Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 09. März 2017 - 2 Sa 440/16

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2017:0309.2Sa440.16.00
bei uns veröffentlicht am09.03.2017

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 30.08.2016 - 8 Ca 533/16 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 2.500,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.07.2016 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 13/20 und die Beklagte zu 7/20.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Rahmen der von der Klägerin erhobenen Kündigungsschutzklage darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht. Weiterhin nimmt die Klägerin die Beklagte auf Zahlung einer Entschädigung wegen einer behinderungsbezogenen Benachteiligung in Anspruch.

2

Die Beklagte betreibt deutschlandweit mehrere Schulen zur Ausbildung u. a. von Heilpraktikern. Zur Durchführung des Unterrichts greift die Beklagte auf einen Dozentenstamm von ca. 2.000 Dozenten zurück. Die Gliederung der Ausbildung in den durch die Beklagte betriebenen Schulen richtet sich nach den von ihr erstellten Lehrplänen, in denen die Einzellehrveranstaltungen, die durch Dozenten abgehalten werden, für das gesamte Kalenderjahr im Voraus festgelegt sind. Die Zuordnung der einzelnen Lehrveranstaltungen erfolgt dergestalt, dass die im Dozentenportal der Beklagten registrierten Dozenten die für das Kalenderjahr im Voraus erstellten Lehrpläne im Online-Portal einsehen und sich darüber für entsprechende Kurse oder Seminare zu dem jeweils genannten Thema an einem bestimmten Kursort zu den angegebenen Terminen nach ihrer Wahl anmelden können. Die Aufträge zur Durchführung der von den Dozenten ausgewählten Lehrveranstaltungen werden durch die Beklagte erteilt.

3

Die Klägerin, die eine eigene Praxis als Heilpraktikerin betreibt, war seit August 2004 bei der Beklagten als Dozentin auf der Grundlage der von beiden Parteien unter dem 30. August 2004 unterzeichneten und im November 2011 einvernehmlich geänderten "Geschäftsbedingungen für Dozenturen an den C. Schulen für Naturheilverfahren GmbH" tätig, die auszugsweise folgenden Inhalt haben:

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"Ihr Partner: Die C. Schulen wurden 1976 gegründet und sind die mit weitem Abstand größte Institution für die Ausbildung von Heilpraktikern, Psychologischen Beratern und Tierheilpraktikern. 53 Schulen betreibt das Institut in der BRD und Schweiz. Rund 5000 Studierende melden sich pro Jahr zu den Ausbildungsmaßnahmen an. Die Zentralverwaltung der Schulen befindet sich in C-Stadt. Dort werden die notwendigen Verwaltungsaufgaben abgewickelt. An den einzelnen Schulen sind Schulleiter eingesetzt, die für die Beratung von neuen Interessenten, die Beobachtung des ordnungsgemäßen Ablaufs und für die Studierendenbetreuung verantwortlich sind.
(…)

5

Lehraufträge werden grundsätzlich schriftlich durch unsere Abteilung Lehrgangsorganisation (LO) erteilt, und zwar in Form der Lehrauftragslisten, die vom Institut unterzeichnet sein müssen. Nur in Not- und absoluten Ausnahmefällen kann ein Studienleiter einmal ohne Rücksprache mit der Institutsleitung einen Lehrauftrag vergeben. In solchen Fällen gelten die sonst mit ihnen vereinbarten Vergütungsregelungen, und, sollten solche nicht getroffen worden sein, die Standardvergütungsregelungen dieser Geschäftsbedingungen (siehe Seite 4). Die Lehraufträge begründen kein lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis. Sämtliche vereinbarten Honorare und ggf. Nebenkosten sind Bruttobeträge und vom Empfänger selbst zu erklären und zu versteuern. Bei Einsatz in der Schweiz führt das Institut die vorgeschriebenen Steuern und Sozialabgaben entsprechend den eidgenössischen Vorschriften für Sie ab.
(…)

6

Klassenbuch: Liegt ein Klassenbuch aus, so müssen Sie dieses ebenfalls zu jedem Unterricht ausfüllen, die Richtigkeit Ihrer Angaben werden vom Schulleiter oder von einem Studierenden mit Kurzzeichen testiert.
(…)

7

Anwesenheitsliste: Ohne die Anwesenheitsliste können wir grundsätzlich keine Abrechnung vergüten, daher gehört es zu Ihren vertraglichen Nebenpflichten, die Liste den Teilnehmern vorzulegen und unbedingt von jedem die Anwesenheit eintragen zu lassen. Bitte auch die Matrikelnummern durch die Schüler eintragen lassen. Passen Sie auf die Liste auf, wenn sie im Umlauf ist, lassen sie unbedingt auch Nachzügler unterschreiben. Die Liste dient unter anderem zur Ermittlung der von der Schule zu entrichtenden Berufsgenossenschaftsbeiträge. Sie dient auch der Wirtschaftlichkeitskontrolle der Unterrichtsmaßnahme und dazu, Schwarzhörer aufzudecken.
(…)

8

Thema und Termin einhalten: Halten sie akribisch die vereinbarten Termine und Themenvorgaben ein. Ein Abweichen in der vom Institut geplanten Themenfolge ist in der Regel nicht möglich, da ein bestimmter Rhythmus und eine bestimmte Themenfolge die Funktion des Revolvingsystems, in welchem die meisten Ausbildungsprogramme des Instituts ablaufen, gewährleistet. Weichen Sie auch dann nicht vom Thema ab, wenn die Studierenden Sie dazu zu motivieren versuchen. Bei Abweichungen von dem vorgegebenen Lehrauftrag ist es wie in der Schule: Thema falsch interpretiert? Eine 6, auch wenn der Aufsatz zum falschen Thema noch so brillant ist. In unserem Falle: Es gibt bestimmt kein Honorar für das richtige Thema zur falschen Zeit oder für das falsche Thema zur richtigen Zeit.

9

Kündigungsregelungen Die Lehraufträge sind von beiden Seiten mit 1-monatiger Frist kündbar. Wegen der weitreichenden Folgen eines ausgefallenen Unterrichts für Schüler und Institut müssen Kündigungen laufender Lehrverträge so terminiert werden, dass das Institut ausreichend Zeit und Gelegenheit hat, die Veranstaltung neu zu besetzen. Ansonsten kann natürlich aus wichtigem Grund jederzeit gekündigt werden. Von Seiten der Institutsleitung könnte zum Beispiel als wichtiger Kündigungsgrund gelten, wenn Sie Negativaussagen über das Institut, das von uns vertretene Lehrziel, die von uns vertretenen Lehrmethoden vor Studierenden oder in der Öffentlichkeit machen, wenn sie wiederholt fahrlässig zu spät den Unterricht antreten, wenn Sie unauthorisiert Werbung für eigene Lehrveranstaltungen - Lehrmittel oder solche Dritter machen, Waren und Dienstleistungen anpreisen. Vor allem aber riskieren Sie die fristlose Kündigung mit Schadensersatzfolgen bei Schlechterfüllung. Des weiteren gilt: Vorstrafen über 12 Monate und laufende strafrechtliche Verfahren (mit Ausnahme Verkehrsstrafrecht) sowie dozenturbehindernde Erkrankungen (z. B. Suchtkrankheiten, dauernd ansteckende Krankheiten - Dauerausscheider) sind dem Institut vor Vertragsabschluss -sowie während der Vertragslaufzeit- unverzüglich anzuzeigen. Eine Vertragsstrafe von 2.500,-- Euro pro Verstoßfall gegen diese Regelung gilt als vereinbart. Das Institut kann im Verstoßfall alle bestehenden Lehraufträge fristlos kündigen.
(…)

10

Unterrichtsausfall. Die gleichen Folgen hat natürlich auch der Fall eines von Ihnen verschuldeten Unterrichtsausfalles. (Für unverschuldeten Ausfall wollen wir Sie natürlich nicht haftbar machen: Unfall, massive beweisbare Verkehrsbehinderung, krankheitsbedingter Ausfall, Notfalleinsatz beim Arzt. Solche Fälle kommen vor, und wir, wie auch die Studierenden haben dafür Verständnis). Wir wissen aber, dass im Leben auch sonst einmal etwas anders kommen kann, als man es geplant hat, und deshalb können Sie einen vereinbarten Termin absagen, wenn Sie ausreichend Gelegenheit geben, den Unterricht anderweitig zu besetzen. Dies ist anzunehmen bei Absagen bis 14 Tage vor dem planten Termin. So hat das Institut Gelegenheit für Ersatz zu sorgen. Bis 5 Tage vor einem Termin können Sie folgenlos absagen, wenn Sie einen geeigneten Ersatz aus den Reihen der Ihnen bekannten DPS Dozenten zu den gleichen Honorarkonditionen und Kostensparend benennen. Bei kurzfristigeren Absagen müssen Sie ggf. die Differenzkosten tragen für einen vom Institut gestellten Ersatzdozenten (dies könnten u. Umständen Reisekosten und Übernachtung sein). Kann vom Institut kein Ersatzdozent gefunden werden, so kostet Sie dies eine Vertragsstrafe in zweifacher Höhe des vereinbarten Honorars. Die dreifache Höhe wird als Vertragsstrafe -unbeschadet eines weiteren entstandenen Schadens- fällig, wenn Sie fahrlässig und unentschuldigt einen Termin nicht wahrnehmen und dadurch Betriebsstörungen entstehen. Im Übrigen behält sich das Institut bei Absagen oder Ausfall von Unterricht durch den Dozenten stets vor, die verbleibenden Lehraufträge zu stornieren!

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Deshalb bitten wir Sie im Voraus, diese Notbremse auch wirklich nur im Notfall zu benutzen, sie bringt allen Beteiligten vermeidbaren Stress. Die Lehraufträge sind ohne Zustimmung der Lehrgangsorganisation nicht übertragbar, sondern auf Ihre Person bezogen. Findet trotzdem einmal ein Nottausch statt, so ist das Institut unverzüglich zu informieren, und das Institut befindet nach Lage der Dinge, ob und in welcher Höhe das Honorar an die Ersatzperson ausgeschüttet werden kann. Bei gleicher Qualifikation und Akzeptanz durch die Studierenden, werden wir in der Regel das Honorar ohne Abzug ausschütten. Sie sehen, dass Sie keine existenzgefährdenden Risiken zu tragen haben, und wir sind stets an menschlichen Lösungen und an langfristigen Partnerschaften interessiert, müssen uns aber vor Missbrauch schützen.

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Konkurrenzklausel und Vertrauensschutz: Wollen sie gleichzeitig bei einem Mitbewerber unterrichten, so müssen Sie C. davon vorher Mitteilung machen. C. behält sich dann vor, den vorliegenden Vertrag zu kündigen oder das Parallelverhältnis zu akzeptieren. Hierdurch entstehender Schaden für ggf. notwendigen Ersatz des Dozenten zu höheren Kosten trägt dann der Dozent. Von solchem Schadensersatz wird regelmäßig abgesehen, wenn die Benachrichtigung spätestens 10 Wochen vor dem nächsten geplanten Einsatz bei C. erfolgt. Wir möchten dringend vermeiden, dass interne Informationen auf diesem Wege an Mitbewerber gelangen, oder dass Abwerbungen von Schülern oder Studieninteressenten ermöglicht werden. Ohne schriftliche Absprache mit der LO dürfen auch keine Zusatzleistungen (z. B. gesondert zu bezahlende Skripten, Lehrbücher etc. Sonderkurze etc.) auf eigene Rechnung, oder auf Rechnung Dritter, den Schülern der DPS angeboten werden. Hier müssen wir uns besonders auf Sie verlassen können. Für Verstöße gilt eine Vertragsstrafe von 2500,-- EURO pro Verstoßfall als vereinbart. Vor allem aber riskieren Sie die fristlose Kündigung mit Schadensersatzfolgen.

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Unter besonderen Vertrauensschutz müssen wir auch unser Kundenpotential stellen. Es ist Ihnen bei Meidung einer Vertragsstrafe von 2500 EURO für jeden einzelnen Fall des Verstoßes verboten, die Schülerkontakte, die ihnen der Lehrauftrag ermöglicht, für eigene Rechnung oder für Rechnung Dritter zu nutzen, Adressen und persönlichen Daten für eigene geschäftliche Interessen oder für die geschäftlichen Interessen gleich welcher Art von Dritten zu nutzen, zu sammeln oder weiterzugeben. Im seltenen Falle von denkbarem fehlenden Konsens oder gar Differenzen zwischen dem Institut und Ihnen, welcher Art auch immer, müssen Sie absolut der Versuchung widerstehen, diese mit Studierenden oder vor Studierenden des Instituts zu besprechen. Ebenso sind Informationen über Honorare, Kosten, Zahlungsabwicklung, oder etwa die Konditionen dieser allgemeinen Geschäftsbedingungen für DPS Dozenturen oder andere Ebenen der vertraglichen Beziehung zwischen uns und Ihnen kein Thema zur Erörterung mit den Studierenden, Mitdozenten etc. Auch für Verstöße gegen diese Regelung müssen Sie eine Vertragsstrafe von EURO 2500,-- pro Verstoßfall und betroffenem Studierenden akzeptieren. Das Institut bezieht die Mittel für die Bereitstellung seiner Leistungen alleine und ausschließlich von seinen Kunden, den Studierenden, und daher ist jeder potentiell nachteilige Eingriff in diese sensible Beziehungssphäre außerordentlich unerwünscht. Aber wir sind sicher, dass Sie dies ohnehin verstehen und akzeptieren.

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Honorarvereinbarung: Soweit nicht ausdrücklich andere Honorare vereinbart sind, werden für Einsatz in Vollzeitmaßnahmen sowie Tageskursen bis zu EURO 22,-/UST angesetzt, für Abend- und Wochenendmaßnahmen bis zu EURO 25,-/UST, je nach Qualifikation des Dozenten. Für Probeunterrichte zahlen wir EURO 15,-/UST, so lange nicht die Bewertung 4 von 6 möglichen Bewertungspunkten erreicht werden.

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Fahrtkostenerstattung: In der Regel vergüten wir die Kosten für die 2. Klasse Bahnfahrt. Bei häufigem Einsatz erstattet das Institut -nach Prüfung- die Kosten der Bahncard bzw., des schweizerischen Halbtaxabonnements oder des österr. Umwelttickets. Jedoch, für Anfahrten bis 30km einfach, werden keine Fahrtkosten erstattet und liegt die Gesamtfahrtstrecke über 300km, so erstatten wir lediglich die Maximalpauschale von 39,-- Euro. Diese Maximalpauschale gilt auch für Bahnfahrten. Höhere Ansätze sind nur in Ausnahmefällen und nach vorheriger Freigabe durch die Institutsleitung möglich.

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Sonstige Auslagen: Auch Übernachtungs- und Unterbringungskosten, soweit vermeidbar, sowie Kosten für Kopien usw. müssen zuvor mit dem Institut vereinbart werden.
(…)"

17

Aus ihrer Dozententätigkeit für die Beklagte erzielte die Klägerin durchschnittlich zuletzt zwischen ca. 500,-- bis 1.500,-- EUR monatlich. Wegen der zwischen den Parteien geführten E-Mail-Korrespondenz bezüglich der Dozententätigkeit wird auf die von der Klägerin vorgelegten E-Mail-Schreiben (Anlagen K1 - K19 zum Schriftsatz vom 20. Juni 2016 = Bl. 133 - 167 d. A.) verwiesen.

18

Von Seiten einer Schülerin wurde der Beklagten mitgeteilt, dass ein Zeitungsartikel der A.-Zeitung vom 28. Juli 2015 davon berichtet hatte, dass gegen die Klägerin ein strafrechtliches Verfahren vor dem A-Stadter Amtsgericht wegen Abrechnungsbetruges in 31 Fällen anhängig sei. Weiterhin heißt es in dem Artikel, dass die Klägerin bereits im November 2012 wegen Körperverletzung in 17 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt worden sei. Sie habe trotz ihrer Hepatitis-C-Infektion mit drei Männern ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt, ohne dass sie über ihre potenziell tödliche Erkrankung diese informiert habe.

19

Mit Schreiben vom 26. Januar 2016 (Bl. 22 d. A.), der Klägerin am 27. Januar 2016 zugegangen, teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie "alle Unterrichte ab einschließlich 28. Februar 2016 - unter Einhaltung der 1-monatigen Kündigungsfrist -" kündigen müsse.

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Gegen diese Kündigung hat sich die Klägerin mit ihrer am 17. Februar 2016 beim Arbeitsgericht Koblenz eingegangenen Kündigungsschutzklage gewandt und vorgetragen, dass sie als Dozentin persönlich und wirtschaftlich von der Beklagten abhängig gewesen sei und daher das Vertragsverhältnis der Parteien als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren sei. Darüber hinaus hat sie mit ihrer Klageerweiterung vom 20. Juni 2016 die Beklagte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes mit der Begründung in Anspruch genommen, dass diese nach den Ausführungen in der Klageerwiderung ihr wegen einer angenommenen Hepatitis-C-Erkrankung als einer Behinderung i.S.d. § 1 AGG gekündigt habe.

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Wegen des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 30. August 2016 - 8 Ca 533/16 - und ergänzend auf die erstinstanzlich eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

22

Die Klägerin hat beantragt,

23

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 26. Januar 2016, zugegangen am 27. Januar 2016, nicht zum 28. Februar 2016 aufgelöst wird, sondern darüber hinaus fortbesteht,

24

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

25

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

27

Mit seinem am 30. August 2016 verkündeten Urteil - 8 Ca 533/16 - hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.

28

Gegen das ihr am 08. September 2016 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2016, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag (Montag) eingegangen, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2016, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 08. November 2016 eingegangen, begründet.

29

Sie trägt vor, entgegen der Begründung des Arbeitsgerichts sei sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände als Arbeitnehmerin zu klassifizieren. Sie sei in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht frei, sondern weisungsgebunden sowie einer eigens eingerichteten Personalabteilung untergeordnet und wie ein gewöhnlicher Arbeitnehmer in den betrieblichen Ablauf eingegliedert gewesen. Die Beklagte habe auch einen "normalen Schulbetrieb" und bezeichne sich als Hochschule mit "Campus" und "Studiengängen", so dass auch ein neutraler Dritter davon ausgehe, dass die Dozenten bei der Beklagten angestellt seien. Sie habe "ihre" Kurse, für die sie sich im Online-Portal registriert habe, immer erneut von der Beklagten zugewiesen bekommen. Bei Krankheit oder sonstigen Ausfällen anderer Dozenten werde man direkt mündlich gefragt, ob man den Unterricht übernehmen könne. Bei Bejahung komme die Bestätigung dann auch per E-Mail. Kurse dürften durch den Dozenten nicht verlegt, abgesagt oder "nachgeholt" werden. Die im Portal einsehbaren Schwerpunkte des Themas für eine Unterrichtseinheit würden von der Beklagten einseitig vorgegeben. Es existiere ein "Prüfungstrainer", der den Dozenten anhand von möglichen Prüfungsfragen helfe, den Vorlesungsinhalt zu überprüfen, und für eine Einheit der Kursinhalte sorge. Die Beklagte gebe mithin den gesamten Inhalt der Vorlesungen vor und auch die Art und Weise der Wissensvermittlung sowie der Lehrmethoden, was auch die Fallstudien, das Curriculum zu den Fallstudien und die Freiheit der gewählten Lehrmethoden zeigten. Gerade dieses Kriterium sei aber bei Dozenten das zentrale Abgrenzungskriterium. Die Dozenten hätten in den von der Beklagten unterhaltenen eigenen Gebäuden bzw. Räumen den Unterricht wie ein "normaler" Lehrer im Rahmen einer festen schulischen Einrichtung zu halten. Aufgrund der Vereinheitlichung von Lehrmethoden, Lehrinhalten und Themen könne jeder Schüler in ganz Deutschland die jeweiligen Kurse der Beklagten in einer anderen Stadt unproblematisch besuchen. Sie habe kein eigenes wirtschaftliches Risiko, weil sie lediglich und alleine ihre auch privat genutzten Unterlagen (Bücher, Laptop) einbringe. Im Übrigen stelle die Beklagte für die Durchführung der Arbeitstätigkeit alle für den Unterricht relevanten Gegenstände und Utensilien wie Beamer, Tafel, Projektor, Flipchart, TV, Skelett, Torsos und Bildertafeln zur Verfügung. Bei der Beklagten gebe es einen Unterrichtsplan, die Beklagte bezeichne ihre Schüler selbst als "Studenten", die einen "Studentenausweis" hätten. Falls sie erkrankt sei, werde die Ersatzkraft von der Beklagten besorgt und bezahlt. Es sei einer selbständigen Beschäftigung völlig fremd, dass nach Maßgabe der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen befindlichen Konkurrenzschutz- und Wettbewerbsklausel keine Konkurrenztätigkeiten ausgeübt werden dürften. Darin unterscheide sich die Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses auch vehement von "echten" freien Mitarbeiterverträgen, bei denen es keine Seltenheit sei, dass Hochschuldozenten Lehrbeauftragte für verschiedene Einrichtungen, Vereine und Häuser seien. Das werde hier aber gerade nicht gewünscht und sogar verhindert. Zudem sei sie zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet gewesen und habe den Unterricht nicht durch eine Vertretung halten dürfen, was einem freien Mitarbeiterverhältnis fremd sei. Am 06. Oktober 2014 sei eine E-Mail an alle Dozenten gegangen, in der Anforderungen und Vorgaben zum Unterricht erteilt und dargestellt worden seien. Ausweislich der E-Mail vom 13. Oktober 2014 plane die Beklagte auch genau, wem sie welchen Auftrag erteile, indem sie mitteile, dass sie "die Anatomie ungern mit unterschiedlichen Dozenten besetzen würde". Die "AGB" der Beklagten würden gerade und auch ausschließlich die typischen Vereinbarungen beinhalten, die ein Arbeitsvertrag mit einem Arbeitnehmer typischerweise zur Regelung des Arbeitsverhältnisses aufweise. Aus dem E-Mail-Verkehr vom 14. Oktober 2014 werde ersichtlich, dass sie bei Verhinderung diese lediglich der Beklagten habe anzeigen müssen, die dann wiederum selbst für Ersatz oder Umplanung der Unterrichtseinheiten eigenständig und eigenverantwortlich zuständig gewesen sei. Auch mit E-Mail vom 26. November 2014 sei wieder das Unterrichtskonzept zentral durch die Lehrgangsorganisation für alle Dozenten abgeändert und den Dozenten vorgegeben worden, was und wie unterrichtet werden solle. Zudem hätten sich die Dozenten erneut in einem "Dozentenportal" einzuloggen und vorgegebene Themen auszuwählen. Ein abgehandeltes Thema bleibe dann für 24 Monate gesperrt, damit es nicht wiederholt werden könne. Dem Dozenten verbleibe also keine Freiheit und sogar die Themenbeispiele zur Wissensvermittlung, also der wesentliche Kern der Lehrtätigkeit, sei vorgegeben. Mit E-Mail vom 17. Februar 2015 sei ein "Curriculum" zu einem von ihr durchgeführten Thema vorgestellt und somit der Inhalt des Lehrplans vorgegeben worden. Ihre Arbeiten und ihre Vergütung seien nicht erfolgsabhängig gewesen, sondern als unternehmerisches Risiko auf die Beklagte übergegangen. So sei zum Teil Unterricht auch nur mit zwei Schülern gehalten worden, was per Weisungsrecht mitgeteilt und aufgegeben worden sei. Die Dozenten mit den verschiedenen Kursen seien so geplant worden, dass ein einheitliches Bild entstanden sei und alle Kurse für die Schüler angeboten werden könnten und sich auch nicht überschnitten hätten. Es sei ein Lehrplan und eine Lehrauftragsliste erstellt worden, in dem sich eine Aufstellung befunden habe. Die Lehrer seien daher in die betriebliche Organisation und Struktur der Beklagten eingegliedert und eingebunden. Die Beklagte habe Kurse von kündigenden Dozenten erst nach der Kündigung an andere Dozenten vergeben. Aus dem Lehrplan gemäß der E-Mail vom 25. August 2015 werde auch ersichtlich, dass von ihr unbezahlte Überstunden verlangt würden, was auch nur in einem echten Arbeitsverhältnis denkbar sei und jedenfalls eine sehr starke Ausprägung eines Weisungsrechts darstelle. Als offenbar nicht genug Dozenten Fallstudien im Portal hinterlegt hätten, sei eine neue E-Mail vom 27. Oktober 2015 zu dem Thema erfolgt, aus der hervorgehe, dass die Beklagte bestimmte Inhalte in dem Vertrag mit den Schülern versprochen habe und die Themenbereiche hätten abgedeckt werden müssen. Zudem hätten die Dozenten Organisatorisches für die Beklagte durchführen müssen, wie Anwesenheitslisten zu führen. Mit E-Mail vom 20. Januar 2016 sei dann erneut das Thema Fallstudien aufgegriffen und die Themen hierfür vorgegeben worden. Insbesondere das in den Geschäftsbedingungen beschriebene "Revolvingsystem" zeige, dass bei der Beklagten alles zentral laufe. Deswegen gebe es auch die Personalabteilung und Lehrgangsorganisation, die alles zentral regele. Die Themen und Unterrichtseinheiten seien den Lehrern vollständig vorgegeben. Die Konkurrenzklausel unterbinde eine andere Lehrtätigkeit, was ganz deutlich gegen eine freie Mitarbeiterschaft spreche. Soweit die Beklagte online "Leitbild- und Qualitätsziele" bereitstelle, werde darin die Eingliederung in die betriebliche Organisation, Überwachung, Weisungsrecht und Auftritt nach außen deutlich dargestellt. Für die Abgrenzung sei irrelevant, ob die Arbeit projektbezogen sei. Die Beklagte könne daher mit dem Vortrag, die Studien würden zu jedem Semester neu vergeben, nicht gehört werden. Daneben habe die Beklagte selbst dargelegt und im Internet veröffentlicht, dass grundsätzlich immer die gleichen Dozenten eingesetzt würden und bei ihr einen "Spitzenverdienst" haben könnten. Nicht gehört werden könne die Beklagte damit, dass ein Weisungsrecht fehle, weil man den Mitarbeitern nicht aufgeben könne, von einem auf den anderen Tag an einem anderen Standort zu unterrichten. Ohne Versetzungsklausel und nur im Rahmen des § 106 GewO sei eine solche Arbeitsanweisung/Versetzung generell bei Arbeitnehmern nicht bzw. jedenfalls nur in engen Grenzen und nicht ohne weiteres möglich. Es sei unstreitig, dass die Dozenten die Kurse bekommen hätten, wenn sie sie hätten haben wollen. Im Übrigen sei es ja gerade die Frage, ob die Beklagte einseitig Dozenten hätte ablehnen und Aufträge anders hätte verteilen dürfen oder dieser einen Anspruch gehabt hätte. Dies setze die Frage voraus, ob es sich um einen abhängigen Beschäftigten handele oder eben nur um einen echten freien Mitarbeiter, was aber nicht die feststehende Grundlage der Prüfung sei. Es handele sich bei der Argumentation des Arbeitsgerichts also um einen Zirkelschluss. Wenn man ein Weisungsrecht nicht ausübe, könne man nicht daraus schließen, dass es nicht vorliege. Wenn sie Arbeitnehmerin wäre, hätte die Beklagte dennoch nicht einseitig einfach nicht vertraglich vereinbarte Kurse übertragen dürfen, sondern wenn überhaupt auch nur im Rahmen des § 106 GewO, wobei es sich dann um Überstundenanordnungen und/oder Versetzungen handeln würde. Entgegen der Darstellung des Arbeitsgerichts sei sie in der Ausgestaltung der Wissensvermittlung nicht frei gewesen, weil ihr Vorgaben gemacht worden seien, welche Inhalte auf welche Art vermittelt werden müssten, die Beklagte hierzu die Arbeitsmittel gestellt habe und sie anhand des Unterrichtsplans habe unterrichten, Gasthörer habe akzeptieren und sich mit Lehrprogrammen der Beklagten den gewünschten Unterrichtsinhalt habe aneignen müssen. Es seien die zu nutzenden Lehrmittel vorgegeben, Unterrichtsmethoden verboten und die Dozenten aufgefordert worden, den Unterricht dem Prüfungstrainer anzupassen und die dortigen Fragen zu integrieren. Die geforderte Themenwahl sei "Voraussetzung für die Unterrichtsdurchführung" gewesen und sie dazu mehrfach angemahnt worden. Bereits verwandte Themen seien dann von der Beklagten "gesperrt" worden. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei bei der Abwägung der Gesamtumstände nach wie vor zu berücksichtigen, dass Räumlichkeiten und Betriebsmittel vorgegeben seien. Das sei insbesondere für das Merkmal des eigenen wirtschaftlichen/unternehmerischen Risikos von Bedeutung, dass sie aufgrund des Verhaltens der Beklagten gerade nicht gehabt habe. Entgegen den Ausführungen des Arbeitsgerichts sei zwischen den Parteien unstreitig, dass sie im Krankheitsfall ihre Verhinderung habe melden müssen und alles andere der Beklagten oblegen habe, die eine Vertretung organisiert und diese auch bezahlt habe. Auch wenn die Konkurrenzschutzklausel selbstverständlich nicht eine Tätigkeit als Heilpraktikerin beschränkt habe, worum es auch nicht gegangen sei, habe diese Klausel andere Tätigkeiten als Dozentin verhindert. Eine Konkurrenzklausel sei aber mit einer freien Tätigkeit schlicht nicht vereinbar, weil sie aufgrund eines vertraglichen Verbots mit der streitgegenständlichen Tätigkeit niemals für mehrere Auftraggeber tätig sein könne. Letztendlich habe das Arbeitsgericht keine von der Rechtsprechung vorgesehene Gesamtschau vorgenommen und ihren Vortrag unberücksichtigt gelassen. Bezüglich des Klageantrages zu 2. habe das Arbeitsgericht die Umkehr der Beweislast des § 22 AGG verkannt. Obgleich sie glücklicherweise nicht zu den Personen gehöre, bei denen eine Hepatitis-C-Erkrankung schlecht verlaufe und sie geheilt sei, sei es doch so, dass bei der Bildung von Vergleichsgruppen von Mitarbeitern mit und ohne Hepatitis-C-Erkrankung sie anders als die anderen Mitarbeiter behandelt worden sei, was als Indiz genüge. Die Beklagte habe die Erkrankung in der Klageerwiderung als "Dozentur hindernde Erkrankung" bezeichnet. Das Arbeitsgericht sei auch von der Indizwirkung ausgegangen, habe aber den Vortrag der Beklagten genügen lassen, um davon auszugehen, dass die Kündigung nicht wegen der Behinderung, sondern der anderen vorgetragenen Vertragsverstöße (Meldepflichten) erfolgt sei. Dies überzeuge nicht und könne auch nicht das Indiz entkräften mit der Begründung, dass sie gekündigt worden wäre, weil sie die Erkrankung nicht mitgeteilt habe, nicht weil sie krank sei. Denn dann stelle sich die Frage, warum eine Person eine "ausgeheilte" Hepatitis-C-Erkrankung dem Arbeitgeber mitteilen solle und was die Beklagte mit dem Wissen in Verbindung mit den Vertragskonditionen habe anfangen wollen. Die Beklagte habe ja zum Ausdruck gebracht, dass dies eine Dozententätigkeit ausschließe. Nach dem AGG genüge zudem eine Mitkausalität. Es sei auch nicht unstreitig, dass ihr allein habe gekündigt werden sollen, weil sie eine Vorstrafe bzw. ein Ermittlungsverfahren verschwiegen haben solle. Dann würden die Ausführungen in der Klageerwiderung keinen Sinn machen, denn dann hätte die Beklagte ihre Privatsphäre respektieren können und keine "Dozentur hindernde Krankheit" vortragen brauchen.

30

Die Klägerin beantragt,

31

unter Abänderung des am 30. August 2016 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz - 8 Ca 533/16 -

32

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die erklärte Kündigung der Beklagten vom 26. Januar 2016, zugegangen am 27. Januar 2016, nicht zum 28. Februar 2016 aufgelöst wurde, sondern darüber hinaus fortbesteht,

33

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

34

Die Beklagte beantragt,

35

die Berufung zurückzuweisen.

36

Sie erwidert, die Klägerin sei nicht ihre Arbeitnehmerin gewesen. Mit der Akzeptanz ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen als Grundlage für eine spätere Erteilung von einzelnen Lehraufträgen sei die Klägerin lediglich in den potenziellen Dozentenstamm aufgenommen worden, ohne dass es damit zu einem Dienstvertrag mit wechselseitigen Leistungspflichten gekommen wäre. Zu einem derartigen Dienstvertrag sei es erst durch die Erteilung eines konkreten Lehrauftrages gekommen, der für ein bestimmtes Seminar oder einen bestimmten Kurs zu bestimmten Themen über einen bestimmten Zeitraum gegangen sei. Ein derartiger Lehrauftrag sei allein durch die Initiative der Klägerin erfolgt, die sich über das Online-Portal über bestimmte Seminare oder Kurse informieren und dann bei ihr dafür habe bewerben können. Falls für ein Seminar oder einen Kurs mehrere Bewerber da gewesen seien, habe ihre Lehrgangsorganisation unter den verschiedenen Bewerbern denjenigen aussuchen können, der für das Thema am meisten qualifiziert erschienen sei. In keinem Fall habe sie die Klägerin oder jemand anderen aus dem Dozentenstamm verpflichten können, ein gewisses Seminar oder einen Kurs zu einem bestimmten Thema zu übernehmen. Sie habe also keinerlei Weisungsmöglichkeit gehabt, die Klägerin etwa zur Abhaltung eines Kurses zu verpflichten. Soweit die Klägerin ausführe, ihr seien Kurse erneut zugewiesen worden, so verkenne sie, dass sie selbst eingeräumt habe, dass der Schritt zuvor von ihr ausgegangen sei, nämlich dass sie sich von sich aus über das Online-Portal für bestimmte Kurse habe registrieren lassen. Damit sei die Initiative eindeutig von der Klägerin ausgegangen, ohne dass sie aufgrund eines "allgemeinen Dozentenvertrages" etwa ein Weisungsrecht gehabt hätte, die Klägerin auch dann zu verpflichten, wenn diese sich nicht für einen bestimmten Kurs beworben hätte. Der sog. "Prüfungstrainer" begründe kein Weisungsrecht gegenüber der Klägerin. Es handele sich hierbei lediglich um ein Angebot an die Kursteilnehmer, sich auf die amtsärztliche Überprüfung zur Zulassung als Heilpraktiker dadurch vorzubereiten, dass frühere Prüfungsfragen zum Eigentest gestellt würden. Richtig sei, dass sie einen Lehrplan habe, der sich auch an den prüfungsrelevanten Fragen orientiere und der in dem Unterrichtsvertrag zwischen ihr und den Schülern auch in groben Zügen dargelegt werde. Die Darbietung des Unterrichts für diejenigen Themen, für die sich die potentiellen Dozenten anhand des Online-Portals beworben hätten, obliege alleine dem Dozenten. Ob und in welcher Weise sie beispielsweise didaktische Hilfsmittel einsetzten, den Lehrstoff gliederten etc. liege alleine im pädagogischen Ermessen des jeweiligen Dozenten. Ein Weisungsrecht habe sie hierfür nicht. Die Klägerin räume selbst ein, dass sie ihre privat genutzten Unterlagen, wie Bücher und Laptop, in den Unterricht einbringe. Dass sie in den Unterrichtsräumen hierfür Tafel, Beamer oder TV zur Verfügung stelle, ändere nichts daran, dass die Benutzung dieser Möglichkeiten alleine im Ermessen der Klägerin gelegen habe. Die Konkurrenzschutzklausel sei im Hinblick auf die Konkurrenzsituation auf dem Markt und dem erheblichen Werbeaufwand, den sie zur Akquisition von Schülern betreibe, nachvollziehbar und sinnvoll. Die Mitteilungspflicht stelle auch kein ausdrückliches Verbot dar, sondern gebe für sie lediglich die Möglichkeit, den Lehrauftrag zu kündigen oder das Parallelverhältnis zu akzeptieren. Bezüglich der E-Mails handele es sich lediglich um Konkretisierungen der allgemeinen Lehrinhalte, weil sie hier eine vertragliche Verpflichtung gegenüber den Schülern eingenommen habe. Die pädagogische und didaktische Präsentation erfolge dann im alleinigen Verantwortungsbereich und Dafürhalten der jeweiligen Dozenten. Dasselbe betreffe das sog. Curriculum in der E-Mail vom 17. Februar 2015. Es seien gerade diese Themen, die im Online-Portal angegeben würden und für die sich dann die potenziellen Dozenten bewerben könnten. Soweit die Klägerin meine, aus der E-Mail vom 25. August 2015 gar ein Weisungsrecht für "unbezahlte Überstunden" herauslesen zu können, so sei auch dies unrichtig. Die sog. Dialogstunden würden zwischen den Schülern und der jeweiligen Studienleitung stattfinden und nicht etwa zwischen Schülern und Dozenten. Aufgrund der Anwesenheitslisten habe sie die Kontrolle, dass der jeweilige Dozent, der seine Honorarrechnung an ihre Buchhaltung schicke, den Kurs auch tatsächlich abgehalten habe. Aus den zitierten Leitbildern und Qualitätszielen könne nichts gefunden werden, was für ein Weisungsrecht gegenüber der Klägerin sprechen würde. Dass die Klägerin nicht wirtschaftlich von ihr abhängig gewesen sei, ergebe sich bereits aus der von ihr unstreitig betriebenen eigenen Heilpraktiker-Praxis. Soweit die Klägerin meine, dass sie weisungsgebunden gewesen sei, weil sie sich den Unterrichtsplan und das Lehrprogramm habe aneignen müssen, vermöge dies eine Weisungsgebundenheit nicht zu begründen. Es liege in der Natur der Sache, dass die Klägerin, wenn sie sich beispielsweise für einen bestimmten Kurs mit bestimmten Themen beworben habe, dann auch ihren freien Dienstvertrag in der Weise erfüllen müsse, dass sie eben dieses Thema abhalte und nicht über andere Themen referiere. Eine Diskriminierung der Klägerin sei in der Kündigung nicht erfolgt. Nicht im Kündigungsschreiben, sondern lediglich im Verfahren habe sie durch ihren Prozessbevollmächtigten vorgetragen, dass nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Klägerin "laufende strafrechtliche Verfahren (mit Ausnahme Verkehrsrecht) sowie dozenturbehindernde Erkrankungen (z. B. Suchtkrankheiten, dauerhaft ansteckende Krankheiten, Dauerausscheide)" ihr "unverzüglich anzuzeigen" habe. Die Klägerin sei unstreitig im November 2012 wegen Körperverletzung in 17 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt worden, weil sie trotz ihrer Hepatitis-C-Infektion mit drei Männern ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt habe, ohne dass sie über ihre potenziell tödliche Erkrankung diese informiert habe. Darüber hinaus habe die Klägerin sie trotz der eindeutigen Bestimmung in den AGB's nicht darüber informiert, dass gegen sie ein strafrechtliches Verfahren vor dem A-Stadter Amtsgericht wegen Abrechnungsbetruges in 33 Fällen anhängig gewesen sei.

37

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

38

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b und c ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO).

39

In der Sache hat die Berufung der Klägerin nur in Bezug auf die mit dem Klageantrag zu 2. begehrte Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in der zuerkannten Höhe von 2.500,-- EUR Erfolg. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Kündigungsschutzantrag zu 1. abgewiesen, weil zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

I.

40

Der Kündigungsschutzantrag zu 1. ist unbegründet.

41

Im Rahmen der von der Klägerin mit dem Klageantrag zu 1.erhobenen Kündigungsschutzklage i.S.v. § 4 KSchG ist auch darüber zu entscheiden, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Voraussetzung für die beantragte Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden ist, ist der Bestand eines Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der mit der Kündigung beabsichtigten Beendigung des Rechtsverhältnisses. Liegt diese Voraussetzung nicht vor, ist die Klage - ohne dass es auf die Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung noch ankäme - als unbegründet abzuweisen (BAG 20. September 2000 - 5 AZR 271/99 - Rn. 12, NZA 2001, 210).

42

Danach ist der Kündigungsschutzantrag zu 1. bereits deshalb unbegründet, weil zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

43

1. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung von weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Arbeitsverhältnis ist ein auf den Austausch von Arbeitsleistung und Vergütung gerichtetes Dauerschuldverhältnis. Die vertraglich geschuldete Leistung ist im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht seines Vertragspartners (Arbeitgebers) unterliegt. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Für die Abgrenzung von Bedeutung sind in erster Linie die tatsächlichen Umstände, unter denen die Dienstleistung zu erbringen ist. Maßgeblich ist eine Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls. Diese Grundsätze gelten auch für Unterrichtstätigkeiten. Entscheidend ist, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist und in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und Weise seiner Erteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung mitgestalten kann. Wer an einer allgemeinbildenden Schule unterrichtet, ist in der Regel Arbeitnehmer, auch wenn er seinen Beruf nebenberuflich ausübt. Dagegen können etwa Volkshochschuldozenten, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, auch als freie Mitarbeiter beschäftigt werden, und zwar selbst dann, wenn es sich bei ihrem Unterricht um aufeinander abgestimmte Kurse mit vorher festgelegtem Programm handelt. Wird die Lehrtätigkeit nicht durch das Ziel der Vermittlung eines förmlichen schulischen Abschlusses geprägt, liegt der Vergleich mit Lehrkräften an einer Volkshochschule außerhalb schulischer Lehrgänge nahe (BAG 21. November 2013 - 6 AZR 23/12 - Rn. 22 - 24, NZA-RR 2014, 263; BAG 09. März 2005 - 5 AZR 493/04 - Rn. 12 und 13, AP BGB § 611 Lehrer, Dozenten Nr. 167; BAG 09. Juli 2003 - 5 AZR 595/02 - Rn. 29 und 30, NZA-RR 2004, 9).

44

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Arbeitsgericht zu Recht angenommen, dass das Rechtsverhältnis der Parteien nicht als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist.

45

a) Nach den "Geschäftsbedingungen" der Beklagten und der tatsächlich praktizierten Vertragsdurchführung wurden der Klägerin einzelne Lehraufträge erteilt, die jeweils vorausgesetzt haben, dass sich die Klägerin zuvor über das Online-Portal für die betreffende Einzellehrveranstaltung beworben hatte. Die auf dieser Grundlage ausgeübte Dozententätigkeit der Klägerin ist nicht mit einer Unterrichtserteilung an allgemeinbildenden Schulen vergleichbar, die bei typologischer Betrachtung in der Regel eine persönliche Abhängigkeit der Lehrkraft vom Unterrichtsträger bedeutet. Hierzu hat das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt, dass der "Schulbetrieb" der Beklagten der Vorbereitung auf die Erlangung des Abschlusses als Heilpraktiker dient und der Besuch einer solchen Einrichtung nach den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen (§ 1 Abs. 1 HeilprG, § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HeilprG) keine Voraussetzung für die Erlangung der für die Tätigkeit als Heilpraktiker erforderlichen Erlaubnis ist. Die Tätigkeit der Klägerin als Dozentin kann mithin im Rahmen der durch die Beklagte angebotenen, nicht gesetzlich zwingend erforderlichen Vorbereitung auf die Prüfung zum Heilpraktiker sowohl in einem Arbeitsverhältnis als auch in einem freien Mitarbeiterverhältnis erbracht werden.

46

b) Der Gegenstand der Unterrichtstätigkeit wurde in dem jeweiligen Lehrauftrag vertraglich festgelegt. Wie die Klägerin selbst ausgeführt hat, sind die Schwerpunkte des Themas für eine Unterrichtseinheit, für die sie sich jeweils beworben hatte, im Portal einsehbar. Indem die Klägerin - und nicht etwa die Beklagte - selbst entscheiden konnte ob und ggf. welche Kurse mit welchen Themen sie übernehmen will, bestand insoweit kein Weisungsrecht der Beklagten. Nach Erteilung eines Lehrauftrages für den von der Klägerin zuvor ausgewählten Kurs mit dem angegebenen Thema hätte eine Veränderung des im Lehrauftrag festgelegten Themas als Unterrichtsgegenstand einer Vertragsänderung bedurft. Die Vorgaben zu den allgemeinen Lehrinhalten präzisierten nur die vertraglich geschuldete Dienstleistung. Eine persönliche Abhängigkeit kann nicht durch die inhaltliche Festlegung des zu behandelnden Stoffs, sondern nur durch methodische und didaktische Anweisungen entstehen (vgl. BAG 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - Rn. 30, NA 1992, 407; BAG 09. Juli 2003 - 5 AZR 595/02 - Rn. 33, NZA-RR 2004, 9; BAG, 21. November 2013 - 6 AZR 23/12 - Rn. 35, NZA-RR 2014, 263). Aus dem Vortrag der Klägerin und dem ergänzend vorgelegten E-Mail-Verkehr lässt sich nicht entnehmen, dass die Beklagte einseitig den von der Klägerin zu erteilenden Unterricht nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch und didaktisch derart vorgegeben hat, dass die Klägerin ihren Unterricht nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in methodischer und didaktischer Hinsicht nicht mehr im Wesentlichen frei hätte gestalten können. Der angebotene " Prüfungstrainer", mit dem frühere Prüfungsfragen den Kursteilnehmern zum Eigentest gestellt werden, soll ebenso wie der an den prüfungsrelevanten Fragen orientierte Lehrplan gewährleisten, dass der prüfungsrelevante Stoff inhaltlich behandelt wird, ohne dass hiermit den Dozenten methodische oder didaktische Anweisungen erteilt werden.

47

c) Für die Einordnung einer Lehrtätigkeit ist insbesondere von Bedeutung, inwieweit die Lehrkraft ihre Arbeitszeit mitgestalten kann. Wenn der Arbeitgeber innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens über die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verfügen kann, ist dies ein maßgeblicher Hinweis auf ein Arbeitsverhältnis. Allein die vertragliche Festlegung der Arbeitszeitdauer spricht allerdings weder für noch gegen ein Arbeitsverhältnis. Vielmehr kommt es darauf an, wer über die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Tage sowie über Beginn und Ende der Arbeitszeit entscheidet. Im Streitfall steht der Beklagten insoweit aber kein Weisungsrecht zu. Vielmehr konnte die Klägerin selbst entscheiden, ob und ggf. welche der von der Beklagten festgelegten Unterrichtszeiten sie übernehmen will. Danach wurden die von der Klägerin übernommenen Unterrichtszeiten vertraglich festgelegt. Zwar führt auch eine vertragliche Festlegung der Arbeitszeit in allen Einzelheiten zu einer entsprechenden Bindung des Dienstverpflichteten. Diese Bindung konnte aber die Klägerin nach ihren Bedürfnissen und Vorstellungen mitgestalten, weil ihr ein Lehrauftrag nur für diejenigen Kurse zu den festgelegten Zeiten erteilt wurde, für die sie sich zuvor beworben hatte. Die vertragliche Festlegung der Unterrichtszeiten führt zudem dazu, dass die Beklagte diese nicht einseitig, sondern nur einvernehmlich ändern kann (vgl. BAG 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - Rn. 33, NZA 1992, 407). Die Klägerin war auch unstreitig nicht zur Vertretung verhinderter Lehrkräfte verpflichtet. Die freiwillige Übernahme von Vertretungen ist für ihren Status als Arbeitnehmerin oder freie Mitarbeiterin unerheblich. Das Recht, Vertretungen abzulehnen, spricht gegen ein Arbeitsverhältnis (BAG 13. November 1991 - 7 AZR 31/91 - Rn. 37, NZA 1992, 1125).

48

d) Auch der Ort der Tätigkeit, der mit den von der Klägerin auswählbaren Kursen im Online-Portal angegeben war, wurde im Lehrauftrag verbindlich festgelegt. Die Beklagte konnte den vereinbarten Leistungsort dementsprechend nicht mehr einseitig ändern. Das spricht eher für ein freies Mitarbeiterverhältnis als für ein Arbeitsverhältnis. Im Übrigen ist es im pädagogischen Bereich typisch, dass auch freie Mitarbeiter ihre Tätigkeit nur in den zur Verfügung gestellten Räumen verrichten können und damit an einen bestimmten Ort gebunden sind. Diese Bindung besagt nichts über eine persönliche Abhängigkeit (BAG 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - Rn. 34, NZA 1992, 407).

49

e) Die angeführten Nebenarbeiten der Klägerin sprechen nicht für eine persönliche Abhängigkeit.

50

Die in den Geschäftsbedingungen festgelegte Führung des Klassenbuchs und der Anwesenheitsliste gehören zu der vertraglich übernommenen Dienstleistungspflicht. Die Beklagte hat der Klägerin nicht durch Ausübung eines Weisungsrechts neue oder zusätzliche Aufgaben übertragen. Anders als bei Lehrern an allgemeinbildenden Schulen, die auch außerhalb der Unterrichtszeit und losgelöst von der ihnen übertragenen konkreten Unterrichtstätigkeit zu pädagogischen Arbeiten und zur Erledigung von Verwaltungsaufgaben herangezogen werden können, standen alle Nebenaufgaben der Klägerin in untrennbarem Zusammenhang mit der vereinbarten Abwicklung einer bestimmten Lehrveranstaltung und dem jeweiligen Unterricht (vgl. BAG 13. November 1991 - 7 AZR 31/91 - Rn. 41, NZA 1992, 1125).

51

f) Kein wesentliches Indiz ist das Bestehen eines Wettbewerbsverbots, was z. B. auch für einen freien Handelsvertreter durchaus üblich ist (Schaub Arbeitsrechtshandbuch 16. Aufl. § 8 Rn. 30). Im Hinblick darauf, dass nach § 613 BGB schon der zur Dienstleistung Verpflichtete, der ja nicht notwendigerweise auch Arbeitnehmer sein muss, die Dienste im Zweifel in Person zu leisten hat, vermag allein der Umstand, dass die Lehraufträge ohne Zustimmung der Lehrgangsorganisation nicht übertragbar, sondern personenbezogen sind, keine persönliche Abhängigkeit zu begründen. Zwar hat die Beklagte in den von ihr unterhaltenen Unterrichtsräumen Tafel, Beamer, TV etc. zur Verfügung gestellt. Andererseits hat die Klägerin selbst eingeräumt, dass sie ihre privat genutzten Unterlagen (Bücher, Laptop) in den Unterricht eingebracht hat.

52

Nach der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Abgrenzungsmerkmale hat die Klägerin ihre Dozententätigkeit nicht als persönlich abhängige Arbeitnehmerin ausgeführt. Dagegen spricht entscheidend, dass die Klägerin jeweils selbständig entscheiden konnte, ob und ggf. für welche der im Online-Portal aufgeführten Kurse zu einem bestimmten Thema an einem bestimmten Kursort mit den angegebenen Unterrichtszeiten sie sich bewerben möchte. Mit der Erteilung eines entsprechenden Lehrauftrages wurden diese Fragen vertraglich festgelegt und damit dem Direktionsrecht der Beklagten entzogen. Die inhaltliche und zeitliche Festlegung der Dienstleistung durch vertragliche Vereinbarung schränkte einerseits die Dispositionsmöglichkeiten der Beklagten ein und verschaffte andererseits der Klägerin eine sichere Entscheidungsgrundlage, die ihr die anderweitige Disposition über ihre Arbeitskraft erleichterte (vgl. hierzu auch BAG 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - Rn. 36 und 37, NZA 1992, 407).

II.

53

Der Klageantrag zu 2. ist hingegen begründet.

54

Die Klägerin hat gemäß § 15 Abs. 2 AGG einen Anspruch auf die von ihr begehrte Entschädigung in der zuerkannten Höhe von 2.500,-- EUR.

55

1. Nach § 65 ArbGG prüft das Berufungsgericht nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Die Beklagte hat mit ihrer Erwiderung auf die von der Klägerin erhobene Kündigungsschutzklage die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt, woraufhin das Arbeitsgericht mit rechtskräftigem Beschluss vom 09. März 2016 entschieden hat, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen hinsichtlich der erhobenen Kündigungsschutzklage zulässig ist. Im Verlaufe des weiteren Verfahrens hat die Klägerin mit ihrer Klageerweiterung vom 20. Juni 2016 den Entschädigungsanspruch rechtshängig gemacht, ohne dass die Beklagte in Bezug auf diesen Streitgegenstand die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt hat. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen auch in Bezug auf die mit dem Klageantrag zu 2. geltend gemachte Entschädigung stillschweigend dadurch bejaht, dass es hierüber in der Sache entschieden hat, so dass das Berufungsgericht gemäß §§ 17 a Abs. 5 GVG, 65 ArbGG gehindert ist, die Frage des Rechtswegs zu prüfen.

56

2. Der mit dem Klageantrag zu 2. geltend gemachte Entschädigungsanspruch ist nach § 15 Abs. 2 AGG begründet.

57

a) Der persönliche Anwendungsbereich ist nach § 6 Abs. 3 AGG eröffnet.

58

Danach gelten die Vorschriften dieses Abschnitts für Selbständige und Organmitglieder entsprechend, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG) betrifft. Zwar beschränkt § 6 Abs. 3 AGG die Anwendbarkeit des AGG damit bezüglich der Selbständigen und Organmitglieder auf den Zugang und nimmt die Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG aus. Von dem Begriff des Zugangs zur Erwerbstätigkeit wird aber nicht nur der erstmalige, sondern auch der fortgesetzte Zugang nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses eines Organmitgliedes oder Selbständigen erfasst (BGH 23. April 2012 - II ZR 163/10 - Rn. 20, BGHZ 193, 110; Münchener Kommentar zum BGB 7. Aufl. § 2 AGG Rn. 7; vgl. auch VGH Baden-Württemberg 10. August 2016 - 5 S 852/16 - Rn. 12, juris). Die Klägerin hat zur Begründung ihres Entschädigungsantrags zu 2. vorgebracht, dass sie nach den Ausführungen der Beklagten zur Begründung der Kündigung aufgrund ihrer - tatsächlich ausgeheilten - Hepatitis-C-Erkrankung nicht mehr beschäftigt werden und den Beruf bei der Beklagten nicht mehr ausüben könne. Zu überprüfen ist danach die Zulässigkeit der Entscheidung, die Klägerin nicht mehr als Dozentin einzusetzen und ihr keine weiteren Lehraufträge mehr zu erteilen.

59

b) Im Streitfall liegt ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG durch die Beklagte wegen der von ihr angenommenen Behinderung der Klägerin i.S.v. § 1 AGG vor.

60

aa) Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG liegt eine ungerechtfertigte Benachteiligung eines Beschäftigten auch dann vor, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines Diskriminierungsmerkmals bei der Benachteiligung nur annimmt (BAG 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - Rn. 14, NZA 2010, 383).

61

Die Beklagte hat in ihrer Klageerwiderung zu der erhobenen Kündigungsschutzklage ausgeführt, dass die Klägerin gegen mehrere Vereinbarungen in den Geschäftsbedingungen für Dozenturen verstoßen habe. So heiße es bei den Kündigungsregelungen, dass "laufende strafrechtliche Verfahren (mit Ausnahme Verkehrsstrafrecht) sowie dozenturbehindernde Erkrankungen (z. B. Suchtkrankheiten, dauernd ansteckende Krankheiten - Dauerausscheider)" ihr "unverzüglich anzuzeigen" seien. Von Seiten einer Schülerin sei ihr mitgeteilt worden, dass ein Zeitungsartikel der Rheinzeitung vom 28. Juli 2015 davon berichtet habe, dass gegen die Klägerin ein strafrechtliches Verfahren vor dem A-Stadter Amtsgericht wegen Abrechnungsbetruges in 31 Fällen anhängig sei. Es heiße in dem Artikel weiterhin, dass die Klägerin "bei Gericht keine Unbekannte" sei, weil sie schon im November 2012 wegen Körperverletzung in 17 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt worden sei. Sie habe trotz ihrer Hepatitis-C-Infektion mit drei Männern ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt, ohne dass sie über ihre potenziell tödliche Erkrankung diese informiert habe. Die Klägerin sei verpflichtet gewesen, auch diese Vorerkrankung ihr aufgrund der AGB's mitzuteilen, wogegen sie ebenfalls verstoßen habe.

62

Die Kündigungserklärung als solche knüpft zwar als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die der Kündigungsentscheidung zugrunde liegenden Überlegungen können Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Dieser Zusammenhang kann sich aber aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben. Dabei bedarf es allerdings keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht. Es reicht aus, wenn eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt (BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 44, NZA 2014, 372). Das ist hier der Fall, weil die Beklagte nach ihrer Klageerwiderung davon ausgegangen ist, dass es sich bei der Hepatitis-C-Infektion der Klägerin um eine "dozenturbehindernde Erkrankung" handelt. Die Klägerin beruft sich auf das Merkmal der Behinderung. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 48 und 56 ff., NZA 2014, 372) hat sowohl eine symptomlose HIV-Infektion als auch eine chronische Hepatitis-C-Erkrankung eine Behinderung i.S.d. AGG zur Folge. Eine Behinderung i.S.d. § 1 AGG liegt vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch - in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) - seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann. Auf einen bestimmten GdB kommt es nicht an (BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 57, NZA 2014, 372). Ebenso wie bei einer symptomlosen HIV-Infektion hat auch eine chronische Hepatitis-C-Erkrankung die zur Annahme einer Behinderung i.S.d. § 1 AGG erforderliche Beeinträchtigung der Teilhabe zur Folge, was auch die von der Beklagten vorgenommene Bewertung der Hepatitis-C-Infektion als "dozenturbehindernde Erkrankung" bestätigt. Gemäß § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG genügt, dass die Beklagte nach der Begründung ihrer Kündigung angenommen hat, bei der Klägerin liege eine - "dauerhaft ansteckende" - Hepatitis-C-Erkrankung und damit eine "dozenturbehindernde" Erkrankung i.S.d. Kündigungsregelungen vor, auch wenn die Erkrankung nach dem Vortrag der Klägerin tatsächlich ausgeheilt ist. In der Beendigung der (weiteren) Dozententätigkeit der Klägerin liegt eine unmittelbare Ungleichbehandlung i.S.d. § 3 Abs. 1 AGG in Form einer sog. verdeckten unmittelbaren Ungleichbehandlung. Eine solche Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn nach einem scheinbar objektiven, nicht diskriminierenden Kriterium (unterbliebene Mitteilung einer ansteckenden Krankheit) unterschieden wird, das jedoch in untrennbarem Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Grund (Behinderung) steht und damit kategorial ausschließlich Träger eines Diskriminierungsmerkmals trifft (BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 46, NZA 2014, 372). Das ist hier der Fall. Die Beklagte hat die Kündigung u.a. darauf gestützt, dass die Klägerin ihre Hepatitis-C- Erkrankung als eine sog. "dozenturbehindernde" Erkrankung entgegen der ihr obliegenden Verpflichtung nicht mitgeteilt habe. Diese nach Auffassung der Beklagten bestehende Verpflichtung ergab sich allein aus der Hepatitis-C-Erkrankung der Klägerin. Die Frage, ob die Hepatitis-C-Infektion der Klägerin als "dozenturbehindernde" Erkrankung ihrem Einsatz als Dozentin tatsächlich entgegensteht und deshalb die unterbliebene Mitteilung der Erkrankung zur Begründung der Kündigung herangezogen werden kann, ist auf der Ebene der Rechtfertigung (§ 8 Abs. 1 AGG) zu entscheiden und schließt nicht bereits die Annahme einer Benachteiligung wegen der Behinderung von vornherein aus (vgl. BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 47, NZA 2014, 372).

63

bb) Im Streitfall besteht die Vermutung, dass die Klägerin wegen des Merkmals einer angenommenen Behinderung benachteiligt worden ist.

64

(1) Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und dem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Für den Kausalzusammenhang ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund i.S.v. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; es muss nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund i.S.v. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt (BAG 26. Januar 2017 - 8 AZR 736/15 - Rn. 25, juris). § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor (BAG 26. Januar 2017 - 8 AZR 736/15 - Rn. 26, juris). Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Die Beweislastregelung des § 22 AGG findet auch auf Organmitglieder und Selbständige Anwendung, auch wenn sie nicht im 2. Abschnitt des AGG steht, wie es § 6 Abs. 3 AGG seinem Wortlaut nach für die Anwendbarkeit von Vorschriften auf Organmitglieder und Selbständige voraussetzt (BGH 23. April 2012 - II ZR 163/10 - Rn. 26, BGHZ 193, 110).

65

(2) Im Streitfall ist die Kausalitätsvermutung nach § 22 AGG begründet.

66

Nach § 22 AGG genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist (BAG 26. Januar 2017 - 8 AZR 736/15 - Rn. 27, juris). Die Klägerin hat zur Begründung ihres Entschädigungsantrags zu 2. vorgebracht, dass sie nach den Ausführungen der Beklagten zur Begründung der Kündigung aufgrund ihrer - tatsächlich ausgeheilten - Hepatitis-C-Erkrankung nicht mehr beschäftigt werden und den Beruf bei der Beklagten nicht mehr ausüben könne. Sowohl nach der Klageerwiderung vom 01. März 2016 als auch nach ihrem weiteren Schriftsatz vom 09. August 2016 ist die Beklagte davon ausgegangen, dass es sich bei der Hepatitis-C-Infektion der Klägerin um eine "dauerhaft ansteckende Krankheit" handele, bei der es sich nach ihrer Bewertung um eine "dozenturbehindernde Erkrankung" handeln soll. Ihre im Rechtsstreit abgegebene Kündigungsbegründung indiziert, dass die von ihr angenommene chronische Hepatitis-C-Infektion der Klägerin als Behinderung i.S.v. § 1 AGG zumindest mitursächlich für ihre Entscheidung war, die Klägerin nicht weiter als Dozentin einzusetzen.

67

Die Beklagte hat den ihr nach § 22 AGG obliegenden Nachweis nicht erbracht, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat. Hierzu muss der Arbeitgeber das Gericht davon überzeugen, dass die Benachteiligung nicht (auch) auf der Behinderung beruht. Damit muss er Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung geführt haben, und in seinem Motivbündel weder die Behinderung als negatives noch die fehlende Behinderung als positives Kriterium enthalten war (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 58, NZA 2012, 667). Daran fehlt es. Zwar hat die Beklagte zur Begründung ihrer Kündigung auch darauf verwiesen, dass die Klägerin entgegen der ihr nach den Geschäftsbedingungen obliegenden Verpflichtung nicht mitgeteilt habe, dass gegen sie ein strafrechtliches Verfahren wegen Abrechnungsbetruges in 31 Fällen anhängig gewesen sei. Die Beklagte hat aber nicht unter Beweisantritt dargelegt, dass für ihre Entscheidung, die Klägerin nicht mehr als Dozentin einzusetzen, ausschließlich dieser Grund maßgeblich gewesen sein soll. Vielmehr hat die Beklagte selbst zur Begründung ihrer Kündigung auch die unterbliebene Mitteilung der Hepatitis-C-Erkrankung vorgebracht und sich darauf berufen, dass die Klägerin auch insoweit gegen ihre Anzeigepflicht verstoßen habe. Abgesehen davon, dass sich im Streitfall nicht feststellen lässt, weshalb die angeführte Hepatitis-C-Erkrankung der Klägerin überhaupt ihrem weiteren Einsatz als Dozentin entgegenstehen und deshalb eine Anzeigepflicht bestanden haben soll, hat die Beklagte jedenfalls nicht unter Beweisantritt dargelegt, dass in ihrem Motivbündel die von ihr angenommene Behinderung der Klägerin i.S.v. § 1 AGG nicht enthalten, sondern für ihren Kündigungsentschluss ausschließlich andere Gründe maßgeblich waren.

68

c) Die Benachteiligung der Klägerin ist nicht nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig.

69

Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das Fehlen einer Hepatitis-C-Erkrankung eine berufliche Anforderung i.S.v. § 8 Abs. 1 AGG für die von der Klägerin ausgeübte Dozententätigkeit darstellt.

70

d) Mithin kann die Klägerin nach § 15 Abs. 2 AGG eine angemessene Entschädigung beanspruchen. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalls - wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns - und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen (BAG 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - Rn. 38, NZA 2010, 383). Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin mit dem ihr verwehrten Zugang zur weiteren Ausübung ihrer Dozententätigkeit gerade die Ausgrenzung erfahren hat, die ihre von der Beklagten als "dozenturbehindernde Erkrankung" bewertete Hepatitis-C-Erkrankung als Behinderung erscheinen lässt. Ferner ist der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, so dass die Höhe auch danach zu bemessen ist, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist. Danach hat das Berufungsgericht eine Entschädigung in Höhe von 2.500,-- EUR als angemessen, aber auch ausreichend erachtet.

71

e) Die Klägerin hat mit ihrem Geltendmachungsschreiben vom 08. Mai 2016 ihren Entschädigungsanspruch rechtzeitig nach § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht und mit ihrer Klageerweiterung vom 20. Juni 2016 auch die dreimonatige Klagefrist des § 61 b Abs. 1 ArbGG gewahrt.

72

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

73

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 520 Berufungsbegründung


(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen. (2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der

Zivilprozessordnung - ZPO | § 519 Berufungsschrift


(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 611 Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag


(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. (2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 15 Entschädigung und Schadensersatz


(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Wegen eines Schadens,

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 3 Begriffsbestimmungen


(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 7 Benachteiligungsverbot


(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt. (2) Bestim

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 4 Anrufung des Arbeitsgerichts


Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung er

Gewerbeordnung - GewO | § 106 Weisungsrecht des Arbeitgebers


Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder geset

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 1 Ziel des Gesetzes


Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 6 Persönlicher Anwendungsbereich


(1) Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,2. die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten,3. Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; zu di

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 2 Anwendungsbereich


(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf: 1. die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 22 Beweislast


Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 8 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen


(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 613 Unübertragbarkeit


Der zur Dienstleistung Verpflichtete hat die Dienste im Zweifel in Person zu leisten. Der Anspruch auf die Dienste ist im Zweifel nicht übertragbar.

Heilpraktikergesetz - HeilprG | § 1


(1) Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis. (2) Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung vo

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 65 Beschränkung der Berufung


Das Berufungsgericht prüft nicht, ob der beschrittene Rechtsweg und die Verfahrensart zulässig sind und ob bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter Verfahrensmängel unterlaufen sind oder Umstände vorgelegen haben, die die Berufung eines ehrenamtli

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Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Oktober 2011 - 26 Sa 1110/11 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Stufenzuordnung der Klägerin.

2

Die Klägerin war vom 1. Oktober 1994 bis 9. April 1999 in der wissenschaftlichen Redaktion des M-Instituts in F als Fremdsprachensekretärin mit Aufgaben im Lektorat, in der Redaktion und im Layout tätig. Sie erhielt zunächst Gehalt der Vergütungsgruppe VIb und danach Vb des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT). Vom 1. Dezember 2000 bis September 2003 war die Klägerin als Aushilfsangestellte (Schreibangestellte) an der A-Universität in F in Vergütungsgruppe VIII BAT beschäftigt. Von 2003 bis 2005 war sie Stipendiatin und bis 2007 Doktorandin der beklagten Universität. Seit 23. September 2004 war die Klägerin daneben aufgrund verschiedener Verträge für die Beklagte tätig, die die Parteien als Dienst- oder Werkverträge bezeichneten. Danach hatte sie interkulturelle Workshops zu entwickeln, zu konzipieren, durchzuführen und zu evaluieren. Bezeichnet waren die Inhalte der Workshops nach den Verträgen als „Interkulturelle Mediation in der Grenzregion“, „International“, „Deutsch-Polnisch“, „Deutsch-polnisches Verhandeln“ und „Interkulturelle Trainerausbildung“. Außerdem führte sie Seminare zum Thema „Interkulturelle Kommunikation“ durch. Für die Zeit vom 20. September 2007 bis 20. Dezember 2007 schlossen die Parteien einen beispielhaft vorgelegten Vertrag „über eine freie Mitarbeit (Honorarvertrag)“. Er lautet auszugsweise:

        

㤠1

        

Vertragsgegenstand

        

(1)     

Die Auftraggeberin beauftragt die freie Mitarbeiterin mit der Vorbereitung und Durchführung interkultureller Workshops für Studierende und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

        

(2)     

Den erteilten Auftrag führt die freie Mitarbeiterin in eigener Verantwortung aus. Dabei hat sie zugleich die Interessen der Auftraggeberin zu berücksichtigen. Die freie Mitarbeiterin unterliegt keinem Weisungs- und Direktionsrecht seitens der Auftraggeberin. Sie hat jedoch fachliche Vorgaben so weit zu beachten, als dies die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung erfordert.

        

§ 2

        

Vertragsbeginn und Vertragsbeendigung

        

(1)     

Das Vertragsverhältnis beginnt am 20. September und endet am 20. Dezember 2007.

        

(2)     

Eine Kündigung ist jederzeit möglich. Die Kündigung muss schriftlich erfolgen.

        

§ 3

        

Keine Höchstpersönlichkeit

        

Die freie Mitarbeiterin ist nicht verpflichtet, jeden Auftrag höchstpersönlich auszuführen. Sie kann sich hierzu, soweit der jeweilige Auftrag dies gestattet, auch der Hilfe von Erfüllungsgehilfen bedienen, soweit sie deren fachliche Qualifikation sichergestellt hat.

        

§ 4

        

Ablehnungsrecht der Auftragnehmerin

        

Die freie Mitarbeiterin hat das Recht, einzelne Aufträge ohne Angabe von Gründen abzulehnen.

        

§ 5

        

Verhältnis der Auftragnehmerin zu Dritten

        

Die freie Mitarbeiterin hat das Recht, auch für dritte Auftraggeber tätig zu werden. Einer vorherigen Zustimmung der Auftraggeberin bedarf es hierfür nicht.

        

§ 6

        

Tätigkeitsort

        

Die freie Mitarbeiterin wählt den Tätigkeitsort nach ihrem freien Ermessen. Sofern nach der Eigenart der übernommenen Tätigkeit erforderlich, erhält die freie Mitarbeiterin die Möglichkeit, die Einrichtungen der Universität in Absprache mit der Projektverantwortlichen in angemessenem Umfang zu benutzen. Die freie Mitarbeiterin ist dabei an dienstliche Weisungen (z. B. Dienstzeiten, Nachweis der Arbeitsunfähigkeit etc.) nicht gebunden. Ausgenommen hiervon sind jedoch Vorschriften über Sicherheitsvorkehrungen.

        

§ 7

        

Vergütung

        

(1)     

Die freie Mitarbeiterin erhält für ihre nach § 1 des Vertrages erbrachte Tätigkeit ein Honorar in Höhe von 15.000,00 Euro. Damit sind alle Aufwendungen und Nebenkosten abgegolten.

        

(2)     

Dieser Betrag enthält die gesetzliche Mehrwertsteuer, sofern diese zu entrichten ist.

        

(3)     

Gegebenenfalls anfallende Steuern sind von der freien Mitarbeiterin selbst zu entrichten.

        

…       

        
        

…“    

3

Der Klägerin stand ein Büro für Vor- und Nacharbeiten zur Verfügung. 2007 erhielt sie einen Sonderpreis, den „BMW Group Award für Interkulturelles Lernen 2007“ als „Anerkennung für herausragendes persönliches Engagement zum Thema Interkulturelles Lernen im Sinne der Völkerverständigung“. Der Preis stand im Zusammenhang mit der „Interviadrina“, einem „Programm zum interkulturellen Kompetenzerwerb an einer internationalen Universität in der deutsch-polnischen Grenzregion“. Die Deutsche Rentenversicherung Bund beanstandete die Tätigkeit der Klägerin außerhalb eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht.

4

Seit 1. März 2008 ist die Klägerin bei der Beklagten in mehreren befristeten Arbeitsverhältnissen als Lehrkraft für besondere Aufgaben/akademische Mitarbeiterin mit unterschiedlichen Wochenstundenzahlen beschäftigt. Hintergrund war zunächst eine Zielvereinbarung zwischen der Beklagten und dem Wissenschaftsministerium. Später war die Klägerin im Rahmen von Drittmittelprojekten des Europäischen Sozialfonds und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes tätig. In den Arbeitsverträgen nahmen die Parteien Bezug auf die Bestimmungen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L). Ab 1. März 2008 wurde die Klägerin Stufe 1 der Entgeltgruppe 13 TV-L zugeordnet, ab 1. April 2009 Stufe 2 dieser Entgeltgruppe.

5

Bei der Beklagten sind bzw. waren auch die Arbeitnehmer Dr. G, Dr. Gr und Dr. W beschäftigt. Frau Dr. G war im Schreibzentrum eingesetzt. Sie war von 2004 bis 31. März 2007 auf sog. Honorarbasis beschäftigt. Am 1. April 2007 stellte die Beklagte sie als Arbeitnehmerin ein. Seit einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt im Jahr 2008 ordnete die Beklagte sie Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L zu. Herr Dr. Gr, der muttersprachlich spanisch spricht, ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Sprachenzentrum der Beklagten. Er war zuvor als Redaktionsassistent, als selbständiger Redakteur und als Lehrbeauftragter tätig. Bei seiner Einstellung wurde er in Stufe 4 der Entgeltgruppe 13 TV-L eingestuft. Frau Dr. W ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der kulturwissenschaftlichen Fakultät. Bei ihrer Einstellung erkannte die Beklagte eine Promotionszeit im Rahmen eines Stipendiums sowie Lehraufträge als Vorbeschäftigungszeiten an und ordnete sie Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L zu.

6

Mit Schreiben vom 2. Februar 2009 bat die Klägerin darum, ihre Stufenzuordnung zu überprüfen. Der Antrag führte nicht zu einer höheren Zuordnung. Die Klägerin verlangt deshalb festzustellen, dass ihr ab 1. März 2008 Vergütung nach Stufe 3 und vom 1. April 2011 bis 30. September 2011 Vergütung nach Stufe 4 der Entgeltgruppe 13 TV-L zusteht. Durch § 16 idF von § 40 Nr. 5 TV-L (TV-L Hochschule) ist in der „durchgeschriebenen“ Ursprungsfassung des § 16 TV-L Hochschule vom 12. Oktober 2006 geregelt:

        

㤠16 Stufen der Entgelttabelle

        

…       

        

(2) 1Bei der Einstellung werden die Beschäftigten der Stufe 1 zugeordnet, sofern keine einschlägige Berufserfahrung vorliegt. 2Verfügen Beschäftigte über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber, erfolgt die Stufenzuordnung unter Anrechnung der Zeiten der einschlägigen Berufserfahrung aus diesem vorherigen Arbeitsverhältnis. 3Ist die einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, erfolgt die Einstellung in die Stufe 2, beziehungsweise - bei Einstellung nach dem 31. Januar 2010 und Vorliegen einer einschlägigen Berufserfahrung von mindestens drei Jahren - in Stufe 3.

        

4Werden Beschäftigte in den Entgeltgruppen 13 bis 15 eingestellt, gilt ergänzend: Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung an anderen Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen werden grundsätzlich anerkannt. …

        

6Unabhängig davon kann der Arbeitgeber bei Neueinstellungen zur Deckung des Personalbedarfs Zeiten einer vorherigen beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise für die Stufenzuordnung berücksichtigen, wenn diese Tätigkeit für die vorgesehene Tätigkeit förderlich ist.

        

Protokollerklärungen zu § 16 Absatz 2:

        

1.    

Einschlägige Berufserfahrung ist eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit.

        

2.    

Ein Berufspraktikum nach dem Tarifvertrag über die vorläufige Weitergeltung der Regelungen für die Praktikantinnen/Praktikanten beziehungsweise nach dem Tarifvertrag über die Regelung der Arbeitsbedingungen der Praktikantinnen/Praktikanten der Länder gilt grundsätzlich als Erwerb einschlägiger Berufserfahrung.

        

3.    

Ein vorheriges Arbeitsverhältnis im Sinne des Satzes 2 besteht, wenn zwischen dem Ende des vorherigen und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses ein Zeitraum von längstens sechs Monaten liegt; bei Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern ab der Entgeltgruppe 13 verlängert sich der Zeitraum auf längstens zwölf Monate.

        

…       

        

(3) 1Die Beschäftigten erreichen die jeweils nächste Stufe - von Stufe 3 an in Abhängigkeit von ihrer Leistung gemäß § 17 Absatz 2 - nach folgenden Zeiten einer ununterbrochenen Tätigkeit innerhalb derselben Entgeltgruppe bei ihrem Arbeitgeber (Stufenlaufzeit):

        

-       

Stufe 2 nach einem Jahr in Stufe 1,

        

-       

Stufe 3 nach zwei Jahren in Stufe 2,

        

-       

Stufe 4 nach drei Jahren in Stufe 3,

        

…       

        
        

(5) 1Zur regionalen Differenzierung, zur Deckung des Personalbedarfs, zur Bindung von qualifizierten Fachkräften oder zum Ausgleich höherer Lebenshaltungskosten kann Beschäftigten abweichend von der tarifvertraglichen Einstufung ein bis zu zwei Stufen höheres Entgelt ganz oder teilweise vorweg gewährt werden. …

        

4Dies gilt jedoch nur, wenn

        

a)    

sie aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation besondere projektbezogene Anforderungen erfüllen oder

        

b)    

eine besondere Personalbindung beziehungsweise Personalgewinnung erreicht werden soll.

