwar in der Zeit vor 1996 mangels Vorliegen einer wirksamen Satzung für kein Grundstück die sachliche Beitragspflicht entstanden ist, aber dennoch grundsätzlich alle Flächen, die in dieser Zeit (in tatsächlicher Hinsicht) bevorteilt werden bzw. wurden, in die Kalkulation einzubeziehen sind bzw. waren. Die sich in diesem Zusammenhang stellende Frage nach den „Baukostenzuschüssen“ ist in den vorgelegten Unterlagen nicht hinreichend aufgezeigt.

38

2.2.4. Die unter 2.2.2. und 2.2.3. festgestellten schwerwiegenden methodischen Fehler führen ohne weitere Nachprüfung der Kalkulationsunterlagen zur Nichtigkeit des kalkulierten Beitragssatzes und der Unwirksamkeit der Satzung insgesamt; denn die Kalkulation beruht offensichtlich nicht nur auf einem fehlerhaften Rechenvorgang, der vom Gericht korrigiert werden könnte, sondern macht aufgrund der fehlerhaften Grundannahmen des Beklagten von vornherein die Feststellung unmöglich, ob das Aufwandsüberschreitungsverbot beachtet ist oder nicht (vgl. OVG NW, Beschl. v. 03.11.2000 -, a. a. O.). Insoweit war das Gericht auch eine mit Blick auf die für das Land Sachsen-Anhalt entwickelte ständige obergerichtliche sog. Ergebnisrechtsprechung (vgl. z. B. OVG LSA, Beschl. v. 02.08.2007, a. a. O.) nicht gehalten, den Beklagten aufzufordern, spätestens bis zur mündlichen Verhandlung eine nachvollziehbare und fehlerfreie Kalkulation unter Einbeziehung einer Kontrollberechnung im vorstehenden Sinne vorzulegen. Insbesondere liegt die Bestimmung des zeitlichen Rahmens der Rechnungsperiode, dem nach den vorstehenden Ausführungen maßgebliche Bedeutung für die Wahrung des Repräsentativerfordernisses zukommt, im Ermessen des Beklagten und ist damit nicht vom Gericht vorzugeben.

39

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

40

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

41

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.


(1) Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gelten sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis kann nicht aufgerechnet werden, wenn sie durch Verjährung oder Ablauf einer Ausschlussfrist erloschen sind.

(3) Die Steuerpflichtigen können gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrechnen.

(4) Für die Aufrechnung gilt als Gläubiger oder Schuldner eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis auch die Körperschaft, die die Steuer verwaltet.

(1) Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt auch für die Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129. Die Frist ist gewahrt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist

1.
der Steuerbescheid oder im Fall des § 122a die elektronische Benachrichtigung den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat oder
2.
bei öffentlicher Zustellung nach § 10 des Verwaltungszustellungsgesetzes die Benachrichtigung bekannt gemacht oder veröffentlicht wird.

(2) Die Festsetzungsfrist beträgt:

1.
ein Jahrfür Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen,
2.
vier Jahrefür Steuern und Steuervergütungen, die keine Steuern oder Steuervergütungen im Sinne der Nummer 1 oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union sind.
Die Festsetzungsfrist beträgt zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.

Tenor

1. Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) ist mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) unvereinbar. Ersetzt der Gesetzgeber Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes nicht bis zum 1. April 2014 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung, tritt Nichtigkeit der Vorschrift ein.

2. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2008 - 20 ZB 08.903 - und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2008 - M 10 K 06.2850 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) mit den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verfassungsgrundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist.

I.

2

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs setzt das Entstehen einer Beitragspflicht für den Anschluss an leitungsgebundene Einrichtungen neben dem Erschlossensein des Grundstücks durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung (sogenannte Vorteilslage) zwingend das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus (vgl. BayVGH, Urteil vom 14. April 2011 - 20 BV 11.133 -, BayVBl 2012, S. 45 <46>; Urteil vom 29. April 2010 - 20 BV 09.2010 -, BayVBl 2011, S. 240; Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, juris). Eine wirksame Satzung ist somit Beitragsentstehungsvoraussetzung. Die Satzung muss nach Art. 5 Abs. 8 BayKAG nicht bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage in Kraft sein. Es genügt vielmehr, wenn sie nach deren Entstehung in Kraft tritt.

3

2. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung führt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b BayKAG in Verbindung mit § 47 der Abgabenordnung (AO) zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis. Die Festsetzungsfrist, nach deren Ablauf der Erlass eines Beitragsbescheids unzulässig ist, beträgt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 AO einheitlich vier Jahre.

4

3. Durch das am 31. Dezember 1992 verkündete Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) wurde der Beginn der Festsetzungsfrist mit Wirkung zum 1. Januar 1993 neu geregelt. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc BayKAG erhielt folgende Fassung:

5

Art. 13

Anwendung von Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977)

(1) Soweit gesetzlich nicht anders bestimmt, sind in ihrer jeweils geltenden Fassung vorbehaltlich Absatz 6 folgende Bestimmungen der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden:

(…)

4. aus dem Vierten Teil - Durchführung der Besteuerung -

(…)

b) über das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren:

(…)

cc) § 170 Abs. 1 mit der Maßgabe,

- dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist und

- dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekanntgemacht worden ist, (…).

