Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 10. März 2016 - 13 A 1657/15.A
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. Juni 2015 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist eritreischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben von Libyen aus nach Italien ein und gelangte von dort kommend mit dem Zug über Frankreich nach Deutschland. Am 11. Juni 2014 beantragte er in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Nach der Auskunft aus der Eurodac-Datenbank vom 22. Juli 2014 hatte der Kläger am 03. Mai 2014 bereits in Italien einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt richtete daraufhin am 11. August 2014 ein Wiederaufnahmegesuch an die italienischen Behörden. Eine Antwort hierauf erfolgte nicht.
3Mit Bescheid vom 28. November 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG (nunmehr AsylG) unzulässig, da Italien auf Grund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b) Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
4Am 5. Januar 2015 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben. Den zeitgleich gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 18. März 2015 abgelehnt (8 L 11/15.A).
5Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: Die Beklagte sei zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig. In Italien lägen systemische Mängel des Asylsystems und des Aufnahmeverfahrens vor. Ferner sei die Frist von 6 Monaten gemäß Art. 29 Dublin III-VO abgelaufen.
6Der Kläger hat beantragt,
7den Bescheid des Bundesamts vom 28. November 2014 aufzuheben,
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen.
11Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 25. Juni 2015 den Bescheid des Bundesamtes aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. AsylVfG - jetzt AsylG - ) wegen des Ablaufs der sechsmonatigen Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-Verordnung rechtswidrig. Das (erfolglose) gerichtliche Eilverfahren habe nicht zu einer Unterbrechung der Frist geführt. Ob eine Hemmung während der Anhängigkeit des Eilverfahrens anzunehmen sei, könne dahinstehen, da selbst in diesem Falle die Frist zwischenzeitlich verstrichen sei. Unerheblich sei ferner, ob dem Kläger ein Berufen auf einen Ablauf der Überstellungsfrist möglich sei, denn er könne jedenfalls geltend machen, dass nicht im Sinne des § 34 a AsylVfG (jetzt AsylG) feststehe, dass eine Abschiebung durchgeführt werden könne. Dies gelte auch dann, wenn der Abschiebung entgegenstehe, dass die Wiederaufnahmebereitschaft des Zielstaates nicht feststehe.
12Mit Beschluss vom 8. September 2015 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Beklagten zugelassen.
13Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, bei den Regelungen der Dublin-III-VO handele es sich um objektive Zuständigkeitsvorschriften. Sie würden keine subjektiven Rechte für die Asylbewerber begründen. Damit könnten sich Asylbewerber nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang infolge Fristablaufs berufen.
14Die Beklagte beantragt,
15das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. Juni 2015 zu ändern und die Klage abzuweisen.
16Der Kläger beantragt sinngemäß,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Zur Begründung trägt der Kläger vor, die sechsmonatige Überstellungsfrist sei abgelaufen. Sie habe bereits mit Ablauf der Fiktionsfrist des Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO zu laufen begonnen. Er könne sich auf den Fristablauf berufen, da die Regelungen der Dublin-Verordnungen den Asylbewerbern auch subjektive Rechte verliehen. Ferner stehe nicht im Sinne des § 34 a Abs. 2 AsylG fest, dass eine Abschiebung durchgeführt werden könne. Der Kläger habe daher aus materiellem Recht einen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens.
19Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin erklärt.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Gerichtsakte des Eilverfahrens (8 L 11/15.A) sowie des Verwaltungsvorgangs des Bundesamts Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe:
22Über die Berufung entscheidet im Einverständnis der Beteiligten die Berichterstatterin ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 87a Abs. 2 und Abs. 3, 101 Abs. 2 VwGO).
23Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Bundesamtes zu Recht aufgehoben. Die Klage ist zulässig und begründet.
24A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig und zwar nicht nur hinsichtlich der Abschiebungsanordnung sondern auch hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit. Die Erhebung einer auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO wäre unzulässig, weil die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden Dublin III-VO) ebenso wie schon die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden Dublin II-VO) ein von der materiellen Prüfung eines Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren für die Bestimmung des hierfür zuständigen Staats vorsieht (Art. 2 lit. d) Dublin III-VO). Diese Trennung der Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung und zur materiellen Prüfung darf nicht dadurch umgangen werden, dass das VG im Falle der Aufhebung der Zuständigkeitsentscheidung gleich über die Begründetheit des Asylantrags entscheidet. Insbesondere muss die zuständige Behörde bei einer vom Gericht für fehlerhaft erachteten Verpflichtung die Möglichkeit erhalten, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, um die Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylantragstellers zu ersuchen.
25Vgl. zur Dublin-II-VO bereits eingehend: BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 -, juris, Rn. 13 ff., sowie Beschluss vom 12. Januar 2016 - 1 B 64.15 -, juris, Rn. 2; OVG NRW, Urteile vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -, juris, Rn. 18 ff. und - 13 A 800/14.A ‑, juris, Rn. 22 ff., jeweils m. w. N.
26B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 28. November 2014 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
27I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der Entscheidung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblich ist, nicht gemäß § 27a AsylG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin III-VO nicht Italien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
281. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin III-VO. Diese ist anwendbar, weil der Kläger seinen Asylantrag nach dem 1. Januar 2014 gestellt hat, vgl. Art. 49 Dublin III-VO.
29Die zunächst bestehende Zuständigkeit Italiens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
30a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin III-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO war ursprünglich Italien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat unstreitig in Italien. Dort hat der Kläger auch innerhalb der Frist des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Aufgrund der Erkenntnisse aus der Eurodac-Datenbank hat der Kläger am 3. Mai 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Italien gestellt.
31b. Die Zuständigkeit ist aber gemäß Art. 29 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen. Danach geht - bis auf hier ersichtlich nicht vorliegende Ausnahmefälle - die Zuständigkeit über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Fristbeginn ist die Annahme des Aufnahme - oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder die endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat.
32Die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs erfolgte vorliegend - da Italien darauf nicht reagierte und der Antrag sich auf Angaben aus dem Eurodac-System stützte - mit dem Ablauf der Fiktionsfrist von zwei Wochen nach Zugang des Wiederaufnahmegesuchs (11. August 2014), vgl. Art. 25 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Dublin III-VO, so dass Fristbeginn der 26. August 2014 ist. Die sechsmonatige Überstellungsfrist endete damit grundsätzlich am 25. Februar 2015. Hier hat der Kläger aber neben dem Klageverfahren ein (erfolgloses) Eilverfahren betrieben. Welche Auswirkung das erfolglose Eilverfahren mit Blick auf die Regelung Art. 27 Abs. 3 lit. c) Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Überstellung während des Aussetzungsverfahrens nicht zulässig ist, auf die Überstellungsfrist hat, kann hier jedoch dahinstehen. Die Überstellungsfrist wäre nämlich sowohl bei der Annahme, dass der Zeitraum des erfolglosen Eilverfahrens im Sinne einer Hemmung in die Überstellungsfrist nicht eingerechnet wird -
33vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11. November 2015 ‑ 13 A1692/15.A -, juris, Rn. 3 und vom 3. November 2015 – 13 A 2255/15.A –, juris, Rn. 21; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 29. April 2015 – A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28, und vom 27. August 2014 – A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff.; Funke–Kaiser, in GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27 a Rn. 228.2 -
34als auch bei der darüber hinausgehenden Auffassung, die Frist beginne mit der Zustellung des (ablehnenden) Beschlusses – nach § 80 Abs. 5 VwGO erneut zu laufen,
35vgl. Sächs.OVG, Beschluss vom 5. Oktober 2015 – 5 B 259/15.A –, juris, Rn. 10,
36bereits verstrichen. Der ablehnende Beschluss datiert vom 18. März 2015. Ein Zustellnachweis befindet sich zwar nicht in den Akten. Es ist aber davon auszugehen, dass der Beschluss den Beteiligten zeitnah zugegangen ist, so dass selbst bei der Annahme einer Fristunterbrechung ein Fristablauf spätestens Ende September 2015 eingetreten ist.
372. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
38Die Fristregelungen der Dublin III-VO begründen zwar ebenso wie diejenigen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
39a. Wie bereits bei den entsprechenden Regelungen der Dublin II-VO, begründen die Vorschriften über die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO, ebenso wie Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO, Art. 21 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Antragsteller/Asylbewerber.
40Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 1 C 32.14 -, juris, Rn. 17 ff.; Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u. a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Urteile vom 16. September 2015 – 13 A 800/15.A -, juris, Rn. 79, - 13 A 2159/14.A ‑, juris, Rn. 68; Beschluss vom 2. Juni 2015 ‑ 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); OVG NRW, Urteile vom 16. September 2015, – 13 A 2159/14.A -, juris, Rn. 68 und - 13 A 800/14.A -, juris, Rn. 79 ; VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 ‑ 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO).
41Der Antragsteller mit dem auf Zuerkennung internationalen Schutzes gerichteten Antrag hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin III-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
42Vgl. zur Dublin II-VO: Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds.OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
43Die Normen der Dublin III-VO gelten zwar ebenso wie die der Dublin II-VO zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet aber nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
44Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
45Die Dublin III-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen bzw. Anträgen auf internationalen Schutz rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 4 und 5 der Dublin III-VO hervorgeht, soll - ebenso wie bei der Dublin II-VO (hier Erwägungsgründe 3 und 4) - eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Antrag auf internationalen Schutz/ Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden.
46Vgl. zur Dublin II-VO EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u. a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
47Der Beschleunigungszweck liegt zwar nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Antragsteller/Asylbewerber.
48Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezem-ber 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
49Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Antrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Anträge auf internationalen Schutz/über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Antragsteller/Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Verfahrens auf Zuerkennung internationalen Schutzes bzw. des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Antragsteller/Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
50Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 ‑, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
51Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
52Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
53Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen gilt dies aber nicht für Art. 29 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO. Ebenso wie bei den entsprechenden Vorschriften der Dublin II-VO rechtfertigt allein der Beschleunigungszweck– auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta - nicht die Annahme, diese Vorschriften seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
54Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 800/15.A -, juris, Rn. 81 (Dublin II-VO).
55b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes/seinen Asylantrag prüft.
56aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
57Vgl. OVG NRW, Urteile vom 16. September 2015 ‑ 13 A 800/15.A -, juris, Rn. 83; - 13 A 2159/14.A -, juris, Rn. 83.
58Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die - möglicherweise bestehende - Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
59Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
60Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können. Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer - wie der Kläger - aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier von Italien kommend nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob - und inwieweit - Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
61Vgl. OVG NRW, Urteile vom 16. September 2015 – 13 A 800/15.A -, juris, Rn. 87; - 13 A 2159/14.A, juris, Rn. 87 sowie zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m. w. N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
62Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland - hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz - eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
63Vgl. OVG NRW, Urteile vom 16. September 2015 – 13 A 800/15.A, 13 A13 A 2159/14.A ‑, juris, Rn. 89 unter Bezugnahme auf OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
64Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
65Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylG zugrunde, sondern auch § 24 AsylG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
66Vgl. OVG NRW, Urteile vom 16. September 2015 – 13 A 800/15.A -, 13 A13 A 2159/14.A, juris, Rn. 92; VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
67Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
68bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin III-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
69Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
70Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi), juris, Rn. 38 ff.
71Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
72vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m. w. N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
73begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
74Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
75Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
76Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin III-VO legt ebenso wie zuvor die Dublin II-VO - als ein Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verfahren und einem unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen internationaler Schutz gewährt wird - Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 5 und 6 der Dublin III-VO). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Schutzbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich auch aus Folgendem: Der 39. Erwägungsgrund der Dublin III-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele u.a. darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
77Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u. a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
78Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 5. Erwägungsgrund der Dublin III-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin III-VO liegt damit - ebenso wie bei dem der Dublin II-VO - die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
79Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32 (Dublin II-VO).
80Könnte der Asylbewerber/Schutzsuchende sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
81Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
82Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
83Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
84c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
85aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
86Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Schutzsuchenden aufzunehmen und das Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin III-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
87Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsge-setzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
88Vgl.zur entsprechenden Vorschrift in der Dublin II-VO (Art. 2 Abs. 2 Dublin II-VO) EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
89Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
90Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
91Die Entscheidung zur Prüfung des Antrags hat der nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO durch die Ausübung des Selbsteintrittsrechts zuständig gewordene Mitgliedstaat unverzüglich über Eurodac mitzuteilen, vgl. Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 3 Dublin III-VO.
92Eine – wie hier vorliegende - fehlende Reaktion auf das Aufnahmeersuchen innerhalb der gesetzlichen Frist und die damit verbundene Zustimmungsfiktion (Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO) löst jedenfalls einen Zuständigkeitsübergang im Wege des Selbsteintritts nicht aus. Die Fiktion erfasst nur die Zustimmung zu einer Überstellung innerhalb der Frist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO.
93bb. Auch wenn Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
94Die höchstrichterliche Rechtsprechung - auch die von der Beklagten im vorliegen-den Verfahren angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts -, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asylbewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die (ausdrücklich geäußerte) Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
95Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 1 C 32.14 -, juris, Rn. 4; Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
96Da die Dublin III-VO ebenso wie zuvor die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 5 der Dublin III-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
97So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
98Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
99Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
100Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
101Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
102So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
103Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Italien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten ‑ generell oder im Einzelfall ‑ nicht einwendet. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich.
104d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
105Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 26 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
106Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
107Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Italien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Italien eine Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
108OVG NRW, Urteile vom 16. September 2015, ‑ 13 A 2159/14.A -, juris Rn. 136 und - 13 A 800/14.A -, juris, Rn. 136.
109§ 242 BGB schließt eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang nicht aus, wenn der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
110OVG NRW, Urteile vom 16. September 2015, ‑ 13 A 2159/14.A -, juris, Rn. 137 und - 13 A 800/14.A -, juris, Rn. 137, VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 ‑ 22 K 2262/14.A ‑, juris, Rn. 82 ff.
111Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin III-VO begründet auch keine Verpflichtung des Antragstellers, sich in den nach der Dublin III-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte.
112OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015, – 13 A 2159/14.A -, juris Rn. 139 (zur Dublin II-VO).
113Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
114II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (nunmehr AsylG) gestützte Abschie-bungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Italien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Italiens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
115C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
116Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
117Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen.
118ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 10. März 2016 - 13 A 1657/15.A
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Urteil einreichenOberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 10. März 2016 - 13 A 1657/15.A zitiert oder wird zitiert von 27 Urteil(en).
(1) Der Vorsitzende entscheidet, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht,
- 1.
über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens; - 2.
bei Zurücknahme der Klage, Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch oder Anerkenntnis des Anspruchs, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe; - 3.
bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe; - 4.
über den Streitwert; - 5.
über Kosten; - 6.
über die Beiladung.
(2) Im Einverständnis der Beteiligten kann der Vorsitzende auch sonst anstelle der Kammer oder des Senats entscheiden.
(3) Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Oktober 2013 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2012 nach Melilla in Spanien, wo er am 25. Oktober 2012 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Am 14. Januar 2013 beantragte er unter dem Namen U. E. in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Den Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch Bescheid vom 13. März 2013 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Die Überstellung erfolgte am 10. April 2013.
3Am 3. Juni 2013 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 7. Juni 2013 – unter dem im Rubrum angegebenen Namen – Asyl. Ausweislich seiner eigenen Mitteilung und der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013 war der Kläger zuvor in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden. Das Bundesamt richtete am 29. August 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
4Durch Bescheid vom 4. Oktober 2013 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund der dort erfolgten illegalen Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
5Am 25. Oktober 2013 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage erhoben.
6Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 abgelehnt (13 L 2168/13.A). Auf den weiteren, unter dem 18. März 2014 gestellten Antrag des Klägers gemäß § 80 Abs. 7 VwGO ordnete das Verwaltungsgericht Düsseldorf durch Beschluss vom 24. März 2014 (13 L 644/14.A) mit der Begründung die aufschiebende Wirkung an, die sechsmonatige Überstellungsfrist sei abgelaufen.
7Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: In Spanien werde kein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt. Ihm sei dort die Asylantragstellung verweigert worden. Zudem sei die Überstellungsfrist abgelaufen. Hierauf könne er sich auch berufen. Ihm werde sein Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens abgesprochen, hielte sich Spanien im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr für zuständig. Ob die spanischen Behörden sich noch an ihre Zustimmung gebunden fühlten, sei völlig offen.
8Der Kläger hat beantragt,
9den Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 aufzuheben.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass die Überstellungsfrist mit der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vom 7. Januar 2014 neu zu laufen begonnen habe bzw. auf Grund des gemäß § 80 Abs. 7 VwGO erlassenen Eilbeschlusses vom 24. März 2014 bis zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens ausgesetzt sei.
13Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. September 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die zulässige, insbesondere statthafte Anfechtungsklage sei unbegründet. Nach den anwendbaren Vorschriften der Dublin II-VO sei Spanien für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig. Die Zuständigkeit sei nicht nach Maßgabe der Art. 16 ff. Dublin II-VO auf Deutschland übergegangen. Die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Uabs. 1 Dublin II-VO sei noch nicht abgelaufen. Weil durch Beschluss vom 24. März 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden sei, beginne sie erst zu laufen, nachdem das Gericht in der Hauptsache entschieden habe. Selbst wenn man auf die Sechsmonatsfrist ab Annahme des Aufnahmegesuchs abstelle, könne sich der Kläger hierauf jedenfalls nicht berufen. Ein Verstoß gegen die Fristenregelungen der Dublin II-VO verletze nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts keine subjektiven Rechte der Asylbewerber. Zudem sei es dem Asylbewerber unbenommen, sich freiwillig beim anderen Mitgliedstaat zu melden, weil die Überstellung auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen könne. Habe er es selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolge und dass sie erfolge, könne er sich nach § 242 BGB nicht auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland berufen. Es bestehe auch keine Verpflichtung der Beklagten, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Von einer unangemessenen Verfahrensdauer könne nicht ausgegangen werden. Es lägen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestünden.
14Mit Beschlüssen vom 15. Dezember 2014 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und auf Antrag des Klägers die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 4. Oktober 2013 angeordnet (11 B 1338/14.A).
15Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Überstellungsfrist von sechs Monaten ab der Zustimmung Spaniens zum Übernahmeersuchen am 17. September 2013 sei am 17. März 2014 abgelaufen. Durch die Stattgabe des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO habe die bereits abgelaufene Überstellungsfrist nicht wieder neu zu laufen begonnen. Aus der Dublin II-VO ergebe sich keine Rechtsgrundlage, wonach eine Rückübertragung der Zuständigkeit auf Spanien erfolgen könne. Der Kläger könne sich auch auf den Ablauf der Frist berufen. Die EuGH-Entscheidung Abdullahi beziehe sich lediglich auf die Anwendung der in Kapitel III der Dublin II-VO genannten Zuständigkeitskriterien, nicht jedoch auf den nachfolgend geregelten Ablauf der Überstellungsfrist und die dies mit Sanktionscharakter ausfüllenden Vorschriften des Kapitels V der Verordnung. Bestehe keine Übernahmebereitschaft Spaniens, wäre dem Kläger das unstreitig bestehende subjektive Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren genommen, könnte er sich nicht auf den Fristablauf berufen. Zudem räume die Dublin II-VO zumindest in bestimmten Punkten, etwa der Mitteilung von Daten, subjektive Rechte ein. Eine Beschränkung der Einwände des Asylbewerbers auf die Prüfung systemischer Mängel in einem Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen könne nur dann angenommen werden, wenn de facto ein anderer Mitgliedstaat im Zeitpunkt dieser Prüfung eigentlich noch zuständig wäre. Sei Deutschland wegen Fristablaufs zuständig, ergebe sich aus Art. 16a GG bzw. dem Asylverfahrensgesetz ein einklagbarer Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens.
16Der Kläger beantragt,
17das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Asylbewerber könnten sich nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang nach den Art. 16 ff. Dublin II-VO berufen. Ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO zuständige Mitgliedstaat sei oder ob durch Zeitablauf Deutschland zuständig geworden sei. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Spanien eine Überstellung bereits endgültig abgelehnt habe. Zwar lehnten die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ab, jedoch könne im besonderen Einzelfall durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
24A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
25Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2013, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
26Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
27Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
28Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
29Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
30Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
31Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
32Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
33Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
34Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
35Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
37Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
39B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
40I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
411. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 7. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
42Denn hier lagen auch das Aufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
43Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
44Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
45a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
46aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
47bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen. Danach endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
48Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO greift nur dann ein, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist.
49Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47.
50Diese Auslegung ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, wonach bei der Bestimmung des nach den in Kapitel III bestimmten Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Das geschah hier am 14. Januar 2013 (mit einem Alias-Namen) sowie nach erneuter Einreise nach Deutschland von Spanien aus am 7. Juni 2013 und damit innerhalb der Jahresfrist seit der erstmaligen illegalen Einreise nach Spanien im Oktober 2012.
51Selbst wenn man aber nicht auf den Asylantrag, sondern auf den spätesten Zeitpunkt des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens, den Abschluss durch die Aufnahmeerklärung Spaniens am 17. September 2013, abstellt, waren zwölf Monate nicht verstrichen. Ein noch späterer Zeitpunkt kommt hingegen nicht in Betracht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gilt die in Kapitel III der Verordnung normierte Frist nur für das in diesem Kapitel geregelte Zuständigkeitsbestimmungsverfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑) Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland – abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen – die im Kapitel V in Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO geregelte Mitteilung an den Asylbewerber gehört nicht dazu – kann die Zuständigkeit hingegen nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
52b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
53aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO. Danach gilt: Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig. Das Bundesamt hat hier gemäß Art. 17 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin II-VO innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags Spanien ersucht, den Kläger aufzunehmen. Der Kläger hat am 7. Juni 2013 Asyl beantragt, das Aufnahmeersuchen datiert vom 29. August 2013.
54bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
55(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO ist am 17. März 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 - fristgerecht innerhalb von zwei Monaten (vgl. Art. 18 Abs. 1, 7 Dublin II-VO) - ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Aufnahme des Klägers an. Da die Überstellung binnen dieser Frist nicht durchgeführt worden ist, ist die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf die Beklagte als den Staat übergegangen, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Fristverlängerungen nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO scheiden hier aus.
56(2) Die Überstellungsfrist verlängert sich nicht um die Dauer des erfolglosen ersten gerichtlichen Eilverfahrens und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz führt auch nicht zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht. Der Antrag des Klägers vom 25. Oktober 2013, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 - 13 L 2168/13.A - abgelehnt. Das erfolglose Eilverfahren wirkt sich auf die Dauer der Überstellungsfrist nicht aus.
57Die Dublin II-VO sieht weder eine Unterbrechung oder Hemmung (§ 209 BGB entsprechend),
58so VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris,
59noch, wovon das Bundesamt ausgeht, einen Neubeginn der Frist in solchen Fällen vor. Dies lässt sich ihr auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen.
60Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO bestimmt eine Frist von sechs Monaten ab Annahme des Aufnahmegesuchs. Nur wenn ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, gilt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO eine abweichende Frist von sechs Monaten ab der Entscheidung über diesen Rechtsbehelf. Entscheidung über den Rechtsbehelf in diesem Sinne ist aber nicht der Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, sondern – die Fortdauer der Aussetzung der Vollziehung vorausgesetzt – die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren.
61Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53 ff., Beschlüsse vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, juris, Rn. 5 und vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, AuAS 2014, 237 = juris, Rn. 5.
62Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Rechtsbehelf selbst muss aufschiebende Wirkung zukommen. Dies trifft - auch nach dem Unionsrecht - nur auf einen Rechtsbehelf zu, mit dem über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und ihren Bestand (abschließend) entschieden wird. Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht die Aufhebung der behördlichen Entscheidung, sondern nur die Aussetzung des Vollzugs erreicht werden. Zudem vermag nicht die Antragstellung, sondern nur die stattgebende gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung herbeizuführen, deren Endpunkt die Hauptsacheentscheidung ist.
63Diese Überlegungen werden durch die Systematik der Dublin II-VO bestätigt. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist die Entscheidung des Beklagten nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II-VO kann gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Dass dies allein die Klage, nicht aber der Antrag auf Aussetzung sein kann, zeigt vor allem Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO. Danach hat der gegen die Überstellungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. An diese Vorgaben, die der Sache nach zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren trennen, knüpft der folgende Absatz 3 des Art. 19 Dublin II-VO an, indem er die Frist nur dann erst mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf beginnen lässt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wenn er also - so lässt sich mit Blick auf Absatz 2 präzisieren - im Einzelfall aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts aufschiebende Wirkung hat. Dem entspricht das nationale Recht. Ein Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach § 80 Abs. 1 VwGO - neben dem Widerspruch - nur die Klage. Die Klage gegen die Überstellungsentscheidung des Bundesamts hat - unionsrechtskonform - aber nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, diese wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September 2013 gültigen Fassung im Einzelfall durch das Gericht angeordnet.
64Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 7 ff.
65Bei dieser Ausgangslage rechtfertigt allein der Sinn und Zweck der Überstellungsfrist, den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, um die (technischen) Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln, wofür grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen,
66vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 ‑ Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495,
67keine andere Auslegung des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO.
68Auch § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG führt jedenfalls bei der Dublin II-VO nicht dazu, dass der Lauf der Überstellungsfrist gehemmt wird oder diese erst oder erneut mit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu laufen beginnt.
69Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.; a. A. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 ‑ A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff., und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28; Funke- Kaiser, in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rn. 227 f.
70Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Damit wird aber weder eine aufschiebende Wirkung der Klage begründet noch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, sondern lediglich vorübergehend die Vollziehung der Überstellungsentscheidung durch die Ausländerbehörde gehemmt. Die Anordnung eines Vollziehungshindernisses durch den nationalen Gesetzgeber kann ferner deshalb nicht mit der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung durch gerichtlichen Eilbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichgesetzt werden, weil dies den unmittelbar geltenden Vorgaben der Dublin II-VO zuwider liefe. Wie bereits ausgeführt, verankert Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, ferner das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen, konkret-individuellen Anordnung. Dem liegt der Beschleunigungsgedanke zugrunde, der auch Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ist. Im Übrigen beruht der Umstand, dass aufgrund des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG bei Stellung eines Eilantrags der Ausländerbehörde nicht die vollen sechs Monate für die Organisation der Überstellung zur Verfügung stehen mögen, sondern diese sich um die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens verkürzen können, auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die Dublin II-VO anwendbar war. Die Vorgabe des Art. 27 Abs. 3 lit. c Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Überstellung auszusetzen ist, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ihrer Durchführung ergangen ist, ist erst ab dem 1. Januar 2014 anwendbar.
71Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.
72(3) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Verwaltungsgericht im (zweiten) Eilverfahren mit Beschluss vom 24. März 2014 -13 L 644/14.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, die Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen. Dies war auch der Grund für die stattgebende Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts.
73Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stehen die beiden Alternativen des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird.
74Dies ergibt sich nicht nur aus dem oben dargelegten Normgefüge des Art. 19 Abs. 2 und 3 Dublin II-VO, sondern vor allem aus der in Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist am 17. März 2014 die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den „zuständigen“ Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
752. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
76Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
77a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
78Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 - 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
79Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
80Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
81Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
82Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
83Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
84Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
85Insbesondere die Fristbestimmungen dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zügigen Überstellung an diesen. Zwar liegt dieser Beschleunigungszweck nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
86Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
87Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
88Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
89Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
90Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
91Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen gilt dies aber nicht für Art. 19 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO. Allein der Beschleunigungszweck rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – nicht die Annahme, diese Vorschriften seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
92b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
93aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
94Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
95Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
96Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
97Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
98Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
99Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
100Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
101Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
102Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
103Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
104Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
105bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
106Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
107Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarecht-lichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
108Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
109vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
110begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
111Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
112Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
113Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
114Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
115Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
116Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
117Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
118Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
119Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
120Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
121c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
122aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
123Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
124Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
125Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
126Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
127Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
128Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
129Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
130Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
131Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 17. September 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
132bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
133Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
134Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
135Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
136So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
137Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
138Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
139Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
140Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
141So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
142Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 17. September 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat auf mehrfache gerichtliche Anfrage mit Schriftsatz vom 13. August 2015 lediglich ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ablehnten. Der Zusatz, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren. Zuletzt hat das Bundesamt mit Schriftsatz vom 27. August 2015 mitgeteilt, dass derzeit konkrete Anhaltspunkte weder dafür, dass Spanien trotz zwischenzeit-lichen Ablaufs der Überstellungsfrist seine Zuständigkeit bejaht hätte, noch dafür vorlägen, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
143d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
144Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
145Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
146Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
147Auch das Argument des Verwaltungsgerichts, § 242 BGB schließe eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang aus, weil der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können, überzeugt nicht. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
148So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
149Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1503. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
151Es ist schon nicht ersichtlich, dass ein Zweitantrag vorliegt. Aus den dem Gericht vorliegenden Akten ergibt sich nur, dass der Kläger in Spanien zweimal erkennungsdienstlich behandelt worden ist, nicht aber, dass er einen Asylantrag gestellt hat.
152Abgesehen davon kommt ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
153Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 - 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
154Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 4. Oktober 2013 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
155Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, Rn. 29, juris.
156Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
157Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
158II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
159C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
160Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
161Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich aber nach der in weiten Teilen übereinstim-menden Dublin III-VO in gleicher Weise.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.
(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.
(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 27. August 2015 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
1Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu. Die aufgeworfene Frage, „ob die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO von 6 Monaten ab der - ggf. fiktiven - Zustimmung der Behörden des anderen Staates zur Rückführung des Betroffenen läuft, oder erst ab der Zustellung eines Eilbeschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG“, ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig.
4In Dublin II-Verfahren wirkt sich nach der Rechtsprechung des Senats das erfolglose Eilverfahren auf die Dauer der Überstellungsfrist nicht aus. Diese endet also sechs Monate nach (ggf. fingierter) Annahme des Aufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat.
5Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -, sowie Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 5. August 2015 - 1 A 11020/14 -; a.A. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, und vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris.
6Ob Art. 27 Abs. 3 lit. c) Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Überstellung während des Aussetzungsverfahrens nicht zulässig ist, für Dublin III-Verfahren eine abweichende Lösung dahingehend fordert, dass im Sinne einer Hemmung der Zeitraum des erfolglosen Eilverfahrens in die Überstellungsfrist nicht eingerechnet wird,
7so VGH Bad.-Württ., Urteile vom 29. April 2015 – A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28, und vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 27a Rn. 228.2; a. A. Sächs. OVG, Beschluss vom 5. Oktober 2015 - 5 B 259/15.A -, juris,
8ist nicht entscheidungserheblich, weil auch diese Frist abgelaufen ist. Das Aufnahmeersuchen an Italien datiert vom 5. Januar 2015. Da Italien es nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten beantwortet hat (Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO) ist die 6-Monats-Frist am 5. September 2015 abgelaufen. Rechnet man die Zeit des Eilverfahrens hinzu, das von der Antragstellung am 5. Mai 2015 bis zur Zustellung des ablehnenden Beschlusses am 11. Juni 2015 dauerte, endete die Überstellungsfrist am 12. Oktober 2015.
9Die Frage, ob die Überstellungsfrist erst ab Zustellung des Beschlusses im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu laufen beginnt, lässt sich in Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden und unter Heranziehung der vorhandenen Rechtsprechung verneinend beantworten, ohne dass es der Klärung im Berufungsverfahren bedarf.
10Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 erfolgt die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 aufschiebende Wirkung hat. Gemeint ist mit der aus der Dublin II-Verordnung übernommenen Formulierung, die durch die Ergänzung mit dem Substantiv „Überprüfung“ sprachlich verunglückt ist, dass der Rechtsbehelf oder die Überprüfung aufschiebende Wirkung haben muss.
11Vgl. die englische Sprachfassung: „within six months …. of the final decision on an appeal or review where there is a suspensive effect in accordance with Article 27 (3)".
12Während die Dublin II-Verordnung davon ausgeht, dass ein Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat, sieht die Dublin III-Verordnung in Art. 27 Abs. 3 aus Gründen effektiven Rechtsschutzes generell zumindest eine vorübergehende Aussetzung vor. Die Mitgliedstaaten können in ihrem innerstaatlichen Recht entweder die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung anordnen (lit. a), die automatische Aussetzung der Überstellung für einen bestimmten Zeitraum regeln, innerhalb dessen ein Gericht über die Aussetzung entscheidet (lit. b), oder ein gerichtliches Aussetzungsverfahren vorsehen, während dessen allerdings nicht abgeschoben werden darf (lit. c). Deutschland hat mit § 34a AsylG von der letztgenannten Handlungsalternative Gebrauch gemacht. Die Vorgabe in Art. 27 Abs. 3 lit. c) Satz 2 Dublin III-VO, dass die Überstellung ausgesetzt werden muss, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist, ist in § 34a Abs. 2 AsylG umgesetzt, wonach die Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zulässig ist.
13Die Dublin III-Verordnung trifft keine Regelung zu der Frage, wie sich der Umstand, dass während des Aussetzungsverfahrens nicht abgeschoben werden darf, auf die Berechnung der Überstellungsfrist auswirkt. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO regelt nur den Fall des Art. 27 Abs. 3 lit. a) Dublin III-VO, in dem Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht die aufschiebende Wirkung der Klage oder der Überprüfung vorsehen, sowie den Fall, in dem nach Art. 27 Abs. 3 lit. c) Dublin III-VO ein Aussetzungsantrag Erfolg hat. Wie die Frist zu berechnen ist, wenn ein Aussetzungsantrag nach Art. 27 Abs. 3 lit. c) Dublin III-VO erfolglos ist, bestimmt die Dublin III-Verordnung nicht.
14Eine Auslegung des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO dahingehend, dass die Überstellungsfrist bei erfolglosem Eilverfahren im Sinne des Art. 27 Abs. 3 lit. c) Dublin III-VO ab der Zustellung eines Eilbeschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO (neu) zu laufen beginnt, scheidet jedenfalls aus. Sie ist mit dem Wortlaut und der Systematik der Art. 27 und 29 Dublin III-VO sowie dem Sinn und Zweck der Vorschriften nicht vereinbar. Ein Rechtsbehelf – ein solcher ist im deutschen Recht vorgesehen, keine Überprüfung – im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 2. Alt. Dublin III-VO ist der Hauptsacherechtsbehelf, d. h. die Klage. Der Verordnungsgeber – das zeigen auch Art. 27 Abs. 3 lit. c) Satz 1 Dublin III-VO – unterscheidet klar zwischen dem Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung (Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO) und dem Aussetzungsverfahren (Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO). Erst im Hauptsacheverfahren erfolgt die „endgültige Entscheidung“ im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO. Nach Art. 27 Abs. 3 lit. c) Satz 1 Dublin III-VO kann der Antragsteller bis zum Abschluss dieses Rechtsbehelfs die Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung beantragen. Während des Aussetzungsverfahrens gilt gemäß Art. 27 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO nur, dass die Mitgliedstaaten für einen wirksamen Rechtsbehelf in der Form sorgen müssen, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist. Damit kommt aber nicht dem Aussetzungsantrag aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO zu. Schließlich widerspräche ein erneuter Fristlauf dem Beschleunigungszweck der Dublin III-VO. Insbesondere die Fristbestimmungen dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zügigen Überstellung an diesen.
15Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -.
16Würde die Frist (erneut) mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu laufen beginnen, könnte der überstellende Mitgliedstaat durch eine möglichst späte Zustellung des Bescheids den Fristlauf zu seinen Gunsten beeinflussen.
17Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 27a Rn. 228.2.
18Dass die Mitgliedstaaten, die sich für eine Aussetzung kraft Gesetzes nach Art. 27 Abs. 3 lit. a) Dublin III-VO entschieden haben, stets erst bis sechs Monate nach Ergehen der Hauptsacheentscheidung überstellen müssen, erfordert keine andere Betrachtung. Dies ist Folge der in Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO eingeräumten Handlungsmöglichkeiten.
19Ob dies zur Folge hat, dass nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 1. Alt. Dublin III-VO die 6-Monats-Frist ab Annahme des (Wieder-)Aufnahmegesuchs gilt, oder ob Art. 27 Abs. 3 lit. a) Dublin III-VO erfordert, dass der Zeitraum des erfolglosen Eilverfahrens in die Frist nicht eingerechnet werden darf, ist – wie ausgeführt – hier nicht entscheidungserheblich. Der Senat neigt allerdings zu der Auffassung, dass dies der Fall ist. Beließe man es bei der Anwendung dieser Regelung auch in Fällen eines erfolglosen Eilverfahrens, bliebe unberücksichtigt, dass den Mitgliedstaaten grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen, um die Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln.
20Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A
211347/14.A -, juris, Rn. 12.
22Diese Zeit darf wohl nicht durch ein gesetzliches Vollstreckungshindernis verkürzt werden, wie Art. 27 Abs. 3 lit. c) Satz 2 Dublin III-VO es – anders als noch die Dublin II-Verordnung – vorgibt. Es erscheint durchaus sachgerecht, die Regelungslücke so zu schließen, dass im Sinne einer Hemmung (vgl. § 209 BGB) der Zeitraum des erfolglosen Eilverfahrens in die Überstellungsfrist nicht eingerechnet wird.
23Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 29. April 2015 – A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28, und vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff.; siehe auch Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 27a Rn. 228.2.
24Die Berufung ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG). Der angeführte Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A - betrifft die Berechnung der Überstellungsfrist nach der Dublin II-VO. Das Verwaltungsgericht ist deshalb mit seiner Entscheidung zur Dublin III-VO, die – wie ausgeführt – Neuregelungen zur Aussetzung der Überstellung enthält, mit keinem abstrakten Rechtssatz hiervon abgewichen.
25Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
26Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 11. November 2014 - A 3 K 4877/13 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5. Mai 2014 - A 4 K 1410/14 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. März 2015 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Voll-streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben im März 2010 von Marokko aus nach Spanien ein und von dort aus im April 2013 weiter über Frankreich und die Schweiz nach Deutschland. Am 13. Juni 2013 beantragte er in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Nach der Eurodac-Datenbank hat der Kläger am 4. Juni 2012 in Spanien einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt richtete am 8. November 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 19. November 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
3Durch Bescheid vom 16. Januar 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
4Am 6. Februar 2014 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben.
5Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 25. Februar 2014 abgelehnt (15 L 143/14.A).
6Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: Die Beklagte sei zuständig, weil sie die 3-Monats-Frist für die Stellung des Übernahmeersuchens nicht eingehalten habe. In einem solchen Fall sei das Bundesamt verpflichtet, von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Außerdem sei die Überstellungsfrist abgelaufen.
7Der Kläger hat beantragt,
8den Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen,
9hilfsweise
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
11Die Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen.
14Auf Anfrage des Verwaltungsgerichts hat die zuständige Ausländerbehörde mit Schreiben vom 19. Januar 2015 mitgeteilt, die Abschiebung hätte nicht vollzogen werden können, da der Kläger sich zwischenzeitlich in Haft befunden habe. Aus diesem Grund sei die Überstellungsfrist auf den 4. März 2015 verlängert worden.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. März 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Ein Fristversäumnis nach Art. 17 Dublin II-VO liege nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelte diese Frist nicht für ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 20 Dublin II-VO und scheide eine analoge Anwendung aus. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Überstellungsfrist des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen sei. Denn diese Vorschrift begründe wie auch die anderen Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO keine subjektiv-öffentlichen Rechte für den Asylbewerber. Dieser könne bei einer auf §§ 27a, 34a AsylVfG gestützten Entscheidung des Bundesamts lediglich eine gerichtliche Überprüfung dahingehend verlangen, ob eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK, Art. 4 GR-Charta drohe. Die Verpflichtungs- und Hilfsanträge seien unzulässig. Eine Verpflichtungsklage auf Durchführung eines Asylverfahrens, auf Flüchtlingsanerkennung und auf Feststellung des subsidiären internationalen Schutzes und von Abschiebungsverboten scheide aus, da das Bundesamt den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt habe. Soweit zwischenzeitlich aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist Deutschland zuständig geworden sein sollte, müsse eine Sachentscheidung über diese Streitgegenstände zunächst dem Bundesamt vorbehalten bleiben. Das Verwaltungsgericht dürfe nicht die Sache spruchreif machen und durchentscheiden.
16Mit Beschlüssen vom 4. Mai 2015 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und gemäß § 80 Abs. 7 VwGO unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 25. Februar 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (11 B 437/15.A).
17Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Anfechtungsklage sei die richtige Klageart, da der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht bei gebundenen Entscheidungen eigentlich durchentscheiden müsse, in den Fällen, in denen das Bundesamt überhaupt noch keine Sachentscheidung getroffen habe, nicht gelte. Eine Umdeutung in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG sei nicht möglich. Während ein Asylantrag nach § 27a AsylVfG bei Zuständigkeit eines bestimmten anderen Staates für das Asylverfahren unzulässig sei, sei im Rahmen des § 71a AsylVfG im Hinblick auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu prüfen, ob die Zuständigkeit Deutschlands bestehe und ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorlägen. Der Kläger, der in Spanien keinen subsidiären Schutz erhalten habe, könne sich auch auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen, da ihm insofern ein subjektiv-öffentliches Recht vermittelt werde. Mit deren Ablauf sei die Bundesrepublik zuständig geworden. Hier sei zudem nicht ersichtlich, dass der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat trotz Fristablaufs weiterhin zur Übernahme bereit sei.
18Der Kläger beantragt,
19das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. März 2015 zu ändern und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2014 aufzuheben.
20Die Beklagte beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin-Verordnung begründeten keine subjektiven Rechte. Sie dienten allein den objektiven Zwecken einer sachgerechten Verteilung der mit der Durchführung der Asylverfahren verbundenen Lasten im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander. Aus dem Anhörungsprotokoll vom 11. September 2013 sei zu entnehmen, dass der Kläger nach eigenen Angaben bereits in Spanien Asyl bzw. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt habe und zunächst eine positive Antwort bekommen habe, die später zurückgenommen worden sei. Rein vorsorglich werde deshalb auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen, wonach eine Sachaufklärungspflicht besehe, ob und mit welchem Ergebnis der Kläger bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt habe.
23Auf – vom Senat angeregte – Anfrage des Bundesamts teilte die zuständige spanische Behörde am 18. August 2015 mit, dass dem Kläger in Spanien kein internationaler Schutz gewährt worden sei.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
26Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
27A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
28Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 16. Januar 2014, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
29Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
30Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
31Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
32Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
33Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
34Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
35Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
36Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
37Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
38Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
40Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
41Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
42B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2014 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
43I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
441. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 13. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
45Denn hier lagen auch das Wiederaufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
46Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
47Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
48a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
49aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
50bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist zwar nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen, darauf kann sich der Kläger aber nicht berufen.
51Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Selbst wenn man Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nur für einschlägig hält, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist,
52vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47,
53liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift hier vor. Nach seinen Angaben bei der Anhörung durch das Bundesamt ist der Kläger im März 2010 nach Spanien eingereist. Er hat aber laut Eurodac-Datenbank erst am 4. Juni 2012 einen Asylantrag gestellt.
54Der Kläger kann sich aber auf den Fristablauf nicht berufen, weil Spanien ungeachtet dieses Umstands am 19. November 2013 eine Übernahmeerklärung abgegeben hat.
55Sind sich die Mitgliedstaaten bei der Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO einig, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, dann werden die Rechte des Asylbewerbers dadurch nicht verletzt, es sei denn, im anderen Mitgliedstaat bestehen systemische Mängel. Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO begründet keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
56Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; Bay.VGH, Urteil vom 13. April 2015 ‑ 11 B 15.50031 -, juris, Rn. 23.
57Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
58Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
59Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
60Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
61Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
62Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u. a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
63Der Beschleunigungszweck liegt zwar nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
64Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
65Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
66Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 ‑, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
67Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
68Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
69Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen ist dies aber bei Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nicht der Fall. Im Fall des Klägers tritt hinzu, dass das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach dem Kapitel III der Dublin II-VO bereits abgeschlossen ist. Die in diesem Kapitel normierte Frist gilt nur für dieses Verfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑)Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland - abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach abgeschlossener Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen kann die Zuständigkeit nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
70Ein Anspruch des Asylbewerbers auf eine abweichende Entscheidung würde auch nur zu einer weiteren Verzögerung der Behandlung seines Asylbegehrens führen.
71Vgl. Bay.VGH, Urteil vom 13. April 2015 - 11 B 15.50031 -, juris, Rn. 23.
72b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
73aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus einer verspäteten Stellung des Wiederaufnahmegesuchs. Entgegen der Auffassung des Klägers gilt hierfür keine Frist von drei Monaten.
74Eine solche ist in Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO nur für das Aufnahmeverfahren normiert. Eine entsprechende Regelung fehlt aber für das hier vorliegende Wiederaufnahmeverfahren. Art. 20 Dublin II-VO bestimmt die Modalitäten, nach denen ein Asylbewerber wieder aufgenommen wird, der – wie hier der Kläger in Spanien – bereits im anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat. Art. 20 Dublin II-VO enthält keine dem Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung entsprechende Fristbestimmung. Eine solche Frist und ein Zuständigkeitsübergang im Fall des Fristablaufs sind für Wiederaufnahmen erst in der Dublin III-VO vorgesehen (vgl. Art. 23 Abs. 2 und 3). Für eine analoge Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO normierten Frist von drei Monaten im Fall des Wiederaufnahmegesuchs ist kein Raum. Die Normierung der Modalitäten der Wiederaufnahme in Art. 20 Dublin II-VO ist eine in sich geschlossene Regelung, die keine Lücke erkennen lässt, die durch eine analoge Heranziehung der Fristbestimmung des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO zu schließen wäre.
75Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 13; OVG NRW, Urteil vom 16. Juni 2015 - 11 A 890/14.A -, juris, Rn. 24, sowie Beschluss vom 27. Juli 2015 - 13 A 1857/14.A -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 = juris, Rn. 13.
76bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
77(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO ist am 19. Mai 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten fristgerecht (vgl. Art. 20 Abs. 1 lit. b) Satz 2 Dublin II-VO) mit Schreiben vom 19. November 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers an.
78(2) Auf die Fragen, ob die Überstellungsfrist sich um die Dauer des erfolglosen gerichtlichen Eilverfahrens verlängert oder der erstinstanzliche Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht führt, kommt es nicht an.
79Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -.
80Sogar im spätesten dieser Zeitpunkte wäre die Überstellungsfrist inzwischen abgelaufen. Das Verwaltungsgericht lehnte auf den Antrag vom 6. Februar 2014 durch Beschluss vom 25. Februar 2014 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Eine etwa dann beginnende 6-Monats-Frist wäre am 25. August 2014 abgelaufen.
81(3) Es kann weiter offen bleiben, ob die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO vorgelegen haben und diese ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Nach dieser Vorschrift kann die Überstellungsfrist höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrags aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Nach Art. 9 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (VO (EG) Nr. 1560/2003) muss der ersuchende Mitgliedstaat den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist unterrichten. Nach Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde ist die Frist, da der Kläger sich zwischenzeitlich in Haft befunden habe, auf den 4. März 2015 verlängert worden. Das Bundesamt geht in einem Schreiben vom 6. August 2015 an die Ausländerbehörde vom Fristablauf am 25. Februar 2015 aus. Selbst eine solche Frist wäre inzwischen abgelaufen.
82(4) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Oberverwaltungsgericht im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO mit Beschluss vom 4. Mai 2015 - 11 B 437/15.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und auch schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, nach jeder Betrachtung die Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO abgelaufen.
83Die beiden Alternativen des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO stehen auch nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird. Dies ergibt sich vor allem aus der in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist hier die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem bereits angeführten Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
842. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
85Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
86a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 20 Abs. 2 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
87Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 ‑ 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
88Dies ergibt sich aus den oben zu Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO dargelegten Erwägungen. Zwar dient die Überstellungsfrist einer zügigen Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat und liegt dieser Beschleunigungszweck auch im Interesse der Asylbewerber. Allein dieser Umstand rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – aber nicht die Annahme, die Regelungen in Art. 20 Abs. 2 lit. d) Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
89b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
90aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
91Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
92Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
93Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
94Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
95Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
96Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
97Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
98Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
99Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
100Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
101Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
102bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
103Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
104Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
105Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
106vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
107begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
108Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
109Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
110Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
111Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
112Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
113Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
114Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
115Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
116Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
117Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
118c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
119aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
120Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
121Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
122Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
123Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
124Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
125Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
126Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
127Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
128Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 19. November 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
129bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
130Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen ent-gegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
131Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
132Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
133So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
134Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
135Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
136Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
137Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
138So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
139Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 19. November 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat hierzu nichts vorgetragen. In einem anderen, ebenfalls Spanien betreffenden Dublin-Verfahren (OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -) hat es lediglich ausgeführt, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte, lägen nicht vor. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
140d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
141Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
142Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
143Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
144§ 242 BGB schließt eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang nicht aus, wenn der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
145So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
146Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1473. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids („Der Asylantrag ist unzulässig.“) kann entgegen der Auffassung des Bundesamts auch nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, dass der Kläger bereits in Spanien als Flüchtling anerkannt sei oder subsidiären Schutz erhalten habe. Ob dies rechtlich zulässig wäre, kann offen bleiben.
148Spanien hat den Kläger weder als Flüchtling anerkannt noch ihm subsidiären Schutz gewährt. Dies hat die zuständige spanische Behörde am 18. August 2015 dem Bundesamt auf eine vom Senat angeregte Anfrage mitgeteilt. In dem Schreiben heißt es, ihm sei kein internationaler Schutz gewährt worden, im Gegenteil sei der Antrag abgelehnt worden („He was not granted international protection, on the contrary his claim was rejected.“). Diese Auskunft stimmt auch mit den bisherigen Erkenntnissen überein. Der Kläger hat zwar bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, wie das Asylverfahren in Spanien ausgegangen sei, angegeben, zunächst habe er eine positive Antwort bekommen. Er hat aber dann weiter erklärt, diese sei später zurückgenommen worden. Welche Entscheidungen genau getroffen wurden, lässt sich dem schon nicht entnehmen. Ferner hatte Spanien auf das – auf die Dublin II-VO gestützte – Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamts mitgeteilt: „We inform you that Spain takes back the asylum applicant mentioned above in accordance with article 16.1 e of the above mentioned Regulation.”
1494. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
150Ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen kommt ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
151Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 – 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
152Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 16. Januar 2014 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
153Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29.
154Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
155Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
156II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
157C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
158Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
159Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich nach der in weiten Teilen übereinstimmenden Dublin III-VO in gleicher Weise.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Oktober 2013 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2012 nach Melilla in Spanien, wo er am 25. Oktober 2012 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Am 14. Januar 2013 beantragte er unter dem Namen U. E. in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Den Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch Bescheid vom 13. März 2013 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Die Überstellung erfolgte am 10. April 2013.
3Am 3. Juni 2013 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 7. Juni 2013 – unter dem im Rubrum angegebenen Namen – Asyl. Ausweislich seiner eigenen Mitteilung und der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013 war der Kläger zuvor in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden. Das Bundesamt richtete am 29. August 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
4Durch Bescheid vom 4. Oktober 2013 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund der dort erfolgten illegalen Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
5Am 25. Oktober 2013 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage erhoben.
6Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 abgelehnt (13 L 2168/13.A). Auf den weiteren, unter dem 18. März 2014 gestellten Antrag des Klägers gemäß § 80 Abs. 7 VwGO ordnete das Verwaltungsgericht Düsseldorf durch Beschluss vom 24. März 2014 (13 L 644/14.A) mit der Begründung die aufschiebende Wirkung an, die sechsmonatige Überstellungsfrist sei abgelaufen.
7Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: In Spanien werde kein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt. Ihm sei dort die Asylantragstellung verweigert worden. Zudem sei die Überstellungsfrist abgelaufen. Hierauf könne er sich auch berufen. Ihm werde sein Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens abgesprochen, hielte sich Spanien im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr für zuständig. Ob die spanischen Behörden sich noch an ihre Zustimmung gebunden fühlten, sei völlig offen.
8Der Kläger hat beantragt,
9den Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 aufzuheben.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass die Überstellungsfrist mit der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vom 7. Januar 2014 neu zu laufen begonnen habe bzw. auf Grund des gemäß § 80 Abs. 7 VwGO erlassenen Eilbeschlusses vom 24. März 2014 bis zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens ausgesetzt sei.
13Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. September 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die zulässige, insbesondere statthafte Anfechtungsklage sei unbegründet. Nach den anwendbaren Vorschriften der Dublin II-VO sei Spanien für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig. Die Zuständigkeit sei nicht nach Maßgabe der Art. 16 ff. Dublin II-VO auf Deutschland übergegangen. Die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Uabs. 1 Dublin II-VO sei noch nicht abgelaufen. Weil durch Beschluss vom 24. März 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden sei, beginne sie erst zu laufen, nachdem das Gericht in der Hauptsache entschieden habe. Selbst wenn man auf die Sechsmonatsfrist ab Annahme des Aufnahmegesuchs abstelle, könne sich der Kläger hierauf jedenfalls nicht berufen. Ein Verstoß gegen die Fristenregelungen der Dublin II-VO verletze nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts keine subjektiven Rechte der Asylbewerber. Zudem sei es dem Asylbewerber unbenommen, sich freiwillig beim anderen Mitgliedstaat zu melden, weil die Überstellung auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen könne. Habe er es selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolge und dass sie erfolge, könne er sich nach § 242 BGB nicht auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland berufen. Es bestehe auch keine Verpflichtung der Beklagten, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Von einer unangemessenen Verfahrensdauer könne nicht ausgegangen werden. Es lägen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestünden.
14Mit Beschlüssen vom 15. Dezember 2014 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und auf Antrag des Klägers die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 4. Oktober 2013 angeordnet (11 B 1338/14.A).
15Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Überstellungsfrist von sechs Monaten ab der Zustimmung Spaniens zum Übernahmeersuchen am 17. September 2013 sei am 17. März 2014 abgelaufen. Durch die Stattgabe des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO habe die bereits abgelaufene Überstellungsfrist nicht wieder neu zu laufen begonnen. Aus der Dublin II-VO ergebe sich keine Rechtsgrundlage, wonach eine Rückübertragung der Zuständigkeit auf Spanien erfolgen könne. Der Kläger könne sich auch auf den Ablauf der Frist berufen. Die EuGH-Entscheidung Abdullahi beziehe sich lediglich auf die Anwendung der in Kapitel III der Dublin II-VO genannten Zuständigkeitskriterien, nicht jedoch auf den nachfolgend geregelten Ablauf der Überstellungsfrist und die dies mit Sanktionscharakter ausfüllenden Vorschriften des Kapitels V der Verordnung. Bestehe keine Übernahmebereitschaft Spaniens, wäre dem Kläger das unstreitig bestehende subjektive Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren genommen, könnte er sich nicht auf den Fristablauf berufen. Zudem räume die Dublin II-VO zumindest in bestimmten Punkten, etwa der Mitteilung von Daten, subjektive Rechte ein. Eine Beschränkung der Einwände des Asylbewerbers auf die Prüfung systemischer Mängel in einem Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen könne nur dann angenommen werden, wenn de facto ein anderer Mitgliedstaat im Zeitpunkt dieser Prüfung eigentlich noch zuständig wäre. Sei Deutschland wegen Fristablaufs zuständig, ergebe sich aus Art. 16a GG bzw. dem Asylverfahrensgesetz ein einklagbarer Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens.
16Der Kläger beantragt,
17das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Asylbewerber könnten sich nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang nach den Art. 16 ff. Dublin II-VO berufen. Ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO zuständige Mitgliedstaat sei oder ob durch Zeitablauf Deutschland zuständig geworden sei. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Spanien eine Überstellung bereits endgültig abgelehnt habe. Zwar lehnten die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ab, jedoch könne im besonderen Einzelfall durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
24A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
25Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2013, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
26Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
27Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
28Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
29Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
30Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
31Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
32Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
33Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
34Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
35Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
37Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
39B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
40I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
411. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 7. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
42Denn hier lagen auch das Aufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
43Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
44Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
45a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
46aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
47bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen. Danach endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
48Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO greift nur dann ein, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist.
49Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47.
50Diese Auslegung ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, wonach bei der Bestimmung des nach den in Kapitel III bestimmten Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Das geschah hier am 14. Januar 2013 (mit einem Alias-Namen) sowie nach erneuter Einreise nach Deutschland von Spanien aus am 7. Juni 2013 und damit innerhalb der Jahresfrist seit der erstmaligen illegalen Einreise nach Spanien im Oktober 2012.
51Selbst wenn man aber nicht auf den Asylantrag, sondern auf den spätesten Zeitpunkt des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens, den Abschluss durch die Aufnahmeerklärung Spaniens am 17. September 2013, abstellt, waren zwölf Monate nicht verstrichen. Ein noch späterer Zeitpunkt kommt hingegen nicht in Betracht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gilt die in Kapitel III der Verordnung normierte Frist nur für das in diesem Kapitel geregelte Zuständigkeitsbestimmungsverfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑) Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland – abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen – die im Kapitel V in Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO geregelte Mitteilung an den Asylbewerber gehört nicht dazu – kann die Zuständigkeit hingegen nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
52b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
53aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO. Danach gilt: Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig. Das Bundesamt hat hier gemäß Art. 17 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin II-VO innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags Spanien ersucht, den Kläger aufzunehmen. Der Kläger hat am 7. Juni 2013 Asyl beantragt, das Aufnahmeersuchen datiert vom 29. August 2013.
54bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
55(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO ist am 17. März 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 - fristgerecht innerhalb von zwei Monaten (vgl. Art. 18 Abs. 1, 7 Dublin II-VO) - ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Aufnahme des Klägers an. Da die Überstellung binnen dieser Frist nicht durchgeführt worden ist, ist die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf die Beklagte als den Staat übergegangen, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Fristverlängerungen nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO scheiden hier aus.