        

…“    

7

Durch den Änderungstarifvertrag Nr. 2 zum TV-L vom 1. März 2009, der insoweit am 1. März 2009 in Kraft trat, wurde die „durchgeschriebene“ Fassung des § 16 TV-L Hochschule um Abs. 2a ergänzt:

        

„Der Arbeitgeber kann bei Einstellung von Beschäftigten im unmittelbaren Anschluss an ein Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst (§ 34 Absatz 3 Satz 3 und 4) die beim vorherigen Arbeitgeber nach den Regelungen des TV-L, des TVÜ-Länder oder eines vergleichbaren Tarifvertrages erworbene Stufe bei der Stufenzuordnung ganz oder teilweise berücksichtigen; Absatz 2 Satz 6 bleibt unberührt.“

8

Die Klägerin hat behauptet, die Tätigkeit, die sie seit 1. März 2008 versehe, habe sich gegenüber der früheren, seit 23. September 2004 ausgeübten Tätigkeit nicht verändert. Sie sei in den Unterrichtsbetrieb mit den geltenden Studien- und Prüfungsordnungen eingebunden gewesen. Auf der Grundlage des letzten sog. Honorarvertrags sei sie durchgehend bis 29. Februar 2008 tätig gewesen. Sie hat die Auffassung vertreten, bei den sog. Dienst- und Werkverträgen habe es sich in Wahrheit um Arbeitsverträge gehandelt. Ihr habe deswegen nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L Hochschule bereits seit 1. März 2008 Vergütung nach Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L zugestanden, seit 1. April 2011 Entgelt nach Stufe 4. Zumindest sei sie zur Deckung des Personalbedarfs eingestellt worden. Das für § 16 Abs. 2 Satz 6 TV-L Hochschule nötige Personalgewinnungsinteresse habe wegen des auf sie zugeschnittenen Drittmittelprojekts und des Sonderpreises bestanden. Es lasse sich auch aus ihrer Vorbefassung mit dem Thema, besonderen Referenzen, ihrer wissenschaftlichen Vita und ihrem perfekten Polnisch ableiten. Dem Förderantrag für die ihr übertragene Tätigkeit habe kein anderer Beschäftigter gerecht werden können. Das gebundene Ermessen der Beklagten sei demnach auf Null reduziert gewesen. Jedenfalls bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung. Sollten die Tarifnormen die erstrebte Stufenzuordnung nicht begründen, verstießen sie gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Stufenzuordnung sei auch unwirksam, weil der Personalrat ihr nicht zugestimmt habe. Im Übrigen sei sie mit den Arbeitnehmern Dr. G, Dr. Gr und Dr. W gleichzubehandeln.

9

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr für die Zeit ab 1. März 2008 Vergütung nach Stufe 3 und ab 1. April 2011 bis 30. September 2011 Vergütung nach Stufe 4 der Entgeltgruppe 13 TV-L zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die Vergütungsdifferenz zwischen den Stufen 1 und 3 für den Zeitraum vom 1. März 2008 bis 31. März 2009, zwischen den Stufen 2 und 3 für den Zeitraum vom 1. April 2009 bis 31. März 2011 und zwischen den Stufen 3 und 4 für die Zeit vom 1. April 2011 bis 30. September 2011, jeweils ab dem 1. des Folgemonats.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich dahin eingelassen, dass es sich bei den vor dem 1. März 2008 versehenen Aufgaben um andere Tätigkeiten der Klägerin - die Vermittlung interkultureller Kompetenzen außerhalb curricularer Veranstaltungen - gehandelt habe. Die Workshops und Seminare, die die Klägerin betreut habe, seien Zusatzangebote der Beklagten gewesen. Studierende und Mitarbeiter hätten in diesem Rahmen die Möglichkeit gehabt, bestimmte Schlüsselqualifikationen zu erwerben. Dass die Klägerin über den 20. Dezember 2007 hinaus für die Beklagte tätig gewesen sei, sei darauf zurückzuführen, dass sie den Auftrag bis zu diesem Datum nicht abgearbeitet gehabt habe. Die Beklagte hat gemeint, die Tätigkeiten der Klägerin vor dem 1. März 2008 könnten für die Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L Hochschule nicht berücksichtigt werden, weil sie nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt worden seien. Auch im Rahmen von Dienst- und Werkverträgen seien fachliche Vorgaben einzuhalten, soweit das für die ordnungsgemäße Vertragserfüllung erforderlich sei. Der Klägerin stünden die erhobenen Ansprüche auch aufgrund von § 16 Abs. 2 Satz 3 und 4, § 16 Abs. 2 Satz 6 und § 16 Abs. 5 TV-L Hochschule nicht zu. Hinsichtlich der Personalratsbeteiligung habe sie den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts genügt. Der wissenschaftliche Personalrat habe sein Mitbestimmungsrecht bei der Anerkennung einschlägiger Berufserfahrung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 bis 3 TV-L Hochschule ausgeübt. Für die Anerkennung förderlicher Zeiten komme ihm nur ein Informationsrecht zu. Die Klägerin sei auch nicht mit Frau Dr. G gleichzubehandeln. Für deren Einstellung habe ein besonderes Gewinnungsinteresse mit Blick auf den Aufbau und die Leitung des Schreibzentrums bestanden. Frau Dr. G sei durch die Drittmittelgeberin ausdrücklich benannt gewesen. Für die Stelle der Klägerin habe es demgegenüber keine Probleme bei der Personalgewinnung gegeben, zumal die Drittmittelgeberin die Klägerin für das Drittmittelprojekt nicht benannt habe. Auch Herr Dr. Gr und Frau Dr. W seien mit der Klägerin nicht vergleichbar, weil für sie ein besonderes Gewinnungsinteresse bestanden habe. Für Herrn Dr. Gr gelte das, weil er - unstreitig - der einzige Muttersprachler der Sprache Spanisch unter den Bewerbern gewesen sei. Frau Dr. W sei eine Spezialistin auf dem Gebiet der Gebärdensprachlinguistik. Im Übrigen handle es sich um personenbezogene Einzelfallentscheidungen. Die Klägerin habe sich jedenfalls mit dem Arbeitsvertrag vom 1. April 2011 mit der Zuordnung zu Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L einverstanden erklärt. Im Übrigen sei die Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L nicht gewahrt.

11

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Feststellungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.

13

A. Die Feststellungsklage ist zulässig. Die Erfordernisse des § 256 Abs. 1 ZPO sind gewahrt. Das angestrebte Urteil ist trotz seiner lediglich feststellenden und einer Vollstreckung nicht zugänglichen Wirkung geeignet, den Streit der Parteien über die Berechnung der Vergütung beizulegen und weitere Prozesse zwischen ihnen zu vermeiden.

14

I. Der von § 256 Abs. 1 ZPO verlangte Gegenwartsbezug des Rechtsverhältnisses wird dadurch hergestellt, dass die Klägerin die Erfüllung konkreter, auf ein höheres Entgelt gerichteter Ansprüche aus einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum und damit gegenwärtige rechtliche Vorteile erstrebt(vgl. für die st. Rspr. BAG 28. Juni 2012 - 6 AZR 745/10 - Rn. 13).

15

II. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse besteht. Mit dem angestrebten Feststellungsurteil wird die Stufenzuordnung der Klägerin und mit ihr die Berechnung der Vergütung auch zukunftsbezogen dem Streit der Parteien entzogen (vgl. BAG 8. Dezember 2011 - 6 AZR 350/10 - Rn. 12). Das rechtfertigt die Annahme eines rechtlichen Interesses. Dafür sprechen ua. prozessökonomische Gründe. Die Klägerin war deswegen nicht gehalten, objektiv gehäufte Leistungsklagen zu erheben.

16

III. Der Feststellungsantrag ist auch zulässig, soweit er Zinsforderungen zum Gegenstand hat (vgl. BAG 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 7 und 10; ausdrücklich 26. März 1997 - 4 AZR 489/95 - zu I der Gründe). Die Zinsforderung ist gegenüber der Hauptforderung akzessorisch. Sie soll in prozessualer Hinsicht das Schicksal der Hauptforderung teilen, wie § 4 Abs. 1 und § 264 Nr. 2 ZPO zeigen(vgl. schon BAG 21. Januar 1970 - 4 AZR 106/69 - BAGE 22, 247, 249).

17

B. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin war in den streitgegenständlichen Zeiträumen den richtigen Stufen der Entgeltgruppe 13 TV-L zugeordnet. Sie hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf die erstrebten Zuordnungen zu Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L ab 1. März 2008 und zu Stufe 4 dieser Entgeltgruppe vom 1. April 2011 bis 30. September 2011. Die Klägerin war für die Zeit ab 1. März 2008 nach § 16 Abs. 2 Satz 1 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L zunächst Stufe 1 der Entgeltgruppe 13 TV-L zugeordnet. Nach dem Ende der Stufenlaufzeit des § 16 Abs. 3 Satz 1 erster Spiegelstrich TV-L ab 1. April 2009 war die Klägerin Stufe 2 der Entgeltgruppe 13 TV-L zugeordnet.

18

I. Ein Anspruch der Klägerin auf die erstrebten Stufenzuordnungen ergibt sich nicht aus dem im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen § 16 Abs. 2 Satz 2 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L. Aus dem Vortrag der Klägerin geht nicht hervor, dass sie von der Beklagten in der Zeit vor dem 1. März 2008 in einem Arbeitsverhältnis in persönlicher Abhängigkeit beschäftigt wurde. Ihre in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

19

1. § 16 Abs. 2 Satz 2 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L erfordert nach dem eindeutigen Wortlaut der Tarifregelung eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zu demselben Arbeitgeber. Für die Begriffsbestimmung ist maßgeblich, welche Bedeutung die Tarifvertragsparteien dem Begriff im jeweiligen Regelungszusammenhang geben wollen (vgl. BAG 21. Februar 2013 - 6 AZR 524/11 - Rn. 9). Gebrauchen die Tarifvertragsparteien einen Rechtsbegriff, ist anzunehmen, dass sie ihn in seiner rechtlichen Bedeutung verwenden wollen (st. Rspr., vgl. nur BAG 20. Juni 2013 - 6 AZR 696/11 - Rn. 17; 21. Februar 2013 - 6 AZR 539/11 - Rn. 18). Das zieht die Revision auch nicht in Zweifel.

20

2. Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, dass zwischen den Parteien vor der Begründung des Arbeitsverhältnisses, das zum 1. März 2008 aufgenommen wurde, bereits nach dem Vorbringen der Klägerin kein Arbeitsverhältnis bestand. Den früheren Rechtsverhältnissen lagen sog. Werk- oder Dienstverträge zugrunde.

21

a) Durch einen Werkvertrag wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werks, der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet (§ 631 Abs. 1 BGB). Gegenstand eines Werkvertrags kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein (§ 631 Abs. 2 BGB). Für die Abgrenzung vom Dienstvertrag kommt es darauf an, ob ein bestimmtes Arbeitsergebnis bzw. ein bestimmter Arbeitserfolg oder nur eine bestimmte Dienstleistung als solche geschuldet wird (vgl. BAG 25. September 2013 - 10 AZR 282/12 - Rn. 15; BGH 16. Juli 2002 - X ZR 27/01 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 151, 330).

22

b) Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von den Rechtsverhältnissen eines Werkunternehmers oder selbständig Dienstleistenden entscheidend durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit (vgl. für die Abgrenzung zum Werkvertrag BAG 25. September 2013 - 10 AZR 282/12 - Rn. 16; BGH 25. Juni 2002 - X ZR 83/00 - zu I 2 b aa der Gründe). Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienst eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 HGB; BAG 25. September 2013 - 10 AZR 282/12 - Rn. 16 mwN; 29. August 2012 - 10 AZR 499/11 - Rn. 15). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Ob ein Werkvertrags-, ein Dienst- oder ein Arbeitsverhältnis besteht, zeigt der wirkliche Geschäftsinhalt. Zwingende gesetzliche Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass Parteien ihr Arbeitsverhältnis anders bezeichnen (vgl. BAG 25. September 2013 - 10 AZR 282/12 - Rn. 16).

23

c) Welches Rechtsverhältnis begründet wurde, ist anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist die tatsächliche Durchführung maßgebend (vgl. BAG 25. September 2013 - 10 AZR 282/12 - Rn. 17; 29. August 2012 - 10 AZR 499/11 - Rn. 15).

24

d) Diese Grundsätze gelten auch für Unterrichtstätigkeiten. Entscheidend ist, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist, in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und Weise der Unterrichtserteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung mitgestalten und inwieweit sie zu Nebenarbeiten herangezogen werden kann. Wer an einer allgemeinbildenden Schule unterrichtet, ist in der Regel Arbeitnehmer, auch wenn er seinen Beruf nebenberuflich ausübt. Dagegen können etwa Volkshochschuldozenten, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, oder Lehrkräfte, die nur Zusatzunterricht erteilen, auch als freie Mitarbeiter beschäftigt werden (vgl. BAG 15. Februar 2012 - 10 AZR 301/10 - Rn. 14; 20. Januar 2010 - 5 AZR 106/09 - Rn. 19; 9. Juli 2003 - 5 AZR 595/02 - zu II 2 der Gründe; Reinecke ZTR 2013, 531, 532 ff.). Das gilt selbst dann, wenn es sich bei ihrem Unterricht um aufeinander abgestimmte Kurse mit zuvor festgelegtem Programm handelt (vgl. BAG 9. März 2005 - 5 AZR 493/04 - zu II 1 b der Gründe). Jedenfalls im Bereich von Universitäten und Hochschulen ist die Bindung an hochschulrechtliche Vorschriften und Lehrpläne zumindest dann nicht entscheidend, wenn die Lehrtätigkeit nicht durch das Ziel eines förmlichen Hochschulabschlusses oder universitären Abschlusses geprägt wird. Dann liegt der Vergleich mit Lehrkräften an einer Volkshochschule außerhalb schulischer Lehrgänge nahe (vgl. BAG 9. März 2005 - 5 AZR 493/04 - zu II 1 b der Gründe). Volkshochschuldozenten, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, sind nur dann Arbeitnehmer, wenn die Vertragsparteien das vereinbart haben oder sich aus den Umständen des Einzelfalls ergibt, dass der für ein Arbeitsverhältnis erforderliche Grad der persönlichen Abhängigkeit erreicht ist (vgl. BAG 29. Mai 2002 - 5 AZR 161/01 - zu II 2 der Gründe). Methodische und didaktische Anweisungen zur Unterrichtsgestaltung können sowohl bei Volkshochschuldozenten als auch im Hochschul- und Universitätsbereich zu fremdbestimmter persönlicher Abhängigkeit führen (vgl. BAG 13. November 1991 - 7 AZR 31/91 - zu III 5 d aa und bb der Gründe, BAGE 69, 62; 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - zu B II 4 c aa der Gründe; im Unterschied dazu für Lehrkräfte, die nicht an Universitäten oder Hochschulen und nicht als Volkshochschuldozenten tätig sind, zB BAG 15. Februar 2012 - 10 AZR 301/10 - Rn. 14; 20. Januar 2010 - 5 AZR 106/09 - Rn. 19; grundlegend 12. September 1996 - 5 AZR 104/95 - zu II der Gründe, BAGE 84, 124; LAG Düsseldorf 18. März 2013 - 9 Sa 1746/12 - zu I 1 a aa der Gründe mwN: nicht individualisierende, sondern typisierende Betrachtung).

25

e) Nach diesen Grundsätzen ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass zwischen den Parteien auch schon vor dem 1. März 2008 nach dem wahren Geschäftsinhalt ein Arbeitsverhältnis bestanden habe, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist, soweit sie sich auf Tatsachen stützt, nur darauf überprüfbar, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (vgl. BAG 25. September 2013 - 10 AZR 282/12 - Rn. 18; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 29). Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Klägerin nicht auf.

26

aa) Die schriftlichen Vertragsgrundlagen deuten nicht darauf hin, dass die Klägerin vor ihrer Beschäftigung seit 1. März 2008 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten stand. Sie können nur anhand des exemplarisch vorgelegten Vertrags „über eine freie Mitarbeit (Honorarvertrag)“ für die Zeit vom 20. September 2007 bis 20. Dezember 2007 beurteilt werden.

27

(1) Dieser Vertrag ist allerdings nicht als Werkvertrag anzusehen. Nach § 631 Abs. 1 BGB handelt es sich nur dann um einen Werkvertrag, wenn sich der Unternehmer zur Herstellung eines Werks verpflichtet. Ein „Werk“ setzt ein fassbares Arbeitsergebnis voraus. Die Klägerin schuldete jedoch keinen bestimmten Erfolg, sondern die Vorbereitung und Durchführung interkultureller Workshops und damit die Unterrichtstätigkeit als solche (vgl. BAG 13. November 1991 - 7 AZR 31/91 - zu II der Gründe, BAGE 69, 62).

28

(2) Der Senat kann offenlassen, ob es sich bei dem für die Zeit vom 20. September 2007 bis 20. Dezember 2007 vorgelegten Vertrag um einen typischen oder einen nur beschränkt revisiblen atypischen Vertrag handelt. Die Auslegung des Vertrags durch das Landesarbeitsgericht, die ihn als (freien) Dienstvertrag einordnet, lässt auch dann keinen Rechtsfehler erkennen, wenn von einem revisionsrechtlich unbeschränkt überprüfbaren Vertrag ausgegangen wird. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die vertraglichen Regelungen gegen eine persönliche Abhängigkeit der Klägerin während der Vertragsdauer sprechen. In § 1 Abs. 2 des Vertrags war bestimmt, dass die Klägerin keinem Weisungsrecht der Beklagten als Auftraggeberin unterworfen war, sondern lediglich die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrags sicherzustellen hatte. § 3 des Vertrags sah vor, dass die Klägerin nicht verpflichtet war, jeden Auftrag höchstpersönlich auszuführen, sondern Erfüllungsgehilfen heranziehen konnte. Sie durfte einzelne Aufträge ohne Angabe von Gründen ablehnen (§ 4 des Vertrags), für andere Auftraggeber tätig werden (§ 5 des Vertrags) und den Tätigkeitsort unter Berücksichtigung der Erfordernisse der übernommenen Aufgaben frei wählen (§ 6 des Vertrags). Dass die Klägerin die räumlichen Einrichtungen der Beklagten nutzen durfte, spricht nicht für ein Arbeitsverhältnis, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat. Im pädagogischen Bereich ist es typisch, dass auch freie Mitarbeiter ihre Tätigkeit nur in den Räumen des Dienstgebers versehen können und aus diesem Grund an einen bestimmten Ort gebunden sind. Diese Bindung begründet keine persönliche Abhängigkeit (vgl. BAG 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - zu B II 4 e der Gründe).

29

bb) Rechtsfehlerfrei ist auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe keine von den schriftlichen Vertragsgrundlagen abweichende Vertragsdurchführung dargelegt. Aus dem Sachvortrag der Klägerin ergeben sich keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass sie vor dem 1. März 2008 im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses für die Beklagte tätig war.

30

(1) Die Rüge des § 286 ZPO greift nicht durch.

31

(a) Die Rüge ist zulässig.

32

(aa) Nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Revisionsgericht nur das Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist, zu beurteilen. § 559 Abs. 1 Satz 2 ZPO bestimmt, dass das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gebunden ist, soweit keine zulässige und begründete Verfahrensrüge iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO erhoben worden ist. Die Rüge muss nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO die Bezeichnung des Mangels enthalten, den die Revision geltend macht. Bei einer auf § 286 ZPO gestützten Rüge, das Tatsachengericht habe bei seiner Tatsachenfeststellung einen bestimmten Sachvortrag übersehen oder nicht hinreichend berücksichtigt, muss genau angegeben werden, aufgrund welchen Vortrags das Berufungsgericht zu welchen Tatsachenfeststellungen hätte gelangen müssen. Weiter ist darzulegen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht, das Berufungsgericht also bei richtigem Verfahren möglicherweise anders entschieden hätte, sofern sich das nicht aus der Art des gerügten Verfahrensfehlers von selbst ergibt (vgl. BAG 28. August 2013 - 10 AZR 323/12 - Rn. 19; 12. Februar 2013 - 3 AZR 636/10 - Rn. 82).

33

(bb) Diesen Anforderungen genügt die auf § 286 ZPO gestützte Rüge der Revision. Die Klägerin beanstandet, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass sie durchgehend eine gleichartige Tätigkeit ausgeübt habe. Sie habe Workshops und Seminare durchgeführt. Zudem habe sie Übungen und Prüfungen abgehalten. Das sei aufgrund einer Planung der Beklagten für die einzelnen Semester sowie auf der Grundlage feststehender Lehr- und Studienpläne geschehen. Hierfür bezieht sich die Revision auf S. 4 ihres Schriftsatzes vom 26. Mai 2011. Die Klägerin sei danach seit 23. September 2004 durchgehend aufgrund verschiedener Dienst- und Werkverträge für die Beklagte tätig gewesen, die aufgrund ihrer tatsächlichen Durchführung jedoch ein Arbeitsverhältnis begründet hätten. Die Klägerin habe die interkulturellen Workshops, für die sie später eingestellt worden sei, erst entwickelt. Die Tätigkeit seit 1. März 2008 habe sich gegenüber der Tätigkeit seit 23. September 2004 nicht verändert. Das habe die Beklagte auch niemals bestritten. Die Klägerin sei in den Unterrichtsbetrieb eingebunden gewesen. Dessen Inhalte seien durch Studien- und Prüfungsordnungen vorgegeben gewesen. Gleiches gelte für die Unterrichtserteilung und die Vorgabe der Zeit der Seminare und Übungen.

34

(b) Die auf § 286 ZPO gestützte Rüge ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das von der Revision angeführte tatsächliche Vorbringen berücksichtigt, zu Recht aber nicht die von der Klägerin für richtig gehaltenen rechtlichen Schlüsse aus ihm gezogen. So hat es die Behauptung der Klägerin, ihre Tätigkeit habe sich seit 23. September 2004 über den 1. März 2008 hinaus nicht verändert, in den streitigen Teil des Tatbestands des Berufungsurteils aufgenommen. Es hat aufgrund der gebotenen Gesamtwürdigung der Einzelheiten des beiderseitigen Vortrags jedoch zutreffend erkannt, dass die Klägerin vor dem 1. März 2008 nach der tatsächlichen Durchführung der Vertragsverhältnisse nicht persönlich abhängig und nicht hinreichend in den Betrieb der Beklagten eingegliedert war.

35

(aa) Das Berufungsgericht hat entgegen der Auffassung der Revision zu Recht entscheidend darauf abgestellt, die Klägerin habe nicht vorgetragen, dass sie vor dem 1. März 2008 konkreten Einzelweisungen unterworfen gewesen sei. Die Entwicklung der interkulturellen Workshops durch die Klägerin besagt darüber nichts. Die curriculare Bindung ist im Unterrichtsbereich von Universitäten und Hochschulen jedenfalls dann nicht entscheidend, wenn - wie hier - nicht das Ziel eines förmlichen Hochschulabschlusses oder universitären Abschlusses verfolgt wird. Methodische und didaktische Anweisungen zur Unterrichtsgestaltung können dagegen auf ein Arbeitsverhältnis hindeuten (vgl. BAG 13. November 1991 - 7 AZR 31/91 - zu III 5 d aa und bb der Gründe, BAGE 69, 62; 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - zu B II 4 c aa der Gründe). Bereits aus der fehlenden vertraglichen Weisungsbefugnis und den nicht behaupteten Einzelweisungen in der tatsächlichen Durchführung der Verträge geht hervor, dass der wirkliche Geschäftsinhalt vor und nach dem 1. März 2008 nicht unverändert blieb.

36

(bb) Das Landesarbeitsgericht hat ferner zutreffend angenommen, die räumliche und ggf. auch zeitliche Einbindung in den Hochschulbetrieb genüge nicht, um auf persönliche Abhängigkeit der Klägerin schließen zu können. Die Klägerin hat schon nicht vorgebracht, dass es ihr abweichend von dem beispielhaft vorgelegten Vertrag nicht möglich gewesen sei, die Kurse auch außeruniversitär durchzuführen, oder die Beklagte sie abweichend vom Vertragsinhalt konkret angewiesen habe, in bestimmten Räumen tätig zu werden. Sie hat auch nicht vorgetragen, dass sie entgegen dem Vertrag keinen Einfluss auf die konkrete zeitliche Lage der Unterrichtstätigkeit gehabt habe.

37

(cc) Die Klägerin hat schließlich nicht dargelegt, dass die Beklagte sie über den Vertragsinhalt hinaus zu Nebenarbeiten außerhalb der Unterrichtszeit herangezogen habe, zB zu Fortbildungsveranstaltungen oder Dienstbesprechungen (vgl. BAG 13. November 1991 - 7 AZR 31/91 - zu III 5 c aa der Gründe, BAGE 69, 62; 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - zu B II 4 b aa der Gründe). Die Prüfungstätigkeit gehört dagegen zu der vertraglich geschuldeten Dienstleistungspflicht der Klägerin, die auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses erbracht werden kann (vgl. BAG 13. November 1991 - 7 AZR 31/91 - zu III 5 c der Gründe, aaO; 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - zu B II 4 b der Gründe).

38

(2) Die im Zusammenhang mit der Einordnung der Rechtsverhältnisse der Parteien vor dem 1. März 2008 erhobene Aufklärungsrüge ist unzulässig.

39

(a) Wird eine Verletzung der dem Landesarbeitsgericht obliegenden Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) gerügt, reicht es nicht aus, pauschal auf die Verletzung der Aufklärungspflicht hinzuweisen. Es muss vielmehr im Einzelnen vorgetragen werden, welchen konkreten Hinweis das Landesarbeitsgericht dem Revisionskläger aufgrund welcher Tatsachen hätte erteilen müssen und welche weiteren erheblichen Tatsachen der Revisionskläger in der Berufungsinstanz vorgebracht hätte. Nur so kann das Revisionsgericht feststellen, ob die gerügte Verletzung für das Urteil möglicherweise ursächlich war (vgl. BAG 15. Dezember 2011 - 8 AZR 692/10 - Rn. 55; 19. Juli 2011 - 3 AZR 383/09 - Rn. 45).

40

(b) Diesen Anforderungen wird die Rüge nicht gerecht. Die Revision hat zwar beanstandet, im Hinblick auf Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit seien weitere Aufklärungen nicht unternommen worden. Sie hat aber nicht ausgeführt, welchen konkreten Hinweis sie erwartet und welchen Vortrag sie daraufhin gehalten hätte.

41

II. Ein Anspruch auf die begehrten Stufenzuordnungen folgt auch nicht aus § 16 Abs. 2 Satz 3 und 4 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L, weil die Klägerin in den Jahren 1994 bis 1999 vom M-Institut und in den Jahren 2000 bis 2003 von der A-Universität in F beschäftigt wurde.

42

1. Ist einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, erfolgt die Einstellung nach § 16 Abs. 2 Satz 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L in Stufe 2 bzw. - bei Einstellung nach dem 31. Januar 2010 mit einer Berufserfahrung von mindestens drei Jahren - in Stufe 3. § 16 Abs. 2 Satz 4 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L bestimmt, dass Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung an anderen Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen für Einstellungen von Beschäftigten in den Entgeltgruppen 13 bis 15 TV-L grundsätzlich anerkannt werden.

43

2. Die Tätigkeiten der Klägerin als Fremdsprachensekretärin im M-Institut in Vergütungsgruppe VIb und später Vb BAT und als Schreibangestellte der A-Universität in Vergütungsgruppe VIII BAT vermittelten ihr jedoch keine einschlägige Berufserfahrung iSv. § 16 Abs. 2 Satz 3 und 4 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L.

44

a) Einschlägige Berufserfahrung ist nach Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L nur eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit.

45

b) Das trifft für die Tätigkeiten als Fremdsprachensekretärin und als Schreibangestellte im Hinblick auf die jetzige wissenschaftliche Tätigkeit der Klägerin nicht zu. Dass es sich nicht um entsprechende Tätigkeiten handelt, wird vor allem am unterschiedlichen Aufgabenzuschnitt deutlich, aber auch am sehr viel niedrigeren Vergütungsniveau der Vorbeschäftigungen. Bei der Stufenzuordnung nach einer Neueinstellung ist bereits erworbene Berufserfahrung nach § 16 Abs. 2 TV-L nur zu berücksichtigen, wenn die frühere Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird oder zumindest gleichartig war. Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Beschäftigte die Berufserfahrung in einer Tätigkeit erlangt hat, die in ihrer eingruppierungsrechtlichen Wertigkeit der Tätigkeit entspricht, die er nach seiner Einstellung auszuüben hat (vgl. BAG 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 20; 20. September 2012 - 6 AZR 211/11 - Rn. 23). Folgerichtig beruft sich die Klägerin seit dem Berufungsrechtszug nicht länger auf einen Anspruch aus § 16 Abs. 2 Satz 3 und 4 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L.

46

III. Die Klägerin hat auch weder einen Vollanspruch auf die erstrebte frühere Zuordnung zu den höheren Stufen der Entgeltgruppe 13 TV-L noch einen Anspruch auf „Neubescheidung“ aus § 16 Abs. 2 Satz 6 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Regelung sind nach ihrem Vortrag nicht erfüllt.

47

1. § 16 Abs. 2 Satz 6 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L bestimmt, dass der Arbeitgeber bei Neueinstellungen zur Deckung des Personalbedarfs Zeiten einer vorherigen beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise für die Stufenzuordnung berücksichtigen kann, wenn diese Tätigkeit für die vorgesehene Tätigkeit förderlich ist. Die Anforderung einer Einstellung, die der Deckung des Personalbedarfs dient, ist nicht schon dann gewahrt, wenn der Arbeitgeber lediglich freie, im Haushaltsplan ausgewiesene Stellen besetzen will. Vielmehr setzt das Tatbestandsmerkmal voraus, dass der Personalbedarf sonst quantitativ oder qualitativ nicht hinreichend gedeckt werden kann (vgl. BAG 12. September 2013 - 6 AZR 512/12 - Rn. 52; 23. September 2010 - 6 AZR 174/09 - Rn. 15; 26. Juni 2008 - 6 AZR 498/07 - Rn. 29). Mit der Regelung soll erreicht werden, dass der Arbeitgeber etwaigen Personalgewinnungsschwierigkeiten flexibel begegnen kann (vgl. BAG 12. September 2013 - 6 AZR 512/12 - Rn. 52 mwN). Solche Schwierigkeiten können allgemein arbeitsmarktbedingt in bestimmten Tätigkeitsbereichen oder Fachrichtungen, aber auch bei örtlich besonders schwieriger Bewerberlage für bestimmte Aufgaben auftreten (vgl. LAG Baden-Württemberg 21. März 2011 - 22 Sa 76/10 - zu II 3 a der Gründe).

48

2. Dem Erfordernis des besonderen Personalgewinnungsinteresses wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat. Ihre in diesem Zusammenhang erhobene Rüge des § 286 ZPO ist ordnungsgemäß ausgeführt. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

49

a) Die Klägerin beanstandet, das Landesarbeitsgericht habe im Rahmen des Personalgewinnungsinteresses nicht hinreichend berücksichtigt, dass sie die interkulturellen Workshops selbst entwickelt habe, mit dem Preis der BMW Group ausgezeichnet worden sei, hervorragende Referenzen der früheren Präsidentin der Beklagten Prof. Dr. S vorweisen könne, perfekt polnisch spreche und nach ihrer wissenschaftlichen Vita für die Stelle besonders ausgewiesen sei.

50

b) Diesen Vortrag hat das Landesarbeitsgericht zur Kenntnis genommen, wie sich dem streitigen Tatbestand des Berufungsurteils entnehmen lässt. Es hat daraus aber zu Recht nicht gefolgert, dass der Personalbedarf ohne die Einstellung der Klägerin quantitativ oder qualitativ nicht hinreichend hätte gedeckt werden können. Soweit die Klägerin rügt, die Entwicklung der Workshops durch sie selbst begründe ein gesteigertes Personalgewinnungsinteresse, heißt das nicht, dass auf dem allgemeinen oder örtlichen Arbeitsmarkt eine besonders schwierige Bewerberlage bestand. Aus dem Vorbringen der Klägerin geht nicht hervor, dass arbeitsmarktbedingt kein anderer Bewerber für die Stelle in Betracht kam, der sie hätte einnehmen können. Die Klägerin macht der Sache nach geltend, sie sei besonders geeignet für die Position und habe keine oder nur eine geringe Einarbeitungszeit gebraucht. Entsprechendes gilt für den BMW Group Award, die Referenzen der früheren Präsidentin der Beklagten, das perfekte Polnisch der Klägerin und ihren wissenschaftlichen Lebenslauf. Es kann deshalb auf sich beruhen, ob eine Einstellung immer schon dann nicht zur Deckung des Personalbedarfs erfolgt, wenn der eingestellte Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag - wie hier - vorbehaltlos ohne Berücksichtigung der früheren beruflichen Tätigkeit schließt (so LAG Baden-Württemberg 21. März 2011 - 22 Sa 76/10 - zu II 3 a der Gründe, erledigt durch Vergleich im Revisionsverfahren - 6 AZR 254/11 -).

51

3. Da bereits der Tatbestand des § 16 Abs. 2 Satz 6 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L nicht erfüllt ist, braucht der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob auf der Rechtsfolgeseite billiges Ermessen iSv. § 315 BGB auszuüben ist oder freies ungebundenes Ermessen besteht(offengelassen von BAG 23. September 2010 - 6 AZR 174/09 - Rn. 17).

52

IV. Auch § 16 Abs. 5 Satz 1 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 2 TV-L stützt die erhobenen Ansprüche nicht. Die Klägerin beruft sich ausschließlich auf eine sog. Vorweggewährung zur Deckung des Personalbedarfs. Das Erfordernis des in § 16 Abs. 5 Satz 4 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 2 TV-L besonders hervorgehobenen gesteigerten Personalgewinnungsinteresses ist aus den soeben genannten Gründen nicht gewahrt.

53

V. Aus denselben Gründen kann der Senat offenlassen, ob die in § 16 Abs. 2 Satz 6 und Abs. 5 idF von § 40 Nr. 5 TV-L geregelten Tatbestände Vorbeschäftigungen in Arbeitsverhältnissen voraussetzen oder für diese Regelungen auch selbständige Tätigkeiten aufgrund freien Dienstvertrags oder Werkvertrags genügen. Die Klägerin hat ein gesteigertes Personalgewinnungsinteresse nicht dargelegt.

54

VI. Soweit die in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L getroffenen Bestimmungen schon nach ihrem eindeutigen Wortlaut an den vorangegangenen Bestand eines Arbeitsverhältnisses anknüpfen, kann dem keine unbeabsichtigte Tariflücke entnommen werden.

55

1. Das abgeschlossene, sehr differenzierte System der Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 bis 5 idF von § 40 Nr. 5 TV-L zeigt den abschließenden Charakter der Regelungen. Mit § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L wollten die Tarifvertragsparteien Vorbeschäftigungen in persönlicher Abhängigkeit bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber durch (Voll-)Ansprüche auf vollständige oder teilweise Anrechnung der Vorbeschäftigungszeiten privilegieren. Dem liegt ersichtlich die Überlegung zugrunde, dass Vorbeschäftigungszeiten in persönlicher Abhängigkeit dem Charakter des später begründeten, durch das Direktionsrecht (§ 106 Satz 1 GewO) gekennzeichneten Arbeitsverhältnisses weiter gehend entsprechen, als dies bei selbständigen Tätigkeiten der Fall ist. Die Tarifvertragsparteien waren sich des Problems möglicher anderer Rechtsverhältnisse außerhalb von Arbeitsverhältnissen bewusst. Das zeigt sich insbesondere an der in Protokollerklärung Nr. 2 zu § 16 Abs. 2 TV-L für Praktikanten getroffenen Regelung.

56

2. Dieser Regelungswille steht einer unbeabsichtigten Tariflücke entgegen. Die Arbeitsgerichte dürfen nicht gegen den - hier erkennbar geäußerten - Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche Regelungen „schaffen“ oder die schlechte Verhandlungsführung einer Tarifvertragspartei durch Vertragshilfe ausgleichen. Das wäre ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie (vgl. BAG 12. September 2013 - 6 AZR 512/12 - Rn. 59; 16. Mai 2013 - 6 AZR 619/11 - Rn. 31).

57

VII. Die Tarifvertragsparteien überschritten mit dem Konzept der Unterscheidung von Arbeitsverhältnissen und anderen Rechtsverhältnissen in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L nicht die Grenzen ihrer Regelungsmacht. Die Differenzierung durch den Begünstigungsausschluss selbständig Tätiger verletzt entgegen der Auffassung der Revision nicht den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Frühere selbständige Tätigkeit ist kein mit der Vorbeschäftigung in einem Arbeitsverhältnis vergleichbarer Sachverhalt.

58

1. Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte dennoch dazu, Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheits- und sachwidrigen Unterscheidungen führen und daher Art. 3 Abs. 1 GG verletzen. Den Tarifvertragsparteien kommt als selbständigen Grundrechtsträgern allerdings aufgrund der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Wie weit dieser Spielraum reicht, hängt von den Differenzierungsmerkmalen im Einzelfall ab. Hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen liegt die Einschätzungsprärogative bei den Tarifvertragsparteien (vgl. BAG 20. September 2012 - 6 AZR 211/11 - Rn. 15; 23. September 2010 - 6 AZR 180/09 - Rn. 12, BAGE 135, 313). Sie brauchen nicht die sachgerechteste oder zweckmäßigste Regelung zu finden (vgl. BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 619/11 - Rn. 34).

59

2. Art. 3 GG untersagt zwar auch einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss, mit dem ein Personenkreis begünstigt und ein anderer Personenkreis von der Begünstigung ausgenommen wird(vgl. BVerfG 10. Juli 2012 - 1 BvL 2/10, 1 BvL 1 BvL 3/10, 1 BvL 1 BvL 4/10, 1 BvL 1 BvL 3/11 - Rn. 21, BVerfGE 132, 72; 21. Juli 2010 - 1 BvR 611/07, 1 BvR 1 BvR 2464/07 - Rn. 78, BVerfGE 126, 400; BAG 20. September 2012 - 6 AZR 211/11 - Rn. 16; 16. Dezember 2010 - 6 AZR 437/09 - Rn. 19). Verfassungsrechtlich erheblich ist jedoch nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem bzw. die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. Dabei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln (vgl. BAG 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 34; 20. September 2012 - 6 AZR 211/11 - Rn. 16).

60

3. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfG 21. Juli 2010 - 1 BvR 611/07, 1 BvR 1 BvR 2464/07 - Rn. 79, BVerfGE 126, 400; BAG 16. Dezember 2010 - 6 AZR 437/09 - Rn. 19). Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung ist der Gleichheitssatz verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BAG 16. Dezember 2010 - 6 AZR 437/09 - Rn. 20).

61

4. Gemessen daran ist es nicht zu beanstanden, dass die Tarifvertragsparteien Tätigkeiten außerhalb eines Arbeitsverhältnisses von den zu (Voll-)Ansprüchen ausgestalteten Anrechnungstatbeständen in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L ausnahmen (krit. Kossens jurisPR-ArbR 15/2012 Anm. 5).

62

a) Für die Anrechnungstatbestände in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L wird nur die Berufserfahrung berücksichtigt, die dem Arbeitnehmer und damit seinem Arbeitgeber auch in der Tätigkeit, für die er neu eingestellt wurde, zugutekommt (vgl. 20. September 2012 - 6 AZR 211/11 - Rn. 19). Typisierend gingen die Tarifvertragsparteien bei abhängiger Beschäftigung nach selbständiger Tätigkeit angesichts der anderen Strukturen der Rechtsverhältnisse davon aus, dass eine frühere selbständige Tätigkeit dem Arbeitgeber in einem späteren Arbeitsverhältnis nicht zugutekommt. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses ist aus dieser Sicht eine Zäsur, die den Übergang in völlig andere rechtliche Beziehungen markiert. Das gilt im Fall des § 16 Abs. 2 Satz 2 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L selbst dann, wenn es sich um dieselben Vertragspartner handelt. Die Tätigkeit ist nun fremdbestimmt in persönlicher Abhängigkeit zu versehen und vom Direktionsrecht des Arbeitgebers aus § 106 Satz 1 GewO geprägt. Im Gegenzug erlangt der Eingestellte weiter gehende Schutzrechte, als sie ihm außerhalb des Arbeitsverhältnisses zukamen. Die rechtliche Situation eines zuvor selbständig Tätigen verändert sich demnach mit Blick auf Rechte und Pflichten erheblich. Damit wechselt auch der Charakter der Berufserfahrung, die er in den unterschiedlichen Rechtsverhältnissen sammelt. Das wird im Streitfall besonders deutlich. Die Klägerin war auf der Grundlage des für die Zeit vom 20. September 2007 bis 20. Dezember 2007 geschlossenen Dienstvertrags nicht weisungsgebunden. Sie durfte sogar - über die Zweifelsregelung des § 613 Satz 1 BGB hinaus - Erfüllungsgehilfen einsetzen und ihnen Weisungen erteilen. In dem jetzigen Arbeitsverhältnis ist sie dagegen unmittelbar weisungsgebunden.

63

b) Das Konzept der Tarifvertragsparteien, selbständige Tätigkeiten von einer Anrechnung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L auszunehmen, ist deswegen von ihrer typisierenden Einschätzungsprärogative gedeckt. Es ist nicht sachfremd, nach dem typischen Charakter der zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse zu differenzieren (vgl. BVerfG 28. November 1997 - 1 BvR 8/96 - zu II der Gründe). Ob den Tarifvertragsparteien mit der unterbleibenden Anrechnung von Zeiten selbständiger Tätigkeit eine zweckmäßige und überzeugende Regelung gelungen ist, hat der Senat nicht zu beurteilen (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 6 AZR 382/09 - Rn. 26 mwN).

64

c) Diese Lösung entspricht der bisherigen Rechtsprechungslinie.

65

aa) So hat der Senat die unterschiedlich ausgestalteten Anrechnungstatbestände bei demselben und einem anderen Arbeitgeber in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 TV-L als nicht gleichheitswidrig akzeptiert(vgl. BAG 23. September 2010 - 6 AZR 180/09 - Rn. 15 ff., BAGE 135, 313).

66

bb) Der Senat hat es auch für vereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz gehalten, dass Zeiten einschlägiger Berufserfahrung aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber bei der Stufenzuordnung nicht ebenso berücksichtigt werden wie Zeiten einschlägiger Berufserfahrung bei ununterbrochenem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit diesem Arbeitgeber (vgl. BAG 21. Februar 2013 - 6 AZR 524/11 - Rn. 9; 27. Januar 2011 - 6 AZR 382/09 - Rn. 26). Das gilt allerdings nicht für vorangegangene befristete Arbeitsverhältnisse. Befristet und unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer sind hinsichtlich ihrer Berufserfahrung vergleichbar, wenn es sich um identische oder zumindest gleichwertige Tätigkeiten handelt. In diesem Fall besteht gewissermaßen ein einheitliches, fortgesetztes Arbeitsverhältnis (vgl. BAG 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 28; 21. Februar 2013 - 6 AZR 524/11 - Rn. 30). Von dem Fall der vorangegangenen Befristung abgesehen liegt es grundsätzlich innerhalb der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien, ob und ggf. in welchem Umfang sie vor dem Beginn des Arbeitsverhältnisses ausgeübte Tätigkeiten auf die Stufenlaufzeit anrechnen. Die Tarifvertragsparteien dürfen daher Arbeitnehmer, die die einschlägige Berufserfahrung in einem ununterbrochen fortbestehenden Arbeitsverhältnis erworben haben, bei der Stufenzuordnung gegenüber Arbeitnehmern begünstigen, die nach der Beendigung ihres unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen sind. Das gilt grundsätzlich auch im Fall der Wiedereinstellung im unmittelbaren Anschluss an das vorherige unbefristete Arbeitsverhältnis. Diesen Sonderfall mussten die Tarifvertragsparteien nicht der Beschäftigung in einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis gleichstellen. Sie durften annehmen, dass ein Arbeitnehmer nach dem Ende eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses typischerweise nicht sofort wieder von demselben Arbeitgeber eingestellt wird (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 6 AZR 382/09 - Rn. 26 mwN). Daran wird deutlich, dass Tarifvertragsparteien Lebenssachverhalte, die in wesentlichen Elementen gleichgeartet sind, bei der Gruppenbildung normativ zusammenfassen dürfen und dabei Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, generalisierend vernachlässigen dürfen, soweit sie sich am Regelfall orientieren. Sie sind nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen, sofern die vorgenommenen Verallgemeinerungen tragfähig sind und die Differenzierungsmerkmale im Normzweck angelegt sind (vgl. BAG 13. August 2009 - 6 AZR 177/08 - Rn. 26).

67

VIII. Die geltend gemachten Ansprüche lassen sich auch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen.

68

1. Der Senat hat diese Anspruchsgrundlage zu untersuchen. Die Auffassung der Beklagten, nur die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen tariflichen Anspruchsgrundlagen seien zu überprüfen, trifft nicht zu.

69

a) Das Landesarbeitsgericht hat die Revision unbeschränkt hinsichtlich sämtlicher prozessualer Streitgegenstände zugelassen. Die Klägerin hat auch mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz Rügen geführt. Der Senat kann deshalb offenlassen, ob es sich wegen des abweichenden zugrunde liegenden Sachverhalts um einen anderen prozessualen Streitgegenstand iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO als die tarifliche Stufenzuordnung und damit um eine objektive Klagegrundhäufung handelt.

70

b) Wäre der Streitgegenstand demgegenüber prozessual identisch, wäre der Senat auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts nach § 557 Abs. 3 Satz 1 ZPO selbst ohne den - hier geführten - Revisionsangriff nicht an die geltend gemachten Revisionsgründe gebunden(vgl. BGH 29. Juni 2010 - X ZR 193/03 - Rn. 7, BGHZ 186, 90). Die Klägerin hat im Zusammenhang mit der Frage der tarifgerechten Stufenzuordnung zulässige Verfahrens- und Sachrügen erhoben. Das eröffnete im Fall eines identischen prozessualen Streitgegenstands den gesamten Prüfungsstoff des Falls. In diesem Rahmen wären alle materiellen Anspruchsgrundlagen zu bedenken.

71

2. Die Beklagte wandte die Stufenzuordnungsregeln des § 16 Abs. 2 und 5 idF von § 40 Nr. 5 TV-L nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts jedoch nicht bewusst übertariflich auf die drei Arbeitnehmer Dr. G, Dr. Gr und Dr. W an.

72

a) Wendet ein Arbeitgeber das mit einer Gewerkschaft ausgehandelte Regelwerk für den erfassten Personenkreis gelöst von den tariflichen Voraussetzungen an, macht er es zu seinem eigenen, von ihm selbst gesetzten Ordnungsgefüge. Er muss dieses Verhalten am Maßstab des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes messen lassen. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz wird unabhängig von seiner umstrittenen dogmatischen Herleitung inhaltlich durch den Gleichheitssatz bestimmt. Er verbietet die sachlich ungerechtfertigte Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage und die sachfremde Gruppenbildung (vgl. nur BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 619/11 - Rn. 42; 12. Dezember 2012 - 10 AZR 718/11 - Rn. 44). Sachfremd ist eine Differenzierung, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt, wenn die Regelung mit anderen Worten für eine am Gleichheitsgedanken orientierte Betrachtung willkürlich ist (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 552/11 - Rn. 62).

73

b) Danach kann die Klägerin die erstrebten früheren Zuordnungen zu höheren Entgeltstufen auf der Grundlage des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht beanspruchen.

74

aa) Der Senat kann zugunsten der Klägerin annehmen, dass es sich bei den früheren Zuordnungen der Arbeitnehmer Dr. G, Dr. Gr und Dr. W zu höheren Stufen nicht nur um Einzelfälle handelte und der Gleichbehandlungsgrundsatz daher zu beachten ist. Im Bereich des Entgelts gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz nur eingeschränkt. Vorrang hat der Grundsatz der Vertragsfreiheit für individuell ausgehandelte Vergütungen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet allerdings auch im Bereich des Entgelts Anwendung, wenn der Arbeitgeber die Vergütung nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegt (vgl. BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 619/11 - Rn. 44; 23. Oktober 2012 - 4 AZR 48/11 - Rn. 14).

75

bb) Das Landesarbeitsgericht hat gleichwohl rechtsfehlerfrei angenommen, die Klägerin habe keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Abweichung von dem regelmäßig gewollten Normvollzug dargelegt.

76

(1) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz greift wegen seines Schutzcharakters gegenüber der Gestaltungsmacht des Arbeitgebers nur dort ein, wo der Arbeitgeber durch eigenes gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung schafft, nicht jedoch bei bloßem - auch vermeintlichem - Normvollzug (vgl. BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 619/11 - Rn. 46; 23. Oktober 2012 - 4 AZR 48/11 - Rn. 14 mwN). Darin liegt keine verteilende Entscheidung des Arbeitgebers. Eine solche Entscheidung trifft der Arbeitgeber erst, wenn er in Kenntnis einer fehlenden Rechtsgrundlage Leistungen erbringt (vgl. BAG 27. Juni 2012 - 5 AZR 317/11 - Rn. 17).

77

(2) Eine derartige bewusste Entscheidung hat die Klägerin nicht ausreichend dargelegt. Das Landesarbeitsgericht hat aus ihrem Vorbringen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise nicht die Überzeugung gewonnen (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO), die Beklagte habe die drei Arbeitnehmer bewusst und nicht nur rechtsirrig früher höheren Entgeltstufen zugeordnet. Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht sei ihrem Vortrag nicht nachgegangen, den Arbeitnehmern Dr. G, Dr. Gr und Dr. W seien übertarifliche Leistungen gewährt worden, greift nicht durch.

78

(a) Die Klägerin beanstandet, das Landesarbeitsgericht habe ihr Vorbringen außer Acht gelassen, für die drei Arbeitnehmer habe kein besonderes Personalgewinnungsinteresse bestanden. Sie habe zudem bestritten, dass Frau Dr. G im Drittmittelantrag der Drittmittelgeberin benannt gewesen sei. Auch die Klägerin beherrsche die polnische Sprache perfekt, obwohl der Arbeitnehmer Dr. Gr nach den Ausführungen der Beklagten der einzige Muttersprachler unter den Bewerbern gewesen sei.

79

(b) Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag im streitigen Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich behandelt. Es hat ihn für seine rechtliche Würdigung aber für unbeachtlich gehalten, weil es angenommen hat, auch nach dem streitigen Vorbringen der Klägerin ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den Arbeitnehmern abweichend von den tariflichen Regelungen übertarifliche Leistungen habe gewähren wollen. Die Beklagte habe ersichtlich keine von den tariflichen Bestimmungen abweichende eigene Ordnung schaffen wollen, nach der jedenfalls einem Teil der neu eingestellten Arbeitnehmer unabhängig von den tariflichen Regelungen höhere Stufen hätten gewährt werden sollen. Es komme deswegen im Ergebnis nicht darauf an, ob die Beklagte in Einzelfällen von geringeren Anforderungen des Tatbestandsmerkmals „zur Deckung des Personalbedarfs“ ausgegangen sei, als das bei zutreffender Auslegung richtig gewesen wäre.

80

(c) Diese Überzeugungsbildung ist nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zu beanstanden und lässt keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen. Die Klägerin beruft sich auch mit ihrer Verfahrensrüge auf keinen Vortrag, der Anhaltspunkte dafür erkennen ließe, dass die Beklagte die drei Arbeitnehmer bewusst und nicht rechtsirrig früher höheren Entgeltstufen zuordnete. Aus den Darlegungen der Klägerin geht der Ausnahmetatbestand einer bewussten verteilenden Entscheidung über den bloßen vermeintlichen Normvollzug hinaus demnach nicht hervor. Die Klägerin wurde nicht nach sachfremden Kriterien ausgegrenzt.

81

(d) Soweit die Klägerin wegen ihrer polnischen Sprachkenntnisse ein ebenso großes Personalgewinnungsinteresse für sich wie für den Arbeitnehmer Dr. Gr reklamiert, lässt sie ferner unberücksichtigt, dass die Beklagte unbestritten einen spanischsprachigen Muttersprachler gewinnen wollte.

82

IX. Die Klägerin hat selbst dann nicht Anspruch auf die früheren Zuordnungen zu den höheren Entgeltstufen, wenn die Beklagte das Mitbestimmungsrecht des Personalrats verletzt haben sollte.

83

1. Der Senat braucht nicht darüber zu befinden, ob ein solches Mitbestimmungsrecht bestand und ob es nach dem festgestellten Sachverhalt verletzt wurde. Wird beides zugunsten der Klägerin unterstellt, stützt das die erhobenen Ansprüche dennoch nicht.

84

2. Die Verletzung eines Mitbestimmungsrechts kann nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung auch im Personalvertretungsrecht dazu führen, dass Entscheidungen des Arbeitgebers unwirksam sind (vgl. BAG 22. Mai 2012 - 1 AZR 94/11 - Rn. 29). Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmervertretung führt jedoch nicht zu individualrechtlichen Ansprüchen der betroffenen Arbeitnehmer, die zuvor nicht bestanden. Die tatsächlich durchgeführte Mitbestimmung ist Wirksamkeitsvoraussetzung für Maßnahmen zum Nachteil des Arbeitnehmers. Benachteiligend sind nur solche Maßnahmen, die bereits bestehende Rechtspositionen des Arbeitnehmers schmälern (vgl. BAG 22. Juni 2010 - 1 AZR 853/08 - Rn. 42, BAGE 135, 13). Der Arbeitnehmer erlangt dagegen auch durch eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts keinen Anspruch auf Leistungen, die der Arbeitgeber nicht schuldet (vgl. BAG 25. April 2013 - 6 AZR 800/11 - Rn. 43; s. auch 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 40). Die von der Klägerin aus einer Verletzung des Mitbestimmungsrechts abgeleitete gesteigerte Darlegungslast der Beklagten für die tarifgerechte Stufenzuordnung besteht deshalb nicht.

85

X. Da die erhobenen Ansprüche auf die erstrebten Stufenzuordnungen nicht entstanden sind, kommt es auf die Frage, ob und welche Ansprüche auf Einzelleistungen nach § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L verfallen wären, nicht an(vgl. dazu BAG 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 47 mwN).

86

C. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    M. Geyer    

        

    Steinbrück    

                 

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

(1) Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis.

(2) Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.

(3) Wer die Heilkunde bisher berufsmäßig ausgeübt hat und weiterhin ausüben will, erhält die Erlaubnis nach Maßgabe der Durchführungsbestimmungen; er führt die Berufsbezeichnung "Heilpraktiker".

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Oktober 2011 - 26 Sa 1110/11 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Stufenzuordnung der Klägerin.

2

Die Klägerin war vom 1. Oktober 1994 bis 9. April 1999 in der wissenschaftlichen Redaktion des M-Instituts in F als Fremdsprachensekretärin mit Aufgaben im Lektorat, in der Redaktion und im Layout tätig. Sie erhielt zunächst Gehalt der Vergütungsgruppe VIb und danach Vb des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT). Vom 1. Dezember 2000 bis September 2003 war die Klägerin als Aushilfsangestellte (Schreibangestellte) an der A-Universität in F in Vergütungsgruppe VIII BAT beschäftigt. Von 2003 bis 2005 war sie Stipendiatin und bis 2007 Doktorandin der beklagten Universität. Seit 23. September 2004 war die Klägerin daneben aufgrund verschiedener Verträge für die Beklagte tätig, die die Parteien als Dienst- oder Werkverträge bezeichneten. Danach hatte sie interkulturelle Workshops zu entwickeln, zu konzipieren, durchzuführen und zu evaluieren. Bezeichnet waren die Inhalte der Workshops nach den Verträgen als „Interkulturelle Mediation in der Grenzregion“, „International“, „Deutsch-Polnisch“, „Deutsch-polnisches Verhandeln“ und „Interkulturelle Trainerausbildung“. Außerdem führte sie Seminare zum Thema „Interkulturelle Kommunikation“ durch. Für die Zeit vom 20. September 2007 bis 20. Dezember 2007 schlossen die Parteien einen beispielhaft vorgelegten Vertrag „über eine freie Mitarbeit (Honorarvertrag)“. Er lautet auszugsweise:

        

㤠1

        

Vertragsgegenstand

        

(1)     

Die Auftraggeberin beauftragt die freie Mitarbeiterin mit der Vorbereitung und Durchführung interkultureller Workshops für Studierende und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

        

(2)     

Den erteilten Auftrag führt die freie Mitarbeiterin in eigener Verantwortung aus. Dabei hat sie zugleich die Interessen der Auftraggeberin zu berücksichtigen. Die freie Mitarbeiterin unterliegt keinem Weisungs- und Direktionsrecht seitens der Auftraggeberin. Sie hat jedoch fachliche Vorgaben so weit zu beachten, als dies die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung erfordert.

        

§ 2

        

Vertragsbeginn und Vertragsbeendigung

        

(1)     

Das Vertragsverhältnis beginnt am 20. September und endet am 20. Dezember 2007.

        

(2)     

Eine Kündigung ist jederzeit möglich. Die Kündigung muss schriftlich erfolgen.

        

§ 3

        

Keine Höchstpersönlichkeit

        

Die freie Mitarbeiterin ist nicht verpflichtet, jeden Auftrag höchstpersönlich auszuführen. Sie kann sich hierzu, soweit der jeweilige Auftrag dies gestattet, auch der Hilfe von Erfüllungsgehilfen bedienen, soweit sie deren fachliche Qualifikation sichergestellt hat.

        

§ 4

        

Ablehnungsrecht der Auftragnehmerin

        

Die freie Mitarbeiterin hat das Recht, einzelne Aufträge ohne Angabe von Gründen abzulehnen.

        

§ 5

        

Verhältnis der Auftragnehmerin zu Dritten

        

Die freie Mitarbeiterin hat das Recht, auch für dritte Auftraggeber tätig zu werden. Einer vorherigen Zustimmung der Auftraggeberin bedarf es hierfür nicht.

        

§ 6

        

Tätigkeitsort

        

Die freie Mitarbeiterin wählt den Tätigkeitsort nach ihrem freien Ermessen. Sofern nach der Eigenart der übernommenen Tätigkeit erforderlich, erhält die freie Mitarbeiterin die Möglichkeit, die Einrichtungen der Universität in Absprache mit der Projektverantwortlichen in angemessenem Umfang zu benutzen. Die freie Mitarbeiterin ist dabei an dienstliche Weisungen (z. B. Dienstzeiten, Nachweis der Arbeitsunfähigkeit etc.) nicht gebunden. Ausgenommen hiervon sind jedoch Vorschriften über Sicherheitsvorkehrungen.

        

§ 7

        

Vergütung

        

(1)     

Die freie Mitarbeiterin erhält für ihre nach § 1 des Vertrages erbrachte Tätigkeit ein Honorar in Höhe von 15.000,00 Euro. Damit sind alle Aufwendungen und Nebenkosten abgegolten.

        

(2)     

Dieser Betrag enthält die gesetzliche Mehrwertsteuer, sofern diese zu entrichten ist.

        

(3)     

Gegebenenfalls anfallende Steuern sind von der freien Mitarbeiterin selbst zu entrichten.

        

…       

        
        

…“    

3

Der Klägerin stand ein Büro für Vor- und Nacharbeiten zur Verfügung. 2007 erhielt sie einen Sonderpreis, den „BMW Group Award für Interkulturelles Lernen 2007“ als „Anerkennung für herausragendes persönliches Engagement zum Thema Interkulturelles Lernen im Sinne der Völkerverständigung“. Der Preis stand im Zusammenhang mit der „Interviadrina“, einem „Programm zum interkulturellen Kompetenzerwerb an einer internationalen Universität in der deutsch-polnischen Grenzregion“. Die Deutsche Rentenversicherung Bund beanstandete die Tätigkeit der Klägerin außerhalb eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht.

4

Seit 1. März 2008 ist die Klägerin bei der Beklagten in mehreren befristeten Arbeitsverhältnissen als Lehrkraft für besondere Aufgaben/akademische Mitarbeiterin mit unterschiedlichen Wochenstundenzahlen beschäftigt. Hintergrund war zunächst eine Zielvereinbarung zwischen der Beklagten und dem Wissenschaftsministerium. Später war die Klägerin im Rahmen von Drittmittelprojekten des Europäischen Sozialfonds und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes tätig. In den Arbeitsverträgen nahmen die Parteien Bezug auf die Bestimmungen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L). Ab 1. März 2008 wurde die Klägerin Stufe 1 der Entgeltgruppe 13 TV-L zugeordnet, ab 1. April 2009 Stufe 2 dieser Entgeltgruppe.

5

Bei der Beklagten sind bzw. waren auch die Arbeitnehmer Dr. G, Dr. Gr und Dr. W beschäftigt. Frau Dr. G war im Schreibzentrum eingesetzt. Sie war von 2004 bis 31. März 2007 auf sog. Honorarbasis beschäftigt. Am 1. April 2007 stellte die Beklagte sie als Arbeitnehmerin ein. Seit einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt im Jahr 2008 ordnete die Beklagte sie Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L zu. Herr Dr. Gr, der muttersprachlich spanisch spricht, ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Sprachenzentrum der Beklagten. Er war zuvor als Redaktionsassistent, als selbständiger Redakteur und als Lehrbeauftragter tätig. Bei seiner Einstellung wurde er in Stufe 4 der Entgeltgruppe 13 TV-L eingestuft. Frau Dr. W ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der kulturwissenschaftlichen Fakultät. Bei ihrer Einstellung erkannte die Beklagte eine Promotionszeit im Rahmen eines Stipendiums sowie Lehraufträge als Vorbeschäftigungszeiten an und ordnete sie Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L zu.

6

Mit Schreiben vom 2. Februar 2009 bat die Klägerin darum, ihre Stufenzuordnung zu überprüfen. Der Antrag führte nicht zu einer höheren Zuordnung. Die Klägerin verlangt deshalb festzustellen, dass ihr ab 1. März 2008 Vergütung nach Stufe 3 und vom 1. April 2011 bis 30. September 2011 Vergütung nach Stufe 4 der Entgeltgruppe 13 TV-L zusteht. Durch § 16 idF von § 40 Nr. 5 TV-L (TV-L Hochschule) ist in der „durchgeschriebenen“ Ursprungsfassung des § 16 TV-L Hochschule vom 12. Oktober 2006 geregelt:

        

㤠16 Stufen der Entgelttabelle

        

…       

        

(2) 1Bei der Einstellung werden die Beschäftigten der Stufe 1 zugeordnet, sofern keine einschlägige Berufserfahrung vorliegt. 2Verfügen Beschäftigte über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber, erfolgt die Stufenzuordnung unter Anrechnung der Zeiten der einschlägigen Berufserfahrung aus diesem vorherigen Arbeitsverhältnis. 3Ist die einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, erfolgt die Einstellung in die Stufe 2, beziehungsweise - bei Einstellung nach dem 31. Januar 2010 und Vorliegen einer einschlägigen Berufserfahrung von mindestens drei Jahren - in Stufe 3.

        

4Werden Beschäftigte in den Entgeltgruppen 13 bis 15 eingestellt, gilt ergänzend: Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung an anderen Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen werden grundsätzlich anerkannt. …

        

6Unabhängig davon kann der Arbeitgeber bei Neueinstellungen zur Deckung des Personalbedarfs Zeiten einer vorherigen beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise für die Stufenzuordnung berücksichtigen, wenn diese Tätigkeit für die vorgesehene Tätigkeit förderlich ist.

        

Protokollerklärungen zu § 16 Absatz 2:

        

1.    

Einschlägige Berufserfahrung ist eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit.

        

2.    

Ein Berufspraktikum nach dem Tarifvertrag über die vorläufige Weitergeltung der Regelungen für die Praktikantinnen/Praktikanten beziehungsweise nach dem Tarifvertrag über die Regelung der Arbeitsbedingungen der Praktikantinnen/Praktikanten der Länder gilt grundsätzlich als Erwerb einschlägiger Berufserfahrung.

        

3.    

Ein vorheriges Arbeitsverhältnis im Sinne des Satzes 2 besteht, wenn zwischen dem Ende des vorherigen und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses ein Zeitraum von längstens sechs Monaten liegt; bei Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern ab der Entgeltgruppe 13 verlängert sich der Zeitraum auf längstens zwölf Monate.

        

…       

        

(3) 1Die Beschäftigten erreichen die jeweils nächste Stufe - von Stufe 3 an in Abhängigkeit von ihrer Leistung gemäß § 17 Absatz 2 - nach folgenden Zeiten einer ununterbrochenen Tätigkeit innerhalb derselben Entgeltgruppe bei ihrem Arbeitgeber (Stufenlaufzeit):

        

-       

Stufe 2 nach einem Jahr in Stufe 1,

        

-       

Stufe 3 nach zwei Jahren in Stufe 2,

        

-       

Stufe 4 nach drei Jahren in Stufe 3,

        

…       

        
        

(5) 1Zur regionalen Differenzierung, zur Deckung des Personalbedarfs, zur Bindung von qualifizierten Fachkräften oder zum Ausgleich höherer Lebenshaltungskosten kann Beschäftigten abweichend von der tarifvertraglichen Einstufung ein bis zu zwei Stufen höheres Entgelt ganz oder teilweise vorweg gewährt werden. …

        

4Dies gilt jedoch nur, wenn

        

a)    

sie aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation besondere projektbezogene Anforderungen erfüllen oder

        

b)    

eine besondere Personalbindung beziehungsweise Personalgewinnung erreicht werden soll.

        

…“    

7

Durch den Änderungstarifvertrag Nr. 2 zum TV-L vom 1. März 2009, der insoweit am 1. März 2009 in Kraft trat, wurde die „durchgeschriebene“ Fassung des § 16 TV-L Hochschule um Abs. 2a ergänzt:

        

„Der Arbeitgeber kann bei Einstellung von Beschäftigten im unmittelbaren Anschluss an ein Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst (§ 34 Absatz 3 Satz 3 und 4) die beim vorherigen Arbeitgeber nach den Regelungen des TV-L, des TVÜ-Länder oder eines vergleichbaren Tarifvertrages erworbene Stufe bei der Stufenzuordnung ganz oder teilweise berücksichtigen; Absatz 2 Satz 6 bleibt unberührt.“

8

Die Klägerin hat behauptet, die Tätigkeit, die sie seit 1. März 2008 versehe, habe sich gegenüber der früheren, seit 23. September 2004 ausgeübten Tätigkeit nicht verändert. Sie sei in den Unterrichtsbetrieb mit den geltenden Studien- und Prüfungsordnungen eingebunden gewesen. Auf der Grundlage des letzten sog. Honorarvertrags sei sie durchgehend bis 29. Februar 2008 tätig gewesen. Sie hat die Auffassung vertreten, bei den sog. Dienst- und Werkverträgen habe es sich in Wahrheit um Arbeitsverträge gehandelt. Ihr habe deswegen nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L Hochschule bereits seit 1. März 2008 Vergütung nach Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L zugestanden, seit 1. April 2011 Entgelt nach Stufe 4. Zumindest sei sie zur Deckung des Personalbedarfs eingestellt worden. Das für § 16 Abs. 2 Satz 6 TV-L Hochschule nötige Personalgewinnungsinteresse habe wegen des auf sie zugeschnittenen Drittmittelprojekts und des Sonderpreises bestanden. Es lasse sich auch aus ihrer Vorbefassung mit dem Thema, besonderen Referenzen, ihrer wissenschaftlichen Vita und ihrem perfekten Polnisch ableiten. Dem Förderantrag für die ihr übertragene Tätigkeit habe kein anderer Beschäftigter gerecht werden können. Das gebundene Ermessen der Beklagten sei demnach auf Null reduziert gewesen. Jedenfalls bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung. Sollten die Tarifnormen die erstrebte Stufenzuordnung nicht begründen, verstießen sie gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Stufenzuordnung sei auch unwirksam, weil der Personalrat ihr nicht zugestimmt habe. Im Übrigen sei sie mit den Arbeitnehmern Dr. G, Dr. Gr und Dr. W gleichzubehandeln.

9

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr für die Zeit ab 1. März 2008 Vergütung nach Stufe 3 und ab 1. April 2011 bis 30. September 2011 Vergütung nach Stufe 4 der Entgeltgruppe 13 TV-L zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die Vergütungsdifferenz zwischen den Stufen 1 und 3 für den Zeitraum vom 1. März 2008 bis 31. März 2009, zwischen den Stufen 2 und 3 für den Zeitraum vom 1. April 2009 bis 31. März 2011 und zwischen den Stufen 3 und 4 für die Zeit vom 1. April 2011 bis 30. September 2011, jeweils ab dem 1. des Folgemonats.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich dahin eingelassen, dass es sich bei den vor dem 1. März 2008 versehenen Aufgaben um andere Tätigkeiten der Klägerin - die Vermittlung interkultureller Kompetenzen außerhalb curricularer Veranstaltungen - gehandelt habe. Die Workshops und Seminare, die die Klägerin betreut habe, seien Zusatzangebote der Beklagten gewesen. Studierende und Mitarbeiter hätten in diesem Rahmen die Möglichkeit gehabt, bestimmte Schlüsselqualifikationen zu erwerben. Dass die Klägerin über den 20. Dezember 2007 hinaus für die Beklagte tätig gewesen sei, sei darauf zurückzuführen, dass sie den Auftrag bis zu diesem Datum nicht abgearbeitet gehabt habe. Die Beklagte hat gemeint, die Tätigkeiten der Klägerin vor dem 1. März 2008 könnten für die Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L Hochschule nicht berücksichtigt werden, weil sie nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt worden seien. Auch im Rahmen von Dienst- und Werkverträgen seien fachliche Vorgaben einzuhalten, soweit das für die ordnungsgemäße Vertragserfüllung erforderlich sei. Der Klägerin stünden die erhobenen Ansprüche auch aufgrund von § 16 Abs. 2 Satz 3 und 4, § 16 Abs. 2 Satz 6 und § 16 Abs. 5 TV-L Hochschule nicht zu. Hinsichtlich der Personalratsbeteiligung habe sie den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts genügt. Der wissenschaftliche Personalrat habe sein Mitbestimmungsrecht bei der Anerkennung einschlägiger Berufserfahrung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 bis 3 TV-L Hochschule ausgeübt. Für die Anerkennung förderlicher Zeiten komme ihm nur ein Informationsrecht zu. Die Klägerin sei auch nicht mit Frau Dr. G gleichzubehandeln. Für deren Einstellung habe ein besonderes Gewinnungsinteresse mit Blick auf den Aufbau und die Leitung des Schreibzentrums bestanden. Frau Dr. G sei durch die Drittmittelgeberin ausdrücklich benannt gewesen. Für die Stelle der Klägerin habe es demgegenüber keine Probleme bei der Personalgewinnung gegeben, zumal die Drittmittelgeberin die Klägerin für das Drittmittelprojekt nicht benannt habe. Auch Herr Dr. Gr und Frau Dr. W seien mit der Klägerin nicht vergleichbar, weil für sie ein besonderes Gewinnungsinteresse bestanden habe. Für Herrn Dr. Gr gelte das, weil er - unstreitig - der einzige Muttersprachler der Sprache Spanisch unter den Bewerbern gewesen sei. Frau Dr. W sei eine Spezialistin auf dem Gebiet der Gebärdensprachlinguistik. Im Übrigen handle es sich um personenbezogene Einzelfallentscheidungen. Die Klägerin habe sich jedenfalls mit dem Arbeitsvertrag vom 1. April 2011 mit der Zuordnung zu Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L einverstanden erklärt. Im Übrigen sei die Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L nicht gewahrt.

11

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Feststellungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.

13

A. Die Feststellungsklage ist zulässig. Die Erfordernisse des § 256 Abs. 1 ZPO sind gewahrt. Das angestrebte Urteil ist trotz seiner lediglich feststellenden und einer Vollstreckung nicht zugänglichen Wirkung geeignet, den Streit der Parteien über die Berechnung der Vergütung beizulegen und weitere Prozesse zwischen ihnen zu vermeiden.

14

I. Der von § 256 Abs. 1 ZPO verlangte Gegenwartsbezug des Rechtsverhältnisses wird dadurch hergestellt, dass die Klägerin die Erfüllung konkreter, auf ein höheres Entgelt gerichteter Ansprüche aus einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum und damit gegenwärtige rechtliche Vorteile erstrebt(vgl. für die st. Rspr. BAG 28. Juni 2012 - 6 AZR 745/10 - Rn. 13).

15

II. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse besteht. Mit dem angestrebten Feststellungsurteil wird die Stufenzuordnung der Klägerin und mit ihr die Berechnung der Vergütung auch zukunftsbezogen dem Streit der Parteien entzogen (vgl. BAG 8. Dezember 2011 - 6 AZR 350/10 - Rn. 12). Das rechtfertigt die Annahme eines rechtlichen Interesses. Dafür sprechen ua. prozessökonomische Gründe. Die Klägerin war deswegen nicht gehalten, objektiv gehäufte Leistungsklagen zu erheben.

16

III. Der Feststellungsantrag ist auch zulässig, soweit er Zinsforderungen zum Gegenstand hat (vgl. BAG 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 7 und 10; ausdrücklich 26. März 1997 - 4 AZR 489/95 - zu I der Gründe). Die Zinsforderung ist gegenüber der Hauptforderung akzessorisch. Sie soll in prozessualer Hinsicht das Schicksal der Hauptforderung teilen, wie § 4 Abs. 1 und § 264 Nr. 2 ZPO zeigen(vgl. schon BAG 21. Januar 1970 - 4 AZR 106/69 - BAGE 22, 247, 249).

17

B. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin war in den streitgegenständlichen Zeiträumen den richtigen Stufen der Entgeltgruppe 13 TV-L zugeordnet. Sie hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf die erstrebten Zuordnungen zu Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L ab 1. März 2008 und zu Stufe 4 dieser Entgeltgruppe vom 1. April 2011 bis 30. September 2011. Die Klägerin war für die Zeit ab 1. März 2008 nach § 16 Abs. 2 Satz 1 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L zunächst Stufe 1 der Entgeltgruppe 13 TV-L zugeordnet. Nach dem Ende der Stufenlaufzeit des § 16 Abs. 3 Satz 1 erster Spiegelstrich TV-L ab 1. April 2009 war die Klägerin Stufe 2 der Entgeltgruppe 13 TV-L zugeordnet.

18

I. Ein Anspruch der Klägerin auf die erstrebten Stufenzuordnungen ergibt sich nicht aus dem im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen § 16 Abs. 2 Satz 2 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L. Aus dem Vortrag der Klägerin geht nicht hervor, dass sie von der Beklagten in der Zeit vor dem 1. März 2008 in einem Arbeitsverhältnis in persönlicher Abhängigkeit beschäftigt wurde. Ihre in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

19

1. § 16 Abs. 2 Satz 2 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L erfordert nach dem eindeutigen Wortlaut der Tarifregelung eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zu demselben Arbeitgeber. Für die Begriffsbestimmung ist maßgeblich, welche Bedeutung die Tarifvertragsparteien dem Begriff im jeweiligen Regelungszusammenhang geben wollen (vgl. BAG 21. Februar 2013 - 6 AZR 524/11 - Rn. 9). Gebrauchen die Tarifvertragsparteien einen Rechtsbegriff, ist anzunehmen, dass sie ihn in seiner rechtlichen Bedeutung verwenden wollen (st. Rspr., vgl. nur BAG 20. Juni 2013 - 6 AZR 696/11 - Rn. 17; 21. Februar 2013 - 6 AZR 539/11 - Rn. 18). Das zieht die Revision auch nicht in Zweifel.

20

2. Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, dass zwischen den Parteien vor der Begründung des Arbeitsverhältnisses, das zum 1. März 2008 aufgenommen wurde, bereits nach dem Vorbringen der Klägerin kein Arbeitsverhältnis bestand. Den früheren Rechtsverhältnissen lagen sog. Werk- oder Dienstverträge zugrunde.

21

a) Durch einen Werkvertrag wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werks, der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet (§ 631 Abs. 1 BGB). Gegenstand eines Werkvertrags kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein (§ 631 Abs. 2 BGB). Für die Abgrenzung vom Dienstvertrag kommt es darauf an, ob ein bestimmtes Arbeitsergebnis bzw. ein bestimmter Arbeitserfolg oder nur eine bestimmte Dienstleistung als solche geschuldet wird (vgl. BAG 25. September 2013 - 10 AZR 282/12 - Rn. 15; BGH 16. Juli 2002 - X ZR 27/01 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 151, 330).

22

b) Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von den Rechtsverhältnissen eines Werkunternehmers oder selbständig Dienstleistenden entscheidend durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit (vgl. für die Abgrenzung zum Werkvertrag BAG 25. September 2013 - 10 AZR 282/12 - Rn. 16; BGH 25. Juni 2002 - X ZR 83/00 - zu I 2 b aa der Gründe). Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienst eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 HGB; BAG 25. September 2013 - 10 AZR 282/12 - Rn. 16 mwN; 29. August 2012 - 10 AZR 499/11 - Rn. 15). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Ob ein Werkvertrags-, ein Dienst- oder ein Arbeitsverhältnis besteht, zeigt der wirkliche Geschäftsinhalt. Zwingende gesetzliche Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass Parteien ihr Arbeitsverhältnis anders bezeichnen (vgl. BAG 25. September 2013 - 10 AZR 282/12 - Rn. 16).

23

c) Welches Rechtsverhältnis begründet wurde, ist anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist die tatsächliche Durchführung maßgebend (vgl. BAG 25. September 2013 - 10 AZR 282/12 - Rn. 17; 29. August 2012 - 10 AZR 499/11 - Rn. 15).

