Gericht

Oberlandesgericht München

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Traunstein vom 14.02.2019 aufgehoben.

2. Die Akten werden der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Traunstein zur erneuten Behandlung und Entscheidung über den Antrag vom 28.01.2019 zurückgegeben.

Gründe

I.

Gegen den Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Traunstein vom 12.03.2018, rechtskräftig seit 20.03.2018, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet gem. § 63 StGB.

Dem lag folgendes Tatgeschehen zugrunde:

Am 09.07.2017 gegen 2.45 Uhr verließ der Verurteilte seine Wohnung in einem Mehrparteienhaus in R. unter Mitführung einer langstieligen Axt und verschaffte sich anschließend gewaltsam mit der Axt Zutritt zu der Wohnung der Geschädigten S. in diesem Anwesen. Er hatte aufgrund seiner wahnhaften Störung Gasgeruch wahrgenommen und verlangte, dass die Geschädigte S. das Gas abstellen sollte, hierbei packte er diese mit der Axt in der einen Hand fest am Oberarm, wodurch diese Hämatome erlitt und in Panik geriet und sich mit ihren 4 Kindern im Badezimmer einschloss. Daraufhin begab sich der Beschwerdeführer in die Wohnung der Geschädigten H., wobei er die Wohnungstür mit der Axt gewaltsam öffnete, wobei ein Schlag verfehlte den Kopf der Geschädigten H. nur knapp. Einen weiteren Schlag konnte die Geschädigte H. abwehren, indem sie die mit der Hand den Stiel der Axt abfing, wodurch sie Schmerzen erlitt. Die Geschädigte H. und ihre Mutter flüchteten ins Wohnzimmer, worauf der Beschwerdeführer auch die Wohnzimmertür mit der Axt einschlug. Der Geschädigten H. und ihrer Mutter gelang schließlich die Flucht über die Terrassentür. Daraufhin begab sich der Beschwerdeführer wieder in die Wohnung der Familie S., schlug zunächst mit der Axt erneut auf die Wohnungstür und deren Rahmen ein und rüttelte dann an der Badezimmertür, wobei er erneut forderte, dass das Gas abgestellt werden solle. Danach ging er in seine Wohnung zurück, wo er von der Polizei festgenommen wurde. Die Geschädigten erlitten bei diesen Vorfällen erhebliche psychische Beeinträchtigungen.

Den möglichen Eintritt von Verletzungen nahm der Beschwerdeführer zumindest billigend in Kauf. Hierbei war er aufgrund einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, nämlich Schizophrenie mit paranoidhalluzinatorischer Verlaufsform (ICD-10: F20.0), nicht in der Lage, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Im vorgenannten Urteil ordnete das Gericht die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB an, da von ihm die Gefahr weiterer einschlägiger Straftaten ausgeht.

Aufgrund des Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Rosenheim vom 11.07.2017, eröffnet am 13.07.2017, befand sich der Beschwerdeführer für dieses Verfahren zunächst ab 13.07.2017 in einstweiliger Unterbringung im Klinikum in W., dort wird seit der Rechtskraft des Urteils, mithin seit 20.03.2018 und damit seit fast 1 Jahr, die Maßregel vollzogen.

Bereits mit Schreiben vom 18.09.2018 hatte die Maßregeleinrichtung mitgeteilt, dass beim Verurteilten das Wahnsystem fortbesteht und sich erneut eine akute psychotische Symptomatik entwickelt habe, die einen derartigen Schweregrad aufweise, dass es dem Verurteilten derzeit unmöglich sei, seinen Willen frei zu bestimmen. Eine neuroleptische Medikation sei dringend angezeigt, damit sei eine deutliche Krankheitsremission sowie auch eine Besserung der Medikamentencompliance und Krankheitseinsicht zu erreichen. Die gegenwärtig festgestellte Reizbarkeit und eine potentielle Gewalttätigkeit des Verurteilten könne so deutlich reduziert und eine höhere Therapiebereitschaft erreicht werden. Die neuroleptische Medikation diene auch dazu, das Vollzugsziel zu erreichen.

Die Maßregeleinrichtung hielt in diesem Schreiben das Medikament Risperidon in Depotform mit einer Dosierung von 37,5-50 mg intramuskulär alle 14 Tage für geeignet. Alternativ käme Olanzapin (in Depotform als Zypadhera) oder Aripiprazol (in Depotform als Abilify maintena) in Betracht.

Das Schreiben vom 18.09.2018 wurde in der Folge durch die Maßregeleinrichtung mit Schreiben vom 26.09.2018 und vom 14.11.2018 ergänzt.

Im Schreiben vom 26.09.2018 führte die Maßregeleinrichtung erneut aus, dass sie Risperidon in Depotform mit einer Dosierung von 37,5-50 mg intramuskulär alle 14 Tage für geeignet halte. Alternativ käme Olanzapin (in Depotform als Zypadhera) oder Aripiprazol (in Depotform als Abilify maintena).

Am 11.10.2018 wurde der Verurteilte durch die Strafvollstreckungskammer angehört.

Im Schreiben vom 14.11.2018 führte die Maßregeleinrichtung aus, dass sie nunmehr Olanzapin (in Depotform als Zypadhera) für geeignet halte.

Mit Beschluss vom 22.10.2018 beauftragte die Strafvollstreckungskammer die psychiatrische Sachverständige Dr. L. vom kbo München-Ost mit der Erstellung eines externen Gutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen der Zwangsmedikation, welches die Sachverständige am 12.12.2018 erstattete.

Am 25.01.2019 hörte die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten erneut an. Hierbei beantragte die Vertreterin der Maßregeleinrichtung nunmehr mündlich folgendes:

„Ich beantrage Olanzapin max. 20 mg oral oder intramuskulär pro Tag die ersten 10 Tage, im Anschluss Depotspritze max. 300 mg alle 2 Wochen bzw. 405 mg alle 4 Wochen“. Dabei führte sie aus, dass die „Gesamtdauer der Medikation mindestens 12 Wochen beinhalten“ müsse.

Mit Schreiben vom 28.01.2019 beantragte das Klinikum in W. schließlich die Genehmigung der Zwangsbehandlung des Verurteilten für die Dauer von mindestens 12 Wochen mit dem Medikament Olanzapin in folgender Dosierung und Verabreichungsart:

in den ersten 3 Tagen 10 mg/Tag und in den nächsten 7 Tagen maximal 20 mg/Tag

für die nächsten 12 Wochen, jeweils intramuskulär appliziert.

In den folgenden 2 Monaten als Depotspritzen maximal 300 mg/alle 2 Wochen

und danach max. 405 mg/alle 4 Wochen.

Weiter wurde beantragt anzuordnen, dass für die notwendigen Untersuchungen zwangsweise Blut aus der Vene entnommen werden und die Erstellung eines EKG erfolgen darf, und zwar vor Beginn der Behandlung sowie 1 Woche nach Behandlungsbeginn und danach maximal monatlich.

Ferner wurde beantragt, die ggfs. notwendige mechanische Beschränkung des Beschwerdeführers in Form einer kurzzeitigen 5-Punkt-Fixierung zur Applikation der Medikation bzw. zur Ermöglichung der notwendigen Untersuchungen zu genehmigen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 28.01.2019 Bezug genommen.

In diesem Antrag wurde nicht mitgeteilt, dass der Verurteilte entsprechend § 6 Abs. 4 Nr. 1 BayMRVG ärztlich über Art, Dauer, Erfolgsaussichten und Risiken der nunmehr seit 28.01.2019 beabsichtigten Maßnahmen (insbesondere über die zuletzt für erforderlich gehaltene Dosierung des Medikaments Olanzapin und dessen Verabreichungsform) aufgeklärt wurde.

Auch wurde im Antrag vom 28.01.2019 nicht mitgeteilt, dass entsprechend § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG vor der Antragstellung vom 28.01.2019 frühzeitig, ernsthaft und ohne Druck auszuüben versucht wurde, die Zustimmung des Beschwerdeführers zur Einnahme des im Antrag vom 28.01.2019 aufgeführten Medikaments in der dort aufgeführten Dosierung und Verabreichungsform zu erhalten.

Mit Beschluss vom 29.01.2019 ordnete die Strafvollstreckungskammer eine ergänzende Stellungnahme der psychiatrischen Sachverständigen zu dem Antrag vom 28.01.2019 an. Diese ergänzende Stellungnahme erfolgte mit Schreiben vom 07.02.2019.

Dem Verteidiger des Verurteilten wurde Gelegenheit gewährt, schriftlich zum Antrag vom 28.01.2019 und zur ergänzenden Stellungnahme vom 07.02.2019 Stellung zu nehmen.

Zum Antrag vom 28.01.2019 hat der Verteidiger des Verurteilten mit Schriftsatz vom 31.01.2019 Stellung genommen Eine mündliche Anhörung des Verfolgten zum aktuellen Antrag vom 28.01.2019 unter Berücksichtigung der ergänzenden Stellungnahme vom 07.02.2019 erfolgte nicht.

Durch die angefochtene Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Traunstein „die ärztliche Zwangsmaßnahme Verabreichung des Medikaments Olanzapin wird wie folgt bis zum 08.05.2018 genehmigt:

In den ersten 3 Tagen jeweils maximal 10 mg (Einmaldosis), in den nächsten Tagen jeweils maximal 20 mg (Einmaldosis) intramuskulär.“

Weiter wurde in der Entscheidung die Anordnung und Überwachung durch einen Arzt oder eine Ärztin, die Dokumentation und die Überprüfung der weiteren Eignung, Notwendigkeit und Angemessenheit angeordnet. Daneben wurden Untersuchungen vor Beginn und 1 Woche nach Beginn der Behandlung und danach in regelmäßigen Abständen angeordnet sowie Zwangsmaßnahmen für die Medikamentenverabreichung und die Untersuchungen, soweit erforderlich, genehmigt, dabei auch eine Fixierung des Verurteilten, die 15 Minuten nicht überschreiten soll. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf diese Entscheidung Bezug genommen.

Gegen diesen seinem Verteidiger am 14.02.2019 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Verteidigerschriftsatz vom 15.02.2019, bei Gericht eingegangen am selben Tage, sofortige Beschwerde „und zugleich Rechtsbeschwerde“ eingelegt und sein Rechtsmittel zugleich begründet.

II.

Das Rechtsmittel ist als gem. § 6 Abs. 6 Nr. 4 BayMRVG statthafte sofortige Beschwerde zu behandeln, diese ging innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO ein und wurde auch im Übrigen zulässig eingelegt.

In der Sache hat die sofortige Beschwerde einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung war aufzuheben und die Akten der Strafvollstreckungskammer zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückzugeben, da ein Verfahrensfehler vorliegt.

Auch in den Verfahren, die dem sog. Freibeweis unterliegen, gilt das verfassungsrechtliche Gebot der bestmöglichen richterlichen Sachaufklärung (BVerfG 22.11.2011 - 2 BvR 1334/10). Das Gebot der „bestmöglichen Sachaufklärung“ gilt somit auch für den Straf- und Maßregelvollzug (BVerfG 04.03.2014 - 2 BvR 1020/13)

Die Strafvollstreckungskammer hätte den Beschwerdeführer nach Eingang der ergänzenden Stellungnahme der psychiatrischen Sachverständigen Dr. L. vom 07.02.2019 mündlich anhören müssen. Nur so hätte sie sich vor ihrer Entscheidung vom 14.02.2019 einen eigenen und zeitnahen Eindruck vom Zustand des Beschwerdeführers, insbesondere von dessen Einsichtsunfähigkeit bzw. dessen freiem Willen sowie von dessen Gesprächsfähigkeit bzw. Gesprächsunfähigkeit verschaffen können.

Das Unterbleiben dieser Anhörung stellt einen erheblichen Verfahrensfehler dar.

Auch das in § 6 Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 2 BayMRVG vorgesehene Verfahren vor dem Antrag vom 28.01.2019 wurde nicht eingehalten.

Im Einzelnen:

Die Zwangsbehandlung ist eine medizinische Behandlung, die gegen den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt. Voraussetzung ist die krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit bzw. die Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten (BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2017 - 2 BvR 2003/14).

Gegen den erklärten freien Willen der untergebrachten Person darf nicht zwangsbehandelt werden, das Bundesverfassungsgericht spricht insoweit von der „Freiheit zur Krankheit“ (BVerfG, Beschluss vom 23. März 1998 - 2 BvR 2270/96; BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 1981 - 2 BvR 1194/80).

Eine Zwangsbehandlung stellt einen ganz erheblichen Eingriff in das Grundrecht der untergebrachten Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar, das die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht schützt (BVerfG, 23. März 2011 - 2 BvR 882/09).

Wie jeder andere Grundrechtseingriff auch ist die Zwangsbehandlung nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt.

Auch wenn sie zum Zweck der Heilung bzw. zur Zustandsverbesserung der untergebrachten Person vorgenommen wird, entfällt der Eingriffscharakter einer Zwangsbehandlung nicht, denn eine schädigende Zielrichtung ist nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09).

Die Eingriffsqualität entfällt auch dann nicht, wenn der Betroffene der von ihm abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand kann oder will. Eine Zwangsbehandlung liegt unabhängig davon vor, ob eine gewaltsame Durchsetzung der Maßnahme erforderlich wird oder der Betroffene sich, etwa weil er die Aussichtslosigkeit eines körperlichen Widerstandes erkennt, ungeachtet fortbestehender Ablehnung in die Maßnahme fügt und damit die Anwendung körperlicher Gewalt entbehrlich macht (BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2017 - 2 BvR 2003/14).

Trotz der besonderen Schwere des Grundrechtseingriffs kann eine Zwangsbehandlung im Einzelfall gerechtfertigt sein (BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 - 2 BvR 228/12).

Voraussetzung dafür ist, dass die gesetzliche Regelung, die zu diesem Eingriff ermächtigt, verfassungskonform ist und dass - zusätzlich - das Verfahren, das in dieser gesetzlichen Grundlage vorgesehen ist, auch eingehalten wird.

Stellt sich bereits die gesetzliche Eingriffsgrundlage als nicht verfassungskonform dar, so verletzt jede darauf gestützte gerichtliche Genehmigung wie auch die Zwangsbehandlung selbst die untergebrachte Person schon deswegen in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 20111 - 2 BvR 633/11).

Aus den grundrechtlichen Garantien und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat das Bundesverfassungsgericht in einer Vielzahl von Entscheidungen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 und BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2017 - 2 BvR 2003/14) konkrete Anforderungen an die Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung abgeleitet:

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung müssen in der Eingriffsgrundlage hinreichend klar und bestimmt geregelt werden. Dies gilt auch für die Anforderungen an das Verfahren. Die krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit des Betroffenen bzw. dessen Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten muss vorausgesetzt werden. Spezielle verfahrensmäßige Sicherungen sind in der Eingriffsgrundlage anzuordnen. Dies soll der Vermeidung von besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen dienen, die sich aus dem Umstand ergeben, dass die Einrichtung, die zwangsbehandeln möchte, auch über deren Anordnung entscheidet. Um dem Freiheitsgrundrecht der untergebrachten Person und dem Rechtsstaatsprinzip in einer solchen Konstellation angemessen Rechnung zu tragen, sind spezielle verfahrensmäßige Sicherungen in der Eingriffsgrundlage vorzusehen und in der Praxis einzuhalten.

Die gesetzliche Regelung muss deswegen vorsehen, dass der Zwangsbehandlung eine Prüfung durch eine von der Unterbringungseinrichtung unabhängige Stelle vorausgehen muss. Dies folgt aus der freiheitssichernden Funktion des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip).

Es handelt sich um eine spezielle „Grundrechtssicherung durch Verfahren“. Es muss daher in der Eingriffsgrundlage geregelt sein, dass ein von der Unterbringungseinrichtung unabhängiger Dritter vor der Zwangsbehandlung eingeschaltet wird. Die Eingriffsgrundlage muss zugleich bestimmen, wer dieser von der Maßregeleinrichtung unabhängige Dritte ist. Dieser unabhängige Dritte muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zwingend ein Richter sein. Der unabhängige Dritte kann eine Ombudsperson, ein Betreuer oder eine Behörde sein - aber eben auch ein Gericht. Bayern hat sich im BayMRVG für einen Richtervorbehalt entschieden, was wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs sachgerecht erscheint.

Die gesetzliche Eingriffsgrundlage muss die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gewährleisten, denn nicht nur die Zwangsbehandlung selbst, sondern auch die Entscheidung des unabhängigen Dritten, der der Zwangsbehandlung zustimmt bzw. diese für zulässig erklärt („Vorab-Genehmigung“), greift in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG ein.

Die gesetzliche Regelung muss die einen Eingriff rechtfertigenden Zwecke abschließend bestimmen und auch den nachfolgend aufgeführten Anforderungen „an das Verfahren“ (was nicht gleichzusetzen ist mit: „gerichtlichem Verfahren“) vor und bei einer Zwangsbehandlung genügen.

Folgende Anforderungen stellt das Bundesverfassungsgericht an das Verfahren vor und bei einer Zwangsbehandlung sowie an die Eingriffsgrundlage:

1. Eine Zwangsbehandlung darf nur bei einer krankheitsbedingten Einsichtsunfähigkeit des Betroffenen bzw. dessen Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten erfolgen.

2. Sie darf nur durchgeführt werden, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg verspricht.

3. Eine weniger eingreifende Behandlung muss aussichtslos sein.

4. Sie darf für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden sein, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen.

5. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten muss der zu erwartende Nutzen der Behandlung den möglichen Schaden der Nichtbehandlung überwiegen.

6. Der Zwangsbehandlung muss, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgehen, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu der beabsichtigten Behandlung zu erlangen.

7. Sie ist - jedenfalls bei planmäßigen Zwangsbehandlungen - anzukündigen. Dies folgt aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. mit Art. 19 Abs. 4 GG (Rechtsstaatsprinzip). Hierdurch soll sichergestellt werden, dass der Betroffene rechtzeitig um Rechtsschutz ersuchen kann (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09).

8. Die Zwangsbehandlung muss durch einen Arzt angeordnet und überwacht werden.

9. Vor dem Beginn der Zwangsbehandlung muss (abgesehen von akuten Notfällen) die Prüfung der beabsichtigten Maßnahme durch einen Dritten in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung erfolgen (sog. Vorabprüfung bzw. Vorab-Genehmigung, BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09).

10. Die nach der Vorabprüfung erteilte Zustimmungsentscheidung („Genehmigung“) muss (außerhalb akuter Notfälle) noch vor dem Beginn der Zwangsbehandlung angefochten werden können, denn nur so ist ein effektiver Rechtsschutz im Sinne der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für den Untergebrachten gewährleistet.

11. Erst wenn auch die Beschwerdeinstanz die beabsichtigte Zwangsbehandlung für zulässig hält, darf mit der Behandlung begonnen werden.

12. Die Durchführung der Behandlungsmaßnahme (einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise, der maßgeblichen Gründe und der Wirkungsüberwachung) muss dokumentiert werden. Dies folgt ebenfalls aus der grundrechtlichen Garantie auf gerichtlichen Rechtsschutz.

Dieses mehrstufige Vorgehen, an das sich Maßregeleinrichtung und Gericht halten müssen, mag umständlich und zeitaufwendig sein, ggfs. leidet auch die untergebrachte Person während des einer Zwangsbehandlung zwingend vorausgehenden Verfahrens länger, als der Arzt dies wünschen würde.

Diese Vorgehensweise ist jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich, um dem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 GG und dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 19 Abs. 4 GG auch in einer für die untergebrachte Person relativ hilflosen Situation gerecht zu werden.

Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass Personen, die wegen einer psychischen Störung in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht sind und dort einer Zwangsbehandlung unterzogen werden sollen, in besonders hohem Maße darauf angewiesen sind, dass sich nicht nur die Maßregeleinrichtung, sondern auch die Gerichte, die über die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung vorab entscheiden, an die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Verfahrensweise halten (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09).

Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts hält der Senat § 6 Abs. 3 bis 6 BayMRVG für eine verfassungskonforme Grundlage für eine Zwangsbehandlung und deren gerichtliche Genehmigung.

Gleichwohl erweist sich die angefochtene Entscheidung als rechtsfehlerhaft.

Voraussetzung für die Genehmigung einer beantragten Zwangsbehandlung ist die (fortbestehende) krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit bzw. die Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten des Betroffenen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2017 - 2 BvR 2003/14). Hinsichtlich der Frage der fortbestehenden Einsichtsunfähigkeit hätte sich die 10. Strafvollstreckungskammer daher vor ihrer Entscheidung zeitnah einen eigenen Eindruck verschaffen müssen durch mündliche Anhörung des Verurteilten unter Zugrundlegung des Antrags vom 28.01.2019 und der ergänzenden Stellungnahme der psychiatrischen Sachverständigen vom 07.02.2019, zumal Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis durchaus in Schüben verlaufen können.

Dass diese Anhörung nicht erfolgt ist, stellt einen gravierenden Verfahrensfehler dar, der zur Aufhebung der gesamten angefochtenen Entscheidung führt.

Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch aus weiteren Gründen als rechtsfehlerhaft.

Zu der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Verfahrensweise gehört auch, dass der Zwangsbehandlung - und damit auch deren gerichtlicher Genehmigung - der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgehen muss, die auf Vertrauen gegründete Zustimmung der untergebrachten Person zu der beabsichtigten Behandlung zu erlangen, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist.

Dieses verfassungsrechtliche Erfordernis wurde durch den bayerischen Gesetzgeber durch die Schaffung von § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG umgesetzt.

Vorliegend ergibt sich aus den Akten aber nicht, dass der Verurteilte vor der Genehmigung der Zwangsbehandlung entsprechend § 6 Abs. 4 Nr. 1 BayMRVG ärztlich über Art, Dauer, Erfolgsaussichten und Risiken der nunmehr aktuell beabsichtigten Behandlungsmaßnahmen (insbesondere über die zuletzt am 28.01.2019 für erforderlich gehaltene Dosierung des Medikaments Olanzapin und dessen Dosierung und Verabreichungsform) aufgeklärt wurde und dass dann entsprechend § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG vor der Antragstellung vom 28.01.2019 frühzeitig, ernsthaft und ohne Druck auszuüben versucht worden wäre, die Zustimmung des Beschwerdeführers zur Verabreichung des im Antrag vom 28.01.2019 aufgeführten Medikaments in der dort aufgeführten Dosierung und Verabreichungsform zu erhalten.

Dies wäre nur dann nicht erforderlich gewesen, wenn der Verurteilte nicht gesprächsfähig gewesen wäre. Dies steht aber, insbesondere aufgrund der fehlenden Anhörung, gerade nicht fest.

Nach Aktenlage erfolgte weder eine Aufklärung des Beschwerdeführers über Art, Dauer, Erfolgsaussichten und Risiken der nunmehr, also seit 28.01.2019, beabsichtigten Medikation (einschließlich Dosierung und Verabreichungsform), noch wurde versucht, nach der erforderlichen Aufklärung über Art, Dauer, Erfolgsaussichten und Risiken der nunmehr, also seit 28.01.2019 beabsichtigten Medikation (einschließlich Dosierung und Verabreichungsform) entsprechend § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG die Zustimmung des Beschwerdeführers zur Einnahme des im Antrag vom 28.01.2019 aufgeführten Medikaments in der dort aufgeführten Dosierung und Verabreichungsform zu erhalten.

Da die Wirkweisen und Nebenwirkungen von Medikamenten je nach Dosierung und Verabreichungsform unterschiedlich sind, reicht es zur Einhaltung von § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG nicht aus, dass seit Sommer 2018 immer wieder versucht wurde, die Zustimmung des Beschwerdeführers zu teilweise anderen Medikamenten in jedenfalls anderer Dosierung und unterschiedlicher Verabreichungsform zu erlangen.

Denn es muss nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG versucht werden, die Zustimmung des Untergebrachten zu genau der Behandlung zu erlangen, die bei Nichterteilung der Zustimmung nach gerichtlicher Genehmigung notfalls zwangsweise durchführen werden soll (vgl. BVerfG vom 23.03.2011 - Az.: 2 BvR 882/09).

Hieran fehlt es vorliegend. Soweit in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer bereits am 02.08.2018 gegenüber den Ärzten der Maßregeleinrichtung eine medikamentöse Behandlung abgelehnt habe und weitere ärztliche Gespräche mit ihm am 13.09.2018, 25.09.2018, 30.09.2018, 04.10.2018 und 18.10.2018 sowie tägliche Gespräche ab dem 09.11.2018 nicht zur Erklärung der Zustimmung geführt hätten, rechtfertigt auch dies keine abweichende Entscheidung.

Denn die Zustimmung im Rahmen des § 6 Abs. 4 Nr. 2 BayMRVG muss zu einer konkreten beabsichtigten Behandlung erteilt werden und damit im Falle der Zwangsmedikation auch zu einer konkreten Medikation in bestimmter Dosierung und in bestimmter Verabreichungsform. Dies schon deswegen, weil die Wirkweisen und Nebenwirkungen ganz entscheidend von der Dosierung und teilweise auch von der Verabreichungsform eines Medikaments abhängen.

Da vorliegend nicht der ernsthafte Versuch unternommen wurde, bei dem Beschwerdeführer eine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu derjenigen Behandlungsmaßnahme zu erreichen (vgl. BVerfG vom 23.03.2011 - Az.: 2 BvR 882/09), deren gerichtliche Genehmigung am 28.01.2019 beantragt wurde, hätte die Genehmigung der Zwangsbehandlung durch die Strafvollstreckungskammer schon deswegen nicht erfolgen dürfen. Gleiches gilt für die sonstigen im angefochtenen Beschluss genehmigten Untersuchungen und für die Genehmigung des unmittelbaren Zwangs einschließlich der Fixierung.

Die vorangehenden früheren Versuche der Maßregeleinrichtung, die Zustimmung des Verurteilten zu erhalten, können sich nur auf die damals von der Maßregeleinrichtung jeweils für erforderlich gehaltene Medikation, Dosierung und Verabreichungsform bezogen haben und erfolgten alle vor dem Antrag vom 28.01.2019, in dem die Dosierung und Verabreichungsform von der Maßregeleinrichtung erneut modifiziert worden war.

Die früheren Versuche, die Zustimmung des Verurteilten zu erhalten, reichen daher nicht aus.

Da somit das von der Eingriffsgrundlage entsprechend der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung vorgesehene Verfahren vor der Genehmigung der Zwangsbehandlung nicht eingehalten wurde, konnte die angefochtene Entscheidung auch aus diesem Grund keinen Bestand haben.

Soweit der Verteidiger des Verurteilten der Auffassung ist, dass die Strafvollstreckungskammer kein externes Sachverständigengutachten eingeholt habe, weil die Sachverständige Dr. L. vom kbo München-Ost „nicht wirklich extern“ sei, sind folgende Ausführungen veranlasst:

Es muss in der Eingriffsgrundlage geregelt sein, dass ein von der Unterbringungseinrichtung unabhängiger („externer“) Dritter vor der Zwangsbehandlung eingeschaltet wird. Die Eingriffsgrundlage muss zugleich bestimmen, wer dieser von der Maßregeleinrichtung unabhängige Dritte ist.

Bayern hat sich im BayMRVG für einen Richtervorbehalt entschieden, was wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs auch sachgerecht erscheint.

Die Strafvollstreckungskammer und nicht der von der Strafvollstreckungskammer beauftragte Sachverständige ist insoweit der externe Dritte, der die Zulässigkeit der von der Maßregeleinrichtung für erforderlich gehaltenen Zwangsbehandlung überprüft und danach ggfs. genehmigt.

Ob sich die Strafvollstreckungskammer im Genehmigungsverfahren nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BayMRVG eines Sachverständigen bedient, obliegt ihrer Entscheidung. Das Gesetz enthält insoweit - anders als beispielsweise § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO für das Jahresprüfungsverfahren nach § 67e Abs. 2 StGB - keine Vorgaben zur Auswahl des Sachverständigen.

Es liegt auf der Hand, dass die Auswahl eines Sachverständigen, der in der die Genehmigung der Zwangsbehandlung beantragenden Maßregeleinrichtung arbeitet, rechtsfehlerhaft wäre; die Auswahl einer Sachverständigen, die in einer anderen Maßregeleinrichtung arbeitet, die lediglich in einem Verwaltungsverbund mit der beantragenden Maßregeleinrichtung steht, hält der Senat für unbedenklich, sofern sich aus dem Gutachten selbst nichts ergibt, was geeignet wäre, Zweifel an der Unabhängigkeit der Sachverständigen zu begründen.

Die Auswahl von Frau Dr. L. vom kbo München-Ost ist entgegen der Ansicht der Verteidigung nach Ansicht des Senats daher nicht zu beanstanden.

Sie ist nicht in der Maßregeleinrichtung tätig, die die Genehmigung der Zwangsbehandlung beantragt hat. Sie entscheidet auch - wie bereits ausgeführt - nicht darüber, ob die Zwangsbehandlung zulässig ist, denn darüber entscheidet das Gericht; ihre Aufgabe beschränkt sich vielmehr auf die Beantwortung der von der Strafvollstreckungskammer gestellten Fragen.

Soweit die Verteidigung die Sachverständige Dr. L. in der Beschwerdebegründung gleichwohl wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat, hat hierüber nicht der Senat, sondern die Strafvollstreckungskammer im Rahmen der erneuten Durchführung des Genehmigungsverfahrens zu entscheiden.

Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht, da das Rechtsmittel nur einen vorläufigen Erfolg hat. Über die Kosten des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens wird daher die Strafvollstreckungskammer bei erneuter Entscheidung zu befinden haben.

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Strafgesetzbuch - StGB | § 67e Überprüfung


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Strafprozeßordnung - StPO | § 311 Sofortige Beschwerde


(1) Für die Fälle der sofortigen Beschwerde gelten die nachfolgenden besonderen Vorschriften. (2) Die Beschwerde ist binnen einer Woche einzulegen; die Frist beginnt mit der Bekanntmachung (§ 35) der Entscheidung. (3) Das Gericht ist zu einer

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Oberlandesgericht München Beschluss, 04. März 2019 - 1 Ws 145/19 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Für die Fälle der sofortigen Beschwerde gelten die nachfolgenden besonderen Vorschriften.

(2) Die Beschwerde ist binnen einer Woche einzulegen; die Frist beginnt mit der Bekanntmachung (§ 35) der Entscheidung.

(3) Das Gericht ist zu einer Abänderung seiner durch Beschwerde angefochtenen Entscheidung nicht befugt. Es hilft jedoch der Beschwerde ab, wenn es zum Nachteil des Beschwerdeführers Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet hat, zu denen dieser noch nicht gehört worden ist, und es auf Grund des nachträglichen Vorbringens die Beschwerde für begründet erachtet.

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. Mai 2010 - III-4 Ws 211/10 - und der Beschluss des Landgerichts Kleve vom 12. März 2010 - 181 StVK 36/10 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Kleve zurückverwiesen.

...

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen bei einer Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an die Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen zu stellen sind und welche Bedeutung der Einhaltung der Überprüfungsfrist gemäß § 67e Abs. 2 StGB dabei zukommt.

I.

2

1. a) Mit Urteil vom 17. August 2007, rechtskräftig seit dem 6. Februar 2008, ordnete das Landgericht Essen gemäß § 63 StGB die Unterbringung der Beschwerdeführerin in einem psychiatrischen Krankenhaus an, da bei ihr eine paranoid-halluzinatorische Psychose mit einer sekundären Polytoxikomanie diagnostiziert worden war. Die Beschwerdeführerin hatte im Zustand deswegen bestehender Schuldunfähigkeit rechtswidrig unter anderem die Tatbestände des Raubes, des versuchten schweren Raubes, des Diebstahls und des versuchten Diebstahls verwirklicht. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wird seit dem 6. Februar 2008 vollzogen.

3

b) Anlässlich der ersten gemäß § 67d, § 67e StGB erforderlichen Überprüfungsentscheidung im Jahr 2009 gab das psychiatrische Krankenhaus am 10. Dezember 2008 eine Stellungnahme ab. Am 30. Januar 2009 beschloss die Strafvollstreckungskammer, die Anhörung der Beschwerdeführerin auf die Einzelrichterin zu übertragen. Nach der am 25. Februar 2009 durchgeführten Anhörung entschied die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 2. März 2009, dass die Unterbringung der Beschwerdeführerin fortdauere. Eine Begutachtung der Beschwerdeführerin durch einen externen Sachverständigen unterließ die Strafvollstreckungskammer ebenso wie die Beiziehung der Akten aus dem Erkenntnisverfahren. In diesen befand sich insbesondere das Gutachten der Sachverständigen Dr. B., das ausweislich des Urteils des Landgerichts Essen Grundlage für ihre Unterbringung gewesen war.

4

Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 16. April 2009 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft. In ihrer Stellungnahme vom 2. April 2009 führte die Generalstaatsanwaltschaft - unter anderem - wörtlich aus:

5

"Die weitere Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist nicht bereits deswegen unzulässig, weil der Beschluss der Strafvollstreckungskammer mehr als ein Jahr nach Beginn der Unterbringung am 6. Februar 2008 ergangen ist. Nach § 67e Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 2. Alt., Abs. 4 Satz 2 StGB muss das Gericht bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vor Ablauf von einem Jahr nach Beginn der Unterbringung die Aussetzungsfrage entscheiden. Dabei schließt die rechtzeitige Prüfung die rechtzeitige Entscheidung ein. Der Kontrollzweck des § 67e StGB erfordert insoweit, dass die Strafvollstreckungskammer spätestens am Tag des Ablaufs der Prüfungsfrist über die Aussetzungsfrage zu entscheiden hat. Die Verurteilte befindet sich seit 6. Februar 2008 gemäß § 63 StGB [in der Unterbringung]. Die Jahresfrist war am Tag der angefochtenen Entscheidung somit bereits abgelaufen. Dieser Verstoß hat jedoch keine sachlich-rechtliche Wirkung. Das Gericht ist vielmehr lediglich verpflichtet, die versäumte Prüfung von Amts wegen unverzüglich nachzuholen. Nur die Missachtung der Fristvorschrift durch nicht mehr vertretbare Untätigkeit des Gerichts verletzt das Grundrecht der Verurteilten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG."

6

c) Anlässlich der zweiten Überprüfungsentscheidung im Jahr 2010 gab das psychiatrische Krankenhaus am 27. Januar 2010 eine weitere Stellungnahme ab. Diese leitete der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer dem Verteidiger der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 11. Februar 2010 zu. Mit Beschluss vom 20. Februar 2010 übertrug die Strafvollstreckungskammer die Anhörung der Beschwerdeführerin erneut auf die Einzelrichterin. Die Anhörung fand am 3. März 2010 statt. Mit Beschluss vom 12. März 2010 entschied die Strafvollstreckungskammer, die Unterbringung der Beschwerdeführerin dauere fort. Wiederum zog die Strafvollstreckungskammer weder die Akten des Erkenntnisverfahrens bei noch holte sie - trotz entsprechender Anregung - das Gutachten eines externen Sachverständigen ein. Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 7. Mai 2010 als unbegründet.

7

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde greift die Beschwerdeführerin die im Jahr 2010 ergangenen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer und des Oberlandesgerichts an. Sie rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Sie ist der Auffassung, die Gerichte hätten ihrer Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht Genüge getan. Die Einholung eines Prognosegutachtens eines externen Sachverständigen wäre erforderlich gewesen.

8

Mit ergänzendem Schriftsatz vom 19. Juli 2011 hat die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. R. gestellt.

II.

9

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Dem Bundesverfassungsgericht hat das Vollstreckungsheft vorgelegen.

III.

10

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Nach den Maßstäben, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt sind, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet (§ 93b, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

11

1. a) Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>). Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>). Zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände jedoch auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung bestimmen. Das gilt entsprechend für die Unterbringung eines schuldunfähigen oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters, von dem zukünftig infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB (BVerfGE 70, 297 <307>).

12

Der Gesetzgeber hat im Hinblick auf das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Untergebrachten für die Vollstreckung dieser Maßregel besondere Regelungen getroffen, die insbesondere deren Aussetzung zur Bewährung vorsehen, sobald verantwortet werden kann, zu erproben, ob der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzuges keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird (§ 67d Abs. 2 StGB). Die Strafvollstreckungskammer kann die Aussetzungsreife der Maßregel jederzeit überprüfen; sie ist dazu jeweils spätestens vor Ablauf eines Jahres verpflichtet (§ 67e Abs. 1 und 2 StGB).

13

aa) Aus der freiheitssichernden Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG ergeben sich Mindesterfordernisse für eine zuverlässige Wahrheitserforschung (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 70, 297 <308>), die nicht nur im strafprozessualen Hauptverfahren, sondern auch für die im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen zu beachten sind. Sie setzen unter anderem Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für eine hinreichende tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 <222>; 70, 297 <308>) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 58, 208 <230>; 70, 297 <308>).

14

Nicht nur im sogenannten Strengbeweisverfahren, sondern auch in denjenigen Verfahren, die dem sogenannten Freibeweis unterliegen, gilt die richterliche Aufklärungspflicht, wie sie für die Hauptverhandlung in der Regelung des § 244 Abs. 2 StPO ihren Niederschlag gefunden hat (vgl. BVerfGE 57, 250 <277>; 70, 297 <309>).

15

Bei der Vorbereitung der Entscheidung über die Aussetzung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hängt es von dem sich nach den Umständen des einzelnen Falles bestimmenden pflichtgemäßen Ermessen des Richters ab, in welcher Weise er die Aussetzungsreife prüft. Geht es um Prognoseentscheidungen, bei denen geistige und seelische Anomalien in Frage stehen, besteht in der Regel die Pflicht, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dies gilt besonders dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist; denn die Umstände, die diese bestimmen, sind für den Richter oft schwer erkennbar und abzuwägen. Zwar muss nicht bei jeder Überprüfung der Unterbringung der gleiche Aufwand veranlasst sein; immer ist jedoch eine für den Einzelfall hinreichende Gründlichkeit bei der Entscheidungsfindung zu gewährleisten (BVerfGE 70, 297 <309>).

16

bb) Die Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 2 und Abs. 6, § 67e StGB) dienen der Wahrung des Übermaßverbots bei der Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGK 4, 176 <181>; 5, 67 <68>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Mai 2008 - 2 BvR 1615/07 -, juris). Ihre Missachtung kann dieses Grundrecht verletzen, wenn sie auf einer Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht beruht, die auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts schließen lässt (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; 72, 105 <114 f.>; 109, 133 <163>; BVerfGK 4, 176 <181>). Zwar führt nicht jede Verzögerung des Geschäftsablaufs, die zu einer Überschreitung der Frist führt, automatisch auch zu einer Grundrechtsverletzung, weil es zu solchen Verzögerungen auch bei sorgfältiger Führung des Verfahrens kommen kann (BVerfGK 4, 176 <181>). Es muss für solche Fälle jedoch sichergestellt sein, dass der Geschäftsgang der Kammer in der Verantwortung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters eine Fristenkontrolle vorsieht, die die Vorbereitung einer rechtzeitigen Entscheidung vor Ablauf der Jahresfrist sicherstellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene in aller Regel persönlich anzuhören ist und dass auch für eine sachverständige Begutachtung ausreichend Zeit verbleibt, soweit die Kammer eine solche für erforderlich halten sollte. Die gesetzliche Entscheidungsfrist von einem Jahr seit der letzten Überprüfungsentscheidung lässt dafür ausreichend Raum (vgl. BVerfGK 4, 176 <181>). Gründe für eine etwaige Fristüberschreitung sind zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in der Fortdauerentscheidung darzulegen.

17

b) Diesen von Verfassungs wegen an Entscheidungen, welche die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, zu stellenden Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Das gilt sowohl für die richterliche Sachaufklärung im vorliegenden Fall (aa) als auch für die Überschreitung der Überprüfungsfristen durch die Strafvollstreckungskammer ohne Angabe von Gründen (bb).

18

aa) Die angegriffenen Entscheidungen genügen dem Gebot zureichender richterlicher Sachaufklärung nicht und verletzen die Beschwerdeführerin daher in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.

19

§ 463 Abs. 4 StPO und § 16 Abs. 3 des Maßregelvollzugsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen beschränken das richterliche Ermessen im Hinblick darauf, zu welchem Zeitpunkt spätestens das Gutachten eines externen Sachverständigen im Rahmen der Prüfung der Aussetzungsreife einzuholen ist. Unabhängig davon gebietet Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, dass stets eine für den Einzelfall hinreichende Gründlichkeit bei der Entscheidungsfindung zu gewährleisten ist (vgl. BVerfGE 70, 297 <309 f.>), so dass es in besonders gelagerten Einzelfällen geboten sein kann, das Gutachten eines externen Sachverständigen auch schon vor dem gesetzlich vorgesehenen Zeitpunkt einzuholen.

20

§ 246a StPO ordnet die Hinzuziehung eines Sachverständigen bereits im Erkenntnisverfahren zwingend an, so dass bei jeder Fortdauerentscheidung bereits das Gutachten eines (externen) Sachverständigen aus dem Erkenntnisverfahren vorhanden ist. Vor diesem Hintergrund kann es jedenfalls dann von Verfassungs wegen geboten sein, die Akten des Erkenntnisverfahrens beizuziehen und das dort vorhandene Gutachten bei der Fortdauerentscheidung zu verwerten, wenn der Verteidiger des Untergebrachten, der Untergebrachte selbst oder ein sonst am Verfahren Beteiligter dies anregt und zugleich auf mögliche Besonderheiten im zu entscheidenden Einzelfall hinweist. In solchen Fällen darf die Strafvollstreckungskammer die ohne großen Aufwand zugängliche, zusätzliche Erkenntnisquelle des bereits vorhandenen Sachverständigengutachtens nicht unbeachtet lassen.

21

Hier hat die Strafvollstreckungskammer dies jedoch unterlassen und die Akten des Erkenntnisverfahrens nicht beigezogen, obwohl der Verteidiger der Beschwerdeführerin dies mehrfach schriftsätzlich angeregt und auf eine mögliche Lückenhaftigkeit der von den Fachgerichten herangezogenen Erkenntnisquellen hingewiesen hatte. Das im Erkenntnisverfahren eingeholte Sachverständigengutachten ist somit nicht zu den Vollstreckungsakten gelangt und konnte bei der Fortdauerentscheidung nicht herangezogen werden. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafvollstreckungskammer bei Kenntnis dieses Gutachtens und auf der Grundlage einer dadurch verbreiterten Entscheidungsgrundlage zu einer günstigeren Einschätzung für die Beschwerdeführerin gelangt wäre.

22

bb) Auch die Nichteinhaltung der Überprüfungsfristen des § 67e Abs. 2 StGB verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG.

23

Die Strafvollstreckungskammer hat ihre richterliche Tätigkeit von vornherein auf ein Mindestmaß beschränkt. Sie hat die Anhörung der Beschwerdeführerin jeweils mit Formularbeschlüssen auf die Berichterstatterin als beauftragte Richterin übertragen. Während des Überprüfungsverfahrens wurden lediglich solche richterlichen Handlungen vorgenommen, die das Gesetz zwingend vorschreibt. Dennoch und obwohl die Stellungnahmen des psychiatrischen Krankenhauses jeweils rechtzeitig vorlagen, ist es der Strafvollstreckungskammer trotz des deutlichen Hinweises der Generalstaatsanwaltschaft auch bei der zweiten Überprüfungsentscheidung im Jahr 2010 nicht gelungen, die Jahresfrist zu wahren.

24

Nachdem bereits die Überprüfungsentscheidung im Jahr 2009 verspätet war, weil diese nicht spätestens am 6. Februar 2009, sondern erst am 2. März 2009 ergangen ist, erfolgte auch die Überprüfungsentscheidung im Jahr 2010 nicht fristgerecht, da sie nicht am 2. März 2010 (vgl. § 67e Abs. 4 StGB), sondern erst am 12. März 2010 erging.

25

Dabei lassen die angegriffenen Entscheidungen jede Auseinandersetzung mit dem Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft vermissen; ihnen lässt sich keine Begründung dafür entnehmen, warum die Überprüfungsfrist nicht gewahrt wurde.

26

Vor diesem Hintergrund drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Fachgerichte nicht eng an die Überprüfungsfristen des § 67e Abs. 2 StGB gebunden gefühlt und dass sie die grundrechtsschützende Funktion dieser Fristbestimmung nicht erkannt haben. In der Gesamtschau lässt dies den Schluss zu, dass den angegriffenen Entscheidungen eine nicht mehr vertretbare Gleichgültigkeit gegenüber dem grundrechtssichernden Verfahrensrecht zugrunde liegt und sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte der Beschwerdeführerin beruhen.

27

2. Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG.

28

3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Damit erledigt sich der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts (vgl. BVerfGE 105, 1 <17> m.w.N.).

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 25. Januar 2013 - 3 Ws 53/13 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 25. Januar 2013 - 3 Ws 53/13 - wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.

Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.

I.

2

1. a) Mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 15. Juli 2004 wurde der Beschwerdeführer von den Vorwürfen der versuchten gefährlichen Körperverletzung, der Beleidigung in zwei Fällen, in einem Fall tateinheitlich mit Sachbeschädigung, sowie der vorsätzlichen Körperverletzung wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB freigesprochen. Zugleich wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.

3

aa) Das Landgericht sah als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer am 1. September 2003 versuchte, den Angestellten eines Sicherheitsdienstes, den er zuvor beleidigt hatte, mit einer Bierflasche zu schlagen. Des Weiteren habe er am 3. April 2004 gegen 0.15 Uhr seine Nachbarin heftig beleidigt und zum Geschlechtsverkehr aufgefordert sowie versucht, nur mit einer Unterhose bekleidet, in deren Wohnung einzudringen. In der darauffolgenden Nacht habe er gegen 3.15 Uhr, laut herumschreiend, diese Aufforderung unter Hinzufügung schwerer Beleidigungen wiederholt. Am 10. April 2004 schließlich habe der Beschwerdeführer einem weiblichen Fahrgast in einem Linienbus ohne jeden Anlass einen Faustschlag ins Gesicht versetzt.

4

bb) In den Urteilsgründen führte das sachverständig beratende Landgericht aus, der Beschwerdeführer leide unter einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10: F 20.51) und einem sekundären Alkoholabusus (ICD 10: F 10.1). Die begangenen Taten seien geeignet, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören, da der Beschwerdeführer ohne jeden Anlass auf Unbeteiligte losgegangen sei. Die mangelnde Krankheitseinsicht ließen eine erfolgversprechende Behandlung extrem schwierig erscheinen. Da von dem Beschwerdeführer weitere Taten mindestens vergleichbaren Gewichts zu erwarten seien, sei seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anzuordnen.

5

b) Nach vorangegangener vorläufiger Unterbringung gemäß § 126a StPO seit dem 29. Juli 2004 wurde die Unterbringung des Beschwerdeführers gemäß § 63 StGB ab dem 8. Dezember 2004 im Bezirkskrankenhaus K. vollzogen.