6

Die in Bezug genommene Vorschrift des § 170 Abs. 1 AO lautet:

7

Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

8

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 1 BayKAG entspricht der bis dahin geltenden Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG vom 26. März 1974 (GVBl S. 109, ber. 252) in der Fassung vom 4. Februar 1977 (GVBl S. 82). Mit dem Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 wurde Spiegelstrich 2 neu in die gesetzliche Regelung eingefügt.

9

4. Der Gesetzgeber beabsichtigte hiermit ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs eine gesetzliche Klarstellung (LTDrucks 12/8082, S. 13). Bisher sei es in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs umstritten gewesen, ob in den Fällen, in denen eine nichtige Satzung rückwirkend durch eine gültige Satzung ersetzt werde, die Festsetzungsfrist mit dem Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Satzung (so BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60) oder erst mit Ablauf des Jahres zu laufen beginne, in dem die rückwirkende Satzung bekanntgemacht worden sei (so BayVGH 23. Senat, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Mit der Einfügung einer weiteren Maßgabe in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG werde die den Bedürfnissen der Praxis entgegen kommende Auffassung des 23. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gesetzlich klargestellt. Nach der gegenteiligen Ansicht könne nämlich eine rückwirkend entstandene Forderung gleichzeitig festsetzungsverjährt sein, wenn sich die Rückwirkungsfrist über die Verjährungsfrist hinaus erstrecke.

II.

10

1. Der Beschwerdeführer war von 1992 bis 1996 Eigentümer eines bereits an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen bebauten Grundstücks. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 1992 stellte die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Gemeinde, in der das Grundstück gelegen ist (im Folgenden: Beklagte), fest, dass das Dachgeschoss des Gebäudes ausgebaut worden war.

11

Mit Bescheid vom 5. April 2004 zog sie den Beschwerdeführer erstmals auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 5. Mai 2000 zu einem Kanalherstellungsbeitrag in Höhe von 1.197,32 € heran. Der Herstellungsbeitrag wurde gemäß § 5 Abs. 1 dieser Beitrags- und Gebührensatzung nach der Grundstücks- und Geschossfläche berechnet. Die Satzung war zur Heilung einer als nichtig beurteilten Vorgängersatzung rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft gesetzt worden.

12

Während des Widerspruchsverfahrens erwies sich auch die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 als unwirksam. Die Beklagte erließ daraufhin die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18. April 2005 und setzte sie rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft. Diese Satzung wurde am 26. April 2005 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.

13

2. Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Zwar seien die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000, auf die der Bescheid gestützt worden sei, sowie auch sämtliche Vorgängersatzungen aus den Jahren 1995, 1992, 1987, 1980, 1973 und 1960 in den Beitragsteilen nichtig gewesen. Eine wirksame Rechtsgrundlage für den Bescheid sei aber mit der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 geschaffen worden. Auf der Grundlage dieser Satzung sei die Beitragsschuld für die bislang nicht veranlagte Geschossflächenmehrung erstmals am 1. April 1995 entstanden. Der Beschwerdeführer sei als zu diesem Zeitpunkt ins Grundbuch eingetragener Grundstückseigentümer Beitragsschuldner. Eine Verjährung der Beitragsforderung sei nicht eingetreten, da nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden sei.

14

Der Beschwerdeführer könne hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, diese Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und müsse daher, insbesondere im Fall eines zwischenzeitlichen Eigentümerwechsels, abweichend von ihrem Wortlaut einschränkend ausgelegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestünden gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Ersichtliches Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, die Gemeinden im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren. Im Übrigen sei keiner der jetzigen oder ehemaligen Grundstückseigentümer in seiner Erwartung geschützt, von der Nichtigkeit früheren Satzungsrechts profitieren zu können; denn ein abgeschlossener Beitragstatbestand liege nicht vor. Welchen der Eigentümer die Beitragspflicht treffe, hänge von der Bestimmung des Zeitpunkts der Rückwirkung ab. Sei dieser - wie im vorliegenden Fall - ohne Verstoß gegen das Willkürverbot gewählt, bestehe kein Grund für eine rechtliche Beanstandung.

15

3. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ab. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Beitragsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids nicht verjährt gewesen sei. Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber habe hiermit eine Regelung getroffen, die der bis dahin ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entsprochen habe (Hinweis auf BayVGH, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Die Norm enthalte nach Inhalt, Zweck und Ausmaß eine klare Aussage über den Lauf der Festsetzungsfrist, gegen die durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden. Eine unzulässige echte Rückwirkung liege schon deshalb nicht vor, weil kein abgeschlossener Beitragstatbestand gegeben sei. Denn bei leitungsgebundenen Einrichtungen setze die Entstehung einer Beitragspflicht nach ständiger Rechtsprechung das Vorhandensein einer gültigen Abgabensatzung voraus. Eine wirksame Abgabensatzung habe erstmals im Jahr 2005 vorgelegen. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, die rückwirkende Inkraftsetzung einer Abgabensatzung müsse wenigstens zeitlich auf die einschlägigen Verjährungsvorschriften beschränkt werden, lasse er außer Acht, dass nur eine bereits entstandene Beitragsforderung verjähren könne. Bei fehlgeschlagenem Satzungsrecht müsse ein bisher nicht veranlagter Beitragspflichtiger damit rechnen, zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen zu werden. Er könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.

III.

16

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.