24

d) Diese Grundsätze gelten auch für Unterrichtstätigkeiten. Entscheidend ist, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist, in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und Weise der Unterrichtserteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung mitgestalten und inwieweit sie zu Nebenarbeiten herangezogen werden kann. Wer an einer allgemeinbildenden Schule unterrichtet, ist in der Regel Arbeitnehmer, auch wenn er seinen Beruf nebenberuflich ausübt. Dagegen können etwa Volkshochschuldozenten, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, oder Lehrkräfte, die nur Zusatzunterricht erteilen, auch als freie Mitarbeiter beschäftigt werden (vgl. BAG 15. Februar 2012 - 10 AZR 301/10 - Rn. 14; 20. Januar 2010 - 5 AZR 106/09 - Rn. 19; 9. Juli 2003 - 5 AZR 595/02 - zu II 2 der Gründe; Reinecke ZTR 2013, 531, 532 ff.). Das gilt selbst dann, wenn es sich bei ihrem Unterricht um aufeinander abgestimmte Kurse mit zuvor festgelegtem Programm handelt (vgl. BAG 9. März 2005 - 5 AZR 493/04 - zu II 1 b der Gründe). Jedenfalls im Bereich von Universitäten und Hochschulen ist die Bindung an hochschulrechtliche Vorschriften und Lehrpläne zumindest dann nicht entscheidend, wenn die Lehrtätigkeit nicht durch das Ziel eines förmlichen Hochschulabschlusses oder universitären Abschlusses geprägt wird. Dann liegt der Vergleich mit Lehrkräften an einer Volkshochschule außerhalb schulischer Lehrgänge nahe (vgl. BAG 9. März 2005 - 5 AZR 493/04 - zu II 1 b der Gründe). Volkshochschuldozenten, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, sind nur dann Arbeitnehmer, wenn die Vertragsparteien das vereinbart haben oder sich aus den Umständen des Einzelfalls ergibt, dass der für ein Arbeitsverhältnis erforderliche Grad der persönlichen Abhängigkeit erreicht ist (vgl. BAG 29. Mai 2002 - 5 AZR 161/01 - zu II 2 der Gründe). Methodische und didaktische Anweisungen zur Unterrichtsgestaltung können sowohl bei Volkshochschuldozenten als auch im Hochschul- und Universitätsbereich zu fremdbestimmter persönlicher Abhängigkeit führen (vgl. BAG 13. November 1991 - 7 AZR 31/91 - zu III 5 d aa und bb der Gründe, BAGE 69, 62; 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - zu B II 4 c aa der Gründe; im Unterschied dazu für Lehrkräfte, die nicht an Universitäten oder Hochschulen und nicht als Volkshochschuldozenten tätig sind, zB BAG 15. Februar 2012 - 10 AZR 301/10 - Rn. 14; 20. Januar 2010 - 5 AZR 106/09 - Rn. 19; grundlegend 12. September 1996 - 5 AZR 104/95 - zu II der Gründe, BAGE 84, 124; LAG Düsseldorf 18. März 2013 - 9 Sa 1746/12 - zu I 1 a aa der Gründe mwN: nicht individualisierende, sondern typisierende Betrachtung).

25

e) Nach diesen Grundsätzen ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass zwischen den Parteien auch schon vor dem 1. März 2008 nach dem wahren Geschäftsinhalt ein Arbeitsverhältnis bestanden habe, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist, soweit sie sich auf Tatsachen stützt, nur darauf überprüfbar, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (vgl. BAG 25. September 2013 - 10 AZR 282/12 - Rn. 18; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 29). Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Klägerin nicht auf.

26

aa) Die schriftlichen Vertragsgrundlagen deuten nicht darauf hin, dass die Klägerin vor ihrer Beschäftigung seit 1. März 2008 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten stand. Sie können nur anhand des exemplarisch vorgelegten Vertrags „über eine freie Mitarbeit (Honorarvertrag)“ für die Zeit vom 20. September 2007 bis 20. Dezember 2007 beurteilt werden.

27

(1) Dieser Vertrag ist allerdings nicht als Werkvertrag anzusehen. Nach § 631 Abs. 1 BGB handelt es sich nur dann um einen Werkvertrag, wenn sich der Unternehmer zur Herstellung eines Werks verpflichtet. Ein „Werk“ setzt ein fassbares Arbeitsergebnis voraus. Die Klägerin schuldete jedoch keinen bestimmten Erfolg, sondern die Vorbereitung und Durchführung interkultureller Workshops und damit die Unterrichtstätigkeit als solche (vgl. BAG 13. November 1991 - 7 AZR 31/91 - zu II der Gründe, BAGE 69, 62).

28

(2) Der Senat kann offenlassen, ob es sich bei dem für die Zeit vom 20. September 2007 bis 20. Dezember 2007 vorgelegten Vertrag um einen typischen oder einen nur beschränkt revisiblen atypischen Vertrag handelt. Die Auslegung des Vertrags durch das Landesarbeitsgericht, die ihn als (freien) Dienstvertrag einordnet, lässt auch dann keinen Rechtsfehler erkennen, wenn von einem revisionsrechtlich unbeschränkt überprüfbaren Vertrag ausgegangen wird. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die vertraglichen Regelungen gegen eine persönliche Abhängigkeit der Klägerin während der Vertragsdauer sprechen. In § 1 Abs. 2 des Vertrags war bestimmt, dass die Klägerin keinem Weisungsrecht der Beklagten als Auftraggeberin unterworfen war, sondern lediglich die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrags sicherzustellen hatte. § 3 des Vertrags sah vor, dass die Klägerin nicht verpflichtet war, jeden Auftrag höchstpersönlich auszuführen, sondern Erfüllungsgehilfen heranziehen konnte. Sie durfte einzelne Aufträge ohne Angabe von Gründen ablehnen (§ 4 des Vertrags), für andere Auftraggeber tätig werden (§ 5 des Vertrags) und den Tätigkeitsort unter Berücksichtigung der Erfordernisse der übernommenen Aufgaben frei wählen (§ 6 des Vertrags). Dass die Klägerin die räumlichen Einrichtungen der Beklagten nutzen durfte, spricht nicht für ein Arbeitsverhältnis, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat. Im pädagogischen Bereich ist es typisch, dass auch freie Mitarbeiter ihre Tätigkeit nur in den Räumen des Dienstgebers versehen können und aus diesem Grund an einen bestimmten Ort gebunden sind. Diese Bindung begründet keine persönliche Abhängigkeit (vgl. BAG 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - zu B II 4 e der Gründe).

29

bb) Rechtsfehlerfrei ist auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe keine von den schriftlichen Vertragsgrundlagen abweichende Vertragsdurchführung dargelegt. Aus dem Sachvortrag der Klägerin ergeben sich keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass sie vor dem 1. März 2008 im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses für die Beklagte tätig war.

30

(1) Die Rüge des § 286 ZPO greift nicht durch.

31

(a) Die Rüge ist zulässig.

32

(aa) Nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Revisionsgericht nur das Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist, zu beurteilen. § 559 Abs. 1 Satz 2 ZPO bestimmt, dass das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gebunden ist, soweit keine zulässige und begründete Verfahrensrüge iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO erhoben worden ist. Die Rüge muss nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO die Bezeichnung des Mangels enthalten, den die Revision geltend macht. Bei einer auf § 286 ZPO gestützten Rüge, das Tatsachengericht habe bei seiner Tatsachenfeststellung einen bestimmten Sachvortrag übersehen oder nicht hinreichend berücksichtigt, muss genau angegeben werden, aufgrund welchen Vortrags das Berufungsgericht zu welchen Tatsachenfeststellungen hätte gelangen müssen. Weiter ist darzulegen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht, das Berufungsgericht also bei richtigem Verfahren möglicherweise anders entschieden hätte, sofern sich das nicht aus der Art des gerügten Verfahrensfehlers von selbst ergibt (vgl. BAG 28. August 2013 - 10 AZR 323/12 - Rn. 19; 12. Februar 2013 - 3 AZR 636/10 - Rn. 82).

33

(bb) Diesen Anforderungen genügt die auf § 286 ZPO gestützte Rüge der Revision. Die Klägerin beanstandet, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass sie durchgehend eine gleichartige Tätigkeit ausgeübt habe. Sie habe Workshops und Seminare durchgeführt. Zudem habe sie Übungen und Prüfungen abgehalten. Das sei aufgrund einer Planung der Beklagten für die einzelnen Semester sowie auf der Grundlage feststehender Lehr- und Studienpläne geschehen. Hierfür bezieht sich die Revision auf S. 4 ihres Schriftsatzes vom 26. Mai 2011. Die Klägerin sei danach seit 23. September 2004 durchgehend aufgrund verschiedener Dienst- und Werkverträge für die Beklagte tätig gewesen, die aufgrund ihrer tatsächlichen Durchführung jedoch ein Arbeitsverhältnis begründet hätten. Die Klägerin habe die interkulturellen Workshops, für die sie später eingestellt worden sei, erst entwickelt. Die Tätigkeit seit 1. März 2008 habe sich gegenüber der Tätigkeit seit 23. September 2004 nicht verändert. Das habe die Beklagte auch niemals bestritten. Die Klägerin sei in den Unterrichtsbetrieb eingebunden gewesen. Dessen Inhalte seien durch Studien- und Prüfungsordnungen vorgegeben gewesen. Gleiches gelte für die Unterrichtserteilung und die Vorgabe der Zeit der Seminare und Übungen.

34

(b) Die auf § 286 ZPO gestützte Rüge ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das von der Revision angeführte tatsächliche Vorbringen berücksichtigt, zu Recht aber nicht die von der Klägerin für richtig gehaltenen rechtlichen Schlüsse aus ihm gezogen. So hat es die Behauptung der Klägerin, ihre Tätigkeit habe sich seit 23. September 2004 über den 1. März 2008 hinaus nicht verändert, in den streitigen Teil des Tatbestands des Berufungsurteils aufgenommen. Es hat aufgrund der gebotenen Gesamtwürdigung der Einzelheiten des beiderseitigen Vortrags jedoch zutreffend erkannt, dass die Klägerin vor dem 1. März 2008 nach der tatsächlichen Durchführung der Vertragsverhältnisse nicht persönlich abhängig und nicht hinreichend in den Betrieb der Beklagten eingegliedert war.

35

(aa) Das Berufungsgericht hat entgegen der Auffassung der Revision zu Recht entscheidend darauf abgestellt, die Klägerin habe nicht vorgetragen, dass sie vor dem 1. März 2008 konkreten Einzelweisungen unterworfen gewesen sei. Die Entwicklung der interkulturellen Workshops durch die Klägerin besagt darüber nichts. Die curriculare Bindung ist im Unterrichtsbereich von Universitäten und Hochschulen jedenfalls dann nicht entscheidend, wenn - wie hier - nicht das Ziel eines förmlichen Hochschulabschlusses oder universitären Abschlusses verfolgt wird. Methodische und didaktische Anweisungen zur Unterrichtsgestaltung können dagegen auf ein Arbeitsverhältnis hindeuten (vgl. BAG 13. November 1991 - 7 AZR 31/91 - zu III 5 d aa und bb der Gründe, BAGE 69, 62; 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - zu B II 4 c aa der Gründe). Bereits aus der fehlenden vertraglichen Weisungsbefugnis und den nicht behaupteten Einzelweisungen in der tatsächlichen Durchführung der Verträge geht hervor, dass der wirkliche Geschäftsinhalt vor und nach dem 1. März 2008 nicht unverändert blieb.

36

(bb) Das Landesarbeitsgericht hat ferner zutreffend angenommen, die räumliche und ggf. auch zeitliche Einbindung in den Hochschulbetrieb genüge nicht, um auf persönliche Abhängigkeit der Klägerin schließen zu können. Die Klägerin hat schon nicht vorgebracht, dass es ihr abweichend von dem beispielhaft vorgelegten Vertrag nicht möglich gewesen sei, die Kurse auch außeruniversitär durchzuführen, oder die Beklagte sie abweichend vom Vertragsinhalt konkret angewiesen habe, in bestimmten Räumen tätig zu werden. Sie hat auch nicht vorgetragen, dass sie entgegen dem Vertrag keinen Einfluss auf die konkrete zeitliche Lage der Unterrichtstätigkeit gehabt habe.

37

(cc) Die Klägerin hat schließlich nicht dargelegt, dass die Beklagte sie über den Vertragsinhalt hinaus zu Nebenarbeiten außerhalb der Unterrichtszeit herangezogen habe, zB zu Fortbildungsveranstaltungen oder Dienstbesprechungen (vgl. BAG 13. November 1991 - 7 AZR 31/91 - zu III 5 c aa der Gründe, BAGE 69, 62; 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - zu B II 4 b aa der Gründe). Die Prüfungstätigkeit gehört dagegen zu der vertraglich geschuldeten Dienstleistungspflicht der Klägerin, die auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses erbracht werden kann (vgl. BAG 13. November 1991 - 7 AZR 31/91 - zu III 5 c der Gründe, aaO; 30. Oktober 1991 - 7 ABR 19/91 - zu B II 4 b der Gründe).

38

(2) Die im Zusammenhang mit der Einordnung der Rechtsverhältnisse der Parteien vor dem 1. März 2008 erhobene Aufklärungsrüge ist unzulässig.

39

(a) Wird eine Verletzung der dem Landesarbeitsgericht obliegenden Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) gerügt, reicht es nicht aus, pauschal auf die Verletzung der Aufklärungspflicht hinzuweisen. Es muss vielmehr im Einzelnen vorgetragen werden, welchen konkreten Hinweis das Landesarbeitsgericht dem Revisionskläger aufgrund welcher Tatsachen hätte erteilen müssen und welche weiteren erheblichen Tatsachen der Revisionskläger in der Berufungsinstanz vorgebracht hätte. Nur so kann das Revisionsgericht feststellen, ob die gerügte Verletzung für das Urteil möglicherweise ursächlich war (vgl. BAG 15. Dezember 2011 - 8 AZR 692/10 - Rn. 55; 19. Juli 2011 - 3 AZR 383/09 - Rn. 45).

40

(b) Diesen Anforderungen wird die Rüge nicht gerecht. Die Revision hat zwar beanstandet, im Hinblick auf Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit seien weitere Aufklärungen nicht unternommen worden. Sie hat aber nicht ausgeführt, welchen konkreten Hinweis sie erwartet und welchen Vortrag sie daraufhin gehalten hätte.

41

II. Ein Anspruch auf die begehrten Stufenzuordnungen folgt auch nicht aus § 16 Abs. 2 Satz 3 und 4 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L, weil die Klägerin in den Jahren 1994 bis 1999 vom M-Institut und in den Jahren 2000 bis 2003 von der A-Universität in F beschäftigt wurde.

42

1. Ist einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, erfolgt die Einstellung nach § 16 Abs. 2 Satz 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L in Stufe 2 bzw. - bei Einstellung nach dem 31. Januar 2010 mit einer Berufserfahrung von mindestens drei Jahren - in Stufe 3. § 16 Abs. 2 Satz 4 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L bestimmt, dass Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung an anderen Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen für Einstellungen von Beschäftigten in den Entgeltgruppen 13 bis 15 TV-L grundsätzlich anerkannt werden.

43

2. Die Tätigkeiten der Klägerin als Fremdsprachensekretärin im M-Institut in Vergütungsgruppe VIb und später Vb BAT und als Schreibangestellte der A-Universität in Vergütungsgruppe VIII BAT vermittelten ihr jedoch keine einschlägige Berufserfahrung iSv. § 16 Abs. 2 Satz 3 und 4 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L.

44

a) Einschlägige Berufserfahrung ist nach Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L nur eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit.

45

b) Das trifft für die Tätigkeiten als Fremdsprachensekretärin und als Schreibangestellte im Hinblick auf die jetzige wissenschaftliche Tätigkeit der Klägerin nicht zu. Dass es sich nicht um entsprechende Tätigkeiten handelt, wird vor allem am unterschiedlichen Aufgabenzuschnitt deutlich, aber auch am sehr viel niedrigeren Vergütungsniveau der Vorbeschäftigungen. Bei der Stufenzuordnung nach einer Neueinstellung ist bereits erworbene Berufserfahrung nach § 16 Abs. 2 TV-L nur zu berücksichtigen, wenn die frühere Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird oder zumindest gleichartig war. Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Beschäftigte die Berufserfahrung in einer Tätigkeit erlangt hat, die in ihrer eingruppierungsrechtlichen Wertigkeit der Tätigkeit entspricht, die er nach seiner Einstellung auszuüben hat (vgl. BAG 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 20; 20. September 2012 - 6 AZR 211/11 - Rn. 23). Folgerichtig beruft sich die Klägerin seit dem Berufungsrechtszug nicht länger auf einen Anspruch aus § 16 Abs. 2 Satz 3 und 4 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L.

46

III. Die Klägerin hat auch weder einen Vollanspruch auf die erstrebte frühere Zuordnung zu den höheren Stufen der Entgeltgruppe 13 TV-L noch einen Anspruch auf „Neubescheidung“ aus § 16 Abs. 2 Satz 6 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Regelung sind nach ihrem Vortrag nicht erfüllt.

47

1. § 16 Abs. 2 Satz 6 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L bestimmt, dass der Arbeitgeber bei Neueinstellungen zur Deckung des Personalbedarfs Zeiten einer vorherigen beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise für die Stufenzuordnung berücksichtigen kann, wenn diese Tätigkeit für die vorgesehene Tätigkeit förderlich ist. Die Anforderung einer Einstellung, die der Deckung des Personalbedarfs dient, ist nicht schon dann gewahrt, wenn der Arbeitgeber lediglich freie, im Haushaltsplan ausgewiesene Stellen besetzen will. Vielmehr setzt das Tatbestandsmerkmal voraus, dass der Personalbedarf sonst quantitativ oder qualitativ nicht hinreichend gedeckt werden kann (vgl. BAG 12. September 2013 - 6 AZR 512/12 - Rn. 52; 23. September 2010 - 6 AZR 174/09 - Rn. 15; 26. Juni 2008 - 6 AZR 498/07 - Rn. 29). Mit der Regelung soll erreicht werden, dass der Arbeitgeber etwaigen Personalgewinnungsschwierigkeiten flexibel begegnen kann (vgl. BAG 12. September 2013 - 6 AZR 512/12 - Rn. 52 mwN). Solche Schwierigkeiten können allgemein arbeitsmarktbedingt in bestimmten Tätigkeitsbereichen oder Fachrichtungen, aber auch bei örtlich besonders schwieriger Bewerberlage für bestimmte Aufgaben auftreten (vgl. LAG Baden-Württemberg 21. März 2011 - 22 Sa 76/10 - zu II 3 a der Gründe).

48

2. Dem Erfordernis des besonderen Personalgewinnungsinteresses wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat. Ihre in diesem Zusammenhang erhobene Rüge des § 286 ZPO ist ordnungsgemäß ausgeführt. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

49

a) Die Klägerin beanstandet, das Landesarbeitsgericht habe im Rahmen des Personalgewinnungsinteresses nicht hinreichend berücksichtigt, dass sie die interkulturellen Workshops selbst entwickelt habe, mit dem Preis der BMW Group ausgezeichnet worden sei, hervorragende Referenzen der früheren Präsidentin der Beklagten Prof. Dr. S vorweisen könne, perfekt polnisch spreche und nach ihrer wissenschaftlichen Vita für die Stelle besonders ausgewiesen sei.

50

b) Diesen Vortrag hat das Landesarbeitsgericht zur Kenntnis genommen, wie sich dem streitigen Tatbestand des Berufungsurteils entnehmen lässt. Es hat daraus aber zu Recht nicht gefolgert, dass der Personalbedarf ohne die Einstellung der Klägerin quantitativ oder qualitativ nicht hinreichend hätte gedeckt werden können. Soweit die Klägerin rügt, die Entwicklung der Workshops durch sie selbst begründe ein gesteigertes Personalgewinnungsinteresse, heißt das nicht, dass auf dem allgemeinen oder örtlichen Arbeitsmarkt eine besonders schwierige Bewerberlage bestand. Aus dem Vorbringen der Klägerin geht nicht hervor, dass arbeitsmarktbedingt kein anderer Bewerber für die Stelle in Betracht kam, der sie hätte einnehmen können. Die Klägerin macht der Sache nach geltend, sie sei besonders geeignet für die Position und habe keine oder nur eine geringe Einarbeitungszeit gebraucht. Entsprechendes gilt für den BMW Group Award, die Referenzen der früheren Präsidentin der Beklagten, das perfekte Polnisch der Klägerin und ihren wissenschaftlichen Lebenslauf. Es kann deshalb auf sich beruhen, ob eine Einstellung immer schon dann nicht zur Deckung des Personalbedarfs erfolgt, wenn der eingestellte Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag - wie hier - vorbehaltlos ohne Berücksichtigung der früheren beruflichen Tätigkeit schließt (so LAG Baden-Württemberg 21. März 2011 - 22 Sa 76/10 - zu II 3 a der Gründe, erledigt durch Vergleich im Revisionsverfahren - 6 AZR 254/11 -).

51

3. Da bereits der Tatbestand des § 16 Abs. 2 Satz 6 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L nicht erfüllt ist, braucht der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob auf der Rechtsfolgeseite billiges Ermessen iSv. § 315 BGB auszuüben ist oder freies ungebundenes Ermessen besteht(offengelassen von BAG 23. September 2010 - 6 AZR 174/09 - Rn. 17).

52

IV. Auch § 16 Abs. 5 Satz 1 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 2 TV-L stützt die erhobenen Ansprüche nicht. Die Klägerin beruft sich ausschließlich auf eine sog. Vorweggewährung zur Deckung des Personalbedarfs. Das Erfordernis des in § 16 Abs. 5 Satz 4 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 2 TV-L besonders hervorgehobenen gesteigerten Personalgewinnungsinteresses ist aus den soeben genannten Gründen nicht gewahrt.

53

V. Aus denselben Gründen kann der Senat offenlassen, ob die in § 16 Abs. 2 Satz 6 und Abs. 5 idF von § 40 Nr. 5 TV-L geregelten Tatbestände Vorbeschäftigungen in Arbeitsverhältnissen voraussetzen oder für diese Regelungen auch selbständige Tätigkeiten aufgrund freien Dienstvertrags oder Werkvertrags genügen. Die Klägerin hat ein gesteigertes Personalgewinnungsinteresse nicht dargelegt.

54

VI. Soweit die in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L getroffenen Bestimmungen schon nach ihrem eindeutigen Wortlaut an den vorangegangenen Bestand eines Arbeitsverhältnisses anknüpfen, kann dem keine unbeabsichtigte Tariflücke entnommen werden.

55

1. Das abgeschlossene, sehr differenzierte System der Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 bis 5 idF von § 40 Nr. 5 TV-L zeigt den abschließenden Charakter der Regelungen. Mit § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L wollten die Tarifvertragsparteien Vorbeschäftigungen in persönlicher Abhängigkeit bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber durch (Voll-)Ansprüche auf vollständige oder teilweise Anrechnung der Vorbeschäftigungszeiten privilegieren. Dem liegt ersichtlich die Überlegung zugrunde, dass Vorbeschäftigungszeiten in persönlicher Abhängigkeit dem Charakter des später begründeten, durch das Direktionsrecht (§ 106 Satz 1 GewO) gekennzeichneten Arbeitsverhältnisses weiter gehend entsprechen, als dies bei selbständigen Tätigkeiten der Fall ist. Die Tarifvertragsparteien waren sich des Problems möglicher anderer Rechtsverhältnisse außerhalb von Arbeitsverhältnissen bewusst. Das zeigt sich insbesondere an der in Protokollerklärung Nr. 2 zu § 16 Abs. 2 TV-L für Praktikanten getroffenen Regelung.

56

2. Dieser Regelungswille steht einer unbeabsichtigten Tariflücke entgegen. Die Arbeitsgerichte dürfen nicht gegen den - hier erkennbar geäußerten - Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche Regelungen „schaffen“ oder die schlechte Verhandlungsführung einer Tarifvertragspartei durch Vertragshilfe ausgleichen. Das wäre ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie (vgl. BAG 12. September 2013 - 6 AZR 512/12 - Rn. 59; 16. Mai 2013 - 6 AZR 619/11 - Rn. 31).

57

VII. Die Tarifvertragsparteien überschritten mit dem Konzept der Unterscheidung von Arbeitsverhältnissen und anderen Rechtsverhältnissen in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L nicht die Grenzen ihrer Regelungsmacht. Die Differenzierung durch den Begünstigungsausschluss selbständig Tätiger verletzt entgegen der Auffassung der Revision nicht den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Frühere selbständige Tätigkeit ist kein mit der Vorbeschäftigung in einem Arbeitsverhältnis vergleichbarer Sachverhalt.

58

1. Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte dennoch dazu, Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheits- und sachwidrigen Unterscheidungen führen und daher Art. 3 Abs. 1 GG verletzen. Den Tarifvertragsparteien kommt als selbständigen Grundrechtsträgern allerdings aufgrund der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Wie weit dieser Spielraum reicht, hängt von den Differenzierungsmerkmalen im Einzelfall ab. Hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen liegt die Einschätzungsprärogative bei den Tarifvertragsparteien (vgl. BAG 20. September 2012 - 6 AZR 211/11 - Rn. 15; 23. September 2010 - 6 AZR 180/09 - Rn. 12, BAGE 135, 313). Sie brauchen nicht die sachgerechteste oder zweckmäßigste Regelung zu finden (vgl. BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 619/11 - Rn. 34).

59

2. Art. 3 GG untersagt zwar auch einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss, mit dem ein Personenkreis begünstigt und ein anderer Personenkreis von der Begünstigung ausgenommen wird(vgl. BVerfG 10. Juli 2012 - 1 BvL 2/10, 1 BvL 1 BvL 3/10, 1 BvL 1 BvL 4/10, 1 BvL 1 BvL 3/11 - Rn. 21, BVerfGE 132, 72; 21. Juli 2010 - 1 BvR 611/07, 1 BvR 1 BvR 2464/07 - Rn. 78, BVerfGE 126, 400; BAG 20. September 2012 - 6 AZR 211/11 - Rn. 16; 16. Dezember 2010 - 6 AZR 437/09 - Rn. 19). Verfassungsrechtlich erheblich ist jedoch nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem bzw. die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. Dabei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln (vgl. BAG 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 34; 20. September 2012 - 6 AZR 211/11 - Rn. 16).

60

3. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfG 21. Juli 2010 - 1 BvR 611/07, 1 BvR 1 BvR 2464/07 - Rn. 79, BVerfGE 126, 400; BAG 16. Dezember 2010 - 6 AZR 437/09 - Rn. 19). Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung ist der Gleichheitssatz verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BAG 16. Dezember 2010 - 6 AZR 437/09 - Rn. 20).

61

4. Gemessen daran ist es nicht zu beanstanden, dass die Tarifvertragsparteien Tätigkeiten außerhalb eines Arbeitsverhältnisses von den zu (Voll-)Ansprüchen ausgestalteten Anrechnungstatbeständen in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L ausnahmen (krit. Kossens jurisPR-ArbR 15/2012 Anm. 5).

62

a) Für die Anrechnungstatbestände in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L wird nur die Berufserfahrung berücksichtigt, die dem Arbeitnehmer und damit seinem Arbeitgeber auch in der Tätigkeit, für die er neu eingestellt wurde, zugutekommt (vgl. 20. September 2012 - 6 AZR 211/11 - Rn. 19). Typisierend gingen die Tarifvertragsparteien bei abhängiger Beschäftigung nach selbständiger Tätigkeit angesichts der anderen Strukturen der Rechtsverhältnisse davon aus, dass eine frühere selbständige Tätigkeit dem Arbeitgeber in einem späteren Arbeitsverhältnis nicht zugutekommt. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses ist aus dieser Sicht eine Zäsur, die den Übergang in völlig andere rechtliche Beziehungen markiert. Das gilt im Fall des § 16 Abs. 2 Satz 2 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L selbst dann, wenn es sich um dieselben Vertragspartner handelt. Die Tätigkeit ist nun fremdbestimmt in persönlicher Abhängigkeit zu versehen und vom Direktionsrecht des Arbeitgebers aus § 106 Satz 1 GewO geprägt. Im Gegenzug erlangt der Eingestellte weiter gehende Schutzrechte, als sie ihm außerhalb des Arbeitsverhältnisses zukamen. Die rechtliche Situation eines zuvor selbständig Tätigen verändert sich demnach mit Blick auf Rechte und Pflichten erheblich. Damit wechselt auch der Charakter der Berufserfahrung, die er in den unterschiedlichen Rechtsverhältnissen sammelt. Das wird im Streitfall besonders deutlich. Die Klägerin war auf der Grundlage des für die Zeit vom 20. September 2007 bis 20. Dezember 2007 geschlossenen Dienstvertrags nicht weisungsgebunden. Sie durfte sogar - über die Zweifelsregelung des § 613 Satz 1 BGB hinaus - Erfüllungsgehilfen einsetzen und ihnen Weisungen erteilen. In dem jetzigen Arbeitsverhältnis ist sie dagegen unmittelbar weisungsgebunden.

63

b) Das Konzept der Tarifvertragsparteien, selbständige Tätigkeiten von einer Anrechnung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 idF von § 40 Nr. 5 Ziff. 1 TV-L auszunehmen, ist deswegen von ihrer typisierenden Einschätzungsprärogative gedeckt. Es ist nicht sachfremd, nach dem typischen Charakter der zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse zu differenzieren (vgl. BVerfG 28. November 1997 - 1 BvR 8/96 - zu II der Gründe). Ob den Tarifvertragsparteien mit der unterbleibenden Anrechnung von Zeiten selbständiger Tätigkeit eine zweckmäßige und überzeugende Regelung gelungen ist, hat der Senat nicht zu beurteilen (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 6 AZR 382/09 - Rn. 26 mwN).

64

c) Diese Lösung entspricht der bisherigen Rechtsprechungslinie.

65

aa) So hat der Senat die unterschiedlich ausgestalteten Anrechnungstatbestände bei demselben und einem anderen Arbeitgeber in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 TV-L als nicht gleichheitswidrig akzeptiert(vgl. BAG 23. September 2010 - 6 AZR 180/09 - Rn. 15 ff., BAGE 135, 313).

66

bb) Der Senat hat es auch für vereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz gehalten, dass Zeiten einschlägiger Berufserfahrung aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber bei der Stufenzuordnung nicht ebenso berücksichtigt werden wie Zeiten einschlägiger Berufserfahrung bei ununterbrochenem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit diesem Arbeitgeber (vgl. BAG 21. Februar 2013 - 6 AZR 524/11 - Rn. 9; 27. Januar 2011 - 6 AZR 382/09 - Rn. 26). Das gilt allerdings nicht für vorangegangene befristete Arbeitsverhältnisse. Befristet und unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer sind hinsichtlich ihrer Berufserfahrung vergleichbar, wenn es sich um identische oder zumindest gleichwertige Tätigkeiten handelt. In diesem Fall besteht gewissermaßen ein einheitliches, fortgesetztes Arbeitsverhältnis (vgl. BAG 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 28; 21. Februar 2013 - 6 AZR 524/11 - Rn. 30). Von dem Fall der vorangegangenen Befristung abgesehen liegt es grundsätzlich innerhalb der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien, ob und ggf. in welchem Umfang sie vor dem Beginn des Arbeitsverhältnisses ausgeübte Tätigkeiten auf die Stufenlaufzeit anrechnen. Die Tarifvertragsparteien dürfen daher Arbeitnehmer, die die einschlägige Berufserfahrung in einem ununterbrochen fortbestehenden Arbeitsverhältnis erworben haben, bei der Stufenzuordnung gegenüber Arbeitnehmern begünstigen, die nach der Beendigung ihres unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen sind. Das gilt grundsätzlich auch im Fall der Wiedereinstellung im unmittelbaren Anschluss an das vorherige unbefristete Arbeitsverhältnis. Diesen Sonderfall mussten die Tarifvertragsparteien nicht der Beschäftigung in einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis gleichstellen. Sie durften annehmen, dass ein Arbeitnehmer nach dem Ende eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses typischerweise nicht sofort wieder von demselben Arbeitgeber eingestellt wird (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 6 AZR 382/09 - Rn. 26 mwN). Daran wird deutlich, dass Tarifvertragsparteien Lebenssachverhalte, die in wesentlichen Elementen gleichgeartet sind, bei der Gruppenbildung normativ zusammenfassen dürfen und dabei Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, generalisierend vernachlässigen dürfen, soweit sie sich am Regelfall orientieren. Sie sind nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen, sofern die vorgenommenen Verallgemeinerungen tragfähig sind und die Differenzierungsmerkmale im Normzweck angelegt sind (vgl. BAG 13. August 2009 - 6 AZR 177/08 - Rn. 26).

67

VIII. Die geltend gemachten Ansprüche lassen sich auch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen.

68

1. Der Senat hat diese Anspruchsgrundlage zu untersuchen. Die Auffassung der Beklagten, nur die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen tariflichen Anspruchsgrundlagen seien zu überprüfen, trifft nicht zu.

69

a) Das Landesarbeitsgericht hat die Revision unbeschränkt hinsichtlich sämtlicher prozessualer Streitgegenstände zugelassen. Die Klägerin hat auch mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz Rügen geführt. Der Senat kann deshalb offenlassen, ob es sich wegen des abweichenden zugrunde liegenden Sachverhalts um einen anderen prozessualen Streitgegenstand iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO als die tarifliche Stufenzuordnung und damit um eine objektive Klagegrundhäufung handelt.

70

b) Wäre der Streitgegenstand demgegenüber prozessual identisch, wäre der Senat auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts nach § 557 Abs. 3 Satz 1 ZPO selbst ohne den - hier geführten - Revisionsangriff nicht an die geltend gemachten Revisionsgründe gebunden(vgl. BGH 29. Juni 2010 - X ZR 193/03 - Rn. 7, BGHZ 186, 90). Die Klägerin hat im Zusammenhang mit der Frage der tarifgerechten Stufenzuordnung zulässige Verfahrens- und Sachrügen erhoben. Das eröffnete im Fall eines identischen prozessualen Streitgegenstands den gesamten Prüfungsstoff des Falls. In diesem Rahmen wären alle materiellen Anspruchsgrundlagen zu bedenken.

71

2. Die Beklagte wandte die Stufenzuordnungsregeln des § 16 Abs. 2 und 5 idF von § 40 Nr. 5 TV-L nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts jedoch nicht bewusst übertariflich auf die drei Arbeitnehmer Dr. G, Dr. Gr und Dr. W an.

72

a) Wendet ein Arbeitgeber das mit einer Gewerkschaft ausgehandelte Regelwerk für den erfassten Personenkreis gelöst von den tariflichen Voraussetzungen an, macht er es zu seinem eigenen, von ihm selbst gesetzten Ordnungsgefüge. Er muss dieses Verhalten am Maßstab des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes messen lassen. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz wird unabhängig von seiner umstrittenen dogmatischen Herleitung inhaltlich durch den Gleichheitssatz bestimmt. Er verbietet die sachlich ungerechtfertigte Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage und die sachfremde Gruppenbildung (vgl. nur BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 619/11 - Rn. 42; 12. Dezember 2012 - 10 AZR 718/11 - Rn. 44). Sachfremd ist eine Differenzierung, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt, wenn die Regelung mit anderen Worten für eine am Gleichheitsgedanken orientierte Betrachtung willkürlich ist (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 552/11 - Rn. 62).

73

b) Danach kann die Klägerin die erstrebten früheren Zuordnungen zu höheren Entgeltstufen auf der Grundlage des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht beanspruchen.

74

aa) Der Senat kann zugunsten der Klägerin annehmen, dass es sich bei den früheren Zuordnungen der Arbeitnehmer Dr. G, Dr. Gr und Dr. W zu höheren Stufen nicht nur um Einzelfälle handelte und der Gleichbehandlungsgrundsatz daher zu beachten ist. Im Bereich des Entgelts gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz nur eingeschränkt. Vorrang hat der Grundsatz der Vertragsfreiheit für individuell ausgehandelte Vergütungen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet allerdings auch im Bereich des Entgelts Anwendung, wenn der Arbeitgeber die Vergütung nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegt (vgl. BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 619/11 - Rn. 44; 23. Oktober 2012 - 4 AZR 48/11 - Rn. 14).

75

bb) Das Landesarbeitsgericht hat gleichwohl rechtsfehlerfrei angenommen, die Klägerin habe keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Abweichung von dem regelmäßig gewollten Normvollzug dargelegt.

76

(1) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz greift wegen seines Schutzcharakters gegenüber der Gestaltungsmacht des Arbeitgebers nur dort ein, wo der Arbeitgeber durch eigenes gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung schafft, nicht jedoch bei bloßem - auch vermeintlichem - Normvollzug (vgl. BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 619/11 - Rn. 46; 23. Oktober 2012 - 4 AZR 48/11 - Rn. 14 mwN). Darin liegt keine verteilende Entscheidung des Arbeitgebers. Eine solche Entscheidung trifft der Arbeitgeber erst, wenn er in Kenntnis einer fehlenden Rechtsgrundlage Leistungen erbringt (vgl. BAG 27. Juni 2012 - 5 AZR 317/11 - Rn. 17).

77

(2) Eine derartige bewusste Entscheidung hat die Klägerin nicht ausreichend dargelegt. Das Landesarbeitsgericht hat aus ihrem Vorbringen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise nicht die Überzeugung gewonnen (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO), die Beklagte habe die drei Arbeitnehmer bewusst und nicht nur rechtsirrig früher höheren Entgeltstufen zugeordnet. Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht sei ihrem Vortrag nicht nachgegangen, den Arbeitnehmern Dr. G, Dr. Gr und Dr. W seien übertarifliche Leistungen gewährt worden, greift nicht durch.

78

(a) Die Klägerin beanstandet, das Landesarbeitsgericht habe ihr Vorbringen außer Acht gelassen, für die drei Arbeitnehmer habe kein besonderes Personalgewinnungsinteresse bestanden. Sie habe zudem bestritten, dass Frau Dr. G im Drittmittelantrag der Drittmittelgeberin benannt gewesen sei. Auch die Klägerin beherrsche die polnische Sprache perfekt, obwohl der Arbeitnehmer Dr. Gr nach den Ausführungen der Beklagten der einzige Muttersprachler unter den Bewerbern gewesen sei.

79

(b) Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag im streitigen Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich behandelt. Es hat ihn für seine rechtliche Würdigung aber für unbeachtlich gehalten, weil es angenommen hat, auch nach dem streitigen Vorbringen der Klägerin ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den Arbeitnehmern abweichend von den tariflichen Regelungen übertarifliche Leistungen habe gewähren wollen. Die Beklagte habe ersichtlich keine von den tariflichen Bestimmungen abweichende eigene Ordnung schaffen wollen, nach der jedenfalls einem Teil der neu eingestellten Arbeitnehmer unabhängig von den tariflichen Regelungen höhere Stufen hätten gewährt werden sollen. Es komme deswegen im Ergebnis nicht darauf an, ob die Beklagte in Einzelfällen von geringeren Anforderungen des Tatbestandsmerkmals „zur Deckung des Personalbedarfs“ ausgegangen sei, als das bei zutreffender Auslegung richtig gewesen wäre.

80

(c) Diese Überzeugungsbildung ist nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zu beanstanden und lässt keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen. Die Klägerin beruft sich auch mit ihrer Verfahrensrüge auf keinen Vortrag, der Anhaltspunkte dafür erkennen ließe, dass die Beklagte die drei Arbeitnehmer bewusst und nicht rechtsirrig früher höheren Entgeltstufen zuordnete. Aus den Darlegungen der Klägerin geht der Ausnahmetatbestand einer bewussten verteilenden Entscheidung über den bloßen vermeintlichen Normvollzug hinaus demnach nicht hervor. Die Klägerin wurde nicht nach sachfremden Kriterien ausgegrenzt.

81

(d) Soweit die Klägerin wegen ihrer polnischen Sprachkenntnisse ein ebenso großes Personalgewinnungsinteresse für sich wie für den Arbeitnehmer Dr. Gr reklamiert, lässt sie ferner unberücksichtigt, dass die Beklagte unbestritten einen spanischsprachigen Muttersprachler gewinnen wollte.

82

IX. Die Klägerin hat selbst dann nicht Anspruch auf die früheren Zuordnungen zu den höheren Entgeltstufen, wenn die Beklagte das Mitbestimmungsrecht des Personalrats verletzt haben sollte.

83

1. Der Senat braucht nicht darüber zu befinden, ob ein solches Mitbestimmungsrecht bestand und ob es nach dem festgestellten Sachverhalt verletzt wurde. Wird beides zugunsten der Klägerin unterstellt, stützt das die erhobenen Ansprüche dennoch nicht.

84

2. Die Verletzung eines Mitbestimmungsrechts kann nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung auch im Personalvertretungsrecht dazu führen, dass Entscheidungen des Arbeitgebers unwirksam sind (vgl. BAG 22. Mai 2012 - 1 AZR 94/11 - Rn. 29). Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmervertretung führt jedoch nicht zu individualrechtlichen Ansprüchen der betroffenen Arbeitnehmer, die zuvor nicht bestanden. Die tatsächlich durchgeführte Mitbestimmung ist Wirksamkeitsvoraussetzung für Maßnahmen zum Nachteil des Arbeitnehmers. Benachteiligend sind nur solche Maßnahmen, die bereits bestehende Rechtspositionen des Arbeitnehmers schmälern (vgl. BAG 22. Juni 2010 - 1 AZR 853/08 - Rn. 42, BAGE 135, 13). Der Arbeitnehmer erlangt dagegen auch durch eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts keinen Anspruch auf Leistungen, die der Arbeitgeber nicht schuldet (vgl. BAG 25. April 2013 - 6 AZR 800/11 - Rn. 43; s. auch 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 40). Die von der Klägerin aus einer Verletzung des Mitbestimmungsrechts abgeleitete gesteigerte Darlegungslast der Beklagten für die tarifgerechte Stufenzuordnung besteht deshalb nicht.

85

X. Da die erhobenen Ansprüche auf die erstrebten Stufenzuordnungen nicht entstanden sind, kommt es auf die Frage, ob und welche Ansprüche auf Einzelleistungen nach § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L verfallen wären, nicht an(vgl. dazu BAG 24. Oktober 2013 - 6 AZR 964/11 - Rn. 47 mwN).

86

C. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    M. Geyer    

        

    Steinbrück    

                 

Der zur Dienstleistung Verpflichtete hat die Dienste im Zweifel in Person zu leisten. Der Anspruch auf die Dienste ist im Zweifel nicht übertragbar.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

Das Berufungsgericht prüft nicht, ob der beschrittene Rechtsweg und die Verfahrensart zulässig sind und ob bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter Verfahrensmängel unterlaufen sind oder Umstände vorgelegen haben, die die Berufung eines ehrenamtlichen Richters zu seinem Amte ausschließen.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
2.
die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten,
3.
Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; zu diesen gehören auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten.
Als Beschäftigte gelten auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis sowie die Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist.

(2) Arbeitgeber (Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen) im Sinne dieses Abschnitts sind natürliche und juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, die Personen nach Absatz 1 beschäftigen. Werden Beschäftigte einem Dritten zur Arbeitsleistung überlassen, so gilt auch dieser als Arbeitgeber im Sinne dieses Abschnitts. Für die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten tritt an die Stelle des Arbeitgebers der Auftraggeber oder Zwischenmeister.

(3) Soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft, gelten die Vorschriften dieses Abschnitts für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände, entsprechend.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

(1) Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
2.
die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten,
3.
Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; zu diesen gehören auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten.
Als Beschäftigte gelten auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis sowie die Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist.

(2) Arbeitgeber (Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen) im Sinne dieses Abschnitts sind natürliche und juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, die Personen nach Absatz 1 beschäftigen. Werden Beschäftigte einem Dritten zur Arbeitsleistung überlassen, so gilt auch dieser als Arbeitgeber im Sinne dieses Abschnitts. Für die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten tritt an die Stelle des Arbeitgebers der Auftraggeber oder Zwischenmeister.

(3) Soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft, gelten die Vorschriften dieses Abschnitts für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände, entsprechend.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

20
bb) Von dem Begriff des Zugangs zur Erwerbstätigkeit wird auch der Fall erfasst, dass die Bestellung eines Geschäftsführers aufgrund einer Befristung endet und die Stelle neu besetzt werden soll. Wenn sich der bisherige, infolge Fristablaufs aus seinem Anstellungsverhältnis und seinem Amt ausgeschiedene Geschäftsführer - wie hier der Kläger - wiederum um die Stelle des Geschäftsführers bewirbt, erstrebt er damit einen - neuen - Zugang zu dieser Tätigkeit (vgl. BVerwG, NZA-RR 2011, 233 Rn. 26; MünchKommBGB/Thüsing, 6. Aufl., AGG § 2 Rn. 7; Horstmeier, GmbHR 2007, 125, 126; Schrader/Schubert in Däubler/Bertzbach, AGG, 2. Aufl., § 6 Rn. 31b ff.; Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 603; aA Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 329; Lutter, BB 2007, 725, 728 f.).

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. März 2016 - 12 K 1708/16 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Drittel.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 45.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde ist mit ihren zuletzt gestellten Anträgen,
„1. den Antragsgegner zu verpflichten, die Antragsteller zu 1 und 2 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig als Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure für das Land Baden-Württemberg zu bestellen und in die vom Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung geführte Liste der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure aufzunehmen,
2. die Fortdauer der Bestellung des Antragstellers zu 3 als Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur im Land Baden-Württemberg über den 31.08.2016 hinaus bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache anzuordnen,
3. hilfsweise in Bezug auf den Antragsteller zu 3 für den Fall einer gerichtlichen Entscheidung nach dem 31.08.2016 den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragsteller zu 3 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig als Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur für das Land Baden-Württemberg zu bestellen und den Antragsteller zu 3 in die vom Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung geführte Liste der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure aufzunehmen,“
zulässig. Insbesondere steht die Bestimmung des § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO, nach dem die Beschwerde einen bestimmten Antrag enthalten muss und vom Beschwerdegericht nur auf die dargelegten Gründe geprüft wird, den im Laufe des Beschwerdeverfahrens geänderten Anträgen nicht entgegen. Mit dieser der Entlastung der Oberverwaltungsgerichte dienenden Qualifizierung der Beschwerdebegründung einerseits und der Beschränkung des Prüfungsumfangs andererseits in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist eine Antragsänderung oder -erweiterung in der Beschwerdeinstanz regelmäßig nicht vereinbar (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Oktober 2010 - 1 S 2029/10 -, VBlBW 2011, 95, und vom 18.01.2006 - 11 S 1455/05 -, VBlBW 2006, 285 m. w. N.). Im vorliegenden Fall führt die Änderung der Anträge nicht zu einem anderen Prüfungsumfang mit der Gefahr einer zusätzlichen Belastung des Beschwerdegerichts, da die in Bezug auf die Antragsteller zu 1 und zu 2 umgestellten Anträge lediglich dazu dienen, das Sicherungsmittel in Form der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO an die mittlerweile geänderten tatsächlichen Bedingungen anzupassen. Denn beide haben zwischenzeitlich die in § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG normierte Altersgrenze überschritten und möchten durch die beantragte einstweilige Anordnung nunmehr erreichen, dass das im Gesetz vorgesehene Erlöschen ihrer Bestellung zum Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur (ÖbV) rückgängig gemacht wird. Der Streitgegenstand in der zwischenzeitlich anhängig gemachten Hauptsache, der auf die gerichtliche Feststellung zielt, dass ihre Bestellung zum ÖbV über den Zeitpunkt des Ablaufs des Monats, in dem sie das 70. Lebensjahr vollendet haben, fort gilt, verändert sich durch das Überschreiten der maßgeblichen Altersgrenze hingegen nicht. Damit bliebt auch das Antragsbegehren im vorläufigen Rechtsschutz unverändert.
II.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Aus den von der Beschwerde dargelegten Gründen ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt hat. Insbesondere ist nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung offen, ob der von den Antragstellern behauptete Anordnungsanspruch im Sinne des § 123 Abs. 1 VwGO vorliegt (dazu unter 1.). Zudem haben sie keine Umstände vorgebracht, die auf irreparable Nachteile oder ihre existentielle Betroffenheit schließen lassen könnten, um eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache annehmen zu können (dazu unter 2.).
1. § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG sieht vor, dass das Amt des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs mit Ablauf des Monats erlischt, in dem er das 70. Lebensjahr vollendet. Ob - wovon die Antragsteller ausgehen - diese Bestimmung mit höherrangigem Recht, insbesondere dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), nicht vereinbar ist, steht nicht ohne Weiteres fest.
a) In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG, soweit es um die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf geht, in erster Linie an den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu messen ist und nicht (mehr) an denjenigen der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat diese Richtlinie in nationales Recht umgesetzt, sodass für die unmittelbare Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Sekundärvorschrift kein Raum mehr besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2011 - 8 C 46.09 -, BVerwGE 139, 1, Rn. 43). Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur unmittelbaren Anwendung der Richtlinie 2000/78/EG auf die Höchstaltersgrenze bei Notaren, in der dieses Gericht die Frage aufwirft, ob eine Übertragung der Zuständigkeit zur Regelung des Berufsrechts der Notare auf die Europäische Union im Wege der begrenzten Einzelermächtigung überhaupt erfolgt ist (vgl. nur Beschluss vom 22. März 2010 - NotZ 16/09 -, BGHZ 185, 30, und 17. März 2014 - NotZ (Brfg) 21/13 -, MDR 2014, 553), ebenfalls nicht mehr bedenkenlos auf den vorliegenden Fall übertragbar. Gleiches gilt im Übrigen für den Hinweis des Antragsgegners auf den Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2000/78/EG, nach dem die Richtlinie nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung von Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand berührt. Insoweit ist aber ohnehin geklärt, dass dieser Erwägungsgrund sich auf die Klarstellung beschränkt, dass die Richtlinie nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten tangiert, das Alter für den Eintritt in den Ruhestand zu bestimmen, und in keiner Weise der Anwendung der Richtlinie auf nationale Maßnahmen entgegensteht, mit denen die Bedingungen geregelt werden, unter denen ein Arbeitsvertrag endet, wenn das auf diese Weise festgesetzte Ruhestandsalter erreicht wird (vgl. EuGH, Urteil vom 5. März 2009 - C-388/07 -, „Age Concern England“, Slg. 2009, I-1569, Ls. 2 und Rn. 25).
b) Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung steht nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass die im Schreiben des Ministeriums für ländlichen Raum und Verbraucherschutz vom 16. März 2016 auf § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG gestützte Ablehnung der Anträge der Antragsteller auf Feststellung des Fortbestehens ihrer Ämter als ÖbV gegen die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verstößt, zu dessen Zielen es nach § 1 AGG gehört, Benachteiligungen wegen des Alters zu verhindern oder zu beseitigen.
10 
aa) Der Senat geht zunächst trotz gewisser Bedenken davon aus, dass sowohl der sachliche als auch persönliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eröffnet ist.
11 
Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG umfasst der sachliche Anwendungsbereich dieses Gesetzes bei selbständiger Erwerbstätigkeit die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg. Eine Benachteiligung aus einem in § 1 AGG genannten Grund (§ 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG) liegt vor, denn die Höchstaltersgrenze des § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG ist eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters, da mit ihrem Überschreiten die Bestellung zum ÖbV kraft Gesetzes erlischt. Betroffen ist auch eine selbständige Erwerbstätigkeit. Als selbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG ist jede Tätigkeit anzusehen, die unabhängig von Weisungen, also frei in Bezug auf die Organisation der Arbeit ist sowie gegen Vergütung und auf eigene Rechnung erfolgt. Erfasst sind damit unter anderem freiberufliche und unternehmerische Dienste (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2011 - 8 C 46.09 -, BVerwGE, 139, 1, Rn. 22), wozu auch die Tätigkeit als ÖbV gehört. Zu den Bedingungen für den Zugang zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zählen die Voraussetzungen, die für die Ausübung der Tätigkeit erforderlich sind oder die die rechtliche Grundlage für die Aufnahme der Tätigkeit darstellen. Entscheidend dafür, ob der Zugang zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit durch die in Rede stehende Höchstaltersgrenze des § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG beschränkt wird, ist, ob die Regelung geeignet ist, die Nachfrage nach den von den Antragstellern angebotenen Dienstleistungen zu beschränken (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - C-341/08 -, „Domnica Petersen“, Slg. 2010, I-47, Rn. 33). Dies ist der Fall, da die Antragsteller mit Erlöschen ihrer Bestellungen zu ÖbV die mit diesem Amt übertragenen Aufgaben nicht mehr ausüben, sie also vor allem keine Katastermessungen mehr vornehmen dürfen. Anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 26. Januar 2011 (a. a. O.) entschiedenen Fall ist die Bestellung zum ÖbV nach baden-württembergischem Landesrecht nicht von vornherein befristet, sondern sie wird auf Antrag einmal verliehen und gilt dann bis zum Eintritt eines der in § 13 Abs. 1 VermG genannten Erlöschenstatbestände (Entlassung, Erreichen der Altersgrenze, Amtsverlust infolge strafgerichtlicher Verurteilung, Amtsenthebung, Ableben). Der ÖbV muss also nicht immer wieder neu „Zugang“ zur Bestellung als ÖbV beantragen, sondern diese wird ihm unbefristet verliehen und nur kraft Gesetzes genommen. Bereits insoweit stellt sich die Frage, ob der sachliche Anwendungsbereich von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG eröffnet ist, der im Einklang mit der Richtlinie 2000/78/EG nur die Zugangsbedingungen zu einer selbständigen Tätigkeit dem AGG unterstellt.
12 
Die Beantwortung sowohl dieser als auch der Frage nach der Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereich hängt entscheidungserheblich davon ab, wie der Begriff des Zugangs zur Erwerbstätigkeit zu verstehen ist. Denn nach § 6 Abs. 3 AGG gelten die Vorschriften des Abschnitts 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes über den Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände, entsprechend, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft. Das Verwaltungsgericht hat die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereich ohne nähere Begründung unter Hinweis auf die Bestimmung des § 6 Abs. 3 AGG bejaht (siehe ähnlich BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2015 - 10 CN 1.14 -, juris, Rn. 17, zum Erlöschen der Anerkennung als Prüfsachverständiger mit Erreichen der Altersgrenze von 70 Jahren, sowie Urteil vom 1. Februar 2012 - 8 C 24.11 -, BVerwGE 141, 385, und vom 11. Mai 2016 - 10 C 2.15 -, Urteilsabdruck, Rn. 9). Vor dem Hintergrund, dass die Bestellung als ÖbV kraft Gesetzes erlischt und der mit der Bestellung verbundene Tätigkeitsbereich endet, erscheint es fraglich, ob insoweit der „Zugang zur Erwerbstätigkeit“ betroffen ist. Aus Sicht des Senats spricht einiges dafür, den Begriff des Zugangs erweiternd als „fortgesetzten Zugang“ auszulegen. Denn ein zu enges Begriffsverständnis vermag das Problem nicht zuverlässig zu lösen, in dem eine altersbezogene Maßnahme zur Beendigung einer Tätigkeit führt – hier das Erlöschen der Bestellung zum ÖbV mit Erreichen der Höchstaltersgrenze –, während der Betroffene in der nächsten logischen Sekunde einen Antrag auf Bestellung zum ÖbV beantragen könnte und ihm diese nicht unter Hinweis auf das Alter versagt werden könnte, nur um im nächsten Moment mit Blick auf die Altersgrenze die Bestellung wieder zu verlieren (vgl. zu dieser „Karussellproblematik“ und zum Meinungsstand Bauer/Arnold, AGG-Probleme bei vertretungsberechtigten Organmitgliedern, ZIP 2008, 993 m. w. N.). Diese erweiternde Auslegung findet in den Erwägungsgründen 4, 9, 11 und 12 der Richtlinie 2000/78/EG, die das AGG umsetzt, eine Stütze. Sie betonen die Wichtigkeit des Schutzes vor Diskriminierung (Erwägungsgrund 4) und von Beschäftigung und Beruf als Bereiche, die für die Gewährleistung gleicher Chancen für alle und für eine volle Teilhabe der Bürger am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben sowie für die individuelle Entfaltung von entscheidender Bedeutung sind (Erwägungsgrund 9). Angesichts dessen kann eine Diskriminierung wegen Alters die Verwirklichung der im EG-Vertrag festgelegten Ziele unterminieren (Erwägungsgrund 11), sodass jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen des Alters gemeinschaftsweit untersagt werden sollte (Erwägungsgrund 12). Diesen Erwägungen des Unionsgesetzgebers ist zu entnehmen, dass es ihm um einen möglichst weitreichenden und umfassenden Schutz vor Diskriminierung im Arbeitsleben ging. Im Lichte des unionsrechtlichen Auslegungsgrundsatzes „effet utile“ dürfte daher, um die praktische Wirksamkeit der Richtlinienbestimmung zu erreichen, die erweiternde Auslegung geboten sein.
13 
bb) Entgegen der Auffassung der Antragsteller steht nicht überwiegend wahrscheinlich fest, dass eine Benachteiligung wegen des Alters nach § 8 Abs. 1 oder § 10 Satz 1 und 2 AGG, jedenfalls aber nach Art. 2 Abs. 5 Richtlinie 2000/78/EG nicht ausnahmsweise erlaubt sein könnte.
14 
α) Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG vorliegen und hat sich hierbei maßgeblich von der Erwägung leiten lassen, dass die Tätigkeit als ÖbV in nicht unerheblichem Umfang von der körperlichen Fitness abhängig ist. Die Beschwerde ist dieser Annahme entgegengetreten, indem sie auf die vorhandene körperliche Leistungsfähigkeit der Antragsteller und im Übrigen darauf hingewiesen hat, dass die ÖbV nicht zwingend selbst die körperlich schwierigen Tätigkeiten vornehmen müssten, sondern hierfür Fachkräfte heranziehen könnten (§ 6 Abs. 1 der Verordnung des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz über die Bestellung und Amtsausübung der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen und der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure vom 8. Juni 2013 - ÖbVI-Berufsordnung).
15 
Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Diese Bestimmung setzt Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG um, zu der der Gerichtshof der Europäischen Union in der Vergangenheit mehrfach Gelegenheit zur Auslegung hatte (vgl. Urteil vom 12. Januar 2010 - C-229/08 -, „Wolf“, Slg. 2010, I-1, vom 13. September 2011 - C-447/09 -, „Prigge“, Slg. 2011, I-8003, und vom 13. November 2014 - C-416/13 -, „Perez“, ECLI:EU:C:2014:2371). In diesen Urteilen hat der EuGH zunächst betont, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG eine Ausnahme zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung darstellt und daher eng auszulegen ist. Ferner hat er betont, dass nicht der Grund, auf den die Ungleichbehandlung gestützt ist, sondern ein mit diesem Grund im Zusammenhang stehendes Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen muss. Jene ist nur rechtmäßig, wenn sie ihrerseits als eine angemessene berufliche Anforderung einzustufen ist.
16 
Im Urteil „Wolf“ hat der EuGH festgestellt, dass eine Maßnahme, durch die für die Einstellung in die Laufbahn des mittleren feuerwehrtechnischen Dienstes das Höchstalter auf 30 Jahre festgelegt wird, verhältnismäßig ist, da diese Grenze erforderlich ist, um die Einsatzbereitschaft und das ordnungsgemäße Funktionieren des Dienstes zu gewährleisten. Der EuGH ist zu diesem Ergebnis jedoch erst gekommen, nachdem er anhand der ihm vorgelegten wissenschaftlichen Daten festgestellt hatte, dass einige der den Angehörigen des mittleren feuerwehrtechnischen Dienstes übertragenen Aufgaben wie die Brandbekämpfung eine „außergewöhnlich hohe“ körperliche Eignung erfordern und dass nur sehr wenige der Beamten, die älter als 45 Jahre sind, über die hinreichende körperliche Eignung verfügen, um eine solche Tätigkeit auszuüben. Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass eine Einstellung im fortgeschrittenen Alter zur Folge hätte, dass eine zu große Zahl von Beamten nicht für die körperlich anspruchsvollsten Aufgaben verwendet werden könnte. Außerdem würde eine solche Einstellung nicht ermöglichen, die so eingestellten Beamten über einen hinreichend langen Zeitraum für diese Aufgaben zu verwenden. Schließlich muss für eine angemessene Organisation der Berufsfeuerwehr für den mittleren technischen Dienst eine Wechselbeziehung zwischen den körperlich anspruchsvollen und für die ältesten Beamten ungeeigneten Stellen und den körperlich weniger anspruchsvollen und für diese Beamten geeigneten Stellen bestehen (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - C-229/08 -, „Wolf“, Slg. 2010, I-1, Rn. 41 und 43). In Fortsetzung dieser Rechtsprechung hat der EuGH die körperliche Leistungsfähigkeit und ihre altersbedingte Abnahme bei Piloten als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG anerkannt, aber sie als unangemessen verworfen, da Piloten unter bestimmten Umständen auch noch nach Überschreiten der im streitigen Fall geltenden Höchstaltersgrenze des maßgeblichen Manteltarifvertrags weiterhin als Piloten tätig sein durften (vgl. EuGH, Urteil vom 13. September 2011 - C-447/09 -, „Prigge“, Slg. 2011, I-8003). In gleicher Weise hat der EuGH in seinem Urteil „Perez“ anerkannt, dass das Vorhandensein besonderer körperlicher Fähigkeiten als eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 in Bezug auf die Ausübung des Berufs eines örtlichen Polizeibeamten angesehen werden kann. Allerdings stellte er - unter Hinweis auf sein Urteil „Wolf“ - fest, dass ein derartiges Höchstalter kein verhältnismäßiges Erfordernis darstelle, da die den Beamten der örtlichen Polizei zugewiesenen Aufgaben die Eignung, über die die Beamten für die Erfüllung bestimmter dieser Aufgaben verfügen müssten, nicht immer mit der „außergewöhnlich hohen“ körperlichen Eignung vergleichbar sei, die der Feuerwehr insbesondere bei der Brandbekämpfung regelmäßig abverlangt werde.
17 
Übertragen auf den vorliegenden Fall erscheint es nicht gänzlich fernliegend, dass die körperliche Leistungsfähigkeit wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Tätigkeit als ÖbV ist. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss zutreffend die Tätigkeiten des ÖbV beschrieben und die damit verbundenen körperlichen Anforderungen illustriert. Die Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit erreichen aber wohl nicht den hohen Stellenwert, den der EuGH der Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG für die Rechtfertigung einer Diskriminierung wegen des Alters unterstellt. Denn eine außergewöhnlich hohe körperliche Eignung ist für die Tätigkeit eines ÖbV, insbesondere für die Durchführung von Katastermessungen, nicht vonnöten. Hiervon geht im Übrigen offensichtlich auch der Gesetzgeber selbst aus. Denn er normiert als Höchstalterseintrittsgrenze in § 11 Abs. 3 Nr. 2 VermG für die Bestellung zum ÖbV die Vollendung des 60. Lebensjahrs.
18 
β) Ungeachtet des § 8 AGG ist nach § 10 Satz 1 und 2 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters aber auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein.
19 
Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen dieses Rechtfertigungsgrunds mit dem Argument bejaht, es liege ein sozialpolitisches Ziel in Form einer in § 11 Abs. 1 VermG angelegten Bedarfsprüfung vor, die dazu diene, die Funktionsfähigkeit des staatlichen Vermessungswesens als Gemeinschaftsgut von hohem Stellenwert zu schützen. Darüber hinaus hat es seine Auffassung damit begründet, dass § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG auch dazu diene, die zur Verfügung stehenden Stellen mit einer gewissen Planbarkeit und Vorhersehbarkeit für lebensjüngere Bewerber frei zu machen, und insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Höchstaltersgrenze bei Notaren Bezug genommen. Dem tritt die Beschwerde im Einzelnen entgegengetreten.
20 
Der Senat hegt gewisse Zweifel, ob die Bestimmung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG, jedenfalls aber ihr allgemeiner Kontext ein legitimes Ziel im Sinne des § 10 Satz 1 und 2 AGG verfolgt.
21 
Während das Bundesverwaltungsgericht zunächst die Auffassung vertrat, nicht nur sozialpolitische sondern auch sonstige dem Gemeinwohl dienende Ziele könnten legitime Ziele im Sinne des AGG sein (so Urteil vom 26. Januar 2011 - 8 C 46.09 -, BVerwGE 139, 1, Rn. 33), hat es diese Rechtsprechung mittlerweile ausdrücklich aufgegeben. Es fordert nunmehr im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. nur Urteil vom 13. September 2011 - C-447/09 -, „Prigge“, Slg. 2011, I-8003), dass nur sozialpolitische Ziele legitime Ziele im Sinne des § 10 AGG sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2012 - 8 C 24.11 -, NJW 2012, 1018, 1019). Eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters können also nur sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung rechtfertigen. Die Beantwortung der Frage, ob eine Maßnahme - hier die gesetzliche Höchstaltersgrenze in § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG - ein sozialpolitisches Ziel verfolgt, ist in einem ersten Schritt aus der Bestimmung selbst zu entnehmen. Lässt sich - wie hier - aus der Vorschrift hierzu jedoch nichts herleiten, so können andere - aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete - Anhaltspunkte die Feststellung des hinter dieser Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, damit dessen Rechtmäßigkeit sowie die Angemessenheit und Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüft werden können (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 - C-411/05 -, „Palacios“, Slg. 2007, I-8531, Rn. 57, vom 5. März 2009 - C-388/07 -, „Age Concern England“, Slg. 2009, I-1569, Rn. 45, und vom 12. Januar 2010 - C-341/08 -, „Domnica Petersen“, Slg. 2010, I-47, Rn. 40; BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2016 - 10 B 10.15 -, juris, Rn. 5; Sächs. OVG, Urteil vom 11. November 2014 - 4 A 784/13 -, juris, Rn. 24).
22 
Der Antragsgegner verweist unter Bezugnahme auf die Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung über das Gesetz zur Änderung des Vermessungsgesetzes (LT-Drs. 14/7075) darauf, dass § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG sozialpolitische Ziele in Form der Schaffung beziehungsweise Beibehaltung einer ausgewogenen Altersstruktur durch eine landesweit flächendeckende Versorgung mit hoheitlichen Vermessungsdienstleistungen verfolge. Hierzu gehörten alle Faktoren, die die Anzahl der ÖbV beeinflussten, mithin auch das Alter. Es sei ferner evident, dass faire Zugangschancen zum Amt des ÖbV ohne die Altersgrenze erheblich gefährdet seien. Dem vermag der Senat nicht ohne Weiteres zu folgen.
23 
In einem ersten Schritt mag diese aus der Gesetzesbegründung LT-Drs. 14/7075 abgeleitete Sichtweise des Antragsgegners vertretbar erscheinen. Sie muss sich aber den Einwand der Antragsteller gefallen lassen, dass das Gesetz zur Änderung des Vermessungsgesetzes und anderer Gesetze (GBl. 2010, S. 989) die hier in Rede stehende Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG nicht geändert hat. Von daher liegt es nicht zwangsläufig auf der Hand, dass die gesetzliche Änderung, die nach gesetzgeberischer Intention unbestreitbar einer „landesweit flächendeckende Versorgung mit hoheitlichen Vermessungsdienstleistungen durch eine landesweite Bestellung der ÖbV“ (vgl. LT-Drs. 14/7075, S. 2) dienen sollte, (auch) das sozialpolitische Ziel der Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur verfolgt (zur Zulässigkeit dieses Ziels vgl. grundsätzlich EuGH, Urteil vom 21. Juli 2011 - C-159/10 und C-160/10 -, „Fuchs“, Slg 2011, I-6919, Rn. 50). Vielmehr heißt es in der Gesetzesbegründung unter „II. Wesentlicher Inhalt“ und dort unter „4. Weitere Liberalisierung der Bestellung von ÖbV in §§ 11, 12 VermG“ (vgl. LT-Drs. 14/7075, S. 15, zu §§ 11, 12 VermG):
24 
„Insbesondere im Zusammenhang mit der teilweise gesetzlich geregelten Aufgabenzuweisung ist eine flächendeckende Versorgung mit Vermessungsleistungen sicherzustellen. ÖbV können künftig landesweit tätig werden. Gründe für eine Einschränkung gibt es nicht mehr, da eine hohe Einheitlichkeit im Liegenschaftskataster landesweit gegeben ist. Mit der neuen Regelung wird eine größere Flexibilität bei der Aufgabenwahrnehmung der ÖbV erreicht. Der Verwaltungsaufwand wird reduziert. Außerdem werden die Möglichkeiten des Zusammenschlusses von ÖbV ausgeweitet.“
25 
Dies deutet eher auf die Erhöhung der landesinternen Freizügigkeit der ÖbV hin als auf den Wunsch nach Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur.
26 
Zu bemerken ist ferner, dass die streitige Höchstaltersgrenze in § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG erstmals durch Art. 67 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (GBl. 2004, S. 469) eingeführt wurde. In der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 13/3201, S. 342) heißt es zu § 13 Abs. 1 VermG:
27 
„Absatz 1 übernimmt, redaktionell angepasst, im Wesentlichen die Regelungen des § 20 der ÖbV-Berufsordnung.
Künftig erlischt das Amt des ÖbV auch mit Ablauf des Monats, in dem er das 70. Lebensjahr vollendet. Damit soll vermieden werden, dass ein ÖbV seinen Amtspflichten altersbedingt nicht mehr in genügendem Maß nachkommen kann. Für ÖbV, die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes das 60. Lebensjahr bereits vollendet haben, gilt diese Bestimmung nicht (§ 20 Abs. 3).
[…]“
28 
Diese Gesetzesbegründung belässt einigen Spielraum für eine Auslegung sowohl im Sinne der Antragsteller als auch des Antragsgegners und wird eine vertiefte Auseinandersetzung, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme weiterer Materialien aus dem gesetzgeberischen Verfahren, im nunmehr anhängigen Hauptsacheverfahren erfordern. Auf der einen Seite kann aus dieser Begründung abgeleitet werden, dass der Landesgesetzgeber davon ausgeht, dass der ÖbV mit Erreichen des 70. Lebensjahrs nicht mehr hinreichend in der Lage ist, die ihm kraft öffentlicher Bestellung übertragenen Aufgaben wahrzunehmen. Dass mit fortschreitendem Alter ein Abfall der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit einhergeht, ist eine taugliche allgemeingültige Annahme des Gesetzgebers, die insbesondere keine individuelle Nachforschung erfordert (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2011 - 8 C 46.09 -, BVerwGE 139, 1, Rn. 39). Dahinter wiederum ist die Befürchtung des Gesetzgebers zu vermuten, dass angesichts des durch den Alterungsprozess bedingten Abbaus der körperlichen und geistigen Fähigkeiten die den ÖbV übertragenen Aufgaben nicht mehr – ausreichend – erfüllt werden und es hierdurch letztlich zur Gefährdung der öffentlichen Aufgabenerfüllung im Vermessungswesen, mithin der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des amtlichen Vermessungswesen kommt. Dieser Gesetzeszweck ist zwar ein dem Gemeinwohl dienender Zweck, jedoch kein sozialpolitischer Zweck im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Auf der anderen Seite erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber mit dem ausdrücklich geäußerten Wunsch nach Vermeidung einer altersbedingten unzureichenden Erledigung der Amtspflichten auch den „dahinterstehenden“ zulässigen sozialpolitischen Zweck einer durchmischten Altersstruktur verfolgt hat. Zwar ist einzuräumen, dass der Gesetzgeber auf diesen Gesetzeszweck nicht ausdrücklich hingewiesen hat (vgl. zu einem solchen ausdrücklichen Hinweis im maßgeblichen Landesrecht Sächs. OVG, Urteil vom 11. November 2014 - 4 A 784/13 -, juris, Rn. 29, sowie BT-Drs. 11/8307, S. 18 in Bezug auf die Einführung einer Höchstaltersgrenze für Notare). Diese Annahme lässt sich jedoch nicht zwangsläufig ausschließen, da noch vor Inkrafttreten des Vermessungsgesetzes und nach der ÖbVI-Berufsordnung keine Höchstaltersgrenze galt und „[d]ie grundlegenden Bestimmungen zur Bestellung und Amtsausübung des ÖbV und zum Erlöschen des Amts, die bisher teilweise lediglich im Wege einer Rechtsverordnung des Wirtschaftsministeriums (ÖbV-Berufsordnung) geregelt waren, nunmehr gesetzlich geregelt und bedarfsgerecht fortgeschrieben [werden]“ sollten (vgl. LT-Drs. 13/3201, S. 327). Ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG ein sozialpolitisches Ziel verfolgt, kann unter Umständen aus § 11 Abs. 3 Nr. 2 VermG abgeleitet werden, der bestimmt, dass zum Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur nicht bestellt werden darf, wer das 60. Lebensjahr vollendet hat. Bereits zur Vorgängervorschrift in § 1 Abs. 2 Nr. 1 ÖbV-VO war anerkannt, dass sie mit Rücksicht auf die erwünschte Kontinuität des Amtes des ÖbV, die Altersstruktur des Berufsstandes und die besonderen Leistungsanforderungen des Berufs des ÖbV erforderlich ist (vgl. Strobel, Vermessungsrecht für Baden-Württemberg, 2. Aufl., § 11, Rn. 20). § 11 VermG hat diese Regelungen im Wesentlichen übernommen (vgl. LT-Drs. 13/3201, S. 339). Auch insoweit besteht noch Bedarf nach weiterer Nachforschung des Hintergrunds der genannten Bestimmungen im Hauptsacheverfahren.
29 
Ob schließlich - wie der Antragsgegner meint - aus § 11 Abs. 1 VermG ein sozialpolitischer Zweck im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union abgeleitet werden kann, vermag der Senat mit den ihm im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln nicht verlässlich zu beantworten. Tendenziell begründet diese vom Antragsgegner geäußerte Annahme aber Bedenken. Zwar ist richtig, dass eine Bedarfsprüfung, die der Antragsgegner im Begriff des öffentlichen Interesses in § 11 Abs. 1 VermG verortet, ein sozialpolitisches Ziel in Form der Eröffnung fairer Zugangschancen für jüngere Bewerber darstellen kann. Allerdings ist die öffentliche Bestellung zum ÖbV unabhängig von einer konkreten Bedarfsplanung, das Ausscheiden älterer Sachverständiger ist damit keine Voraussetzung für das Nachrücken Jüngerer. Im Übrigen erscheint fraglich, ob § 11 Abs. 1 Halbs. 2 VermG den verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine Bedarfsprüfung überhaupt genügt, da weder zumindest Auswahlkriterien noch ein rechtsförmiges Auswahlverfahren vorgesehen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992 - 1 BvR 298/86 -, BVerfGE 86, 28).
30 
γ) Schließlich spricht einiges dafür, dass die Benachteiligung der Antragsteller wegen ihres Alters mit Blick auf Art. 2 Abs. 5 Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt sein dürfte.
31 
Die Antragsteller machen hierzu geltend, dass die vom Antragsgegner befürchtete mit dem Wegfall der Höchstaltersgrenze sehr rasch eintretende erhebliche Überversorgung an amtlichen Vermessungsdienstleistungen und die Gefahr eines damit korrespondierenden ruinösen Wettbewerbs unter ÖbV nicht nur zu pflichtwidrigem Verhalten von ÖbV, sondern sogar zu Straftaten führen könne, eine geradezu groteske Beschreibung einer Gefährdungslage sei, für die der Antragsgegner keinen tatsächlichen Anknüpfungspunkte benennen könne.
32 
Die Bestimmung des Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG, nach der diese Richtlinie nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen berührt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind, wurde zwar nicht in das AGG übernommen. Umgekehrt hat der Bundesgesetzgeber auf den Sicherheitsvorbehalt auch nicht bewusst verzichtet. Hierfür fehlt es an Anhaltspunkten im Wortlaut des Gesetzes und in der Gesetzesbegründung. Damit steht das Schweigen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes anderweitigen Regelungen des innerstaatlichen Rechts außerhalb dieses Gesetzes nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2012 - 8 C 24.11 -, NJW 2012, 1018, 1019 f., und vom 11. Mai 2016 - 10 C 2.15 -, Urteilsabdruck, Rn. 10). Mit dem Erlass dieses Sicherheitsvorbehalts wollte der Unionsgesetzgeber auf dem Gebiet von Beschäftigung und Beruf dem Entstehen eines Spannungsfelds zwischen dem Grundsatz der Gleichbehandlung zum einen und der notwendigen Gewährleistung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, der Verhütung von Rechtsverstößen sowie dem Schutz der individuellen Rechte und Freiheiten, die für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich sind, zum anderen vorbeugen und vermittelnd eingreifen (vgl. EuGH, Urteil vom 13. September 2011 - C-447/09 -, „Prigge“, Slg. 2011, I-8003, Rn. 55). Die Bestimmung ist eng auszulegen, weil sie eine Abweichung vom Grundsatz des Verbots der Diskriminierung begründet (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - C-341/08 -, „Domnica Petersen“, Slg. 2010, I-47, Rn. 60, und vom 13. September 2011 - C-447/09 -, „Prigge“, Slg. 2011, I-8003, Rn. 56).
33 
Anders als die Antragsteller meinen, ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Bestimmung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG - unabhängig von den momentanen konkreten Verhältnissen - einen unionsrechtskonformen Sicherheitsvorbehalt darstellt. Unter Beachtung der zu Art. 2 Abs. 5 Richtlinie 2000/78/EG ergangenen und oben aufgeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union steht nicht ohne Weiteres fest, dass die - jedenfalls auch - verfolgte Zielsetzung der Höchstaltersgrenze, nämlich die Funktionsfähigkeit des amtlichen Vermessungswesens, als eine Maßnahme anzusehen ist, die für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Denn ausweislich § 5 Abs. 2 VermG dienen die den ÖbV zugewiesenen Katastervermessungen zur Fortführung des Liegenschaftskatasters, das durch eine am Grundeigentum ausgerichtete Einteilung von Grund und Boden die Liegenschaften und die Flurstücksentwicklung auf der Grundlage von Liegenschaftsvermessungen landesweit nachweist und insbesondere der Sicherung des Grundeigentums, dem Grundstücksverkehr, der Besteuerung sowie der Ordnung von Grund und Boden dient und Grundlage für weitere raumbezogene Informationssysteme ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 VermG). Die den ÖbV zugewiesenen Tätigkeiten dienen damit unter anderem der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Verwirklichung eines ordnungsgemäßen Grundstücksverkehrs und der Gewährleistung des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 17 Charta der Grundrechte der Europäischen Union).
34 
Die Höchstaltersgrenze dürfte auch zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG notwendig sein. Eine Maßnahme ist im Sinne dieser Regelung notwendig, wenn sie zur Verfolgung eines legitimen Zieles geeignet, erforderlich und angemessen ist und mit dem Kohärenzgebot in Einklang steht (BVerwG, Urteil vom 11. Mai 2016 - 10 C 2.15 -, Urteilsabdruck, Rn. 12). Diese Voraussetzung dürften vorliegen. Denn ein generelles Höchstalter ist geeignet, ÖbV, bei denen (inzwischen) altersbedingt nicht mehr die Gewähr gegeben ist, dass sie jederzeit die durch die öffentliche Bestellung an sie gestellten Anforderungen voll erfüllen, aus dem Kreis der ÖbV herauszunehmen und damit der Gefahr, altersbedingt den Amtspflichten nicht mehr nachkommen zu können, zu begegnen. Die Höchstaltersgrenze ist auch erforderlich. Zwar wäre eine individuelle Überprüfung der Leistungsfähigkeit des jeweiligen ÖbV ein milderes Mittel, da es den individuellen Leistungsabbau berücksichtigen könnte (§ 13 Abs. 4 Nr. 3 in Verbindung mit § 11 Abs. 3 Nr. 1 VermG). Sie ist aber nicht in gleicher Weise wie eine Höchstaltersgrenze dazu geeignet, weil sie zu spät käme. Eine altersbedingt nicht mehr ausreichende Leistungsfähigkeit würde erst festgestellt werden, wenn sie bereits eingeschränkt ist. Die öffentliche Bestellung würde noch fortbestehen bis bei der nächsten Überprüfung die Mängel zu Tage treten. Die Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne und den betroffenen Antragstellern zumutbar. Mit der Festlegung des Höchstalters auf die Vollendung des 70. Lebensjahres ist das generelle Ende der öffentlichen Bestellung bereits deutlich über der allgemeinen Altersgrenze angesetzt (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2011 - 8 C 46.09 -, BVerwGE 139, 1, Rn. 36 ff., und vom 11. Mai 2016 - 10 C 2.15 -, Urteilsabdruck, Rn. 13 ff.). Schließlich dürfte auch die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erforderliche Kohärenz vorliegen. Hierbei ist zu prüfen, ob die Ausnahmen von der in Rede stehenden Altersgrenze die Kohärenz der betreffenden Regelung nicht in der Weise beeinträchtigen, dass sie zu einem diesem Ziel entgegenwirkenden Ergebnis führen. Eine Regelung ist nämlich nur dann geeignet, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - C-341/08 -, „Domnica Petersen“, Slg. 2010, I-47, Rn. 53, und vom 10. März 2009 - C-169/07 -, „Hartlauer“, Slg. 2009, I-1721, Rn. 55). Auch dies ist der Fall. Zwar unterliegen nicht Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure hinsichtlich ihrer Tätigkeit keiner Altersgrenze, während dies für ÖbV angesichts § 13 Abs. 1 Nr. 2 VermG der Fall ist. Die unterschiedliche Behandlung ist dennoch kohärent, denn das Ziel der gesetzlichen Bestimmung besteht nicht darin, Schutz vor nicht mehr ausreichend leistungsfähigen Vermessungsingenieuren zu bieten, sondern um die Funktionsfähigkeit des staatlichen Vermessungswesens zu erhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2011 - 8 C 46.09 -, BVerwGE 139, 1, Rn. 42, und vom 11. Mai 2016 - 10 C 2.15 -, Urteilsabdruck, Rn. 17 ff.).
35 
2. Der von den Antragstellern begehrte Erlass der einstweiligen Anordnung kommt auch deshalb nicht in Betracht, weil er auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausliefe. Sie ist aber im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. September 2011 - 2 BvR 1206/11 -, NJW 2011, 3706; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2008 - 13 S 418/08 -, VBlBW 2009, 149). Eine Ausnahme kommt vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG nur dann in Betracht, wenn die Vorwegnahme zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, mithin wenn der Verweis auf die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens mit unzumutbaren oder gar irreparablen, die Existenz der Antragsteller bedrohenden Nachteilen verbunden wäre (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. April 1994 - 6 S 745/94 -, juris). Derartige Nachteile haben die Antragsteller jedoch nicht behauptet.
36 
Sie haben insoweit erstinstanzlich geltend gemacht, ihnen würde die „Ausübung ihres ÖbV-Berufs mit dem Eingreifen der Altersgrenze […] unmöglich gemacht“, da „[b]ei der Entwicklung und Realisierung von Bauvorhaben […] die anfallenden Vermessungsleistungen in aller Regel ‚im Paket‘ in der Weise vergeben [werden], dass hoheitliche und nicht-hoheitliche Messungen bei ein und derselben Vermessungsstelle beauftragt“ würden. Eine Trennung der hoheitlichen von den nicht hoheitlichen Messungen erfolge dabei regelmäßig nicht, sodass den Antragstellern nur noch eine Bewerbung um solche Aufträge verbliebe, die ausschließlich Ingenieurvermessungen zum Gegenstand hätten. Zudem müsse eine Interessenabwägung erfolgen, in die einzustellen sei, dass sich potentielle Auftraggeber angesichts der Dauer eines Hauptsacheverfahrens anderweitig orientieren würden.
37 
Die Antragsteller räumen demnach ein, dass die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mit irreparablen oder gar ihre Existenz gefährdenden Nachteilen einhergeht. Denn in finanzieller Hinsicht mag das Erlöschen ihrer Bestellung zum ÖbV zwar mit - von den Antragstellern nicht näher substantiierten - Nachteilen verbunden sein. Die hohe Schwelle für die Zulassung einer Vorwegnahme der Hauptsache wird aber nicht erreicht, da die Antragsteller gleichwohl ihre Tätigkeit als Vermessungsingenieure weiter ausüben und so einen finanziellen Ausgleich erzielen können. Auch der Hinweis auf den Bekanntheitsverlust als ÖbV ist jedenfalls nicht von irreparabler Natur. Denn ein Obsiegen in der Hauptsache unterstellt, sind die Antragsteller auf die vom Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung geführte Liste wieder aufzunehmen und damit für potentielle Auftraggeber ohne Weiteres wieder greifbar.
III.
38 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 159 Satz 1 VwGO und § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 39 Abs. 1, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 52 Abs. 1 GKG (3 x 15.000,-- Euro; in Anlehnung an Nr. 14.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.Mai/1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen).
39 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Januar 2012 - 6 Sa 2159/11 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Wartezeitkündigung.