56(2) Die Überstellungsfrist verlängert sich nicht um die Dauer des erfolglosen ersten gerichtlichen Eilverfahrens und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz führt auch nicht zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht. Der Antrag des Klägers vom 25. Oktober 2013, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 - 13 L 2168/13.A - abgelehnt. Das erfolglose Eilverfahren wirkt sich auf die Dauer der Überstellungsfrist nicht aus.
57Die Dublin II-VO sieht weder eine Unterbrechung oder Hemmung (§ 209 BGB entsprechend),
58so VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris,
59noch, wovon das Bundesamt ausgeht, einen Neubeginn der Frist in solchen Fällen vor. Dies lässt sich ihr auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen.
60Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO bestimmt eine Frist von sechs Monaten ab Annahme des Aufnahmegesuchs. Nur wenn ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, gilt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO eine abweichende Frist von sechs Monaten ab der Entscheidung über diesen Rechtsbehelf. Entscheidung über den Rechtsbehelf in diesem Sinne ist aber nicht der Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, sondern – die Fortdauer der Aussetzung der Vollziehung vorausgesetzt – die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren.
61Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53 ff., Beschlüsse vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, juris, Rn. 5 und vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, AuAS 2014, 237 = juris, Rn. 5.
62Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Rechtsbehelf selbst muss aufschiebende Wirkung zukommen. Dies trifft - auch nach dem Unionsrecht - nur auf einen Rechtsbehelf zu, mit dem über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und ihren Bestand (abschließend) entschieden wird. Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht die Aufhebung der behördlichen Entscheidung, sondern nur die Aussetzung des Vollzugs erreicht werden. Zudem vermag nicht die Antragstellung, sondern nur die stattgebende gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung herbeizuführen, deren Endpunkt die Hauptsacheentscheidung ist.
63Diese Überlegungen werden durch die Systematik der Dublin II-VO bestätigt. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist die Entscheidung des Beklagten nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II-VO kann gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Dass dies allein die Klage, nicht aber der Antrag auf Aussetzung sein kann, zeigt vor allem Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO. Danach hat der gegen die Überstellungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. An diese Vorgaben, die der Sache nach zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren trennen, knüpft der folgende Absatz 3 des Art. 19 Dublin II-VO an, indem er die Frist nur dann erst mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf beginnen lässt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wenn er also - so lässt sich mit Blick auf Absatz 2 präzisieren - im Einzelfall aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts aufschiebende Wirkung hat. Dem entspricht das nationale Recht. Ein Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach § 80 Abs. 1 VwGO - neben dem Widerspruch - nur die Klage. Die Klage gegen die Überstellungsentscheidung des Bundesamts hat - unionsrechtskonform - aber nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, diese wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September 2013 gültigen Fassung im Einzelfall durch das Gericht angeordnet.
64Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 7 ff.
65Bei dieser Ausgangslage rechtfertigt allein der Sinn und Zweck der Überstellungsfrist, den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, um die (technischen) Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln, wofür grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen,
66vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 ‑ Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495,
67keine andere Auslegung des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO.
68Auch § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG führt jedenfalls bei der Dublin II-VO nicht dazu, dass der Lauf der Überstellungsfrist gehemmt wird oder diese erst oder erneut mit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu laufen beginnt.
69Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.; a. A. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 ‑ A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff., und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28; Funke- Kaiser, in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rn. 227 f.
70Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Damit wird aber weder eine aufschiebende Wirkung der Klage begründet noch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, sondern lediglich vorübergehend die Vollziehung der Überstellungsentscheidung durch die Ausländerbehörde gehemmt. Die Anordnung eines Vollziehungshindernisses durch den nationalen Gesetzgeber kann ferner deshalb nicht mit der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung durch gerichtlichen Eilbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichgesetzt werden, weil dies den unmittelbar geltenden Vorgaben der Dublin II-VO zuwider liefe. Wie bereits ausgeführt, verankert Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, ferner das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen, konkret-individuellen Anordnung. Dem liegt der Beschleunigungsgedanke zugrunde, der auch Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ist. Im Übrigen beruht der Umstand, dass aufgrund des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG bei Stellung eines Eilantrags der Ausländerbehörde nicht die vollen sechs Monate für die Organisation der Überstellung zur Verfügung stehen mögen, sondern diese sich um die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens verkürzen können, auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die Dublin II-VO anwendbar war. Die Vorgabe des Art. 27 Abs. 3 lit. c Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Überstellung auszusetzen ist, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ihrer Durchführung ergangen ist, ist erst ab dem 1. Januar 2014 anwendbar.
71Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.
72(3) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Verwaltungsgericht im (zweiten) Eilverfahren mit Beschluss vom 24. März 2014 -13 L 644/14.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, die Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen. Dies war auch der Grund für die stattgebende Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts.
73Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stehen die beiden Alternativen des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird.
74Dies ergibt sich nicht nur aus dem oben dargelegten Normgefüge des Art. 19 Abs. 2 und 3 Dublin II-VO, sondern vor allem aus der in Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist am 17. März 2014 die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den „zuständigen“ Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
752. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
76Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
77a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
78Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 - 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
79Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
80Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
81Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
82Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
83Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
84Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
85Insbesondere die Fristbestimmungen dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zügigen Überstellung an diesen. Zwar liegt dieser Beschleunigungszweck nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
86Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
87Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
88Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
89Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
90Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
91Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen gilt dies aber nicht für Art. 19 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO. Allein der Beschleunigungszweck rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – nicht die Annahme, diese Vorschriften seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
92b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
93aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
94Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
95Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
96Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
97Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
98Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
99Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
100Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
101Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
102Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
103Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
104Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
105bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
106Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
107Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarecht-lichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
108Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
109vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
110begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
111Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
112Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
113Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
114Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
115Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
116Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
117Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
118Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
119Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
120Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
121c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
122aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
123Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
124Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
125Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
126Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
127Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
128Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
129Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
130Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
131Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 17. September 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
132bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
133Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
134Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
135Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
136So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
137Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
138Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
139Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
140Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
141So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
142Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 17. September 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat auf mehrfache gerichtliche Anfrage mit Schriftsatz vom 13. August 2015 lediglich ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ablehnten. Der Zusatz, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren. Zuletzt hat das Bundesamt mit Schriftsatz vom 27. August 2015 mitgeteilt, dass derzeit konkrete Anhaltspunkte weder dafür, dass Spanien trotz zwischenzeit-lichen Ablaufs der Überstellungsfrist seine Zuständigkeit bejaht hätte, noch dafür vorlägen, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
143d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
144Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
145Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
146Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
147Auch das Argument des Verwaltungsgerichts, § 242 BGB schließe eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang aus, weil der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können, überzeugt nicht. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
148So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
149Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1503. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
151Es ist schon nicht ersichtlich, dass ein Zweitantrag vorliegt. Aus den dem Gericht vorliegenden Akten ergibt sich nur, dass der Kläger in Spanien zweimal erkennungsdienstlich behandelt worden ist, nicht aber, dass er einen Asylantrag gestellt hat.
152Abgesehen davon kommt ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
153Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 - 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
154Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 4. Oktober 2013 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
155Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, Rn. 29, juris.
156Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
157Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
158II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
159C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
160Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
161Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich aber nach der in weiten Teilen übereinstim-menden Dublin III-VO in gleicher Weise.
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg des Zulassungsantrags (§ 166 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO - i. V. m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung) abzulehnen, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt.
3Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 des Asylverfahrensgesetzes ‑ AsylVfG ‑) nicht vorliegt. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der einheitlichen Auslegung und Anwendung oder der Fortentwicklung des Rechts der Klärung bedarf, oder wenn sie eine tatsächliche Frage aufwirft, deren in der Berufungsentscheidung zu erwartende Klärung verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat. Verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat die Klärung einer Tatsachenfrage, wenn sich diese Frage nicht nur in dem zu entscheidenden Fall, sondern darüber hinaus auch noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft stellt.
4Die aufgeworfene Frage,
5„ob Art. 20 der Verordnung Nr. 343/2003 i. V. m. Art. 16 Abs. 3 der Verordnung 343/2003 so auszulegen ist, dass mit der Zustimmung eines Mitgliedsstaates nach diesen Bestimmungen dieser Mitgliedsstaat jener ist, der im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Einleitungssatz der Verordnung Nr. 343/2003 zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, oder muss die nationale Überprüfungsinstanz unionsrechtlich, wenn sie im Zuge eines Verfahrens über einen Rechtsbehelf nach Art. 20 Abs. 1 e der Verordnung Nr. 343/2003 ‑ unabhängig von dieser Zustimmung ‑ zur Anschauung gelangt, (dass) die Zuständigkeit dieses Staates erloschen ist, die eigene Zuständigkeit für das Verfahren zur Entscheidung über den Rechtsbehelf verbindlich feststellen, wenn diesem anderen Mitgliedsstaat wichtige Informationen vorenthalten worden sind und die Zustimmung auf der Basis dieser unzureichenden Informationen erfolgt ist."
6ist nicht klärungsbedürftig, da sie auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens ohne Weiteres im für den Zulassungsantrag negativen Sinne beantwortet werden kann. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, kann ein Asylbewerber in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat seiner Aufnahme nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 (ABl. L50/1 vom 25.2.2003, Dublin II‑VO) niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, d. h. als der Mitgliedstaat der ersten Einreise des Asylbewerbers in das Gebiet der Europäischen Union, der Heranziehung dieses Kriteriums nicht damit entgegentreten, dass die Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II‑VO als Mitgliedstaat der ersten Einreise deshalb zu Unrecht erfolgt sei, weil die Verpflichtung zu der ‑ bewilligten ‑ (Wieder-)Aufnahme nach Art. 16 Abs. 3 Dublin II‑VO wegen mindestens dreimonatigen Verlassens des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten erloschen sei.
7Das ergibt sich aus Folgendem: Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) beruht darauf, dass angenommen wird, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Der Unionsgesetzgeber hat aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens die Dublin II‑VO erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die Behörden der Mitgliedsstaaten mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem "forum shopping" zuvorzukommen. Dies bezweckt hauptsächlich, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen.
8Die für Asylanträge geltenden Regelungen wurden in weitem Umfang auf Unionsebene harmonisiert, so dass der von einem Asylbewerber gestellte Antrag weitgehend nach den gleichen Regelungen geprüft wird, welcher Mitgliedstaat auch immer für seine Prüfung nach der Dublin II‑VO zuständig ist. Soweit es um die Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates geht, trifft die Dublin II‑VO organisatorische Vorschriften, die die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln. Damit wird einem der Hauptzwecke der Dublin II‑VO nachgekommen, durch klare und praktikable Regeln für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und die zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten.
9Vgl. EuGH, Urteil vom 10.12.2013 ‑ C-394/12 ‑, NVwZ 2014, 208 Rn. 52 ff.
10Das Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung zwischen den Mitgliedstaaten findet seinen Abschluss in der positiven Aufnahmeerklärung eines Mitgliedsstaats auf das Aufnahmeersuchen des anderen Mitgliedsstaats nach den Regeln der Art. 16 ff. Dublin II‑VO .
11Hier geht es um die Frage, ob Art. 16 Abs. 3 Dublin II‑VO ein für die Kläger einklagbares Recht begründet. Nach dieser Vorschrift erlöschen die Aufnahme- und Asylantragsprüfungspflichten der Mitgliedstaaten, wenn der Asylbewerber das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, hier, wie die Kläger geltend machen, nach ihrem Aufenthalt in Italien und Schweden durch über dreimonatigen Aufenthalt in der Türkei. Die Frage, ob eine Norm des Unionsrechts ein subjektives Recht begründet, richtet sich nicht deckungsgleich nach den für das innerstaatliche Recht für die Klagebefugnis und die Rechtsverletzung (§§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO) aufgestellten Grundsätzen.
12Sog. Schutznormtheorie, vgl. etwa Happ in Eyermann/Fröhler, VwGO, 14. Aufl., § 42 Rn. 86 ff. und Schmidt, ebenda, § 113 Rn.18.
13Allerdings ist gesichert, dass der Einzelne sich nicht auf jede objektiv-rechtliche Regel des Unionsrecht berufen kann, dass es also auch hier der Feststellung bedarf, ob Rechtsregeln subjektive Rechte (in der Terminologie des Gerichtshofs der Europäischen Union "Rechte Einzelner") schaffen. Dabei kann dies selbst dann verneint werden, wenn die Rechtsnorm den Schutz von Personen bezweckt.
14So etwa verneint für Normen, die die Tätigkeit der Bankenaufsicht regeln und auch den Zweck "Schutz der Einleger" verfolgen, als Rechte zu Gunsten der Einleger, EuGH, Urteil vom 12.10.2004 ‑ C-222/02 ‑, NJW 2004, 3479 Rn. 40.
15Insbesondere reicht eine bloß tatsächliche Betroffenheit durch die Rechtsregel nicht aus, vielmehr muss auch das Unionsrecht das klagbare Interesse normativ anerkennen.
16Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 (382).
17Gegenüber der Schutznormtheorie ist die unionsrechtliche Abgrenzung subjektiver Rechte von bloß objektivem Recht tendenziell weiter.
18Vgl. Zuleeg/Kadelbach in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl. § 8 Rn. 14; Gärditz in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl., § 35 Rn. 59.
19Der Unterschied liegt vor allem in der Zuweisung der Durchsetzung von Allgemeininteressen an den Einzelnen,
20Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, 380 f.,
21im Konzept der dezentralen Rechtsdurchsetzung durch Mobilisierung von Bürgern.
22Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (353 ff.); Gärditz in: Rengeling/ Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl., § 35 Rn. 59; Masing in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts. Bd. 1, 2. Aufl., § 7 Rn. 92.
23Unionsrechtliche Quelle dieses Konzepts ist der Effektivitätsgrundsatz (Art. 197 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Union ‑ AEUV ‑, "effet utile").
24Vgl. Classen in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblattsammlung (Stand: Januar 2015), Art. 197 AEUV Rn. 16 ff., insbes. 42 ff; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5 Wirkungen und Rechtsschutz, Rn. 419 ff, 1805 ff.
25Dieser gebietet, dass der nationale Vollzug des Unionsrechts dessen Wirksamkeit nicht übermäßig erschweren oder sogar praktisch unmöglich machen darf.
26Vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5 Wirkungen und Rechtsschutz, Rn. 1805, 1808; Steinbeiß-Winkelmann, Europäisierung des Verwaltungsrechtsschutzes, NJW 2010, 1233 f.
27Ausgehend von diesen Maßstäben ist festzustellen, dass die Zuweisung der Durchsetzung der Regeln zur Aufgabenverteilung auf die Mitgliedstaaten nach der Dublin II‑VO an den Einzelnen dem Zweck der Verordnung entgegenliefe, eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden (Erwägungsgrund 4 Dublin II‑VO). Angesichts der komplexen Regeln über die Zuständigkeit, ihre Rangfolge, die aus der Zuständigkeit folgenden Verpflichtungen und ihr Erlöschen würde es die effektive Durchsetzung der Klärung der Zuständigkeit und der anschließenden Prüfung des Asylantrags durch den zuständigen Staat geradezu behindern, wenn die Überprüfung dieser Aufgabenverteilung in die Hände des Einzelnen gelegt würde und ihm damit Gelegenheit geboten würde, die zügige Bearbeitung seines Asylantrags durch einen von ihm nicht gewünschten Mitgliedstaat zu verhindern und seinen Verbleib in dem von ihm gewünschten Mitgliedstaat durchzusetzen. Vielmehr erfordert der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz, dass der Asylbewerber das Ergebnis des zwischenstaatlichen Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens und die daraus sich ergebende Aufgabenverteilung hinnehmen und auf dieser Grundlage sein Asylbegehren verfolgen muss.
28Nur dann, wenn die Zuständigkeitsvorschrift nicht der bloßen Aufgabenverteilung zwischen den ‑ in der Aufgabenerfüllung als gleichwertig anzusehenden ‑ Mitgliedstaaten dient, sondern auch im spezifischen Interesse des Asylbewerbers liegt, kann eine solche Zuständigkeitsnorm ein subjektives Recht darstellen.
29So etwa für Art. 15 Abs. 2 Dublin II‑VO EuGH, Urteil vom 6.11.2012 ‑ C-245/11 ‑, NVwZ-RR 2013, 69.
30Für Art. 16 Abs. 3 Dublin II‑VO kann eine solche Subjektivierung des Zuständigkeitsrechts nicht festgestellt werden. Ihm liegt vielmehr die Wertung zu Grunde, dass der die Zuständigkeit rechtfertigende Gesichtspunkt der ersten Einreise sein Gewicht umso mehr einbüßt, je länger sich ein Asylbewerber danach außerhalb des Dublin‑Gebiets aufhält, bevor er erneut einreist. Das ist ein reiner Zweckmäßigkeitsgesichtspunkt der Aufgabenverteilung, der keinen Bezug zu schützenswerten Interessen des Asylbewerbers aufweist.
31Aus Vorstehendem folgt, dass einem Asylbewerber unionsrechtlich grundsätzlich nur das subjektive Recht auf ein zügiges Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft durch den nach dem zwischenstaatlich im Wege des Aufnahmegesuchs und seiner Stattgabe bestimmten Mitgliedstaat eingeräumt wird, nicht aber das Recht auf ein Verfahren durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Die Aufgabenverteilungsregeln begründen ‑ von dem genannten Sonderfall abgesehen ‑ kein subjektives Recht der Asylbewerber, sondern stellen ausschließlich objektives Recht dar, dass nur die Mitgliedstaaten untereinander berechtigt und verpflichtet, auf dessen Einhaltung also ein Asylbewerber keinen Anspruch hat. Deshalb kann der Asylbewerber in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, d. h. als der Mitgliedstaat der ersten Einreise des Asylbewerbers in das Gebiet der Europäischen Union, der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden.
32EuGH, Urteil vom 10.12.2013 ‑ C-394/12 ‑, NVwZ 2014, 208 Rn. 62.
33Wenn schon nach dieser Entscheidung der Asylbewerber der Abschiebung in den aufnahmebereiten Mitgliedstaat die falsche Anwendung des Kriteriums der ersten Einreise nach der Dublin II‑VO als solches nicht entgegen halten kann, gilt dies erst recht für die zwar zutreffende Zuständigkeitsbestimmung, aber unrichtige Anwendung der Vorschrift über das Erlöschen der Zuständigkeitsverpflichtung nach Art. 16 Abs. 3 Dublin II‑VO durch die Mitgliedstaaten im Rahmen der durch sie getroffenen Zuständigkeitsbestimmung.
34Aus dem Vorstehenden ergibt sich weiter, dass auch die aufgeworfenen Frage,
35", ob insoweit subjektive Rechte des Asylbewerbers bestehen, wenn der ersuchende Mitgliedsstaat dem ersuchten Mitgliedsstaat wichtige Informationen vorenthalten hat,"
36nicht klärungsbedürftig ist, da sie ohne Weiteres zu verneinen ist. Diese Frage betrifft noch nicht einmal die richtige Anwendung der Zuständigkeitsregeln der Dublin II‑VO im Ergebnis, sondern nur die fehlerfreie Willensbildung der am Zuständigkeitsbestimmungsverfahren beteiligten Mitgliedstaaten. Dass deren Überprüfung in die Hände des Einzelnen gelegt sein könnte, ist erst recht auszuschließen. Vielmehr ist es allein Sache des ersuchten Mitgliedstaats, auf ein fehlerhaftes Verhalten des ersuchenden Mitgliedstaats zu reagieren.
37Da die Frage des subjektiven Rechts auf Einhaltung der Zuständigkeitsregeln der Dublin II‑VO im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung durch die Mitgliedstaaten durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10.12.2013 ‑ C‑394/12 ‑ geklärt ist und die hier maßgebliche nachgelagerte Frage, ob der Asylbewerber der Heranziehung des Zuständigkeitskriteriums durch die Mitgliedstaaten deshalb entgegentreten kann, weil entgegen der Stattgabe des Gesuchs die Verpflichtungen nach Art. 16 Abs. 3 Dublin II‑VO entfallen waren, zweifelsfrei verneint werden kann, bedarf es einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV nicht. Es besteht daher - auch unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes - keine Veranlassung zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union.
38Speziell zu Art. 19 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (ABl. L 180/31 vom 29.6.2013 ‑ Dublin III‑VO), der Art. 16 Abs. 3 Dublin II‑VO entspricht, Filzwieser/Sprung, Dublin III‑VO, Art. 19 Anm. K6; ebenso Bergmann, Das Dublin-Asylsystem, ZAR 2015, 81 (87), im Sinne der Acte-clair-Doktrin für nicht grundrechtlich aufgeladene Zuständigkeitsnormen.
39Soweit die Kläger unter Verweis auf entgegenstehende Rechtsprechung eine andere Position vertreten, kann dies die Zweifelsfreiheit der Auslegung nicht in Frage stellen, da die zitierte Rechtsprechung die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10.12.2013 ‑ C-394/12 ‑ nicht berücksichtigen konnte.
40Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG.
41Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 22. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem die Unzulässigkeit eines von ihm in Deutschland gestellten Asylantrags festgestellt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wird. Er begehrt die Ausübung des Selbsteintrittsrechts und die sachliche Prüfung des Asylantrags in Deutschland.
- 2
Der Kläger stellte am 2. August 2012 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Trier (Bundesamt) einen Asylantrag, nachdem er am 17. Juli 2012 als Asylbewerber erfasst worden war. Bei der Antragstellung gab er an, am 5. August 1988 in Mogadischu geboren zu sein und die somalische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er sei Mitglied der Volksgruppe der Hawadle und sunnitischer Religionszugehörigkeit.
- 3
Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 29. August 2012 trug der Kläger vor, zwei Jahre lang als Schneider ausgebildet worden zu sein und diesen Beruf ein Jahr lang selbständig ausgeübt zu haben. Seine Schneiderei habe in der Nähe einer Fabrikruine gelegen, auf deren Gelände äthiopische Soldaten campiert hätten. Immer wieder seien diese von Mitgliedern der Al Shabaab attackiert worden. Auch die äthiopischen Soldaten hätten angegriffen. Die Al Shabaab sei zu ihm gekommen und habe gesagt, sie brauche Hilfe. Er habe nicht kämpfen wollen und sei im August 2008 geflohen. Hierzu habe er Mogadischu mit einem Kraftfahrzeug verlassen und sei über Addis Abeba und Khartum nach Tripolis gelangt, wo er am 18. November 2008 angekommen sei. Von dort aus sei er mit einem Boot nach Sizilien gefahren und am 25. Mai 2009 gelandet. Auf seinen Asylantrag hin habe er in Italien den Status eines subsidiär Schutzberechtigten erhalten. Danach habe er das Flüchtlingslager verlassen müssen und sei nach Florenz gegangen. Dort habe ihm die Caritas einmal am Tag etwas zu essen gegeben. Einen Monat lang habe er in einem verlassenen Haus ohne Wasser und Strom gelebt. Dann sei er insgesamt zwei Mal in die Niederlande gefahren und habe versucht, dort Asyl zu bekommen. Er sei aber jedesmal nach Italien zurückgeflogen worden. Die Polizisten am Flughafen Rom hätten ihm gesagt, er solle zum Bahnhof gehen. Dort seien viele Somalis gewesen, die ihn zur somalischen Botschaft in Rom gebracht hätten. Die Botschaft sei aufgegeben und von Flüchtlingen zum Übernachten genutzt worden. Es sei furchtbar dreckig gewesen und man habe krank werden können. Es habe Wasser, aber keinen Strom gegeben. Schließlich habe er sich auf den Weg nach Deutschland gemacht, wo er am 14. Juli 2012 angekommen sei.
- 4
Er sei krank. Er leide an einer schiefen Wirbelsäule und könne manchmal nicht gehen, außerdem habe er einen Vitamin-D-Mangel und eine Magenerkrankung. In Italien habe man ihm im Krankenhaus nur eine Schmerzspritze gegeben, weil er keinen Gesundheitsausweis habe vorzeigen können.
- 5
Die niederländischen Behörden wiesen ein Übernahmeersuchen der Beklagten zurück und teilten mit, dass sie den Kläger ihrerseits am 23. Dezember 2010 und 10. Oktober 2011 nach Italien überstellt hätten.
- 6
Auf entsprechenden Antrag vom 17. Dezember 2012 akzeptierten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - Dublin-II-VO - ihre Zuständigkeit, wobei der Kläger dort mit syrischer Staatsangehörigkeit und dem Geburtsdatum 1. Januar 1988 geführt wurde, und stimmten einer Überstellung bis zum 20. Juni 2013 zu.
- 7
Vom 14. bis 24. Oktober 2012 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung wegen Schmerzen im Hüftbereich. Entzündliche sowie autoimmune Erkrankungen konnten laborchemisch ausgeschlossen werden. In einer Magnetresonanztomographie zeigten sich arthropische Veränderungen des Hüftgelenks. Es wurden eine ausgewogene eiweißreiche Ernährung und ambulante Krankengymnastik-Maßnahmen beziehungsweise Reha-Sport sowie eine ambulante psychiatrische Betreuung empfohlen. Am 6. und 7. Januar 2013 befand sich der Kläger wegen epigastrischer Schmerzen unklarer Genese erneut in stationärer Krankenhausbehandlung. Nachdem die Laborbefunde sowie eine Gastroskopie keine Auffälligkeiten aufwiesen und der Patient sich subjektiv beschwerdegebessert zeigte, wurde er ohne weitere Medikation entlassen. In privatärztlichen Attesten einer allgemeinmedizinischen Praxis vom 7. Februar 2013 und 29. Januar 2014 werden als Diagnosen Oberbauschschmerzen bei rezidivierender Gastritis, Lws-Syndrom, Coxalgie, Vitamin-D-Mangel und Mangelernährung bei Appetitlosigkeit aufgezählt. Der Patient sei auf regelmäßige medizinische Behandlung und Medikamente angewiesen. Eine Abschiebung nach Italien wäre mit einem hohen Risiko der Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden.
- 8
Mit Bescheid vom 13. Februar 2013 erklärte die Beklagte den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a AsylVfG für unzulässig. Italien sei für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und habe seine Zuständigkeit auch anerkannt. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Insbesondere hinderten die vorgelegten Atteste eine Überstellung des Klägers nach Italien nicht, denn in Italien habe der Kläger wie jeder italienischer Staatsbürger Zugang zum dortigen Gesundheitssystem.
- 9
Am 19. Februar 2013 hat der Kläger Klage erhoben. Die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens sei auf die Beklagte übergegangen, da der Übernahmeantrag an Italien erst nach Ablauf der Frist des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt worden sei. Im Übrigen dürfe der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Italien überstellt werden, weil er sich in ständiger ärztlicher Behandlung befinde. Schließlich sei die Beklagte zur Prüfung des Antrags verpflichtet, weil in Italien systemische Mängel im Asylverfahren herrschten. Die Mindeststandards in Bezug auf Unterbringung, soziale und medizinische Versorgung würden erheblich unterschritten. Das gelte insbesondere für Sizilien, wohin der Kläger abgeschoben werden sollte. Ihm drohte daher nach seiner Rückführung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ohne Perspektive auf Arbeit oder Obdach.
- 10
Der Kläger hat beantragt,
- 11
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 12
hilfsweise,
- 13
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 14
Die Beklagte hat beantragt,
- 15
die Klage abzuweisen.
- 16
Sie weist darauf hin, dass Personen mit Schutzstatus hinsichtlich der Unterbringung und der medizinischen Versorgung die gleichen Rechte genössen wie italienische Staatsangehörige. Damit seien Unterkunft und Wohnung in eigener Verantwortung zu besorgen. Die entsprechenden Kosten seien selbst zu tragen. Nach Meldung bei dem „Servizio Sanitario Nazionale“ erhielten Personen mit Schutzstatus eine „Tessera Sanitaria“, mit deren Hilfe Zugang zu allen ärztlichen Leistungen erfolge. Die Kosten der Behandlungen würden vom italienischen Staat getragen. Nach Auskunft der deutschen Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom sei die Gewährung dieser medizinischen Versorgung unabhängig von einem festen Wohnsitz. Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus erhielten, hätten das Recht zu arbeiten (guida practica per i titolari di protezione internazionale). Nach Auskunft der Liaisionbeamtin sei die Arbeitserlaubnis eigentlich an eine „residenza“, also einen festen Wohnsitz geknüpft. Viele Vereinigungen böten den betroffenen Personen aber ihre Adresse als Briefkastenadresse an. Schließlich habe der Kläger auch keine Krankheit substantiiert, die ihn reiseunfähig machen beziehungsweise besondere Lebens- oder Gesundheitsgefahren begründen würde.
- 17
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Mai 2013 abgewiesen. Die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrags ergebe sich aus Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-Verordnung, da Italien dem Kläger einen Aufenthaltstitel ausgestellt habe. Die Fristvorschriften des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO begründeten keine subjektiven Rechte, so dass es auf deren Versäumung nicht ankomme. Zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts sei die Beklagte nicht verpflichtet. Es sei nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte, Gutachten sowie Berichte und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung weder zu befürchten, dass dem Kläger keine hinreichende soziale beziehungsweise medizinische Versorgung zugute käme, noch herrschten systemische Mängel im italienischen Asylverfahren, die befürchten ließen, dass dem Kläger in Italien eine menschenunwürdige Behandlung drohte.
- 18
Auf entsprechenden Antrag ließ der Senat die Berufung zu und untersagte der Beklagten mit Beschluss vom 19. Juni 2013, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzuführen.
- 19
Der Kläger wiederholt und vertieft zur Begründung der Berufung seinen Vortrag aus dem Klageverfahren. Als Schutzberechtigtem stünde ihm weder Anspruch auf Unterkunft, noch auf staatliche Sozialleistungen zu. Er habe auch keinen Anspruch auf Integrationsmaßnahmen und könne allenfalls in ländlichen Gebieten zeitlich befristet und schlecht bezahlt als Erntehelfer arbeiten. Außerhalb von Rom habe er keine Möglichkeit, sich eine virtuelle Adresse geben zu lassen, so dass er vermutlich auch keinen Zugang zum Gesundheitssystem habe. In Not geratene italienische Staatsangehörige könnten in der Regel auf Hilfe durch die (Groß-) Familie hoffen. Diese Möglichkeit hätten Flüchtlinge nicht.
- 20
Der Kläger beantragt,
- 21
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 22
hilfsweise,
- 23
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 24
Die Beklagte beantragt,
- 25
die Berufung zurückzuweisen.
- 26
Sie macht sich im Wesentlichen eine Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Verfahren zu Eigen. Danach liegen außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, nicht vor. Italien erfülle seine Verpflichtung nach den Artikeln 20 bis 24 Genfer Flüchtlingskonvention, Flüchtlinge im Sozial- und Arbeitsrecht ebenso zu behandeln wie eigene Staatsangehörige. Eine Besserstellung von Asylbewerbern sei danach nicht vorgesehen. Aus dem Umstand, dass Italien kein ähnliches soziales Netz biete wie Deutschland und andere Mitgliedstaaten, könne nicht geschlossen werden, dass es sich von seiner Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gelöst habe. Die von dem Kläger zitierten Gutachten ergäben keine neuen Erkenntnisse, insbesondere kein belastbares Zahlenmaterial darüber, welcher Anteil der Schutzberechtigten für wie lange tatsächlich der Obdachlosigkeit anheimgefallen sei.
- 27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte, die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 28
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Er hat keinen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte ist weder nach den allgemeinen Regeln zuständig (I), noch besteht ein Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts (II). Daher ist auch die Abschiebungsanordnung nach Italien rechtlich nicht zu beanstanden (III).
I.
- 29
Die Frage, welcher Staat für das Asylverfahren des Klägers zuständig ist, bestimmt sich vorliegend nach den Regeln der Dublin-II-Verordnung (1). Danach ist Italien der zuständige Mitgliedstaat (2). Die Zuständigkeit ist nachträglich weder nach der Vorschrift des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO (3), noch nach der Vorschrift des Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO (4) auf die Beklagte übergegangen.
- 30
1. Im vorliegenden Fall kommt unbeschadet der Vorschrift des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch die Dublin-II-Verordnung und nicht die mittlerweile in Kraft getretene Nachfolgeverordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-VO) zur Anwendung. Gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 49 Dublin-III-VO gilt diese nämlich erst für Anträge auf Internationalen Schutz sowie Anträge der Mitgliedstaaten auf Aufnahme oder Wiederaufnahme, die nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurden. Vorliegend hat der Kläger seinen Asylantrag bei der Beklagten bereits im Jahr 2012 gestellt. Auch der Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers wurde noch im Jahr 2012 gestellt und von Italien mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 akzeptiert.
- 31
2. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass Italien nach der Vorschrift des Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Danach fallen dem Mitgliedstaat die Pflichten zur Wiederaufnahme und abschließenden Prüfung eines Asylverfahrens zu, sofern er einem Antragsteller einen Aufenthaltstitel erteilt. Italien hat dem Kläger in Folge der Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter einen Aufenthaltstitel erteilt und diesen im Jahr 2012 nochmals verlängert.
- 32
3. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach dieser Vorschrift sind Aufnahmegesuche an andere Mitgliedstaaten spätestens innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags zu stellen. Wird das Gesuch nicht innerhalb dieser Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig.
- 33
Zum einen vermittelt diese Vorschrift dem Asylbewerber aber keine subjektiven Rechte, sondern dient als innerstaatliche Organisationsvorschrift in erster Linie der klaren und praktikablen Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten (vgl. hierzu die Erwägungsgründe 3 und 16 der Verordnung). Im Vordergrund steht daher das Interesse, die Zuständigkeit zeitnah festzustellen und den Asylantrag durch einzig den zuständigen Mitgliedstaat prüfen zu lassen, nicht aber, die Prüfung einem ganz bestimmten Mitgliedstaat zuzusprechen, in dem der Antragsteller einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat.
- 34
Zum anderen ist die Vorschrift auf den vorliegenden Fall schon nicht anwendbar. Die Beklagte hat kein Aufnahmegesuch nach Art. 17, sondern ein Wiederaufnahmegesuch nach den Art. 16. Abs. 2, Abs. 1 lit. c), 20 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt. Für Wiederaufnahmegesuche sieht die Dublin-II-VO aber keine Frist vor.
- 35
4. Schließlich ist die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens auch nicht deshalb nach Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen, weil die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten erfolgt ist. Diese Frist beginnt gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) nämlich erst nach rechtskräftigem Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens zu laufen, sofern diesem aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 29.01.2009 – C 19/08 –, Juris-Rn. 44 ff.; OVG Niedersachen, Urteil vom 04.07.2012 – 2 LB 163/10 – Juris-Rn. 36 m.w.Nw.). Vorliegend hatte der Senat noch vor Ablauf der Frist der Beklagten untersagt, den Kläger nach Italien abzuschieben.
II.
- 36
Es besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO.
- 37
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die mittlerweile ihren Niederschlag in Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO gefunden hat, kann ein Mitgliedstaat unter bestimmten Umständen dazu verpflichtet sein, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen. Das ihm insofern eingeräumte Ermessen ist nämlich Teil des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats und stellt ein Element des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems dar. Bei der Ermessensausübung führt der Mitgliedstaat daher Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Europäischen Grundrechtscharta, aber auch der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Art. 18 der Charta und Art. 78 AEUV). Die Mitgliedstaaten haben bei der Ausübung ihres Ermessens diese Grundsätze daher zu beachten (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011-0000, Rn. 68 ff.).
- 38
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (sogenanntes Prinzip gegenseitigen Vertrauens beziehungsweise normativer Vergewisserung, vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 15.05.1996, 2 BvR 1938/93, Juris-Rn. 179 ff.). Es gilt daher die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
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Allerdings berührt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat das in der Dublin-II- bzw. Dublin-III-Verordnung niedergelegte Zuständigkeitssystem. Der Europäische Gerichtshof macht deutlich, dass nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel steht (EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 83). Das Zuständigkeitssystem ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs deshalb nur dann auszusetzen, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta ausgesetzt zu sein (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 78 bis Rn. 106).
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Anhaltspunkte dafür, wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung anzunehmen ist, lassen sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK entnehmen, der mit Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta übereinstimmt. In seinem Urteil vom 21. Januar 2011 hat der Gerichtshof eine Überstellung nach Griechenland als nicht mit Art. 3 EMRK vereinbar angesehen, da die systematische Unterbringung von Asylbewerbern in Haftzentren ohne Angabe von Gründen eine weit verbreitete Praxis der griechischen Behörden sei. Es gebe auch zahlreiche übereinstimmende Zeugenaussagen zu überfüllten Zellen, Schlägen durch Polizisten und unhygienischen Bedingungen in dem Haftzentrum neben dem internationalen Flughafen von Athen. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer monatelang in extremer Armut gelebt habe und außer Stande gewesen sei, für seine Grundbedürfnisse - Nahrung, Hygieneartikel und eine Unterkunft - aufzukommen. Er sei über Abhilfemöglichkeiten nicht angemessen informiert worden und habe in der ständigen Angst gelebt, angegriffen beziehungsweise überfallen zu werden (Urteil vom 21.01.2011, M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, Beschwerde-Nr. 30696/09, Rn. 226 und Rn. 254 ff.).
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Der Senat kommt nach Auswertung der vorliegenden Gutachten, Auskünfte und Berichte und unter Würdigung des Vortrags des Klägers zu dem Ergebnis, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, auf Grund derer dem Antragstellers nach seiner Rückführung eine menschenunwürdige Behandlung droht (ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.11.2013 - 4 L 44/13 -, OVG Nds, Beschluss vom 30.01.2014 - 4 LA 167/13 - und vom 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.10.2013 - OVG 3 S 40.13 - und vom 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 21.01.2014 - 3 B 6802/13 -; VG Regensburg, Beschluss vom 18.12.2013 - RN 6 S 13.30720 -; VG Ansbach, Beschluss vom 18.09.2013 - An 2 K 13.30675 -; VG Meiningen, Urteil vom 26.06.2013 - 5 K 20096/13 Me -; VG Lüneburg, Urteil vom 04.06.2013 - 6 A 176/11 - (n.V.); VG Augsburg, Beschluss vom 19.12.2012 - Au 6 E 12.30377 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2012 - 6 L 1480/12.A -; VG Osnabrück, Urteil vom 02.04.2012 - 5 A 309/11 - (n.V.) a.A. OVG NRW, Beschluss vom 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -; VG Gießen, Urteil vom 25.11.2013 - 1 K 844/11.GI.A -; VG Schwerin, Beschluss vom 13.11.2013 - 3 B 315/13 As -; VG Frankfurt, Urteil vom 09.07.2013 - 7 K 560/11.F.A. -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.05.2013 - 5a L 547/13.A -; VG Köln, Beschluss vom 07.05.2013 - 20 L 613/13.A, soweit veröffentlicht zitiert nach Juris).
- 42
Italien verfügt über ein planvolles und ausdifferenziertes Asylsystem (a). Dieses System leidet zwar an Mängeln (b), nicht aber an systemischen Mängel (c). Das gilt auch für Personen mit Schutzstatus (d).
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(a) Zunächst ist festzuhalten, dass Italien über ein planvolles und ausdifferenziertes Aufnahmesystem für Asylbewerber verfügt, das in zwei Phasen gegliedert ist. Nach Stellung des Asylantrags ist die Unterbringung in Aufnahmezentren für Asylsuchende, den sogenannten CARA (Centri di Accoglienza per Richiedenti Asilo) vorgesehen. Die maximale Aufenthaltsdauer dort soll grundsätzlich 35 Tage betragen. Daneben gibt es noch Aufnahmeeinrichtungen für Migranten, die keine Asylsuchenden sind, die so genannten CDA (Centri di Accoglienza). Diese werden in der Praxis ebenfalls für die Erstaufnahme von Asylsuchenden verwendet. In der zweiten Phase sollen die Antragsteller in einer Einrichtung des Aufnahmesystems SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati) untergebracht werden. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von Unterkünften, das auf einer Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium, den Gemeinden und verschiedenen NGOs basiert. Die SPRAR-Projekte umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche. Die Aufenthaltsdauer im einem SPRAR beträgt normalerweise 6 Monate und kann bis zu einem Jahr verlängert werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 ff.).
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Endet das Asylverfahren mit der Zuerkennung eines Schutzstatus, werden den Schutzsuchenden Aufenthaltsberechtigungen („permessi die soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien formal dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige. Sie haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt und kostenfreien Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Freiburg vom 11.07.2012). In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden sie nicht mehr aufgenommen. In Einrichtungen des SPRAR können sie Unterkunft finden, sofern sie die vorgesehene maximale Aufenthaltsdauer noch nicht ausgeschöpft haben und ein Platz frei ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 und S. 25; borderline-europe e.V., Gutachten zum Beweisbeschluss des VG Braunschweig vom 28.09.2012, S. 50).
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(b) In der Praxis litt - und leidet - das italienische Aufnahmesystem an Mängeln. Die Berichtslage zeigt übereinstimmen, dass es insbesondere auf die sehr hohen Antragszahlen in den Jahren 2008 und 2011 nicht ausreichend vorbereitet war (Bethke & Bender, Zur Situation von Flüchtlingen in Italien - Bericht über die Recherchereise nach Rom und Turin im Oktober 2010 -; Schweizer Flüchtlingshilfe/Juss-Buss: Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und „Dublin-Rückkehrern“, Bericht vom Mai 2011; borderline-europe/Judith Gleitze: Zur Lage von Asylsuchenden und „Dublin-Rückkehrern“, Stellungnahme vom Dezember 2012; Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Darmstadt vom 29.11.2011 und an VG Braunschweig vom 09.12.2011). In der Folge verlängerten sich die Verfahrenszeiten deutlich über die vorgesehenen Fristen hinaus. Die zeitliche Lücke zwischen der Stellung des Asylantrags und dessen formeller Registrierung (verbalizzazione) führte zu der Gefahr der Obdachlosigkeit, da in der Praxis Zugang zu den Erstaufnahmeeinrichtungen erst ab dem Zeitpunkt der Registrierung gewährt wurde (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 12). Zudem waren die Aufnahmekapazitäten der staatlicherseits zur Verfügung gestellten Plätze überlastet. Für Personen mit Schutzstatus bedeutete dies, dass sie Schwierigkeiten hatten, im SPRAR-Aufnahmesystem unterzukommen, auch wenn sie die maximale Verweildauer noch nicht ausgeschöpft hatten. Hinzu kam die wirtschaftliche schwierige Lage, in der sich auch Italien nach der Wirtschaftskrise befand und noch befindet. Nach den Informationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe lebt vor allem in Rom eine ganz erhebliche Zahl von Asylbewerbern und Personen mit Schutzstatus (die Schätzungen sprechen von 1.200 bis 1.700) in Slums oder besetzten Häusern (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, a.a.O., S. 36).
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(c) Diese Mängel begründen aber keine systemischen Mängel im oben dargestellten Sinne. Dabei versteht der Senat unter systemischen Mängeln solche, die entweder bereits im System selbst angelegt sind und von denen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar betroffen sind oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem faktisch in weiten Teilen funktionsunfähig wird. Nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte kommt der Senat zu der Überzeugung, dass die systembedingten Missstände von den italienischen Behörden angegangen werden und sich die Situation deshalb verbessert hat und aller Voraussicht nach weiter verbessern wird. Außerdem ist festzustellen, dass die Zustände punktuell, aber nicht flächendeckend unzureichend sind, so dass nicht davon gesprochen werden kann, dass das Asyl- und Aufnahmesystem faktisch außer Kraft gesetzt ist.
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Ein im System angelegter Mangel ist die Tatsache, dass der Zugang zum Erstaufnahmesystem offensichtlich von der Registrierung (verbalizzazione) abhängt und dies bei einer Verzögerung des Verfahrens zur Obdachlosigkeit führen kann. Allerdings hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 eine Weisung herausgegeben, wonach die Registrierung zeitlich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Auch die Überlastung des Aufnahmesystems nimmt Italien nicht tatenlos hin. Auf die hohen Asylbewerberzahlen im Jahr 2011 reagierte das Land zunächst mit einem Notstandskonzept, bei dem unter Führung des Zivilschutzes (Protezione Civile) Aufnahmestrukturen in der Größenordnung von 26.000 Plätzen bereitgestellt wurden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013; UNHCR an VG Braunschweig, S. 3; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 9). Daneben wurden und werden die Plätze, die im SPRAR-Projekt zur Verfügung stehen, in erheblichem Umfang aufgestockt (siehe zur Bedeutung dieser Plätze für das Aufnahmesystem den Report von Nils Muižnieks, Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, 18.09.2012, Abs. 152). Standen ursprünglich 3.000 Plätze zur Verfügung, waren es Anfang Juni 2013 bereits 4.800 Plätze, wobei hierzu auch bereits vorhandene Unterkunftsplätze gezählt wurden, die um die im SPRAR-System vorgesehen Integrationsleistungen ergänzt wurden. Aufgrund eines im September 2013 erlassenen Dekrets des Innenministeriums soll die Kapazität im Zeitraum 2014 bis 2016 nochmals auf insgesamt 16.000 Plätze erhöht werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Außerdem wurde ein neues Informatiksystem „Vestanet“ eingeführt, das ebenfalls zu einer Verbesserung des Verfahrens beitragen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). In seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig vom 24. April 2012 hat der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen ausdrücklich anerkannt, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben. Gleiches gilt für die Auskunft des Auswärtige Amtes vom 21. Januar 2013 an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt.
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Der Senat geht außerdem davon aus, dass die aufgezeigten Missstände in bestimmten Städten und Regionen auftreten, die Funktionsfähigkeit des Asyl- und Aufnahmesystems aber nicht insgesamt in Frage stellen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Aufklärungsreisen die Problemschwerpunkte in den Blick nehmen (so ausdrücklich der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe mit Schwerpunkt Rom und Mailand, S. 1; in der Sache nicht anders der Bericht von Maria Bethke & Dominik Bender mit Schwerpunkt Rom und Turin; Gutachten von borderline-europe e.V. mit Schwerpunkt Rom und Sizilien). Diese Situationen sind aber nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar. So geht der UNHCR, dessen Dokumente bei der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften von besonderer Relevanz sind (vgl. EuGH, Urteil vom 30.05.2013 - C-528/11 - Rn. 44), in seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig davon aus, dass die CARA, CDA und SPRAR-Projekte in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl an Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR an VG Braunschweig vom 24. April 2012, S. 3). Anders als im Falle Griechenlands oder jüngst Bulgariens (UNHCR Briefing Notes vom 03.01.2014) hat der UNHCR bislang in keiner seiner Stellungnahmen eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten ausgesprochen, Überstellungen nach Italien nicht mehr vorzunehmen (siehe zuletzt UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, July 2013). Auch die Auskünfte des Auswärtigen Amtes sprechen gegen die Annahme eines systemischen Mangels des italienischen Asylsystems. Sie basieren auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR und UNHCR in Rom, grenzpolizeilicher Verbindungsbeamter der Bundespolizei im italienischen Innenministerium, Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Landesamtes ISTAT, Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen sowie Informationen des SPRAR und sind daher geeignet, einen Überblick über die Situation im Land zu geben. Nach der Auskunft an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt konnten seinerzeit (Januar 2013) alle Asylbewerber und Flüchtlinge in öffentlichen Zentren untergebracht werden. Gegebenenfalls gebe es lokale und regionale Überbelegungen, italienweit seien aber genügen Plätze vorhanden. Insbesondere in Norditalien seien die Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Zusätzlich zu den staatlichen/öffentlichen Einrichtungen gebe es kommunale und karitative Einrichtungen, so dass meist ein Unterbringungsplatz in der Nähe gefunden werden könne. Es sei nicht davon auszugehen, dass Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz fänden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos auf der Straße oder in Elendsquartieren leben müssten.
- 49
(d) Mit Blick auf den hier vorliegenden Fall ist weiter festzuhalten, dass sich aus der Auskunftslage auch keine systemischen Mängel für Personen ergeben, denen bereits ein Schutzstatus zugesprochen wurde. Die mit der Anerkennung verbundene Erteilung eines Aufenthaltsrechts (permession di soggiorno) bedeutet in der Praxis, dass sich die Personen mit Schutzstatus grundsätzlich selbst um eine Unterkunft und eine Arbeit kümmern müssen. Sie können nicht mehr in CARA unterkommen, da diese nur Asylbewerbern offenstehen. Sie können sich aber für Plätze im SPRAR-System bewerben, sofern sie die maximale Verweildauer noch nicht überschritten haben. Tatsächlich wird eine große Zahl der Plätze im SPRAR-System von Personen mit Schutzstatus belegt. Allerdings bestehen zum Teil lange Wartezeiten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Hier dürfte die geplante Ausweitung der SPRAR-Plätze eine deutliche Entlastung bringen. Daneben bieten die Gemeinden Unterkünfte an. Jedenfalls in Rom betrug die durchschnittliche Wartezeit auf einen solchen Platz allerdings drei Monate und in Mailand einen bis drei Monate (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27 und S. 30). Schließlich können sich Personen mit Schutzstatus, die keine Unterkunft finden, an kirchliche Organisationen und Nichtregierungsorganisationen wie die Caritas oder das Consiglio Italiano per i Rifugiati wenden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 an das OVG des Landes Sachsen-Anhalt). Verlässliche Zahlen, wie viele Schutzberechtigte von keiner dieser Möglichkeiten Gebrauch machen können und letztlich obdachlos werden, fehlen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist im Regelfall oder gar überwiegend aber nicht davon auszugehen, dass Flüchtlinge in Italien beziehungsweise Rückkehrer nach der Dublin-II-Verordnung dort unter Verhältnissen leben müssen, welche man gemeinhin als „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (Betteln, Leben auf der Straße etc.)“ bezeichnen könne. Hierbei handle es sich eher um Einzelfälle (Auswärtiges Amtes an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
- 50
In Italien gibt es auch für italienische Staatsangehörige kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Lebensunterhaltssicherung vor dem 65. Lebensjahr. Die Zuständigkeit für die Festsetzung von Sozialhilfeleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen wird die Höhe des Sozialgeldes durch die Kommune festgesetzt. Öffentliche Fürsorgeleistungen weisen daher deutliche Unterschiede je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft auf (Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Fall; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 48).
- 51
Auch wenn sich die Situation damit deutlich schlechter und unsicherer darstellt als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet dies für sich genommen keinen systemischen Mangel. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich festgehalten, dass Art. 3 EMRK die Vertragsparteien nicht verpflichte, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen. Die Norm enthalte auch keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmen Lebensstandard zu bieten. Ausländer, die von einer Ausweisung betroffen seien, gewähre die Konvention grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren, die vom ausweisenden Staat zur Verfügung gestellt werde. Wenn keine außergewöhnlichen zwingenden humanitären Gründe vorlägen, die gegen eine Ausweisung sprächen, sei allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse des Antragstellers bedeutend geschmälert würden, falls er oder sie ausgewiesen würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMR zu begründen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, a.a.O. Rn. 70 f.).
- 52
Keine systematischen Mängel bestehen schließlich auch im Hinblick auf den Zugang zum Gesundheitssystem. Personen mit Schutzstatus sind in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die Anmeldung beim Nationalen Gesundheitsdienst ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Behandlung bei einem praktischen Arzt, Kinderarzt, in Ambulanzen und zur Aufnahme in ein Krankenhaus berechtigt. Hierzu benötigen Schutzberechtigte den Aufenthaltstitel, die Steuernummer sowie eine feste Adresse. Personen ohne festen Wohnsitz können sich zumindest in Rom unter Sammeladressen karitativer Einrichtungen melden, die von den Behörden akzeptiert werden. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten. Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (Auswärtiges Amt an OVG des Landes Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
- 53
(e) Die Einschätzung, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, wird durch die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt. In seinem Beschluss vom 2. April 2013 hat er die Überstellung der dortigen Beschwerdeführerin, der - wie dem Kläger - in Italien bereits ein Schutzstatus zugesprochen worden war, mit Art. 3 EMRK für vereinbar gehalten. Dabei hat er - neben der konkreten Situation der Antragstellerin - eine Vielzahl von Stellungnahmen sowie Berichten von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen über die generelle Situation in Italien ausgewertet. Er kommt nach ausführlicher Würdigung der festzustellenden Mängel - und keineswegs nur unter Bezug auf den ihm vorgelegten konkreten Sachverhalt - zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, Rn. 70 ff., in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 336, besprochen von Thym in ZAR 2013, 331; siehe auch Hailbronner, AuslR, Dezember 2013, § 34a Rn. 29 f.; ebenso Beschluss vom 18.06.2013, Halimi gegen Österreich und Italien, Rn. 68, in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 338). Diese Einschätzung hat er jüngst nochmals ausdrücklich bestätigt (Beschluss vom 10.09.2013 - Nr. 2314/10 -, Hussein Diirshi u.a. gegen Niederlande und Italien, zitiert nach HUDOC).
- 54
(f) Es sind auch keine besonderen Umstände des Einzelfalles ersichtlich, die befürchten ließen, dass gerade dem Kläger in Italien eine mit Art. 4 der Grundrechtecharta nicht vereinbare Behandlung drohen würde. Er leidet insbesondere nicht an außerordentlich schweren oder seltenen Krankheiten, deren Behandlung in Italien nicht möglich erschiene. Nach seiner Schilderung bekam er in Italien in Notfallsituationen zumindest Schmerzmittel verabreicht. Die Probleme bei einer weiterführenden Behandlung resultierten offenbar daraus, dass er mangels festen Wohnsitzes keine Gesundheitskarte beantragt hat. Dem hätte der Kläger nach der Auskunftslage aber zumindest in Rom dadurch abhelfen können, dass er sich bei einer gemeinnützigen Organisation eine fiktive Meldeadresse hätte geben lassen. Aus den Angaben des Klägers lässt sich außerdem schließen, dass er noch keinen Platz im SPRAR-System beansprucht hat. Damit steht ihm nach seiner Rückkehr die Möglichkeit offen, sich für einen solchen Platz zu bewerben. Auf die von dem Kläger zuletzt aufgeworfene Frage, ob die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013 zutrifft, nach der alle im Rahmen der Dublin-Verordnung zurückgeführten Personen von der Questura in eine Unterkunft verteilt werden, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Auskunft dürfte sich auf Personen ohne Schutzstatus bezogen haben, die - wie oben dargestellt - ohnehin einem anderen Aufnahmeregime unterfallen.
III.
- 55
Die Abschiebungsanordnung ist nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist der Fall, nachdem Italien seine Zuständigkeit akzeptiert hat und der Abschiebung keine relevanten Hindernisgründe entgegenstehen.
IV.
- 56
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
- 57
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
- 58
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen. Streitentscheidend ist vorliegend die Würdigung der tatsächlichen Umstände in Italien.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Oktober 2013 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2012 nach Melilla in Spanien, wo er am 25. Oktober 2012 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Am 14. Januar 2013 beantragte er unter dem Namen U. E. in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Den Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch Bescheid vom 13. März 2013 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Die Überstellung erfolgte am 10. April 2013.
3Am 3. Juni 2013 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 7. Juni 2013 – unter dem im Rubrum angegebenen Namen – Asyl. Ausweislich seiner eigenen Mitteilung und der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013 war der Kläger zuvor in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden. Das Bundesamt richtete am 29. August 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
4Durch Bescheid vom 4. Oktober 2013 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund der dort erfolgten illegalen Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
5Am 25. Oktober 2013 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage erhoben.
6Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 abgelehnt (13 L 2168/13.A). Auf den weiteren, unter dem 18. März 2014 gestellten Antrag des Klägers gemäß § 80 Abs. 7 VwGO ordnete das Verwaltungsgericht Düsseldorf durch Beschluss vom 24. März 2014 (13 L 644/14.A) mit der Begründung die aufschiebende Wirkung an, die sechsmonatige Überstellungsfrist sei abgelaufen.
7Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: In Spanien werde kein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt. Ihm sei dort die Asylantragstellung verweigert worden. Zudem sei die Überstellungsfrist abgelaufen. Hierauf könne er sich auch berufen. Ihm werde sein Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens abgesprochen, hielte sich Spanien im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr für zuständig. Ob die spanischen Behörden sich noch an ihre Zustimmung gebunden fühlten, sei völlig offen.
8Der Kläger hat beantragt,
9den Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 aufzuheben.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass die Überstellungsfrist mit der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vom 7. Januar 2014 neu zu laufen begonnen habe bzw. auf Grund des gemäß § 80 Abs. 7 VwGO erlassenen Eilbeschlusses vom 24. März 2014 bis zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens ausgesetzt sei.
13Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. September 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die zulässige, insbesondere statthafte Anfechtungsklage sei unbegründet. Nach den anwendbaren Vorschriften der Dublin II-VO sei Spanien für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig. Die Zuständigkeit sei nicht nach Maßgabe der Art. 16 ff. Dublin II-VO auf Deutschland übergegangen. Die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Uabs. 1 Dublin II-VO sei noch nicht abgelaufen. Weil durch Beschluss vom 24. März 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden sei, beginne sie erst zu laufen, nachdem das Gericht in der Hauptsache entschieden habe. Selbst wenn man auf die Sechsmonatsfrist ab Annahme des Aufnahmegesuchs abstelle, könne sich der Kläger hierauf jedenfalls nicht berufen. Ein Verstoß gegen die Fristenregelungen der Dublin II-VO verletze nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts keine subjektiven Rechte der Asylbewerber. Zudem sei es dem Asylbewerber unbenommen, sich freiwillig beim anderen Mitgliedstaat zu melden, weil die Überstellung auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen könne. Habe er es selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolge und dass sie erfolge, könne er sich nach § 242 BGB nicht auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland berufen. Es bestehe auch keine Verpflichtung der Beklagten, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Von einer unangemessenen Verfahrensdauer könne nicht ausgegangen werden. Es lägen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestünden.