17

1. Die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene uneingeschränkte Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG auf rückwirkend in Kraft gesetzte Satzungen verstoße wegen der damit verbundenen echten Rückwirkung gegen die aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es sei geboten, die Rückwirkung einer Satzung durch Festsetzungsfristen zu begrenzen. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung dürfe nicht beliebig hinausgeschoben werden. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei im Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens einer Satzung entweder nicht anzuwenden oder verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Verjährung rückwirkend zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung beginne.

18

2. Die Ausgangsgerichte hätten Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil sie ihm nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt hätten. Er habe mit der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend gemacht, dass der Beitragsanspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen sei. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte beginne die Festsetzungsfrist nur zu laufen, wenn eine wirksame Beitragssatzung vorliege. Die Beklagte und die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen hätten sich darauf berufen, dass sämtliche Satzungen, die der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 vorausgingen, nichtig gewesen seien, was durch diverse Entscheidungen der Verwaltungsgerichte bereits geklärt worden sei. Er habe deshalb die Vorlage dieser Entscheidungen außergerichtlich und schließlich auch vor dem Verwaltungsgericht begehrt. Die maßgeblichen Entscheidungen seien ihm jedoch nicht vollständig zugänglich gemacht worden. Ihm sei es deshalb nicht möglich gewesen, zur Frage der Nichtigkeit sämtlicher Satzungen ausreichend Stellung zu nehmen.

IV.

19

Die Beklagte, die Bayerische Staatsregierung und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.

20

1. Die Beklagte ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Der Beschwerdeführer habe eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus sei der Rechtsweg nicht erschöpft, weil der Beschwerdeführer keine Anhörungsrüge erhoben habe.

21

Die Verfassungsbeschwerde sei im Übrigen nicht begründet. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn ein Vertrauen darauf, dass eine als nichtig erkannte Regelung aufrechterhalten bleibe und nicht durch eine neue, rückwirkende Satzung ersetzt werde, sei nicht schützenswert. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sein Grundstück veräußert habe, bedeute nicht, dass dadurch ein für seine Beitragspflicht maßgeblicher Tatbestand abgeschlossen sei und er in der Folge nicht mehr zur Beitragszahlung herangezogen werden dürfe. Er habe vielmehr den für die Entstehung der Beitragspflicht maßgeblichen Vorteil der Möglichkeit der Anschlussnahme entgegengenommen und mit dem Grundstücksverkauf nicht verloren. Dieser Vorteil habe den Wert seines Grundstücks erhöht mit der Folge, dass er für das Grundstück einen höheren Kaufpreis habe erzielen können.

22

2. Die Bayerische Staatsregierung hält Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG für verfassungsgemäß. Die Ersetzung einer als nichtig erkannten durch eine wirksame Beitragssatzung stelle keinen Fall einer echten, sondern allenfalls einer unechten Rückwirkung dar. Es sei kein abgeschlossener Lebenssachverhalt gegeben, in den nachträglich eingegriffen worden sei. Denn die Beitragsentstehung setze das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus. Ohne diese sei eine Berechnung des Beitrags in Ermangelung eines Beitragsmaßstabs nicht möglich.

23

Das Vertrauen des Beschwerdeführers wäre selbst bei Annahme einer echten Rückwirkung nicht schutzwürdig, weil er damit habe rechnen müssen, dass eine vorhandene, aber als nichtig erkannte Satzung durch eine gültige Satzung ersetzt werde, mit der die von Anfang an von der Gemeinde angestrebte Beitragspflicht herbeigeführt werde. Es seien keine Umstände erkennbar, die ein Vertrauen darauf rechtfertigten, dass die Gemeinde es bei einer nichtigen Beitragssatzung belassen und auf eine Beitragserhebung verzichten würde.

24

Eine zeitliche Beschränkung der Rückwirkung auf die Festsetzungsfristen sei aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht geboten. Der bayerische Gesetzgeber habe mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG eine Lösung gewählt, die sowohl die Gemeinden vor Beitragsausfällen aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung bewahre als auch dem Vorteilsgedanken Rechnung trage. Die Gemeinden würden nach Erlass der gültigen Satzung erstmals in die Lage versetzt, Beiträge nach den Maßstäben dieser gültigen Satzung korrekt festzusetzen und die öffentliche Einrichtung auf der Grundlage rechtsstaatlicher Regelungen zu refinanzieren. Bei Abwägung des öffentlichen Interesses mit den privaten Interessen der betroffenen Beitragspflichtigen überwiege das öffentliche Interesse. Ein Grundstückseigentümer müsse damit rechnen, zu einem Beitrag herangezogen zu werden. Sein Vertrauen darauf, dass eine nichtige Satzung nicht durch eine gültige Satzung ersetzt werde, sei nicht schutzwürdig. Verjährungsvorschriften dienten der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Im vorliegenden Fall liege kein Vorgang vor, auf dessen Abschluss der Bürger sich einstellen und auf dessen Ende er vertrauen könne. Da dem Beitragspflichtigen kein schützenswertes Vertrauen zur Seite stehe, komme dem öffentlichen Interesse an der Beitragserhebung das entscheidende Gewicht zu.