2

Die Beklagte stellte den Kläger mit Arbeitsvertrag vom 1. Dezember 2010 als chemisch-technischen Assistenten ein. Sie produziert Arzneimittel zur Krebsbehandlung, die intravenös verabreicht werden. Der Kläger sollte im sog. Reinraumbereich eingesetzt werden. Das Arbeitsverhältnis war bis zum 5. Dezember 2011 befristet, wobei die ersten sechs Monate als Probezeit galten, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden konnte. Gemäß Ziff. 12 des Arbeitsvertrags galten die betrieblichen Regelungen, dh. die vom Arbeitgeber erlassenen allgemeinen Festlegungen oder Weisungen sowie die mit dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarungen. Der Kläger hat keine Befristungskontrollklage erhoben.

3

Anlässlich seiner Einstellungsuntersuchung am 8. Dezember 2010 teilte der Kläger dem Betriebsarzt mit, er sei HIV-infiziert. Der Kläger ist symptomfrei. Er hat einen GdB von 10. Der Betriebsarzt äußerte in dem für eine Tätigkeit im Reinraum auszufüllenden Formular „Aufnahme von Tätigkeiten im GMP-Bereich“ am 14. Dezember 2010 Bedenken gegen einen Einsatz des Klägers in diesem Bereich. Das Formular ist Teil der „Standard Operating Procedure“ (SOP) der Beklagten, die der Umsetzung des sog. EG-GMP Leitfadens (Leitfaden der Guten Herstellungspraxis) dient. Dabei handelt es sich um Leitlinien der EU-Kommission, die als Anlage 2 zur Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit zu § 2 Nr. 3 der Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und über die Anwendung der Guten fachlichen Praxis bei der Herstellung von Produkten menschlicher Herkunft (Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung - AMWHV) vom 27. Oktober 2006 (BAnz S. 6887) veröffentlicht sind. In Ziff. 2.15 des Leitfadens heißt es:

„Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist.“

4

In einem Gespräch vom 4. Januar 2011, an dem der Kläger, der Betriebsarzt sowie einer der beiden Geschäftsführer der Beklagten teilnahmen, teilte der Betriebsarzt nach Entbindung von seiner ärztlichen Schweigepflicht mit, der Kläger sei HIV-infiziert. Möglichkeiten zur Beschäftigung des Klägers außerhalb des Reinraumbereichs bestanden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 4. Januar 2011 zum 24. Januar 2011.

5

Der Kläger hat geltend gemacht, die angegriffene Kündigung diskriminiere ihn, weil seine HIV-Infektion alleiniger Kündigungsgrund sei. Auch eine symptomlose HIV-Infektion führe zu einer Behinderung. Deswegen stehe ihm auch eine Entschädigung zu. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass seine Infektion eine ansteckende Krankheit iSd. GMP-Leitfadens sei. Unter Berücksichtigung des konkreten Herstellungsprozesses und der konkreten Tätigkeit des Klägers hätte unter keinen Umständen, auch nicht bei Schnitt- oder Nadelstichverletzungen, das HI-Virus auf die von der Beklagten hergestellten Medikamente übertragen werden können. Zum Beweis dafür hat sich der Kläger auf ein Sachverständigengutachten bezogen.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen bis zum Ende der Befristung am 5. Dezember 2011 fortbestanden hat und insbesondere nicht durch die Kündigung vom 4. Januar 2011 beendet worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm eine angemessene Entschädigung in Geld von bis zu drei Bruttomonatsgehältern (6.600,00 Euro) zu zahlen.

7

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass die Kündigung aus Gründen der Arbeitssicherheit unumgänglich gewesen sei. Der Kläger leide an einer ansteckenden Krankheit im Sinne ihrer SOP. Das und nicht seine HIV-Infektion sei der Kündigungsgrund gewesen. Ob der Kläger sich in fachärztlicher Behandlung befinde und engmaschig überwacht werde, könne sie nicht überprüfen. Zudem könne der Kläger jederzeit die sichere Behandlung abbrechen, ohne sie informieren zu müssen. Ihre Endabnehmer seien schwerkranke Patienten, so dass sie eine Abwägung zugunsten der Interessen dieser Patienten getroffen habe. Es könne von ihr nicht verlangt werden, sich dem Risiko von Schadensersatzansprüchen, eines drohenden Lizenzverlustes und der Verhängung von Ordnungswidrigkeitsstrafen auszusetzen, um an einem objektiv nicht geeigneten Arbeitnehmer festhalten zu können. Setze sie einen HIV-Positiven in der Medikamentenproduktion ein, komme es zu einer nicht hinnehmbaren Rufschädigung.

8

Die Vorinstanzen haben - soweit für die Revision von Interesse - die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

A. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt die Revision den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO(vgl. zu diesen Anforderungen BAG 19. April 2012 - 6 AZR 677/10 - Rn. 11). Sie setzt sich mit beiden das angegriffene Urteil selbstständig tragenden Begründungen ausreichend auseinander.

10

I. Der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht dahinstehen lassen, ob er behindert sei. Bereits diese Rüge, mit der der Kläger sinngemäß geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe sich mit seiner Begründung den Blick auf den richtigen Prüfungsmaßstab verstellt, stellt das angefochtene Urteil ausreichend in Frage, soweit das Landesarbeitsgericht die Kündigung als wirksam angesehen hat. Ob diese Auffassung materiell-rechtlich zutrifft, ist für die Zulässigkeit der Revision unerheblich.

11

II. Die Revision ist auch zulässig, soweit der Kläger seinen Antrag auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG weiter verfolgt. Die Begründetheit dieses Anspruchs hängt im Ausgangspunkt denknotwendig davon ab, dass ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfolgt ist. § 15 Abs. 2 AGG ist eine Rechtsfolgenbestimmung(Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 49). Das Landesarbeitsgericht hat sich mit dem Anspruch auf Entschädigung nicht gesondert befasst, sondern nur angenommen, die Beklagte sei nicht zur Entschädigung verpflichtet, weil die Kündigung den Kläger nicht diskriminiere. Vom Rechtsmittelführer kann nicht mehr an Begründung verlangt werden als vom Gericht seinerseits aufgewendet (BAG 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 11, BAGE 126, 237). Für die Zulässigkeit der Revision genügt deshalb insoweit bereits die ausreichende Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Wirksamkeit der Kündigung (vgl. BAG 18. November 2010 - 6 AZR 273/10 - Rn. 34).

12

B. Der Senat hat das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG) e.V., Berlin, als Beistand des Klägers nach § 23 AGG zugelassen. Der Satzungszweck, das diskriminierungsfreie Zusammenleben ua. durch die kostenlose Unterstützung und Beratung bei Diskriminierungen insbesondere in Gerichtsverfahren zur Durchsetzung des Rechtsschutzes Betroffener zu fördern, genügt der Legaldefinition in § 23 Abs. 1 Satz 1 AGG. Das BUG hat nachgewiesen, dass es die nach § 23 Abs. 1 Satz 2 AGG erforderliche Mindestanzahl an Mitgliedern hat.

13

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, der Kläger werde nicht wegen einer Behinderung benachteiligt. Die für seine Hilfsbegründung, jedenfalls seien die Voraussetzungen des § 8 AGG erfüllt, erforderlichen Tatsachen hat es nicht festgestellt. Dabei hat es insbesondere nicht geprüft, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen einen Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Damit trägt auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht, die Kündigung sei nicht nach § 242 BGB unwirksam. Das Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig. Der Senat kann nicht selbst feststellen, ob die Kündigung gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam ist, weil der Kläger wegen seiner Behinderung diskriminiert worden ist. Dazu bedarf es noch weiterer Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Der Rechtsstreit war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

I. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen.

15

1. Welche Bedeutung der Vorschrift des § 2 Abs. 4 AGG zukommt, nach der „für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ gelten, ist umstritten.

16

a) Für Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, ist diese Frage durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 2008 (- 2 AZR 523/07 - Rn. 34 ff., BAGE 128, 238) geklärt. Bei der Prüfung der Wirksamkeit solcher Kündigungen sind die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und die darin vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit zu beachten (vgl. auch BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 295/12 - Rn. 36; 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 24; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 15).

17

b) Nach wie vor kontrovers wird jedoch beurteilt, wie § 2 Abs. 4 AGG im Hinblick auf Kündigungen, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, zu verstehen ist. Einigkeit besteht insoweit nur dahin, dass die Antidiskriminierungsrichtlinien, namentlich die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG), auch einen Schutz vor diskriminierenden Kündigungen gebieten (vgl. EuGH 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 37, Slg. 2006, I-6467) und dass dieser Schutz auch Arbeitnehmer außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes erfasst.

18

aa) Die Frage ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt. Die Entscheidungen des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 2008 (- 2 AZR 523/07 - Rn. 34, BAGE 128, 238) sowie des Achten Senats vom 22. Oktober 2009 (- 8 AZR 642/08 -) beziehen sich nur auf Kündigungen im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes. Soweit das Bundesarbeitsgericht vor Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes diskriminierende Kündigungen am Maßstab des § 242 BGB gemessen hat(vgl. BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 426/02 - für eine auf kulturelle und religiöse Gründe gestützte Arbeitsverweigerung eines Arbeitnehmers, der einer Sinti-Familie angehörte; 23. Juni 1994 - 2 AZR 617/93 - BAGE 77, 128 für eine auf Homosexualität gestützte Kündigung), ist diese Rechtsprechung durch die geänderte Rechtslage überholt.

19

bb) Die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum nimmt an, die Benachteiligungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sowie die Beweislastverteilung nach § 22 AGG müssten bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln(§§ 138, 242 BGB) unwirksam sei, berücksichtigt werden (KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 17, 19; KR/Griebeling § 1 KSchG Rn. 26a; ErfK/Schlachter 14. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; vHH/L/Krause 15. Aufl. § 1 Rn. 238, 242; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 230; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 62; v. Roetteken AGG Stand März 2011 § 2 Rn. 69; Blessing Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes S. 147). Ein Teil des Schrifttums vertritt dabei die Auffassung, die Bestimmungen der Antidiskriminierungsrichtlinien seien bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln unwirksam sei, unmittelbar zu berücksichtigen, die unionsrechtlich geforderte Beweislastverteilung müsse durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 138 Abs. 2 ZPO gewährleistet werden(APS/Preis 4. Aufl. Grundlagen J Rn. 71f, 71g; ähnlich Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz 2. Aufl. Rn. 112 ff.).

20

cc) Ein anderer Teil des Schrifttums hält § 2 Abs. 4 AGG für unvereinbar mit Unionsrecht. Eine unionsrechtskonforme Auslegung sei wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht möglich, widerspreche aber jedenfalls dem unionsrechtlichen Transparenzgebot (dazu EuGH 10. Mai 2001 - C-144/99 - [Kom-mission/Niederlande] Rn. 17, Slg. 2001, I-3541). § 2 Abs. 4 AGG sei deshalb nicht anwendbar, stattdessen fänden die Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unmittelbare Anwendung(Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 256 ff., 263 mwN).

21

dd) Teils wird - mit unterschiedlichen Ansätzen - angenommen, § 2 Abs. 4 AGG erfasse Kündigungen während der Wartezeit und im Kleinbetrieb nicht(HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 147 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 8. Aufl. AGG Rn. 63; Stein in Wendeling-Schröder AGG § 2 Rn. 48; wohl auch Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 28).

22

2. Zutreffend ist die letztgenannte Auffassung. § 2 Abs. 4 AGG regelt für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen. Die zivilrechtlichen Generalklauseln werden dagegen von § 2 Abs. 4 AGG nicht erfasst. Der Diskriminierungsschutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geht insoweit diesen Klauseln vor und verdrängt diese. Ordentliche Kündigungen während der Wartezeit und in Kleinbetrieben sind deshalb unmittelbar am Maßstab des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu messen. Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte und dem Zweck des § 2 Abs. 4 AGG. Der Wortlaut der Bestimmung steht dem nicht entgegen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz regelt allerdings nicht selbst, welche Rechtsfolge eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unzulässige Benachteiligung hat. Diese Rechtsfolge ergibt sich erst aus § 134 BGB(vgl. Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 25; Düwell jurisPR-ArbR 47/2006 Anm. 6).

23

a) Der Gesetzgeber wollte mit § 2 Abs. 4 AGG für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen, zu denen die zivilrechtlichen Generalklauseln in §§ 138, 242 BGB nicht gehören, regeln. Das folgt aus der Gesetzgebungsgeschichte.

24

aa) § 2 Abs. 4 AGG ist erst während des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt worden. In der vom Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagenen Fassung sollte die Bestimmung wie folgt gefasst werden:

„Für Kündigungen gelten vorrangig die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes.“

25

Damit sollte klargestellt werden, dass die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes unberührt blieben. Der Praxis sollte verdeutlicht werden, dass Rechtsstreite bei Kündigungen auch in Zukunft vorwiegend nach dem Kündigungsschutzgesetz zu entscheiden seien (BT-Drucks. 15/5717 S. 5, 36).

26

bb) Wortlaut und Begründung des § 2 Abs. 4 AGG-E griff die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vom 8. Juni 2006 auf (BT-Drucks. 16/1780 S. 32). Die Empfehlung des Bundesrats zu diesem Entwurf vom 6. Juni 2006 sah vor, § 2 Abs. 4 AGG wie folgt zu fassen(BR-Drucks. 329/1/06 S. 1):

„Liegt die Benachteiligung in einer Kündigung, finden im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ausschließlich dessen Bestimmungen Anwendung. …“

27

Mit dieser Regelung sollte das Verhältnis beider Gesetze (dh. von AGG und KSchG) präzisiert werden. Das mit dieser Vorschrift verbundene Anliegen - Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes - komme in der bisherigen Fassung nicht hinreichend klar zum Ausdruck (BR-Drucks. 329/1/06 S. 2).

28

cc) Der Rechtsausschuss schlug in seiner Beschlussempfehlung vom 28. Juni 2006 die Gesetz gewordene Fassung vor. In seiner Begründung (BT-Drucks. 16/2022 S. 12) griff er ausdrücklich das Anliegen des Bundesrats auf. Das Verhältnis „beider Gesetze“ (von AGG und KSchG) solle präzisiert werden. Es erscheine sachgerechter, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz Anwendung fänden, weil „diese Regelungen speziell auf Kündigungen zugeschnitten“ seien. Die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes fänden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch sowie im ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes. Bestimmungen zum besonderen Kündigungsschutz enthielten der Zweite Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes und zB § 9 Abs. 3 MuSchG und §§ 18 f. BEEG.

29

b) Aus dieser Entstehungsgeschichte folgt zugleich der Zweck des § 2 Abs. 4 AGG.

30

aa) Mit dem Bezug auf die „Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ wollte der Gesetzgeber nicht regeln, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz für sämtliche Kündigungen nicht gelten sollte. Es sollte lediglich das Verhältnis von Kündigungsschutzgesetz und Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz „präzisiert“ und das Anliegen des Bundesrats, den Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes klarzustellen, aufgegriffen werden. Außerdem sollte den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Regelungen Anwendungsvorrang zukommen. Die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sollten in diese Bestimmungen eingepasst werden und Kohärenz zwischen dem Antidiskriminierungsrecht des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf der einen und den von § 2 Abs. 4 AGG erfassten Kündigungsschutzbestimmungen auf der anderen Seite hergestellt werden(vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 37, 39 f., BAGE 128, 238). Neben das Kündigungsschutzgesetz und die speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Vorschriften des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes sollte kein „zweites“, durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vermitteltes Kündigungsschutzrecht treten. Eine Sperrwirkung für Kündigungen, für die wie die hier streitbefangene Wartezeitkündigung das Kündigungsschutzgesetz (noch) nicht gilt und für die weder spezielle Kündigungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches wie § 626 und § 613a Abs. 4 BGB noch besondere Kündigungsschutzbestimmungen in Betracht kommen, war nicht bezweckt(vgl. HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 148 f.). Bedeutung kommt § 2 Abs. 4 AGG für solche Kündigungen nur insofern zu, als es zB bei der Anwendbarkeit der Klagefrist des § 4 KSchG und der Rechtsfolgen des § 7 KSchG im Fall ihrer Versäumung bleibt(Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 2 Rn. 38; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 240).

31

bb) Bei ordentlichen Kündigungen, auf die das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet und bei denen der Arbeitnehmer geltend macht, die Kündigung diskriminiere ihn, besteht kein nach diesem Gesetzeszweck zu vermeidender Konflikt zwischen zwei ausdifferenzierten Kündigungsschutzsystemen. Das Kündigungsschutzgesetz verlangt Gründe, die die Kündigung rechtfertigen (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 56 sprechen von einer „Positivliste“). Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geht dagegen davon aus, dass Kündigungen grundsätzlich zulässig sind, es sei denn, es liegt eine Diskriminierung vor (Bauer/Göpfert/Krieger aaO sprechen hier von einer „Negativliste“). Für ordentliche Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes, auf die keine speziellen Kündigungsverbote Anwendung finden, gilt von vornherein nur eine „Negativliste“: Diese Kündigungen sind grundsätzlich wirksam. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise und nur dann, wenn sie diskriminierend, treu- oder sittenwidrig sind oder gegen höherrangiges Recht verstoßen. Es tritt also nicht neben einen - gänzlich anders strukturierten - Kündigungsschutz ein zweites Schutzsystem mit anderen Parametern, sondern es bleibt bei der „Negativliste“, die um weitere Punkte und vor allem eine abweichende Beweislastverteilung ergänzt wird. Eine „Verzahnung“ des Kündigungsschutzrechts und des Antidiskriminierungsrechts ist in derartigen Konstellationen nicht erforderlich und wird darum auch nicht durchbrochen (aA KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 18).

32

c) Der Wortlaut des § 2 Abs. 4 AGG steht diesem aus der Entstehungsgeschichte und dem Gesetzeszweck hergeleiteten Auslegungsergebnis nicht entgegen. Zwar ordnet § 2 Abs. 4 AGG unterschiedslos für alle „Kündigungen“ an, dass für sie ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Die Anwendung der Norm ist jedoch hinsichtlich des materiellen Kündigungsschutzes im Wege der teleologischen Reduktion auf Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz, speziell auf Kündigungen zugeschnittene Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches oder besondere Kündigungsschutzbestimmungen gelten, zu beschränken. Nur so wird die nach dem Wortlaut zu weit gefasste Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG ihrem Zweck gerecht. Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben gelten grundsätzlich keine Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ iSd. § 2 Abs. 4 AGG.

33

aa) Die teleologische Reduktion von Vorschriften auch gegen deren Wortlaut gehört zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG 30. März 1993 - 1 BvR 1045/89 ua. - zu C II 2 der Gründe, BVerfGE 88, 145). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass andere Indizien deutlich belegen, dass der Sinn der Norm im Text nur unzureichend Ausdruck gefunden hat (BVerfG 27. Januar 1998 - 1 BvL 22/93 - [Kleinbetriebsklausel II] zu B I 5 der Gründe, BVerfGE 97, 186) und die weiteren Auslegungsmethoden die wahre Bedeutung der Norm freilegen (vgl. BVerfG 19. Juni 1973 - 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72 - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 35, 263). Diese Befugnis des Richters beruht darauf, dass die Auslegung gerade der Ermittlung des im Gesetz objektivierten Willens des Gesetzgebers dient (vgl. BVerfG 4. Juni 2012 - 2 BvL 9/08 ua. - [Dienstbeschädigungsausgleich] Rn. 99, BVerfGE 131, 88).

34

bb) Unter „allgemeinem Kündigungsschutz“ wird - entsprechend der Überschrift des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes - im fachbezogenen Sprachgebrauch der Kündigungsschutz nach diesem Abschnitt verstanden (vgl. BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - Rn. 49, BAGE 128, 73; 8. Juli 1998 - 7 AZR 245/97 - zu II 1 der Gründe, BAGE 89, 216; HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 147). Zwar hat der Gesetzgeber in seiner Begründung zu der Gesetz gewordenen Fassung weiter gehend angenommen, die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes fänden sich auch „im Bürgerlichen Gesetzbuch“ (BT-Drucks. 16/2022 S. 12). Er hat aber zugleich zum Ausdruck gebracht, dass er mit den Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ nur solche Bestimmungen meint, die speziell auf Kündigungen zugeschnitten sind. Das sind im Bürgerlichen Gesetzbuch vor allem §§ 613a, 622 und 626 BGB. Die für den Kündigungsschutz im Kleinbetrieb und in der Wartezeit maßgeblichen zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB sind dagegen - wie schon ihre Bezeichnung zeigt - gerade nicht speziell auf Kündigungen zugeschnitten, sondern Auffangtatbestände, die zudem erst unter Berücksichtigung verfassungs- oder unionsrechtlicher Vorgaben(vgl. dazu BAG 24. Januar 2008 - 6 AZR 96/07 - Rn. 27) ihren Bedeutungsgehalt für Kündigungen gewinnen. Deshalb sind nach dem Verständnis des Gesetzgebers die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB keine „Bestimmungen zum allgemeinen Kündigungsschutz“ iSd. § 2 Abs. 4 AGG(Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 8. Aufl. AGG Rn. 63; HaKo/Mayer aaO).

35

cc) Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben, für die keine speziell auf Kündigungen zugeschnittene Bestimmungen gelten, war nach dem Verständnis des Gesetzgebers gerade keine Regelung dazu erforderlich, in welchem Verhältnis das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die auf solche Kündigungen Anwendung findenden Generalklauseln stehen sollten. Soweit § 2 Abs. 4 AGG gleichwohl seinem Wortlaut nach auch solche Kündigungen erfasst, entspricht dies nicht dem Zweck, den der Gesetzgeber mit dieser Norm verfolgte.

36

d) Diese Auslegung führt nicht dazu, dass Kündigungen außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes insbesondere wegen der möglichen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG stärker sanktioniert würden als Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz gilt(so aber KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; Bauer/Thüsing/Schunder NZA 2006, 774, 777). Auch bei Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, scheidet eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht von vornherein aus.

37

aa) Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte diese Frage zunächst offengelassen (BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 20; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 16; 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 33, BAGE 128, 238; zum Streitstand Wenckebach AuR 2010, 499, 501). Er hatte jedoch schon darauf hingewiesen, dass eine Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG neben der Sanktionsfolge der Unwirksamkeit nicht systemwidrig erscheine. Auch Entschädigungen für immaterielle Schäden infolge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit der Erklärung einer unwirksamen Kündigung seien nicht ausgeschlossen (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 16 unter Hinweis auf BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 -). Er hatte weiter angenommen, es sei vom Vorliegen eines immateriellen Schadens iSd. § 15 Abs. 2 AGG auszugehen, wenn ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot feststehe(BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 74, BAGE 129, 181). Mit Urteil vom 12. Dezember 2013 hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts nun einer schwangeren Arbeitnehmerin, der unter Verstoß gegen das Mutterschutzgesetz gekündigt worden war, wegen Geschlechtsdiskriminierung einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zuerkannt(- 8 AZR 838/12 - Pressemitteilung Nr. 77/13).

38

bb) Nach der Wertung des Gesetzgebers stellen Benachteiligungen wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar(KR/Treber 10. Aufl. § 15 AGG Rn. 27 mwN; vgl. auch BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Die Sanktion des § 15 Abs. 2 AGG soll im Kern gerade vor solchen Persönlichkeitsrechtsverletzungen schützen(vgl. Stahlhacke/Preis 10. Aufl. Rn. 190; Blessing Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes S. 173). Die im diskriminierenden Verhalten liegende Persönlichkeitsrechtsverletzung soll als solche unabhängig von der Frage sanktioniert werden, ob nach einer unwirksamen Kündigung das Arbeitsverhältnis fortbesteht (vgl. Blessing aaO S. 193). Ausgehend davon kann allenfalls angenommen werden, die Unwirksamkeit der Kündigung sei eine Naturalrestitution iSd. § 15 Abs. 1 AGG. Die Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG kann dagegen nicht mit der Begründung abgelehnt werden, diese Rechtsfolge sei eine hinreichende Sanktion iSd. Antidiskriminierungsrichtlinien (vgl. Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 54; Wenckebach AuR 2010, 499, 502). Die Unwirksamkeit der Kündigung kann die bei einer Diskriminierung nach der Vorstellung des Gesetzgebers in der Regel vorliegende Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht kompensieren. Dies gilt insbesondere in dem in der Praxis häufig vorkommenden Fall, dass der Arbeitnehmer auch nach einem erfolgreichen Kündigungsschutzprozess nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt.

39

cc) Darüber hinaus kommt bei unwirksamen Abmahnungen oder Versetzungen, die kündigungsrechtlich gesehen mildere Maßnahmen im Vergleich zu einer Kündigung darstellen, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG ohne Weiteres in Betracht(vgl. für die Versetzung BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - BAGE 129, 181), obwohl auch diese Maßnahmen bei Diskriminierungen iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unwirksam sind und Abmahnungen zusätzlich noch aus der Personalakte zu entfernen sind. Dann muss erst recht bei diskriminierenden Kündigungen, die typischerweise tiefer in das Persönlichkeitsrecht eingreifen, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG möglich sein(Wenckebach AuR 2010, 499, 502; Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 262a).

40

dd) § 2 Abs. 4 AGG steht einem solchen Verständnis des § 15 Abs. 2 AGG nicht entgegen. Damit wird nur der Weg beschrieben, auf dem die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in das Kündigungsschutzrecht einzupassen sind. Die Frage, wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu sanktionieren sind, ist nicht berührt (vgl. Wenckebach AuR 2010, 499, 502).

41

e) Die Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes führt - insbesondere wegen der Beweislastregel des § 22 AGG(vgl. KR/Treber 10. Aufl. § 22 AGG Rn. 6; Däubler/Bertzbach/Bertzbach AGG 3. Aufl. § 22 Rn. 48 mwN) - in Fällen, in denen das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, dazu, dass die Rechtsstellung von Arbeitnehmern bei potentiell diskriminierenden Kündigungen gegenüber der von Arbeitnehmern, bei denen keine Diskriminierung in Betracht kommt, verbessert wird. Dies ist jedoch nur die Konsequenz der Überlagerung des nationalen Kündigungsschutzrechts durch das Antidiskriminierungsrecht der Europäischen Union.

42

II. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, ob der Kläger behindert iSd. § 1 AGG ist, sondern hat dies ausdrücklich offengelassen. Beide Begründungen, mit denen es die Kündigung unabhängig von der Frage der Behinderung des Klägers als wirksam angesehen hat, tragen nicht. Es ist deshalb von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob die symptomlose HIV-Infektion des Klägers eine Behinderung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes darstellt.

43

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe den Kläger durch die streitbefangene Kündigung nicht wegen einer etwaigen Behinderung benachteiligt. Mit dieser Begründung durfte es eine Behinderung nicht dahinstehen lassen.

44

a) Die Kündigungserklärung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die der Kündigungsentscheidung zugrunde liegenden Überlegungen können Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Dieser Zusammenhang kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben (BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 34). Dabei bedarf es allerdings keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht. Es reicht aus, wenn eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 28). Dies ist hier unstreitig der Fall, weil die Beklagte die HIV-Infektion als Ausschlussmerkmal für einen Einsatz im Reinraum ansieht. Auch unberechtigte Stereotypisierungen können zu (unabsichtlichen) Diskriminierungen führen (vgl. Schiek/Schiek AGG § 3 Rn. 16; Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 3 Rn. 13). Darauf, ob die Beklagte glaubte, das für sie geltende Regelwerk gebiete die Kündigung, kommt es deshalb entgegen der von ihr vertretenen Auffassung nicht an.

45

b) Die Beklagte macht geltend, sie habe dem Kläger allein deshalb gekündigt, weil er an einer ansteckenden Krankheit im Sinne ihrer SOP leide und deshalb die Anforderungen an eine Beschäftigung im Reinraum nicht erfülle, nicht aber, weil er HIV-infiziert sei. Sie hätte genauso gehandelt, wenn der Kläger an Hepatitis B oder C bzw. einer chronischen Hauterkrankung an den Armen, Unterarmen, Händen oder im Gesicht gelitten hätte. Das Landesarbeitsgericht ist dem unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 2011 (- 8 AZR 515/10 - Rn. 34) gefolgt. Das ist rechtsfehlerhaft. Die vom Landesarbeitsgericht angeführte Entscheidung betrifft andere Fallkonstellationen als die vorliegende.

46

aa) Wäre der Kläger wegen seiner symptomlosen HIV-Infektion behindert, stellte die streitbefangene Kündigung eine unmittelbare Ungleichbehandlung iSd. § 3 Abs. 1 AGG in Form einer sog. verdeckten unmittelbaren Ungleichbehandlung dar. Eine solche Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn nach einem scheinbar objektiven, nicht diskriminierenden Kriterium (ansteckende Krankheit) unterschieden wird, das jedoch in untrennbarem Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Grund(Behinderung) steht und damit kategorial ausschließlich Träger eines Diskriminierungsmerkmals trifft (vgl. BAG 7. Juni 2011 - 1 AZR 34/10 - Rn. 23, BAGE 138, 107; vgl. EuGH 12. Oktober 2010 - C-499/08 - [Andersen] Rn. 23, Slg. 2010, I-9343; vgl. zu der für die Schwangerschaft klarstellenden Normierung dieser Rechtsfigur in § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG BAG 27. Januar 2011 - 6 AZR 526/09 - Rn. 20 f., BAGE 137, 80). Das ist hier der Fall. Kündigungsgrund ist die Unfähigkeit des Klägers, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Diese nach Auffassung der Beklagten bestehende Unfähigkeit ergab sich allein aus der HIV-Infektion des Klägers. Nach ihrer SOP ist die HIV-Infektion ebenso wie chronische Hauterkrankungen im Bereich der Arme, Unterarme, Hände und Gesicht oder eine chronisch verlaufende Hepatitis B und C ein Ausschlusskriterium für die Tätigkeit im Reinraum (vgl. S. 2 der Beauftragung des Betriebsarztes zur Durchführung von GMP-Untersuchungen vom 1. April 2010). Weitere absolute Ausschlussgründe sieht die SOP nicht vor. Ansteckende Erkrankungen wie Husten und Schnupfen, wiederholtes Erbrechen, Durchfall oder offene Ekzeme sind nach der SOP nur anzeigepflichtig und ziehen, wie die Beklagte selbst vorträgt, nur den vorübergehenden Ausschluss von der Tätigkeit im Reinraum nach sich. Führte bei chronischen Erkrankungen der Ausschluss von bestimmten Teilen des Berufsfelds dazu, dass eine Behinderung iSd. § 1 AGG vorliegt, wäre dies in allen drei in der SOP der Beklagten aufgeführten Fällen anzunehmen. Eine Kündigung, die wegen einer der in der SOP angeführten ansteckenden Krankheiten, die zum dauerhaften Ausschluss von der Tätigkeit im Reinraum führen, erklärt wird, wäre dann in allen drei Fällen wegen eines Merkmals iSd. § 1 AGG erfolgt. Insoweit gilt nichts anderes, als wenn ein Arbeitgeber einer befristet eingestellten Frau kündigt, die wegen ihrer Schwangerschaft während der gesamten Dauer der Befristung einem gesetzlichen Beschäftigungsverbot unterliegt (vgl. EuGH 4. Oktober 2001 - C-109/00 - [Tele Danmark] Rn. 20, 31, Slg. 2001, I-6993), oder wenn er einem Rollstuhlfahrer kündigt, weil die geschuldete Arbeit von einem Rollstuhlfahrer nicht verrichtet werden könne, denn nur Behinderte sind dauerhaft an den Rollstuhl gebunden (vgl. Kamanabrou RdA 2006, 321, 324). In all diesen Fällen beruht die Unfähigkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erfüllen, letztlich auf einem Diskriminierungsmerkmal.

47

bb) Daraus folgt zugleich, dass die Annahme des Landesarbeitsgerichts und der Beklagten, die Kündigung beruhe letztlich auf der aus dem Regelwerk der Beklagten folgenden, auf einer ansteckenden Krankheit beruhenden fehlenden Einsetzbarkeit des Klägers und benachteilige diesen deshalb jedenfalls nicht wegen einer etwaigen Behinderung, nicht trägt. Ob tatsächlich der Einsatz des Klägers im Reinraum dauerhaft unmöglich und deshalb die Kündigung wirksam war, ist eine Frage, die ausschließlich auf der Ebene der Rechtfertigung unter Berücksichtigung der Möglichkeit, angemessene Vorkehrungen zu treffen, zu entscheiden ist, nicht aber bereits die Annahme einer Benachteiligung wegen der Behinderung von vornherein ausschließt.

48

cc) Der Kläger würde gegenüber Personen in einer vergleichbaren Situation benachteiligt (zu diesem Erfordernis BAG 7. Juni 2011 - 1 AZR 34/10 - Rn. 29, BAGE 138, 107). Die Feststellung der Vergleichbarkeit der Situation erfordert, dass es außer der anderen Ausprägung des Diskriminierungsmerkmals keine wesentlichen Unterschiede zwischen der benachteiligten und der Vergleichsperson gibt (Schiek/Schiek AGG § 3 Rn. 11). Einem nicht behinderten chemisch-technischen Assistenten in einer sonst mit der Situation des Klägers vergleichbaren Lage wäre nicht gekündigt worden (vgl. in diesem Sinne auch EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 77). Darin liegt der Unterschied zu der vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 2011 (- 8 AZR 515/10 -). Das Argument der Beklagten, auch einem an einer chronisch verlaufenden Hepatitis B bzw. C oder an einer chronischen Hauterkrankung an den Armen, Unterarmen, Händen oder im Gesicht leidenden Arbeitnehmer hätte sie gekündigt, trägt nicht. Auch diese Arbeitnehmer wären, wie unter Rn. 46 ausgeführt, behindert.

49

2. Die Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts, das Fehlen einer HIV-Infektion stelle eine berufliche Anforderung iSd. § 8 Abs. 1 AGG dar, greift zu kurz.

50

a) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass sich der Arbeitgeber, der eine Kündigung darauf stützt, dass er den Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung nicht einsetzen könne, nur dann auf den Rechtfertigungsgrund des § 8 Abs. 1 AGG berufen kann, wenn auch angemessene Vorkehrungen iSd. Art. 5 RL 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - UN-Behin-dertenrechtskonvention (UN-BRK) - nicht zu einer Einsatzmöglichkeit führen. Unterlässt der Arbeitgeber die danach gebotenen Vorkehrungen und kann er den Arbeitnehmer deshalb nicht einsetzen, ist dieser Umstand regelmäßig nicht auf die Behinderung des Arbeitnehmers, sondern auf die Untätigkeit des Arbeitgebers zurückzuführen. Die Kündigung ist dann nicht gerechtfertigt (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 66, 68; 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 52, Slg. 2006, I-6467).

51

aa) Der Kläger ist mit einem GdB von 10 allenfalls „einfach“ Behinderter. Für diesen Personenkreis ist Art. 5 RL 2000/78/EG, demzufolge der Arbeitgeber angemessene Vorkehrungen zu ergreifen hat, um Behinderten ua. die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen, sofern diese Maßnahmen ihn nicht unverhältnismäßig belasten, nicht in nationales Recht umgesetzt worden (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - Rn. 34 ff.). Eine vergleichbare Verpflichtung sieht Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i UN-BRK vor, wonach die Vertragsstaaten sicherstellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen (reasonable accommadation) für Menschen mit Behinderungen getroffen werden. Was unter „angemessenen Vorkehrungen“ iSd. UN-BRK zu verstehen ist, ist in Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK festgelegt.

52

bb) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinen Entscheidungen vom 4. Juli 2013 (- C-312/11 - [Kommission/Italien]) und vom 11. April 2013 (- C-335/11 ua. - [Ring]) ausgeführt, dass und wie Art. 5 RL 2000/78/EG nach der Genehmigung der UN-BRK durch den Rat im Namen der Europäischen Gemeinschaft(Beschluss 2010/48/EG vom 26. November 2009 ABl. EU L 23 vom 27. Januar 2010 S. 35) unter Beachtung und in Übereinstimmung mit der UN-BRK auszulegen ist. Der Begriff „angemessene Vorkehrungen“ ist weit zu verstehen und umfasst die Beseitigung der verschiedenen Barrieren, die die volle und wirksame, gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben behindern. Gemeint sind nicht nur materielle, sondern auch organisatorische Maßnahmen, wobei die Aufzählung der möglichen Vorkehrungen im 20. Erwägungsgrund der RL 2000/78/EG nicht abschließend ist (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 53 bis 56). Ob solche Vorkehrungen den jeweiligen Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten, haben die nationalen Gerichte festzustellen, wobei sie insbesondere den damit verbundenen finanziellen und sonstigen Aufwand unter Berücksichtigung der Größe und der Finanzkraft des Arbeitgebers sowie der Möglichkeit, öffentliche Mittel oder andere Unterstützungen in Anspruch zu nehmen, in die Abwägung einzubeziehen haben (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 59 f.). Die Mitgliedstaaten müssen aufgrund von Art. 5 RL 2000/78/EG iVm. Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK die Arbeitgeber verpflichten, die im konkreten Einzelfall jeweils erforderlichen angemessenen Vorkehrungen zu ergreifen. Das bloße Schaffen von Anreiz- und Hilfsmaßnahmen genügt nicht (EuGH 4. Juli 2013 - C-312/11 - [Kommission/Italien] Rn. 60 ff. der franz. Fassung; Beyer/Wocken DB 2013, 2270).

53

cc) Die Bestimmungen der UN-BRK sind integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 28 ff.). Dadurch sind sie zugleich Bestandteil des - ggf. unionsrechtskonform auszulegenden - deutschen Rechts. Im Hinblick auf die durch den Gerichtshof der Europäischen Union unter Beachtung der UN-BRK vorgenommene Auslegung des Art. 5 RL 2000/78/EG ist Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK weder unmittelbar anzuwenden (aA v. Roetteken jurisPR-ArbR 33/2013 Anm. 1 unter D; zur unmittelbaren Anwendung von Völkerrecht vgl. Schmahl JuS 2013, 961, 965; Aichele AnwBl. 2011, 727, 728) noch sind §§ 7 und 8 AGG völkerrechtskonform auszulegen. Die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen ergibt sich vielmehr bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 241 Abs. 2 BGB aus dieser Bestimmung(vgl. zu dieser Vorschrift BAG 13. August 2009 - 6 AZR 330/08 - BAGE 131, 325; 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - BAGE 134, 296; vgl. auch Beyer/Wocken DB 2013, 2270, 2272).

54

b) Eine Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers wegen fehlender Einsatzmöglichkeiten ist demnach nur wirksam, wenn der Arbeitgeber nicht imstande ist, das infolge der Behinderung vorliegende Beschäftigungshindernis durch angemessene Vorkehrungen zu beseitigen (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 57; Däubler/Bertzbach/Brors AGG 3. Aufl. § 8 Rn. 33; KR/Treber 10. Aufl. § 8 AGG Rn. 29; Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 30). Dies hat der Arbeitgeber darzulegen (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 43; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 45; 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 33 f.; Stiebert/Pötters aaO; Däubler/Bertzbach/Brors aaO Rn. 33 f.). Beurteilungsgrundlage für die Rechtfertigungsprüfung ist dabei nicht der ursprüngliche (ausgeschriebene) Arbeitsplatz, sondern der mit verhältnismäßigem Aufwand geänderte Arbeitsplatz. Anderenfalls könnte - wie die Argumentation der Beklagten und des Landesarbeitsgerichts eindrücklich belegen - der Arbeitgeber stets berufsbezogen argumentieren und behinderte Arbeitnehmer berechtigt von der Teilhabe am Berufsleben ausschließen (vgl. Däubler/Bertzbach/Brors aaO Rn. 33; KR/Treber aaO). Genau das will Art. 5 RL 2000/78/EG verhindern, dessen Befolgung im nationalen Recht § 241 Abs. 2 BGB sicherstellt. Kann der Arbeitsplatz mit zumutbaren Anstrengungen angepasst werden, ist der Arbeitnehmer für die geschuldete Tätigkeit geeignet. Auf eine Rechtfertigung nach § 8 AGG kommt es dann grundsätzlich nicht mehr an. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer zwar auf dem zumutbar angepassten Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, aber trotzdem wegen der Behinderung schlechter gestellt wird, zB weil er nicht im Schichtbetrieb eingesetzt wird und deshalb eine Schichtzulage nicht erhält, kann noch eine Rechtfertigung dieser gleichwohl erfolgenden Benachteiligung nach § 8 Abs. 1 AGG in Betracht kommen. Erst in einem solchen Fall muss der Arbeitgeber darlegen, dass und warum gerade im Hinblick auf den angepassten Arbeitsplatz ein berufsbezogener weiterer Grund eine Benachteiligung des Behinderten rechtfertigt (ähnlich Däubler/Bertzbach/Brors aaO).

55

III. Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht im Ergebnis als richtig dar (§ 561 ZPO).

56

1. Die symptomlose HIV-Infektion des Klägers hat eine Behinderung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zur Folge. Eine Diskriminierung des Klägers durch die angegriffene Kündigung kommt deshalb in Betracht.

57

a) Eine Behinderung iSd. § 1 AGG liegt unter Berücksichtigung des maßgeblichen supranationalen Rechts vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch - in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren(Barrieren) - seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann. Auf einen bestimmten GdB kommt es nicht an (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 32). Ob eine Behinderung vorliegt, ist unter Beachtung dieses Begriffsverständnisses im Einzelfall festzustellen (Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 40), wobei auch zu beachten ist, dass das Verständnis von Behinderung nicht statisch ist (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 37).

58

aa) Der Begriff der Behinderung iSd. § 1 AGG entspricht nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers den gesetzlichen Definitionen in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 3 BGG(BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 32; BR-Drucks. 329/06 S. 31). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Gesetzgeber hat sich damit für einen modernen Behindertenbegriff entschieden, der an die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anknüpft (BT-Drucks. 14/5074 S. 98; vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - Rn. 20, BAGE 122, 54). Bei diesem bio-psycho-sozialen Behindertenbegriff wird Behinderung nicht durch die individuelle Funktionsstörung, sondern durch die Beeinträchtigung der (gesellschaftlichen) Teilhabe definiert. Eine Behinderung liegt vor, wenn sich die Beeinträchtigung auf die Partizipation in einem oder mehreren Lebensbereichen auswirkt (BT-Drucks. 14/5074 S. 98). Ob eine Beeinträchtigung relevant ist, ergibt sich demnach erst aus dem Zusammenwirken von behindernden sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) und individueller Gesundheitsstörung (Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 37; Welti DÖV 2013, 795, 797). Eine Gesundheitsstörung kann auch darin liegen, dass die (gesellschaftliche) Teilhabe durch das Verhalten anderer beeinträchtigt wird (Schiek/Welti aaO Rn. 43). Behinderung ist nach diesem Verständnis sowohl persönliche Eigenschaft als auch soziales Verhältnis (Schiek/Welti aaO Rn. 37, vgl. auch v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 159b). Eine Behinderung in diesem Sinne kann demnach auch erst durch das „Behindern“ eines Menschen durch seine Umwelt entstehen.

59

bb) In seinen Entscheidungen vom 11. April 2013 (- C-335/11 ua. - [Ring]) und vom 4. Juli 2013 (- C-312/11 - [Kommission/Italien]) hat der Gerichtshof der Europäischen Union seine Auslegung des Begriffs der „Behinderung“ iSd. RL 2000/78/EG in Anpassung an Art. 1 Unterabs. 2 UN-BRK modifiziert (zur bisherigen Auslegung siehe EuGH 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 37, Slg. 2006, I-6467). Erfasst sind Einschränkungen, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen sind, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, sofern die körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen langfristig sind. Das schließt einen Zustand ein, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit die vorgenannten Einschränkungen mit sich bringt. Anderenfalls fällt eine Krankheit nicht unter den Begriff der Behinderung iSd. RL 2000/78/EG. Behinderung und Krankheit sind nach wie vor nicht gleichzusetzen (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 41 f., 47, 75).

60

cc) Damit haben sich die unionsrechtliche Konzeption und die des nationalen Rechts angenähert. Aus den unterschiedlichen Definitionen ergeben sich jedoch nach wie vor Unterschiede im Begriffsverständnis, die für die vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Erfassten teils günstiger, teils ungünstiger sind.

61

(1) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat den Begriff der Behinderung im Hinblick auf den Anwendungsbereich der RL 2000/78/EG auf Beeinträchtigungen der wirksamen Teilhabe am Berufsleben beschränkt (zur Kritik an dieser Beschränkung siehe Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 24 bis 27), während die Behindertenbegriffe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der UN-BRK auf die gesellschaftliche Teilhabe abstellen. Darüber hinaus sind nach dem nationalen Verständnis bereits Abweichungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauern, als langfristig anzusehen, während nach dem Verständnis des Unionsrechts die nationalen Gerichte im Einzelfall entscheiden müssen, wann eine Einschränkung „langfristig“ ist.

62

(2) Demgegenüber ist der nationale Behindertenbegriff zulasten der Behinderten enger als das supranationale Begriffsverständnis, soweit er eine Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustand verlangt, alterstypische Einschränkungen also stets nicht als Behinderung ansieht (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161 f.; Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 42). Darüber hinaus verlangt der nationale Behindertenbegriff, dass die Beeinträchtigung der Teilhabe bereits eingetreten ist, während es nach dem von der UN-BRK geleiteten unionsrechtlichen Behindertenbegriff bereits ausreicht, dass eine solche Beeinträchtigung eintreten kann.

63

dd) Der Behindertenbegriff des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist maßgeblich, soweit das nationale Recht von einem weiteren Behindertenbegriff als das supranationale Recht ausgeht. Im Übrigen ist der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen.

64

(1) Die RL 2000/78/EG stellt gemäß Art. 8 Abs. 1 nur Mindestanforderungen auf. Es bleibt daher den Mitgliedstaaten unbenommen, Regelungen einzuführen oder beizubehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die Vorschriften der Richtlinie sind. Davon hat die Bundesrepublik Deutschland im genannten Rahmen Gebrauch gemacht (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161e, 165; Däubler/ Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 1 Rn. 75; aA KR/Treber 10. Aufl. § 1 AGG Rn. 49; BeckOK ArbR/Roloff Stand 1. Dezember 2013 AGG § 1 Rn. 7). Der Gesetzgeber des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hat ausdrücklich auf den weitreichenden Behindertenbegriff in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und in § 3 BGG abgestellt. Ein gesetzgeberisches Versehen ist damit auszuschließen (gegen eine gespaltene Auslegung des Behindertenbegriffs gleichwohl Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 33).

65

(2) Soweit das nationale Recht hinter dem supranationalen Recht zurückbleibt, ist dagegen der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161f). Damit reicht es insbesondere aus, dass Beeinträchtigungen eintreten „können“.

66

ee) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts führt ein solches Begriffsverständnis nicht dazu, dass Ursache und Wirkung vertauscht würden, wenn der Umgang des Arbeitgebers mit einer Beeinträchtigung eine Behinderung zur Folge haben kann. Bei der Feststellung, ob eine Behinderung vorliegt, geht es gerade darum, objektive Barrieren zu erkennen, die sich nicht zuletzt im Verhalten des Arbeitgebers manifestieren können.

67

ff) Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass ein so verstandener Behindertenbegriff zu einer „Entgrenzung“ des Begriffs (siehe dazu Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 27, die darauf hinweisen, dass etwa 40 % der Bevölkerung in Deutschland an Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Arthrose oder Rheuma leiden; zur Häufigkeit chronischer Krankheiten siehe auch Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 16) führen und dadurch der Schutz für „schwer“ Behinderte sinken kann. Sind alle oder jedenfalls die Mehrzahl der vergleichbaren Personen ebenfalls behindert, droht der Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (weitgehend) leer zu laufen (vgl. Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 67). Zumindest ist der Behindertenschutz dann kein Minderheitenschutz mehr, es kommt zu einer Majorisierung der „normal Gesunden“ durch die Behinderten.

68

(1) Eine solche mögliche Entgrenzung lässt sich jedoch dadurch einschränken, dass die Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Teilhabe und das Vorliegen einer Benachteiligung wegen dieser nicht pauschal, sondern für die betroffenen Gruppen behinderter Menschen konkret geprüft wird. So kann etwa ein an Diabetes mellitus erkrankter Arbeitnehmer, der „gut eingestellt“ ist, an der gesellschaftlichen Teilhabe so geringfügig beeinträchtigt sein, dass er als nicht behindert anzusehen ist, während ein „schlecht einzustellender“ Diabetiker behindert sein kann. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Personen mit gleichartigen Beeinträchtigungen in verschiedenen Kontexten unterschiedlich in ihrer Teilhabe beeinträchtigt sein können. Ob und welche Barrieren vorliegen, beeinflusst die Annahme einer Behinderung. Die ICF, an deren Definition sich der nationale Behindertenbegriff orientiert, klassifiziert individuelle Behinderungen und berücksichtigt dabei Umweltfaktoren sowohl auf der Ebene des Individuums als auch auf der der Gesellschaft (Welti DÖV 2013, 795, 797; vgl. auch ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 21 f. unter 4.3; Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 68). Wer ungeachtet bestehender Beeinträchtigungen die Möglichkeit hat, gleichberechtigt am Leben in der Gemeinschaft und im Beruf teilzuhaben, ist nicht behindert (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 159a, 164).

69

(2) Der Gefahr übermäßiger Belastung der Arbeitgeber durch einen solchen weiten Behindertenbegriff wird zudem dadurch entgegengewirkt, dass Behinderungen, die sich im Arbeitsverhältnis nicht auswirken, idR weder zu Benachteiligungen noch zu Diskriminierungen von Arbeitnehmern wegen einer Behinderung führen können. Dabei wird allerdings vielfach erst auf der Ebene der angemessenen Vorkehrungen entschieden werden können, ob und wie sich eine Behinderung im Arbeitsleben auswirkt. Dessen ungeachtet hat die Feststellung der Behinderung der Beurteilung, welche Vorkehrungen dem Arbeitgeber im konkreten Fall zumutbar sind, vorauszugehen. Sie sind Folge und nicht Tatbestandsmerkmal einer Behinderung (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 45 f.).

70

b) Der Kläger ist aufgrund seiner symptomlosen HIV-Infektion chronisch erkrankt. Diese Beeinträchtigung wirkt sich auf seine Teilhabe sowohl im Leben in der Gemeinschaft als auch in seinem Berufsfeld aus. Er ist deshalb behindert iSd. § 1 AGG. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern (ebenso Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 72 f., 77 f.; Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 43; aA nur bei Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis: Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 1 Rn. 135; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 164; nur unter Berücksichtigung künftiger Beeinträchtigungen: Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 1 Rn. 54; auf den Einzelfall abstellend: Antwort der Bundesregierung BT-Drucks. 17/7283 S. 4 f.).

71

aa) Die HIV-Infektion ist unheilbar. Sie hat eine Verminderung der zellulären Immunität und damit einen Immundefekt zur Folge (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. Stichwort: HIV-Erkrankung). Diese Abweichung vom allgemein anerkannten Standard des biomedizinischen Zustands (vgl. zu dieser Definition die ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 18 unter 4.1 Ziff. 5) führt zu einer Beeinträchtigung der Funktion des Körpers iSd. Behindertenbegriffs des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.

72

bb) Auf den Grund der Behinderung oder ihre Art kommt es nicht an. Auch chronische Krankheiten werden vom Begriffsverständnis der Behinderung iSd. § 1 AGG erfasst. Das setzt allerdings voraus, dass die erforderliche Beeinträchtigung der Teilhabe vorliegt (BT-Drucks. 14/5074 S. 98; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 164b). Eine chronische Erkrankung, die solche Beeinträchtigungen nicht mit sich bringen kann, führt nicht zu einer Behinderung iSd. § 1 AGG(vgl. für die RL 2000/78/EG EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 42).

73

cc) Der Kläger wird durch seine HIV-Infektion im erforderlichen Maß an der Teilhabe am Leben beeinträchtigt. Unerheblich ist dabei, dass seine Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist. Es genügt, dass er in interpersonellen Beziehungen und bei der Arbeit Stigmatisierungen ausgesetzt sein kann (vgl. ausdrücklich für eine HIV-Infektion ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 24 unter 5.1; vgl. auch Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 43). Diese Vorurteile und Stigmatisierungen seiner Umwelt machen ihn zu einem Behinderten iSv. § 1 AGG.

74

(1) Die gesellschaftliche Teilhabe auch von symptomlos HIV-Infizierten wird nach wie vor typischerweise durch zahlreiche Stigmatisierungen (zum Begriff des Stigmas Stürmer/Salewski in Beelmann/Jonas Diskriminierung und Toleranz S. 263, 267 f.; vgl. auch Empfehlung 200 der ILO vom 17. Juni 2010 unter I Ziff. 1 Buchst. d) und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, die auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen sind, auch wenn die Ausgrenzung in Westeuropa im Rückgang begriffen ist (Stürmer/Salewski aaO S. 264 f., 273; vgl. auch EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 79 ff.; EGMR 10. März 2011 - 2700/10 - [Kiyutin/Russland] Rn. 64). Insbesondere soll HIV-Infizierten signifikant häufig ärztliche Behandlung verweigert werden (Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 27), ebenso soll es zu Nachteilen bei Abschlüssen von Versicherungen, speziell Krankenversicherungen, kommen (Stürmer/Salewski aaO S. 273; Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 25). Darüber hinaus soll Vermeidungsverhalten zu beobachten sein, das sich nicht immer sogleich als Ausgrenzung und Diskriminierung erkennen lässt, zB in Form von Diskrepanzen zwischen verbalem und nonverbalem Verhalten (Stürmer/Salewski aaO S. 272 f.). Auch solche Stigmatisierungen und Vorurteile sind benachteiligende gesellschaftliche Kontextfaktoren (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 37 f.; Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 70). Diskriminierung ist letztlich der Endpunkt von Stigmatisierung (vgl. Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 35). Diese nach wie vor fest verwurzelten Vorurteile gegen HIV-Infizierte haben dazu geführt, dass in den Mitgliedstaaten des Europarats eine klare Gesamttendenz erkennbar ist, HIV-Infizierte, wenn nicht durch spezielle Vorschriften, so doch durch die jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften, die Schutz vor Diskriminierung etwa wegen Behinderung bieten, vor Ungleichbehandlungen am Arbeitsplatz, insbesondere vor diskriminierenden Kündigungen, zu schützen (EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 39, 82 f. unter Hinweis auf eine in dreißig Mitgliedstaaten des Europarats durchgeführte Vergleichsstudie). Auch die Empfehlung 200 der ILO vom 17. Juni 2010 sieht unter III. Ziff. 3 Buchst. c sowie unter IV. Ziff. 9 bis Ziff. 11 den Schutz vor Diskriminierungen und Kündigungen wegen einer HIV-Infektion vor und strebt unter IV. Ziff. 13 an, dass HIV-Infizierte ihre Arbeit ggf. mit angemessenen Vorkehrungen fortsetzen können.

75

(2) Auch im konkreten Fall des Klägers liegen derartige Stigmatisierungen, die HIV-Infizierte erfahren und/oder befürchten, vor. Dies wird eindrücklich dadurch belegt, dass der Kläger über seinen Beistand mitgeteilt hat, er nehme zwar an der mündlichen Verhandlung vor dem Senat teil, halte sich aber unter den Zuhörern auf, um seine Anonymität zu wahren. Außerdem hat er laut einem bereits während des Instanzenzugs erfolgten Pressebericht (faz.net vom 10. Januar 2012) erklärt, er habe sich entschieden, „im Job“ seine Infektion nicht mehr zu erwähnen. Er arbeite seit Mai (2011) wieder in einer „Medizin-Firma“, auch im Reinraum. Er verweigere Tests und Fragebögen. Gerade diese Reaktion des Klägers, künftig seine HIV-Infektion im Berufsleben zu verschweigen, leistet wiederum Vorurteilen gegenüber HIV-Infizierten Vorschub. So kommt es zu einem sich gegenseitig hochschaukelnden Wechselspiel von Reaktion und Gegenreaktion. Die gegenwärtig noch andauernde Stigmatisierung wird auch dadurch bestätigt, dass die Beklagte ausdrücklich geltend macht, die Beschäftigung des Klägers führe zu einer Rufschädigung.

76

(3) Darüber hinaus liegt im konkreten Fall des Klägers auch eine Beeinträchtigung im Berufsleben vor, wie der vorliegende Rechtsstreit deutlich macht. Die Beklagte spricht dem Kläger unter Berufung auf das für sie geltende Regelwerk von vornherein die Eignung für den vertraglich geschuldeten Einsatz im Reinraum ab. Dem Kläger als chemisch-technischen Assistenten ist dadurch der Zugang zu einem nicht unerheblichen Teil seines Berufsfeldes verwehrt. Das räumt letztlich auch die Beklagte ein, wenn sie annimmt, der Kläger könne seinen Beruf weiterhin ausüben. Ihm sei lediglich ein Einsatz in der aseptischen Medikamentenherstellung versagt.

77

2. Die SOP der Beklagten entbindet diese - anders als sie meint und unterschwellig auch das Landesarbeitsgericht annimmt - nicht von der Pflicht, im zumutbaren Rahmen angemessene Vorkehrungen zur Beschäftigung des behinderten Klägers im Reinraum zu treffen. Entgegen der Annahme der Beklagten steht bisher nicht fest, dass die HIV-Infektion des Klägers mit diesem Regelwerk nicht im Einklang steht bzw. nicht zumindest damit in Einklang zu bringen ist.

78

a) Allerdings ist nach dem EG-GMP Leitfaden, auf den Ziff. 5 der SOP verweist, ein System der Qualitätssicherung erforderlich, das der Erreichung des Ziels dient, Patienten keiner Gefahr wegen unzureichender Sicherheit, Qualität oder Wirksamkeit auszusetzen (Kapitel 1 Qualitätsmanagement - Grundsätze). Dieses Sicherungssystem soll sicherstellen, dass Herstellungs- und Prüfverfahren klar spezifiziert sind und die Regeln der Guten Herstellungspraxis beinhalten (Ziff. 1.2 Satz 4 Unterabs. ii des EG-GMP Leitfadens). Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens verlangt, dass Vorkehrungen getroffen werden „sollten“, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist. Diese Vorschrift zwingt - anders als die Beklagte annimmt - den Arzneimittelhersteller nicht dazu, HIV-Infizierte ungeachtet der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Produktionsbedingungen und Tätigkeiten des HIV-Infizierten, von einer Tätigkeit im Reinraum auszuschließen. Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens führt die HIV-Infektion nicht als Tatbestand, der eine Tätigkeit im Reinraum absolut und in jedem Fall ausschließt, auf, sondern enthält lediglich eine Generalklausel, die einem HIV-Infizierten den Einsatz im Reinraum abhängig von den Umständen des Einzelfalls verwehrt.

79

aa) Auch wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, dass Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens als Mussvorschrift zu verstehen ist, ist dieser im Rang einer Verordnung stehende Leitfaden unionsrechtskonform, dh. im Hinblick auf § 241 Abs. 2 BGB gesetzeskonform zu interpretieren. Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2003/94/EG der Kommission vom 8. Oktober 2003 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel und für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate (RL 2003/94/EG) dient der EG-GMP Leitfaden der Auslegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis. Art. 7 Abs. 5 RL 2003/94/EG, den Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens auslegt, verlangt nur, dass Hygieneprogramme, die den durchzuführenden Tätigkeiten angepasst sind und insbesondere Vorschriften zur Gesundheit des Personals enthalten, erstellt und befolgt werden. Bei Beachtung dieses Anwendungsbefehls, der ausdrücklich auf die durchzuführende und damit konkrete Tätigkeit abstellt, fordert Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens im hier vorliegenden Zusammenhang nur, dass Vorkehrungen zu treffen sind, die - soweit praktisch möglich - sicherstellen, dass die Beschäftigten nicht an einer ansteckenden Krankheit leiden, deren Ansteckungsgefahr sich auf die konkrete Tätigkeit auswirkt. Nur dann, wenn bezogen auf die konkrete Tätigkeit eine Ansteckungs- bzw. Kontaminationsgefahr besteht, soll also eine Tätigkeit des Erkrankten unterbunden werden.

80

bb) In dieser Auslegung meinen Art. 5 RL 2000/78/EG und Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens bezogen auf den vorliegenden Fall letztlich dasselbe: Der Arbeitgeber muss bei einem Behinderten, der an einer ansteckenden Krankheit leidet, die ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um einerseits dem Behinderten eine (leidensgerechte) Tätigkeit zu ermöglichen, andererseits aber Ansteckungsgefahren für Kollegen oder Dritte, insbesondere die Empfänger der erzeugten Arzneimittel, mit der erforderlichen Sicherheit verhindern zu können.

81

b) Damit wird von der Beklagten nicht verlangt, sehenden Auges ein messbares, ernsthaftes Risiko einzugehen, mit HI-Viren kontaminierte Präparate in den Verkehr zu bringen und sich damit erheblichen, uU die Existenz des Betriebs gefährdenden Schadensersatzrisiken auszusetzen. Deshalb ist auch ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit nicht in Frage gestellt. Dementsprechend räumt der Kläger ausdrücklich ein, dass sein Einsatz im Reinraum ausgeschlossen sein dürfte, wenn eine Übertragungswahrscheinlichkeit bestehe. Bisher ist aber - und das rügt die Revision mit Recht - weder vorgetragen, geschweige denn festgestellt, dass es überhaupt ein messbares Risiko einer Kontamination gibt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz will gerade solchen, aus bloß diffusen Befürchtungen und der Weigerung des Arbeitgebers, die konkreten Risiken zu ermitteln und mögliche Änderungen der Arbeitsabläufe auch nur in Erwägung zu ziehen, resultierenden Benachteiligungen entgegenwirken. Der Arbeitgeber darf sich, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, gerade nicht darauf beschränken, ohne konkrete Prüfung der Umstände und Risiken den „sicheren Weg“ zu wählen.

82

3. Der Umstand, dass es unstreitig und vom Landesarbeitsgericht festgestellt ist, dass keine anderweitige Einsatzmöglichkeit des Klägers außerhalb des Reinraums bestand, entbindet die Beklagte nicht von der Darlegung, inwieweit keine angemessenen Vorkehrungen getroffen werden konnten, die dem Kläger einen Einsatz auf dem vorgesehenen Arbeitsplatz im Reinraum ermöglicht hätten.

83

IV. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Ob die Klage begründet ist, vermag der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat die zur Beurteilung der Wirksamkeit der Wartezeitkündigung erforderlichen Feststellungen nicht getroffen. Dies wird es unter Beachtung nachstehender Erwägungen nachzuholen haben.

84

1. Die Beklagte hat zu ihren Produkten, den Produktionsbedingungen und der Tätigkeit des Klägers im Reinraum bisher nicht hinreichend konkret vorgetragen. Sie beruft sich im Kern darauf, dass ihr ein noch so geringes Risiko nicht zuzumuten sei, ohne vorzutragen, ob überhaupt ein messbares Risiko bestand, dass es durch den Kläger zu einer Verunreinigung der Produkte der Beklagten mit HI-Viren kommt. Es fehlt somit bereits am erforderlichen Ausgangspunkt für die Prüfung, ob und welche angemessene(n) Vorkehrungen ihr zumutbar sind.

85

a) Die Beklagte hat bisher lediglich vorgetragen, sie produziere radioaktive Medikamente für Krebspatienten, die intravenös verabreicht würden. Aus der von ihr vorgelegten Herstellungserlaubnis ergibt sich, dass es sich dabei um Arzneimittel für die Positronen-Emissions-Tomographie mit zwei verschiedenen Wirkstoffen handelt. Die Beklagte hat weiter vorgetragen, ihre Produkte seien nur zehn Stunden wirksam, so dass eine Überprüfung auf eine mikrobielle oder virale Verunreinigung vor der Anwendung unmöglich sei. Sie fertige im Rahmen einer sog. „aseptischen Herstellung“ und müsse deshalb mit sterilen Materialien arbeiten. Die Produktion des Medikaments, von dem sie mehr als 6,5 Millionen Einheiten im Jahr herstelle, erfordere die Arbeit mit angeschliffenen Hohlkanülen, Glasfläschchen und Aluminiumdeckeln, so dass Schnitt- und Stichverletzungen möglich seien, wobei es denkbar sei, dass diese nicht sofort bemerkt würden. Verletzungen der Arbeitnehmer und Verunreinigungen der Medikamente mit Blut seien möglich.

86

b) Zur Tätigkeit des Klägers hat die Beklagte nur vorgetragen, dass er Gefäße, in die das Medikament abgefüllt wird, sowie Produktionskassetten vorzubereiten hatte, die mit sterilen Gläschen mittels Spritzen befüllt und mittels nadelartiger Spikes entlüftet werden.

87

2. Das Landesarbeitsgericht wird vor seiner erneuten Entscheidung der Beklagten Gelegenheit zu geben haben, diesen Vortrag zu substantiieren und insbesondere zur Möglichkeit, angemessene Vorkehrungen hinsichtlich des Einsatzes des Klägers im Reinraum zu treffen, vorzutragen.

88

a) Die Beklagte stellt in ihrem Vortrag bisher ausschließlich auf das Risiko ab, Patienten, denen von ihr produzierte Medikamente injiziert werden, könnten sich mit HI-Viren infizieren. Aus dem bisherigen Vortrag ergibt sich jedoch nicht, welche Maßnahmen die Beklagte trifft, wenn es zu den von ihr angesprochenen blutenden Schnitt- oder Stichverletzungen kommt. Eine aseptische Herstellung erscheint in diesen Fällen - unabhängig davon, ob der betroffene Arbeitnehmer an einer ansteckenden Krankheit, insbesondere HIV, leidet - ausgeschlossen. Die fraglichen Medikamente dürften zu vernichten sein.

89

b) Erforderlich ist konkreter Vortrag dazu, inwieweit bei blutenden Verletzungen - insbesondere bei den von der Beklagten angesprochenen geringfügigen Verletzungen - oder auf andere Weise konkret und messbar das Risiko besteht, dass es zu (nicht entdeckbaren) Kontaminationen der hergestellten Medikamente kommen kann, und zusätzlich das Risiko besteht, dass ein solchermaßen verunreinigtes Medikament zu einer HIV-Infektion von Patienten führen kann, denen das Medikament injiziert wird. Dabei wird auch darzulegen sein, welches Risiko besteht, dass es überhaupt zu den von der Beklagten genannten (schwach) blutenden Verletzungen kommt, ob und wie dieses Risiko - etwa durch das Tragen von Spezialhandschuhen - ausgeschlossen werden kann, ob es bei bestimmten Tätigkeiten im Reinraum höher ist als bei anderen und - falls ja - ob der Kläger mit anderen als solchen besonders risikobehafteten Tätigkeiten im Reinraum beschäftigt werden konnte.

90

3. Nach Maßgabe des ergänzten Vortrags der Beklagten wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen, dh. durch wirksame und praktikable, die Beklagte nicht unverhältnismäßig belastende Maßnahmen, den Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Nur wenn das nicht der Fall war, ist die Kündigung wirksam. Bei dieser Prüfung wird es sich die zum Verständnis des Parteivorbringens erforderliche Sachkunde - ggf. auch über den Sachvortrag hinaus (vgl. BGH 7. Dezember 1994 - VIII ZR 153/93 - zu II 3 c der Gründe) - durch ein im Rahmen des Ermessens nach § 144 ZPO anzuordnendes Sachverständigengutachten verschaffen müssen. Sollte es bei seiner Entscheidung auf die Zumutbarkeit der Kosten der von der Beklagten zu veranlassenden Maßnahmen ankommen, wird es neben der Finanzkraft der Beklagten und der Frage, ob sie öffentliche Mittel in Anspruch hätte nehmen können, zu berücksichtigen haben, dass der Kläger erst kurz bei der Beklagten beschäftigt war und diese für seine Behinderung nicht verantwortlich ist. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verlangt nicht, dass die Einstellung und Beschäftigung eines Behinderten für den Arbeitgeber zum „Zuschussgeschäft“ wird (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 59 f.; zur Berücksichtigungsfähigkeit der Kosten bei der Frage der angemessenen Vorkehrungen allgemein vgl. Däubler/ Bertzbach/Brors AGG 3. Aufl. § 8 Rn. 34). Das gilt insbesondere in der Wartezeit.

91

V. Ob dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht, hängt davon ab, ob die Kündigung wirksam ist.

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    Reiner Koch    

        

    Hoffmann    

                 

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Januar 2012 - 6 Sa 2159/11 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Wartezeitkündigung.

2

Die Beklagte stellte den Kläger mit Arbeitsvertrag vom 1. Dezember 2010 als chemisch-technischen Assistenten ein. Sie produziert Arzneimittel zur Krebsbehandlung, die intravenös verabreicht werden. Der Kläger sollte im sog. Reinraumbereich eingesetzt werden. Das Arbeitsverhältnis war bis zum 5. Dezember 2011 befristet, wobei die ersten sechs Monate als Probezeit galten, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden konnte. Gemäß Ziff. 12 des Arbeitsvertrags galten die betrieblichen Regelungen, dh. die vom Arbeitgeber erlassenen allgemeinen Festlegungen oder Weisungen sowie die mit dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarungen. Der Kläger hat keine Befristungskontrollklage erhoben.

3

Anlässlich seiner Einstellungsuntersuchung am 8. Dezember 2010 teilte der Kläger dem Betriebsarzt mit, er sei HIV-infiziert. Der Kläger ist symptomfrei. Er hat einen GdB von 10. Der Betriebsarzt äußerte in dem für eine Tätigkeit im Reinraum auszufüllenden Formular „Aufnahme von Tätigkeiten im GMP-Bereich“ am 14. Dezember 2010 Bedenken gegen einen Einsatz des Klägers in diesem Bereich. Das Formular ist Teil der „Standard Operating Procedure“ (SOP) der Beklagten, die der Umsetzung des sog. EG-GMP Leitfadens (Leitfaden der Guten Herstellungspraxis) dient. Dabei handelt es sich um Leitlinien der EU-Kommission, die als Anlage 2 zur Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit zu § 2 Nr. 3 der Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und über die Anwendung der Guten fachlichen Praxis bei der Herstellung von Produkten menschlicher Herkunft (Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung - AMWHV) vom 27. Oktober 2006 (BAnz S. 6887) veröffentlicht sind. In Ziff. 2.15 des Leitfadens heißt es:

„Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist.“

4

In einem Gespräch vom 4. Januar 2011, an dem der Kläger, der Betriebsarzt sowie einer der beiden Geschäftsführer der Beklagten teilnahmen, teilte der Betriebsarzt nach Entbindung von seiner ärztlichen Schweigepflicht mit, der Kläger sei HIV-infiziert. Möglichkeiten zur Beschäftigung des Klägers außerhalb des Reinraumbereichs bestanden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 4. Januar 2011 zum 24. Januar 2011.

5

Der Kläger hat geltend gemacht, die angegriffene Kündigung diskriminiere ihn, weil seine HIV-Infektion alleiniger Kündigungsgrund sei. Auch eine symptomlose HIV-Infektion führe zu einer Behinderung. Deswegen stehe ihm auch eine Entschädigung zu. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass seine Infektion eine ansteckende Krankheit iSd. GMP-Leitfadens sei. Unter Berücksichtigung des konkreten Herstellungsprozesses und der konkreten Tätigkeit des Klägers hätte unter keinen Umständen, auch nicht bei Schnitt- oder Nadelstichverletzungen, das HI-Virus auf die von der Beklagten hergestellten Medikamente übertragen werden können. Zum Beweis dafür hat sich der Kläger auf ein Sachverständigengutachten bezogen.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen bis zum Ende der Befristung am 5. Dezember 2011 fortbestanden hat und insbesondere nicht durch die Kündigung vom 4. Januar 2011 beendet worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm eine angemessene Entschädigung in Geld von bis zu drei Bruttomonatsgehältern (6.600,00 Euro) zu zahlen.