14Mit Beschlüssen vom 15. Dezember 2014 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und auf Antrag des Klägers die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 4. Oktober 2013 angeordnet (11 B 1338/14.A).
15Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Überstellungsfrist von sechs Monaten ab der Zustimmung Spaniens zum Übernahmeersuchen am 17. September 2013 sei am 17. März 2014 abgelaufen. Durch die Stattgabe des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO habe die bereits abgelaufene Überstellungsfrist nicht wieder neu zu laufen begonnen. Aus der Dublin II-VO ergebe sich keine Rechtsgrundlage, wonach eine Rückübertragung der Zuständigkeit auf Spanien erfolgen könne. Der Kläger könne sich auch auf den Ablauf der Frist berufen. Die EuGH-Entscheidung Abdullahi beziehe sich lediglich auf die Anwendung der in Kapitel III der Dublin II-VO genannten Zuständigkeitskriterien, nicht jedoch auf den nachfolgend geregelten Ablauf der Überstellungsfrist und die dies mit Sanktionscharakter ausfüllenden Vorschriften des Kapitels V der Verordnung. Bestehe keine Übernahmebereitschaft Spaniens, wäre dem Kläger das unstreitig bestehende subjektive Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren genommen, könnte er sich nicht auf den Fristablauf berufen. Zudem räume die Dublin II-VO zumindest in bestimmten Punkten, etwa der Mitteilung von Daten, subjektive Rechte ein. Eine Beschränkung der Einwände des Asylbewerbers auf die Prüfung systemischer Mängel in einem Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen könne nur dann angenommen werden, wenn de facto ein anderer Mitgliedstaat im Zeitpunkt dieser Prüfung eigentlich noch zuständig wäre. Sei Deutschland wegen Fristablaufs zuständig, ergebe sich aus Art. 16a GG bzw. dem Asylverfahrensgesetz ein einklagbarer Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens.
16Der Kläger beantragt,
17das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Asylbewerber könnten sich nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang nach den Art. 16 ff. Dublin II-VO berufen. Ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO zuständige Mitgliedstaat sei oder ob durch Zeitablauf Deutschland zuständig geworden sei. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Spanien eine Überstellung bereits endgültig abgelehnt habe. Zwar lehnten die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ab, jedoch könne im besonderen Einzelfall durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
24A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
25Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2013, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
26Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
27Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
28Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
29Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
30Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
31Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
32Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
33Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
34Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
35Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
37Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
39B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
40I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
411. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 7. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
42Denn hier lagen auch das Aufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
43Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
44Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
45a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
46aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
47bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen. Danach endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
48Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO greift nur dann ein, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist.
49Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47.
50Diese Auslegung ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, wonach bei der Bestimmung des nach den in Kapitel III bestimmten Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Das geschah hier am 14. Januar 2013 (mit einem Alias-Namen) sowie nach erneuter Einreise nach Deutschland von Spanien aus am 7. Juni 2013 und damit innerhalb der Jahresfrist seit der erstmaligen illegalen Einreise nach Spanien im Oktober 2012.
51Selbst wenn man aber nicht auf den Asylantrag, sondern auf den spätesten Zeitpunkt des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens, den Abschluss durch die Aufnahmeerklärung Spaniens am 17. September 2013, abstellt, waren zwölf Monate nicht verstrichen. Ein noch späterer Zeitpunkt kommt hingegen nicht in Betracht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gilt die in Kapitel III der Verordnung normierte Frist nur für das in diesem Kapitel geregelte Zuständigkeitsbestimmungsverfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑) Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland – abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen – die im Kapitel V in Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO geregelte Mitteilung an den Asylbewerber gehört nicht dazu – kann die Zuständigkeit hingegen nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
52b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
53aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO. Danach gilt: Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig. Das Bundesamt hat hier gemäß Art. 17 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin II-VO innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags Spanien ersucht, den Kläger aufzunehmen. Der Kläger hat am 7. Juni 2013 Asyl beantragt, das Aufnahmeersuchen datiert vom 29. August 2013.
54bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
55(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO ist am 17. März 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 - fristgerecht innerhalb von zwei Monaten (vgl. Art. 18 Abs. 1, 7 Dublin II-VO) - ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Aufnahme des Klägers an. Da die Überstellung binnen dieser Frist nicht durchgeführt worden ist, ist die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf die Beklagte als den Staat übergegangen, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Fristverlängerungen nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO scheiden hier aus.
56(2) Die Überstellungsfrist verlängert sich nicht um die Dauer des erfolglosen ersten gerichtlichen Eilverfahrens und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz führt auch nicht zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht. Der Antrag des Klägers vom 25. Oktober 2013, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 - 13 L 2168/13.A - abgelehnt. Das erfolglose Eilverfahren wirkt sich auf die Dauer der Überstellungsfrist nicht aus.
57Die Dublin II-VO sieht weder eine Unterbrechung oder Hemmung (§ 209 BGB entsprechend),
58so VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris,
59noch, wovon das Bundesamt ausgeht, einen Neubeginn der Frist in solchen Fällen vor. Dies lässt sich ihr auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen.
60Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO bestimmt eine Frist von sechs Monaten ab Annahme des Aufnahmegesuchs. Nur wenn ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, gilt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO eine abweichende Frist von sechs Monaten ab der Entscheidung über diesen Rechtsbehelf. Entscheidung über den Rechtsbehelf in diesem Sinne ist aber nicht der Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, sondern – die Fortdauer der Aussetzung der Vollziehung vorausgesetzt – die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren.
61Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53 ff., Beschlüsse vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, juris, Rn. 5 und vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, AuAS 2014, 237 = juris, Rn. 5.
62Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Rechtsbehelf selbst muss aufschiebende Wirkung zukommen. Dies trifft - auch nach dem Unionsrecht - nur auf einen Rechtsbehelf zu, mit dem über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und ihren Bestand (abschließend) entschieden wird. Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht die Aufhebung der behördlichen Entscheidung, sondern nur die Aussetzung des Vollzugs erreicht werden. Zudem vermag nicht die Antragstellung, sondern nur die stattgebende gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung herbeizuführen, deren Endpunkt die Hauptsacheentscheidung ist.
63Diese Überlegungen werden durch die Systematik der Dublin II-VO bestätigt. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist die Entscheidung des Beklagten nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II-VO kann gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Dass dies allein die Klage, nicht aber der Antrag auf Aussetzung sein kann, zeigt vor allem Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO. Danach hat der gegen die Überstellungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. An diese Vorgaben, die der Sache nach zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren trennen, knüpft der folgende Absatz 3 des Art. 19 Dublin II-VO an, indem er die Frist nur dann erst mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf beginnen lässt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wenn er also - so lässt sich mit Blick auf Absatz 2 präzisieren - im Einzelfall aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts aufschiebende Wirkung hat. Dem entspricht das nationale Recht. Ein Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach § 80 Abs. 1 VwGO - neben dem Widerspruch - nur die Klage. Die Klage gegen die Überstellungsentscheidung des Bundesamts hat - unionsrechtskonform - aber nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, diese wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September 2013 gültigen Fassung im Einzelfall durch das Gericht angeordnet.
64Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 7 ff.
65Bei dieser Ausgangslage rechtfertigt allein der Sinn und Zweck der Überstellungsfrist, den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, um die (technischen) Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln, wofür grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen,
66vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 ‑ Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495,
67keine andere Auslegung des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO.
68Auch § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG führt jedenfalls bei der Dublin II-VO nicht dazu, dass der Lauf der Überstellungsfrist gehemmt wird oder diese erst oder erneut mit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu laufen beginnt.
69Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.; a. A. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 ‑ A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff., und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28; Funke- Kaiser, in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rn. 227 f.
70Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Damit wird aber weder eine aufschiebende Wirkung der Klage begründet noch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, sondern lediglich vorübergehend die Vollziehung der Überstellungsentscheidung durch die Ausländerbehörde gehemmt. Die Anordnung eines Vollziehungshindernisses durch den nationalen Gesetzgeber kann ferner deshalb nicht mit der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung durch gerichtlichen Eilbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichgesetzt werden, weil dies den unmittelbar geltenden Vorgaben der Dublin II-VO zuwider liefe. Wie bereits ausgeführt, verankert Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, ferner das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen, konkret-individuellen Anordnung. Dem liegt der Beschleunigungsgedanke zugrunde, der auch Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ist. Im Übrigen beruht der Umstand, dass aufgrund des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG bei Stellung eines Eilantrags der Ausländerbehörde nicht die vollen sechs Monate für die Organisation der Überstellung zur Verfügung stehen mögen, sondern diese sich um die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens verkürzen können, auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die Dublin II-VO anwendbar war. Die Vorgabe des Art. 27 Abs. 3 lit. c Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Überstellung auszusetzen ist, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ihrer Durchführung ergangen ist, ist erst ab dem 1. Januar 2014 anwendbar.
71Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.
72(3) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Verwaltungsgericht im (zweiten) Eilverfahren mit Beschluss vom 24. März 2014 -13 L 644/14.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, die Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen. Dies war auch der Grund für die stattgebende Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts.
73Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stehen die beiden Alternativen des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird.
74Dies ergibt sich nicht nur aus dem oben dargelegten Normgefüge des Art. 19 Abs. 2 und 3 Dublin II-VO, sondern vor allem aus der in Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist am 17. März 2014 die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den „zuständigen“ Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
752. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
76Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
77a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
78Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 - 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
79Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
80Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
81Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
82Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
83Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
84Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
85Insbesondere die Fristbestimmungen dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zügigen Überstellung an diesen. Zwar liegt dieser Beschleunigungszweck nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
86Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
87Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
88Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
89Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
90Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
91Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen gilt dies aber nicht für Art. 19 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO. Allein der Beschleunigungszweck rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – nicht die Annahme, diese Vorschriften seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
92b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
93aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
94Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
95Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
96Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
97Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
98Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
99Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
100Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
101Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
102Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
103Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
104Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
105bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
106Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
107Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarecht-lichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
108Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
109vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
110begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
111Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
112Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
113Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
114Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
115Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
116Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
117Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
118Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
119Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
120Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
121c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
122aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
123Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
124Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
125Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
126Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
127Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
128Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
129Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
130Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
131Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 17. September 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
132bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
133Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
134Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
135Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
136So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
137Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
138Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
139Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
140Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
141So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
142Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 17. September 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat auf mehrfache gerichtliche Anfrage mit Schriftsatz vom 13. August 2015 lediglich ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ablehnten. Der Zusatz, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren. Zuletzt hat das Bundesamt mit Schriftsatz vom 27. August 2015 mitgeteilt, dass derzeit konkrete Anhaltspunkte weder dafür, dass Spanien trotz zwischenzeit-lichen Ablaufs der Überstellungsfrist seine Zuständigkeit bejaht hätte, noch dafür vorlägen, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
143d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
144Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
145Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
146Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
147Auch das Argument des Verwaltungsgerichts, § 242 BGB schließe eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang aus, weil der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können, überzeugt nicht. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
148So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
149Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1503. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
151Es ist schon nicht ersichtlich, dass ein Zweitantrag vorliegt. Aus den dem Gericht vorliegenden Akten ergibt sich nur, dass der Kläger in Spanien zweimal erkennungsdienstlich behandelt worden ist, nicht aber, dass er einen Asylantrag gestellt hat.
152Abgesehen davon kommt ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
153Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 - 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
154Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 4. Oktober 2013 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
155Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, Rn. 29, juris.
156Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
157Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
158II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
159C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
160Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
161Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich aber nach der in weiten Teilen übereinstim-menden Dublin III-VO in gleicher Weise.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. März 2014 wird aufgehoben, soweit in Ziffer 1 das Verfahren auch bezüglich des Antrags der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG eingestellt wurde und soweit in Ziffer 2 die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
1
Tatbestand:
2Die Kläger zu 1) und 2) sind die Eltern der am 0.00.2010 geborenen Klägerin zu 3). Sie meldeten sich am 13. Januar 2014 bei der zentralen Ausländerbehörde E. als Asylsuchende. Am 17. Januar 2014 nahm die Außenstelle E. des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ihren Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zur Niederschrift auf. Hierbei gaben die Kläger an, iranische Staatsangehörige christlichen Glaubens zu sein. Am gleichen Tag teilten sie im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens mit: Sie seien am 19. November 2013 mit dem Reisebus in Richtung Istanbul aus dem Iran ausgereist. Nach einem 40-tägigen Aufenthalt in der Türkei seien sie am 31. Dezember 2013 mit dem Flugzeug nach Deutschland eingereist. Personalpapiere oder andere Dokumente über ihre Person könnten sie nicht vorlegen.
3Ausweislich einer zum Verwaltungsvorgang des Bundesamtes genommenen Auskunft vom 17. Januar 2014 aus dem VIS-Datenbestand war den Klägern zu 1) und 2) am 27. November 2013 durch die französische Botschaft in Teheran jeweils ein Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt erteilt worden, und zwar mit Gültigkeit vom 30. November 2013 bis zum 25. Dezember 2013.
4Am 13. Februar 2014 stellte das Bundesamt bezüglich aller Kläger ein Übernahmeersuchen an die Republik Frankreich. Mit Schreiben vom gleichen Tag unterrichtete das Bundesamt die Kläger über die Einleitung eines Dublin-Verfahrens nach Frankreich und gab ihnen Gelegenheit, sich innerhalb von zwei Wochen zu den Gründen zu äußern, die gegen ihre Überstellung nach Frankreich sprächen. Mit Schreiben vom 28. Februar 2014, beim Bundesamt eingegangen am 4. März 2014, bestellte sich die Prozessbevollmächtigte unter Vorlage schriftlicher Vollmachten für die Kläger und erklärte, die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft würden zurückgenommen, aufrechterhalten würden lediglich die Anträge auf Gewährung subsidiären Schutzes.
5Die Republik Frankreich stimmte mit Schreiben vom 13. März 2014 der Aufnahme der Kläger gemäß Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO) zu.
6Mit Bescheid vom 25. März 2014 stellte das Bundesamt fest, dass die Asylverfahren der Kläger eingestellt sind (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung der Kläger nach Frankreich an (Ziffer 2). Zur Begründung wird ausgeführt, dass in Anbetracht der Rücknahme der Asylanträge gemäß § 32 S. 1, 1. HS AsylVfG festzustellen sei, dass die Asylverfahren eingestellt sind. Die Rücknahme beseitige indes nicht die Regelungswirkung der Dublin-III-VO in Bezug auf den zuständigen Mitgliedstaat. Die Zuständigkeit gelte seit der Asylantragstellung in Deutschland. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die zur Ausübung eines Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO führen könnten, seien nicht ersichtlich. Von einer Prüfung des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sei abzusehen, da eine Überstellung in das Herkunftsland nicht beabsichtigt sei. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft; Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Frankreich als zuständigem Mitgliedstaat innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Dublin-III-VO festgesetzten Fristen durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Frankreich beruhe auf § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG.
7Der an die Kläger adressierte Bescheid ist ausweislich eines Aktenvermerks am 26. März 2014 als Einschreiben zur Post gegeben worden. Mit Schreiben vom 26. März 2014 wurde ferner der Prozessbevollmächtigten der Kläger eine Kopie des Bescheides übersandt.
8Die Kläger haben am 1. April 2014 Klage erhoben und in Bezug auf Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Zur Begründung geben sie an, es lägen außergewöhnliche humanitäre Gründe vor, die die Beklagte zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts verpflichteten, jedenfalls aber zu einer ermessensfehlerfreien Entscheidung, die mit dem streitgegenständlichen Bescheid nicht erfolgt sei. Der Kläger zu 1) habe zwei Cousinen, die in Nordrhein-Westfalen lebten. Diese hätten sich seit dem Eintreffen der Kläger in Deutschland um diese gekümmert. Die Kläger seien durch die ihnen widerfahrenen Erlebnisse im Iran traumatisiert und hätten lediglich Halt aufgrund der Anwesenheit der Verwandtschaft in Deutschland gefunden. Sie hätten für ihre Ausreise aus dem Iran die Hilfe eines Schleppers in Anspruch genommen. Dieser habe ihnen unter Vorlage falscher Unterlagen einen Termin bei einer Botschaft verschafft, wo sie lediglich einmal ihre Fingerabdrücke hätten abgeben müssen. Ihnen sei bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal sicher bekannt gewesen, dass die in ihren Pässen angebrachten Visa tatsächlich echt seien. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sie von Frankreich aus in den Iran abgeschoben würden. Wegen der hohen Zahl der Asylbewerber sei nicht sichergestellt, dass Frankreich für die Kläger eine zumutbare Wohnung zur Verfügung stellen und somit die Mindeststandards einhalten könne.
9Mit Beschluss vom 7. Mai 2014 hat das Gericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt (22 L 791/14.A).
10Am 7. August 2014 haben die Kläger beantragt, unter Abänderung des Beschlusses vom 7. Mai 2014 nunmehr die aufschiebende Wirkung der Klage in Bezug auf Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes anzuordnen. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Die Kläger zu 1) und 2) befänden sich aufgrund ihres psychischen Zustandes bereits seit einiger Zeit in neurologischer Behandlung. Dennoch sei am 31. Juli 2014 ein unangekündigter Abschiebeversuch unternommen worden. Die Abschiebemaßnahme sei abgebrochen worden, als die Klägerin zu 3) auf der Fahrt zum Flughafen kollabiert sei und sich im Polizeiauto übergeben habe. Durch diese Abschiebemaßnahme habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) derart verschlechtert, dass sie am 2. August 2014 stationär in die Klinik des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) eingewiesen worden sei. Zum Beleg haben die Kläger mehrere ärztliche Bescheinigungen vorgelegt, darunter Bescheinigungen des LVR-Klinikums E1. , Abteilung für allgemeine Psychiatrie II vom 6. August 2014 und vom 22. August 2014, ausweislich derer sich die Klägerin zu 2) seit dem 2. August 2014 aufgrund der Schwere ihrer psychischen Erkrankung mit akuter Suizidalität bis auf weiteres in stationärer Behandlung befinde und aufgrund ihrer instabilen psychopathologischen Verfassung sowie konkreten Suizidgefährdung bis auf weiteres reiseunfähig sei.
11Mit Beschluss vom 15. September 2014 hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in Abänderung des Beschlusses vom 7. Mai 2014 – 22 L 791/14. A – angeordnet (22 L 1814/14. A).
12Im Klageverfahren haben die Kläger weitere ärztliche Bescheinigungen zum Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) vorgelegt und schriftsätzlich beantragt, die behandelnden Ärzte Dr. N. und Dr. U. als Zeugen zu vernehmen zum Beweis der aus den ärztlichen Attesten hervorgehenden, eine Reiseunfähigkeit begründenden Krankheiten der Klägerin zu 2). Ferner haben die Kläger beantragt, zum Beweis ebendieser Tatsachen ein Sachverständigengutachten einzuholen. Schließlich verweisen die Kläger darauf, dass die in Art. 29 Dublin-III-VO bestimmte Frist zur Überstellung der Kläger nach Frankreich bereits abgelaufen sei.
13Die Kläger beantragen,
14den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. März 2014 aufzuheben, soweit in Ziffer 1 das Verfahren auch bezüglich des Antrags der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG eingestellt wurde und soweit in Ziffer 2 die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde.
15Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
18Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der dazu beigezogenen Gerichtsakten 22 L 791/14.A und 22 L 1814/14.A und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie der Ausländerbehörde des Kreises L. Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten zum Termin der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, da die Beteiligten hierauf in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen wurden, § 102 Abs. 1 und 2 VwGO.
21Die Klage ist zulässig (nachfolgend I.) und begründet (nachfolgend II.).
22I. Die Klage ist zulässig.
23Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO statthaft. Die isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelungen führt auf die weitere Prüfung der Anträge der Kläger auf Zuerkennung subsidiären Schutzes durch die Beklagte und damit zu dem erstrebten Rechtsschutzziel. Denn mit der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides in dem angefochtenen Umfang werden die Verwaltungsverfahren in den Verfahrensstand zurückversetzt, in dem sie vor Erlass der streitgegenständlichen Regelungen waren. Das Bundesamt ist im Falle einer Aufhebung des Bescheides gemäß §§ 24, 31 AsylVfG gesetzlich verpflichtet, die Asylverfahren weiterzuführen. Das Bundesamt hat sich in dem vorliegenden Fall lediglich mit der – einer materiellen Prüfung der Asylanträge vorgelagerten – Frage befasst, in welchem Umfang die Asylverfahren eingestellt werden und welcher Staat nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Prüfung der verbleibenden Schutzgesuche zuständig ist. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung der Asylbegehren beseitigt und die Asylverfahren sind in dem Stadium, in dem sie zu Unrecht beendet worden sind, durch das Bundesamt weiterzuführen.
24Vgl. zu Entscheidungen nach § 27a AsylVfG: OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rdn. 28 ff.; zu Entscheidungen nach §§ 32, 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rdn. 15 ff.
25Die Kläger sind auch klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Aus ihrem Vorbringen lässt sich herleiten, dass sie – sollte sich der Bescheid in dem angefochtenen Umfang als objektiv rechtswidrig erweisen – möglicherweise in eigenen Rechten verletzt sind. Denn die angefochtenen Regelungen belasten die Kläger in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht aus §§ 4, 24, 31 AsylVfG auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch das Bundesamt.
26Ob und gegebenenfalls inwieweit dieses Recht durch Unionsrecht, namentlich die Dublin-III-VO, beschränkt wird, bedarf hier keiner weiteren Prüfung, da eine Rechtsverletzung zumindest möglich erscheint.
27Die Kläger haben die Klage auch fristgerecht im Sinne von § 74 Abs. 1 AsylVfG, nämlich innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides, erhoben. Die Klagefrist begann mit der wirksamen Bekanntgabe des Bescheides am 29. März 2014. Der Bescheid wurde den Klägern (wie von § 31 Abs. 1 S. 4 AsylVfG vorausgesetzt) persönlich zugestellt, und zwar gemäß § 4 Abs. 1 VwZG durch die Post mittels Einschreiben durch Übergabe oder Einschreiben mit Rückschein. Damit wurde der Bescheid zugleich gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG wirksam bekanntgegeben. Gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG gilt das Dokument am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, es ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen. Angesichts der Tatsache, dass der Bescheid ausweislich des Verwaltungsvorgangs am 26. März 2014 als Einschreiben zur Post aufgegeben wurde, gilt er gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, mithin am 29. März 2014 als zugestellt. Die Kläger haben nicht vorgetragen, dass ihnen der Bescheid nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Die am 29. März 2014 begonnene Klagefrist war bei Klageerhebung am 1. April 2014 noch nicht abgelaufen.
28II. Die Klage ist begründet. In dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG) ist der Bescheid des Bundesamtes vom 25. März 2014 in dem Umfang, in dem er angefochten ist, rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Dies gilt sowohl für Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides, soweit darin die Asylverfahren der Kläger auch insoweit eingestellt wurden, als diese die Zuerkennung subsidiären Schutzes begehren (nachfolgend 1.), als auch für Ziffer 2 des Bescheides, mit der die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde (nachfolgend 2.).
291. Die Feststellung der Einstellung der Asylverfahren auch insoweit, als die Kläger die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG begehren, findet ihre Rechtsgrundlage nicht in der hier allein als Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommenden Regelung des § 32 S. 1, 1. Hs., 1. Alt. AsylVfG. Nach dieser Norm stellt das Bundesamt im Falle der Antragsrücknahme in seiner Entscheidung fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist. Diese Voraussetzungen liegen hier hinsichtlich des Antrages der Kläger auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG nicht vor. Die Kläger hatten mit anwaltlichem Schreiben vom 28. Februar 2014 ihre ursprünglich auf die Anerkennung als Asylberechtigte im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG sowie auf Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG insgesamt gerichteten Asylanträge nur teilweise zurückgenommen, nämlich in Bezug auf die Anerkennung als Asylberechtigte und die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention). Aufrechterhalten haben sie hingegen ihre Anträge auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), § 4 AsylVfG. Durch die rechtswidrige Einstellung ihrer Antragsverfahren auf Zuerkennung subsidiären Schutzes werden die Kläger in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch das Bundesamt gemäß §§ 4, 24, 31 AsylVfG verletzt.
302. Die Abschiebungsanordnung nach Frankreich in Ziffer 2 des Bescheides ist ebenfalls rechtswidrig. Sie lässt sich nicht auf die allein in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage des § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG stützen. Danach ordnet das Bundesamt in den Fällen, in denen der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
31Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob eine Abschiebungsanordnung nach dieser Norm überhaupt ergehen kann, wenn das Bundesamt – wie hier, wenn auch zu Unrecht – die Asylverfahren insgesamt gemäß § 32 S. 1, 1. Hs., 1. Alt. AsylVfG eingestellt hat. Denn jedenfalls ist Frankreich weder ein sicherer Drittstaat, aus dem die Kläger nach Deutschland eingereist sind (§ 26a AsylVfG) noch ist Frankreich für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig (§ 27a AsylVfG).
32Die Voraussetzungen des § 26a AsylVfG sind
33– unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit dieser Norm im Anwendungsbereich derDublin-III-VO –
34schon deshalb nicht erfüllt, weil die Kläger nach eigenen Angaben aus der Türkei kommend auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist sind und auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für einen Aufenthalt in oder eine Durchreise durch Frankreich vorliegen.
35Auch die Voraussetzungen des § 27a AsylVfG sind nicht erfüllt. Die Republik Frankreich ist nicht auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig.
36Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Dublin-III-VO. Diese findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO auf alle in Deutschland ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, mithin auch auf die im Januar 2014 gestellten Schutzgesuche der Kläger.
37Die Zuständigkeit Frankreichs für die Prüfung der Asylanträge der Kläger dürfte zwar zunächst nach Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO begründet worden sein. Die Republik Frankreich hat das an sie gerichtete Übernahmeersuchen der Beklagten vom 13. Februar 2014 auch am 13. März 2014 auf dieser Rechtsgrundlage akzeptiert. Die Zuständigkeit ist jedoch mittlerweile auf die Beklagte übergegangen. Dies folgt aus Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO. Danach ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO genannten Frist von sechs Monaten, die unter bestimmten Voraussetzungen auf höchstens 18 Monate verlängert werden kann, durchgeführt wird.
38Im vorliegenden Fall ist die Überstellung nicht in diesem Sinne fristgemäß erfolgt. Die sechsmonatige Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung hat. Die Frist begann nach diesen Maßstäben hier mit der Annahme des Übernahmeersuchens durch die Republik Frankreich am 13. März 2014.
39Die Frist zur Überstellung der Kläger nach Frankreich wurde nicht durch den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vom 1. April 2014 (22 L 791/14.A) für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens, hier also bis zum ablehnenden Eilbeschluss vom 7. Mai 2014, unterbrochen oder gehemmt,
40vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014, - 13 A 1347/14.A -, juris, Rdn. 5 ff. m.w.N..
41Auch lagen keine Gründe für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin-III-VO vor. Die sechsmonatige Frist endete nach alledem mit Ablauf des 13. September 2014.
42Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zur Folge, dass der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Die Zuständigkeit für die Prüfung der Anträge der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes ist damit auf die Beklagte übergegangen.
43Die Kläger können sich im vorliegenden Klageverfahren auch auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte berufen.
44A.A. VGH BW, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rdn. 59 (soweit eine Überstellung in den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist); Nds.OVG, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 ‑, juris, Rdn. 9 ff (ohne Einschränkung); HessVGH, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 976/14.A ‑, juris, Rdn. 15 (obiter dictum); VG Düsseldorf , Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 43; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 102. Ergänzungslieferung, November 2014, § 27a, Rdn. 234, 196.1 (mit Ausnahmen); Hailbronner, Ausländerrecht, 88. Ergänzungslieferung, Oktober 2014, § 27a AsylVfG, Rdn. 20 ff.; Günther, in: Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 5. Edition, Stand: 1. September 2014, § 27a AsylVfG Rdn. 29 ff.; offen gelassen: OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 ‑ 14 A 1943/11.A ‑, juris, Rdn. 24 (das Vorabentscheidungsverfahren bei EuGH, Rs. C-666/11 endete ohne Sachentscheidung nach Rücknahme des Ersuchens wegen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache beim OVG NRW); vgl. ferner zum Ablauf der Frist zur Stellung des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchens: VGH BW, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris; Rdn. 25, 27 (bei zeitnaher Überstellung); OVG RhPf, Urteil vom 21. Februar 2014 ‑ 10 A 10656/13 ‑, juris, Rdn. 33.
45Die Kläger haben gemäß §§ 24, 31 AsylVfG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Diese darf auf der Rechtsgrundlage der §§ 27a, 34a AsylVfG die weitere Prüfung eines Asylantrages nur dann ablehnen und eine Abschiebungsanordnung in einen anderen Mitgliedstaat erlassen, wenn dieser andere Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig. Zugleich verletzt der objektiv rechtswidrige Verwaltungsakt das subjektiv-öffentliche Recht der Kläger aus §§ 24, 31 AsylVfG, und zwar unabhängig vom Schutzzweck der Norm, deren Verletzung zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führt. Der Individualschutzzweck von Normen ist nur für diejenigen von Bedeutung, die keine materielle Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung durch den angefochtenen Verwaltungsakt dartun können.
46Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 45 Rdn. 126.
47Die Kläger hingegen werden durch Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in ihrer Rechtstellung aus §§ 24, 31 AsylVfG materiell beeinträchtigt, wenn die Beklagte die Prüfung der Schutzgesuche mit Verweis auf die Zuständigkeit eines anderen Staates ablehnt, obwohl ihre Zuständigkeit nach den Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung objektiv begründet ist.
48Dem nach nationalem Recht bestehenden subjektiv-öffentlichen Recht der Kläger auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die nach der Dublin-III-VO objektiv hierfür zuständige Beklagte steht auch der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht entgegen. Denn es liegt schon keine Kollision des nationalen Rechts mit der gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV vorrangig anzuwendenden Dublin-III-VO vor.
49Die Zuständigkeitsregelungen in der Dublin-III-VO begründen unmittelbare Rechte der betroffenen Ausländer auf Beachtung dieser Regelungen durch alle Behörden der Mitgliedstaaten. Dies folgt schon aus der Rechtsnatur der Dublin-III-VO. Diese gilt (wie alle EU-Verordnungen) gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Diese unmittelbare Geltung bedeutet, dass die Verordnungen nicht nur für die Mitgliedstaaten (untereinander) gelten, sondern in den Mitgliedstaaten,
50Ulrich Haltern, Europarecht, Tübingen 2005, S. 284 (Hervorhebung im Original).
51Hierin unterscheidet sich das Unionsrecht gerade von Völkervertragsrecht, mit dem sich lediglich die Vertragsstaaten untereinander binden. Das Unionsrecht ist eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Unionsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen,
52EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 25.
53Die Dublin-III-VO regelt damit schon aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht nur Verpflichtungen der Mitgliedstaaten untereinander, sondern auch unmittelbar die Rechtsstellung jedes einzelnen Normunterworfenen, das heißt auch der Drittstaatsangehörigen, auf die die Dublin-III-VO Anwendung findet.
54Der Dublin-III-VO kann auch nicht entnommen werden, dass in Bezug auf die dort geregelten Zuständigkeitsbestimmungen ausnahmsweise etwas anderes gelten sollte, insbesondere ein Asylbewerber, der für die Prüfung seines Asylantrages an einen anderen Mitgliedstaat verwiesen wird, einen hierin liegenden objektiven Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmungen der Verordnung nicht oder nur unter bestimmten Umständen rügen kann.
55Dies unter Verweis auf den Zweck der Dublin-II-VO erwägend und im Ergebnis ein subjektiv-öffentliches Recht des Ausländers aus der Ermessensvorschrift des Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO (Selbsteintrittsrecht) verneinend: Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 58.
56Indem der Unionsgesetzgeber die ursprünglich in einem völkerrechtlichen Vertrag (Dubliner Übereinkommen) vereinbarten Zuständigkeitskriterien für die Prüfung eines Schutzgesuchs ausdifferenziert und in einer EU-Verordnung kodifiziert hat, hat er diese Regelungen zugleich mit den aus Art. 288 Abs. 2 AEUV folgenden Rechtswirkungen ausgestattet. Diese Rechtsqualität der Regelungen steht auch nicht in Widerspruch zu ihrem Sinn und Zweck. Der Unionsgesetzgeber hat die Zuständigkeitsbestimmungen erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrages zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping“ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen,
57EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, C‑394/12 (Abdullahi), Rdn. 53, juris; vgl. auch Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 57.
58Diese Ziele werden am effektivsten durch die zuverlässige und gleichmäßige Befolgung der in der Dublin-III-VO geregelten Zuständigkeitskriterien in allen Mitgliedstaaten erreicht. Das „forum shopping“ wird unterbunden, indem einem einzigen Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Prüfung des Schutzgesuches zugeordnet wird; die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Staates wird durch detaillierte Kriterien, die keine Entscheidungsspielräume der Mitgliedstaaten vorsehen, erhöht; die Asylverfahren werden insgesamt beschleunigt, indem das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates verbindlich geltenden kurzen Fristen unterworfen wird.
59Die unmittelbare, auch von den Betroffenen durchsetzbare Rechtswirkung der Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin-III-VO ‑ soweit sie einem Mitgliedstaat die Zuständigkeit ohne Ermessensspielraum zuweisen ‑ widerspricht diesen Zielen nicht, sondern fördert ihre Erreichung. Der Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts („effet utile“) findet eine wesentliche Stütze gerade darin, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar geltendes Unionsrecht berufen kann. Mit Hilfe der Doktrin der unmittelbaren Anwendbarkeit werden die an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Betroffenen zu Wächtern des Unionsrechtssystems erhoben, die dessen effektive Anwendung in den Mitgliedstaaten sichern,
60Vgl. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 49 m.w.N.
61Zum Zweck der effektiven und gleichen Wirkung des Unionsrechts sollen die Einzelnen, soweit es um den staatlichen Vollzug des Unionsrechts geht, eine dezentrale, die Kommission entlastende Vollzugskontrolle vornehmen können,
62vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 44.
63Andernfalls könnte auch Art. 267 AEUV, der zum Zweck der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten das Verfahren zur Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen auf Vorlage nationaler Gerichte vorsieht, seine Wirkung nicht entfalten. Art. 267 AEUV setzt voraus, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar anwendbares Unionsrecht berufen kann und damit die Frage der Auslegung einer unionsrechtlichen Bestimmung vor dem nationalen Gericht streitentscheidende Bedeutung gewinnt. Der alleinigen Entscheidungskompetenz des EuGH bei der Auslegung des Unionsrechts liefe es zuwider, einer unionsrechtlichen Bestimmung in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht (ohne vorherige Klärung der Rechtsfrage durch den EuGH) mit Verweis auf mangelnde individualschützende Wirkung eine streitentscheidende Bedeutung von vornherein abzusprechen.
64Aufgrund dieser generellen Bedeutung der unmittelbaren, individualrechtsbegründenden Anwendbarkeit des Unionsrechts für die Sicherstellung seiner Effektivität kommt es für die Frage, ob sich der Einzelne auf Unionsrecht berufen kann, auch nicht darauf an, ob eine Vorschrift des Unionsrechts bezweckt, individuelle Rechte zu schaffen. Entscheidend ist vielmehr, ob die sich aus der Vorschrift ergebende Verpflichtung anderer Rechtssubjekte eindeutig ist, weil sie hinreichend klar und unbedingt formuliert ist.
65Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 46; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 51 m.w.N.
66Dies ist bei Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO der Fall. Die Norm regelt den Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Überstellungsfrist eindeutig, klar und unbedingt, insbesondere sieht sie auch keinen Entscheidungsspielraum einer nationalen Behörde vor.
67Der Annahme, dass sich ein Asylbewerber auf die nach der Dublin-III-Verordnung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung objektiv begründete Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Prüfung seines Schutzgesuches berufen kann, steht auch die Rechtsprechung des EuGH,
68Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi), - C-394/12 -, juris,
69sowie des Bundesverwaltungsgerichts,
70Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rdn. 7 und vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6,
71nicht entgegen.
72Diesen Entscheidungen ist keine Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von (Überstellungs-)Fristen zu entnehmen,
73vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, Rdn. 41, juris mit Hinweis auf VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 - 13 K 1117/14.A -, Rdn. 54 ff., juris.
74Insbesondere lässt sich eine dahingehende Aussage nicht aus dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz entnehmen, dass der betreffende Ausländer in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat seiner Aufnahme nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat (Mitgliedstaat der ersten Einreise), der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
75Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi) - C-394/12 -, Rdn. 62, juris,
76Mit diesem Rechtssatz betont der EuGH gerade die Verbindlichkeit der in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriterien, die ihre Grenze erst in der im Einzelfall anzunehmenden tatsächlichen Gefahr der Verletzung eines in der Grundrechtecharta verbürgten Rechts findet. Demgegenüber lässt sich dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz keine Aussage des Inhalts entnehmen, dass sich ein Asylbewerber nicht (oder nur unter bestimmten Bedingungen) auf die Beachtung eines in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums berufen kann.
77So liegt der Fall hier. Mit dem von den Klägern geltend gemachten Einwand, dass die Zuständigkeit für die Prüfung ihrer Schutzgesuche wegen Überschreitens der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO auf die Beklagte übergegangen ist, wenden sich die Kläger ‑ anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall ‑ gerade nicht gegen die Heranziehung eines in der Dublin-III-VO niedergelegten Zuständigkeitskriteriums, sondern berufen sich auf dieses.
78Auch das BVerwG geht erkennbar nicht davon aus, dass andere Einwände gegen eine Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat als der Einwand systemischer Mängel unbeachtlich wären. Vielmehr benennt es in dem zuletzt ergangenen Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – konkret die als unbeachtlich einzustufenden Einwände:
79„Aus der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann und es nicht darauf ankommt, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war.“
80BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6, Hervorhebung nicht im Original.
81Dies verdeutlicht, dass die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates der Prüfung vorgelagert ist, ob einer Überstellung dorthin systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegenstehen. Auch wird die Beschränkung berücksichtigungsfähiger Einwände auf den Einwand systemischer Mängel nur insoweit ausgesprochen, als der Asylbewerber der Überstellung mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen in diesem Staat entgegentritt.
82Eine Beschränkung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers im Hinblick auf die Geltendmachung objektiver Verstöße gegen die Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-Verordnung lässt sich auch nicht mit der Überlegung belegen oder bekräftigen, dass es dem Asylbewerber unbenommen ist, sich freiwillig bei der ihm genannten Stelle des anderen Mitgliedstaates zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen.
83Zu den Modalitäten einer Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers siehe Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003, zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (DVO Dublin III).
84Zwar kann der Asylbewerber damit zu einer Beschleunigung beitragen. Aus einer fehlenden Inanspruchnahme dieses Rechts kann jedoch nicht auf den Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts des Asylbewerbers auf materielle Prüfung seines Schutzgesuches durch die Beklagte geschlossen werden. Insbesondere steht der vom Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB abgeleitete Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium") der Geltendmachung dieses subjektiv-öffentlichen Rechts nicht entgegen.
85So aber VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 45 ff.
86Ein widersprüchliches Verhalten der Kläger liegt
87– ganz abgesehen davon, dass im deutschen Recht die Möglichkeit der Überstellung des betroffenen Asylbewerbers auf eigene Initiative gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist (vgl. hierzu: VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 2014 – A 11 S 1230/14 ‑, juris, Rdn. 4) und die Kläger im vorliegenden Fall (soweit ersichtlich) über dieses ihnen zustehende Initiativrecht auch nicht unterrichtet wurden –
88nicht vor. Die Kläger rügen nicht etwa eine unangemessene Dauer ihrer Verfahren, die sie selbst hätten beschleunigen können. Vielmehr begehren sie die materielle Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Selbst wenn zwischenzeitlich ein anderer Staat für die Durchführung ihrer Asylverfahren zuständig gewesen sein sollte, kann ein widersprüchliches Verhalten der Kläger nicht darin gesehen werden, dass sie an ihrem Begehren der Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte festgehalten haben. Die Kläger haben sich zur Begründung ihres Begehrens nicht auf eine drohende unzumutbare Dauer ihrer Schutzgesuche gestützt, sondern auf gesundheitliche Beeinträchtigungen, die der tatsächlichen Durchführung ihrer Überstellung entgegenstünden.
89Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob ein Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts auf Prüfung des Schutzgesuches durch den Staat, der infolge des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zuständig geworden ist, dann eintreten kann, wenn dieses Recht missbräuchlich in Anspruch genommen wird. Denn dafür fehlen hier jegliche Anhaltspunkte. Insbesondere haben sich die Kläger weder der ausländerrechtlichen Überwachung entzogen noch Überstellungsmaßnahmen widersetzt. Dass sie unter Vorlage ärztlicher Atteste Rechtsschutz gegen die Abschiebungsanordnung gesucht haben und sich insoweit auf gesundheitliche Überstellungshindernisse berufen, kann nicht als missbräuchliches Verhalten gewertet werden.
90Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tenor
1. Dem Antragsteller wird für das Abänderungsverfahren Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt N. aus C. beigeordnet.
2. Unter Abänderung des Beschlusses des Gerichts vom16. April 2015 – 18a L 355/15.A – wird die aufschiebende Wirkung der Klage 18a K 906/15.A gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Februar 2015 in Ziffer 2 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Ungarn angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
Gründe:
21.
3Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Abänderungsverfahren beruht auf § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit §§ 114, 115 der Zivilprozessordnung (ZPO), da die Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
4Der Antragsteller erfüllt die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe.
5Sofern man den Antrag des Antragstellers dahin verstünde, den Beschluss vom 16. April 2015 – 18a L 355/15.A – hinsichtlich der Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe in Ziffer 1 des Beschlusses abzuändern, wäre ein solcher bereits nicht statthaft, da ein Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO ausweislich seines Wortlauts ausschließlich gegen Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 der Vorschrift zulässig ist.
62.
7Der Antrag,
8unter Abänderung des Beschlusses des erkennenden Gerichts vom 16. April 2015 – 18a L 355/15.A – die aufschiebende Wirkung der Klage 18a K 906/15.A gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Februar 2015 in Ziffer 2 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Ungarn anzuordnen,
9hat Erfolg. Der gemäß § 80 Abs. 7 VwGO statthafte Antrag an das Gericht ist zulässig und begründet.
10Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache jederzeit – von Amts wegen oder (wie vorliegend) nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auf Antrag eines Beteiligten – einen Beschluss nach Abs. 5 der Norm über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer gegen eine belastende behördliche Maßnahme erhobenen Anfechtungsklage ändern oder aufheben. Das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO trägt dem Umstand Rechnung, dass Veränderungen während des Hauptsacheverfahrens eintreten können, auf die trotz Rechtskraft des Beschlusses zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes reagiert werden muss. Maßgeblich ist eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- und Rechtslage. Prüfungsmaßstab ist allein, ob nach der derzeitigen Sach- und Rechtslage die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage wegen veränderter Umstände geboten ist. Soweit ein Beteiligter den Antrag stellt, kann der Antrag nur damit begründet werden, dass sich entscheidungserhebliche Umstände, auf denen die ursprüngliche Entscheidung beruhte, geändert haben oder im ursprünglichen Verfahren nicht geltend gemacht werden konnten (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO). Prozessrechtliche Voraussetzung für die Ausübung der dem Gericht der Hauptsache zustehenden Abänderungsbefugnis ist somit eine Änderung der maßgeblichen Umstände, auf die die frühere Entscheidung gestützt war. Liegt eine solche Änderung nicht vor, ist dem Gericht eine Entscheidung in der Sache verwehrt, weil sie auf eine unzulässige Rechtsmittelentscheidung hinausliefe.
11Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2008– 2 VR 1.08 – (juris Rz. 4 ff.).
12Der Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 der Verordnung EU Nr. 604/2013 – Dublin III-VO –normierten Überstellungsfrist stellt eine in diesem Sinne beachtliche Änderung der Sach- oder Rechtslage dar.
13Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Juli 2014– 11 B 789/14.A – zur Dublin II-VO.
14Nach Maßgabe dessen liegen veränderte Umstände vor. Die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO ist abgelaufen. Entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin beginnt die sechsmonatige Überstellungsfrist nicht erst mit der Bekanntgabe des Beschlusses zu laufen, mit dem der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt worden ist. Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO bestimmt, dass die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Abs. 3 aufschiebende Wirkung hat, erfolgt. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Entscheidung über den Rechtsbehelf die (rechtskräftige) gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren ist.
15Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, DVBl 2014, 790 (juris Rz. 53); Beschluss vom 8. September 2014 – 13 A 1347/14.A (juris Rz. 5 ff.); VG Köln, Urteil vom 27. August 2014 – 3 K 411/14.A – (juris Rz. 24 ff.).
16Danach ist, nachdem die ungarische Zustimmung zur Überstellung am 29. Januar 2015 erfolgt war, die sechsmonatige Überstellungsfrist, für deren Verlängerung keine Gründe ersichtlich sind, mit Ablauf des 29. Juli 2015 abgelaufen.
17Der Antragsteller kann sich auch auf den aus dem Ablauf der Überstellungsfrist folgenden Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin sowie die hieraus in dem gemäß 77 Abs. 1 S. 1 des Asylverfahrensgesetzes – AsylVfG – maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung resultierende Rechtswidrigkeit der in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides getroffenen Abschiebungsanordnung berufen. Aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist hat der Antragsteller gemäß §§ 24, 31 AsylVfG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung seines Schutzgesuchs durch die Antragsgegnerin. Diese darf auf der Rechtsgrundlage der §§ 27a, 34a AsylVfG die weitere Prüfung eines Asylantrages nur dann ablehnen und eine Abschiebungsanordnung in einen anderen Mitgliedstaat erlassen, wenn dieser andere Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig. Der Antragsteller wird durch Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in seiner Rechtstellung aus §§ 24, 31 AsylVfG materiell beeinträchtigt, wenn die Antragsgegnerin die Prüfung seines Schutzgesuchs mit Verweis auf die Zuständigkeit eines anderen Staates ablehnt, obwohl dessen Zuständigkeit mit Ablauf der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO auf sie übergegangen ist.
18Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Mai 2015– 22 K 2179/15.A – (juris Rz. 33 ff.).
19Zwar können sich Asylantragsteller im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung von Bescheiden gemäß §§ 27a, 34a AsylVfG unter Berücksichtigung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts grundsätzlich nicht auf eine fehlerhafte Anwendung des Verfahrens und der Kriterien der Dublin III-VO berufen. Der Europäische Gerichtshof hat nämlich in Bezug auf die frühere Verordnung (EU) Nr. 343/2003 – Dublin II-VO – entschieden, dass der betreffende Ausländer in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat seiner Aufnahme nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat (Mitgliedstaat der ersten Einreise), der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
20Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi)– C-394/12 – (juris Rz. 60).
21Dies gilt auch im Rahmen der gemäß §§ 27a, 34a AsylVfG erforderlichen Prüfung, ob ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
22Dem vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Rechtssatz ist jedoch nicht die uneingeschränkte Aussage zu entnehmen, dass die Dublin-Verordnungen keine Vorschriften enthalten, die Asylantragstellern subjektive Rechte verleihen. So führte auch der Generalanwalt in seinem Schlussantrag vom 11. Juli 2013 unter Nennung u.a. der Vorschriften über die Rechte bei Minderjährigkeit und über den Ablauf der Überstellungsfrist aus, dass diese Vorschriften letztlich über die Rechtsstellung der Mitgliedstaaten im Bereich der durch die Verordnung geregelten Beziehungen hinausgehen und dem Asylbewerber ein spezifisches und eigenes subjektives Recht verleihen.
23Vgl. Schlussantrag des Generalanwalts zur Rechtssache C-394/12 (Abdullahi), Rz. 46.
24Hinzu kommt, dass die genannte Entscheidung ausdrücklich in Bezug auf die Normen und Kriterien des 3. Kapitels der Dublin II-VO ergangen war,
25vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, a.a.O.(juris Rz. 49),
26die sich jedoch nur zur erstmaligen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates verhalten und nicht die Folgen eines – wie im Falle des Ablaufs der Überstellungsfrist – späteren Zuständigkeitswechsels betreffen.
27Vgl. VG Köln, Urteile vom 27. August 2014– 3 K 411/14.A – (juris Rz. 37 ff.) und vom12. November 2014 – 3 K 7539/14.A – (juris Rz. 42).
28Dementsprechend ist die Überstellungsfrist kein Kriterium des 3. Kapitels der jeweiligen Dublin-Verordnungen, sondern war seinerzeit im 5. Kapitel der Dublin II-VO geregelt. Auch in dem hier maßgeblichen Regelungswerk der Dublin III-VO sind die Überstellungsfrist und der als Folge ihres Ablaufs erfolgende Zuständigkeitsübergang systematisch nicht den im 3. Kapitel geregelten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zugeordnet, sondern Bestandteil des im 6. Kapitel normierten Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahrens.
29Gegen eine Anwendung dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf Fälle des Ablaufs der Überstellungsfrist spricht, dass sie, ebenso wie die wörtlich hierauf Bezug nehmenden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts,
30vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 – (juris Rz. 7) und vom 6. Juni – 10 B 35.14 – (juris Rz. 6),
31gerade an die von der Zustimmungserklärung des ersuchten Mitgliedstaates ausgehende, für das zwischenstaatliche Verhältnis verbindliche Wirkung anknüpft. Diese Wirkung ist jedoch nicht unbefristet, sondern wird vielmehr durch Art. 29 Abs. 1 u. 2 Dublin III-VO begrenzt mit der Folge, dass die Zuständigkeit nach Ablauf der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht.
32Vgl. VG Minden, Urteil vom 19. März 2015– 10 K 2658/14.A – (juris Rz. 56 ff.).
33In diesem Kontext spricht auch der vom Europäischen Gerichtshof herangezogene Aspekt der Verfahrensbeschleunigung, die im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten liegt,
34vgl. EuGH, a.a.O. (juris Rz. 53),
35im Falle des Ablaufs der Überstellungsfrist nicht gegen, sondern gerade für eine subjektiv-rechtliche Dimension der Vorschrift. Nach dem ursprünglichen Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaates dient die Festlegung von Bestimmungen, die im Falle einer Fristüberschreitung Konsequenzen ermöglichen, unter anderen dem Zweck, sicherzustellen, dass jeder Asylbewerber effektiv Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft hat.
36Vgl. VG Minden, Urteil vom 19. März 2015, a.a.O.(juris Rz. 85 ff.), m.w.N.
37In unmittelbarem Zusammenhang hiermit steht das weitere Ziel des Unionsgesetzgebers, das Problem des „Refugee in orbit“, dessen Asylantrag über längere Zeit in keinem Mitgliedstaat geprüft wird, zu vermeiden.
38Vgl. VG Minden, Urteil vom 19. März 2015, a.a.O.(juris Rz. 89), m.w.N.
39Es bedarf keiner weiteren Darlegung, dass dieses gerade auch durch die Überstellungsfrist geschützte Recht des Asylbewerbers, dass sein Asylbegehren zumindest in einem der Staaten (innerhalb angemessener Frist) geprüft wird, sowohl nach nationalem Recht als auch nach europarechtlichen Vorschriften zweifellos subjektiv-rechtlich geschützt ist.
40Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 30. Januar 2015– 2a K 3534/14.A – (juris Rz. 16) und Beschluss vom17. Februar 2015 – 6a L 239/15.A – (juris Rz. 19).
41Nach alledem sind die Voraussetzungen der Abschiebungsanordnung gemäß § 34a AsylVfG mit dem Ablauf der Überstellungsfrist entfallen.
423.
43Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. März 2015 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Voll-streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben im März 2010 von Marokko aus nach Spanien ein und von dort aus im April 2013 weiter über Frankreich und die Schweiz nach Deutschland. Am 13. Juni 2013 beantragte er in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Nach der Eurodac-Datenbank hat der Kläger am 4. Juni 2012 in Spanien einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt richtete am 8. November 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 19. November 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
3Durch Bescheid vom 16. Januar 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
4Am 6. Februar 2014 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben.
5Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 25. Februar 2014 abgelehnt (15 L 143/14.A).
6Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: Die Beklagte sei zuständig, weil sie die 3-Monats-Frist für die Stellung des Übernahmeersuchens nicht eingehalten habe. In einem solchen Fall sei das Bundesamt verpflichtet, von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Außerdem sei die Überstellungsfrist abgelaufen.
7Der Kläger hat beantragt,
8den Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen,
9hilfsweise
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
11Die Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen.
14Auf Anfrage des Verwaltungsgerichts hat die zuständige Ausländerbehörde mit Schreiben vom 19. Januar 2015 mitgeteilt, die Abschiebung hätte nicht vollzogen werden können, da der Kläger sich zwischenzeitlich in Haft befunden habe. Aus diesem Grund sei die Überstellungsfrist auf den 4. März 2015 verlängert worden.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. März 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Ein Fristversäumnis nach Art. 17 Dublin II-VO liege nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelte diese Frist nicht für ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 20 Dublin II-VO und scheide eine analoge Anwendung aus. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Überstellungsfrist des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen sei. Denn diese Vorschrift begründe wie auch die anderen Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO keine subjektiv-öffentlichen Rechte für den Asylbewerber. Dieser könne bei einer auf §§ 27a, 34a AsylVfG gestützten Entscheidung des Bundesamts lediglich eine gerichtliche Überprüfung dahingehend verlangen, ob eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK, Art. 4 GR-Charta drohe. Die Verpflichtungs- und Hilfsanträge seien unzulässig. Eine Verpflichtungsklage auf Durchführung eines Asylverfahrens, auf Flüchtlingsanerkennung und auf Feststellung des subsidiären internationalen Schutzes und von Abschiebungsverboten scheide aus, da das Bundesamt den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt habe. Soweit zwischenzeitlich aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist Deutschland zuständig geworden sein sollte, müsse eine Sachentscheidung über diese Streitgegenstände zunächst dem Bundesamt vorbehalten bleiben. Das Verwaltungsgericht dürfe nicht die Sache spruchreif machen und durchentscheiden.
16Mit Beschlüssen vom 4. Mai 2015 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und gemäß § 80 Abs. 7 VwGO unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 25. Februar 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (11 B 437/15.A).
17Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Anfechtungsklage sei die richtige Klageart, da der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht bei gebundenen Entscheidungen eigentlich durchentscheiden müsse, in den Fällen, in denen das Bundesamt überhaupt noch keine Sachentscheidung getroffen habe, nicht gelte. Eine Umdeutung in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG sei nicht möglich. Während ein Asylantrag nach § 27a AsylVfG bei Zuständigkeit eines bestimmten anderen Staates für das Asylverfahren unzulässig sei, sei im Rahmen des § 71a AsylVfG im Hinblick auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu prüfen, ob die Zuständigkeit Deutschlands bestehe und ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorlägen. Der Kläger, der in Spanien keinen subsidiären Schutz erhalten habe, könne sich auch auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen, da ihm insofern ein subjektiv-öffentliches Recht vermittelt werde. Mit deren Ablauf sei die Bundesrepublik zuständig geworden. Hier sei zudem nicht ersichtlich, dass der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat trotz Fristablaufs weiterhin zur Übernahme bereit sei.
18Der Kläger beantragt,
19das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. März 2015 zu ändern und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2014 aufzuheben.
20Die Beklagte beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin-Verordnung begründeten keine subjektiven Rechte. Sie dienten allein den objektiven Zwecken einer sachgerechten Verteilung der mit der Durchführung der Asylverfahren verbundenen Lasten im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander. Aus dem Anhörungsprotokoll vom 11. September 2013 sei zu entnehmen, dass der Kläger nach eigenen Angaben bereits in Spanien Asyl bzw. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt habe und zunächst eine positive Antwort bekommen habe, die später zurückgenommen worden sei. Rein vorsorglich werde deshalb auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen, wonach eine Sachaufklärungspflicht besehe, ob und mit welchem Ergebnis der Kläger bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt habe.
23Auf – vom Senat angeregte – Anfrage des Bundesamts teilte die zuständige spanische Behörde am 18. August 2015 mit, dass dem Kläger in Spanien kein internationaler Schutz gewährt worden sei.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
26Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
27A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
28Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 16. Januar 2014, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
29Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
30Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
31Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
32Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
33Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
34Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
35Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
36Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
37Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
38Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
40Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
41Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
42B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2014 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
43I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
441. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 13. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
45Denn hier lagen auch das Wiederaufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
46Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
47Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
48a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
49aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
50bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist zwar nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen, darauf kann sich der Kläger aber nicht berufen.
51Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Selbst wenn man Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nur für einschlägig hält, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist,
52vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47,
53liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift hier vor. Nach seinen Angaben bei der Anhörung durch das Bundesamt ist der Kläger im März 2010 nach Spanien eingereist. Er hat aber laut Eurodac-Datenbank erst am 4. Juni 2012 einen Asylantrag gestellt.
54Der Kläger kann sich aber auf den Fristablauf nicht berufen, weil Spanien ungeachtet dieses Umstands am 19. November 2013 eine Übernahmeerklärung abgegeben hat.
55Sind sich die Mitgliedstaaten bei der Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO einig, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, dann werden die Rechte des Asylbewerbers dadurch nicht verletzt, es sei denn, im anderen Mitgliedstaat bestehen systemische Mängel. Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO begründet keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
56Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; Bay.VGH, Urteil vom 13. April 2015 ‑ 11 B 15.50031 -, juris, Rn. 23.
57Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
58Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
59Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
60Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
61Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
62Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u. a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
63Der Beschleunigungszweck liegt zwar nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
64Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
65Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
66Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 ‑, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
67Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
68Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
69Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen ist dies aber bei Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nicht der Fall. Im Fall des Klägers tritt hinzu, dass das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach dem Kapitel III der Dublin II-VO bereits abgeschlossen ist. Die in diesem Kapitel normierte Frist gilt nur für dieses Verfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑)Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland - abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach abgeschlossener Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen kann die Zuständigkeit nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
70Ein Anspruch des Asylbewerbers auf eine abweichende Entscheidung würde auch nur zu einer weiteren Verzögerung der Behandlung seines Asylbegehrens führen.
71Vgl. Bay.VGH, Urteil vom 13. April 2015 - 11 B 15.50031 -, juris, Rn. 23.
72b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
73aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus einer verspäteten Stellung des Wiederaufnahmegesuchs. Entgegen der Auffassung des Klägers gilt hierfür keine Frist von drei Monaten.
74Eine solche ist in Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO nur für das Aufnahmeverfahren normiert. Eine entsprechende Regelung fehlt aber für das hier vorliegende Wiederaufnahmeverfahren. Art. 20 Dublin II-VO bestimmt die Modalitäten, nach denen ein Asylbewerber wieder aufgenommen wird, der – wie hier der Kläger in Spanien – bereits im anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat. Art. 20 Dublin II-VO enthält keine dem Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung entsprechende Fristbestimmung. Eine solche Frist und ein Zuständigkeitsübergang im Fall des Fristablaufs sind für Wiederaufnahmen erst in der Dublin III-VO vorgesehen (vgl. Art. 23 Abs. 2 und 3). Für eine analoge Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO normierten Frist von drei Monaten im Fall des Wiederaufnahmegesuchs ist kein Raum. Die Normierung der Modalitäten der Wiederaufnahme in Art. 20 Dublin II-VO ist eine in sich geschlossene Regelung, die keine Lücke erkennen lässt, die durch eine analoge Heranziehung der Fristbestimmung des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO zu schließen wäre.
75Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 13; OVG NRW, Urteil vom 16. Juni 2015 - 11 A 890/14.A -, juris, Rn. 24, sowie Beschluss vom 27. Juli 2015 - 13 A 1857/14.A -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 = juris, Rn. 13.
76bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
77(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO ist am 19. Mai 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten fristgerecht (vgl. Art. 20 Abs. 1 lit. b) Satz 2 Dublin II-VO) mit Schreiben vom 19. November 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers an.
78(2) Auf die Fragen, ob die Überstellungsfrist sich um die Dauer des erfolglosen gerichtlichen Eilverfahrens verlängert oder der erstinstanzliche Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht führt, kommt es nicht an.
79Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -.
80Sogar im spätesten dieser Zeitpunkte wäre die Überstellungsfrist inzwischen abgelaufen. Das Verwaltungsgericht lehnte auf den Antrag vom 6. Februar 2014 durch Beschluss vom 25. Februar 2014 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Eine etwa dann beginnende 6-Monats-Frist wäre am 25. August 2014 abgelaufen.
81(3) Es kann weiter offen bleiben, ob die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO vorgelegen haben und diese ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Nach dieser Vorschrift kann die Überstellungsfrist höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrags aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Nach Art. 9 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (VO (EG) Nr. 1560/2003) muss der ersuchende Mitgliedstaat den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist unterrichten. Nach Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde ist die Frist, da der Kläger sich zwischenzeitlich in Haft befunden habe, auf den 4. März 2015 verlängert worden. Das Bundesamt geht in einem Schreiben vom 6. August 2015 an die Ausländerbehörde vom Fristablauf am 25. Februar 2015 aus. Selbst eine solche Frist wäre inzwischen abgelaufen.
82(4) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Oberverwaltungsgericht im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO mit Beschluss vom 4. Mai 2015 - 11 B 437/15.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und auch schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, nach jeder Betrachtung die Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO abgelaufen.
83Die beiden Alternativen des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO stehen auch nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird. Dies ergibt sich vor allem aus der in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist hier die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem bereits angeführten Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
842. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
85Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
86a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 20 Abs. 2 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
87Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 ‑ 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
88Dies ergibt sich aus den oben zu Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO dargelegten Erwägungen. Zwar dient die Überstellungsfrist einer zügigen Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat und liegt dieser Beschleunigungszweck auch im Interesse der Asylbewerber. Allein dieser Umstand rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – aber nicht die Annahme, die Regelungen in Art. 20 Abs. 2 lit. d) Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
89b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
90aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
91Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
92Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
93Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
94Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
95Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
96Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
97Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
98Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
99Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
100Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
101Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
102bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
103Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
104Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
105Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
106vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
107begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
108Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
109Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
110Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
111Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
112Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
113Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
114Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
115Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
116Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
117Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
118c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
119aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
120Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
121Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
122Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
123Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
124Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
125Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
126Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
127Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
128Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 19. November 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
129bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
130Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen ent-gegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
131Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
132Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
133So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
134Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
135Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
136Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
137Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
138So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
139Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 19. November 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat hierzu nichts vorgetragen. In einem anderen, ebenfalls Spanien betreffenden Dublin-Verfahren (OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -) hat es lediglich ausgeführt, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte, lägen nicht vor. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
140d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
141Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
142Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
143Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
144§ 242 BGB schließt eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang nicht aus, wenn der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
145So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
146Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1473. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids („Der Asylantrag ist unzulässig.“) kann entgegen der Auffassung des Bundesamts auch nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, dass der Kläger bereits in Spanien als Flüchtling anerkannt sei oder subsidiären Schutz erhalten habe. Ob dies rechtlich zulässig wäre, kann offen bleiben.
148Spanien hat den Kläger weder als Flüchtling anerkannt noch ihm subsidiären Schutz gewährt. Dies hat die zuständige spanische Behörde am 18. August 2015 dem Bundesamt auf eine vom Senat angeregte Anfrage mitgeteilt. In dem Schreiben heißt es, ihm sei kein internationaler Schutz gewährt worden, im Gegenteil sei der Antrag abgelehnt worden („He was not granted international protection, on the contrary his claim was rejected.“). Diese Auskunft stimmt auch mit den bisherigen Erkenntnissen überein. Der Kläger hat zwar bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, wie das Asylverfahren in Spanien ausgegangen sei, angegeben, zunächst habe er eine positive Antwort bekommen. Er hat aber dann weiter erklärt, diese sei später zurückgenommen worden. Welche Entscheidungen genau getroffen wurden, lässt sich dem schon nicht entnehmen. Ferner hatte Spanien auf das – auf die Dublin II-VO gestützte – Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamts mitgeteilt: „We inform you that Spain takes back the asylum applicant mentioned above in accordance with article 16.1 e of the above mentioned Regulation.”
1494. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
150Ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen kommt ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
151Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 – 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
152Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 16. Januar 2014 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
153Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29.
154Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
155Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
156II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
157C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
158Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
159Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich nach der in weiten Teilen übereinstimmenden Dublin III-VO in gleicher Weise.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:
- 1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, - 2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder - 3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen, - 2.
eine schwere Straftat begangen hat, - 3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder - 4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. März 2015 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Voll-streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben im März 2010 von Marokko aus nach Spanien ein und von dort aus im April 2013 weiter über Frankreich und die Schweiz nach Deutschland. Am 13. Juni 2013 beantragte er in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Nach der Eurodac-Datenbank hat der Kläger am 4. Juni 2012 in Spanien einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt richtete am 8. November 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 19. November 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
3Durch Bescheid vom 16. Januar 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
4Am 6. Februar 2014 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben.
5Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 25. Februar 2014 abgelehnt (15 L 143/14.A).
6Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: Die Beklagte sei zuständig, weil sie die 3-Monats-Frist für die Stellung des Übernahmeersuchens nicht eingehalten habe. In einem solchen Fall sei das Bundesamt verpflichtet, von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Außerdem sei die Überstellungsfrist abgelaufen.
7Der Kläger hat beantragt,
8den Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen,
9hilfsweise
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
11Die Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen.
14Auf Anfrage des Verwaltungsgerichts hat die zuständige Ausländerbehörde mit Schreiben vom 19. Januar 2015 mitgeteilt, die Abschiebung hätte nicht vollzogen werden können, da der Kläger sich zwischenzeitlich in Haft befunden habe. Aus diesem Grund sei die Überstellungsfrist auf den 4. März 2015 verlängert worden.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. März 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Ein Fristversäumnis nach Art. 17 Dublin II-VO liege nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelte diese Frist nicht für ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 20 Dublin II-VO und scheide eine analoge Anwendung aus. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Überstellungsfrist des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen sei. Denn diese Vorschrift begründe wie auch die anderen Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO keine subjektiv-öffentlichen Rechte für den Asylbewerber. Dieser könne bei einer auf §§ 27a, 34a AsylVfG gestützten Entscheidung des Bundesamts lediglich eine gerichtliche Überprüfung dahingehend verlangen, ob eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK, Art. 4 GR-Charta drohe. Die Verpflichtungs- und Hilfsanträge seien unzulässig. Eine Verpflichtungsklage auf Durchführung eines Asylverfahrens, auf Flüchtlingsanerkennung und auf Feststellung des subsidiären internationalen Schutzes und von Abschiebungsverboten scheide aus, da das Bundesamt den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt habe. Soweit zwischenzeitlich aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist Deutschland zuständig geworden sein sollte, müsse eine Sachentscheidung über diese Streitgegenstände zunächst dem Bundesamt vorbehalten bleiben. Das Verwaltungsgericht dürfe nicht die Sache spruchreif machen und durchentscheiden.
16Mit Beschlüssen vom 4. Mai 2015 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und gemäß § 80 Abs. 7 VwGO unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 25. Februar 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (11 B 437/15.A).
17Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Anfechtungsklage sei die richtige Klageart, da der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht bei gebundenen Entscheidungen eigentlich durchentscheiden müsse, in den Fällen, in denen das Bundesamt überhaupt noch keine Sachentscheidung getroffen habe, nicht gelte. Eine Umdeutung in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG sei nicht möglich. Während ein Asylantrag nach § 27a AsylVfG bei Zuständigkeit eines bestimmten anderen Staates für das Asylverfahren unzulässig sei, sei im Rahmen des § 71a AsylVfG im Hinblick auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu prüfen, ob die Zuständigkeit Deutschlands bestehe und ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorlägen. Der Kläger, der in Spanien keinen subsidiären Schutz erhalten habe, könne sich auch auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen, da ihm insofern ein subjektiv-öffentliches Recht vermittelt werde. Mit deren Ablauf sei die Bundesrepublik zuständig geworden. Hier sei zudem nicht ersichtlich, dass der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat trotz Fristablaufs weiterhin zur Übernahme bereit sei.
18Der Kläger beantragt,
19das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. März 2015 zu ändern und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2014 aufzuheben.
20Die Beklagte beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin-Verordnung begründeten keine subjektiven Rechte. Sie dienten allein den objektiven Zwecken einer sachgerechten Verteilung der mit der Durchführung der Asylverfahren verbundenen Lasten im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander. Aus dem Anhörungsprotokoll vom 11. September 2013 sei zu entnehmen, dass der Kläger nach eigenen Angaben bereits in Spanien Asyl bzw. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt habe und zunächst eine positive Antwort bekommen habe, die später zurückgenommen worden sei. Rein vorsorglich werde deshalb auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen, wonach eine Sachaufklärungspflicht besehe, ob und mit welchem Ergebnis der Kläger bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt habe.
23Auf – vom Senat angeregte – Anfrage des Bundesamts teilte die zuständige spanische Behörde am 18. August 2015 mit, dass dem Kläger in Spanien kein internationaler Schutz gewährt worden sei.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
26Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
27A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
28Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 16. Januar 2014, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
29Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
30Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
31Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
32Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
33Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
34Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
35Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
36Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
37Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
38Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
40Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
41Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
42B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2014 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
43I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
441. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 13. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
45Denn hier lagen auch das Wiederaufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
46Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
47Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
48a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
49aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
50bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist zwar nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen, darauf kann sich der Kläger aber nicht berufen.
51Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Selbst wenn man Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nur für einschlägig hält, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist,
52vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47,
53liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift hier vor. Nach seinen Angaben bei der Anhörung durch das Bundesamt ist der Kläger im März 2010 nach Spanien eingereist. Er hat aber laut Eurodac-Datenbank erst am 4. Juni 2012 einen Asylantrag gestellt.
54Der Kläger kann sich aber auf den Fristablauf nicht berufen, weil Spanien ungeachtet dieses Umstands am 19. November 2013 eine Übernahmeerklärung abgegeben hat.
55Sind sich die Mitgliedstaaten bei der Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO einig, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, dann werden die Rechte des Asylbewerbers dadurch nicht verletzt, es sei denn, im anderen Mitgliedstaat bestehen systemische Mängel. Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO begründet keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
56Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; Bay.VGH, Urteil vom 13. April 2015 ‑ 11 B 15.50031 -, juris, Rn. 23.
57Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
58Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
59Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
60Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
61Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
62Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u. a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
63Der Beschleunigungszweck liegt zwar nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
64Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
65Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
66Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 ‑, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
67Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
68Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
69Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen ist dies aber bei Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nicht der Fall. Im Fall des Klägers tritt hinzu, dass das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach dem Kapitel III der Dublin II-VO bereits abgeschlossen ist. Die in diesem Kapitel normierte Frist gilt nur für dieses Verfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑)Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland - abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach abgeschlossener Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen kann die Zuständigkeit nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
70Ein Anspruch des Asylbewerbers auf eine abweichende Entscheidung würde auch nur zu einer weiteren Verzögerung der Behandlung seines Asylbegehrens führen.
71Vgl. Bay.VGH, Urteil vom 13. April 2015 - 11 B 15.50031 -, juris, Rn. 23.
72b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
73aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus einer verspäteten Stellung des Wiederaufnahmegesuchs. Entgegen der Auffassung des Klägers gilt hierfür keine Frist von drei Monaten.
74Eine solche ist in Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO nur für das Aufnahmeverfahren normiert. Eine entsprechende Regelung fehlt aber für das hier vorliegende Wiederaufnahmeverfahren. Art. 20 Dublin II-VO bestimmt die Modalitäten, nach denen ein Asylbewerber wieder aufgenommen wird, der – wie hier der Kläger in Spanien – bereits im anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat. Art. 20 Dublin II-VO enthält keine dem Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung entsprechende Fristbestimmung. Eine solche Frist und ein Zuständigkeitsübergang im Fall des Fristablaufs sind für Wiederaufnahmen erst in der Dublin III-VO vorgesehen (vgl. Art. 23 Abs. 2 und 3). Für eine analoge Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO normierten Frist von drei Monaten im Fall des Wiederaufnahmegesuchs ist kein Raum. Die Normierung der Modalitäten der Wiederaufnahme in Art. 20 Dublin II-VO ist eine in sich geschlossene Regelung, die keine Lücke erkennen lässt, die durch eine analoge Heranziehung der Fristbestimmung des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO zu schließen wäre.
75Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 13; OVG NRW, Urteil vom 16. Juni 2015 - 11 A 890/14.A -, juris, Rn. 24, sowie Beschluss vom 27. Juli 2015 - 13 A 1857/14.A -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 = juris, Rn. 13.
76bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
77(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO ist am 19. Mai 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten fristgerecht (vgl. Art. 20 Abs. 1 lit. b) Satz 2 Dublin II-VO) mit Schreiben vom 19. November 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers an.
78(2) Auf die Fragen, ob die Überstellungsfrist sich um die Dauer des erfolglosen gerichtlichen Eilverfahrens verlängert oder der erstinstanzliche Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht führt, kommt es nicht an.
79Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -.
80Sogar im spätesten dieser Zeitpunkte wäre die Überstellungsfrist inzwischen abgelaufen. Das Verwaltungsgericht lehnte auf den Antrag vom 6. Februar 2014 durch Beschluss vom 25. Februar 2014 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Eine etwa dann beginnende 6-Monats-Frist wäre am 25. August 2014 abgelaufen.
81(3) Es kann weiter offen bleiben, ob die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO vorgelegen haben und diese ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Nach dieser Vorschrift kann die Überstellungsfrist höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrags aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Nach Art. 9 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (VO (EG) Nr. 1560/2003) muss der ersuchende Mitgliedstaat den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist unterrichten. Nach Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde ist die Frist, da der Kläger sich zwischenzeitlich in Haft befunden habe, auf den 4. März 2015 verlängert worden. Das Bundesamt geht in einem Schreiben vom 6. August 2015 an die Ausländerbehörde vom Fristablauf am 25. Februar 2015 aus. Selbst eine solche Frist wäre inzwischen abgelaufen.
82(4) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Oberverwaltungsgericht im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO mit Beschluss vom 4. Mai 2015 - 11 B 437/15.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und auch schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, nach jeder Betrachtung die Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO abgelaufen.
83Die beiden Alternativen des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO stehen auch nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird. Dies ergibt sich vor allem aus der in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist hier die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem bereits angeführten Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
842. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
85Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
86a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 20 Abs. 2 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
87Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 ‑ 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
88Dies ergibt sich aus den oben zu Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO dargelegten Erwägungen. Zwar dient die Überstellungsfrist einer zügigen Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat und liegt dieser Beschleunigungszweck auch im Interesse der Asylbewerber. Allein dieser Umstand rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – aber nicht die Annahme, die Regelungen in Art. 20 Abs. 2 lit. d) Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
89b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
90aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
91Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
92Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
93Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
94Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
95Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
96Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
97Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
98Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
99Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
100Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
101Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
102bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
103Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
104Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
105Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
106vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
107begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
108Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
109Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
110Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
111Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
112Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
113Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
114Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
115Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
116Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
117Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
118c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
119aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
120Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
121Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
122Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
123Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
124Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
125Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
126Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
127Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
128Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 19. November 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
129bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
130Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen ent-gegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
131Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
132Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
133So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
134Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
135Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
136Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
137Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
138So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
139Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 19. November 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat hierzu nichts vorgetragen. In einem anderen, ebenfalls Spanien betreffenden Dublin-Verfahren (OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -) hat es lediglich ausgeführt, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte, lägen nicht vor. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
140d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
141Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
142Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
143Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
144§ 242 BGB schließt eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang nicht aus, wenn der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
145So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
146Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1473. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids („Der Asylantrag ist unzulässig.“) kann entgegen der Auffassung des Bundesamts auch nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, dass der Kläger bereits in Spanien als Flüchtling anerkannt sei oder subsidiären Schutz erhalten habe. Ob dies rechtlich zulässig wäre, kann offen bleiben.
148Spanien hat den Kläger weder als Flüchtling anerkannt noch ihm subsidiären Schutz gewährt. Dies hat die zuständige spanische Behörde am 18. August 2015 dem Bundesamt auf eine vom Senat angeregte Anfrage mitgeteilt. In dem Schreiben heißt es, ihm sei kein internationaler Schutz gewährt worden, im Gegenteil sei der Antrag abgelehnt worden („He was not granted international protection, on the contrary his claim was rejected.“). Diese Auskunft stimmt auch mit den bisherigen Erkenntnissen überein. Der Kläger hat zwar bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, wie das Asylverfahren in Spanien ausgegangen sei, angegeben, zunächst habe er eine positive Antwort bekommen. Er hat aber dann weiter erklärt, diese sei später zurückgenommen worden. Welche Entscheidungen genau getroffen wurden, lässt sich dem schon nicht entnehmen. Ferner hatte Spanien auf das – auf die Dublin II-VO gestützte – Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamts mitgeteilt: „We inform you that Spain takes back the asylum applicant mentioned above in accordance with article 16.1 e of the above mentioned Regulation.”
1494. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
150Ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen kommt ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
151Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 – 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
152Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 16. Januar 2014 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
153Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29.
154Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
155Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
156II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
157C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
158Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
159Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich nach der in weiten Teilen übereinstimmenden Dublin III-VO in gleicher Weise.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Oktober 2013 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2012 nach Melilla in Spanien, wo er am 25. Oktober 2012 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Am 14. Januar 2013 beantragte er unter dem Namen U. E. in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Den Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch Bescheid vom 13. März 2013 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Die Überstellung erfolgte am 10. April 2013.
3Am 3. Juni 2013 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 7. Juni 2013 – unter dem im Rubrum angegebenen Namen – Asyl. Ausweislich seiner eigenen Mitteilung und der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013 war der Kläger zuvor in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden. Das Bundesamt richtete am 29. August 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
4Durch Bescheid vom 4. Oktober 2013 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund der dort erfolgten illegalen Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
5Am 25. Oktober 2013 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage erhoben.
6Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 abgelehnt (13 L 2168/13.A). Auf den weiteren, unter dem 18. März 2014 gestellten Antrag des Klägers gemäß § 80 Abs. 7 VwGO ordnete das Verwaltungsgericht Düsseldorf durch Beschluss vom 24. März 2014 (13 L 644/14.A) mit der Begründung die aufschiebende Wirkung an, die sechsmonatige Überstellungsfrist sei abgelaufen.
7Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: In Spanien werde kein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt. Ihm sei dort die Asylantragstellung verweigert worden. Zudem sei die Überstellungsfrist abgelaufen. Hierauf könne er sich auch berufen. Ihm werde sein Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens abgesprochen, hielte sich Spanien im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr für zuständig. Ob die spanischen Behörden sich noch an ihre Zustimmung gebunden fühlten, sei völlig offen.
8Der Kläger hat beantragt,
9den Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 aufzuheben.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass die Überstellungsfrist mit der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vom 7. Januar 2014 neu zu laufen begonnen habe bzw. auf Grund des gemäß § 80 Abs. 7 VwGO erlassenen Eilbeschlusses vom 24. März 2014 bis zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens ausgesetzt sei.
13Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. September 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die zulässige, insbesondere statthafte Anfechtungsklage sei unbegründet. Nach den anwendbaren Vorschriften der Dublin II-VO sei Spanien für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig. Die Zuständigkeit sei nicht nach Maßgabe der Art. 16 ff. Dublin II-VO auf Deutschland übergegangen. Die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Uabs. 1 Dublin II-VO sei noch nicht abgelaufen. Weil durch Beschluss vom 24. März 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden sei, beginne sie erst zu laufen, nachdem das Gericht in der Hauptsache entschieden habe. Selbst wenn man auf die Sechsmonatsfrist ab Annahme des Aufnahmegesuchs abstelle, könne sich der Kläger hierauf jedenfalls nicht berufen. Ein Verstoß gegen die Fristenregelungen der Dublin II-VO verletze nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts keine subjektiven Rechte der Asylbewerber. Zudem sei es dem Asylbewerber unbenommen, sich freiwillig beim anderen Mitgliedstaat zu melden, weil die Überstellung auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen könne. Habe er es selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolge und dass sie erfolge, könne er sich nach § 242 BGB nicht auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland berufen. Es bestehe auch keine Verpflichtung der Beklagten, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Von einer unangemessenen Verfahrensdauer könne nicht ausgegangen werden. Es lägen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestünden.
14Mit Beschlüssen vom 15. Dezember 2014 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und auf Antrag des Klägers die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 4. Oktober 2013 angeordnet (11 B 1338/14.A).
15Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Überstellungsfrist von sechs Monaten ab der Zustimmung Spaniens zum Übernahmeersuchen am 17. September 2013 sei am 17. März 2014 abgelaufen. Durch die Stattgabe des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO habe die bereits abgelaufene Überstellungsfrist nicht wieder neu zu laufen begonnen. Aus der Dublin II-VO ergebe sich keine Rechtsgrundlage, wonach eine Rückübertragung der Zuständigkeit auf Spanien erfolgen könne. Der Kläger könne sich auch auf den Ablauf der Frist berufen. Die EuGH-Entscheidung Abdullahi beziehe sich lediglich auf die Anwendung der in Kapitel III der Dublin II-VO genannten Zuständigkeitskriterien, nicht jedoch auf den nachfolgend geregelten Ablauf der Überstellungsfrist und die dies mit Sanktionscharakter ausfüllenden Vorschriften des Kapitels V der Verordnung. Bestehe keine Übernahmebereitschaft Spaniens, wäre dem Kläger das unstreitig bestehende subjektive Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren genommen, könnte er sich nicht auf den Fristablauf berufen. Zudem räume die Dublin II-VO zumindest in bestimmten Punkten, etwa der Mitteilung von Daten, subjektive Rechte ein. Eine Beschränkung der Einwände des Asylbewerbers auf die Prüfung systemischer Mängel in einem Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen könne nur dann angenommen werden, wenn de facto ein anderer Mitgliedstaat im Zeitpunkt dieser Prüfung eigentlich noch zuständig wäre. Sei Deutschland wegen Fristablaufs zuständig, ergebe sich aus Art. 16a GG bzw. dem Asylverfahrensgesetz ein einklagbarer Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens.
16Der Kläger beantragt,
17das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Asylbewerber könnten sich nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang nach den Art. 16 ff. Dublin II-VO berufen. Ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO zuständige Mitgliedstaat sei oder ob durch Zeitablauf Deutschland zuständig geworden sei. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Spanien eine Überstellung bereits endgültig abgelehnt habe. Zwar lehnten die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ab, jedoch könne im besonderen Einzelfall durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
24A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
25Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2013, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
26Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
27Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
28Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
29Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
30Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
31Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
32Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
33Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
34Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
35Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
37Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
39B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
40I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
411. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 7. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
42Denn hier lagen auch das Aufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
43Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
44Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
45a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
46aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
47bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen. Danach endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
48Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO greift nur dann ein, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist.
49Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47.
50Diese Auslegung ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, wonach bei der Bestimmung des nach den in Kapitel III bestimmten Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Das geschah hier am 14. Januar 2013 (mit einem Alias-Namen) sowie nach erneuter Einreise nach Deutschland von Spanien aus am 7. Juni 2013 und damit innerhalb der Jahresfrist seit der erstmaligen illegalen Einreise nach Spanien im Oktober 2012.
51Selbst wenn man aber nicht auf den Asylantrag, sondern auf den spätesten Zeitpunkt des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens, den Abschluss durch die Aufnahmeerklärung Spaniens am 17. September 2013, abstellt, waren zwölf Monate nicht verstrichen. Ein noch späterer Zeitpunkt kommt hingegen nicht in Betracht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gilt die in Kapitel III der Verordnung normierte Frist nur für das in diesem Kapitel geregelte Zuständigkeitsbestimmungsverfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑) Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland – abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen – die im Kapitel V in Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO geregelte Mitteilung an den Asylbewerber gehört nicht dazu – kann die Zuständigkeit hingegen nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
52b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
53aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO. Danach gilt: Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig. Das Bundesamt hat hier gemäß Art. 17 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin II-VO innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags Spanien ersucht, den Kläger aufzunehmen. Der Kläger hat am 7. Juni 2013 Asyl beantragt, das Aufnahmeersuchen datiert vom 29. August 2013.
54bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
55(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO ist am 17. März 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 - fristgerecht innerhalb von zwei Monaten (vgl. Art. 18 Abs. 1, 7 Dublin II-VO) - ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Aufnahme des Klägers an. Da die Überstellung binnen dieser Frist nicht durchgeführt worden ist, ist die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf die Beklagte als den Staat übergegangen, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Fristverlängerungen nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO scheiden hier aus.
56(2) Die Überstellungsfrist verlängert sich nicht um die Dauer des erfolglosen ersten gerichtlichen Eilverfahrens und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz führt auch nicht zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht. Der Antrag des Klägers vom 25. Oktober 2013, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 - 13 L 2168/13.A - abgelehnt. Das erfolglose Eilverfahren wirkt sich auf die Dauer der Überstellungsfrist nicht aus.
57Die Dublin II-VO sieht weder eine Unterbrechung oder Hemmung (§ 209 BGB entsprechend),
58so VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris,
59noch, wovon das Bundesamt ausgeht, einen Neubeginn der Frist in solchen Fällen vor. Dies lässt sich ihr auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen.
60Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO bestimmt eine Frist von sechs Monaten ab Annahme des Aufnahmegesuchs. Nur wenn ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, gilt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO eine abweichende Frist von sechs Monaten ab der Entscheidung über diesen Rechtsbehelf. Entscheidung über den Rechtsbehelf in diesem Sinne ist aber nicht der Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, sondern – die Fortdauer der Aussetzung der Vollziehung vorausgesetzt – die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren.
61Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53 ff., Beschlüsse vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, juris, Rn. 5 und vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, AuAS 2014, 237 = juris, Rn. 5.
62Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Rechtsbehelf selbst muss aufschiebende Wirkung zukommen. Dies trifft - auch nach dem Unionsrecht - nur auf einen Rechtsbehelf zu, mit dem über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und ihren Bestand (abschließend) entschieden wird. Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht die Aufhebung der behördlichen Entscheidung, sondern nur die Aussetzung des Vollzugs erreicht werden. Zudem vermag nicht die Antragstellung, sondern nur die stattgebende gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung herbeizuführen, deren Endpunkt die Hauptsacheentscheidung ist.
63Diese Überlegungen werden durch die Systematik der Dublin II-VO bestätigt. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist die Entscheidung des Beklagten nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II-VO kann gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Dass dies allein die Klage, nicht aber der Antrag auf Aussetzung sein kann, zeigt vor allem Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO. Danach hat der gegen die Überstellungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. An diese Vorgaben, die der Sache nach zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren trennen, knüpft der folgende Absatz 3 des Art. 19 Dublin II-VO an, indem er die Frist nur dann erst mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf beginnen lässt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wenn er also - so lässt sich mit Blick auf Absatz 2 präzisieren - im Einzelfall aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts aufschiebende Wirkung hat. Dem entspricht das nationale Recht. Ein Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach § 80 Abs. 1 VwGO - neben dem Widerspruch - nur die Klage. Die Klage gegen die Überstellungsentscheidung des Bundesamts hat - unionsrechtskonform - aber nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, diese wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September 2013 gültigen Fassung im Einzelfall durch das Gericht angeordnet.
64Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 7 ff.
65Bei dieser Ausgangslage rechtfertigt allein der Sinn und Zweck der Überstellungsfrist, den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, um die (technischen) Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln, wofür grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen,
66vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 ‑ Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495,
67keine andere Auslegung des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO.
68Auch § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG führt jedenfalls bei der Dublin II-VO nicht dazu, dass der Lauf der Überstellungsfrist gehemmt wird oder diese erst oder erneut mit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu laufen beginnt.
69Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.; a. A. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 ‑ A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff., und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28; Funke- Kaiser, in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rn. 227 f.
70Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Damit wird aber weder eine aufschiebende Wirkung der Klage begründet noch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, sondern lediglich vorübergehend die Vollziehung der Überstellungsentscheidung durch die Ausländerbehörde gehemmt. Die Anordnung eines Vollziehungshindernisses durch den nationalen Gesetzgeber kann ferner deshalb nicht mit der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung durch gerichtlichen Eilbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichgesetzt werden, weil dies den unmittelbar geltenden Vorgaben der Dublin II-VO zuwider liefe. Wie bereits ausgeführt, verankert Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, ferner das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen, konkret-individuellen Anordnung. Dem liegt der Beschleunigungsgedanke zugrunde, der auch Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ist. Im Übrigen beruht der Umstand, dass aufgrund des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG bei Stellung eines Eilantrags der Ausländerbehörde nicht die vollen sechs Monate für die Organisation der Überstellung zur Verfügung stehen mögen, sondern diese sich um die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens verkürzen können, auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die Dublin II-VO anwendbar war. Die Vorgabe des Art. 27 Abs. 3 lit. c Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Überstellung auszusetzen ist, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ihrer Durchführung ergangen ist, ist erst ab dem 1. Januar 2014 anwendbar.
71Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.
72(3) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Verwaltungsgericht im (zweiten) Eilverfahren mit Beschluss vom 24. März 2014 -13 L 644/14.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, die Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen. Dies war auch der Grund für die stattgebende Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts.
73Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stehen die beiden Alternativen des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird.
74Dies ergibt sich nicht nur aus dem oben dargelegten Normgefüge des Art. 19 Abs. 2 und 3 Dublin II-VO, sondern vor allem aus der in Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist am 17. März 2014 die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den „zuständigen“ Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
752. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
76Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
77a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
78Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 - 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
79Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
80Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
81Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
82Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
83Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
84Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
85Insbesondere die Fristbestimmungen dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zügigen Überstellung an diesen. Zwar liegt dieser Beschleunigungszweck nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
86Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
87Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
88Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
89Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
90Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
91Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen gilt dies aber nicht für Art. 19 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO. Allein der Beschleunigungszweck rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – nicht die Annahme, diese Vorschriften seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
92b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
93aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
94Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
95Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
96Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
97Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
98Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
99Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
100Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
101Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
102Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
103Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
104Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
105bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
106Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
107Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarecht-lichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
108Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
109vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
110begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
111Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
112Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
113Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
114Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
115Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
116Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
117Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
118Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
119Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
120Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
121c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
122aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
123Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
124Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
125Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
126Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
127Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
128Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
129Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
130Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
131Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 17. September 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
132bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
133Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
134Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
135Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
136So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
137Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
138Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
139Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
140Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
141So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
142Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 17. September 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat auf mehrfache gerichtliche Anfrage mit Schriftsatz vom 13. August 2015 lediglich ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ablehnten. Der Zusatz, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren. Zuletzt hat das Bundesamt mit Schriftsatz vom 27. August 2015 mitgeteilt, dass derzeit konkrete Anhaltspunkte weder dafür, dass Spanien trotz zwischenzeit-lichen Ablaufs der Überstellungsfrist seine Zuständigkeit bejaht hätte, noch dafür vorlägen, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
143d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
144Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
145Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
146Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
147Auch das Argument des Verwaltungsgerichts, § 242 BGB schließe eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang aus, weil der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können, überzeugt nicht. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
148So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
149Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1503. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
151Es ist schon nicht ersichtlich, dass ein Zweitantrag vorliegt. Aus den dem Gericht vorliegenden Akten ergibt sich nur, dass der Kläger in Spanien zweimal erkennungsdienstlich behandelt worden ist, nicht aber, dass er einen Asylantrag gestellt hat.
152Abgesehen davon kommt ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
153Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 - 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
154Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 4. Oktober 2013 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
155Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, Rn. 29, juris.
156Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
157Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
158II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
159C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
160Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
161Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich aber nach der in weiten Teilen übereinstim-menden Dublin III-VO in gleicher Weise.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) Ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (sicherer Drittstaat) eingereist ist, kann sich nicht auf Artikel 16a Abs. 1 des Grundgesetzes berufen. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt. Satz 1 gilt nicht, wenn
- 1.
der Ausländer im Zeitpunkt seiner Einreise in den sicheren Drittstaat im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Bundesrepublik Deutschland war, - 2.
die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist oder - 3.
der Ausländer auf Grund einer Anordnung nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 nicht zurückgewiesen oder zurückgeschoben worden ist.
(2) Sichere Drittstaaten sind außer den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die in Anlage I bezeichneten Staaten.
(3) Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates, dass ein in Anlage I bezeichneter Staat nicht mehr als sicherer Drittstaat gilt, wenn Veränderungen in den rechtlichen oder politischen Verhältnissen dieses Staates die Annahme begründen, dass die in Artikel 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes bezeichneten Voraussetzungen entfallen sind. Die Verordnung tritt spätestens sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten außer Kraft.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. März 2015 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Voll-streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben im März 2010 von Marokko aus nach Spanien ein und von dort aus im April 2013 weiter über Frankreich und die Schweiz nach Deutschland. Am 13. Juni 2013 beantragte er in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Nach der Eurodac-Datenbank hat der Kläger am 4. Juni 2012 in Spanien einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt richtete am 8. November 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 19. November 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
3Durch Bescheid vom 16. Januar 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
4Am 6. Februar 2014 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben.
5Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 25. Februar 2014 abgelehnt (15 L 143/14.A).
6Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: Die Beklagte sei zuständig, weil sie die 3-Monats-Frist für die Stellung des Übernahmeersuchens nicht eingehalten habe. In einem solchen Fall sei das Bundesamt verpflichtet, von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Außerdem sei die Überstellungsfrist abgelaufen.
7Der Kläger hat beantragt,
8den Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen,
9hilfsweise
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
11Die Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen.
14Auf Anfrage des Verwaltungsgerichts hat die zuständige Ausländerbehörde mit Schreiben vom 19. Januar 2015 mitgeteilt, die Abschiebung hätte nicht vollzogen werden können, da der Kläger sich zwischenzeitlich in Haft befunden habe. Aus diesem Grund sei die Überstellungsfrist auf den 4. März 2015 verlängert worden.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. März 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Ein Fristversäumnis nach Art. 17 Dublin II-VO liege nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelte diese Frist nicht für ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 20 Dublin II-VO und scheide eine analoge Anwendung aus. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Überstellungsfrist des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen sei. Denn diese Vorschrift begründe wie auch die anderen Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO keine subjektiv-öffentlichen Rechte für den Asylbewerber. Dieser könne bei einer auf §§ 27a, 34a AsylVfG gestützten Entscheidung des Bundesamts lediglich eine gerichtliche Überprüfung dahingehend verlangen, ob eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK, Art. 4 GR-Charta drohe. Die Verpflichtungs- und Hilfsanträge seien unzulässig. Eine Verpflichtungsklage auf Durchführung eines Asylverfahrens, auf Flüchtlingsanerkennung und auf Feststellung des subsidiären internationalen Schutzes und von Abschiebungsverboten scheide aus, da das Bundesamt den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt habe. Soweit zwischenzeitlich aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist Deutschland zuständig geworden sein sollte, müsse eine Sachentscheidung über diese Streitgegenstände zunächst dem Bundesamt vorbehalten bleiben. Das Verwaltungsgericht dürfe nicht die Sache spruchreif machen und durchentscheiden.
16Mit Beschlüssen vom 4. Mai 2015 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und gemäß § 80 Abs. 7 VwGO unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 25. Februar 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (11 B 437/15.A).
17Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Anfechtungsklage sei die richtige Klageart, da der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht bei gebundenen Entscheidungen eigentlich durchentscheiden müsse, in den Fällen, in denen das Bundesamt überhaupt noch keine Sachentscheidung getroffen habe, nicht gelte. Eine Umdeutung in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG sei nicht möglich. Während ein Asylantrag nach § 27a AsylVfG bei Zuständigkeit eines bestimmten anderen Staates für das Asylverfahren unzulässig sei, sei im Rahmen des § 71a AsylVfG im Hinblick auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu prüfen, ob die Zuständigkeit Deutschlands bestehe und ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorlägen. Der Kläger, der in Spanien keinen subsidiären Schutz erhalten habe, könne sich auch auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen, da ihm insofern ein subjektiv-öffentliches Recht vermittelt werde. Mit deren Ablauf sei die Bundesrepublik zuständig geworden. Hier sei zudem nicht ersichtlich, dass der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat trotz Fristablaufs weiterhin zur Übernahme bereit sei.
18Der Kläger beantragt,
19das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. März 2015 zu ändern und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2014 aufzuheben.
20Die Beklagte beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin-Verordnung begründeten keine subjektiven Rechte. Sie dienten allein den objektiven Zwecken einer sachgerechten Verteilung der mit der Durchführung der Asylverfahren verbundenen Lasten im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander. Aus dem Anhörungsprotokoll vom 11. September 2013 sei zu entnehmen, dass der Kläger nach eigenen Angaben bereits in Spanien Asyl bzw. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt habe und zunächst eine positive Antwort bekommen habe, die später zurückgenommen worden sei. Rein vorsorglich werde deshalb auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen, wonach eine Sachaufklärungspflicht besehe, ob und mit welchem Ergebnis der Kläger bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt habe.
23Auf – vom Senat angeregte – Anfrage des Bundesamts teilte die zuständige spanische Behörde am 18. August 2015 mit, dass dem Kläger in Spanien kein internationaler Schutz gewährt worden sei.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
26Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
27A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
28Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 16. Januar 2014, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
29Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
30Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
31Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
32Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
33Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
34Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
35Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
36Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
37Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
38Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
40Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
41Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
42B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2014 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
43I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
441. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 13. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
45Denn hier lagen auch das Wiederaufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
46Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
47Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
48a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
49aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
50bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist zwar nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen, darauf kann sich der Kläger aber nicht berufen.
51Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Selbst wenn man Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nur für einschlägig hält, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist,
52vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47,
53liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift hier vor. Nach seinen Angaben bei der Anhörung durch das Bundesamt ist der Kläger im März 2010 nach Spanien eingereist. Er hat aber laut Eurodac-Datenbank erst am 4. Juni 2012 einen Asylantrag gestellt.
54Der Kläger kann sich aber auf den Fristablauf nicht berufen, weil Spanien ungeachtet dieses Umstands am 19. November 2013 eine Übernahmeerklärung abgegeben hat.
55Sind sich die Mitgliedstaaten bei der Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO einig, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, dann werden die Rechte des Asylbewerbers dadurch nicht verletzt, es sei denn, im anderen Mitgliedstaat bestehen systemische Mängel. Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO begründet keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
56Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; Bay.VGH, Urteil vom 13. April 2015 ‑ 11 B 15.50031 -, juris, Rn. 23.
57Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
58Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
59Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
60Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
61Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
62Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u. a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
63Der Beschleunigungszweck liegt zwar nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
64Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
65Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
66Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 ‑, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
67Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
68Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
69Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen ist dies aber bei Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nicht der Fall. Im Fall des Klägers tritt hinzu, dass das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach dem Kapitel III der Dublin II-VO bereits abgeschlossen ist. Die in diesem Kapitel normierte Frist gilt nur für dieses Verfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑)Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland - abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach abgeschlossener Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen kann die Zuständigkeit nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
70Ein Anspruch des Asylbewerbers auf eine abweichende Entscheidung würde auch nur zu einer weiteren Verzögerung der Behandlung seines Asylbegehrens führen.
71Vgl. Bay.VGH, Urteil vom 13. April 2015 - 11 B 15.50031 -, juris, Rn. 23.
72b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
73aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus einer verspäteten Stellung des Wiederaufnahmegesuchs. Entgegen der Auffassung des Klägers gilt hierfür keine Frist von drei Monaten.
74Eine solche ist in Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO nur für das Aufnahmeverfahren normiert. Eine entsprechende Regelung fehlt aber für das hier vorliegende Wiederaufnahmeverfahren. Art. 20 Dublin II-VO bestimmt die Modalitäten, nach denen ein Asylbewerber wieder aufgenommen wird, der – wie hier der Kläger in Spanien – bereits im anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat. Art. 20 Dublin II-VO enthält keine dem Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung entsprechende Fristbestimmung. Eine solche Frist und ein Zuständigkeitsübergang im Fall des Fristablaufs sind für Wiederaufnahmen erst in der Dublin III-VO vorgesehen (vgl. Art. 23 Abs. 2 und 3). Für eine analoge Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO normierten Frist von drei Monaten im Fall des Wiederaufnahmegesuchs ist kein Raum. Die Normierung der Modalitäten der Wiederaufnahme in Art. 20 Dublin II-VO ist eine in sich geschlossene Regelung, die keine Lücke erkennen lässt, die durch eine analoge Heranziehung der Fristbestimmung des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO zu schließen wäre.
75Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 13; OVG NRW, Urteil vom 16. Juni 2015 - 11 A 890/14.A -, juris, Rn. 24, sowie Beschluss vom 27. Juli 2015 - 13 A 1857/14.A -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 = juris, Rn. 13.
76bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
77(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO ist am 19. Mai 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten fristgerecht (vgl. Art. 20 Abs. 1 lit. b) Satz 2 Dublin II-VO) mit Schreiben vom 19. November 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers an.
78(2) Auf die Fragen, ob die Überstellungsfrist sich um die Dauer des erfolglosen gerichtlichen Eilverfahrens verlängert oder der erstinstanzliche Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht führt, kommt es nicht an.
79Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -.
80Sogar im spätesten dieser Zeitpunkte wäre die Überstellungsfrist inzwischen abgelaufen. Das Verwaltungsgericht lehnte auf den Antrag vom 6. Februar 2014 durch Beschluss vom 25. Februar 2014 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Eine etwa dann beginnende 6-Monats-Frist wäre am 25. August 2014 abgelaufen.
81(3) Es kann weiter offen bleiben, ob die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO vorgelegen haben und diese ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Nach dieser Vorschrift kann die Überstellungsfrist höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrags aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Nach Art. 9 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (VO (EG) Nr. 1560/2003) muss der ersuchende Mitgliedstaat den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist unterrichten. Nach Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde ist die Frist, da der Kläger sich zwischenzeitlich in Haft befunden habe, auf den 4. März 2015 verlängert worden. Das Bundesamt geht in einem Schreiben vom 6. August 2015 an die Ausländerbehörde vom Fristablauf am 25. Februar 2015 aus. Selbst eine solche Frist wäre inzwischen abgelaufen.
82(4) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Oberverwaltungsgericht im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO mit Beschluss vom 4. Mai 2015 - 11 B 437/15.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und auch schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, nach jeder Betrachtung die Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO abgelaufen.
83Die beiden Alternativen des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO stehen auch nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird. Dies ergibt sich vor allem aus der in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist hier die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem bereits angeführten Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
842. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
85Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
86a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 20 Abs. 2 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
87Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 ‑ 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
88Dies ergibt sich aus den oben zu Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO dargelegten Erwägungen. Zwar dient die Überstellungsfrist einer zügigen Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat und liegt dieser Beschleunigungszweck auch im Interesse der Asylbewerber. Allein dieser Umstand rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – aber nicht die Annahme, die Regelungen in Art. 20 Abs. 2 lit. d) Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
89b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
90aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
91Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
92Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
93Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
94Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
95Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
96Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
97Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
98Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
99Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
100Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
101Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
102bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
103Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
104Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
105Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
106vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
107begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
108Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
109Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
110Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
111Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
112Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
113Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
114Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
115Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
116Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
117Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
118c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
119aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
120Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
121Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
122Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
123Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
124Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
125Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
126Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
127Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
128Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 19. November 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
129bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
130Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen ent-gegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
131Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
132Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
133So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
134Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
135Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
136Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
137Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
138So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
139Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 19. November 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat hierzu nichts vorgetragen. In einem anderen, ebenfalls Spanien betreffenden Dublin-Verfahren (OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -) hat es lediglich ausgeführt, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte, lägen nicht vor. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
140d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
141Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
142Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
143Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
144§ 242 BGB schließt eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang nicht aus, wenn der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
145So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
146Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1473. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids („Der Asylantrag ist unzulässig.“) kann entgegen der Auffassung des Bundesamts auch nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, dass der Kläger bereits in Spanien als Flüchtling anerkannt sei oder subsidiären Schutz erhalten habe. Ob dies rechtlich zulässig wäre, kann offen bleiben.
148Spanien hat den Kläger weder als Flüchtling anerkannt noch ihm subsidiären Schutz gewährt. Dies hat die zuständige spanische Behörde am 18. August 2015 dem Bundesamt auf eine vom Senat angeregte Anfrage mitgeteilt. In dem Schreiben heißt es, ihm sei kein internationaler Schutz gewährt worden, im Gegenteil sei der Antrag abgelehnt worden („He was not granted international protection, on the contrary his claim was rejected.“). Diese Auskunft stimmt auch mit den bisherigen Erkenntnissen überein. Der Kläger hat zwar bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, wie das Asylverfahren in Spanien ausgegangen sei, angegeben, zunächst habe er eine positive Antwort bekommen. Er hat aber dann weiter erklärt, diese sei später zurückgenommen worden. Welche Entscheidungen genau getroffen wurden, lässt sich dem schon nicht entnehmen. Ferner hatte Spanien auf das – auf die Dublin II-VO gestützte – Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamts mitgeteilt: „We inform you that Spain takes back the asylum applicant mentioned above in accordance with article 16.1 e of the above mentioned Regulation.”
1494. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
150Ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen kommt ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
151Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 – 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
152Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 16. Januar 2014 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
153Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29.
154Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
155Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
156II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
157C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
158Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
159Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich nach der in weiten Teilen übereinstimmenden Dublin III-VO in gleicher Weise.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Oktober 2013 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2012 nach Melilla in Spanien, wo er am 25. Oktober 2012 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Am 14. Januar 2013 beantragte er unter dem Namen U. E. in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Den Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch Bescheid vom 13. März 2013 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Die Überstellung erfolgte am 10. April 2013.
3Am 3. Juni 2013 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 7. Juni 2013 – unter dem im Rubrum angegebenen Namen – Asyl. Ausweislich seiner eigenen Mitteilung und der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013 war der Kläger zuvor in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden. Das Bundesamt richtete am 29. August 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
4Durch Bescheid vom 4. Oktober 2013 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund der dort erfolgten illegalen Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
5Am 25. Oktober 2013 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage erhoben.
6Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 abgelehnt (13 L 2168/13.A). Auf den weiteren, unter dem 18. März 2014 gestellten Antrag des Klägers gemäß § 80 Abs. 7 VwGO ordnete das Verwaltungsgericht Düsseldorf durch Beschluss vom 24. März 2014 (13 L 644/14.A) mit der Begründung die aufschiebende Wirkung an, die sechsmonatige Überstellungsfrist sei abgelaufen.
7Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: In Spanien werde kein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt. Ihm sei dort die Asylantragstellung verweigert worden. Zudem sei die Überstellungsfrist abgelaufen. Hierauf könne er sich auch berufen. Ihm werde sein Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens abgesprochen, hielte sich Spanien im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr für zuständig. Ob die spanischen Behörden sich noch an ihre Zustimmung gebunden fühlten, sei völlig offen.
8Der Kläger hat beantragt,
9den Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 aufzuheben.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass die Überstellungsfrist mit der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vom 7. Januar 2014 neu zu laufen begonnen habe bzw. auf Grund des gemäß § 80 Abs. 7 VwGO erlassenen Eilbeschlusses vom 24. März 2014 bis zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens ausgesetzt sei.
13Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. September 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die zulässige, insbesondere statthafte Anfechtungsklage sei unbegründet. Nach den anwendbaren Vorschriften der Dublin II-VO sei Spanien für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig. Die Zuständigkeit sei nicht nach Maßgabe der Art. 16 ff. Dublin II-VO auf Deutschland übergegangen. Die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Uabs. 1 Dublin II-VO sei noch nicht abgelaufen. Weil durch Beschluss vom 24. März 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden sei, beginne sie erst zu laufen, nachdem das Gericht in der Hauptsache entschieden habe. Selbst wenn man auf die Sechsmonatsfrist ab Annahme des Aufnahmegesuchs abstelle, könne sich der Kläger hierauf jedenfalls nicht berufen. Ein Verstoß gegen die Fristenregelungen der Dublin II-VO verletze nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts keine subjektiven Rechte der Asylbewerber. Zudem sei es dem Asylbewerber unbenommen, sich freiwillig beim anderen Mitgliedstaat zu melden, weil die Überstellung auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen könne. Habe er es selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolge und dass sie erfolge, könne er sich nach § 242 BGB nicht auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland berufen. Es bestehe auch keine Verpflichtung der Beklagten, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Von einer unangemessenen Verfahrensdauer könne nicht ausgegangen werden. Es lägen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestünden.
14Mit Beschlüssen vom 15. Dezember 2014 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und auf Antrag des Klägers die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 4. Oktober 2013 angeordnet (11 B 1338/14.A).
15Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Überstellungsfrist von sechs Monaten ab der Zustimmung Spaniens zum Übernahmeersuchen am 17. September 2013 sei am 17. März 2014 abgelaufen. Durch die Stattgabe des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO habe die bereits abgelaufene Überstellungsfrist nicht wieder neu zu laufen begonnen. Aus der Dublin II-VO ergebe sich keine Rechtsgrundlage, wonach eine Rückübertragung der Zuständigkeit auf Spanien erfolgen könne. Der Kläger könne sich auch auf den Ablauf der Frist berufen. Die EuGH-Entscheidung Abdullahi beziehe sich lediglich auf die Anwendung der in Kapitel III der Dublin II-VO genannten Zuständigkeitskriterien, nicht jedoch auf den nachfolgend geregelten Ablauf der Überstellungsfrist und die dies mit Sanktionscharakter ausfüllenden Vorschriften des Kapitels V der Verordnung. Bestehe keine Übernahmebereitschaft Spaniens, wäre dem Kläger das unstreitig bestehende subjektive Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren genommen, könnte er sich nicht auf den Fristablauf berufen. Zudem räume die Dublin II-VO zumindest in bestimmten Punkten, etwa der Mitteilung von Daten, subjektive Rechte ein. Eine Beschränkung der Einwände des Asylbewerbers auf die Prüfung systemischer Mängel in einem Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen könne nur dann angenommen werden, wenn de facto ein anderer Mitgliedstaat im Zeitpunkt dieser Prüfung eigentlich noch zuständig wäre. Sei Deutschland wegen Fristablaufs zuständig, ergebe sich aus Art. 16a GG bzw. dem Asylverfahrensgesetz ein einklagbarer Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens.
16Der Kläger beantragt,
17das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Asylbewerber könnten sich nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang nach den Art. 16 ff. Dublin II-VO berufen. Ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO zuständige Mitgliedstaat sei oder ob durch Zeitablauf Deutschland zuständig geworden sei. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Spanien eine Überstellung bereits endgültig abgelehnt habe. Zwar lehnten die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ab, jedoch könne im besonderen Einzelfall durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
24A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
25Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2013, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
26Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
27Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
28Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
29Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
30Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
31Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
32Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
33Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
34Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
35Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
37Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
39B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
40I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
411. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 7. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
42Denn hier lagen auch das Aufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
43Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
44Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
45a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
46aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
47bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen. Danach endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
48Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO greift nur dann ein, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist.
49Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47.
50Diese Auslegung ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, wonach bei der Bestimmung des nach den in Kapitel III bestimmten Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Das geschah hier am 14. Januar 2013 (mit einem Alias-Namen) sowie nach erneuter Einreise nach Deutschland von Spanien aus am 7. Juni 2013 und damit innerhalb der Jahresfrist seit der erstmaligen illegalen Einreise nach Spanien im Oktober 2012.
51Selbst wenn man aber nicht auf den Asylantrag, sondern auf den spätesten Zeitpunkt des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens, den Abschluss durch die Aufnahmeerklärung Spaniens am 17. September 2013, abstellt, waren zwölf Monate nicht verstrichen. Ein noch späterer Zeitpunkt kommt hingegen nicht in Betracht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gilt die in Kapitel III der Verordnung normierte Frist nur für das in diesem Kapitel geregelte Zuständigkeitsbestimmungsverfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑) Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland – abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen – die im Kapitel V in Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO geregelte Mitteilung an den Asylbewerber gehört nicht dazu – kann die Zuständigkeit hingegen nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
52b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
53aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO. Danach gilt: Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig. Das Bundesamt hat hier gemäß Art. 17 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin II-VO innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags Spanien ersucht, den Kläger aufzunehmen. Der Kläger hat am 7. Juni 2013 Asyl beantragt, das Aufnahmeersuchen datiert vom 29. August 2013.
54bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
55(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO ist am 17. März 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 - fristgerecht innerhalb von zwei Monaten (vgl. Art. 18 Abs. 1, 7 Dublin II-VO) - ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Aufnahme des Klägers an. Da die Überstellung binnen dieser Frist nicht durchgeführt worden ist, ist die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf die Beklagte als den Staat übergegangen, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Fristverlängerungen nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO scheiden hier aus.
56(2) Die Überstellungsfrist verlängert sich nicht um die Dauer des erfolglosen ersten gerichtlichen Eilverfahrens und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz führt auch nicht zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht. Der Antrag des Klägers vom 25. Oktober 2013, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 - 13 L 2168/13.A - abgelehnt. Das erfolglose Eilverfahren wirkt sich auf die Dauer der Überstellungsfrist nicht aus.
57Die Dublin II-VO sieht weder eine Unterbrechung oder Hemmung (§ 209 BGB entsprechend),
58so VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris,
59noch, wovon das Bundesamt ausgeht, einen Neubeginn der Frist in solchen Fällen vor. Dies lässt sich ihr auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen.
60Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO bestimmt eine Frist von sechs Monaten ab Annahme des Aufnahmegesuchs. Nur wenn ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, gilt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO eine abweichende Frist von sechs Monaten ab der Entscheidung über diesen Rechtsbehelf. Entscheidung über den Rechtsbehelf in diesem Sinne ist aber nicht der Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, sondern – die Fortdauer der Aussetzung der Vollziehung vorausgesetzt – die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren.
61Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53 ff., Beschlüsse vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, juris, Rn. 5 und vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, AuAS 2014, 237 = juris, Rn. 5.
62Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Rechtsbehelf selbst muss aufschiebende Wirkung zukommen. Dies trifft - auch nach dem Unionsrecht - nur auf einen Rechtsbehelf zu, mit dem über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und ihren Bestand (abschließend) entschieden wird. Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht die Aufhebung der behördlichen Entscheidung, sondern nur die Aussetzung des Vollzugs erreicht werden. Zudem vermag nicht die Antragstellung, sondern nur die stattgebende gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung herbeizuführen, deren Endpunkt die Hauptsacheentscheidung ist.
63Diese Überlegungen werden durch die Systematik der Dublin II-VO bestätigt. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist die Entscheidung des Beklagten nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II-VO kann gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Dass dies allein die Klage, nicht aber der Antrag auf Aussetzung sein kann, zeigt vor allem Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO. Danach hat der gegen die Überstellungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. An diese Vorgaben, die der Sache nach zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren trennen, knüpft der folgende Absatz 3 des Art. 19 Dublin II-VO an, indem er die Frist nur dann erst mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf beginnen lässt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wenn er also - so lässt sich mit Blick auf Absatz 2 präzisieren - im Einzelfall aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts aufschiebende Wirkung hat. Dem entspricht das nationale Recht. Ein Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach § 80 Abs. 1 VwGO - neben dem Widerspruch - nur die Klage. Die Klage gegen die Überstellungsentscheidung des Bundesamts hat - unionsrechtskonform - aber nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, diese wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September 2013 gültigen Fassung im Einzelfall durch das Gericht angeordnet.
64Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 7 ff.