25

3. Das Bundesverwaltungsgericht teilt mit, es sei mit der Frage nach dem Lauf der Festsetzungsfrist bei der rückwirkenden "Reparatur" nichtiger Abgabennormen bisher nur am Rande befasst gewesen. Nach seiner gefestigten Rechtsprechung sei es allerdings mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar, kommunale Anschluss- und Erschließungsbeitragssatzungen rückwirkend in Kraft zu setzen, um früher erlassene, auf eine nichtige Vorgängersatzung gestützte Beitragsbescheide zu heilen (Hinweis auf BVerwGE 50, 2 <7 f.>; 67, 129 <130 ff.>; BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1996 - BVerwG 8 B 13.96 -, Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 36, S. 3 <4>). Werde eine ungültige durch eine gültige Satzung ersetzt, liege darin keine echte Rückwirkung, da eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Beitragssatzung entstehen könne und diese Satzung somit nicht in einen bereits abgeschlossenen Tatbestand eingreife (Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 1986 - BVerwG 8 B 123.84 -, NVwZ 1986, S. 483 <484>).

26

Die Festsetzungsverjährung sei im Abgabenrecht der Länder geregelt (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1977 - BVerwG IV C 84-92.74 -, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 20, S. 20<25> sowie NJW 1977, S. 1740 <1741>). Die Anknüpfung der Verjährung an die rückwirkende Entstehung der Beitragspflicht stehe mit Bundesrecht in Einklang. Die Frage der bundesrechtlichen Unbedenklichkeit einer Anknüpfung an die Verkündung der neuen Satzung sei in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter problematisiert worden.

27

Gegen die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG getroffene Regelung bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das rückwirkende Inkrafttreten der neuen Satzung habe zwar zur Folge, dass bereits zu einem zurückliegenden Zeitpunkt (frühestens zum Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens) die Beitragsvoraussetzungen erfüllt sein könnten. Es sei aber kein verfassungsrechtlicher Grundsatz ersichtlich, der dazu zwinge, die Festsetzungsverjährung in Rückwirkungsfällen an das Entstehen der Beitragsforderung anzuknüpfen. Da die Behörde erst mit der Verkündung der neuen Satzung in den Stand versetzt werde, einen rechtlich tragfähigen Beitragsbescheid zu erlassen, beziehungsweise erst mit der Verkündung ein auf die frühere nichtige Satzung gestützter Beitragsbescheid geheilt werde, sprächen Sachgründe für den im Bayerischen Kommunalabgabengesetz gewählten zeitlichen Anknüpfungspunkt der Festsetzungsverjährung. Die Regelung verstoße daher nicht gegen das Willkürverbot.

28

Mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbaren Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit dürfte die Regelung gleichfalls in Einklang stehen. Das Institut der Festsetzungsverjährung diene dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (Hinweis auf BFH, Urteil vom 15. Juni 1988 - I R 68/86 -, BFH/NV 1990, S. 128). Die Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die Verkündung der neuen Satzung führe zwar dazu, dass ein sehr langer Zeitraum zwischen dem die Beitragsforderung begründenden Sachverhalt und dem Ablauf der Verjährungsfrist liegen könne. Es sei aber zu bedenken, dass die mit der Festsetzungsverjährung verfolgten Ziele in einem Spannungsverhältnis zu dem Belang materieller Gerechtigkeit und dem fiskalischen Interesse an der Durchsetzung des Abgabenanspruchs stünden. Für die Aufgabe, zwischen den Polen in diesem Spannungsverhältnis einen verhältnismäßigen Ausgleich zu schaffen, sei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Gehe man mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass der Beitragspflichtige sich gegenüber dem rückwirkenden Inkraftsetzen einer neuen Beitragssatzung nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, und berücksichtige man zusätzlich die besondere Fehleranfälligkeit kommunaler Beitragssatzungen und das daraus resultierende gesteigerte Interesse an einer effektiven Nutzbarkeit der Heilungsmöglichkeiten, dürfte sich die Verjährungsregelung des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes innerhalb dieses Gestaltungsspielraums halten.

29

4. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund weist darauf hin, dass der rückwirkende Erlass einer Satzung, welche die "Reparatur" einer unwirksamen Satzung bezwecke, eine Ausnahme darstelle und im vorliegenden Fall verwaltungspraktische Gründe gehabt habe. Die auf der Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 erlassenen Bescheide wären sonst im Fall eines Eigentümerwechsels bei einem Teil der früheren Eigentümer bestandskräftig geworden und hätten bei nicht bestandskräftigen Bescheiden aufgehoben und gegenüber dem neuen Eigentümer neu erlassen werden müssen. Dadurch wäre es zu Ungleichbehandlungen gekommen. Der rückwirkende Erlass einer Satzung sei in der Praxis auch dann erforderlich, wenn andernfalls die Einbringung von Forderungen, zum Beispiel wegen Insolvenz oder Zwangsversteigerungsverfahren, gefährdet wäre. Eine Rückwirkung erstrecke sich üblicherweise nicht auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Dieser lange Zeitraum ergebe sich im vorliegenden Fall daraus, dass die Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 den in der Vorgängersatzung normierten Rückwirkungszeitpunkt beibehalten habe, was einen atypischen, sozusagen "verdoppelten" Rückwirkungszeitraum zur Folge gehabt habe.

B.

30

Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgebrachten Rügen sind nur teilweise zulässig.

I.

31

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da sie nicht hinreichend begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat insoweit die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht substantiiert dargelegt (vgl. BVerfGE 7, 95 <99>; 60, 313 <318>; 86, 133 <147>).

II.