7

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass die Kündigung aus Gründen der Arbeitssicherheit unumgänglich gewesen sei. Der Kläger leide an einer ansteckenden Krankheit im Sinne ihrer SOP. Das und nicht seine HIV-Infektion sei der Kündigungsgrund gewesen. Ob der Kläger sich in fachärztlicher Behandlung befinde und engmaschig überwacht werde, könne sie nicht überprüfen. Zudem könne der Kläger jederzeit die sichere Behandlung abbrechen, ohne sie informieren zu müssen. Ihre Endabnehmer seien schwerkranke Patienten, so dass sie eine Abwägung zugunsten der Interessen dieser Patienten getroffen habe. Es könne von ihr nicht verlangt werden, sich dem Risiko von Schadensersatzansprüchen, eines drohenden Lizenzverlustes und der Verhängung von Ordnungswidrigkeitsstrafen auszusetzen, um an einem objektiv nicht geeigneten Arbeitnehmer festhalten zu können. Setze sie einen HIV-Positiven in der Medikamentenproduktion ein, komme es zu einer nicht hinnehmbaren Rufschädigung.

8

Die Vorinstanzen haben - soweit für die Revision von Interesse - die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

A. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt die Revision den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO(vgl. zu diesen Anforderungen BAG 19. April 2012 - 6 AZR 677/10 - Rn. 11). Sie setzt sich mit beiden das angegriffene Urteil selbstständig tragenden Begründungen ausreichend auseinander.

10

I. Der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht dahinstehen lassen, ob er behindert sei. Bereits diese Rüge, mit der der Kläger sinngemäß geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe sich mit seiner Begründung den Blick auf den richtigen Prüfungsmaßstab verstellt, stellt das angefochtene Urteil ausreichend in Frage, soweit das Landesarbeitsgericht die Kündigung als wirksam angesehen hat. Ob diese Auffassung materiell-rechtlich zutrifft, ist für die Zulässigkeit der Revision unerheblich.

11

II. Die Revision ist auch zulässig, soweit der Kläger seinen Antrag auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG weiter verfolgt. Die Begründetheit dieses Anspruchs hängt im Ausgangspunkt denknotwendig davon ab, dass ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfolgt ist. § 15 Abs. 2 AGG ist eine Rechtsfolgenbestimmung(Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 49). Das Landesarbeitsgericht hat sich mit dem Anspruch auf Entschädigung nicht gesondert befasst, sondern nur angenommen, die Beklagte sei nicht zur Entschädigung verpflichtet, weil die Kündigung den Kläger nicht diskriminiere. Vom Rechtsmittelführer kann nicht mehr an Begründung verlangt werden als vom Gericht seinerseits aufgewendet (BAG 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 11, BAGE 126, 237). Für die Zulässigkeit der Revision genügt deshalb insoweit bereits die ausreichende Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Wirksamkeit der Kündigung (vgl. BAG 18. November 2010 - 6 AZR 273/10 - Rn. 34).

12

B. Der Senat hat das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG) e.V., Berlin, als Beistand des Klägers nach § 23 AGG zugelassen. Der Satzungszweck, das diskriminierungsfreie Zusammenleben ua. durch die kostenlose Unterstützung und Beratung bei Diskriminierungen insbesondere in Gerichtsverfahren zur Durchsetzung des Rechtsschutzes Betroffener zu fördern, genügt der Legaldefinition in § 23 Abs. 1 Satz 1 AGG. Das BUG hat nachgewiesen, dass es die nach § 23 Abs. 1 Satz 2 AGG erforderliche Mindestanzahl an Mitgliedern hat.

13

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, der Kläger werde nicht wegen einer Behinderung benachteiligt. Die für seine Hilfsbegründung, jedenfalls seien die Voraussetzungen des § 8 AGG erfüllt, erforderlichen Tatsachen hat es nicht festgestellt. Dabei hat es insbesondere nicht geprüft, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen einen Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Damit trägt auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht, die Kündigung sei nicht nach § 242 BGB unwirksam. Das Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig. Der Senat kann nicht selbst feststellen, ob die Kündigung gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam ist, weil der Kläger wegen seiner Behinderung diskriminiert worden ist. Dazu bedarf es noch weiterer Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Der Rechtsstreit war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

I. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen.

15

1. Welche Bedeutung der Vorschrift des § 2 Abs. 4 AGG zukommt, nach der „für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ gelten, ist umstritten.

16

a) Für Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, ist diese Frage durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 2008 (- 2 AZR 523/07 - Rn. 34 ff., BAGE 128, 238) geklärt. Bei der Prüfung der Wirksamkeit solcher Kündigungen sind die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und die darin vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit zu beachten (vgl. auch BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 295/12 - Rn. 36; 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 24; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 15).

17

b) Nach wie vor kontrovers wird jedoch beurteilt, wie § 2 Abs. 4 AGG im Hinblick auf Kündigungen, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, zu verstehen ist. Einigkeit besteht insoweit nur dahin, dass die Antidiskriminierungsrichtlinien, namentlich die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG), auch einen Schutz vor diskriminierenden Kündigungen gebieten (vgl. EuGH 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 37, Slg. 2006, I-6467) und dass dieser Schutz auch Arbeitnehmer außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes erfasst.

18

aa) Die Frage ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt. Die Entscheidungen des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 2008 (- 2 AZR 523/07 - Rn. 34, BAGE 128, 238) sowie des Achten Senats vom 22. Oktober 2009 (- 8 AZR 642/08 -) beziehen sich nur auf Kündigungen im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes. Soweit das Bundesarbeitsgericht vor Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes diskriminierende Kündigungen am Maßstab des § 242 BGB gemessen hat(vgl. BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 426/02 - für eine auf kulturelle und religiöse Gründe gestützte Arbeitsverweigerung eines Arbeitnehmers, der einer Sinti-Familie angehörte; 23. Juni 1994 - 2 AZR 617/93 - BAGE 77, 128 für eine auf Homosexualität gestützte Kündigung), ist diese Rechtsprechung durch die geänderte Rechtslage überholt.

19

bb) Die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum nimmt an, die Benachteiligungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sowie die Beweislastverteilung nach § 22 AGG müssten bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln(§§ 138, 242 BGB) unwirksam sei, berücksichtigt werden (KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 17, 19; KR/Griebeling § 1 KSchG Rn. 26a; ErfK/Schlachter 14. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; vHH/L/Krause 15. Aufl. § 1 Rn. 238, 242; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 230; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 62; v. Roetteken AGG Stand März 2011 § 2 Rn. 69; Blessing Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes S. 147). Ein Teil des Schrifttums vertritt dabei die Auffassung, die Bestimmungen der Antidiskriminierungsrichtlinien seien bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln unwirksam sei, unmittelbar zu berücksichtigen, die unionsrechtlich geforderte Beweislastverteilung müsse durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 138 Abs. 2 ZPO gewährleistet werden(APS/Preis 4. Aufl. Grundlagen J Rn. 71f, 71g; ähnlich Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz 2. Aufl. Rn. 112 ff.).

20

cc) Ein anderer Teil des Schrifttums hält § 2 Abs. 4 AGG für unvereinbar mit Unionsrecht. Eine unionsrechtskonforme Auslegung sei wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht möglich, widerspreche aber jedenfalls dem unionsrechtlichen Transparenzgebot (dazu EuGH 10. Mai 2001 - C-144/99 - [Kom-mission/Niederlande] Rn. 17, Slg. 2001, I-3541). § 2 Abs. 4 AGG sei deshalb nicht anwendbar, stattdessen fänden die Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unmittelbare Anwendung(Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 256 ff., 263 mwN).

21

dd) Teils wird - mit unterschiedlichen Ansätzen - angenommen, § 2 Abs. 4 AGG erfasse Kündigungen während der Wartezeit und im Kleinbetrieb nicht(HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 147 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 8. Aufl. AGG Rn. 63; Stein in Wendeling-Schröder AGG § 2 Rn. 48; wohl auch Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 28).

22

2. Zutreffend ist die letztgenannte Auffassung. § 2 Abs. 4 AGG regelt für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen. Die zivilrechtlichen Generalklauseln werden dagegen von § 2 Abs. 4 AGG nicht erfasst. Der Diskriminierungsschutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geht insoweit diesen Klauseln vor und verdrängt diese. Ordentliche Kündigungen während der Wartezeit und in Kleinbetrieben sind deshalb unmittelbar am Maßstab des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu messen. Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte und dem Zweck des § 2 Abs. 4 AGG. Der Wortlaut der Bestimmung steht dem nicht entgegen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz regelt allerdings nicht selbst, welche Rechtsfolge eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unzulässige Benachteiligung hat. Diese Rechtsfolge ergibt sich erst aus § 134 BGB(vgl. Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 25; Düwell jurisPR-ArbR 47/2006 Anm. 6).

23

a) Der Gesetzgeber wollte mit § 2 Abs. 4 AGG für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen, zu denen die zivilrechtlichen Generalklauseln in §§ 138, 242 BGB nicht gehören, regeln. Das folgt aus der Gesetzgebungsgeschichte.

24

aa) § 2 Abs. 4 AGG ist erst während des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt worden. In der vom Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagenen Fassung sollte die Bestimmung wie folgt gefasst werden:

„Für Kündigungen gelten vorrangig die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes.“

25

Damit sollte klargestellt werden, dass die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes unberührt blieben. Der Praxis sollte verdeutlicht werden, dass Rechtsstreite bei Kündigungen auch in Zukunft vorwiegend nach dem Kündigungsschutzgesetz zu entscheiden seien (BT-Drucks. 15/5717 S. 5, 36).

26

bb) Wortlaut und Begründung des § 2 Abs. 4 AGG-E griff die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vom 8. Juni 2006 auf (BT-Drucks. 16/1780 S. 32). Die Empfehlung des Bundesrats zu diesem Entwurf vom 6. Juni 2006 sah vor, § 2 Abs. 4 AGG wie folgt zu fassen(BR-Drucks. 329/1/06 S. 1):

„Liegt die Benachteiligung in einer Kündigung, finden im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ausschließlich dessen Bestimmungen Anwendung. …“

27

Mit dieser Regelung sollte das Verhältnis beider Gesetze (dh. von AGG und KSchG) präzisiert werden. Das mit dieser Vorschrift verbundene Anliegen - Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes - komme in der bisherigen Fassung nicht hinreichend klar zum Ausdruck (BR-Drucks. 329/1/06 S. 2).

28

cc) Der Rechtsausschuss schlug in seiner Beschlussempfehlung vom 28. Juni 2006 die Gesetz gewordene Fassung vor. In seiner Begründung (BT-Drucks. 16/2022 S. 12) griff er ausdrücklich das Anliegen des Bundesrats auf. Das Verhältnis „beider Gesetze“ (von AGG und KSchG) solle präzisiert werden. Es erscheine sachgerechter, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz Anwendung fänden, weil „diese Regelungen speziell auf Kündigungen zugeschnitten“ seien. Die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes fänden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch sowie im ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes. Bestimmungen zum besonderen Kündigungsschutz enthielten der Zweite Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes und zB § 9 Abs. 3 MuSchG und §§ 18 f. BEEG.

29

b) Aus dieser Entstehungsgeschichte folgt zugleich der Zweck des § 2 Abs. 4 AGG.

30

aa) Mit dem Bezug auf die „Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ wollte der Gesetzgeber nicht regeln, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz für sämtliche Kündigungen nicht gelten sollte. Es sollte lediglich das Verhältnis von Kündigungsschutzgesetz und Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz „präzisiert“ und das Anliegen des Bundesrats, den Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes klarzustellen, aufgegriffen werden. Außerdem sollte den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Regelungen Anwendungsvorrang zukommen. Die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sollten in diese Bestimmungen eingepasst werden und Kohärenz zwischen dem Antidiskriminierungsrecht des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf der einen und den von § 2 Abs. 4 AGG erfassten Kündigungsschutzbestimmungen auf der anderen Seite hergestellt werden(vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 37, 39 f., BAGE 128, 238). Neben das Kündigungsschutzgesetz und die speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Vorschriften des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes sollte kein „zweites“, durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vermitteltes Kündigungsschutzrecht treten. Eine Sperrwirkung für Kündigungen, für die wie die hier streitbefangene Wartezeitkündigung das Kündigungsschutzgesetz (noch) nicht gilt und für die weder spezielle Kündigungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches wie § 626 und § 613a Abs. 4 BGB noch besondere Kündigungsschutzbestimmungen in Betracht kommen, war nicht bezweckt(vgl. HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 148 f.). Bedeutung kommt § 2 Abs. 4 AGG für solche Kündigungen nur insofern zu, als es zB bei der Anwendbarkeit der Klagefrist des § 4 KSchG und der Rechtsfolgen des § 7 KSchG im Fall ihrer Versäumung bleibt(Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 2 Rn. 38; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 240).

31

bb) Bei ordentlichen Kündigungen, auf die das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet und bei denen der Arbeitnehmer geltend macht, die Kündigung diskriminiere ihn, besteht kein nach diesem Gesetzeszweck zu vermeidender Konflikt zwischen zwei ausdifferenzierten Kündigungsschutzsystemen. Das Kündigungsschutzgesetz verlangt Gründe, die die Kündigung rechtfertigen (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 56 sprechen von einer „Positivliste“). Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geht dagegen davon aus, dass Kündigungen grundsätzlich zulässig sind, es sei denn, es liegt eine Diskriminierung vor (Bauer/Göpfert/Krieger aaO sprechen hier von einer „Negativliste“). Für ordentliche Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes, auf die keine speziellen Kündigungsverbote Anwendung finden, gilt von vornherein nur eine „Negativliste“: Diese Kündigungen sind grundsätzlich wirksam. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise und nur dann, wenn sie diskriminierend, treu- oder sittenwidrig sind oder gegen höherrangiges Recht verstoßen. Es tritt also nicht neben einen - gänzlich anders strukturierten - Kündigungsschutz ein zweites Schutzsystem mit anderen Parametern, sondern es bleibt bei der „Negativliste“, die um weitere Punkte und vor allem eine abweichende Beweislastverteilung ergänzt wird. Eine „Verzahnung“ des Kündigungsschutzrechts und des Antidiskriminierungsrechts ist in derartigen Konstellationen nicht erforderlich und wird darum auch nicht durchbrochen (aA KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 18).

32

c) Der Wortlaut des § 2 Abs. 4 AGG steht diesem aus der Entstehungsgeschichte und dem Gesetzeszweck hergeleiteten Auslegungsergebnis nicht entgegen. Zwar ordnet § 2 Abs. 4 AGG unterschiedslos für alle „Kündigungen“ an, dass für sie ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Die Anwendung der Norm ist jedoch hinsichtlich des materiellen Kündigungsschutzes im Wege der teleologischen Reduktion auf Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz, speziell auf Kündigungen zugeschnittene Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches oder besondere Kündigungsschutzbestimmungen gelten, zu beschränken. Nur so wird die nach dem Wortlaut zu weit gefasste Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG ihrem Zweck gerecht. Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben gelten grundsätzlich keine Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ iSd. § 2 Abs. 4 AGG.

33

aa) Die teleologische Reduktion von Vorschriften auch gegen deren Wortlaut gehört zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG 30. März 1993 - 1 BvR 1045/89 ua. - zu C II 2 der Gründe, BVerfGE 88, 145). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass andere Indizien deutlich belegen, dass der Sinn der Norm im Text nur unzureichend Ausdruck gefunden hat (BVerfG 27. Januar 1998 - 1 BvL 22/93 - [Kleinbetriebsklausel II] zu B I 5 der Gründe, BVerfGE 97, 186) und die weiteren Auslegungsmethoden die wahre Bedeutung der Norm freilegen (vgl. BVerfG 19. Juni 1973 - 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72 - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 35, 263). Diese Befugnis des Richters beruht darauf, dass die Auslegung gerade der Ermittlung des im Gesetz objektivierten Willens des Gesetzgebers dient (vgl. BVerfG 4. Juni 2012 - 2 BvL 9/08 ua. - [Dienstbeschädigungsausgleich] Rn. 99, BVerfGE 131, 88).

34

bb) Unter „allgemeinem Kündigungsschutz“ wird - entsprechend der Überschrift des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes - im fachbezogenen Sprachgebrauch der Kündigungsschutz nach diesem Abschnitt verstanden (vgl. BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - Rn. 49, BAGE 128, 73; 8. Juli 1998 - 7 AZR 245/97 - zu II 1 der Gründe, BAGE 89, 216; HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 147). Zwar hat der Gesetzgeber in seiner Begründung zu der Gesetz gewordenen Fassung weiter gehend angenommen, die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes fänden sich auch „im Bürgerlichen Gesetzbuch“ (BT-Drucks. 16/2022 S. 12). Er hat aber zugleich zum Ausdruck gebracht, dass er mit den Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ nur solche Bestimmungen meint, die speziell auf Kündigungen zugeschnitten sind. Das sind im Bürgerlichen Gesetzbuch vor allem §§ 613a, 622 und 626 BGB. Die für den Kündigungsschutz im Kleinbetrieb und in der Wartezeit maßgeblichen zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB sind dagegen - wie schon ihre Bezeichnung zeigt - gerade nicht speziell auf Kündigungen zugeschnitten, sondern Auffangtatbestände, die zudem erst unter Berücksichtigung verfassungs- oder unionsrechtlicher Vorgaben(vgl. dazu BAG 24. Januar 2008 - 6 AZR 96/07 - Rn. 27) ihren Bedeutungsgehalt für Kündigungen gewinnen. Deshalb sind nach dem Verständnis des Gesetzgebers die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB keine „Bestimmungen zum allgemeinen Kündigungsschutz“ iSd. § 2 Abs. 4 AGG(Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 8. Aufl. AGG Rn. 63; HaKo/Mayer aaO).

35

cc) Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben, für die keine speziell auf Kündigungen zugeschnittene Bestimmungen gelten, war nach dem Verständnis des Gesetzgebers gerade keine Regelung dazu erforderlich, in welchem Verhältnis das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die auf solche Kündigungen Anwendung findenden Generalklauseln stehen sollten. Soweit § 2 Abs. 4 AGG gleichwohl seinem Wortlaut nach auch solche Kündigungen erfasst, entspricht dies nicht dem Zweck, den der Gesetzgeber mit dieser Norm verfolgte.

36

d) Diese Auslegung führt nicht dazu, dass Kündigungen außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes insbesondere wegen der möglichen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG stärker sanktioniert würden als Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz gilt(so aber KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; Bauer/Thüsing/Schunder NZA 2006, 774, 777). Auch bei Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, scheidet eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht von vornherein aus.

37

aa) Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte diese Frage zunächst offengelassen (BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 20; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 16; 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 33, BAGE 128, 238; zum Streitstand Wenckebach AuR 2010, 499, 501). Er hatte jedoch schon darauf hingewiesen, dass eine Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG neben der Sanktionsfolge der Unwirksamkeit nicht systemwidrig erscheine. Auch Entschädigungen für immaterielle Schäden infolge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit der Erklärung einer unwirksamen Kündigung seien nicht ausgeschlossen (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 16 unter Hinweis auf BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 -). Er hatte weiter angenommen, es sei vom Vorliegen eines immateriellen Schadens iSd. § 15 Abs. 2 AGG auszugehen, wenn ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot feststehe(BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 74, BAGE 129, 181). Mit Urteil vom 12. Dezember 2013 hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts nun einer schwangeren Arbeitnehmerin, der unter Verstoß gegen das Mutterschutzgesetz gekündigt worden war, wegen Geschlechtsdiskriminierung einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zuerkannt(- 8 AZR 838/12 - Pressemitteilung Nr. 77/13).

38

bb) Nach der Wertung des Gesetzgebers stellen Benachteiligungen wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar(KR/Treber 10. Aufl. § 15 AGG Rn. 27 mwN; vgl. auch BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Die Sanktion des § 15 Abs. 2 AGG soll im Kern gerade vor solchen Persönlichkeitsrechtsverletzungen schützen(vgl. Stahlhacke/Preis 10. Aufl. Rn. 190; Blessing Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes S. 173). Die im diskriminierenden Verhalten liegende Persönlichkeitsrechtsverletzung soll als solche unabhängig von der Frage sanktioniert werden, ob nach einer unwirksamen Kündigung das Arbeitsverhältnis fortbesteht (vgl. Blessing aaO S. 193). Ausgehend davon kann allenfalls angenommen werden, die Unwirksamkeit der Kündigung sei eine Naturalrestitution iSd. § 15 Abs. 1 AGG. Die Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG kann dagegen nicht mit der Begründung abgelehnt werden, diese Rechtsfolge sei eine hinreichende Sanktion iSd. Antidiskriminierungsrichtlinien (vgl. Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 54; Wenckebach AuR 2010, 499, 502). Die Unwirksamkeit der Kündigung kann die bei einer Diskriminierung nach der Vorstellung des Gesetzgebers in der Regel vorliegende Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht kompensieren. Dies gilt insbesondere in dem in der Praxis häufig vorkommenden Fall, dass der Arbeitnehmer auch nach einem erfolgreichen Kündigungsschutzprozess nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt.

39

cc) Darüber hinaus kommt bei unwirksamen Abmahnungen oder Versetzungen, die kündigungsrechtlich gesehen mildere Maßnahmen im Vergleich zu einer Kündigung darstellen, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG ohne Weiteres in Betracht(vgl. für die Versetzung BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - BAGE 129, 181), obwohl auch diese Maßnahmen bei Diskriminierungen iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unwirksam sind und Abmahnungen zusätzlich noch aus der Personalakte zu entfernen sind. Dann muss erst recht bei diskriminierenden Kündigungen, die typischerweise tiefer in das Persönlichkeitsrecht eingreifen, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG möglich sein(Wenckebach AuR 2010, 499, 502; Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 262a).

40

dd) § 2 Abs. 4 AGG steht einem solchen Verständnis des § 15 Abs. 2 AGG nicht entgegen. Damit wird nur der Weg beschrieben, auf dem die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in das Kündigungsschutzrecht einzupassen sind. Die Frage, wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu sanktionieren sind, ist nicht berührt (vgl. Wenckebach AuR 2010, 499, 502).

41

e) Die Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes führt - insbesondere wegen der Beweislastregel des § 22 AGG(vgl. KR/Treber 10. Aufl. § 22 AGG Rn. 6; Däubler/Bertzbach/Bertzbach AGG 3. Aufl. § 22 Rn. 48 mwN) - in Fällen, in denen das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, dazu, dass die Rechtsstellung von Arbeitnehmern bei potentiell diskriminierenden Kündigungen gegenüber der von Arbeitnehmern, bei denen keine Diskriminierung in Betracht kommt, verbessert wird. Dies ist jedoch nur die Konsequenz der Überlagerung des nationalen Kündigungsschutzrechts durch das Antidiskriminierungsrecht der Europäischen Union.

42

II. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, ob der Kläger behindert iSd. § 1 AGG ist, sondern hat dies ausdrücklich offengelassen. Beide Begründungen, mit denen es die Kündigung unabhängig von der Frage der Behinderung des Klägers als wirksam angesehen hat, tragen nicht. Es ist deshalb von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob die symptomlose HIV-Infektion des Klägers eine Behinderung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes darstellt.

43

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe den Kläger durch die streitbefangene Kündigung nicht wegen einer etwaigen Behinderung benachteiligt. Mit dieser Begründung durfte es eine Behinderung nicht dahinstehen lassen.

44

a) Die Kündigungserklärung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die der Kündigungsentscheidung zugrunde liegenden Überlegungen können Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Dieser Zusammenhang kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben (BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 34). Dabei bedarf es allerdings keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht. Es reicht aus, wenn eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 28). Dies ist hier unstreitig der Fall, weil die Beklagte die HIV-Infektion als Ausschlussmerkmal für einen Einsatz im Reinraum ansieht. Auch unberechtigte Stereotypisierungen können zu (unabsichtlichen) Diskriminierungen führen (vgl. Schiek/Schiek AGG § 3 Rn. 16; Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 3 Rn. 13). Darauf, ob die Beklagte glaubte, das für sie geltende Regelwerk gebiete die Kündigung, kommt es deshalb entgegen der von ihr vertretenen Auffassung nicht an.

45

b) Die Beklagte macht geltend, sie habe dem Kläger allein deshalb gekündigt, weil er an einer ansteckenden Krankheit im Sinne ihrer SOP leide und deshalb die Anforderungen an eine Beschäftigung im Reinraum nicht erfülle, nicht aber, weil er HIV-infiziert sei. Sie hätte genauso gehandelt, wenn der Kläger an Hepatitis B oder C bzw. einer chronischen Hauterkrankung an den Armen, Unterarmen, Händen oder im Gesicht gelitten hätte. Das Landesarbeitsgericht ist dem unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 2011 (- 8 AZR 515/10 - Rn. 34) gefolgt. Das ist rechtsfehlerhaft. Die vom Landesarbeitsgericht angeführte Entscheidung betrifft andere Fallkonstellationen als die vorliegende.

46

aa) Wäre der Kläger wegen seiner symptomlosen HIV-Infektion behindert, stellte die streitbefangene Kündigung eine unmittelbare Ungleichbehandlung iSd. § 3 Abs. 1 AGG in Form einer sog. verdeckten unmittelbaren Ungleichbehandlung dar. Eine solche Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn nach einem scheinbar objektiven, nicht diskriminierenden Kriterium (ansteckende Krankheit) unterschieden wird, das jedoch in untrennbarem Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Grund(Behinderung) steht und damit kategorial ausschließlich Träger eines Diskriminierungsmerkmals trifft (vgl. BAG 7. Juni 2011 - 1 AZR 34/10 - Rn. 23, BAGE 138, 107; vgl. EuGH 12. Oktober 2010 - C-499/08 - [Andersen] Rn. 23, Slg. 2010, I-9343; vgl. zu der für die Schwangerschaft klarstellenden Normierung dieser Rechtsfigur in § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG BAG 27. Januar 2011 - 6 AZR 526/09 - Rn. 20 f., BAGE 137, 80). Das ist hier der Fall. Kündigungsgrund ist die Unfähigkeit des Klägers, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Diese nach Auffassung der Beklagten bestehende Unfähigkeit ergab sich allein aus der HIV-Infektion des Klägers. Nach ihrer SOP ist die HIV-Infektion ebenso wie chronische Hauterkrankungen im Bereich der Arme, Unterarme, Hände und Gesicht oder eine chronisch verlaufende Hepatitis B und C ein Ausschlusskriterium für die Tätigkeit im Reinraum (vgl. S. 2 der Beauftragung des Betriebsarztes zur Durchführung von GMP-Untersuchungen vom 1. April 2010). Weitere absolute Ausschlussgründe sieht die SOP nicht vor. Ansteckende Erkrankungen wie Husten und Schnupfen, wiederholtes Erbrechen, Durchfall oder offene Ekzeme sind nach der SOP nur anzeigepflichtig und ziehen, wie die Beklagte selbst vorträgt, nur den vorübergehenden Ausschluss von der Tätigkeit im Reinraum nach sich. Führte bei chronischen Erkrankungen der Ausschluss von bestimmten Teilen des Berufsfelds dazu, dass eine Behinderung iSd. § 1 AGG vorliegt, wäre dies in allen drei in der SOP der Beklagten aufgeführten Fällen anzunehmen. Eine Kündigung, die wegen einer der in der SOP angeführten ansteckenden Krankheiten, die zum dauerhaften Ausschluss von der Tätigkeit im Reinraum führen, erklärt wird, wäre dann in allen drei Fällen wegen eines Merkmals iSd. § 1 AGG erfolgt. Insoweit gilt nichts anderes, als wenn ein Arbeitgeber einer befristet eingestellten Frau kündigt, die wegen ihrer Schwangerschaft während der gesamten Dauer der Befristung einem gesetzlichen Beschäftigungsverbot unterliegt (vgl. EuGH 4. Oktober 2001 - C-109/00 - [Tele Danmark] Rn. 20, 31, Slg. 2001, I-6993), oder wenn er einem Rollstuhlfahrer kündigt, weil die geschuldete Arbeit von einem Rollstuhlfahrer nicht verrichtet werden könne, denn nur Behinderte sind dauerhaft an den Rollstuhl gebunden (vgl. Kamanabrou RdA 2006, 321, 324). In all diesen Fällen beruht die Unfähigkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erfüllen, letztlich auf einem Diskriminierungsmerkmal.

47

bb) Daraus folgt zugleich, dass die Annahme des Landesarbeitsgerichts und der Beklagten, die Kündigung beruhe letztlich auf der aus dem Regelwerk der Beklagten folgenden, auf einer ansteckenden Krankheit beruhenden fehlenden Einsetzbarkeit des Klägers und benachteilige diesen deshalb jedenfalls nicht wegen einer etwaigen Behinderung, nicht trägt. Ob tatsächlich der Einsatz des Klägers im Reinraum dauerhaft unmöglich und deshalb die Kündigung wirksam war, ist eine Frage, die ausschließlich auf der Ebene der Rechtfertigung unter Berücksichtigung der Möglichkeit, angemessene Vorkehrungen zu treffen, zu entscheiden ist, nicht aber bereits die Annahme einer Benachteiligung wegen der Behinderung von vornherein ausschließt.

48

cc) Der Kläger würde gegenüber Personen in einer vergleichbaren Situation benachteiligt (zu diesem Erfordernis BAG 7. Juni 2011 - 1 AZR 34/10 - Rn. 29, BAGE 138, 107). Die Feststellung der Vergleichbarkeit der Situation erfordert, dass es außer der anderen Ausprägung des Diskriminierungsmerkmals keine wesentlichen Unterschiede zwischen der benachteiligten und der Vergleichsperson gibt (Schiek/Schiek AGG § 3 Rn. 11). Einem nicht behinderten chemisch-technischen Assistenten in einer sonst mit der Situation des Klägers vergleichbaren Lage wäre nicht gekündigt worden (vgl. in diesem Sinne auch EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 77). Darin liegt der Unterschied zu der vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 2011 (- 8 AZR 515/10 -). Das Argument der Beklagten, auch einem an einer chronisch verlaufenden Hepatitis B bzw. C oder an einer chronischen Hauterkrankung an den Armen, Unterarmen, Händen oder im Gesicht leidenden Arbeitnehmer hätte sie gekündigt, trägt nicht. Auch diese Arbeitnehmer wären, wie unter Rn. 46 ausgeführt, behindert.

49

2. Die Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts, das Fehlen einer HIV-Infektion stelle eine berufliche Anforderung iSd. § 8 Abs. 1 AGG dar, greift zu kurz.

50

a) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass sich der Arbeitgeber, der eine Kündigung darauf stützt, dass er den Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung nicht einsetzen könne, nur dann auf den Rechtfertigungsgrund des § 8 Abs. 1 AGG berufen kann, wenn auch angemessene Vorkehrungen iSd. Art. 5 RL 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - UN-Behin-dertenrechtskonvention (UN-BRK) - nicht zu einer Einsatzmöglichkeit führen. Unterlässt der Arbeitgeber die danach gebotenen Vorkehrungen und kann er den Arbeitnehmer deshalb nicht einsetzen, ist dieser Umstand regelmäßig nicht auf die Behinderung des Arbeitnehmers, sondern auf die Untätigkeit des Arbeitgebers zurückzuführen. Die Kündigung ist dann nicht gerechtfertigt (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 66, 68; 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 52, Slg. 2006, I-6467).

51

aa) Der Kläger ist mit einem GdB von 10 allenfalls „einfach“ Behinderter. Für diesen Personenkreis ist Art. 5 RL 2000/78/EG, demzufolge der Arbeitgeber angemessene Vorkehrungen zu ergreifen hat, um Behinderten ua. die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen, sofern diese Maßnahmen ihn nicht unverhältnismäßig belasten, nicht in nationales Recht umgesetzt worden (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - Rn. 34 ff.). Eine vergleichbare Verpflichtung sieht Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i UN-BRK vor, wonach die Vertragsstaaten sicherstellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen (reasonable accommadation) für Menschen mit Behinderungen getroffen werden. Was unter „angemessenen Vorkehrungen“ iSd. UN-BRK zu verstehen ist, ist in Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK festgelegt.

52

bb) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinen Entscheidungen vom 4. Juli 2013 (- C-312/11 - [Kommission/Italien]) und vom 11. April 2013 (- C-335/11 ua. - [Ring]) ausgeführt, dass und wie Art. 5 RL 2000/78/EG nach der Genehmigung der UN-BRK durch den Rat im Namen der Europäischen Gemeinschaft(Beschluss 2010/48/EG vom 26. November 2009 ABl. EU L 23 vom 27. Januar 2010 S. 35) unter Beachtung und in Übereinstimmung mit der UN-BRK auszulegen ist. Der Begriff „angemessene Vorkehrungen“ ist weit zu verstehen und umfasst die Beseitigung der verschiedenen Barrieren, die die volle und wirksame, gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben behindern. Gemeint sind nicht nur materielle, sondern auch organisatorische Maßnahmen, wobei die Aufzählung der möglichen Vorkehrungen im 20. Erwägungsgrund der RL 2000/78/EG nicht abschließend ist (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 53 bis 56). Ob solche Vorkehrungen den jeweiligen Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten, haben die nationalen Gerichte festzustellen, wobei sie insbesondere den damit verbundenen finanziellen und sonstigen Aufwand unter Berücksichtigung der Größe und der Finanzkraft des Arbeitgebers sowie der Möglichkeit, öffentliche Mittel oder andere Unterstützungen in Anspruch zu nehmen, in die Abwägung einzubeziehen haben (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 59 f.). Die Mitgliedstaaten müssen aufgrund von Art. 5 RL 2000/78/EG iVm. Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK die Arbeitgeber verpflichten, die im konkreten Einzelfall jeweils erforderlichen angemessenen Vorkehrungen zu ergreifen. Das bloße Schaffen von Anreiz- und Hilfsmaßnahmen genügt nicht (EuGH 4. Juli 2013 - C-312/11 - [Kommission/Italien] Rn. 60 ff. der franz. Fassung; Beyer/Wocken DB 2013, 2270).

53

cc) Die Bestimmungen der UN-BRK sind integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 28 ff.). Dadurch sind sie zugleich Bestandteil des - ggf. unionsrechtskonform auszulegenden - deutschen Rechts. Im Hinblick auf die durch den Gerichtshof der Europäischen Union unter Beachtung der UN-BRK vorgenommene Auslegung des Art. 5 RL 2000/78/EG ist Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK weder unmittelbar anzuwenden (aA v. Roetteken jurisPR-ArbR 33/2013 Anm. 1 unter D; zur unmittelbaren Anwendung von Völkerrecht vgl. Schmahl JuS 2013, 961, 965; Aichele AnwBl. 2011, 727, 728) noch sind §§ 7 und 8 AGG völkerrechtskonform auszulegen. Die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen ergibt sich vielmehr bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 241 Abs. 2 BGB aus dieser Bestimmung(vgl. zu dieser Vorschrift BAG 13. August 2009 - 6 AZR 330/08 - BAGE 131, 325; 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - BAGE 134, 296; vgl. auch Beyer/Wocken DB 2013, 2270, 2272).

54

b) Eine Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers wegen fehlender Einsatzmöglichkeiten ist demnach nur wirksam, wenn der Arbeitgeber nicht imstande ist, das infolge der Behinderung vorliegende Beschäftigungshindernis durch angemessene Vorkehrungen zu beseitigen (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 57; Däubler/Bertzbach/Brors AGG 3. Aufl. § 8 Rn. 33; KR/Treber 10. Aufl. § 8 AGG Rn. 29; Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 30). Dies hat der Arbeitgeber darzulegen (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 43; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 45; 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 33 f.; Stiebert/Pötters aaO; Däubler/Bertzbach/Brors aaO Rn. 33 f.). Beurteilungsgrundlage für die Rechtfertigungsprüfung ist dabei nicht der ursprüngliche (ausgeschriebene) Arbeitsplatz, sondern der mit verhältnismäßigem Aufwand geänderte Arbeitsplatz. Anderenfalls könnte - wie die Argumentation der Beklagten und des Landesarbeitsgerichts eindrücklich belegen - der Arbeitgeber stets berufsbezogen argumentieren und behinderte Arbeitnehmer berechtigt von der Teilhabe am Berufsleben ausschließen (vgl. Däubler/Bertzbach/Brors aaO Rn. 33; KR/Treber aaO). Genau das will Art. 5 RL 2000/78/EG verhindern, dessen Befolgung im nationalen Recht § 241 Abs. 2 BGB sicherstellt. Kann der Arbeitsplatz mit zumutbaren Anstrengungen angepasst werden, ist der Arbeitnehmer für die geschuldete Tätigkeit geeignet. Auf eine Rechtfertigung nach § 8 AGG kommt es dann grundsätzlich nicht mehr an. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer zwar auf dem zumutbar angepassten Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, aber trotzdem wegen der Behinderung schlechter gestellt wird, zB weil er nicht im Schichtbetrieb eingesetzt wird und deshalb eine Schichtzulage nicht erhält, kann noch eine Rechtfertigung dieser gleichwohl erfolgenden Benachteiligung nach § 8 Abs. 1 AGG in Betracht kommen. Erst in einem solchen Fall muss der Arbeitgeber darlegen, dass und warum gerade im Hinblick auf den angepassten Arbeitsplatz ein berufsbezogener weiterer Grund eine Benachteiligung des Behinderten rechtfertigt (ähnlich Däubler/Bertzbach/Brors aaO).

55

III. Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht im Ergebnis als richtig dar (§ 561 ZPO).

56

1. Die symptomlose HIV-Infektion des Klägers hat eine Behinderung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zur Folge. Eine Diskriminierung des Klägers durch die angegriffene Kündigung kommt deshalb in Betracht.

57

a) Eine Behinderung iSd. § 1 AGG liegt unter Berücksichtigung des maßgeblichen supranationalen Rechts vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch - in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren(Barrieren) - seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann. Auf einen bestimmten GdB kommt es nicht an (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 32). Ob eine Behinderung vorliegt, ist unter Beachtung dieses Begriffsverständnisses im Einzelfall festzustellen (Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 40), wobei auch zu beachten ist, dass das Verständnis von Behinderung nicht statisch ist (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 37).

58

aa) Der Begriff der Behinderung iSd. § 1 AGG entspricht nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers den gesetzlichen Definitionen in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 3 BGG(BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 32; BR-Drucks. 329/06 S. 31). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Gesetzgeber hat sich damit für einen modernen Behindertenbegriff entschieden, der an die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anknüpft (BT-Drucks. 14/5074 S. 98; vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - Rn. 20, BAGE 122, 54). Bei diesem bio-psycho-sozialen Behindertenbegriff wird Behinderung nicht durch die individuelle Funktionsstörung, sondern durch die Beeinträchtigung der (gesellschaftlichen) Teilhabe definiert. Eine Behinderung liegt vor, wenn sich die Beeinträchtigung auf die Partizipation in einem oder mehreren Lebensbereichen auswirkt (BT-Drucks. 14/5074 S. 98). Ob eine Beeinträchtigung relevant ist, ergibt sich demnach erst aus dem Zusammenwirken von behindernden sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) und individueller Gesundheitsstörung (Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 37; Welti DÖV 2013, 795, 797). Eine Gesundheitsstörung kann auch darin liegen, dass die (gesellschaftliche) Teilhabe durch das Verhalten anderer beeinträchtigt wird (Schiek/Welti aaO Rn. 43). Behinderung ist nach diesem Verständnis sowohl persönliche Eigenschaft als auch soziales Verhältnis (Schiek/Welti aaO Rn. 37, vgl. auch v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 159b). Eine Behinderung in diesem Sinne kann demnach auch erst durch das „Behindern“ eines Menschen durch seine Umwelt entstehen.

59

bb) In seinen Entscheidungen vom 11. April 2013 (- C-335/11 ua. - [Ring]) und vom 4. Juli 2013 (- C-312/11 - [Kommission/Italien]) hat der Gerichtshof der Europäischen Union seine Auslegung des Begriffs der „Behinderung“ iSd. RL 2000/78/EG in Anpassung an Art. 1 Unterabs. 2 UN-BRK modifiziert (zur bisherigen Auslegung siehe EuGH 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 37, Slg. 2006, I-6467). Erfasst sind Einschränkungen, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen sind, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, sofern die körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen langfristig sind. Das schließt einen Zustand ein, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit die vorgenannten Einschränkungen mit sich bringt. Anderenfalls fällt eine Krankheit nicht unter den Begriff der Behinderung iSd. RL 2000/78/EG. Behinderung und Krankheit sind nach wie vor nicht gleichzusetzen (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 41 f., 47, 75).

60

cc) Damit haben sich die unionsrechtliche Konzeption und die des nationalen Rechts angenähert. Aus den unterschiedlichen Definitionen ergeben sich jedoch nach wie vor Unterschiede im Begriffsverständnis, die für die vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Erfassten teils günstiger, teils ungünstiger sind.

61

(1) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat den Begriff der Behinderung im Hinblick auf den Anwendungsbereich der RL 2000/78/EG auf Beeinträchtigungen der wirksamen Teilhabe am Berufsleben beschränkt (zur Kritik an dieser Beschränkung siehe Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 24 bis 27), während die Behindertenbegriffe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der UN-BRK auf die gesellschaftliche Teilhabe abstellen. Darüber hinaus sind nach dem nationalen Verständnis bereits Abweichungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauern, als langfristig anzusehen, während nach dem Verständnis des Unionsrechts die nationalen Gerichte im Einzelfall entscheiden müssen, wann eine Einschränkung „langfristig“ ist.

62

(2) Demgegenüber ist der nationale Behindertenbegriff zulasten der Behinderten enger als das supranationale Begriffsverständnis, soweit er eine Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustand verlangt, alterstypische Einschränkungen also stets nicht als Behinderung ansieht (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161 f.; Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 42). Darüber hinaus verlangt der nationale Behindertenbegriff, dass die Beeinträchtigung der Teilhabe bereits eingetreten ist, während es nach dem von der UN-BRK geleiteten unionsrechtlichen Behindertenbegriff bereits ausreicht, dass eine solche Beeinträchtigung eintreten kann.

63

dd) Der Behindertenbegriff des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist maßgeblich, soweit das nationale Recht von einem weiteren Behindertenbegriff als das supranationale Recht ausgeht. Im Übrigen ist der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen.

64

(1) Die RL 2000/78/EG stellt gemäß Art. 8 Abs. 1 nur Mindestanforderungen auf. Es bleibt daher den Mitgliedstaaten unbenommen, Regelungen einzuführen oder beizubehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die Vorschriften der Richtlinie sind. Davon hat die Bundesrepublik Deutschland im genannten Rahmen Gebrauch gemacht (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161e, 165; Däubler/ Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 1 Rn. 75; aA KR/Treber 10. Aufl. § 1 AGG Rn. 49; BeckOK ArbR/Roloff Stand 1. Dezember 2013 AGG § 1 Rn. 7). Der Gesetzgeber des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hat ausdrücklich auf den weitreichenden Behindertenbegriff in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und in § 3 BGG abgestellt. Ein gesetzgeberisches Versehen ist damit auszuschließen (gegen eine gespaltene Auslegung des Behindertenbegriffs gleichwohl Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 33).

65

(2) Soweit das nationale Recht hinter dem supranationalen Recht zurückbleibt, ist dagegen der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161f). Damit reicht es insbesondere aus, dass Beeinträchtigungen eintreten „können“.

66

ee) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts führt ein solches Begriffsverständnis nicht dazu, dass Ursache und Wirkung vertauscht würden, wenn der Umgang des Arbeitgebers mit einer Beeinträchtigung eine Behinderung zur Folge haben kann. Bei der Feststellung, ob eine Behinderung vorliegt, geht es gerade darum, objektive Barrieren zu erkennen, die sich nicht zuletzt im Verhalten des Arbeitgebers manifestieren können.

67

ff) Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass ein so verstandener Behindertenbegriff zu einer „Entgrenzung“ des Begriffs (siehe dazu Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 27, die darauf hinweisen, dass etwa 40 % der Bevölkerung in Deutschland an Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Arthrose oder Rheuma leiden; zur Häufigkeit chronischer Krankheiten siehe auch Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 16) führen und dadurch der Schutz für „schwer“ Behinderte sinken kann. Sind alle oder jedenfalls die Mehrzahl der vergleichbaren Personen ebenfalls behindert, droht der Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (weitgehend) leer zu laufen (vgl. Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 67). Zumindest ist der Behindertenschutz dann kein Minderheitenschutz mehr, es kommt zu einer Majorisierung der „normal Gesunden“ durch die Behinderten.

68

(1) Eine solche mögliche Entgrenzung lässt sich jedoch dadurch einschränken, dass die Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Teilhabe und das Vorliegen einer Benachteiligung wegen dieser nicht pauschal, sondern für die betroffenen Gruppen behinderter Menschen konkret geprüft wird. So kann etwa ein an Diabetes mellitus erkrankter Arbeitnehmer, der „gut eingestellt“ ist, an der gesellschaftlichen Teilhabe so geringfügig beeinträchtigt sein, dass er als nicht behindert anzusehen ist, während ein „schlecht einzustellender“ Diabetiker behindert sein kann. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Personen mit gleichartigen Beeinträchtigungen in verschiedenen Kontexten unterschiedlich in ihrer Teilhabe beeinträchtigt sein können. Ob und welche Barrieren vorliegen, beeinflusst die Annahme einer Behinderung. Die ICF, an deren Definition sich der nationale Behindertenbegriff orientiert, klassifiziert individuelle Behinderungen und berücksichtigt dabei Umweltfaktoren sowohl auf der Ebene des Individuums als auch auf der der Gesellschaft (Welti DÖV 2013, 795, 797; vgl. auch ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 21 f. unter 4.3; Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 68). Wer ungeachtet bestehender Beeinträchtigungen die Möglichkeit hat, gleichberechtigt am Leben in der Gemeinschaft und im Beruf teilzuhaben, ist nicht behindert (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 159a, 164).

69

(2) Der Gefahr übermäßiger Belastung der Arbeitgeber durch einen solchen weiten Behindertenbegriff wird zudem dadurch entgegengewirkt, dass Behinderungen, die sich im Arbeitsverhältnis nicht auswirken, idR weder zu Benachteiligungen noch zu Diskriminierungen von Arbeitnehmern wegen einer Behinderung führen können. Dabei wird allerdings vielfach erst auf der Ebene der angemessenen Vorkehrungen entschieden werden können, ob und wie sich eine Behinderung im Arbeitsleben auswirkt. Dessen ungeachtet hat die Feststellung der Behinderung der Beurteilung, welche Vorkehrungen dem Arbeitgeber im konkreten Fall zumutbar sind, vorauszugehen. Sie sind Folge und nicht Tatbestandsmerkmal einer Behinderung (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 45 f.).

70

b) Der Kläger ist aufgrund seiner symptomlosen HIV-Infektion chronisch erkrankt. Diese Beeinträchtigung wirkt sich auf seine Teilhabe sowohl im Leben in der Gemeinschaft als auch in seinem Berufsfeld aus. Er ist deshalb behindert iSd. § 1 AGG. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern (ebenso Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 72 f., 77 f.; Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 43; aA nur bei Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis: Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 1 Rn. 135; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 164; nur unter Berücksichtigung künftiger Beeinträchtigungen: Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 1 Rn. 54; auf den Einzelfall abstellend: Antwort der Bundesregierung BT-Drucks. 17/7283 S. 4 f.).

71

aa) Die HIV-Infektion ist unheilbar. Sie hat eine Verminderung der zellulären Immunität und damit einen Immundefekt zur Folge (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. Stichwort: HIV-Erkrankung). Diese Abweichung vom allgemein anerkannten Standard des biomedizinischen Zustands (vgl. zu dieser Definition die ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 18 unter 4.1 Ziff. 5) führt zu einer Beeinträchtigung der Funktion des Körpers iSd. Behindertenbegriffs des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.

72

bb) Auf den Grund der Behinderung oder ihre Art kommt es nicht an. Auch chronische Krankheiten werden vom Begriffsverständnis der Behinderung iSd. § 1 AGG erfasst. Das setzt allerdings voraus, dass die erforderliche Beeinträchtigung der Teilhabe vorliegt (BT-Drucks. 14/5074 S. 98; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 164b). Eine chronische Erkrankung, die solche Beeinträchtigungen nicht mit sich bringen kann, führt nicht zu einer Behinderung iSd. § 1 AGG(vgl. für die RL 2000/78/EG EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 42).

73

cc) Der Kläger wird durch seine HIV-Infektion im erforderlichen Maß an der Teilhabe am Leben beeinträchtigt. Unerheblich ist dabei, dass seine Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist. Es genügt, dass er in interpersonellen Beziehungen und bei der Arbeit Stigmatisierungen ausgesetzt sein kann (vgl. ausdrücklich für eine HIV-Infektion ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 24 unter 5.1; vgl. auch Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 43). Diese Vorurteile und Stigmatisierungen seiner Umwelt machen ihn zu einem Behinderten iSv. § 1 AGG.

74

(1) Die gesellschaftliche Teilhabe auch von symptomlos HIV-Infizierten wird nach wie vor typischerweise durch zahlreiche Stigmatisierungen (zum Begriff des Stigmas Stürmer/Salewski in Beelmann/Jonas Diskriminierung und Toleranz S. 263, 267 f.; vgl. auch Empfehlung 200 der ILO vom 17. Juni 2010 unter I Ziff. 1 Buchst. d) und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, die auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen sind, auch wenn die Ausgrenzung in Westeuropa im Rückgang begriffen ist (Stürmer/Salewski aaO S. 264 f., 273; vgl. auch EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 79 ff.; EGMR 10. März 2011 - 2700/10 - [Kiyutin/Russland] Rn. 64). Insbesondere soll HIV-Infizierten signifikant häufig ärztliche Behandlung verweigert werden (Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 27), ebenso soll es zu Nachteilen bei Abschlüssen von Versicherungen, speziell Krankenversicherungen, kommen (Stürmer/Salewski aaO S. 273; Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 25). Darüber hinaus soll Vermeidungsverhalten zu beobachten sein, das sich nicht immer sogleich als Ausgrenzung und Diskriminierung erkennen lässt, zB in Form von Diskrepanzen zwischen verbalem und nonverbalem Verhalten (Stürmer/Salewski aaO S. 272 f.). Auch solche Stigmatisierungen und Vorurteile sind benachteiligende gesellschaftliche Kontextfaktoren (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 37 f.; Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 70). Diskriminierung ist letztlich der Endpunkt von Stigmatisierung (vgl. Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 35). Diese nach wie vor fest verwurzelten Vorurteile gegen HIV-Infizierte haben dazu geführt, dass in den Mitgliedstaaten des Europarats eine klare Gesamttendenz erkennbar ist, HIV-Infizierte, wenn nicht durch spezielle Vorschriften, so doch durch die jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften, die Schutz vor Diskriminierung etwa wegen Behinderung bieten, vor Ungleichbehandlungen am Arbeitsplatz, insbesondere vor diskriminierenden Kündigungen, zu schützen (EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 39, 82 f. unter Hinweis auf eine in dreißig Mitgliedstaaten des Europarats durchgeführte Vergleichsstudie). Auch die Empfehlung 200 der ILO vom 17. Juni 2010 sieht unter III. Ziff. 3 Buchst. c sowie unter IV. Ziff. 9 bis Ziff. 11 den Schutz vor Diskriminierungen und Kündigungen wegen einer HIV-Infektion vor und strebt unter IV. Ziff. 13 an, dass HIV-Infizierte ihre Arbeit ggf. mit angemessenen Vorkehrungen fortsetzen können.

75

(2) Auch im konkreten Fall des Klägers liegen derartige Stigmatisierungen, die HIV-Infizierte erfahren und/oder befürchten, vor. Dies wird eindrücklich dadurch belegt, dass der Kläger über seinen Beistand mitgeteilt hat, er nehme zwar an der mündlichen Verhandlung vor dem Senat teil, halte sich aber unter den Zuhörern auf, um seine Anonymität zu wahren. Außerdem hat er laut einem bereits während des Instanzenzugs erfolgten Pressebericht (faz.net vom 10. Januar 2012) erklärt, er habe sich entschieden, „im Job“ seine Infektion nicht mehr zu erwähnen. Er arbeite seit Mai (2011) wieder in einer „Medizin-Firma“, auch im Reinraum. Er verweigere Tests und Fragebögen. Gerade diese Reaktion des Klägers, künftig seine HIV-Infektion im Berufsleben zu verschweigen, leistet wiederum Vorurteilen gegenüber HIV-Infizierten Vorschub. So kommt es zu einem sich gegenseitig hochschaukelnden Wechselspiel von Reaktion und Gegenreaktion. Die gegenwärtig noch andauernde Stigmatisierung wird auch dadurch bestätigt, dass die Beklagte ausdrücklich geltend macht, die Beschäftigung des Klägers führe zu einer Rufschädigung.

76

(3) Darüber hinaus liegt im konkreten Fall des Klägers auch eine Beeinträchtigung im Berufsleben vor, wie der vorliegende Rechtsstreit deutlich macht. Die Beklagte spricht dem Kläger unter Berufung auf das für sie geltende Regelwerk von vornherein die Eignung für den vertraglich geschuldeten Einsatz im Reinraum ab. Dem Kläger als chemisch-technischen Assistenten ist dadurch der Zugang zu einem nicht unerheblichen Teil seines Berufsfeldes verwehrt. Das räumt letztlich auch die Beklagte ein, wenn sie annimmt, der Kläger könne seinen Beruf weiterhin ausüben. Ihm sei lediglich ein Einsatz in der aseptischen Medikamentenherstellung versagt.

77

2. Die SOP der Beklagten entbindet diese - anders als sie meint und unterschwellig auch das Landesarbeitsgericht annimmt - nicht von der Pflicht, im zumutbaren Rahmen angemessene Vorkehrungen zur Beschäftigung des behinderten Klägers im Reinraum zu treffen. Entgegen der Annahme der Beklagten steht bisher nicht fest, dass die HIV-Infektion des Klägers mit diesem Regelwerk nicht im Einklang steht bzw. nicht zumindest damit in Einklang zu bringen ist.

78

a) Allerdings ist nach dem EG-GMP Leitfaden, auf den Ziff. 5 der SOP verweist, ein System der Qualitätssicherung erforderlich, das der Erreichung des Ziels dient, Patienten keiner Gefahr wegen unzureichender Sicherheit, Qualität oder Wirksamkeit auszusetzen (Kapitel 1 Qualitätsmanagement - Grundsätze). Dieses Sicherungssystem soll sicherstellen, dass Herstellungs- und Prüfverfahren klar spezifiziert sind und die Regeln der Guten Herstellungspraxis beinhalten (Ziff. 1.2 Satz 4 Unterabs. ii des EG-GMP Leitfadens). Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens verlangt, dass Vorkehrungen getroffen werden „sollten“, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist. Diese Vorschrift zwingt - anders als die Beklagte annimmt - den Arzneimittelhersteller nicht dazu, HIV-Infizierte ungeachtet der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Produktionsbedingungen und Tätigkeiten des HIV-Infizierten, von einer Tätigkeit im Reinraum auszuschließen. Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens führt die HIV-Infektion nicht als Tatbestand, der eine Tätigkeit im Reinraum absolut und in jedem Fall ausschließt, auf, sondern enthält lediglich eine Generalklausel, die einem HIV-Infizierten den Einsatz im Reinraum abhängig von den Umständen des Einzelfalls verwehrt.

79

aa) Auch wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, dass Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens als Mussvorschrift zu verstehen ist, ist dieser im Rang einer Verordnung stehende Leitfaden unionsrechtskonform, dh. im Hinblick auf § 241 Abs. 2 BGB gesetzeskonform zu interpretieren. Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2003/94/EG der Kommission vom 8. Oktober 2003 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel und für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate (RL 2003/94/EG) dient der EG-GMP Leitfaden der Auslegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis. Art. 7 Abs. 5 RL 2003/94/EG, den Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens auslegt, verlangt nur, dass Hygieneprogramme, die den durchzuführenden Tätigkeiten angepasst sind und insbesondere Vorschriften zur Gesundheit des Personals enthalten, erstellt und befolgt werden. Bei Beachtung dieses Anwendungsbefehls, der ausdrücklich auf die durchzuführende und damit konkrete Tätigkeit abstellt, fordert Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens im hier vorliegenden Zusammenhang nur, dass Vorkehrungen zu treffen sind, die - soweit praktisch möglich - sicherstellen, dass die Beschäftigten nicht an einer ansteckenden Krankheit leiden, deren Ansteckungsgefahr sich auf die konkrete Tätigkeit auswirkt. Nur dann, wenn bezogen auf die konkrete Tätigkeit eine Ansteckungs- bzw. Kontaminationsgefahr besteht, soll also eine Tätigkeit des Erkrankten unterbunden werden.

80

bb) In dieser Auslegung meinen Art. 5 RL 2000/78/EG und Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens bezogen auf den vorliegenden Fall letztlich dasselbe: Der Arbeitgeber muss bei einem Behinderten, der an einer ansteckenden Krankheit leidet, die ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um einerseits dem Behinderten eine (leidensgerechte) Tätigkeit zu ermöglichen, andererseits aber Ansteckungsgefahren für Kollegen oder Dritte, insbesondere die Empfänger der erzeugten Arzneimittel, mit der erforderlichen Sicherheit verhindern zu können.

81

b) Damit wird von der Beklagten nicht verlangt, sehenden Auges ein messbares, ernsthaftes Risiko einzugehen, mit HI-Viren kontaminierte Präparate in den Verkehr zu bringen und sich damit erheblichen, uU die Existenz des Betriebs gefährdenden Schadensersatzrisiken auszusetzen. Deshalb ist auch ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit nicht in Frage gestellt. Dementsprechend räumt der Kläger ausdrücklich ein, dass sein Einsatz im Reinraum ausgeschlossen sein dürfte, wenn eine Übertragungswahrscheinlichkeit bestehe. Bisher ist aber - und das rügt die Revision mit Recht - weder vorgetragen, geschweige denn festgestellt, dass es überhaupt ein messbares Risiko einer Kontamination gibt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz will gerade solchen, aus bloß diffusen Befürchtungen und der Weigerung des Arbeitgebers, die konkreten Risiken zu ermitteln und mögliche Änderungen der Arbeitsabläufe auch nur in Erwägung zu ziehen, resultierenden Benachteiligungen entgegenwirken. Der Arbeitgeber darf sich, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, gerade nicht darauf beschränken, ohne konkrete Prüfung der Umstände und Risiken den „sicheren Weg“ zu wählen.

82

3. Der Umstand, dass es unstreitig und vom Landesarbeitsgericht festgestellt ist, dass keine anderweitige Einsatzmöglichkeit des Klägers außerhalb des Reinraums bestand, entbindet die Beklagte nicht von der Darlegung, inwieweit keine angemessenen Vorkehrungen getroffen werden konnten, die dem Kläger einen Einsatz auf dem vorgesehenen Arbeitsplatz im Reinraum ermöglicht hätten.

83

IV. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Ob die Klage begründet ist, vermag der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat die zur Beurteilung der Wirksamkeit der Wartezeitkündigung erforderlichen Feststellungen nicht getroffen. Dies wird es unter Beachtung nachstehender Erwägungen nachzuholen haben.

84

1. Die Beklagte hat zu ihren Produkten, den Produktionsbedingungen und der Tätigkeit des Klägers im Reinraum bisher nicht hinreichend konkret vorgetragen. Sie beruft sich im Kern darauf, dass ihr ein noch so geringes Risiko nicht zuzumuten sei, ohne vorzutragen, ob überhaupt ein messbares Risiko bestand, dass es durch den Kläger zu einer Verunreinigung der Produkte der Beklagten mit HI-Viren kommt. Es fehlt somit bereits am erforderlichen Ausgangspunkt für die Prüfung, ob und welche angemessene(n) Vorkehrungen ihr zumutbar sind.

85

a) Die Beklagte hat bisher lediglich vorgetragen, sie produziere radioaktive Medikamente für Krebspatienten, die intravenös verabreicht würden. Aus der von ihr vorgelegten Herstellungserlaubnis ergibt sich, dass es sich dabei um Arzneimittel für die Positronen-Emissions-Tomographie mit zwei verschiedenen Wirkstoffen handelt. Die Beklagte hat weiter vorgetragen, ihre Produkte seien nur zehn Stunden wirksam, so dass eine Überprüfung auf eine mikrobielle oder virale Verunreinigung vor der Anwendung unmöglich sei. Sie fertige im Rahmen einer sog. „aseptischen Herstellung“ und müsse deshalb mit sterilen Materialien arbeiten. Die Produktion des Medikaments, von dem sie mehr als 6,5 Millionen Einheiten im Jahr herstelle, erfordere die Arbeit mit angeschliffenen Hohlkanülen, Glasfläschchen und Aluminiumdeckeln, so dass Schnitt- und Stichverletzungen möglich seien, wobei es denkbar sei, dass diese nicht sofort bemerkt würden. Verletzungen der Arbeitnehmer und Verunreinigungen der Medikamente mit Blut seien möglich.

86

b) Zur Tätigkeit des Klägers hat die Beklagte nur vorgetragen, dass er Gefäße, in die das Medikament abgefüllt wird, sowie Produktionskassetten vorzubereiten hatte, die mit sterilen Gläschen mittels Spritzen befüllt und mittels nadelartiger Spikes entlüftet werden.

87

2. Das Landesarbeitsgericht wird vor seiner erneuten Entscheidung der Beklagten Gelegenheit zu geben haben, diesen Vortrag zu substantiieren und insbesondere zur Möglichkeit, angemessene Vorkehrungen hinsichtlich des Einsatzes des Klägers im Reinraum zu treffen, vorzutragen.

88

a) Die Beklagte stellt in ihrem Vortrag bisher ausschließlich auf das Risiko ab, Patienten, denen von ihr produzierte Medikamente injiziert werden, könnten sich mit HI-Viren infizieren. Aus dem bisherigen Vortrag ergibt sich jedoch nicht, welche Maßnahmen die Beklagte trifft, wenn es zu den von ihr angesprochenen blutenden Schnitt- oder Stichverletzungen kommt. Eine aseptische Herstellung erscheint in diesen Fällen - unabhängig davon, ob der betroffene Arbeitnehmer an einer ansteckenden Krankheit, insbesondere HIV, leidet - ausgeschlossen. Die fraglichen Medikamente dürften zu vernichten sein.

89

b) Erforderlich ist konkreter Vortrag dazu, inwieweit bei blutenden Verletzungen - insbesondere bei den von der Beklagten angesprochenen geringfügigen Verletzungen - oder auf andere Weise konkret und messbar das Risiko besteht, dass es zu (nicht entdeckbaren) Kontaminationen der hergestellten Medikamente kommen kann, und zusätzlich das Risiko besteht, dass ein solchermaßen verunreinigtes Medikament zu einer HIV-Infektion von Patienten führen kann, denen das Medikament injiziert wird. Dabei wird auch darzulegen sein, welches Risiko besteht, dass es überhaupt zu den von der Beklagten genannten (schwach) blutenden Verletzungen kommt, ob und wie dieses Risiko - etwa durch das Tragen von Spezialhandschuhen - ausgeschlossen werden kann, ob es bei bestimmten Tätigkeiten im Reinraum höher ist als bei anderen und - falls ja - ob der Kläger mit anderen als solchen besonders risikobehafteten Tätigkeiten im Reinraum beschäftigt werden konnte.

90

3. Nach Maßgabe des ergänzten Vortrags der Beklagten wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen, dh. durch wirksame und praktikable, die Beklagte nicht unverhältnismäßig belastende Maßnahmen, den Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Nur wenn das nicht der Fall war, ist die Kündigung wirksam. Bei dieser Prüfung wird es sich die zum Verständnis des Parteivorbringens erforderliche Sachkunde - ggf. auch über den Sachvortrag hinaus (vgl. BGH 7. Dezember 1994 - VIII ZR 153/93 - zu II 3 c der Gründe) - durch ein im Rahmen des Ermessens nach § 144 ZPO anzuordnendes Sachverständigengutachten verschaffen müssen. Sollte es bei seiner Entscheidung auf die Zumutbarkeit der Kosten der von der Beklagten zu veranlassenden Maßnahmen ankommen, wird es neben der Finanzkraft der Beklagten und der Frage, ob sie öffentliche Mittel in Anspruch hätte nehmen können, zu berücksichtigen haben, dass der Kläger erst kurz bei der Beklagten beschäftigt war und diese für seine Behinderung nicht verantwortlich ist. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verlangt nicht, dass die Einstellung und Beschäftigung eines Behinderten für den Arbeitgeber zum „Zuschussgeschäft“ wird (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 59 f.; zur Berücksichtigungsfähigkeit der Kosten bei der Frage der angemessenen Vorkehrungen allgemein vgl. Däubler/ Bertzbach/Brors AGG 3. Aufl. § 8 Rn. 34). Das gilt insbesondere in der Wartezeit.

91

V. Ob dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht, hängt davon ab, ob die Kündigung wirksam ist.

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    Reiner Koch    

        

    Hoffmann    

                 

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Januar 2012 - 6 Sa 2159/11 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Wartezeitkündigung.

2

Die Beklagte stellte den Kläger mit Arbeitsvertrag vom 1. Dezember 2010 als chemisch-technischen Assistenten ein. Sie produziert Arzneimittel zur Krebsbehandlung, die intravenös verabreicht werden. Der Kläger sollte im sog. Reinraumbereich eingesetzt werden. Das Arbeitsverhältnis war bis zum 5. Dezember 2011 befristet, wobei die ersten sechs Monate als Probezeit galten, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden konnte. Gemäß Ziff. 12 des Arbeitsvertrags galten die betrieblichen Regelungen, dh. die vom Arbeitgeber erlassenen allgemeinen Festlegungen oder Weisungen sowie die mit dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarungen. Der Kläger hat keine Befristungskontrollklage erhoben.

3

Anlässlich seiner Einstellungsuntersuchung am 8. Dezember 2010 teilte der Kläger dem Betriebsarzt mit, er sei HIV-infiziert. Der Kläger ist symptomfrei. Er hat einen GdB von 10. Der Betriebsarzt äußerte in dem für eine Tätigkeit im Reinraum auszufüllenden Formular „Aufnahme von Tätigkeiten im GMP-Bereich“ am 14. Dezember 2010 Bedenken gegen einen Einsatz des Klägers in diesem Bereich. Das Formular ist Teil der „Standard Operating Procedure“ (SOP) der Beklagten, die der Umsetzung des sog. EG-GMP Leitfadens (Leitfaden der Guten Herstellungspraxis) dient. Dabei handelt es sich um Leitlinien der EU-Kommission, die als Anlage 2 zur Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit zu § 2 Nr. 3 der Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und über die Anwendung der Guten fachlichen Praxis bei der Herstellung von Produkten menschlicher Herkunft (Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung - AMWHV) vom 27. Oktober 2006 (BAnz S. 6887) veröffentlicht sind. In Ziff. 2.15 des Leitfadens heißt es:

„Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist.“

4

In einem Gespräch vom 4. Januar 2011, an dem der Kläger, der Betriebsarzt sowie einer der beiden Geschäftsführer der Beklagten teilnahmen, teilte der Betriebsarzt nach Entbindung von seiner ärztlichen Schweigepflicht mit, der Kläger sei HIV-infiziert. Möglichkeiten zur Beschäftigung des Klägers außerhalb des Reinraumbereichs bestanden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 4. Januar 2011 zum 24. Januar 2011.

5

Der Kläger hat geltend gemacht, die angegriffene Kündigung diskriminiere ihn, weil seine HIV-Infektion alleiniger Kündigungsgrund sei. Auch eine symptomlose HIV-Infektion führe zu einer Behinderung. Deswegen stehe ihm auch eine Entschädigung zu. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass seine Infektion eine ansteckende Krankheit iSd. GMP-Leitfadens sei. Unter Berücksichtigung des konkreten Herstellungsprozesses und der konkreten Tätigkeit des Klägers hätte unter keinen Umständen, auch nicht bei Schnitt- oder Nadelstichverletzungen, das HI-Virus auf die von der Beklagten hergestellten Medikamente übertragen werden können. Zum Beweis dafür hat sich der Kläger auf ein Sachverständigengutachten bezogen.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen bis zum Ende der Befristung am 5. Dezember 2011 fortbestanden hat und insbesondere nicht durch die Kündigung vom 4. Januar 2011 beendet worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm eine angemessene Entschädigung in Geld von bis zu drei Bruttomonatsgehältern (6.600,00 Euro) zu zahlen.

7

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass die Kündigung aus Gründen der Arbeitssicherheit unumgänglich gewesen sei. Der Kläger leide an einer ansteckenden Krankheit im Sinne ihrer SOP. Das und nicht seine HIV-Infektion sei der Kündigungsgrund gewesen. Ob der Kläger sich in fachärztlicher Behandlung befinde und engmaschig überwacht werde, könne sie nicht überprüfen. Zudem könne der Kläger jederzeit die sichere Behandlung abbrechen, ohne sie informieren zu müssen. Ihre Endabnehmer seien schwerkranke Patienten, so dass sie eine Abwägung zugunsten der Interessen dieser Patienten getroffen habe. Es könne von ihr nicht verlangt werden, sich dem Risiko von Schadensersatzansprüchen, eines drohenden Lizenzverlustes und der Verhängung von Ordnungswidrigkeitsstrafen auszusetzen, um an einem objektiv nicht geeigneten Arbeitnehmer festhalten zu können. Setze sie einen HIV-Positiven in der Medikamentenproduktion ein, komme es zu einer nicht hinnehmbaren Rufschädigung.

8

Die Vorinstanzen haben - soweit für die Revision von Interesse - die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

A. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt die Revision den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO(vgl. zu diesen Anforderungen BAG 19. April 2012 - 6 AZR 677/10 - Rn. 11). Sie setzt sich mit beiden das angegriffene Urteil selbstständig tragenden Begründungen ausreichend auseinander.

10

I. Der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht dahinstehen lassen, ob er behindert sei. Bereits diese Rüge, mit der der Kläger sinngemäß geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe sich mit seiner Begründung den Blick auf den richtigen Prüfungsmaßstab verstellt, stellt das angefochtene Urteil ausreichend in Frage, soweit das Landesarbeitsgericht die Kündigung als wirksam angesehen hat. Ob diese Auffassung materiell-rechtlich zutrifft, ist für die Zulässigkeit der Revision unerheblich.

11

II. Die Revision ist auch zulässig, soweit der Kläger seinen Antrag auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG weiter verfolgt. Die Begründetheit dieses Anspruchs hängt im Ausgangspunkt denknotwendig davon ab, dass ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfolgt ist. § 15 Abs. 2 AGG ist eine Rechtsfolgenbestimmung(Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 49). Das Landesarbeitsgericht hat sich mit dem Anspruch auf Entschädigung nicht gesondert befasst, sondern nur angenommen, die Beklagte sei nicht zur Entschädigung verpflichtet, weil die Kündigung den Kläger nicht diskriminiere. Vom Rechtsmittelführer kann nicht mehr an Begründung verlangt werden als vom Gericht seinerseits aufgewendet (BAG 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 11, BAGE 126, 237). Für die Zulässigkeit der Revision genügt deshalb insoweit bereits die ausreichende Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Wirksamkeit der Kündigung (vgl. BAG 18. November 2010 - 6 AZR 273/10 - Rn. 34).

12

B. Der Senat hat das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG) e.V., Berlin, als Beistand des Klägers nach § 23 AGG zugelassen. Der Satzungszweck, das diskriminierungsfreie Zusammenleben ua. durch die kostenlose Unterstützung und Beratung bei Diskriminierungen insbesondere in Gerichtsverfahren zur Durchsetzung des Rechtsschutzes Betroffener zu fördern, genügt der Legaldefinition in § 23 Abs. 1 Satz 1 AGG. Das BUG hat nachgewiesen, dass es die nach § 23 Abs. 1 Satz 2 AGG erforderliche Mindestanzahl an Mitgliedern hat.

13

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, der Kläger werde nicht wegen einer Behinderung benachteiligt. Die für seine Hilfsbegründung, jedenfalls seien die Voraussetzungen des § 8 AGG erfüllt, erforderlichen Tatsachen hat es nicht festgestellt. Dabei hat es insbesondere nicht geprüft, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen einen Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Damit trägt auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht, die Kündigung sei nicht nach § 242 BGB unwirksam. Das Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig. Der Senat kann nicht selbst feststellen, ob die Kündigung gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam ist, weil der Kläger wegen seiner Behinderung diskriminiert worden ist. Dazu bedarf es noch weiterer Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Der Rechtsstreit war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

I. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen.

15

1. Welche Bedeutung der Vorschrift des § 2 Abs. 4 AGG zukommt, nach der „für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ gelten, ist umstritten.

16

a) Für Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, ist diese Frage durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 2008 (- 2 AZR 523/07 - Rn. 34 ff., BAGE 128, 238) geklärt. Bei der Prüfung der Wirksamkeit solcher Kündigungen sind die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und die darin vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit zu beachten (vgl. auch BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 295/12 - Rn. 36; 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 24; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 15).

17

b) Nach wie vor kontrovers wird jedoch beurteilt, wie § 2 Abs. 4 AGG im Hinblick auf Kündigungen, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, zu verstehen ist. Einigkeit besteht insoweit nur dahin, dass die Antidiskriminierungsrichtlinien, namentlich die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG), auch einen Schutz vor diskriminierenden Kündigungen gebieten (vgl. EuGH 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 37, Slg. 2006, I-6467) und dass dieser Schutz auch Arbeitnehmer außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes erfasst.

18

aa) Die Frage ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt. Die Entscheidungen des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 2008 (- 2 AZR 523/07 - Rn. 34, BAGE 128, 238) sowie des Achten Senats vom 22. Oktober 2009 (- 8 AZR 642/08 -) beziehen sich nur auf Kündigungen im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes. Soweit das Bundesarbeitsgericht vor Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes diskriminierende Kündigungen am Maßstab des § 242 BGB gemessen hat(vgl. BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 426/02 - für eine auf kulturelle und religiöse Gründe gestützte Arbeitsverweigerung eines Arbeitnehmers, der einer Sinti-Familie angehörte; 23. Juni 1994 - 2 AZR 617/93 - BAGE 77, 128 für eine auf Homosexualität gestützte Kündigung), ist diese Rechtsprechung durch die geänderte Rechtslage überholt.

19

bb) Die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum nimmt an, die Benachteiligungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sowie die Beweislastverteilung nach § 22 AGG müssten bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln(§§ 138, 242 BGB) unwirksam sei, berücksichtigt werden (KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 17, 19; KR/Griebeling § 1 KSchG Rn. 26a; ErfK/Schlachter 14. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; vHH/L/Krause 15. Aufl. § 1 Rn. 238, 242; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 230; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 62; v. Roetteken AGG Stand März 2011 § 2 Rn. 69; Blessing Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes S. 147). Ein Teil des Schrifttums vertritt dabei die Auffassung, die Bestimmungen der Antidiskriminierungsrichtlinien seien bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln unwirksam sei, unmittelbar zu berücksichtigen, die unionsrechtlich geforderte Beweislastverteilung müsse durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 138 Abs. 2 ZPO gewährleistet werden(APS/Preis 4. Aufl. Grundlagen J Rn. 71f, 71g; ähnlich Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz 2. Aufl. Rn. 112 ff.).

20

cc) Ein anderer Teil des Schrifttums hält § 2 Abs. 4 AGG für unvereinbar mit Unionsrecht. Eine unionsrechtskonforme Auslegung sei wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht möglich, widerspreche aber jedenfalls dem unionsrechtlichen Transparenzgebot (dazu EuGH 10. Mai 2001 - C-144/99 - [Kom-mission/Niederlande] Rn. 17, Slg. 2001, I-3541). § 2 Abs. 4 AGG sei deshalb nicht anwendbar, stattdessen fänden die Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unmittelbare Anwendung(Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 256 ff., 263 mwN).

21

dd) Teils wird - mit unterschiedlichen Ansätzen - angenommen, § 2 Abs. 4 AGG erfasse Kündigungen während der Wartezeit und im Kleinbetrieb nicht(HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 147 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 8. Aufl. AGG Rn. 63; Stein in Wendeling-Schröder AGG § 2 Rn. 48; wohl auch Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 28).

22

2. Zutreffend ist die letztgenannte Auffassung. § 2 Abs. 4 AGG regelt für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen. Die zivilrechtlichen Generalklauseln werden dagegen von § 2 Abs. 4 AGG nicht erfasst. Der Diskriminierungsschutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geht insoweit diesen Klauseln vor und verdrängt diese. Ordentliche Kündigungen während der Wartezeit und in Kleinbetrieben sind deshalb unmittelbar am Maßstab des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu messen. Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte und dem Zweck des § 2 Abs. 4 AGG. Der Wortlaut der Bestimmung steht dem nicht entgegen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz regelt allerdings nicht selbst, welche Rechtsfolge eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unzulässige Benachteiligung hat. Diese Rechtsfolge ergibt sich erst aus § 134 BGB(vgl. Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 25; Düwell jurisPR-ArbR 47/2006 Anm. 6).

23

a) Der Gesetzgeber wollte mit § 2 Abs. 4 AGG für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen, zu denen die zivilrechtlichen Generalklauseln in §§ 138, 242 BGB nicht gehören, regeln. Das folgt aus der Gesetzgebungsgeschichte.

24

aa) § 2 Abs. 4 AGG ist erst während des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt worden. In der vom Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagenen Fassung sollte die Bestimmung wie folgt gefasst werden:

„Für Kündigungen gelten vorrangig die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes.“

25

Damit sollte klargestellt werden, dass die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes unberührt blieben. Der Praxis sollte verdeutlicht werden, dass Rechtsstreite bei Kündigungen auch in Zukunft vorwiegend nach dem Kündigungsschutzgesetz zu entscheiden seien (BT-Drucks. 15/5717 S. 5, 36).