65Bei dieser Ausgangslage rechtfertigt allein der Sinn und Zweck der Überstellungsfrist, den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, um die (technischen) Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln, wofür grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen,
66vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 ‑ Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495,
67keine andere Auslegung des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO.
68Auch § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG führt jedenfalls bei der Dublin II-VO nicht dazu, dass der Lauf der Überstellungsfrist gehemmt wird oder diese erst oder erneut mit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu laufen beginnt.
69Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.; a. A. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 ‑ A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff., und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28; Funke- Kaiser, in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rn. 227 f.
70Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Damit wird aber weder eine aufschiebende Wirkung der Klage begründet noch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, sondern lediglich vorübergehend die Vollziehung der Überstellungsentscheidung durch die Ausländerbehörde gehemmt. Die Anordnung eines Vollziehungshindernisses durch den nationalen Gesetzgeber kann ferner deshalb nicht mit der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung durch gerichtlichen Eilbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichgesetzt werden, weil dies den unmittelbar geltenden Vorgaben der Dublin II-VO zuwider liefe. Wie bereits ausgeführt, verankert Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, ferner das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen, konkret-individuellen Anordnung. Dem liegt der Beschleunigungsgedanke zugrunde, der auch Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ist. Im Übrigen beruht der Umstand, dass aufgrund des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG bei Stellung eines Eilantrags der Ausländerbehörde nicht die vollen sechs Monate für die Organisation der Überstellung zur Verfügung stehen mögen, sondern diese sich um die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens verkürzen können, auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die Dublin II-VO anwendbar war. Die Vorgabe des Art. 27 Abs. 3 lit. c Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Überstellung auszusetzen ist, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ihrer Durchführung ergangen ist, ist erst ab dem 1. Januar 2014 anwendbar.
71Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.
72(3) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Verwaltungsgericht im (zweiten) Eilverfahren mit Beschluss vom 24. März 2014 -13 L 644/14.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, die Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen. Dies war auch der Grund für die stattgebende Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts.
73Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stehen die beiden Alternativen des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird.
74Dies ergibt sich nicht nur aus dem oben dargelegten Normgefüge des Art. 19 Abs. 2 und 3 Dublin II-VO, sondern vor allem aus der in Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist am 17. März 2014 die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den „zuständigen“ Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
752. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
76Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
77a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
78Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 - 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
79Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
80Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
81Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
82Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
83Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
84Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
85Insbesondere die Fristbestimmungen dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zügigen Überstellung an diesen. Zwar liegt dieser Beschleunigungszweck nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
86Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
87Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
88Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
89Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
90Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
91Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen gilt dies aber nicht für Art. 19 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO. Allein der Beschleunigungszweck rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – nicht die Annahme, diese Vorschriften seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
92b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
93aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
94Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
95Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
96Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
97Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
98Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
99Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
100Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
101Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
102Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
103Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
104Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
105bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
106Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
107Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarecht-lichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
108Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
109vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
110begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
111Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
112Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
113Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
114Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
115Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
116Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
117Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
118Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
119Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
120Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
121c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
122aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
123Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
124Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
125Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
126Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
127Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
128Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
129Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
130Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
131Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 17. September 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
132bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
133Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
134Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
135Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
136So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
137Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
138Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
139Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
140Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
141So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
142Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 17. September 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat auf mehrfache gerichtliche Anfrage mit Schriftsatz vom 13. August 2015 lediglich ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ablehnten. Der Zusatz, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren. Zuletzt hat das Bundesamt mit Schriftsatz vom 27. August 2015 mitgeteilt, dass derzeit konkrete Anhaltspunkte weder dafür, dass Spanien trotz zwischenzeit-lichen Ablaufs der Überstellungsfrist seine Zuständigkeit bejaht hätte, noch dafür vorlägen, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
143d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
144Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
145Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
146Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
147Auch das Argument des Verwaltungsgerichts, § 242 BGB schließe eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang aus, weil der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können, überzeugt nicht. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
148So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
149Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1503. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
151Es ist schon nicht ersichtlich, dass ein Zweitantrag vorliegt. Aus den dem Gericht vorliegenden Akten ergibt sich nur, dass der Kläger in Spanien zweimal erkennungsdienstlich behandelt worden ist, nicht aber, dass er einen Asylantrag gestellt hat.
152Abgesehen davon kommt ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
153Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 - 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
154Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 4. Oktober 2013 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
155Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, Rn. 29, juris.
156Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
157Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
158II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
159C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
160Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
161Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich aber nach der in weiten Teilen übereinstim-menden Dublin III-VO in gleicher Weise.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist irakischer Assyrer und chaldäisch-katholischer Religionszugehörigkeit. Er verließ den Irak Ende des Jahres 2007 und hielt sich danach vier Monate lang in Griechenland auf. Von dort reiste er auf dem Luftweg mit gefälschten Papieren nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.
3Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) richtete am 27. Mai 2009 ein Übernahmeersuchen an die griechischen Behörden, das diese nicht beantworteten. Im Februar 2011 übte es das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 aus. Mit Bescheid vom 1. September 2011 lehnte es die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten ab (Ziffer 1), zugleich erkannte es ihm aber die Flüchtlingseigenschaft wegen Gruppenverfolgung als Christ zu. Die Ablehnung des Asylstatus war mit der Einreise aus einem EU-Mitgliedstaat begründet.
4Gegen den Bescheid hat der Kläger Verpflichtungsklage erhoben mit dem Ziel, auch die Anerkennung als Asylberechtigter zu erreichen. Er sei zwar aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des § 26a Abs. 1 AsylVfG eingereist, könne sich aber auf die Ausnahmeregelung des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG berufen. In der Kommentarliteratur sei inzwischen herrschende Auffassung, dass im Fall eines Selbsteintritts nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ein Anspruch auf Zuerkennung des Asylstatus bestehe. Inzwischen sei auch in der Rechtsprechung so entschieden worden.
5Der Kläger hat beantragt,
6die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 1. September 2011 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten nach Art. 16a Abs. 1 GG anzuerkennen.
7Die Beklagte hat beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Sie hat sinngemäß die Ansicht vertreten, Art. 16a Abs. 2 GG beschränke den persönlichen Anwendungsbereich des Asylgrundrechts; der einfache Gesetzgeber könne dies nicht rückgängig machen. § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG bewirke bei verfassungskonformer Auslegung lediglich, dass im Fall einer Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ein Asylverfahren durchzuführen sei; über die Zuerkennung des rein nationalen Asylrechts nach Art. 16a Abs. 1 GG sei damit noch nichts gesagt. Unabhängig davon komme eine Asylanerkennung nicht in Betracht, weil die Verfolgung des Klägers wegen seiner Religionszugehörigkeit nicht vom Staat, sondern von nichtstaatlichen Akteuren ausgehe und damit zwar unter § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c) AufenthG, aber nicht unter das Asylrecht falle.
10Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil stattgegeben, indem es die Beklagte verpflichtet hat, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, und zur Begründung ausgeführt: Als aus dem Zentralirak stammender Christ sei der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt. Die Asylgewährung sei trotz Art. 16a Abs. 2 GG nicht gesperrt, da § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG zur Anwendung komme. Dem stehe nicht entgegen, dass Deutschland hier erst sekundär nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zuständig geworden sei. Verfassungsrechtliche Grundlage hierfür sei Art. 16a Abs. 5 GG, der § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG insgesamt abdecke.
11Mit der zugelassenen Berufung verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter. Sie ist der Ansicht, die Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 für die Prüfung des Asylgesuchs umfasse angesichts des „eindeutig entgegenstehenden Wortlauts“ von § 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG nicht die Gewährung des nationalen Asylgrundrechts. Außerdem greife die Ausnahmevorschrift des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG im Falle des nachträglichen Zuständigkeitswechsels nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht ein.
12Die Beklagte beantragt,
13das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
14Der Kläger stellt keinen Antrag.
15Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe:
18Der Senat konnte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO).
19Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 1. September 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Dem Kläger droht wegen seiner Religionszugehörigkeit politische Verfolgung i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG (dazu 1.). Dabei kann wegen der Identität des jeweiligen Bescheidtenors offen bleiben, ob der Kläger trotz der unstreitigen Einreise aus einem Drittstaat i.S.d. Art. 16a Abs. 2 GG sogar einen grundrechtlichen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG hat (dazu 2.). Denn ihm steht jedenfalls der vom Verwaltungsgericht zuerkannte Anspruch auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines Asylberechtigten aufgrund einfachen Gesetzesrechts aus der Regelung in § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG zu (dazu 3.).
201. Der Kläger ist politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG. Aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils, auf die der Senat Bezug nimmt, drohen ihm aufgrund seiner christlichen Religionszugehörigkeit im Zentralirak Verfolgungsmaßnahmen, die dem irakischen Staat als sog. mittelbare Gruppenverfolgung zuzurechnen sind. Den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts ist die Beklagte im Berufungsverfahren nicht mehr entgegen getreten. Der Senat, der fortlaufend die aktuellen Erkenntnisse über die weitere Entwicklung im Irak verfolgt, hat keinen Anlass, von dieser Bewertung der Gefährdungslage bezogen auf den nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung abzuweichen.
212. Der Senat lässt offen, ob dem Kläger trotz der Einreise aus Griechenland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, die grundsätzlich die Sperrwirkung des Art. 16a Abs. 2 GG zur Folge hat (dazu a), bereits unmittelbar ein Anspruch auf Zuerkennung der grundrechtlichen Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG zusteht, sei es weil die Sperrwirkung der Drittstaatseinreise nach Art. 16a Abs. 5 GG aufgrund einer unionsrechtlich begründeten Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland durchbrochen ist (dazu b), sei es weil systemische Mängel des Asylverfahrens eine Ausnahme von dem Art. 16a Abs. 2 GG zugrunde liegenden Konzept der (verfassungs-)normativen Vergewisserung erfordern (dazu c).
22a) Der Zuerkennung der grundrechtlichen Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG steht hier grundsätzlich Art. 16a Abs. 2 GG entgegen. Danach kann sich auf das Grundrecht auf Asyl nicht berufen, wer u.a. aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften (nach Deutschland) einreist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).
23Die Vorschrift verweist Schutzsuchende darauf, in denjenigen Staaten Schutz zu suchen, in denen die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt ist und die sie vor ihrer Einreise nach Deutschland erreichen. Sie sind damit aus dem persönlichen Geltungsbereich der grundrechtlichen Gewährleistung ausgenommen und können jedenfalls nicht das Asylrecht nach Art. 16a Abs. 1 GG erhalten. Dieser Ausschluss hängt auch nicht davon ab, ob der Ausländer tatsächlich in den (sicheren) Drittstaat zurückgeführt werden kann oder soll. Er greift also unabhängig von den Möglichkeiten und Varianten einer Rückführung des Betroffenen stets ein, d.h. auch dann, wenn eine solche in seinen Heimatstaat zu prüfen ist.
24BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/93 -, juris Rn. 157.
25Dieser Ausschluss greift im Fall des Klägers durch, da dieser im Anschluss an einen mehrmonatigen Aufenthalt in Griechenland, das seit dem Jahr 1981 Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften bzw. der Europäischen Union ist, nach Deutschland eingereist ist.
26b) Der Ausschluss aus dem personalen Schutzbereich des Asylgrundrechts auf Grund von Art. 16a Abs. 2 GG steht allerdings unter dem Vorbehalt des Art. 16a Abs. 5 GG. Danach stehen die Regelungen in Art. 16a Abs. 1 bis 4 GG völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muss, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
27Eine völkervertragliche Grundlage für die Begründung der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland existiert allerdings derzeit nicht und existierte auch schon zum Zeitpunkt der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nicht mehr. Das Dubliner Übereinkommen vom 15. Juni 1990 über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags, das am 1. September 1997 in Kraft getreten ist, ist mit Wirkung vom 17. März 2003 jedenfalls im Verhältnis von Griechenland und Deutschland außer Kraft getreten. Das gilt unbeschadet des Umstands, dass es keine Beendigungsklausel in dem Dubliner Übereinkommen und auch keinen diesbezüglichen völkerrechtlichen Aufhebungsvertrag gibt. Eine vertragliche Beendigung war hier entbehrlich, weil das Dubliner Übereinkommen durch die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (sog. Dublin-II-Verordnung ) ausdrücklich ersetzt wurde (vgl. Art. 24 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 343/2003). Diese gilt in den Mitgliedstaaten unmittelbar und hat nach Art. 23 Abs. 1 GG jedenfalls Anwendungsvorrang. Eine irgendwie geartete ergänzende Reserve-Geltung des Dubliner Übereinkommens kommt danach - jedenfalls zwischen Mitgliedstaaten - gegenwärtig nicht in Betracht.
28Ob Art. 16a Abs. 5 GG eine hinreichende Grundlage dafür bietet, das Asylrecht nach Art. 16a Abs. 1 GG auch bei einer – hier gegebenen (dazu aa) -Zuständigkeit Deutschlands für die Durchführung eines Asylverfahrens auf der Grundlage europäischen Unionsrechts - außerhalb eines völkerrechtlichen Vertrags - zu gewähren, ist in der Rechtsprechung und der Fachliteratur umstritten (dazu bb),
29wie die angegriffene Entscheidung VG Gießen, Urteil vom 26. Mai 2010 – 4 K 199/19.GI.A -, n.v. und wohl auch VG Aachen, Urteil vom 25. Juli 2007 – 8 K 1913/05.A -, juris, sowie VG Düsseldorf, Urteil vom 26. Mai 2011 – 21 K 2034/11.A -, n.v.; Bruns, in: Hofmann/Hoffman, Hk-AuslR, 1. Aufl. 2008, AsylVfG § 27a Rn. 2,
30bedarf hier aber keiner Klärung.
31aa) Eine unionsrechtlich begründete Zuständigkeit Deutschlands für die Behandlung des von dem Kläger gestellten Asylantrags besteht hier allerdings. Sie beruht jedenfalls auf der Regelung in Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003, die auch nach dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 vorliegend anwendbar bleibt (vgl. Art. 49 Satz 3 Verordnung (EG) Nr. 604/2013).
32Die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 steht im Zusammenhang mit der schrittweisen Einführung eines gemeinsamen Europäischen Asylsystems und normiert Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Drittstaatsangehöriger in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Sie ersetzt für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Regelungen des Dubliner Übereinkommens und bestimmt, dass regelmäßig nur ein einziger Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Die Zuständigkeitsbestimmung (vgl. Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 343/2003) folgt einer in Kapitel III (Art. 5 ff. ) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 geregelten hierarchischen Abfolge von Kriterien, die im Fall einer illegalen Einreise von dem Grundsatz ausgeht, dass der Mitgliedstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens (primär) zuständig ist, in den der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend eingereist ist (Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 343/2003). Lässt sich anhand der Kriterien der Verordnung nicht bestimmen, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, ist nach Art. 13 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Abweichend von der nach der Verordnung gegebenen Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates gestattet Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 jedem Mitgliedstaat, die Prüfung eines bei ihm gestellten Asylantrags an sich zu ziehen (sog. Selbsteintritt). Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003).
33Zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach den Kriterien der Dublin-II-Verordnung vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013– C-4/11 –, NVwZ 2014, 129, juris Rn. 36 f.
34Hiervon ausgehend ist Deutschland ungeachtet einer etwaigen Zuständigkeit nach Art. 13 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 jedenfalls seit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 im Februar 2011 auf Grund von Unionsrecht für die Durchführung des von dem Kläger betriebenen Asylverfahrens zuständig.
35bb) Der Wortlaut des Art. 16a Abs. 5 GG, wonach allein völkerrechtliche Verträge das Zurücktreten der übrigen Bestimmungen des Art. 16a GG bewirken, spricht dagegen, dass die Sperrwirkung des Art. 16a Abs. 2 GG auch im Falle einer durch Unionsrecht begründeten Zuständigkeit überwunden wird.
36Art. 16a Abs. 5 GG ist im Jahr 1994 zu einem Zeitpunkt in die Verfassung aufgenommen worden, da es auf der Grundlage des Maastrichter Vertrages keine Gemeinschaftszuständigkeit im Bereich des Asylrechts gab. Vielmehr konnten die Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet im Rahmen der sog. Dritten Säule völkerrechtliche Verträge untereinander schließen. Art. 16a Abs. 5 GG sollte nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers deshalb vor allem die Ratifikation des Schengener Durchführungsübereinkommens und die des bereits als Nachfolgeregelung konzipierten Dubliner Übereinkommens ermöglichen. Gemeinschaftsrechtliche Kompetenzen zu Regelungen auf dem Gebiet des Asylrechts wurden erstmals im Jahr 1999 mit dem Vertrag von Amsterdam geschaffen (Art. 63 EGV); mit dem Vertrag von Lissabon hat die Europäische Union schließlich eine umfassende Kompetenz für rechtliche Regelungen zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems erhalten (Art. 78 AEUV).
37Vgl. BT-Drs. 12/4152, S. 4 sowie im Übrigen Maaßen, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Edition 24 (1.3.2015), Art. 16a Rn. 109; Hailbronner, AuslR, B1, Art. 16a Rn. 444 f.
38Anregungen der Bundesregierung im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens, den Art. 16a Abs. 5 GG so zu fassen, dass er auch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäischen Gemeinschaften zugelassen hätte, sollen nach einer nicht näher belegten Darstellung in der Fachliteratur am Widerstand der Bundesländer gescheitert sein.
39Vgl. Zimmermann, Das neue Grundrecht auf Asyl, 1994, S. 382 f.; ders., NVwZ 1998, 450, 454; siehe auch Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 209 f.; Giesler/Wasser, Das neue Asylrecht, 1993, S. 20.
40Vor diesem Hintergrund ist Art. 16a Abs. 5 GG nach einer weit verbreiteten Auffassung auf Zuständigkeitsbegründungen kraft unionsrechtlicher Regelungen nicht anzuwenden.
41Vgl. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, (Februar 1999), Art. 16a Abs. 2 bis 5 Rn. 196; v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 16a Rn. 58; Maaßen, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Edition 24 (1.3.2015), Art. 16a Rn. 106, 109; Kluth, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 16a Rn. 126; Hailbronner, AuslR, B1, Art. 16a Rn. 444a; Möller, in: Hofmann/Hoffmann, Hk-AuslR, 1. Aufl. 2008, GG, Art. 16a Rn. 55; Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, GG, Art. 16a Rn. 131; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 27a Rn. 8; Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Edition 6 (1.1.2015), AsylVfG § 27a Rn. 5; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 225.
42Die Funktion der Vorschrift als Grundlage für eine europäische Gesamtregelung des Flüchtlingsschutzes und die Kontinuität der genannten unionsrechtlichen Rechtsakte mit dem Dubliner Übereinkommen sprechen als an Sinn und Zweck der Regelung orientierte Auslegungskriterien hingegen für eine Erstreckung des Anwendungsbereichs des Art. 16a Abs. 5 GG auf die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 bzw. der Verordnung (EG) Nr. 604/2013.
43Vgl. Moll/Pohl, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, S. 399 (416 f.); dies., ZAR 2012, 102, 109; ebenso wohl Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Edition 6 (1.1.2015), AsylVfG § 26a Rn. 31.
44Der verfassungsändernde Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung des Asylrechts im Jahre 1993 eine effektive Lasten- und Zuständigkeitsverteilung zwischen den europäischen Staaten gerade ermöglichen, nicht einschränken. Die Annahme, er hätte für den Fall, dass er die erst später geschaffene Unionskompetenz für den Erlass von Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Asylrechts vorhergesehen hätte, gleichwohl den Anwendungsbereich des Art. 16a Abs. 5 GG auf völkerrechtliche Verträge beschränken wollen, dürfte fern liegen.
45Wenn bei der Neuregelung des Art. 16a GG von einer ausdrücklichen Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Gemeinschaft abgesehen worden ist, kommt diesem Umstand für die Auslegung des Art. 16a Abs. 5 GG insofern eine begrenzte Bedeutung zu, als der Geltungsvorrang des europäischen Asylrechts auch im Verhältnis zu Art. 16a Abs. 2 GG auf der Ebene des deutschen Verfassungsrechts bereits durch Art. 23 Abs. 1 GG hergestellt wird.
46Die sich im Fall einer Zuständigkeitsbegründung durch Unionsrecht aus Art. 23 Abs. 1 GG ergebenden Wirkungen auf Art. 16a Abs. 2 GG bleiben allerdings hinter denen des Art. 16a Abs. 5 GG zurück. Der sich aus Art. 23 Abs. 1 GG ergebende Anwendungsvorrang des Unionsrechts setzt seinem Charakter als Kollisionsregel gemäß auch in Bezug auf die Drittstaatenregelung in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG eine konkrete Unvereinbarkeit der in Rede stehenden Regelungen voraus. Er reicht deshalb nur so weit, wie das Unionsrecht selbst der Sache nach Geltung beansprucht, und führt in Abhängigkeit hiervon nicht dazu, dass etwa bei einer Zuweisung der Zuständigkeit an Deutschland durch die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegen Art. 16a Abs. 2 GG sofort die gesamte Drittstaatenregelung vollumfänglich verdrängt wird. Eine Verdrängung tritt vielmehr erst dann ein, wenn beide Regelungssysteme unterschiedliche Rechtsfolgen anordnen.
47Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010- 2 BvR 2661/06 -, juris Rn. 53; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 227 ff.
48Dies ist insoweit der Fall, als die Ausschlusswirkung des Art. 16a Abs. 2 GG über den Wortlaut hinaus nach der gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Auslegung des Art. 16a GG durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich auch die sonstigen dem Asylrecht verwandten materiellen Rechtspositionen erfasst, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, namentlich soweit diese Ausformung der Schutzpflichten nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bzw. der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sind.
49Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996- 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/93 -, juris Rn. 180, 186.
50Dazu, ob dem Kläger infolge der unionsrechtlich begründeten Zuständigkeit für das Asylverfahren im Sinne des Unionsrechts auch ein Anspruch auf Prüfung des allein im nationalen Recht verankerten Anspruchs auf Asylrecht zusteht, verhält sich das Unionsrecht jedoch nicht. Denn der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ist begrenzt auf Asylanträge in einem spezifischen unionsrechtlichen Sinne, nämlich solche, die als Ersuchen um Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu verstehen sind (vgl. Art. 2 Buchstabe c Verordnung (EG) Nr. 343/2003). Wie auch die übrigen auf der Grundlage von Art. 63 EGV bzw. Art. 78 AEUV erlassenen Rechtsakte bleiben hiervon gleichartige Schutzinstitute asylrechtlicher Art auf der Ebene des nationalen Rechts, die neben dem Unionsrecht stehen, grundsätzlich unberührt.
51Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 1 Rn. 4.
52Demnach verlangt der Anwendungsvorrang der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht, dass der Ausländer (auch) den grundrechtlichen Asylstatus erhält, so dass Art. 16a Abs. 2 GG nicht zurücktritt, soweit er gerade die Berufung auf Art. 16a Abs. 1 GG verhindert.
53Zutreffend Moll/Pohl, in: Emmenegger/Wied-mann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, S. 399 (412); dies., ZAR 2012, 102, 107; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 242, 247.
54c) Der Senat kann auch offen lassen, ob eine Gewährung des grundrechtlichen Asylstatus nach Art. 16a Abs. 1 GG vorliegend unter dem Gesichtspunkt in Betracht kommen kann, dass die Einstufung Griechenlands als sicherer Drittstaat durch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG zum Zeitpunkt der Einreise des Klägers und auch danach nicht mehr tragfähig war bzw. ist. Denn die Drittstaatenregelung in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG beruht nach der nach § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auf dem Konzept einer normativen Vergewisserung über die Sicherheit im Drittstaat, das jedoch nicht frei von Begrenzungen ist. Dies gilt auch in Bezug auf die verfassungsunmittelbare Erklärung der Mitgliedstaaten der Union zu sicheren Drittstaaten.
55Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 217 ff., m.w.N.
56Angesichts dessen kann bereits zweifelhaft sein, ob diese Einstufung in Bezug auf Griechenland überhaupt einer rechtlichen Prüfung zugänglich ist.
57Verneinend wohl z.B. Hailbronner, AuslR, B1, Art. 16a Rn. 445; in der Tendenz bejahend offenbar z.B. BVerfG (Kammer), Beschluss vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 -, NVwZ 2009, 1281.
58Unabhängig davon bezieht sich die normative Vergewisserung im Allgemeinen darauf, dass der Drittstaat einem Flüchtling, der sein Gebiet erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder Freiheit gewährt. Insoweit ist die Sicherheit des Flüchtlings im Drittstaat generell festgestellt.
59BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996- 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/93 - juris Rn. 181, 188.
60Ungeachtet dessen ist dem Ausländer aber dann Schutz zu gewähren, wenn Umstände gegeben sind, die ihrer Eigenart nach nicht im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von der Verfassung oder durch Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. Insofern sind jedenfalls fünf Fallgruppen zu beachten: eine dem Betroffenen im Drittstaat drohende Todesstrafe; eine Bedrohung durch ein Gewaltverbrechen, das der Drittstaat zu verhindern außerstande ist; eine schlagartige Veränderung der für die Einstufung als sicherer Drittstaat maßgeblichen Verhältnisse dort, wenn die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG noch aussteht; das Ergreifen von Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) gegen den Schutzsuchenden durch den Drittstaat; die Schutzverwehrung im Einzelfall etwa wegen politischer Rücksichtnahme gegenüber dem Herkunftsstaat.
61BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996- 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/93 -, juris Rn. 189.
62Soweit man im Übrigen die fünf Fallgruppen nicht als abschließend ansieht,
63vgl. dazu Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 270 ff.; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, (Februar 1999), Art. 16a Abs. 2 bis 5 Rn. 69; v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 16a Rn. 36; Moll/Pohl, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, S. 399 (406 f.); dies., ZAR 2012, 102, 104 f.,
64können jedenfalls solche Entwicklungen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union als außerhalb des Konzepts der normativen Vergewisserung stehend angesehen werden, in deren Folge das Existenzminimum der Flüchtlinge nicht gewährleistet ist, weil eine massive Unterversorgung hinsichtlich der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens, der Unterbringung und Gesundheitsversorgung vorliegt.
65Moll/Pohl, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, S. 399 (407 ff.); dies., ZAR 2012, 102, 105 f.; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 274 ff.
66Liegen obige Umstände vor, spricht viel dafür, dass der grundrechtliche Asylstatus unabhängig von der Regelung in Art. 16a Abs. 5 GG zuerkannt werden kann, weil dann die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 GG von vornherein keine Geltung beansprucht.
67Moll/Pohl, in: Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, S. 399 (403); dies., ZAR 2012, 102, 103 f.; Lübbe-Wolff, DVBl 1996, 825, 831; v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 16a Rn. 36; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 26a Rn. 7; Masing, in: Dreier, GG, Art. 16a Rn. 79; Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, AsylVfG, § 26a Rn. 14; unklar allerdings BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/93 -, juris Rn. 189.
68Hiervon ausgehend dürften jedenfalls im Zeitpunkt der Einreise des Klägers in Griechenland tatsächlich Umstände vorgeherrscht haben, die den Schluss nicht nur auf ein defizitäres Asylsystem, sondern auch auf eine mangelnde Gewährleistung des Existenzminimums der Schutzsuchenden zulassen.
69Vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413; BVerfG (Kammer), Beschluss vom 8. Dezember 2014– 2 BvR 450/11 -, NVwZ 2015, 361, 363.
703. Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen steht dem Kläger jedenfalls ein durch § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG vermittelter einfachrechtlicher Asylanspruch zu.
71§ 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG lässt eine Asylgewährung zu; die Sperrwirkung des Art. 16a Abs. 2 GG steht dieser Auslegung nicht entgegen (a). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG sind hier erfüllt (b). Der jedenfalls gegebene einfachgesetzliche Asylanspruch macht eine Entscheidung über einen möglicherweise (auch) bestehenden grundgesetzlichen Anspruch auf Asylgewährung entbehrlich (c).
72a) § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet an, dass sich ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 Satz 1 GG eingereist ist, nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen kann. Er wird nach Satz 2 der Vorschrift nicht als Asylberechtigter anerkannt. § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG sieht wiederum vor, dass die Regelung nach Satz 1 der Vorschrift nicht gilt, wenn Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Als sichere Drittstaaten gelten wiederum u.a. die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (§ 26a Abs. 2 AsylVfG).
73Soweit eine Gewährung der Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG aus den dargestellten verfassungsrechtlichen Gründen ausscheidet, kann den Ausnahmetatbeständen nach § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ein einfachrechtlicher Anspruch auf Asylanerkennung entnommen werden.
74Ebenso Giesler/Wasser, Das neue Asylrecht, 1993, S. 35; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 243 f.; Hoffmann, in: Hofmann/Hoffmann, Hk-AuslR, 1. Aufl. 2008, AsylVfG, § 26a Rn. 18; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 26a Rn. 109; Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, AsylVfG, § 26a Rn. 10; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, AsylVfG,§ 26a Rn. 12; VG Gießen, Urteil vom 26. Mai 2010– 4 K 199/19.GI.A -, n.v.; kritisch dazu Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Edition 6 (1.1.2015), AsylVfG § 26a Rn. 29.
75aa) Der Wortlaut des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG legt nahe, dass die Drittstaatseinreise in den Fällen einer unionsrechtlich begründeten Zuständigkeit auch der Asylgewährung nicht entgegensteht. Die Verwendung des Begriffs „Asylverfahren“ spricht dafür, dass das Asylverfahren im Sinne des Asylverfahrensgesetzes gemeint ist. Nach § 1 AsylVfG findet das Gesetz auf Ausländer Anwendung, die Schutz vor politischer Verfolgung nach Art. 16a GG oder internationalen Schutz nach der sog. Qualifikationsrichtlinie suchen. Dem entspricht auch die Definition des Asylantrags in § 13 AsylVfG.
76bb) Die Regelungen des § 26a AsylVfG stehen in einem unmittelbaren systematischen Zusammenhang zu den Bestimmungen über das Grundrecht auf Asyl nach Art. 16a GG. Dies kommt bereits im Wortlaut des § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zum Ausdruck, der sich ausdrücklich auf Art. 16a Abs. 1 und 2 Satz 1 GG bezieht und insofern den Gehalt der im Art. 16a Abs. 2 GG enthaltenen sog. Drittstaatenregelung wiederholt.
77Vgl. auch BT-Drs. 12/4450, S. 20: „… in Übereinstimmung mit Artikel 16a Abs. 2 GG …“.
78Insofern hat die Vorschrift keine eigenständige Bedeutung. Durch die Bezugnahme auf das verfassungsrechtliche Asylrecht wird auf einfachrechtlicher Ebene deklaratorisch wiederholt, dass im Fall der Einreise eines Ausländers aus einem sicheren Drittstaat nicht nur der persönliche Geltungsbereich des Asylgrundrechts (einschließlich der Vorwirkungen dieses Rechts) ausgeschlossen ist, sondern darüber hinaus auch die Berufung auf die inhaltlich verwandten Schutzrechte gegen eine Abschiebung einschließlich des diesbezüglichen Schutzes nach der Genfer Flüchtlingskonvention.
79Hailbronner, AuslR, B2, § 26a Rn. 1, 3; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 26a Rn. 2.
80cc) Die Gesetzeshistorie führt nicht zu einem klaren Auslegungsergebnis, steht der hier vertretenen Auffassung aber auch nicht entgegen. In seiner ursprünglichen Fassung lehnte sich auch § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG an die Regelung des Art. 16a Abs. 5 GG an, indem der Anwendungsbereich der Ausnahme auf den Fall einer durch einen völkerrechtlichen Vertrag mit dem sicheren Drittstaat begründeten Zuständigkeit Deutschlands für die Durchführung eines Asylverfahrens beschränkt war. Dieser normative Befund trägt allerdings nicht ohne weiteres die Annahme, der Gesetzgeber habe mit der als Ausnahmevorschrift zu § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG konstruierten Vorschrift in § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG eine einfachrechtliche Asylberechtigung schaffen wollen. Denn die ursprüngliche Fassung des § 26a Abs. 1 Satz 1 und 3 Nr. 2 AsylVfG zielte, was schon im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck kommt, auf eine Nachzeichnung dessen, was bereits unmittelbar verfassungsrechtlich gilt. Die seit dem 28. August 2007 geltende Erweiterung auch auf Zuständigkeitsbegründungen kraft Unionsrechts hat der Gesetzgeber in diesen Kontext des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG eingeordnet und nicht etwa, was möglich gewesen wäre, eine eigenständige Ausnahmeregelung lediglich in Bezug auf § 26a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG und das dort ausgesprochene Verbot der Anerkennung als Asylberechtigter gewählt.
81Vgl. Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 244; zu § 26a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG siehe auch Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, AsylVfG, § 26a Rn. 9; Giesler/Wasser, Das neue Asylrecht, 1993, S. 35.
82Eine solche eigenständige Regelung hätte näher bei der Ausgestaltung des Anspruchs auf Familienasyl in § 26 AsylVfG gelegen, der lediglich von der Zuerkennung einer „Asylberechtigung“ spricht.
83Auch den Materialien lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG im Jahr 2007 die Schaffung eines eigenständigen einfachgesetzlichen Asylanspruchs beabsichtigt oder auch nur in Erwägung gezogen haben könnte. Er hatte dabei ersichtlich nur eine von ihm als erforderlich angesehene Anpassung an den Anwendungsvorrang des Unionsrechts im Blick, ohne dass dabei weitere Überlegungen zu deren Auswirkungen auf Art. 16a GG angestellt worden sind.
84Vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 216; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 243.
85Dies hindert jedoch nicht eine Auslegung, die § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG im Fall einer Zuständigkeit für das Asylverfahren auf Grund von Unionsrecht als einen einfachrechtlichen Asylanspruch versteht. Der Wortlaut schließt eine solche Auslegung jedenfalls nicht aus, weil die in § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in Bezug genommene Drittstaatenregelung grundsätzlich auch einfachrechtliche Ansprüche auf Zuerkennung der Asylberechtigung wie etwa den nach § 26 AsylVfG entfallen lässt.
86BVerwG, Urteil vom 6. Mai 1997 - 9 C 56.96 -, NVwZ-RR 1998, 1190, 1190 f.
87Indem dieser Ausschluss durch § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG für unanwendbar erklärt wird, ist § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG demgemäß so zu verstehen, dass dem Betroffenen jedenfalls die Berufung auf ein einfachgesetzliches Asylrecht gestattet wird. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber den Willen hatte, eine wesentliche Änderung der Rechtsstellung der Betroffenen lediglich als Folge der Überleitung des transnationalen asylrechtlichen Zuständigkeitssystems aus dem Wirkungsbereich des Völkerrechts in den des Unionsrechts zuzulassen.
88dd) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Auslegung bestehen nicht. Der Gesetzgeber ist grundsätzlich berechtigt, grundrechtliche Verbürgungen über die Grenzen des persönlichen oder sachlichen Schutzbereichs hinaus auf einfachrechtlicher Ebene erweiternd zu gewähren. Er hat dies im Bereich des Asylstatus etwa mit dem Institut des Familienasyls (§ 26 Abs. 1 bis 3 AsylVfG) getan, das zur Zuerkennung derselben Rechtsstellung (§ 2 AsylVfG) führt wie die des nach § 16a Abs. 1 GG Asylberechtigten, ohne dass aber in der Person des Familienangehörigen die Voraussetzungen einer politischen Verfolgung vorliegen müssen.
89Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 2000- 9 C 10.00 -, Buchholz 402.25 § 26 AsylVfG Nr. 7.
90Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich, auch wenn das Familienasyl weder durch Art. 16a Abs. 1 noch durch Art. 6 Abs. 1 GG geboten wird.
91Vgl. BVerfG (Kammer), Beschluss vom 3. Juni 1991 – 2 BvR 720/91 -, NVwZ 1991, 978.
92Allerdings bedarf wegen Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG jede Erweiterung des Anwendungsbereichs der Ausnahmevorschrift des § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, die der Rechtsfolge nach den verfassungsrechtlichen Asylausschluss durchbricht, einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.
93Vgl. Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Edition 6 (1.1.2015), AsylVfG § 26a Rn. 29; Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, AsylVfG, § 26a Rn. 10.
94Bedenken dagegen, über den in Art. 16a Abs. 5 GG geregelten Vorbehalt hinaus weitere Ausnahmen von der in Art. 16a Abs. 2 GG normierten Ausschlusswirkung durch einfaches Gesetz zu regeln, bestehen aber dann nicht, wenn eine solche Regelung mit dem Zweck des Art. 16a Abs. 2 GG zu vereinbaren ist oder ihm jedenfalls nicht zuwiderläuft. Das ist hier der Fall. Die Ausschlusswirkung des Art. 16a Abs. 2 GG bezweckt, die unkontrollierte Einreise von Flüchtlingen in das Bundesgebiet einzudämmen,
95vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Mai 1997– 9 C 56.96 -, BVerwGE 104, 347, juris Rn. 12, und vom 29. Juni 1999 – 9 C 36.98 -, BVerwGE 109, 174, juris Rn. 14,
96und durch eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge eine effektive Lastenverteilung unter den europäischen Staaten zu ermöglichen.
97Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996- 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/93 -, juris Rn. 153 und 181.
98Die Erreichung dieser Zwecke wird in den von § 26a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG erfassten Fällen nicht gefährdet, wenn insbesondere solchen Flüchtlingen die Asylberechtigung gewährt wird, die entweder bei Einreise in den sicheren Drittstaat im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Bundesrepublik Deutschland waren (Nr. 1) oder für deren Asylverfahren (im unionsrechtlichen Sinne) die Bundesrepublik aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft ohnehin zuständig ist (Nr. 2). Die Begründung eines Asylanspruchs neben dem Anspruch auf Gewährung von Flüchtlingsschutz durch Harmonisierung der nationalen Drittstaatenregelung mit der unionsrechtlichen Zuständigkeit trägt dem bei der Neuregelung des Art. 16a Abs. 5 GG im Jahr 1993 vom verfassungsändernden Gesetzgeber verfolgten Ziel, die Grundlage für eine europäische Lösung unter Einschluss des nationalen Asylrechts zu schaffen, sogar eher Rechnung als ein Auseinanderfallen von Asyl- und Flüchtlingsschutz allein aufgrund des Umstands, dass an die Stelle des Dubliner Übereinkommens ein im Wesentlichen inhaltsgleicher unionsrechtlicher Rechtsakt getreten ist, ohne dass der Wortlaut des Art. 16a Abs. 5 GG bislang angepasst worden wäre.
99Soweit die Ausschlusswirkung des Art. 16a Abs. 2 GG auch die sonstigen dem Asylrecht verwandten materiellen Rechtspositionen erfasst, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, muss der einfache Gesetzgeber auch dies berücksichtigen. Diese Ausschlusswirkung greift aber dann nicht ein, wenn eine Rückführung des Ausländers in seinen Heimatstaat oder einen nicht sicheren Drittstaat in Rede steht. Von Verfassungs wegen ist in einem solchen Fall zwar nur die Prüfung der Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG geboten.
100Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996- 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/93 -, juris Rn. 180, 186.
101Steht aber fest, dass Deutschland aufgrund von Unionsrecht für die sachliche Prüfung eines Schutzbegehrens jedenfalls mit Blick auf die Gewährung internationalen Schutzes (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG) zuständig ist und deshalb zumindest ein darauf bezogenes Asylverfahren im Inland durchzuführen ist, kann der Gegenstand dieser Prüfung auch um einen einfachrechtlichen Asylanspruch erweitert werden, ohne dass das Unionsrecht entgegensteht.
102b) Dem Kläger steht nach § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG die einfachrechtliche Ausnahme von dem Ausschlussgrund des Art. 16a Abs. 2 GG auch zu.
103Deutschland ist auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft (jetzt: Union) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Wie ausgeführt hat die Beklagte ihre Zuständigkeit jedenfalls durch die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 begründet.
104Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es für die Anwendung des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG unerheblich, ob eine unionsrechtliche Zuständigkeit Deutschlands für die Durchführung eines Asylverfahrens von Anfang an bestanden hat oder diese erst später begründet wurde. Vielmehr ist § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG auch dann anzuwenden, wenn Deutschland nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 bzw. der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 nicht bereits originär zuständig ist.
105So Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 26a Rn. 126; Hoffmann, in: Hofmann/Hoffman, Hk-AuslR, 1. Aufl. 2008, AsylVfG § 26a Rn. 18; in diesem Sinne auch bereits OVG NRW, Urteil vom 30. September 1996 - 25 A 790/96.A -, NVwZ 1997, 1141, 1142 f.
106Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es lediglich darauf an, dass Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig „ist“, eine entsprechende Zuständigkeit also im Zeitpunkt der Anwendung der Norm, im gerichtlichen Verfahren nach Maßgabe des § 77 Abs. 1 AsylVfG, besteht.
107Der Umstand, dass es für § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und 3 AsylVfG auf den Zeitpunkt der Einreise des Ausländers in den sicheren Drittstaat bzw. den des Grenzübertritts ankommt, ändert hieran nichts, da eine solche Einschränkung in § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG gerade nicht enthalten ist. Abgesehen davon dient sie in Bezug auf § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AsylVfG spezifisch dazu, eine Umgehung der an eine Visaerteilung anknüpfenden Zuständigkeitsregelungen im Schengener bzw. Dubliner Übereinkommen - und nunmehr wohl auch im Unionsrecht - zu verhindern.
108Giesler/Wasser, Das neue Asylrecht, 1993, S. 35.
109Die anderen transnationalen Zuständigkeitsregeln sind hiervon nicht berührt.
110Auch den Gesetzesmaterialien lässt sich nichts anderes entnehmen. Im Gegenteil deutet gerade der Wille des Gesetzgebers, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Zuständigkeitsbegründungen kraft Gemeinschafts- bzw. Unionsrechts ausdrücklich mit Blick auf die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 insgesamt zu erweitern, darauf hin, dass zwischen den dort aufgeführten primären und sekundären Zuständigkeitstatbeständen grundsätzliche keine Unterschiede zu machen sind.
111Vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 216; ebenso VG Aachen, Urteil vom 25. Juli 2007– 8 K 1913/05.A -, juris Rn. 52.
112Angesichts dessen bedarf es jedenfalls nach einer Ausübung des Selbsteintrittsrechts keiner auch unionsrechtlich nicht gebotenen Prüfung mehr, ob nicht möglicherweise im Hinblick auf systemische Mängel des Ersteinreisestaates die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Mitgliedstaates nach Art. 13 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 der Union gegeben war.
113Vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013– C-4/11 -, NVwZ 2014, 129, juris Rn. 36.
114c) Der durch § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG vermittelte einfachgesetzliche Anspruch ist deckungsgleich mit dem grundrechtlichen Asyl nach Art. 16a Abs. 1 GG; er führt deshalb zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nach § 2 Abs. 1 AsylVfG.
115Wie im Fall des gleichfalls einfachrechtlichen Anspruchs auf Familienasyl (§ 26 Abs. 1 AsylVfG),
116vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1998
117- 9 C 1.97 -, NVwZ 1998, 1085, 1085 f.,
118bedeutet die im Vergleich zum Grundrecht geringere normative Festigkeit des einfachrechtlichen Asyls nicht, dass damit eine geringere Rechtsstellung verbunden wäre.
119Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 244.
120Auch das Entscheidungsprogramm nach § 31 Abs. 2 AsylVfG unterscheidet sich nicht.
121Die Entscheidung über den grundrechtlichen Asylstatus ist damit nicht vorgreiflich.
122Vgl. Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Edition 6 (1.1.2015), AsylVfG § 26 Rn. 3; Hailbronner, AuslR, B2, § 26 Rn. 15.
123Für die im erstinstanzlichen Verfahren vom Kläger noch schriftsätzlich beantragte Tenorierung mit dem Zusatz „nach Art. 16a GG“ ist vor diesem Hintergrund kein Raum und auch kein Bedarf; überdies hat der Kläger den auf diesen Zusatz verzichtenden Tenor des angefochtenen Urteils auch nicht angegriffen.
124Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
125Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind. Auf die verfassungsrechtlichen Fragen insbesondere zur Auslegung des Art. 16a Abs. 5 GG, die Anlass für die Zulassung der Berufung waren, kommt es letztlich nicht entscheidungserheblich an.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. März 2015 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Voll-streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben im März 2010 von Marokko aus nach Spanien ein und von dort aus im April 2013 weiter über Frankreich und die Schweiz nach Deutschland. Am 13. Juni 2013 beantragte er in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Nach der Eurodac-Datenbank hat der Kläger am 4. Juni 2012 in Spanien einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt richtete am 8. November 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 19. November 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
3Durch Bescheid vom 16. Januar 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
4Am 6. Februar 2014 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben.
5Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 25. Februar 2014 abgelehnt (15 L 143/14.A).
6Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: Die Beklagte sei zuständig, weil sie die 3-Monats-Frist für die Stellung des Übernahmeersuchens nicht eingehalten habe. In einem solchen Fall sei das Bundesamt verpflichtet, von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Außerdem sei die Überstellungsfrist abgelaufen.
7Der Kläger hat beantragt,
8den Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen,
9hilfsweise
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
11Die Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen.
14Auf Anfrage des Verwaltungsgerichts hat die zuständige Ausländerbehörde mit Schreiben vom 19. Januar 2015 mitgeteilt, die Abschiebung hätte nicht vollzogen werden können, da der Kläger sich zwischenzeitlich in Haft befunden habe. Aus diesem Grund sei die Überstellungsfrist auf den 4. März 2015 verlängert worden.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. März 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Ein Fristversäumnis nach Art. 17 Dublin II-VO liege nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelte diese Frist nicht für ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 20 Dublin II-VO und scheide eine analoge Anwendung aus. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Überstellungsfrist des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen sei. Denn diese Vorschrift begründe wie auch die anderen Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO keine subjektiv-öffentlichen Rechte für den Asylbewerber. Dieser könne bei einer auf §§ 27a, 34a AsylVfG gestützten Entscheidung des Bundesamts lediglich eine gerichtliche Überprüfung dahingehend verlangen, ob eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK, Art. 4 GR-Charta drohe. Die Verpflichtungs- und Hilfsanträge seien unzulässig. Eine Verpflichtungsklage auf Durchführung eines Asylverfahrens, auf Flüchtlingsanerkennung und auf Feststellung des subsidiären internationalen Schutzes und von Abschiebungsverboten scheide aus, da das Bundesamt den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt habe. Soweit zwischenzeitlich aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist Deutschland zuständig geworden sein sollte, müsse eine Sachentscheidung über diese Streitgegenstände zunächst dem Bundesamt vorbehalten bleiben. Das Verwaltungsgericht dürfe nicht die Sache spruchreif machen und durchentscheiden.
16Mit Beschlüssen vom 4. Mai 2015 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und gemäß § 80 Abs. 7 VwGO unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 25. Februar 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (11 B 437/15.A).
17Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Anfechtungsklage sei die richtige Klageart, da der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht bei gebundenen Entscheidungen eigentlich durchentscheiden müsse, in den Fällen, in denen das Bundesamt überhaupt noch keine Sachentscheidung getroffen habe, nicht gelte. Eine Umdeutung in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG sei nicht möglich. Während ein Asylantrag nach § 27a AsylVfG bei Zuständigkeit eines bestimmten anderen Staates für das Asylverfahren unzulässig sei, sei im Rahmen des § 71a AsylVfG im Hinblick auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu prüfen, ob die Zuständigkeit Deutschlands bestehe und ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorlägen. Der Kläger, der in Spanien keinen subsidiären Schutz erhalten habe, könne sich auch auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen, da ihm insofern ein subjektiv-öffentliches Recht vermittelt werde. Mit deren Ablauf sei die Bundesrepublik zuständig geworden. Hier sei zudem nicht ersichtlich, dass der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat trotz Fristablaufs weiterhin zur Übernahme bereit sei.
18Der Kläger beantragt,
19das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. März 2015 zu ändern und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2014 aufzuheben.
20Die Beklagte beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin-Verordnung begründeten keine subjektiven Rechte. Sie dienten allein den objektiven Zwecken einer sachgerechten Verteilung der mit der Durchführung der Asylverfahren verbundenen Lasten im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander. Aus dem Anhörungsprotokoll vom 11. September 2013 sei zu entnehmen, dass der Kläger nach eigenen Angaben bereits in Spanien Asyl bzw. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt habe und zunächst eine positive Antwort bekommen habe, die später zurückgenommen worden sei. Rein vorsorglich werde deshalb auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen, wonach eine Sachaufklärungspflicht besehe, ob und mit welchem Ergebnis der Kläger bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt habe.
23Auf – vom Senat angeregte – Anfrage des Bundesamts teilte die zuständige spanische Behörde am 18. August 2015 mit, dass dem Kläger in Spanien kein internationaler Schutz gewährt worden sei.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
26Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
27A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
28Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 16. Januar 2014, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
29Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
30Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
31Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
32Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
33Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
34Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
35Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
36Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
37Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
38Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
40Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
41Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
42B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2014 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
43I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
441. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 13. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
45Denn hier lagen auch das Wiederaufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
46Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
47Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
48a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
49aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
50bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist zwar nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen, darauf kann sich der Kläger aber nicht berufen.
51Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Selbst wenn man Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nur für einschlägig hält, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist,
52vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47,
53liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift hier vor. Nach seinen Angaben bei der Anhörung durch das Bundesamt ist der Kläger im März 2010 nach Spanien eingereist. Er hat aber laut Eurodac-Datenbank erst am 4. Juni 2012 einen Asylantrag gestellt.
54Der Kläger kann sich aber auf den Fristablauf nicht berufen, weil Spanien ungeachtet dieses Umstands am 19. November 2013 eine Übernahmeerklärung abgegeben hat.
55Sind sich die Mitgliedstaaten bei der Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO einig, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, dann werden die Rechte des Asylbewerbers dadurch nicht verletzt, es sei denn, im anderen Mitgliedstaat bestehen systemische Mängel. Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO begründet keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
56Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; Bay.VGH, Urteil vom 13. April 2015 ‑ 11 B 15.50031 -, juris, Rn. 23.
57Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
58Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
59Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
60Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
61Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
62Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u. a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
63Der Beschleunigungszweck liegt zwar nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
64Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
65Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
66Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 ‑, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
67Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
68Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
69Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen ist dies aber bei Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nicht der Fall. Im Fall des Klägers tritt hinzu, dass das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach dem Kapitel III der Dublin II-VO bereits abgeschlossen ist. Die in diesem Kapitel normierte Frist gilt nur für dieses Verfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑)Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland - abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach abgeschlossener Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen kann die Zuständigkeit nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
70Ein Anspruch des Asylbewerbers auf eine abweichende Entscheidung würde auch nur zu einer weiteren Verzögerung der Behandlung seines Asylbegehrens führen.
71Vgl. Bay.VGH, Urteil vom 13. April 2015 - 11 B 15.50031 -, juris, Rn. 23.
72b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
73aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus einer verspäteten Stellung des Wiederaufnahmegesuchs. Entgegen der Auffassung des Klägers gilt hierfür keine Frist von drei Monaten.
74Eine solche ist in Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO nur für das Aufnahmeverfahren normiert. Eine entsprechende Regelung fehlt aber für das hier vorliegende Wiederaufnahmeverfahren. Art. 20 Dublin II-VO bestimmt die Modalitäten, nach denen ein Asylbewerber wieder aufgenommen wird, der – wie hier der Kläger in Spanien – bereits im anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat. Art. 20 Dublin II-VO enthält keine dem Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung entsprechende Fristbestimmung. Eine solche Frist und ein Zuständigkeitsübergang im Fall des Fristablaufs sind für Wiederaufnahmen erst in der Dublin III-VO vorgesehen (vgl. Art. 23 Abs. 2 und 3). Für eine analoge Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO normierten Frist von drei Monaten im Fall des Wiederaufnahmegesuchs ist kein Raum. Die Normierung der Modalitäten der Wiederaufnahme in Art. 20 Dublin II-VO ist eine in sich geschlossene Regelung, die keine Lücke erkennen lässt, die durch eine analoge Heranziehung der Fristbestimmung des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO zu schließen wäre.
75Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 13; OVG NRW, Urteil vom 16. Juni 2015 - 11 A 890/14.A -, juris, Rn. 24, sowie Beschluss vom 27. Juli 2015 - 13 A 1857/14.A -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 = juris, Rn. 13.
76bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
77(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO ist am 19. Mai 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten fristgerecht (vgl. Art. 20 Abs. 1 lit. b) Satz 2 Dublin II-VO) mit Schreiben vom 19. November 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers an.
78(2) Auf die Fragen, ob die Überstellungsfrist sich um die Dauer des erfolglosen gerichtlichen Eilverfahrens verlängert oder der erstinstanzliche Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht führt, kommt es nicht an.
79Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -.
80Sogar im spätesten dieser Zeitpunkte wäre die Überstellungsfrist inzwischen abgelaufen. Das Verwaltungsgericht lehnte auf den Antrag vom 6. Februar 2014 durch Beschluss vom 25. Februar 2014 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Eine etwa dann beginnende 6-Monats-Frist wäre am 25. August 2014 abgelaufen.
81(3) Es kann weiter offen bleiben, ob die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO vorgelegen haben und diese ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Nach dieser Vorschrift kann die Überstellungsfrist höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrags aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Nach Art. 9 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (VO (EG) Nr. 1560/2003) muss der ersuchende Mitgliedstaat den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist unterrichten. Nach Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde ist die Frist, da der Kläger sich zwischenzeitlich in Haft befunden habe, auf den 4. März 2015 verlängert worden. Das Bundesamt geht in einem Schreiben vom 6. August 2015 an die Ausländerbehörde vom Fristablauf am 25. Februar 2015 aus. Selbst eine solche Frist wäre inzwischen abgelaufen.
82(4) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Oberverwaltungsgericht im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO mit Beschluss vom 4. Mai 2015 - 11 B 437/15.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und auch schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, nach jeder Betrachtung die Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO abgelaufen.
83Die beiden Alternativen des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO stehen auch nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird. Dies ergibt sich vor allem aus der in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist hier die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem bereits angeführten Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
842. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
85Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
86a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 20 Abs. 2 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
87Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 ‑ 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
88Dies ergibt sich aus den oben zu Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO dargelegten Erwägungen. Zwar dient die Überstellungsfrist einer zügigen Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat und liegt dieser Beschleunigungszweck auch im Interesse der Asylbewerber. Allein dieser Umstand rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – aber nicht die Annahme, die Regelungen in Art. 20 Abs. 2 lit. d) Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
89b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
90aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
91Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
92Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
93Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
94Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
95Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
96Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
97Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
98Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
99Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
100Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
101Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
102bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
103Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
104Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
105Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
106vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
107begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
108Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
109Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
110Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
111Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
112Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
113Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
114Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
115Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
116Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
117Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
118c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
119aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
120Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
121Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
122Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
123Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
124Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
125Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
126Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
127Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
128Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 19. November 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
129bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
130Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen ent-gegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
131Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
132Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
133So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
134Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
135Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
136Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
137Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
138So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
139Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 19. November 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat hierzu nichts vorgetragen. In einem anderen, ebenfalls Spanien betreffenden Dublin-Verfahren (OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -) hat es lediglich ausgeführt, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte, lägen nicht vor. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
140d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
141Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
142Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
143Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
144§ 242 BGB schließt eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang nicht aus, wenn der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
145So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
146Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1473. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids („Der Asylantrag ist unzulässig.“) kann entgegen der Auffassung des Bundesamts auch nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, dass der Kläger bereits in Spanien als Flüchtling anerkannt sei oder subsidiären Schutz erhalten habe. Ob dies rechtlich zulässig wäre, kann offen bleiben.
148Spanien hat den Kläger weder als Flüchtling anerkannt noch ihm subsidiären Schutz gewährt. Dies hat die zuständige spanische Behörde am 18. August 2015 dem Bundesamt auf eine vom Senat angeregte Anfrage mitgeteilt. In dem Schreiben heißt es, ihm sei kein internationaler Schutz gewährt worden, im Gegenteil sei der Antrag abgelehnt worden („He was not granted international protection, on the contrary his claim was rejected.“). Diese Auskunft stimmt auch mit den bisherigen Erkenntnissen überein. Der Kläger hat zwar bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, wie das Asylverfahren in Spanien ausgegangen sei, angegeben, zunächst habe er eine positive Antwort bekommen. Er hat aber dann weiter erklärt, diese sei später zurückgenommen worden. Welche Entscheidungen genau getroffen wurden, lässt sich dem schon nicht entnehmen. Ferner hatte Spanien auf das – auf die Dublin II-VO gestützte – Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamts mitgeteilt: „We inform you that Spain takes back the asylum applicant mentioned above in accordance with article 16.1 e of the above mentioned Regulation.”
1494. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
150Ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen kommt ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
151Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 – 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
152Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 16. Januar 2014 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
153Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29.
154Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
155Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
156II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
157C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
158Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
159Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich nach der in weiten Teilen übereinstimmenden Dublin III-VO in gleicher Weise.
Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.
(1) Ein Asylantrag liegt vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht.
(2) Mit jedem Asylantrag wird die Anerkennung als Asylberechtigter sowie internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 beantragt. Der Ausländer kann den Asylantrag auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränken. Er ist über die Folgen einer Beschränkung des Antrags zu belehren. § 24 Absatz 2 bleibt unberührt.
(3) Ein Ausländer, der nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere ist, hat an der Grenze um Asyl nachzusuchen (§ 18). Im Falle der unerlaubten Einreise hat er sich unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung zu melden (§ 22) oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachzusuchen (§ 19). Der nachfolgende Asylantrag ist unverzüglich zu stellen.