32

Soweit die Verfassungsbeschwerde einen Verstoß gegen die aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes betrifft, ist sie zulässig.

33

Der Beschwerdeführer war - trotz Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG - nicht gehalten, zur Erschöpfung des Rechtswegs gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zu erheben. Wird im fachgerichtlichen Rechtsmittelverfahren die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht und bestätigt das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung, so muss die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - sofern kein eigenständiger neuer Gehörsverstoß durch das Rechtsmittelgericht geltend gemacht wird - nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden, um dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu genügen (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 f.>).

C.

34

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Die mittelbar angegriffene Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBl S. 775) sowie die hierauf beruhenden, unmittelbar angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

I.

35

1. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verletzt im vorliegenden Fall nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze.

36

Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz begrenzt die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263>; 126, 369 <393>).

37

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG selbst entfaltet dem Beschwerdeführer gegenüber keine Rückwirkung. Die Vorschrift regelt den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung von Beiträgen, die auf Abgabensatzungen gestützt sind, welche eine frühere unwirksame Satzung wirksam heilen. Bei ihrem Inkrafttreten zum 1. Januar 1993 lag eine solche wirksam heilende Satzung im Fall des Beschwerdeführers noch nicht vor und wurde auch später nicht rückwirkend zum oder vor dem 1. Januar 1993 in Kraft gesetzt, so dass die Verjährungsfrist unabhängig von der Neuregelung noch nicht zu laufen begonnen hatte. Solange der Lauf der Verjährungsfrist mangels gültiger Satzung nicht begonnen hat, betrifft die gesetzliche Neuregelung des Beginns der Verjährung mit der Wirkung einer Verjährungsverlängerung jedoch noch nicht einmal einen in der Vergangenheit begonnenen und nicht abgeschlossenen Sachverhalt.

38

Die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung bereits bestehende Vorteilslage begründet für den Beschwerdeführer ebenfalls keinen bereits begonnenen Sachverhalt, in den die Neuregelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG im Wege einer Rückwirkung eingegriffen hätte. Denn die Neuregelung beschränkt sich auf das Hinausschieben des Beginns der Verjährung. Eine solche konnte ohne wirksame Satzung aber nicht zu laufen beginnen.

39

2. Sollte der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf die unwirksame Satzung auf den Schein eines Verjährungslaufs vertraut haben, so kann dahinstehen, ob und in welchem Zusammenhang das Vertrauen in den scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verfassungsrechtlichen Schutz verdient. Nach den Feststellungen der Ausgangsgerichte hätte die Festsetzungsfrist selbst bei Wirksamkeit der unwirksamen Satzung frühestens mit Ablauf des Jahres 1992 begonnen. Das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes wurde aber bereits am 31. Dezember 1992 und damit sogar noch vor dem scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verkündet.

II.

40

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verstößt jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 30, 392 <403>; 43, 242 <286>; 60, 253 <267>). Er erlaubt, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen. Der Gesetzgeber hat damit den Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Entwässerungsanlage verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

41

1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (vgl. BVerfGE 60, 253 <267 f.>; 63, 343 <357>; BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, DStR 2012, S. 2322 <2325>). Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 63, 215 <223>). Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten.

42

2. Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

43

a) Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. Während das staatliche Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten vornehmlich von den Grundsätzen der richtigen Rechtsanwendung und der materiellen Gerechtigkeit (Belastungsgleichheit) sowie von fiskalischen Erwägungen getragen wird, steht dem auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber.

44

Dabei ist es den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.

45

b) Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 343 <352 f.>; 93, 319 <344>). Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.

46

c) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.

47

3. Der Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den erforderlichen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit auf der einen Seite und Rechtsrichtigkeit und Fiskalinteresse auf der anderen Seite verfehlt. Dadurch, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den Verjährungsbeginn bei der Heilung ungültiger Abgabensatzungen ohne zeitliche Obergrenze auf den Ablauf des Kalenderjahres festlegt, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden ist, löst der Gesetzgeber den Interessenkonflikt einseitig zu Lasten des Bürgers. Zwar schließt er damit die Verjährung von Beitragsansprüchen nicht völlig aus. Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt. Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen.

48

Der Beitragspflicht können die Bürgerinnen und Bürger im Regelfall nicht durch den Einwand der Verwirkung entgehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2011 - BVerwG 3 B 36.11 -, BeckRS 2011, 53777; Beschluss vom 12. Januar 2004 - BVerwG 3 B 101.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 314) und des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH, Urteil vom 8. Oktober 1986 - II R 167/84 -, BFHE 147, 409 <412>) erfordert Verwirkung nicht nur, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts längere Zeit verstrichen ist. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Diese Voraussetzung dürfte selbst in den Fällen der Beitragserhebung nach scheinbarem Ablauf der Festsetzungsfrist regelmäßig nicht erfüllt sein.

D.

I.

49

Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

50

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ).

II.

51

Der angegriffene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Die Unvereinbarkeitserklärung führt dazu, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden darf (vgl. BVerfGE 111, 115 <146>). Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens aber bis zum 1. April 2014, ausgesetzt oder sind auszusetzen.

52

Die Aussetzung gibt dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung. Verzichtet er auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist, tritt zum 1. April 2014 Nichtigkeit ein. Dann wäre es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, das Landesrecht entsprechend verfassungskonform auszulegen (vgl. etwa für den Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens heilender Satzungen BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60).