6

c) Nach fünfjährigem Vollzug der Unterbringung lehnte das Landgericht Kempten im Jahr 2009 die nach § 463 Abs. 4 StPO grundsätzlich erforderliche Einholung eines externen Sachverständigengutachtens mit der Begründung ab, dass der Untergebrachte die Mitwirkung an der Begutachtung ablehne und sich bereits in der Entlassungsvorbereitung befinde. Da sich die Entlassung des Beschwerdeführers in der Folgezeit nicht realisierte, beauftragte das Landgericht zum nächsten Prüftermin im Jahr 2010 einen externen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser teilte jedoch kurze Zeit später mit, dass er kein Gutachten erstatten könne, da der Beschwerdeführer sich nicht von einem externen Gutachter begutachten lassen wolle. Das Landgericht Kempten ordnete daraufhin auf Grundlage der Stellungnahme des behandelnden Bezirkskrankenhauses erneut die Fortdauer der Unterbringung an. Das Oberlandesgericht München bestätigte die Entscheidung und stellte fest, dass die Einholung eines externen Gutachtens aufgrund des Verzichts des Beschwerdeführers nicht erforderlich gewesen sei. Auch in der Folgezeit unterblieb aufgrund der Weigerung des Beschwerdeführers, sich explorieren zu lassen, die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

7

2. Mit Beschluss vom 13. Dezember 2012 lehnte es das Landgericht Kempten erneut ab, die weitere Vollstreckung der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung auszusetzen, weil noch nicht erwartet werden könne, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde.

8

Nach dem Bericht des Bezirkskrankenhauses K. vom 16. Oktober 2012 bestünden bei dem Beschwerdeführer weiterhin ein schizophrenes Residuum sowie ein Alkoholmissbrauch. Im Prüfungszeitraum habe sich weder psychopathologisch noch in seinem Verhalten Entscheidendes verändert.

9

Danach könne die Maßregel zum jetzigen Zeitpunkt nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Von der Einholung eines externen Sachverständigengutachtens gemäß § 463 Abs. 4 StPO sei im Hinblick auf die weiterhin erklärte Verweigerung des Beschwerdeführers erneut abgesehen worden.

10

Der weitere Maßregelvollzug sei im Hinblick auf die zu befürchtenden Straftaten auch noch verhältnismäßig. So sei in der Vergangenheit immer wieder von aggressiven Ausbrüchen des Beschwerdeführers - meist in alkoholisiertem Zustand - berichtet worden. Gegenüber Nachbarn, Mitpatienten und sogar seiner Betreuerin sei es zu Übergriffen mit teilweise sexuellem Hintergrund gekommen. Einer Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landgericht Kempten im Jahr 1985 habe ein Vorfall zugrunde gelegen, bei dem er alkoholisiert in das Haus der Geschädigten eingedrungen sei, sie bis ins Schlafzimmer verfolgt und sie dort in sexueller Absicht auf das Bett gedrückt, dann aber sofort von ihr abgelassen habe. Ähnliche Taten könnten angesichts des zuletzt gezeigten Verhaltens auf der Station nicht ausgeschlossen werden. Nach der Einschätzung der behandelnden Therapeuten wären mit einem Absetzen der Medikamente außerdem eine Verstärkung der psychotischen Symptome sowie die Zunahme verbaler Aggressivität und fremdaggressiven Verhaltens verbunden.

11

3. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 21. Dezember 2012 verwarf das Oberlandesgericht München mit angegriffenem Beschluss vom 25. Januar 2013 unter vollumfänglicher Bezugnahme auf den Beschluss des Landgerichts Kempten als unbegründet.

12

Von der Einholung eines externen Sachverständigengutachtens habe abgesehen werden können. Der Beschwerdeführer habe mehrfach erklärt, dass er eine externe Begutachtung unabhängig von der Person des Sachverständigen ablehne. Das Landgericht habe sich daher die nötige Sachaufklärung in zulässiger Weise unter Zuhilfenahme anderer Erkenntnisquellen verschafft. Die eingeholte aktuelle gutachterliche Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses genüge in der Gesamtschau mit deren bisherigen Stellungnahmen den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten gemäß § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO.

II.

13

Der anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer sieht sich durch den angegriffenen Beschluss in verfassungsmäßigen Rechten verletzt. Ausführungen dazu, inwiefern die angegriffene Entscheidung bestimmte Grundrechte verletzen soll, enthält die Verfassungsbeschwerde nicht.

III.

14

1. a) Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat von einer Stellungnahme abgesehen.

15

b) Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde, soweit sie einer inhaltlichen Prüfung zugänglich sei, nicht für erfolgversprechend.

16

aa) Der Beschwerdeführer habe die Verfassungsbeschwerde nicht ausreichend gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG begründet. Der Beschwerdeführer habe für deren Verständnis relevante Entscheidungen und Dokumente weder vorgelegt, noch sonst inhaltlich wiedergegeben. Zudem fehle es an nachvollziehbaren Ausführungen dazu, inwieweit die angegriffene Entscheidung Verfassungsrecht verletzen solle.

17

bb) Soweit die Verfassungsbeschwerde eine Überprüfung der angegriffenen Entscheidung ermögliche, sei kein Verstoß gegen Verfassungsrecht ersichtlich.

18

(1) Der angegriffene Beschluss genüge den verfassungsrechtlichen Begründungs- und Darlegungsanforderungen. Die Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung sei zwar knapp, jedoch ausdrücklich mit Hinweis "auf die konkret bestehende Gefahr neuer Übergriffe im mittleren bis schweren Kriminalitätsbereich" noch ausreichend begründet worden.

19

(2) Es bestünden auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass von der Einholung eines externen Sachverständigengutachtens abgesehen worden sei.

20

Nach den verfassungsrechtlichen Maßstäben sei es zwar zumindest bedenklich, wenn Fachgerichte von der Begutachtung durch einen externen Sachverständigen bereits deshalb absähen, weil der Untergebrachte eine Exploration ablehne. Gleichwohl werde der gesteigerten Unvoreingenommenheit des externen Sachverständigen in der Regel gerade und nur dann die angestrebte besondere Bedeutung zukommen, wenn sich dieser selbst einen möglichst unmittelbaren Eindruck vom Untergebrachten habe verschaffen können. Ohne eigene Exploration hingegen könne sich seine gutachterliche Stellungnahme nur auf die Berichte der bereits mit dem Unterbringungsvollzug und der Behandlung befassten Personen stützen. Deren Darstellung und Einschätzung werde damit zur wesentlichen Beurteilungsgrundlage, wodurch gleichzeitig die institutionelle Unabhängigkeit des externen Sachverständigen wesentlich an Bedeutung verliere.

21

Für das Absehen des Oberlandesgerichts von einer Begutachtung durch einen externen Sachverständigen sei nicht allein maßgeblich gewesen, dass der Beschwerdeführer eine Exploration ablehne. Vielmehr sei ausdrücklich festgehalten, dass "die erholte aktuelle gutachterliche Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses K. […] in der Gesamtschau mit deren bisherigen Stellungnahmen den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten gemäß § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO" genüge. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nicht nur die Begutachtung durch einen bestimmten Sachverständigen, sondern jede Begutachtung abgelehnt habe.

22

2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 304 Js 133284/03 der Staatsanwaltschaft Augsburg vorgelegen.

B.

23

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere die sich aus dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungsverfahren ergebenden Anforderungen an die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus - bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 70, 297) und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

I.

24

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere hinsichtlich einer Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hinreichend begründet (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).

25

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Fortdauer seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgrund des vorgelegten Beschlusses des Oberlandesgerichts München vom 25. Januar 2013 und macht damit konkludent eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geltend. Eine ausdrückliche Benennung des als verletzt gerügten Grundrechtsartikels verlangen die §§ 23, 92 BVerfGG nicht (vgl. BVerfGE 84, 366 <369>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Oktober 2010 - 2 BvR 1710/10 -, juris, Rn. 16). Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer weder den vorangegangenen Fortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 4. Januar 2012 noch die Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses K. vom 16. Oktober 2012, auf die der angegriffene Beschluss Bezug nimmt, vorgelegt hat, da es zur Überprüfung und Feststellung der Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebotes bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungsverfahren (vgl. BVerfGE 70, 297 <308 ff.>) der Vorlage dieser Dokumente nicht bedarf.

II.

26

Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 25. Januar 2013 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG, weil er den Anforderungen, die sich aus dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung für die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ergeben, nicht genügt.

27

1. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährt jedermann die "Freiheit der Person" und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein (vgl. BVerfGE 128, 326 <372> m.w.N.). Eine Einschränkung darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter Beachtung strenger formeller Gewährleistungen erfolgen (vgl. BVerfGE 70, 297 <307>).

28

a) Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat dabei auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Aus ihr ergeben sich Mindesterfordernisse für eine zuverlässige Wahrheitserforschung. Es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben (vgl. BVerfGE 70, 297 <308>; BVerfGK 15, 287 <294 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2012 - 2 BvR 2521/11 -, juris, Rn. 15).

29

Das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gilt auch für den Straf- und Maßregelvollzug (vgl. BVerfGE 70, 297 <309>; BVerfGK 15, 287 <295>). Im Rahmen dieses Gebotes besteht bei Prognoseentscheidungen, bei denen geistige und seelische Anomalien in Frage stehen, in der Regel die Pflicht, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dies gilt insbesondere dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist; denn die Umstände, die diese bestimmen, sind für den Richter oft schwer erkennbar und abzuwägen (BVerfGE 70, 297 <309>). Daraus folgt zwar noch nicht, dass bei jeder nach § 67e Abs. 2 StGB turnusmäßig vorzunehmenden Überprüfung der Unterbringung von Verfassungs wegen zwingend ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen wäre (BVerfGK 15, 287<295>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Juni 2008 - 2 BvR 598/08 -, juris, Rn. 4). Nicht bei jeder Überprüfung der Unterbringung muss der gleiche Aufwand veranlasst sein (BVerfGE 70, 297 <309>). Bestehen keine zwingenden gesetzlichen Vorgaben, hängt es von dem sich nach den Umständen des einzelnen Falles bestimmenden pflichtgemäßen Ermessen des Richters ab, in welcher Weise er die Aussetzungsreife prüft. Immer ist allerdings eine für den Einzelfall hinreichende Gründlichkeit bei der Entscheidungsfindung zu gewährleisten (vgl. BVerfGE 70, 297 <309 f.>; BVerfGK 15, 287 <295>).

30

Befindet sich der Untergebrachte seit langer Zeit in ein und demselben psychiatrischen Krankenhaus, ist es in der Regel geboten, von Zeit zu Zeit einen anstaltsfremden Sachverständigen hinzuzuziehen, um der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorzubeugen (vgl. BVerfGE 70, 297 <311, 316>; 109, 133 <162>; 117, 71 <105, 106>; BVerfGK 5, 40 <43>; 15, 287 <295>) und um auszuschließen, dass Belange der Anstalt oder die Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten beeinflussen (vgl. BVerfGE 109, 133 <164>; BVerfGK 15, 287 <295>). Aus denselben Gründen kann es bei langdauernder Unterbringung weitergehend angezeigt sein, den Untergebrachten von einem solchen externen Sachverständigen begutachten zu lassen, der im Laufe des Vollstreckungsverfahrens noch überhaupt nicht mit dem Untergebrachten befasst war (BVerfGE 109, 133 <164>; BVerfGK 15, 287 <295 f.>).

31

b) Mit der Einführung von § 463 Abs. 4 StPO im Jahr 2007 hat der Gesetzgeber diese verfassungsrechtlichen Vorgaben einfachrechtlich prozedural besonders abgesichert. Danach soll im Rahmen der Überprüfungen nach § 67e StGB das Gericht nach jeweils fünf Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen (§ 463 Abs. 4 Satz 1 StPO), der weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen ist (§ 463 Abs. 4 Satz 2 Alt. 1 StPO) noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeitet, in dem sich die untergebrachte Person befindet (§ 463 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 StPO). Die Vorschrift konkretisiert das verfassungsrechtliche Gebot bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungsverfahren, indem durch die Hinzuziehung eines bisher nicht mit der untergebrachten Person befassten Gutachters, der eine kritische Distanz zu den bisherigen - im Laufe der letzten fünf Jahre eingeholten - Stellungnahmen hält, der Gefahr von Routinebeurteilungen vorgebeugt und die Prognosesicherheit des Gerichts entscheidend verbessert werden soll (vgl. BTDrucks 16/1110, S. 19; BVerfGK 15, 287 <296 f.>).

32

Nach dieser Regelung ist ein externes Gutachten als Grundlage einer nach fünf Jahren zu treffenden Überprüfungsentscheidung nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen entbehrlich (BVerfGK 15, 287 <297> m.w.N.). Eine Ausgestaltung des § 463 Abs. 4 StPO als Mussvorschrift ist im Gesetzgebungsverfahren zunächst nur unterblieben, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass einige Ländergesetze zum Maßregelvollzug bereits regelmäßige externe Begutachtungen in kürzeren Zeitabständen vorsahen. Wenn in diesen Fällen nach fünf Jahren vollzogener Unterbringung bereits ein aktuelles externes Gutachten vorliegt, könne - so der Gesetzgeber - auf die neuerliche Einholung eines externen Gutachtens verzichtet werden (BTDrucks 16/5137, S. 11). Dasselbe könne gelten, wenn die untergebrachte Person sich bereits in der Entlassungsvorbereitung befinde, da die Einholung eines externen Gutachtens hier zu einer ungewollten Verlängerung der Unterbringung führen könne (BTDrucks 16/5137, S. 11 f.), sowie in Fällen, in denen die untergebrachte Person neben der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, sodass es sich als sachgerechter darstellen könne, eine externe Begutachtung mit dem möglichen Zeitpunkt der Strafaussetzung nach § 67 Abs. 5 StGB abzustimmen (BTDrucks 16/5137, S. 12). Die möglicherweise fehlende Bereitschaft des Betroffenen zur Mitwirkung an der Begutachtung ist demgegenüber im Gesetzgebungsverfahren nicht als Grund für die Ausgestaltung von § 463 Abs. 4 StPO als Sollvorschrift genannt worden.

33

Die Einhaltung der Vorgaben aus § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO ist ein Verfassungsgebot. Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn dergestalt, dass die Einhaltung der Formvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes zum Verfassungsgebot erhoben wird. Die Verletzung des § 463 Abs. 4 StPO wird damit zu einem Verfassungsverstoß, dem der Betroffene mit der Verfassungsbeschwerde entgegentreten kann (BVerfGK 15, 287<298>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2012 - 2 BvR 2521/11 -, juris, Rn. 19).

34

c) Die Auslegung und Anwendung des § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO ist zunächst Aufgabe der Fachgerichte. Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist erst dann gerechtfertigt, wenn deren Auslegung und Anwendung der freiheitssichernden Vorschrift des § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO mit Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts nicht zu vereinbaren sind oder sich als objektiv willkürlich erweisen (BVerfGK 15, 287<298>; vgl. auch BVerfGE 65, 317 <322>).

35

Die Fachgerichte haben bei Auslegung und Anwendung der prozeduralen Sicherungen des Freiheitsgrundrechts allerdings zu berücksichtigen, dass die materiellen Freiheitsgarantien des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG unter den grundrechtlich verbürgten Rechten ein besonderes Gewicht haben und die Freiheit des Einzelnen nur in einem mit wesentlichen formellen Garantien ausgestatteten Verfahren entzogen werden darf. Daher sind Inhalt und Reichweite der Form- und Verfahrensvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes von den Fachgerichten so auszulegen, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten, schon um einer Aushöhlung und Entwertung des Grundrechts über das Verfahrensrecht entgegenzuwirken (BVerfGE 65, 317 <322 f.>; BVerfGK 15, 287 <298> m.w.N.).

36

2. Die angegriffene Entscheidung hält diesen Maßstäben nicht stand.

37

Es kann dahinstehen, ob angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer nach seiner Begutachtung im Erkenntnisverfahren im Jahr 2004 seit achteinhalb Jahren von keinem externen Sachverständigen untersucht worden ist, eine externe Begutachtung nicht schon unabhängig von der Regelung des § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO von Verfassungs wegen angezeigt gewesen wäre. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers jedenfalls deshalb, weil das Gericht die einfachrechtlichen Vorgaben aus § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO und deren Bedeutung für die Sicherung des Freiheitsgrundrechts des Beschwerdeführers nicht hinreichend beachtet hat (vgl. BVerfGK 15, 287 <299>).

38

a) Eine der Ausgestaltung des § 463 Abs. 4 StPO als Sollvorschrift zugrundeliegende Ausnahmekonstellation liegt nicht vor. Weder bestand für das Oberlandesgericht die Möglichkeit, auf ein aktuelles externes Gutachten zurückzugreifen, da der Beschwerdeführer nach seiner Begutachtung im Erkenntnisverfahren im Jahr 2004 von keinem externen Sachverständigen untersucht und begutachtet worden ist, noch konnte - im Unterschied zu der Fortdauerentscheidung des Jahres 2009 - ein Verzicht auf die Einholung eines Gutachtens unter dem Gesichtspunkt einer ungewollten Verlängerung der Unterbringung angesichts einer bevorstehenden Entlassung des Beschwerdeführers gerechtfertigt werden. Ebenso wenig kam eine Zurückstellung der Begutachtung mit dem Ziel einer sachgerechten Abstimmung mit der Entscheidung über eine mögliche Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 67 Abs. 5 StGB in Betracht.

39

b) Der Notwendigkeit der Einholung eines externen Sachverständigengutachtens kann auch nicht entgegengehalten werden, die aktuelle gutachterliche Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses K. genüge in der Gesamtschau mit den bisherigen Stellungnahmen den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten gemäß § 463 Abs. 1 Satz 1 StPO. Dies ist mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren, die gerade darauf abzielt, der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorzubeugen und auszuschließen, dass Belange der Anstalt oder die Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten beeinflussen. Die Hinzuziehung eines bisher mit der untergebrachten Person nicht befassten Gutachters soll sicherstellen, dass eine eigenständige Bewertung aus kritischer Distanz zu den Stellungnahmen der Unterbringungseinrichtung erfolgt und dadurch die Prognosesicherheit der gerichtlichen Entscheidung verbessert wird. Diese dem externen Gutachten zukommende Funktion kann durch die Stellungnahmen der Klinik nicht übernommen werden.

40

c) Schließlich führt auch die Weigerung des Beschwerdeführers, an einer Begutachtung mitzuwirken, nicht zur Entbehrlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dies käme allenfalls dann in Betracht, wenn ein ohne Mitwirkung des Betroffenen erstelltes Gutachten keinen Beitrag zur Verbesserung der Prognosesicherheit des Gerichts leisten könnte. Davon kann aber nicht ohne Weiteres ausgegangen werden:

41

Zwar wird die eigenständige Exploration des Untergebrachten durch den Sachverständigen regelmäßig die Aussagekraft und Belastbarkeit eines Gutachtens erhöhen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass einem ohne Mitwirkung des Betroffenen nach der Aktenlage erstellten Sachverständigengutachten keine zusätzliche Bedeutung im Rahmen der durch das Gericht zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt. Bei der Erstellung des Gutachtens ist der Sachverständige nicht nur auf die Feststellungen und Stellungnahmen der Unterbringungseinrichtung angewiesen. Er kann darüber hinaus auf frühere Gutachten und Unterlagen aus dem Erkenntnisverfahren zurückgreifen. Zudem wird er die Feststellungen und Stellungnahmen der Unterbringungseinrichtung einer eigenständigen Bewertung zuführen, bei der sich seine gesteigerte Unvoreingenommenheit und kritische Distanz entfalten können. Daher ist nicht auszuschließen, dass der externe Gutachter zu Ergebnissen gelangt, die sich von den Bewertungen der Unterbringungseinrichtungen unterscheiden. Auch wenn dies nicht der Fall ist, kann ein derartiges Sachverständigengutachten zu einer deutlichen Erweiterung der tatsächlichen Grundlage führen, von der das Gericht bei seiner Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung auszugehen hat. Daher ist aufgrund des Gebotes bestmöglicher Sachaufklärung die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens regelmäßig auch dann nicht verzichtbar, wenn der Betroffene seine Mitwirkung an der Erstellung des Gutachtens verweigert (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2380/06 -, juris, Rn. 31; OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. März 2013 - 1 Ws 307/12 -, juris, Rn. 43; OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. März 2012 - 3 Ws 33/12 -, juris, Rn. 25; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Februar 2009 - 2 Ws 19/09 -, juris, Rn. 34). Welche Bedeutung einem solchen nach der Aktenlage erstellten Gutachten zukommt, ist durch das Gericht im Rahmen seiner Fortdauerentscheidung eigenständig zu bewerten. Einen Verzicht auf die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens rechtfertigt dies regelmäßig jedoch nicht.

III.

42

1. Da der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 25. Januar 2013 durch den Verzicht auf die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens dem Gebot bestmöglicher Sachaufklärung nicht genügt und dadurch das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers verletzt hat, ist er aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

43

Bei der nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu treffenden Entscheidung wird zu beachten sein, dass sich das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers angesichts der Dauer seiner Unterbringung auf die an die Begründung einer Fortdauerentscheidung zu stellenden Anforderungen auswirkt (vgl. BVerfGE 70, 297 <315 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 442/12 -, juris, Rn. 17). Erforderlich ist eine Konkretisierung der Art und des Grades der Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten des Beschwerdeführers, die Darlegung der "Erheblichkeit" dieser Taten im Sinne des § 63 StGB sowie des Überwiegens der Sicherungsbelange der Allgemeinheit gegenüber dem aufgrund der Dauer der Unterbringung zunehmenden Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers und die Auseinandersetzung mit der Frage, ob den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit auch durch den Beschwerdeführer weniger belastende Maßnahmen Rechnung getragen werden kann (vgl. BVerfGE 70, 297 <312 ff.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13 -, juris, Rn. 18, 19). Dem genügt der Hinweis, dass bei dem Beschwerdeführer nach wie vor ein schizophrenes Residuum sowie ein Alkoholmissbrauch vorliegen und sich weder psychopathologisch noch in seinem Verhalten Entscheidendes verändert habe, ebenso wenig wie die Behauptung, dass eine Entlassung des Beschwerdeführers zur Zunahme verbaler Aggressivität und fremdaggressiven Verhaltens führen werde. Nichts anderes gilt für den bloßen Verweis auf eine der Unterbringung nicht zugrundeliegende Verurteilung aus dem Jahr 1985 und die Darlegung, dass der Beschwerdeführer während der Unterbringung immer wieder durch lautstarke Beschimpfungen aufgefallen und einer Patientin gegenüber zudringlich geworden sei. Dies vermag weder die gebotene Konkretisierung der Art und des Grades der Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten des Beschwerdeführers zu ersetzen noch ergibt sich hieraus ohne Weiteres ein Überwiegen der Sicherungsinteressen der Allgemeinheit gegenüber dem zunehmenden Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers.

44

2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Tenor

1. § 23 Absatz 2 Satz 2 Alternative 1 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2000 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern Seite 182, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Änderungsgesetzes vom 9. November 2010, Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern Seite 642, 649) ist mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

2. Der Beschluss des Amtsgerichts Waren (Müritz) vom 4. September 2014 - 411 XIV 48/14 L - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben.

3. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.- I.

1

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die medizinische Zwangsbehandlung einer aufgrund des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2000 (GVOBl M-V S. 182, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Änderungsgesetzes vom 9.November 2010, GVOBl M-V S. 642, 649) vorläufig Untergebrachten. Die Zwangsbehandlung erfolgte auf der Grundlage von § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V.

2

Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

§ 23

Behandlung

(1) Die Betroffenen haben Anspruch auf die notwendige Behandlung und psychosoziale Beratung. Die Behandlung schließt die dazu erforderlichen Untersuchungen sowie beschäftigungs- und arbeitstherapeutische, heilpädagogische und psychotherapeutische Maßnahmen mit ein. Die Behandlung soll außerhalb der Einrichtung durchgeführt werden, wenn dadurch ihre Erfolgsaussichten verbessert werden. Die Behandlung wegen der Erkrankung, die zu der Unterbringung geführt hat, erfolgt nach einem Behandlungsplan. Der Behandlungsplan soll mit dem Betroffenen und auf seinen Wunsch mit den gesetzlichen Vertretern oder Betreuern erörtert werden.

(2) Behandlungsmaßnahmen bedürfen der Einwilligung des Betroffenen oder der gesetzlichen Vertreter. Ohne Einwilligung darf eine Behandlung nur durchgeführt werden, wenn der Betroffene aufgrund der Krankheit einsichts- oder steuerungsunfähig ist und die Behandlung nicht mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit verbunden ist oder er sich in einem Zustand befindet, in dem ohne sofortige Behandlung eine erhebliche und unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit der kranken Person oder Dritter besteht. Der Rechtsanwalt des Betroffenen ist unverzüglich zu informieren.

(3) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Betroffenen dauerhaft in ihrem Kernbereich ändern würde, insbesondere ein psychochirurgischer Eingriff, ist unzulässig.

3

2. Die weiteren hier relevanten Vorschriften des Gesetzes lauten:

§ 1

Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz regelt

1. Hilfen für psychisch Kranke,

2. Maßnahmen gegenüber psychisch Kranken,

3. die Unterbringung

a) von psychisch Kranken nach diesem Gesetz, soweit das Verfahren nicht in dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geregelt ist,

b) von psychisch Kranken, die nach § 63, § 64 des Strafgesetzbuches sowie § 7 des Jugendgerichtsgesetzes untergebracht sind.

(2) Psychisch Kranke im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die an einer Psychose, einer psychischen Störung, die in ihren Auswirkungen einer Psychose gleichkommt, oder einer mit dem Verlust der Selbstkontrolle einhergehenden Abhängigkeit von Suchtstoffen leiden.

(3) Dieses Gesetz findet auch Anwendung auf geistig behinderte Personen, bei denen ohne Behandlung keine Aussicht auf Besserung besteht.

(4) Die in diesem Gesetz geregelten Hilfen werden auch Personen gewährt, bei denen Anzeichen einer der in Absatz 2 genannten psychischen Erkrankungen bestehen.

§ 11

Voraussetzungen der Unterbringung

(1) Die Unterbringung von psychisch Kranken nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a ist nur zulässig, wenn und solange durch ihr krankhaftes Verhalten gegen sich oder andere eine gegenwärtige erhebliche Gefahr einer Selbstschädigung oder für die öffentliche Sicherheit besteht, die nicht anders abgewendet werden kann. Die fehlende Bereitschaft, sich einer notwendigen ärztlichen Behandlung zu unterziehen, rechtfertigt für sich allein keine Unterbringung.

(2) Eine gegenwärtige Gefahr im Sinne von Absatz 1 besteht dann, wenn infolge der Krankheit ein schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist.

§ 12

Ziel der Unterbringung

(1) Ziel der Unterbringung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a ist es, die in § 11 genannte Gefahr abzuwenden und die untergebrachte Person nach Maßgabe dieses Gesetzes zu behandeln.

(2) Ziel der Unterbringung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe b ist die Heilung oder Besserung des Zustandes im Sinne der §§ 136, 137 des Strafvollzugsgesetzes insbesondere durch ärztliche, psychotherapeutische, sozialtherapeutische oder heilpädagogische Maßnahmen sowie die soziale und berufliche Eingliederung.

§ 21

Rechtliche Stellung

Die Betroffenen unterliegen nur den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen. Ihnen dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Einrichtung und zum Schutz anderer Betroffener unerlässlich sind.

§ 22

Besondere Sicherungsmaßnahmen

(1) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind nur zulässig, wenn die gegenwärtige erhebliche Gefahr besteht, dass der Betroffene sich selbst tötet oder ernsthaft verletzt oder gewalttätig wird oder die Einrichtung ohne Erlaubnis verlassen wird und wenn dieser Gefahr nicht anders begegnet werden kann.

(2) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind:

1. die Beschränkung des Aufenthalts im Freien,

2. die Wegnahme von Gegenständen,

3. die Absonderung in einen besonderen Raum,

4. die Fixierung.

(3) Jede besondere Sicherungsmaßnahme ist durch die ärztliche Leitung befristet anzuordnen, ärztlich zu überwachen und unverzüglich aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für ihre Anordnung weggefallen sind. Anordnung und Aufhebung der besonderen Sicherungsmaßnahmen sind schriftlich zu dokumentieren. Von jeder Anordnung ist der Rechtsanwalt des Betroffenen unverzüglich zu benachrichtigen.

§ 31

Besuchskommission

(1) Das Ministerium für Soziales und Gesundheit bildet eine Besuchskommission für die forensischen Einrichtungen und die Landkreise und kreisfreien Städte bilden jeweils Besuchskommissionen für die psychiatrischen Kliniken, die in der Regel ohne Anmeldung mindestens einmal jährlich die Einrichtungen, in denen Personen nach diesem Gesetz untergebracht sind, besuchen und überprüfen, ob die mit der Unterbringung von psychisch Kranken verbundenen Aufgaben erfüllt und die Rechte der Betroffenen gewahrt werden. Dabei ist den Betroffenen Gelegenheit zu geben, Wünsche oder Beschwerden vorzutragen.

(2) Innerhalb von zwei Monaten nach jedem Besuch einer Einrichtung fertigt die Besuchskommission einen Bericht an, der auch die Wünsche und Beschwerden der Betroffenen enthält und zu ihnen Stellung nimmt. Eine Zusammenfassung dieser Berichte übersendet das Ministerium für Gesundheit und Soziales dem Landtag, erstmals zwei Jahre nach In-Kraft-Treten dieses Gesetzes, sodann mindestens alle zwei Jahre.

(3) Der Besuchskommission gehören an:

1. (aufgehoben)

2. ein Arzt für Psychiatrie,

3. ein Richter,

4. ein Sozialarbeiter des für den Bereich, in dem die besuchte Einrichtung liegt, zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienstes,

5. ein Bürger ohne Fachkunde, der von dem für Gesundheit zuständigen Ausschuss des Landtages benannt wird,

6. ein Vertreter eines Interessenverbandes der Freunde oder Angehörigen psychisch Kranker, der von dem Landkreis oder der kreisfreien Stadt benannt wird, in deren Zuständigkeit die besuchte Einrichtung liegt. Der Besuchskommission für die forensischen Einrichtungen gehört ein sachkundiger Mitarbeiter des Ministeriums für Soziales und Gesundheit an. Dem zuständigen Amtsarzt ist Gelegenheit zur Teilnahme an den Besuchen zu geben. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales kann im Benehmen mit der Besuchskommission weitere Personen zu den Besuchen hinzuziehen, soweit der Zweck des Besuches dadurch besser erfüllt werden kann.

(4) Die Berufung der Mitglieder der Besuchskommissionen und die Einrichtung der Geschäftsstellen erfolgt

a) durch das Ministerium für Soziales und Gesundheit für Besuche von forensischen Einrichtungen und

b) durch die Landkreise und kreisfreien Städte für Besuche von allgemeinpsychiatrischen Einrichtungen. Für jedes Mitglied ist mindestens ein Stellvertreter zu berufen. Die Geschäftsstellen der Besuchskommissionen übersenden die in Absatz 2 genannten Berichte an die Geschäftsstelle der Besuchskommission für die Einrichtungen des Maßregelvollzugs. Die Geschäftsstelle der Besuchskommission für die Einrichtungen des Maßregelvollzugs fasst die Berichte aller Besuchskommissionen zusammen und führt mindestens einmal im Berichtszeitraum eine Beratung der Geschäftsführungen aller Besuchskommissionen durch.

(5) Die Mitglieder und ihre Stellvertreter werden für zwei Jahre berufen. Eine erneute Berufung ist zulässig.

(6) Die Mitglieder der Besuchskommission sind nicht an Weisungen gebunden. Sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ihre Entschädigung richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter.

(7) Die Aufsichtspflichten und -rechte der zuständigen Behörden sowie das Recht der Betroffenen, andere Überprüfungs- oder Beschwerdeinstanzen anzurufen, bleiben unberührt.

§ 42

Unmittelbarer Zwang

(1) Soweit es die Durchführung der Maßnahmen nach diesem Gesetz gebietet, sind Ärzte der Einrichtungen befugt, unmittelbaren Zwang anzuwenden. Soweit es erforderlich ist, können sie diese Befugnis im Einzelfall auf andere Bedienstete der Einrichtung übertragen.

(2) Gegenüber anderen Personen als den Betroffenen darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn sie es unternehmen, Betroffene zu befreien, oder wenn sie unbefugt in den Bereich der Einrichtung eindringen oder sich unbefugt dort aufhalten.

(3) Das Recht zur Anwendung unmittelbaren Zwanges aufgrund anderer Vorschriften bleibt unberührt.

§ 44

Bekanntgabe und Begründung von Anordnungen, Akteneinsicht

(1) Entscheidungen und Anordnungen im Rahmen der Unterbringung sind den Betroffenen unverzüglich bekannt zu geben und, soweit es der gesundheitliche Zustand des Betroffenen zulässt, zu erläutern. Sie sind in den jeweiligen Krankenakten zu vermerken und zu begründen. Soweit Entscheidungen oder Anordnungen schriftlich ergehen, erhalten die jeweiligen gesetzlichen Vertreter eine Abschrift.

(2) Die Betroffenen und ihre gesetzlichen Vertreter erhalten auf Verlangen unentgeltlich Auskunft über die zur Person der Betroffenen gespeicherten Daten sowie Einsicht in die über sie geführten Akten. Den Betroffenen können Auskunft und Einsicht verweigert werden, wenn eine Verständigung mit ihnen wegen ihres Gesundheitszustandes nicht möglich ist. Ist bei einer vollständigen Auskunft oder Einsichtnahme mit schwerwiegenden gesundheitlichen Nachteilen bei dem Betroffenen zu rechnen, so soll der behandelnde Arzt die entsprechenden Inhalte unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes an den Betroffenen vermitteln. Die Verweigerung von Auskunft oder Einsicht ist mit einer Begründung in den Akten zu vermerken.

4

3. Die mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffene Norm wurde in der Zwischenzeit außer Kraft gesetzt und neu gefasst. Mit der Drucksache 6/5185 vom 24. Februar 2016 brachte die Regierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern den Entwurf eines Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten in den Landtag ein. Zur Begründung des Gesetzentwurfs heißt es unter anderem:

"Das Psychischkrankengesetz, welches nahezu unverändert seit dem Jahre 2000 gilt (nachfolgend PsychKG M-V 2000), regelt die Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten [...].

In den vergangenen Jahren haben sich [...] jedoch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Unterbringung in zentralen Punkten durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesgerichtshofes geändert. [...] Danach ist die Zwangsbehandlung nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs klar bestimmt [...].

Das derzeitige Landesrecht genügt den von der Rechtsprechung definierten Voraussetzungen nicht in verfassungsrechtlich hinreichendem Maße. [...] Daher ist eine umfassende Neufassung dieser Normen erforderlich [...]" (LTDrucks 6/5185, S. 1 f.).

5

Am 6. Juli 2016 beschloss der Landtag die Neufassung des Psychischkrankengesetzes. Die Rechtsgrundlage für die Durchführung einer Zwangsbehandlung wurde vollständig novelliert. Nunmehr bestimmt § 26 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V n.F.) vom 14. Juli 2016 (GVOBl M-V S. 593) die Voraussetzungen der ärztlichen Zwangsmaßnahme. Das PsychKG M-V n.F. trat am 30. Juli 2016 in Kraft. Gleichzeitig wurde das PsychKG M-V in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2000 (GVOBl M-V S. 182), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 9. November 2010 (GVOBl M-V S. 642, 649), außer Kraft gesetzt (vgl. § 51 PsychKG M-V n.F.).

6

§ 26 PsychKG M-V n.F. lautet:

§ 26

Ärztliche Zwangsmaßnahme

(1) Eine medizinische Behandlung gegen den natürlichen Willen der Menschen mit psychischen Krankheiten (ärztliche Zwangsmaßnahme) darf nur durchgeführt werden

1. mit dem Ziel, die fortdauernde Notwendigkeit einer Unterbringung nach den Abschnitten 4 und 6 zu beseitigen oder

2. soweit die Maßnahme erforderlich ist, um eine gegenwärtige Lebensgefahr oder schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der Menschen mit psychischen Krankheiten oder eine von ihnen infolge ihrer Krankheit ausgehende gegenwärtige Lebensgefahr oder erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Menschen, die sich in der Einrichtung aufhalten, abzuwenden oder

3. soweit die Maßnahme dazu dient, eine sonst erforderliche besondere Sicherungsmaßnahme nach § 21 Absatz 2 Nummer 3 bis 5 zu vermeiden oder zu beenden und

4. wenn die Menschen mit psychischen Krankheiten aufgrund dieser Krankheiten die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können und wenn

5. die Maßnahme im Hinblick auf das Behandlungsziel Erfolg verspricht,

6. es aussichtslos erscheint, mit einem milderen Mittel, insbesondere einer weniger eingreifende[n] Behandlung, das mit der Maßnahme verfolgte Ziel zu erreichen und

7. der zu erwartende Nutzen der Behandlung die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.

(2) Eine ärztliche Zwangsmaßnahme setzt voraus, dass durch die behandelnde Ärztin oder den Arzt

1. vor Beginn der Behandlung ernsthaft versucht wurde, eine auf Vertrauen gegründete, freiwillige Einwilligung der Menschen mit psychischen Krankheiten zu erreichen,

2. eine den Verständnismöglichkeiten der Menschen mit psychischen Krankheiten entsprechende Information über die beabsichtigte Behandlung, ihre Wirkungen und Ziele vorausgegangen ist, und

3. den Menschen mit psychischen Krankheiten nach Scheitern des Gespräches nach Nummer 1 die Beantragung der gerichtlichen Anordnung nebst der Möglichkeit der Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme angekündigt worden ist. Die behandelnde Ärztin oder der Arzt muss die Durchführung der Gespräche und deren Ergebnis dokumentieren.

(3) Die Behandlung muss von einer Ärztin oder einem Arzt angeordnet, überwacht und dokumentiert werden.

(4) Eine ärztliche Zwangsmaßnahme ist nur mit vorheriger Zustimmung des Betreuungsgerichts auf Antrag der Einrichtung, bei im Maßregelvollzug untergebrachten Menschen mit psychischen Krankheiten der Strafvollstreckungskammer oder der Jugendkammer oder bei vorläufig untergebrachten Menschen mit psychischen Krankheiten des Haftgerichtes oder des Gerichtes der Hauptsache auf Antrag der Einrichtung des Maßregelvollzuges zulässig. Dies gilt nicht in den Fällen, in denen eine ärztliche Zwangsmaßnahme dazu dient, eine gegenwärtige Lebensgefahr oder eine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der Menschen mit psychischen Krankheiten abzuwenden, wenn hierdurch die Behandlung verzögert würde und sich hieraus Nachteile für das Leben oder die Gesundheit der Menschen mit psychischen Krankheiten ergeben würden. Die Zustimmung ist unverzüglich nachträglich einzuholen. Für die Strafvollstreckungs- und die Jugendkammern oder die Haftgerichte oder die Gerichte der Hauptsache gelten ihre jeweiligen Prozessordnungen und Verfahrensrechte. Sie haben darüber hinaus entsprechend der §§ 319 und 321 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Menschen mit psychischen Krankheiten persönlich anzuhören und ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zugleich ist den Menschen mit psychischen Krankheiten eine Verteidigerin oder ein Verteidiger als notwendige Verteidigung beizuordnen.

7

4. Am 29. Juli 2014 wies das Gesundheitsamt des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte die Beschwerdeführerin in die geschlossene Abteilung des MediClin Müritz-Klinikums ein und stellte bei dem Amtsgericht Waren (Müritz) den Antrag, ihre vorläufige Unterbringung anzuordnen. Den Antrag begründete das Gesundheitsamt unter anderem damit, dass die Beschwerdeführerin Medikamente verweigere und sich seit drei Wochen extrem auffällig verhalte. Seit dem frühen Morgen des 29. Juli 2014 fühlten sich der Bruder und die Mutter der Beschwerdeführerin von dieser bedroht. Zudem laufe sie seit sechs Uhr morgens ununterbrochen mit einem schweren Blumenkübel im Arm im Kreis, sei völlig erschöpft und dehydriert. Aufgrund der Hitze und der Entkräftung bestehe eine akute Selbstgefährdung, so dass eine geschlossene Unterbringung erforderlich sei.

8

5. In dem ärztlichen Zeugnis vom 29. Juli 2014 wird ausgeführt, dass die Einweisung notfallmäßig zur erneuten Krisenintervention erfolgt sei. Die Beschwerdeführerin leide bekanntermaßen an einer paranoiden halluzinatorischen Schizophrenie. Die Symptomatik sei unter anderem gekennzeichnet durch eine hohe innere Anspannung und den Verlust von Realitätsbewusstsein; die Beschwerdeführerin verhalte sich selbstgefährdend, und es fehle ihr an Krankheitseinsicht. Sie verweigere zudem die medikamentöse Behandlung und wolle die Klinik verlassen. Aus dem richterlichen Anhörungsprotokoll vom 30. Juli 2014 geht hervor, dass die behandelnde Ärztin einen Verbleib der Beschwerdeführerin in der Unterbringung für einen Zeitraum von sechs Wochen für erforderlich hielt.

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6. Mit Beschluss vom 30. Juli 2014 ordnete das Amtsgericht Waren (Müritz) nach Anhörung der Beschwerdeführerin die vorläufige Unterbringung durch einstweilige Anordnung gemäß § 331, § 332, § 312 Nr. 3 FamFG in Verbindung mit § 11 PsychKG M-V längstens bis zum 9. September 2014 an. Zudem wurde eine Verfahrenspflegerin bestellt. Es bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsmaßnahme gegeben seien und mit einem Aufschub eine so erhebliche Gefahr für die Beschwerdeführerin verbunden wäre, dass sie sofort untergebracht werden müsse. Das Gericht schließe sich aufgrund der Anhörung der Beschwerdeführerin dem ärztlichen Zeugnis vom 29. Juli 2014 an. Auch im Hinblick auf die Dauer der Unterbringung folge das Gericht dem ärztlichen Zeugnis. Durch das krankhafte Verhalten der Beschwerdeführerin bestehe eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für eine Selbstschädigung, die nicht anders abgewendet werden könne. Zu ihrem Wohl sei es notwendig, dass sie stationär behandelt und insbesondere unter stationären Bedingungen beobachtet werde.

10

7. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 1. August 2014 "Widerspruch" ein. Der Beschluss sei ein Missverständnis, sie habe nie einem anderen Menschen oder sich selbst Leid angetan und werde dies auch zukünftig nicht tun. Mit Beschluss vom 8. August 2014 half das Amtsgericht dem als Beschwerde ausgelegten Rechtsbehelf nach erneuter Anhörung der Beschwerdeführerin und der behandelnden Ärzte nicht ab und legte die Sache dem Landgericht Neubrandenburg zur Entscheidung vor. Das Landgericht wies die Beschwerde nach einer weiteren Anhörung der Beschwerdeführerin und Einholung ergänzender Stellungnahmen der behandelnden Ärztin und der Verfahrenspflegerin mit Beschluss vom 13. August 2014 zurück. Es bestehe eine gegenwärtige erhebliche Gefahr zumindest einer Selbstschädigung, zudem sei die Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihre Krankheit uneinsichtig und lehne eine Behandlung ab. Im Falle einer Entlassung und ohne medikamentöse Behandlung sei der Eintritt einer selbstschädigenden Handlung zwar nicht konkret vorhersehbar, aber gleichwohl jederzeit zu erwarten. Eine solche könne zu einer gesundheitlichen Schädigung oder einem völligen Zusammenbruch führen.

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8. Mit Schreiben vom 26. August 2014 wandte sich die Beschwerdeführerin erneut an das Landgericht. Der Beschluss vom 13. August 2014 verhalte sich nicht zu einer Zwangsmedikation. Sie habe jedoch bereits einmal gewaltsam eine Spritze erhalten. Im Abstand von vierzehn Tagen sollten weitere Behandlungen folgen. Sie protestiere dagegen und halte diese Maßnahme für Körperverletzung.

12

9. Der Richter des Amtsgerichts, dem das Schreiben vom 26. August 2014 zuständigkeitshalber zugeleitet worden war, wandte sich seinerseits mit einem Schreiben an die Beschwerdeführerin. Darin führte er aus, dass die Zwangsmedikation notwendig sei, weil ihr jegliche Krankheits- und Behandlungseinsicht fehle. Die 14-tägige Behandlung mit einer Depotspritze sei zudem nicht mit erheblichen Gefahren für ihre Gesundheit verbunden. Sollte das verabreichte Medikament unerwünschte, nicht unerhebliche Nebenwirkungen entfalten, könne dies mit den behandelnden Ärzten besprochen werden und gegebenenfalls eine Medikamentenumstellung erfolgen. Der Richter zitierte überdies die hier mittelbar angegriffene Vorschrift und teilte der Beschwerdeführerin mit, dass eine Präzisierung der Voraussetzungen einer ärztlichen Behandlung gegen den Willen des Patienten im Rahmen der Unterbringung nach dem PsychKG M-V vom Landtag noch nicht verabschiedet worden sei. Dieses Schreiben wurde am 1. September 2014 an die Beschwerdeführerin versandt.

II.

13

1. Die Beschwerdeführerin hat am 28. August 2014 - ergänzt durch am 29. September 2014 eingegangenes Schreiben - Verfassungsbeschwerde eingelegt, mit der sie sich gegen ihre Zwangsbehandlung wendet. Sie sei in der Klinik bereits zwei Mal mit dem Medikament Zypadhera behandelt worden, die Dosis der ersten Spritze habe 200 Milligramm betragen. Zwei Wochen später sei ihr unter Anwendung von Gewalt durch Pfleger, Arzt und Schwester das Medikament erneut in einer höheren Dosierung (300 Milligramm) verabreicht worden. Nunmehr stehe eine weitere Behandlung bevor, wenn dies nicht verhindert werde. Sie halte dieses Vorgehen für Körperverletzung. Man habe zur Begründung der Behandlung auf eine bei ihr diagnostizierte Psychose verwiesen. Sie fühle sich allerdings kerngesund, sei nicht paranoid und habe auch keine Halluzinationen.

14

2. Auf das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 26. August 2014 forderte das Amtsgericht am 3. September 2014 schließlich doch eine Stellungnahme der behandelnden Ärztin an, um über die Rechtmäßigkeit der Zwangsbehandlung förmlich zu entscheiden.