(1) Der Asylantrag ist bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist. Das Bundesamt kann den Ausländer in Abstimmung mit der von der obersten Landesbehörde bestimmten Stelle verpflichten, seinen Asylantrag bei einer anderen Außenstelle zu stellen. Der Ausländer ist vor der Antragstellung schriftlich und gegen Empfangsbestätigung darauf hinzuweisen, dass nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines Asylantrages die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 10 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes Beschränkungen unterliegt. In Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 ist der Hinweis unverzüglich nachzuholen.
(2) Der Asylantrag ist beim Bundesamt zu stellen, wenn der Ausländer
- 1.
einen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten besitzt, - 2.
sich in Haft oder sonstigem öffentlichem Gewahrsam, in einem Krankenhaus, einer Heil- oder Pflegeanstalt oder in einer Jugendhilfeeinrichtung befindet, oder - 3.
minderjährig ist und sein gesetzlicher Vertreter nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
(3) Befindet sich der Ausländer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 in
- 1.
Untersuchungshaft, - 2.
Strafhaft, - 3.
Vorbereitungshaft nach § 62 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes, - 4.
Sicherungshaft nach § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes, weil er sich nach der unerlaubten Einreise länger als einen Monat ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten hat, - 5.
Sicherungshaft nach § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 und 3 des Aufenthaltsgesetzes, - 6.
Mitwirkungshaft nach § 62 Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes, - 7.
Ausreisegewahrsam nach § 62b des Aufenthaltsgesetzes,
(1) Das Bundesamt klärt den Sachverhalt und erhebt die erforderlichen Beweise. Das Bundesamt unterrichtet den Ausländer frühzeitig in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, über den Ablauf des Verfahrens, über seine Rechte und Pflichten im Verfahren, insbesondere über Fristen und die Folgen einer Fristversäumung, sowie über freiwillige Rückkehrmöglichkeiten. Der Ausländer ist persönlich anzuhören. Von einer Anhörung kann abgesehen werden, wenn das Bundesamt
- 1.
dem Asylantrag vollständig stattgeben will oder - 2.
der Auffassung ist, dass der Ausländer aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist. Im Zweifelsfall ist für die Feststellung der Dauerhaftigkeit der Umstände eine ärztliche Bestätigung erforderlich. Wird von einer Anhörung abgesehen, unternimmt das Bundesamt angemessene Bemühungen, damit der Ausländer weitere Informationen unterbreiten kann.
(1a) Sucht eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig um Asyl nach und wird es dem Bundesamt dadurch unmöglich, die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Antragstellung durchzuführen, so kann das Bundesamt die Anhörung vorübergehend von einer anderen Behörde, die Aufgaben nach diesem Gesetz oder dem Aufenthaltsgesetz wahrnimmt, durchführen lassen. Die Anhörung darf nur von einem dafür geschulten Bediensteten durchgeführt werden. Die Bediensteten dürfen bei der Anhörung keine Uniform tragen. § 5 Absatz 4 gilt entsprechend.
(2) Nach Stellung eines Asylantrags obliegt dem Bundesamt auch die Entscheidung, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt.
(3) Das Bundesamt unterrichtet die Ausländerbehörde unverzüglich über
- 1.
die getroffene Entscheidung und - 2.
von dem Ausländer vorgetragene oder sonst erkennbare Gründe - a)
für eine Aussetzung der Abschiebung, insbesondere über die Notwendigkeit, die für eine Rückführung erforderlichen Dokumente zu beschaffen, oder - b)
die nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Nummer 1 bis 4 des Aufenthaltsgesetzes der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehen könnten.
(4) Eine Entscheidung über den Asylantrag ergeht innerhalb von sechs Monaten. Das Bundesamt kann die Frist auf höchstens 15 Monate verlängern, wenn
- 1.
sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht komplexe Fragen ergeben, - 2.
eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig Anträge stellt, weshalb es in der Praxis besonders schwierig ist, das Verfahren innerhalb der Frist nach Satz 1 abzuschließen oder - 3.
die Verzögerung eindeutig darauf zurückzuführen ist, dass der Ausländer seinen Pflichten nach § 15 nicht nachgekommen ist.
(5) Besteht aller Voraussicht nach im Herkunftsstaat eine vorübergehend ungewisse Lage, sodass eine Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, kann die Entscheidung abweichend von den in Absatz 4 genannten Fristen aufgeschoben werden. In diesen Fällen überprüft das Bundesamt mindestens alle sechs Monate die Lage in dem Herkunftsstaat. Das Bundesamt unterrichtet innerhalb einer angemessenen Frist die betroffenen Ausländer über die Gründe des Aufschubs der Entscheidung sowie die Europäische Kommission über den Aufschub der Entscheidungen.
(6) Die Frist nach Absatz 4 Satz 1 beginnt mit der Stellung des Asylantrags nach § 14 Absatz 1 und 2. Ist ein Antrag gemäß dem Verfahren nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) zu behandeln, so beginnt die Frist nach Absatz 4 Satz 1, wenn die Bundesrepublik Deutschland als für die Prüfung zuständiger Mitgliedstaat bestimmt ist. Hält sich der Ausländer zu diesem Zeitpunkt nicht im Bundesgebiet auf, so beginnt die Frist mit seiner Überstellung in das Bundesgebiet.
(7) Das Bundesamt entscheidet spätestens 21 Monate nach der Antragstellung nach § 14 Absatz 1 und 2.
(8) Das Bundesamt informiert den Ausländer für den Fall, dass innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung ergehen kann, über die Verzögerung und unterrichtet ihn auf sein Verlangen über die Gründe für die Verzögerung und den zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen mit einer Entscheidung zu rechnen ist.
(1) Die Entscheidung des Bundesamtes ergeht schriftlich. Sie ist schriftlich zu begründen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten unverzüglich zuzustellen. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache beizufügen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Das Bundesamt informiert mit der Entscheidung über die Rechte und Pflichten, die sich aus ihr ergeben.
(2) In Entscheidungen über zulässige Asylanträge und nach § 30 Absatz 5 ist ausdrücklich festzustellen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. In den Fällen des § 13 Absatz 2 Satz 2 ist nur über den beschränkten Antrag zu entscheiden.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Davon kann abgesehen werden, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt wird. Von der Feststellung nach Satz 1 kann auch abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen.
(4) Wird der Asylantrag nur nach § 26a als unzulässig abgelehnt, bleibt § 26 Absatz 5 in den Fällen des § 26 Absatz 1 bis 4 unberührt.
(5) Wird ein Ausländer nach § 26 Absatz 1 bis 3 als Asylberechtigter anerkannt oder wird ihm nach § 26 Absatz 5 internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt, soll von der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen werden.
(6) Wird der Asylantrag nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 als unzulässig abgelehnt, wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
(7) In der Entscheidung des Bundesamtes ist die AZR-Nummer nach § 3 Absatz 1 Nummer 2 des Gesetzes über das Ausländerzentralregister zu nennen.
(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.
(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. März 2015 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Voll-streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben im März 2010 von Marokko aus nach Spanien ein und von dort aus im April 2013 weiter über Frankreich und die Schweiz nach Deutschland. Am 13. Juni 2013 beantragte er in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Nach der Eurodac-Datenbank hat der Kläger am 4. Juni 2012 in Spanien einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt richtete am 8. November 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 19. November 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
3Durch Bescheid vom 16. Januar 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
4Am 6. Februar 2014 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben.
5Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 25. Februar 2014 abgelehnt (15 L 143/14.A).
6Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: Die Beklagte sei zuständig, weil sie die 3-Monats-Frist für die Stellung des Übernahmeersuchens nicht eingehalten habe. In einem solchen Fall sei das Bundesamt verpflichtet, von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Außerdem sei die Überstellungsfrist abgelaufen.
7Der Kläger hat beantragt,
8den Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen,
9hilfsweise
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
11Die Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen.
14Auf Anfrage des Verwaltungsgerichts hat die zuständige Ausländerbehörde mit Schreiben vom 19. Januar 2015 mitgeteilt, die Abschiebung hätte nicht vollzogen werden können, da der Kläger sich zwischenzeitlich in Haft befunden habe. Aus diesem Grund sei die Überstellungsfrist auf den 4. März 2015 verlängert worden.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. März 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Ein Fristversäumnis nach Art. 17 Dublin II-VO liege nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelte diese Frist nicht für ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 20 Dublin II-VO und scheide eine analoge Anwendung aus. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Überstellungsfrist des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen sei. Denn diese Vorschrift begründe wie auch die anderen Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO keine subjektiv-öffentlichen Rechte für den Asylbewerber. Dieser könne bei einer auf §§ 27a, 34a AsylVfG gestützten Entscheidung des Bundesamts lediglich eine gerichtliche Überprüfung dahingehend verlangen, ob eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK, Art. 4 GR-Charta drohe. Die Verpflichtungs- und Hilfsanträge seien unzulässig. Eine Verpflichtungsklage auf Durchführung eines Asylverfahrens, auf Flüchtlingsanerkennung und auf Feststellung des subsidiären internationalen Schutzes und von Abschiebungsverboten scheide aus, da das Bundesamt den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt habe. Soweit zwischenzeitlich aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist Deutschland zuständig geworden sein sollte, müsse eine Sachentscheidung über diese Streitgegenstände zunächst dem Bundesamt vorbehalten bleiben. Das Verwaltungsgericht dürfe nicht die Sache spruchreif machen und durchentscheiden.
16Mit Beschlüssen vom 4. Mai 2015 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und gemäß § 80 Abs. 7 VwGO unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 25. Februar 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (11 B 437/15.A).
17Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Anfechtungsklage sei die richtige Klageart, da der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht bei gebundenen Entscheidungen eigentlich durchentscheiden müsse, in den Fällen, in denen das Bundesamt überhaupt noch keine Sachentscheidung getroffen habe, nicht gelte. Eine Umdeutung in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG sei nicht möglich. Während ein Asylantrag nach § 27a AsylVfG bei Zuständigkeit eines bestimmten anderen Staates für das Asylverfahren unzulässig sei, sei im Rahmen des § 71a AsylVfG im Hinblick auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu prüfen, ob die Zuständigkeit Deutschlands bestehe und ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorlägen. Der Kläger, der in Spanien keinen subsidiären Schutz erhalten habe, könne sich auch auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen, da ihm insofern ein subjektiv-öffentliches Recht vermittelt werde. Mit deren Ablauf sei die Bundesrepublik zuständig geworden. Hier sei zudem nicht ersichtlich, dass der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat trotz Fristablaufs weiterhin zur Übernahme bereit sei.
18Der Kläger beantragt,
19das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. März 2015 zu ändern und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Januar 2014 aufzuheben.
20Die Beklagte beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin-Verordnung begründeten keine subjektiven Rechte. Sie dienten allein den objektiven Zwecken einer sachgerechten Verteilung der mit der Durchführung der Asylverfahren verbundenen Lasten im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander. Aus dem Anhörungsprotokoll vom 11. September 2013 sei zu entnehmen, dass der Kläger nach eigenen Angaben bereits in Spanien Asyl bzw. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt habe und zunächst eine positive Antwort bekommen habe, die später zurückgenommen worden sei. Rein vorsorglich werde deshalb auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen, wonach eine Sachaufklärungspflicht besehe, ob und mit welchem Ergebnis der Kläger bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt habe.
23Auf – vom Senat angeregte – Anfrage des Bundesamts teilte die zuständige spanische Behörde am 18. August 2015 mit, dass dem Kläger in Spanien kein internationaler Schutz gewährt worden sei.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
26Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
27A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
28Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 16. Januar 2014, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
29Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
30Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
31Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
32Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
33Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
34Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
35Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
36Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
37Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
38Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
40Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
41Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
42B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 16. Januar 2014 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
43I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
441. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 13. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
45Denn hier lagen auch das Wiederaufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
46Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
47Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
48a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
49aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
50bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist zwar nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen, darauf kann sich der Kläger aber nicht berufen.
51Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Selbst wenn man Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nur für einschlägig hält, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist,
52vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47,
53liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift hier vor. Nach seinen Angaben bei der Anhörung durch das Bundesamt ist der Kläger im März 2010 nach Spanien eingereist. Er hat aber laut Eurodac-Datenbank erst am 4. Juni 2012 einen Asylantrag gestellt.
54Der Kläger kann sich aber auf den Fristablauf nicht berufen, weil Spanien ungeachtet dieses Umstands am 19. November 2013 eine Übernahmeerklärung abgegeben hat.
55Sind sich die Mitgliedstaaten bei der Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO einig, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, dann werden die Rechte des Asylbewerbers dadurch nicht verletzt, es sei denn, im anderen Mitgliedstaat bestehen systemische Mängel. Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO begründet keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
56Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; Bay.VGH, Urteil vom 13. April 2015 ‑ 11 B 15.50031 -, juris, Rn. 23.
57Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
58Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
59Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
60Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
61Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
62Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u. a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
63Der Beschleunigungszweck liegt zwar nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
64Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
65Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
66Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 ‑, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
67Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
68Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
69Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen ist dies aber bei Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nicht der Fall. Im Fall des Klägers tritt hinzu, dass das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach dem Kapitel III der Dublin II-VO bereits abgeschlossen ist. Die in diesem Kapitel normierte Frist gilt nur für dieses Verfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑)Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland - abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach abgeschlossener Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen kann die Zuständigkeit nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
70Ein Anspruch des Asylbewerbers auf eine abweichende Entscheidung würde auch nur zu einer weiteren Verzögerung der Behandlung seines Asylbegehrens führen.
71Vgl. Bay.VGH, Urteil vom 13. April 2015 - 11 B 15.50031 -, juris, Rn. 23.
72b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
73aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus einer verspäteten Stellung des Wiederaufnahmegesuchs. Entgegen der Auffassung des Klägers gilt hierfür keine Frist von drei Monaten.
74Eine solche ist in Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO nur für das Aufnahmeverfahren normiert. Eine entsprechende Regelung fehlt aber für das hier vorliegende Wiederaufnahmeverfahren. Art. 20 Dublin II-VO bestimmt die Modalitäten, nach denen ein Asylbewerber wieder aufgenommen wird, der – wie hier der Kläger in Spanien – bereits im anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat. Art. 20 Dublin II-VO enthält keine dem Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung entsprechende Fristbestimmung. Eine solche Frist und ein Zuständigkeitsübergang im Fall des Fristablaufs sind für Wiederaufnahmen erst in der Dublin III-VO vorgesehen (vgl. Art. 23 Abs. 2 und 3). Für eine analoge Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO normierten Frist von drei Monaten im Fall des Wiederaufnahmegesuchs ist kein Raum. Die Normierung der Modalitäten der Wiederaufnahme in Art. 20 Dublin II-VO ist eine in sich geschlossene Regelung, die keine Lücke erkennen lässt, die durch eine analoge Heranziehung der Fristbestimmung des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO zu schließen wäre.
75Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 13; OVG NRW, Urteil vom 16. Juni 2015 - 11 A 890/14.A -, juris, Rn. 24, sowie Beschluss vom 27. Juli 2015 - 13 A 1857/14.A -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 = juris, Rn. 13.
76bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
77(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO ist am 19. Mai 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten fristgerecht (vgl. Art. 20 Abs. 1 lit. b) Satz 2 Dublin II-VO) mit Schreiben vom 19. November 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers an.
78(2) Auf die Fragen, ob die Überstellungsfrist sich um die Dauer des erfolglosen gerichtlichen Eilverfahrens verlängert oder der erstinstanzliche Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht führt, kommt es nicht an.
79Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -.
80Sogar im spätesten dieser Zeitpunkte wäre die Überstellungsfrist inzwischen abgelaufen. Das Verwaltungsgericht lehnte auf den Antrag vom 6. Februar 2014 durch Beschluss vom 25. Februar 2014 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Eine etwa dann beginnende 6-Monats-Frist wäre am 25. August 2014 abgelaufen.
81(3) Es kann weiter offen bleiben, ob die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO vorgelegen haben und diese ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Nach dieser Vorschrift kann die Überstellungsfrist höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrags aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Nach Art. 9 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (VO (EG) Nr. 1560/2003) muss der ersuchende Mitgliedstaat den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist unterrichten. Nach Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde ist die Frist, da der Kläger sich zwischenzeitlich in Haft befunden habe, auf den 4. März 2015 verlängert worden. Das Bundesamt geht in einem Schreiben vom 6. August 2015 an die Ausländerbehörde vom Fristablauf am 25. Februar 2015 aus. Selbst eine solche Frist wäre inzwischen abgelaufen.
82(4) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Oberverwaltungsgericht im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO mit Beschluss vom 4. Mai 2015 - 11 B 437/15.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und auch schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, nach jeder Betrachtung die Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO abgelaufen.
83Die beiden Alternativen des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO stehen auch nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird. Dies ergibt sich vor allem aus der in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist hier die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem bereits angeführten Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
842. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
85Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
86a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 20 Abs. 2 lit. d) Satz 2 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
87Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 ‑ 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
88Dies ergibt sich aus den oben zu Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO dargelegten Erwägungen. Zwar dient die Überstellungsfrist einer zügigen Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat und liegt dieser Beschleunigungszweck auch im Interesse der Asylbewerber. Allein dieser Umstand rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – aber nicht die Annahme, die Regelungen in Art. 20 Abs. 2 lit. d) Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
89b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
90aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
91Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
92Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
93Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
94Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
95Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
96Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
97Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
98Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
99Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
100Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
101Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
102bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
103Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
104Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
105Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
106vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
107begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
108Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
109Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
110Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
111Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
112Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
113Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
114Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
115Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
116Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
117Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
118c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
119aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
120Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
121Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
122Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
123Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
124Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
125Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
126Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
127Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
128Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 19. November 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
129bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
130Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen ent-gegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
131Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
132Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
133So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
134Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
135Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
136Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
137Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
138So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
139Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 19. November 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat hierzu nichts vorgetragen. In einem anderen, ebenfalls Spanien betreffenden Dublin-Verfahren (OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -) hat es lediglich ausgeführt, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte, lägen nicht vor. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
140d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
141Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
142Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
143Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
144§ 242 BGB schließt eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang nicht aus, wenn der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
145So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
146Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1473. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids („Der Asylantrag ist unzulässig.“) kann entgegen der Auffassung des Bundesamts auch nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, dass der Kläger bereits in Spanien als Flüchtling anerkannt sei oder subsidiären Schutz erhalten habe. Ob dies rechtlich zulässig wäre, kann offen bleiben.
148Spanien hat den Kläger weder als Flüchtling anerkannt noch ihm subsidiären Schutz gewährt. Dies hat die zuständige spanische Behörde am 18. August 2015 dem Bundesamt auf eine vom Senat angeregte Anfrage mitgeteilt. In dem Schreiben heißt es, ihm sei kein internationaler Schutz gewährt worden, im Gegenteil sei der Antrag abgelehnt worden („He was not granted international protection, on the contrary his claim was rejected.“). Diese Auskunft stimmt auch mit den bisherigen Erkenntnissen überein. Der Kläger hat zwar bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, wie das Asylverfahren in Spanien ausgegangen sei, angegeben, zunächst habe er eine positive Antwort bekommen. Er hat aber dann weiter erklärt, diese sei später zurückgenommen worden. Welche Entscheidungen genau getroffen wurden, lässt sich dem schon nicht entnehmen. Ferner hatte Spanien auf das – auf die Dublin II-VO gestützte – Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamts mitgeteilt: „We inform you that Spain takes back the asylum applicant mentioned above in accordance with article 16.1 e of the above mentioned Regulation.”
1494. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
150Ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen kommt ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
151Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 – 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
152Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 16. Januar 2014 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
153Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29.
154Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
155Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
156II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
157C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
158Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
159Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich nach der in weiten Teilen übereinstimmenden Dublin III-VO in gleicher Weise.
Tenor
Der gegenüber dem Kläger zu 2 ergangene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Juni 2014 (Az. 0000000 – 439) wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
1
Tatbestand:
2Der Kläger zu 1 und sein am 00.0.1987 geborener Sohn, der Kläger zu 2, sind iranische Staatsangehörige. Sie meldeten sich am 24. Februar 2014 bei der Außenstelle E. des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) und stellten einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zur Niederschrift. Im Rahmen der Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens erklärte der Kläger zu 2: Sie seien am 5. Februar 2014 mit dem Reisebus in Richtung Istanbul aus dem Iran ausgereist. Nach einem zweitägigen Aufenthalt dort seien sie mit dem Flugzeug nach Deutschland eingereist. Personalpapiere oder andere Dokumente über ihre Person könnten sie nicht vorlegen.
3Ausweislich einer zum Verwaltungsvorgang des Bundesamtes genommenen Auskunft vom 24. Februar 2014 aus dem VIS-Datenbestand war den Klägern unter den Namen E1. S. H. (Kläger zu 1) I. S. H. (Kläger zu 2) am 21. Januar 2014 durch die französische Botschaft in Teheran ein Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt erteilt worden mit Gültigkeit vom 25. Januar 2014 bis zum 19. Februar 2014.
4Am 13. Mai 2014 stellte das Bundesamt bezüglich beider Kläger ein Übernahmeersuchen an die Republik Frankreich.
5Diese stimmte mit Schreiben vom 4. Juni 2014 der Aufnahme der Kläger gemäß Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO) zu.
6Mit Bescheiden vom 5. Juni 2014 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger als unzulässig ab (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung der Kläger nach Frankreich an (Ziffer 2). Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Asylanträge der Kläger gemäß § 27a AsylVfG unzulässig seien, weil Frankreich nach Art. 12 Abs. 2 i.V.m. Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Prüfung der Asylanträge der Kläger zuständig sei, weil die Kläger bei Asylbeantragung im Besitz eines seit weniger als sechs Monaten abgelaufenen französischen Visums gewesen seien. Es seien keine humanitären Gründe ersichtlich, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben.
7Die Kläger haben gegen die am 24. Juni 2014 zugestellten Bescheide am 25. Juni 2014 Klage erhoben. Das Klageverfahren des Klägers zu 2, das zunächst unter dem Aktenzeichen 2 K 4142/14.A geführt wurde, wurde durch Beschluss der Kammer vom 28. August 2014 mit dem vorliegenden Verfahren verbunden. Ein zugleich gestellter Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde zunächst durch Beschluss der Kammer vom 2. September 2014 (Az. 22 L 1449/14.A) abgelehnt. Mit weiterem Beschluss vom 14. Januar 2015 hat das Gericht von Amts wegen unter Abänderung des vorgenannten Beschlusses die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen Ziffer 2 der streitgegenständlichen Bescheide angeordnet.
8Nach Mitteilung der Ausländerbehörde der Stadt X. ist der Kläger zu 1 am 21. Januar 2015 in den Iran ausgereist. Die Prozessbevollmächtigten der Kläger und die Beklagte haben den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.
9Zur Begründung der Klage macht der Kläger zu 2 geltend, er leide an einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung. Er hat ein Attest des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 20. August 2014 vorgelegt, wonach er an einer mittelschweren depressiven Erkrankung leidet.
10Der Kläger zu 2 beantragt,
11den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Juni 2014 aufzuheben.
12Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
15Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der dazu beigezogenen Gerichtsakten 22 L 1449/14.A sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie der Ausländerbehörde der Stadt X. Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe:
17Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Parteien gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung.
18Die Klage des Klägers zu 2 ist zulässig (nachfolgend I.) und begründet (nachfolgend II.).
19I. Die Klage ist zulässig.
20Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO statthaft. Die isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelungen führt auf die weitere Prüfung des Asylantrags des Klägers zu 2 durch die Beklagte und damit zu dem erstrebten Rechtsschutzziel. Denn mit der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides wird das Verwaltungsverfahren in den Verfahrensstand zurückversetzt, in dem es vor Erlass der streitgegenständlichen Regelungen war. Das Bundesamt ist im Falle einer Aufhebung des Bescheides gemäß §§ 24, 31 AsylVfG gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren weiterzuführen. Das Bundesamt hat sich in dem vorliegenden Fall lediglich mit der – einer materiellen Prüfung des Asylantrags vorgelagerten – Frage befasst, welcher Staat nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Prüfung des Antrags zuständig ist. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
21Vgl. zu Entscheidungen nach § 27a AsylVfG: OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rdn. 28 ff.; zu Entscheidungen nach §§ 32, 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rdn. 15 ff.
22Der Kläger zu 2 ist auch klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Aus seinem Vorbringen lässt sich herleiten, dass er – sollte sich der Bescheid in dem angefochtenen Umfang als objektiv rechtswidrig erweisen – möglicherweise in eigenen Rechten verletzt ist. Denn die angefochtenen Regelungen belasten ihn in seinem subjektiv-öffentlichen Recht aus §§ 4, 24, 31 AsylVfG auf Prüfung seines Schutzgesuchs durch das Bundesamt.
23Ob und gegebenenfalls inwieweit dieses Recht durch Unionsrecht, namentlich die Dublin-III-VO, beschränkt wird, bedarf hier keiner weiteren Prüfung, da eine Rechtsverletzung zumindest möglich erscheint.
24Die Klage wurde auch fristgerecht im Sinne von § 74 Abs. 1 AsylVfG, nämlich innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides, erhoben.
25II. Die Klage ist begründet. In dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG) ist der Bescheid des Bundesamtes vom 5. Juni 2014 rechtswidrig und verletzt den Kläger zu 2 in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
261. Die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers zu 2 ist rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 27 a AsylVfG sind nicht erfüllt. Frankreich ist nicht aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zu 2 zuständig.
27Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Dublin-III-VO. Diese findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO auf alle in Deutschland ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, mithin auch auf das im Februar 2014 gestellte Schutzgesuch des Klägers zu 2.
28Die Zuständigkeit Frankreichs für die Prüfung dieses Asylantrags dürfte zwar zunächst nach Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO begründet worden sein. Die Republik Frankreich hat das an sie gerichtete Übernahmeersuchen der Beklagten vom 13. Mai 2014 auch am 4. Juni 2014 auf dieser Rechtsgrundlage akzeptiert. Die Zuständigkeit ist jedoch mittlerweile auf die Beklagte übergegangen. Dies folgt aus Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO. Danach ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO genannten Frist von sechs Monaten, die unter bestimmten Voraussetzungen auf höchstens 18 Monate verlängert werden kann, durchgeführt wird.
29Im vorliegenden Fall ist die Überstellung nicht in diesem Sinne fristgemäß erfolgt. Die sechsmonatige Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung hat. Die Frist begann nach diesen Maßstäben hier mit der Annahme des Übernahmeersuchens durch die Republik Frankreich am 4. Juni 2014.
30Die Frist zur Überstellung der Kläger nach Frankreich wurde nicht durch den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vom 25. Juni 2014 (22 L 1449/14.A) für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens, hier also bis zum ablehnenden Eilbeschluss vom 2. September 2014, unterbrochen oder gehemmt,
31vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014, - 13 A 1347/14.A -, juris, Rdn. 5 ff. m.w.N..
32Auch lagen keine Gründe für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin-III-VO vor. Die sechsmonatige Frist endete nach alledem mit Ablauf des 4. Dezember 2014.
33Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zur Folge, dass der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags des Klägers zu 2 ist damit auf die Beklagte übergegangen.
34Nach Auffassung der Kammer kann sich der Kläger zu 2 auch auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte berufen. Hierzu hat die Kammer in ihrem Urteil vom 5. Februar 2015 (22 K 2262/14. A) ausgeführt:
35„Die Kläger können sich im vorliegenden Klageverfahren auch auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte berufen.
36A.A. VGH BW, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rdn. 59 (soweit eine Überstellung in den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist); Nds.OVG, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 ‑, juris, Rdn. 9 ff (ohne Einschränkung); HessVGH, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 976/14.A ‑, juris, Rdn. 15 (obiter dictum); VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 43; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 102. Ergänzungslieferung, November 2014, § 27a, Rdn. 234, 196.1 (mit Ausnahmen); Hailbronner, Ausländerrecht, 88. Ergänzungslieferung, Oktober 2014, § 27a AsylVfG, Rdn. 20 ff.; Günther, in: Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 5. Edition, Stand: 1. September 2014, § 27a AsylVfG Rdn. 29 ff.; offen gelassen: OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 ‑ 14 A 1943/11.A ‑, juris, Rdn. 24 (das Vorabentscheidungsverfahren bei EuGH, Rs. C-666/11 endete ohne Sachentscheidung nach Rücknahme des Ersuchens wegen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache beim OVG NRW); vgl. ferner zum Ablauf der Frist zur Stellung des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchens: VGH BW, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris; Rdn. 25, 27 (bei zeitnaher Überstellung); OVG RhPf, Urteil vom 21. Februar 2014 ‑ 10 A 10656/13 ‑, juris, Rdn. 33.
37Die Kläger haben gemäß §§ 24, 31 AsylVfG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Diese darf auf der Rechtsgrundlage der §§ 27a, 34a AsylVfG die weitere Prüfung eines Asylantrages nur dann ablehnen und eine Abschiebungsanordnung in einen anderen Mitgliedstaat erlassen, wenn dieser andere Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig. Zugleich verletzt der objektiv rechtswidrige Verwaltungsakt das subjektiv-öffentliche Recht der Kläger aus §§ 24, 31 AsylVfG, und zwar unabhängig vom Schutzzweck der Norm, deren Verletzung zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führt. Der Individualschutzzweck von Normen ist nur für diejenigen von Bedeutung, die keine materielle Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung durch den angefochtenen Verwaltungsakt dartun können.
38Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 45 Rdn. 126.
39Die Kläger hingegen werden durch Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in ihrer Rechtstellung aus §§ 24, 31 AsylVfG materiell beeinträchtigt, wenn die Beklagte die Prüfung der Schutzgesuche mit Verweis auf die Zuständigkeit eines anderen Staates ablehnt, obwohl ihre Zuständigkeit nach den Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung objektiv begründet ist.
40Dem nach nationalem Recht bestehenden subjektiv-öffentlichen Recht der Kläger auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die nach der Dublin-III-VO objektiv hierfür zuständige Beklagte steht auch der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht entgegen. Denn es liegt schon keine Kollision des nationalen Rechts mit der gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV vorrangig anzuwendenden Dublin-III-VO vor.
41Die Zuständigkeitsregelungen in der Dublin-III-VO begründen unmittelbare Rechte der betroffenen Ausländer auf Beachtung dieser Regelungen durch alle Behörden der Mitgliedstaaten. Dies folgt schon aus der Rechtsnatur der Dublin-III-VO. Diese gilt (wie alle EU-Verordnungen) gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Diese unmittelbare Geltung bedeutet, dass die Verordnungen nicht nur für die Mitgliedstaaten (untereinander) gelten, sondern in den Mitgliedstaaten,
42Ulrich Haltern, Europarecht, Tübingen 2005, S. 284 (Hervorhebung im Original).
43Hierin unterscheidet sich das Unionsrecht gerade von Völkervertragsrecht, mit dem sich lediglich die Vertragsstaaten untereinander binden. Das Unionsrecht ist eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Unionsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen,
44EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 25.
45Die Dublin-III-VO regelt damit schon aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht nur Verpflichtungen der Mitgliedstaaten untereinander, sondern auch unmittelbar die Rechtsstellung jedes einzelnen Normunterworfenen, das heißt auch der Drittstaatsangehörigen, auf die die Dublin-III-VO Anwendung findet.
46Der Dublin-III-VO kann auch nicht entnommen werden, dass in Bezug auf die dort geregelten Zuständigkeitsbestimmungen ausnahmsweise etwas anderes gelten sollte, insbesondere ein Asylbewerber, der für die Prüfung seines Asylantrages an einen anderen Mitgliedstaat verwiesen wird, einen hierin liegenden objektiven Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmungen der Verordnung nicht oder nur unter bestimmten Umständen rügen kann.
47Dies unter Verweis auf den Zweck der Dublin-II-VO erwägend und im Ergebnis ein subjektiv-öffentliches Recht des Ausländers aus der Ermessensvorschrift des Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO (Selbsteintrittsrecht) verneinend: Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 58.
48Indem der Unionsgesetzgeber die ursprünglich in einem völkerrechtlichen Vertrag (Dubliner Übereinkommen) vereinbarten Zuständigkeitskriterien für die Prüfung eines Schutzgesuchs ausdifferenziert und in einer EU-Verordnung kodifiziert hat, hat er diese Regelungen zugleich mit den aus Art. 288 Abs. 2 AEUV folgenden Rechtswirkungen ausgestattet. Diese Rechtsqualität der Regelungen steht auch nicht in Widerspruch zu ihrem Sinn und Zweck. Der Unionsgesetzgeber hat die Zuständigkeitsbestimmungen erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern,
49dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrages zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping“ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen,
50EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, C‑394/12 (Abdullahi), Rdn. 53, juris; vgl. auch Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 57.
51Diese Ziele werden am effektivsten durch die zuverlässige und gleichmäßige Befolgung der in der Dublin-III-VO geregelten Zuständigkeitskriterien in allen Mitgliedstaaten erreicht. Das „forum shopping“ wird unterbunden, indem einem einzigen Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Prüfung des Schutzgesuches zugeordnet wird; die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Staates wird durch detaillierte Kriterien, die keine Entscheidungsspielräume der Mitgliedstaaten vorsehen, erhöht; die Asylverfahren werden insgesamt beschleunigt, indem das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates verbindlich geltenden kurzen Fristen unterworfen wird.
52Die unmittelbare, auch von den Betroffenen durchsetzbare Rechtswirkung der Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin-III-VO ‑ soweit sie einem Mitgliedstaat die Zuständigkeit ohne Ermessensspielraum zuweisen ‑ widerspricht diesen Zielen nicht, sondern fördert ihre Erreichung. Der Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts („effet utile“) findet eine wesentliche Stütze gerade darin, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar geltendes Unionsrecht berufen kann. Mit Hilfe der Doktrin der unmittelbaren Anwendbarkeit werden die an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Betroffenen zu Wächtern des Unionsrechtssystems erhoben, die dessen effektive Anwendung in den Mitgliedstaaten sichern,
53Vgl. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 49 m.w.N.
54Zum Zweck der effektiven und gleichen Wirkung des Unionsrechts sollen die Einzelnen, soweit es um den staatlichen Vollzug des Unionsrechts geht, eine dezentrale, die Kommission entlastende Vollzugskontrolle vornehmen können,
55vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 44.
56Andernfalls könnte auch Art. 267 AEUV, der zum Zweck der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten das Verfahren zur Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen auf Vorlage nationaler Gerichte vorsieht, seine Wirkung nicht entfalten. Art. 267 AEUV setzt voraus, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar anwend-
57bares Unionsrecht berufen kann und damit die Frage der Auslegung einer unionsrechtlichen Bestimmung vor dem nationalen Gericht streitentscheidende Bedeutung gewinnt. Der alleinigen Entscheidungskompetenz des EuGH bei der Auslegung des Unionsrechts liefe es zuwider, einer unionsrechtlichen Bestimmung in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht (ohne vorherige Klärung der Rechtsfrage durch den EuGH) mit Verweis auf mangelnde individualschützende Wirkung eine streitentscheidende Bedeutung von vornherein abzusprechen.
58Aufgrund dieser generellen Bedeutung der unmittelbaren, individualrechtsbegründenden Anwendbarkeit des Unionsrechts für die Sicherstellung seiner Effektivität kommt es für die Frage, ob sich der Einzelne auf Unionsrecht berufen kann, auch nicht darauf an, ob eine Vorschrift des Unionsrechts bezweckt, individuelle Rechte zu schaffen. Entscheidend ist vielmehr, ob die sich aus der Vorschrift ergebende Verpflichtung anderer Rechtssubjekte eindeutig ist, weil sie hinreichend klar und unbedingt formuliert ist.
59Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 46; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 51 m.w.N.
60Dies ist bei Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO der Fall. Die Norm regelt den Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Überstellungsfrist eindeutig, klar und unbedingt, insbesondere sieht sie auch keinen Entscheidungsspielraum einer nationalen Behörde vor.
61Der Annahme, dass sich ein Asylbewerber auf die nach der Dublin-III-Verordnung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung objektiv begründete Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Prüfung seines Schutzgesuches berufen kann, steht auch die Rechtsprechung des EuGH,
62Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi), - C-394/12 -, juris,
63sowie des Bundesverwaltungsgerichts,
64Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rdn. 7 und vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6,
65nicht entgegen.
66Diesen Entscheidungen ist keine Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von (Überstellungs-)Fristen zu entnehmen,
67vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, Rdn. 41, juris mit Hinweis auf VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 - 13 K 1117/14.A -, Rdn. 54 ff., juris.
68Insbesondere lässt sich eine dahingehende Aussage nicht aus dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz entnehmen, dass der betreffende Ausländer in einem Fall, in dem
69ein Mitgliedstaat seiner Aufnahme nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat (Mitgliedstaat der ersten Einreise), der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
70Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi) - C-394/12 -, Rdn. 62, juris,
71Mit diesem Rechtssatz betont der EuGH gerade die Verbindlichkeit der in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriterien, die ihre Grenze erst in der im Einzelfall anzunehmenden tatsächlichen Gefahr der Verletzung eines in der Grundrechtecharta verbürgten Rechts findet. Demgegenüber lässt sich dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz keine Aussage des Inhalts entnehmen, dass sich ein Asylbewerber nicht (oder nur unter bestimmten Bedingungen) auf die Beachtung eines in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums berufen kann.
72So liegt der Fall hier. Mit dem von den Klägern geltend gemachten Einwand, dass die Zuständigkeit für die Prüfung ihrer Schutzgesuche wegen Überschreitens der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO auf die Beklagte übergegangen ist, wenden sich die Kläger ‑ anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall ‑ gerade nicht gegen die Heranziehung eines in der Dublin-III-VO niedergelegten Zuständigkeitskriteriums, sondern berufen sich auf dieses.
73Auch das BVerwG geht erkennbar nicht davon aus, dass andere Einwände gegen eine Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat als der Einwand systemischer Mängel unbeachtlich wären. Vielmehr benennt es in dem zuletzt ergangenen Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – konkret die als unbeachtlich einzustufenden Einwände:
74„Aus der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann und es nicht darauf ankommt, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war.“
75BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6, Hervorhebung nicht im Original.
76Dies verdeutlicht, dass die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates der Prüfung vorgelagert ist, ob einer Überstellung dorthin systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegenstehen. Auch wird die Beschränkung berücksichtigungsfähiger Einwände auf den Einwand systemischer Mängel nur insoweit ausgesprochen, als der Asylbewerber der Überstellung mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen in diesem Staat entgegentritt.
77Eine Beschränkung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers im Hinblick auf die Geltendmachung objektiver Verstöße gegen die Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-Verordnung lässt sich auch nicht mit der Überlegung belegen oder bekräftigen, dass es dem Asylbewerber unbenommen ist, sich freiwillig bei der ihm genannten Stelle des anderen Mitgliedstaates zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen.
78Zu den Modalitäten einer Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers siehe Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003, zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (DVO Dublin III).
79Zwar kann der Asylbewerber damit zu einer Beschleunigung beitragen. Aus einer fehlenden Inanspruchnahme dieses Rechts kann jedoch nicht auf den Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts des Asylbewerbers auf materielle Prüfung seines Schutzgesuches durch die Beklagte geschlossen werden. Insbesondere steht der vom Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB abgeleitete Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium") der Geltendmachung dieses subjektiv-öffentlichen Rechts nicht entgegen.
80So aber VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 45 ff.
81Ein widersprüchliches Verhalten der Kläger liegt
82– ganz abgesehen davon, dass im deutschen Recht die Möglichkeit der Überstellung des betroffenen Asylbewerbers auf eigene Initiative gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist (vgl. hierzu: VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 2014 – A 11 S 1230/14 ‑, juris, Rdn. 4) und die Kläger im vorliegenden Fall (soweit ersichtlich) über dieses ihnen zustehende Initiativrecht auch nicht unterrichtet wurden –
83nicht vor. Die Kläger rügen nicht etwa eine unangemessene Dauer ihrer Verfahren, die sie selbst hätten beschleunigen können. Vielmehr begehren sie die materielle Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Selbst wenn zwischenzeitlich ein anderer Staat für die Durchführung ihrer Asylverfahren zuständig gewesen sein sollte, kann ein widersprüchliches Verhalten der Kläger nicht darin gesehen werden, dass sie an ihrem Begehren der Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte festgehalten haben. Die Kläger haben sich zur Begründung ihres Begehrens nicht auf eine drohende unzumutbare Dauer ihrer Schutzgesuche gestützt, sondern auf gesundheitliche Beeinträchtigungen, die der tatsächlichen Durchführung ihrer Überstellung entgegenstünden.“
84Auch im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob ein Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts auf Prüfung des Schutzgesuches durch den Staat, der infolge des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zuständig geworden ist, dann eintreten kann, wenn dieses Recht missbräuchlich in Anspruch genommen wird. Denn dafür fehlen hier jegliche Anhaltspunkte. Insbesondere hat sich der Kläger zu 2 weder der ausländerrechtlichen Überwachung entzogen noch Überstellungsmaßnahmen widersetzt.
852. Ist somit nach Auffassung der Kammer der Asylantrag des Klägers zu 2 nicht gemäß § 27 a AsylVfG als unzulässig anzusehen, liegen auch die Voraussetzungen des § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG für die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids verfügte Abschiebungsanordnung nicht vor.
86III. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Klage des Klägers zu 2 auf §§ 154 Abs.1 VwGO. Soweit der Rechtsstreit hinsichtlich des Begehrens des Klägers zu 1 in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Dem entspricht es, die Kosten der Beklagten aufzuerlegen, weil die Klage auch insoweit Aussicht auf Erfolg hatte.
87Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
88Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. März 2014 wird aufgehoben, soweit in Ziffer 1 das Verfahren auch bezüglich des Antrags der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG eingestellt wurde und soweit in Ziffer 2 die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
1
Tatbestand:
2Die Kläger zu 1) und 2) sind die Eltern der am 0.00.2010 geborenen Klägerin zu 3). Sie meldeten sich am 13. Januar 2014 bei der zentralen Ausländerbehörde E. als Asylsuchende. Am 17. Januar 2014 nahm die Außenstelle E. des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ihren Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zur Niederschrift auf. Hierbei gaben die Kläger an, iranische Staatsangehörige christlichen Glaubens zu sein. Am gleichen Tag teilten sie im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens mit: Sie seien am 19. November 2013 mit dem Reisebus in Richtung Istanbul aus dem Iran ausgereist. Nach einem 40-tägigen Aufenthalt in der Türkei seien sie am 31. Dezember 2013 mit dem Flugzeug nach Deutschland eingereist. Personalpapiere oder andere Dokumente über ihre Person könnten sie nicht vorlegen.
3Ausweislich einer zum Verwaltungsvorgang des Bundesamtes genommenen Auskunft vom 17. Januar 2014 aus dem VIS-Datenbestand war den Klägern zu 1) und 2) am 27. November 2013 durch die französische Botschaft in Teheran jeweils ein Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt erteilt worden, und zwar mit Gültigkeit vom 30. November 2013 bis zum 25. Dezember 2013.
4Am 13. Februar 2014 stellte das Bundesamt bezüglich aller Kläger ein Übernahmeersuchen an die Republik Frankreich. Mit Schreiben vom gleichen Tag unterrichtete das Bundesamt die Kläger über die Einleitung eines Dublin-Verfahrens nach Frankreich und gab ihnen Gelegenheit, sich innerhalb von zwei Wochen zu den Gründen zu äußern, die gegen ihre Überstellung nach Frankreich sprächen. Mit Schreiben vom 28. Februar 2014, beim Bundesamt eingegangen am 4. März 2014, bestellte sich die Prozessbevollmächtigte unter Vorlage schriftlicher Vollmachten für die Kläger und erklärte, die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft würden zurückgenommen, aufrechterhalten würden lediglich die Anträge auf Gewährung subsidiären Schutzes.
5Die Republik Frankreich stimmte mit Schreiben vom 13. März 2014 der Aufnahme der Kläger gemäß Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO) zu.
6Mit Bescheid vom 25. März 2014 stellte das Bundesamt fest, dass die Asylverfahren der Kläger eingestellt sind (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung der Kläger nach Frankreich an (Ziffer 2). Zur Begründung wird ausgeführt, dass in Anbetracht der Rücknahme der Asylanträge gemäß § 32 S. 1, 1. HS AsylVfG festzustellen sei, dass die Asylverfahren eingestellt sind. Die Rücknahme beseitige indes nicht die Regelungswirkung der Dublin-III-VO in Bezug auf den zuständigen Mitgliedstaat. Die Zuständigkeit gelte seit der Asylantragstellung in Deutschland. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die zur Ausübung eines Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO führen könnten, seien nicht ersichtlich. Von einer Prüfung des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sei abzusehen, da eine Überstellung in das Herkunftsland nicht beabsichtigt sei. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft; Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Frankreich als zuständigem Mitgliedstaat innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Dublin-III-VO festgesetzten Fristen durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Frankreich beruhe auf § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG.
7Der an die Kläger adressierte Bescheid ist ausweislich eines Aktenvermerks am 26. März 2014 als Einschreiben zur Post gegeben worden. Mit Schreiben vom 26. März 2014 wurde ferner der Prozessbevollmächtigten der Kläger eine Kopie des Bescheides übersandt.
8Die Kläger haben am 1. April 2014 Klage erhoben und in Bezug auf Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Zur Begründung geben sie an, es lägen außergewöhnliche humanitäre Gründe vor, die die Beklagte zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts verpflichteten, jedenfalls aber zu einer ermessensfehlerfreien Entscheidung, die mit dem streitgegenständlichen Bescheid nicht erfolgt sei. Der Kläger zu 1) habe zwei Cousinen, die in Nordrhein-Westfalen lebten. Diese hätten sich seit dem Eintreffen der Kläger in Deutschland um diese gekümmert. Die Kläger seien durch die ihnen widerfahrenen Erlebnisse im Iran traumatisiert und hätten lediglich Halt aufgrund der Anwesenheit der Verwandtschaft in Deutschland gefunden. Sie hätten für ihre Ausreise aus dem Iran die Hilfe eines Schleppers in Anspruch genommen. Dieser habe ihnen unter Vorlage falscher Unterlagen einen Termin bei einer Botschaft verschafft, wo sie lediglich einmal ihre Fingerabdrücke hätten abgeben müssen. Ihnen sei bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal sicher bekannt gewesen, dass die in ihren Pässen angebrachten Visa tatsächlich echt seien. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sie von Frankreich aus in den Iran abgeschoben würden. Wegen der hohen Zahl der Asylbewerber sei nicht sichergestellt, dass Frankreich für die Kläger eine zumutbare Wohnung zur Verfügung stellen und somit die Mindeststandards einhalten könne.
9Mit Beschluss vom 7. Mai 2014 hat das Gericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt (22 L 791/14.A).
10Am 7. August 2014 haben die Kläger beantragt, unter Abänderung des Beschlusses vom 7. Mai 2014 nunmehr die aufschiebende Wirkung der Klage in Bezug auf Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes anzuordnen. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Die Kläger zu 1) und 2) befänden sich aufgrund ihres psychischen Zustandes bereits seit einiger Zeit in neurologischer Behandlung. Dennoch sei am 31. Juli 2014 ein unangekündigter Abschiebeversuch unternommen worden. Die Abschiebemaßnahme sei abgebrochen worden, als die Klägerin zu 3) auf der Fahrt zum Flughafen kollabiert sei und sich im Polizeiauto übergeben habe. Durch diese Abschiebemaßnahme habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) derart verschlechtert, dass sie am 2. August 2014 stationär in die Klinik des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) eingewiesen worden sei. Zum Beleg haben die Kläger mehrere ärztliche Bescheinigungen vorgelegt, darunter Bescheinigungen des LVR-Klinikums E1. , Abteilung für allgemeine Psychiatrie II vom 6. August 2014 und vom 22. August 2014, ausweislich derer sich die Klägerin zu 2) seit dem 2. August 2014 aufgrund der Schwere ihrer psychischen Erkrankung mit akuter Suizidalität bis auf weiteres in stationärer Behandlung befinde und aufgrund ihrer instabilen psychopathologischen Verfassung sowie konkreten Suizidgefährdung bis auf weiteres reiseunfähig sei.
11Mit Beschluss vom 15. September 2014 hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in Abänderung des Beschlusses vom 7. Mai 2014 – 22 L 791/14. A – angeordnet (22 L 1814/14. A).
12Im Klageverfahren haben die Kläger weitere ärztliche Bescheinigungen zum Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) vorgelegt und schriftsätzlich beantragt, die behandelnden Ärzte Dr. N. und Dr. U. als Zeugen zu vernehmen zum Beweis der aus den ärztlichen Attesten hervorgehenden, eine Reiseunfähigkeit begründenden Krankheiten der Klägerin zu 2). Ferner haben die Kläger beantragt, zum Beweis ebendieser Tatsachen ein Sachverständigengutachten einzuholen. Schließlich verweisen die Kläger darauf, dass die in Art. 29 Dublin-III-VO bestimmte Frist zur Überstellung der Kläger nach Frankreich bereits abgelaufen sei.
13Die Kläger beantragen,
14den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. März 2014 aufzuheben, soweit in Ziffer 1 das Verfahren auch bezüglich des Antrags der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG eingestellt wurde und soweit in Ziffer 2 die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde.
15Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
18Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der dazu beigezogenen Gerichtsakten 22 L 791/14.A und 22 L 1814/14.A und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie der Ausländerbehörde des Kreises L. Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten zum Termin der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, da die Beteiligten hierauf in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen wurden, § 102 Abs. 1 und 2 VwGO.
21Die Klage ist zulässig (nachfolgend I.) und begründet (nachfolgend II.).
22I. Die Klage ist zulässig.
23Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO statthaft. Die isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelungen führt auf die weitere Prüfung der Anträge der Kläger auf Zuerkennung subsidiären Schutzes durch die Beklagte und damit zu dem erstrebten Rechtsschutzziel. Denn mit der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides in dem angefochtenen Umfang werden die Verwaltungsverfahren in den Verfahrensstand zurückversetzt, in dem sie vor Erlass der streitgegenständlichen Regelungen waren. Das Bundesamt ist im Falle einer Aufhebung des Bescheides gemäß §§ 24, 31 AsylVfG gesetzlich verpflichtet, die Asylverfahren weiterzuführen. Das Bundesamt hat sich in dem vorliegenden Fall lediglich mit der – einer materiellen Prüfung der Asylanträge vorgelagerten – Frage befasst, in welchem Umfang die Asylverfahren eingestellt werden und welcher Staat nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Prüfung der verbleibenden Schutzgesuche zuständig ist. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung der Asylbegehren beseitigt und die Asylverfahren sind in dem Stadium, in dem sie zu Unrecht beendet worden sind, durch das Bundesamt weiterzuführen.
24Vgl. zu Entscheidungen nach § 27a AsylVfG: OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rdn. 28 ff.; zu Entscheidungen nach §§ 32, 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rdn. 15 ff.
25Die Kläger sind auch klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Aus ihrem Vorbringen lässt sich herleiten, dass sie – sollte sich der Bescheid in dem angefochtenen Umfang als objektiv rechtswidrig erweisen – möglicherweise in eigenen Rechten verletzt sind. Denn die angefochtenen Regelungen belasten die Kläger in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht aus §§ 4, 24, 31 AsylVfG auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch das Bundesamt.
26Ob und gegebenenfalls inwieweit dieses Recht durch Unionsrecht, namentlich die Dublin-III-VO, beschränkt wird, bedarf hier keiner weiteren Prüfung, da eine Rechtsverletzung zumindest möglich erscheint.
27Die Kläger haben die Klage auch fristgerecht im Sinne von § 74 Abs. 1 AsylVfG, nämlich innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides, erhoben. Die Klagefrist begann mit der wirksamen Bekanntgabe des Bescheides am 29. März 2014. Der Bescheid wurde den Klägern (wie von § 31 Abs. 1 S. 4 AsylVfG vorausgesetzt) persönlich zugestellt, und zwar gemäß § 4 Abs. 1 VwZG durch die Post mittels Einschreiben durch Übergabe oder Einschreiben mit Rückschein. Damit wurde der Bescheid zugleich gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG wirksam bekanntgegeben. Gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG gilt das Dokument am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, es ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen. Angesichts der Tatsache, dass der Bescheid ausweislich des Verwaltungsvorgangs am 26. März 2014 als Einschreiben zur Post aufgegeben wurde, gilt er gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, mithin am 29. März 2014 als zugestellt. Die Kläger haben nicht vorgetragen, dass ihnen der Bescheid nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Die am 29. März 2014 begonnene Klagefrist war bei Klageerhebung am 1. April 2014 noch nicht abgelaufen.
28II. Die Klage ist begründet. In dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG) ist der Bescheid des Bundesamtes vom 25. März 2014 in dem Umfang, in dem er angefochten ist, rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Dies gilt sowohl für Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides, soweit darin die Asylverfahren der Kläger auch insoweit eingestellt wurden, als diese die Zuerkennung subsidiären Schutzes begehren (nachfolgend 1.), als auch für Ziffer 2 des Bescheides, mit der die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde (nachfolgend 2.).
291. Die Feststellung der Einstellung der Asylverfahren auch insoweit, als die Kläger die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG begehren, findet ihre Rechtsgrundlage nicht in der hier allein als Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommenden Regelung des § 32 S. 1, 1. Hs., 1. Alt. AsylVfG. Nach dieser Norm stellt das Bundesamt im Falle der Antragsrücknahme in seiner Entscheidung fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist. Diese Voraussetzungen liegen hier hinsichtlich des Antrages der Kläger auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG nicht vor. Die Kläger hatten mit anwaltlichem Schreiben vom 28. Februar 2014 ihre ursprünglich auf die Anerkennung als Asylberechtigte im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG sowie auf Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG insgesamt gerichteten Asylanträge nur teilweise zurückgenommen, nämlich in Bezug auf die Anerkennung als Asylberechtigte und die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention). Aufrechterhalten haben sie hingegen ihre Anträge auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), § 4 AsylVfG. Durch die rechtswidrige Einstellung ihrer Antragsverfahren auf Zuerkennung subsidiären Schutzes werden die Kläger in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch das Bundesamt gemäß §§ 4, 24, 31 AsylVfG verletzt.
302. Die Abschiebungsanordnung nach Frankreich in Ziffer 2 des Bescheides ist ebenfalls rechtswidrig. Sie lässt sich nicht auf die allein in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage des § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG stützen. Danach ordnet das Bundesamt in den Fällen, in denen der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
31Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob eine Abschiebungsanordnung nach dieser Norm überhaupt ergehen kann, wenn das Bundesamt – wie hier, wenn auch zu Unrecht – die Asylverfahren insgesamt gemäß § 32 S. 1, 1. Hs., 1. Alt. AsylVfG eingestellt hat. Denn jedenfalls ist Frankreich weder ein sicherer Drittstaat, aus dem die Kläger nach Deutschland eingereist sind (§ 26a AsylVfG) noch ist Frankreich für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig (§ 27a AsylVfG).
32Die Voraussetzungen des § 26a AsylVfG sind
33– unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit dieser Norm im Anwendungsbereich derDublin-III-VO –
34schon deshalb nicht erfüllt, weil die Kläger nach eigenen Angaben aus der Türkei kommend auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist sind und auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für einen Aufenthalt in oder eine Durchreise durch Frankreich vorliegen.
35Auch die Voraussetzungen des § 27a AsylVfG sind nicht erfüllt. Die Republik Frankreich ist nicht auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig.
36Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Dublin-III-VO. Diese findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO auf alle in Deutschland ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, mithin auch auf die im Januar 2014 gestellten Schutzgesuche der Kläger.
37Die Zuständigkeit Frankreichs für die Prüfung der Asylanträge der Kläger dürfte zwar zunächst nach Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO begründet worden sein. Die Republik Frankreich hat das an sie gerichtete Übernahmeersuchen der Beklagten vom 13. Februar 2014 auch am 13. März 2014 auf dieser Rechtsgrundlage akzeptiert. Die Zuständigkeit ist jedoch mittlerweile auf die Beklagte übergegangen. Dies folgt aus Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO. Danach ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO genannten Frist von sechs Monaten, die unter bestimmten Voraussetzungen auf höchstens 18 Monate verlängert werden kann, durchgeführt wird.
38Im vorliegenden Fall ist die Überstellung nicht in diesem Sinne fristgemäß erfolgt. Die sechsmonatige Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung hat. Die Frist begann nach diesen Maßstäben hier mit der Annahme des Übernahmeersuchens durch die Republik Frankreich am 13. März 2014.
39Die Frist zur Überstellung der Kläger nach Frankreich wurde nicht durch den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vom 1. April 2014 (22 L 791/14.A) für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens, hier also bis zum ablehnenden Eilbeschluss vom 7. Mai 2014, unterbrochen oder gehemmt,
40vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014, - 13 A 1347/14.A -, juris, Rdn. 5 ff. m.w.N..
41Auch lagen keine Gründe für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin-III-VO vor. Die sechsmonatige Frist endete nach alledem mit Ablauf des 13. September 2014.
42Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zur Folge, dass der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Die Zuständigkeit für die Prüfung der Anträge der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes ist damit auf die Beklagte übergegangen.
43Die Kläger können sich im vorliegenden Klageverfahren auch auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte berufen.