III.

53

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, hemmt die Verjährung dieses Anspruchs. Die Hemmung endet mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes oder sechs Monate nach seiner anderweitigen Erledigung.

(2) Ist ein Verwaltungsakt im Sinne des Absatzes 1 unanfechtbar geworden, beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre. Soweit der Verwaltungsakt einen Anspruch auf künftig fällig werdende regelmäßig wiederkehrende Leistungen zum Inhalt hat, bleibt es bei der für diesen Anspruch geltenden Verjährungsfrist.

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung

Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger war von 1992 bis 1996 Eigentümer eines bereits an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen bebauten Grundstücks. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 1992 stellte die Beklagte fest, dass das Dachgeschoss des Gebäudes ausgebaut worden war.

Mit Bescheid vom 5. April 2004 zog sie den Kläger erstmals auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 5. Mai 2000 zu einem Kanalherstellungsbeitrag in Höhe von 1.197,32 € für einen Dachausbau heran. Der Herstellungsbeitrag wurde gemäß § 5 Abs. 1 dieser Beitrags- und Gebührensatzung nach der Grundstücks- und Geschossfläche berechnet. Die Satzung war zur Heilung einer als nichtig beurteilten Vorgängersatzung rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft gesetzt worden.

Während des Widerspruchsverfahrens erwiesen sich auch die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 und deren Vorgängersatzungen als unwirksam. Die Beklagte erließ daraufhin die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18. April 2005 und setzte sie rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft. Diese Satzung wurde am 26. April 2005 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.

Die vom Kläger gegen den Bescheid und den Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2006 erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Zwar seien die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000, auf die der Bescheid gestützt worden sei, sowie auch sämtliche Vorgängersatzungen aus den Jahren 1995, 1992, 1987, 1980, 1973 und 1960 in den Beitragsteilen nichtig gewesen. Eine wirksame Rechtsgrundlage für den Bescheid sei aber mit der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005, basierend auf der Entwässerungssatzung der Beklagten vom 24. Juli 2000, geschaffen worden. Auf der Grundlage dieser Satzung sei die Beitragsschuld für die bislang nicht veranlagte Geschossflächenmehrung erstmals am 1. April 1995 entstanden. Der Kläger sei als zu diesem Zeitpunkt ins Grundbuch eingetragener Grundstückseigentümer Beitragsschuldner. Eine Verjährung der Beitragsforderung sei nicht eingetreten, da nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 KAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ab.

Mit Beschluss vom 5. März 2013 erklärte das Bundesverfassungsgericht Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) für unvereinbar und hob den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2008 - 20 ZB 08.903 - auf und verwies die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurück.

Mit Gesetz vom 11. März 2014 (GVBl. S. 70), in Kraft getreten am 1. April 2014, wurden die Verjährungsvorschriften durch den bayerischen Gesetzgeber neu gefasst. Ein Beitrag ist nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) bb) Spiegelstrich 1 KAG spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres nach Eintreten der Vorteilslage zu erheben. Liegt ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nach Art. 5 Abs. 2a KAG vor und kann der Beitrag deswegen nicht festgesetzt werden, beträgt die Frist 25 Jahre. Für Beiträge, die vor dem 1. April 2014 durch nicht bestandkräftigen Bescheid festgesetzt wurden, gilt nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 2 KAG eine Frist von 30 Jahren.

Auf die Nachfrage des Senats legte die Beklagte eine schriftliche Äußerung der Tochter der im Zeitpunkt des Dachausbaus eingetragenen, inzwischen verstorbenen Eigentümer vom 21. Mai 2014 vor. Danach sei der Dachausbau in den Jahren 1986/1987 fertig gestellt worden. Der Kläger war dagegen mit Schreiben vom 22. Mai 2014 der Meinung, dass das Dachgeschoss im Zeitpunkt 1991 mehr als 10 Jahre bereits ausgebaut gewesen sei.

Mit seiner durch den Senat zugelassenen Berufung beantragt der Kläger,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2008 zu ändern

und den Bescheid der Beklagten vom 5. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Landratsamts Freising vom 26. Juni 2006 aufzuheben.

Die Neuregelung des bayerischen Gesetzgebers genüge nach wie vor nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen an das Gebot der Rechtssicherheit. Hierfür sei die gewählte Frist zu lange. Jedenfalls genüge sie den Anforderungen nicht, soweit es um Sachverhalte vor Erlass der Regelung gehe, bei denen eine Anpassung der Vertragsgestaltungen nicht mehr möglich sei. Zudem sei nicht klar, dass die Vorgängersatzungen tatsächlich nichtig gewesen seien. Dies sei im Berufungsverfahren aufzuklären, mit der Folge, dass die Festsetzungsfrist abgelaufen sein könnte.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 12. März 2015 zum Thema des Zeitpunktes des Dachausbaues Beweis erhoben durch Einvernahme der Tochter der früheren Eigentümer als Zeugin. Im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift sowie auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 5. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Landratsamts vom 26. Juni 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der angefochtene Beitragsbescheid findet seine Rechtsgrundlage in Art. 5 Abs. 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 4. April 1993 (GVBl Seite 264, BayRS 2024-1-I) zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. März 2014 (GVBl. S. 70) sowie in den Bestimmungen der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS/EWS) der Beklagten vom 18. April 2005, rückwirkend in Kraft getreten zum 1. April 1995.