15

3. In ihrer Stellungnahme vom selben Tag führte die behandelnde Ärztin aus, dass die neuroleptische Medikation der Beschwerdeführerin mit Olanzapin Depot (Zypadhera) weiterhin erforderlich sei. Einerseits diene die Medikation der Behandlung der zum Aufnahmezeitpunkt vorliegenden Positivsymptomatik der paranoiden Schizophrenie. Diese sei unter der Medikation gut rückläufig gewesen. Andererseits erfolge die Behandlung zur Verhinderung eines erneuten Ausbruchs der Krankheit im Sinne einer Prophylaxe. Das Absetzen der Medikamente würde eine Exazerbation im Sinne der Positivsymptomatik zur Folge haben. Die Positivsymptomatik der paranoiden Schizophrenie sei typischerweise gekennzeichnet durch Wahnvorstellungen, Halluzinationen, insbesondere akustische Halluzinationen mit kommentierenden und imperativen Stimmen, Denkzerfahrenheit mit desorganisierter Sprache und desorganisiertem Verhalten, katatone Symptome, flache sowie inadäquate Affekte und Ich-Störungen. Es könnten zudem vielfältige Wahnideen auftreten. Aus dem Verfolgungswahn könne ein ängstlich-zurückhaltendes oder ein suizidales Verhalten resultieren. Ohne die Behandlung drohe die Chronifizierung der Krankheit. Als mögliche Nebenwirkung der Behandlung könne zwar das maligne neuroleptische Syndrom auftreten, dies sei jedoch sehr selten (0,2 Prozent). Das Syndrom sei unter anderem durch Rigor, Fieber oder eine Bewusstseinstrübung, ferner durch eine autonome Dysregulation sowie einen Anstieg der Kreatinkinase gekennzeichnet; in zirka einem Fünftel dieser Fälle sei es lebensgefährlich. Nach Absetzen des Medikaments bilde sich das Syndrom innerhalb von etwa zehn Tagen zurück. Weitere Nebenfolgen der Medikation wie motorische Effekte im Sinne von Bewegungsstörungen, Herzrhythmusstörungen und Gewichtszunahme seien ebenfalls möglich. Zu der durchgeführten Behandlung gebe es aber keine Alternative.

16

4. Mit angegriffenem Beschluss vom 4. September 2014 genehmigte das Amtsgericht Waren (Müritz) "die Verabreichung einer Depotspritze mit dem Medikament Olanzapin Depot (Zypadhera) betreuungsgerichtlich". Mit Schreiben vom 26. August 2014 habe sich die Beschwerdeführerin "gegen die ärztlicherseits durchgeführte Medikation in Form einer 14-tägigen Depotspritze" gewandt. Das Gericht werte diese Eingabe der Beschwerdeführerin vom 26. August 2014 an das Landgericht als "Widerspruch gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Vollzug der Unterbringung gemäß § 327 Abs. 1, § 312 Abs. 1 Nr. 3 FamFG in Verbindung mit § 11 PsychKG M-V". Der Antrag sei unbegründet. Zwar bestünden im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 23 PsychKG M-V, und der Gesetzgeber habe eine Ergänzung des PsychKG M-V durch Einfügung eines § 23a erwogen. Dies könne nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht dazu führen, krankheitsuneinsichtigen geschlossen untergebrachten Patienten die notwendige ärztliche Heilbehandlung zu versagen, selbst wenn diese gegen den von ihnen geäußerten Willen vorgenommen werden müsse. Der Beschwerdeführerin fehle jegliche Behandlungs- und Krankheitseinsicht. Die Verabreichung der Depotspritze gegen ihren Willen sei der ärztlichen Stellungnahme zufolge zur Verhinderung eines erheblichen gesundheitlichen Schadens erforderlich. Die Behandlung der paranoiden Schizophrenie habe dazu geführt, dass deren Positivsymptomatik gut rückläufig gewesen und ein erneuter Ausbruch der Krankheit verhindert worden sei. Das Absetzen der Medikamente hätte dagegen eine Verschlimmerung des bestehenden Zustands zur Folge gehabt. Soweit Nebenwirkungen wie Fieber, Bewusstseinsstörungen, autonome Dysregulation sowie ein Anstieg der Kreatinkinase möglich seien, würden diese nur bei 0,2 Prozent aller Patienten auftreten und sich nach Absetzen des Medikaments binnen zehn Tagen zurückbilden. Mildere Mittel bestünden ausweislich der ärztlichen Auskunft nicht.

17

5. Die Beschwerdeführerin wurde in der Rechtsmittelbelehrung darauf hingewiesen, dass der Beschluss gemäß § 327 Abs. 4 FamFG unanfechtbar sei.

18

6. Nach Übersendung des Beschlusses an das Klinikum wurde die Beschwerdeführerin ein drittes Mal - erkennbar gegen ihren Willen, aber diesmal ohne Gegenwehr - mit dem Medikament Zypadhera behandelt und am 9. September 2014 aus der geschlossenen Unterbringung entlassen.

III.

19

1. Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern hat mit Schreiben vom 22. Juni 2016 den Entwurf eines Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten übersandt (vgl. LTDrucks 6/5185) und im Übrigen von einer Stellungnahme abgesehen.

20

2. Dem Senat hat die Akte des fachgerichtlichen Verfahrens vorgelegen.

B. - I.

21

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

22

1. Der Rechtsweg ist erschöpft. Die Beschwerdeführerin durfte sich insbesondere auf die Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses verlassen, wonach dieser gemäß § 327 Abs. 4 FamFG unanfechtbar sei. Selbst wenn es sich dabei um eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung gehandelt haben sollte und eine Beschwerde gemäß § 312 Satz 2, § 58 Abs. 1 FamFG statthaft gewesen wäre, darf ein Rechtsirrtum des Amtsgerichts nicht dazu führen, dass die Verfassungsbeschwerde in Ermangelung der Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig ist (vgl. BVerfGE 19, 253 <256 f.> unter Verweis auf BVerfGE 4, 193 <198>).

23

2. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht der Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. etwa BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>) im Hinblick darauf entgegen, dass die Beschwerdeführerin im fachgerichtlichen Verfahren nicht ausdrücklich die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage der Zwangsbehandlung in Frage gestellt hat (vgl. BVerfGE 129, 269 <279>). Es kann letztlich offen bleiben, ob das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen des fachgerichtlichen Verfahrens in diesem Sinne auszulegen war. Denn es handelt sich bei den Fragen, die der vorliegende Fall hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten gesetzlichen Vorschrift aufwirft, nicht um solche, zu deren Prüfung die Gerichte nur auf der Grundlage hinreichend substantiierten Vorbringens angehalten sind (vgl. BVerfGE 129, 269 <279>; BVerfGK 19, 286 <287 f.>). Hinzu kommt, dass das Amtsgericht die verfassungsrechtliche Dimension des Falles durchaus erkannt und in seinem Beschluss auf die Bedenklichkeit der Vorschrift vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs hingewiesen hat. Es hat die Vorschrift - entgegen diesen Bedenken und der einschlägigen Rechtsprechung - gleichwohl unter Verzicht auf eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG angewendet und dies mit der medizinischen Notwendigkeit der Zwangsbehandlung begründet.

24

3. Auch nach Beendigung der Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin und der Neufassung des Landesgesetzes ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsaktes oder jedenfalls für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit vorliegt (vgl. BVerfGE 81, 138 <140>). Dieses Rechtsschutzbedürfnis muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fortbestehen (vgl. BVerfGE 21, 139 <143>; 30, 54 <58>; 33, 247 <253>; 50, 244 <247>; 56, 99 <106>; 72, 1 <5>; 81, 138 <140>). Bei Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens besteht das Rechtsschutzbedürfnis fort, wenn entweder die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung andernfalls unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint oder eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder die aufgehobene oder gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer noch weiterhin beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 33, 247 <257 f.>; 69, 161 <168>; 81, 138 <140>; 139, 245 <263 f. Rn. 53>). Zudem wird in Fällen besonders tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstöße das Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses angenommen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen konnte (vgl. BVerfGE 81, 138 <140 f.>; 110, 77 <85 f.>; 117, 244 <268>; stRspr). Der Grundrechtsschutz des Beschwerdeführers würde andernfalls in unzumutbarer Weise verkürzt (vgl. BVerfGE 34, 165 <180>; 41, 29 <43>; 49, 24 <51 f.>; 81, 138 <141>). Der Umstand, dass die Fachgerichte und das Bundesverfassungsgericht häufig außerstande sind, schwierige Fragen in kurzer Zeit zu entscheiden, darf nicht dazu führen, dass eine Verfassungsbeschwerde allein wegen des vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenden Zeitablaufs als unzulässig verworfen wird (vgl. BVerfGE 74, 163 <172 f.>; 76, 1 <38 f.>; 81, 138 <141>). Mit der Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin ohne ausreichende gesetzliche Grundlage steht jedenfalls ein tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstoß in Rede (vgl. BVerfGE 128, 282 <303>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2014 - 2 BvR 1698/12 -, juris, Rn. 21), gegen den die Beschwerdeführerin eine verfassungsgerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig hätte erlangen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2014 - 2 BvR 1698/12 -, juris, Rn. 21).

II.

25

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der angegriffene Beschluss verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

26

1. Die medizinische Zwangsbehandlung eines Untergebrachten greift in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein, das die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht schützt (vgl. BVerfGE 128, 282 <300>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 49>). Entsprechendes gilt für Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung des Untergebrachten als rechtmäßig bestätigen (vgl. BVerfGE 129, 269 <280>).

27

Dem Eingriffscharakter einer Zwangsbehandlung steht nicht entgegen, dass sie zum Zweck der Heilung vorgenommen wird (vgl. BVerfGE 128, 282 <300>). Eine schädigende Zielrichtung ist nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (vgl. BVerfGE 128, 282 <300> m.w.N.).

28

Die Eingriffsqualität entfällt auch nicht bereits dann, wenn der Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand entgegensetzt (vgl. BVerfGE 128, 282 <300>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 50>). Eine Zwangsbehandlung im Sinne einer medizinischen Behandlung, die gegen den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt, liegt unabhängig davon vor, ob eine gewaltsame Durchsetzung der Maßnahme erforderlich wird oder der Betroffene sich, etwa weil er die Aussichtslosigkeit eines körperlichen Widerstandes erkennt, ungeachtet fortbestehender Ablehnung in die Maßnahme fügt und damit die Anwendung körperlicher Gewalt entbehrlich macht (vgl. BVerfGE 128, 282 <321>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 50>). Die beanstandete Behandlung der Beschwerdeführerin mit dem Neuroleptikum Zypadhera und die angegriffene gerichtliche Entscheidung verlieren ihren grundrechtseingreifenden Charakter folglich nicht dadurch, dass sich die Beschwerdeführerin - jedenfalls in einem der drei Fälle -, ohne ihre Ablehnung aufzugeben, aus Angst vor Zwangsmaßnahmen auf die Verabreichung des Medikaments eingelassen hat.

29

2. Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten kann allerdings ungeachtet der besonderen Schwere des darin liegenden Eingriffs durch sein grundrechtlich geschütztes Freiheitsinteresse gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 128, 282 <303 ff.>; 129, 269 <280 ff.>; 133, 112 <131 ff. Rn. 52 ff.>).

30

a) Es ist dem Gesetzgeber nicht prinzipiell verwehrt, medizinische Zwangsbehandlungen zuzulassen (vgl. BVerfGE 128, 282 <303>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 f. Rn. 52>). Zur Rechtfertigung des damit verbundenen Grundrechtseingriffs kann das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) als legitimer Zweck geeignet sein, sofern der Untergebrachte zur Wahrnehmung dieses Interesses infolge krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit nicht in der Lage ist (vgl. BVerfGE 128, 282 <304>).

31

b) Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten ist, wie jeder andere Grundrechtseingriff, nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat aus den grundrechtlichen Garantien (vgl. BVerfGE 128, 282 <311, 313, 315>) und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 128, 282 <308 ff., 313>) konkrete Anforderungen an die Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung der im Maßregelvollzug Untergebrachten aufgestellt. Die gesetzliche Grundlage muss sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung vorgeben (vgl. BVerfGE 128, 282 <317>). Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des besonders schwerwiegenden Eingriffs müssen hinreichend klar und bestimmt geregelt sein (vgl. BVerfGE 128, 282 <317 f.> m.w.N.).

32

aa) Eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Durchführung einer Zwangsbehandlung mit dem Ziel, den Betroffenen so bald wie möglich in die Freiheit zu entlassen, muss strikt dessen krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit oder dessen Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten zur Voraussetzung haben (vgl. BVerfGE 128, 282 <307 f.>; 129, 269 <281 f.>; 133, 112 <134 Rn. 59>).

33

bb) Aus den Grundrechten ergeben sich zudem Anforderungen an das Verfahren, die den Grundrechtsschutz gewährleisten sollen. Jedenfalls bei planmäßigen Behandlungen ist - abgeleitet aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG - eine Ankündigung erforderlich, die dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, rechtzeitig um Rechtsschutz zu ersuchen (vgl. BVerfGE 128, 282 <311>; 129, 269 <283>; 133, 112 <140 Rn. 70>). Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs unabdingbar ist überdies die Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch einen Arzt (vgl. BVerfGE 128, 282 <313>; 129, 269 <283>; 133, 112 <138 Rn. 67>). Als Vorwirkung der grundrechtlichen Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes ergibt sich ferner die Notwendigkeit, gegen den Willen des Untergebrachten ergriffene Behandlungsmaßnahmen, einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise, der maßgeblichen Gründe und der Wirkungsüberwachung, zu dokumentieren (vgl. BVerfGE 128, 282 <313 f.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <138 f. Rn. 68>). Schließlich fordert Art. 2 Abs. 2 GG spezielle verfahrensmäßige Sicherungen gegen die besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen, die sich ergeben, wenn über die Anordnung einer Zwangsbehandlung außerhalb akuter Notfälle allein die jeweilige Unterbringungseinrichtung entscheidet. Hierzu bedarf es einer vorausgehenden Prüfung der Maßnahme durch Dritte in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung (vgl. BVerfGE 128, 282 <315 ff.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <141 f. Rn. 71>).

34

cc) Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen darüber hinaus materielle Anforderungen an die Rechtsgrundlage. Die Vorschrift muss den Zweck oder die Zwecke, die einen Eingriff rechtfertigen sollen, abschließend bestimmen (vgl. BVerfGE 133, 112 <137 Rn. 64>). Eine gesetzliche Grundlage zur Durchführung der Zwangsbehandlung muss ferner festlegen, dass eine solche nur durchgeführt werden darf, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg verspricht (vgl. BVerfGE 128, 282 <309>). Überdies darf eine medizinische Zwangsbehandlung nur als letztes Mittel vorgesehen sein, wenn mildere Mittel nicht in Betracht kommen (vgl. BVerfGE 128, 282 <309> m.w.N.). Für eine medikamentöse Zwangsbehandlung zur Erreichung des Ziels, die Unterbringung möglichst bald zu beenden und so die persönliche Freiheit wiederzuerlangen, bedeutet dies erstens, dass eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos sein muss (vgl. BVerfGE 128, 282 <309>). Zweitens muss der Zwangsbehandlung, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgegangen sein, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erlangen (vgl. BVerfGE 128, 282 <309 f.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <139 Rn. 69>). Über die Erfordernisse der Geeignetheit und Erforderlichkeit hinaus ist Voraussetzung für die Rechtfertigung einer Zwangsbehandlung, dass sie für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden ist, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Die Angemessenheit ist nur gewahrt, wenn, unter Berücksichtigung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten, der zu erwartende Nutzen der Behandlung den möglichen Schaden der Nichtbehandlung überwiegt (vgl. BVerfGE 128, 282 <310 f.>). Im Hinblick auf die bestehenden Prognoseunsicherheiten und sonstigen methodischen Schwierigkeiten des hierfür erforderlichen Vergleichs trifft es die grundrechtlichen Anforderungen, wenn in medizinischen Fachkreisen ein deutlich feststellbares Überwiegen des Nutzens gefordert wird (BVerfGE 128, 282 <311> m.w.N.).

35

c) Diese - zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug entwickelten - Maßgaben sind auf die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zu übertragen (vgl. BVerfGK 19, 286 <288> unter Bezugnahme auf BVerfGE 128, 282; zur Übertragbarkeit vgl. LG Darmstadt, Beschluss vom 19. Dezember 2011 - 5 T 646/11 -, juris, Rn. 39 ff.; LG Verden, Beschluss vom 3. Dezember 2012 - 1 T 163/12 -, juris, Rn. 10; LG Berlin, Urteil vom 28. Januar 2015 - 86 O 88/14 -, juris, Rn. 53 ff.; Olzen/Metzmacher, BtPrax 2011, S. 233 <235 f.>; Dodegge, NJW 2012, S. 3694 <3697>; Diener, Patientenverfügungen psychisch kranker Personen und fürsorglicher Zwang, 2013, S. 193 ff.; Henking/Mittag, JR 2013, S. 341 <342>; Henking/Mittag, BtPrax 2014, S. 115 f.; Budde, in: Keidel, FamFG, 19. Auflage 2017, § 312 Rn. 9). Ihre Übertragbarkeit auf die öffentlich-rechtliche Unterbringung ist bereits in früheren Entscheidungen des Senats zur medizinischen Zwangsbehandlung angelegt. Die Beschlüsse zur Zwangsbehandlung in Baden-Württemberg (BVerfGE 129, 269) und in Sachsen (BVerfGE 133, 112) sind zwar im Hinblick auf im Maßregelvollzug Untergebrachte ergangen, der Anwendungsbereich der für verfassungswidrig erklärten Gesetze betraf jedoch sowohl Personen in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung als auch solche im Maßregelvollzug (vgl. den mittlerweile außer Kraft getretenen § 15 Abs. 1 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (UBG BW) vom 2. Dezember 1991, GBl S. 794, zuletzt geändert durch Art. 9 des Vierten Gesetzes zur Bereinigung des baden-württembergischen Landesrechts vom 4. Mai 2009, GBl S. 195, 199, BVerfGE 129, 269 <271>; vgl. ferner § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 38 Abs. 1 Satz 2 des sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten (SächsPsychKG) vom 10. Oktober 2007, SächsGVBl S. 422, BVerfGE 133, 112 <114>). Für die Übertragbarkeit dieser Maßgaben auf die medizinische Zwangsbehandlung in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung fällt entscheidend ins Gewicht, dass es im Hinblick auf den Umfang des Grundrechtsschutzes keinen Unterschied macht, auf welcher Rechtsgrundlage sich der Betroffene in der Unterbringung befindet. Der Schutzstandard für die Zwangsbehandlung muss in allen Fällen gleich hoch sein (vgl. bereits zur Übertragung der zum Maßregelvollzug entwickelten Maßstäbe auf eine Zwangsbehandlung im Rahmen der betreuungsrechtlichen Unterbringung BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2012 - XII ZB 99/12 -, BGHZ 193, 337 <346 Rn. 25 ff.> sowie XII ZB 130/12, juris, Rn. 28 ff.; vgl. ferner BVerfGE 142, 313 <343 f.>). Die Auffassung, dass die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht für die Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug entwickelt hat, auf die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zu übertragen sind, findet sich im Übrigen auch in den Gesetzgebungsmaterialien zu der Überarbeitung der Landesgesetze über die öffentlich-rechtliche Unterbringung. Die Gesetzentwürfe verweisen stets auf die Notwendigkeit einer Neuregelung, weil Anpassungsbedarf im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung bestehe. Dies gilt auch dann, wenn der Maßregelvollzug und die öffentlich-rechtliche Unterbringung in verschiedenen Gesetzen geregelt werden (vgl. etwa die Gesetzentwürfe für Nordrhein-Westfalen LTDrucks 16/12068, S. 27, 30 ff. oder für Hessen LTDrucks 19/3744, S. 1, 26).

36

3. Nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäben verletzt die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts die Beschwerdeführerin bereits deshalb in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, weil es für die Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin, die durch das Gericht als rechtmäßig bestätigt wurde, an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt. § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar und nichtig.

37

a) § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V wird den sich aus den Grundrechten ergebenden Anforderungen in Bezug auf das Verfahren der Behörden und Gerichte nicht gerecht, auf deren Einhaltung der in einer geschlossenen Einrichtung Untergebrachte, der einer Zwangsbehandlung unterzogen werden soll, jedoch in besonders hohem Maße angewiesen ist (vgl. BVerfGE 128, 282 <311>).

38

aa) Anders als es etwa § 22 Abs. 3 Satz 1 PsychKG M-V für die Anordnung und Überwachung besonderer Sicherungsmaßnahmen vorsieht, enthält die angegriffene Norm entgegen der verfassungsrechtlichen Vorgabe (vgl. BVerfGE 128, 282 <313>; 129, 269 <283>; 133, 112 <138 Rn. 67>) keine Regelung dazu, dass die Anordnung und Überwachung der medizinischen Zwangsbehandlung durch einen Arzt erfolgen muss.

39

bb) Die Vorschrift erfüllt zudem die sich aus dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebende verfahrensmäßige Vorgabe nicht, dass dem Eingriff eine von der Unterbringungseinrichtung unabhängige Prüfung vorausgehen muss (vgl. BVerfGE 128, 282 <315 ff.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <141 Rn. 71>). Nicht ausreichend ist der Schutz, den die Besuchskommission bieten kann, die nach § 31 Abs. 1 Satz 1 PsychKG M-V jedenfalls einmal jährlich die Einrichtungen besucht und kontrolliert. Zwar hat sie den gesetzlichen Auftrag, die Einhaltung der Patientenrechte zu überprüfen, sie untersucht aber nicht im Vorfeld jeder Zwangsbehandlung deren Rechtmäßigkeit, sondern kann in der Regel lediglich im Nachhinein über durchgeführte Zwangsbehandlungen an den Landtag berichten. Ferner verfügt die Kommission nicht über die Kompetenz, eine anstehende Zwangsbehandlung zu verhindern.

40

b) § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V erfüllt auch die aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit resultierenden materiellen Anforderungen an eine medizinische Zwangsbehandlung nicht.

41

aa) Zum einen fehlt es an der abschließenden Bestimmung des Zwecks oder der Zwecke, die den Eingriff rechtfertigen sollen, und damit an der Ausscheidung von Zwecken, die einen Eingriff prinzipiell nicht zu rechtfertigen geeignet sind (vgl. BVerfGE 133, 112 <137 Rn. 64>). Aus § 12 PsychKG M-V ergeben sich lediglich die Ziele, welche zur Rechtfertigung der Unterbringung selbst geeignet sind. Ob diese Zielvorgaben auf die Zwangsbehandlung zu übertragen beziehungsweise ob sie abschließend sind, lässt sich dem Gesetz jedoch nicht entnehmen.

42

bb) Zum anderen ist dem Erfordernis, die weiteren aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitenden Anforderungen einer Zwangsbehandlung gesetzlich zu konkretisieren, nicht genügt worden. Voraussetzung der Zulässigkeit für nicht unter § 23 Abs. 3 PsychKG M-V fallende Maßnahmen der Zwangsbehandlung (Behandlungen, die die Persönlichkeit des Betroffenen dauerhaft in ihrem Kernbereich ändern würden) ist nach § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V allein, dass sie nicht mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit des Betroffenen verbunden sind. Auch § 21 Satz 2 PsychKG M-V, der bestimmt, dass dem Betroffenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Einrichtung oder zum Schutz anderer Betroffener unerlässlich sind, stellt keine hinreichende gesetzliche Grundlage dar. Diese Vorgabe benennt zwar Aspekte der Verhältnismäßigkeit, legt aber keine ausreichend spezifischen Voraussetzungen für die Zwangsbehandlung fest und ist damit zu allgemein gehalten, um eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Schranke bilden zu können. Es fehlt insbesondere an einer angemessenen Regelung des - unabhängig von der Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen bestehenden - Erfordernisses des vorherigen Bemühens um eine auf Vertrauen gegründete, im Rechtssinne freiwillige Zustimmung (vgl. BVerfGE 128, 282 <309 f.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <139 Rn. 69>). Das Psychischkrankengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern in der hier einschlägigen Fassung enthält lediglich Vorgaben zur Information des Patienten über die beabsichtigte Vorgehensweise bei der Behandlung. § 23 Abs. 1 Satz 5 PsychKG M-V bestimmt, dass der Behandlungsplan mit dem Betroffenen erörtert werden soll. Auch § 44 Abs. 1 Satz 1, 2 PsychKG M-V verlangt lediglich in allgemeiner Form eine Erläuterung von Entscheidungen und Anordnungen im Rahmen der Unterbringung.

43

4. Die Frage, ob § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 PsychKG M-V, der eine sofortige Zwangsbehandlung zur Verhinderung einer erheblichen und unmittelbaren Gefahr für Leben oder Gesundheit der kranken Person oder Dritter betrifft, verfassungsgemäß ist, braucht für die hier vorliegende Konstellation nicht entschieden zu werden, weil der angegriffene Beschluss nicht auf diese Alternative gestützt ist.

44

5. Angesichts der Mängel der gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann ferner offen bleiben, ob die amtsgerichtliche Entscheidung den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch in weiterer Hinsicht nicht genügt. Festzuhalten ist jedoch, dass es zunächst Sache der Fachgerichte ist, auf Anträge von Untergebrachten hin, die sich gegen eine Zwangsbehandlung richten, auch die Vereinbarkeit der jeweils herangezogenen landesrechtlichen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz zu prüfen, gegebenenfalls vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren und bei negativem Ausgang der Prüfung die Sache im Verfahren der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen (vgl. BVerfGK 19, 286 <287> m.w.N.). Die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann von den Fachgerichten überdies von Amts wegen - unabhängig von einer entsprechenden Rüge des jeweiligen Klägers - zu prüfen sein (vgl. BVerfGE 129, 269 <279>; BVerfGK 19, 286 <287> m.w.N.). Zwar kann von den Fachgerichten nicht verlangt werden, rügeunabhängig oder unabhängig von näherer Substantiierung ein Gesetz ins Blaue hinein auf nicht offen zutage tretende verfassungsrechtliche Fehler zu prüfen (vgl. BVerfGK 19, 286 <287 f.> m.w.N.). Nachdem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die wesentlichen Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung jedoch geklärt sind (vgl. BVerfGE 128, 282; 129, 269; 133, 112), muss von den Fachgerichten aber erwartet werden, dass sie diese bei Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung von Untergebrachten betreffen, von Amts wegen im Auge behalten und entsprechend verfahren (vgl. BVerfGK 19, 286 <288>). Dies gilt insbesondere deshalb, weil auch sechs Jahre nach der ersten Entscheidung des Zweiten Senats zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (vgl. BVerfGE 128, 282) noch nicht alle Länder die Eingriffsgrundlage für die medizinische Zwangsbehandlung in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angepasst haben.

C. - I.

45

Die Verfassungswidrigkeit der Regelung in § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V führt zur nachträglichen Feststellung der Nichtigkeit dieses Teils der Vorschrift. § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V stellt mit Blick auf § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 einen abtrennbaren Teil der Vorschrift dar, dem eine unabhängige, selbstständige Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 112, 255; 128, 282 <321> m.w.N.). Über die Verfassungsmäßigkeit der novellierten Vorschrift (§ 26 PsychKG M-V n.F.) war hier nicht zu befinden.

II.

46

Die angegriffene Gerichtsentscheidung, die die Beschwerdeführerin mangels ausreichender gesetzlicher Grundlage in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt, ist aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Wegen der Besonderheit des Falles wird von einer Zurückverweisung abgesehen, weil für eine Entscheidung des Fachgerichts kein Spielraum mehr verbleibt. Das Amtsgericht könnte somit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur wiederholen (vgl. BVerfGE 35, 202 <244>; 79, 69 <79>).

III.

47

Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 100.000 € (in Worten: einhunderttausend Euro) festgesetzt.

Tenor

1. § 23 Absatz 2 Satz 2 Alternative 1 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2000 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern Seite 182, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Änderungsgesetzes vom 9. November 2010, Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern Seite 642, 649) ist mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

2. Der Beschluss des Amtsgerichts Waren (Müritz) vom 4. September 2014 - 411 XIV 48/14 L - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben.

3. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.- I.

1

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die medizinische Zwangsbehandlung einer aufgrund des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2000 (GVOBl M-V S. 182, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Änderungsgesetzes vom 9.November 2010, GVOBl M-V S. 642, 649) vorläufig Untergebrachten. Die Zwangsbehandlung erfolgte auf der Grundlage von § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V.

2

Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

§ 23

Behandlung

(1) Die Betroffenen haben Anspruch auf die notwendige Behandlung und psychosoziale Beratung. Die Behandlung schließt die dazu erforderlichen Untersuchungen sowie beschäftigungs- und arbeitstherapeutische, heilpädagogische und psychotherapeutische Maßnahmen mit ein. Die Behandlung soll außerhalb der Einrichtung durchgeführt werden, wenn dadurch ihre Erfolgsaussichten verbessert werden. Die Behandlung wegen der Erkrankung, die zu der Unterbringung geführt hat, erfolgt nach einem Behandlungsplan. Der Behandlungsplan soll mit dem Betroffenen und auf seinen Wunsch mit den gesetzlichen Vertretern oder Betreuern erörtert werden.

(2) Behandlungsmaßnahmen bedürfen der Einwilligung des Betroffenen oder der gesetzlichen Vertreter. Ohne Einwilligung darf eine Behandlung nur durchgeführt werden, wenn der Betroffene aufgrund der Krankheit einsichts- oder steuerungsunfähig ist und die Behandlung nicht mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit verbunden ist oder er sich in einem Zustand befindet, in dem ohne sofortige Behandlung eine erhebliche und unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit der kranken Person oder Dritter besteht. Der Rechtsanwalt des Betroffenen ist unverzüglich zu informieren.

(3) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Betroffenen dauerhaft in ihrem Kernbereich ändern würde, insbesondere ein psychochirurgischer Eingriff, ist unzulässig.

3

2. Die weiteren hier relevanten Vorschriften des Gesetzes lauten:

§ 1

Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz regelt

1. Hilfen für psychisch Kranke,

2. Maßnahmen gegenüber psychisch Kranken,

3. die Unterbringung

a) von psychisch Kranken nach diesem Gesetz, soweit das Verfahren nicht in dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geregelt ist,

b) von psychisch Kranken, die nach § 63, § 64 des Strafgesetzbuches sowie § 7 des Jugendgerichtsgesetzes untergebracht sind.

(2) Psychisch Kranke im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die an einer Psychose, einer psychischen Störung, die in ihren Auswirkungen einer Psychose gleichkommt, oder einer mit dem Verlust der Selbstkontrolle einhergehenden Abhängigkeit von Suchtstoffen leiden.

(3) Dieses Gesetz findet auch Anwendung auf geistig behinderte Personen, bei denen ohne Behandlung keine Aussicht auf Besserung besteht.

(4) Die in diesem Gesetz geregelten Hilfen werden auch Personen gewährt, bei denen Anzeichen einer der in Absatz 2 genannten psychischen Erkrankungen bestehen.

§ 11

Voraussetzungen der Unterbringung

(1) Die Unterbringung von psychisch Kranken nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a ist nur zulässig, wenn und solange durch ihr krankhaftes Verhalten gegen sich oder andere eine gegenwärtige erhebliche Gefahr einer Selbstschädigung oder für die öffentliche Sicherheit besteht, die nicht anders abgewendet werden kann. Die fehlende Bereitschaft, sich einer notwendigen ärztlichen Behandlung zu unterziehen, rechtfertigt für sich allein keine Unterbringung.

(2) Eine gegenwärtige Gefahr im Sinne von Absatz 1 besteht dann, wenn infolge der Krankheit ein schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist.

§ 12

Ziel der Unterbringung

(1) Ziel der Unterbringung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a ist es, die in § 11 genannte Gefahr abzuwenden und die untergebrachte Person nach Maßgabe dieses Gesetzes zu behandeln.

(2) Ziel der Unterbringung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe b ist die Heilung oder Besserung des Zustandes im Sinne der §§ 136, 137 des Strafvollzugsgesetzes insbesondere durch ärztliche, psychotherapeutische, sozialtherapeutische oder heilpädagogische Maßnahmen sowie die soziale und berufliche Eingliederung.

§ 21

Rechtliche Stellung

Die Betroffenen unterliegen nur den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen. Ihnen dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Einrichtung und zum Schutz anderer Betroffener unerlässlich sind.

§ 22

Besondere Sicherungsmaßnahmen

(1) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind nur zulässig, wenn die gegenwärtige erhebliche Gefahr besteht, dass der Betroffene sich selbst tötet oder ernsthaft verletzt oder gewalttätig wird oder die Einrichtung ohne Erlaubnis verlassen wird und wenn dieser Gefahr nicht anders begegnet werden kann.

(2) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind:

1. die Beschränkung des Aufenthalts im Freien,

2. die Wegnahme von Gegenständen,

3. die Absonderung in einen besonderen Raum,

4. die Fixierung.

(3) Jede besondere Sicherungsmaßnahme ist durch die ärztliche Leitung befristet anzuordnen, ärztlich zu überwachen und unverzüglich aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für ihre Anordnung weggefallen sind. Anordnung und Aufhebung der besonderen Sicherungsmaßnahmen sind schriftlich zu dokumentieren. Von jeder Anordnung ist der Rechtsanwalt des Betroffenen unverzüglich zu benachrichtigen.

§ 31

Besuchskommission

(1) Das Ministerium für Soziales und Gesundheit bildet eine Besuchskommission für die forensischen Einrichtungen und die Landkreise und kreisfreien Städte bilden jeweils Besuchskommissionen für die psychiatrischen Kliniken, die in der Regel ohne Anmeldung mindestens einmal jährlich die Einrichtungen, in denen Personen nach diesem Gesetz untergebracht sind, besuchen und überprüfen, ob die mit der Unterbringung von psychisch Kranken verbundenen Aufgaben erfüllt und die Rechte der Betroffenen gewahrt werden. Dabei ist den Betroffenen Gelegenheit zu geben, Wünsche oder Beschwerden vorzutragen.

(2) Innerhalb von zwei Monaten nach jedem Besuch einer Einrichtung fertigt die Besuchskommission einen Bericht an, der auch die Wünsche und Beschwerden der Betroffenen enthält und zu ihnen Stellung nimmt. Eine Zusammenfassung dieser Berichte übersendet das Ministerium für Gesundheit und Soziales dem Landtag, erstmals zwei Jahre nach In-Kraft-Treten dieses Gesetzes, sodann mindestens alle zwei Jahre.

(3) Der Besuchskommission gehören an:

1. (aufgehoben)

2. ein Arzt für Psychiatrie,

3. ein Richter,

4. ein Sozialarbeiter des für den Bereich, in dem die besuchte Einrichtung liegt, zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienstes,

5. ein Bürger ohne Fachkunde, der von dem für Gesundheit zuständigen Ausschuss des Landtages benannt wird,

6. ein Vertreter eines Interessenverbandes der Freunde oder Angehörigen psychisch Kranker, der von dem Landkreis oder der kreisfreien Stadt benannt wird, in deren Zuständigkeit die besuchte Einrichtung liegt. Der Besuchskommission für die forensischen Einrichtungen gehört ein sachkundiger Mitarbeiter des Ministeriums für Soziales und Gesundheit an. Dem zuständigen Amtsarzt ist Gelegenheit zur Teilnahme an den Besuchen zu geben. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales kann im Benehmen mit der Besuchskommission weitere Personen zu den Besuchen hinzuziehen, soweit der Zweck des Besuches dadurch besser erfüllt werden kann.

(4) Die Berufung der Mitglieder der Besuchskommissionen und die Einrichtung der Geschäftsstellen erfolgt

a) durch das Ministerium für Soziales und Gesundheit für Besuche von forensischen Einrichtungen und

b) durch die Landkreise und kreisfreien Städte für Besuche von allgemeinpsychiatrischen Einrichtungen. Für jedes Mitglied ist mindestens ein Stellvertreter zu berufen. Die Geschäftsstellen der Besuchskommissionen übersenden die in Absatz 2 genannten Berichte an die Geschäftsstelle der Besuchskommission für die Einrichtungen des Maßregelvollzugs. Die Geschäftsstelle der Besuchskommission für die Einrichtungen des Maßregelvollzugs fasst die Berichte aller Besuchskommissionen zusammen und führt mindestens einmal im Berichtszeitraum eine Beratung der Geschäftsführungen aller Besuchskommissionen durch.

(5) Die Mitglieder und ihre Stellvertreter werden für zwei Jahre berufen. Eine erneute Berufung ist zulässig.

(6) Die Mitglieder der Besuchskommission sind nicht an Weisungen gebunden. Sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ihre Entschädigung richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter.

(7) Die Aufsichtspflichten und -rechte der zuständigen Behörden sowie das Recht der Betroffenen, andere Überprüfungs- oder Beschwerdeinstanzen anzurufen, bleiben unberührt.

§ 42

Unmittelbarer Zwang

(1) Soweit es die Durchführung der Maßnahmen nach diesem Gesetz gebietet, sind Ärzte der Einrichtungen befugt, unmittelbaren Zwang anzuwenden. Soweit es erforderlich ist, können sie diese Befugnis im Einzelfall auf andere Bedienstete der Einrichtung übertragen.

(2) Gegenüber anderen Personen als den Betroffenen darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn sie es unternehmen, Betroffene zu befreien, oder wenn sie unbefugt in den Bereich der Einrichtung eindringen oder sich unbefugt dort aufhalten.

(3) Das Recht zur Anwendung unmittelbaren Zwanges aufgrund anderer Vorschriften bleibt unberührt.

§ 44

Bekanntgabe und Begründung von Anordnungen, Akteneinsicht

(1) Entscheidungen und Anordnungen im Rahmen der Unterbringung sind den Betroffenen unverzüglich bekannt zu geben und, soweit es der gesundheitliche Zustand des Betroffenen zulässt, zu erläutern. Sie sind in den jeweiligen Krankenakten zu vermerken und zu begründen. Soweit Entscheidungen oder Anordnungen schriftlich ergehen, erhalten die jeweiligen gesetzlichen Vertreter eine Abschrift.

(2) Die Betroffenen und ihre gesetzlichen Vertreter erhalten auf Verlangen unentgeltlich Auskunft über die zur Person der Betroffenen gespeicherten Daten sowie Einsicht in die über sie geführten Akten. Den Betroffenen können Auskunft und Einsicht verweigert werden, wenn eine Verständigung mit ihnen wegen ihres Gesundheitszustandes nicht möglich ist. Ist bei einer vollständigen Auskunft oder Einsichtnahme mit schwerwiegenden gesundheitlichen Nachteilen bei dem Betroffenen zu rechnen, so soll der behandelnde Arzt die entsprechenden Inhalte unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes an den Betroffenen vermitteln. Die Verweigerung von Auskunft oder Einsicht ist mit einer Begründung in den Akten zu vermerken.

4

3. Die mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffene Norm wurde in der Zwischenzeit außer Kraft gesetzt und neu gefasst. Mit der Drucksache 6/5185 vom 24. Februar 2016 brachte die Regierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern den Entwurf eines Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten in den Landtag ein. Zur Begründung des Gesetzentwurfs heißt es unter anderem:

"Das Psychischkrankengesetz, welches nahezu unverändert seit dem Jahre 2000 gilt (nachfolgend PsychKG M-V 2000), regelt die Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten [...].

In den vergangenen Jahren haben sich [...] jedoch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Unterbringung in zentralen Punkten durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesgerichtshofes geändert. [...] Danach ist die Zwangsbehandlung nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs klar bestimmt [...].

Das derzeitige Landesrecht genügt den von der Rechtsprechung definierten Voraussetzungen nicht in verfassungsrechtlich hinreichendem Maße. [...] Daher ist eine umfassende Neufassung dieser Normen erforderlich [...]" (LTDrucks 6/5185, S. 1 f.).

5

Am 6. Juli 2016 beschloss der Landtag die Neufassung des Psychischkrankengesetzes. Die Rechtsgrundlage für die Durchführung einer Zwangsbehandlung wurde vollständig novelliert. Nunmehr bestimmt § 26 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V n.F.) vom 14. Juli 2016 (GVOBl M-V S. 593) die Voraussetzungen der ärztlichen Zwangsmaßnahme. Das PsychKG M-V n.F. trat am 30. Juli 2016 in Kraft. Gleichzeitig wurde das PsychKG M-V in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2000 (GVOBl M-V S. 182), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 9. November 2010 (GVOBl M-V S. 642, 649), außer Kraft gesetzt (vgl. § 51 PsychKG M-V n.F.).

6

§ 26 PsychKG M-V n.F. lautet:

§ 26

Ärztliche Zwangsmaßnahme

(1) Eine medizinische Behandlung gegen den natürlichen Willen der Menschen mit psychischen Krankheiten (ärztliche Zwangsmaßnahme) darf nur durchgeführt werden

1. mit dem Ziel, die fortdauernde Notwendigkeit einer Unterbringung nach den Abschnitten 4 und 6 zu beseitigen oder

2. soweit die Maßnahme erforderlich ist, um eine gegenwärtige Lebensgefahr oder schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der Menschen mit psychischen Krankheiten oder eine von ihnen infolge ihrer Krankheit ausgehende gegenwärtige Lebensgefahr oder erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Menschen, die sich in der Einrichtung aufhalten, abzuwenden oder

3. soweit die Maßnahme dazu dient, eine sonst erforderliche besondere Sicherungsmaßnahme nach § 21 Absatz 2 Nummer 3 bis 5 zu vermeiden oder zu beenden und

4. wenn die Menschen mit psychischen Krankheiten aufgrund dieser Krankheiten die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können und wenn

5. die Maßnahme im Hinblick auf das Behandlungsziel Erfolg verspricht,

6. es aussichtslos erscheint, mit einem milderen Mittel, insbesondere einer weniger eingreifende[n] Behandlung, das mit der Maßnahme verfolgte Ziel zu erreichen und

7. der zu erwartende Nutzen der Behandlung die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.

(2) Eine ärztliche Zwangsmaßnahme setzt voraus, dass durch die behandelnde Ärztin oder den Arzt

1. vor Beginn der Behandlung ernsthaft versucht wurde, eine auf Vertrauen gegründete, freiwillige Einwilligung der Menschen mit psychischen Krankheiten zu erreichen,

2. eine den Verständnismöglichkeiten der Menschen mit psychischen Krankheiten entsprechende Information über die beabsichtigte Behandlung, ihre Wirkungen und Ziele vorausgegangen ist, und

3. den Menschen mit psychischen Krankheiten nach Scheitern des Gespräches nach Nummer 1 die Beantragung der gerichtlichen Anordnung nebst der Möglichkeit der Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme angekündigt worden ist. Die behandelnde Ärztin oder der Arzt muss die Durchführung der Gespräche und deren Ergebnis dokumentieren.

(3) Die Behandlung muss von einer Ärztin oder einem Arzt angeordnet, überwacht und dokumentiert werden.

(4) Eine ärztliche Zwangsmaßnahme ist nur mit vorheriger Zustimmung des Betreuungsgerichts auf Antrag der Einrichtung, bei im Maßregelvollzug untergebrachten Menschen mit psychischen Krankheiten der Strafvollstreckungskammer oder der Jugendkammer oder bei vorläufig untergebrachten Menschen mit psychischen Krankheiten des Haftgerichtes oder des Gerichtes der Hauptsache auf Antrag der Einrichtung des Maßregelvollzuges zulässig. Dies gilt nicht in den Fällen, in denen eine ärztliche Zwangsmaßnahme dazu dient, eine gegenwärtige Lebensgefahr oder eine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der Menschen mit psychischen Krankheiten abzuwenden, wenn hierdurch die Behandlung verzögert würde und sich hieraus Nachteile für das Leben oder die Gesundheit der Menschen mit psychischen Krankheiten ergeben würden. Die Zustimmung ist unverzüglich nachträglich einzuholen. Für die Strafvollstreckungs- und die Jugendkammern oder die Haftgerichte oder die Gerichte der Hauptsache gelten ihre jeweiligen Prozessordnungen und Verfahrensrechte. Sie haben darüber hinaus entsprechend der §§ 319 und 321 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Menschen mit psychischen Krankheiten persönlich anzuhören und ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zugleich ist den Menschen mit psychischen Krankheiten eine Verteidigerin oder ein Verteidiger als notwendige Verteidigung beizuordnen.

7

4. Am 29. Juli 2014 wies das Gesundheitsamt des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte die Beschwerdeführerin in die geschlossene Abteilung des MediClin Müritz-Klinikums ein und stellte bei dem Amtsgericht Waren (Müritz) den Antrag, ihre vorläufige Unterbringung anzuordnen. Den Antrag begründete das Gesundheitsamt unter anderem damit, dass die Beschwerdeführerin Medikamente verweigere und sich seit drei Wochen extrem auffällig verhalte. Seit dem frühen Morgen des 29. Juli 2014 fühlten sich der Bruder und die Mutter der Beschwerdeführerin von dieser bedroht. Zudem laufe sie seit sechs Uhr morgens ununterbrochen mit einem schweren Blumenkübel im Arm im Kreis, sei völlig erschöpft und dehydriert. Aufgrund der Hitze und der Entkräftung bestehe eine akute Selbstgefährdung, so dass eine geschlossene Unterbringung erforderlich sei.

8

5. In dem ärztlichen Zeugnis vom 29. Juli 2014 wird ausgeführt, dass die Einweisung notfallmäßig zur erneuten Krisenintervention erfolgt sei. Die Beschwerdeführerin leide bekanntermaßen an einer paranoiden halluzinatorischen Schizophrenie. Die Symptomatik sei unter anderem gekennzeichnet durch eine hohe innere Anspannung und den Verlust von Realitätsbewusstsein; die Beschwerdeführerin verhalte sich selbstgefährdend, und es fehle ihr an Krankheitseinsicht. Sie verweigere zudem die medikamentöse Behandlung und wolle die Klinik verlassen. Aus dem richterlichen Anhörungsprotokoll vom 30. Juli 2014 geht hervor, dass die behandelnde Ärztin einen Verbleib der Beschwerdeführerin in der Unterbringung für einen Zeitraum von sechs Wochen für erforderlich hielt.

9

6. Mit Beschluss vom 30. Juli 2014 ordnete das Amtsgericht Waren (Müritz) nach Anhörung der Beschwerdeführerin die vorläufige Unterbringung durch einstweilige Anordnung gemäß § 331, § 332, § 312 Nr. 3 FamFG in Verbindung mit § 11 PsychKG M-V längstens bis zum 9. September 2014 an. Zudem wurde eine Verfahrenspflegerin bestellt. Es bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsmaßnahme gegeben seien und mit einem Aufschub eine so erhebliche Gefahr für die Beschwerdeführerin verbunden wäre, dass sie sofort untergebracht werden müsse. Das Gericht schließe sich aufgrund der Anhörung der Beschwerdeführerin dem ärztlichen Zeugnis vom 29. Juli 2014 an. Auch im Hinblick auf die Dauer der Unterbringung folge das Gericht dem ärztlichen Zeugnis. Durch das krankhafte Verhalten der Beschwerdeführerin bestehe eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für eine Selbstschädigung, die nicht anders abgewendet werden könne. Zu ihrem Wohl sei es notwendig, dass sie stationär behandelt und insbesondere unter stationären Bedingungen beobachtet werde.