44A.A. VGH BW, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rdn. 59 (soweit eine Überstellung in den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist); Nds.OVG, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 ‑, juris, Rdn. 9 ff (ohne Einschränkung); HessVGH, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 976/14.A ‑, juris, Rdn. 15 (obiter dictum); VG Düsseldorf , Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 43; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 102. Ergänzungslieferung, November 2014, § 27a, Rdn. 234, 196.1 (mit Ausnahmen); Hailbronner, Ausländerrecht, 88. Ergänzungslieferung, Oktober 2014, § 27a AsylVfG, Rdn. 20 ff.; Günther, in: Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 5. Edition, Stand: 1. September 2014, § 27a AsylVfG Rdn. 29 ff.; offen gelassen: OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 ‑ 14 A 1943/11.A ‑, juris, Rdn. 24 (das Vorabentscheidungsverfahren bei EuGH, Rs. C-666/11 endete ohne Sachentscheidung nach Rücknahme des Ersuchens wegen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache beim OVG NRW); vgl. ferner zum Ablauf der Frist zur Stellung des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchens: VGH BW, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris; Rdn. 25, 27 (bei zeitnaher Überstellung); OVG RhPf, Urteil vom 21. Februar 2014 ‑ 10 A 10656/13 ‑, juris, Rdn. 33.
45Die Kläger haben gemäß §§ 24, 31 AsylVfG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Diese darf auf der Rechtsgrundlage der §§ 27a, 34a AsylVfG die weitere Prüfung eines Asylantrages nur dann ablehnen und eine Abschiebungsanordnung in einen anderen Mitgliedstaat erlassen, wenn dieser andere Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig. Zugleich verletzt der objektiv rechtswidrige Verwaltungsakt das subjektiv-öffentliche Recht der Kläger aus §§ 24, 31 AsylVfG, und zwar unabhängig vom Schutzzweck der Norm, deren Verletzung zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führt. Der Individualschutzzweck von Normen ist nur für diejenigen von Bedeutung, die keine materielle Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung durch den angefochtenen Verwaltungsakt dartun können.
46Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 45 Rdn. 126.
47Die Kläger hingegen werden durch Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in ihrer Rechtstellung aus §§ 24, 31 AsylVfG materiell beeinträchtigt, wenn die Beklagte die Prüfung der Schutzgesuche mit Verweis auf die Zuständigkeit eines anderen Staates ablehnt, obwohl ihre Zuständigkeit nach den Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung objektiv begründet ist.
48Dem nach nationalem Recht bestehenden subjektiv-öffentlichen Recht der Kläger auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die nach der Dublin-III-VO objektiv hierfür zuständige Beklagte steht auch der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht entgegen. Denn es liegt schon keine Kollision des nationalen Rechts mit der gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV vorrangig anzuwendenden Dublin-III-VO vor.
49Die Zuständigkeitsregelungen in der Dublin-III-VO begründen unmittelbare Rechte der betroffenen Ausländer auf Beachtung dieser Regelungen durch alle Behörden der Mitgliedstaaten. Dies folgt schon aus der Rechtsnatur der Dublin-III-VO. Diese gilt (wie alle EU-Verordnungen) gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Diese unmittelbare Geltung bedeutet, dass die Verordnungen nicht nur für die Mitgliedstaaten (untereinander) gelten, sondern in den Mitgliedstaaten,
50Ulrich Haltern, Europarecht, Tübingen 2005, S. 284 (Hervorhebung im Original).
51Hierin unterscheidet sich das Unionsrecht gerade von Völkervertragsrecht, mit dem sich lediglich die Vertragsstaaten untereinander binden. Das Unionsrecht ist eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Unionsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen,
52EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 25.
53Die Dublin-III-VO regelt damit schon aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht nur Verpflichtungen der Mitgliedstaaten untereinander, sondern auch unmittelbar die Rechtsstellung jedes einzelnen Normunterworfenen, das heißt auch der Drittstaatsangehörigen, auf die die Dublin-III-VO Anwendung findet.
54Der Dublin-III-VO kann auch nicht entnommen werden, dass in Bezug auf die dort geregelten Zuständigkeitsbestimmungen ausnahmsweise etwas anderes gelten sollte, insbesondere ein Asylbewerber, der für die Prüfung seines Asylantrages an einen anderen Mitgliedstaat verwiesen wird, einen hierin liegenden objektiven Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmungen der Verordnung nicht oder nur unter bestimmten Umständen rügen kann.
55Dies unter Verweis auf den Zweck der Dublin-II-VO erwägend und im Ergebnis ein subjektiv-öffentliches Recht des Ausländers aus der Ermessensvorschrift des Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO (Selbsteintrittsrecht) verneinend: Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 58.
56Indem der Unionsgesetzgeber die ursprünglich in einem völkerrechtlichen Vertrag (Dubliner Übereinkommen) vereinbarten Zuständigkeitskriterien für die Prüfung eines Schutzgesuchs ausdifferenziert und in einer EU-Verordnung kodifiziert hat, hat er diese Regelungen zugleich mit den aus Art. 288 Abs. 2 AEUV folgenden Rechtswirkungen ausgestattet. Diese Rechtsqualität der Regelungen steht auch nicht in Widerspruch zu ihrem Sinn und Zweck. Der Unionsgesetzgeber hat die Zuständigkeitsbestimmungen erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrages zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping“ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen,
57EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, C‑394/12 (Abdullahi), Rdn. 53, juris; vgl. auch Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 57.
58Diese Ziele werden am effektivsten durch die zuverlässige und gleichmäßige Befolgung der in der Dublin-III-VO geregelten Zuständigkeitskriterien in allen Mitgliedstaaten erreicht. Das „forum shopping“ wird unterbunden, indem einem einzigen Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Prüfung des Schutzgesuches zugeordnet wird; die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Staates wird durch detaillierte Kriterien, die keine Entscheidungsspielräume der Mitgliedstaaten vorsehen, erhöht; die Asylverfahren werden insgesamt beschleunigt, indem das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates verbindlich geltenden kurzen Fristen unterworfen wird.
59Die unmittelbare, auch von den Betroffenen durchsetzbare Rechtswirkung der Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin-III-VO ‑ soweit sie einem Mitgliedstaat die Zuständigkeit ohne Ermessensspielraum zuweisen ‑ widerspricht diesen Zielen nicht, sondern fördert ihre Erreichung. Der Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts („effet utile“) findet eine wesentliche Stütze gerade darin, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar geltendes Unionsrecht berufen kann. Mit Hilfe der Doktrin der unmittelbaren Anwendbarkeit werden die an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Betroffenen zu Wächtern des Unionsrechtssystems erhoben, die dessen effektive Anwendung in den Mitgliedstaaten sichern,
60Vgl. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 49 m.w.N.
61Zum Zweck der effektiven und gleichen Wirkung des Unionsrechts sollen die Einzelnen, soweit es um den staatlichen Vollzug des Unionsrechts geht, eine dezentrale, die Kommission entlastende Vollzugskontrolle vornehmen können,
62vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 44.
63Andernfalls könnte auch Art. 267 AEUV, der zum Zweck der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten das Verfahren zur Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen auf Vorlage nationaler Gerichte vorsieht, seine Wirkung nicht entfalten. Art. 267 AEUV setzt voraus, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar anwendbares Unionsrecht berufen kann und damit die Frage der Auslegung einer unionsrechtlichen Bestimmung vor dem nationalen Gericht streitentscheidende Bedeutung gewinnt. Der alleinigen Entscheidungskompetenz des EuGH bei der Auslegung des Unionsrechts liefe es zuwider, einer unionsrechtlichen Bestimmung in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht (ohne vorherige Klärung der Rechtsfrage durch den EuGH) mit Verweis auf mangelnde individualschützende Wirkung eine streitentscheidende Bedeutung von vornherein abzusprechen.
64Aufgrund dieser generellen Bedeutung der unmittelbaren, individualrechtsbegründenden Anwendbarkeit des Unionsrechts für die Sicherstellung seiner Effektivität kommt es für die Frage, ob sich der Einzelne auf Unionsrecht berufen kann, auch nicht darauf an, ob eine Vorschrift des Unionsrechts bezweckt, individuelle Rechte zu schaffen. Entscheidend ist vielmehr, ob die sich aus der Vorschrift ergebende Verpflichtung anderer Rechtssubjekte eindeutig ist, weil sie hinreichend klar und unbedingt formuliert ist.
65Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 46; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 51 m.w.N.
66Dies ist bei Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO der Fall. Die Norm regelt den Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Überstellungsfrist eindeutig, klar und unbedingt, insbesondere sieht sie auch keinen Entscheidungsspielraum einer nationalen Behörde vor.
67Der Annahme, dass sich ein Asylbewerber auf die nach der Dublin-III-Verordnung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung objektiv begründete Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Prüfung seines Schutzgesuches berufen kann, steht auch die Rechtsprechung des EuGH,
68Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi), - C-394/12 -, juris,
69sowie des Bundesverwaltungsgerichts,
70Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rdn. 7 und vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6,
71nicht entgegen.
72Diesen Entscheidungen ist keine Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von (Überstellungs-)Fristen zu entnehmen,
73vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, Rdn. 41, juris mit Hinweis auf VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 - 13 K 1117/14.A -, Rdn. 54 ff., juris.
74Insbesondere lässt sich eine dahingehende Aussage nicht aus dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz entnehmen, dass der betreffende Ausländer in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat seiner Aufnahme nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat (Mitgliedstaat der ersten Einreise), der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
75Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi) - C-394/12 -, Rdn. 62, juris,
76Mit diesem Rechtssatz betont der EuGH gerade die Verbindlichkeit der in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriterien, die ihre Grenze erst in der im Einzelfall anzunehmenden tatsächlichen Gefahr der Verletzung eines in der Grundrechtecharta verbürgten Rechts findet. Demgegenüber lässt sich dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz keine Aussage des Inhalts entnehmen, dass sich ein Asylbewerber nicht (oder nur unter bestimmten Bedingungen) auf die Beachtung eines in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums berufen kann.
77So liegt der Fall hier. Mit dem von den Klägern geltend gemachten Einwand, dass die Zuständigkeit für die Prüfung ihrer Schutzgesuche wegen Überschreitens der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO auf die Beklagte übergegangen ist, wenden sich die Kläger ‑ anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall ‑ gerade nicht gegen die Heranziehung eines in der Dublin-III-VO niedergelegten Zuständigkeitskriteriums, sondern berufen sich auf dieses.
78Auch das BVerwG geht erkennbar nicht davon aus, dass andere Einwände gegen eine Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat als der Einwand systemischer Mängel unbeachtlich wären. Vielmehr benennt es in dem zuletzt ergangenen Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – konkret die als unbeachtlich einzustufenden Einwände:
79„Aus der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann und es nicht darauf ankommt, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war.“
80BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6, Hervorhebung nicht im Original.
81Dies verdeutlicht, dass die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates der Prüfung vorgelagert ist, ob einer Überstellung dorthin systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegenstehen. Auch wird die Beschränkung berücksichtigungsfähiger Einwände auf den Einwand systemischer Mängel nur insoweit ausgesprochen, als der Asylbewerber der Überstellung mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen in diesem Staat entgegentritt.
82Eine Beschränkung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers im Hinblick auf die Geltendmachung objektiver Verstöße gegen die Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-Verordnung lässt sich auch nicht mit der Überlegung belegen oder bekräftigen, dass es dem Asylbewerber unbenommen ist, sich freiwillig bei der ihm genannten Stelle des anderen Mitgliedstaates zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen.
83Zu den Modalitäten einer Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers siehe Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003, zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (DVO Dublin III).
84Zwar kann der Asylbewerber damit zu einer Beschleunigung beitragen. Aus einer fehlenden Inanspruchnahme dieses Rechts kann jedoch nicht auf den Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts des Asylbewerbers auf materielle Prüfung seines Schutzgesuches durch die Beklagte geschlossen werden. Insbesondere steht der vom Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB abgeleitete Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium") der Geltendmachung dieses subjektiv-öffentlichen Rechts nicht entgegen.
85So aber VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 45 ff.
86Ein widersprüchliches Verhalten der Kläger liegt
87– ganz abgesehen davon, dass im deutschen Recht die Möglichkeit der Überstellung des betroffenen Asylbewerbers auf eigene Initiative gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist (vgl. hierzu: VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 2014 – A 11 S 1230/14 ‑, juris, Rdn. 4) und die Kläger im vorliegenden Fall (soweit ersichtlich) über dieses ihnen zustehende Initiativrecht auch nicht unterrichtet wurden –
88nicht vor. Die Kläger rügen nicht etwa eine unangemessene Dauer ihrer Verfahren, die sie selbst hätten beschleunigen können. Vielmehr begehren sie die materielle Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Selbst wenn zwischenzeitlich ein anderer Staat für die Durchführung ihrer Asylverfahren zuständig gewesen sein sollte, kann ein widersprüchliches Verhalten der Kläger nicht darin gesehen werden, dass sie an ihrem Begehren der Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte festgehalten haben. Die Kläger haben sich zur Begründung ihres Begehrens nicht auf eine drohende unzumutbare Dauer ihrer Schutzgesuche gestützt, sondern auf gesundheitliche Beeinträchtigungen, die der tatsächlichen Durchführung ihrer Überstellung entgegenstünden.
89Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob ein Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts auf Prüfung des Schutzgesuches durch den Staat, der infolge des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zuständig geworden ist, dann eintreten kann, wenn dieses Recht missbräuchlich in Anspruch genommen wird. Denn dafür fehlen hier jegliche Anhaltspunkte. Insbesondere haben sich die Kläger weder der ausländerrechtlichen Überwachung entzogen noch Überstellungsmaßnahmen widersetzt. Dass sie unter Vorlage ärztlicher Atteste Rechtsschutz gegen die Abschiebungsanordnung gesucht haben und sich insoweit auf gesundheitliche Überstellungshindernisse berufen, kann nicht als missbräuchliches Verhalten gewertet werden.
90Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn
- 1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, - 2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, - 2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird, - 3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und - 4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.
(1) Die Entscheidung des Bundesamtes ergeht schriftlich. Sie ist schriftlich zu begründen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten unverzüglich zuzustellen. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache beizufügen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Das Bundesamt informiert mit der Entscheidung über die Rechte und Pflichten, die sich aus ihr ergeben.
(2) In Entscheidungen über zulässige Asylanträge und nach § 30 Absatz 5 ist ausdrücklich festzustellen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. In den Fällen des § 13 Absatz 2 Satz 2 ist nur über den beschränkten Antrag zu entscheiden.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Davon kann abgesehen werden, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt wird. Von der Feststellung nach Satz 1 kann auch abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen.
(4) Wird der Asylantrag nur nach § 26a als unzulässig abgelehnt, bleibt § 26 Absatz 5 in den Fällen des § 26 Absatz 1 bis 4 unberührt.
(5) Wird ein Ausländer nach § 26 Absatz 1 bis 3 als Asylberechtigter anerkannt oder wird ihm nach § 26 Absatz 5 internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt, soll von der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen werden.
(6) Wird der Asylantrag nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 als unzulässig abgelehnt, wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
(7) In der Entscheidung des Bundesamtes ist die AZR-Nummer nach § 3 Absatz 1 Nummer 2 des Gesetzes über das Ausländerzentralregister zu nennen.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 11. November 2014 - A 3 K 4877/13 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5. Mai 2014 - A 4 K 1410/14 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 11. November 2014 - A 3 K 4877/13 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.
(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.
(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5. Mai 2014 - A 4 K 1410/14 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Oktober 2013 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2012 nach Melilla in Spanien, wo er am 25. Oktober 2012 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Am 14. Januar 2013 beantragte er unter dem Namen U. E. in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Den Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch Bescheid vom 13. März 2013 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Die Überstellung erfolgte am 10. April 2013.
3Am 3. Juni 2013 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 7. Juni 2013 – unter dem im Rubrum angegebenen Namen – Asyl. Ausweislich seiner eigenen Mitteilung und der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013 war der Kläger zuvor in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden. Das Bundesamt richtete am 29. August 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
4Durch Bescheid vom 4. Oktober 2013 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund der dort erfolgten illegalen Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
5Am 25. Oktober 2013 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage erhoben.
6Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 abgelehnt (13 L 2168/13.A). Auf den weiteren, unter dem 18. März 2014 gestellten Antrag des Klägers gemäß § 80 Abs. 7 VwGO ordnete das Verwaltungsgericht Düsseldorf durch Beschluss vom 24. März 2014 (13 L 644/14.A) mit der Begründung die aufschiebende Wirkung an, die sechsmonatige Überstellungsfrist sei abgelaufen.
7Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: In Spanien werde kein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt. Ihm sei dort die Asylantragstellung verweigert worden. Zudem sei die Überstellungsfrist abgelaufen. Hierauf könne er sich auch berufen. Ihm werde sein Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens abgesprochen, hielte sich Spanien im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr für zuständig. Ob die spanischen Behörden sich noch an ihre Zustimmung gebunden fühlten, sei völlig offen.
8Der Kläger hat beantragt,
9den Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 aufzuheben.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass die Überstellungsfrist mit der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vom 7. Januar 2014 neu zu laufen begonnen habe bzw. auf Grund des gemäß § 80 Abs. 7 VwGO erlassenen Eilbeschlusses vom 24. März 2014 bis zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens ausgesetzt sei.
13Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. September 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die zulässige, insbesondere statthafte Anfechtungsklage sei unbegründet. Nach den anwendbaren Vorschriften der Dublin II-VO sei Spanien für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig. Die Zuständigkeit sei nicht nach Maßgabe der Art. 16 ff. Dublin II-VO auf Deutschland übergegangen. Die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Uabs. 1 Dublin II-VO sei noch nicht abgelaufen. Weil durch Beschluss vom 24. März 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden sei, beginne sie erst zu laufen, nachdem das Gericht in der Hauptsache entschieden habe. Selbst wenn man auf die Sechsmonatsfrist ab Annahme des Aufnahmegesuchs abstelle, könne sich der Kläger hierauf jedenfalls nicht berufen. Ein Verstoß gegen die Fristenregelungen der Dublin II-VO verletze nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts keine subjektiven Rechte der Asylbewerber. Zudem sei es dem Asylbewerber unbenommen, sich freiwillig beim anderen Mitgliedstaat zu melden, weil die Überstellung auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen könne. Habe er es selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolge und dass sie erfolge, könne er sich nach § 242 BGB nicht auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland berufen. Es bestehe auch keine Verpflichtung der Beklagten, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Von einer unangemessenen Verfahrensdauer könne nicht ausgegangen werden. Es lägen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestünden.
14Mit Beschlüssen vom 15. Dezember 2014 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und auf Antrag des Klägers die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 4. Oktober 2013 angeordnet (11 B 1338/14.A).
15Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Überstellungsfrist von sechs Monaten ab der Zustimmung Spaniens zum Übernahmeersuchen am 17. September 2013 sei am 17. März 2014 abgelaufen. Durch die Stattgabe des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO habe die bereits abgelaufene Überstellungsfrist nicht wieder neu zu laufen begonnen. Aus der Dublin II-VO ergebe sich keine Rechtsgrundlage, wonach eine Rückübertragung der Zuständigkeit auf Spanien erfolgen könne. Der Kläger könne sich auch auf den Ablauf der Frist berufen. Die EuGH-Entscheidung Abdullahi beziehe sich lediglich auf die Anwendung der in Kapitel III der Dublin II-VO genannten Zuständigkeitskriterien, nicht jedoch auf den nachfolgend geregelten Ablauf der Überstellungsfrist und die dies mit Sanktionscharakter ausfüllenden Vorschriften des Kapitels V der Verordnung. Bestehe keine Übernahmebereitschaft Spaniens, wäre dem Kläger das unstreitig bestehende subjektive Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren genommen, könnte er sich nicht auf den Fristablauf berufen. Zudem räume die Dublin II-VO zumindest in bestimmten Punkten, etwa der Mitteilung von Daten, subjektive Rechte ein. Eine Beschränkung der Einwände des Asylbewerbers auf die Prüfung systemischer Mängel in einem Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen könne nur dann angenommen werden, wenn de facto ein anderer Mitgliedstaat im Zeitpunkt dieser Prüfung eigentlich noch zuständig wäre. Sei Deutschland wegen Fristablaufs zuständig, ergebe sich aus Art. 16a GG bzw. dem Asylverfahrensgesetz ein einklagbarer Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens.
16Der Kläger beantragt,
17das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Asylbewerber könnten sich nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang nach den Art. 16 ff. Dublin II-VO berufen. Ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO zuständige Mitgliedstaat sei oder ob durch Zeitablauf Deutschland zuständig geworden sei. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Spanien eine Überstellung bereits endgültig abgelehnt habe. Zwar lehnten die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ab, jedoch könne im besonderen Einzelfall durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
24A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
25Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2013, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
26Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
27Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
28Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
29Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
30Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
31Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
32Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
33Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
34Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
35Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
37Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
39B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
40I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
411. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 7. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
42Denn hier lagen auch das Aufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
43Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
44Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
45a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
46aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
47bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen. Danach endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
48Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO greift nur dann ein, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist.
49Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47.
50Diese Auslegung ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, wonach bei der Bestimmung des nach den in Kapitel III bestimmten Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Das geschah hier am 14. Januar 2013 (mit einem Alias-Namen) sowie nach erneuter Einreise nach Deutschland von Spanien aus am 7. Juni 2013 und damit innerhalb der Jahresfrist seit der erstmaligen illegalen Einreise nach Spanien im Oktober 2012.
51Selbst wenn man aber nicht auf den Asylantrag, sondern auf den spätesten Zeitpunkt des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens, den Abschluss durch die Aufnahmeerklärung Spaniens am 17. September 2013, abstellt, waren zwölf Monate nicht verstrichen. Ein noch späterer Zeitpunkt kommt hingegen nicht in Betracht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gilt die in Kapitel III der Verordnung normierte Frist nur für das in diesem Kapitel geregelte Zuständigkeitsbestimmungsverfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑) Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland – abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen – die im Kapitel V in Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO geregelte Mitteilung an den Asylbewerber gehört nicht dazu – kann die Zuständigkeit hingegen nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
52b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
53aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO. Danach gilt: Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig. Das Bundesamt hat hier gemäß Art. 17 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin II-VO innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags Spanien ersucht, den Kläger aufzunehmen. Der Kläger hat am 7. Juni 2013 Asyl beantragt, das Aufnahmeersuchen datiert vom 29. August 2013.
54bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
55(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO ist am 17. März 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 - fristgerecht innerhalb von zwei Monaten (vgl. Art. 18 Abs. 1, 7 Dublin II-VO) - ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Aufnahme des Klägers an. Da die Überstellung binnen dieser Frist nicht durchgeführt worden ist, ist die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf die Beklagte als den Staat übergegangen, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Fristverlängerungen nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO scheiden hier aus.
56(2) Die Überstellungsfrist verlängert sich nicht um die Dauer des erfolglosen ersten gerichtlichen Eilverfahrens und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz führt auch nicht zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht. Der Antrag des Klägers vom 25. Oktober 2013, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 - 13 L 2168/13.A - abgelehnt. Das erfolglose Eilverfahren wirkt sich auf die Dauer der Überstellungsfrist nicht aus.
57Die Dublin II-VO sieht weder eine Unterbrechung oder Hemmung (§ 209 BGB entsprechend),
58so VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris,
59noch, wovon das Bundesamt ausgeht, einen Neubeginn der Frist in solchen Fällen vor. Dies lässt sich ihr auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen.
60Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO bestimmt eine Frist von sechs Monaten ab Annahme des Aufnahmegesuchs. Nur wenn ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, gilt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO eine abweichende Frist von sechs Monaten ab der Entscheidung über diesen Rechtsbehelf. Entscheidung über den Rechtsbehelf in diesem Sinne ist aber nicht der Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, sondern – die Fortdauer der Aussetzung der Vollziehung vorausgesetzt – die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren.
61Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53 ff., Beschlüsse vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, juris, Rn. 5 und vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, AuAS 2014, 237 = juris, Rn. 5.
62Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Rechtsbehelf selbst muss aufschiebende Wirkung zukommen. Dies trifft - auch nach dem Unionsrecht - nur auf einen Rechtsbehelf zu, mit dem über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und ihren Bestand (abschließend) entschieden wird. Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht die Aufhebung der behördlichen Entscheidung, sondern nur die Aussetzung des Vollzugs erreicht werden. Zudem vermag nicht die Antragstellung, sondern nur die stattgebende gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung herbeizuführen, deren Endpunkt die Hauptsacheentscheidung ist.
63Diese Überlegungen werden durch die Systematik der Dublin II-VO bestätigt. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist die Entscheidung des Beklagten nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II-VO kann gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Dass dies allein die Klage, nicht aber der Antrag auf Aussetzung sein kann, zeigt vor allem Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO. Danach hat der gegen die Überstellungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. An diese Vorgaben, die der Sache nach zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren trennen, knüpft der folgende Absatz 3 des Art. 19 Dublin II-VO an, indem er die Frist nur dann erst mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf beginnen lässt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wenn er also - so lässt sich mit Blick auf Absatz 2 präzisieren - im Einzelfall aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts aufschiebende Wirkung hat. Dem entspricht das nationale Recht. Ein Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach § 80 Abs. 1 VwGO - neben dem Widerspruch - nur die Klage. Die Klage gegen die Überstellungsentscheidung des Bundesamts hat - unionsrechtskonform - aber nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, diese wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September 2013 gültigen Fassung im Einzelfall durch das Gericht angeordnet.
64Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 7 ff.
65Bei dieser Ausgangslage rechtfertigt allein der Sinn und Zweck der Überstellungsfrist, den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, um die (technischen) Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln, wofür grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen,
66vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 ‑ Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495,
67keine andere Auslegung des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO.
68Auch § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG führt jedenfalls bei der Dublin II-VO nicht dazu, dass der Lauf der Überstellungsfrist gehemmt wird oder diese erst oder erneut mit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu laufen beginnt.
69Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.; a. A. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 ‑ A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff., und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28; Funke- Kaiser, in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rn. 227 f.
70Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Damit wird aber weder eine aufschiebende Wirkung der Klage begründet noch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, sondern lediglich vorübergehend die Vollziehung der Überstellungsentscheidung durch die Ausländerbehörde gehemmt. Die Anordnung eines Vollziehungshindernisses durch den nationalen Gesetzgeber kann ferner deshalb nicht mit der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung durch gerichtlichen Eilbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichgesetzt werden, weil dies den unmittelbar geltenden Vorgaben der Dublin II-VO zuwider liefe. Wie bereits ausgeführt, verankert Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, ferner das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen, konkret-individuellen Anordnung. Dem liegt der Beschleunigungsgedanke zugrunde, der auch Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ist. Im Übrigen beruht der Umstand, dass aufgrund des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG bei Stellung eines Eilantrags der Ausländerbehörde nicht die vollen sechs Monate für die Organisation der Überstellung zur Verfügung stehen mögen, sondern diese sich um die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens verkürzen können, auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die Dublin II-VO anwendbar war. Die Vorgabe des Art. 27 Abs. 3 lit. c Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Überstellung auszusetzen ist, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ihrer Durchführung ergangen ist, ist erst ab dem 1. Januar 2014 anwendbar.
71Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.
72(3) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Verwaltungsgericht im (zweiten) Eilverfahren mit Beschluss vom 24. März 2014 -13 L 644/14.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, die Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen. Dies war auch der Grund für die stattgebende Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts.
73Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stehen die beiden Alternativen des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird.
74Dies ergibt sich nicht nur aus dem oben dargelegten Normgefüge des Art. 19 Abs. 2 und 3 Dublin II-VO, sondern vor allem aus der in Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist am 17. März 2014 die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den „zuständigen“ Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
752. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
76Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
77a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
78Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 - 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
79Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
80Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
81Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
82Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
83Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
84Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
85Insbesondere die Fristbestimmungen dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zügigen Überstellung an diesen. Zwar liegt dieser Beschleunigungszweck nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
86Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
87Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
88Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
89Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
90Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
91Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen gilt dies aber nicht für Art. 19 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO. Allein der Beschleunigungszweck rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – nicht die Annahme, diese Vorschriften seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
92b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
93aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
94Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
95Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
96Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
97Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
98Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
99Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
100Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
101Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
102Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
103Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
104Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
105bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
106Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
107Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarecht-lichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
108Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
109vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
110begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
111Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
112Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
113Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
114Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
115Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
116Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
117Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
118Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
119Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
120Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
121c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
122aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
123Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
124Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
125Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
126Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
127Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
128Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
129Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
130Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
131Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 17. September 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
132bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
133Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
134Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
135Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
136So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
137Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
138Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
139Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
140Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
141So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
142Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 17. September 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat auf mehrfache gerichtliche Anfrage mit Schriftsatz vom 13. August 2015 lediglich ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ablehnten. Der Zusatz, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren. Zuletzt hat das Bundesamt mit Schriftsatz vom 27. August 2015 mitgeteilt, dass derzeit konkrete Anhaltspunkte weder dafür, dass Spanien trotz zwischenzeit-lichen Ablaufs der Überstellungsfrist seine Zuständigkeit bejaht hätte, noch dafür vorlägen, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
143d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
144Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
145Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
146Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
147Auch das Argument des Verwaltungsgerichts, § 242 BGB schließe eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang aus, weil der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können, überzeugt nicht. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
148So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
149Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1503. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
151Es ist schon nicht ersichtlich, dass ein Zweitantrag vorliegt. Aus den dem Gericht vorliegenden Akten ergibt sich nur, dass der Kläger in Spanien zweimal erkennungsdienstlich behandelt worden ist, nicht aber, dass er einen Asylantrag gestellt hat.
152Abgesehen davon kommt ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
153Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 - 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
154Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 4. Oktober 2013 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
155Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, Rn. 29, juris.
156Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
157Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
158II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
159C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
160Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
161Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich aber nach der in weiten Teilen übereinstim-menden Dublin III-VO in gleicher Weise.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Oktober 2013 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2012 nach Melilla in Spanien, wo er am 25. Oktober 2012 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Am 14. Januar 2013 beantragte er unter dem Namen U. E. in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Den Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch Bescheid vom 13. März 2013 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Die Überstellung erfolgte am 10. April 2013.
3Am 3. Juni 2013 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 7. Juni 2013 – unter dem im Rubrum angegebenen Namen – Asyl. Ausweislich seiner eigenen Mitteilung und der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013 war der Kläger zuvor in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden. Das Bundesamt richtete am 29. August 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
4Durch Bescheid vom 4. Oktober 2013 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund der dort erfolgten illegalen Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
5Am 25. Oktober 2013 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage erhoben.
6Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 abgelehnt (13 L 2168/13.A). Auf den weiteren, unter dem 18. März 2014 gestellten Antrag des Klägers gemäß § 80 Abs. 7 VwGO ordnete das Verwaltungsgericht Düsseldorf durch Beschluss vom 24. März 2014 (13 L 644/14.A) mit der Begründung die aufschiebende Wirkung an, die sechsmonatige Überstellungsfrist sei abgelaufen.
7Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: In Spanien werde kein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt. Ihm sei dort die Asylantragstellung verweigert worden. Zudem sei die Überstellungsfrist abgelaufen. Hierauf könne er sich auch berufen. Ihm werde sein Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens abgesprochen, hielte sich Spanien im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr für zuständig. Ob die spanischen Behörden sich noch an ihre Zustimmung gebunden fühlten, sei völlig offen.
8Der Kläger hat beantragt,
9den Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 aufzuheben.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass die Überstellungsfrist mit der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vom 7. Januar 2014 neu zu laufen begonnen habe bzw. auf Grund des gemäß § 80 Abs. 7 VwGO erlassenen Eilbeschlusses vom 24. März 2014 bis zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens ausgesetzt sei.
13Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. September 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die zulässige, insbesondere statthafte Anfechtungsklage sei unbegründet. Nach den anwendbaren Vorschriften der Dublin II-VO sei Spanien für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig. Die Zuständigkeit sei nicht nach Maßgabe der Art. 16 ff. Dublin II-VO auf Deutschland übergegangen. Die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Uabs. 1 Dublin II-VO sei noch nicht abgelaufen. Weil durch Beschluss vom 24. März 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden sei, beginne sie erst zu laufen, nachdem das Gericht in der Hauptsache entschieden habe. Selbst wenn man auf die Sechsmonatsfrist ab Annahme des Aufnahmegesuchs abstelle, könne sich der Kläger hierauf jedenfalls nicht berufen. Ein Verstoß gegen die Fristenregelungen der Dublin II-VO verletze nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts keine subjektiven Rechte der Asylbewerber. Zudem sei es dem Asylbewerber unbenommen, sich freiwillig beim anderen Mitgliedstaat zu melden, weil die Überstellung auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen könne. Habe er es selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolge und dass sie erfolge, könne er sich nach § 242 BGB nicht auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland berufen. Es bestehe auch keine Verpflichtung der Beklagten, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Von einer unangemessenen Verfahrensdauer könne nicht ausgegangen werden. Es lägen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestünden.
14Mit Beschlüssen vom 15. Dezember 2014 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und auf Antrag des Klägers die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 4. Oktober 2013 angeordnet (11 B 1338/14.A).
15Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Überstellungsfrist von sechs Monaten ab der Zustimmung Spaniens zum Übernahmeersuchen am 17. September 2013 sei am 17. März 2014 abgelaufen. Durch die Stattgabe des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO habe die bereits abgelaufene Überstellungsfrist nicht wieder neu zu laufen begonnen. Aus der Dublin II-VO ergebe sich keine Rechtsgrundlage, wonach eine Rückübertragung der Zuständigkeit auf Spanien erfolgen könne. Der Kläger könne sich auch auf den Ablauf der Frist berufen. Die EuGH-Entscheidung Abdullahi beziehe sich lediglich auf die Anwendung der in Kapitel III der Dublin II-VO genannten Zuständigkeitskriterien, nicht jedoch auf den nachfolgend geregelten Ablauf der Überstellungsfrist und die dies mit Sanktionscharakter ausfüllenden Vorschriften des Kapitels V der Verordnung. Bestehe keine Übernahmebereitschaft Spaniens, wäre dem Kläger das unstreitig bestehende subjektive Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren genommen, könnte er sich nicht auf den Fristablauf berufen. Zudem räume die Dublin II-VO zumindest in bestimmten Punkten, etwa der Mitteilung von Daten, subjektive Rechte ein. Eine Beschränkung der Einwände des Asylbewerbers auf die Prüfung systemischer Mängel in einem Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen könne nur dann angenommen werden, wenn de facto ein anderer Mitgliedstaat im Zeitpunkt dieser Prüfung eigentlich noch zuständig wäre. Sei Deutschland wegen Fristablaufs zuständig, ergebe sich aus Art. 16a GG bzw. dem Asylverfahrensgesetz ein einklagbarer Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens.
16Der Kläger beantragt,
17das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Asylbewerber könnten sich nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang nach den Art. 16 ff. Dublin II-VO berufen. Ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO zuständige Mitgliedstaat sei oder ob durch Zeitablauf Deutschland zuständig geworden sei. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Spanien eine Überstellung bereits endgültig abgelehnt habe. Zwar lehnten die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ab, jedoch könne im besonderen Einzelfall durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
24A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
25Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2013, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
26Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
27Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
28Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
29Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
30Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
31Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
32Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
33Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
34Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
35Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
37Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
39B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
40I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
411. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 7. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
42Denn hier lagen auch das Aufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
43Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
44Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
45a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
46aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
47bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen. Danach endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
48Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO greift nur dann ein, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist.
49Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47.
50Diese Auslegung ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, wonach bei der Bestimmung des nach den in Kapitel III bestimmten Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Das geschah hier am 14. Januar 2013 (mit einem Alias-Namen) sowie nach erneuter Einreise nach Deutschland von Spanien aus am 7. Juni 2013 und damit innerhalb der Jahresfrist seit der erstmaligen illegalen Einreise nach Spanien im Oktober 2012.
51Selbst wenn man aber nicht auf den Asylantrag, sondern auf den spätesten Zeitpunkt des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens, den Abschluss durch die Aufnahmeerklärung Spaniens am 17. September 2013, abstellt, waren zwölf Monate nicht verstrichen. Ein noch späterer Zeitpunkt kommt hingegen nicht in Betracht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gilt die in Kapitel III der Verordnung normierte Frist nur für das in diesem Kapitel geregelte Zuständigkeitsbestimmungsverfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑) Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland – abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen – die im Kapitel V in Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO geregelte Mitteilung an den Asylbewerber gehört nicht dazu – kann die Zuständigkeit hingegen nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
52b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
53aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO. Danach gilt: Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig. Das Bundesamt hat hier gemäß Art. 17 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin II-VO innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags Spanien ersucht, den Kläger aufzunehmen. Der Kläger hat am 7. Juni 2013 Asyl beantragt, das Aufnahmeersuchen datiert vom 29. August 2013.
54bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
55(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO ist am 17. März 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 - fristgerecht innerhalb von zwei Monaten (vgl. Art. 18 Abs. 1, 7 Dublin II-VO) - ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Aufnahme des Klägers an. Da die Überstellung binnen dieser Frist nicht durchgeführt worden ist, ist die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf die Beklagte als den Staat übergegangen, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Fristverlängerungen nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO scheiden hier aus.
56(2) Die Überstellungsfrist verlängert sich nicht um die Dauer des erfolglosen ersten gerichtlichen Eilverfahrens und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz führt auch nicht zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht. Der Antrag des Klägers vom 25. Oktober 2013, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 - 13 L 2168/13.A - abgelehnt. Das erfolglose Eilverfahren wirkt sich auf die Dauer der Überstellungsfrist nicht aus.
57Die Dublin II-VO sieht weder eine Unterbrechung oder Hemmung (§ 209 BGB entsprechend),
58so VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris,
59noch, wovon das Bundesamt ausgeht, einen Neubeginn der Frist in solchen Fällen vor. Dies lässt sich ihr auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen.
60Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO bestimmt eine Frist von sechs Monaten ab Annahme des Aufnahmegesuchs. Nur wenn ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, gilt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO eine abweichende Frist von sechs Monaten ab der Entscheidung über diesen Rechtsbehelf. Entscheidung über den Rechtsbehelf in diesem Sinne ist aber nicht der Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, sondern – die Fortdauer der Aussetzung der Vollziehung vorausgesetzt – die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren.
61Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53 ff., Beschlüsse vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, juris, Rn. 5 und vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, AuAS 2014, 237 = juris, Rn. 5.
62Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Rechtsbehelf selbst muss aufschiebende Wirkung zukommen. Dies trifft - auch nach dem Unionsrecht - nur auf einen Rechtsbehelf zu, mit dem über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und ihren Bestand (abschließend) entschieden wird. Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht die Aufhebung der behördlichen Entscheidung, sondern nur die Aussetzung des Vollzugs erreicht werden. Zudem vermag nicht die Antragstellung, sondern nur die stattgebende gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung herbeizuführen, deren Endpunkt die Hauptsacheentscheidung ist.
63Diese Überlegungen werden durch die Systematik der Dublin II-VO bestätigt. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist die Entscheidung des Beklagten nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II-VO kann gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Dass dies allein die Klage, nicht aber der Antrag auf Aussetzung sein kann, zeigt vor allem Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO. Danach hat der gegen die Überstellungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. An diese Vorgaben, die der Sache nach zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren trennen, knüpft der folgende Absatz 3 des Art. 19 Dublin II-VO an, indem er die Frist nur dann erst mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf beginnen lässt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wenn er also - so lässt sich mit Blick auf Absatz 2 präzisieren - im Einzelfall aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts aufschiebende Wirkung hat. Dem entspricht das nationale Recht. Ein Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach § 80 Abs. 1 VwGO - neben dem Widerspruch - nur die Klage. Die Klage gegen die Überstellungsentscheidung des Bundesamts hat - unionsrechtskonform - aber nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, diese wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September 2013 gültigen Fassung im Einzelfall durch das Gericht angeordnet.
64Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 7 ff.
65Bei dieser Ausgangslage rechtfertigt allein der Sinn und Zweck der Überstellungsfrist, den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, um die (technischen) Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln, wofür grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen,
66vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 ‑ Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495,
67keine andere Auslegung des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO.
68Auch § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG führt jedenfalls bei der Dublin II-VO nicht dazu, dass der Lauf der Überstellungsfrist gehemmt wird oder diese erst oder erneut mit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu laufen beginnt.
69Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.; a. A. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 ‑ A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff., und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28; Funke- Kaiser, in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rn. 227 f.
70Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Damit wird aber weder eine aufschiebende Wirkung der Klage begründet noch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, sondern lediglich vorübergehend die Vollziehung der Überstellungsentscheidung durch die Ausländerbehörde gehemmt. Die Anordnung eines Vollziehungshindernisses durch den nationalen Gesetzgeber kann ferner deshalb nicht mit der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung durch gerichtlichen Eilbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichgesetzt werden, weil dies den unmittelbar geltenden Vorgaben der Dublin II-VO zuwider liefe. Wie bereits ausgeführt, verankert Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, ferner das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen, konkret-individuellen Anordnung. Dem liegt der Beschleunigungsgedanke zugrunde, der auch Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ist. Im Übrigen beruht der Umstand, dass aufgrund des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG bei Stellung eines Eilantrags der Ausländerbehörde nicht die vollen sechs Monate für die Organisation der Überstellung zur Verfügung stehen mögen, sondern diese sich um die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens verkürzen können, auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die Dublin II-VO anwendbar war. Die Vorgabe des Art. 27 Abs. 3 lit. c Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Überstellung auszusetzen ist, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ihrer Durchführung ergangen ist, ist erst ab dem 1. Januar 2014 anwendbar.
71Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.
72(3) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Verwaltungsgericht im (zweiten) Eilverfahren mit Beschluss vom 24. März 2014 -13 L 644/14.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, die Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen. Dies war auch der Grund für die stattgebende Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts.
73Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stehen die beiden Alternativen des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird.
74Dies ergibt sich nicht nur aus dem oben dargelegten Normgefüge des Art. 19 Abs. 2 und 3 Dublin II-VO, sondern vor allem aus der in Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist am 17. März 2014 die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den „zuständigen“ Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
752. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
76Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
77a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
78Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 - 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
79Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
80Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
81Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
82Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
83Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
84Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
85Insbesondere die Fristbestimmungen dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zügigen Überstellung an diesen. Zwar liegt dieser Beschleunigungszweck nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
86Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
87Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
88Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
89Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
90Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
91Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen gilt dies aber nicht für Art. 19 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO. Allein der Beschleunigungszweck rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – nicht die Annahme, diese Vorschriften seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
92b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
93aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
94Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
95Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
96Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
97Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
98Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
99Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
100Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
101Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
102Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
103Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
104Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
105bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
106Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
107Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarecht-lichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
108Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
109vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
110begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
111Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
112Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
113Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
114Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
115Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
116Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
117Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
118Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
119Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
120Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
121c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
122aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
123Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
124Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
125Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
126Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
127Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
128Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
129Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
130Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
131Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 17. September 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
132bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
133Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
134Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
135Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
136So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
137Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
138Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
139Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
140Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
141So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
142Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 17. September 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat auf mehrfache gerichtliche Anfrage mit Schriftsatz vom 13. August 2015 lediglich ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ablehnten. Der Zusatz, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren. Zuletzt hat das Bundesamt mit Schriftsatz vom 27. August 2015 mitgeteilt, dass derzeit konkrete Anhaltspunkte weder dafür, dass Spanien trotz zwischenzeit-lichen Ablaufs der Überstellungsfrist seine Zuständigkeit bejaht hätte, noch dafür vorlägen, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
143d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
144Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
145Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
146Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
147Auch das Argument des Verwaltungsgerichts, § 242 BGB schließe eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang aus, weil der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können, überzeugt nicht. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
148So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
149Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1503. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
151Es ist schon nicht ersichtlich, dass ein Zweitantrag vorliegt. Aus den dem Gericht vorliegenden Akten ergibt sich nur, dass der Kläger in Spanien zweimal erkennungsdienstlich behandelt worden ist, nicht aber, dass er einen Asylantrag gestellt hat.
152Abgesehen davon kommt ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
153Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 - 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
154Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 4. Oktober 2013 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
155Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, Rn. 29, juris.
156Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
157Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
158II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
159C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
160Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
161Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich aber nach der in weiten Teilen übereinstim-menden Dublin III-VO in gleicher Weise.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. März 2014 wird aufgehoben, soweit in Ziffer 1 das Verfahren auch bezüglich des Antrags der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG eingestellt wurde und soweit in Ziffer 2 die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
1
Tatbestand:
2Die Kläger zu 1) und 2) sind die Eltern der am 0.00.2010 geborenen Klägerin zu 3). Sie meldeten sich am 13. Januar 2014 bei der zentralen Ausländerbehörde E. als Asylsuchende. Am 17. Januar 2014 nahm die Außenstelle E. des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ihren Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zur Niederschrift auf. Hierbei gaben die Kläger an, iranische Staatsangehörige christlichen Glaubens zu sein. Am gleichen Tag teilten sie im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens mit: Sie seien am 19. November 2013 mit dem Reisebus in Richtung Istanbul aus dem Iran ausgereist. Nach einem 40-tägigen Aufenthalt in der Türkei seien sie am 31. Dezember 2013 mit dem Flugzeug nach Deutschland eingereist. Personalpapiere oder andere Dokumente über ihre Person könnten sie nicht vorlegen.
3Ausweislich einer zum Verwaltungsvorgang des Bundesamtes genommenen Auskunft vom 17. Januar 2014 aus dem VIS-Datenbestand war den Klägern zu 1) und 2) am 27. November 2013 durch die französische Botschaft in Teheran jeweils ein Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt erteilt worden, und zwar mit Gültigkeit vom 30. November 2013 bis zum 25. Dezember 2013.
4Am 13. Februar 2014 stellte das Bundesamt bezüglich aller Kläger ein Übernahmeersuchen an die Republik Frankreich. Mit Schreiben vom gleichen Tag unterrichtete das Bundesamt die Kläger über die Einleitung eines Dublin-Verfahrens nach Frankreich und gab ihnen Gelegenheit, sich innerhalb von zwei Wochen zu den Gründen zu äußern, die gegen ihre Überstellung nach Frankreich sprächen. Mit Schreiben vom 28. Februar 2014, beim Bundesamt eingegangen am 4. März 2014, bestellte sich die Prozessbevollmächtigte unter Vorlage schriftlicher Vollmachten für die Kläger und erklärte, die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft würden zurückgenommen, aufrechterhalten würden lediglich die Anträge auf Gewährung subsidiären Schutzes.
5Die Republik Frankreich stimmte mit Schreiben vom 13. März 2014 der Aufnahme der Kläger gemäß Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO) zu.
6Mit Bescheid vom 25. März 2014 stellte das Bundesamt fest, dass die Asylverfahren der Kläger eingestellt sind (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung der Kläger nach Frankreich an (Ziffer 2). Zur Begründung wird ausgeführt, dass in Anbetracht der Rücknahme der Asylanträge gemäß § 32 S. 1, 1. HS AsylVfG festzustellen sei, dass die Asylverfahren eingestellt sind. Die Rücknahme beseitige indes nicht die Regelungswirkung der Dublin-III-VO in Bezug auf den zuständigen Mitgliedstaat. Die Zuständigkeit gelte seit der Asylantragstellung in Deutschland. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die zur Ausübung eines Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO führen könnten, seien nicht ersichtlich. Von einer Prüfung des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sei abzusehen, da eine Überstellung in das Herkunftsland nicht beabsichtigt sei. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft; Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Frankreich als zuständigem Mitgliedstaat innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Dublin-III-VO festgesetzten Fristen durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Frankreich beruhe auf § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG.
7Der an die Kläger adressierte Bescheid ist ausweislich eines Aktenvermerks am 26. März 2014 als Einschreiben zur Post gegeben worden. Mit Schreiben vom 26. März 2014 wurde ferner der Prozessbevollmächtigten der Kläger eine Kopie des Bescheides übersandt.
8Die Kläger haben am 1. April 2014 Klage erhoben und in Bezug auf Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Zur Begründung geben sie an, es lägen außergewöhnliche humanitäre Gründe vor, die die Beklagte zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts verpflichteten, jedenfalls aber zu einer ermessensfehlerfreien Entscheidung, die mit dem streitgegenständlichen Bescheid nicht erfolgt sei. Der Kläger zu 1) habe zwei Cousinen, die in Nordrhein-Westfalen lebten. Diese hätten sich seit dem Eintreffen der Kläger in Deutschland um diese gekümmert. Die Kläger seien durch die ihnen widerfahrenen Erlebnisse im Iran traumatisiert und hätten lediglich Halt aufgrund der Anwesenheit der Verwandtschaft in Deutschland gefunden. Sie hätten für ihre Ausreise aus dem Iran die Hilfe eines Schleppers in Anspruch genommen. Dieser habe ihnen unter Vorlage falscher Unterlagen einen Termin bei einer Botschaft verschafft, wo sie lediglich einmal ihre Fingerabdrücke hätten abgeben müssen. Ihnen sei bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal sicher bekannt gewesen, dass die in ihren Pässen angebrachten Visa tatsächlich echt seien. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sie von Frankreich aus in den Iran abgeschoben würden. Wegen der hohen Zahl der Asylbewerber sei nicht sichergestellt, dass Frankreich für die Kläger eine zumutbare Wohnung zur Verfügung stellen und somit die Mindeststandards einhalten könne.
9Mit Beschluss vom 7. Mai 2014 hat das Gericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt (22 L 791/14.A).
10Am 7. August 2014 haben die Kläger beantragt, unter Abänderung des Beschlusses vom 7. Mai 2014 nunmehr die aufschiebende Wirkung der Klage in Bezug auf Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes anzuordnen. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Die Kläger zu 1) und 2) befänden sich aufgrund ihres psychischen Zustandes bereits seit einiger Zeit in neurologischer Behandlung. Dennoch sei am 31. Juli 2014 ein unangekündigter Abschiebeversuch unternommen worden. Die Abschiebemaßnahme sei abgebrochen worden, als die Klägerin zu 3) auf der Fahrt zum Flughafen kollabiert sei und sich im Polizeiauto übergeben habe. Durch diese Abschiebemaßnahme habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) derart verschlechtert, dass sie am 2. August 2014 stationär in die Klinik des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) eingewiesen worden sei. Zum Beleg haben die Kläger mehrere ärztliche Bescheinigungen vorgelegt, darunter Bescheinigungen des LVR-Klinikums E1. , Abteilung für allgemeine Psychiatrie II vom 6. August 2014 und vom 22. August 2014, ausweislich derer sich die Klägerin zu 2) seit dem 2. August 2014 aufgrund der Schwere ihrer psychischen Erkrankung mit akuter Suizidalität bis auf weiteres in stationärer Behandlung befinde und aufgrund ihrer instabilen psychopathologischen Verfassung sowie konkreten Suizidgefährdung bis auf weiteres reiseunfähig sei.
11Mit Beschluss vom 15. September 2014 hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in Abänderung des Beschlusses vom 7. Mai 2014 – 22 L 791/14. A – angeordnet (22 L 1814/14. A).
12Im Klageverfahren haben die Kläger weitere ärztliche Bescheinigungen zum Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) vorgelegt und schriftsätzlich beantragt, die behandelnden Ärzte Dr. N. und Dr. U. als Zeugen zu vernehmen zum Beweis der aus den ärztlichen Attesten hervorgehenden, eine Reiseunfähigkeit begründenden Krankheiten der Klägerin zu 2). Ferner haben die Kläger beantragt, zum Beweis ebendieser Tatsachen ein Sachverständigengutachten einzuholen. Schließlich verweisen die Kläger darauf, dass die in Art. 29 Dublin-III-VO bestimmte Frist zur Überstellung der Kläger nach Frankreich bereits abgelaufen sei.
13Die Kläger beantragen,
14den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. März 2014 aufzuheben, soweit in Ziffer 1 das Verfahren auch bezüglich des Antrags der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG eingestellt wurde und soweit in Ziffer 2 die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde.
15Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
18Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der dazu beigezogenen Gerichtsakten 22 L 791/14.A und 22 L 1814/14.A und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie der Ausländerbehörde des Kreises L. Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten zum Termin der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, da die Beteiligten hierauf in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen wurden, § 102 Abs. 1 und 2 VwGO.
21Die Klage ist zulässig (nachfolgend I.) und begründet (nachfolgend II.).
22I. Die Klage ist zulässig.
23Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO statthaft. Die isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelungen führt auf die weitere Prüfung der Anträge der Kläger auf Zuerkennung subsidiären Schutzes durch die Beklagte und damit zu dem erstrebten Rechtsschutzziel. Denn mit der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides in dem angefochtenen Umfang werden die Verwaltungsverfahren in den Verfahrensstand zurückversetzt, in dem sie vor Erlass der streitgegenständlichen Regelungen waren. Das Bundesamt ist im Falle einer Aufhebung des Bescheides gemäß §§ 24, 31 AsylVfG gesetzlich verpflichtet, die Asylverfahren weiterzuführen. Das Bundesamt hat sich in dem vorliegenden Fall lediglich mit der – einer materiellen Prüfung der Asylanträge vorgelagerten – Frage befasst, in welchem Umfang die Asylverfahren eingestellt werden und welcher Staat nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Prüfung der verbleibenden Schutzgesuche zuständig ist. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung der Asylbegehren beseitigt und die Asylverfahren sind in dem Stadium, in dem sie zu Unrecht beendet worden sind, durch das Bundesamt weiterzuführen.
24Vgl. zu Entscheidungen nach § 27a AsylVfG: OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rdn. 28 ff.; zu Entscheidungen nach §§ 32, 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rdn. 15 ff.
25Die Kläger sind auch klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Aus ihrem Vorbringen lässt sich herleiten, dass sie – sollte sich der Bescheid in dem angefochtenen Umfang als objektiv rechtswidrig erweisen – möglicherweise in eigenen Rechten verletzt sind. Denn die angefochtenen Regelungen belasten die Kläger in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht aus §§ 4, 24, 31 AsylVfG auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch das Bundesamt.
26Ob und gegebenenfalls inwieweit dieses Recht durch Unionsrecht, namentlich die Dublin-III-VO, beschränkt wird, bedarf hier keiner weiteren Prüfung, da eine Rechtsverletzung zumindest möglich erscheint.
27Die Kläger haben die Klage auch fristgerecht im Sinne von § 74 Abs. 1 AsylVfG, nämlich innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides, erhoben. Die Klagefrist begann mit der wirksamen Bekanntgabe des Bescheides am 29. März 2014. Der Bescheid wurde den Klägern (wie von § 31 Abs. 1 S. 4 AsylVfG vorausgesetzt) persönlich zugestellt, und zwar gemäß § 4 Abs. 1 VwZG durch die Post mittels Einschreiben durch Übergabe oder Einschreiben mit Rückschein. Damit wurde der Bescheid zugleich gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG wirksam bekanntgegeben. Gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG gilt das Dokument am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, es ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen. Angesichts der Tatsache, dass der Bescheid ausweislich des Verwaltungsvorgangs am 26. März 2014 als Einschreiben zur Post aufgegeben wurde, gilt er gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 VwZG am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, mithin am 29. März 2014 als zugestellt. Die Kläger haben nicht vorgetragen, dass ihnen der Bescheid nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Die am 29. März 2014 begonnene Klagefrist war bei Klageerhebung am 1. April 2014 noch nicht abgelaufen.
28II. Die Klage ist begründet. In dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG) ist der Bescheid des Bundesamtes vom 25. März 2014 in dem Umfang, in dem er angefochten ist, rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Dies gilt sowohl für Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides, soweit darin die Asylverfahren der Kläger auch insoweit eingestellt wurden, als diese die Zuerkennung subsidiären Schutzes begehren (nachfolgend 1.), als auch für Ziffer 2 des Bescheides, mit der die Abschiebung der Kläger nach Frankreich angeordnet wurde (nachfolgend 2.).
291. Die Feststellung der Einstellung der Asylverfahren auch insoweit, als die Kläger die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG begehren, findet ihre Rechtsgrundlage nicht in der hier allein als Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommenden Regelung des § 32 S. 1, 1. Hs., 1. Alt. AsylVfG. Nach dieser Norm stellt das Bundesamt im Falle der Antragsrücknahme in seiner Entscheidung fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist. Diese Voraussetzungen liegen hier hinsichtlich des Antrages der Kläger auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG nicht vor. Die Kläger hatten mit anwaltlichem Schreiben vom 28. Februar 2014 ihre ursprünglich auf die Anerkennung als Asylberechtigte im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG sowie auf Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG insgesamt gerichteten Asylanträge nur teilweise zurückgenommen, nämlich in Bezug auf die Anerkennung als Asylberechtigte und die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention). Aufrechterhalten haben sie hingegen ihre Anträge auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), § 4 AsylVfG. Durch die rechtswidrige Einstellung ihrer Antragsverfahren auf Zuerkennung subsidiären Schutzes werden die Kläger in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch das Bundesamt gemäß §§ 4, 24, 31 AsylVfG verletzt.
302. Die Abschiebungsanordnung nach Frankreich in Ziffer 2 des Bescheides ist ebenfalls rechtswidrig. Sie lässt sich nicht auf die allein in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage des § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG stützen. Danach ordnet das Bundesamt in den Fällen, in denen der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
31Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob eine Abschiebungsanordnung nach dieser Norm überhaupt ergehen kann, wenn das Bundesamt – wie hier, wenn auch zu Unrecht – die Asylverfahren insgesamt gemäß § 32 S. 1, 1. Hs., 1. Alt. AsylVfG eingestellt hat. Denn jedenfalls ist Frankreich weder ein sicherer Drittstaat, aus dem die Kläger nach Deutschland eingereist sind (§ 26a AsylVfG) noch ist Frankreich für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig (§ 27a AsylVfG).
32Die Voraussetzungen des § 26a AsylVfG sind
33– unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit dieser Norm im Anwendungsbereich derDublin-III-VO –
34schon deshalb nicht erfüllt, weil die Kläger nach eigenen Angaben aus der Türkei kommend auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist sind und auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für einen Aufenthalt in oder eine Durchreise durch Frankreich vorliegen.