26

bb) Wortlaut und Begründung des § 2 Abs. 4 AGG-E griff die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vom 8. Juni 2006 auf (BT-Drucks. 16/1780 S. 32). Die Empfehlung des Bundesrats zu diesem Entwurf vom 6. Juni 2006 sah vor, § 2 Abs. 4 AGG wie folgt zu fassen(BR-Drucks. 329/1/06 S. 1):

„Liegt die Benachteiligung in einer Kündigung, finden im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ausschließlich dessen Bestimmungen Anwendung. …“

27

Mit dieser Regelung sollte das Verhältnis beider Gesetze (dh. von AGG und KSchG) präzisiert werden. Das mit dieser Vorschrift verbundene Anliegen - Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes - komme in der bisherigen Fassung nicht hinreichend klar zum Ausdruck (BR-Drucks. 329/1/06 S. 2).

28

cc) Der Rechtsausschuss schlug in seiner Beschlussempfehlung vom 28. Juni 2006 die Gesetz gewordene Fassung vor. In seiner Begründung (BT-Drucks. 16/2022 S. 12) griff er ausdrücklich das Anliegen des Bundesrats auf. Das Verhältnis „beider Gesetze“ (von AGG und KSchG) solle präzisiert werden. Es erscheine sachgerechter, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz Anwendung fänden, weil „diese Regelungen speziell auf Kündigungen zugeschnitten“ seien. Die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes fänden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch sowie im ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes. Bestimmungen zum besonderen Kündigungsschutz enthielten der Zweite Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes und zB § 9 Abs. 3 MuSchG und §§ 18 f. BEEG.

29

b) Aus dieser Entstehungsgeschichte folgt zugleich der Zweck des § 2 Abs. 4 AGG.

30

aa) Mit dem Bezug auf die „Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ wollte der Gesetzgeber nicht regeln, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz für sämtliche Kündigungen nicht gelten sollte. Es sollte lediglich das Verhältnis von Kündigungsschutzgesetz und Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz „präzisiert“ und das Anliegen des Bundesrats, den Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes klarzustellen, aufgegriffen werden. Außerdem sollte den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Regelungen Anwendungsvorrang zukommen. Die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sollten in diese Bestimmungen eingepasst werden und Kohärenz zwischen dem Antidiskriminierungsrecht des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf der einen und den von § 2 Abs. 4 AGG erfassten Kündigungsschutzbestimmungen auf der anderen Seite hergestellt werden(vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 37, 39 f., BAGE 128, 238). Neben das Kündigungsschutzgesetz und die speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Vorschriften des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes sollte kein „zweites“, durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vermitteltes Kündigungsschutzrecht treten. Eine Sperrwirkung für Kündigungen, für die wie die hier streitbefangene Wartezeitkündigung das Kündigungsschutzgesetz (noch) nicht gilt und für die weder spezielle Kündigungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches wie § 626 und § 613a Abs. 4 BGB noch besondere Kündigungsschutzbestimmungen in Betracht kommen, war nicht bezweckt(vgl. HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 148 f.). Bedeutung kommt § 2 Abs. 4 AGG für solche Kündigungen nur insofern zu, als es zB bei der Anwendbarkeit der Klagefrist des § 4 KSchG und der Rechtsfolgen des § 7 KSchG im Fall ihrer Versäumung bleibt(Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 2 Rn. 38; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 240).

31

bb) Bei ordentlichen Kündigungen, auf die das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet und bei denen der Arbeitnehmer geltend macht, die Kündigung diskriminiere ihn, besteht kein nach diesem Gesetzeszweck zu vermeidender Konflikt zwischen zwei ausdifferenzierten Kündigungsschutzsystemen. Das Kündigungsschutzgesetz verlangt Gründe, die die Kündigung rechtfertigen (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 56 sprechen von einer „Positivliste“). Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geht dagegen davon aus, dass Kündigungen grundsätzlich zulässig sind, es sei denn, es liegt eine Diskriminierung vor (Bauer/Göpfert/Krieger aaO sprechen hier von einer „Negativliste“). Für ordentliche Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes, auf die keine speziellen Kündigungsverbote Anwendung finden, gilt von vornherein nur eine „Negativliste“: Diese Kündigungen sind grundsätzlich wirksam. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise und nur dann, wenn sie diskriminierend, treu- oder sittenwidrig sind oder gegen höherrangiges Recht verstoßen. Es tritt also nicht neben einen - gänzlich anders strukturierten - Kündigungsschutz ein zweites Schutzsystem mit anderen Parametern, sondern es bleibt bei der „Negativliste“, die um weitere Punkte und vor allem eine abweichende Beweislastverteilung ergänzt wird. Eine „Verzahnung“ des Kündigungsschutzrechts und des Antidiskriminierungsrechts ist in derartigen Konstellationen nicht erforderlich und wird darum auch nicht durchbrochen (aA KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 18).

32

c) Der Wortlaut des § 2 Abs. 4 AGG steht diesem aus der Entstehungsgeschichte und dem Gesetzeszweck hergeleiteten Auslegungsergebnis nicht entgegen. Zwar ordnet § 2 Abs. 4 AGG unterschiedslos für alle „Kündigungen“ an, dass für sie ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Die Anwendung der Norm ist jedoch hinsichtlich des materiellen Kündigungsschutzes im Wege der teleologischen Reduktion auf Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz, speziell auf Kündigungen zugeschnittene Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches oder besondere Kündigungsschutzbestimmungen gelten, zu beschränken. Nur so wird die nach dem Wortlaut zu weit gefasste Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG ihrem Zweck gerecht. Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben gelten grundsätzlich keine Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ iSd. § 2 Abs. 4 AGG.

33

aa) Die teleologische Reduktion von Vorschriften auch gegen deren Wortlaut gehört zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG 30. März 1993 - 1 BvR 1045/89 ua. - zu C II 2 der Gründe, BVerfGE 88, 145). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass andere Indizien deutlich belegen, dass der Sinn der Norm im Text nur unzureichend Ausdruck gefunden hat (BVerfG 27. Januar 1998 - 1 BvL 22/93 - [Kleinbetriebsklausel II] zu B I 5 der Gründe, BVerfGE 97, 186) und die weiteren Auslegungsmethoden die wahre Bedeutung der Norm freilegen (vgl. BVerfG 19. Juni 1973 - 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72 - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 35, 263). Diese Befugnis des Richters beruht darauf, dass die Auslegung gerade der Ermittlung des im Gesetz objektivierten Willens des Gesetzgebers dient (vgl. BVerfG 4. Juni 2012 - 2 BvL 9/08 ua. - [Dienstbeschädigungsausgleich] Rn. 99, BVerfGE 131, 88).

34

bb) Unter „allgemeinem Kündigungsschutz“ wird - entsprechend der Überschrift des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes - im fachbezogenen Sprachgebrauch der Kündigungsschutz nach diesem Abschnitt verstanden (vgl. BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - Rn. 49, BAGE 128, 73; 8. Juli 1998 - 7 AZR 245/97 - zu II 1 der Gründe, BAGE 89, 216; HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 147). Zwar hat der Gesetzgeber in seiner Begründung zu der Gesetz gewordenen Fassung weiter gehend angenommen, die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes fänden sich auch „im Bürgerlichen Gesetzbuch“ (BT-Drucks. 16/2022 S. 12). Er hat aber zugleich zum Ausdruck gebracht, dass er mit den Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ nur solche Bestimmungen meint, die speziell auf Kündigungen zugeschnitten sind. Das sind im Bürgerlichen Gesetzbuch vor allem §§ 613a, 622 und 626 BGB. Die für den Kündigungsschutz im Kleinbetrieb und in der Wartezeit maßgeblichen zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB sind dagegen - wie schon ihre Bezeichnung zeigt - gerade nicht speziell auf Kündigungen zugeschnitten, sondern Auffangtatbestände, die zudem erst unter Berücksichtigung verfassungs- oder unionsrechtlicher Vorgaben(vgl. dazu BAG 24. Januar 2008 - 6 AZR 96/07 - Rn. 27) ihren Bedeutungsgehalt für Kündigungen gewinnen. Deshalb sind nach dem Verständnis des Gesetzgebers die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB keine „Bestimmungen zum allgemeinen Kündigungsschutz“ iSd. § 2 Abs. 4 AGG(Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 8. Aufl. AGG Rn. 63; HaKo/Mayer aaO).

35

cc) Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben, für die keine speziell auf Kündigungen zugeschnittene Bestimmungen gelten, war nach dem Verständnis des Gesetzgebers gerade keine Regelung dazu erforderlich, in welchem Verhältnis das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die auf solche Kündigungen Anwendung findenden Generalklauseln stehen sollten. Soweit § 2 Abs. 4 AGG gleichwohl seinem Wortlaut nach auch solche Kündigungen erfasst, entspricht dies nicht dem Zweck, den der Gesetzgeber mit dieser Norm verfolgte.

36

d) Diese Auslegung führt nicht dazu, dass Kündigungen außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes insbesondere wegen der möglichen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG stärker sanktioniert würden als Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz gilt(so aber KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; Bauer/Thüsing/Schunder NZA 2006, 774, 777). Auch bei Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, scheidet eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht von vornherein aus.

37

aa) Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte diese Frage zunächst offengelassen (BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 20; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 16; 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 33, BAGE 128, 238; zum Streitstand Wenckebach AuR 2010, 499, 501). Er hatte jedoch schon darauf hingewiesen, dass eine Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG neben der Sanktionsfolge der Unwirksamkeit nicht systemwidrig erscheine. Auch Entschädigungen für immaterielle Schäden infolge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit der Erklärung einer unwirksamen Kündigung seien nicht ausgeschlossen (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 16 unter Hinweis auf BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 -). Er hatte weiter angenommen, es sei vom Vorliegen eines immateriellen Schadens iSd. § 15 Abs. 2 AGG auszugehen, wenn ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot feststehe(BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 74, BAGE 129, 181). Mit Urteil vom 12. Dezember 2013 hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts nun einer schwangeren Arbeitnehmerin, der unter Verstoß gegen das Mutterschutzgesetz gekündigt worden war, wegen Geschlechtsdiskriminierung einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zuerkannt(- 8 AZR 838/12 - Pressemitteilung Nr. 77/13).

38

bb) Nach der Wertung des Gesetzgebers stellen Benachteiligungen wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar(KR/Treber 10. Aufl. § 15 AGG Rn. 27 mwN; vgl. auch BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Die Sanktion des § 15 Abs. 2 AGG soll im Kern gerade vor solchen Persönlichkeitsrechtsverletzungen schützen(vgl. Stahlhacke/Preis 10. Aufl. Rn. 190; Blessing Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes S. 173). Die im diskriminierenden Verhalten liegende Persönlichkeitsrechtsverletzung soll als solche unabhängig von der Frage sanktioniert werden, ob nach einer unwirksamen Kündigung das Arbeitsverhältnis fortbesteht (vgl. Blessing aaO S. 193). Ausgehend davon kann allenfalls angenommen werden, die Unwirksamkeit der Kündigung sei eine Naturalrestitution iSd. § 15 Abs. 1 AGG. Die Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG kann dagegen nicht mit der Begründung abgelehnt werden, diese Rechtsfolge sei eine hinreichende Sanktion iSd. Antidiskriminierungsrichtlinien (vgl. Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 54; Wenckebach AuR 2010, 499, 502). Die Unwirksamkeit der Kündigung kann die bei einer Diskriminierung nach der Vorstellung des Gesetzgebers in der Regel vorliegende Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht kompensieren. Dies gilt insbesondere in dem in der Praxis häufig vorkommenden Fall, dass der Arbeitnehmer auch nach einem erfolgreichen Kündigungsschutzprozess nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt.

39

cc) Darüber hinaus kommt bei unwirksamen Abmahnungen oder Versetzungen, die kündigungsrechtlich gesehen mildere Maßnahmen im Vergleich zu einer Kündigung darstellen, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG ohne Weiteres in Betracht(vgl. für die Versetzung BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - BAGE 129, 181), obwohl auch diese Maßnahmen bei Diskriminierungen iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unwirksam sind und Abmahnungen zusätzlich noch aus der Personalakte zu entfernen sind. Dann muss erst recht bei diskriminierenden Kündigungen, die typischerweise tiefer in das Persönlichkeitsrecht eingreifen, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG möglich sein(Wenckebach AuR 2010, 499, 502; Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 262a).

40

dd) § 2 Abs. 4 AGG steht einem solchen Verständnis des § 15 Abs. 2 AGG nicht entgegen. Damit wird nur der Weg beschrieben, auf dem die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in das Kündigungsschutzrecht einzupassen sind. Die Frage, wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu sanktionieren sind, ist nicht berührt (vgl. Wenckebach AuR 2010, 499, 502).

41

e) Die Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes führt - insbesondere wegen der Beweislastregel des § 22 AGG(vgl. KR/Treber 10. Aufl. § 22 AGG Rn. 6; Däubler/Bertzbach/Bertzbach AGG 3. Aufl. § 22 Rn. 48 mwN) - in Fällen, in denen das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, dazu, dass die Rechtsstellung von Arbeitnehmern bei potentiell diskriminierenden Kündigungen gegenüber der von Arbeitnehmern, bei denen keine Diskriminierung in Betracht kommt, verbessert wird. Dies ist jedoch nur die Konsequenz der Überlagerung des nationalen Kündigungsschutzrechts durch das Antidiskriminierungsrecht der Europäischen Union.

42

II. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, ob der Kläger behindert iSd. § 1 AGG ist, sondern hat dies ausdrücklich offengelassen. Beide Begründungen, mit denen es die Kündigung unabhängig von der Frage der Behinderung des Klägers als wirksam angesehen hat, tragen nicht. Es ist deshalb von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob die symptomlose HIV-Infektion des Klägers eine Behinderung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes darstellt.

43

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe den Kläger durch die streitbefangene Kündigung nicht wegen einer etwaigen Behinderung benachteiligt. Mit dieser Begründung durfte es eine Behinderung nicht dahinstehen lassen.

44

a) Die Kündigungserklärung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die der Kündigungsentscheidung zugrunde liegenden Überlegungen können Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Dieser Zusammenhang kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben (BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 34). Dabei bedarf es allerdings keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht. Es reicht aus, wenn eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 28). Dies ist hier unstreitig der Fall, weil die Beklagte die HIV-Infektion als Ausschlussmerkmal für einen Einsatz im Reinraum ansieht. Auch unberechtigte Stereotypisierungen können zu (unabsichtlichen) Diskriminierungen führen (vgl. Schiek/Schiek AGG § 3 Rn. 16; Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 3 Rn. 13). Darauf, ob die Beklagte glaubte, das für sie geltende Regelwerk gebiete die Kündigung, kommt es deshalb entgegen der von ihr vertretenen Auffassung nicht an.

45

b) Die Beklagte macht geltend, sie habe dem Kläger allein deshalb gekündigt, weil er an einer ansteckenden Krankheit im Sinne ihrer SOP leide und deshalb die Anforderungen an eine Beschäftigung im Reinraum nicht erfülle, nicht aber, weil er HIV-infiziert sei. Sie hätte genauso gehandelt, wenn der Kläger an Hepatitis B oder C bzw. einer chronischen Hauterkrankung an den Armen, Unterarmen, Händen oder im Gesicht gelitten hätte. Das Landesarbeitsgericht ist dem unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 2011 (- 8 AZR 515/10 - Rn. 34) gefolgt. Das ist rechtsfehlerhaft. Die vom Landesarbeitsgericht angeführte Entscheidung betrifft andere Fallkonstellationen als die vorliegende.

46

aa) Wäre der Kläger wegen seiner symptomlosen HIV-Infektion behindert, stellte die streitbefangene Kündigung eine unmittelbare Ungleichbehandlung iSd. § 3 Abs. 1 AGG in Form einer sog. verdeckten unmittelbaren Ungleichbehandlung dar. Eine solche Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn nach einem scheinbar objektiven, nicht diskriminierenden Kriterium (ansteckende Krankheit) unterschieden wird, das jedoch in untrennbarem Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Grund(Behinderung) steht und damit kategorial ausschließlich Träger eines Diskriminierungsmerkmals trifft (vgl. BAG 7. Juni 2011 - 1 AZR 34/10 - Rn. 23, BAGE 138, 107; vgl. EuGH 12. Oktober 2010 - C-499/08 - [Andersen] Rn. 23, Slg. 2010, I-9343; vgl. zu der für die Schwangerschaft klarstellenden Normierung dieser Rechtsfigur in § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG BAG 27. Januar 2011 - 6 AZR 526/09 - Rn. 20 f., BAGE 137, 80). Das ist hier der Fall. Kündigungsgrund ist die Unfähigkeit des Klägers, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Diese nach Auffassung der Beklagten bestehende Unfähigkeit ergab sich allein aus der HIV-Infektion des Klägers. Nach ihrer SOP ist die HIV-Infektion ebenso wie chronische Hauterkrankungen im Bereich der Arme, Unterarme, Hände und Gesicht oder eine chronisch verlaufende Hepatitis B und C ein Ausschlusskriterium für die Tätigkeit im Reinraum (vgl. S. 2 der Beauftragung des Betriebsarztes zur Durchführung von GMP-Untersuchungen vom 1. April 2010). Weitere absolute Ausschlussgründe sieht die SOP nicht vor. Ansteckende Erkrankungen wie Husten und Schnupfen, wiederholtes Erbrechen, Durchfall oder offene Ekzeme sind nach der SOP nur anzeigepflichtig und ziehen, wie die Beklagte selbst vorträgt, nur den vorübergehenden Ausschluss von der Tätigkeit im Reinraum nach sich. Führte bei chronischen Erkrankungen der Ausschluss von bestimmten Teilen des Berufsfelds dazu, dass eine Behinderung iSd. § 1 AGG vorliegt, wäre dies in allen drei in der SOP der Beklagten aufgeführten Fällen anzunehmen. Eine Kündigung, die wegen einer der in der SOP angeführten ansteckenden Krankheiten, die zum dauerhaften Ausschluss von der Tätigkeit im Reinraum führen, erklärt wird, wäre dann in allen drei Fällen wegen eines Merkmals iSd. § 1 AGG erfolgt. Insoweit gilt nichts anderes, als wenn ein Arbeitgeber einer befristet eingestellten Frau kündigt, die wegen ihrer Schwangerschaft während der gesamten Dauer der Befristung einem gesetzlichen Beschäftigungsverbot unterliegt (vgl. EuGH 4. Oktober 2001 - C-109/00 - [Tele Danmark] Rn. 20, 31, Slg. 2001, I-6993), oder wenn er einem Rollstuhlfahrer kündigt, weil die geschuldete Arbeit von einem Rollstuhlfahrer nicht verrichtet werden könne, denn nur Behinderte sind dauerhaft an den Rollstuhl gebunden (vgl. Kamanabrou RdA 2006, 321, 324). In all diesen Fällen beruht die Unfähigkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erfüllen, letztlich auf einem Diskriminierungsmerkmal.

47

bb) Daraus folgt zugleich, dass die Annahme des Landesarbeitsgerichts und der Beklagten, die Kündigung beruhe letztlich auf der aus dem Regelwerk der Beklagten folgenden, auf einer ansteckenden Krankheit beruhenden fehlenden Einsetzbarkeit des Klägers und benachteilige diesen deshalb jedenfalls nicht wegen einer etwaigen Behinderung, nicht trägt. Ob tatsächlich der Einsatz des Klägers im Reinraum dauerhaft unmöglich und deshalb die Kündigung wirksam war, ist eine Frage, die ausschließlich auf der Ebene der Rechtfertigung unter Berücksichtigung der Möglichkeit, angemessene Vorkehrungen zu treffen, zu entscheiden ist, nicht aber bereits die Annahme einer Benachteiligung wegen der Behinderung von vornherein ausschließt.

48

cc) Der Kläger würde gegenüber Personen in einer vergleichbaren Situation benachteiligt (zu diesem Erfordernis BAG 7. Juni 2011 - 1 AZR 34/10 - Rn. 29, BAGE 138, 107). Die Feststellung der Vergleichbarkeit der Situation erfordert, dass es außer der anderen Ausprägung des Diskriminierungsmerkmals keine wesentlichen Unterschiede zwischen der benachteiligten und der Vergleichsperson gibt (Schiek/Schiek AGG § 3 Rn. 11). Einem nicht behinderten chemisch-technischen Assistenten in einer sonst mit der Situation des Klägers vergleichbaren Lage wäre nicht gekündigt worden (vgl. in diesem Sinne auch EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 77). Darin liegt der Unterschied zu der vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 2011 (- 8 AZR 515/10 -). Das Argument der Beklagten, auch einem an einer chronisch verlaufenden Hepatitis B bzw. C oder an einer chronischen Hauterkrankung an den Armen, Unterarmen, Händen oder im Gesicht leidenden Arbeitnehmer hätte sie gekündigt, trägt nicht. Auch diese Arbeitnehmer wären, wie unter Rn. 46 ausgeführt, behindert.

49

2. Die Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts, das Fehlen einer HIV-Infektion stelle eine berufliche Anforderung iSd. § 8 Abs. 1 AGG dar, greift zu kurz.

50

a) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass sich der Arbeitgeber, der eine Kündigung darauf stützt, dass er den Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung nicht einsetzen könne, nur dann auf den Rechtfertigungsgrund des § 8 Abs. 1 AGG berufen kann, wenn auch angemessene Vorkehrungen iSd. Art. 5 RL 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - UN-Behin-dertenrechtskonvention (UN-BRK) - nicht zu einer Einsatzmöglichkeit führen. Unterlässt der Arbeitgeber die danach gebotenen Vorkehrungen und kann er den Arbeitnehmer deshalb nicht einsetzen, ist dieser Umstand regelmäßig nicht auf die Behinderung des Arbeitnehmers, sondern auf die Untätigkeit des Arbeitgebers zurückzuführen. Die Kündigung ist dann nicht gerechtfertigt (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 66, 68; 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 52, Slg. 2006, I-6467).

51

aa) Der Kläger ist mit einem GdB von 10 allenfalls „einfach“ Behinderter. Für diesen Personenkreis ist Art. 5 RL 2000/78/EG, demzufolge der Arbeitgeber angemessene Vorkehrungen zu ergreifen hat, um Behinderten ua. die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen, sofern diese Maßnahmen ihn nicht unverhältnismäßig belasten, nicht in nationales Recht umgesetzt worden (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - Rn. 34 ff.). Eine vergleichbare Verpflichtung sieht Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i UN-BRK vor, wonach die Vertragsstaaten sicherstellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen (reasonable accommadation) für Menschen mit Behinderungen getroffen werden. Was unter „angemessenen Vorkehrungen“ iSd. UN-BRK zu verstehen ist, ist in Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK festgelegt.

52

bb) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinen Entscheidungen vom 4. Juli 2013 (- C-312/11 - [Kommission/Italien]) und vom 11. April 2013 (- C-335/11 ua. - [Ring]) ausgeführt, dass und wie Art. 5 RL 2000/78/EG nach der Genehmigung der UN-BRK durch den Rat im Namen der Europäischen Gemeinschaft(Beschluss 2010/48/EG vom 26. November 2009 ABl. EU L 23 vom 27. Januar 2010 S. 35) unter Beachtung und in Übereinstimmung mit der UN-BRK auszulegen ist. Der Begriff „angemessene Vorkehrungen“ ist weit zu verstehen und umfasst die Beseitigung der verschiedenen Barrieren, die die volle und wirksame, gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben behindern. Gemeint sind nicht nur materielle, sondern auch organisatorische Maßnahmen, wobei die Aufzählung der möglichen Vorkehrungen im 20. Erwägungsgrund der RL 2000/78/EG nicht abschließend ist (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 53 bis 56). Ob solche Vorkehrungen den jeweiligen Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten, haben die nationalen Gerichte festzustellen, wobei sie insbesondere den damit verbundenen finanziellen und sonstigen Aufwand unter Berücksichtigung der Größe und der Finanzkraft des Arbeitgebers sowie der Möglichkeit, öffentliche Mittel oder andere Unterstützungen in Anspruch zu nehmen, in die Abwägung einzubeziehen haben (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 59 f.). Die Mitgliedstaaten müssen aufgrund von Art. 5 RL 2000/78/EG iVm. Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK die Arbeitgeber verpflichten, die im konkreten Einzelfall jeweils erforderlichen angemessenen Vorkehrungen zu ergreifen. Das bloße Schaffen von Anreiz- und Hilfsmaßnahmen genügt nicht (EuGH 4. Juli 2013 - C-312/11 - [Kommission/Italien] Rn. 60 ff. der franz. Fassung; Beyer/Wocken DB 2013, 2270).

53

cc) Die Bestimmungen der UN-BRK sind integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 28 ff.). Dadurch sind sie zugleich Bestandteil des - ggf. unionsrechtskonform auszulegenden - deutschen Rechts. Im Hinblick auf die durch den Gerichtshof der Europäischen Union unter Beachtung der UN-BRK vorgenommene Auslegung des Art. 5 RL 2000/78/EG ist Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK weder unmittelbar anzuwenden (aA v. Roetteken jurisPR-ArbR 33/2013 Anm. 1 unter D; zur unmittelbaren Anwendung von Völkerrecht vgl. Schmahl JuS 2013, 961, 965; Aichele AnwBl. 2011, 727, 728) noch sind §§ 7 und 8 AGG völkerrechtskonform auszulegen. Die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen ergibt sich vielmehr bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 241 Abs. 2 BGB aus dieser Bestimmung(vgl. zu dieser Vorschrift BAG 13. August 2009 - 6 AZR 330/08 - BAGE 131, 325; 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - BAGE 134, 296; vgl. auch Beyer/Wocken DB 2013, 2270, 2272).

54

b) Eine Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers wegen fehlender Einsatzmöglichkeiten ist demnach nur wirksam, wenn der Arbeitgeber nicht imstande ist, das infolge der Behinderung vorliegende Beschäftigungshindernis durch angemessene Vorkehrungen zu beseitigen (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 57; Däubler/Bertzbach/Brors AGG 3. Aufl. § 8 Rn. 33; KR/Treber 10. Aufl. § 8 AGG Rn. 29; Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 30). Dies hat der Arbeitgeber darzulegen (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 43; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 45; 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 33 f.; Stiebert/Pötters aaO; Däubler/Bertzbach/Brors aaO Rn. 33 f.). Beurteilungsgrundlage für die Rechtfertigungsprüfung ist dabei nicht der ursprüngliche (ausgeschriebene) Arbeitsplatz, sondern der mit verhältnismäßigem Aufwand geänderte Arbeitsplatz. Anderenfalls könnte - wie die Argumentation der Beklagten und des Landesarbeitsgerichts eindrücklich belegen - der Arbeitgeber stets berufsbezogen argumentieren und behinderte Arbeitnehmer berechtigt von der Teilhabe am Berufsleben ausschließen (vgl. Däubler/Bertzbach/Brors aaO Rn. 33; KR/Treber aaO). Genau das will Art. 5 RL 2000/78/EG verhindern, dessen Befolgung im nationalen Recht § 241 Abs. 2 BGB sicherstellt. Kann der Arbeitsplatz mit zumutbaren Anstrengungen angepasst werden, ist der Arbeitnehmer für die geschuldete Tätigkeit geeignet. Auf eine Rechtfertigung nach § 8 AGG kommt es dann grundsätzlich nicht mehr an. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer zwar auf dem zumutbar angepassten Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, aber trotzdem wegen der Behinderung schlechter gestellt wird, zB weil er nicht im Schichtbetrieb eingesetzt wird und deshalb eine Schichtzulage nicht erhält, kann noch eine Rechtfertigung dieser gleichwohl erfolgenden Benachteiligung nach § 8 Abs. 1 AGG in Betracht kommen. Erst in einem solchen Fall muss der Arbeitgeber darlegen, dass und warum gerade im Hinblick auf den angepassten Arbeitsplatz ein berufsbezogener weiterer Grund eine Benachteiligung des Behinderten rechtfertigt (ähnlich Däubler/Bertzbach/Brors aaO).

55

III. Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht im Ergebnis als richtig dar (§ 561 ZPO).

56

1. Die symptomlose HIV-Infektion des Klägers hat eine Behinderung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zur Folge. Eine Diskriminierung des Klägers durch die angegriffene Kündigung kommt deshalb in Betracht.

57

a) Eine Behinderung iSd. § 1 AGG liegt unter Berücksichtigung des maßgeblichen supranationalen Rechts vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch - in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren(Barrieren) - seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann. Auf einen bestimmten GdB kommt es nicht an (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 32). Ob eine Behinderung vorliegt, ist unter Beachtung dieses Begriffsverständnisses im Einzelfall festzustellen (Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 40), wobei auch zu beachten ist, dass das Verständnis von Behinderung nicht statisch ist (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 37).

58

aa) Der Begriff der Behinderung iSd. § 1 AGG entspricht nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers den gesetzlichen Definitionen in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 3 BGG(BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 32; BR-Drucks. 329/06 S. 31). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Gesetzgeber hat sich damit für einen modernen Behindertenbegriff entschieden, der an die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anknüpft (BT-Drucks. 14/5074 S. 98; vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - Rn. 20, BAGE 122, 54). Bei diesem bio-psycho-sozialen Behindertenbegriff wird Behinderung nicht durch die individuelle Funktionsstörung, sondern durch die Beeinträchtigung der (gesellschaftlichen) Teilhabe definiert. Eine Behinderung liegt vor, wenn sich die Beeinträchtigung auf die Partizipation in einem oder mehreren Lebensbereichen auswirkt (BT-Drucks. 14/5074 S. 98). Ob eine Beeinträchtigung relevant ist, ergibt sich demnach erst aus dem Zusammenwirken von behindernden sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) und individueller Gesundheitsstörung (Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 37; Welti DÖV 2013, 795, 797). Eine Gesundheitsstörung kann auch darin liegen, dass die (gesellschaftliche) Teilhabe durch das Verhalten anderer beeinträchtigt wird (Schiek/Welti aaO Rn. 43). Behinderung ist nach diesem Verständnis sowohl persönliche Eigenschaft als auch soziales Verhältnis (Schiek/Welti aaO Rn. 37, vgl. auch v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 159b). Eine Behinderung in diesem Sinne kann demnach auch erst durch das „Behindern“ eines Menschen durch seine Umwelt entstehen.

59

bb) In seinen Entscheidungen vom 11. April 2013 (- C-335/11 ua. - [Ring]) und vom 4. Juli 2013 (- C-312/11 - [Kommission/Italien]) hat der Gerichtshof der Europäischen Union seine Auslegung des Begriffs der „Behinderung“ iSd. RL 2000/78/EG in Anpassung an Art. 1 Unterabs. 2 UN-BRK modifiziert (zur bisherigen Auslegung siehe EuGH 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 37, Slg. 2006, I-6467). Erfasst sind Einschränkungen, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen sind, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, sofern die körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen langfristig sind. Das schließt einen Zustand ein, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit die vorgenannten Einschränkungen mit sich bringt. Anderenfalls fällt eine Krankheit nicht unter den Begriff der Behinderung iSd. RL 2000/78/EG. Behinderung und Krankheit sind nach wie vor nicht gleichzusetzen (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 41 f., 47, 75).

60

cc) Damit haben sich die unionsrechtliche Konzeption und die des nationalen Rechts angenähert. Aus den unterschiedlichen Definitionen ergeben sich jedoch nach wie vor Unterschiede im Begriffsverständnis, die für die vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Erfassten teils günstiger, teils ungünstiger sind.

61

(1) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat den Begriff der Behinderung im Hinblick auf den Anwendungsbereich der RL 2000/78/EG auf Beeinträchtigungen der wirksamen Teilhabe am Berufsleben beschränkt (zur Kritik an dieser Beschränkung siehe Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 24 bis 27), während die Behindertenbegriffe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der UN-BRK auf die gesellschaftliche Teilhabe abstellen. Darüber hinaus sind nach dem nationalen Verständnis bereits Abweichungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauern, als langfristig anzusehen, während nach dem Verständnis des Unionsrechts die nationalen Gerichte im Einzelfall entscheiden müssen, wann eine Einschränkung „langfristig“ ist.

62

(2) Demgegenüber ist der nationale Behindertenbegriff zulasten der Behinderten enger als das supranationale Begriffsverständnis, soweit er eine Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustand verlangt, alterstypische Einschränkungen also stets nicht als Behinderung ansieht (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161 f.; Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 42). Darüber hinaus verlangt der nationale Behindertenbegriff, dass die Beeinträchtigung der Teilhabe bereits eingetreten ist, während es nach dem von der UN-BRK geleiteten unionsrechtlichen Behindertenbegriff bereits ausreicht, dass eine solche Beeinträchtigung eintreten kann.

63

dd) Der Behindertenbegriff des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist maßgeblich, soweit das nationale Recht von einem weiteren Behindertenbegriff als das supranationale Recht ausgeht. Im Übrigen ist der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen.

64

(1) Die RL 2000/78/EG stellt gemäß Art. 8 Abs. 1 nur Mindestanforderungen auf. Es bleibt daher den Mitgliedstaaten unbenommen, Regelungen einzuführen oder beizubehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die Vorschriften der Richtlinie sind. Davon hat die Bundesrepublik Deutschland im genannten Rahmen Gebrauch gemacht (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161e, 165; Däubler/ Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 1 Rn. 75; aA KR/Treber 10. Aufl. § 1 AGG Rn. 49; BeckOK ArbR/Roloff Stand 1. Dezember 2013 AGG § 1 Rn. 7). Der Gesetzgeber des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hat ausdrücklich auf den weitreichenden Behindertenbegriff in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und in § 3 BGG abgestellt. Ein gesetzgeberisches Versehen ist damit auszuschließen (gegen eine gespaltene Auslegung des Behindertenbegriffs gleichwohl Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 33).

65

(2) Soweit das nationale Recht hinter dem supranationalen Recht zurückbleibt, ist dagegen der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161f). Damit reicht es insbesondere aus, dass Beeinträchtigungen eintreten „können“.

66

ee) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts führt ein solches Begriffsverständnis nicht dazu, dass Ursache und Wirkung vertauscht würden, wenn der Umgang des Arbeitgebers mit einer Beeinträchtigung eine Behinderung zur Folge haben kann. Bei der Feststellung, ob eine Behinderung vorliegt, geht es gerade darum, objektive Barrieren zu erkennen, die sich nicht zuletzt im Verhalten des Arbeitgebers manifestieren können.

67

ff) Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass ein so verstandener Behindertenbegriff zu einer „Entgrenzung“ des Begriffs (siehe dazu Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 27, die darauf hinweisen, dass etwa 40 % der Bevölkerung in Deutschland an Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Arthrose oder Rheuma leiden; zur Häufigkeit chronischer Krankheiten siehe auch Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 16) führen und dadurch der Schutz für „schwer“ Behinderte sinken kann. Sind alle oder jedenfalls die Mehrzahl der vergleichbaren Personen ebenfalls behindert, droht der Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (weitgehend) leer zu laufen (vgl. Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 67). Zumindest ist der Behindertenschutz dann kein Minderheitenschutz mehr, es kommt zu einer Majorisierung der „normal Gesunden“ durch die Behinderten.

68

(1) Eine solche mögliche Entgrenzung lässt sich jedoch dadurch einschränken, dass die Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Teilhabe und das Vorliegen einer Benachteiligung wegen dieser nicht pauschal, sondern für die betroffenen Gruppen behinderter Menschen konkret geprüft wird. So kann etwa ein an Diabetes mellitus erkrankter Arbeitnehmer, der „gut eingestellt“ ist, an der gesellschaftlichen Teilhabe so geringfügig beeinträchtigt sein, dass er als nicht behindert anzusehen ist, während ein „schlecht einzustellender“ Diabetiker behindert sein kann. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Personen mit gleichartigen Beeinträchtigungen in verschiedenen Kontexten unterschiedlich in ihrer Teilhabe beeinträchtigt sein können. Ob und welche Barrieren vorliegen, beeinflusst die Annahme einer Behinderung. Die ICF, an deren Definition sich der nationale Behindertenbegriff orientiert, klassifiziert individuelle Behinderungen und berücksichtigt dabei Umweltfaktoren sowohl auf der Ebene des Individuums als auch auf der der Gesellschaft (Welti DÖV 2013, 795, 797; vgl. auch ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 21 f. unter 4.3; Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 68). Wer ungeachtet bestehender Beeinträchtigungen die Möglichkeit hat, gleichberechtigt am Leben in der Gemeinschaft und im Beruf teilzuhaben, ist nicht behindert (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 159a, 164).

69

(2) Der Gefahr übermäßiger Belastung der Arbeitgeber durch einen solchen weiten Behindertenbegriff wird zudem dadurch entgegengewirkt, dass Behinderungen, die sich im Arbeitsverhältnis nicht auswirken, idR weder zu Benachteiligungen noch zu Diskriminierungen von Arbeitnehmern wegen einer Behinderung führen können. Dabei wird allerdings vielfach erst auf der Ebene der angemessenen Vorkehrungen entschieden werden können, ob und wie sich eine Behinderung im Arbeitsleben auswirkt. Dessen ungeachtet hat die Feststellung der Behinderung der Beurteilung, welche Vorkehrungen dem Arbeitgeber im konkreten Fall zumutbar sind, vorauszugehen. Sie sind Folge und nicht Tatbestandsmerkmal einer Behinderung (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 45 f.).

70

b) Der Kläger ist aufgrund seiner symptomlosen HIV-Infektion chronisch erkrankt. Diese Beeinträchtigung wirkt sich auf seine Teilhabe sowohl im Leben in der Gemeinschaft als auch in seinem Berufsfeld aus. Er ist deshalb behindert iSd. § 1 AGG. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern (ebenso Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 72 f., 77 f.; Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 43; aA nur bei Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis: Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 1 Rn. 135; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 164; nur unter Berücksichtigung künftiger Beeinträchtigungen: Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 1 Rn. 54; auf den Einzelfall abstellend: Antwort der Bundesregierung BT-Drucks. 17/7283 S. 4 f.).

71

aa) Die HIV-Infektion ist unheilbar. Sie hat eine Verminderung der zellulären Immunität und damit einen Immundefekt zur Folge (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. Stichwort: HIV-Erkrankung). Diese Abweichung vom allgemein anerkannten Standard des biomedizinischen Zustands (vgl. zu dieser Definition die ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 18 unter 4.1 Ziff. 5) führt zu einer Beeinträchtigung der Funktion des Körpers iSd. Behindertenbegriffs des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.

72

bb) Auf den Grund der Behinderung oder ihre Art kommt es nicht an. Auch chronische Krankheiten werden vom Begriffsverständnis der Behinderung iSd. § 1 AGG erfasst. Das setzt allerdings voraus, dass die erforderliche Beeinträchtigung der Teilhabe vorliegt (BT-Drucks. 14/5074 S. 98; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 164b). Eine chronische Erkrankung, die solche Beeinträchtigungen nicht mit sich bringen kann, führt nicht zu einer Behinderung iSd. § 1 AGG(vgl. für die RL 2000/78/EG EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 42).

73

cc) Der Kläger wird durch seine HIV-Infektion im erforderlichen Maß an der Teilhabe am Leben beeinträchtigt. Unerheblich ist dabei, dass seine Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist. Es genügt, dass er in interpersonellen Beziehungen und bei der Arbeit Stigmatisierungen ausgesetzt sein kann (vgl. ausdrücklich für eine HIV-Infektion ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 24 unter 5.1; vgl. auch Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 43). Diese Vorurteile und Stigmatisierungen seiner Umwelt machen ihn zu einem Behinderten iSv. § 1 AGG.

74

(1) Die gesellschaftliche Teilhabe auch von symptomlos HIV-Infizierten wird nach wie vor typischerweise durch zahlreiche Stigmatisierungen (zum Begriff des Stigmas Stürmer/Salewski in Beelmann/Jonas Diskriminierung und Toleranz S. 263, 267 f.; vgl. auch Empfehlung 200 der ILO vom 17. Juni 2010 unter I Ziff. 1 Buchst. d) und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, die auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen sind, auch wenn die Ausgrenzung in Westeuropa im Rückgang begriffen ist (Stürmer/Salewski aaO S. 264 f., 273; vgl. auch EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 79 ff.; EGMR 10. März 2011 - 2700/10 - [Kiyutin/Russland] Rn. 64). Insbesondere soll HIV-Infizierten signifikant häufig ärztliche Behandlung verweigert werden (Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 27), ebenso soll es zu Nachteilen bei Abschlüssen von Versicherungen, speziell Krankenversicherungen, kommen (Stürmer/Salewski aaO S. 273; Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 25). Darüber hinaus soll Vermeidungsverhalten zu beobachten sein, das sich nicht immer sogleich als Ausgrenzung und Diskriminierung erkennen lässt, zB in Form von Diskrepanzen zwischen verbalem und nonverbalem Verhalten (Stürmer/Salewski aaO S. 272 f.). Auch solche Stigmatisierungen und Vorurteile sind benachteiligende gesellschaftliche Kontextfaktoren (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 37 f.; Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 70). Diskriminierung ist letztlich der Endpunkt von Stigmatisierung (vgl. Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 35). Diese nach wie vor fest verwurzelten Vorurteile gegen HIV-Infizierte haben dazu geführt, dass in den Mitgliedstaaten des Europarats eine klare Gesamttendenz erkennbar ist, HIV-Infizierte, wenn nicht durch spezielle Vorschriften, so doch durch die jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften, die Schutz vor Diskriminierung etwa wegen Behinderung bieten, vor Ungleichbehandlungen am Arbeitsplatz, insbesondere vor diskriminierenden Kündigungen, zu schützen (EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 39, 82 f. unter Hinweis auf eine in dreißig Mitgliedstaaten des Europarats durchgeführte Vergleichsstudie). Auch die Empfehlung 200 der ILO vom 17. Juni 2010 sieht unter III. Ziff. 3 Buchst. c sowie unter IV. Ziff. 9 bis Ziff. 11 den Schutz vor Diskriminierungen und Kündigungen wegen einer HIV-Infektion vor und strebt unter IV. Ziff. 13 an, dass HIV-Infizierte ihre Arbeit ggf. mit angemessenen Vorkehrungen fortsetzen können.

75

(2) Auch im konkreten Fall des Klägers liegen derartige Stigmatisierungen, die HIV-Infizierte erfahren und/oder befürchten, vor. Dies wird eindrücklich dadurch belegt, dass der Kläger über seinen Beistand mitgeteilt hat, er nehme zwar an der mündlichen Verhandlung vor dem Senat teil, halte sich aber unter den Zuhörern auf, um seine Anonymität zu wahren. Außerdem hat er laut einem bereits während des Instanzenzugs erfolgten Pressebericht (faz.net vom 10. Januar 2012) erklärt, er habe sich entschieden, „im Job“ seine Infektion nicht mehr zu erwähnen. Er arbeite seit Mai (2011) wieder in einer „Medizin-Firma“, auch im Reinraum. Er verweigere Tests und Fragebögen. Gerade diese Reaktion des Klägers, künftig seine HIV-Infektion im Berufsleben zu verschweigen, leistet wiederum Vorurteilen gegenüber HIV-Infizierten Vorschub. So kommt es zu einem sich gegenseitig hochschaukelnden Wechselspiel von Reaktion und Gegenreaktion. Die gegenwärtig noch andauernde Stigmatisierung wird auch dadurch bestätigt, dass die Beklagte ausdrücklich geltend macht, die Beschäftigung des Klägers führe zu einer Rufschädigung.

76

(3) Darüber hinaus liegt im konkreten Fall des Klägers auch eine Beeinträchtigung im Berufsleben vor, wie der vorliegende Rechtsstreit deutlich macht. Die Beklagte spricht dem Kläger unter Berufung auf das für sie geltende Regelwerk von vornherein die Eignung für den vertraglich geschuldeten Einsatz im Reinraum ab. Dem Kläger als chemisch-technischen Assistenten ist dadurch der Zugang zu einem nicht unerheblichen Teil seines Berufsfeldes verwehrt. Das räumt letztlich auch die Beklagte ein, wenn sie annimmt, der Kläger könne seinen Beruf weiterhin ausüben. Ihm sei lediglich ein Einsatz in der aseptischen Medikamentenherstellung versagt.

77

2. Die SOP der Beklagten entbindet diese - anders als sie meint und unterschwellig auch das Landesarbeitsgericht annimmt - nicht von der Pflicht, im zumutbaren Rahmen angemessene Vorkehrungen zur Beschäftigung des behinderten Klägers im Reinraum zu treffen. Entgegen der Annahme der Beklagten steht bisher nicht fest, dass die HIV-Infektion des Klägers mit diesem Regelwerk nicht im Einklang steht bzw. nicht zumindest damit in Einklang zu bringen ist.

78

a) Allerdings ist nach dem EG-GMP Leitfaden, auf den Ziff. 5 der SOP verweist, ein System der Qualitätssicherung erforderlich, das der Erreichung des Ziels dient, Patienten keiner Gefahr wegen unzureichender Sicherheit, Qualität oder Wirksamkeit auszusetzen (Kapitel 1 Qualitätsmanagement - Grundsätze). Dieses Sicherungssystem soll sicherstellen, dass Herstellungs- und Prüfverfahren klar spezifiziert sind und die Regeln der Guten Herstellungspraxis beinhalten (Ziff. 1.2 Satz 4 Unterabs. ii des EG-GMP Leitfadens). Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens verlangt, dass Vorkehrungen getroffen werden „sollten“, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist. Diese Vorschrift zwingt - anders als die Beklagte annimmt - den Arzneimittelhersteller nicht dazu, HIV-Infizierte ungeachtet der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Produktionsbedingungen und Tätigkeiten des HIV-Infizierten, von einer Tätigkeit im Reinraum auszuschließen. Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens führt die HIV-Infektion nicht als Tatbestand, der eine Tätigkeit im Reinraum absolut und in jedem Fall ausschließt, auf, sondern enthält lediglich eine Generalklausel, die einem HIV-Infizierten den Einsatz im Reinraum abhängig von den Umständen des Einzelfalls verwehrt.

79

aa) Auch wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, dass Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens als Mussvorschrift zu verstehen ist, ist dieser im Rang einer Verordnung stehende Leitfaden unionsrechtskonform, dh. im Hinblick auf § 241 Abs. 2 BGB gesetzeskonform zu interpretieren. Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2003/94/EG der Kommission vom 8. Oktober 2003 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel und für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate (RL 2003/94/EG) dient der EG-GMP Leitfaden der Auslegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis. Art. 7 Abs. 5 RL 2003/94/EG, den Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens auslegt, verlangt nur, dass Hygieneprogramme, die den durchzuführenden Tätigkeiten angepasst sind und insbesondere Vorschriften zur Gesundheit des Personals enthalten, erstellt und befolgt werden. Bei Beachtung dieses Anwendungsbefehls, der ausdrücklich auf die durchzuführende und damit konkrete Tätigkeit abstellt, fordert Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens im hier vorliegenden Zusammenhang nur, dass Vorkehrungen zu treffen sind, die - soweit praktisch möglich - sicherstellen, dass die Beschäftigten nicht an einer ansteckenden Krankheit leiden, deren Ansteckungsgefahr sich auf die konkrete Tätigkeit auswirkt. Nur dann, wenn bezogen auf die konkrete Tätigkeit eine Ansteckungs- bzw. Kontaminationsgefahr besteht, soll also eine Tätigkeit des Erkrankten unterbunden werden.

80

bb) In dieser Auslegung meinen Art. 5 RL 2000/78/EG und Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens bezogen auf den vorliegenden Fall letztlich dasselbe: Der Arbeitgeber muss bei einem Behinderten, der an einer ansteckenden Krankheit leidet, die ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um einerseits dem Behinderten eine (leidensgerechte) Tätigkeit zu ermöglichen, andererseits aber Ansteckungsgefahren für Kollegen oder Dritte, insbesondere die Empfänger der erzeugten Arzneimittel, mit der erforderlichen Sicherheit verhindern zu können.

81

b) Damit wird von der Beklagten nicht verlangt, sehenden Auges ein messbares, ernsthaftes Risiko einzugehen, mit HI-Viren kontaminierte Präparate in den Verkehr zu bringen und sich damit erheblichen, uU die Existenz des Betriebs gefährdenden Schadensersatzrisiken auszusetzen. Deshalb ist auch ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit nicht in Frage gestellt. Dementsprechend räumt der Kläger ausdrücklich ein, dass sein Einsatz im Reinraum ausgeschlossen sein dürfte, wenn eine Übertragungswahrscheinlichkeit bestehe. Bisher ist aber - und das rügt die Revision mit Recht - weder vorgetragen, geschweige denn festgestellt, dass es überhaupt ein messbares Risiko einer Kontamination gibt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz will gerade solchen, aus bloß diffusen Befürchtungen und der Weigerung des Arbeitgebers, die konkreten Risiken zu ermitteln und mögliche Änderungen der Arbeitsabläufe auch nur in Erwägung zu ziehen, resultierenden Benachteiligungen entgegenwirken. Der Arbeitgeber darf sich, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, gerade nicht darauf beschränken, ohne konkrete Prüfung der Umstände und Risiken den „sicheren Weg“ zu wählen.

82

3. Der Umstand, dass es unstreitig und vom Landesarbeitsgericht festgestellt ist, dass keine anderweitige Einsatzmöglichkeit des Klägers außerhalb des Reinraums bestand, entbindet die Beklagte nicht von der Darlegung, inwieweit keine angemessenen Vorkehrungen getroffen werden konnten, die dem Kläger einen Einsatz auf dem vorgesehenen Arbeitsplatz im Reinraum ermöglicht hätten.

83

IV. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Ob die Klage begründet ist, vermag der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat die zur Beurteilung der Wirksamkeit der Wartezeitkündigung erforderlichen Feststellungen nicht getroffen. Dies wird es unter Beachtung nachstehender Erwägungen nachzuholen haben.

84

1. Die Beklagte hat zu ihren Produkten, den Produktionsbedingungen und der Tätigkeit des Klägers im Reinraum bisher nicht hinreichend konkret vorgetragen. Sie beruft sich im Kern darauf, dass ihr ein noch so geringes Risiko nicht zuzumuten sei, ohne vorzutragen, ob überhaupt ein messbares Risiko bestand, dass es durch den Kläger zu einer Verunreinigung der Produkte der Beklagten mit HI-Viren kommt. Es fehlt somit bereits am erforderlichen Ausgangspunkt für die Prüfung, ob und welche angemessene(n) Vorkehrungen ihr zumutbar sind.

85

a) Die Beklagte hat bisher lediglich vorgetragen, sie produziere radioaktive Medikamente für Krebspatienten, die intravenös verabreicht würden. Aus der von ihr vorgelegten Herstellungserlaubnis ergibt sich, dass es sich dabei um Arzneimittel für die Positronen-Emissions-Tomographie mit zwei verschiedenen Wirkstoffen handelt. Die Beklagte hat weiter vorgetragen, ihre Produkte seien nur zehn Stunden wirksam, so dass eine Überprüfung auf eine mikrobielle oder virale Verunreinigung vor der Anwendung unmöglich sei. Sie fertige im Rahmen einer sog. „aseptischen Herstellung“ und müsse deshalb mit sterilen Materialien arbeiten. Die Produktion des Medikaments, von dem sie mehr als 6,5 Millionen Einheiten im Jahr herstelle, erfordere die Arbeit mit angeschliffenen Hohlkanülen, Glasfläschchen und Aluminiumdeckeln, so dass Schnitt- und Stichverletzungen möglich seien, wobei es denkbar sei, dass diese nicht sofort bemerkt würden. Verletzungen der Arbeitnehmer und Verunreinigungen der Medikamente mit Blut seien möglich.

86

b) Zur Tätigkeit des Klägers hat die Beklagte nur vorgetragen, dass er Gefäße, in die das Medikament abgefüllt wird, sowie Produktionskassetten vorzubereiten hatte, die mit sterilen Gläschen mittels Spritzen befüllt und mittels nadelartiger Spikes entlüftet werden.

87

2. Das Landesarbeitsgericht wird vor seiner erneuten Entscheidung der Beklagten Gelegenheit zu geben haben, diesen Vortrag zu substantiieren und insbesondere zur Möglichkeit, angemessene Vorkehrungen hinsichtlich des Einsatzes des Klägers im Reinraum zu treffen, vorzutragen.

88

a) Die Beklagte stellt in ihrem Vortrag bisher ausschließlich auf das Risiko ab, Patienten, denen von ihr produzierte Medikamente injiziert werden, könnten sich mit HI-Viren infizieren. Aus dem bisherigen Vortrag ergibt sich jedoch nicht, welche Maßnahmen die Beklagte trifft, wenn es zu den von ihr angesprochenen blutenden Schnitt- oder Stichverletzungen kommt. Eine aseptische Herstellung erscheint in diesen Fällen - unabhängig davon, ob der betroffene Arbeitnehmer an einer ansteckenden Krankheit, insbesondere HIV, leidet - ausgeschlossen. Die fraglichen Medikamente dürften zu vernichten sein.

89

b) Erforderlich ist konkreter Vortrag dazu, inwieweit bei blutenden Verletzungen - insbesondere bei den von der Beklagten angesprochenen geringfügigen Verletzungen - oder auf andere Weise konkret und messbar das Risiko besteht, dass es zu (nicht entdeckbaren) Kontaminationen der hergestellten Medikamente kommen kann, und zusätzlich das Risiko besteht, dass ein solchermaßen verunreinigtes Medikament zu einer HIV-Infektion von Patienten führen kann, denen das Medikament injiziert wird. Dabei wird auch darzulegen sein, welches Risiko besteht, dass es überhaupt zu den von der Beklagten genannten (schwach) blutenden Verletzungen kommt, ob und wie dieses Risiko - etwa durch das Tragen von Spezialhandschuhen - ausgeschlossen werden kann, ob es bei bestimmten Tätigkeiten im Reinraum höher ist als bei anderen und - falls ja - ob der Kläger mit anderen als solchen besonders risikobehafteten Tätigkeiten im Reinraum beschäftigt werden konnte.

90

3. Nach Maßgabe des ergänzten Vortrags der Beklagten wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen, dh. durch wirksame und praktikable, die Beklagte nicht unverhältnismäßig belastende Maßnahmen, den Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Nur wenn das nicht der Fall war, ist die Kündigung wirksam. Bei dieser Prüfung wird es sich die zum Verständnis des Parteivorbringens erforderliche Sachkunde - ggf. auch über den Sachvortrag hinaus (vgl. BGH 7. Dezember 1994 - VIII ZR 153/93 - zu II 3 c der Gründe) - durch ein im Rahmen des Ermessens nach § 144 ZPO anzuordnendes Sachverständigengutachten verschaffen müssen. Sollte es bei seiner Entscheidung auf die Zumutbarkeit der Kosten der von der Beklagten zu veranlassenden Maßnahmen ankommen, wird es neben der Finanzkraft der Beklagten und der Frage, ob sie öffentliche Mittel in Anspruch hätte nehmen können, zu berücksichtigen haben, dass der Kläger erst kurz bei der Beklagten beschäftigt war und diese für seine Behinderung nicht verantwortlich ist. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verlangt nicht, dass die Einstellung und Beschäftigung eines Behinderten für den Arbeitgeber zum „Zuschussgeschäft“ wird (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 59 f.; zur Berücksichtigungsfähigkeit der Kosten bei der Frage der angemessenen Vorkehrungen allgemein vgl. Däubler/ Bertzbach/Brors AGG 3. Aufl. § 8 Rn. 34). Das gilt insbesondere in der Wartezeit.

91

V. Ob dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht, hängt davon ab, ob die Kündigung wirksam ist.

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    Reiner Koch    

        

    Hoffmann    

                 

(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

(2) Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Januar 2012 - 6 Sa 2159/11 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Wartezeitkündigung.

2

Die Beklagte stellte den Kläger mit Arbeitsvertrag vom 1. Dezember 2010 als chemisch-technischen Assistenten ein. Sie produziert Arzneimittel zur Krebsbehandlung, die intravenös verabreicht werden. Der Kläger sollte im sog. Reinraumbereich eingesetzt werden. Das Arbeitsverhältnis war bis zum 5. Dezember 2011 befristet, wobei die ersten sechs Monate als Probezeit galten, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden konnte. Gemäß Ziff. 12 des Arbeitsvertrags galten die betrieblichen Regelungen, dh. die vom Arbeitgeber erlassenen allgemeinen Festlegungen oder Weisungen sowie die mit dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarungen. Der Kläger hat keine Befristungskontrollklage erhoben.

3

Anlässlich seiner Einstellungsuntersuchung am 8. Dezember 2010 teilte der Kläger dem Betriebsarzt mit, er sei HIV-infiziert. Der Kläger ist symptomfrei. Er hat einen GdB von 10. Der Betriebsarzt äußerte in dem für eine Tätigkeit im Reinraum auszufüllenden Formular „Aufnahme von Tätigkeiten im GMP-Bereich“ am 14. Dezember 2010 Bedenken gegen einen Einsatz des Klägers in diesem Bereich. Das Formular ist Teil der „Standard Operating Procedure“ (SOP) der Beklagten, die der Umsetzung des sog. EG-GMP Leitfadens (Leitfaden der Guten Herstellungspraxis) dient. Dabei handelt es sich um Leitlinien der EU-Kommission, die als Anlage 2 zur Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit zu § 2 Nr. 3 der Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und über die Anwendung der Guten fachlichen Praxis bei der Herstellung von Produkten menschlicher Herkunft (Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung - AMWHV) vom 27. Oktober 2006 (BAnz S. 6887) veröffentlicht sind. In Ziff. 2.15 des Leitfadens heißt es:

„Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist.“

4

In einem Gespräch vom 4. Januar 2011, an dem der Kläger, der Betriebsarzt sowie einer der beiden Geschäftsführer der Beklagten teilnahmen, teilte der Betriebsarzt nach Entbindung von seiner ärztlichen Schweigepflicht mit, der Kläger sei HIV-infiziert. Möglichkeiten zur Beschäftigung des Klägers außerhalb des Reinraumbereichs bestanden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 4. Januar 2011 zum 24. Januar 2011.

5

Der Kläger hat geltend gemacht, die angegriffene Kündigung diskriminiere ihn, weil seine HIV-Infektion alleiniger Kündigungsgrund sei. Auch eine symptomlose HIV-Infektion führe zu einer Behinderung. Deswegen stehe ihm auch eine Entschädigung zu. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass seine Infektion eine ansteckende Krankheit iSd. GMP-Leitfadens sei. Unter Berücksichtigung des konkreten Herstellungsprozesses und der konkreten Tätigkeit des Klägers hätte unter keinen Umständen, auch nicht bei Schnitt- oder Nadelstichverletzungen, das HI-Virus auf die von der Beklagten hergestellten Medikamente übertragen werden können. Zum Beweis dafür hat sich der Kläger auf ein Sachverständigengutachten bezogen.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen bis zum Ende der Befristung am 5. Dezember 2011 fortbestanden hat und insbesondere nicht durch die Kündigung vom 4. Januar 2011 beendet worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm eine angemessene Entschädigung in Geld von bis zu drei Bruttomonatsgehältern (6.600,00 Euro) zu zahlen.

7

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass die Kündigung aus Gründen der Arbeitssicherheit unumgänglich gewesen sei. Der Kläger leide an einer ansteckenden Krankheit im Sinne ihrer SOP. Das und nicht seine HIV-Infektion sei der Kündigungsgrund gewesen. Ob der Kläger sich in fachärztlicher Behandlung befinde und engmaschig überwacht werde, könne sie nicht überprüfen. Zudem könne der Kläger jederzeit die sichere Behandlung abbrechen, ohne sie informieren zu müssen. Ihre Endabnehmer seien schwerkranke Patienten, so dass sie eine Abwägung zugunsten der Interessen dieser Patienten getroffen habe. Es könne von ihr nicht verlangt werden, sich dem Risiko von Schadensersatzansprüchen, eines drohenden Lizenzverlustes und der Verhängung von Ordnungswidrigkeitsstrafen auszusetzen, um an einem objektiv nicht geeigneten Arbeitnehmer festhalten zu können. Setze sie einen HIV-Positiven in der Medikamentenproduktion ein, komme es zu einer nicht hinnehmbaren Rufschädigung.

8

Die Vorinstanzen haben - soweit für die Revision von Interesse - die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

A. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt die Revision den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO(vgl. zu diesen Anforderungen BAG 19. April 2012 - 6 AZR 677/10 - Rn. 11). Sie setzt sich mit beiden das angegriffene Urteil selbstständig tragenden Begründungen ausreichend auseinander.

10

I. Der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht dahinstehen lassen, ob er behindert sei. Bereits diese Rüge, mit der der Kläger sinngemäß geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe sich mit seiner Begründung den Blick auf den richtigen Prüfungsmaßstab verstellt, stellt das angefochtene Urteil ausreichend in Frage, soweit das Landesarbeitsgericht die Kündigung als wirksam angesehen hat. Ob diese Auffassung materiell-rechtlich zutrifft, ist für die Zulässigkeit der Revision unerheblich.

11

II. Die Revision ist auch zulässig, soweit der Kläger seinen Antrag auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG weiter verfolgt. Die Begründetheit dieses Anspruchs hängt im Ausgangspunkt denknotwendig davon ab, dass ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfolgt ist. § 15 Abs. 2 AGG ist eine Rechtsfolgenbestimmung(Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 49). Das Landesarbeitsgericht hat sich mit dem Anspruch auf Entschädigung nicht gesondert befasst, sondern nur angenommen, die Beklagte sei nicht zur Entschädigung verpflichtet, weil die Kündigung den Kläger nicht diskriminiere. Vom Rechtsmittelführer kann nicht mehr an Begründung verlangt werden als vom Gericht seinerseits aufgewendet (BAG 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 11, BAGE 126, 237). Für die Zulässigkeit der Revision genügt deshalb insoweit bereits die ausreichende Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Wirksamkeit der Kündigung (vgl. BAG 18. November 2010 - 6 AZR 273/10 - Rn. 34).

12

B. Der Senat hat das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG) e.V., Berlin, als Beistand des Klägers nach § 23 AGG zugelassen. Der Satzungszweck, das diskriminierungsfreie Zusammenleben ua. durch die kostenlose Unterstützung und Beratung bei Diskriminierungen insbesondere in Gerichtsverfahren zur Durchsetzung des Rechtsschutzes Betroffener zu fördern, genügt der Legaldefinition in § 23 Abs. 1 Satz 1 AGG. Das BUG hat nachgewiesen, dass es die nach § 23 Abs. 1 Satz 2 AGG erforderliche Mindestanzahl an Mitgliedern hat.

13

C. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, der Kläger werde nicht wegen einer Behinderung benachteiligt. Die für seine Hilfsbegründung, jedenfalls seien die Voraussetzungen des § 8 AGG erfüllt, erforderlichen Tatsachen hat es nicht festgestellt. Dabei hat es insbesondere nicht geprüft, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen einen Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Damit trägt auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht, die Kündigung sei nicht nach § 242 BGB unwirksam. Das Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig. Der Senat kann nicht selbst feststellen, ob die Kündigung gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam ist, weil der Kläger wegen seiner Behinderung diskriminiert worden ist. Dazu bedarf es noch weiterer Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Der Rechtsstreit war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

I. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen.

15

1. Welche Bedeutung der Vorschrift des § 2 Abs. 4 AGG zukommt, nach der „für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ gelten, ist umstritten.

16

a) Für Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, ist diese Frage durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 2008 (- 2 AZR 523/07 - Rn. 34 ff., BAGE 128, 238) geklärt. Bei der Prüfung der Wirksamkeit solcher Kündigungen sind die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und die darin vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit zu beachten (vgl. auch BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 295/12 - Rn. 36; 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 24; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 15).

17

b) Nach wie vor kontrovers wird jedoch beurteilt, wie § 2 Abs. 4 AGG im Hinblick auf Kündigungen, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, zu verstehen ist. Einigkeit besteht insoweit nur dahin, dass die Antidiskriminierungsrichtlinien, namentlich die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG), auch einen Schutz vor diskriminierenden Kündigungen gebieten (vgl. EuGH 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 37, Slg. 2006, I-6467) und dass dieser Schutz auch Arbeitnehmer außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes erfasst.

18

aa) Die Frage ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt. Die Entscheidungen des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 2008 (- 2 AZR 523/07 - Rn. 34, BAGE 128, 238) sowie des Achten Senats vom 22. Oktober 2009 (- 8 AZR 642/08 -) beziehen sich nur auf Kündigungen im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes. Soweit das Bundesarbeitsgericht vor Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes diskriminierende Kündigungen am Maßstab des § 242 BGB gemessen hat(vgl. BAG 22. Mai 2003 - 2 AZR 426/02 - für eine auf kulturelle und religiöse Gründe gestützte Arbeitsverweigerung eines Arbeitnehmers, der einer Sinti-Familie angehörte; 23. Juni 1994 - 2 AZR 617/93 - BAGE 77, 128 für eine auf Homosexualität gestützte Kündigung), ist diese Rechtsprechung durch die geänderte Rechtslage überholt.

19

bb) Die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum nimmt an, die Benachteiligungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sowie die Beweislastverteilung nach § 22 AGG müssten bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln(§§ 138, 242 BGB) unwirksam sei, berücksichtigt werden (KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 17, 19; KR/Griebeling § 1 KSchG Rn. 26a; ErfK/Schlachter 14. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; vHH/L/Krause 15. Aufl. § 1 Rn. 238, 242; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 230; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 62; v. Roetteken AGG Stand März 2011 § 2 Rn. 69; Blessing Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes S. 147). Ein Teil des Schrifttums vertritt dabei die Auffassung, die Bestimmungen der Antidiskriminierungsrichtlinien seien bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln unwirksam sei, unmittelbar zu berücksichtigen, die unionsrechtlich geforderte Beweislastverteilung müsse durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 138 Abs. 2 ZPO gewährleistet werden(APS/Preis 4. Aufl. Grundlagen J Rn. 71f, 71g; ähnlich Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz 2. Aufl. Rn. 112 ff.).

20

cc) Ein anderer Teil des Schrifttums hält § 2 Abs. 4 AGG für unvereinbar mit Unionsrecht. Eine unionsrechtskonforme Auslegung sei wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht möglich, widerspreche aber jedenfalls dem unionsrechtlichen Transparenzgebot (dazu EuGH 10. Mai 2001 - C-144/99 - [Kom-mission/Niederlande] Rn. 17, Slg. 2001, I-3541). § 2 Abs. 4 AGG sei deshalb nicht anwendbar, stattdessen fänden die Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unmittelbare Anwendung(Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 256 ff., 263 mwN).

21

dd) Teils wird - mit unterschiedlichen Ansätzen - angenommen, § 2 Abs. 4 AGG erfasse Kündigungen während der Wartezeit und im Kleinbetrieb nicht(HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 147 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 8. Aufl. AGG Rn. 63; Stein in Wendeling-Schröder AGG § 2 Rn. 48; wohl auch Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 28).

22

2. Zutreffend ist die letztgenannte Auffassung. § 2 Abs. 4 AGG regelt für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen. Die zivilrechtlichen Generalklauseln werden dagegen von § 2 Abs. 4 AGG nicht erfasst. Der Diskriminierungsschutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geht insoweit diesen Klauseln vor und verdrängt diese. Ordentliche Kündigungen während der Wartezeit und in Kleinbetrieben sind deshalb unmittelbar am Maßstab des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu messen. Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte und dem Zweck des § 2 Abs. 4 AGG. Der Wortlaut der Bestimmung steht dem nicht entgegen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz regelt allerdings nicht selbst, welche Rechtsfolge eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unzulässige Benachteiligung hat. Diese Rechtsfolge ergibt sich erst aus § 134 BGB(vgl. Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 25; Düwell jurisPR-ArbR 47/2006 Anm. 6).

23

a) Der Gesetzgeber wollte mit § 2 Abs. 4 AGG für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen, zu denen die zivilrechtlichen Generalklauseln in §§ 138, 242 BGB nicht gehören, regeln. Das folgt aus der Gesetzgebungsgeschichte.

24

aa) § 2 Abs. 4 AGG ist erst während des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt worden. In der vom Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagenen Fassung sollte die Bestimmung wie folgt gefasst werden:

„Für Kündigungen gelten vorrangig die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes.“

25

Damit sollte klargestellt werden, dass die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes unberührt blieben. Der Praxis sollte verdeutlicht werden, dass Rechtsstreite bei Kündigungen auch in Zukunft vorwiegend nach dem Kündigungsschutzgesetz zu entscheiden seien (BT-Drucks. 15/5717 S. 5, 36).

26

bb) Wortlaut und Begründung des § 2 Abs. 4 AGG-E griff die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vom 8. Juni 2006 auf (BT-Drucks. 16/1780 S. 32). Die Empfehlung des Bundesrats zu diesem Entwurf vom 6. Juni 2006 sah vor, § 2 Abs. 4 AGG wie folgt zu fassen(BR-Drucks. 329/1/06 S. 1):

„Liegt die Benachteiligung in einer Kündigung, finden im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ausschließlich dessen Bestimmungen Anwendung. …“

27

Mit dieser Regelung sollte das Verhältnis beider Gesetze (dh. von AGG und KSchG) präzisiert werden. Das mit dieser Vorschrift verbundene Anliegen - Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes - komme in der bisherigen Fassung nicht hinreichend klar zum Ausdruck (BR-Drucks. 329/1/06 S. 2).

28

cc) Der Rechtsausschuss schlug in seiner Beschlussempfehlung vom 28. Juni 2006 die Gesetz gewordene Fassung vor. In seiner Begründung (BT-Drucks. 16/2022 S. 12) griff er ausdrücklich das Anliegen des Bundesrats auf. Das Verhältnis „beider Gesetze“ (von AGG und KSchG) solle präzisiert werden. Es erscheine sachgerechter, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz Anwendung fänden, weil „diese Regelungen speziell auf Kündigungen zugeschnitten“ seien. Die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes fänden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch sowie im ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes. Bestimmungen zum besonderen Kündigungsschutz enthielten der Zweite Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes und zB § 9 Abs. 3 MuSchG und §§ 18 f. BEEG.

29

b) Aus dieser Entstehungsgeschichte folgt zugleich der Zweck des § 2 Abs. 4 AGG.

30

aa) Mit dem Bezug auf die „Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ wollte der Gesetzgeber nicht regeln, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz für sämtliche Kündigungen nicht gelten sollte. Es sollte lediglich das Verhältnis von Kündigungsschutzgesetz und Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz „präzisiert“ und das Anliegen des Bundesrats, den Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes klarzustellen, aufgegriffen werden. Außerdem sollte den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Regelungen Anwendungsvorrang zukommen. Die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sollten in diese Bestimmungen eingepasst werden und Kohärenz zwischen dem Antidiskriminierungsrecht des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf der einen und den von § 2 Abs. 4 AGG erfassten Kündigungsschutzbestimmungen auf der anderen Seite hergestellt werden(vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 37, 39 f., BAGE 128, 238). Neben das Kündigungsschutzgesetz und die speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Vorschriften des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes sollte kein „zweites“, durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vermitteltes Kündigungsschutzrecht treten. Eine Sperrwirkung für Kündigungen, für die wie die hier streitbefangene Wartezeitkündigung das Kündigungsschutzgesetz (noch) nicht gilt und für die weder spezielle Kündigungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches wie § 626 und § 613a Abs. 4 BGB noch besondere Kündigungsschutzbestimmungen in Betracht kommen, war nicht bezweckt(vgl. HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 148 f.). Bedeutung kommt § 2 Abs. 4 AGG für solche Kündigungen nur insofern zu, als es zB bei der Anwendbarkeit der Klagefrist des § 4 KSchG und der Rechtsfolgen des § 7 KSchG im Fall ihrer Versäumung bleibt(Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 2 Rn. 38; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 240).

31

bb) Bei ordentlichen Kündigungen, auf die das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet und bei denen der Arbeitnehmer geltend macht, die Kündigung diskriminiere ihn, besteht kein nach diesem Gesetzeszweck zu vermeidender Konflikt zwischen zwei ausdifferenzierten Kündigungsschutzsystemen. Das Kündigungsschutzgesetz verlangt Gründe, die die Kündigung rechtfertigen (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 56 sprechen von einer „Positivliste“). Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geht dagegen davon aus, dass Kündigungen grundsätzlich zulässig sind, es sei denn, es liegt eine Diskriminierung vor (Bauer/Göpfert/Krieger aaO sprechen hier von einer „Negativliste“). Für ordentliche Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes, auf die keine speziellen Kündigungsverbote Anwendung finden, gilt von vornherein nur eine „Negativliste“: Diese Kündigungen sind grundsätzlich wirksam. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise und nur dann, wenn sie diskriminierend, treu- oder sittenwidrig sind oder gegen höherrangiges Recht verstoßen. Es tritt also nicht neben einen - gänzlich anders strukturierten - Kündigungsschutz ein zweites Schutzsystem mit anderen Parametern, sondern es bleibt bei der „Negativliste“, die um weitere Punkte und vor allem eine abweichende Beweislastverteilung ergänzt wird. Eine „Verzahnung“ des Kündigungsschutzrechts und des Antidiskriminierungsrechts ist in derartigen Konstellationen nicht erforderlich und wird darum auch nicht durchbrochen (aA KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 18).

32

c) Der Wortlaut des § 2 Abs. 4 AGG steht diesem aus der Entstehungsgeschichte und dem Gesetzeszweck hergeleiteten Auslegungsergebnis nicht entgegen. Zwar ordnet § 2 Abs. 4 AGG unterschiedslos für alle „Kündigungen“ an, dass für sie ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Die Anwendung der Norm ist jedoch hinsichtlich des materiellen Kündigungsschutzes im Wege der teleologischen Reduktion auf Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz, speziell auf Kündigungen zugeschnittene Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches oder besondere Kündigungsschutzbestimmungen gelten, zu beschränken. Nur so wird die nach dem Wortlaut zu weit gefasste Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG ihrem Zweck gerecht. Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben gelten grundsätzlich keine Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ iSd. § 2 Abs. 4 AGG.

33

aa) Die teleologische Reduktion von Vorschriften auch gegen deren Wortlaut gehört zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG 30. März 1993 - 1 BvR 1045/89 ua. - zu C II 2 der Gründe, BVerfGE 88, 145). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass andere Indizien deutlich belegen, dass der Sinn der Norm im Text nur unzureichend Ausdruck gefunden hat (BVerfG 27. Januar 1998 - 1 BvL 22/93 - [Kleinbetriebsklausel II] zu B I 5 der Gründe, BVerfGE 97, 186) und die weiteren Auslegungsmethoden die wahre Bedeutung der Norm freilegen (vgl. BVerfG 19. Juni 1973 - 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72 - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 35, 263). Diese Befugnis des Richters beruht darauf, dass die Auslegung gerade der Ermittlung des im Gesetz objektivierten Willens des Gesetzgebers dient (vgl. BVerfG 4. Juni 2012 - 2 BvL 9/08 ua. - [Dienstbeschädigungsausgleich] Rn. 99, BVerfGE 131, 88).

34

bb) Unter „allgemeinem Kündigungsschutz“ wird - entsprechend der Überschrift des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes - im fachbezogenen Sprachgebrauch der Kündigungsschutz nach diesem Abschnitt verstanden (vgl. BAG 24. September 2008 - 6 AZR 76/07 - Rn. 49, BAGE 128, 73; 8. Juli 1998 - 7 AZR 245/97 - zu II 1 der Gründe, BAGE 89, 216; HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 147). Zwar hat der Gesetzgeber in seiner Begründung zu der Gesetz gewordenen Fassung weiter gehend angenommen, die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes fänden sich auch „im Bürgerlichen Gesetzbuch“ (BT-Drucks. 16/2022 S. 12). Er hat aber zugleich zum Ausdruck gebracht, dass er mit den Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ nur solche Bestimmungen meint, die speziell auf Kündigungen zugeschnitten sind. Das sind im Bürgerlichen Gesetzbuch vor allem §§ 613a, 622 und 626 BGB. Die für den Kündigungsschutz im Kleinbetrieb und in der Wartezeit maßgeblichen zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB sind dagegen - wie schon ihre Bezeichnung zeigt - gerade nicht speziell auf Kündigungen zugeschnitten, sondern Auffangtatbestände, die zudem erst unter Berücksichtigung verfassungs- oder unionsrechtlicher Vorgaben(vgl. dazu BAG 24. Januar 2008 - 6 AZR 96/07 - Rn. 27) ihren Bedeutungsgehalt für Kündigungen gewinnen. Deshalb sind nach dem Verständnis des Gesetzgebers die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB keine „Bestimmungen zum allgemeinen Kündigungsschutz“ iSd. § 2 Abs. 4 AGG(Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 8. Aufl. AGG Rn. 63; HaKo/Mayer aaO).

35

cc) Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben, für die keine speziell auf Kündigungen zugeschnittene Bestimmungen gelten, war nach dem Verständnis des Gesetzgebers gerade keine Regelung dazu erforderlich, in welchem Verhältnis das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die auf solche Kündigungen Anwendung findenden Generalklauseln stehen sollten. Soweit § 2 Abs. 4 AGG gleichwohl seinem Wortlaut nach auch solche Kündigungen erfasst, entspricht dies nicht dem Zweck, den der Gesetzgeber mit dieser Norm verfolgte.

36

d) Diese Auslegung führt nicht dazu, dass Kündigungen außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes insbesondere wegen der möglichen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG stärker sanktioniert würden als Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz gilt(so aber KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; Bauer/Thüsing/Schunder NZA 2006, 774, 777). Auch bei Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, scheidet eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht von vornherein aus.