Nach Art. 5 Abs. 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Zu diesen Einrichtungen zählen auch öffentlich betriebene Entwässerungseinrichtungen, wie die der Beklagten. Gemäß Art. 5 Abs. 2a Satz 1 KAG entsteht ein zusätzlicher Beitrag, wenn sich nachträglich die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände ändern. So liegt es hier.

Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Beklagte mit der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS/EWS) vom 18. April 2005 erstmals über eine wirksame Beitragssatzung verfügt hat. Die vorausgehenden Beitragssatzungen der Beklagten enthielten eine unzulässige Regelung zur Veranlagung einzelner Geschosse innerhalb von Gebäuden oder selbständigen Gebäudeteilen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. U.v. 27.2.2003 - 23 B 02.1032 - BayVBl 2003, 373; B.v. 17.5.2006, - 23 CS 06.928 - juris) zur Nichtigkeit des gesamten Beitragsteils der Satzung führt. Die Entwässerungssatzung mit Beitrags- und Gebührenteil vom 30. Juli 1973 ist wegen einer mit dem Prinzip der gerechten Vorteilsabgeltung nicht zu vereinbarenden Begünstigung kleinerer Einfamilienhäuser beim Beitragsmaßstab Grundstücksfläche (§ 34 Abs. 2 c) im Beitragsteil als nichtig anzusehen (BayVGH, U.v. 14.4.1989 - 23 B 87.03112). Die BGS-EWS vom 12. Dezember 1960 ist allein schon wegen des nicht vorteilsgerechten Grundbeitrags mit Berücksichtigung der Geschossfläche erst ab dem dritten Vollgeschoss (§ 6 Abs. 1) nichtig (vgl. BayVGH v. 14.4.1989 a.a.O.). Diese vom Verwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung ist zutreffend und wurde vom Kläger nicht substantiell in Frage gestellt. Auf der Grundlage der rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft getretenen BGS-EWS 2005 ist die Beitragsschuld für die bislang nicht veranlagte Geschossflächenmehrung von 74,0 qm im Dachgeschoss des streitgegenständlichen Anwesens somit erstmals am 1. April 1995 entstanden. Die persönliche Beitragsschuld trifft den Kläger als zu diesem Zeitpunkt im Grundbuch eingetragenen Eigentümer (Art. 5 Abs. 6 Satz 1 KAG, § 4 BGS-EWS 2005).

Die Festsetzung des Herstellungsbeitrags im Jahr 2004 war noch zulässig, da die Vorteilslage für das veranlagte Anwesen frühestens im Jahr 1987 eintrat.

Gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG ist § 169 der Abgabenordnung (AO) in der jeweils geltenden Fassung mit der Maßgabe anwendbar, dass über Abs. 1 Satz 1 hinaus die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist; liegt ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nach Art. 5 Abs. 2a KAG vor und kann der Beitrag deswegen nicht festgesetzt werden, beträgt die Frist 25 Jahre. Für Beiträge, die vor dem 1. April 2014 durch nicht bestandskräftigen Bescheid festgesetzt sind, gilt Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 mit der Maßgabe, dass die Frist einheitlich 30 Jahre beträgt (vgl. Art. 19 Abs. 2 KAG). Durch die Neufassung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG ist der bayerische Gesetzgeber dem Regelungsauftrag des Bundesverfassungsgerichtes, welches die Vorgängerregelung, die bei einer nichtigen Beitragssatzung keine zeitliche Begrenzung der Beitragserhebung nach dem Entstehen der Vorteilslage vorsah, für verfassungswidrig erklärte (BVerfG, B.v. 5.3.2013 – 1 BvR 2457/08 – BGBl I 2013, 820 = BayVBl 2013, 465), nachgekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung Folgendes ausgeführt (a.a.O. Rn. 45, 46):

„Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 343 <352 f.>; 93, 319 <344>). Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.

c) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.“

Gemessen an diesen Anforderungen ist die vom bayerischen Gesetzgeber gewählte zwanzigjährige Ausschlussfrist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zunächst wurde dadurch erstmals eine zeitliche Höchstgrenze für die Erhebung eines Beitrages nach Art. 5 KAG eingeführt und dem Regelungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen, so dass der Bürger nunmehr eine klare Höchstfrist vor Augen hat und nicht mehr im Unklaren ist. Bei der Bestimmung der Dauer der Frist ist mit zwanzig Jahren kein unangemessen langer Zeitraum gewählt worden. Entsprechend den Vorgaben des Verfassungsgerichts hatte der Gesetzgeber hier einen Ausgleich zwischen dem Interesse des Bürgers an baldiger Rechtssicherheit und dem öffentlichen Interesse an einem Vorteilsausgleich für die Zurverfügungstellung einer öffentlichen Einrichtung der Daseinsvorsorge durchzuführen. Dem Gesetzgeber steht hier ein weiter Gestaltungsspielraum zu und die Vorteile, die die öffentliche Einrichtung vermittelt, können hier noch relativ lange fortwirken. So hält der 6. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abgesehen von der hier einschlägigen Konstellation allgemein eine 30jährige Ausschlussfrist in entsprechender Anwendung des Art. 53 Abs. 2 BayVwVfG für angemessen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann einem sanierungsrechtlichen Ausgleichsanspruch aufgrund des rechtsstaatlichen Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit im Wege des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung in Anlehnung an § 53 Abs. 2 VwVfG eine 30jährige Ausschlussfrist entgegen gehalten werden und zwar unabhängig von der Entstehung des Anspruches (BVerwG, U.v. 20.3.2014 - 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211, ebenso VGH Baden-Württemberg, B.v. 27.1.2015 - 2 S 1840/14 - juris; OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 4.12.2014 - 4 L 220/13 - juris). Im Hinblick darauf bestehen an der Verfassungsmäßigkeit der Zwanzigjahresfrist keine Bedenken. Zum einen hat der bayerische Gesetzgeber eine im Vergleich zu vorstehenden Erwägungen wesentlich kürzere Frist gewählt, zum anderen handelt es sich um eine klar ersichtliche gesetzliche Ausschlussfrist, die den Bürgern unabhängig von den Umständen des Einzelfalls Rechtsklarheit verschafft. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Abwägung der unterschiedlichen Interessen (vgl. LT-Drs. 17/370 Nr. 2) ist von sachgerechten Erwägungen getragen und hält sich im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums.