35Auch die Voraussetzungen des § 27a AsylVfG sind nicht erfüllt. Die Republik Frankreich ist nicht auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung der Asylverfahren der Kläger zuständig.
36Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Dublin-III-VO. Diese findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO auf alle in Deutschland ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, mithin auch auf die im Januar 2014 gestellten Schutzgesuche der Kläger.
37Die Zuständigkeit Frankreichs für die Prüfung der Asylanträge der Kläger dürfte zwar zunächst nach Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO begründet worden sein. Die Republik Frankreich hat das an sie gerichtete Übernahmeersuchen der Beklagten vom 13. Februar 2014 auch am 13. März 2014 auf dieser Rechtsgrundlage akzeptiert. Die Zuständigkeit ist jedoch mittlerweile auf die Beklagte übergegangen. Dies folgt aus Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO. Danach ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO genannten Frist von sechs Monaten, die unter bestimmten Voraussetzungen auf höchstens 18 Monate verlängert werden kann, durchgeführt wird.
38Im vorliegenden Fall ist die Überstellung nicht in diesem Sinne fristgemäß erfolgt. Die sechsmonatige Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung hat. Die Frist begann nach diesen Maßstäben hier mit der Annahme des Übernahmeersuchens durch die Republik Frankreich am 13. März 2014.
39Die Frist zur Überstellung der Kläger nach Frankreich wurde nicht durch den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vom 1. April 2014 (22 L 791/14.A) für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens, hier also bis zum ablehnenden Eilbeschluss vom 7. Mai 2014, unterbrochen oder gehemmt,
40vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014, - 13 A 1347/14.A -, juris, Rdn. 5 ff. m.w.N..
41Auch lagen keine Gründe für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin-III-VO vor. Die sechsmonatige Frist endete nach alledem mit Ablauf des 13. September 2014.
42Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zur Folge, dass der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Die Zuständigkeit für die Prüfung der Anträge der Kläger auf Gewährung subsidiären Schutzes ist damit auf die Beklagte übergegangen.
43Die Kläger können sich im vorliegenden Klageverfahren auch auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte berufen.
44A.A. VGH BW, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rdn. 59 (soweit eine Überstellung in den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist); Nds.OVG, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 ‑, juris, Rdn. 9 ff (ohne Einschränkung); HessVGH, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 976/14.A ‑, juris, Rdn. 15 (obiter dictum); VG Düsseldorf , Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 43; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 102. Ergänzungslieferung, November 2014, § 27a, Rdn. 234, 196.1 (mit Ausnahmen); Hailbronner, Ausländerrecht, 88. Ergänzungslieferung, Oktober 2014, § 27a AsylVfG, Rdn. 20 ff.; Günther, in: Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 5. Edition, Stand: 1. September 2014, § 27a AsylVfG Rdn. 29 ff.; offen gelassen: OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 ‑ 14 A 1943/11.A ‑, juris, Rdn. 24 (das Vorabentscheidungsverfahren bei EuGH, Rs. C-666/11 endete ohne Sachentscheidung nach Rücknahme des Ersuchens wegen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache beim OVG NRW); vgl. ferner zum Ablauf der Frist zur Stellung des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchens: VGH BW, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris; Rdn. 25, 27 (bei zeitnaher Überstellung); OVG RhPf, Urteil vom 21. Februar 2014 ‑ 10 A 10656/13 ‑, juris, Rdn. 33.
45Die Kläger haben gemäß §§ 24, 31 AsylVfG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Diese darf auf der Rechtsgrundlage der §§ 27a, 34a AsylVfG die weitere Prüfung eines Asylantrages nur dann ablehnen und eine Abschiebungsanordnung in einen anderen Mitgliedstaat erlassen, wenn dieser andere Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig. Zugleich verletzt der objektiv rechtswidrige Verwaltungsakt das subjektiv-öffentliche Recht der Kläger aus §§ 24, 31 AsylVfG, und zwar unabhängig vom Schutzzweck der Norm, deren Verletzung zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führt. Der Individualschutzzweck von Normen ist nur für diejenigen von Bedeutung, die keine materielle Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung durch den angefochtenen Verwaltungsakt dartun können.
46Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 45 Rdn. 126.
47Die Kläger hingegen werden durch Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides in ihrer Rechtstellung aus §§ 24, 31 AsylVfG materiell beeinträchtigt, wenn die Beklagte die Prüfung der Schutzgesuche mit Verweis auf die Zuständigkeit eines anderen Staates ablehnt, obwohl ihre Zuständigkeit nach den Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung objektiv begründet ist.
48Dem nach nationalem Recht bestehenden subjektiv-öffentlichen Recht der Kläger auf Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die nach der Dublin-III-VO objektiv hierfür zuständige Beklagte steht auch der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht entgegen. Denn es liegt schon keine Kollision des nationalen Rechts mit der gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV vorrangig anzuwendenden Dublin-III-VO vor.
49Die Zuständigkeitsregelungen in der Dublin-III-VO begründen unmittelbare Rechte der betroffenen Ausländer auf Beachtung dieser Regelungen durch alle Behörden der Mitgliedstaaten. Dies folgt schon aus der Rechtsnatur der Dublin-III-VO. Diese gilt (wie alle EU-Verordnungen) gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Diese unmittelbare Geltung bedeutet, dass die Verordnungen nicht nur für die Mitgliedstaaten (untereinander) gelten, sondern in den Mitgliedstaaten,
50Ulrich Haltern, Europarecht, Tübingen 2005, S. 284 (Hervorhebung im Original).
51Hierin unterscheidet sich das Unionsrecht gerade von Völkervertragsrecht, mit dem sich lediglich die Vertragsstaaten untereinander binden. Das Unionsrecht ist eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Unionsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen,
52EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963, Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 25.
53Die Dublin-III-VO regelt damit schon aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht nur Verpflichtungen der Mitgliedstaaten untereinander, sondern auch unmittelbar die Rechtsstellung jedes einzelnen Normunterworfenen, das heißt auch der Drittstaatsangehörigen, auf die die Dublin-III-VO Anwendung findet.
54Der Dublin-III-VO kann auch nicht entnommen werden, dass in Bezug auf die dort geregelten Zuständigkeitsbestimmungen ausnahmsweise etwas anderes gelten sollte, insbesondere ein Asylbewerber, der für die Prüfung seines Asylantrages an einen anderen Mitgliedstaat verwiesen wird, einen hierin liegenden objektiven Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmungen der Verordnung nicht oder nur unter bestimmten Umständen rügen kann.
55Dies unter Verweis auf den Zweck der Dublin-II-VO erwägend und im Ergebnis ein subjektiv-öffentliches Recht des Ausländers aus der Ermessensvorschrift des Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO (Selbsteintrittsrecht) verneinend: Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 58.
56Indem der Unionsgesetzgeber die ursprünglich in einem völkerrechtlichen Vertrag (Dubliner Übereinkommen) vereinbarten Zuständigkeitskriterien für die Prüfung eines Schutzgesuchs ausdifferenziert und in einer EU-Verordnung kodifiziert hat, hat er diese Regelungen zugleich mit den aus Art. 288 Abs. 2 AEUV folgenden Rechtswirkungen ausgestattet. Diese Rechtsqualität der Regelungen steht auch nicht in Widerspruch zu ihrem Sinn und Zweck. Der Unionsgesetzgeber hat die Zuständigkeitsbestimmungen erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrages zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping“ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen,
57EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, C‑394/12 (Abdullahi), Rdn. 53, juris; vgl. auch Schlussanträge des GA Jääskinen vom 18. April 2013 ‑ C‑4/11 ‑, Rdn. 57.
58Diese Ziele werden am effektivsten durch die zuverlässige und gleichmäßige Befolgung der in der Dublin-III-VO geregelten Zuständigkeitskriterien in allen Mitgliedstaaten erreicht. Das „forum shopping“ wird unterbunden, indem einem einzigen Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Prüfung des Schutzgesuches zugeordnet wird; die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Staates wird durch detaillierte Kriterien, die keine Entscheidungsspielräume der Mitgliedstaaten vorsehen, erhöht; die Asylverfahren werden insgesamt beschleunigt, indem das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates verbindlich geltenden kurzen Fristen unterworfen wird.
59Die unmittelbare, auch von den Betroffenen durchsetzbare Rechtswirkung der Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin-III-VO ‑ soweit sie einem Mitgliedstaat die Zuständigkeit ohne Ermessensspielraum zuweisen ‑ widerspricht diesen Zielen nicht, sondern fördert ihre Erreichung. Der Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts („effet utile“) findet eine wesentliche Stütze gerade darin, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar geltendes Unionsrecht berufen kann. Mit Hilfe der Doktrin der unmittelbaren Anwendbarkeit werden die an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Betroffenen zu Wächtern des Unionsrechtssystems erhoben, die dessen effektive Anwendung in den Mitgliedstaaten sichern,
60Vgl. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 49 m.w.N.
61Zum Zweck der effektiven und gleichen Wirkung des Unionsrechts sollen die Einzelnen, soweit es um den staatlichen Vollzug des Unionsrechts geht, eine dezentrale, die Kommission entlastende Vollzugskontrolle vornehmen können,
62vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 44.
63Andernfalls könnte auch Art. 267 AEUV, der zum Zweck der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten das Verfahren zur Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen auf Vorlage nationaler Gerichte vorsieht, seine Wirkung nicht entfalten. Art. 267 AEUV setzt voraus, dass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten auf unmittelbar anwendbares Unionsrecht berufen kann und damit die Frage der Auslegung einer unionsrechtlichen Bestimmung vor dem nationalen Gericht streitentscheidende Bedeutung gewinnt. Der alleinigen Entscheidungskompetenz des EuGH bei der Auslegung des Unionsrechts liefe es zuwider, einer unionsrechtlichen Bestimmung in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht (ohne vorherige Klärung der Rechtsfrage durch den EuGH) mit Verweis auf mangelnde individualschützende Wirkung eine streitentscheidende Bedeutung von vornherein abzusprechen.
64Aufgrund dieser generellen Bedeutung der unmittelbaren, individualrechtsbegründenden Anwendbarkeit des Unionsrechts für die Sicherstellung seiner Effektivität kommt es für die Frage, ob sich der Einzelne auf Unionsrecht berufen kann, auch nicht darauf an, ob eine Vorschrift des Unionsrechts bezweckt, individuelle Rechte zu schaffen. Entscheidend ist vielmehr, ob die sich aus der Vorschrift ergebende Verpflichtung anderer Rechtssubjekte eindeutig ist, weil sie hinreichend klar und unbedingt formuliert ist.
65Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblatt-Kommentar, Band III, EUV/AEUV, Stand September 2014, Art. 288 AEUV Rdn. 46; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Kurz-Kommentar, 2. Aufl., 2012, Art. 288 AEUV, Rdn. 51 m.w.N.
66Dies ist bei Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO der Fall. Die Norm regelt den Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Überstellungsfrist eindeutig, klar und unbedingt, insbesondere sieht sie auch keinen Entscheidungsspielraum einer nationalen Behörde vor.
67Der Annahme, dass sich ein Asylbewerber auf die nach der Dublin-III-Verordnung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung objektiv begründete Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Prüfung seines Schutzgesuches berufen kann, steht auch die Rechtsprechung des EuGH,
68Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi), - C-394/12 -, juris,
69sowie des Bundesverwaltungsgerichts,
70Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rdn. 7 und vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6,
71nicht entgegen.
72Diesen Entscheidungen ist keine Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von (Überstellungs-)Fristen zu entnehmen,
73vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 13 K 471/14.A -, Rdn. 41, juris mit Hinweis auf VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2014 - 13 K 1117/14.A -, Rdn. 54 ff., juris.
74Insbesondere lässt sich eine dahingehende Aussage nicht aus dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz entnehmen, dass der betreffende Ausländer in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat seiner Aufnahme nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat (Mitgliedstaat der ersten Einreise), der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
75Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 (Abdullahi) - C-394/12 -, Rdn. 62, juris,
76Mit diesem Rechtssatz betont der EuGH gerade die Verbindlichkeit der in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriterien, die ihre Grenze erst in der im Einzelfall anzunehmenden tatsächlichen Gefahr der Verletzung eines in der Grundrechtecharta verbürgten Rechts findet. Demgegenüber lässt sich dem vom EuGH aufgestellten Rechtssatz keine Aussage des Inhalts entnehmen, dass sich ein Asylbewerber nicht (oder nur unter bestimmten Bedingungen) auf die Beachtung eines in der Dublin-Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums berufen kann.
77So liegt der Fall hier. Mit dem von den Klägern geltend gemachten Einwand, dass die Zuständigkeit für die Prüfung ihrer Schutzgesuche wegen Überschreitens der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO auf die Beklagte übergegangen ist, wenden sich die Kläger ‑ anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall ‑ gerade nicht gegen die Heranziehung eines in der Dublin-III-VO niedergelegten Zuständigkeitskriteriums, sondern berufen sich auf dieses.
78Auch das BVerwG geht erkennbar nicht davon aus, dass andere Einwände gegen eine Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat als der Einwand systemischer Mängel unbeachtlich wären. Vielmehr benennt es in dem zuletzt ergangenen Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – konkret die als unbeachtlich einzustufenden Einwände:
79„Aus der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann und es nicht darauf ankommt, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war.“
80BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 ‑, juris, Rdn. 6, Hervorhebung nicht im Original.
81Dies verdeutlicht, dass die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates der Prüfung vorgelagert ist, ob einer Überstellung dorthin systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegenstehen. Auch wird die Beschränkung berücksichtigungsfähiger Einwände auf den Einwand systemischer Mängel nur insoweit ausgesprochen, als der Asylbewerber der Überstellung mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen in diesem Staat entgegentritt.
82Eine Beschränkung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers im Hinblick auf die Geltendmachung objektiver Verstöße gegen die Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-Verordnung lässt sich auch nicht mit der Überlegung belegen oder bekräftigen, dass es dem Asylbewerber unbenommen ist, sich freiwillig bei der ihm genannten Stelle des anderen Mitgliedstaates zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen.
83Zu den Modalitäten einer Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers siehe Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003, zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (DVO Dublin III).
84Zwar kann der Asylbewerber damit zu einer Beschleunigung beitragen. Aus einer fehlenden Inanspruchnahme dieses Rechts kann jedoch nicht auf den Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts des Asylbewerbers auf materielle Prüfung seines Schutzgesuches durch die Beklagte geschlossen werden. Insbesondere steht der vom Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB abgeleitete Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium") der Geltendmachung dieses subjektiv-öffentlichen Rechts nicht entgegen.
85So aber VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 13 K 471/14.A ‑, juris, Rdn. 45 ff.
86Ein widersprüchliches Verhalten der Kläger liegt
87– ganz abgesehen davon, dass im deutschen Recht die Möglichkeit der Überstellung des betroffenen Asylbewerbers auf eigene Initiative gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist (vgl. hierzu: VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 2014 – A 11 S 1230/14 ‑, juris, Rdn. 4) und die Kläger im vorliegenden Fall (soweit ersichtlich) über dieses ihnen zustehende Initiativrecht auch nicht unterrichtet wurden –
88nicht vor. Die Kläger rügen nicht etwa eine unangemessene Dauer ihrer Verfahren, die sie selbst hätten beschleunigen können. Vielmehr begehren sie die materielle Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte. Selbst wenn zwischenzeitlich ein anderer Staat für die Durchführung ihrer Asylverfahren zuständig gewesen sein sollte, kann ein widersprüchliches Verhalten der Kläger nicht darin gesehen werden, dass sie an ihrem Begehren der Prüfung ihrer Schutzgesuche durch die Beklagte festgehalten haben. Die Kläger haben sich zur Begründung ihres Begehrens nicht auf eine drohende unzumutbare Dauer ihrer Schutzgesuche gestützt, sondern auf gesundheitliche Beeinträchtigungen, die der tatsächlichen Durchführung ihrer Überstellung entgegenstünden.
89Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob ein Verlust des subjektiv-öffentlichen Rechts auf Prüfung des Schutzgesuches durch den Staat, der infolge des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zuständig geworden ist, dann eintreten kann, wenn dieses Recht missbräuchlich in Anspruch genommen wird. Denn dafür fehlen hier jegliche Anhaltspunkte. Insbesondere haben sich die Kläger weder der ausländerrechtlichen Überwachung entzogen noch Überstellungsmaßnahmen widersetzt. Dass sie unter Vorlage ärztlicher Atteste Rechtsschutz gegen die Abschiebungsanordnung gesucht haben und sich insoweit auf gesundheitliche Überstellungshindernisse berufen, kann nicht als missbräuchliches Verhalten gewertet werden.
90Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.
(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.
(2a) (weggefallen)
(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.
(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.
(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.
(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 geändert.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Oktober 2013 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2012 nach Melilla in Spanien, wo er am 25. Oktober 2012 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Am 14. Januar 2013 beantragte er unter dem Namen U. E. in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Den Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch Bescheid vom 13. März 2013 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Die Überstellung erfolgte am 10. April 2013.
3Am 3. Juni 2013 reiste der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 7. Juni 2013 – unter dem im Rubrum angegebenen Namen – Asyl. Ausweislich seiner eigenen Mitteilung und der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 27. August 2013 war der Kläger zuvor in Spanien erkennungsdienstlich behandelt worden. Das Bundesamt richtete am 29. August 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Spanien. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
4Durch Bescheid vom 4. Oktober 2013 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Spanien auf Grund der dort erfolgten illegalen Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei.
5Am 25. Oktober 2013 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage erhoben.
6Der zugleich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 abgelehnt (13 L 2168/13.A). Auf den weiteren, unter dem 18. März 2014 gestellten Antrag des Klägers gemäß § 80 Abs. 7 VwGO ordnete das Verwaltungsgericht Düsseldorf durch Beschluss vom 24. März 2014 (13 L 644/14.A) mit der Begründung die aufschiebende Wirkung an, die sechsmonatige Überstellungsfrist sei abgelaufen.
7Zur Klagebegründung hat der Kläger ausgeführt: In Spanien werde kein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt. Ihm sei dort die Asylantragstellung verweigert worden. Zudem sei die Überstellungsfrist abgelaufen. Hierauf könne er sich auch berufen. Ihm werde sein Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens abgesprochen, hielte sich Spanien im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr für zuständig. Ob die spanischen Behörden sich noch an ihre Zustimmung gebunden fühlten, sei völlig offen.
8Der Kläger hat beantragt,
9den Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 aufzuheben.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes verwiesen. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass die Überstellungsfrist mit der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vom 7. Januar 2014 neu zu laufen begonnen habe bzw. auf Grund des gemäß § 80 Abs. 7 VwGO erlassenen Eilbeschlusses vom 24. März 2014 bis zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens ausgesetzt sei.
13Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. September 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die zulässige, insbesondere statthafte Anfechtungsklage sei unbegründet. Nach den anwendbaren Vorschriften der Dublin II-VO sei Spanien für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig. Die Zuständigkeit sei nicht nach Maßgabe der Art. 16 ff. Dublin II-VO auf Deutschland übergegangen. Die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Uabs. 1 Dublin II-VO sei noch nicht abgelaufen. Weil durch Beschluss vom 24. März 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden sei, beginne sie erst zu laufen, nachdem das Gericht in der Hauptsache entschieden habe. Selbst wenn man auf die Sechsmonatsfrist ab Annahme des Aufnahmegesuchs abstelle, könne sich der Kläger hierauf jedenfalls nicht berufen. Ein Verstoß gegen die Fristenregelungen der Dublin II-VO verletze nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts keine subjektiven Rechte der Asylbewerber. Zudem sei es dem Asylbewerber unbenommen, sich freiwillig beim anderen Mitgliedstaat zu melden, weil die Überstellung auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen könne. Habe er es selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolge und dass sie erfolge, könne er sich nach § 242 BGB nicht auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland berufen. Es bestehe auch keine Verpflichtung der Beklagten, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO Gebrauch zu machen. Von einer unangemessenen Verfahrensdauer könne nicht ausgegangen werden. Es lägen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestünden.
14Mit Beschlüssen vom 15. Dezember 2014 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen und auf Antrag des Klägers die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 4. Oktober 2013 angeordnet (11 B 1338/14.A).
15Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus: Die Überstellungsfrist von sechs Monaten ab der Zustimmung Spaniens zum Übernahmeersuchen am 17. September 2013 sei am 17. März 2014 abgelaufen. Durch die Stattgabe des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO habe die bereits abgelaufene Überstellungsfrist nicht wieder neu zu laufen begonnen. Aus der Dublin II-VO ergebe sich keine Rechtsgrundlage, wonach eine Rückübertragung der Zuständigkeit auf Spanien erfolgen könne. Der Kläger könne sich auch auf den Ablauf der Frist berufen. Die EuGH-Entscheidung Abdullahi beziehe sich lediglich auf die Anwendung der in Kapitel III der Dublin II-VO genannten Zuständigkeitskriterien, nicht jedoch auf den nachfolgend geregelten Ablauf der Überstellungsfrist und die dies mit Sanktionscharakter ausfüllenden Vorschriften des Kapitels V der Verordnung. Bestehe keine Übernahmebereitschaft Spaniens, wäre dem Kläger das unstreitig bestehende subjektive Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren genommen, könnte er sich nicht auf den Fristablauf berufen. Zudem räume die Dublin II-VO zumindest in bestimmten Punkten, etwa der Mitteilung von Daten, subjektive Rechte ein. Eine Beschränkung der Einwände des Asylbewerbers auf die Prüfung systemischer Mängel in einem Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen könne nur dann angenommen werden, wenn de facto ein anderer Mitgliedstaat im Zeitpunkt dieser Prüfung eigentlich noch zuständig wäre. Sei Deutschland wegen Fristablaufs zuständig, ergebe sich aus Art. 16a GG bzw. dem Asylverfahrensgesetz ein einklagbarer Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens.
16Der Kläger beantragt,
17das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 12. September 2014 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt sie vor: Asylbewerber könnten sich nicht mit Erfolg auf einen Zuständigkeitsübergang nach den Art. 16 ff. Dublin II-VO berufen. Ein Asylbewerber habe kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO zuständige Mitgliedstaat sei oder ob durch Zeitablauf Deutschland zuständig geworden sei. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Spanien eine Überstellung bereits endgültig abgelehnt habe. Zwar lehnten die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ab, jedoch könne im besonderen Einzelfall durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten der Eilverfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet.
24A. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
25Die isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2013, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten als unzulässig abgelehnt worden ist, ist statthaft.
26Einer auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage bedarf es nicht. Dieser fehlte schon das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt, wenn es zuständig ist, den Asylantrag von Amts wegen sachlich prüfen muss, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es hier nach Aufhebung der Verfügung untätig bleiben würde.
27Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
28Auch eine Verpflichtungsklage, die auf das Ziel gerichtet ist, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt oder nationale Abschiebungsverbote festgestellt zu bekommen, scheidet aus.
29Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 28 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 - 13a B 13.30295 -, BayVBl. 2014, 628, und Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 = juris, Rn. 18; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, Rn. 21.
30Wird der Asylantrag unter Verweis auf die fehlende Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, hat das Bundesamt ihn in der Sache noch gar nicht geprüft. Die Zuständigkeitsprüfung und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Die Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist der materiell-rechtlichen Prüfung, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Gewährung eines anderen Schutzstatus besteht, vorgelagert. Die Verwaltungsgerichte haben deshalb das Asylbegehren auch nicht in der Sache spruchreif zu machen.
31Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 34 ff., Beschluss vom 18. Mai 2015 - 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11.
32Andernfalls ginge dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien (vgl. insbesondere §§ 24, 25 AsylVfG) ausgestattet ist.
33Ferner muss die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH zunächst die Möglichkeit haben, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Ist die Überstellung in den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) als zuständig bestimmten Mitgliedstaat etwa wegen systemischer Mängel nicht möglich, hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob danach ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
34Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 95 f., und vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 32 f.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 29 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, juris, Rn. 18.
35Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Gericht im Asylrechtsstreit die Sache spruchreif zu machen hat, wenn ein Asylfolgeantrag nach § 71 AsylVfG vorliegt. Im Asylfolgeverfahren kann nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, lediglich die (Vor-)Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betrifft.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 = juris, Rn. 10.
37Diese Erwägungen sind auf die hier gegenständliche Entscheidung nach § 27a AsylVfG nicht übertragbar. In diesem Verfahren steht weder die Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Vielmehr geht es, wie ausgeführt, um die der materiell-rechtlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Frage der Zuständigkeit.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
39B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 4. Oktober 2013 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
40I. Ziffer 1 des Bescheids ist rechtswidrig, weil der Asylantrag im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidungserheblich ist, nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist aber entgegen der Auffassung des Bundesamts nach der Dublin II-VO nicht Spanien, sondern Deutschland für die sachliche Prüfung und Entscheidung des Asylantrags zuständig (1.). Darauf kann sich der Kläger auch berufen (2.).
411. Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich aus der Dublin II-VO. Diese ist ungeachtet des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und des Umstands anwendbar, dass sie durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) ersetzt worden ist. Nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO, wenn der Asylantrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat sein hier maßgebliches Schutzgesuch am 7. Juni 2013 angebracht. Es kann offen bleiben, ob nach Art. 49 Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Verordnung ab dem 1. Januar 2014 – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern gilt, auch bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen für das Überstellungsverfahren die Dublin III-VO gilt, wenn das Übernahmeersuchen nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde.
42Denn hier lagen auch das Aufnahmeersuchen und dessen Annahme vor dem 1. Januar 2014. Ferner spricht alles dafür, dass nach Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO nicht nur die Zuständigkeitskriterien des Kapitels III, sondern auch diejenigen des Kapitels V der Dublin II-VO fortgelten.
43Vgl. zum Ganzen Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
44Die zunächst bestehende Zuständigkeit Spaniens (a.) ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen (b.).
45a. Der zuständige Mitgliedstaat bestimmt sich auf der Grundlage der in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien, zunächst nach dem Kapitel III.
46aa. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO war ursprünglich Spanien zuständig. Danach gilt: Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hier erfolgte der erstmalige illegale Grenzübertritt zu einem EU-Mitgliedstaat in Spanien. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
47bb. Die Zuständigkeit Spaniens ist nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO entfallen. Danach endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
48Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO greift nur dann ein, wenn die Frist bereits bei erstmaliger Stellung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat abgelaufen ist.
49Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 47.
50Diese Auslegung ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, wonach bei der Bestimmung des nach den in Kapitel III bestimmten Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen wird, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Das geschah hier am 14. Januar 2013 (mit einem Alias-Namen) sowie nach erneuter Einreise nach Deutschland von Spanien aus am 7. Juni 2013 und damit innerhalb der Jahresfrist seit der erstmaligen illegalen Einreise nach Spanien im Oktober 2012.
51Selbst wenn man aber nicht auf den Asylantrag, sondern auf den spätesten Zeitpunkt des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens, den Abschluss durch die Aufnahmeerklärung Spaniens am 17. September 2013, abstellt, waren zwölf Monate nicht verstrichen. Ein noch späterer Zeitpunkt kommt hingegen nicht in Betracht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gilt die in Kapitel III der Verordnung normierte Frist nur für das in diesem Kapitel geregelte Zuständigkeitsbestimmungsverfahren (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), berechtigt also nur einen Mitgliedstaat - hier: Spanien -, das an ihn gerichtete (Wieder‑) Aufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaats - hier: Deutschland – abzulehnen, wenn der Grenzübertritt länger als zwölf Monate zurückliegt. Nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nach Kapitel III hingegen – die im Kapitel V in Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO geregelte Mitteilung an den Asylbewerber gehört nicht dazu – kann die Zuständigkeit hingegen nicht mehr nach einer dort geregelten Vorschrift, sondern allenfalls nach Kapitel V entfallen.
52b. Die Zuständigkeit ist aber nach Kapitel V der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen.
53aa. Dies ergibt sich allerdings nicht aus Art. 17 Abs. 1 Uabs. 2 Dublin II-VO. Danach gilt: Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig. Das Bundesamt hat hier gemäß Art. 17 Abs. 1 Uabs. 1 Dublin II-VO innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags Spanien ersucht, den Kläger aufzunehmen. Der Kläger hat am 7. Juni 2013 Asyl beantragt, das Aufnahmeersuchen datiert vom 29. August 2013.
54bb. Die Beklagte ist aber gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zuständig geworden. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Ein solcher Fall ist hier gegeben.
55(1) Die 6-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO ist am 17. März 2014 abgelaufen. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 17. September 2013 - fristgerecht innerhalb von zwei Monaten (vgl. Art. 18 Abs. 1, 7 Dublin II-VO) - ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags und nahmen damit den Antrag auf Aufnahme des Klägers an. Da die Überstellung binnen dieser Frist nicht durchgeführt worden ist, ist die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO auf die Beklagte als den Staat übergegangen, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Fristverlängerungen nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO scheiden hier aus.
56(2) Die Überstellungsfrist verlängert sich nicht um die Dauer des erfolglosen ersten gerichtlichen Eilverfahrens und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz führt auch nicht zum erneuten Beginn der 6-Monats-Frist ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags durch das Gericht. Der Antrag des Klägers vom 25. Oktober 2013, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides anzuordnen, wurde mit Beschluss vom 7. Januar 2014 - 13 L 2168/13.A - abgelehnt. Das erfolglose Eilverfahren wirkt sich auf die Dauer der Überstellungsfrist nicht aus.
57Die Dublin II-VO sieht weder eine Unterbrechung oder Hemmung (§ 209 BGB entsprechend),
58so VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris,
59noch, wovon das Bundesamt ausgeht, einen Neubeginn der Frist in solchen Fällen vor. Dies lässt sich ihr auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen.
60Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO bestimmt eine Frist von sechs Monaten ab Annahme des Aufnahmegesuchs. Nur wenn ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, gilt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO eine abweichende Frist von sechs Monaten ab der Entscheidung über diesen Rechtsbehelf. Entscheidung über den Rechtsbehelf in diesem Sinne ist aber nicht der Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, sondern – die Fortdauer der Aussetzung der Vollziehung vorausgesetzt – die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Klage gegen die Überstellungsentscheidung im Hauptsacheverfahren.
61Vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 53 ff., Beschlüsse vom 8. Mai 2014 - 13 A 827/14.A -, juris, Rn. 5 und vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, AuAS 2014, 237 = juris, Rn. 5.
62Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung. Dem Rechtsbehelf selbst muss aufschiebende Wirkung zukommen. Dies trifft - auch nach dem Unionsrecht - nur auf einen Rechtsbehelf zu, mit dem über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und ihren Bestand (abschließend) entschieden wird. Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht die Aufhebung der behördlichen Entscheidung, sondern nur die Aussetzung des Vollzugs erreicht werden. Zudem vermag nicht die Antragstellung, sondern nur die stattgebende gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung herbeizuführen, deren Endpunkt die Hauptsacheentscheidung ist.
63Diese Überlegungen werden durch die Systematik der Dublin II-VO bestätigt. Gegenstand des Rechtsbehelfs ist die Entscheidung des Beklagten nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II-VO, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II-VO kann gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Dass dies allein die Klage, nicht aber der Antrag auf Aussetzung sein kann, zeigt vor allem Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO. Danach hat der gegen die Überstellungsentscheidung eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. An diese Vorgaben, die der Sache nach zwischen dem Hauptsache- und dem Aussetzungsverfahren trennen, knüpft der folgende Absatz 3 des Art. 19 Dublin II-VO an, indem er die Frist nur dann erst mit der Entscheidung über den Rechtsbehelf beginnen lässt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wenn er also - so lässt sich mit Blick auf Absatz 2 präzisieren - im Einzelfall aufgrund einer Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts aufschiebende Wirkung hat. Dem entspricht das nationale Recht. Ein Rechtsbehelf, dem aufschiebende Wirkung zukommt, ist nach § 80 Abs. 1 VwGO - neben dem Widerspruch - nur die Klage. Die Klage gegen die Überstellungsentscheidung des Bundesamts hat - unionsrechtskonform - aber nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, diese wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September 2013 gültigen Fassung im Einzelfall durch das Gericht angeordnet.
64Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 7 ff.
65Bei dieser Ausgangslage rechtfertigt allein der Sinn und Zweck der Überstellungsfrist, den Mitgliedstaaten Zeit zu geben, um die (technischen) Modalitäten der Durchführung der Überstellung zu regeln, wofür grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen,
66vgl. dazu EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 ‑ Rs. C-19/08 (Petrosian u.a.) -, Slg. 2009, I-495,
67keine andere Auslegung des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO.
68Auch § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG führt jedenfalls bei der Dublin II-VO nicht dazu, dass der Lauf der Überstellungsfrist gehemmt wird oder diese erst oder erneut mit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu laufen beginnt.
69Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.; a. A. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 ‑ A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 36 ff., und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28; Funke- Kaiser, in: GK-AsylVfG, November 2013, § 27a Rn. 227 f.
70Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Damit wird aber weder eine aufschiebende Wirkung der Klage begründet noch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, sondern lediglich vorübergehend die Vollziehung der Überstellungsentscheidung durch die Ausländerbehörde gehemmt. Die Anordnung eines Vollziehungshindernisses durch den nationalen Gesetzgeber kann ferner deshalb nicht mit der vorläufigen Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung durch gerichtlichen Eilbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO gleichgesetzt werden, weil dies den unmittelbar geltenden Vorgaben der Dublin II-VO zuwider liefe. Wie bereits ausgeführt, verankert Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, ferner das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen, konkret-individuellen Anordnung. Dem liegt der Beschleunigungsgedanke zugrunde, der auch Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ist. Im Übrigen beruht der Umstand, dass aufgrund des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG bei Stellung eines Eilantrags der Ausländerbehörde nicht die vollen sechs Monate für die Organisation der Überstellung zur Verfügung stehen mögen, sondern diese sich um die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens verkürzen können, auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG bereits mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die Dublin II-VO anwendbar war. Die Vorgabe des Art. 27 Abs. 3 lit. c Satz 2 Dublin III-VO, wonach die Überstellung auszusetzen ist, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ihrer Durchführung ergangen ist, ist erst ab dem 1. Januar 2014 anwendbar.
71Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris, Rn. 15 ff.
72(3) Die Überstellungsfrist läuft hier auch nicht gemäß Art. 19 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. Dublin II-VO deshalb erst sechs Monate nach der Entscheidung über die vorliegende Klage ab, weil das Verwaltungsgericht im (zweiten) Eilverfahren mit Beschluss vom 24. März 2014 -13 L 644/14.A - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. In diesem Zeitpunkt – und schon bei Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO durch den Kläger – war, wie ausgeführt, die Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO abgelaufen. Dies war auch der Grund für die stattgebende Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts.
73Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stehen die beiden Alternativen des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nicht selbstständig nebeneinander, sondern schließen sich im folgenden Sinne aus: Ist Art. 19 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. Dublin II-VO einschlägig, weil kein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, und ist diese Frist abgelaufen, kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht dadurch eine neue Frist nach der 2. Alternative der Vorschrift in Lauf gesetzt werden, dass danach (in der Regel gerade wegen des Fristablaufs) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird.
74Dies ergibt sich nicht nur aus dem oben dargelegten Normgefüge des Art. 19 Abs. 2 und 3 Dublin II-VO, sondern vor allem aus der in Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO geregelten Rechtsfolge, die sich aus dem Ablauf der Überstellungsfrist ergibt. Danach geht mit Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. In Anwendung dieser Vorschrift ist am 17. März 2014 die Beklagte zuständig geworden. Die Dublin II-VO enthält aber keine Bestimmung, nach der die Zuständigkeit wieder an den ursprünglich zuständigen Staat – hier Spanien – zurückfallen kann. Dann kann auch keine neue Frist für die Überstellung in den „zuständigen“ Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO zu laufen beginnen. Überdies widerspräche ein erneuter Fristlauf dem Beschleunigungszweck der Dublin II-VO.
752. Der Kläger kann sich auf die Zuständigkeit der Beklagten auch berufen.
76Die Fristregelungen der Dublin II-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers (a.). Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt (b.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird; das ist hier aber nicht der Fall (c.). Die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit ausgeschlossen (d.).
77a. Die Vorschriften über die Überstellungsfrist, Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, und die an ihren Ablauf geknüpfte Rechtsfolge des Zuständigkeitsübergangs, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO, begründen ebenso wie Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO und die sonstigen Fristregelungen keine einklagbaren subjektiven Rechte der Asylbewerber.
78Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO); BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4 (für Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO), vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12 (für Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO), und vom 19. März 2014 ‑ 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 5 ff. (für Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO); Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37; Hess. VGH, Beschluss vom 25. August 2014 - 2 A 976/14.A -, InfAuslR 2014, 457 -, juris, Rn. 15; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris, Rn. 33; Bergmann, ZAR 2015, 81 (84); Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 196.1 (für die Aufnahmeersuchensfrist) und Rn. 234 (für die Überstellungsfrist); Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 65 (allg. für Fristen); a. A. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 46 f. (für Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO); VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. August 2015 - 18a L 1441/15.A -, juris, Rn. 19 ff. (für Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO); wohl auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 14 f.
79Der Asylbewerber hat kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist.
80Vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
81Die Normen der Dublin II-VO gelten zwar allgemein (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV). Die unmittelbare Wirkung des Rechtsakts bedeutet jedoch nicht automatisch, dass den Asylbewerbern ein subjektives Recht auf Einhaltung und Beachtung der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften eingeräumt wäre. Aus der gewählten Handlungsform folgt allein die Möglichkeit einer Individualberechtigung.
82Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 91.
83Die Dublin II-VO regelt nach ihrem Inhalt und Zweck die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ordnet damit ihr Zusammenwirken bei der Gewährung von Asyl in der Europäischen Union. Das Dublin-System soll die Behandlung von Asylanträgen rationalisieren, das „forum shopping“ verhindern und eine Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten bewirken. Wie aus den Erwägungsgründen 3 und 4 der Dublin II-VO hervorgeht, soll eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
84Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 59, vom 6. November 2012 - Rs. C-245/11 -, juris, Rn. 49, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 79, 84; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 34 ff.; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 = juris, Rn. 5.
85Insbesondere die Fristbestimmungen dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zügigen Überstellung an diesen. Zwar liegt dieser Beschleunigungszweck nicht nur im Interesse der teilnehmenden Staaten, sondern auch im Interesse der Asylbewerber.
86Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 53, und vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn.79.
87Sie haben aber grundsätzlich keinen Anspruch auf Prüfung ihres Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat. Das unionsrechtlich geregelte System der Zuständigkeitsverteilung für die Entscheidung über Asylanträge beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen. Ist ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit, kann der Asylbewerber seiner Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden.
88Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 ‑ Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60 und 62; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris, Rn. 6, und vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 14 A 1140/14.A -, juris, Rn. 6 ff.
89Die zwischenstaatliche Konzeption des Zuständigkeitssystems schließt es zwar nicht aus, dass einzelne Vorschriften der Verordnung subjektive Rechte beinhalten.
90Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 40 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 63 ff.
91Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen gilt dies aber nicht für Art. 19 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO. Allein der Beschleunigungszweck rechtfertigt – auch unter Berücksichtigung des Rechts auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GR-Charta – nicht die Annahme, diese Vorschriften seien derart grundrechtlich aufgeladen, dass sie im objektiv-rechtlichen Dublin-System dazu bestimmt sind, die Rechte Einzelner zu schützen.
92b. Der Kläger hat aber aus den materiell-rechtlichen Asylbestimmungen einen Anspruch darauf, dass die unionsrechtlich zuständige Beklagte seinen Asylantrag prüft.
93aa. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens durch die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus dem materiellen Recht, das Ausländern einen Anspruch auf Asyl (Art. 16a Abs. 1 GG), Flüchtlingsschutz (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG), subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 AsylVfG) sowie nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gewährt. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens ist notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs. Wird die Beklagte wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig zur Prüfung des Antrags, muss sie das Asylverfahren aufnehmen.
94Der sachliche Prüfungsanspruch folgt zunächst unmittelbar aus dem Grundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG. Die – möglicherweise bestehende – Asylberechtigung löst eine Pflicht der zuständigen deutschen Behörden aus, den Antrag zu überprüfen.
95Vgl. Becker, in: Mangold/Klein/Starck, GG, 6. Auflage 2010, Art. 16a, Rn. 27.
96Um die Inanspruchnahme des Grundrechts zu ermöglichen, muss sich der Asylbewerber auf dieses Recht berufen, also eine Prüfung in der Sache verlangen können.
97Dem steht auch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht entgegen. Danach kann sich auf Absatz 1 nicht berufen, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Der Kläger ist hier u. a. über Spanien nach Deutschland eingereist. Die Vorwirkungen des Art. 16a Abs. 1 GG sind aber nicht davon abhängig, dass ein Asylanspruch besteht. Das Recht, dass der Asylantrag geprüft wird, besteht unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der Schutzgewährung. Im Übrigen gilt: Ist Deutschland unionsrechtlich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens, darf dies nicht durch einen grundgesetzlich angeordneten Ausschlussgrund im Sinne einer abdrängenden, negativen Zuständigkeitsbestimmung ausgehöhlt werden. Dementsprechend bestimmt § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG, dass der Schutzbereichsausschluss nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ob – und inwieweit – Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG deshalb oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts oder nach Art. 16a Abs. 5 GG unanwendbar ist, kann hier offen bleiben.
98Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 27. April 2015 - 9 A 1380/12.A -, juris; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 226 ff. m.w.N.; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2015, § 27a Rn. 8 f.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, Rn. 33.
99Darüber hinaus gilt: Verleiht das einfache materielle Recht in Deutschland – hier: das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz – eine subjektiv-öffentliche Anspruchsberechtigung, so besteht für jeden potentiell Berechtigten zugleich ein Anspruch auf das Handeln der zuständigen Behörde. Die Zuständigkeit ist eine zwingende Voraussetzung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einer Behörde und Anspruchsvoraussetzung für antragsgemäßes Verwaltungshandeln.
100Vgl. OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11. A -, juris, Rn. 24.
101Ist der Antrag zulässig und die Behörde zuständig, muss diese über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich entscheiden (s. auch § 75 VwGO).
102Dieser Prüfungsanspruch gilt auch für den Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG nicht nur die Anerkennung als Asylberechtigter, sondern auch die Zuerkennung internationalen Schutzes beinhaltet. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Prüfung des Schutzgesuchs durch die Beklagte liegt nicht nur den Regelungen zum Asylantrag in §§ 13, 14 AsylVfG zugrunde, sondern auch § 24 AsylVfG, der im Einzelnen die Pflichten des Bundesamts im Asylverfahren bestimmt, und § 31 AsylVfG, der die Entscheidung des Bundesamts über Asylanträge regelt. Die Prüfung der Schutzgesuche darf nach §§ 27a, 34a AsylVfG nur abgelehnt werden, wenn ein anderer Staat nach Unions- oder Völkerrecht zuständig ist.
103Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 23. März 2015 ‑ 22 K 4141/14.A -, InfAuslR 2015, 154 = juris, Rn. 35, und vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 27, 43.
104Diese Vorschriften setzen damit einen Anspruch auf Entscheidung durch das Bundesamt im Falle seiner Zuständigkeit voraus. Ergeht eine Entscheidung über den Asylantrag nicht innerhalb von sechs Monaten, hat das Bundesamt dem Ausländer gem. § 34 Abs. 4 AsylVfG auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird. § 31 Abs. 6 AsylVfG verpflichtet das Bundesamt im Falle einer Ablehnung des Asylantrags nach § 27a AsylVfG, den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu benennen.
105bb. Die Annahme eines Prüfungsanspruchs und damit des Rechts, sich auf die nach der Dublin II-VO bestehende Zuständigkeit Deutschlands berufen zu können, entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
106Auch nach Unionsrecht müssen Asylbewerber Zugang zu wirksamen Asylverfahren haben. Die effektive Ausübung des Rechts auf Asyl muss gewährleistet sein.
107Vgl. Grundrechte-Agentur der EU, EGMR, Europarat (Hrsg.): Handbuch zu den europarecht-lichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (abgerufen von http://fra.europa.eu/sites/default/files/handbook-law-asylum-migration-borders-2nded_de.pdf, 16.9.2015), S. 107; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 38 ff.
108Nach Art. 18 GR-Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Verträge über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 GR-Charta gewährt Abschiebungsschutz bei ernsthaften Risiken der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, ob Art. 18 GR-Charta ein subjektives, einklagbares Recht vermittelt oder eine bloße objektiv-rechtliche Garantie formuliert,
109vgl. dazu, Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2013, Art. 18 Rn. 2, 15, m. w. N.; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 18, Rn. 7, 11, m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 12; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 153 f.
110begründet die Vorschrift jedenfalls ein Recht des Drittstaatsangehörigen auf ein ausreichendes Verfahren zur Feststellung des Status.
111Vgl. Jarass, a. a. O., Art. 18 Rn. 13.
112Nach Art. 78 Abs. 1 AEUV entwickelt die Union eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll (Satz 1). Die Politik muss mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen (Satz 2).
113Auf der Grundlage dieser Vorschrift konkretisiert die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) in materiell-rechtlicher Hinsicht die Schutzrechte, werden in der Verfahrensrichtlinie (2013/32/EU) Verfahrensrechte der Asylbewerber bei der Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz festgelegt und treffen die Dublin-Verordnungen Zuständigkeitsregelungen. Die Dublin II-VO legt – als ein Schritt auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates fest (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5). Sie begründet zwar grundsätzlich keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, setzt aber solche voraus und dient der effektiven Ausübung des Asylrechts. Die Rechtsstellung des Einzelnen wird ferner insoweit geschützt, als jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens gewährleistet sein muss. Das ergibt sich aus Folgendem: Der 15. Erwägungsgrund der Dublin II-VO bestimmt ausdrücklich, sie ziele darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 GR-Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
114Vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 15 und 76.
115Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt (Satz 1). Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Satz 2). Nach dem 4. Erwägungsgrund der Dublin II-VO dient sie auch dazu, den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten. Dem Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO liegt damit die Annahme zugrunde, dass die Antragsteller ein durchsetzbares Recht haben, dass die Anträge jedenfalls von einem Mitglieds- oder Vertragsstaat zeitnah geprüft werden. Lediglich die Prüfung durch einen bestimmten Staat können sie nicht verlangen.
116Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
117Könnte der Asylbewerber sich nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen und wäre nicht gesichert, dass ein anderer Mitgliedstaat das Asylverfahren durchführt (vgl. dazu sogleich), würde er zum sogenannten „refugee in orbit“, dessen Schutzgesuch in keinem Mitgliedstaat geprüft würde.
118Vgl. Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2010, Art. 78 AEUV Rn. 21; Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 67, 69.
119Dies widerspräche aber dem Grundanliegen des europäischen Asylsystems. Dieses darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, dass der Antragsteller in keinem Staat eine Prüfung seines Schutzgesuchs erhalten könnte und – wenn auch nicht dem potentiellen Verfolger ausgeliefert – ohne den im Unionsrecht vorgesehenen förmlichen Schutzstatus bliebe.
120Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
121c. Ein Asylbewerber kann, das folgt schon aus den vorstehenden Ausführungen, nur dann nicht die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschlands verlangen, wenn die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats feststeht. Das ist hier nicht der Fall.
122aa. Dass einem Asylbewerber die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats entgegengehalten werden kann, folgt aus dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO geregelten Zuständigkeitsübergang, setzt aber auch ein Vorgehen nach dieser Vorschrift voraus. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Satz 1). Dadurch wird der andere Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Satz 2).
123Erklärt der andere Mitgliedstaat, den Asylbewerber aufzunehmen und das Asylverfahren durchzuführen, obwohl er nach den in der Dublin II-VO festgelegten Kriterien nicht (mehr) zuständig ist, übt er damit das Selbsteintrittsrecht nach der sogenannten Souveränitätsklausel aus.
124Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO räumt den Mitgliedstaaten ein Ermessen ein, das integraler Bestandteil des vom EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Die Ausübung der Befugnis ist an keine Bedingungen geknüpft; ein Anspruch des Asylbewerbers auf Zuständigkeitsübernahme besteht grundsätzlich nicht.
125Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 ‑ Rs. C-411/10 u.a. (N.S.) -, juris, Rn. 65 ff., und vom 30. Mai 2013 - Rs. C-528/11 (Halaf) -, juris, Rn. 36 ff.; siehe zu Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auch EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 (Puid) -, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Vorlagebeschluss vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris, Rn. 34.
126Hiervon ausgehend geht die Zuständigkeit über, wenn ein anderer Mitgliedstaat im Einzelfall seine Bereitschaft erklärt, den Asylbewerber aufzunehmen. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland steht damit unter dem unionsrechtlichen Vorbehalt des Fortbestehens der Zuständigkeit.
127Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, § 27a Rn. 52.
128Dabei reicht bei sachgerechter Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO eine Erklärung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedstaat aus, die die Zusage beinhaltet, den eingereichten Asylantrag zu prüfen. Um den Zuständigkeitsübergang zu bewirken, ist eine ausdrückliche Berufung auf die Souveränitätsklausel ebenso wenig erforderlich wie der Beginn der tatsächlichen Prüfung des Asylantrags. Förmlichkeiten geben weder die Dublin II-VO selbst noch die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 vor. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der andere Mitgliedstaat im konkreten Einzelfall die Zuständigkeit übernimmt.
129Nicht ausreichend ist die erteilte Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 lit. b) Dublin II-VO, die mit der Ausübung des Ermessens nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht vergleichbar ist.
130Vgl. dazu auch EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Villalón vom 11. Juli 2013 in der Rs. C-394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 32.
131Hier hat Spanien nicht von Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch gemacht. Als es am 17. September 2013 dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, war es nach der Dublin II-VO zuständig. Spanien hat aber nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und daraus resultierendem Zuständigkeitsübergang bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht erklärt, dass seine Übernahmebereitschaft gleichwohl fortbesteht. Es hat in keiner Weise im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zu erkennen gegeben, dass es den Asylantrag des Klägers auch nach Ablauf der Überstellungsfrist prüfen, mithin die Zuständigkeit übernehmen wird.
132bb. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht einschlägig wäre, kann dem Asylbewerber nur dann die Berufung auf die Zuständigkeit Deutschlands verwehrt werden, wenn positiv feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat aufnahmebereit ist. Dies setzt voraus, dass eine Prüfung des Asylgesuchs durch den anderen Mitgliedstaat gewährleistet ist, hierfür also hinreichende Erkenntnisse vorliegen.
133Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach Verstöße gegen die Bestimmungen der Dublin II-VO für sich genommen keine subjektiven Rechte der Asyl-bewerber verletzen und der Asylbewerber der Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann, betrifft sämtlich Fälle, in denen die Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats bestand.
134Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C 394/12 (Abdullahi) -, juris, Rn. 60; BVerwG, Beschlüsse vom 14. Juli 2014 - 1 B 9.14 u.a. -, juris, Rn. 4, vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677 = juris, Rn. 6, vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 -, juris, Rn. 4, vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 -, juris, Rn. 12, und vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rn. 7.
135Da die Dublin II-VO gerade dem Zweck dient, den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (vgl. Art. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO), reicht es nicht aus, dass der andere, nicht mehr zuständige Mitgliedstaat der Überstellung nach Fristablauf nicht widersprochen hat bzw. diese nicht endgültig abgelehnt hat und deshalb nicht feststeht, dass die Überstellung nicht durchgeführt werden kann.
136So aber Nds. OVG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 37.
137Ebensowenig genügt es, dass die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist.
138Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 59, und vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 28 (allerdings mit dem Zusatz „weil Polen den Fristablauf nicht einwendet“).
139Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach erfolgter Zuständigkeitsbestimmung nur der nach der Dublin-Verordnung zuständige Mitgliedstaat bereit ist, das Asylverfahren durchzuführen.
140Eine rein theoretische Überstellungsmöglichkeit, die nicht durch konkrete aussagekräftige Fakten untermauert wird, kann auch deshalb nicht genügen, weil andernfalls das dem Dublinsystem immanente Beschleunigungsgebot verletzt würde.
141So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 32.
142Hier fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass Spanien den Fristablauf und die daraus folgende Zuständigkeit der Beklagten – generell oder im Einzelfall – nicht einwendet. Dass Spanien am 17. September 2013 dem Aufnahmeersuchen stattgegeben hat, reicht insoweit nicht aus. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylVfG, und damit auch nach zwischenzeitlichem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte, die Übernahmebereitschaft besteht. Dafür ist, ausgehend von den obigen Maßstäben, nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat auf mehrfache gerichtliche Anfrage mit Schriftsatz vom 13. August 2015 lediglich ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten Rechtsmittelmeldungen nach Ablauf der Überstellungsfrist ablehnten. Der Zusatz, im besonderen Einzelfall könne durchaus auch ein Einlenken des Mitgliedstaats erzielt werden, reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren. Zuletzt hat das Bundesamt mit Schriftsatz vom 27. August 2015 mitgeteilt, dass derzeit konkrete Anhaltspunkte weder dafür, dass Spanien trotz zwischenzeit-lichen Ablaufs der Überstellungsfrist seine Zuständigkeit bejaht hätte, noch dafür vorlägen, dass Spanien eine Überstellung des Klägers bereits endgültig abgelehnt hätte. Das reicht für die Annahme nicht aus, Spanien werde im vorliegenden Fall eine Überstellung akzeptieren.
143d. Eine andere Betrachtung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, der Asylbewerber könne freiwillig ausreisen und dadurch das Verfahren selbst beschleunigen.
144Zwar geht das Unionsrecht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise aus (vgl. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003; Art. 19 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 1 lit e) Dublin II-VO). Es ist aber schon fraglich, ob dies eine bindende Vorgabe ist, ob das nationale Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehen muss oder ob die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
145Vgl. dazu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris, Rn. 24 ff.
146Auf diese Fragen kommt es aber ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger auch noch gegenwärtig, d. h. nach dem Zuständigkeitsübergang, nach Spanien ausreisen könnte. Es ist jedenfalls keine rechtliche Grundlage dafür ersichtlich, dass er im nicht mehr zuständigen Staat Spanien eine Prüfung seines Asylantrags verlangen kann. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Übernahmebereitschaft des anderen Staates auch nach dem Zuständigkeitsübergang auf Deutschland, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Mitgliedstaat im Falle einer freiwilligen Ausreise ein Asylverfahren durchführen wird.
147Auch das Argument des Verwaltungsgerichts, § 242 BGB schließe eine Berufung auf den Zuständigkeitsübergang aus, weil der Asylbewerber vor Ablauf der Überstellungsfrist freiwillig hätte ausreisen können, überzeugt nicht. Dass der Kläger von dem Recht auf freiwillige Ausreise, das im Übrigen im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt ist, keinen Gebrauch gemacht hat, lässt es nicht als treuwidrig erscheinen, von der nach Unionsrecht zuständigen Behörde die Prüfung des Schutzgesuchs zu verlangen.
148So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 - 22 K 2262/14.A -, juris, Rn. 82 ff.
149Andernfalls wäre nämlich die materielle Prüfung des Schutzgesuchs nicht gewährleistet und träte damit letztlich ein Rechtsverlust ein. Die Dublin II-VO begründet auch keine Verpflichtung des Asylantragstellers, sich in den nach der Dublin II-VO (ursprünglich) zuständigen Staat zu begeben. Dass gemäß § 50 AufenthG nach allgemeinem nationalem Aufenthaltsrecht eine Ausreisepflicht besteht, ist insoweit unerheblich. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein auf dem Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist, nicht hingegen auf einem Verhalten des Klägers (Nichtausreise), mit dem er sich durch die Berufung auf die Zuständigkeit in Widerspruch setzen könnte. Er ist weder untergetaucht noch hat er anderweitig Überstellungsmaßnahmen verhindert.
1503. Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids kann nicht als negative Entscheidung gemäß § 71a AsylVfG über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens aufrechterhalten oder umgedeutet werden – was im Übrigen die fehlende Statthaftigkeit der Anfechtungsklage und die Zulässigkeit (nur) einer Verpflichtungsklage zur Folge hätte.
151Es ist schon nicht ersichtlich, dass ein Zweitantrag vorliegt. Aus den dem Gericht vorliegenden Akten ergibt sich nur, dass der Kläger in Spanien zweimal erkennungsdienstlich behandelt worden ist, nicht aber, dass er einen Asylantrag gestellt hat.
152Abgesehen davon kommt ein Verständnis eines Dublin-Bescheids der vorliegenden Art als Ablehnung eines Antrags auf Wiederaufgreifen ebensowenig in Betracht wie eine entsprechende Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG.
153Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, juris, Rn. 29, und vom 19. Juni 2015 - 13 A 292/15.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 34 f.
154Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 4. Oktober 2013 wird, wie ausgeführt, lediglich ohne materiell-recht-liche Prüfung die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen, ausgehend von einer Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
155Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 ‑ 11 A 2639/14.A -, Rn. 29, juris.
156Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, ist im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens mit eigenen Verfahrensgarantien zu klären und zu entscheiden.
157Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. April 2015 ‑ A 11 S 121/15 -, juris, Rn. 41.
158II. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt, soll der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Spanien ist nach den obigen Ausführungen für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Im Übrigen stünde auch nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden könnte, weil die Aufnahmebereitschaft Spaniens nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht – wie hiernach erforderlich – positiv feststeht.
159C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
160Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
161Die Revision ist zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die Dublin II-VO ist zwar auslaufendes Recht. Die zentralen Rechtsfragen stellen sich aber nach der in weiten Teilen übereinstim-menden Dublin III-VO in gleicher Weise.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.