37

aa) Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte diese Frage zunächst offengelassen (BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 20; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 16; 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 33, BAGE 128, 238; zum Streitstand Wenckebach AuR 2010, 499, 501). Er hatte jedoch schon darauf hingewiesen, dass eine Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG neben der Sanktionsfolge der Unwirksamkeit nicht systemwidrig erscheine. Auch Entschädigungen für immaterielle Schäden infolge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit der Erklärung einer unwirksamen Kündigung seien nicht ausgeschlossen (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 16 unter Hinweis auf BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 -). Er hatte weiter angenommen, es sei vom Vorliegen eines immateriellen Schadens iSd. § 15 Abs. 2 AGG auszugehen, wenn ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot feststehe(BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 74, BAGE 129, 181). Mit Urteil vom 12. Dezember 2013 hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts nun einer schwangeren Arbeitnehmerin, der unter Verstoß gegen das Mutterschutzgesetz gekündigt worden war, wegen Geschlechtsdiskriminierung einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zuerkannt(- 8 AZR 838/12 - Pressemitteilung Nr. 77/13).

38

bb) Nach der Wertung des Gesetzgebers stellen Benachteiligungen wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar(KR/Treber 10. Aufl. § 15 AGG Rn. 27 mwN; vgl. auch BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Die Sanktion des § 15 Abs. 2 AGG soll im Kern gerade vor solchen Persönlichkeitsrechtsverletzungen schützen(vgl. Stahlhacke/Preis 10. Aufl. Rn. 190; Blessing Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes S. 173). Die im diskriminierenden Verhalten liegende Persönlichkeitsrechtsverletzung soll als solche unabhängig von der Frage sanktioniert werden, ob nach einer unwirksamen Kündigung das Arbeitsverhältnis fortbesteht (vgl. Blessing aaO S. 193). Ausgehend davon kann allenfalls angenommen werden, die Unwirksamkeit der Kündigung sei eine Naturalrestitution iSd. § 15 Abs. 1 AGG. Die Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG kann dagegen nicht mit der Begründung abgelehnt werden, diese Rechtsfolge sei eine hinreichende Sanktion iSd. Antidiskriminierungsrichtlinien (vgl. Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 54; Wenckebach AuR 2010, 499, 502). Die Unwirksamkeit der Kündigung kann die bei einer Diskriminierung nach der Vorstellung des Gesetzgebers in der Regel vorliegende Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht kompensieren. Dies gilt insbesondere in dem in der Praxis häufig vorkommenden Fall, dass der Arbeitnehmer auch nach einem erfolgreichen Kündigungsschutzprozess nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt.

39

cc) Darüber hinaus kommt bei unwirksamen Abmahnungen oder Versetzungen, die kündigungsrechtlich gesehen mildere Maßnahmen im Vergleich zu einer Kündigung darstellen, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG ohne Weiteres in Betracht(vgl. für die Versetzung BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - BAGE 129, 181), obwohl auch diese Maßnahmen bei Diskriminierungen iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unwirksam sind und Abmahnungen zusätzlich noch aus der Personalakte zu entfernen sind. Dann muss erst recht bei diskriminierenden Kündigungen, die typischerweise tiefer in das Persönlichkeitsrecht eingreifen, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG möglich sein(Wenckebach AuR 2010, 499, 502; Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 262a).

40

dd) § 2 Abs. 4 AGG steht einem solchen Verständnis des § 15 Abs. 2 AGG nicht entgegen. Damit wird nur der Weg beschrieben, auf dem die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in das Kündigungsschutzrecht einzupassen sind. Die Frage, wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu sanktionieren sind, ist nicht berührt (vgl. Wenckebach AuR 2010, 499, 502).

41

e) Die Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes führt - insbesondere wegen der Beweislastregel des § 22 AGG(vgl. KR/Treber 10. Aufl. § 22 AGG Rn. 6; Däubler/Bertzbach/Bertzbach AGG 3. Aufl. § 22 Rn. 48 mwN) - in Fällen, in denen das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, dazu, dass die Rechtsstellung von Arbeitnehmern bei potentiell diskriminierenden Kündigungen gegenüber der von Arbeitnehmern, bei denen keine Diskriminierung in Betracht kommt, verbessert wird. Dies ist jedoch nur die Konsequenz der Überlagerung des nationalen Kündigungsschutzrechts durch das Antidiskriminierungsrecht der Europäischen Union.

42

II. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, ob der Kläger behindert iSd. § 1 AGG ist, sondern hat dies ausdrücklich offengelassen. Beide Begründungen, mit denen es die Kündigung unabhängig von der Frage der Behinderung des Klägers als wirksam angesehen hat, tragen nicht. Es ist deshalb von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob die symptomlose HIV-Infektion des Klägers eine Behinderung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes darstellt.

43

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe den Kläger durch die streitbefangene Kündigung nicht wegen einer etwaigen Behinderung benachteiligt. Mit dieser Begründung durfte es eine Behinderung nicht dahinstehen lassen.

44

a) Die Kündigungserklärung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die der Kündigungsentscheidung zugrunde liegenden Überlegungen können Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Dieser Zusammenhang kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben (BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 34). Dabei bedarf es allerdings keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht. Es reicht aus, wenn eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 28). Dies ist hier unstreitig der Fall, weil die Beklagte die HIV-Infektion als Ausschlussmerkmal für einen Einsatz im Reinraum ansieht. Auch unberechtigte Stereotypisierungen können zu (unabsichtlichen) Diskriminierungen führen (vgl. Schiek/Schiek AGG § 3 Rn. 16; Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 3 Rn. 13). Darauf, ob die Beklagte glaubte, das für sie geltende Regelwerk gebiete die Kündigung, kommt es deshalb entgegen der von ihr vertretenen Auffassung nicht an.

45

b) Die Beklagte macht geltend, sie habe dem Kläger allein deshalb gekündigt, weil er an einer ansteckenden Krankheit im Sinne ihrer SOP leide und deshalb die Anforderungen an eine Beschäftigung im Reinraum nicht erfülle, nicht aber, weil er HIV-infiziert sei. Sie hätte genauso gehandelt, wenn der Kläger an Hepatitis B oder C bzw. einer chronischen Hauterkrankung an den Armen, Unterarmen, Händen oder im Gesicht gelitten hätte. Das Landesarbeitsgericht ist dem unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 2011 (- 8 AZR 515/10 - Rn. 34) gefolgt. Das ist rechtsfehlerhaft. Die vom Landesarbeitsgericht angeführte Entscheidung betrifft andere Fallkonstellationen als die vorliegende.

46

aa) Wäre der Kläger wegen seiner symptomlosen HIV-Infektion behindert, stellte die streitbefangene Kündigung eine unmittelbare Ungleichbehandlung iSd. § 3 Abs. 1 AGG in Form einer sog. verdeckten unmittelbaren Ungleichbehandlung dar. Eine solche Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn nach einem scheinbar objektiven, nicht diskriminierenden Kriterium (ansteckende Krankheit) unterschieden wird, das jedoch in untrennbarem Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Grund(Behinderung) steht und damit kategorial ausschließlich Träger eines Diskriminierungsmerkmals trifft (vgl. BAG 7. Juni 2011 - 1 AZR 34/10 - Rn. 23, BAGE 138, 107; vgl. EuGH 12. Oktober 2010 - C-499/08 - [Andersen] Rn. 23, Slg. 2010, I-9343; vgl. zu der für die Schwangerschaft klarstellenden Normierung dieser Rechtsfigur in § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG BAG 27. Januar 2011 - 6 AZR 526/09 - Rn. 20 f., BAGE 137, 80). Das ist hier der Fall. Kündigungsgrund ist die Unfähigkeit des Klägers, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Diese nach Auffassung der Beklagten bestehende Unfähigkeit ergab sich allein aus der HIV-Infektion des Klägers. Nach ihrer SOP ist die HIV-Infektion ebenso wie chronische Hauterkrankungen im Bereich der Arme, Unterarme, Hände und Gesicht oder eine chronisch verlaufende Hepatitis B und C ein Ausschlusskriterium für die Tätigkeit im Reinraum (vgl. S. 2 der Beauftragung des Betriebsarztes zur Durchführung von GMP-Untersuchungen vom 1. April 2010). Weitere absolute Ausschlussgründe sieht die SOP nicht vor. Ansteckende Erkrankungen wie Husten und Schnupfen, wiederholtes Erbrechen, Durchfall oder offene Ekzeme sind nach der SOP nur anzeigepflichtig und ziehen, wie die Beklagte selbst vorträgt, nur den vorübergehenden Ausschluss von der Tätigkeit im Reinraum nach sich. Führte bei chronischen Erkrankungen der Ausschluss von bestimmten Teilen des Berufsfelds dazu, dass eine Behinderung iSd. § 1 AGG vorliegt, wäre dies in allen drei in der SOP der Beklagten aufgeführten Fällen anzunehmen. Eine Kündigung, die wegen einer der in der SOP angeführten ansteckenden Krankheiten, die zum dauerhaften Ausschluss von der Tätigkeit im Reinraum führen, erklärt wird, wäre dann in allen drei Fällen wegen eines Merkmals iSd. § 1 AGG erfolgt. Insoweit gilt nichts anderes, als wenn ein Arbeitgeber einer befristet eingestellten Frau kündigt, die wegen ihrer Schwangerschaft während der gesamten Dauer der Befristung einem gesetzlichen Beschäftigungsverbot unterliegt (vgl. EuGH 4. Oktober 2001 - C-109/00 - [Tele Danmark] Rn. 20, 31, Slg. 2001, I-6993), oder wenn er einem Rollstuhlfahrer kündigt, weil die geschuldete Arbeit von einem Rollstuhlfahrer nicht verrichtet werden könne, denn nur Behinderte sind dauerhaft an den Rollstuhl gebunden (vgl. Kamanabrou RdA 2006, 321, 324). In all diesen Fällen beruht die Unfähigkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erfüllen, letztlich auf einem Diskriminierungsmerkmal.

47

bb) Daraus folgt zugleich, dass die Annahme des Landesarbeitsgerichts und der Beklagten, die Kündigung beruhe letztlich auf der aus dem Regelwerk der Beklagten folgenden, auf einer ansteckenden Krankheit beruhenden fehlenden Einsetzbarkeit des Klägers und benachteilige diesen deshalb jedenfalls nicht wegen einer etwaigen Behinderung, nicht trägt. Ob tatsächlich der Einsatz des Klägers im Reinraum dauerhaft unmöglich und deshalb die Kündigung wirksam war, ist eine Frage, die ausschließlich auf der Ebene der Rechtfertigung unter Berücksichtigung der Möglichkeit, angemessene Vorkehrungen zu treffen, zu entscheiden ist, nicht aber bereits die Annahme einer Benachteiligung wegen der Behinderung von vornherein ausschließt.

48

cc) Der Kläger würde gegenüber Personen in einer vergleichbaren Situation benachteiligt (zu diesem Erfordernis BAG 7. Juni 2011 - 1 AZR 34/10 - Rn. 29, BAGE 138, 107). Die Feststellung der Vergleichbarkeit der Situation erfordert, dass es außer der anderen Ausprägung des Diskriminierungsmerkmals keine wesentlichen Unterschiede zwischen der benachteiligten und der Vergleichsperson gibt (Schiek/Schiek AGG § 3 Rn. 11). Einem nicht behinderten chemisch-technischen Assistenten in einer sonst mit der Situation des Klägers vergleichbaren Lage wäre nicht gekündigt worden (vgl. in diesem Sinne auch EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 77). Darin liegt der Unterschied zu der vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 2011 (- 8 AZR 515/10 -). Das Argument der Beklagten, auch einem an einer chronisch verlaufenden Hepatitis B bzw. C oder an einer chronischen Hauterkrankung an den Armen, Unterarmen, Händen oder im Gesicht leidenden Arbeitnehmer hätte sie gekündigt, trägt nicht. Auch diese Arbeitnehmer wären, wie unter Rn. 46 ausgeführt, behindert.

49

2. Die Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts, das Fehlen einer HIV-Infektion stelle eine berufliche Anforderung iSd. § 8 Abs. 1 AGG dar, greift zu kurz.

50

a) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass sich der Arbeitgeber, der eine Kündigung darauf stützt, dass er den Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung nicht einsetzen könne, nur dann auf den Rechtfertigungsgrund des § 8 Abs. 1 AGG berufen kann, wenn auch angemessene Vorkehrungen iSd. Art. 5 RL 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - UN-Behin-dertenrechtskonvention (UN-BRK) - nicht zu einer Einsatzmöglichkeit führen. Unterlässt der Arbeitgeber die danach gebotenen Vorkehrungen und kann er den Arbeitnehmer deshalb nicht einsetzen, ist dieser Umstand regelmäßig nicht auf die Behinderung des Arbeitnehmers, sondern auf die Untätigkeit des Arbeitgebers zurückzuführen. Die Kündigung ist dann nicht gerechtfertigt (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 66, 68; 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 52, Slg. 2006, I-6467).

51

aa) Der Kläger ist mit einem GdB von 10 allenfalls „einfach“ Behinderter. Für diesen Personenkreis ist Art. 5 RL 2000/78/EG, demzufolge der Arbeitgeber angemessene Vorkehrungen zu ergreifen hat, um Behinderten ua. die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen, sofern diese Maßnahmen ihn nicht unverhältnismäßig belasten, nicht in nationales Recht umgesetzt worden (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - Rn. 34 ff.). Eine vergleichbare Verpflichtung sieht Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i UN-BRK vor, wonach die Vertragsstaaten sicherstellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen (reasonable accommadation) für Menschen mit Behinderungen getroffen werden. Was unter „angemessenen Vorkehrungen“ iSd. UN-BRK zu verstehen ist, ist in Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK festgelegt.

52

bb) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinen Entscheidungen vom 4. Juli 2013 (- C-312/11 - [Kommission/Italien]) und vom 11. April 2013 (- C-335/11 ua. - [Ring]) ausgeführt, dass und wie Art. 5 RL 2000/78/EG nach der Genehmigung der UN-BRK durch den Rat im Namen der Europäischen Gemeinschaft(Beschluss 2010/48/EG vom 26. November 2009 ABl. EU L 23 vom 27. Januar 2010 S. 35) unter Beachtung und in Übereinstimmung mit der UN-BRK auszulegen ist. Der Begriff „angemessene Vorkehrungen“ ist weit zu verstehen und umfasst die Beseitigung der verschiedenen Barrieren, die die volle und wirksame, gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben behindern. Gemeint sind nicht nur materielle, sondern auch organisatorische Maßnahmen, wobei die Aufzählung der möglichen Vorkehrungen im 20. Erwägungsgrund der RL 2000/78/EG nicht abschließend ist (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 53 bis 56). Ob solche Vorkehrungen den jeweiligen Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten, haben die nationalen Gerichte festzustellen, wobei sie insbesondere den damit verbundenen finanziellen und sonstigen Aufwand unter Berücksichtigung der Größe und der Finanzkraft des Arbeitgebers sowie der Möglichkeit, öffentliche Mittel oder andere Unterstützungen in Anspruch zu nehmen, in die Abwägung einzubeziehen haben (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 59 f.). Die Mitgliedstaaten müssen aufgrund von Art. 5 RL 2000/78/EG iVm. Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK die Arbeitgeber verpflichten, die im konkreten Einzelfall jeweils erforderlichen angemessenen Vorkehrungen zu ergreifen. Das bloße Schaffen von Anreiz- und Hilfsmaßnahmen genügt nicht (EuGH 4. Juli 2013 - C-312/11 - [Kommission/Italien] Rn. 60 ff. der franz. Fassung; Beyer/Wocken DB 2013, 2270).

53

cc) Die Bestimmungen der UN-BRK sind integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 28 ff.). Dadurch sind sie zugleich Bestandteil des - ggf. unionsrechtskonform auszulegenden - deutschen Rechts. Im Hinblick auf die durch den Gerichtshof der Europäischen Union unter Beachtung der UN-BRK vorgenommene Auslegung des Art. 5 RL 2000/78/EG ist Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK weder unmittelbar anzuwenden (aA v. Roetteken jurisPR-ArbR 33/2013 Anm. 1 unter D; zur unmittelbaren Anwendung von Völkerrecht vgl. Schmahl JuS 2013, 961, 965; Aichele AnwBl. 2011, 727, 728) noch sind §§ 7 und 8 AGG völkerrechtskonform auszulegen. Die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen ergibt sich vielmehr bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 241 Abs. 2 BGB aus dieser Bestimmung(vgl. zu dieser Vorschrift BAG 13. August 2009 - 6 AZR 330/08 - BAGE 131, 325; 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - BAGE 134, 296; vgl. auch Beyer/Wocken DB 2013, 2270, 2272).

54

b) Eine Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers wegen fehlender Einsatzmöglichkeiten ist demnach nur wirksam, wenn der Arbeitgeber nicht imstande ist, das infolge der Behinderung vorliegende Beschäftigungshindernis durch angemessene Vorkehrungen zu beseitigen (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 57; Däubler/Bertzbach/Brors AGG 3. Aufl. § 8 Rn. 33; KR/Treber 10. Aufl. § 8 AGG Rn. 29; Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 30). Dies hat der Arbeitgeber darzulegen (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 43; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 45; 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 33 f.; Stiebert/Pötters aaO; Däubler/Bertzbach/Brors aaO Rn. 33 f.). Beurteilungsgrundlage für die Rechtfertigungsprüfung ist dabei nicht der ursprüngliche (ausgeschriebene) Arbeitsplatz, sondern der mit verhältnismäßigem Aufwand geänderte Arbeitsplatz. Anderenfalls könnte - wie die Argumentation der Beklagten und des Landesarbeitsgerichts eindrücklich belegen - der Arbeitgeber stets berufsbezogen argumentieren und behinderte Arbeitnehmer berechtigt von der Teilhabe am Berufsleben ausschließen (vgl. Däubler/Bertzbach/Brors aaO Rn. 33; KR/Treber aaO). Genau das will Art. 5 RL 2000/78/EG verhindern, dessen Befolgung im nationalen Recht § 241 Abs. 2 BGB sicherstellt. Kann der Arbeitsplatz mit zumutbaren Anstrengungen angepasst werden, ist der Arbeitnehmer für die geschuldete Tätigkeit geeignet. Auf eine Rechtfertigung nach § 8 AGG kommt es dann grundsätzlich nicht mehr an. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer zwar auf dem zumutbar angepassten Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, aber trotzdem wegen der Behinderung schlechter gestellt wird, zB weil er nicht im Schichtbetrieb eingesetzt wird und deshalb eine Schichtzulage nicht erhält, kann noch eine Rechtfertigung dieser gleichwohl erfolgenden Benachteiligung nach § 8 Abs. 1 AGG in Betracht kommen. Erst in einem solchen Fall muss der Arbeitgeber darlegen, dass und warum gerade im Hinblick auf den angepassten Arbeitsplatz ein berufsbezogener weiterer Grund eine Benachteiligung des Behinderten rechtfertigt (ähnlich Däubler/Bertzbach/Brors aaO).

55

III. Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht im Ergebnis als richtig dar (§ 561 ZPO).

56

1. Die symptomlose HIV-Infektion des Klägers hat eine Behinderung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zur Folge. Eine Diskriminierung des Klägers durch die angegriffene Kündigung kommt deshalb in Betracht.

57

a) Eine Behinderung iSd. § 1 AGG liegt unter Berücksichtigung des maßgeblichen supranationalen Rechts vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch - in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren(Barrieren) - seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann. Auf einen bestimmten GdB kommt es nicht an (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 32). Ob eine Behinderung vorliegt, ist unter Beachtung dieses Begriffsverständnisses im Einzelfall festzustellen (Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 40), wobei auch zu beachten ist, dass das Verständnis von Behinderung nicht statisch ist (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 37).

58

aa) Der Begriff der Behinderung iSd. § 1 AGG entspricht nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers den gesetzlichen Definitionen in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 3 BGG(BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 32; BR-Drucks. 329/06 S. 31). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Gesetzgeber hat sich damit für einen modernen Behindertenbegriff entschieden, der an die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anknüpft (BT-Drucks. 14/5074 S. 98; vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - Rn. 20, BAGE 122, 54). Bei diesem bio-psycho-sozialen Behindertenbegriff wird Behinderung nicht durch die individuelle Funktionsstörung, sondern durch die Beeinträchtigung der (gesellschaftlichen) Teilhabe definiert. Eine Behinderung liegt vor, wenn sich die Beeinträchtigung auf die Partizipation in einem oder mehreren Lebensbereichen auswirkt (BT-Drucks. 14/5074 S. 98). Ob eine Beeinträchtigung relevant ist, ergibt sich demnach erst aus dem Zusammenwirken von behindernden sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) und individueller Gesundheitsstörung (Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 37; Welti DÖV 2013, 795, 797). Eine Gesundheitsstörung kann auch darin liegen, dass die (gesellschaftliche) Teilhabe durch das Verhalten anderer beeinträchtigt wird (Schiek/Welti aaO Rn. 43). Behinderung ist nach diesem Verständnis sowohl persönliche Eigenschaft als auch soziales Verhältnis (Schiek/Welti aaO Rn. 37, vgl. auch v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 159b). Eine Behinderung in diesem Sinne kann demnach auch erst durch das „Behindern“ eines Menschen durch seine Umwelt entstehen.

59

bb) In seinen Entscheidungen vom 11. April 2013 (- C-335/11 ua. - [Ring]) und vom 4. Juli 2013 (- C-312/11 - [Kommission/Italien]) hat der Gerichtshof der Europäischen Union seine Auslegung des Begriffs der „Behinderung“ iSd. RL 2000/78/EG in Anpassung an Art. 1 Unterabs. 2 UN-BRK modifiziert (zur bisherigen Auslegung siehe EuGH 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 37, Slg. 2006, I-6467). Erfasst sind Einschränkungen, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen sind, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, sofern die körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen langfristig sind. Das schließt einen Zustand ein, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit die vorgenannten Einschränkungen mit sich bringt. Anderenfalls fällt eine Krankheit nicht unter den Begriff der Behinderung iSd. RL 2000/78/EG. Behinderung und Krankheit sind nach wie vor nicht gleichzusetzen (EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 41 f., 47, 75).

60

cc) Damit haben sich die unionsrechtliche Konzeption und die des nationalen Rechts angenähert. Aus den unterschiedlichen Definitionen ergeben sich jedoch nach wie vor Unterschiede im Begriffsverständnis, die für die vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Erfassten teils günstiger, teils ungünstiger sind.

61

(1) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat den Begriff der Behinderung im Hinblick auf den Anwendungsbereich der RL 2000/78/EG auf Beeinträchtigungen der wirksamen Teilhabe am Berufsleben beschränkt (zur Kritik an dieser Beschränkung siehe Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 24 bis 27), während die Behindertenbegriffe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der UN-BRK auf die gesellschaftliche Teilhabe abstellen. Darüber hinaus sind nach dem nationalen Verständnis bereits Abweichungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauern, als langfristig anzusehen, während nach dem Verständnis des Unionsrechts die nationalen Gerichte im Einzelfall entscheiden müssen, wann eine Einschränkung „langfristig“ ist.

62

(2) Demgegenüber ist der nationale Behindertenbegriff zulasten der Behinderten enger als das supranationale Begriffsverständnis, soweit er eine Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustand verlangt, alterstypische Einschränkungen also stets nicht als Behinderung ansieht (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161 f.; Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 42). Darüber hinaus verlangt der nationale Behindertenbegriff, dass die Beeinträchtigung der Teilhabe bereits eingetreten ist, während es nach dem von der UN-BRK geleiteten unionsrechtlichen Behindertenbegriff bereits ausreicht, dass eine solche Beeinträchtigung eintreten kann.

63

dd) Der Behindertenbegriff des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist maßgeblich, soweit das nationale Recht von einem weiteren Behindertenbegriff als das supranationale Recht ausgeht. Im Übrigen ist der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen.

64

(1) Die RL 2000/78/EG stellt gemäß Art. 8 Abs. 1 nur Mindestanforderungen auf. Es bleibt daher den Mitgliedstaaten unbenommen, Regelungen einzuführen oder beizubehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die Vorschriften der Richtlinie sind. Davon hat die Bundesrepublik Deutschland im genannten Rahmen Gebrauch gemacht (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161e, 165; Däubler/ Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 1 Rn. 75; aA KR/Treber 10. Aufl. § 1 AGG Rn. 49; BeckOK ArbR/Roloff Stand 1. Dezember 2013 AGG § 1 Rn. 7). Der Gesetzgeber des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hat ausdrücklich auf den weitreichenden Behindertenbegriff in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und in § 3 BGG abgestellt. Ein gesetzgeberisches Versehen ist damit auszuschließen (gegen eine gespaltene Auslegung des Behindertenbegriffs gleichwohl Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 33).

65

(2) Soweit das nationale Recht hinter dem supranationalen Recht zurückbleibt, ist dagegen der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161f). Damit reicht es insbesondere aus, dass Beeinträchtigungen eintreten „können“.

66

ee) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts führt ein solches Begriffsverständnis nicht dazu, dass Ursache und Wirkung vertauscht würden, wenn der Umgang des Arbeitgebers mit einer Beeinträchtigung eine Behinderung zur Folge haben kann. Bei der Feststellung, ob eine Behinderung vorliegt, geht es gerade darum, objektive Barrieren zu erkennen, die sich nicht zuletzt im Verhalten des Arbeitgebers manifestieren können.

67

ff) Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass ein so verstandener Behindertenbegriff zu einer „Entgrenzung“ des Begriffs (siehe dazu Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 27, die darauf hinweisen, dass etwa 40 % der Bevölkerung in Deutschland an Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Arthrose oder Rheuma leiden; zur Häufigkeit chronischer Krankheiten siehe auch Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 16) führen und dadurch der Schutz für „schwer“ Behinderte sinken kann. Sind alle oder jedenfalls die Mehrzahl der vergleichbaren Personen ebenfalls behindert, droht der Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (weitgehend) leer zu laufen (vgl. Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 67). Zumindest ist der Behindertenschutz dann kein Minderheitenschutz mehr, es kommt zu einer Majorisierung der „normal Gesunden“ durch die Behinderten.

68

(1) Eine solche mögliche Entgrenzung lässt sich jedoch dadurch einschränken, dass die Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Teilhabe und das Vorliegen einer Benachteiligung wegen dieser nicht pauschal, sondern für die betroffenen Gruppen behinderter Menschen konkret geprüft wird. So kann etwa ein an Diabetes mellitus erkrankter Arbeitnehmer, der „gut eingestellt“ ist, an der gesellschaftlichen Teilhabe so geringfügig beeinträchtigt sein, dass er als nicht behindert anzusehen ist, während ein „schlecht einzustellender“ Diabetiker behindert sein kann. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Personen mit gleichartigen Beeinträchtigungen in verschiedenen Kontexten unterschiedlich in ihrer Teilhabe beeinträchtigt sein können. Ob und welche Barrieren vorliegen, beeinflusst die Annahme einer Behinderung. Die ICF, an deren Definition sich der nationale Behindertenbegriff orientiert, klassifiziert individuelle Behinderungen und berücksichtigt dabei Umweltfaktoren sowohl auf der Ebene des Individuums als auch auf der der Gesellschaft (Welti DÖV 2013, 795, 797; vgl. auch ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 21 f. unter 4.3; Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 68). Wer ungeachtet bestehender Beeinträchtigungen die Möglichkeit hat, gleichberechtigt am Leben in der Gemeinschaft und im Beruf teilzuhaben, ist nicht behindert (v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 159a, 164).

69

(2) Der Gefahr übermäßiger Belastung der Arbeitgeber durch einen solchen weiten Behindertenbegriff wird zudem dadurch entgegengewirkt, dass Behinderungen, die sich im Arbeitsverhältnis nicht auswirken, idR weder zu Benachteiligungen noch zu Diskriminierungen von Arbeitnehmern wegen einer Behinderung führen können. Dabei wird allerdings vielfach erst auf der Ebene der angemessenen Vorkehrungen entschieden werden können, ob und wie sich eine Behinderung im Arbeitsleben auswirkt. Dessen ungeachtet hat die Feststellung der Behinderung der Beurteilung, welche Vorkehrungen dem Arbeitgeber im konkreten Fall zumutbar sind, vorauszugehen. Sie sind Folge und nicht Tatbestandsmerkmal einer Behinderung (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 45 f.).

70

b) Der Kläger ist aufgrund seiner symptomlosen HIV-Infektion chronisch erkrankt. Diese Beeinträchtigung wirkt sich auf seine Teilhabe sowohl im Leben in der Gemeinschaft als auch in seinem Berufsfeld aus. Er ist deshalb behindert iSd. § 1 AGG. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern (ebenso Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 72 f., 77 f.; Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 43; aA nur bei Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis: Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 1 Rn. 135; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 164; nur unter Berücksichtigung künftiger Beeinträchtigungen: Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 1 Rn. 54; auf den Einzelfall abstellend: Antwort der Bundesregierung BT-Drucks. 17/7283 S. 4 f.).

71

aa) Die HIV-Infektion ist unheilbar. Sie hat eine Verminderung der zellulären Immunität und damit einen Immundefekt zur Folge (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. Stichwort: HIV-Erkrankung). Diese Abweichung vom allgemein anerkannten Standard des biomedizinischen Zustands (vgl. zu dieser Definition die ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 18 unter 4.1 Ziff. 5) führt zu einer Beeinträchtigung der Funktion des Körpers iSd. Behindertenbegriffs des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.

72

bb) Auf den Grund der Behinderung oder ihre Art kommt es nicht an. Auch chronische Krankheiten werden vom Begriffsverständnis der Behinderung iSd. § 1 AGG erfasst. Das setzt allerdings voraus, dass die erforderliche Beeinträchtigung der Teilhabe vorliegt (BT-Drucks. 14/5074 S. 98; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 164b). Eine chronische Erkrankung, die solche Beeinträchtigungen nicht mit sich bringen kann, führt nicht zu einer Behinderung iSd. § 1 AGG(vgl. für die RL 2000/78/EG EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 42).

73

cc) Der Kläger wird durch seine HIV-Infektion im erforderlichen Maß an der Teilhabe am Leben beeinträchtigt. Unerheblich ist dabei, dass seine Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist. Es genügt, dass er in interpersonellen Beziehungen und bei der Arbeit Stigmatisierungen ausgesetzt sein kann (vgl. ausdrücklich für eine HIV-Infektion ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 24 unter 5.1; vgl. auch Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 43). Diese Vorurteile und Stigmatisierungen seiner Umwelt machen ihn zu einem Behinderten iSv. § 1 AGG.

74

(1) Die gesellschaftliche Teilhabe auch von symptomlos HIV-Infizierten wird nach wie vor typischerweise durch zahlreiche Stigmatisierungen (zum Begriff des Stigmas Stürmer/Salewski in Beelmann/Jonas Diskriminierung und Toleranz S. 263, 267 f.; vgl. auch Empfehlung 200 der ILO vom 17. Juni 2010 unter I Ziff. 1 Buchst. d) und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, die auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen sind, auch wenn die Ausgrenzung in Westeuropa im Rückgang begriffen ist (Stürmer/Salewski aaO S. 264 f., 273; vgl. auch EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 79 ff.; EGMR 10. März 2011 - 2700/10 - [Kiyutin/Russland] Rn. 64). Insbesondere soll HIV-Infizierten signifikant häufig ärztliche Behandlung verweigert werden (Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 27), ebenso soll es zu Nachteilen bei Abschlüssen von Versicherungen, speziell Krankenversicherungen, kommen (Stürmer/Salewski aaO S. 273; Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 25). Darüber hinaus soll Vermeidungsverhalten zu beobachten sein, das sich nicht immer sogleich als Ausgrenzung und Diskriminierung erkennen lässt, zB in Form von Diskrepanzen zwischen verbalem und nonverbalem Verhalten (Stürmer/Salewski aaO S. 272 f.). Auch solche Stigmatisierungen und Vorurteile sind benachteiligende gesellschaftliche Kontextfaktoren (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 37 f.; Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 70). Diskriminierung ist letztlich der Endpunkt von Stigmatisierung (vgl. Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 35). Diese nach wie vor fest verwurzelten Vorurteile gegen HIV-Infizierte haben dazu geführt, dass in den Mitgliedstaaten des Europarats eine klare Gesamttendenz erkennbar ist, HIV-Infizierte, wenn nicht durch spezielle Vorschriften, so doch durch die jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften, die Schutz vor Diskriminierung etwa wegen Behinderung bieten, vor Ungleichbehandlungen am Arbeitsplatz, insbesondere vor diskriminierenden Kündigungen, zu schützen (EGMR 3. Oktober 2013 - 552/10 - Rn. 39, 82 f. unter Hinweis auf eine in dreißig Mitgliedstaaten des Europarats durchgeführte Vergleichsstudie). Auch die Empfehlung 200 der ILO vom 17. Juni 2010 sieht unter III. Ziff. 3 Buchst. c sowie unter IV. Ziff. 9 bis Ziff. 11 den Schutz vor Diskriminierungen und Kündigungen wegen einer HIV-Infektion vor und strebt unter IV. Ziff. 13 an, dass HIV-Infizierte ihre Arbeit ggf. mit angemessenen Vorkehrungen fortsetzen können.

75

(2) Auch im konkreten Fall des Klägers liegen derartige Stigmatisierungen, die HIV-Infizierte erfahren und/oder befürchten, vor. Dies wird eindrücklich dadurch belegt, dass der Kläger über seinen Beistand mitgeteilt hat, er nehme zwar an der mündlichen Verhandlung vor dem Senat teil, halte sich aber unter den Zuhörern auf, um seine Anonymität zu wahren. Außerdem hat er laut einem bereits während des Instanzenzugs erfolgten Pressebericht (faz.net vom 10. Januar 2012) erklärt, er habe sich entschieden, „im Job“ seine Infektion nicht mehr zu erwähnen. Er arbeite seit Mai (2011) wieder in einer „Medizin-Firma“, auch im Reinraum. Er verweigere Tests und Fragebögen. Gerade diese Reaktion des Klägers, künftig seine HIV-Infektion im Berufsleben zu verschweigen, leistet wiederum Vorurteilen gegenüber HIV-Infizierten Vorschub. So kommt es zu einem sich gegenseitig hochschaukelnden Wechselspiel von Reaktion und Gegenreaktion. Die gegenwärtig noch andauernde Stigmatisierung wird auch dadurch bestätigt, dass die Beklagte ausdrücklich geltend macht, die Beschäftigung des Klägers führe zu einer Rufschädigung.

76

(3) Darüber hinaus liegt im konkreten Fall des Klägers auch eine Beeinträchtigung im Berufsleben vor, wie der vorliegende Rechtsstreit deutlich macht. Die Beklagte spricht dem Kläger unter Berufung auf das für sie geltende Regelwerk von vornherein die Eignung für den vertraglich geschuldeten Einsatz im Reinraum ab. Dem Kläger als chemisch-technischen Assistenten ist dadurch der Zugang zu einem nicht unerheblichen Teil seines Berufsfeldes verwehrt. Das räumt letztlich auch die Beklagte ein, wenn sie annimmt, der Kläger könne seinen Beruf weiterhin ausüben. Ihm sei lediglich ein Einsatz in der aseptischen Medikamentenherstellung versagt.

77

2. Die SOP der Beklagten entbindet diese - anders als sie meint und unterschwellig auch das Landesarbeitsgericht annimmt - nicht von der Pflicht, im zumutbaren Rahmen angemessene Vorkehrungen zur Beschäftigung des behinderten Klägers im Reinraum zu treffen. Entgegen der Annahme der Beklagten steht bisher nicht fest, dass die HIV-Infektion des Klägers mit diesem Regelwerk nicht im Einklang steht bzw. nicht zumindest damit in Einklang zu bringen ist.

78

a) Allerdings ist nach dem EG-GMP Leitfaden, auf den Ziff. 5 der SOP verweist, ein System der Qualitätssicherung erforderlich, das der Erreichung des Ziels dient, Patienten keiner Gefahr wegen unzureichender Sicherheit, Qualität oder Wirksamkeit auszusetzen (Kapitel 1 Qualitätsmanagement - Grundsätze). Dieses Sicherungssystem soll sicherstellen, dass Herstellungs- und Prüfverfahren klar spezifiziert sind und die Regeln der Guten Herstellungspraxis beinhalten (Ziff. 1.2 Satz 4 Unterabs. ii des EG-GMP Leitfadens). Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens verlangt, dass Vorkehrungen getroffen werden „sollten“, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist. Diese Vorschrift zwingt - anders als die Beklagte annimmt - den Arzneimittelhersteller nicht dazu, HIV-Infizierte ungeachtet der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Produktionsbedingungen und Tätigkeiten des HIV-Infizierten, von einer Tätigkeit im Reinraum auszuschließen. Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens führt die HIV-Infektion nicht als Tatbestand, der eine Tätigkeit im Reinraum absolut und in jedem Fall ausschließt, auf, sondern enthält lediglich eine Generalklausel, die einem HIV-Infizierten den Einsatz im Reinraum abhängig von den Umständen des Einzelfalls verwehrt.

79

aa) Auch wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, dass Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens als Mussvorschrift zu verstehen ist, ist dieser im Rang einer Verordnung stehende Leitfaden unionsrechtskonform, dh. im Hinblick auf § 241 Abs. 2 BGB gesetzeskonform zu interpretieren. Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2003/94/EG der Kommission vom 8. Oktober 2003 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel und für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate (RL 2003/94/EG) dient der EG-GMP Leitfaden der Auslegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis. Art. 7 Abs. 5 RL 2003/94/EG, den Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens auslegt, verlangt nur, dass Hygieneprogramme, die den durchzuführenden Tätigkeiten angepasst sind und insbesondere Vorschriften zur Gesundheit des Personals enthalten, erstellt und befolgt werden. Bei Beachtung dieses Anwendungsbefehls, der ausdrücklich auf die durchzuführende und damit konkrete Tätigkeit abstellt, fordert Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens im hier vorliegenden Zusammenhang nur, dass Vorkehrungen zu treffen sind, die - soweit praktisch möglich - sicherstellen, dass die Beschäftigten nicht an einer ansteckenden Krankheit leiden, deren Ansteckungsgefahr sich auf die konkrete Tätigkeit auswirkt. Nur dann, wenn bezogen auf die konkrete Tätigkeit eine Ansteckungs- bzw. Kontaminationsgefahr besteht, soll also eine Tätigkeit des Erkrankten unterbunden werden.

80

bb) In dieser Auslegung meinen Art. 5 RL 2000/78/EG und Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens bezogen auf den vorliegenden Fall letztlich dasselbe: Der Arbeitgeber muss bei einem Behinderten, der an einer ansteckenden Krankheit leidet, die ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um einerseits dem Behinderten eine (leidensgerechte) Tätigkeit zu ermöglichen, andererseits aber Ansteckungsgefahren für Kollegen oder Dritte, insbesondere die Empfänger der erzeugten Arzneimittel, mit der erforderlichen Sicherheit verhindern zu können.

81

b) Damit wird von der Beklagten nicht verlangt, sehenden Auges ein messbares, ernsthaftes Risiko einzugehen, mit HI-Viren kontaminierte Präparate in den Verkehr zu bringen und sich damit erheblichen, uU die Existenz des Betriebs gefährdenden Schadensersatzrisiken auszusetzen. Deshalb ist auch ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit nicht in Frage gestellt. Dementsprechend räumt der Kläger ausdrücklich ein, dass sein Einsatz im Reinraum ausgeschlossen sein dürfte, wenn eine Übertragungswahrscheinlichkeit bestehe. Bisher ist aber - und das rügt die Revision mit Recht - weder vorgetragen, geschweige denn festgestellt, dass es überhaupt ein messbares Risiko einer Kontamination gibt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz will gerade solchen, aus bloß diffusen Befürchtungen und der Weigerung des Arbeitgebers, die konkreten Risiken zu ermitteln und mögliche Änderungen der Arbeitsabläufe auch nur in Erwägung zu ziehen, resultierenden Benachteiligungen entgegenwirken. Der Arbeitgeber darf sich, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, gerade nicht darauf beschränken, ohne konkrete Prüfung der Umstände und Risiken den „sicheren Weg“ zu wählen.

82

3. Der Umstand, dass es unstreitig und vom Landesarbeitsgericht festgestellt ist, dass keine anderweitige Einsatzmöglichkeit des Klägers außerhalb des Reinraums bestand, entbindet die Beklagte nicht von der Darlegung, inwieweit keine angemessenen Vorkehrungen getroffen werden konnten, die dem Kläger einen Einsatz auf dem vorgesehenen Arbeitsplatz im Reinraum ermöglicht hätten.

83

IV. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Ob die Klage begründet ist, vermag der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat die zur Beurteilung der Wirksamkeit der Wartezeitkündigung erforderlichen Feststellungen nicht getroffen. Dies wird es unter Beachtung nachstehender Erwägungen nachzuholen haben.

84

1. Die Beklagte hat zu ihren Produkten, den Produktionsbedingungen und der Tätigkeit des Klägers im Reinraum bisher nicht hinreichend konkret vorgetragen. Sie beruft sich im Kern darauf, dass ihr ein noch so geringes Risiko nicht zuzumuten sei, ohne vorzutragen, ob überhaupt ein messbares Risiko bestand, dass es durch den Kläger zu einer Verunreinigung der Produkte der Beklagten mit HI-Viren kommt. Es fehlt somit bereits am erforderlichen Ausgangspunkt für die Prüfung, ob und welche angemessene(n) Vorkehrungen ihr zumutbar sind.

85

a) Die Beklagte hat bisher lediglich vorgetragen, sie produziere radioaktive Medikamente für Krebspatienten, die intravenös verabreicht würden. Aus der von ihr vorgelegten Herstellungserlaubnis ergibt sich, dass es sich dabei um Arzneimittel für die Positronen-Emissions-Tomographie mit zwei verschiedenen Wirkstoffen handelt. Die Beklagte hat weiter vorgetragen, ihre Produkte seien nur zehn Stunden wirksam, so dass eine Überprüfung auf eine mikrobielle oder virale Verunreinigung vor der Anwendung unmöglich sei. Sie fertige im Rahmen einer sog. „aseptischen Herstellung“ und müsse deshalb mit sterilen Materialien arbeiten. Die Produktion des Medikaments, von dem sie mehr als 6,5 Millionen Einheiten im Jahr herstelle, erfordere die Arbeit mit angeschliffenen Hohlkanülen, Glasfläschchen und Aluminiumdeckeln, so dass Schnitt- und Stichverletzungen möglich seien, wobei es denkbar sei, dass diese nicht sofort bemerkt würden. Verletzungen der Arbeitnehmer und Verunreinigungen der Medikamente mit Blut seien möglich.

86

b) Zur Tätigkeit des Klägers hat die Beklagte nur vorgetragen, dass er Gefäße, in die das Medikament abgefüllt wird, sowie Produktionskassetten vorzubereiten hatte, die mit sterilen Gläschen mittels Spritzen befüllt und mittels nadelartiger Spikes entlüftet werden.

87

2. Das Landesarbeitsgericht wird vor seiner erneuten Entscheidung der Beklagten Gelegenheit zu geben haben, diesen Vortrag zu substantiieren und insbesondere zur Möglichkeit, angemessene Vorkehrungen hinsichtlich des Einsatzes des Klägers im Reinraum zu treffen, vorzutragen.

88

a) Die Beklagte stellt in ihrem Vortrag bisher ausschließlich auf das Risiko ab, Patienten, denen von ihr produzierte Medikamente injiziert werden, könnten sich mit HI-Viren infizieren. Aus dem bisherigen Vortrag ergibt sich jedoch nicht, welche Maßnahmen die Beklagte trifft, wenn es zu den von ihr angesprochenen blutenden Schnitt- oder Stichverletzungen kommt. Eine aseptische Herstellung erscheint in diesen Fällen - unabhängig davon, ob der betroffene Arbeitnehmer an einer ansteckenden Krankheit, insbesondere HIV, leidet - ausgeschlossen. Die fraglichen Medikamente dürften zu vernichten sein.

89

b) Erforderlich ist konkreter Vortrag dazu, inwieweit bei blutenden Verletzungen - insbesondere bei den von der Beklagten angesprochenen geringfügigen Verletzungen - oder auf andere Weise konkret und messbar das Risiko besteht, dass es zu (nicht entdeckbaren) Kontaminationen der hergestellten Medikamente kommen kann, und zusätzlich das Risiko besteht, dass ein solchermaßen verunreinigtes Medikament zu einer HIV-Infektion von Patienten führen kann, denen das Medikament injiziert wird. Dabei wird auch darzulegen sein, welches Risiko besteht, dass es überhaupt zu den von der Beklagten genannten (schwach) blutenden Verletzungen kommt, ob und wie dieses Risiko - etwa durch das Tragen von Spezialhandschuhen - ausgeschlossen werden kann, ob es bei bestimmten Tätigkeiten im Reinraum höher ist als bei anderen und - falls ja - ob der Kläger mit anderen als solchen besonders risikobehafteten Tätigkeiten im Reinraum beschäftigt werden konnte.

90

3. Nach Maßgabe des ergänzten Vortrags der Beklagten wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen, dh. durch wirksame und praktikable, die Beklagte nicht unverhältnismäßig belastende Maßnahmen, den Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Nur wenn das nicht der Fall war, ist die Kündigung wirksam. Bei dieser Prüfung wird es sich die zum Verständnis des Parteivorbringens erforderliche Sachkunde - ggf. auch über den Sachvortrag hinaus (vgl. BGH 7. Dezember 1994 - VIII ZR 153/93 - zu II 3 c der Gründe) - durch ein im Rahmen des Ermessens nach § 144 ZPO anzuordnendes Sachverständigengutachten verschaffen müssen. Sollte es bei seiner Entscheidung auf die Zumutbarkeit der Kosten der von der Beklagten zu veranlassenden Maßnahmen ankommen, wird es neben der Finanzkraft der Beklagten und der Frage, ob sie öffentliche Mittel in Anspruch hätte nehmen können, zu berücksichtigen haben, dass der Kläger erst kurz bei der Beklagten beschäftigt war und diese für seine Behinderung nicht verantwortlich ist. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verlangt nicht, dass die Einstellung und Beschäftigung eines Behinderten für den Arbeitgeber zum „Zuschussgeschäft“ wird (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [Ring] Rn. 59 f.; zur Berücksichtigungsfähigkeit der Kosten bei der Frage der angemessenen Vorkehrungen allgemein vgl. Däubler/ Bertzbach/Brors AGG 3. Aufl. § 8 Rn. 34). Das gilt insbesondere in der Wartezeit.

91

V. Ob dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht, hängt davon ab, ob die Kündigung wirksam ist.

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    Reiner Koch    

        

    Hoffmann    

                 

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 25. September 2015 - 18 Sa 520/14 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als den Anträgen zu 3. und zu 4. des Klägers stattgegeben wurde.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsstreits - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob die Beklagte dem Kläger nach § 15 Abs. 1 AGG zum Schadensersatz wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet ist. Der Kläger stützt seinen Schadensersatzanspruch im Wesentlichen darauf, die Beklagte habe ihn dadurch wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert, dass sie ihn bei der Vergabe zusätzlicher Wochenstunden im Juni 2013 nicht berücksichtigt habe.

2

Die Beklagte ist eine Tochtergesellschaft der F mit Hauptsitz in M (T) in den USA. Sie betreibt einen Express-Versand und Transport-Service. Der Kläger ist bei der Beklagten als Kurier in der Station K teilzeitbeschäftigt. Er wurde rückwirkend zum 20. Dezember 2011 mit einem Grad der Behinderung von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beläuft sich seit dem 1. Januar 2012 auf 27,5 Stunden. Auf dieser Grundlage erzielte er zuletzt eine monatliche Vergütung iHv. 1.994,12 Euro brutto.

3

In K waren im Jahr 2013 insgesamt 24 Kuriere beschäftigt, 16 davon als Teilzeitmitarbeiter. Sofern es in der Station K zu einem erhöhten Arbeitsanfall kommt, leisten alle teilzeitbeschäftigten Kuriere Überstunden. Darüber hinaus setzt die Beklagte in einem solchen Fall regelmäßig für Kurierfahrten Selbstständige (sog. Agents) ein. Neben dem Kläger ist der Vollzeitmitarbeiter E als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Streitig ist, seit wann der ebenfalls in Teilzeit beschäftigte Kurier S als schwerbehinderter Mensch anerkannt bzw. einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist und ob darüber hinaus weitere Kuriere als schwerbehinderte Menschen anerkannt sind.

4

Am 18. Mai 2011 hatte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung erteilt, mit der sie beanstandete, dieser habe sich geweigert, einen Abholauftrag auszuführen. Diese Abmahnung befand sich im Frühjahr 2013 nicht mehr in der Personalakte des Klägers. Unter dem 24. Januar 2013 hatte die Beklagte dem Kläger eine Ermahnung erteilt mit der Begründung, dieser habe seinen Dienst am 2. Januar 2013 um 40 Minuten verspätet begonnen. Eine entsprechende Ermahnung hatten auch drei weitere Kuriere erhalten, von denen zwei bei der Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit im Juni 2013 berücksichtigt wurden.

5

Die Beklagte erstellt für die Kuriere regelmäßig Leistungsbeurteilungen mit acht Bewertungskriterien und einer Notenskala von 1 („sehr gut“) bis 4 („nicht zufriedenstellend“). Die Beurteilungen des Klägers vom 23. April 2008, 7. Mai 2009, 3. November 2009 und 23. April 2010 weisen als Gesamtergebnis jeweils die Note 1,0 aus, die Beurteilung vom 28. Oktober 2010 die Bewertung 1,1, die Beurteilung vom 7. April 2011 sowie eine Beurteilung (ohne Datum) für den Zeitraum vom 1. April 2011 bis zum 1. April 2012 jeweils die Note 1,3 und die Bewertung vom 14. Mai 2013 die Note 1,5. Die Parteien streiten darüber, ob es sich dabei um über- oder unterdurchschnittliche Beurteilungen handelt. Grundlage der letzten Beurteilung war ua. eine durch den Stationsmanager Ku vorgenommene Überprüfung („Check-Ride“) am 18. April 2013, bei der dieser beanstandete, der Kläger könne drei bis fünf zusätzliche Stopps pro Tag durchführen. In einem Gespräch am 14. Mai 2013, dessen genauer Inhalt zwischen den Parteien streitig ist, teilte Herr Ku dem Kläger auf dessen Anfrage mit, dass seine vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit nicht um weitere Arbeitsstunden aufgestockt werden könne.

6

Im Juni 2013 standen bei der Beklagten insgesamt 66,5 Stunden für eine Erhöhung der vertraglichen wöchentlichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Kuriere zur Verfügung. In Abstimmung mit dem Betriebsrat stockte die Beklagte die wöchentliche Arbeitszeit von zwölf teilzeitbeschäftigten Kurieren um jeweils fünf Stunden auf. Der Kläger, der mehrfach um eine Erhöhung seiner Wochenstundenzahl gebeten hatte, und der Mitarbeiter H, der erst im Januar 2013 von der Station Kö nach K zurückgekehrt war, wurden hierbei nicht berücksichtigt. Nachdem der Kläger, der von der Beklagten über die beabsichtigte Stundenaufstockung nicht unterrichtet worden war, hiervon erfahren hatte, wandte er sich mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 24. Juli 2013 an die Beklagte. In diesem Schreiben heißt es ua.:

        

„Gegenstand unserer Einschaltung ist die Benachteiligung unseres Mandanten bei der Aufstockung von Arbeitszeiten, welche sowohl gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz als auch gegen die Grundsätze des AGG und des SGB IX verstößt.

        

…       

        

Namens und im Auftrag unseres Mandanten haben wir Sie daher zur Vermeidung von Weiterungen aufzufordern, auch unserem Mandanten eine Erhöhung seiner Arbeitszeit unter entsprechender Vergütungserhöhung um 5 Stunden pro Woche auf insgesamt 32,5 Stunden zu gewähren und ihm eine entsprechende Ergänzung zum Arbeitsvertrag anzubieten.“

7

Die Beklagte wies dieses Begehren mit Schreiben vom 2. August 2013 zurück.

8

In der Folgezeit wurden durch den Tod eines Kuriers sowie infolge der Entziehung der Fahrerlaubnis eines weiteren Kuriers insgesamt weitere 60 Wochenstunden frei. Dieses Stundenkontingent verwendete die Beklagte nicht für Stundenerhöhungen der teilzeitbeschäftigten Kuriere, sondern glich es durch Anordnung von Überstunden sowie den Einsatz von Agents aus.

9

Mit seiner am 30. August 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit um fünf Stunden sowie mit einem am 9. Oktober 2013 eingegangenen Schriftsatz hilfsweise die Feststellung begehrt, dass er bei der nächsten Verteilung von Wochenstunden an Teilzeitkräfte mit der Maßgabe zu berücksichtigen sei, dass seine Arbeitszeit um bis zu 7,5 Stunden pro Woche erhöht und ihm eine entsprechende Änderung seines Arbeitsvertrages unter Erhöhung der monatlichen Vergütung angeboten werde. In der Berufungsinstanz hat der Kläger seine Klage erweitert und hilfsweise die Zahlung von Schadensersatz in Form entgangenen Arbeitsentgelts für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis zum 30. Juni 2016 sowie hilfsweise die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm monatlich bis zu einer Erhöhung seiner Wochenstundenzahl bzw. bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses einen Betrag iHv. 344,43 Euro brutto zu zahlen.

10

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn dadurch, dass sie ihn bei der Vergabe zusätzlicher Wochenstunden im Juni 2013 nicht berücksichtigt habe, wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Er hat behauptet, seit März 2010 regelmäßigen, teils erheblichen Anfeindungen seiner Vorgesetzten Ku und Sp ausgesetzt gewesen zu sein. Hierdurch sei er wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Es hätten sich beispielsweise Bronchialasthma, psychische Beeinträchtigungen, Schwerhörigkeit, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel und Tinnitus entwickelt. Diese Funktionsbeeinträchtigungen seien auch der Grund für seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50.

11

Er hätte als schwerbehinderter Mensch bei der Vergabe von zusätzlichen Wochenarbeitsstunden gemäß § 9 TzBfG bevorzugt berücksichtigt werden müssen. Jedenfalls sei er durch die Ablehnung einer Erhöhung seiner wöchentlichen Arbeitszeit vor allem wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden. Dies folge insbesondere aus dem Umstand, dass er als einziger Teilzeitbeschäftigter trotz eines entsprechenden Wunsches im Juni 2013 keine Stundenerhöhung erhalten habe, dass die Beklagte ihn entgegen § 7 Abs. 2 TzBfG nicht vorab über die Stundenerhöhungen informiert habe und auch die Schwerbehindertenvertretung entgegen § 95 Abs. 2 SGB IX nicht vorab unterrichtet und angehört habe.

12

Wie sich aus den vorgelegten Beurteilungen zudem ergebe, leiste er überdurchschnittliche Arbeit. Er sei einer der wenigen Arbeitnehmer, die in den vergangenen Jahren auf sechs unterschiedlichen Touren eingesetzt worden seien, während die meisten anderen Kuriere nur auf zwei bis drei Touren einsetzbar seien. Bei dem „Check-Ride“ am 18. April 2013 habe sich Herr Ku wie ein „Drill-Instructor“ geriert und dadurch bei ihm Stress und Verunsicherung ausgelöst. Sofern andere Kuriere gelegentlich eine höhere Anzahl an Lieferungen erledigen könnten, sei dies maßgeblich darauf zurückzuführen, dass diese ua. unter Missachtung von Geschwindigkeitsbeschränkungen, Nichteinhaltung sonstiger Regeln der Straßenverkehrsordnung oder außerhalb des städtischen Berufsverkehrs unterwegs seien. Der am 13. Juni 2013 mit dem Schwerbehindertenvertrauensmann Ho durchgeführte weitere „Check-Ride“ habe gezeigt, dass er gut arbeite und die verlangte Anzahl von Stopps erreiche. Herr Ho habe sich anschließend bei den Stationsmanagern Sp und Ku für ihn eingesetzt. Diese hätten jedoch lediglich angeboten, dass er sich durch das Ableisten von Überstunden für eine künftige Stundenerhöhung empfehlen könne. Im Jahr 2013 habe er im Übrigen 81,6 Überstunden geleistet.

13

Außerdem habe Herr Ku ihm in dem Gespräch am 14. Mai 2013 erklärt, er solle sich nicht unglücklich machen; er sei ja schwerbehindert, solle auf seine Gesundheit achten und bedenken, dass er bei der Beklagten nicht mehr glücklich werde; er solle lieber eine Abfindung nehmen und die Beklagte verlassen. Herr Sp habe im Juni 2013 und auch schon mehrfach im Jahr 2012 geäußert, solange er Stationsmanager in der Station K sei, werde er (der Kläger) keine zusätzlichen Stunden bekommen. Herr Sp habe sich in auffälliger Weise dafür interessiert, ob seine Krankmeldung am 1. Juli 2013 mit der Schwerbehinderung zu tun habe und ob ihm denn sein Arbeitsplatz nicht wichtig sei. Die Anfeindungen seien auch nach Juni 2013 fortgesetzt worden. So habe Herr Sp am 12. Juni 2015 ironisch geäußert, es sei ja beachtlich, dass der Kläger als Schwerbehinderter am 11. Juni 2015 27 Stopps geschafft habe und habe dabei hämisch gelacht. Am 29. Juni 2015 habe er erfahren, dass die Beklagte erneut zusätzliche Stunden an sieben Mitarbeiter verteilt habe, ohne ihn dabei zu berücksichtigen oder überhaupt nur im Vorfeld zu informieren.

14

Wegen der willkürlichen und ausschließlich wegen seiner Schwerbehinderung erfolgten Nichtberücksichtigung bei der Stundenvergabe im Mai/Juni 2013 stehe ihm jedenfalls nach § 15 Abs. 1 AGG ein zeitlich unbegrenzter Schadensersatzanspruch zu, der sich ausgehend von einer durchschnittlichen Stundenerhöhung von 4,75 Stunden für die übrigen Teilzeitbeschäftigten und einem Bruttomonatsgehalt von 1.994,12 Euro auf monatlich 344,34 Euro belaufe.

15

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

        

1.      

die Beklagte zu verurteilen, seine Arbeitszeit um fünf Stunden pro Woche auf 32,5 Stunden pro Woche zu erhöhen und ihm eine entsprechende Änderung des Arbeitsvertrages unter Erhöhung der monatlichen Vergütung auf 2.356,69 Euro bei ansonsten unveränderten Bedingungen anzubieten;

        

2.      

hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.,

                          

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens bei der nächsten Verteilung von Wochenstunden an Teilzeitkräfte mit der Maßgabe zu berücksichtigen, dass seine Arbeitszeit wie andere um bis zu 7,5 Stunden pro Woche auf bis zu 35 Wochenstunden erhöht und ihm eine entsprechende Änderung seines Arbeitsvertrages unter Erhöhung der monatlichen Vergütung auf bis zu 2.537,97 Euro bei ansonsten unveränderten Bedingungen angeboten wird;

        

3.    

hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu 1. und 2.,

                          

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.399,48 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;

        

4.    

hilfsweise für den Fall, dass das Gericht dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch (Antrag zu 3.) nur anteilig bis zum Tag der letzten mündlichen Verhandlung stattgeben sollte,

                          

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger monatlich einen Betrag iHv. 344,43 Euro brutto zu zahlen und zwar beginnend ab dem Zeitpunkt der Entscheidung durch das Berufungsgericht und endend vor dem Tag, an dem die Beklagte die Wochenstundenzahl des Klägers erhöht oder das Arbeitsverhältnis beendet wird, je nachdem, welcher Zeitpunkt zuerst eintritt.

16

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, dem Kläger weder eine Aufstockung seiner wöchentlichen Arbeitszeit noch Schadensersatz zu schulden. Bereits im Juni 2013 seien alle verfügbaren 66,5 Stunden vergeben worden, wobei sie das über 60 Wochenstunden hinausgehende Stundenkontingent auf die Mitarbeiter R (fünf Stunden) und A (1,5 Stunden) verteilt habe. Die Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit der Mitarbeiter sei überwiegend bereits zum 1. Juni 2013 umgesetzt worden. Nur Herr Er habe erst seit dem 15. Juni 2013 fünf Stunden mehr pro Woche gearbeitet. Dass dessen Änderungsvertrag am 23. August 2013 noch nicht unterzeichnet gewesen sei, habe daran gelegen, dass sie Herrn Er zunächst einen falschen Vertragstext vorgelegt habe.

17

In dem Gespräch am 14. Mai 2013 habe Herr Ku gegenüber dem Kläger lediglich erklärt, dass man zwar gerne weitere Stunden an die Mitarbeiter verteilen würde, dies aber von der Geschäftsleitung noch nicht genehmigt sei. Die entsprechende Genehmigung sei erst im Juni 2013 erteilt worden.

18

Grund für die Nichtberücksichtigung des Klägers bei der Stundenvergabe sei nicht dessen Schwerbehinderung, sondern seien ausschließlich seine Leistungsmängel gewesen. Seine Beurteilungen seien schlechter als der Notendurchschnitt, der im Jahr 2011 bei 1,05, im Jahr 2012 bei 1,03 und im Jahr 2013 bei 1,07 gelegen habe. Damit sei der Kläger der im Vergleich schlechteste Kurier gewesen. Im Übrigen habe Herr S, der ebenfalls schwerbehindert bzw. gleichgestellt sei, eine Stundenerhöhung erhalten. Zudem beschäftige sie als Vollzeitkuriere neben Herrn Er die weiteren schwerbehinderten Arbeitnehmer B und D. Der Kläger sei auch nicht der einzige teilzeitbeschäftigte Kurier, der bei der Stundenaufstockung nicht berücksichtigt worden sei. Herr H, der seit März 2005 bei ihr beschäftigt und lediglich im Zuge der Kapazitätsverlagerung von Fr nach Kö im Jahr 2010 dorthin gewechselt sei, sei - was unstreitig ist - trotz eines entsprechenden Wunsches bei der Stundenvergabe ebenfalls unberücksichtigt geblieben. Die vom Kläger im Jahr 2013 geleisteten Überstunden beliefen sich auf lediglich 17,03 Stunden und lägen damit weit unter denen der übrigen Kuriere.

19

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - nach Beweisaufnahme den Anträgen zu 3. und 4. insoweit entsprochen, als es die Beklagte verurteilt hat, an den Kläger entgangene Vergütung für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis zum 31. August 2015 iHv. 8.955,18 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen und zudem festgestellt hat, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger monatlich einen Betrag iHv. 344,43 Euro brutto zu zahlen, und zwar beginnend ab dem Datum der Entscheidung durch das Berufungsgericht (25. September 2015) und endend vor dem Tag, an dem die Beklagte die Wochenstundenzahl des Klägers erhöht oder das Arbeitsverhältnis beendet wird, je nachdem, welcher Zeitpunkt zuerst eintritt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Revision, mit der sie die vollständige Klageabweisung begehrt. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

20

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte den Klageanträgen zu 3. und 4. nicht - teilweise - stattgegeben werden. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig ( § 561 ZPO ). Ob und ggf. in welchem Umfang die Klage begründet ist, kann vom Senat aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils ( § 562 Abs. 1 ZPO ) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

21

I. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte den Klageanträgen zu 3. und 4. nicht - teilweise - stattgegeben werden.

22

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe Anspruch auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG, da die Beklagte die Auswahl unter den Kurierfahrern, die eine Arbeitszeitaufstockung wünschten, unter Verstoß gegen §§ 7, 1 AGG vorgenommen habe. Der Kläger habe ausreichende Indizien nachgewiesen, dass er insoweit wegen seiner Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit unmittelbar benachteiligt worden sein könnte. Diese Vermutung habe die Beklagte nicht widerlegt. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Beklagte kein objektives Auswahlverfahren durchgeführt habe. Vielmehr lasse der Ausschluss des Klägers eine unmittelbare Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten. Diese Vermutung werde durch folgende Indizien gestützt: Der Kläger sei nach dem Willen der Manager der Beklagten, Sp und Ku, als einziger Kurier in Teilzeit, der eine Stundenerhöhung gewünscht habe, nicht berücksichtigt worden, obgleich die Stunden ohne Einzelfallbetrachtung vergeben worden seien. Die quantitativen Leistungseinschränkungen des Klägers, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dazu geführt haben könnten, dass er nicht berücksichtigt worden sei, beruhten auf seiner Behinderung, was den Managern der Beklagten bewusst gewesen sein müsse. Zudem sei der Kläger in dem Gespräch am 14. Mai 2013 fehlerhaft informiert worden, dass keine Stundenaufstockungen zu erwarten seien. Man habe ihn auch nicht darüber in Kenntnis gesetzt, dass seine Kollegen zum 1. Juni 2013 bzw. 15. Juni 2013 dauerhafte Erhöhungen der Wochenarbeitszeit erhielten, während er keine Berücksichtigung gefunden habe. Dies spreche dafür, dass man ihm gegenüber eine Rechtfertigung für die unterbliebene Verlängerung der Wochenarbeitszeit habe vermeiden wollen. Außerdem habe die Beklagte schriftsätzlich unzutreffende Angaben dazu gemacht, warum der Kläger nicht ausgewählt wurde.

23

2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte sei dem Kläger nach § 15 Abs. 1 AGG zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie ihn bei der Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Kuriere im Juni 2013 wegen seiner Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und dadurch unmittelbar benachteiligt habe, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob hinreichende Indizien vorliegen, die eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung vermuten lassen iSv. § 22 AGG, einen unzutreffenden Maßstab angewendet und damit zugleich die Voraussetzungen für das Eingreifen der Beweislastumkehr nach § 22 AGG verkannt.

24

a) Der Anspruch auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen verbietet. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen einer Behinderung. Zudem dürfen Arbeitgeber nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX die Regelungen des AGG.

25

aa) Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und dem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Für den Kausalzusammenhang ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; es muss nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt(vgl. etwa BAG 11. August 2016 - 8 AZR 4/15 - Rn. 62; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 53, BAGE 155, 149; 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 34 mwN).

26

bb) § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat(vgl. etwa BAG 11. August 2016 - 8 AZR 4/15 - Rn. 63 mwN; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 54 mwN, BAGE 155, 149).

27

(1) Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist(vgl. BAG 11. August 2016 - 8 AZR 375/15 - Rn. 24; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 54 mwN, BAGE 155, 149). Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asocia ţ ia ACCEPT] Rn. 50; vgl. auch EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 42, 44 f.; BAG 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 31 mwN).

28

(2) Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (vgl. EuGH 16. Juli 2015 - C-83/14 - [CHEZ Razpredelenie Bulgaria] Rn. 85; 25. April 2013 - C-81/12 - [Asocia ţ ia ACCEPT] Rn. 55 mwN; 10. Juli 2008 - C-54/07 - [Feryn] Rn. 32, Slg. 2008, I-5187; BAG 11. August 2016 - 8 AZR 375/15 - Rn. 24; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 54 mwN, BAGE 155, 149). Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben(vgl. etwa BAG 11. August 2016 - 8 AZR 4/15 - Rn. 63 mwN; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - aaO).

29

cc) Sowohl die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von einer/einem Beschäftigten vorgetragenen und unstreitigen oder bewiesenen Haupt- und/oder Hilfstatsachen eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, als auch deren Würdigung, ob die von dem Arbeitgeber seinerseits vorgebrachten Tatsachen den Schluss darauf zulassen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat, sind nur eingeschränkt revisibel(vgl. etwa BAG 22. August 2013 - 8 AZR 563/12  - Rn. 49 mwN, 63). In beiden Fällen beschränkt sich die revisionsrechtliche Kontrolle darauf zu prüfen, ob das Landesarbeitsgericht sich den Vorgaben von § 286 Abs. 1 ZPO entsprechend mit dem Prozessstoff umfassend auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also vollständig und des Weiteren rechtlich möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt(st. Rspr., vgl. BAG 23. Juli 2015 - 6 AZR 457/14  - Rn. 29, BAGE 152, 134 ; 18. September 2014 -  8 AZR 759/13  - Rn. 30 ; 26. Juni 2014 -  8 AZR 547/13  - Rn. 42 ; 27. März 2014 -  6 AZR 989/12  - Rn. 37 ; 26. September 2013 -  8 AZR 650/12  - Rn. 28 ; 22. August 2013 -  8 AZR 563/12  - aaO ; 21. Juni 2012 -  8 AZR 364/11  - Rn. 34 , BAGE 142, 158 ).

30

b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es bestehe die Vermutung, dass der Kläger bei der Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Kuriere im Juni 2013 wegen seiner Behinderung benachteiligt worden sei, hält dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle nicht stand. Zwar hat das Landesarbeitsgericht unter B. III. 3. a) aa) der Urteilsgründe zutreffend die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wiedergegeben, wonach eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann genügt, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Es hat diesen Maßstab allerdings im Folgenden seiner Würdigung nicht zugrunde gelegt, sondern bereits die Möglichkeit der Kausalität der Behinderung des Klägers für dessen Benachteiligung ausreichen lassen. So stellt das Berufungsgericht seiner Würdigung unter B. III. 3. a) cc) der Urteilsgründe den Satz voran: „Der Kläger hat ausreichende Indizien nachgewiesen, dass er wegen seiner Schwerbehinderung unmittelbar benachteiligt worden sein kann.“ Ferner heißt es unter B. III. 3. a) cc) (1) der Urteilsgründe: „Die quantitativen Leistungseinschränkungen des Klägers, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dazu geführt haben können, dass der Kläger nicht berücksichtigt wurde, beruhen auf seiner Behinderung.“ § 22 AGG verlangt für die Annahme der Kausalitätsvermutung jedoch das Vorliegen von Indizien, die mitüberwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dass das Landesarbeitsgericht diese Voraussetzung dennoch als gegeben angesehen hat, lässt das angefochtene Urteil auch nicht an anderer Stelle seiner Begründung erkennen.

31

II. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei zu vermuten, dass der Kläger bei der Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Kuriere im Juni 2013 wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde, erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig ( § 561 ZPO ).

32

1. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers stellt der von ihm behauptete Umstand, dass die Schwerbehindertenvertretung nicht vorab unterrichtet und angehört wurde, kein Indiz iSv. § 22 AGG dar, dass er wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde.

33

a) Zwar hat der Arbeitgeber nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Unterlässt es der Arbeitgeber entgegen dieser Bestimmung, die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen, ist dies ein Indiz iSd. § 22 AGG, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lässt, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer wegen der Behinderung benachteiligt wurde(BAG 20. Januar 2016 - 8 AZR 194/14 - Rn. 40; 22. August 2013 - 8 AZR 574/12 - Rn. 35).

34

b) Vorliegend war die Beklagte jedoch weder zu einer Unterrichtung noch zu einer Anhörung der Schwerbehindertenvertretung verpflichtet.

35

aa) Das Wort „berühren“ in § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist mit „betreffen“ gleichzusetzen(BAG 17. August 2010 - 9 ABR 83/09 - Rn. 14, BAGE 135, 207). Die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte sollen es der Schwerbehindertenvertretung ermöglichen, auf eine sachdienliche Behandlung hinzuwirken, wenn die spezifischen Belange eines schwerbehinderten Menschen oder der schwerbehinderten Beschäftigten als Gruppe für die Entscheidung des Arbeitgebers erheblich sind(BAG 22. August 2013 - 8 AZR 574/12 - Rn. 35 mwN). Eine Unterrichtungs- und Anhörungspflicht besteht deshalb nicht, wenn die Angelegenheit bzw. die Maßnahme des Arbeitgebers die Belange schwerbehinderter Menschen in keiner anderen Weise betrifft als die Belange nicht schwerbehinderter Beschäftigter (BAG 14. März 2012 - 7 ABR 67/10 - Rn. 20; 17. August 2010 - 9 ABR 83/09 - Rn. 13, 18, aaO).

36

bb) Dies war bei der Vergabe zusätzlicher Wochenarbeitsstunden im Juni 2013 an 14 teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter und bei der Nichtvergabe zusätzlicher Wochenarbeitsstunden an den Kläger der Fall. Hierdurch wurden weder die spezifischen Belange des schwerbehinderten Klägers noch die der schwerbehinderten Beschäftigten als Gruppe berührt.

37

2. Auch der Umstand, dass die Beklagte den Kläger ggf. entgegen § 7 Abs. 2 TzBfG nicht vorab über ihren Entschluss unterrichtet hat, die wöchentliche Arbeitszeit von teilzeitbeschäftigten Kurieren um insgesamt 66,5 Stunden aufzustocken, begründet entgegen der Auffassung des Klägers nicht die Vermutung, dass dieser wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt wurde. Dies folgt bereits daraus, dass die in § 7 Abs. 2 TzBfG bestimmte Verpflichtung des Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer, der ihm den Wunsch nach Veränderung von Dauer und Lage seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat, über zu besetzende entsprechende Arbeitsplätze zu informieren, zwar ua. der Verwirklichung der Ansprüche nach § 9 TzBfG dient, jedoch keine Verpflichtung ist, die das Gesetz zum Schutze oder mit dem Ziel der Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen bestimmt hat. Als Vermutungstatsachen für einen Kausalzusammenhang mit der Schwerbehinderung kommen nämlich nur Pflichtverletzungen in Betracht, die der Arbeitgeber begeht, indem er Vorschriften nicht befolgt, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen enthalten (vgl. BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 29; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 35). Dies ist bei § 7 Abs. 2 TzBfG nicht der Fall.

38

III. Ob und ggf. in welchem Umfang die Klage begründet ist, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Insbesondere kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob Indizien vorliegen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass der Kläger bei der Vergabe der zusätzlichen Wochenarbeitsstunden im Juni 2013 wegen seiner Schwerbehinderung unberücksichtigt blieb. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

39

1. Zwar hat der Senat bei der Beurteilung, ob eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger die ungünstigere Behandlung wegen seiner Schwerbehinderung erfahren hat, grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner Beweiswürdigung (§ 286 ZPO)festgestellt hat. Hat das Berufungsgericht festgestellt, dass eine tatsächliche Behauptung wahr oder unwahr sei, so ist diese Feststellung nach § 559 Abs. 2 ZPO für das Revisionsgericht bindend, es sei denn, dass in Bezug auf die Feststellung ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff erhoben ist. Die den Feststellungen des Berufungsgerichts zugrunde liegende Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur auf eine entsprechende Rüge hin darauf zu überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. etwa BAG 18. November 2015 - 5 AZR 814/14 - Rn. 29 mwN; 19. Mai 2015 - 9 AZR 863/13 - Rn. 23 mwN). Allerdings greift die insoweit erhobene Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe den Prozessstoff nur unvollständig gewürdigt, durch, weshalb dahinstehen kann, ob die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht auch deshalb einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält, weil sie - wie die Beklagte rügt - auf einer Verletzung von Denkgesetzen beruht.

40

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die quantitativen Leistungseinschränkungen des Klägers, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dazu geführt haben könnten, dass er nicht berücksichtigt wurde, beruhten auf seiner Behinderung, was den Managern der Beklagten bewusst gewesen sein müsse. Diese Würdigung lässt indes jegliche Auseinandersetzung damit vermissen, dass der Kläger selbst widersprüchlich dazu vorgetragen hatte, inwieweit die Entscheidung der Beklagten, ihn bei der Vergabe zusätzlicher Wochenarbeitsstunden nicht zu berücksichtigen, überhaupt auf behinderungsbedingten Leistungsbeeinträchtigungen beruhte. Insoweit hat der Kläger nämlich auch ausgeführt, er habe, wie sich aus den vorgelegten Beurteilungen ergebe, im Vergleich zu anderen - nicht behinderten - Kurierfahrern sogar überdurchschnittliche Leistungen erbracht. Er sei einer der wenigen Arbeitnehmer, die in den vergangenen Jahren auf sechs unterschiedlichen Touren eingesetzt worden seien, während die meisten anderen Kuriere nur auf zwei bis drei Touren einsetzbar seien. Bei dem „Check-Ride“ am 18. April 2013 habe sich Herr Ku wie ein „Drill-Instructor“ geriert und dadurch bei ihm Stress und Verunsicherung ausgelöst. Sofern andere Kuriere gelegentlich eine höhere Anzahl an Lieferungen erledigen könnten, sei dies maßgeblich darauf zurückzuführen, dass diese ua. unter Missachtung von Geschwindigkeitsbeschränkungen, Nichteinhaltung sonstiger Regeln der Straßenverkehrsordnung oder außerhalb des städtischen Berufsverkehrs unterwegs seien.

41

b) Aus diesem Grund kann dahinstehen, ob die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht auch deshalb einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält, weil sie - wie die Beklagte rügt - auf einer Verletzung von Denkgesetzen beruht. Insbesondere kann offenbleiben, ob die Rüge der Beklagten durchgreift, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht aus der Formulierung des Zeugen Ku, „Krankheitszeiten, das muss man nicht verheimlichen“ den Schluss gezogen, die Zeugen Sp und Ku hätten nicht vollständig wahrheitsgemäß ausgesagt, zudem habe es eindeutige anderslautende Aussagen der Zeugen außen vor gelassen. Es kommt daher nicht darauf an, ob sich aus dem Umstand, dass ein Zeuge - ohne hiernach gefragt worden zu sein - besonders betont, nichts verheimlichen zu wollen, ein Realkennzeichen im Sinne eines „starken Indizes“ dafür ergeben kann, dass er tatsächlich doch etwas verheimlichen wollte (vgl. zu der Aussagekraft einer Betonung der Wahrheitstreue durch den Zeugen: Bender/Nack/Treuer Tatsachenfeststellung vor Gericht 3. Aufl. Rn. 371; Balzer Beweisaufnahme und Beweiswürdigung im Zivilprozess 2. Aufl. Rn. 328) oder ob es sich bei diesem Umstand lediglich um einen Indikator mit für sich genommen nur geringer Validität, dh. mit durchschnittlich nur wenig über dem Zufallsniveau liegender Aussagekraft für die Glaubhaftigkeit oder fehlende Glaubhaftigkeit der Aussage handelt (vgl. hierzu BGH 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - zu B II 1 b aa (1) der Gründe, BGHSt 45, 164).