Bei Ergänzungsbeitragen für die Verwirklichung zusätzlicher Geschossflächen kann man für den Beginn der Ausschlussfrist aber nicht auf den erstmaligen Anschluss an die öffentliche Einrichtung abstellen. Hier wird der (zusätzliche) Vorteil, den die öffentliche Einrichtung vermittelt, erst mit der tatsächlichen Fertigstellung der betreffenden Geschossflächen vermittelt und muss damit Ausgangspunkt der Betrachtung sein.

Der Dachausbau des streitgegenständlichen Anwesens wurde frühestens im Jahre 1987 fertiggestellt. Dies steht nach der in der mündlichen Verhandlung am 12. März 2015 durchgeführten Beweisaufnahme durch die Vernehmung der Zeugin ... zur Überzeugung des Senats fest. Die Zeugin hat mit ihrer Aussage nachvollziehbar und glaubhaft ausgeführt, dass sie sich dieser zeitlichen Einordnung ziemlich sicher sei, weil sie 1985, als sie 18 Jahre alt war, ihre Berufstätigkeit begonnen habe und sich damals die Frage stellte, ob sie ausziehen solle oder im elterlichen Haus bleiben könne. Die Familie habe sich dann entschlossen das Dach als Wohnung für die Zeugin auszubauen. Diese zu keinen Zweifeln Anlass gebende Aussage wurde auch vom Kläger bei der Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht in Frage gestellt. Demnach ist zugunsten des Klägers davon auszugehen, dass der Dachausbau im Jahre 1987 fertiggestellt wurde. Folglich begann die Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG mit Ablauf des Jahres 1987 am 1. Januar 1988 zu laufen und endete mit Ablauf des 31. Dezember 2007. Die Festsetzung des Beitrags erfolgte jedoch mit der Bekanntgabe des Bescheids der Beklagten vom 5. April 2004, dessen Rechtsgrundlage die BGS-EWS vom 18. April 2005 ist, und damit vor Ablauf der Zwanzigjahresfrist.

Damit erfolgte die Festsetzung des Ergänzungsbeitrags noch rechtzeitig und es kommt nicht auf die Anwendung der Übergangsregelung des Art. 19 Abs. 2 KAG an. Nach dieser Vorschrift gilt für Beiträge, die vor dem 1. April 2014 durch nicht bestandskräftigen Bescheid festgesetzt sind, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 mit der Maßgabe, dass die Frist einheitlich 30 Jahre beträgt. Diese Norm hätte zwar im hier zu entscheidenden Fall Anwendungsvorrang, weil der streitgegenständliche Ergänzungsbeitrag durch vor dem 1. April 2014 nicht bestandskräftigen Bescheid festgesetzt worden ist. Der Senat hegt jedoch verfassungsrechtliche Bedenken, ob die Übergangsregelung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 118 Abs. 1 BV zu vereinbaren ist. Ein sachlicher Differenzierungsgrund für die Ungleichbehandlung von Beitragsfestsetzungen die vor dem 1. April 2014 mit nicht bestandskräftigem Bescheid festgesetzt worden sind und Beitragsfestsetzungen, die nach diesem Zeitpunkt erfolgt sind, erschließt sich dem Senat - jedenfalls bisher - nicht. Die im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes gegebene Begründung (LT-Drs. 17/370 S. 18) überzeugt nicht. Sie beruht im Wesentlichen auf dem Gedanken, dass eine unterschiedliche Behandlung von (ausgesetzten) Widerspruchsverfahren und verwaltungsgerichtlichen Verfahren, aufgrund der unterschiedlich maßgeblichen Entscheidungszeitpunkte, vermieden werden soll. Eine solche Erwägung spielt aber erkennbar keine Rolle, weil es bei Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG maßgeblich auf die Festsetzung des Beitrags und somit auf die Bekanntgabe des Beitragsbescheids ankommt. Nachdem im hier zu entscheidenden Fall bereits die regelmäßige zwanzigjährige Ausschlussfrist eingehalten wurde, kann die Frage, ob die Übergangsregelung des Art. 19 Abs. 2 KAG verfassungsgemäß ist oder gegebenenfalls einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist, jedoch dahinstehen.

2. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

3. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

 

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.197,32 € festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.