10

7. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 1. August 2014 "Widerspruch" ein. Der Beschluss sei ein Missverständnis, sie habe nie einem anderen Menschen oder sich selbst Leid angetan und werde dies auch zukünftig nicht tun. Mit Beschluss vom 8. August 2014 half das Amtsgericht dem als Beschwerde ausgelegten Rechtsbehelf nach erneuter Anhörung der Beschwerdeführerin und der behandelnden Ärzte nicht ab und legte die Sache dem Landgericht Neubrandenburg zur Entscheidung vor. Das Landgericht wies die Beschwerde nach einer weiteren Anhörung der Beschwerdeführerin und Einholung ergänzender Stellungnahmen der behandelnden Ärztin und der Verfahrenspflegerin mit Beschluss vom 13. August 2014 zurück. Es bestehe eine gegenwärtige erhebliche Gefahr zumindest einer Selbstschädigung, zudem sei die Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihre Krankheit uneinsichtig und lehne eine Behandlung ab. Im Falle einer Entlassung und ohne medikamentöse Behandlung sei der Eintritt einer selbstschädigenden Handlung zwar nicht konkret vorhersehbar, aber gleichwohl jederzeit zu erwarten. Eine solche könne zu einer gesundheitlichen Schädigung oder einem völligen Zusammenbruch führen.

11

8. Mit Schreiben vom 26. August 2014 wandte sich die Beschwerdeführerin erneut an das Landgericht. Der Beschluss vom 13. August 2014 verhalte sich nicht zu einer Zwangsmedikation. Sie habe jedoch bereits einmal gewaltsam eine Spritze erhalten. Im Abstand von vierzehn Tagen sollten weitere Behandlungen folgen. Sie protestiere dagegen und halte diese Maßnahme für Körperverletzung.

12

9. Der Richter des Amtsgerichts, dem das Schreiben vom 26. August 2014 zuständigkeitshalber zugeleitet worden war, wandte sich seinerseits mit einem Schreiben an die Beschwerdeführerin. Darin führte er aus, dass die Zwangsmedikation notwendig sei, weil ihr jegliche Krankheits- und Behandlungseinsicht fehle. Die 14-tägige Behandlung mit einer Depotspritze sei zudem nicht mit erheblichen Gefahren für ihre Gesundheit verbunden. Sollte das verabreichte Medikament unerwünschte, nicht unerhebliche Nebenwirkungen entfalten, könne dies mit den behandelnden Ärzten besprochen werden und gegebenenfalls eine Medikamentenumstellung erfolgen. Der Richter zitierte überdies die hier mittelbar angegriffene Vorschrift und teilte der Beschwerdeführerin mit, dass eine Präzisierung der Voraussetzungen einer ärztlichen Behandlung gegen den Willen des Patienten im Rahmen der Unterbringung nach dem PsychKG M-V vom Landtag noch nicht verabschiedet worden sei. Dieses Schreiben wurde am 1. September 2014 an die Beschwerdeführerin versandt.

II.

13

1. Die Beschwerdeführerin hat am 28. August 2014 - ergänzt durch am 29. September 2014 eingegangenes Schreiben - Verfassungsbeschwerde eingelegt, mit der sie sich gegen ihre Zwangsbehandlung wendet. Sie sei in der Klinik bereits zwei Mal mit dem Medikament Zypadhera behandelt worden, die Dosis der ersten Spritze habe 200 Milligramm betragen. Zwei Wochen später sei ihr unter Anwendung von Gewalt durch Pfleger, Arzt und Schwester das Medikament erneut in einer höheren Dosierung (300 Milligramm) verabreicht worden. Nunmehr stehe eine weitere Behandlung bevor, wenn dies nicht verhindert werde. Sie halte dieses Vorgehen für Körperverletzung. Man habe zur Begründung der Behandlung auf eine bei ihr diagnostizierte Psychose verwiesen. Sie fühle sich allerdings kerngesund, sei nicht paranoid und habe auch keine Halluzinationen.

14

2. Auf das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 26. August 2014 forderte das Amtsgericht am 3. September 2014 schließlich doch eine Stellungnahme der behandelnden Ärztin an, um über die Rechtmäßigkeit der Zwangsbehandlung förmlich zu entscheiden.

15

3. In ihrer Stellungnahme vom selben Tag führte die behandelnde Ärztin aus, dass die neuroleptische Medikation der Beschwerdeführerin mit Olanzapin Depot (Zypadhera) weiterhin erforderlich sei. Einerseits diene die Medikation der Behandlung der zum Aufnahmezeitpunkt vorliegenden Positivsymptomatik der paranoiden Schizophrenie. Diese sei unter der Medikation gut rückläufig gewesen. Andererseits erfolge die Behandlung zur Verhinderung eines erneuten Ausbruchs der Krankheit im Sinne einer Prophylaxe. Das Absetzen der Medikamente würde eine Exazerbation im Sinne der Positivsymptomatik zur Folge haben. Die Positivsymptomatik der paranoiden Schizophrenie sei typischerweise gekennzeichnet durch Wahnvorstellungen, Halluzinationen, insbesondere akustische Halluzinationen mit kommentierenden und imperativen Stimmen, Denkzerfahrenheit mit desorganisierter Sprache und desorganisiertem Verhalten, katatone Symptome, flache sowie inadäquate Affekte und Ich-Störungen. Es könnten zudem vielfältige Wahnideen auftreten. Aus dem Verfolgungswahn könne ein ängstlich-zurückhaltendes oder ein suizidales Verhalten resultieren. Ohne die Behandlung drohe die Chronifizierung der Krankheit. Als mögliche Nebenwirkung der Behandlung könne zwar das maligne neuroleptische Syndrom auftreten, dies sei jedoch sehr selten (0,2 Prozent). Das Syndrom sei unter anderem durch Rigor, Fieber oder eine Bewusstseinstrübung, ferner durch eine autonome Dysregulation sowie einen Anstieg der Kreatinkinase gekennzeichnet; in zirka einem Fünftel dieser Fälle sei es lebensgefährlich. Nach Absetzen des Medikaments bilde sich das Syndrom innerhalb von etwa zehn Tagen zurück. Weitere Nebenfolgen der Medikation wie motorische Effekte im Sinne von Bewegungsstörungen, Herzrhythmusstörungen und Gewichtszunahme seien ebenfalls möglich. Zu der durchgeführten Behandlung gebe es aber keine Alternative.

16

4. Mit angegriffenem Beschluss vom 4. September 2014 genehmigte das Amtsgericht Waren (Müritz) "die Verabreichung einer Depotspritze mit dem Medikament Olanzapin Depot (Zypadhera) betreuungsgerichtlich". Mit Schreiben vom 26. August 2014 habe sich die Beschwerdeführerin "gegen die ärztlicherseits durchgeführte Medikation in Form einer 14-tägigen Depotspritze" gewandt. Das Gericht werte diese Eingabe der Beschwerdeführerin vom 26. August 2014 an das Landgericht als "Widerspruch gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Vollzug der Unterbringung gemäß § 327 Abs. 1, § 312 Abs. 1 Nr. 3 FamFG in Verbindung mit § 11 PsychKG M-V". Der Antrag sei unbegründet. Zwar bestünden im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 23 PsychKG M-V, und der Gesetzgeber habe eine Ergänzung des PsychKG M-V durch Einfügung eines § 23a erwogen. Dies könne nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht dazu führen, krankheitsuneinsichtigen geschlossen untergebrachten Patienten die notwendige ärztliche Heilbehandlung zu versagen, selbst wenn diese gegen den von ihnen geäußerten Willen vorgenommen werden müsse. Der Beschwerdeführerin fehle jegliche Behandlungs- und Krankheitseinsicht. Die Verabreichung der Depotspritze gegen ihren Willen sei der ärztlichen Stellungnahme zufolge zur Verhinderung eines erheblichen gesundheitlichen Schadens erforderlich. Die Behandlung der paranoiden Schizophrenie habe dazu geführt, dass deren Positivsymptomatik gut rückläufig gewesen und ein erneuter Ausbruch der Krankheit verhindert worden sei. Das Absetzen der Medikamente hätte dagegen eine Verschlimmerung des bestehenden Zustands zur Folge gehabt. Soweit Nebenwirkungen wie Fieber, Bewusstseinsstörungen, autonome Dysregulation sowie ein Anstieg der Kreatinkinase möglich seien, würden diese nur bei 0,2 Prozent aller Patienten auftreten und sich nach Absetzen des Medikaments binnen zehn Tagen zurückbilden. Mildere Mittel bestünden ausweislich der ärztlichen Auskunft nicht.

17

5. Die Beschwerdeführerin wurde in der Rechtsmittelbelehrung darauf hingewiesen, dass der Beschluss gemäß § 327 Abs. 4 FamFG unanfechtbar sei.

18

6. Nach Übersendung des Beschlusses an das Klinikum wurde die Beschwerdeführerin ein drittes Mal - erkennbar gegen ihren Willen, aber diesmal ohne Gegenwehr - mit dem Medikament Zypadhera behandelt und am 9. September 2014 aus der geschlossenen Unterbringung entlassen.

III.

19

1. Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern hat mit Schreiben vom 22. Juni 2016 den Entwurf eines Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten übersandt (vgl. LTDrucks 6/5185) und im Übrigen von einer Stellungnahme abgesehen.

20

2. Dem Senat hat die Akte des fachgerichtlichen Verfahrens vorgelegen.

B. - I.

21

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

22

1. Der Rechtsweg ist erschöpft. Die Beschwerdeführerin durfte sich insbesondere auf die Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses verlassen, wonach dieser gemäß § 327 Abs. 4 FamFG unanfechtbar sei. Selbst wenn es sich dabei um eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung gehandelt haben sollte und eine Beschwerde gemäß § 312 Satz 2, § 58 Abs. 1 FamFG statthaft gewesen wäre, darf ein Rechtsirrtum des Amtsgerichts nicht dazu führen, dass die Verfassungsbeschwerde in Ermangelung der Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig ist (vgl. BVerfGE 19, 253 <256 f.> unter Verweis auf BVerfGE 4, 193 <198>).

23

2. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht der Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. etwa BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>) im Hinblick darauf entgegen, dass die Beschwerdeführerin im fachgerichtlichen Verfahren nicht ausdrücklich die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage der Zwangsbehandlung in Frage gestellt hat (vgl. BVerfGE 129, 269 <279>). Es kann letztlich offen bleiben, ob das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen des fachgerichtlichen Verfahrens in diesem Sinne auszulegen war. Denn es handelt sich bei den Fragen, die der vorliegende Fall hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten gesetzlichen Vorschrift aufwirft, nicht um solche, zu deren Prüfung die Gerichte nur auf der Grundlage hinreichend substantiierten Vorbringens angehalten sind (vgl. BVerfGE 129, 269 <279>; BVerfGK 19, 286 <287 f.>). Hinzu kommt, dass das Amtsgericht die verfassungsrechtliche Dimension des Falles durchaus erkannt und in seinem Beschluss auf die Bedenklichkeit der Vorschrift vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs hingewiesen hat. Es hat die Vorschrift - entgegen diesen Bedenken und der einschlägigen Rechtsprechung - gleichwohl unter Verzicht auf eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG angewendet und dies mit der medizinischen Notwendigkeit der Zwangsbehandlung begründet.

24

3. Auch nach Beendigung der Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin und der Neufassung des Landesgesetzes ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsaktes oder jedenfalls für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit vorliegt (vgl. BVerfGE 81, 138 <140>). Dieses Rechtsschutzbedürfnis muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fortbestehen (vgl. BVerfGE 21, 139 <143>; 30, 54 <58>; 33, 247 <253>; 50, 244 <247>; 56, 99 <106>; 72, 1 <5>; 81, 138 <140>). Bei Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens besteht das Rechtsschutzbedürfnis fort, wenn entweder die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung andernfalls unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint oder eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder die aufgehobene oder gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer noch weiterhin beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 33, 247 <257 f.>; 69, 161 <168>; 81, 138 <140>; 139, 245 <263 f. Rn. 53>). Zudem wird in Fällen besonders tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstöße das Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses angenommen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen konnte (vgl. BVerfGE 81, 138 <140 f.>; 110, 77 <85 f.>; 117, 244 <268>; stRspr). Der Grundrechtsschutz des Beschwerdeführers würde andernfalls in unzumutbarer Weise verkürzt (vgl. BVerfGE 34, 165 <180>; 41, 29 <43>; 49, 24 <51 f.>; 81, 138 <141>). Der Umstand, dass die Fachgerichte und das Bundesverfassungsgericht häufig außerstande sind, schwierige Fragen in kurzer Zeit zu entscheiden, darf nicht dazu führen, dass eine Verfassungsbeschwerde allein wegen des vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenden Zeitablaufs als unzulässig verworfen wird (vgl. BVerfGE 74, 163 <172 f.>; 76, 1 <38 f.>; 81, 138 <141>). Mit der Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin ohne ausreichende gesetzliche Grundlage steht jedenfalls ein tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstoß in Rede (vgl. BVerfGE 128, 282 <303>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2014 - 2 BvR 1698/12 -, juris, Rn. 21), gegen den die Beschwerdeführerin eine verfassungsgerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig hätte erlangen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2014 - 2 BvR 1698/12 -, juris, Rn. 21).

II.

25

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der angegriffene Beschluss verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

26

1. Die medizinische Zwangsbehandlung eines Untergebrachten greift in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein, das die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht schützt (vgl. BVerfGE 128, 282 <300>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 49>). Entsprechendes gilt für Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung des Untergebrachten als rechtmäßig bestätigen (vgl. BVerfGE 129, 269 <280>).

27

Dem Eingriffscharakter einer Zwangsbehandlung steht nicht entgegen, dass sie zum Zweck der Heilung vorgenommen wird (vgl. BVerfGE 128, 282 <300>). Eine schädigende Zielrichtung ist nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (vgl. BVerfGE 128, 282 <300> m.w.N.).

28

Die Eingriffsqualität entfällt auch nicht bereits dann, wenn der Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand entgegensetzt (vgl. BVerfGE 128, 282 <300>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 50>). Eine Zwangsbehandlung im Sinne einer medizinischen Behandlung, die gegen den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt, liegt unabhängig davon vor, ob eine gewaltsame Durchsetzung der Maßnahme erforderlich wird oder der Betroffene sich, etwa weil er die Aussichtslosigkeit eines körperlichen Widerstandes erkennt, ungeachtet fortbestehender Ablehnung in die Maßnahme fügt und damit die Anwendung körperlicher Gewalt entbehrlich macht (vgl. BVerfGE 128, 282 <321>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 50>). Die beanstandete Behandlung der Beschwerdeführerin mit dem Neuroleptikum Zypadhera und die angegriffene gerichtliche Entscheidung verlieren ihren grundrechtseingreifenden Charakter folglich nicht dadurch, dass sich die Beschwerdeführerin - jedenfalls in einem der drei Fälle -, ohne ihre Ablehnung aufzugeben, aus Angst vor Zwangsmaßnahmen auf die Verabreichung des Medikaments eingelassen hat.

29

2. Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten kann allerdings ungeachtet der besonderen Schwere des darin liegenden Eingriffs durch sein grundrechtlich geschütztes Freiheitsinteresse gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 128, 282 <303 ff.>; 129, 269 <280 ff.>; 133, 112 <131 ff. Rn. 52 ff.>).

30

a) Es ist dem Gesetzgeber nicht prinzipiell verwehrt, medizinische Zwangsbehandlungen zuzulassen (vgl. BVerfGE 128, 282 <303>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 f. Rn. 52>). Zur Rechtfertigung des damit verbundenen Grundrechtseingriffs kann das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) als legitimer Zweck geeignet sein, sofern der Untergebrachte zur Wahrnehmung dieses Interesses infolge krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit nicht in der Lage ist (vgl. BVerfGE 128, 282 <304>).

31

b) Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten ist, wie jeder andere Grundrechtseingriff, nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat aus den grundrechtlichen Garantien (vgl. BVerfGE 128, 282 <311, 313, 315>) und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 128, 282 <308 ff., 313>) konkrete Anforderungen an die Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung der im Maßregelvollzug Untergebrachten aufgestellt. Die gesetzliche Grundlage muss sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung vorgeben (vgl. BVerfGE 128, 282 <317>). Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des besonders schwerwiegenden Eingriffs müssen hinreichend klar und bestimmt geregelt sein (vgl. BVerfGE 128, 282 <317 f.> m.w.N.).

32

aa) Eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Durchführung einer Zwangsbehandlung mit dem Ziel, den Betroffenen so bald wie möglich in die Freiheit zu entlassen, muss strikt dessen krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit oder dessen Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten zur Voraussetzung haben (vgl. BVerfGE 128, 282 <307 f.>; 129, 269 <281 f.>; 133, 112 <134 Rn. 59>).

33

bb) Aus den Grundrechten ergeben sich zudem Anforderungen an das Verfahren, die den Grundrechtsschutz gewährleisten sollen. Jedenfalls bei planmäßigen Behandlungen ist - abgeleitet aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG - eine Ankündigung erforderlich, die dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, rechtzeitig um Rechtsschutz zu ersuchen (vgl. BVerfGE 128, 282 <311>; 129, 269 <283>; 133, 112 <140 Rn. 70>). Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs unabdingbar ist überdies die Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch einen Arzt (vgl. BVerfGE 128, 282 <313>; 129, 269 <283>; 133, 112 <138 Rn. 67>). Als Vorwirkung der grundrechtlichen Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes ergibt sich ferner die Notwendigkeit, gegen den Willen des Untergebrachten ergriffene Behandlungsmaßnahmen, einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise, der maßgeblichen Gründe und der Wirkungsüberwachung, zu dokumentieren (vgl. BVerfGE 128, 282 <313 f.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <138 f. Rn. 68>). Schließlich fordert Art. 2 Abs. 2 GG spezielle verfahrensmäßige Sicherungen gegen die besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen, die sich ergeben, wenn über die Anordnung einer Zwangsbehandlung außerhalb akuter Notfälle allein die jeweilige Unterbringungseinrichtung entscheidet. Hierzu bedarf es einer vorausgehenden Prüfung der Maßnahme durch Dritte in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung (vgl. BVerfGE 128, 282 <315 ff.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <141 f. Rn. 71>).

34

cc) Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen darüber hinaus materielle Anforderungen an die Rechtsgrundlage. Die Vorschrift muss den Zweck oder die Zwecke, die einen Eingriff rechtfertigen sollen, abschließend bestimmen (vgl. BVerfGE 133, 112 <137 Rn. 64>). Eine gesetzliche Grundlage zur Durchführung der Zwangsbehandlung muss ferner festlegen, dass eine solche nur durchgeführt werden darf, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg verspricht (vgl. BVerfGE 128, 282 <309>). Überdies darf eine medizinische Zwangsbehandlung nur als letztes Mittel vorgesehen sein, wenn mildere Mittel nicht in Betracht kommen (vgl. BVerfGE 128, 282 <309> m.w.N.). Für eine medikamentöse Zwangsbehandlung zur Erreichung des Ziels, die Unterbringung möglichst bald zu beenden und so die persönliche Freiheit wiederzuerlangen, bedeutet dies erstens, dass eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos sein muss (vgl. BVerfGE 128, 282 <309>). Zweitens muss der Zwangsbehandlung, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgegangen sein, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erlangen (vgl. BVerfGE 128, 282 <309 f.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <139 Rn. 69>). Über die Erfordernisse der Geeignetheit und Erforderlichkeit hinaus ist Voraussetzung für die Rechtfertigung einer Zwangsbehandlung, dass sie für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden ist, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Die Angemessenheit ist nur gewahrt, wenn, unter Berücksichtigung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten, der zu erwartende Nutzen der Behandlung den möglichen Schaden der Nichtbehandlung überwiegt (vgl. BVerfGE 128, 282 <310 f.>). Im Hinblick auf die bestehenden Prognoseunsicherheiten und sonstigen methodischen Schwierigkeiten des hierfür erforderlichen Vergleichs trifft es die grundrechtlichen Anforderungen, wenn in medizinischen Fachkreisen ein deutlich feststellbares Überwiegen des Nutzens gefordert wird (BVerfGE 128, 282 <311> m.w.N.).

35

c) Diese - zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug entwickelten - Maßgaben sind auf die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zu übertragen (vgl. BVerfGK 19, 286 <288> unter Bezugnahme auf BVerfGE 128, 282; zur Übertragbarkeit vgl. LG Darmstadt, Beschluss vom 19. Dezember 2011 - 5 T 646/11 -, juris, Rn. 39 ff.; LG Verden, Beschluss vom 3. Dezember 2012 - 1 T 163/12 -, juris, Rn. 10; LG Berlin, Urteil vom 28. Januar 2015 - 86 O 88/14 -, juris, Rn. 53 ff.; Olzen/Metzmacher, BtPrax 2011, S. 233 <235 f.>; Dodegge, NJW 2012, S. 3694 <3697>; Diener, Patientenverfügungen psychisch kranker Personen und fürsorglicher Zwang, 2013, S. 193 ff.; Henking/Mittag, JR 2013, S. 341 <342>; Henking/Mittag, BtPrax 2014, S. 115 f.; Budde, in: Keidel, FamFG, 19. Auflage 2017, § 312 Rn. 9). Ihre Übertragbarkeit auf die öffentlich-rechtliche Unterbringung ist bereits in früheren Entscheidungen des Senats zur medizinischen Zwangsbehandlung angelegt. Die Beschlüsse zur Zwangsbehandlung in Baden-Württemberg (BVerfGE 129, 269) und in Sachsen (BVerfGE 133, 112) sind zwar im Hinblick auf im Maßregelvollzug Untergebrachte ergangen, der Anwendungsbereich der für verfassungswidrig erklärten Gesetze betraf jedoch sowohl Personen in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung als auch solche im Maßregelvollzug (vgl. den mittlerweile außer Kraft getretenen § 15 Abs. 1 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (UBG BW) vom 2. Dezember 1991, GBl S. 794, zuletzt geändert durch Art. 9 des Vierten Gesetzes zur Bereinigung des baden-württembergischen Landesrechts vom 4. Mai 2009, GBl S. 195, 199, BVerfGE 129, 269 <271>; vgl. ferner § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 38 Abs. 1 Satz 2 des sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten (SächsPsychKG) vom 10. Oktober 2007, SächsGVBl S. 422, BVerfGE 133, 112 <114>). Für die Übertragbarkeit dieser Maßgaben auf die medizinische Zwangsbehandlung in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung fällt entscheidend ins Gewicht, dass es im Hinblick auf den Umfang des Grundrechtsschutzes keinen Unterschied macht, auf welcher Rechtsgrundlage sich der Betroffene in der Unterbringung befindet. Der Schutzstandard für die Zwangsbehandlung muss in allen Fällen gleich hoch sein (vgl. bereits zur Übertragung der zum Maßregelvollzug entwickelten Maßstäbe auf eine Zwangsbehandlung im Rahmen der betreuungsrechtlichen Unterbringung BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2012 - XII ZB 99/12 -, BGHZ 193, 337 <346 Rn. 25 ff.> sowie XII ZB 130/12, juris, Rn. 28 ff.; vgl. ferner BVerfGE 142, 313 <343 f.>). Die Auffassung, dass die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht für die Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug entwickelt hat, auf die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zu übertragen sind, findet sich im Übrigen auch in den Gesetzgebungsmaterialien zu der Überarbeitung der Landesgesetze über die öffentlich-rechtliche Unterbringung. Die Gesetzentwürfe verweisen stets auf die Notwendigkeit einer Neuregelung, weil Anpassungsbedarf im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung bestehe. Dies gilt auch dann, wenn der Maßregelvollzug und die öffentlich-rechtliche Unterbringung in verschiedenen Gesetzen geregelt werden (vgl. etwa die Gesetzentwürfe für Nordrhein-Westfalen LTDrucks 16/12068, S. 27, 30 ff. oder für Hessen LTDrucks 19/3744, S. 1, 26).

36

3. Nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäben verletzt die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts die Beschwerdeführerin bereits deshalb in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, weil es für die Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin, die durch das Gericht als rechtmäßig bestätigt wurde, an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt. § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar und nichtig.

37

a) § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V wird den sich aus den Grundrechten ergebenden Anforderungen in Bezug auf das Verfahren der Behörden und Gerichte nicht gerecht, auf deren Einhaltung der in einer geschlossenen Einrichtung Untergebrachte, der einer Zwangsbehandlung unterzogen werden soll, jedoch in besonders hohem Maße angewiesen ist (vgl. BVerfGE 128, 282 <311>).

38

aa) Anders als es etwa § 22 Abs. 3 Satz 1 PsychKG M-V für die Anordnung und Überwachung besonderer Sicherungsmaßnahmen vorsieht, enthält die angegriffene Norm entgegen der verfassungsrechtlichen Vorgabe (vgl. BVerfGE 128, 282 <313>; 129, 269 <283>; 133, 112 <138 Rn. 67>) keine Regelung dazu, dass die Anordnung und Überwachung der medizinischen Zwangsbehandlung durch einen Arzt erfolgen muss.

39

bb) Die Vorschrift erfüllt zudem die sich aus dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebende verfahrensmäßige Vorgabe nicht, dass dem Eingriff eine von der Unterbringungseinrichtung unabhängige Prüfung vorausgehen muss (vgl. BVerfGE 128, 282 <315 ff.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <141 Rn. 71>). Nicht ausreichend ist der Schutz, den die Besuchskommission bieten kann, die nach § 31 Abs. 1 Satz 1 PsychKG M-V jedenfalls einmal jährlich die Einrichtungen besucht und kontrolliert. Zwar hat sie den gesetzlichen Auftrag, die Einhaltung der Patientenrechte zu überprüfen, sie untersucht aber nicht im Vorfeld jeder Zwangsbehandlung deren Rechtmäßigkeit, sondern kann in der Regel lediglich im Nachhinein über durchgeführte Zwangsbehandlungen an den Landtag berichten. Ferner verfügt die Kommission nicht über die Kompetenz, eine anstehende Zwangsbehandlung zu verhindern.

40

b) § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V erfüllt auch die aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit resultierenden materiellen Anforderungen an eine medizinische Zwangsbehandlung nicht.

41

aa) Zum einen fehlt es an der abschließenden Bestimmung des Zwecks oder der Zwecke, die den Eingriff rechtfertigen sollen, und damit an der Ausscheidung von Zwecken, die einen Eingriff prinzipiell nicht zu rechtfertigen geeignet sind (vgl. BVerfGE 133, 112 <137 Rn. 64>). Aus § 12 PsychKG M-V ergeben sich lediglich die Ziele, welche zur Rechtfertigung der Unterbringung selbst geeignet sind. Ob diese Zielvorgaben auf die Zwangsbehandlung zu übertragen beziehungsweise ob sie abschließend sind, lässt sich dem Gesetz jedoch nicht entnehmen.

42

bb) Zum anderen ist dem Erfordernis, die weiteren aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitenden Anforderungen einer Zwangsbehandlung gesetzlich zu konkretisieren, nicht genügt worden. Voraussetzung der Zulässigkeit für nicht unter § 23 Abs. 3 PsychKG M-V fallende Maßnahmen der Zwangsbehandlung (Behandlungen, die die Persönlichkeit des Betroffenen dauerhaft in ihrem Kernbereich ändern würden) ist nach § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V allein, dass sie nicht mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit des Betroffenen verbunden sind. Auch § 21 Satz 2 PsychKG M-V, der bestimmt, dass dem Betroffenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Einrichtung oder zum Schutz anderer Betroffener unerlässlich sind, stellt keine hinreichende gesetzliche Grundlage dar. Diese Vorgabe benennt zwar Aspekte der Verhältnismäßigkeit, legt aber keine ausreichend spezifischen Voraussetzungen für die Zwangsbehandlung fest und ist damit zu allgemein gehalten, um eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Schranke bilden zu können. Es fehlt insbesondere an einer angemessenen Regelung des - unabhängig von der Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen bestehenden - Erfordernisses des vorherigen Bemühens um eine auf Vertrauen gegründete, im Rechtssinne freiwillige Zustimmung (vgl. BVerfGE 128, 282 <309 f.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <139 Rn. 69>). Das Psychischkrankengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern in der hier einschlägigen Fassung enthält lediglich Vorgaben zur Information des Patienten über die beabsichtigte Vorgehensweise bei der Behandlung. § 23 Abs. 1 Satz 5 PsychKG M-V bestimmt, dass der Behandlungsplan mit dem Betroffenen erörtert werden soll. Auch § 44 Abs. 1 Satz 1, 2 PsychKG M-V verlangt lediglich in allgemeiner Form eine Erläuterung von Entscheidungen und Anordnungen im Rahmen der Unterbringung.

43

4. Die Frage, ob § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 PsychKG M-V, der eine sofortige Zwangsbehandlung zur Verhinderung einer erheblichen und unmittelbaren Gefahr für Leben oder Gesundheit der kranken Person oder Dritter betrifft, verfassungsgemäß ist, braucht für die hier vorliegende Konstellation nicht entschieden zu werden, weil der angegriffene Beschluss nicht auf diese Alternative gestützt ist.

44

5. Angesichts der Mängel der gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann ferner offen bleiben, ob die amtsgerichtliche Entscheidung den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch in weiterer Hinsicht nicht genügt. Festzuhalten ist jedoch, dass es zunächst Sache der Fachgerichte ist, auf Anträge von Untergebrachten hin, die sich gegen eine Zwangsbehandlung richten, auch die Vereinbarkeit der jeweils herangezogenen landesrechtlichen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz zu prüfen, gegebenenfalls vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren und bei negativem Ausgang der Prüfung die Sache im Verfahren der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen (vgl. BVerfGK 19, 286 <287> m.w.N.). Die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann von den Fachgerichten überdies von Amts wegen - unabhängig von einer entsprechenden Rüge des jeweiligen Klägers - zu prüfen sein (vgl. BVerfGE 129, 269 <279>; BVerfGK 19, 286 <287> m.w.N.). Zwar kann von den Fachgerichten nicht verlangt werden, rügeunabhängig oder unabhängig von näherer Substantiierung ein Gesetz ins Blaue hinein auf nicht offen zutage tretende verfassungsrechtliche Fehler zu prüfen (vgl. BVerfGK 19, 286 <287 f.> m.w.N.). Nachdem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die wesentlichen Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung jedoch geklärt sind (vgl. BVerfGE 128, 282; 129, 269; 133, 112), muss von den Fachgerichten aber erwartet werden, dass sie diese bei Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung von Untergebrachten betreffen, von Amts wegen im Auge behalten und entsprechend verfahren (vgl. BVerfGK 19, 286 <288>). Dies gilt insbesondere deshalb, weil auch sechs Jahre nach der ersten Entscheidung des Zweiten Senats zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (vgl. BVerfGE 128, 282) noch nicht alle Länder die Eingriffsgrundlage für die medizinische Zwangsbehandlung in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angepasst haben.

C. - I.

45

Die Verfassungswidrigkeit der Regelung in § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V führt zur nachträglichen Feststellung der Nichtigkeit dieses Teils der Vorschrift. § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V stellt mit Blick auf § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 einen abtrennbaren Teil der Vorschrift dar, dem eine unabhängige, selbstständige Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 112, 255; 128, 282 <321> m.w.N.). Über die Verfassungsmäßigkeit der novellierten Vorschrift (§ 26 PsychKG M-V n.F.) war hier nicht zu befinden.

II.

46

Die angegriffene Gerichtsentscheidung, die die Beschwerdeführerin mangels ausreichender gesetzlicher Grundlage in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt, ist aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Wegen der Besonderheit des Falles wird von einer Zurückverweisung abgesehen, weil für eine Entscheidung des Fachgerichts kein Spielraum mehr verbleibt. Das Amtsgericht könnte somit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur wiederholen (vgl. BVerfGE 35, 202 <244>; 79, 69 <79>).

III.

47

Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Tenor

1. § 22 Absatz 1 Satz 1 des Sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten (SächsPsychKG) vom 10. Oktober 2007 (Sächsisches Gesetzes- und Verordnungsblatt Seite 422) ist mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

2. Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Dresden vom 11. Januar 2012 - 2 Ws 515/11 - und des Landgerichts Leipzig vom 18. Oktober 2011 - II StVK 781/11 - verletzen, soweit sie nicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe betreffen, den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden im entsprechenden Umfang aufgehoben und die Sache wird insoweit an das Landgericht Leipzig zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

I.

1

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die medizinische Zwangsbehandlung eines im sächsischen Maßregelvollzug Untergebrachten, der unter Betreuung steht, auf der Grundlage des sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten (SächsPsychKG) vom 10. Oktober 2007 (SächsGVBl S. 422). Die einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzes lauten:

2

§ 16

3

Gerichtliche Entscheidung über die Behandlung

4

Ist zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Unterbringung für den volljährigen Patienten kein Betreuer für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge bestellt, so entscheidet das Gericht auch, ob und welche Behandlung ohne Zustimmung zulässig ist.

5

§ 21

6

Behandlung

7

(1) Der Patient hat Anspruch auf die notwendige Behandlung. Sie schließt die erforderlichen Untersuchungen sowie sozialtherapeutische, psychotherapeutische, heilpädagogische, beschäftigungs- und arbeitstherapeutische Maßnahmen ein. Die Behandlung erfolgt nach einem Behandlungsplan. Sie umfasst auch Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Patienten nach seiner Entlassung ein eigenverantwortliches Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.

8

(2) Der Behandlungsplan ist mit dem Patienten zu erörtern. Der Patient ist über die erforderlichen diagnostischen Verfahren und die Behandlung sowie die damit verbundenen Risiken umfassend aufzuklären.

9

§ 22

10

Behandlung ohne Einwilligung des Patienten

11

(1) Zu allen nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst erforderlichen Behandlungsmaßnahmen ist grundsätzlich das Einverständnis des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters einzuholen. Liegt eine Zustimmung nach § 16, eine Einwilligung eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitssorge oder bei Minderjährigen des Sorgeberechtigten nicht vor, so dürfen die Behandlung und die dafür notwendigen Untersuchungen ohne Einwilligung des Patienten nur durchgeführt werden, wenn durch den Aufschub das Leben oder die Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet wird.

12

(2) Ärztliche Eingriffe und Behandlungsverfahren im Sinne des Absatzes 1, die mit einem operativen Eingriff oder einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind, sind nur nach rechtswirksamer Einwilligung des Patienten oder, falls er die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und der Einwilligung nicht beurteilen kann, des gesetzlichen Vertreters erlaubt.

13

(3) Eine Ernährung gegen den Willen des Patienten ist nur zulässig, wenn sie erforderlich ist, um eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Patienten abzuwenden.

14

(4) Sämtliche Maßnahmen dürfen die Würde des Patienten nicht verletzen und nur auf Anordnung und unter unmittelbarer Leitung und Verantwortung eines Arztes durchgeführt werden.

15

§ 23

16

Unmittelbarer Zwang

17

Sind Maßnahmen, die der Patient zu dulden hat, oder Anordnungen nach diesem Gesetz anders nicht durchsetzbar, dürfen die Bediensteten des Krankenhauses nach Ankündigung unmittelbaren Zwang gegen den Patienten anwenden. Die Ankündigung kann unterbleiben, wenn die Umstände des Einzelfalles sie nicht zulassen.

18

§ 33

19

Belastende Vollzugsmaßnahmen, Dokumentationspflicht

20

Belastende Vollzugsmaßnahmen sind nur auf Anordnung des ärztlichen Leiters des Krankenhauses im Sinne des § 2 Abs. 1 oder dessen Vertreter zulässig. Alle medizinischen Maßnahmen und belastenden Vollzugsmaßnahmen sind zu dokumentieren.

21

§ 38

22

Rechtsstellung des Patienten

23

(1) Das Leben in den Einrichtungen des Maßregelvollzugs soll den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen werden, soweit es ohne Beeinträchtigung des Zwecks der Unterbringung möglich ist. Für den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt nach den §§ 63, 64 Abs. 1 StGB sowie § 7 JGG gelten § 19 Abs. 5, §§ 21 bis 29 und 31 bis 33 entsprechend. Für die einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO und die vorläufige Unterbringung nach § 453c StPO gelten § 19 Abs. 5, die §§ 21 bis 28 und 31 bis 33 entsprechend. (...)

24

2. Mit Urteil vom 19. November 2002 wurde der Beschwerdeführer wegen Schuldunfähigkeit vom Vorwurf der schweren räuberischen Erpressung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seit Ende Mai 2002 ist er, unterbrochen durch eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung im November 2008, die im August 2010 widerrufen wurde, im Sächsischen Krankenhaus A. (im Folgenden: Klinik) untergebracht. Nach Diagnose der Klinik leidet er an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie.

25

3. Dem Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG, in dem die hier angegriffenen Entscheidungen ergangen sind, ging ein betreuungsgerichtliches Verfahren voraus, in dem der medizinische Leiter der forensisch-psychiatrischen Abteilung der Klinik beim Amtsgericht F. beantragt hatte, eine kontinuierliche Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers mit Neuroleptika zu genehmigen und die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchführung der Behandlung zu gestatten. Die eingesetzte Berufsbetreuerin hatte die Heilbehandlung befürwortet und gleichfalls deren Genehmigung beantragt. Das Amtsgericht lehnte den Antrag der Betreuerin ab und stellte fest, dass deren Einwilligung in die Behandlung des Beschwerdeführers keiner weitergehenden betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedürfe, dass die Einwilligungsabsicht der Betreuerin betreuungsrechtlich nicht zu beanstanden sei und dass sich die Zwangsbefugnis der Ärzte des Maßregelvollzuges zur Durchführung einer durch den Betreuer genehmigten Heilbehandlung nach § 38 Abs. 1 Satz 2, §§ 22, 23 SächsPsychKG richte.

26

Der Verfahrenspfleger des Beschwerdeführers legte hiergegen Beschwerde ein und beantragte die Aufhebung des amtsgerichtlichen Beschlusses sowie den Ausspruch der Unzulässigkeit der vom Betreuungsgericht getroffenen Feststellungen, die Heilbehandlung bedürfe keiner weitergehenden betreuungsgerichtlichen Genehmigung und die Einwilligungsabsicht der Betreuerin sei nicht zu beanstanden. Darüber hinaus beantragte er, festzustellen, dass eine Befugnis zur Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers mit Neuroleptika nicht bestehe.

27

Das Landgericht hob die Feststellung, dass die Einwilligung der Betreuerin in die Zwangsbehandlung nicht zu beanstanden sei, sowie die Feststellung, dass die Zwangsbefugnis der behandelnden Ärzte zur Durchführung der durch die Betreuerin genehmigten Heilbehandlung sich nach den § 38 Abs. 1 Satz 2, §§ 22, 23 SächsPsychKG richte, auf und wies die Beschwerde im Übrigen zurück. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB schaffe keine Grundlage für die isolierte Genehmigung der Zwangsbehandlung eines Betroffenen, der bereits aufgrund einer anderen gesetzlichen Vorschrift untergebracht sei. Eine von den jeweiligen Unterbringungsvoraussetzungen losgelöste Übertragung allein der Zwangsbefugnisse auf andere Unterbringungssachverhalte komme nicht in Betracht. Auf den Vollzug der gemäß § 63 StGB angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fänden in Sachsen für die Heilbehandlung allein die Vorschriften des SächsPsychKG, hier § 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 22 SächsPsychKG, Anwendung. Eine gerichtliche Genehmigung sehe die gesetzliche Regelung in §§ 22, 38 SächsPsychKG nicht vor. Das Betreuungsgericht habe daher zu Recht die beantragte betreuungsgerichtliche Genehmigung der Zwangsbehandlung abgelehnt. Mangels gesetzlicher Grundlage für die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen seien diese ersatzlos aufzuheben. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Fragen ließ das Landgericht das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu (§ 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).

28

Der Verfahrenspfleger des Beschwerdeführers erhob Rechtsbeschwerde. Gegenüber dem mit der Beschwerde verfolgten Begehren, festzustellen, dass eine Rechtsgrundlage für eine Einwilligung der Betreuerin in eine zwangsweise Behandlung des Betroffenen mit Neuroleptika nicht bestehe, habe sich das Berufungsgericht auf den rein formalen Standpunkt zurückgezogen, dass eine gesetzliche Grundlage für Feststellungen des Betreuungsgerichts zur betreuungsrechtlichen Beurteilung einer solchen Einwilligung nicht bestehe. Die im Zentrum des Petitums stehende Frage, ob die Betreuerin überhaupt berechtigt sei, ihre Einwilligung in eine Zwangsbehandlung im Rahmen des Maßregelvollzugs zu erteilen, die dem vom Betroffenen unmissverständlich zum Ausdruck gebrachten natürlichen Willen widerspreche, sei damit unbeantwortet geblieben, obwohl dem Betreuungsgericht durch § 1908i Abs. 1 in Verbindung mit § 1837 Abs. 1, 2 BGB die Befugnis zugewiesen sei, auf eine Anfrage des Betreuers hin diesem vorab aufzuzeigen, ob eine geplante keinem Genehmigungsvorbehalt unterliegende Maßnahme als pflichtwidrig zu beurteilen sei oder nicht. Dass es um Maßnahmen gehe, die im Maßregelvollzug durchgeführt würden, berühre nicht die Kompetenz der Betreuungsgerichte, die Tätigkeit des Betreuers zu überwachen und diesen zu beraten. Im vorliegenden Fall sei es der Betreuerin versagt, in eine zwangsweise Behandlung des Beschwerdeführers mit Neuroleptika einzuwilligen, weil es an einer gesetzlichen Grundlage für eine solche Zwangsbehandlung im Rahmen des Maßregelvollzugs fehle. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB komme als gesetzliche Grundlage einer Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers nicht in Betracht; die Vorschrift ermögliche nicht die Zwangsbehandlung eines auf der Grundlage des § 63 StGB untergebrachten Betreuten.

29

Der Bundesgerichtshof wies mit Beschluss vom 16. Februar 2011 die Rechtsbeschwerde als unbegründet zurück. Die nach den § 1908i Abs. 1, § 1837 Abs. 1 BGB erstrebte Klarstellung der Rechtslage ergebe sich bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung. Für das mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Ziel fehle das Rechtsschutzinteresse.

30

4. a) Mit Schreiben vom 6. Oktober 2011 beantragte der Beschwerdeführer bei der Klinik, die auf die Erreichung des Vollzugsziels gerichtete psychiatrische Medikation, die er nicht aus Einverständnis, sondern aus Angst vor Zwangsanwendung in letzter Zeit geduldet habe, zumindest so lange zu unterlassen, bis eine neue gesetzliche Regelung geschaffen sei, die die Voraussetzungen und das Verfahren einer medikamentösen Zwangsbehandlung detailliert regele. Auch in den Fällen, in denen die Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters vorliege, müsse der Untergebrachte Gelegenheit haben, vor Schaffung vollendeter Tatsachen eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen (jeweils mit Verweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011, BVerfGE 128, 282).

31

Mit Schreiben vom 10. Oktober 2011 teilte die Klinik mit, dass die Fortsetzung der antipsychotischen Medikation auch gegen den erklärten, "krankheitsbedingt verstellten" Willen des Beschwerdeführers beabsichtigt sei. Man sei sich bewusst, dass die seit nunmehr über einem Jahr verabreichte antipsychotische Depot-Medikation gegen den natürlichen Willen des Beschwerdeführers verabreicht werde. Bei diesem bestehe spätestens seit 1993 eine sich immer wieder phasenhaft zuspitzende und inzwischen im Intervall mit Residualsymptomatik chronifiziert anhaltende Schizophrenie. Seit 1994 seien wiederholt Versuche des Beschwerdeführers dokumentiert, wegen empfundener Nebenwirkungen oder aus sonstigen Gründen die verordnete antipsychotische Medikation abzusetzen, wonach es regelmäßig zu erneuten Krankheitsschüben gekommen sei. Seit Kombination des seit Juli 2010 verabreichten antipsychotischen Medikaments Risperidon-Depot mit dem antipsychotischen Medikament Olanzapin-Depot Ende Januar 2011, ab 14. Juli 2011 als Monotherapie (nur Olanzapin) fortgesetzt, sei es zu einer erfreulichen Stabilisierung der psychischen Verfassung gekommen. Insbesondere eigen- und fremdschädigende Fehlhandlungen oder expansive Verhaltensweisen (Zerstörung von Gegenständen, Übergriffe auf Personal/Mitpatienten, Verstopfung von Wasserleitungen, Anzeigen usw.) seien seither nicht wieder oder kaum noch aufgetreten. Der Beginn der medikamentösen Behandlung gegen den Willen des Beschwerdeführers im Juli 2010 sei mit Einverständnis seines Betreuers erfolgt. Krankheitsbedingt sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage, Bedeutung und Tragweite dieser Entscheidung zu überschauen. So sei ihm der offensichtliche Zusammenhang zwischen dem letzten Versuch, die Medikamente abzusetzen, und der nachfolgenden schweren psychotischen Exazerbation nicht zugänglich. Erlebnisse aus dieser akuten Erkrankungsphase, in der über Monate animalisch verrohte, mit dem Zerfall persönlicher zivilisatorischer Bestände einhergehende und nur noch durch dauerhaften Einschluss in der Isolationszelle zu beherrschende Verhaltensweisen dominiert hätten, würden von ihm rückblickend rationalisiert, umgedeutet und bagatellisiert. Er führe Störungen seines Befindens auf die Medikation und Fortschritte seiner Entwicklung auf die Beschäftigung mit heiligen Schriften (Hare Krischna) zurück. Statt den Zusammenhang zwischen Medikation und Schutz vor einer Rückkehr in diesen Zustand zu erkennen, sehe er die Beschäftigung mit seinen heiligen Schriften als ausreichenden Schutz an. Eine Kosten-Risiko-Abwägung zwischen Nebenwirkungen und Wirkung der antipsychotischen Medikation sei ihm krankheitsbedingt nicht möglich; dies betreffe insbesondere auch den Zusammenhang zwischen Erkrankungsverlauf und Gefährlichkeit. Gäbe man dem Willen des Beschwerdeführers nach und stoppte die Medikation, hätte das sehr wahrscheinlich den erneuten Ausbruch einer akuten Krankheitsepisode innerhalb von Wochen bis Monaten zur Folge. Damit wären eigen- und fremdgefährdende Verhaltensweisen verbunden, die eine Fortsetzung der freiheitsentziehenden Maßnahmen erforderlich machen und die Aussicht auf weitere Lockerungen beziehungsweise eine Aussetzung der Maßregel in weite Ferne rücken würden. Erfahrungsgemäß sei mit Zunahme der Dauer akuter psychotischer Phasen eine Verlängerung der nachfolgend notwendigen Rehabilitation sowie eine Verschlechterung der prognostischen Aussichten für den weiteren Krankheitsverlauf verbunden. Die Evaluation der Medikamentengabe falle bis dato eindeutig zugunsten der erwünschten Wirkung aus. Gewichtszunahme, angegebene Müdigkeit und Konzentrationsstörungen seien im Vergleich zu früheren medikamentösen Einstellungen als geringfügig zu bezeichnen. Letztere seien, wie einige weitere seitens des Beschwerdeführers mit der Medikation in Zusammenhang gebrachte Befindensstörungen, nicht sicher von Symptomen der Grunderkrankung abzugrenzen.

32

b) Unter dem 12. Oktober 2011 wandte der Beschwerdeführer sich an die Strafvollstreckungskammer mit dem Antrag gemäß § 109 StVollzG, den Leiter der Klinik zu verpflichten, künftig jegliche medikamentöse psychiatrische Zwangsheilbehandlung zu unterlassen, zumindest bis eine - näher spezifizierte - neue gesetzliche Regelung zur Zwangsbehandlung geschaffen werde. Zugleich stellte er einen gleichgerichteten Eilantrag (§ 114 StVollzG) und beantragte Prozesskostenhilfe. In Sachsen fehle es an einer den Anforderungen der - auch in ihren tragenden Gründen bindenden - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügenden gesetzlichen Regelung der Zwangsmedikation zur Erreichung des Vollzugsziels bei nach § 63 StGB Untergebrachten. Die verabreichten Medikamente hätten starke Nebenwirkungen; der Beschwerdeführer fühle sich infolge der Medikation müder, depressiver und antriebsärmer. Er sei nicht krankheitsuneinsichtig, sondern lediglich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Medikamente nichts gebracht hätten. Mit den schweren Nebenwirkungen wolle er nicht leben.

33

c) Mit angegriffenem Beschluss vom 18. Oktober 2011 gewährte die Strafvollstreckungskammer dem Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe und lehnte im Übrigen dessen Anträge ab. Die Behandlung mit vierzehntägig verabreichten antipsychotisch wirkenden Depotspritzen gegen den natürlichen Willen des Beschwerdeführers und notfalls mit Zwang, in die der Betreuer eingewilligt habe, werde auf vollzugsrechtlich rechtmäßiger Grundlage vorgenommen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei eine Zwangsbehandlung gegen den natürlichen Willen des Patienten nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Zwangsbehandlung von Maßregelvollzugspatienten sei in Sachsen nur in den engen Grenzen des § 22 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 Satz 2 SächsPsychKG zulässig. Nach § 22 Abs. 1 SächsPsychKG sei zu allen nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst erforderlichen Behandlungsmaßnahmen grundsätzlich das Einverständnis des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters einzuholen. Die Voraussetzungen für eine Behandlung nach der zweiten Alternative des § 22 SächsPsychKG (gemeint offenbar: nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SächsPsychKG) seien zwar nicht gegeben, da mit dem Absetzen der Medikamente keine Lebensgefahr oder erhebliche Gesundheitsgefährdung eintreten würde. Es liege jedoch eine wirksame Einwilligung des gerichtlich bestellten Betreuers in die Behandlung des Beschwerdeführers vor. Bei einem krankheitsbedingt nicht einwilligungsfähigen Patienten stehe beim Vorliegen einer wirksamen Einwilligung des für den Bereich der Gesundheitssorge bestellten Betreuers der natürliche Wille des Untergebrachten einer Behandlung nicht entgegen. Werde eine Behandlung als notwendig erkannt, ärztlicherseits angeraten und vom Betreuer für erforderlich gehalten, dann müsse die Möglichkeit bestehen, sie auch gegen den - von Verfassungs wegen nicht über die Einwilligungsentscheidung des Betreuers zu stellenden - durch Krankheit beeinflussten Willen des Patienten durchzusetzen. Die Rechtmäßigkeit der Zustimmung des Betreuers könne nicht durch das Vollstreckungsgericht, sondern nur durch das Betreuungsgericht überprüft werden, da § 22 SächsPsychKG allein an das Vorliegen einer Einwilligung anknüpfe. Eine vollzugsrechtliche Prüfung der Angemessenheit der Maßnahme sei nur eingeschränkt möglich. Anhaltspunkte für einen Ermessensfehlgebrauch lägen nicht vor. In der Stellungnahme der Klinik werde detailliert ausgeführt, was zu der getroffenen Entscheidung geführt habe. Nach den schlüssigen Angaben der behandelnden Ärzte und unter Berücksichtigung des bisherigen Behandlungsverlaufs, den die Kammer jährlich überprüfe und der auch in regelmäßigen Abständen von Sachverständigen überprüft werde, sei beim Beschwerdeführer eine Medikamentengabe zwingend, um akute Krankheitsschübe weitestgehend zu verhindern. Der Beschwerdeführer habe zudem bei seiner letzten Anhörung erklärt, dass er nicht für immer im Maßregelvollzug bleiben wolle. Unter Berücksichtigung dieser Willensäußerung sei die Entscheidung des Betreuers, in die Medikamentengabe einzuwilligen, um eine Entlassungsperspektive zu ermöglichen, nicht zu beanstanden, zumal der Betreuer über Risiken und Nebenwirkungen der Medikation umfassend aufgeklärt worden sei und diese nach Einschätzung der Klinik nicht gravierend seien.

34

d) Die Rechtsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer - nunmehr zusätzlich mit Verweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 2011 (BVerfGE 129, 269) - erneut unter anderem geltend machte, die §§ 22, 23 SächsPsychKG stellten keine verfassungsgemäße Grundlage für die weitere Zwangsbehandlung dar, verwarf das Oberlandesgericht, unter Gewährung von Prozesskostenhilfe, mit angegriffenem Beschluss vom 11. Januar 2012. Die Rechtsbeschwerde sei unbegründet. Zwar sprächen vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März und 12. Oktober 2011 (BVerfGE 128, 282 und 129, 269) gute Gründe dafür, dass auch die eine Zwangsmedikation des Beschwerdeführers regelnden §§ 22, 23 SächsPsychKG mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar seien. Den Mängeln der gesetzlichen Regelungen könne jedoch im vorliegenden Fall im Wege verfassungskonformer Auslegung abgeholfen werden. Im Gegensatz zu den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen werde eine Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers nicht nur durch das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst, sondern auch durch die sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebende Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die unantastbare Würde des Menschen zu achten und zu schützen, gerechtfertigt. Sollte die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers unterlassen werden, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers dramatisch verschlechtern und der Beschwerdeführer Verhaltensmuster zeigen werde, die vor der mit Zustimmung des Betreuers begonnenen Zwangsmedikation im Juli 2010 zu beobachten gewesen seien. Damals hätten sich das abnorme Bedeutungserleben und die körperlichen Halluzinationen des Beschwerdeführers soweit verstärkt, dass er angegeben habe, von Mitarbeitern vergewaltigt worden zu sein und sich im Kriseninterventionsraum durch nicht anwesende Personen massiv sexuell bedrängt gefühlt zu haben. Zudem habe er täglich onaniert und sich mit Kot eingerieben, was er als lustvolles Erleben angegeben habe. Er habe daher weiter im Kriseninterventionsraum untergebracht werden müssen, wo er fortgesetzt "animalisch und primitiv anmutende" Verhaltensauffälligkeiten gezeigt habe, indem er in den Raum uriniert, vor anderen onaniert, mit dem eigenen Kot Hakenkreuze geschmiert und suizidale Ideen geäußert habe. Vor diesem Hintergrund müsse der Achtung der Menschenwürde des Beschwerdeführers Vorrang vor seinem grundrechtlich geschützten Recht auf Krankheit eingeräumt werden und die mit Zustimmung des Betreuers durchgeführte Medikation auch gegen den natürlichen Willen des Beschwerdeführers erlaubt sein.

II.

35

1. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die im Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz ergangenen Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts sowie gegen die landesgesetzlichen Regelungen der Zwangsbehandlung im sächsischen Gesetz über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten, insbesondere gegen die §§ 22 und 23 SächsPsychKG, und rügt eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 GG. Gemessen an den Maßstäben der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 und vom 12. Oktober 2011 könnten die angegriffenen Entscheidungen und gesetzlichen Bestimmungen keinen Bestand haben. Entgegen der Auffassung des Landgerichts stellten die §§ 22, 23 SächsPsychKG keine verfassungsgemäße Grundlage für die weitere Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers dar. Der vom Oberlandesgericht ins Feld geführte Art. 1 GG vermöge daran nichts zu ändern. Art. 1 GG enthalte nicht die erforderlichen konkreten Maßgaben und ermächtige nicht zur zwangsweisen Änderung der Identität eines Menschen gegen dessen Willen. Selbst wenn man aus Art. 1 GG die Verpflichtung des Staates herleiten wollte, den Beschwerdeführer durch zwangsweise Veränderung seiner Identität vor sich selbst zu schützen, bedürfe ein solches Vorgehen besonderer, detailliert auszugestaltender verfahrensrechtlicher Vorkehrungen.

36

2. Die zuständige Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 10. Februar 2012 den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Februar 2012 - 2 BvR 228/12 -, juris) und mit Beschluss vom 9. Mai 2012 dem Beschwerdeführer für das Verfahren über die Verfassungsbeschwerde Prozesskostenhilfe mit Wirkung ab 31. Januar 2012 bewilligt.

37

3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben die Bundesregierung, die Staatsregierung des Freistaates Sachsen sowie der Bundesgerichtshof Stellung genommen.

38

a) Für die Bundesregierung hat das Bundesministerium der Justiz mit Stellungnahme vom 15. Juni 2012 ausgeführt, eine Zwangsmedikation sei im betreuungsrechtlichen Verfahren nur im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 BGB und damit nur unter engen materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen möglich. Als sogenannte Betreuerlösung werde diskutiert, ob im Maßregelvollzug eine Zwangsbehandlung bei einem krankheitsbedingt einsichtsunfähigen Betroffenen durchgeführt werden könne, wenn ein Betreuer mit dem Aufgabenbereich der Gesundheitssorge als Stellvertreter des Betroffenen in die Behandlung einwillige. Im Hinblick auf die Einbindung eines rechtlichen Betreuers in die Genehmigung einer Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung sei aus der Sicht der Bundesregierung auf folgende Gesichtspunkte hinzuweisen: Der Betreuer entscheide über medizinische Maßnahmen im Falle eines nichteinwilligungsfähigen Betreuten allein unter Berücksichtigung dessen Wohls; er habe die Behandlungswünsche und den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden. Dabei habe er zu berücksichtigen, dass zum Wohl des Betreuten auch die Möglichkeit gehöre, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten (§ 1901 Abs. 2 Satz 2 BGB). Das Betreuungsrecht erkenne damit sowohl die Freiheit zur Krankheit als auch die Freiheit zur Selbstschädigung an. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe zum Betreuungsrecht unter Vorsitz des Bundesministeriums der Justiz habe sich in ihrem Abschlussbericht kritisch mit der verfahrensmäßigen Absicherung einer Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug durch Einschaltung eines rechtlichen Betreuers auseinandergesetzt. Die Ausführungen der Arbeitsgruppe, wonach es dem Betreuer nicht möglich sei, über eine Einwilligung in eine Zwangsbehandlung zum Zwecke der Erreichung eines bestimmten Vollzugszieles zu entscheiden, und eine verfahrensmäßige Einbeziehung des Betreuers zur Absicherung einer Maßnahme nach Maßregelvollzugsrecht daher systemwidrig wäre, würden von der Bundesregierung geteilt. Ob Zwangsmaßnahmen während einer Unterbringung im Maßregelvollzug nach Maßregelvollzugsrecht zulässig seien, ergebe sich aus dem Landesrecht. Dies gelte auch für die verfahrensrechtlichen Sicherungen für solche Maßnahmen. Im Hinblick auf die landesrechtlichen Regelungen erfolge keine Bewertung.

39

b) Für die Sächsische Staatsregierung hat mit Schreiben vom 14. Juni 2012 das Staatsministerium der Justiz und für Europa Stellung genommen. Die Verfassungsbeschwerde sei unbegründet. § 22 Abs. 1 SächsPsychKG stelle eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die angefochtenen Entscheidungen beziehungsweise die beanstandeten Behandlungsmaßnahmen dar. Die §§ 21 und 22 SächsPsychKG trügen den sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Maßstäben hinreichend Rechnung.

40

Anders als die Regelungen des rheinland-pfälzischen Maßregelvollzugsgesetzes und des baden-württembergischen Unterbringungsgesetzes, die Gegenstand der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gewesen seien, sähen die Regelungen in § 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 22 SächsPsychKG grundsätzlich keine Möglichkeiten einer Zwangsbehandlung vor, über die allein die jeweilige Unterbringungseinrichtung entscheide. Der sächsische Gesetzgeber habe sich wegen der vorangegangenen Erfahrungen mit politischem Missbrauch der Psychiatrie in der ehemaligen DDR bewusst gegen Zwangsbehandlungen von Untergebrachten entschieden - abgesehen von aktuellen Notfällen - und Behandlungen auch im Hinblick auf das in § 136 Satz 2 StVollzG normierte Vollzugsziel vom Vorliegen einer Einwilligung abhängig gemacht. Der erforderliche besondere Schutz der grundrechtlich geschützten Belange des Untergebrachten gegenüber therapeutischen Eigeninteressen der Unterbringungseinrichtung sei damit bereits im Ansatz anders vorgezeichnet als in den vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelungen. § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG fordere für alle nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst erforderlichen Behandlungsmaßnahmen grundsätzlich das Einvernehmen des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters. Eine Ausnahme formuliere § 22 Abs. 1 Satz 2 SächsPsychKG lediglich für den Fall, dass die Einwilligung nicht rechtzeitig eingeholt werden könne und durch einen Aufschub der Behandlung das Leben oder die Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet werde. Eine Sonderregelung treffe § 22 Abs. 2 SächsPsychKG. Sei die Behandlung mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit des Patienten verbunden oder handele es sich um einen operativen Eingriff, sei stets eine rechtswirksame Einwilligung erforderlich. Damit sei die Therapie von Maßregelvollzugspatienten den allgemeinen Grundsätzen der Krankenhausbehandlung angenähert. Sei die Einsichtsfähigkeit des Untergebrachten vorhanden, habe sein Wille Vorrang. Auch sein von durchschnittlichen Präferenzen abweichender oder aus der Außensicht unvernünftig erscheinender Wille sei insoweit beachtlich. Erst wenn diese Einsichtsfähigkeit - wie im Falle des Beschwerdeführers - krankheitsbedingt fehle, sei auf die Erklärung des Betreuers abzustellen, der kraft Gesetzes dem Wohl des Betreuten und nicht den Zielen des Maßregelvollzugs verpflichtet sei. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 23. März 2011 ausgeführt, dass bei Zwangsbehandlungen die Rechte des Betroffenen auch durch Einschaltung eines Betreuers gewahrt werden könnten, so dass bei fehlender Zustimmung des Betroffenen die ersetzende Einwilligung des Betreuers erforderlich und ausreichend sein könne.

41

Unter Berücksichtigung der sich aus dem gewählten Regelungsmodell ergebenden Besonderheiten genügten die sächsischen Regelungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf eine hinreichend konkretisierte Ankündigung der Behandlung und das vorherige Bemühen um eine auf Vertrauen gegründete Zustimmung seien in § 38 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Satz 2 SächsPsychKG umgesetzt. Danach sei die Behandlung unabhängig von der Einwilligungsfähigkeit des Patienten mit diesem zu erörtern. Der Patient sei auch umfassend aufzuklären (§ 21 Abs. 2 Satz 2 SächsPsychKG). Die Anordnung und Überwachung durch einen Arzt sei in § 22 Abs. 4 Halbsatz 2 SächsPsychKG geregelt. Schließlich sei eine Dokumentationspflicht in § 33 Satz 2 SächsPsychKG vorgegeben.

42

Soweit der Beschwerdeführer die Verfassungsmäßigkeit der Regelung deshalb in Zweifel ziehe, weil es in Fällen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters an der Möglichkeit fehle, gerichtlich gegen die Erteilung dieser Einwilligung vorzugehen, sei dem nicht zu folgen. Aus der Garantie des effektiven Rechtsschutzes folge in erster Linie das verfahrensrechtliche Gebot einer Ankündigung der Behandlung, die dem Betroffenen überhaupt erst die Möglichkeit eröffnen solle, Rechtsschutz zu suchen. Ein entsprechendes Zeitfenster werde bei einem Vorgehen nach § 21 Abs. 2, § 22 Abs. 1 und 4 sowie § 23 Satz 1 SächsPsychKG regelmäßig gegeben sein. Dass die Ankündigung einer Behandlung möglichst so rechtzeitig erfolgen müsse, dass gegebenenfalls Rechtsschutz gesucht werden könne, ergebe sich unmittelbar aus Verfassungsrecht. Insoweit sei § 21 Abs. 2 SächsPsychKG zumindest einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Im Übrigen bestünden Zweifel, ob das gerichtliche Verfahren betreffend eine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters in den Unterbringungsgesetzen der Länder geregelt werden könnte. Der Beschwerdeführer selbst gehe davon aus, dass eine rechtliche Prüfung der Einwilligung des Betreuers im Rahmen des Betreuungsrechts zu erfolgen hätte. Eine entsprechende Regelung durch die Länder dürfte mangels Gesetzgebungskompetenz nicht in Betracht kommen.

43

Mit den angegriffenen Beschlüssen sei die Untersagung einer weiteren Zwangsbehandlung zu Recht abgelehnt worden. Bei der Behandlung seien die vom Gesetz gezogenen Grenzen einer Behandlung ohne Einwilligung des Patienten beachtet worden. Nach der Stellungnahme der Klinik vom 10. Oktober 2011 sei der Beschwerdeführer zu Beginn seiner Behandlung im Juli 2010 krankheitsbedingt nicht fähig gewesen, die Schwere seiner Erkrankung und die Notwendigkeit einer Behandlung zu erkennen. Um ihm eine Entlassungsperspektive zu eröffnen, habe daher eine medikamentöse Behandlung gegen seinen natürlichen Willen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG mit Einwilligung seines Betreuers erfolgen können. Aus der Stellungnahme der Klinik ergebe sich auch, dass sie sich um eine auf Vertrauen gegründete, im Rechtssinne freiwillige Zustimmung des Patienten bemüht habe und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet worden sei.

44

c) Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat mit Schreiben vom 1. Juni 2012 eine Stellungnahme des XII. Zivilsenats vom 30. Mai 2012 übersandt. Darin wird der Stand der Rechtsprechung des Senats zu den Befugnissen eines Betreuers im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung des Betreuten dargestellt und ausgeführt, der Senat werde anlässlich der zur Genehmigungsfähigkeit der Zwangsbehandlung im Rahmen der betreuungsrechtlichen Unterbringung gegenwärtig anhängigen Rechtsbeschwerdeverfahren zu entscheiden haben, ob an dieser Rechtsprechung angesichts der jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung festzuhalten sei. Zu der Frage, welche Rechtsschutzmöglichkeiten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einem im Maßregelvollzug Untergebrachten und nach §§ 1896 ff. BGB Betreuten hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der durch seinen Betreuer erteilten Einwilligung in eine Zwangsbehandlung eröffnet seien, insbesondere was die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Behandlung sowie das Bestehen einer krankheitsbedingten Unfähigkeit des Betreuten zur Einsicht in die Notwendigkeit seiner Behandlung angehe, nehme der Senat wie folgt Stellung: Der Betreuer sei außerhalb einer betreuungsrechtlichen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB als gesetzlicher Vertreter des Betreuten befugt, in ärztliche Maßnahmen auch gegen den natürlichen Willen eines im Rechtssinne einwilligungsunfähigen Betreuten einzuwilligen. Hingegen sei er in solchen Fällen nicht berechtigt, den einer medizinischen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betreuten durch Zwang zu überwinden. Deshalb könne eine Einwilligung des Betreuers in die Zwangsbehandlung auch nicht betreuungsrechtlich genehmigt werden. Verhalte der Betreuer sich pflichtwidrig, weil er gedenke, in eine (ersichtlich) nicht indizierte Heilbehandlung einzuwilligen, könne das Betreuungsgericht im Rahmen seiner Aufsichtspflicht gemäß § 1908i Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1837 Abs. 2 Satz 1 BGB hiergegen durch geeignete Ge- und Verbote einschreiten. Bestünden Zweifel an der Eignung des Betreuers, könne der Betreute gemäß § 1908b Abs. 1 BGB auf eine Entlassung des Betreuers hinwirken. Sei die Einwilligung in die Behandlung betreuungsrechtlich nicht zu beanstanden, ziehe sie aber - wie vorliegend gemäß § 22 Abs. 1, § 23 SächsPsychKG - eine Zwangsbehandlung nach sich, sei die Beurteilung, ob diese rechtmäßig erfolge, auf der Grundlage der die Zwangsbehandlung rechtfertigenden Normen, hier also des sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten, durch die für den Maßregelvollzug zuständigen Gerichte (§ 138 Abs. 3 i.V.m. §§ 109 ff. StVollzG) anhand der einschlägigen Normen vorzunehmen. § 1906 BGB eröffne keine Handlungsbefugnis des Betreuungsgerichts, Feststellungen zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug zu treffen. Bestünden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einwilligung des Betreuers wegen einer möglicherweise bestehenden Einsichtsfähigkeit des Betreuten, könne dieser vor dem Betreuungsgericht um Rechtsschutz nachsuchen (KG, Beschluss vom 29. August 2007 - 2 Ws 66/07 Vollz -, FamRZ 2008, S. 300 <302 f.>). Der Betreuer könne in die Heilbehandlung und in ärztliche Eingriffe nur wirksam einwilligen, wenn der Betreute selbst zu einer solchen Einwilligung nicht in der Lage - insbesondere nicht einsichts- oder steuerungsfähig - sei (BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 -, FamRZ 2008, S. 866 Rn. 21).

45

4. Auf die Stellungnahme der Sächsischen Staatsregierung hat der Beschwerdeführer erwidert, dass das Abstellen auf die vorliegende Genehmigung des Betreuers an der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen gerichtlichen Beschlüsse und gesetzlichen Regelungen nichts zu ändern vermöge. Insoweit werde bereits verkannt, dass es für die Zustimmung eines Betreuers selbst an einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage fehle (mit Verweis auf die zwischenzeitlich ergangenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 20. Juni 2012; s. dazu im Folgenden unter III.). Es sei zudem in keiner Weise ein hinreichendes Korrektiv zur - auch fachlichen - Übermacht der Maßregelvollzugskliniken in Zwangsbehandlungsangelegenheiten, wenn externe Kontrolle durch eine bloße Beteiligung des jeweiligen Betreuers gewährleistet werden solle. Es bedürfe vielmehr prinzipiell - also ohne dass der psychisch kranke Mensch insoweit selbst aktiv werden müsse - einer vorherigen Prüfung in einem gerichtlichen Verfahren unter Beiordnung von angemessen vergüteten Rechtsbeiständen sowie unter regelmäßiger Beteiligung externen gutachterlichen Sachverstandes.

46

5. Dem Senat haben die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens vorgelegen.

III.

47

Mit Beschlüssen vom 20. Juni 2012 hat der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung zur Genehmigungsfähigkeit von Zwangsbehandlungen im Rahmen des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB aufgegeben (BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2012 - XII ZB 99/12 -, NJW 2012, S. 2967 ff., und - XII ZB 130/12, juris). Die materiellen Vorschriften des Betreuungsrechts und die Verfahrensvorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit würden den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung aufgestellt habe, nicht gerecht. Diese Anforderungen seien im Wesentlichen auf die Zwangsbehandlung im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zu übertragen. Der Staat könne sich von der Grundrechtsbindung nicht dadurch befreien, dass er eine Privatperson zur Wahrung einer öffentlichen Aufgabe bestelle und ihr die Entscheidung über den Einsatz staatlicher Machtmittel überlasse. Die Vorschriften des Betreuungsrechts genügten den Anforderungen nicht, die das Bundesverfassungsgericht für die gesetzliche Regelung einer Zwangsbehandlung aufgestellt habe und die für die staatliche Kontrolle des darauf bezogenen Betreuerhandelns gleichermaßen gelten müssten. Danach fehle es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung. Deshalb dürfe ein Betreuer derzeit auch im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung keine Zwangsbehandlung veranlassen.

B.

48

Die Verfassungsbeschwerde - die die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts nur insoweit angreift, als sie nicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe betreffen - ist zulässig und begründet. Die Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

I.

49

1. Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten greift, unabhängig davon, ob sie mit körperlichem Zwang durchgesetzt wird, in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein, das die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht schützt (BVerfGE 128, 282<300>; 129, 269 <280>; zur Unabhängigkeit des Eingriffscharakters von der Einsichtsfähigkeit des Betroffenen BVerfGE 128, 282 <301>).

50

Die Eingriffsqualität entfällt nicht bereits dann, wenn der Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand entgegensetzt (vgl. BVerfGE 128, 282 <300 f.>; 129, 269 <280>). Eine Zwangsbehandlung im Sinne einer medizinischen Behandlung, die gegen den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt, liegt unabhängig davon vor, ob eine gewaltsame Durchsetzung der Maßnahme erforderlich wird oder der Betroffene sich, etwa weil er die Aussichtslosigkeit eines körperlichen Widerstandes erkennt, ungeachtet fortbestehender Ablehnung in die Maßnahme fügt und damit die Anwendung körperlicher Gewalt entbehrlich macht (vgl. BVerfGE 128, 282 <300 f.>; 129, 269 <280>). Dem grundrechtseingreifenden Charakter der beanstandeten Behandlung, und demgemäß auch der angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen, steht es danach nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer sich, ohne seine Ablehnung aufzugeben, aus Angst vor Zwangsmaßnahmen auf die Verabreichung der Medikamente eingelassen hat.

51

Auch die Einwilligung eines Betreuers nimmt der Maßnahme nicht den Eingriffscharakter. Sie lässt den Eingriff unberührt, der darin liegt, dass die Maßnahme gegen den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt (vgl. BVerfGE 10, 302 <309>).

52

2. Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten kann ungeachtet der besonderen Schwere des darin liegenden Eingriffs gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 128, 282 <304 ff.>; 129, 269 <280 ff.>). Sie ist jedoch, wie jeder andere Grundrechtseingriff, nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt (BVerfGE 128, 282 <317>).

53

Das Erfordernis einer verfassungskonformen gesetzlichen Grundlage für Grundrechtseingriffe besteht auch dann, wenn für den jeweils betrachteten Eingriff gute oder sogar zwingende sachliche Gründe sprechen mögen (vgl. BVerfGE 116, 69 <80>; BVerfGK 9, 123 <126 f.>). Der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass in Grundrechte nur auf der Grundlage eines Gesetzes eingegriffen werden darf (Vorbehalt des Gesetzes), hat gerade den Sinn, die primäre Zuständigkeit für die Bewertung von Grundrechtsbeschränkungen als wohlbegründet oder ungerechtfertigt zu bestimmen. Er stellt sicher, dass die Grenzen zwischen zulässigem und unzulässigem Grundrechtsgebrauch, zwischen zulässiger und unzulässiger Grundrechtseinschränkung nicht fallweise nach eigener Einschätzung von beliebigen Behörden oder Gerichten, sondern primär - in der Form eines allgemeinen Gesetzes - durch den Gesetzgeber gezogen werden.

54

Der Vorbehalt des Gesetzes gilt nicht nur für die materiellen, sondern auch für die formellen Eingriffsvoraussetzungen. Gesetzlicher Regelung bedürfen in verfahrensrechtlicher wie in materieller Hinsicht die für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlichen Fragen. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs müssen hinreichend klar und bestimmt geregelt sein. Für aktuell und potentiell betroffene Untergebrachte und für die zur Normanwendung in erster Linie berufenen Entscheidungsträger der Unterbringungseinrichtung, die einer klaren, Rechtssicherheit vermittelnden Eingriffsgrundlage auch im eigenen Interesse bedürfen, müssen die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels aus dem Gesetz erkennbar sein; sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht bedarf es einer über abstrakte Verhältnismäßigkeitsanforderungen hinausgehenden Konkretisierung dieser Voraussetzungen (vgl. BVerfGE 128, 282 <318 ff.>; 129, 269 <283>).

55

3. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung zur Erreichung des Ziels des Maßregelvollzuges, einschließlich der Anforderungen, denen die gesetzliche Grundlage für eine solche Behandlung genügen muss, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23. März 2011 geklärt (vgl. BVerfGE 128, 282 <304 ff.>; s. auch BVerfGE 129, 269 <280 ff.>).

56

Danach verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer bereits deshalb in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, weil es für die Zwangsbehandlung, die sie als rechtmäßig bestätigen, an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt. Die herangezogene Eingriffsgrundlage des § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und nichtig.

57

a) Dies gilt unabhängig von der Frage, inwieweit Zwangsbehandlungen auch zu anderen Zwecken als zur Erreichung des Vollzugsziels zulässig sein können und inwieweit die für Zwangsbehandlungen zur Erreichung des Vollzugsziels geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe auch bei einer andersgerichteten Maßnahme - etwa einer Behandlungsmaßnahme zur Rettung des Untergebrachten aus akuter Lebens- oder schwerer Gesundheitsgefahr (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 2 SächsPsychKG) - uneingeschränkt Gültigkeit beanspruchen. Denn bei § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG handelt es sich nicht um eine Vorschrift, die auf Zwangsbehandlungen zu anderen als vollzugszielbezogenen Zwecken zugeschnitten wäre oder abtrennbare diesbezügliche Gehalte aufwiese. Die Vorschrift sieht vielmehr von einer Zweckvorgabe ab (s. b)bb)).

58

b) Die Regelungen des sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten unterscheiden sich allerdings von den bislang verfassungsgerichtlich geprüften und beanstandeten landesrechtlichen Regelungen dadurch, dass sie für den Regelfall keinerlei Zwangsbehandlungsmaßnahmen zulassen, über die allein die Unterbringungseinrichtung entschiede. Erforderlich ist grundsätzlich entweder die Einwilligung des Betroffenen selbst oder die seines gesetzlichen Vertreters oder, wenn es an einem gesetzlichen Vertreter fehlt, weil ein Betreuer nicht bestellt wurde, eine gerichtliche Genehmigung der Maßnahme nach § 16 SächsPsychKG; etwas anderes gilt nur für den Fall, dass durch den Aufschub der Behandlung das Leben oder die Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet wäre (s. i.E. § 22 Abs. 1 Sätze 1 und 2 sowie Abs. 2 SächsPsychKG). Dies führt jedoch weder zur Unanwendbarkeit der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels noch dazu, dass diese Anforderungen erfüllt wären. § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG verfehlt vielmehr die verfassungsrechtlichen Anforderungen in mehreren Hinsichten.

59

aa) Weder diese Bestimmung noch andere, ergänzend heranzuziehende Vorschriften des Gesetzes beschränken die medizinische Zwangsbehandlung des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels, wie verfassungsrechtlich geboten (vgl. BVerfGE 128, 282 <307 f.>; 129, 269 <281 f.>), auf den Fall seiner krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit.

60

(1) Dass § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG auf die Regeln der ärztlichen Kunst verweist, ändert daran nichts. Unabhängig von der Frage, ob dieser Verweis überhaupt hinreichend deutlich eine umfassende Bindung an die Regeln der ärztlichen Kunst statuiert, liegt in einer solchen Bindung keine hinreichend deutliche gesetzliche Begrenzung der Möglichkeit der Zwangsbehandlung auf Fälle der fehlenden Einsichtsfähigkeit. Der Umstand, dass § 22 SächsPsychKG nur in Absatz 2 für Behandlungsmaßnahmen, die mit einem operativen Eingriff oder einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit des Untergebrachten verbunden sind, die eingriffsrechtfertigende Wirkung der Einwilligung des Patienten daran knüpft, dass dieser die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und der Einwilligung beurteilen kann, legt eher die Schlussfolgerung nahe, dass Eingriffe unterhalb der genannten Schwelle unabhängig von der Frage einer krankheitsbedingten Selbstbestimmungsunfähigkeit zugelassen sein sollen. Auch wenn man diesen Schluss nicht ziehen will, weil zwischen dem Fehlen der in § 22 Abs. 2 SächsPsychKG angesprochenen Fähigkeit zu positiver Einwilligung in eine ärztlich indizierte Behandlung und einer "Vetofähigkeit" (vgl. Böse, in: FS Roxin, 2011, S. 523 <529>) zu unterscheiden und die Möglichkeit zu erwägen sein könnte, dass bestimmte - etwa paranoische - psychische Erkrankungen nur die letztere Fähigkeit beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 129, 269 <281 f.>), stellt jedenfalls nicht schon der Verweis auf die Regeln der ärztlichen Kunst in der notwendigen Weise klar, dass krankheitsbedingt fehlende Einsichtsfähigkeit Voraussetzung der Zwangsbehandlung ist (vgl. BVerfGE 129, 269 <281 f.>).

61

(2) Eine ausreichende gesetzliche Regelung des Erfordernisses krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit liegt auch nicht darin, dass die Einwilligung eines Betreuers, die nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG geeignet sein soll, eine Behandlung auch gegen den natürlichen Willen des Untergebrachten zu legitimieren, ihrerseits die krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit des Betreuten voraussetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 -, FamRZ 2008, S. 866 <867>).

62

Die landesrechtliche Anknüpfung der Befugnis, einen Untergebrachten zur Herstellung seiner Entlassungsfähigkeit gegen seinen erklärten Willen - notfalls unter Anwendung physischen Zwangs - zu behandeln, an das Vorliegen der Einwilligung des Betreuers ist schon im Ansatz ungeeignet, den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die gesetzliche Bestimmung der materiellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen einer solchen Behandlung Rechnung zu tragen. Denn die mit dieser Anknüpfung in Bezug genommenen bundesrechtlichen Vorschriften des Betreuungsrechts selbst gestatten dem Betreuer - dessen Befugnisse schon aus kompetenziellen Gründen nicht durch den Landesgesetzgeber erweitert werden können - die Erteilung einer auch eine Zwangsbehandlung einschließenden Einwilligung nicht.

63

Die Vorschriften des Betreuungsrechts (§§ 1896 ff. BGB) sehen die Möglichkeit einer Zwangsbehandlung nicht ausdrücklich vor. Zwar ist ein Betreuer kraft seiner gesetzlichen Vertretungsmacht (§ 1902 BGB) grundsätzlich auch befugt, anstelle eines nicht einsichts- oder steuerungsfähigen Betreuten in medizinische Heilbehandlungen einzuwilligen (vgl. BGHZ 145, 297 <306 f.>); nur unter den Voraussetzungen des § 1904 Abs. 1 BGB ist in einem solchen Fall zusätzlich die Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich. Aus § 1901 Abs. 3 Satz 1 BGB hat die höchstrichterliche Rechtsprechung abgeleitet, dass der Betreuer bei der Erteilung seiner Einwilligung den Wünschen des Betreuten nicht entsprechen muss, wenn sie dessen Wohl zuwiderlaufen (vgl. BGHZ 166, 141 <150 f.>). Auch nach dieser Auslegung folgt jedoch aus der gesetzlichen Vertretungsmacht, die es dem Betreuer ermöglicht, in eine medizinische Behandlung des Betreuten mit rechtfertigender Wirkung einzuwilligen, nicht zugleich die Befugnis, den einer medizinischen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betreuten durch Zwang zu überwinden beziehungsweise eine Zwangsbehandlung seitens dritter Personen durch Einwilligung zu legitimieren, da die §§ 1901, 1902 BGB für sich genommen keine hinreichende Bestimmung von Inhalt, Zweck, Gegenstand und Ausmaß der vom Betreuten unter Zwang zu duldenden Behandlung ermöglichen (vgl. BGHZ 145, 297 <306 ff.>; 166, 141 <151>; BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 -, FamRZ 2008, S. 866 <866 f.>). Eine gesetzliche Grundlage für derartige Zwangsmaßnahmen hat der Bundesgerichtshof zwar bis zur Änderung seiner - insoweit umstritten gebliebenen - Rechtsprechung durch die Beschlüsse vom 20. Juni 2012 (s.o. A.III.) in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gesehen, der die Unterbringung eines krankheitsbedingt einsichts- oder steuerungsunfähigen Betreuten durch den Betreuer zum Zweck einer anders nicht durchführbaren medizinischen Behandlung - mit Zustimmung des Betreuungsgerichts (§ 1906 Abs. 2 BGB) - ermöglicht: Diese Unterbringungsermächtigung schließe die Ermächtigung zur zwangsweisen Durchführung der Behandlung, auf die die Unterbringung zielt, ein (vgl. BGHZ 166, 141 <151 f.>; BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008, a.a.O. S. 867; a.A. Marschner, in: Jürgens, Betreuungsrecht, Handkommentar, 4. Aufl. 2010, § 1904 BGB Rn. 11; Narr/Saschenbrecker, FamRZ 2006, S. 1079 <1082>; Ludyga, FPR 2007, S. 104 <105 f.>; Olzen/van der Sanden, JR 2007, S. 248 <249 f.>, m.w.N.). Auch soweit danach eine Rechtsgrundlage für Zwangsbehandlungen als im Betreuungsrecht angelegt gesehen wurde, betraf dies allerdings, entsprechend der Ableitung der Zwangsbehandlungsbefugnis aus der dem Wortlaut nach nur zu einer Unterbringung ermächtigenden Vorschrift des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, ausschließlich Behandlungen im Rahmen einer nach dieser Vorschrift angeordneten Unterbringung (vgl. BGHZ 145, 297 <300 f.>; BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008, a.a.O. S. 866). Für medizinische Zwangsbehandlungen außerhalb einer Unterbringung oder im Rahmen von auf anderer Rechtsgrundlage erfolgten Unterbringungen, einschließlich der Unterbringung im Maßregelvollzug (§ 63 StGB), bot § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB danach bereits in seiner Auslegung durch die frühere Rechtsprechung keine gesetzliche Grundlage. Die zwischenzeitliche Änderung dieser Rechtsprechung dahingehend, dass § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch für Maßnahmen der Zwangsbehandlung im Rahmen von Unterbringungen nach dieser Vorschrift keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Grundlage darstellt (s.o. A.III.), verdeutlicht insofern für den vorliegenden Zusammenhang nur, dass die Vorschriften des Betreuungsrechts als - sei es primäre oder ergänzende - Grundlage für Zwangsbehandlungen zur Erreichung des Vollzugsziels im Maßregelvollzug von Verfassungs wegen erst recht nicht in Betracht kommen.

64

bb) Auch den weiteren aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitenden Anforderungen, denen ein zur medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten ermächtigendes Gesetz entsprechen muss, ist nicht genügt. Es fehlt sowohl an der abschließenden Bestimmung des Zwecks oder der Zwecke, die den Eingriff rechtfertigen sollen, und damit an der Ausscheidung von Zwecken, die einen Eingriff prinzipiell nicht zu rechtfertigen geeignet sind - eine ausschließende Bedeutung kommt insbesondere § 21 Abs. 1 Satz 4 und § 22 Abs. 1 Satz 2 SächsPsychKG nicht zu -, als auch sonst an einer ausreichenden Konkretisierung der materiellen und verfahrensmäßigen Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben.

65

(1) § 22 Abs. 1 SächsPsychKG statuiert in dem eingriffsermächtigenden Satz 1 keine zureichenden inhaltlichen Verhältnismäßigkeitsanforderungen, sondern verlangt nur, dass zu allen nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst erforderlichen Behandlungsmaßnahmen grundsätzlich das Einverständnis des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters einzuholen ist. Dies reicht nicht aus (vgl. BVerfGE 129, 269 <281>). Materiell beschränkende Regelungen für eine gemäß dieser Vorschrift mit Einwilligung des Betreuers oder sonstigen gesetzlichen Vertreters erfolgende Zwangsbehandlung finden sich in den Absätzen 1 und 2 des § 22 SächsPsychKG auch sonst nicht; Absatz 1 Satz 2 regelt nur, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe bei Fehlen jeglicher Einwilligung - auch der eines Vertreters oder des Gerichts - zulässig sind, und Absatz 2 statuiert, in nicht ganz deutlichem Verhältnis zu Absatz 1 Satz 2, wiederum nur Einwilligungserfordernisse. Lediglich in § 22 Abs. 3 und Abs. 4 SächsPsychKG finden sich weitere die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in materieller Hinsicht betreffende Anforderungen, nämlich eine Sonderregelung für den Fall der Zwangsernährung - diese soll nur zur Abwehr erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit zulässig sein (Abs. 3) - und das Verbot der Verletzung der Würde des Patienten (Abs. 4). Damit ist dem Erfordernis, die materiellen Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung über die Anforderung der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit hinaus gesetzlich zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 128, 282 <317 f.>; 129, 269 <282 f.>), nicht Genüge getan.

66

(2) Auch mit Blick auf die Ausgestaltung des Verfahrens wird die als Grundlage der Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers herangezogene gesetzliche Regelung den verfassungsrechtlichen Anforderungen nur teilweise gerecht.

67

Ausreichend ist die gesetzliche Regelung allerdings, soweit es um das Erfordernis der Anordnung und Überwachung von Zwangsbehandlungen durch einen Arzt (vgl. BVerfGE 128, 282 <313, 320>; 129, 269 <283>) geht. Nach § 22 Abs. 4 SächsPsychKG sind sämtliche Maßnahmen nur auf Anordnung und unter unmittelbarer Leitung und Verantwortung eines Arztes zulässig.

68

Das Gesetz enthält auch die erforderliche (vgl. BVerfGE 128, 282 <313 ff.>; 129, 269 <283>) Regelung der Pflicht zur Dokumentation aller Zwangsbehandlungsmaßnahmen. § 33 Satz 2 SächsPsychKG sieht vor, dass alle medizinischen Maßnahmen und belastenden Vollzugsmaßnahmen zu dokumentieren sind. Danach sind medizinische Maßnahmen, wenn sie gegen den natürlichen Willen eines Untergebrachten erfolgen, nicht nur als medizinische, sondern zugleich auch in ihrer Eigenschaft als belastende, nämlich dem natürlichen Willen des Betroffenen zuwiderlaufende, zu dokumentieren. Der Umfang des dokumentarisch Festzuhaltenden ist zwar im Gesetz nicht näher präzisiert, ergibt sich aber ohne weiteres aus dem Sinn und Zweck des Dokumentationserfordernisses, der über die Orientierungsfunktion für das weitere ärztliche Handeln hinaus auch darin besteht, das Vorliegen der Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit der Maßnahme erkennbar und überprüfbar zu machen.

69

Dagegen fehlt es an einer angemessenen Regelung des - unabhängig von der Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen bestehenden - Erfordernisses der vorherigen Bemühung um eine auf Vertrauen gegründete im Rechtssinne freiwillige, insbesondere nicht bloß wegen anderenfalls drohender Gewaltanwendung erteilte Zustimmung des Betroffenen (vgl. hierzu BVerfGE 128, 282 <309 f.>; 129, 269 <283>). § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG fordert nur, dass zu allen nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst erforderlichen Behandlungsmaßnahmen grundsätzlich das Einverständnis des Patientenoder seines gesetzlichen Vertreters eingeholt wird. Allerdings ist nach § 21 Abs. 2 Satz 1 SächsPsychKG der Behandlungsplan mit dem Patienten zu erörtern, und nach Satz 2 der Vorschrift ist der Patient über die erforderlichen diagnostischen Verfahren und die Behandlung sowie die damit verbundenen Risiken umfassend aufzuklären. Der Umstand, dass das Gesetz in weiteren Vorschriften zwischen dem Patienten und seinem Betreuer oder sonstigen gesetzlichen Vertreter unterscheidet (§ 22 Abs. 1 und Abs. 2 SächsPsychKG), legt es nahe, diese informationsbezogene Regelung dahin auszulegen, dass sie die Erörterung des Behandlungsplans mit dem Patienten in eigener Person sowie Aufklärung des Patienten selbst gebietet, also nicht etwa die Aufklärung des Betreuers genügen lässt. Zweifel an dieser Auslegung weckt allerdings das Fehlen einer gesonderten Regelung über die Aufklärungspflicht gegenüber dem gesetzlichen Vertreter für den Fall, dass dem Patienten selbst die Einwilligungsfähigkeit fehlt, und das Fehlen einer Ausnahme für den Fall, dass der Betroffene nicht kommunikationsfähig ist. Unabhängig davon ist § 21 Abs. 2 SächsPsychKG jedenfalls nichts dafür zu entnehmen, dass die gebotene Erörterung und Aufklärung auf eine vertrauensbasierte freiwillige, insbesondere nicht bloß auf eine anderenfalls drohende Gewaltanwendung gegründete Zustimmung des Betroffenen gerichtet sein muss. Mit einer bloßen Erörterungs- und Aufklärungspflicht wäre es auch vereinbar, anstelle geduldiger Bemühung um den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses den Betroffenen - zeitsparend - von vornherein vor die Alternative zwischen Hinnahme der geplanten Behandlung und Anwendung unmittelbaren Zwangs zu stellen. Ein solches Vorgehen genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen aber, jedenfalls außerhalb akuter Notfallsituationen, gerade nicht. Dieser Mangel der gesetzlichen Regelung kann nicht durch verfassungskonforme Auslegung behoben werden, weil damit den hohen Bestimmtheitsanforderungen, die an die gesetzliche Regelung der Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung zu stellen sind (vgl. BVerfGE 128, 282 <317 f.>), nicht genügt wäre.

70

Weiter fehlt es an einer zureichenden Regelung des, jedenfalls für planmäßige Behandlungsmaßnahmen bestehenden, Erfordernisses einer hinreichend konkretisierten Ankündigung (vgl. BVerfGE 128, 282 <311 ff.>; 129, 269 <283>). Eine solche Regelung ist nicht deshalb entbehrlich, weil das Ankündigungserfordernis, wie auch andere Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung, die der Konkretisierung oder ausdrücklichen Klarstellung durch einfaches Gesetz bedürfen, seine Grundlage im Verfassungsrecht hat (vgl. dementsprechend die Beanstandung ihres Fehlens in BVerfGE 128, 282 <320>; 129, 269 <283>). Eine ausreichende Regelung der Ankündigung liegt nicht bereits in der vorgesehenen Erörterungs- und Aufklärungspflicht (§ 21 Abs. 2 SächsPsychKG). Diese zielt auf die Schaffung der informatorischen Grundlagen für eine den Eingriffscharakter der Maßnahme ausschließende Zustimmung. Das Ankündigungserfordernis betrifft demgegenüber Maßnahmen, für die eine solche Zustimmung gerade nicht vorliegt, und zielt auf die Ermöglichung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG, vgl. BVerfGE 128, 282 <311>). Eine vorherige Ankündigung ist - mit einer Ausnahme für den Fall, dass die Umstände sie nicht zulassen - nur in § 23 SächsPsychKG für die Anwendung unmittelbaren Zwangs vorgesehen. Mit einer Regelung, die eine Androhung allein für die Anwendung physischen Zwangs vorschreibt, sind jedoch die Fälle, für die das Ankündigungserfordernis von Verfassungs wegen besteht, nicht ausreichend erfasst (vgl. BVerfGE 128, 282 <321>; 129, 269 <283>). Eine Zwangsbehandlung im hier maßgebenden Sinne liegt nicht erst dann vor, wenn die Behandlung im Wege des unmittelbaren Zwangs gegen Widerstand durchgesetzt wird (s.o. B.I.1.). Die Ankündigungsregelung des § 23 SächsPsychKG stellt auch nicht sicher, dass die Ankündigung sich auf Art, Dauer und Intensität der geplanten Zwangsbehandlung erstreckt und damit eine ausreichende gerichtliche Überprüfung ermöglicht. Entsprechendes gilt für die Bestimmungen, die die Erstellung eines Behandlungsplans und dessen Erörterung mit dem Patienten vorsehen (§ 21 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 SächsPsychKG).

71

Entgegen den verfassungsrechtlichen Anforderungen ist zudem eine vorausgehende Überprüfung der Maßnahme in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung (vgl. hierzu BVerfGE 128, 282 <315 ff.>; 129, 269 <283>) nicht vorgesehen. Die erforderliche Überprüfung ist insbesondere nicht dadurch sichergestellt, dass nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG die Behandlung eines Untergebrachten, die nicht mit dessen eigenem Einverständnis erfolgt, grundsätzlich das Einverständnis des gesetzlichen Vertreters, bei Erwachsenen also eines Betreuers, voraussetzt. Zwar gehört neben anderen möglichen Lösungen, wie etwa einem Richtervorbehalt oder der Beteiligung einer sonstigen neutralen Stelle (vgl. BVerfGE 128, 282 <316>), auch die Einschaltung eines Betreuers grundsätzlich zu den in Betracht kommenden Möglichkeiten der erforderlichen vorausgehenden externen Überprüfung, sofern das Betreuungsrecht selbst dies zulässt. Die in § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG getroffene Regelung sieht jedoch, unabhängig von den betreuungsrechtlichen Fragen, die sie aufwirft, eine derartige Überprüfung schon im Ansatz nicht vor. Die Vorschrift weist, indem sie die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung allein an das Vorliegen des Einverständnisses des gesetzlichen Vertreters bindet, diesem nicht die Funktion zu, eine Entscheidung der Klinik darauf hin zu überprüfen, ob sie vorgegebenen gesetzlichen Maßstäben entspricht. Vielmehr setzt sie die Entscheidung des Betreuers an die Stelle solcher Maßstäbe. Um eine externe Kontrolle im Sinne des Erfordernisses vorausgehender Überprüfung der Maßnahme in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung handelt es sich daher hier nicht. Das Fehlen materieller Kriterien für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung (oben B.I.3b)bb)(1)) entzieht somit zugleich dem verfahrensrechtlichen Ansatz des angegriffenen Gesetzes die ihm zugedachte Legitimationsfunktion.

72

cc) Im Hinblick auf die Gewährleistung gerichtlichen Rechtsschutzes ist die Eingriffsermächtigung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG schließlich auch deshalb unzureichend, weil angesichts der mit der gewählten "Betreuerlösung" verbundenen Unklarheiten nicht gesichert und für den Betroffenen nicht hinreichend erkennbar ist, wie er den verfassungsrechtlich gebotenen effektiven Rechtsschutz erlangen kann. Dies zeigt für den vorliegenden Fall das Zusammenspiel der angegriffenen Entscheidungen mit den Entscheidungen im vorausgegangenen betreuungsgerichtlichen Verfahren. Während der Beschwerdeführer im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG, in dem die hier angegriffenen Entscheidungen ergangen sind, keine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Einwilligung des Betreuers erreichen konnte, weil nach der unbeanstandet gebliebenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer die Rechtmäßigkeit dieser Einwilligung und die Frage, ob der Betroffene einwilligungsunfähig und die Behandlung erforderlich und angemessen ist, allein durch das Betreuungsgericht geprüft werden können, hatte sich, gleichfalls bis in die letzte Instanz unbeanstandet, das Landgericht im betreuungsgerichtlichen Verfahren auf den Standpunkt gestellt, dass sich aus § 1906 BGB keine Befugnis des Betreuungsgerichts zu dahingehenden Feststellungen ergebe.

II.

73

Da die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts, soweit angegriffen, das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bereits mangels einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage für den gebilligten Eingriff verletzen, kann offenbleiben, ob die Rechtsanwendung durch die Fachgerichte noch aus anderen Gründen Anlass zu verfassungsrechtlicher Beanstandung gibt.

C.

I.

74

§ 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG ist wegen der festgestellten Verfassungsverstöße für nichtig zu erklären. Die Voraussetzungen für eine bloße Unvereinbarerklärung liegen nicht vor (vgl. BVerfGE 128, 282 <321 f.>; 129, 269 <284>). Dasselbe gilt für die Voraussetzungen einer Erstreckung des Nichtigkeitsausspruchs (§ 78 Satz 2 BVerfGG) auf andere Teile des § 22 SächsPsychKG.

75

Die angegriffenen Entscheidungen sind gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG in dem bezeichneten Umfang aufzuheben, und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.

II.

76

Gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

1. § 8 Absatz 2 Satz 2 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UBG) vom 2. Dezember 1991 (Gesetzblatt für Baden-WürttembergSeite 794) ist mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

2. Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 8. Februar 2011 - 2 Ws 161/10 - und des Landgerichts Heidelberg vom 3. Mai 2010 - 7 StVK 139/09 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Heidelberg zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

I.

1

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten auf der Grundlage des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UBG BW) vom 2. Dezember 1991 (GBl S. 794, zuletzt geändert durch Art. 9 des Vierten Gesetzes zur Bereinigung des baden-württembergischen Landesrechts vom 4. Mai 2009, GBl S. 195, 199). Die einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzes lauten:

2

§ 8

3

Heilbehandlung

4

(1) Wer auf Grund dieses Gesetzes in einer anerkannten Einrichtung untergebracht ist, hat Anspruch auf notwendige Heilbehandlung. Die Heilbehandlung umfaßt auch Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Untergebrachten nach seiner Entlassung ein eigenverantwortliches Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.

5

(2) Der Untergebrachte ist über die beabsichtigte Untersuchung oder Behandlung angemessen aufzuklären. Er hat diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen zu dulden, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, soweit die Untersuchung oder Behandlung nicht unter Absatz 3 fällt.

6

(3) Erfordert die Untersuchung oder Behandlung einen operativen Eingriff oder ist sie mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden, darf sie nur mit der Einwilligung des Untergebrachten vorgenommen werden.

7

(4) Ist der Untergebrachte in den Fällen des Absatzes 3 nicht fähig, Grund, Bedeutung oder Tragweite der Untersuchung oder Behandlung einzusehen oder seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, so ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters maßgeblich. Besitzt der Untergebrachte die in Satz 1 genannten Fähigkeiten, ist er aber geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig, so ist neben der Einwilligung des Untergebrachten die des gesetzlichen Vertreters erforderlich.

8

§ 12

9

Unmittelbarer Zwang

10

(1) Bedienstete der anerkannten Einrichtungen dürfen gegen Untergebrachte unmittelbaren Zwang nur dann anwenden, wenn der Untergebrachte zur Duldung der Maßnahme verpflichtet ist. Unmittelbarer Zwang zur Untersuchung und Behandlung ist nur auf ärztliche Anordnung zulässig.

11

(2) Unmittelbarer Zwang ist vorher anzukündigen. Die Ankündigung darf nur dann unterbleiben, wenn die Umstände sie nicht zulassen.

12

§ 15

13

Maßregelvollzug

14

(1) Für den Vollzug der durch rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt gelten die §§ 7 bis 10 und 12 entsprechend.

15

(...)

16

2. Der Beschwerdeführer ist seit dem Jahr 2005, unterbrochen nur durch vorübergehende Verlegung, im Maßregelvollzug im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN), Wiesloch, untergebracht. Nach dem Strafurteil, das der Unterbringung zugrundeliegt, leidet er an einer multiplen Störung der Sexualpräferenz und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Im Juni 2009 kündigte die Maßregelvollzugsklinik dem Beschwerdeführer an, dass er mit dem Neuroleptikum Abilify behandelt werden und diese Behandlung erforderlichenfalls auch gegen seinen Willen - durch Injektion unter Fesselung - durchgeführt werden solle.

17

Hiergegen beantragte der Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG. Eine zwangsweise Medikamentengabe, insbesondere die Verabreichung von Neuroleptika, sei seit Beginn seiner Unterbringung niemals angeordnet oder für erforderlich gehalten worden und auch derzeit nicht erforderlich. Zur Begründung der Maßnahme habe man ihm erklärt, dass die Anordnung unter anderem deswegen erfolgt sei, weil er stets seine Interessen auf juristischem Wege verfolge und man ihn nunmehr zur Einsicht zwingen werde. Die zwangsweise Verabreichung von Neuroleptika sei für ihn jedoch wegen einer Herzerkrankung (Mitralklappenprolapssyndrom, bereits erlittener Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen) mit erheblicher Gefahr für Leben und Gesundheit verbunden. Nach § 15 Abs. 1, § 8 Abs. 3 UBG BW sei sie daher ohne seine Einwilligung nicht zulässig. Die geplante Verabreichung gegen seinen ausdrücklichen Willen verstoße darüber hinaus gegen sein allgemeines Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht. Sie sei zudem medizinisch nicht indiziert; auch insoweit sei eine unabhängige sachverständige Begutachtung erforderlich. Zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen sei die Verabreichung von Neuroleptika nicht zwingend erforderlich. Das medizinische Risiko stehe angesichts der massiven Nebenwirkungen außer Verhältnis zum beabsichtigten Behandlungserfolg.

18

3. Nachdem die Strafvollstreckungskammer der Maßregelvollzugsklinik zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig die Verabreichung von Abilify oder anderen Neuroleptika untersagt und zur Frage der Behandlungsrisiken aus kardiologischer und internistischer Sicht ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte, wies sie mit angegriffenem Beschluss vom 3. Mai 2010 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurück.

19

Nach dem eingeholten Gutachten und der Stellungnahme der Klinik hierzu könnten aus kardiologischer und internistischer Sicht gesundheitliche Risiken, die den Nutzen der Medikation überstiegen, ausgeschlossen werden. Aus dem Sachverständigengutachten ergebe sich ausdrücklich, dass aus kardiologischer Sicht Kontraindikationen für die Anwendung eines Neuroleptikums nicht bestünden. Dem Gutachten zufolge habe die Untersuchung des Beschwerdeführers keinen wesentlichen Mitralklappenprolaps nachweisen können; es zeige sich allenfalls eine minimale Mitralklappeninsuffizienz, die einer Behandlung mit Neuroleptika nicht entgegenstehe. Nach diesem überzeugenden Gutachten, dem die Klinik sich angeschlossen habe und das die Kammer sich zu eigen mache, könne der Antrag des Beschwerdeführers keinen Erfolg haben. Die Behandlung solle jedoch mit den vom Sachverständigen beschriebenen Vorsichtsmaßnahmenerfolgen. Dem weiteren Antrag auf Einholung eines Gutachtens zur Notwendigkeit der Behandlung mit Neuroleptika sei nicht nachzukommen gewesen. Die Klinik habe die Notwendigkeit einer solchen Behandlung im bisherigen Verfahren bereits dezidiert und überzeugend damit begründet, dass wegen des Misstrauens und der Feindseligkeit, die der Beschwerdeführer seinen Behandlern entgegenbringe und die auf sei- ne Persönlichkeitsstörung zurückzuführen seien, allein mit einer psychotherapeutischen Behandlung, wie der Behandlungsverlauf der letzten vier Jahre eindeutig belege, keine Fortschritte erzielt werden könnten. Die zusätzliche Behandlung mit Neuroleptika sei nach den Ausführungen der Klinik erforderlich, um die paranoiden Anteile der Persönlichkeitsstörung zurückzudrängen und das Misstrauen des Beschwerdeführers zu verringern, da sonst mit einer unabsehbar langen Verweildauer in der Unterbringung zu rechnen sei. Dem schließe die Kammer sich an.

20

4. Der Beschwerdeführer erhob Rechtsbeschwerde (§ 116 StVollzG). Die Ausführungen des Sachverständigen hätten zu einer anderen als der getroffenen Beurteilung führen müssen. Die Auflistung der erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen im Sachverständigengutachten wecke nicht nur Ängste, sondern werfe auch die Frage der Verhältnismäßigkeit auf. Das mit der Medikation verfolgte Ziel sei nicht klar definiert, nach derzeitigem Kenntnisstand solle eher "herumexperimentiert" werden. Der Sachverständige verweise zudem auf eine weitere Einschränkung, nämlich auf die zwingende Notwendigkeit einer strengen psychiatrischen Indikationsstellung. Daran fehle es. Allein Psychosen seien mit Neuroleptika zu behandeln. Beim Beschwerdeführer seien bislang nur Persönlichkeitsstörungen, von keinem einzigen Gutachter dagegen eine Psychose diagnostiziert worden. Die Klinik nenne allein den Grund, dass der Beschwerdeführer endlich eine vermeintliche Pädophilie einräumen solle, die er bislang abstreite. Mit der Verabreichung von Neuroleptika könne dieses Ziel aber nicht erreicht werden. Aus medizinischer Sicht spreche im Gegenteil einiges dafür, dass aufgrund der inneren Abwehrhaltung des Beschwerdeführers das Neuroleptikum den gewünschten Zielerfolg gerade nicht erreichen werde, denn Neuroleptika seien nicht zur Beseitigung einer inneren Abwehrhaltung, sondern allein zur Beseitigung von Psychosen geeignet. Demgemäß habe der Beschwerdeführer im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer die Einschaltung eines unabhängigen psychiatrischen Gutachters zur Klärung der psychiatrischen Indikation beantragt.

21

5. Das Oberlandesgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss vom 8. Februar 2011 die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG lägen nicht vor.

22

Es sei nicht geboten, die Nachprüfung der gerichtlichen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Der vorliegende Einzelfall gebe keinen Anlass zur Aufstellung von Leitsätzen für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften oder zur Ausfüllung von Gesetzeslücken. Rechtsgrundlage der Zwangsbehandlung sei § 138 Abs. 1 StVollzG in Verbindung mit den landesrechtlichen Unterbringungsgesetzen. Eine Behandlung gegen den Willen des Untergebrachten sei daher zulässig, wenn sie auf der Grundlage und unter Berücksichtigung der Voraussetzungen einer landesrechtlichen Vorschrift erfolge und der Bekämpfung der Anlasserkrankung diene. In diesen Fällen stelle die erzwungene Behandlung - die Wahrung der Verhältnismäßigkeitvorausgesetzt - auch keinen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Maßnahmen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich seien, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, hätten Maßregelvollzugspatienten gemäß § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW zu dulden. Eingriffe und Behandlungen, die mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit verbunden seien, bedürften nach § 8 Abs. 3 UBG BW allerdings der Einwilligung des Untergebrachten. Eine zwangsweise Gabe von Psychopharmaka zur Behandlung der Anlasskrankheit sei danach zulässig, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst indiziert und erforderlich sei und keine erheblichen Gesundheitsgefahren damit verbunden seien. Die behandelnden Ärzte verfügten in Bezug auf Diagnose und Indikation über einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum. Da der vorliegende Fall hinsichtlich dieser gesetzlichen Vorgaben keine besonderen rechtlichen Probleme aufgeworfen habe, sei eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nicht gefordert.

23

Die Nachprüfung des angegriffenen Beschlusses sei auch nicht zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung geboten, weil die angefochtene Entscheidung rechtsfehlerfrei ergangen sei. Die - gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare - medizinische Indikation habe die Strafvollstreckungskammer auf die nachvollziehbare Stellungnahme der Klinik gestützt, die im besonderen Fall des Beschwerdeführers eine Behandlung der Persönlichkeitsstörung auch mit Neuroleptika für angezeigt halte. Es sei nicht ersichtlich, dass die Regeln der ärztlichen Kunst dabei außer Acht gelassen worden seien. Hinsichtlich der weiteren und für den Beschwerdeführer ersichtlich bedeutsamen Frage, ob die Gabe von Neuroleptika wegen einer kardialen Vorerkrankung mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit im Sinne des § 8 Abs. 3 UBG BW verbunden sei, habe die Strafvollstreckungskammer ein externes kardiologisches Gutachten eingeholt und das Vorliegen dieser Gefahren auf der Grundlage des Gutachtens nachvollziehbar verneint.

II.

24

1. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der - hier nicht mehr anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer, die angegriffenen Beschlüsse verletzten ihn in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Die zwangsweise Verabreichung von Medikamenten gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen sei nicht zulässig. Eine mit einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben verbundene Behandlung bedürfe nach § 15 Abs. 1 und § 8 Abs. 3 UBG BW der Einwilligung des Betroffenen. Sein Herzklappenfehler und die Unverträglichkeiten, an denen er leide, würden einfach ignoriert. Die Klinik wolle nur seine Einsicht wecken und unterstelle eine Denkblockade. Man dürfe ihm nicht zwangsweise Medikamente verabreichen, wenn keine Psychose vorliege, erst recht nicht, wenn es nie zu Bedrohungen oder Übergriffen gekommen sei, und schon gar nicht wegen einer bloßen - angeblichen - Denkblockade. Neuroleptika seien nur zur Behandlung von Psychosen entwickelt worden. Das Land Baden-Württemberg nehme damit, dass es hier möglich sein solle, jemanden auch dann zwangszumedizieren, wenn, wie in seinem Fall, keine Psychose, sondern nur eine Persönlichkeitsstörung vorliege, eine Sonderrolle ein. Eine scharfe psychiatrische Indikation sei nicht gestellt. Er leide massivst unter den Nebenwirkungen der Medikation; diese verursache ihm Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen, unangenehmes Gefühl im Magen, Benommenheit, Schläfrigkeit, verschwommenes Sehen und Blickfeldeinengung. Mit diesen Nebenwirkungen könne er sich auch nicht wie im Normalzustand konzentrieren. Im Übrigen verweist der Beschwerdeführer auf seine Schriftsätze aus dem fachgerichtlichen Verfahren.

25

2. Auf Antrag des Beschwerdeführers hat die 3. Kammer des Zweiten Senats durch Beschluss vom 21. April 2011 (- 2 BvR 633/11 -, EuGRZ 2011, S. 339 f.) dem Psychiatrischen Zentrum Nordbaden, Wiesloch, sowie dem Klinikum am Weissenhof, Weinsberg, in das der Beschwerdeführer zwischenzeitlich vorübergehend verlegt worden war, im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 32 BVerfGG) bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, untersagt, die angedrohte Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers mit dem Neuroleptikum Abilify zu vollziehen.

III.

26

1. Neben dem gemäß § 94 Abs. 2 BVerfGG anzuhörenden baden-württembergischen Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren erhielten gemäß § 94 Abs. 4 in Verbindung mit § 77 Nr. 1, § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, der Landtag und die Landesregierung von Baden-Württemberg, jeweils unter Hinweis auf den zu Fragen der Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug ergangenen Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, Gelegenheit zur Äußerung.

27

Das baden-württembergische Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren hat wie folgt Stellung genommen: Gemäß § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 UBG BW bedürfe eine Untersuchung oder Behandlung nur dann der Einwilligung des Untergebrachten, wenn sie einen operativen Eingriff erfordere oder mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sei. Beides sei bei der vorliegenden Art der Medikation nicht der Fall. Eine Einwilligung des Beschwerdeführers sei daher nicht erforderlich gewesen. Die von ihm befürchteten lebensgefährlichen Nebenwirkungen hätten nach dem eingeholten Gutachten ausgeschlossen werden können. Im Übrigen handele es sich bei Neuroleptika um eine der weltweit am häufigsten verordneten Medikamentengruppen, bei denen der Nutzen bei weitem etwaige seltene ernstere Risiken überwiege. Die von der Maßregelvollzugsklinik beabsichtigte Medikation habe den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW entsprochen, da mit ihr die Krankheit des Beschwerdeführers habe behandelt werden sollen. Im Unterschied zu dem Fall, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 zugrundegelegen habe - dort sei eine für die Anlasstat ursächliche paranoide Psychose behandelt worden -, leide der Beschwerdeführer unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Bei einer Persönlichkeitsstörung könne die Behandlung mit Neuroleptika erforderlich sein, um die paranoiden Anteile der Störung zurückzudrängen und das Misstrauen des Patienten gegenüber seinen Behandlern zu verringern. Dies könne dazu beitragen, dem betroffenen Patienten eine konkrete Entlassungsperspektive zu eröffnen. Diesen Zweck verfolge die beabsichtigte Behandlung. Eine zwangsweise Verabreichung der Medikamente sei insbesondere dann angezeigt, wenn der Patient ohne die Medikation krankheitsbedingt nicht einsichtsfähig sei und der Eingriff darauf abziele, die tatsächlichen Voraussetzungen freier Selbstbestimmung des Untergebrachten wiederherzustellen.Vorliegend sei ohne die Medikation mit einer unabsehbar langen Verweildauer des Beschwerdeführers im Maßregelvollzug zu rechnen. Dem solle mit der Zwangsmedikation entgegengewirkt werden. Die Forensischen Kliniken in Baden-Württemberg seien sich stets bewusst, dass Zwangsbehandlungen gravierende Eingriffe in die grundgesetzlich geschützten Rechte der untergebrachten Patienten darstellten. Daher sollten diese, sofern überhaupt für notwendig erachtet, mit großer Umsicht durchgeführt werden. Stets werde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Die Zwangsmedikation erfolge nur dann, wenn weniger einschneidende Maßnahmen - wie beispielsweise eine Psychotherapie - zu keinen oder nur zu geringen Fortschritten bei der Behandlung der Krankheit führten und die medikamentöse Behandlung damit ein geeignetes und im Hinblick auf den Erfolg das mildeste Mittel sei. Aus diesem Grund habe sich auch das Psychiatrische Zentrum Nordbaden entschlossen, dem Beschwerdeführer die Medikamente zu verabreichen. Im Übrigen sei Voraussetzung jeder Zwangsmedikation deren ärztliche Verordnung und Überwachung.

28

Die weiteren Äußerungsberechtigten haben keine Stellungnahme abgegeben.

29

2. Dem Senat haben die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens vorgelegen.

B.

I.

30

Die Verfassungsbeschwerde ist im Wesentlichen zulässig.

31

1. Unzulässig sind allerdings die Rügen, mit denen der Beschwerdeführer geltend macht, die Bedeutung einer bei ihm vorliegenden Herzerkrankung und damit zusammenhängender Unverträglichkeiten für die Zulässigkeit der angefochtenen Zwangsmedikation mit Neuroleptika sei von den Gerichten unter Verstoß gegen grundrechtliche Anforderungen unzutreffend gewürdigt worden. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde nicht ausreichend begründet, weil der Beschwerdeführer das im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer eingeholte Sachverständigengutachten, auf dessen Grundlage die Gerichte entschieden haben und ohne dessen Kenntnis die Berechtigung seiner diesbezüglichen Rügen sich nicht beurteilen lässt, weder vorgelegt noch im Einzelnen wiedergegeben hat (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfGK 5, 170 <171>).

32

2. Die Unzulässigkeit der den Umgang mit der behaupteten Vorerkrankung betreffenden Rügen berührt nicht die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde im Übrigen. Der Beschwerdeführer sieht sich auch dadurch in Grundrechten verletzt, dass die angegriffenen Beschlüsse die von ihm beanstandete neuroleptische Zwangsmedikation als rechtmäßig bestätigt haben, obwohl sie in seinem - durch das Vorliegen einer bloßen Persönlichkeitsstörung, keiner Psychose, gekennzeichneten - Fall medizinisch nicht angezeigt, zur Erreichung des angestrebten Behandlungserfolgs daher nicht geeignet und auch im Übrigen, ganz unabhängig von den bei ihm bestehenden besonderen gesundheitlichen Risiken, unverhältnismäßig sei, und obwohl die insoweit erforderliche Sachverhaltsaufklärung durch Einholung eines unabhängigen Gutachtens nicht stattgefunden habe.

33

3. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht insoweit auch nicht der Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>) im Hinblick darauf entgegen, dass der Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren nicht ausdrücklich auch die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlagen seiner Zwangsbehandlung in Frage gestellt hat. Es kann offen bleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit bereits sein Vorbringen vor den Fachgerichten, da objektiv auch die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung nach dem baden-württembergischen Unterbringungsgesetz betreffend, als sinngemäß auch gegen diese gerichtet auszulegen war. Auch wenn davon auszugehen wäre, dass der Beschwerdeführer sich im fachgerichtlichen Verfahren darauf beschränkt hat, auf eine seine Grundrechte nicht verletzende Anwendung der ihn betreffenden Gesetzesbestimmungen hinzuwirken, wäre ihm dies nicht als unzureichende Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes entgegenzuhalten (vgl. BVerfGE 112, 50 <60 ff., 63>). Insbesondere handelt es sich bei den Fragen, die der vorliegende Fall hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten gesetzlichen Vorschriften aufwirft, nicht um solche, zu deren Prüfung die Gerichte nur auf der Grundlage - hinreichend substantiierten - klägerischen Vorbringens angehalten sind (vgl. BVerfGE 112, 50 <62>; Beispiel etwa BVerfGE 115, 118 <135 f.>).

II.

34

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit zulässig, begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

35

1. Die medizinische Zwangsbehandlung eines Untergebrachten greift in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein, das die körperliche Integrität des Grundrechtsträgersund damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht schützt (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, EuGRZ 2011, S. 321 <326>). Entsprechendes gilt für die angegriffenen Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers als rechtmäßig bestätigen.

36

Die Eingriffsqualität entfällt nicht bereits dann, wenn der Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand entgegensetzt (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 326). Eine Zwangsbehandlung im Sinne einer medizinischen Behandlung, die gegen den Willen des Betroffenen erfolgt, liegt unabhängig davon vor, ob eine gewaltsame Durchsetzung der Maßnahme erforderlich wird oder der Betroffene sich, etwa weil er die Aussichtslosigkeit eines körperlichen Widerstandes erkennt, ungeachtet fortbestehender Ablehnung in die Maßnahme fügt und damit die Anwendung körperlicher Gewalt entbehrlich macht (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 332). Dem grundrechtseingreifenden Charakter der angegriffenen Entscheidungen steht es daher nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer sich unter der Drohung, dass man ihm das Neuroleptikum anderenfalls zwangsweise unter Fesselung injizieren würde, zur Vermeidung des zusätzlichen Übels der Gewaltanwendung zunächst auf die Einnahme der Medikamente eingelassen hatte.

37

2. Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten kann allerdings ungeachtet der besonderen Schwere des darin liegenden Eingriffs durch das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst gerechtfertigt sein. Dies gilt auch für eine Zwangsbehandlung zur Erreichung des Ziels des Maßregelvollzuges.Die Voraussetzungen hierfür hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23. März 2011 geklärt (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 327 f.).

38

3. Nach den in diesem Beschluss konkretisierten Maßstäben verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer bereits deshalb in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, weil es für die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers, die sie als rechtmäßig bestätigen, an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt. § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und nichtig.

39

a) Die medizinische Zwangsbehandlung des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels ist nach dieser Vorschrift nicht, wie verfassungsrechtlich geboten (s. im Einzelnen BVerfG, a.a.O., S. 328 f., 332), auf die Fälle seiner krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit begrenzt.

40

Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW hat der Betroffene diejenigen Untersuchungs- und Heilmaßnahmen zu dulden, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, soweit die Untersuchung oder Behandlung nicht unter Absatz 3 - d. h. unter das Einwilligungserfordernis für operative Eingriffe und Eingriffe, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind - fällt.

41

In der vorgesehenen Bindung an die Regeln der ärztlichen Kunst liegt keine hinreichend deutliche gesetzliche Begrenzung der Möglichkeit der Zwangsbehandlung auf Fälle der fehlenden Einsichtsfähigkeit. Bereits der Umstand, dass eine Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen nur für operative Eingriffe und für Maßnahmen, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit des Untergebrachten verbunden sind, verlangt wird - nur diese bedürfen nach § 8 Abs. 4 Satz 1 UBG BW einer Einwilligung des Betroffenen, die dessen Einwilligungsfähigkeit voraussetzt -, spricht dafür, dass Eingriffe unterhalb der genannten Schwelle unabhängig von der Frage einer krankheitsbedingten Selbstbestimmungsunfähigkeit zugelassen sein sollen. Auch wenn man annehmen wollte, dass zwischen der Fähigkeit zu wirksamer rechtfertigender Einwilligung in eine medizinisch indizierte Behandlung und der Fähigkeit zur Einsicht in die Notwendigkeit der Behandlung zu unterscheiden ist, weil eine psychische Krankheit speziell die letztere Fähigkeit - insbesondere die Fähigkeit, die Risiken der Behandlung nicht zu überschätzen - beeinträchtigen kann, stellt jedenfalls nicht schon der Verweis auf die Regeln der ärztlichen Kunst in der notwendigen Weise klar, dass krankheitsbedingtfehlende Einsichtsfähigkeit Voraussetzung der Zwangsbehandlung ist. In Deutschland existieren, nachdem von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in den neunziger Jahren initiierte Versuche zur Etablierung medizinischer Standards für Zwangsbehandlungen nicht zu einem Ergebnis geführt haben (vgl. Steinert, in: Ketelsen/Schulz/Zechert, Seelische Krise und Aggressivi- tät,2004, S. 44 <47>), keine medizinischen Standards für psychiatrische Zwangsbehandlungen, aus denen mit der notwendigen Deutlichkeit hervorginge, dass Zwangsbehandlungen mit dem Ziel, den Untergebrachten entlassungsfähig zu machen, ausschließlich im Fall krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit zulässig sind. Dass dementsprechend ein Bewusstsein hierfür in den medizinischen und juristischen Fachkreisen noch nicht allgemein verbreitet und eine gesetzliche Regelung, wie im Beschluss des Senats vom 23. März 2011 festgestellt, unverzichtbar ist, illustriert nicht zuletzt der vorliegende Fall, in dem weder die Klinik noch die Fachgerichte sich mit der Frage, ob beim Beschwerdeführer eine krankheitsbedingte Unfähigkeit zur Einsicht in die Notwendigkeit der Behandlung besteht, auch nur ansatzweise auseinandergesetzt haben. Die bloße Feststellung einer Persönlichkeitsstörung beantwortet diese Frage nicht.

42

b) § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW entspricht auch nicht den weiteren aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitenden Anforderungen, denen ein zur medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten ermächtigendes Gesetz genügen muss. Voraussetzung der Zulässigkeit für nicht unter § 8 Abs. 3 UBG BW (operativer Eingriff, erhebliche Lebens- oder Gesundheitsgefahr) fallende Maßnahmen der Zwangsbehandlung ist nach dieser Vorschrift nur, dass sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln. Damit ist dem Erfordernis, die Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung über abstrakte Verhältnismäßigkeitsanforderungen hinaus gesetzlich zu konkretisieren (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 331 f.), nicht genügt.

43

In verfahrensrechtlicher Hinsicht fehlt es beispielsweise an einer angemessenen Regelung des - unabhängig von der Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit des Betroffe- nen bestehenden - Erfordernisses der vorherigen Bemühung um eine auf Vertrauen gegründete, im Rechtssinne freiwillige Zustimmung (vgl. im Einzelnen BVerfG, a.a.O., S. 329, 332). Eine hinreichend konkretisierte Ankündigung ist ebenfalls nicht vorgesehen.§ 8UBG BW enthält hierzu nichts. § 12 Abs. 2 UBG BW fordert eine vorherige Ankündigung nur - sofern die Umstände sie zulassen - für die Anwendung unmittelbaren Zwangs. Mit einer Regelung, die eine Androhung allein für die Anwendung physischen Zwangs vorschreibt, sind jedoch die Fälle, für die das Ankündigungserfordernis von Verfassungs wegen besteht, schon im Ansatz nicht ausreichend erfasst (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 329, 332). Entsprechendes gilt für das Erfordernis der Anordnung und Überwachung durch einen Arzt (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 330). Auch hier greift die Regelung des baden-württembergischen Unterbringungsgesetzes zu kurz, indem sie ein Erfordernis ärztlicher Anordnung nur für den Fall der Anwendung unmittelbaren Zwangs vorsieht (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UBG BW). Weiter fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Regelung zur Dokumentation (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 330, 332). Entgegen den verfassungsrechtlichen Erfordernissen ist auch eine vorausgehende Überprüfung der Maßnahme durch Dritte in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 330, 332) nicht vorgesehen.

44

c) Angesichts der festgestellten Mängel der gesetzlichen Eingriffsgrundlage bedarf es keiner Entscheidung, ob diese selbst und die auf sie gestützten gerichtlichen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 327 ff.) noch in weiteren Hinsichten nicht genügen.

III.

45

1. Die Verfassungswidrigkeit des § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW führt zur Nichtigkeit der Vorschrift. Die Voraussetzungen für eine bloße Unvereinbarerklärung liegen nicht vor (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 332).

46

2. Die angegriffenen Beschlüsse sind aufzuheben, und die Sache ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Landgericht Heidelberg zurückzuverweisen.

47

3. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Tenor

1. § 23 Absatz 2 Satz 2 Alternative 1 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2000 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern Seite 182, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Änderungsgesetzes vom 9. November 2010, Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern Seite 642, 649) ist mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

2. Der Beschluss des Amtsgerichts Waren (Müritz) vom 4. September 2014 - 411 XIV 48/14 L - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben.

3. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.- I.

1

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die medizinische Zwangsbehandlung einer aufgrund des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2000 (GVOBl M-V S. 182, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Änderungsgesetzes vom 9.November 2010, GVOBl M-V S. 642, 649) vorläufig Untergebrachten. Die Zwangsbehandlung erfolgte auf der Grundlage von § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V.

2

Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

§ 23

Behandlung

(1) Die Betroffenen haben Anspruch auf die notwendige Behandlung und psychosoziale Beratung. Die Behandlung schließt die dazu erforderlichen Untersuchungen sowie beschäftigungs- und arbeitstherapeutische, heilpädagogische und psychotherapeutische Maßnahmen mit ein. Die Behandlung soll außerhalb der Einrichtung durchgeführt werden, wenn dadurch ihre Erfolgsaussichten verbessert werden. Die Behandlung wegen der Erkrankung, die zu der Unterbringung geführt hat, erfolgt nach einem Behandlungsplan. Der Behandlungsplan soll mit dem Betroffenen und auf seinen Wunsch mit den gesetzlichen Vertretern oder Betreuern erörtert werden.

(2) Behandlungsmaßnahmen bedürfen der Einwilligung des Betroffenen oder der gesetzlichen Vertreter. Ohne Einwilligung darf eine Behandlung nur durchgeführt werden, wenn der Betroffene aufgrund der Krankheit einsichts- oder steuerungsunfähig ist und die Behandlung nicht mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit verbunden ist oder er sich in einem Zustand befindet, in dem ohne sofortige Behandlung eine erhebliche und unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit der kranken Person oder Dritter besteht. Der Rechtsanwalt des Betroffenen ist unverzüglich zu informieren.

(3) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Betroffenen dauerhaft in ihrem Kernbereich ändern würde, insbesondere ein psychochirurgischer Eingriff, ist unzulässig.

3

2. Die weiteren hier relevanten Vorschriften des Gesetzes lauten:

§ 1

Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz regelt

1. Hilfen für psychisch Kranke,

2. Maßnahmen gegenüber psychisch Kranken,

3. die Unterbringung

a) von psychisch Kranken nach diesem Gesetz, soweit das Verfahren nicht in dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geregelt ist,

b) von psychisch Kranken, die nach § 63, § 64 des Strafgesetzbuches sowie § 7 des Jugendgerichtsgesetzes untergebracht sind.

(2) Psychisch Kranke im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die an einer Psychose, einer psychischen Störung, die in ihren Auswirkungen einer Psychose gleichkommt, oder einer mit dem Verlust der Selbstkontrolle einhergehenden Abhängigkeit von Suchtstoffen leiden.

(3) Dieses Gesetz findet auch Anwendung auf geistig behinderte Personen, bei denen ohne Behandlung keine Aussicht auf Besserung besteht.

(4) Die in diesem Gesetz geregelten Hilfen werden auch Personen gewährt, bei denen Anzeichen einer der in Absatz 2 genannten psychischen Erkrankungen bestehen.

§ 11

Voraussetzungen der Unterbringung

(1) Die Unterbringung von psychisch Kranken nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a ist nur zulässig, wenn und solange durch ihr krankhaftes Verhalten gegen sich oder andere eine gegenwärtige erhebliche Gefahr einer Selbstschädigung oder für die öffentliche Sicherheit besteht, die nicht anders abgewendet werden kann. Die fehlende Bereitschaft, sich einer notwendigen ärztlichen Behandlung zu unterziehen, rechtfertigt für sich allein keine Unterbringung.

(2) Eine gegenwärtige Gefahr im Sinne von Absatz 1 besteht dann, wenn infolge der Krankheit ein schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist.

§ 12

Ziel der Unterbringung

(1) Ziel der Unterbringung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a ist es, die in § 11 genannte Gefahr abzuwenden und die untergebrachte Person nach Maßgabe dieses Gesetzes zu behandeln.

(2) Ziel der Unterbringung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe b ist die Heilung oder Besserung des Zustandes im Sinne der §§ 136, 137 des Strafvollzugsgesetzes insbesondere durch ärztliche, psychotherapeutische, sozialtherapeutische oder heilpädagogische Maßnahmen sowie die soziale und berufliche Eingliederung.

§ 21

Rechtliche Stellung

Die Betroffenen unterliegen nur den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen. Ihnen dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Einrichtung und zum Schutz anderer Betroffener unerlässlich sind.

§ 22

Besondere Sicherungsmaßnahmen

(1) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind nur zulässig, wenn die gegenwärtige erhebliche Gefahr besteht, dass der Betroffene sich selbst tötet oder ernsthaft verletzt oder gewalttätig wird oder die Einrichtung ohne Erlaubnis verlassen wird und wenn dieser Gefahr nicht anders begegnet werden kann.

(2) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind:

1. die Beschränkung des Aufenthalts im Freien,

2. die Wegnahme von Gegenständen,

3. die Absonderung in einen besonderen Raum,

4. die Fixierung.

(3) Jede besondere Sicherungsmaßnahme ist durch die ärztliche Leitung befristet anzuordnen, ärztlich zu überwachen und unverzüglich aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für ihre Anordnung weggefallen sind. Anordnung und Aufhebung der besonderen Sicherungsmaßnahmen sind schriftlich zu dokumentieren. Von jeder Anordnung ist der Rechtsanwalt des Betroffenen unverzüglich zu benachrichtigen.

§ 31

Besuchskommission

(1) Das Ministerium für Soziales und Gesundheit bildet eine Besuchskommission für die forensischen Einrichtungen und die Landkreise und kreisfreien Städte bilden jeweils Besuchskommissionen für die psychiatrischen Kliniken, die in der Regel ohne Anmeldung mindestens einmal jährlich die Einrichtungen, in denen Personen nach diesem Gesetz untergebracht sind, besuchen und überprüfen, ob die mit der Unterbringung von psychisch Kranken verbundenen Aufgaben erfüllt und die Rechte der Betroffenen gewahrt werden. Dabei ist den Betroffenen Gelegenheit zu geben, Wünsche oder Beschwerden vorzutragen.

(2) Innerhalb von zwei Monaten nach jedem Besuch einer Einrichtung fertigt die Besuchskommission einen Bericht an, der auch die Wünsche und Beschwerden der Betroffenen enthält und zu ihnen Stellung nimmt. Eine Zusammenfassung dieser Berichte übersendet das Ministerium für Gesundheit und Soziales dem Landtag, erstmals zwei Jahre nach In-Kraft-Treten dieses Gesetzes, sodann mindestens alle zwei Jahre.

(3) Der Besuchskommission gehören an:

1. (aufgehoben)

2. ein Arzt für Psychiatrie,

3. ein Richter,

4. ein Sozialarbeiter des für den Bereich, in dem die besuchte Einrichtung liegt, zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienstes,

5. ein Bürger ohne Fachkunde, der von dem für Gesundheit zuständigen Ausschuss des Landtages benannt wird,

6. ein Vertreter eines Interessenverbandes der Freunde oder Angehörigen psychisch Kranker, der von dem Landkreis oder der kreisfreien Stadt benannt wird, in deren Zuständigkeit die besuchte Einrichtung liegt. Der Besuchskommission für die forensischen Einrichtungen gehört ein sachkundiger Mitarbeiter des Ministeriums für Soziales und Gesundheit an. Dem zuständigen Amtsarzt ist Gelegenheit zur Teilnahme an den Besuchen zu geben. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales kann im Benehmen mit der Besuchskommission weitere Personen zu den Besuchen hinzuziehen, soweit der Zweck des Besuches dadurch besser erfüllt werden kann.

(4) Die Berufung der Mitglieder der Besuchskommissionen und die Einrichtung der Geschäftsstellen erfolgt

a) durch das Ministerium für Soziales und Gesundheit für Besuche von forensischen Einrichtungen und

b) durch die Landkreise und kreisfreien Städte für Besuche von allgemeinpsychiatrischen Einrichtungen. Für jedes Mitglied ist mindestens ein Stellvertreter zu berufen. Die Geschäftsstellen der Besuchskommissionen übersenden die in Absatz 2 genannten Berichte an die Geschäftsstelle der Besuchskommission für die Einrichtungen des Maßregelvollzugs. Die Geschäftsstelle der Besuchskommission für die Einrichtungen des Maßregelvollzugs fasst die Berichte aller Besuchskommissionen zusammen und führt mindestens einmal im Berichtszeitraum eine Beratung der Geschäftsführungen aller Besuchskommissionen durch.

(5) Die Mitglieder und ihre Stellvertreter werden für zwei Jahre berufen. Eine erneute Berufung ist zulässig.

(6) Die Mitglieder der Besuchskommission sind nicht an Weisungen gebunden. Sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ihre Entschädigung richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter.

(7) Die Aufsichtspflichten und -rechte der zuständigen Behörden sowie das Recht der Betroffenen, andere Überprüfungs- oder Beschwerdeinstanzen anzurufen, bleiben unberührt.

§ 42

Unmittelbarer Zwang

(1) Soweit es die Durchführung der Maßnahmen nach diesem Gesetz gebietet, sind Ärzte der Einrichtungen befugt, unmittelbaren Zwang anzuwenden. Soweit es erforderlich ist, können sie diese Befugnis im Einzelfall auf andere Bedienstete der Einrichtung übertragen.

(2) Gegenüber anderen Personen als den Betroffenen darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn sie es unternehmen, Betroffene zu befreien, oder wenn sie unbefugt in den Bereich der Einrichtung eindringen oder sich unbefugt dort aufhalten.

(3) Das Recht zur Anwendung unmittelbaren Zwanges aufgrund anderer Vorschriften bleibt unberührt.

§ 44

Bekanntgabe und Begründung von Anordnungen, Akteneinsicht

(1) Entscheidungen und Anordnungen im Rahmen der Unterbringung sind den Betroffenen unverzüglich bekannt zu geben und, soweit es der gesundheitliche Zustand des Betroffenen zulässt, zu erläutern. Sie sind in den jeweiligen Krankenakten zu vermerken und zu begründen. Soweit Entscheidungen oder Anordnungen schriftlich ergehen, erhalten die jeweiligen gesetzlichen Vertreter eine Abschrift.

(2) Die Betroffenen und ihre gesetzlichen Vertreter erhalten auf Verlangen unentgeltlich Auskunft über die zur Person der Betroffenen gespeicherten Daten sowie Einsicht in die über sie geführten Akten. Den Betroffenen können Auskunft und Einsicht verweigert werden, wenn eine Verständigung mit ihnen wegen ihres Gesundheitszustandes nicht möglich ist. Ist bei einer vollständigen Auskunft oder Einsichtnahme mit schwerwiegenden gesundheitlichen Nachteilen bei dem Betroffenen zu rechnen, so soll der behandelnde Arzt die entsprechenden Inhalte unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes an den Betroffenen vermitteln. Die Verweigerung von Auskunft oder Einsicht ist mit einer Begründung in den Akten zu vermerken.

4

3. Die mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffene Norm wurde in der Zwischenzeit außer Kraft gesetzt und neu gefasst. Mit der Drucksache 6/5185 vom 24. Februar 2016 brachte die Regierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern den Entwurf eines Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten in den Landtag ein. Zur Begründung des Gesetzentwurfs heißt es unter anderem:

"Das Psychischkrankengesetz, welches nahezu unverändert seit dem Jahre 2000 gilt (nachfolgend PsychKG M-V 2000), regelt die Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten [...].

In den vergangenen Jahren haben sich [...] jedoch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Unterbringung in zentralen Punkten durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesgerichtshofes geändert. [...] Danach ist die Zwangsbehandlung nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs klar bestimmt [...].

Das derzeitige Landesrecht genügt den von der Rechtsprechung definierten Voraussetzungen nicht in verfassungsrechtlich hinreichendem Maße. [...] Daher ist eine umfassende Neufassung dieser Normen erforderlich [...]" (LTDrucks 6/5185, S. 1 f.).

5

Am 6. Juli 2016 beschloss der Landtag die Neufassung des Psychischkrankengesetzes. Die Rechtsgrundlage für die Durchführung einer Zwangsbehandlung wurde vollständig novelliert. Nunmehr bestimmt § 26 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V n.F.) vom 14. Juli 2016 (GVOBl M-V S. 593) die Voraussetzungen der ärztlichen Zwangsmaßnahme. Das PsychKG M-V n.F. trat am 30. Juli 2016 in Kraft. Gleichzeitig wurde das PsychKG M-V in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2000 (GVOBl M-V S. 182), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 9. November 2010 (GVOBl M-V S. 642, 649), außer Kraft gesetzt (vgl. § 51 PsychKG M-V n.F.).

6

§ 26 PsychKG M-V n.F. lautet:

§ 26

Ärztliche Zwangsmaßnahme

(1) Eine medizinische Behandlung gegen den natürlichen Willen der Menschen mit psychischen Krankheiten (ärztliche Zwangsmaßnahme) darf nur durchgeführt werden

1. mit dem Ziel, die fortdauernde Notwendigkeit einer Unterbringung nach den Abschnitten 4 und 6 zu beseitigen oder

2. soweit die Maßnahme erforderlich ist, um eine gegenwärtige Lebensgefahr oder schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der Menschen mit psychischen Krankheiten oder eine von ihnen infolge ihrer Krankheit ausgehende gegenwärtige Lebensgefahr oder erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Menschen, die sich in der Einrichtung aufhalten, abzuwenden oder

3. soweit die Maßnahme dazu dient, eine sonst erforderliche besondere Sicherungsmaßnahme nach § 21 Absatz 2 Nummer 3 bis 5 zu vermeiden oder zu beenden und

4. wenn die Menschen mit psychischen Krankheiten aufgrund dieser Krankheiten die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können und wenn

5. die Maßnahme im Hinblick auf das Behandlungsziel Erfolg verspricht,

6. es aussichtslos erscheint, mit einem milderen Mittel, insbesondere einer weniger eingreifende[n] Behandlung, das mit der Maßnahme verfolgte Ziel zu erreichen und

7. der zu erwartende Nutzen der Behandlung die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.

(2) Eine ärztliche Zwangsmaßnahme setzt voraus, dass durch die behandelnde Ärztin oder den Arzt

1. vor Beginn der Behandlung ernsthaft versucht wurde, eine auf Vertrauen gegründete, freiwillige Einwilligung der Menschen mit psychischen Krankheiten zu erreichen,

2. eine den Verständnismöglichkeiten der Menschen mit psychischen Krankheiten entsprechende Information über die beabsichtigte Behandlung, ihre Wirkungen und Ziele vorausgegangen ist, und

3. den Menschen mit psychischen Krankheiten nach Scheitern des Gespräches nach Nummer 1 die Beantragung der gerichtlichen Anordnung nebst der Möglichkeit der Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme angekündigt worden ist. Die behandelnde Ärztin oder der Arzt muss die Durchführung der Gespräche und deren Ergebnis dokumentieren.

(3) Die Behandlung muss von einer Ärztin oder einem Arzt angeordnet, überwacht und dokumentiert werden.

(4) Eine ärztliche Zwangsmaßnahme ist nur mit vorheriger Zustimmung des Betreuungsgerichts auf Antrag der Einrichtung, bei im Maßregelvollzug untergebrachten Menschen mit psychischen Krankheiten der Strafvollstreckungskammer oder der Jugendkammer oder bei vorläufig untergebrachten Menschen mit psychischen Krankheiten des Haftgerichtes oder des Gerichtes der Hauptsache auf Antrag der Einrichtung des Maßregelvollzuges zulässig. Dies gilt nicht in den Fällen, in denen eine ärztliche Zwangsmaßnahme dazu dient, eine gegenwärtige Lebensgefahr oder eine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der Menschen mit psychischen Krankheiten abzuwenden, wenn hierdurch die Behandlung verzögert würde und sich hieraus Nachteile für das Leben oder die Gesundheit der Menschen mit psychischen Krankheiten ergeben würden. Die Zustimmung ist unverzüglich nachträglich einzuholen. Für die Strafvollstreckungs- und die Jugendkammern oder die Haftgerichte oder die Gerichte der Hauptsache gelten ihre jeweiligen Prozessordnungen und Verfahrensrechte. Sie haben darüber hinaus entsprechend der §§ 319 und 321 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Menschen mit psychischen Krankheiten persönlich anzuhören und ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zugleich ist den Menschen mit psychischen Krankheiten eine Verteidigerin oder ein Verteidiger als notwendige Verteidigung beizuordnen.

7

4. Am 29. Juli 2014 wies das Gesundheitsamt des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte die Beschwerdeführerin in die geschlossene Abteilung des MediClin Müritz-Klinikums ein und stellte bei dem Amtsgericht Waren (Müritz) den Antrag, ihre vorläufige Unterbringung anzuordnen. Den Antrag begründete das Gesundheitsamt unter anderem damit, dass die Beschwerdeführerin Medikamente verweigere und sich seit drei Wochen extrem auffällig verhalte. Seit dem frühen Morgen des 29. Juli 2014 fühlten sich der Bruder und die Mutter der Beschwerdeführerin von dieser bedroht. Zudem laufe sie seit sechs Uhr morgens ununterbrochen mit einem schweren Blumenkübel im Arm im Kreis, sei völlig erschöpft und dehydriert. Aufgrund der Hitze und der Entkräftung bestehe eine akute Selbstgefährdung, so dass eine geschlossene Unterbringung erforderlich sei.

8

5. In dem ärztlichen Zeugnis vom 29. Juli 2014 wird ausgeführt, dass die Einweisung notfallmäßig zur erneuten Krisenintervention erfolgt sei. Die Beschwerdeführerin leide bekanntermaßen an einer paranoiden halluzinatorischen Schizophrenie. Die Symptomatik sei unter anderem gekennzeichnet durch eine hohe innere Anspannung und den Verlust von Realitätsbewusstsein; die Beschwerdeführerin verhalte sich selbstgefährdend, und es fehle ihr an Krankheitseinsicht. Sie verweigere zudem die medikamentöse Behandlung und wolle die Klinik verlassen. Aus dem richterlichen Anhörungsprotokoll vom 30. Juli 2014 geht hervor, dass die behandelnde Ärztin einen Verbleib der Beschwerdeführerin in der Unterbringung für einen Zeitraum von sechs Wochen für erforderlich hielt.

9

6. Mit Beschluss vom 30. Juli 2014 ordnete das Amtsgericht Waren (Müritz) nach Anhörung der Beschwerdeführerin die vorläufige Unterbringung durch einstweilige Anordnung gemäß § 331, § 332, § 312 Nr. 3 FamFG in Verbindung mit § 11 PsychKG M-V längstens bis zum 9. September 2014 an. Zudem wurde eine Verfahrenspflegerin bestellt. Es bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsmaßnahme gegeben seien und mit einem Aufschub eine so erhebliche Gefahr für die Beschwerdeführerin verbunden wäre, dass sie sofort untergebracht werden müsse. Das Gericht schließe sich aufgrund der Anhörung der Beschwerdeführerin dem ärztlichen Zeugnis vom 29. Juli 2014 an. Auch im Hinblick auf die Dauer der Unterbringung folge das Gericht dem ärztlichen Zeugnis. Durch das krankhafte Verhalten der Beschwerdeführerin bestehe eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für eine Selbstschädigung, die nicht anders abgewendet werden könne. Zu ihrem Wohl sei es notwendig, dass sie stationär behandelt und insbesondere unter stationären Bedingungen beobachtet werde.

10

7. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 1. August 2014 "Widerspruch" ein. Der Beschluss sei ein Missverständnis, sie habe nie einem anderen Menschen oder sich selbst Leid angetan und werde dies auch zukünftig nicht tun. Mit Beschluss vom 8. August 2014 half das Amtsgericht dem als Beschwerde ausgelegten Rechtsbehelf nach erneuter Anhörung der Beschwerdeführerin und der behandelnden Ärzte nicht ab und legte die Sache dem Landgericht Neubrandenburg zur Entscheidung vor. Das Landgericht wies die Beschwerde nach einer weiteren Anhörung der Beschwerdeführerin und Einholung ergänzender Stellungnahmen der behandelnden Ärztin und der Verfahrenspflegerin mit Beschluss vom 13. August 2014 zurück. Es bestehe eine gegenwärtige erhebliche Gefahr zumindest einer Selbstschädigung, zudem sei die Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihre Krankheit uneinsichtig und lehne eine Behandlung ab. Im Falle einer Entlassung und ohne medikamentöse Behandlung sei der Eintritt einer selbstschädigenden Handlung zwar nicht konkret vorhersehbar, aber gleichwohl jederzeit zu erwarten. Eine solche könne zu einer gesundheitlichen Schädigung oder einem völligen Zusammenbruch führen.

11

8. Mit Schreiben vom 26. August 2014 wandte sich die Beschwerdeführerin erneut an das Landgericht. Der Beschluss vom 13. August 2014 verhalte sich nicht zu einer Zwangsmedikation. Sie habe jedoch bereits einmal gewaltsam eine Spritze erhalten. Im Abstand von vierzehn Tagen sollten weitere Behandlungen folgen. Sie protestiere dagegen und halte diese Maßnahme für Körperverletzung.

12

9. Der Richter des Amtsgerichts, dem das Schreiben vom 26. August 2014 zuständigkeitshalber zugeleitet worden war, wandte sich seinerseits mit einem Schreiben an die Beschwerdeführerin. Darin führte er aus, dass die Zwangsmedikation notwendig sei, weil ihr jegliche Krankheits- und Behandlungseinsicht fehle. Die 14-tägige Behandlung mit einer Depotspritze sei zudem nicht mit erheblichen Gefahren für ihre Gesundheit verbunden. Sollte das verabreichte Medikament unerwünschte, nicht unerhebliche Nebenwirkungen entfalten, könne dies mit den behandelnden Ärzten besprochen werden und gegebenenfalls eine Medikamentenumstellung erfolgen. Der Richter zitierte überdies die hier mittelbar angegriffene Vorschrift und teilte der Beschwerdeführerin mit, dass eine Präzisierung der Voraussetzungen einer ärztlichen Behandlung gegen den Willen des Patienten im Rahmen der Unterbringung nach dem PsychKG M-V vom Landtag noch nicht verabschiedet worden sei. Dieses Schreiben wurde am 1. September 2014 an die Beschwerdeführerin versandt.

II.

13

1. Die Beschwerdeführerin hat am 28. August 2014 - ergänzt durch am 29. September 2014 eingegangenes Schreiben - Verfassungsbeschwerde eingelegt, mit der sie sich gegen ihre Zwangsbehandlung wendet. Sie sei in der Klinik bereits zwei Mal mit dem Medikament Zypadhera behandelt worden, die Dosis der ersten Spritze habe 200 Milligramm betragen. Zwei Wochen später sei ihr unter Anwendung von Gewalt durch Pfleger, Arzt und Schwester das Medikament erneut in einer höheren Dosierung (300 Milligramm) verabreicht worden. Nunmehr stehe eine weitere Behandlung bevor, wenn dies nicht verhindert werde. Sie halte dieses Vorgehen für Körperverletzung. Man habe zur Begründung der Behandlung auf eine bei ihr diagnostizierte Psychose verwiesen. Sie fühle sich allerdings kerngesund, sei nicht paranoid und habe auch keine Halluzinationen.

14

2. Auf das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 26. August 2014 forderte das Amtsgericht am 3. September 2014 schließlich doch eine Stellungnahme der behandelnden Ärztin an, um über die Rechtmäßigkeit der Zwangsbehandlung förmlich zu entscheiden.

15

3. In ihrer Stellungnahme vom selben Tag führte die behandelnde Ärztin aus, dass die neuroleptische Medikation der Beschwerdeführerin mit Olanzapin Depot (Zypadhera) weiterhin erforderlich sei. Einerseits diene die Medikation der Behandlung der zum Aufnahmezeitpunkt vorliegenden Positivsymptomatik der paranoiden Schizophrenie. Diese sei unter der Medikation gut rückläufig gewesen. Andererseits erfolge die Behandlung zur Verhinderung eines erneuten Ausbruchs der Krankheit im Sinne einer Prophylaxe. Das Absetzen der Medikamente würde eine Exazerbation im Sinne der Positivsymptomatik zur Folge haben. Die Positivsymptomatik der paranoiden Schizophrenie sei typischerweise gekennzeichnet durch Wahnvorstellungen, Halluzinationen, insbesondere akustische Halluzinationen mit kommentierenden und imperativen Stimmen, Denkzerfahrenheit mit desorganisierter Sprache und desorganisiertem Verhalten, katatone Symptome, flache sowie inadäquate Affekte und Ich-Störungen. Es könnten zudem vielfältige Wahnideen auftreten. Aus dem Verfolgungswahn könne ein ängstlich-zurückhaltendes oder ein suizidales Verhalten resultieren. Ohne die Behandlung drohe die Chronifizierung der Krankheit. Als mögliche Nebenwirkung der Behandlung könne zwar das maligne neuroleptische Syndrom auftreten, dies sei jedoch sehr selten (0,2 Prozent). Das Syndrom sei unter anderem durch Rigor, Fieber oder eine Bewusstseinstrübung, ferner durch eine autonome Dysregulation sowie einen Anstieg der Kreatinkinase gekennzeichnet; in zirka einem Fünftel dieser Fälle sei es lebensgefährlich. Nach Absetzen des Medikaments bilde sich das Syndrom innerhalb von etwa zehn Tagen zurück. Weitere Nebenfolgen der Medikation wie motorische Effekte im Sinne von Bewegungsstörungen, Herzrhythmusstörungen und Gewichtszunahme seien ebenfalls möglich. Zu der durchgeführten Behandlung gebe es aber keine Alternative.

16

4. Mit angegriffenem Beschluss vom 4. September 2014 genehmigte das Amtsgericht Waren (Müritz) "die Verabreichung einer Depotspritze mit dem Medikament Olanzapin Depot (Zypadhera) betreuungsgerichtlich". Mit Schreiben vom 26. August 2014 habe sich die Beschwerdeführerin "gegen die ärztlicherseits durchgeführte Medikation in Form einer 14-tägigen Depotspritze" gewandt. Das Gericht werte diese Eingabe der Beschwerdeführerin vom 26. August 2014 an das Landgericht als "Widerspruch gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Vollzug der Unterbringung gemäß § 327 Abs. 1, § 312 Abs. 1 Nr. 3 FamFG in Verbindung mit § 11 PsychKG M-V". Der Antrag sei unbegründet. Zwar bestünden im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 23 PsychKG M-V, und der Gesetzgeber habe eine Ergänzung des PsychKG M-V durch Einfügung eines § 23a erwogen. Dies könne nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht dazu führen, krankheitsuneinsichtigen geschlossen untergebrachten Patienten die notwendige ärztliche Heilbehandlung zu versagen, selbst wenn diese gegen den von ihnen geäußerten Willen vorgenommen werden müsse. Der Beschwerdeführerin fehle jegliche Behandlungs- und Krankheitseinsicht. Die Verabreichung der Depotspritze gegen ihren Willen sei der ärztlichen Stellungnahme zufolge zur Verhinderung eines erheblichen gesundheitlichen Schadens erforderlich. Die Behandlung der paranoiden Schizophrenie habe dazu geführt, dass deren Positivsymptomatik gut rückläufig gewesen und ein erneuter Ausbruch der Krankheit verhindert worden sei. Das Absetzen der Medikamente hätte dagegen eine Verschlimmerung des bestehenden Zustands zur Folge gehabt. Soweit Nebenwirkungen wie Fieber, Bewusstseinsstörungen, autonome Dysregulation sowie ein Anstieg der Kreatinkinase möglich seien, würden diese nur bei 0,2 Prozent aller Patienten auftreten und sich nach Absetzen des Medikaments binnen zehn Tagen zurückbilden. Mildere Mittel bestünden ausweislich der ärztlichen Auskunft nicht.

17

5. Die Beschwerdeführerin wurde in der Rechtsmittelbelehrung darauf hingewiesen, dass der Beschluss gemäß § 327 Abs. 4 FamFG unanfechtbar sei.

18

6. Nach Übersendung des Beschlusses an das Klinikum wurde die Beschwerdeführerin ein drittes Mal - erkennbar gegen ihren Willen, aber diesmal ohne Gegenwehr - mit dem Medikament Zypadhera behandelt und am 9. September 2014 aus der geschlossenen Unterbringung entlassen.

III.

19

1. Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern hat mit Schreiben vom 22. Juni 2016 den Entwurf eines Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten übersandt (vgl. LTDrucks 6/5185) und im Übrigen von einer Stellungnahme abgesehen.

20

2. Dem Senat hat die Akte des fachgerichtlichen Verfahrens vorgelegen.

B. - I.

21

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

22

1. Der Rechtsweg ist erschöpft. Die Beschwerdeführerin durfte sich insbesondere auf die Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses verlassen, wonach dieser gemäß § 327 Abs. 4 FamFG unanfechtbar sei. Selbst wenn es sich dabei um eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung gehandelt haben sollte und eine Beschwerde gemäß § 312 Satz 2, § 58 Abs. 1 FamFG statthaft gewesen wäre, darf ein Rechtsirrtum des Amtsgerichts nicht dazu führen, dass die Verfassungsbeschwerde in Ermangelung der Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig ist (vgl. BVerfGE 19, 253 <256 f.> unter Verweis auf BVerfGE 4, 193 <198>).

23

2. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht der Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. etwa BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>) im Hinblick darauf entgegen, dass die Beschwerdeführerin im fachgerichtlichen Verfahren nicht ausdrücklich die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage der Zwangsbehandlung in Frage gestellt hat (vgl. BVerfGE 129, 269 <279>). Es kann letztlich offen bleiben, ob das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen des fachgerichtlichen Verfahrens in diesem Sinne auszulegen war. Denn es handelt sich bei den Fragen, die der vorliegende Fall hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten gesetzlichen Vorschrift aufwirft, nicht um solche, zu deren Prüfung die Gerichte nur auf der Grundlage hinreichend substantiierten Vorbringens angehalten sind (vgl. BVerfGE 129, 269 <279>; BVerfGK 19, 286 <287 f.>). Hinzu kommt, dass das Amtsgericht die verfassungsrechtliche Dimension des Falles durchaus erkannt und in seinem Beschluss auf die Bedenklichkeit der Vorschrift vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs hingewiesen hat. Es hat die Vorschrift - entgegen diesen Bedenken und der einschlägigen Rechtsprechung - gleichwohl unter Verzicht auf eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG angewendet und dies mit der medizinischen Notwendigkeit der Zwangsbehandlung begründet.

24

3. Auch nach Beendigung der Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin und der Neufassung des Landesgesetzes ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsaktes oder jedenfalls für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit vorliegt (vgl. BVerfGE 81, 138 <140>). Dieses Rechtsschutzbedürfnis muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fortbestehen (vgl. BVerfGE 21, 139 <143>; 30, 54 <58>; 33, 247 <253>; 50, 244 <247>; 56, 99 <106>; 72, 1 <5>; 81, 138 <140>). Bei Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens besteht das Rechtsschutzbedürfnis fort, wenn entweder die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung andernfalls unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint oder eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder die aufgehobene oder gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer noch weiterhin beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 33, 247 <257 f.>; 69, 161 <168>; 81, 138 <140>; 139, 245 <263 f. Rn. 53>). Zudem wird in Fällen besonders tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstöße das Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses angenommen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen konnte (vgl. BVerfGE 81, 138 <140 f.>; 110, 77 <85 f.>; 117, 244 <268>; stRspr). Der Grundrechtsschutz des Beschwerdeführers würde andernfalls in unzumutbarer Weise verkürzt (vgl. BVerfGE 34, 165 <180>; 41, 29 <43>; 49, 24 <51 f.>; 81, 138 <141>). Der Umstand, dass die Fachgerichte und das Bundesverfassungsgericht häufig außerstande sind, schwierige Fragen in kurzer Zeit zu entscheiden, darf nicht dazu führen, dass eine Verfassungsbeschwerde allein wegen des vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenden Zeitablaufs als unzulässig verworfen wird (vgl. BVerfGE 74, 163 <172 f.>; 76, 1 <38 f.>; 81, 138 <141>). Mit der Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin ohne ausreichende gesetzliche Grundlage steht jedenfalls ein tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstoß in Rede (vgl. BVerfGE 128, 282 <303>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2014 - 2 BvR 1698/12 -, juris, Rn. 21), gegen den die Beschwerdeführerin eine verfassungsgerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig hätte erlangen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2014 - 2 BvR 1698/12 -, juris, Rn. 21).

II.

25

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der angegriffene Beschluss verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

26

1. Die medizinische Zwangsbehandlung eines Untergebrachten greift in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein, das die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht schützt (vgl. BVerfGE 128, 282 <300>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 49>). Entsprechendes gilt für Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung des Untergebrachten als rechtmäßig bestätigen (vgl. BVerfGE 129, 269 <280>).

27

Dem Eingriffscharakter einer Zwangsbehandlung steht nicht entgegen, dass sie zum Zweck der Heilung vorgenommen wird (vgl. BVerfGE 128, 282 <300>). Eine schädigende Zielrichtung ist nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (vgl. BVerfGE 128, 282 <300> m.w.N.).

28

Die Eingriffsqualität entfällt auch nicht bereits dann, wenn der Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand entgegensetzt (vgl. BVerfGE 128, 282 <300>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 50>). Eine Zwangsbehandlung im Sinne einer medizinischen Behandlung, die gegen den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt, liegt unabhängig davon vor, ob eine gewaltsame Durchsetzung der Maßnahme erforderlich wird oder der Betroffene sich, etwa weil er die Aussichtslosigkeit eines körperlichen Widerstandes erkennt, ungeachtet fortbestehender Ablehnung in die Maßnahme fügt und damit die Anwendung körperlicher Gewalt entbehrlich macht (vgl. BVerfGE 128, 282 <321>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 50>). Die beanstandete Behandlung der Beschwerdeführerin mit dem Neuroleptikum Zypadhera und die angegriffene gerichtliche Entscheidung verlieren ihren grundrechtseingreifenden Charakter folglich nicht dadurch, dass sich die Beschwerdeführerin - jedenfalls in einem der drei Fälle -, ohne ihre Ablehnung aufzugeben, aus Angst vor Zwangsmaßnahmen auf die Verabreichung des Medikaments eingelassen hat.

29

2. Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten kann allerdings ungeachtet der besonderen Schwere des darin liegenden Eingriffs durch sein grundrechtlich geschütztes Freiheitsinteresse gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 128, 282 <303 ff.>; 129, 269 <280 ff.>; 133, 112 <131 ff. Rn. 52 ff.>).

30

a) Es ist dem Gesetzgeber nicht prinzipiell verwehrt, medizinische Zwangsbehandlungen zuzulassen (vgl. BVerfGE 128, 282 <303>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 f. Rn. 52>). Zur Rechtfertigung des damit verbundenen Grundrechtseingriffs kann das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) als legitimer Zweck geeignet sein, sofern der Untergebrachte zur Wahrnehmung dieses Interesses infolge krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit nicht in der Lage ist (vgl. BVerfGE 128, 282 <304>).

31

b) Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten ist, wie jeder andere Grundrechtseingriff, nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat aus den grundrechtlichen Garantien (vgl. BVerfGE 128, 282 <311, 313, 315>) und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 128, 282 <308 ff., 313>) konkrete Anforderungen an die Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung der im Maßregelvollzug Untergebrachten aufgestellt. Die gesetzliche Grundlage muss sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung vorgeben (vgl. BVerfGE 128, 282 <317>). Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des besonders schwerwiegenden Eingriffs müssen hinreichend klar und bestimmt geregelt sein (vgl. BVerfGE 128, 282 <317 f.> m.w.N.).

32

aa) Eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Durchführung einer Zwangsbehandlung mit dem Ziel, den Betroffenen so bald wie möglich in die Freiheit zu entlassen, muss strikt dessen krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit oder dessen Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten zur Voraussetzung haben (vgl. BVerfGE 128, 282 <307 f.>; 129, 269 <281 f.>; 133, 112 <134 Rn. 59>).

33

bb) Aus den Grundrechten ergeben sich zudem Anforderungen an das Verfahren, die den Grundrechtsschutz gewährleisten sollen. Jedenfalls bei planmäßigen Behandlungen ist - abgeleitet aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG - eine Ankündigung erforderlich, die dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, rechtzeitig um Rechtsschutz zu ersuchen (vgl. BVerfGE 128, 282 <311>; 129, 269 <283>; 133, 112 <140 Rn. 70>). Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs unabdingbar ist überdies die Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch einen Arzt (vgl. BVerfGE 128, 282 <313>; 129, 269 <283>; 133, 112 <138 Rn. 67>). Als Vorwirkung der grundrechtlichen Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes ergibt sich ferner die Notwendigkeit, gegen den Willen des Untergebrachten ergriffene Behandlungsmaßnahmen, einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise, der maßgeblichen Gründe und der Wirkungsüberwachung, zu dokumentieren (vgl. BVerfGE 128, 282 <313 f.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <138 f. Rn. 68>). Schließlich fordert Art. 2 Abs. 2 GG spezielle verfahrensmäßige Sicherungen gegen die besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen, die sich ergeben, wenn über die Anordnung einer Zwangsbehandlung außerhalb akuter Notfälle allein die jeweilige Unterbringungseinrichtung entscheidet. Hierzu bedarf es einer vorausgehenden Prüfung der Maßnahme durch Dritte in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung (vgl. BVerfGE 128, 282 <315 ff.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <141 f. Rn. 71>).

34

cc) Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen darüber hinaus materielle Anforderungen an die Rechtsgrundlage. Die Vorschrift muss den Zweck oder die Zwecke, die einen Eingriff rechtfertigen sollen, abschließend bestimmen (vgl. BVerfGE 133, 112 <137 Rn. 64>). Eine gesetzliche Grundlage zur Durchführung der Zwangsbehandlung muss ferner festlegen, dass eine solche nur durchgeführt werden darf, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg verspricht (vgl. BVerfGE 128, 282 <309>). Überdies darf eine medizinische Zwangsbehandlung nur als letztes Mittel vorgesehen sein, wenn mildere Mittel nicht in Betracht kommen (vgl. BVerfGE 128, 282 <309> m.w.N.). Für eine medikamentöse Zwangsbehandlung zur Erreichung des Ziels, die Unterbringung möglichst bald zu beenden und so die persönliche Freiheit wiederzuerlangen, bedeutet dies erstens, dass eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos sein muss (vgl. BVerfGE 128, 282 <309>). Zweitens muss der Zwangsbehandlung, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgegangen sein, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erlangen (vgl. BVerfGE 128, 282 <309 f.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <139 Rn. 69>). Über die Erfordernisse der Geeignetheit und Erforderlichkeit hinaus ist Voraussetzung für die Rechtfertigung einer Zwangsbehandlung, dass sie für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden ist, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Die Angemessenheit ist nur gewahrt, wenn, unter Berücksichtigung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten, der zu erwartende Nutzen der Behandlung den möglichen Schaden der Nichtbehandlung überwiegt (vgl. BVerfGE 128, 282 <310 f.>). Im Hinblick auf die bestehenden Prognoseunsicherheiten und sonstigen methodischen Schwierigkeiten des hierfür erforderlichen Vergleichs trifft es die grundrechtlichen Anforderungen, wenn in medizinischen Fachkreisen ein deutlich feststellbares Überwiegen des Nutzens gefordert wird (BVerfGE 128, 282 <311> m.w.N.).

35

c) Diese - zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug entwickelten - Maßgaben sind auf die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zu übertragen (vgl. BVerfGK 19, 286 <288> unter Bezugnahme auf BVerfGE 128, 282; zur Übertragbarkeit vgl. LG Darmstadt, Beschluss vom 19. Dezember 2011 - 5 T 646/11 -, juris, Rn. 39 ff.; LG Verden, Beschluss vom 3. Dezember 2012 - 1 T 163/12 -, juris, Rn. 10; LG Berlin, Urteil vom 28. Januar 2015 - 86 O 88/14 -, juris, Rn. 53 ff.; Olzen/Metzmacher, BtPrax 2011, S. 233 <235 f.>; Dodegge, NJW 2012, S. 3694 <3697>; Diener, Patientenverfügungen psychisch kranker Personen und fürsorglicher Zwang, 2013, S. 193 ff.; Henking/Mittag, JR 2013, S. 341 <342>; Henking/Mittag, BtPrax 2014, S. 115 f.; Budde, in: Keidel, FamFG, 19. Auflage 2017, § 312 Rn. 9). Ihre Übertragbarkeit auf die öffentlich-rechtliche Unterbringung ist bereits in früheren Entscheidungen des Senats zur medizinischen Zwangsbehandlung angelegt. Die Beschlüsse zur Zwangsbehandlung in Baden-Württemberg (BVerfGE 129, 269) und in Sachsen (BVerfGE 133, 112) sind zwar im Hinblick auf im Maßregelvollzug Untergebrachte ergangen, der Anwendungsbereich der für verfassungswidrig erklärten Gesetze betraf jedoch sowohl Personen in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung als auch solche im Maßregelvollzug (vgl. den mittlerweile außer Kraft getretenen § 15 Abs. 1 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (UBG BW) vom 2. Dezember 1991, GBl S. 794, zuletzt geändert durch Art. 9 des Vierten Gesetzes zur Bereinigung des baden-württembergischen Landesrechts vom 4. Mai 2009, GBl S. 195, 199, BVerfGE 129, 269 <271>; vgl. ferner § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 38 Abs. 1 Satz 2 des sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten (SächsPsychKG) vom 10. Oktober 2007, SächsGVBl S. 422, BVerfGE 133, 112 <114>). Für die Übertragbarkeit dieser Maßgaben auf die medizinische Zwangsbehandlung in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung fällt entscheidend ins Gewicht, dass es im Hinblick auf den Umfang des Grundrechtsschutzes keinen Unterschied macht, auf welcher Rechtsgrundlage sich der Betroffene in der Unterbringung befindet. Der Schutzstandard für die Zwangsbehandlung muss in allen Fällen gleich hoch sein (vgl. bereits zur Übertragung der zum Maßregelvollzug entwickelten Maßstäbe auf eine Zwangsbehandlung im Rahmen der betreuungsrechtlichen Unterbringung BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2012 - XII ZB 99/12 -, BGHZ 193, 337 <346 Rn. 25 ff.> sowie XII ZB 130/12, juris, Rn. 28 ff.; vgl. ferner BVerfGE 142, 313 <343 f.>). Die Auffassung, dass die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht für die Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug entwickelt hat, auf die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zu übertragen sind, findet sich im Übrigen auch in den Gesetzgebungsmaterialien zu der Überarbeitung der Landesgesetze über die öffentlich-rechtliche Unterbringung. Die Gesetzentwürfe verweisen stets auf die Notwendigkeit einer Neuregelung, weil Anpassungsbedarf im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung bestehe. Dies gilt auch dann, wenn der Maßregelvollzug und die öffentlich-rechtliche Unterbringung in verschiedenen Gesetzen geregelt werden (vgl. etwa die Gesetzentwürfe für Nordrhein-Westfalen LTDrucks 16/12068, S. 27, 30 ff. oder für Hessen LTDrucks 19/3744, S. 1, 26).

36

3. Nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäben verletzt die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts die Beschwerdeführerin bereits deshalb in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, weil es für die Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin, die durch das Gericht als rechtmäßig bestätigt wurde, an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt. § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar und nichtig.

37

a) § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V wird den sich aus den Grundrechten ergebenden Anforderungen in Bezug auf das Verfahren der Behörden und Gerichte nicht gerecht, auf deren Einhaltung der in einer geschlossenen Einrichtung Untergebrachte, der einer Zwangsbehandlung unterzogen werden soll, jedoch in besonders hohem Maße angewiesen ist (vgl. BVerfGE 128, 282 <311>).

38

aa) Anders als es etwa § 22 Abs. 3 Satz 1 PsychKG M-V für die Anordnung und Überwachung besonderer Sicherungsmaßnahmen vorsieht, enthält die angegriffene Norm entgegen der verfassungsrechtlichen Vorgabe (vgl. BVerfGE 128, 282 <313>; 129, 269 <283>; 133, 112 <138 Rn. 67>) keine Regelung dazu, dass die Anordnung und Überwachung der medizinischen Zwangsbehandlung durch einen Arzt erfolgen muss.

39

bb) Die Vorschrift erfüllt zudem die sich aus dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebende verfahrensmäßige Vorgabe nicht, dass dem Eingriff eine von der Unterbringungseinrichtung unabhängige Prüfung vorausgehen muss (vgl. BVerfGE 128, 282 <315 ff.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <141 Rn. 71>). Nicht ausreichend ist der Schutz, den die Besuchskommission bieten kann, die nach § 31 Abs. 1 Satz 1 PsychKG M-V jedenfalls einmal jährlich die Einrichtungen besucht und kontrolliert. Zwar hat sie den gesetzlichen Auftrag, die Einhaltung der Patientenrechte zu überprüfen, sie untersucht aber nicht im Vorfeld jeder Zwangsbehandlung deren Rechtmäßigkeit, sondern kann in der Regel lediglich im Nachhinein über durchgeführte Zwangsbehandlungen an den Landtag berichten. Ferner verfügt die Kommission nicht über die Kompetenz, eine anstehende Zwangsbehandlung zu verhindern.

40

b) § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V erfüllt auch die aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit resultierenden materiellen Anforderungen an eine medizinische Zwangsbehandlung nicht.

41

aa) Zum einen fehlt es an der abschließenden Bestimmung des Zwecks oder der Zwecke, die den Eingriff rechtfertigen sollen, und damit an der Ausscheidung von Zwecken, die einen Eingriff prinzipiell nicht zu rechtfertigen geeignet sind (vgl. BVerfGE 133, 112 <137 Rn. 64>). Aus § 12 PsychKG M-V ergeben sich lediglich die Ziele, welche zur Rechtfertigung der Unterbringung selbst geeignet sind. Ob diese Zielvorgaben auf die Zwangsbehandlung zu übertragen beziehungsweise ob sie abschließend sind, lässt sich dem Gesetz jedoch nicht entnehmen.

42

bb) Zum anderen ist dem Erfordernis, die weiteren aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitenden Anforderungen einer Zwangsbehandlung gesetzlich zu konkretisieren, nicht genügt worden. Voraussetzung der Zulässigkeit für nicht unter § 23 Abs. 3 PsychKG M-V fallende Maßnahmen der Zwangsbehandlung (Behandlungen, die die Persönlichkeit des Betroffenen dauerhaft in ihrem Kernbereich ändern würden) ist nach § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V allein, dass sie nicht mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit des Betroffenen verbunden sind. Auch § 21 Satz 2 PsychKG M-V, der bestimmt, dass dem Betroffenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Einrichtung oder zum Schutz anderer Betroffener unerlässlich sind, stellt keine hinreichende gesetzliche Grundlage dar. Diese Vorgabe benennt zwar Aspekte der Verhältnismäßigkeit, legt aber keine ausreichend spezifischen Voraussetzungen für die Zwangsbehandlung fest und ist damit zu allgemein gehalten, um eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Schranke bilden zu können. Es fehlt insbesondere an einer angemessenen Regelung des - unabhängig von der Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen bestehenden - Erfordernisses des vorherigen Bemühens um eine auf Vertrauen gegründete, im Rechtssinne freiwillige Zustimmung (vgl. BVerfGE 128, 282 <309 f.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <139 Rn. 69>). Das Psychischkrankengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern in der hier einschlägigen Fassung enthält lediglich Vorgaben zur Information des Patienten über die beabsichtigte Vorgehensweise bei der Behandlung. § 23 Abs. 1 Satz 5 PsychKG M-V bestimmt, dass der Behandlungsplan mit dem Betroffenen erörtert werden soll. Auch § 44 Abs. 1 Satz 1, 2 PsychKG M-V verlangt lediglich in allgemeiner Form eine Erläuterung von Entscheidungen und Anordnungen im Rahmen der Unterbringung.

43

4. Die Frage, ob § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 PsychKG M-V, der eine sofortige Zwangsbehandlung zur Verhinderung einer erheblichen und unmittelbaren Gefahr für Leben oder Gesundheit der kranken Person oder Dritter betrifft, verfassungsgemäß ist, braucht für die hier vorliegende Konstellation nicht entschieden zu werden, weil der angegriffene Beschluss nicht auf diese Alternative gestützt ist.

44

5. Angesichts der Mängel der gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann ferner offen bleiben, ob die amtsgerichtliche Entscheidung den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch in weiterer Hinsicht nicht genügt. Festzuhalten ist jedoch, dass es zunächst Sache der Fachgerichte ist, auf Anträge von Untergebrachten hin, die sich gegen eine Zwangsbehandlung richten, auch die Vereinbarkeit der jeweils herangezogenen landesrechtlichen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz zu prüfen, gegebenenfalls vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren und bei negativem Ausgang der Prüfung die Sache im Verfahren der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen (vgl. BVerfGK 19, 286 <287> m.w.N.). Die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann von den Fachgerichten überdies von Amts wegen - unabhängig von einer entsprechenden Rüge des jeweiligen Klägers - zu prüfen sein (vgl. BVerfGE 129, 269 <279>; BVerfGK 19, 286 <287> m.w.N.). Zwar kann von den Fachgerichten nicht verlangt werden, rügeunabhängig oder unabhängig von näherer Substantiierung ein Gesetz ins Blaue hinein auf nicht offen zutage tretende verfassungsrechtliche Fehler zu prüfen (vgl. BVerfGK 19, 286 <287 f.> m.w.N.). Nachdem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die wesentlichen Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung jedoch geklärt sind (vgl. BVerfGE 128, 282; 129, 269; 133, 112), muss von den Fachgerichten aber erwartet werden, dass sie diese bei Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung von Untergebrachten betreffen, von Amts wegen im Auge behalten und entsprechend verfahren (vgl. BVerfGK 19, 286 <288>). Dies gilt insbesondere deshalb, weil auch sechs Jahre nach der ersten Entscheidung des Zweiten Senats zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (vgl. BVerfGE 128, 282) noch nicht alle Länder die Eingriffsgrundlage für die medizinische Zwangsbehandlung in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angepasst haben.

C. - I.

45

Die Verfassungswidrigkeit der Regelung in § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V führt zur nachträglichen Feststellung der Nichtigkeit dieses Teils der Vorschrift. § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V stellt mit Blick auf § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 einen abtrennbaren Teil der Vorschrift dar, dem eine unabhängige, selbstständige Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 112, 255; 128, 282 <321> m.w.N.). Über die Verfassungsmäßigkeit der novellierten Vorschrift (§ 26 PsychKG M-V n.F.) war hier nicht zu befinden.

II.

46

Die angegriffene Gerichtsentscheidung, die die Beschwerdeführerin mangels ausreichender gesetzlicher Grundlage in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt, ist aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Wegen der Besonderheit des Falles wird von einer Zurückverweisung abgesehen, weil für eine Entscheidung des Fachgerichts kein Spielraum mehr verbleibt. Das Amtsgericht könnte somit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur wiederholen (vgl. BVerfGE 35, 202 <244>; 79, 69 <79>).

III.

47

Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Tenor

1. § 23 Absatz 2 Satz 2 Alternative 1 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2000 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern Seite 182, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Änderungsgesetzes vom 9. November 2010, Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern Seite 642, 649) ist mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

2. Der Beschluss des Amtsgerichts Waren (Müritz) vom 4. September 2014 - 411 XIV 48/14 L - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben.

3. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.- I.

1

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die medizinische Zwangsbehandlung einer aufgrund des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2000 (GVOBl M-V S. 182, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Änderungsgesetzes vom 9.November 2010, GVOBl M-V S. 642, 649) vorläufig Untergebrachten. Die Zwangsbehandlung erfolgte auf der Grundlage von § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V.

2

Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

§ 23

Behandlung

(1) Die Betroffenen haben Anspruch auf die notwendige Behandlung und psychosoziale Beratung. Die Behandlung schließt die dazu erforderlichen Untersuchungen sowie beschäftigungs- und arbeitstherapeutische, heilpädagogische und psychotherapeutische Maßnahmen mit ein. Die Behandlung soll außerhalb der Einrichtung durchgeführt werden, wenn dadurch ihre Erfolgsaussichten verbessert werden. Die Behandlung wegen der Erkrankung, die zu der Unterbringung geführt hat, erfolgt nach einem Behandlungsplan. Der Behandlungsplan soll mit dem Betroffenen und auf seinen Wunsch mit den gesetzlichen Vertretern oder Betreuern erörtert werden.

(2) Behandlungsmaßnahmen bedürfen der Einwilligung des Betroffenen oder der gesetzlichen Vertreter. Ohne Einwilligung darf eine Behandlung nur durchgeführt werden, wenn der Betroffene aufgrund der Krankheit einsichts- oder steuerungsunfähig ist und die Behandlung nicht mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit verbunden ist oder er sich in einem Zustand befindet, in dem ohne sofortige Behandlung eine erhebliche und unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit der kranken Person oder Dritter besteht. Der Rechtsanwalt des Betroffenen ist unverzüglich zu informieren.

(3) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Betroffenen dauerhaft in ihrem Kernbereich ändern würde, insbesondere ein psychochirurgischer Eingriff, ist unzulässig.

3

2. Die weiteren hier relevanten Vorschriften des Gesetzes lauten:

§ 1

Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz regelt

1. Hilfen für psychisch Kranke,

2. Maßnahmen gegenüber psychisch Kranken,

3. die Unterbringung

a) von psychisch Kranken nach diesem Gesetz, soweit das Verfahren nicht in dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geregelt ist,

b) von psychisch Kranken, die nach § 63, § 64 des Strafgesetzbuches sowie § 7 des Jugendgerichtsgesetzes untergebracht sind.

(2) Psychisch Kranke im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die an einer Psychose, einer psychischen Störung, die in ihren Auswirkungen einer Psychose gleichkommt, oder einer mit dem Verlust der Selbstkontrolle einhergehenden Abhängigkeit von Suchtstoffen leiden.

(3) Dieses Gesetz findet auch Anwendung auf geistig behinderte Personen, bei denen ohne Behandlung keine Aussicht auf Besserung besteht.

(4) Die in diesem Gesetz geregelten Hilfen werden auch Personen gewährt, bei denen Anzeichen einer der in Absatz 2 genannten psychischen Erkrankungen bestehen.

§ 11

Voraussetzungen der Unterbringung

(1) Die Unterbringung von psychisch Kranken nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a ist nur zulässig, wenn und solange durch ihr krankhaftes Verhalten gegen sich oder andere eine gegenwärtige erhebliche Gefahr einer Selbstschädigung oder für die öffentliche Sicherheit besteht, die nicht anders abgewendet werden kann. Die fehlende Bereitschaft, sich einer notwendigen ärztlichen Behandlung zu unterziehen, rechtfertigt für sich allein keine Unterbringung.

(2) Eine gegenwärtige Gefahr im Sinne von Absatz 1 besteht dann, wenn infolge der Krankheit ein schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist.

§ 12

Ziel der Unterbringung

(1) Ziel der Unterbringung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a ist es, die in § 11 genannte Gefahr abzuwenden und die untergebrachte Person nach Maßgabe dieses Gesetzes zu behandeln.

(2) Ziel der Unterbringung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe b ist die Heilung oder Besserung des Zustandes im Sinne der §§ 136, 137 des Strafvollzugsgesetzes insbesondere durch ärztliche, psychotherapeutische, sozialtherapeutische oder heilpädagogische Maßnahmen sowie die soziale und berufliche Eingliederung.

§ 21

Rechtliche Stellung

Die Betroffenen unterliegen nur den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen. Ihnen dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Einrichtung und zum Schutz anderer Betroffener unerlässlich sind.

§ 22

Besondere Sicherungsmaßnahmen

(1) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind nur zulässig, wenn die gegenwärtige erhebliche Gefahr besteht, dass der Betroffene sich selbst tötet oder ernsthaft verletzt oder gewalttätig wird oder die Einrichtung ohne Erlaubnis verlassen wird und wenn dieser Gefahr nicht anders begegnet werden kann.

(2) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind:

1. die Beschränkung des Aufenthalts im Freien,

2. die Wegnahme von Gegenständen,

3. die Absonderung in einen besonderen Raum,

4. die Fixierung.

(3) Jede besondere Sicherungsmaßnahme ist durch die ärztliche Leitung befristet anzuordnen, ärztlich zu überwachen und unverzüglich aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für ihre Anordnung weggefallen sind. Anordnung und Aufhebung der besonderen Sicherungsmaßnahmen sind schriftlich zu dokumentieren. Von jeder Anordnung ist der Rechtsanwalt des Betroffenen unverzüglich zu benachrichtigen.

§ 31

Besuchskommission

(1) Das Ministerium für Soziales und Gesundheit bildet eine Besuchskommission für die forensischen Einrichtungen und die Landkreise und kreisfreien Städte bilden jeweils Besuchskommissionen für die psychiatrischen Kliniken, die in der Regel ohne Anmeldung mindestens einmal jährlich die Einrichtungen, in denen Personen nach diesem Gesetz untergebracht sind, besuchen und überprüfen, ob die mit der Unterbringung von psychisch Kranken verbundenen Aufgaben erfüllt und die Rechte der Betroffenen gewahrt werden. Dabei ist den Betroffenen Gelegenheit zu geben, Wünsche oder Beschwerden vorzutragen.

(2) Innerhalb von zwei Monaten nach jedem Besuch einer Einrichtung fertigt die Besuchskommission einen Bericht an, der auch die Wünsche und Beschwerden der Betroffenen enthält und zu ihnen Stellung nimmt. Eine Zusammenfassung dieser Berichte übersendet das Ministerium für Gesundheit und Soziales dem Landtag, erstmals zwei Jahre nach In-Kraft-Treten dieses Gesetzes, sodann mindestens alle zwei Jahre.

(3) Der Besuchskommission gehören an:

1. (aufgehoben)

2. ein Arzt für Psychiatrie,

3. ein Richter,

4. ein Sozialarbeiter des für den Bereich, in dem die besuchte Einrichtung liegt, zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienstes,

5. ein Bürger ohne Fachkunde, der von dem für Gesundheit zuständigen Ausschuss des Landtages benannt wird,

6. ein Vertreter eines Interessenverbandes der Freunde oder Angehörigen psychisch Kranker, der von dem Landkreis oder der kreisfreien Stadt benannt wird, in deren Zuständigkeit die besuchte Einrichtung liegt. Der Besuchskommission für die forensischen Einrichtungen gehört ein sachkundiger Mitarbeiter des Ministeriums für Soziales und Gesundheit an. Dem zuständigen Amtsarzt ist Gelegenheit zur Teilnahme an den Besuchen zu geben. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales kann im Benehmen mit der Besuchskommission weitere Personen zu den Besuchen hinzuziehen, soweit der Zweck des Besuches dadurch besser erfüllt werden kann.

(4) Die Berufung der Mitglieder der Besuchskommissionen und die Einrichtung der Geschäftsstellen erfolgt

a) durch das Ministerium für Soziales und Gesundheit für Besuche von forensischen Einrichtungen und

b) durch die Landkreise und kreisfreien Städte für Besuche von allgemeinpsychiatrischen Einrichtungen. Für jedes Mitglied ist mindestens ein Stellvertreter zu berufen. Die Geschäftsstellen der Besuchskommissionen übersenden die in Absatz 2 genannten Berichte an die Geschäftsstelle der Besuchskommission für die Einrichtungen des Maßregelvollzugs. Die Geschäftsstelle der Besuchskommission für die Einrichtungen des Maßregelvollzugs fasst die Berichte aller Besuchskommissionen zusammen und führt mindestens einmal im Berichtszeitraum eine Beratung der Geschäftsführungen aller Besuchskommissionen durch.

(5) Die Mitglieder und ihre Stellvertreter werden für zwei Jahre berufen. Eine erneute Berufung ist zulässig.

(6) Die Mitglieder der Besuchskommission sind nicht an Weisungen gebunden. Sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ihre Entschädigung richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter.

(7) Die Aufsichtspflichten und -rechte der zuständigen Behörden sowie das Recht der Betroffenen, andere Überprüfungs- oder Beschwerdeinstanzen anzurufen, bleiben unberührt.

§ 42

Unmittelbarer Zwang

(1) Soweit es die Durchführung der Maßnahmen nach diesem Gesetz gebietet, sind Ärzte der Einrichtungen befugt, unmittelbaren Zwang anzuwenden. Soweit es erforderlich ist, können sie diese Befugnis im Einzelfall auf andere Bedienstete der Einrichtung übertragen.

(2) Gegenüber anderen Personen als den Betroffenen darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn sie es unternehmen, Betroffene zu befreien, oder wenn sie unbefugt in den Bereich der Einrichtung eindringen oder sich unbefugt dort aufhalten.

(3) Das Recht zur Anwendung unmittelbaren Zwanges aufgrund anderer Vorschriften bleibt unberührt.

§ 44

Bekanntgabe und Begründung von Anordnungen, Akteneinsicht

(1) Entscheidungen und Anordnungen im Rahmen der Unterbringung sind den Betroffenen unverzüglich bekannt zu geben und, soweit es der gesundheitliche Zustand des Betroffenen zulässt, zu erläutern. Sie sind in den jeweiligen Krankenakten zu vermerken und zu begründen. Soweit Entscheidungen oder Anordnungen schriftlich ergehen, erhalten die jeweiligen gesetzlichen Vertreter eine Abschrift.

(2) Die Betroffenen und ihre gesetzlichen Vertreter erhalten auf Verlangen unentgeltlich Auskunft über die zur Person der Betroffenen gespeicherten Daten sowie Einsicht in die über sie geführten Akten. Den Betroffenen können Auskunft und Einsicht verweigert werden, wenn eine Verständigung mit ihnen wegen ihres Gesundheitszustandes nicht möglich ist. Ist bei einer vollständigen Auskunft oder Einsichtnahme mit schwerwiegenden gesundheitlichen Nachteilen bei dem Betroffenen zu rechnen, so soll der behandelnde Arzt die entsprechenden Inhalte unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes an den Betroffenen vermitteln. Die Verweigerung von Auskunft oder Einsicht ist mit einer Begründung in den Akten zu vermerken.

4

3. Die mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffene Norm wurde in der Zwischenzeit außer Kraft gesetzt und neu gefasst. Mit der Drucksache 6/5185 vom 24. Februar 2016 brachte die Regierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern den Entwurf eines Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten in den Landtag ein. Zur Begründung des Gesetzentwurfs heißt es unter anderem:

"Das Psychischkrankengesetz, welches nahezu unverändert seit dem Jahre 2000 gilt (nachfolgend PsychKG M-V 2000), regelt die Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten [...].

In den vergangenen Jahren haben sich [...] jedoch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Unterbringung in zentralen Punkten durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesgerichtshofes geändert. [...] Danach ist die Zwangsbehandlung nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs klar bestimmt [...].

Das derzeitige Landesrecht genügt den von der Rechtsprechung definierten Voraussetzungen nicht in verfassungsrechtlich hinreichendem Maße. [...] Daher ist eine umfassende Neufassung dieser Normen erforderlich [...]" (LTDrucks 6/5185, S. 1 f.).

5

Am 6. Juli 2016 beschloss der Landtag die Neufassung des Psychischkrankengesetzes. Die Rechtsgrundlage für die Durchführung einer Zwangsbehandlung wurde vollständig novelliert. Nunmehr bestimmt § 26 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten (Psychischkrankengesetz - PsychKG M-V n.F.) vom 14. Juli 2016 (GVOBl M-V S. 593) die Voraussetzungen der ärztlichen Zwangsmaßnahme. Das PsychKG M-V n.F. trat am 30. Juli 2016 in Kraft. Gleichzeitig wurde das PsychKG M-V in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2000 (GVOBl M-V S. 182), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 9. November 2010 (GVOBl M-V S. 642, 649), außer Kraft gesetzt (vgl. § 51 PsychKG M-V n.F.).

6

§ 26 PsychKG M-V n.F. lautet:

§ 26

Ärztliche Zwangsmaßnahme

(1) Eine medizinische Behandlung gegen den natürlichen Willen der Menschen mit psychischen Krankheiten (ärztliche Zwangsmaßnahme) darf nur durchgeführt werden

1. mit dem Ziel, die fortdauernde Notwendigkeit einer Unterbringung nach den Abschnitten 4 und 6 zu beseitigen oder

2. soweit die Maßnahme erforderlich ist, um eine gegenwärtige Lebensgefahr oder schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der Menschen mit psychischen Krankheiten oder eine von ihnen infolge ihrer Krankheit ausgehende gegenwärtige Lebensgefahr oder erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Menschen, die sich in der Einrichtung aufhalten, abzuwenden oder

3. soweit die Maßnahme dazu dient, eine sonst erforderliche besondere Sicherungsmaßnahme nach § 21 Absatz 2 Nummer 3 bis 5 zu vermeiden oder zu beenden und

4. wenn die Menschen mit psychischen Krankheiten aufgrund dieser Krankheiten die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können und wenn

5. die Maßnahme im Hinblick auf das Behandlungsziel Erfolg verspricht,

6. es aussichtslos erscheint, mit einem milderen Mittel, insbesondere einer weniger eingreifende[n] Behandlung, das mit der Maßnahme verfolgte Ziel zu erreichen und

7. der zu erwartende Nutzen der Behandlung die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.

(2) Eine ärztliche Zwangsmaßnahme setzt voraus, dass durch die behandelnde Ärztin oder den Arzt

1. vor Beginn der Behandlung ernsthaft versucht wurde, eine auf Vertrauen gegründete, freiwillige Einwilligung der Menschen mit psychischen Krankheiten zu erreichen,

2. eine den Verständnismöglichkeiten der Menschen mit psychischen Krankheiten entsprechende Information über die beabsichtigte Behandlung, ihre Wirkungen und Ziele vorausgegangen ist, und

3. den Menschen mit psychischen Krankheiten nach Scheitern des Gespräches nach Nummer 1 die Beantragung der gerichtlichen Anordnung nebst der Möglichkeit der Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme angekündigt worden ist. Die behandelnde Ärztin oder der Arzt muss die Durchführung der Gespräche und deren Ergebnis dokumentieren.

(3) Die Behandlung muss von einer Ärztin oder einem Arzt angeordnet, überwacht und dokumentiert werden.

(4) Eine ärztliche Zwangsmaßnahme ist nur mit vorheriger Zustimmung des Betreuungsgerichts auf Antrag der Einrichtung, bei im Maßregelvollzug untergebrachten Menschen mit psychischen Krankheiten der Strafvollstreckungskammer oder der Jugendkammer oder bei vorläufig untergebrachten Menschen mit psychischen Krankheiten des Haftgerichtes oder des Gerichtes der Hauptsache auf Antrag der Einrichtung des Maßregelvollzuges zulässig. Dies gilt nicht in den Fällen, in denen eine ärztliche Zwangsmaßnahme dazu dient, eine gegenwärtige Lebensgefahr oder eine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der Menschen mit psychischen Krankheiten abzuwenden, wenn hierdurch die Behandlung verzögert würde und sich hieraus Nachteile für das Leben oder die Gesundheit der Menschen mit psychischen Krankheiten ergeben würden. Die Zustimmung ist unverzüglich nachträglich einzuholen. Für die Strafvollstreckungs- und die Jugendkammern oder die Haftgerichte oder die Gerichte der Hauptsache gelten ihre jeweiligen Prozessordnungen und Verfahrensrechte. Sie haben darüber hinaus entsprechend der §§ 319 und 321 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Menschen mit psychischen Krankheiten persönlich anzuhören und ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zugleich ist den Menschen mit psychischen Krankheiten eine Verteidigerin oder ein Verteidiger als notwendige Verteidigung beizuordnen.

7

4. Am 29. Juli 2014 wies das Gesundheitsamt des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte die Beschwerdeführerin in die geschlossene Abteilung des MediClin Müritz-Klinikums ein und stellte bei dem Amtsgericht Waren (Müritz) den Antrag, ihre vorläufige Unterbringung anzuordnen. Den Antrag begründete das Gesundheitsamt unter anderem damit, dass die Beschwerdeführerin Medikamente verweigere und sich seit drei Wochen extrem auffällig verhalte. Seit dem frühen Morgen des 29. Juli 2014 fühlten sich der Bruder und die Mutter der Beschwerdeführerin von dieser bedroht. Zudem laufe sie seit sechs Uhr morgens ununterbrochen mit einem schweren Blumenkübel im Arm im Kreis, sei völlig erschöpft und dehydriert. Aufgrund der Hitze und der Entkräftung bestehe eine akute Selbstgefährdung, so dass eine geschlossene Unterbringung erforderlich sei.

8

5. In dem ärztlichen Zeugnis vom 29. Juli 2014 wird ausgeführt, dass die Einweisung notfallmäßig zur erneuten Krisenintervention erfolgt sei. Die Beschwerdeführerin leide bekanntermaßen an einer paranoiden halluzinatorischen Schizophrenie. Die Symptomatik sei unter anderem gekennzeichnet durch eine hohe innere Anspannung und den Verlust von Realitätsbewusstsein; die Beschwerdeführerin verhalte sich selbstgefährdend, und es fehle ihr an Krankheitseinsicht. Sie verweigere zudem die medikamentöse Behandlung und wolle die Klinik verlassen. Aus dem richterlichen Anhörungsprotokoll vom 30. Juli 2014 geht hervor, dass die behandelnde Ärztin einen Verbleib der Beschwerdeführerin in der Unterbringung für einen Zeitraum von sechs Wochen für erforderlich hielt.

9

6. Mit Beschluss vom 30. Juli 2014 ordnete das Amtsgericht Waren (Müritz) nach Anhörung der Beschwerdeführerin die vorläufige Unterbringung durch einstweilige Anordnung gemäß § 331, § 332, § 312 Nr. 3 FamFG in Verbindung mit § 11 PsychKG M-V längstens bis zum 9. September 2014 an. Zudem wurde eine Verfahrenspflegerin bestellt. Es bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsmaßnahme gegeben seien und mit einem Aufschub eine so erhebliche Gefahr für die Beschwerdeführerin verbunden wäre, dass sie sofort untergebracht werden müsse. Das Gericht schließe sich aufgrund der Anhörung der Beschwerdeführerin dem ärztlichen Zeugnis vom 29. Juli 2014 an. Auch im Hinblick auf die Dauer der Unterbringung folge das Gericht dem ärztlichen Zeugnis. Durch das krankhafte Verhalten der Beschwerdeführerin bestehe eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für eine Selbstschädigung, die nicht anders abgewendet werden könne. Zu ihrem Wohl sei es notwendig, dass sie stationär behandelt und insbesondere unter stationären Bedingungen beobachtet werde.

10

7. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 1. August 2014 "Widerspruch" ein. Der Beschluss sei ein Missverständnis, sie habe nie einem anderen Menschen oder sich selbst Leid angetan und werde dies auch zukünftig nicht tun. Mit Beschluss vom 8. August 2014 half das Amtsgericht dem als Beschwerde ausgelegten Rechtsbehelf nach erneuter Anhörung der Beschwerdeführerin und der behandelnden Ärzte nicht ab und legte die Sache dem Landgericht Neubrandenburg zur Entscheidung vor. Das Landgericht wies die Beschwerde nach einer weiteren Anhörung der Beschwerdeführerin und Einholung ergänzender Stellungnahmen der behandelnden Ärztin und der Verfahrenspflegerin mit Beschluss vom 13. August 2014 zurück. Es bestehe eine gegenwärtige erhebliche Gefahr zumindest einer Selbstschädigung, zudem sei die Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihre Krankheit uneinsichtig und lehne eine Behandlung ab. Im Falle einer Entlassung und ohne medikamentöse Behandlung sei der Eintritt einer selbstschädigenden Handlung zwar nicht konkret vorhersehbar, aber gleichwohl jederzeit zu erwarten. Eine solche könne zu einer gesundheitlichen Schädigung oder einem völligen Zusammenbruch führen.

11

8. Mit Schreiben vom 26. August 2014 wandte sich die Beschwerdeführerin erneut an das Landgericht. Der Beschluss vom 13. August 2014 verhalte sich nicht zu einer Zwangsmedikation. Sie habe jedoch bereits einmal gewaltsam eine Spritze erhalten. Im Abstand von vierzehn Tagen sollten weitere Behandlungen folgen. Sie protestiere dagegen und halte diese Maßnahme für Körperverletzung.

12

9. Der Richter des Amtsgerichts, dem das Schreiben vom 26. August 2014 zuständigkeitshalber zugeleitet worden war, wandte sich seinerseits mit einem Schreiben an die Beschwerdeführerin. Darin führte er aus, dass die Zwangsmedikation notwendig sei, weil ihr jegliche Krankheits- und Behandlungseinsicht fehle. Die 14-tägige Behandlung mit einer Depotspritze sei zudem nicht mit erheblichen Gefahren für ihre Gesundheit verbunden. Sollte das verabreichte Medikament unerwünschte, nicht unerhebliche Nebenwirkungen entfalten, könne dies mit den behandelnden Ärzten besprochen werden und gegebenenfalls eine Medikamentenumstellung erfolgen. Der Richter zitierte überdies die hier mittelbar angegriffene Vorschrift und teilte der Beschwerdeführerin mit, dass eine Präzisierung der Voraussetzungen einer ärztlichen Behandlung gegen den Willen des Patienten im Rahmen der Unterbringung nach dem PsychKG M-V vom Landtag noch nicht verabschiedet worden sei. Dieses Schreiben wurde am 1. September 2014 an die Beschwerdeführerin versandt.

II.

13

1. Die Beschwerdeführerin hat am 28. August 2014 - ergänzt durch am 29. September 2014 eingegangenes Schreiben - Verfassungsbeschwerde eingelegt, mit der sie sich gegen ihre Zwangsbehandlung wendet. Sie sei in der Klinik bereits zwei Mal mit dem Medikament Zypadhera behandelt worden, die Dosis der ersten Spritze habe 200 Milligramm betragen. Zwei Wochen später sei ihr unter Anwendung von Gewalt durch Pfleger, Arzt und Schwester das Medikament erneut in einer höheren Dosierung (300 Milligramm) verabreicht worden. Nunmehr stehe eine weitere Behandlung bevor, wenn dies nicht verhindert werde. Sie halte dieses Vorgehen für Körperverletzung. Man habe zur Begründung der Behandlung auf eine bei ihr diagnostizierte Psychose verwiesen. Sie fühle sich allerdings kerngesund, sei nicht paranoid und habe auch keine Halluzinationen.

14

2. Auf das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 26. August 2014 forderte das Amtsgericht am 3. September 2014 schließlich doch eine Stellungnahme der behandelnden Ärztin an, um über die Rechtmäßigkeit der Zwangsbehandlung förmlich zu entscheiden.

15

3. In ihrer Stellungnahme vom selben Tag führte die behandelnde Ärztin aus, dass die neuroleptische Medikation der Beschwerdeführerin mit Olanzapin Depot (Zypadhera) weiterhin erforderlich sei. Einerseits diene die Medikation der Behandlung der zum Aufnahmezeitpunkt vorliegenden Positivsymptomatik der paranoiden Schizophrenie. Diese sei unter der Medikation gut rückläufig gewesen. Andererseits erfolge die Behandlung zur Verhinderung eines erneuten Ausbruchs der Krankheit im Sinne einer Prophylaxe. Das Absetzen der Medikamente würde eine Exazerbation im Sinne der Positivsymptomatik zur Folge haben. Die Positivsymptomatik der paranoiden Schizophrenie sei typischerweise gekennzeichnet durch Wahnvorstellungen, Halluzinationen, insbesondere akustische Halluzinationen mit kommentierenden und imperativen Stimmen, Denkzerfahrenheit mit desorganisierter Sprache und desorganisiertem Verhalten, katatone Symptome, flache sowie inadäquate Affekte und Ich-Störungen. Es könnten zudem vielfältige Wahnideen auftreten. Aus dem Verfolgungswahn könne ein ängstlich-zurückhaltendes oder ein suizidales Verhalten resultieren. Ohne die Behandlung drohe die Chronifizierung der Krankheit. Als mögliche Nebenwirkung der Behandlung könne zwar das maligne neuroleptische Syndrom auftreten, dies sei jedoch sehr selten (0,2 Prozent). Das Syndrom sei unter anderem durch Rigor, Fieber oder eine Bewusstseinstrübung, ferner durch eine autonome Dysregulation sowie einen Anstieg der Kreatinkinase gekennzeichnet; in zirka einem Fünftel dieser Fälle sei es lebensgefährlich. Nach Absetzen des Medikaments bilde sich das Syndrom innerhalb von etwa zehn Tagen zurück. Weitere Nebenfolgen der Medikation wie motorische Effekte im Sinne von Bewegungsstörungen, Herzrhythmusstörungen und Gewichtszunahme seien ebenfalls möglich. Zu der durchgeführten Behandlung gebe es aber keine Alternative.

16

4. Mit angegriffenem Beschluss vom 4. September 2014 genehmigte das Amtsgericht Waren (Müritz) "die Verabreichung einer Depotspritze mit dem Medikament Olanzapin Depot (Zypadhera) betreuungsgerichtlich". Mit Schreiben vom 26. August 2014 habe sich die Beschwerdeführerin "gegen die ärztlicherseits durchgeführte Medikation in Form einer 14-tägigen Depotspritze" gewandt. Das Gericht werte diese Eingabe der Beschwerdeführerin vom 26. August 2014 an das Landgericht als "Widerspruch gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Vollzug der Unterbringung gemäß § 327 Abs. 1, § 312 Abs. 1 Nr. 3 FamFG in Verbindung mit § 11 PsychKG M-V". Der Antrag sei unbegründet. Zwar bestünden im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 23 PsychKG M-V, und der Gesetzgeber habe eine Ergänzung des PsychKG M-V durch Einfügung eines § 23a erwogen. Dies könne nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht dazu führen, krankheitsuneinsichtigen geschlossen untergebrachten Patienten die notwendige ärztliche Heilbehandlung zu versagen, selbst wenn diese gegen den von ihnen geäußerten Willen vorgenommen werden müsse. Der Beschwerdeführerin fehle jegliche Behandlungs- und Krankheitseinsicht. Die Verabreichung der Depotspritze gegen ihren Willen sei der ärztlichen Stellungnahme zufolge zur Verhinderung eines erheblichen gesundheitlichen Schadens erforderlich. Die Behandlung der paranoiden Schizophrenie habe dazu geführt, dass deren Positivsymptomatik gut rückläufig gewesen und ein erneuter Ausbruch der Krankheit verhindert worden sei. Das Absetzen der Medikamente hätte dagegen eine Verschlimmerung des bestehenden Zustands zur Folge gehabt. Soweit Nebenwirkungen wie Fieber, Bewusstseinsstörungen, autonome Dysregulation sowie ein Anstieg der Kreatinkinase möglich seien, würden diese nur bei 0,2 Prozent aller Patienten auftreten und sich nach Absetzen des Medikaments binnen zehn Tagen zurückbilden. Mildere Mittel bestünden ausweislich der ärztlichen Auskunft nicht.

17

5. Die Beschwerdeführerin wurde in der Rechtsmittelbelehrung darauf hingewiesen, dass der Beschluss gemäß § 327 Abs. 4 FamFG unanfechtbar sei.

18

6. Nach Übersendung des Beschlusses an das Klinikum wurde die Beschwerdeführerin ein drittes Mal - erkennbar gegen ihren Willen, aber diesmal ohne Gegenwehr - mit dem Medikament Zypadhera behandelt und am 9. September 2014 aus der geschlossenen Unterbringung entlassen.

III.

19

1. Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern hat mit Schreiben vom 22. Juni 2016 den Entwurf eines Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten übersandt (vgl. LTDrucks 6/5185) und im Übrigen von einer Stellungnahme abgesehen.

20

2. Dem Senat hat die Akte des fachgerichtlichen Verfahrens vorgelegen.

B. - I.

21

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

22

1. Der Rechtsweg ist erschöpft. Die Beschwerdeführerin durfte sich insbesondere auf die Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses verlassen, wonach dieser gemäß § 327 Abs. 4 FamFG unanfechtbar sei. Selbst wenn es sich dabei um eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung gehandelt haben sollte und eine Beschwerde gemäß § 312 Satz 2, § 58 Abs. 1 FamFG statthaft gewesen wäre, darf ein Rechtsirrtum des Amtsgerichts nicht dazu führen, dass die Verfassungsbeschwerde in Ermangelung der Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig ist (vgl. BVerfGE 19, 253 <256 f.> unter Verweis auf BVerfGE 4, 193 <198>).

23

2. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht der Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. etwa BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>) im Hinblick darauf entgegen, dass die Beschwerdeführerin im fachgerichtlichen Verfahren nicht ausdrücklich die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage der Zwangsbehandlung in Frage gestellt hat (vgl. BVerfGE 129, 269 <279>). Es kann letztlich offen bleiben, ob das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen des fachgerichtlichen Verfahrens in diesem Sinne auszulegen war. Denn es handelt sich bei den Fragen, die der vorliegende Fall hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten gesetzlichen Vorschrift aufwirft, nicht um solche, zu deren Prüfung die Gerichte nur auf der Grundlage hinreichend substantiierten Vorbringens angehalten sind (vgl. BVerfGE 129, 269 <279>; BVerfGK 19, 286 <287 f.>). Hinzu kommt, dass das Amtsgericht die verfassungsrechtliche Dimension des Falles durchaus erkannt und in seinem Beschluss auf die Bedenklichkeit der Vorschrift vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs hingewiesen hat. Es hat die Vorschrift - entgegen diesen Bedenken und der einschlägigen Rechtsprechung - gleichwohl unter Verzicht auf eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG angewendet und dies mit der medizinischen Notwendigkeit der Zwangsbehandlung begründet.

24

3. Auch nach Beendigung der Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin und der Neufassung des Landesgesetzes ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsaktes oder jedenfalls für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit vorliegt (vgl. BVerfGE 81, 138 <140>). Dieses Rechtsschutzbedürfnis muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fortbestehen (vgl. BVerfGE 21, 139 <143>; 30, 54 <58>; 33, 247 <253>; 50, 244 <247>; 56, 99 <106>; 72, 1 <5>; 81, 138 <140>). Bei Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens besteht das Rechtsschutzbedürfnis fort, wenn entweder die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung andernfalls unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint oder eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder die aufgehobene oder gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer noch weiterhin beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 33, 247 <257 f.>; 69, 161 <168>; 81, 138 <140>; 139, 245 <263 f. Rn. 53>). Zudem wird in Fällen besonders tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstöße das Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses angenommen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen konnte (vgl. BVerfGE 81, 138 <140 f.>; 110, 77 <85 f.>; 117, 244 <268>; stRspr). Der Grundrechtsschutz des Beschwerdeführers würde andernfalls in unzumutbarer Weise verkürzt (vgl. BVerfGE 34, 165 <180>; 41, 29 <43>; 49, 24 <51 f.>; 81, 138 <141>). Der Umstand, dass die Fachgerichte und das Bundesverfassungsgericht häufig außerstande sind, schwierige Fragen in kurzer Zeit zu entscheiden, darf nicht dazu führen, dass eine Verfassungsbeschwerde allein wegen des vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenden Zeitablaufs als unzulässig verworfen wird (vgl. BVerfGE 74, 163 <172 f.>; 76, 1 <38 f.>; 81, 138 <141>). Mit der Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin ohne ausreichende gesetzliche Grundlage steht jedenfalls ein tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstoß in Rede (vgl. BVerfGE 128, 282 <303>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2014 - 2 BvR 1698/12 -, juris, Rn. 21), gegen den die Beschwerdeführerin eine verfassungsgerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig hätte erlangen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2014 - 2 BvR 1698/12 -, juris, Rn. 21).

II.

25

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der angegriffene Beschluss verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

26

1. Die medizinische Zwangsbehandlung eines Untergebrachten greift in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein, das die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht schützt (vgl. BVerfGE 128, 282 <300>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 49>). Entsprechendes gilt für Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung des Untergebrachten als rechtmäßig bestätigen (vgl. BVerfGE 129, 269 <280>).

27

Dem Eingriffscharakter einer Zwangsbehandlung steht nicht entgegen, dass sie zum Zweck der Heilung vorgenommen wird (vgl. BVerfGE 128, 282 <300>). Eine schädigende Zielrichtung ist nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (vgl. BVerfGE 128, 282 <300> m.w.N.).

28

Die Eingriffsqualität entfällt auch nicht bereits dann, wenn der Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand entgegensetzt (vgl. BVerfGE 128, 282 <300>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 50>). Eine Zwangsbehandlung im Sinne einer medizinischen Behandlung, die gegen den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt, liegt unabhängig davon vor, ob eine gewaltsame Durchsetzung der Maßnahme erforderlich wird oder der Betroffene sich, etwa weil er die Aussichtslosigkeit eines körperlichen Widerstandes erkennt, ungeachtet fortbestehender Ablehnung in die Maßnahme fügt und damit die Anwendung körperlicher Gewalt entbehrlich macht (vgl. BVerfGE 128, 282 <321>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 50>). Die beanstandete Behandlung der Beschwerdeführerin mit dem Neuroleptikum Zypadhera und die angegriffene gerichtliche Entscheidung verlieren ihren grundrechtseingreifenden Charakter folglich nicht dadurch, dass sich die Beschwerdeführerin - jedenfalls in einem der drei Fälle -, ohne ihre Ablehnung aufzugeben, aus Angst vor Zwangsmaßnahmen auf die Verabreichung des Medikaments eingelassen hat.

29

2. Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten kann allerdings ungeachtet der besonderen Schwere des darin liegenden Eingriffs durch sein grundrechtlich geschütztes Freiheitsinteresse gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 128, 282 <303 ff.>; 129, 269 <280 ff.>; 133, 112 <131 ff. Rn. 52 ff.>).

30

a) Es ist dem Gesetzgeber nicht prinzipiell verwehrt, medizinische Zwangsbehandlungen zuzulassen (vgl. BVerfGE 128, 282 <303>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 f. Rn. 52>). Zur Rechtfertigung des damit verbundenen Grundrechtseingriffs kann das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) als legitimer Zweck geeignet sein, sofern der Untergebrachte zur Wahrnehmung dieses Interesses infolge krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit nicht in der Lage ist (vgl. BVerfGE 128, 282 <304>).

31

b) Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten ist, wie jeder andere Grundrechtseingriff, nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, das die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat aus den grundrechtlichen Garantien (vgl. BVerfGE 128, 282 <311, 313, 315>) und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 128, 282 <308 ff., 313>) konkrete Anforderungen an die Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung der im Maßregelvollzug Untergebrachten aufgestellt. Die gesetzliche Grundlage muss sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung vorgeben (vgl. BVerfGE 128, 282 <317>). Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des besonders schwerwiegenden Eingriffs müssen hinreichend klar und bestimmt geregelt sein (vgl. BVerfGE 128, 282 <317 f.> m.w.N.).

32

aa) Eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Durchführung einer Zwangsbehandlung mit dem Ziel, den Betroffenen so bald wie möglich in die Freiheit zu entlassen, muss strikt dessen krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit oder dessen Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten zur Voraussetzung haben (vgl. BVerfGE 128, 282 <307 f.>; 129, 269 <281 f.>; 133, 112 <134 Rn. 59>).

33

bb) Aus den Grundrechten ergeben sich zudem Anforderungen an das Verfahren, die den Grundrechtsschutz gewährleisten sollen. Jedenfalls bei planmäßigen Behandlungen ist - abgeleitet aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG - eine Ankündigung erforderlich, die dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, rechtzeitig um Rechtsschutz zu ersuchen (vgl. BVerfGE 128, 282 <311>; 129, 269 <283>; 133, 112 <140 Rn. 70>). Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs unabdingbar ist überdies die Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch einen Arzt (vgl. BVerfGE 128, 282 <313>; 129, 269 <283>; 133, 112 <138 Rn. 67>). Als Vorwirkung der grundrechtlichen Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes ergibt sich ferner die Notwendigkeit, gegen den Willen des Untergebrachten ergriffene Behandlungsmaßnahmen, einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise, der maßgeblichen Gründe und der Wirkungsüberwachung, zu dokumentieren (vgl. BVerfGE 128, 282 <313 f.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <138 f. Rn. 68>). Schließlich fordert Art. 2 Abs. 2 GG spezielle verfahrensmäßige Sicherungen gegen die besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen, die sich ergeben, wenn über die Anordnung einer Zwangsbehandlung außerhalb akuter Notfälle allein die jeweilige Unterbringungseinrichtung entscheidet. Hierzu bedarf es einer vorausgehenden Prüfung der Maßnahme durch Dritte in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung (vgl. BVerfGE 128, 282 <315 ff.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <141 f. Rn. 71>).

34

cc) Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen darüber hinaus materielle Anforderungen an die Rechtsgrundlage. Die Vorschrift muss den Zweck oder die Zwecke, die einen Eingriff rechtfertigen sollen, abschließend bestimmen (vgl. BVerfGE 133, 112 <137 Rn. 64>). Eine gesetzliche Grundlage zur Durchführung der Zwangsbehandlung muss ferner festlegen, dass eine solche nur durchgeführt werden darf, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg verspricht (vgl. BVerfGE 128, 282 <309>). Überdies darf eine medizinische Zwangsbehandlung nur als letztes Mittel vorgesehen sein, wenn mildere Mittel nicht in Betracht kommen (vgl. BVerfGE 128, 282 <309> m.w.N.). Für eine medikamentöse Zwangsbehandlung zur Erreichung des Ziels, die Unterbringung möglichst bald zu beenden und so die persönliche Freiheit wiederzuerlangen, bedeutet dies erstens, dass eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos sein muss (vgl. BVerfGE 128, 282 <309>). Zweitens muss der Zwangsbehandlung, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgegangen sein, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erlangen (vgl. BVerfGE 128, 282 <309 f.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <139 Rn. 69>). Über die Erfordernisse der Geeignetheit und Erforderlichkeit hinaus ist Voraussetzung für die Rechtfertigung einer Zwangsbehandlung, dass sie für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden ist, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Die Angemessenheit ist nur gewahrt, wenn, unter Berücksichtigung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten, der zu erwartende Nutzen der Behandlung den möglichen Schaden der Nichtbehandlung überwiegt (vgl. BVerfGE 128, 282 <310 f.>). Im Hinblick auf die bestehenden Prognoseunsicherheiten und sonstigen methodischen Schwierigkeiten des hierfür erforderlichen Vergleichs trifft es die grundrechtlichen Anforderungen, wenn in medizinischen Fachkreisen ein deutlich feststellbares Überwiegen des Nutzens gefordert wird (BVerfGE 128, 282 <311> m.w.N.).

35

c) Diese - zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug entwickelten - Maßgaben sind auf die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zu übertragen (vgl. BVerfGK 19, 286 <288> unter Bezugnahme auf BVerfGE 128, 282; zur Übertragbarkeit vgl. LG Darmstadt, Beschluss vom 19. Dezember 2011 - 5 T 646/11 -, juris, Rn. 39 ff.; LG Verden, Beschluss vom 3. Dezember 2012 - 1 T 163/12 -, juris, Rn. 10; LG Berlin, Urteil vom 28. Januar 2015 - 86 O 88/14 -, juris, Rn. 53 ff.; Olzen/Metzmacher, BtPrax 2011, S. 233 <235 f.>; Dodegge, NJW 2012, S. 3694 <3697>; Diener, Patientenverfügungen psychisch kranker Personen und fürsorglicher Zwang, 2013, S. 193 ff.; Henking/Mittag, JR 2013, S. 341 <342>; Henking/Mittag, BtPrax 2014, S. 115 f.; Budde, in: Keidel, FamFG, 19. Auflage 2017, § 312 Rn. 9). Ihre Übertragbarkeit auf die öffentlich-rechtliche Unterbringung ist bereits in früheren Entscheidungen des Senats zur medizinischen Zwangsbehandlung angelegt. Die Beschlüsse zur Zwangsbehandlung in Baden-Württemberg (BVerfGE 129, 269) und in Sachsen (BVerfGE 133, 112) sind zwar im Hinblick auf im Maßregelvollzug Untergebrachte ergangen, der Anwendungsbereich der für verfassungswidrig erklärten Gesetze betraf jedoch sowohl Personen in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung als auch solche im Maßregelvollzug (vgl. den mittlerweile außer Kraft getretenen § 15 Abs. 1 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (UBG BW) vom 2. Dezember 1991, GBl S. 794, zuletzt geändert durch Art. 9 des Vierten Gesetzes zur Bereinigung des baden-württembergischen Landesrechts vom 4. Mai 2009, GBl S. 195, 199, BVerfGE 129, 269 <271>; vgl. ferner § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 38 Abs. 1 Satz 2 des sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten (SächsPsychKG) vom 10. Oktober 2007, SächsGVBl S. 422, BVerfGE 133, 112 <114>). Für die Übertragbarkeit dieser Maßgaben auf die medizinische Zwangsbehandlung in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung fällt entscheidend ins Gewicht, dass es im Hinblick auf den Umfang des Grundrechtsschutzes keinen Unterschied macht, auf welcher Rechtsgrundlage sich der Betroffene in der Unterbringung befindet. Der Schutzstandard für die Zwangsbehandlung muss in allen Fällen gleich hoch sein (vgl. bereits zur Übertragung der zum Maßregelvollzug entwickelten Maßstäbe auf eine Zwangsbehandlung im Rahmen der betreuungsrechtlichen Unterbringung BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2012 - XII ZB 99/12 -, BGHZ 193, 337 <346 Rn. 25 ff.> sowie XII ZB 130/12, juris, Rn. 28 ff.; vgl. ferner BVerfGE 142, 313 <343 f.>). Die Auffassung, dass die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht für die Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug entwickelt hat, auf die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zu übertragen sind, findet sich im Übrigen auch in den Gesetzgebungsmaterialien zu der Überarbeitung der Landesgesetze über die öffentlich-rechtliche Unterbringung. Die Gesetzentwürfe verweisen stets auf die Notwendigkeit einer Neuregelung, weil Anpassungsbedarf im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung bestehe. Dies gilt auch dann, wenn der Maßregelvollzug und die öffentlich-rechtliche Unterbringung in verschiedenen Gesetzen geregelt werden (vgl. etwa die Gesetzentwürfe für Nordrhein-Westfalen LTDrucks 16/12068, S. 27, 30 ff. oder für Hessen LTDrucks 19/3744, S. 1, 26).

36

3. Nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäben verletzt die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts die Beschwerdeführerin bereits deshalb in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, weil es für die Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin, die durch das Gericht als rechtmäßig bestätigt wurde, an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt. § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar und nichtig.

37

a) § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V wird den sich aus den Grundrechten ergebenden Anforderungen in Bezug auf das Verfahren der Behörden und Gerichte nicht gerecht, auf deren Einhaltung der in einer geschlossenen Einrichtung Untergebrachte, der einer Zwangsbehandlung unterzogen werden soll, jedoch in besonders hohem Maße angewiesen ist (vgl. BVerfGE 128, 282 <311>).

38

aa) Anders als es etwa § 22 Abs. 3 Satz 1 PsychKG M-V für die Anordnung und Überwachung besonderer Sicherungsmaßnahmen vorsieht, enthält die angegriffene Norm entgegen der verfassungsrechtlichen Vorgabe (vgl. BVerfGE 128, 282 <313>; 129, 269 <283>; 133, 112 <138 Rn. 67>) keine Regelung dazu, dass die Anordnung und Überwachung der medizinischen Zwangsbehandlung durch einen Arzt erfolgen muss.

39

bb) Die Vorschrift erfüllt zudem die sich aus dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebende verfahrensmäßige Vorgabe nicht, dass dem Eingriff eine von der Unterbringungseinrichtung unabhängige Prüfung vorausgehen muss (vgl. BVerfGE 128, 282 <315 ff.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <141 Rn. 71>). Nicht ausreichend ist der Schutz, den die Besuchskommission bieten kann, die nach § 31 Abs. 1 Satz 1 PsychKG M-V jedenfalls einmal jährlich die Einrichtungen besucht und kontrolliert. Zwar hat sie den gesetzlichen Auftrag, die Einhaltung der Patientenrechte zu überprüfen, sie untersucht aber nicht im Vorfeld jeder Zwangsbehandlung deren Rechtmäßigkeit, sondern kann in der Regel lediglich im Nachhinein über durchgeführte Zwangsbehandlungen an den Landtag berichten. Ferner verfügt die Kommission nicht über die Kompetenz, eine anstehende Zwangsbehandlung zu verhindern.

40

b) § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V erfüllt auch die aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit resultierenden materiellen Anforderungen an eine medizinische Zwangsbehandlung nicht.

41

aa) Zum einen fehlt es an der abschließenden Bestimmung des Zwecks oder der Zwecke, die den Eingriff rechtfertigen sollen, und damit an der Ausscheidung von Zwecken, die einen Eingriff prinzipiell nicht zu rechtfertigen geeignet sind (vgl. BVerfGE 133, 112 <137 Rn. 64>). Aus § 12 PsychKG M-V ergeben sich lediglich die Ziele, welche zur Rechtfertigung der Unterbringung selbst geeignet sind. Ob diese Zielvorgaben auf die Zwangsbehandlung zu übertragen beziehungsweise ob sie abschließend sind, lässt sich dem Gesetz jedoch nicht entnehmen.

42

bb) Zum anderen ist dem Erfordernis, die weiteren aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitenden Anforderungen einer Zwangsbehandlung gesetzlich zu konkretisieren, nicht genügt worden. Voraussetzung der Zulässigkeit für nicht unter § 23 Abs. 3 PsychKG M-V fallende Maßnahmen der Zwangsbehandlung (Behandlungen, die die Persönlichkeit des Betroffenen dauerhaft in ihrem Kernbereich ändern würden) ist nach § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V allein, dass sie nicht mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit des Betroffenen verbunden sind. Auch § 21 Satz 2 PsychKG M-V, der bestimmt, dass dem Betroffenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Einrichtung oder zum Schutz anderer Betroffener unerlässlich sind, stellt keine hinreichende gesetzliche Grundlage dar. Diese Vorgabe benennt zwar Aspekte der Verhältnismäßigkeit, legt aber keine ausreichend spezifischen Voraussetzungen für die Zwangsbehandlung fest und ist damit zu allgemein gehalten, um eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Schranke bilden zu können. Es fehlt insbesondere an einer angemessenen Regelung des - unabhängig von der Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen bestehenden - Erfordernisses des vorherigen Bemühens um eine auf Vertrauen gegründete, im Rechtssinne freiwillige Zustimmung (vgl. BVerfGE 128, 282 <309 f.>; 129, 269 <283>; 133, 112 <139 Rn. 69>). Das Psychischkrankengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern in der hier einschlägigen Fassung enthält lediglich Vorgaben zur Information des Patienten über die beabsichtigte Vorgehensweise bei der Behandlung. § 23 Abs. 1 Satz 5 PsychKG M-V bestimmt, dass der Behandlungsplan mit dem Betroffenen erörtert werden soll. Auch § 44 Abs. 1 Satz 1, 2 PsychKG M-V verlangt lediglich in allgemeiner Form eine Erläuterung von Entscheidungen und Anordnungen im Rahmen der Unterbringung.

43

4. Die Frage, ob § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 PsychKG M-V, der eine sofortige Zwangsbehandlung zur Verhinderung einer erheblichen und unmittelbaren Gefahr für Leben oder Gesundheit der kranken Person oder Dritter betrifft, verfassungsgemäß ist, braucht für die hier vorliegende Konstellation nicht entschieden zu werden, weil der angegriffene Beschluss nicht auf diese Alternative gestützt ist.

44

5. Angesichts der Mängel der gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann ferner offen bleiben, ob die amtsgerichtliche Entscheidung den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch in weiterer Hinsicht nicht genügt. Festzuhalten ist jedoch, dass es zunächst Sache der Fachgerichte ist, auf Anträge von Untergebrachten hin, die sich gegen eine Zwangsbehandlung richten, auch die Vereinbarkeit der jeweils herangezogenen landesrechtlichen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz zu prüfen, gegebenenfalls vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren und bei negativem Ausgang der Prüfung die Sache im Verfahren der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen (vgl. BVerfGK 19, 286 <287> m.w.N.). Die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann von den Fachgerichten überdies von Amts wegen - unabhängig von einer entsprechenden Rüge des jeweiligen Klägers - zu prüfen sein (vgl. BVerfGE 129, 269 <279>; BVerfGK 19, 286 <287> m.w.N.). Zwar kann von den Fachgerichten nicht verlangt werden, rügeunabhängig oder unabhängig von näherer Substantiierung ein Gesetz ins Blaue hinein auf nicht offen zutage tretende verfassungsrechtliche Fehler zu prüfen (vgl. BVerfGK 19, 286 <287 f.> m.w.N.). Nachdem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die wesentlichen Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung jedoch geklärt sind (vgl. BVerfGE 128, 282; 129, 269; 133, 112), muss von den Fachgerichten aber erwartet werden, dass sie diese bei Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung von Untergebrachten betreffen, von Amts wegen im Auge behalten und entsprechend verfahren (vgl. BVerfGK 19, 286 <288>). Dies gilt insbesondere deshalb, weil auch sechs Jahre nach der ersten Entscheidung des Zweiten Senats zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (vgl. BVerfGE 128, 282) noch nicht alle Länder die Eingriffsgrundlage für die medizinische Zwangsbehandlung in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angepasst haben.

C. - I.

45

Die Verfassungswidrigkeit der Regelung in § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V führt zur nachträglichen Feststellung der Nichtigkeit dieses Teils der Vorschrift. § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 PsychKG M-V stellt mit Blick auf § 23 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 einen abtrennbaren Teil der Vorschrift dar, dem eine unabhängige, selbstständige Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 112, 255; 128, 282 <321> m.w.N.). Über die Verfassungsmäßigkeit der novellierten Vorschrift (§ 26 PsychKG M-V n.F.) war hier nicht zu befinden.

II.

46

Die angegriffene Gerichtsentscheidung, die die Beschwerdeführerin mangels ausreichender gesetzlicher Grundlage in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt, ist aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Wegen der Besonderheit des Falles wird von einer Zurückverweisung abgesehen, weil für eine Entscheidung des Fachgerichts kein Spielraum mehr verbleibt. Das Amtsgericht könnte somit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur wiederholen (vgl. BVerfGE 35, 202 <244>; 79, 69 <79>).

III.

47

Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Die Vorschriften über die Strafvollstreckung gelten für die Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) § 453 gilt auch für die nach den §§ 68a bis 68d des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen.

(3) § 454 Abs. 1, 3 und 4 gilt auch für die nach § 67c Abs. 1, § 67d Abs. 2 und 3, § 67e Abs. 3, den §§ 68e, 68f Abs. 2 und § 72 Abs. 3 des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen. In den Fällen des § 68e des Strafgesetzbuches bedarf es einer mündlichen Anhörung des Verurteilten nicht. § 454 Abs. 2 findet in den Fällen des § 67d Absatz 2 und 3 und des § 72 Absatz 3 des Strafgesetzbuches unabhängig von den dort genannten Straftaten sowie bei Prüfung der Voraussetzungen des § 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches auch unabhängig davon, ob das Gericht eine Aussetzung erwägt, entsprechende Anwendung, soweit das Gericht über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden hat; im Übrigen findet § 454 Abs. 2 bei den dort genannten Straftaten Anwendung. Zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 67d Abs. 3 des Strafgesetzbuches sowie der nachfolgenden Entscheidungen nach § 67d Abs. 2 des Strafgesetzbuches hat das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen namentlich zu der Frage einzuholen, ob von dem Verurteilten weiterhin erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden, bestellt das Gericht dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, rechtzeitig vor einer Entscheidung nach § 67c Absatz 1 des Strafgesetzbuches einen Verteidiger.

(4) Im Rahmen der Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 des Strafgesetzbuches) nach § 67e des Strafgesetzbuches ist eine gutachterliche Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung einzuholen, in der der Verurteilte untergebracht ist. Das Gericht soll nach jeweils drei Jahren, ab einer Dauer der Unterbringung von sechs Jahren nach jeweils zwei Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen. Der Sachverständige darf weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen sein noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeiten, in dem sich die untergebrachte Person befindet, noch soll er das letzte Gutachten bei einer vorangegangenen Überprüfung erstellt haben. Der Sachverständige, der für das erste Gutachten im Rahmen einer Überprüfung der Unterbringung herangezogen wird, soll auch nicht das Gutachten in dem Verfahren erstellt haben, in dem die Unterbringung oder deren späterer Vollzug angeordnet worden ist. Mit der Begutachtung sollen nur ärztliche oder psychologische Sachverständige beauftragt werden, die über forensisch-psychiatrische Sachkunde und Erfahrung verfügen. Dem Sachverständigen ist Einsicht in die Patientendaten des Krankenhauses über die untergebrachte Person zu gewähren. § 454 Abs. 2 gilt entsprechend. Der untergebrachten Person, die keinen Verteidiger hat, bestellt das Gericht für die Überprüfung der Unterbringung, bei der nach Satz 2 das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden soll, einen Verteidiger.

(5) § 455 Abs. 1 ist nicht anzuwenden, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet ist. Ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden und verfällt der Verurteilte in Geisteskrankheit, so kann die Vollstreckung der Maßregel aufgeschoben werden. § 456 ist nicht anzuwenden, wenn die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet ist.

(6) § 462 gilt auch für die nach § 67 Absatz 3, 5 Satz 2 und Absatz 6, den §§ 67a und 67c Abs. 2, § 67d Abs. 5 und 6, den §§ 67g, 67h und 69a Abs. 7 sowie den §§ 70a und 70b des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen. In den Fällen des § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches ist der Verurteilte mündlich zu hören. Das Gericht erklärt die Anordnung von Maßnahmen nach § 67h Abs. 1 Satz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs für sofort vollziehbar, wenn erhebliche rechtswidrige Taten des Verurteilten drohen.

(7) Für die Anwendung des § 462a Abs. 1 steht die Führungsaufsicht in den Fällen des § 67c Abs. 1, des § 67d Abs. 2 bis 6 und des § 68f des Strafgesetzbuches der Aussetzung eines Strafrestes gleich.

(8) Wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollstreckt, bestellt das Gericht dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, für die Verfahren über die auf dem Gebiet der Vollstreckung zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen einen Verteidiger. Die Bestellung hat rechtzeitig vor der ersten gerichtlichen Entscheidung zu erfolgen und gilt auch für jedes weitere Verfahren, solange die Bestellung nicht aufgehoben wird.

(1) Das Gericht kann jederzeit prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist. Es muß dies vor Ablauf bestimmter Fristen prüfen.

(2) Die Fristen betragen bei der Unterbringung
in einer Entziehungsanstalt sechs Monate,
in einem psychiatrischen Krankenhaus ein Jahr,
in der Sicherungsverwahrung ein Jahr, nach dem Vollzug von zehn Jahren der Unterbringung neun Monate.

(3) Das Gericht kann die Fristen kürzen. Es kann im Rahmen der gesetzlichen Prüfungsfristen auch Fristen festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag auf Prüfung unzulässig ist.

(4) Die Fristen laufen vom Beginn der Unterbringung an. Lehnt das Gericht die Aussetzung oder Erledigungserklärung ab, so beginnen die Fristen mit der Entscheidung von neuem.