42

2. Nach der Zurückverweisung ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ) wird das Landesarbeitsgericht zunächst - ggf. nach erneuter Beweisaufnahme - erneut darüber zu entscheiden haben, ob die Beklagte den Kläger „wegen“ seiner Schwerbehinderung benachteiligt hat, dh. ob Indizien vorliegen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Schwerbehinderung des Klägers kausal für die Entscheidung der Beklagten war, diesen bei der Stundenerhöhung im Juni 2013 nicht zu berücksichtigen und ob diese Vermutung - sofern sie bestehen sollte - von der Beklagten ggf. widerlegt wurde. Dafür gibt der Senat die nachstehenden Hinweise:

43

a) Das Landesarbeitsgericht wird zu beachten haben, dass einige der von ihm im angefochtenen Urteil angezogenen Umstände für sich allein betrachtet nicht geeignet sind, eine Indizwirkung nach § 22 AGG zu begründen.

44

aa) Selbst wenn der Kläger der einzige schwerbehinderte Arbeitnehmer in der Vergleichsgruppe der teilzeitbeschäftigten Kuriere gewesen sein sollte, ließe sich hieraus allein kein Indiz iSd. § 22 AGG ableiten. Dieser Umstand lässt nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Schluss darauf zu, dass die Schwerbehinderung des Klägers Teil des Motivbündels der Beklagten war. Es besteht zumindest ein gleich hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass ausschließlich andere Motive ausschlaggebend waren, wobei es sich insoweit nicht um sachlich gerechtfertigte Motive handeln muss. Die bloße ungünstigere Behandlung eines Beschäftigten weist für sich genommen nicht darauf hin, dass diese im Zusammenhang mit einem bestimmten Merkmal iSv. § 1 AGG steht. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die einen Bezug zu diesem Merkmal aufweisen.

45

bb) Auch wenn der Kläger am 14. Mai 2013 fehlerhaft dahin informiert worden sein sollte, dass keine Stundenaufstockungen zu erwarten seien, und wenn die Beklagte ihn nicht vorab über ihren Entschluss unterrichtet haben sollte, die wöchentliche Arbeitszeit von teilzeitbeschäftigten Kurieren anzuheben, lässt dies für sich genommen ebenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Schluss darauf zu, dass die Schwerbehinderung des Klägers mitursächlich für seine Benachteiligung war. Allein das Bemühen, einen Beschäftigten gar nicht erst auf die gewünschte Maßnahme hoffen zu lassen bzw. bei ihm nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, andere Arbeitnehmer seien begünstigt worden, lässt für sich betrachtet nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den erforderlichen Zusammenhang zwischen der Benachteiligung und einem Merkmal iSv. § 1 AGG schließen, sondern nur darauf, diesen Beschäftigten nicht begünstigen zu wollen und Problemen mit ihm möglichst aus dem Wege zu gehen.

46

b) Sollte das Landesarbeitsgericht bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis gelangen, dass Indizien bewiesen sind, die nach § 22 AGG eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung vermuten lassen, wird es sodann zu prüfen haben, ob die Beklagte dargelegt und bewiesen hat, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist, weil ausschließlich andere als die in § 1 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX genannten Gründe, hier: die Schwerbehinderung des Klägers, zu dessen ungünstigerer Behandlung geführt haben.

47

3. Sofern das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Beklagte den Kläger „wegen“ seiner Schwerbehinderung benachteiligt hat, wird es zu prüfen haben, ob diese Benachteiligung auch kausal für den von ihm geltend gemachten Schaden ist. Dabei wird es Folgendes zu beachten haben:

48

Streiten die Parteien - wie hier - darüber, ob der Arbeitgeber nach § 15 Abs. 1 AGG zum Ersatz eines Vermögensschadens in Form entgangenen Gewinns(§ 252 BGB), hier: entgangenen Arbeitsentgelts, verpflichtet ist, hat der/die Anspruchsteller/in die Darlegungs- und Beweislast für die haftungsausfüllende Kausalität. Diese, dem/der Anspruchsteller/in im Rahmen von § 15 Abs. 1 AGG obliegende Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität wird durch § 22 AGG nicht abgeändert(vgl. BAG 11. August 2016 - 8 AZR 406/14 - Rn. 105; 20. Juni 2013 - 8 AZR 482/12 - Rn. 52 f.; 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - Rn. 78 f.). Danach muss der/die Anspruchsteller/in darlegen und ggf. beweisen, dass seine/ihre Schlechterstellung - eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes unterstellt - auch tatsächlich zu einem Schaden geführt hat bzw. führen wird. Dies wäre im vorliegenden Verfahren aber nur dann anzunehmen, wenn andernfalls alle Voraussetzungen für eine vertragliche Aufstockung der Wochenarbeitszeit des Klägers vorgelegen hätten, wenn also die Anhebung der wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers ausschließlich deshalb unterblieben wäre, weil die Beklagte bei der Vergabe der Wochenarbeitsstunden nach einem Grund iSv. § 1 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, hier: der Schwerbehinderung, differenziert hätte. Ähnliche Überlegungen werden für die Situation eines abgelehnten Bewerbers (vgl. BAG 11. August 2016 - 8 AZR 406/14 - aaO; 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - Rn. 78) und in dem Fall angestellt, dass ein befristeter Vertrag nicht verlängert oder nicht entfristet wird (BAG 20. Juni 2013 - 8 AZR 482/12 - aaO). Dem Kläger käme im Rahmen von § 15 Abs. 1 AGG aber eine Beweiserleichterung zugute, wenn nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder Wahrscheinlichkeit für eine vertragliche Aufstockung seiner Wochenarbeitszeit bei diskriminierungsfreiem Vorgehen der Beklagten bestünde(vgl. BGH 23. April 2012 - II ZR 163/10 - Rn. 64, BGHZ 193, 110).

49

4. Im Hinblick auf den auf Feststellung gerichteten Hilfsantrag zu 4. wird das Landesarbeitsgericht ggf. zu beachten haben, dass der hiermit verfolgte Anspruch nur bestehen kann für Zeiten, für die dem Kläger ein Entgelt- oder Entgeltschutzanspruch zusteht und dass vor diesem Hintergrund unter Umständen nur eine Feststellung dem Grunde nach in Betracht kommt.

        

    Schlewing    

        

    Winter    

        

    Vogelsang    

        

        

        

    Wein    

        

    F. Rojahn    

                 

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 25. September 2015 - 18 Sa 520/14 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als den Anträgen zu 3. und zu 4. des Klägers stattgegeben wurde.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsstreits - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob die Beklagte dem Kläger nach § 15 Abs. 1 AGG zum Schadensersatz wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet ist. Der Kläger stützt seinen Schadensersatzanspruch im Wesentlichen darauf, die Beklagte habe ihn dadurch wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert, dass sie ihn bei der Vergabe zusätzlicher Wochenstunden im Juni 2013 nicht berücksichtigt habe.

2

Die Beklagte ist eine Tochtergesellschaft der F mit Hauptsitz in M (T) in den USA. Sie betreibt einen Express-Versand und Transport-Service. Der Kläger ist bei der Beklagten als Kurier in der Station K teilzeitbeschäftigt. Er wurde rückwirkend zum 20. Dezember 2011 mit einem Grad der Behinderung von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beläuft sich seit dem 1. Januar 2012 auf 27,5 Stunden. Auf dieser Grundlage erzielte er zuletzt eine monatliche Vergütung iHv. 1.994,12 Euro brutto.

3

In K waren im Jahr 2013 insgesamt 24 Kuriere beschäftigt, 16 davon als Teilzeitmitarbeiter. Sofern es in der Station K zu einem erhöhten Arbeitsanfall kommt, leisten alle teilzeitbeschäftigten Kuriere Überstunden. Darüber hinaus setzt die Beklagte in einem solchen Fall regelmäßig für Kurierfahrten Selbstständige (sog. Agents) ein. Neben dem Kläger ist der Vollzeitmitarbeiter E als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Streitig ist, seit wann der ebenfalls in Teilzeit beschäftigte Kurier S als schwerbehinderter Mensch anerkannt bzw. einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist und ob darüber hinaus weitere Kuriere als schwerbehinderte Menschen anerkannt sind.

4

Am 18. Mai 2011 hatte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung erteilt, mit der sie beanstandete, dieser habe sich geweigert, einen Abholauftrag auszuführen. Diese Abmahnung befand sich im Frühjahr 2013 nicht mehr in der Personalakte des Klägers. Unter dem 24. Januar 2013 hatte die Beklagte dem Kläger eine Ermahnung erteilt mit der Begründung, dieser habe seinen Dienst am 2. Januar 2013 um 40 Minuten verspätet begonnen. Eine entsprechende Ermahnung hatten auch drei weitere Kuriere erhalten, von denen zwei bei der Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit im Juni 2013 berücksichtigt wurden.

5

Die Beklagte erstellt für die Kuriere regelmäßig Leistungsbeurteilungen mit acht Bewertungskriterien und einer Notenskala von 1 („sehr gut“) bis 4 („nicht zufriedenstellend“). Die Beurteilungen des Klägers vom 23. April 2008, 7. Mai 2009, 3. November 2009 und 23. April 2010 weisen als Gesamtergebnis jeweils die Note 1,0 aus, die Beurteilung vom 28. Oktober 2010 die Bewertung 1,1, die Beurteilung vom 7. April 2011 sowie eine Beurteilung (ohne Datum) für den Zeitraum vom 1. April 2011 bis zum 1. April 2012 jeweils die Note 1,3 und die Bewertung vom 14. Mai 2013 die Note 1,5. Die Parteien streiten darüber, ob es sich dabei um über- oder unterdurchschnittliche Beurteilungen handelt. Grundlage der letzten Beurteilung war ua. eine durch den Stationsmanager Ku vorgenommene Überprüfung („Check-Ride“) am 18. April 2013, bei der dieser beanstandete, der Kläger könne drei bis fünf zusätzliche Stopps pro Tag durchführen. In einem Gespräch am 14. Mai 2013, dessen genauer Inhalt zwischen den Parteien streitig ist, teilte Herr Ku dem Kläger auf dessen Anfrage mit, dass seine vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit nicht um weitere Arbeitsstunden aufgestockt werden könne.

6

Im Juni 2013 standen bei der Beklagten insgesamt 66,5 Stunden für eine Erhöhung der vertraglichen wöchentlichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Kuriere zur Verfügung. In Abstimmung mit dem Betriebsrat stockte die Beklagte die wöchentliche Arbeitszeit von zwölf teilzeitbeschäftigten Kurieren um jeweils fünf Stunden auf. Der Kläger, der mehrfach um eine Erhöhung seiner Wochenstundenzahl gebeten hatte, und der Mitarbeiter H, der erst im Januar 2013 von der Station Kö nach K zurückgekehrt war, wurden hierbei nicht berücksichtigt. Nachdem der Kläger, der von der Beklagten über die beabsichtigte Stundenaufstockung nicht unterrichtet worden war, hiervon erfahren hatte, wandte er sich mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 24. Juli 2013 an die Beklagte. In diesem Schreiben heißt es ua.:

        

„Gegenstand unserer Einschaltung ist die Benachteiligung unseres Mandanten bei der Aufstockung von Arbeitszeiten, welche sowohl gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz als auch gegen die Grundsätze des AGG und des SGB IX verstößt.

        

…       

        

Namens und im Auftrag unseres Mandanten haben wir Sie daher zur Vermeidung von Weiterungen aufzufordern, auch unserem Mandanten eine Erhöhung seiner Arbeitszeit unter entsprechender Vergütungserhöhung um 5 Stunden pro Woche auf insgesamt 32,5 Stunden zu gewähren und ihm eine entsprechende Ergänzung zum Arbeitsvertrag anzubieten.“

7

Die Beklagte wies dieses Begehren mit Schreiben vom 2. August 2013 zurück.

8

In der Folgezeit wurden durch den Tod eines Kuriers sowie infolge der Entziehung der Fahrerlaubnis eines weiteren Kuriers insgesamt weitere 60 Wochenstunden frei. Dieses Stundenkontingent verwendete die Beklagte nicht für Stundenerhöhungen der teilzeitbeschäftigten Kuriere, sondern glich es durch Anordnung von Überstunden sowie den Einsatz von Agents aus.

9

Mit seiner am 30. August 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit um fünf Stunden sowie mit einem am 9. Oktober 2013 eingegangenen Schriftsatz hilfsweise die Feststellung begehrt, dass er bei der nächsten Verteilung von Wochenstunden an Teilzeitkräfte mit der Maßgabe zu berücksichtigen sei, dass seine Arbeitszeit um bis zu 7,5 Stunden pro Woche erhöht und ihm eine entsprechende Änderung seines Arbeitsvertrages unter Erhöhung der monatlichen Vergütung angeboten werde. In der Berufungsinstanz hat der Kläger seine Klage erweitert und hilfsweise die Zahlung von Schadensersatz in Form entgangenen Arbeitsentgelts für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis zum 30. Juni 2016 sowie hilfsweise die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm monatlich bis zu einer Erhöhung seiner Wochenstundenzahl bzw. bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses einen Betrag iHv. 344,43 Euro brutto zu zahlen.

10

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn dadurch, dass sie ihn bei der Vergabe zusätzlicher Wochenstunden im Juni 2013 nicht berücksichtigt habe, wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Er hat behauptet, seit März 2010 regelmäßigen, teils erheblichen Anfeindungen seiner Vorgesetzten Ku und Sp ausgesetzt gewesen zu sein. Hierdurch sei er wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Es hätten sich beispielsweise Bronchialasthma, psychische Beeinträchtigungen, Schwerhörigkeit, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel und Tinnitus entwickelt. Diese Funktionsbeeinträchtigungen seien auch der Grund für seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50.

11

Er hätte als schwerbehinderter Mensch bei der Vergabe von zusätzlichen Wochenarbeitsstunden gemäß § 9 TzBfG bevorzugt berücksichtigt werden müssen. Jedenfalls sei er durch die Ablehnung einer Erhöhung seiner wöchentlichen Arbeitszeit vor allem wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden. Dies folge insbesondere aus dem Umstand, dass er als einziger Teilzeitbeschäftigter trotz eines entsprechenden Wunsches im Juni 2013 keine Stundenerhöhung erhalten habe, dass die Beklagte ihn entgegen § 7 Abs. 2 TzBfG nicht vorab über die Stundenerhöhungen informiert habe und auch die Schwerbehindertenvertretung entgegen § 95 Abs. 2 SGB IX nicht vorab unterrichtet und angehört habe.

12

Wie sich aus den vorgelegten Beurteilungen zudem ergebe, leiste er überdurchschnittliche Arbeit. Er sei einer der wenigen Arbeitnehmer, die in den vergangenen Jahren auf sechs unterschiedlichen Touren eingesetzt worden seien, während die meisten anderen Kuriere nur auf zwei bis drei Touren einsetzbar seien. Bei dem „Check-Ride“ am 18. April 2013 habe sich Herr Ku wie ein „Drill-Instructor“ geriert und dadurch bei ihm Stress und Verunsicherung ausgelöst. Sofern andere Kuriere gelegentlich eine höhere Anzahl an Lieferungen erledigen könnten, sei dies maßgeblich darauf zurückzuführen, dass diese ua. unter Missachtung von Geschwindigkeitsbeschränkungen, Nichteinhaltung sonstiger Regeln der Straßenverkehrsordnung oder außerhalb des städtischen Berufsverkehrs unterwegs seien. Der am 13. Juni 2013 mit dem Schwerbehindertenvertrauensmann Ho durchgeführte weitere „Check-Ride“ habe gezeigt, dass er gut arbeite und die verlangte Anzahl von Stopps erreiche. Herr Ho habe sich anschließend bei den Stationsmanagern Sp und Ku für ihn eingesetzt. Diese hätten jedoch lediglich angeboten, dass er sich durch das Ableisten von Überstunden für eine künftige Stundenerhöhung empfehlen könne. Im Jahr 2013 habe er im Übrigen 81,6 Überstunden geleistet.

13

Außerdem habe Herr Ku ihm in dem Gespräch am 14. Mai 2013 erklärt, er solle sich nicht unglücklich machen; er sei ja schwerbehindert, solle auf seine Gesundheit achten und bedenken, dass er bei der Beklagten nicht mehr glücklich werde; er solle lieber eine Abfindung nehmen und die Beklagte verlassen. Herr Sp habe im Juni 2013 und auch schon mehrfach im Jahr 2012 geäußert, solange er Stationsmanager in der Station K sei, werde er (der Kläger) keine zusätzlichen Stunden bekommen. Herr Sp habe sich in auffälliger Weise dafür interessiert, ob seine Krankmeldung am 1. Juli 2013 mit der Schwerbehinderung zu tun habe und ob ihm denn sein Arbeitsplatz nicht wichtig sei. Die Anfeindungen seien auch nach Juni 2013 fortgesetzt worden. So habe Herr Sp am 12. Juni 2015 ironisch geäußert, es sei ja beachtlich, dass der Kläger als Schwerbehinderter am 11. Juni 2015 27 Stopps geschafft habe und habe dabei hämisch gelacht. Am 29. Juni 2015 habe er erfahren, dass die Beklagte erneut zusätzliche Stunden an sieben Mitarbeiter verteilt habe, ohne ihn dabei zu berücksichtigen oder überhaupt nur im Vorfeld zu informieren.

14

Wegen der willkürlichen und ausschließlich wegen seiner Schwerbehinderung erfolgten Nichtberücksichtigung bei der Stundenvergabe im Mai/Juni 2013 stehe ihm jedenfalls nach § 15 Abs. 1 AGG ein zeitlich unbegrenzter Schadensersatzanspruch zu, der sich ausgehend von einer durchschnittlichen Stundenerhöhung von 4,75 Stunden für die übrigen Teilzeitbeschäftigten und einem Bruttomonatsgehalt von 1.994,12 Euro auf monatlich 344,34 Euro belaufe.

15

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

        

1.      

die Beklagte zu verurteilen, seine Arbeitszeit um fünf Stunden pro Woche auf 32,5 Stunden pro Woche zu erhöhen und ihm eine entsprechende Änderung des Arbeitsvertrages unter Erhöhung der monatlichen Vergütung auf 2.356,69 Euro bei ansonsten unveränderten Bedingungen anzubieten;

        

2.      

hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.,

                          

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens bei der nächsten Verteilung von Wochenstunden an Teilzeitkräfte mit der Maßgabe zu berücksichtigen, dass seine Arbeitszeit wie andere um bis zu 7,5 Stunden pro Woche auf bis zu 35 Wochenstunden erhöht und ihm eine entsprechende Änderung seines Arbeitsvertrages unter Erhöhung der monatlichen Vergütung auf bis zu 2.537,97 Euro bei ansonsten unveränderten Bedingungen angeboten wird;

        

3.    

hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu 1. und 2.,

                          

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.399,48 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;

        

4.    

hilfsweise für den Fall, dass das Gericht dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch (Antrag zu 3.) nur anteilig bis zum Tag der letzten mündlichen Verhandlung stattgeben sollte,

                          

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger monatlich einen Betrag iHv. 344,43 Euro brutto zu zahlen und zwar beginnend ab dem Zeitpunkt der Entscheidung durch das Berufungsgericht und endend vor dem Tag, an dem die Beklagte die Wochenstundenzahl des Klägers erhöht oder das Arbeitsverhältnis beendet wird, je nachdem, welcher Zeitpunkt zuerst eintritt.

16

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, dem Kläger weder eine Aufstockung seiner wöchentlichen Arbeitszeit noch Schadensersatz zu schulden. Bereits im Juni 2013 seien alle verfügbaren 66,5 Stunden vergeben worden, wobei sie das über 60 Wochenstunden hinausgehende Stundenkontingent auf die Mitarbeiter R (fünf Stunden) und A (1,5 Stunden) verteilt habe. Die Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit der Mitarbeiter sei überwiegend bereits zum 1. Juni 2013 umgesetzt worden. Nur Herr Er habe erst seit dem 15. Juni 2013 fünf Stunden mehr pro Woche gearbeitet. Dass dessen Änderungsvertrag am 23. August 2013 noch nicht unterzeichnet gewesen sei, habe daran gelegen, dass sie Herrn Er zunächst einen falschen Vertragstext vorgelegt habe.

17

In dem Gespräch am 14. Mai 2013 habe Herr Ku gegenüber dem Kläger lediglich erklärt, dass man zwar gerne weitere Stunden an die Mitarbeiter verteilen würde, dies aber von der Geschäftsleitung noch nicht genehmigt sei. Die entsprechende Genehmigung sei erst im Juni 2013 erteilt worden.

18

Grund für die Nichtberücksichtigung des Klägers bei der Stundenvergabe sei nicht dessen Schwerbehinderung, sondern seien ausschließlich seine Leistungsmängel gewesen. Seine Beurteilungen seien schlechter als der Notendurchschnitt, der im Jahr 2011 bei 1,05, im Jahr 2012 bei 1,03 und im Jahr 2013 bei 1,07 gelegen habe. Damit sei der Kläger der im Vergleich schlechteste Kurier gewesen. Im Übrigen habe Herr S, der ebenfalls schwerbehindert bzw. gleichgestellt sei, eine Stundenerhöhung erhalten. Zudem beschäftige sie als Vollzeitkuriere neben Herrn Er die weiteren schwerbehinderten Arbeitnehmer B und D. Der Kläger sei auch nicht der einzige teilzeitbeschäftigte Kurier, der bei der Stundenaufstockung nicht berücksichtigt worden sei. Herr H, der seit März 2005 bei ihr beschäftigt und lediglich im Zuge der Kapazitätsverlagerung von Fr nach Kö im Jahr 2010 dorthin gewechselt sei, sei - was unstreitig ist - trotz eines entsprechenden Wunsches bei der Stundenvergabe ebenfalls unberücksichtigt geblieben. Die vom Kläger im Jahr 2013 geleisteten Überstunden beliefen sich auf lediglich 17,03 Stunden und lägen damit weit unter denen der übrigen Kuriere.

19

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - nach Beweisaufnahme den Anträgen zu 3. und 4. insoweit entsprochen, als es die Beklagte verurteilt hat, an den Kläger entgangene Vergütung für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis zum 31. August 2015 iHv. 8.955,18 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen und zudem festgestellt hat, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger monatlich einen Betrag iHv. 344,43 Euro brutto zu zahlen, und zwar beginnend ab dem Datum der Entscheidung durch das Berufungsgericht (25. September 2015) und endend vor dem Tag, an dem die Beklagte die Wochenstundenzahl des Klägers erhöht oder das Arbeitsverhältnis beendet wird, je nachdem, welcher Zeitpunkt zuerst eintritt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Revision, mit der sie die vollständige Klageabweisung begehrt. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

20

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte den Klageanträgen zu 3. und 4. nicht - teilweise - stattgegeben werden. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig ( § 561 ZPO ). Ob und ggf. in welchem Umfang die Klage begründet ist, kann vom Senat aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils ( § 562 Abs. 1 ZPO ) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

21

I. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte den Klageanträgen zu 3. und 4. nicht - teilweise - stattgegeben werden.

22

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe Anspruch auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG, da die Beklagte die Auswahl unter den Kurierfahrern, die eine Arbeitszeitaufstockung wünschten, unter Verstoß gegen §§ 7, 1 AGG vorgenommen habe. Der Kläger habe ausreichende Indizien nachgewiesen, dass er insoweit wegen seiner Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit unmittelbar benachteiligt worden sein könnte. Diese Vermutung habe die Beklagte nicht widerlegt. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Beklagte kein objektives Auswahlverfahren durchgeführt habe. Vielmehr lasse der Ausschluss des Klägers eine unmittelbare Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten. Diese Vermutung werde durch folgende Indizien gestützt: Der Kläger sei nach dem Willen der Manager der Beklagten, Sp und Ku, als einziger Kurier in Teilzeit, der eine Stundenerhöhung gewünscht habe, nicht berücksichtigt worden, obgleich die Stunden ohne Einzelfallbetrachtung vergeben worden seien. Die quantitativen Leistungseinschränkungen des Klägers, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dazu geführt haben könnten, dass er nicht berücksichtigt worden sei, beruhten auf seiner Behinderung, was den Managern der Beklagten bewusst gewesen sein müsse. Zudem sei der Kläger in dem Gespräch am 14. Mai 2013 fehlerhaft informiert worden, dass keine Stundenaufstockungen zu erwarten seien. Man habe ihn auch nicht darüber in Kenntnis gesetzt, dass seine Kollegen zum 1. Juni 2013 bzw. 15. Juni 2013 dauerhafte Erhöhungen der Wochenarbeitszeit erhielten, während er keine Berücksichtigung gefunden habe. Dies spreche dafür, dass man ihm gegenüber eine Rechtfertigung für die unterbliebene Verlängerung der Wochenarbeitszeit habe vermeiden wollen. Außerdem habe die Beklagte schriftsätzlich unzutreffende Angaben dazu gemacht, warum der Kläger nicht ausgewählt wurde.

23

2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte sei dem Kläger nach § 15 Abs. 1 AGG zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie ihn bei der Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Kuriere im Juni 2013 wegen seiner Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und dadurch unmittelbar benachteiligt habe, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob hinreichende Indizien vorliegen, die eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung vermuten lassen iSv. § 22 AGG, einen unzutreffenden Maßstab angewendet und damit zugleich die Voraussetzungen für das Eingreifen der Beweislastumkehr nach § 22 AGG verkannt.

24

a) Der Anspruch auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen verbietet. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen einer Behinderung. Zudem dürfen Arbeitgeber nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX die Regelungen des AGG.

25

aa) Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und dem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Für den Kausalzusammenhang ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; es muss nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt(vgl. etwa BAG 11. August 2016 - 8 AZR 4/15 - Rn. 62; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 53, BAGE 155, 149; 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 34 mwN).

26

bb) § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat(vgl. etwa BAG 11. August 2016 - 8 AZR 4/15 - Rn. 63 mwN; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 54 mwN, BAGE 155, 149).

27

(1) Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist(vgl. BAG 11. August 2016 - 8 AZR 375/15 - Rn. 24; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 54 mwN, BAGE 155, 149). Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asocia ţ ia ACCEPT] Rn. 50; vgl. auch EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 42, 44 f.; BAG 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 31 mwN).

28

(2) Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (vgl. EuGH 16. Juli 2015 - C-83/14 - [CHEZ Razpredelenie Bulgaria] Rn. 85; 25. April 2013 - C-81/12 - [Asocia ţ ia ACCEPT] Rn. 55 mwN; 10. Juli 2008 - C-54/07 - [Feryn] Rn. 32, Slg. 2008, I-5187; BAG 11. August 2016 - 8 AZR 375/15 - Rn. 24; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 54 mwN, BAGE 155, 149). Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben(vgl. etwa BAG 11. August 2016 - 8 AZR 4/15 - Rn. 63 mwN; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - aaO).

29

cc) Sowohl die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von einer/einem Beschäftigten vorgetragenen und unstreitigen oder bewiesenen Haupt- und/oder Hilfstatsachen eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, als auch deren Würdigung, ob die von dem Arbeitgeber seinerseits vorgebrachten Tatsachen den Schluss darauf zulassen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat, sind nur eingeschränkt revisibel(vgl. etwa BAG 22. August 2013 - 8 AZR 563/12  - Rn. 49 mwN, 63). In beiden Fällen beschränkt sich die revisionsrechtliche Kontrolle darauf zu prüfen, ob das Landesarbeitsgericht sich den Vorgaben von § 286 Abs. 1 ZPO entsprechend mit dem Prozessstoff umfassend auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also vollständig und des Weiteren rechtlich möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt(st. Rspr., vgl. BAG 23. Juli 2015 - 6 AZR 457/14  - Rn. 29, BAGE 152, 134 ; 18. September 2014 -  8 AZR 759/13  - Rn. 30 ; 26. Juni 2014 -  8 AZR 547/13  - Rn. 42 ; 27. März 2014 -  6 AZR 989/12  - Rn. 37 ; 26. September 2013 -  8 AZR 650/12  - Rn. 28 ; 22. August 2013 -  8 AZR 563/12  - aaO ; 21. Juni 2012 -  8 AZR 364/11  - Rn. 34 , BAGE 142, 158 ).

30

b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es bestehe die Vermutung, dass der Kläger bei der Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Kuriere im Juni 2013 wegen seiner Behinderung benachteiligt worden sei, hält dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle nicht stand. Zwar hat das Landesarbeitsgericht unter B. III. 3. a) aa) der Urteilsgründe zutreffend die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wiedergegeben, wonach eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann genügt, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Es hat diesen Maßstab allerdings im Folgenden seiner Würdigung nicht zugrunde gelegt, sondern bereits die Möglichkeit der Kausalität der Behinderung des Klägers für dessen Benachteiligung ausreichen lassen. So stellt das Berufungsgericht seiner Würdigung unter B. III. 3. a) cc) der Urteilsgründe den Satz voran: „Der Kläger hat ausreichende Indizien nachgewiesen, dass er wegen seiner Schwerbehinderung unmittelbar benachteiligt worden sein kann.“ Ferner heißt es unter B. III. 3. a) cc) (1) der Urteilsgründe: „Die quantitativen Leistungseinschränkungen des Klägers, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dazu geführt haben können, dass der Kläger nicht berücksichtigt wurde, beruhen auf seiner Behinderung.“ § 22 AGG verlangt für die Annahme der Kausalitätsvermutung jedoch das Vorliegen von Indizien, die mitüberwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dass das Landesarbeitsgericht diese Voraussetzung dennoch als gegeben angesehen hat, lässt das angefochtene Urteil auch nicht an anderer Stelle seiner Begründung erkennen.

31

II. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei zu vermuten, dass der Kläger bei der Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Kuriere im Juni 2013 wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde, erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig ( § 561 ZPO ).

32

1. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers stellt der von ihm behauptete Umstand, dass die Schwerbehindertenvertretung nicht vorab unterrichtet und angehört wurde, kein Indiz iSv. § 22 AGG dar, dass er wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde.

33

a) Zwar hat der Arbeitgeber nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Unterlässt es der Arbeitgeber entgegen dieser Bestimmung, die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen, ist dies ein Indiz iSd. § 22 AGG, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lässt, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer wegen der Behinderung benachteiligt wurde(BAG 20. Januar 2016 - 8 AZR 194/14 - Rn. 40; 22. August 2013 - 8 AZR 574/12 - Rn. 35).

34

b) Vorliegend war die Beklagte jedoch weder zu einer Unterrichtung noch zu einer Anhörung der Schwerbehindertenvertretung verpflichtet.

35

aa) Das Wort „berühren“ in § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist mit „betreffen“ gleichzusetzen(BAG 17. August 2010 - 9 ABR 83/09 - Rn. 14, BAGE 135, 207). Die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte sollen es der Schwerbehindertenvertretung ermöglichen, auf eine sachdienliche Behandlung hinzuwirken, wenn die spezifischen Belange eines schwerbehinderten Menschen oder der schwerbehinderten Beschäftigten als Gruppe für die Entscheidung des Arbeitgebers erheblich sind(BAG 22. August 2013 - 8 AZR 574/12 - Rn. 35 mwN). Eine Unterrichtungs- und Anhörungspflicht besteht deshalb nicht, wenn die Angelegenheit bzw. die Maßnahme des Arbeitgebers die Belange schwerbehinderter Menschen in keiner anderen Weise betrifft als die Belange nicht schwerbehinderter Beschäftigter (BAG 14. März 2012 - 7 ABR 67/10 - Rn. 20; 17. August 2010 - 9 ABR 83/09 - Rn. 13, 18, aaO).

36

bb) Dies war bei der Vergabe zusätzlicher Wochenarbeitsstunden im Juni 2013 an 14 teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter und bei der Nichtvergabe zusätzlicher Wochenarbeitsstunden an den Kläger der Fall. Hierdurch wurden weder die spezifischen Belange des schwerbehinderten Klägers noch die der schwerbehinderten Beschäftigten als Gruppe berührt.

37

2. Auch der Umstand, dass die Beklagte den Kläger ggf. entgegen § 7 Abs. 2 TzBfG nicht vorab über ihren Entschluss unterrichtet hat, die wöchentliche Arbeitszeit von teilzeitbeschäftigten Kurieren um insgesamt 66,5 Stunden aufzustocken, begründet entgegen der Auffassung des Klägers nicht die Vermutung, dass dieser wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt wurde. Dies folgt bereits daraus, dass die in § 7 Abs. 2 TzBfG bestimmte Verpflichtung des Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer, der ihm den Wunsch nach Veränderung von Dauer und Lage seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat, über zu besetzende entsprechende Arbeitsplätze zu informieren, zwar ua. der Verwirklichung der Ansprüche nach § 9 TzBfG dient, jedoch keine Verpflichtung ist, die das Gesetz zum Schutze oder mit dem Ziel der Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen bestimmt hat. Als Vermutungstatsachen für einen Kausalzusammenhang mit der Schwerbehinderung kommen nämlich nur Pflichtverletzungen in Betracht, die der Arbeitgeber begeht, indem er Vorschriften nicht befolgt, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen enthalten (vgl. BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 29; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 35). Dies ist bei § 7 Abs. 2 TzBfG nicht der Fall.

38

III. Ob und ggf. in welchem Umfang die Klage begründet ist, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Insbesondere kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob Indizien vorliegen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass der Kläger bei der Vergabe der zusätzlichen Wochenarbeitsstunden im Juni 2013 wegen seiner Schwerbehinderung unberücksichtigt blieb. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

39

1. Zwar hat der Senat bei der Beurteilung, ob eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger die ungünstigere Behandlung wegen seiner Schwerbehinderung erfahren hat, grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner Beweiswürdigung (§ 286 ZPO)festgestellt hat. Hat das Berufungsgericht festgestellt, dass eine tatsächliche Behauptung wahr oder unwahr sei, so ist diese Feststellung nach § 559 Abs. 2 ZPO für das Revisionsgericht bindend, es sei denn, dass in Bezug auf die Feststellung ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff erhoben ist. Die den Feststellungen des Berufungsgerichts zugrunde liegende Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur auf eine entsprechende Rüge hin darauf zu überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. etwa BAG 18. November 2015 - 5 AZR 814/14 - Rn. 29 mwN; 19. Mai 2015 - 9 AZR 863/13 - Rn. 23 mwN). Allerdings greift die insoweit erhobene Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe den Prozessstoff nur unvollständig gewürdigt, durch, weshalb dahinstehen kann, ob die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht auch deshalb einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält, weil sie - wie die Beklagte rügt - auf einer Verletzung von Denkgesetzen beruht.

40

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die quantitativen Leistungseinschränkungen des Klägers, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dazu geführt haben könnten, dass er nicht berücksichtigt wurde, beruhten auf seiner Behinderung, was den Managern der Beklagten bewusst gewesen sein müsse. Diese Würdigung lässt indes jegliche Auseinandersetzung damit vermissen, dass der Kläger selbst widersprüchlich dazu vorgetragen hatte, inwieweit die Entscheidung der Beklagten, ihn bei der Vergabe zusätzlicher Wochenarbeitsstunden nicht zu berücksichtigen, überhaupt auf behinderungsbedingten Leistungsbeeinträchtigungen beruhte. Insoweit hat der Kläger nämlich auch ausgeführt, er habe, wie sich aus den vorgelegten Beurteilungen ergebe, im Vergleich zu anderen - nicht behinderten - Kurierfahrern sogar überdurchschnittliche Leistungen erbracht. Er sei einer der wenigen Arbeitnehmer, die in den vergangenen Jahren auf sechs unterschiedlichen Touren eingesetzt worden seien, während die meisten anderen Kuriere nur auf zwei bis drei Touren einsetzbar seien. Bei dem „Check-Ride“ am 18. April 2013 habe sich Herr Ku wie ein „Drill-Instructor“ geriert und dadurch bei ihm Stress und Verunsicherung ausgelöst. Sofern andere Kuriere gelegentlich eine höhere Anzahl an Lieferungen erledigen könnten, sei dies maßgeblich darauf zurückzuführen, dass diese ua. unter Missachtung von Geschwindigkeitsbeschränkungen, Nichteinhaltung sonstiger Regeln der Straßenverkehrsordnung oder außerhalb des städtischen Berufsverkehrs unterwegs seien.

41

b) Aus diesem Grund kann dahinstehen, ob die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht auch deshalb einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält, weil sie - wie die Beklagte rügt - auf einer Verletzung von Denkgesetzen beruht. Insbesondere kann offenbleiben, ob die Rüge der Beklagten durchgreift, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht aus der Formulierung des Zeugen Ku, „Krankheitszeiten, das muss man nicht verheimlichen“ den Schluss gezogen, die Zeugen Sp und Ku hätten nicht vollständig wahrheitsgemäß ausgesagt, zudem habe es eindeutige anderslautende Aussagen der Zeugen außen vor gelassen. Es kommt daher nicht darauf an, ob sich aus dem Umstand, dass ein Zeuge - ohne hiernach gefragt worden zu sein - besonders betont, nichts verheimlichen zu wollen, ein Realkennzeichen im Sinne eines „starken Indizes“ dafür ergeben kann, dass er tatsächlich doch etwas verheimlichen wollte (vgl. zu der Aussagekraft einer Betonung der Wahrheitstreue durch den Zeugen: Bender/Nack/Treuer Tatsachenfeststellung vor Gericht 3. Aufl. Rn. 371; Balzer Beweisaufnahme und Beweiswürdigung im Zivilprozess 2. Aufl. Rn. 328) oder ob es sich bei diesem Umstand lediglich um einen Indikator mit für sich genommen nur geringer Validität, dh. mit durchschnittlich nur wenig über dem Zufallsniveau liegender Aussagekraft für die Glaubhaftigkeit oder fehlende Glaubhaftigkeit der Aussage handelt (vgl. hierzu BGH 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - zu B II 1 b aa (1) der Gründe, BGHSt 45, 164).

42

2. Nach der Zurückverweisung ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ) wird das Landesarbeitsgericht zunächst - ggf. nach erneuter Beweisaufnahme - erneut darüber zu entscheiden haben, ob die Beklagte den Kläger „wegen“ seiner Schwerbehinderung benachteiligt hat, dh. ob Indizien vorliegen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Schwerbehinderung des Klägers kausal für die Entscheidung der Beklagten war, diesen bei der Stundenerhöhung im Juni 2013 nicht zu berücksichtigen und ob diese Vermutung - sofern sie bestehen sollte - von der Beklagten ggf. widerlegt wurde. Dafür gibt der Senat die nachstehenden Hinweise:

43

a) Das Landesarbeitsgericht wird zu beachten haben, dass einige der von ihm im angefochtenen Urteil angezogenen Umstände für sich allein betrachtet nicht geeignet sind, eine Indizwirkung nach § 22 AGG zu begründen.

44

aa) Selbst wenn der Kläger der einzige schwerbehinderte Arbeitnehmer in der Vergleichsgruppe der teilzeitbeschäftigten Kuriere gewesen sein sollte, ließe sich hieraus allein kein Indiz iSd. § 22 AGG ableiten. Dieser Umstand lässt nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Schluss darauf zu, dass die Schwerbehinderung des Klägers Teil des Motivbündels der Beklagten war. Es besteht zumindest ein gleich hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass ausschließlich andere Motive ausschlaggebend waren, wobei es sich insoweit nicht um sachlich gerechtfertigte Motive handeln muss. Die bloße ungünstigere Behandlung eines Beschäftigten weist für sich genommen nicht darauf hin, dass diese im Zusammenhang mit einem bestimmten Merkmal iSv. § 1 AGG steht. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die einen Bezug zu diesem Merkmal aufweisen.

45

bb) Auch wenn der Kläger am 14. Mai 2013 fehlerhaft dahin informiert worden sein sollte, dass keine Stundenaufstockungen zu erwarten seien, und wenn die Beklagte ihn nicht vorab über ihren Entschluss unterrichtet haben sollte, die wöchentliche Arbeitszeit von teilzeitbeschäftigten Kurieren anzuheben, lässt dies für sich genommen ebenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Schluss darauf zu, dass die Schwerbehinderung des Klägers mitursächlich für seine Benachteiligung war. Allein das Bemühen, einen Beschäftigten gar nicht erst auf die gewünschte Maßnahme hoffen zu lassen bzw. bei ihm nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, andere Arbeitnehmer seien begünstigt worden, lässt für sich betrachtet nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den erforderlichen Zusammenhang zwischen der Benachteiligung und einem Merkmal iSv. § 1 AGG schließen, sondern nur darauf, diesen Beschäftigten nicht begünstigen zu wollen und Problemen mit ihm möglichst aus dem Wege zu gehen.

46

b) Sollte das Landesarbeitsgericht bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis gelangen, dass Indizien bewiesen sind, die nach § 22 AGG eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung vermuten lassen, wird es sodann zu prüfen haben, ob die Beklagte dargelegt und bewiesen hat, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist, weil ausschließlich andere als die in § 1 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX genannten Gründe, hier: die Schwerbehinderung des Klägers, zu dessen ungünstigerer Behandlung geführt haben.

47

3. Sofern das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Beklagte den Kläger „wegen“ seiner Schwerbehinderung benachteiligt hat, wird es zu prüfen haben, ob diese Benachteiligung auch kausal für den von ihm geltend gemachten Schaden ist. Dabei wird es Folgendes zu beachten haben:

48

Streiten die Parteien - wie hier - darüber, ob der Arbeitgeber nach § 15 Abs. 1 AGG zum Ersatz eines Vermögensschadens in Form entgangenen Gewinns(§ 252 BGB), hier: entgangenen Arbeitsentgelts, verpflichtet ist, hat der/die Anspruchsteller/in die Darlegungs- und Beweislast für die haftungsausfüllende Kausalität. Diese, dem/der Anspruchsteller/in im Rahmen von § 15 Abs. 1 AGG obliegende Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität wird durch § 22 AGG nicht abgeändert(vgl. BAG 11. August 2016 - 8 AZR 406/14 - Rn. 105; 20. Juni 2013 - 8 AZR 482/12 - Rn. 52 f.; 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - Rn. 78 f.). Danach muss der/die Anspruchsteller/in darlegen und ggf. beweisen, dass seine/ihre Schlechterstellung - eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes unterstellt - auch tatsächlich zu einem Schaden geführt hat bzw. führen wird. Dies wäre im vorliegenden Verfahren aber nur dann anzunehmen, wenn andernfalls alle Voraussetzungen für eine vertragliche Aufstockung der Wochenarbeitszeit des Klägers vorgelegen hätten, wenn also die Anhebung der wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers ausschließlich deshalb unterblieben wäre, weil die Beklagte bei der Vergabe der Wochenarbeitsstunden nach einem Grund iSv. § 1 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, hier: der Schwerbehinderung, differenziert hätte. Ähnliche Überlegungen werden für die Situation eines abgelehnten Bewerbers (vgl. BAG 11. August 2016 - 8 AZR 406/14 - aaO; 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - Rn. 78) und in dem Fall angestellt, dass ein befristeter Vertrag nicht verlängert oder nicht entfristet wird (BAG 20. Juni 2013 - 8 AZR 482/12 - aaO). Dem Kläger käme im Rahmen von § 15 Abs. 1 AGG aber eine Beweiserleichterung zugute, wenn nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder Wahrscheinlichkeit für eine vertragliche Aufstockung seiner Wochenarbeitszeit bei diskriminierungsfreiem Vorgehen der Beklagten bestünde(vgl. BGH 23. April 2012 - II ZR 163/10 - Rn. 64, BGHZ 193, 110).

49

4. Im Hinblick auf den auf Feststellung gerichteten Hilfsantrag zu 4. wird das Landesarbeitsgericht ggf. zu beachten haben, dass der hiermit verfolgte Anspruch nur bestehen kann für Zeiten, für die dem Kläger ein Entgelt- oder Entgeltschutzanspruch zusteht und dass vor diesem Hintergrund unter Umständen nur eine Feststellung dem Grunde nach in Betracht kommt.

        

    Schlewing    

        

    Winter    

        

    Vogelsang    

        

        

        

    Wein    

        

    F. Rojahn    

                 

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

(1) Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
2.
die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten,
3.
Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; zu diesen gehören auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten.
Als Beschäftigte gelten auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis sowie die Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist.

(2) Arbeitgeber (Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen) im Sinne dieses Abschnitts sind natürliche und juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, die Personen nach Absatz 1 beschäftigen. Werden Beschäftigte einem Dritten zur Arbeitsleistung überlassen, so gilt auch dieser als Arbeitgeber im Sinne dieses Abschnitts. Für die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten tritt an die Stelle des Arbeitgebers der Auftraggeber oder Zwischenmeister.

(3) Soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft, gelten die Vorschriften dieses Abschnitts für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände, entsprechend.

20
bb) Von dem Begriff des Zugangs zur Erwerbstätigkeit wird auch der Fall erfasst, dass die Bestellung eines Geschäftsführers aufgrund einer Befristung endet und die Stelle neu besetzt werden soll. Wenn sich der bisherige, infolge Fristablaufs aus seinem Anstellungsverhältnis und seinem Amt ausgeschiedene Geschäftsführer - wie hier der Kläger - wiederum um die Stelle des Geschäftsführers bewirbt, erstrebt er damit einen - neuen - Zugang zu dieser Tätigkeit (vgl. BVerwG, NZA-RR 2011, 233 Rn. 26; MünchKommBGB/Thüsing, 6. Aufl., AGG § 2 Rn. 7; Horstmeier, GmbHR 2007, 125, 126; Schrader/Schubert in Däubler/Bertzbach, AGG, 2. Aufl., § 6 Rn. 31b ff.; Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 603; aA Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 329; Lutter, BB 2007, 725, 728 f.).

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 25. September 2015 - 18 Sa 520/14 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als den Anträgen zu 3. und zu 4. des Klägers stattgegeben wurde.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsstreits - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob die Beklagte dem Kläger nach § 15 Abs. 1 AGG zum Schadensersatz wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet ist. Der Kläger stützt seinen Schadensersatzanspruch im Wesentlichen darauf, die Beklagte habe ihn dadurch wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert, dass sie ihn bei der Vergabe zusätzlicher Wochenstunden im Juni 2013 nicht berücksichtigt habe.

2

Die Beklagte ist eine Tochtergesellschaft der F mit Hauptsitz in M (T) in den USA. Sie betreibt einen Express-Versand und Transport-Service. Der Kläger ist bei der Beklagten als Kurier in der Station K teilzeitbeschäftigt. Er wurde rückwirkend zum 20. Dezember 2011 mit einem Grad der Behinderung von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beläuft sich seit dem 1. Januar 2012 auf 27,5 Stunden. Auf dieser Grundlage erzielte er zuletzt eine monatliche Vergütung iHv. 1.994,12 Euro brutto.

3

In K waren im Jahr 2013 insgesamt 24 Kuriere beschäftigt, 16 davon als Teilzeitmitarbeiter. Sofern es in der Station K zu einem erhöhten Arbeitsanfall kommt, leisten alle teilzeitbeschäftigten Kuriere Überstunden. Darüber hinaus setzt die Beklagte in einem solchen Fall regelmäßig für Kurierfahrten Selbstständige (sog. Agents) ein. Neben dem Kläger ist der Vollzeitmitarbeiter E als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Streitig ist, seit wann der ebenfalls in Teilzeit beschäftigte Kurier S als schwerbehinderter Mensch anerkannt bzw. einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist und ob darüber hinaus weitere Kuriere als schwerbehinderte Menschen anerkannt sind.

4

Am 18. Mai 2011 hatte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung erteilt, mit der sie beanstandete, dieser habe sich geweigert, einen Abholauftrag auszuführen. Diese Abmahnung befand sich im Frühjahr 2013 nicht mehr in der Personalakte des Klägers. Unter dem 24. Januar 2013 hatte die Beklagte dem Kläger eine Ermahnung erteilt mit der Begründung, dieser habe seinen Dienst am 2. Januar 2013 um 40 Minuten verspätet begonnen. Eine entsprechende Ermahnung hatten auch drei weitere Kuriere erhalten, von denen zwei bei der Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit im Juni 2013 berücksichtigt wurden.

5

Die Beklagte erstellt für die Kuriere regelmäßig Leistungsbeurteilungen mit acht Bewertungskriterien und einer Notenskala von 1 („sehr gut“) bis 4 („nicht zufriedenstellend“). Die Beurteilungen des Klägers vom 23. April 2008, 7. Mai 2009, 3. November 2009 und 23. April 2010 weisen als Gesamtergebnis jeweils die Note 1,0 aus, die Beurteilung vom 28. Oktober 2010 die Bewertung 1,1, die Beurteilung vom 7. April 2011 sowie eine Beurteilung (ohne Datum) für den Zeitraum vom 1. April 2011 bis zum 1. April 2012 jeweils die Note 1,3 und die Bewertung vom 14. Mai 2013 die Note 1,5. Die Parteien streiten darüber, ob es sich dabei um über- oder unterdurchschnittliche Beurteilungen handelt. Grundlage der letzten Beurteilung war ua. eine durch den Stationsmanager Ku vorgenommene Überprüfung („Check-Ride“) am 18. April 2013, bei der dieser beanstandete, der Kläger könne drei bis fünf zusätzliche Stopps pro Tag durchführen. In einem Gespräch am 14. Mai 2013, dessen genauer Inhalt zwischen den Parteien streitig ist, teilte Herr Ku dem Kläger auf dessen Anfrage mit, dass seine vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit nicht um weitere Arbeitsstunden aufgestockt werden könne.

6

Im Juni 2013 standen bei der Beklagten insgesamt 66,5 Stunden für eine Erhöhung der vertraglichen wöchentlichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Kuriere zur Verfügung. In Abstimmung mit dem Betriebsrat stockte die Beklagte die wöchentliche Arbeitszeit von zwölf teilzeitbeschäftigten Kurieren um jeweils fünf Stunden auf. Der Kläger, der mehrfach um eine Erhöhung seiner Wochenstundenzahl gebeten hatte, und der Mitarbeiter H, der erst im Januar 2013 von der Station Kö nach K zurückgekehrt war, wurden hierbei nicht berücksichtigt. Nachdem der Kläger, der von der Beklagten über die beabsichtigte Stundenaufstockung nicht unterrichtet worden war, hiervon erfahren hatte, wandte er sich mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 24. Juli 2013 an die Beklagte. In diesem Schreiben heißt es ua.:

        

„Gegenstand unserer Einschaltung ist die Benachteiligung unseres Mandanten bei der Aufstockung von Arbeitszeiten, welche sowohl gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz als auch gegen die Grundsätze des AGG und des SGB IX verstößt.

        

…       

        

Namens und im Auftrag unseres Mandanten haben wir Sie daher zur Vermeidung von Weiterungen aufzufordern, auch unserem Mandanten eine Erhöhung seiner Arbeitszeit unter entsprechender Vergütungserhöhung um 5 Stunden pro Woche auf insgesamt 32,5 Stunden zu gewähren und ihm eine entsprechende Ergänzung zum Arbeitsvertrag anzubieten.“

7

Die Beklagte wies dieses Begehren mit Schreiben vom 2. August 2013 zurück.

8

In der Folgezeit wurden durch den Tod eines Kuriers sowie infolge der Entziehung der Fahrerlaubnis eines weiteren Kuriers insgesamt weitere 60 Wochenstunden frei. Dieses Stundenkontingent verwendete die Beklagte nicht für Stundenerhöhungen der teilzeitbeschäftigten Kuriere, sondern glich es durch Anordnung von Überstunden sowie den Einsatz von Agents aus.

9

Mit seiner am 30. August 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit um fünf Stunden sowie mit einem am 9. Oktober 2013 eingegangenen Schriftsatz hilfsweise die Feststellung begehrt, dass er bei der nächsten Verteilung von Wochenstunden an Teilzeitkräfte mit der Maßgabe zu berücksichtigen sei, dass seine Arbeitszeit um bis zu 7,5 Stunden pro Woche erhöht und ihm eine entsprechende Änderung seines Arbeitsvertrages unter Erhöhung der monatlichen Vergütung angeboten werde. In der Berufungsinstanz hat der Kläger seine Klage erweitert und hilfsweise die Zahlung von Schadensersatz in Form entgangenen Arbeitsentgelts für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis zum 30. Juni 2016 sowie hilfsweise die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm monatlich bis zu einer Erhöhung seiner Wochenstundenzahl bzw. bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses einen Betrag iHv. 344,43 Euro brutto zu zahlen.

10

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn dadurch, dass sie ihn bei der Vergabe zusätzlicher Wochenstunden im Juni 2013 nicht berücksichtigt habe, wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Er hat behauptet, seit März 2010 regelmäßigen, teils erheblichen Anfeindungen seiner Vorgesetzten Ku und Sp ausgesetzt gewesen zu sein. Hierdurch sei er wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Es hätten sich beispielsweise Bronchialasthma, psychische Beeinträchtigungen, Schwerhörigkeit, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel und Tinnitus entwickelt. Diese Funktionsbeeinträchtigungen seien auch der Grund für seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50.

11

Er hätte als schwerbehinderter Mensch bei der Vergabe von zusätzlichen Wochenarbeitsstunden gemäß § 9 TzBfG bevorzugt berücksichtigt werden müssen. Jedenfalls sei er durch die Ablehnung einer Erhöhung seiner wöchentlichen Arbeitszeit vor allem wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden. Dies folge insbesondere aus dem Umstand, dass er als einziger Teilzeitbeschäftigter trotz eines entsprechenden Wunsches im Juni 2013 keine Stundenerhöhung erhalten habe, dass die Beklagte ihn entgegen § 7 Abs. 2 TzBfG nicht vorab über die Stundenerhöhungen informiert habe und auch die Schwerbehindertenvertretung entgegen § 95 Abs. 2 SGB IX nicht vorab unterrichtet und angehört habe.

12

Wie sich aus den vorgelegten Beurteilungen zudem ergebe, leiste er überdurchschnittliche Arbeit. Er sei einer der wenigen Arbeitnehmer, die in den vergangenen Jahren auf sechs unterschiedlichen Touren eingesetzt worden seien, während die meisten anderen Kuriere nur auf zwei bis drei Touren einsetzbar seien. Bei dem „Check-Ride“ am 18. April 2013 habe sich Herr Ku wie ein „Drill-Instructor“ geriert und dadurch bei ihm Stress und Verunsicherung ausgelöst. Sofern andere Kuriere gelegentlich eine höhere Anzahl an Lieferungen erledigen könnten, sei dies maßgeblich darauf zurückzuführen, dass diese ua. unter Missachtung von Geschwindigkeitsbeschränkungen, Nichteinhaltung sonstiger Regeln der Straßenverkehrsordnung oder außerhalb des städtischen Berufsverkehrs unterwegs seien. Der am 13. Juni 2013 mit dem Schwerbehindertenvertrauensmann Ho durchgeführte weitere „Check-Ride“ habe gezeigt, dass er gut arbeite und die verlangte Anzahl von Stopps erreiche. Herr Ho habe sich anschließend bei den Stationsmanagern Sp und Ku für ihn eingesetzt. Diese hätten jedoch lediglich angeboten, dass er sich durch das Ableisten von Überstunden für eine künftige Stundenerhöhung empfehlen könne. Im Jahr 2013 habe er im Übrigen 81,6 Überstunden geleistet.

13

Außerdem habe Herr Ku ihm in dem Gespräch am 14. Mai 2013 erklärt, er solle sich nicht unglücklich machen; er sei ja schwerbehindert, solle auf seine Gesundheit achten und bedenken, dass er bei der Beklagten nicht mehr glücklich werde; er solle lieber eine Abfindung nehmen und die Beklagte verlassen. Herr Sp habe im Juni 2013 und auch schon mehrfach im Jahr 2012 geäußert, solange er Stationsmanager in der Station K sei, werde er (der Kläger) keine zusätzlichen Stunden bekommen. Herr Sp habe sich in auffälliger Weise dafür interessiert, ob seine Krankmeldung am 1. Juli 2013 mit der Schwerbehinderung zu tun habe und ob ihm denn sein Arbeitsplatz nicht wichtig sei. Die Anfeindungen seien auch nach Juni 2013 fortgesetzt worden. So habe Herr Sp am 12. Juni 2015 ironisch geäußert, es sei ja beachtlich, dass der Kläger als Schwerbehinderter am 11. Juni 2015 27 Stopps geschafft habe und habe dabei hämisch gelacht. Am 29. Juni 2015 habe er erfahren, dass die Beklagte erneut zusätzliche Stunden an sieben Mitarbeiter verteilt habe, ohne ihn dabei zu berücksichtigen oder überhaupt nur im Vorfeld zu informieren.

14

Wegen der willkürlichen und ausschließlich wegen seiner Schwerbehinderung erfolgten Nichtberücksichtigung bei der Stundenvergabe im Mai/Juni 2013 stehe ihm jedenfalls nach § 15 Abs. 1 AGG ein zeitlich unbegrenzter Schadensersatzanspruch zu, der sich ausgehend von einer durchschnittlichen Stundenerhöhung von 4,75 Stunden für die übrigen Teilzeitbeschäftigten und einem Bruttomonatsgehalt von 1.994,12 Euro auf monatlich 344,34 Euro belaufe.

15

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

        

1.      

die Beklagte zu verurteilen, seine Arbeitszeit um fünf Stunden pro Woche auf 32,5 Stunden pro Woche zu erhöhen und ihm eine entsprechende Änderung des Arbeitsvertrages unter Erhöhung der monatlichen Vergütung auf 2.356,69 Euro bei ansonsten unveränderten Bedingungen anzubieten;

        

2.      

hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.,

                          

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens bei der nächsten Verteilung von Wochenstunden an Teilzeitkräfte mit der Maßgabe zu berücksichtigen, dass seine Arbeitszeit wie andere um bis zu 7,5 Stunden pro Woche auf bis zu 35 Wochenstunden erhöht und ihm eine entsprechende Änderung seines Arbeitsvertrages unter Erhöhung der monatlichen Vergütung auf bis zu 2.537,97 Euro bei ansonsten unveränderten Bedingungen angeboten wird;

        

3.    

hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu 1. und 2.,

                          

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.399,48 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;

        

4.    

hilfsweise für den Fall, dass das Gericht dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch (Antrag zu 3.) nur anteilig bis zum Tag der letzten mündlichen Verhandlung stattgeben sollte,

                          

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger monatlich einen Betrag iHv. 344,43 Euro brutto zu zahlen und zwar beginnend ab dem Zeitpunkt der Entscheidung durch das Berufungsgericht und endend vor dem Tag, an dem die Beklagte die Wochenstundenzahl des Klägers erhöht oder das Arbeitsverhältnis beendet wird, je nachdem, welcher Zeitpunkt zuerst eintritt.

16

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, dem Kläger weder eine Aufstockung seiner wöchentlichen Arbeitszeit noch Schadensersatz zu schulden. Bereits im Juni 2013 seien alle verfügbaren 66,5 Stunden vergeben worden, wobei sie das über 60 Wochenstunden hinausgehende Stundenkontingent auf die Mitarbeiter R (fünf Stunden) und A (1,5 Stunden) verteilt habe. Die Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit der Mitarbeiter sei überwiegend bereits zum 1. Juni 2013 umgesetzt worden. Nur Herr Er habe erst seit dem 15. Juni 2013 fünf Stunden mehr pro Woche gearbeitet. Dass dessen Änderungsvertrag am 23. August 2013 noch nicht unterzeichnet gewesen sei, habe daran gelegen, dass sie Herrn Er zunächst einen falschen Vertragstext vorgelegt habe.

17

In dem Gespräch am 14. Mai 2013 habe Herr Ku gegenüber dem Kläger lediglich erklärt, dass man zwar gerne weitere Stunden an die Mitarbeiter verteilen würde, dies aber von der Geschäftsleitung noch nicht genehmigt sei. Die entsprechende Genehmigung sei erst im Juni 2013 erteilt worden.

18

Grund für die Nichtberücksichtigung des Klägers bei der Stundenvergabe sei nicht dessen Schwerbehinderung, sondern seien ausschließlich seine Leistungsmängel gewesen. Seine Beurteilungen seien schlechter als der Notendurchschnitt, der im Jahr 2011 bei 1,05, im Jahr 2012 bei 1,03 und im Jahr 2013 bei 1,07 gelegen habe. Damit sei der Kläger der im Vergleich schlechteste Kurier gewesen. Im Übrigen habe Herr S, der ebenfalls schwerbehindert bzw. gleichgestellt sei, eine Stundenerhöhung erhalten. Zudem beschäftige sie als Vollzeitkuriere neben Herrn Er die weiteren schwerbehinderten Arbeitnehmer B und D. Der Kläger sei auch nicht der einzige teilzeitbeschäftigte Kurier, der bei der Stundenaufstockung nicht berücksichtigt worden sei. Herr H, der seit März 2005 bei ihr beschäftigt und lediglich im Zuge der Kapazitätsverlagerung von Fr nach Kö im Jahr 2010 dorthin gewechselt sei, sei - was unstreitig ist - trotz eines entsprechenden Wunsches bei der Stundenvergabe ebenfalls unberücksichtigt geblieben. Die vom Kläger im Jahr 2013 geleisteten Überstunden beliefen sich auf lediglich 17,03 Stunden und lägen damit weit unter denen der übrigen Kuriere.

19

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - nach Beweisaufnahme den Anträgen zu 3. und 4. insoweit entsprochen, als es die Beklagte verurteilt hat, an den Kläger entgangene Vergütung für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis zum 31. August 2015 iHv. 8.955,18 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen und zudem festgestellt hat, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger monatlich einen Betrag iHv. 344,43 Euro brutto zu zahlen, und zwar beginnend ab dem Datum der Entscheidung durch das Berufungsgericht (25. September 2015) und endend vor dem Tag, an dem die Beklagte die Wochenstundenzahl des Klägers erhöht oder das Arbeitsverhältnis beendet wird, je nachdem, welcher Zeitpunkt zuerst eintritt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Revision, mit der sie die vollständige Klageabweisung begehrt. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

20

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte den Klageanträgen zu 3. und 4. nicht - teilweise - stattgegeben werden. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig ( § 561 ZPO ). Ob und ggf. in welchem Umfang die Klage begründet ist, kann vom Senat aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils ( § 562 Abs. 1 ZPO ) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

21

I. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte den Klageanträgen zu 3. und 4. nicht - teilweise - stattgegeben werden.

22

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe Anspruch auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG, da die Beklagte die Auswahl unter den Kurierfahrern, die eine Arbeitszeitaufstockung wünschten, unter Verstoß gegen §§ 7, 1 AGG vorgenommen habe. Der Kläger habe ausreichende Indizien nachgewiesen, dass er insoweit wegen seiner Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit unmittelbar benachteiligt worden sein könnte. Diese Vermutung habe die Beklagte nicht widerlegt. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Beklagte kein objektives Auswahlverfahren durchgeführt habe. Vielmehr lasse der Ausschluss des Klägers eine unmittelbare Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten. Diese Vermutung werde durch folgende Indizien gestützt: Der Kläger sei nach dem Willen der Manager der Beklagten, Sp und Ku, als einziger Kurier in Teilzeit, der eine Stundenerhöhung gewünscht habe, nicht berücksichtigt worden, obgleich die Stunden ohne Einzelfallbetrachtung vergeben worden seien. Die quantitativen Leistungseinschränkungen des Klägers, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dazu geführt haben könnten, dass er nicht berücksichtigt worden sei, beruhten auf seiner Behinderung, was den Managern der Beklagten bewusst gewesen sein müsse. Zudem sei der Kläger in dem Gespräch am 14. Mai 2013 fehlerhaft informiert worden, dass keine Stundenaufstockungen zu erwarten seien. Man habe ihn auch nicht darüber in Kenntnis gesetzt, dass seine Kollegen zum 1. Juni 2013 bzw. 15. Juni 2013 dauerhafte Erhöhungen der Wochenarbeitszeit erhielten, während er keine Berücksichtigung gefunden habe. Dies spreche dafür, dass man ihm gegenüber eine Rechtfertigung für die unterbliebene Verlängerung der Wochenarbeitszeit habe vermeiden wollen. Außerdem habe die Beklagte schriftsätzlich unzutreffende Angaben dazu gemacht, warum der Kläger nicht ausgewählt wurde.

23

2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte sei dem Kläger nach § 15 Abs. 1 AGG zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie ihn bei der Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Kuriere im Juni 2013 wegen seiner Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und dadurch unmittelbar benachteiligt habe, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob hinreichende Indizien vorliegen, die eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung vermuten lassen iSv. § 22 AGG, einen unzutreffenden Maßstab angewendet und damit zugleich die Voraussetzungen für das Eingreifen der Beweislastumkehr nach § 22 AGG verkannt.

24

a) Der Anspruch auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen verbietet. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen einer Behinderung. Zudem dürfen Arbeitgeber nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX die Regelungen des AGG.

25

aa) Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und dem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Für den Kausalzusammenhang ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; es muss nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt(vgl. etwa BAG 11. August 2016 - 8 AZR 4/15 - Rn. 62; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 53, BAGE 155, 149; 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 34 mwN).

26

bb) § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat(vgl. etwa BAG 11. August 2016 - 8 AZR 4/15 - Rn. 63 mwN; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 54 mwN, BAGE 155, 149).

27

(1) Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist(vgl. BAG 11. August 2016 - 8 AZR 375/15 - Rn. 24; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 54 mwN, BAGE 155, 149). Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asocia ţ ia ACCEPT] Rn. 50; vgl. auch EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 42, 44 f.; BAG 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 31 mwN).

28

(2) Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (vgl. EuGH 16. Juli 2015 - C-83/14 - [CHEZ Razpredelenie Bulgaria] Rn. 85; 25. April 2013 - C-81/12 - [Asocia ţ ia ACCEPT] Rn. 55 mwN; 10. Juli 2008 - C-54/07 - [Feryn] Rn. 32, Slg. 2008, I-5187; BAG 11. August 2016 - 8 AZR 375/15 - Rn. 24; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 54 mwN, BAGE 155, 149). Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben(vgl. etwa BAG 11. August 2016 - 8 AZR 4/15 - Rn. 63 mwN; 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - aaO).

29

cc) Sowohl die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von einer/einem Beschäftigten vorgetragenen und unstreitigen oder bewiesenen Haupt- und/oder Hilfstatsachen eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, als auch deren Würdigung, ob die von dem Arbeitgeber seinerseits vorgebrachten Tatsachen den Schluss darauf zulassen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat, sind nur eingeschränkt revisibel(vgl. etwa BAG 22. August 2013 - 8 AZR 563/12  - Rn. 49 mwN, 63). In beiden Fällen beschränkt sich die revisionsrechtliche Kontrolle darauf zu prüfen, ob das Landesarbeitsgericht sich den Vorgaben von § 286 Abs. 1 ZPO entsprechend mit dem Prozessstoff umfassend auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also vollständig und des Weiteren rechtlich möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt(st. Rspr., vgl. BAG 23. Juli 2015 - 6 AZR 457/14  - Rn. 29, BAGE 152, 134 ; 18. September 2014 -  8 AZR 759/13  - Rn. 30 ; 26. Juni 2014 -  8 AZR 547/13  - Rn. 42 ; 27. März 2014 -  6 AZR 989/12  - Rn. 37 ; 26. September 2013 -  8 AZR 650/12  - Rn. 28 ; 22. August 2013 -  8 AZR 563/12  - aaO ; 21. Juni 2012 -  8 AZR 364/11  - Rn. 34 , BAGE 142, 158 ).

30

b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es bestehe die Vermutung, dass der Kläger bei der Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Kuriere im Juni 2013 wegen seiner Behinderung benachteiligt worden sei, hält dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle nicht stand. Zwar hat das Landesarbeitsgericht unter B. III. 3. a) aa) der Urteilsgründe zutreffend die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wiedergegeben, wonach eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann genügt, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Es hat diesen Maßstab allerdings im Folgenden seiner Würdigung nicht zugrunde gelegt, sondern bereits die Möglichkeit der Kausalität der Behinderung des Klägers für dessen Benachteiligung ausreichen lassen. So stellt das Berufungsgericht seiner Würdigung unter B. III. 3. a) cc) der Urteilsgründe den Satz voran: „Der Kläger hat ausreichende Indizien nachgewiesen, dass er wegen seiner Schwerbehinderung unmittelbar benachteiligt worden sein kann.“ Ferner heißt es unter B. III. 3. a) cc) (1) der Urteilsgründe: „Die quantitativen Leistungseinschränkungen des Klägers, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dazu geführt haben können, dass der Kläger nicht berücksichtigt wurde, beruhen auf seiner Behinderung.“ § 22 AGG verlangt für die Annahme der Kausalitätsvermutung jedoch das Vorliegen von Indizien, die mitüberwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dass das Landesarbeitsgericht diese Voraussetzung dennoch als gegeben angesehen hat, lässt das angefochtene Urteil auch nicht an anderer Stelle seiner Begründung erkennen.

31

II. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei zu vermuten, dass der Kläger bei der Aufstockung der wöchentlichen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Kuriere im Juni 2013 wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde, erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig ( § 561 ZPO ).

32

1. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers stellt der von ihm behauptete Umstand, dass die Schwerbehindertenvertretung nicht vorab unterrichtet und angehört wurde, kein Indiz iSv. § 22 AGG dar, dass er wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde.

33

a) Zwar hat der Arbeitgeber nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Unterlässt es der Arbeitgeber entgegen dieser Bestimmung, die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen, ist dies ein Indiz iSd. § 22 AGG, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lässt, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer wegen der Behinderung benachteiligt wurde(BAG 20. Januar 2016 - 8 AZR 194/14 - Rn. 40; 22. August 2013 - 8 AZR 574/12 - Rn. 35).

34

b) Vorliegend war die Beklagte jedoch weder zu einer Unterrichtung noch zu einer Anhörung der Schwerbehindertenvertretung verpflichtet.

35

aa) Das Wort „berühren“ in § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist mit „betreffen“ gleichzusetzen(BAG 17. August 2010 - 9 ABR 83/09 - Rn. 14, BAGE 135, 207). Die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte sollen es der Schwerbehindertenvertretung ermöglichen, auf eine sachdienliche Behandlung hinzuwirken, wenn die spezifischen Belange eines schwerbehinderten Menschen oder der schwerbehinderten Beschäftigten als Gruppe für die Entscheidung des Arbeitgebers erheblich sind(BAG 22. August 2013 - 8 AZR 574/12 - Rn. 35 mwN). Eine Unterrichtungs- und Anhörungspflicht besteht deshalb nicht, wenn die Angelegenheit bzw. die Maßnahme des Arbeitgebers die Belange schwerbehinderter Menschen in keiner anderen Weise betrifft als die Belange nicht schwerbehinderter Beschäftigter (BAG 14. März 2012 - 7 ABR 67/10 - Rn. 20; 17. August 2010 - 9 ABR 83/09 - Rn. 13, 18, aaO).

36

bb) Dies war bei der Vergabe zusätzlicher Wochenarbeitsstunden im Juni 2013 an 14 teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter und bei der Nichtvergabe zusätzlicher Wochenarbeitsstunden an den Kläger der Fall. Hierdurch wurden weder die spezifischen Belange des schwerbehinderten Klägers noch die der schwerbehinderten Beschäftigten als Gruppe berührt.

37

2. Auch der Umstand, dass die Beklagte den Kläger ggf. entgegen § 7 Abs. 2 TzBfG nicht vorab über ihren Entschluss unterrichtet hat, die wöchentliche Arbeitszeit von teilzeitbeschäftigten Kurieren um insgesamt 66,5 Stunden aufzustocken, begründet entgegen der Auffassung des Klägers nicht die Vermutung, dass dieser wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt wurde. Dies folgt bereits daraus, dass die in § 7 Abs. 2 TzBfG bestimmte Verpflichtung des Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer, der ihm den Wunsch nach Veränderung von Dauer und Lage seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat, über zu besetzende entsprechende Arbeitsplätze zu informieren, zwar ua. der Verwirklichung der Ansprüche nach § 9 TzBfG dient, jedoch keine Verpflichtung ist, die das Gesetz zum Schutze oder mit dem Ziel der Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen bestimmt hat. Als Vermutungstatsachen für einen Kausalzusammenhang mit der Schwerbehinderung kommen nämlich nur Pflichtverletzungen in Betracht, die der Arbeitgeber begeht, indem er Vorschriften nicht befolgt, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen enthalten (vgl. BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 29; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 35). Dies ist bei § 7 Abs. 2 TzBfG nicht der Fall.

38

III. Ob und ggf. in welchem Umfang die Klage begründet ist, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Insbesondere kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob Indizien vorliegen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass der Kläger bei der Vergabe der zusätzlichen Wochenarbeitsstunden im Juni 2013 wegen seiner Schwerbehinderung unberücksichtigt blieb. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

39

1. Zwar hat der Senat bei der Beurteilung, ob eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger die ungünstigere Behandlung wegen seiner Schwerbehinderung erfahren hat, grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner Beweiswürdigung (§ 286 ZPO)festgestellt hat. Hat das Berufungsgericht festgestellt, dass eine tatsächliche Behauptung wahr oder unwahr sei, so ist diese Feststellung nach § 559 Abs. 2 ZPO für das Revisionsgericht bindend, es sei denn, dass in Bezug auf die Feststellung ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff erhoben ist. Die den Feststellungen des Berufungsgerichts zugrunde liegende Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur auf eine entsprechende Rüge hin darauf zu überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. etwa BAG 18. November 2015 - 5 AZR 814/14 - Rn. 29 mwN; 19. Mai 2015 - 9 AZR 863/13 - Rn. 23 mwN). Allerdings greift die insoweit erhobene Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe den Prozessstoff nur unvollständig gewürdigt, durch, weshalb dahinstehen kann, ob die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht auch deshalb einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält, weil sie - wie die Beklagte rügt - auf einer Verletzung von Denkgesetzen beruht.

40

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die quantitativen Leistungseinschränkungen des Klägers, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dazu geführt haben könnten, dass er nicht berücksichtigt wurde, beruhten auf seiner Behinderung, was den Managern der Beklagten bewusst gewesen sein müsse. Diese Würdigung lässt indes jegliche Auseinandersetzung damit vermissen, dass der Kläger selbst widersprüchlich dazu vorgetragen hatte, inwieweit die Entscheidung der Beklagten, ihn bei der Vergabe zusätzlicher Wochenarbeitsstunden nicht zu berücksichtigen, überhaupt auf behinderungsbedingten Leistungsbeeinträchtigungen beruhte. Insoweit hat der Kläger nämlich auch ausgeführt, er habe, wie sich aus den vorgelegten Beurteilungen ergebe, im Vergleich zu anderen - nicht behinderten - Kurierfahrern sogar überdurchschnittliche Leistungen erbracht. Er sei einer der wenigen Arbeitnehmer, die in den vergangenen Jahren auf sechs unterschiedlichen Touren eingesetzt worden seien, während die meisten anderen Kuriere nur auf zwei bis drei Touren einsetzbar seien. Bei dem „Check-Ride“ am 18. April 2013 habe sich Herr Ku wie ein „Drill-Instructor“ geriert und dadurch bei ihm Stress und Verunsicherung ausgelöst. Sofern andere Kuriere gelegentlich eine höhere Anzahl an Lieferungen erledigen könnten, sei dies maßgeblich darauf zurückzuführen, dass diese ua. unter Missachtung von Geschwindigkeitsbeschränkungen, Nichteinhaltung sonstiger Regeln der Straßenverkehrsordnung oder außerhalb des städtischen Berufsverkehrs unterwegs seien.

41

b) Aus diesem Grund kann dahinstehen, ob die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht auch deshalb einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält, weil sie - wie die Beklagte rügt - auf einer Verletzung von Denkgesetzen beruht. Insbesondere kann offenbleiben, ob die Rüge der Beklagten durchgreift, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht aus der Formulierung des Zeugen Ku, „Krankheitszeiten, das muss man nicht verheimlichen“ den Schluss gezogen, die Zeugen Sp und Ku hätten nicht vollständig wahrheitsgemäß ausgesagt, zudem habe es eindeutige anderslautende Aussagen der Zeugen außen vor gelassen. Es kommt daher nicht darauf an, ob sich aus dem Umstand, dass ein Zeuge - ohne hiernach gefragt worden zu sein - besonders betont, nichts verheimlichen zu wollen, ein Realkennzeichen im Sinne eines „starken Indizes“ dafür ergeben kann, dass er tatsächlich doch etwas verheimlichen wollte (vgl. zu der Aussagekraft einer Betonung der Wahrheitstreue durch den Zeugen: Bender/Nack/Treuer Tatsachenfeststellung vor Gericht 3. Aufl. Rn. 371; Balzer Beweisaufnahme und Beweiswürdigung im Zivilprozess 2. Aufl. Rn. 328) oder ob es sich bei diesem Umstand lediglich um einen Indikator mit für sich genommen nur geringer Validität, dh. mit durchschnittlich nur wenig über dem Zufallsniveau liegender Aussagekraft für die Glaubhaftigkeit oder fehlende Glaubhaftigkeit der Aussage handelt (vgl. hierzu BGH 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - zu B II 1 b aa (1) der Gründe, BGHSt 45, 164).

42

2. Nach der Zurückverweisung ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ) wird das Landesarbeitsgericht zunächst - ggf. nach erneuter Beweisaufnahme - erneut darüber zu entscheiden haben, ob die Beklagte den Kläger „wegen“ seiner Schwerbehinderung benachteiligt hat, dh. ob Indizien vorliegen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Schwerbehinderung des Klägers kausal für die Entscheidung der Beklagten war, diesen bei der Stundenerhöhung im Juni 2013 nicht zu berücksichtigen und ob diese Vermutung - sofern sie bestehen sollte - von der Beklagten ggf. widerlegt wurde. Dafür gibt der Senat die nachstehenden Hinweise:

43

a) Das Landesarbeitsgericht wird zu beachten haben, dass einige der von ihm im angefochtenen Urteil angezogenen Umstände für sich allein betrachtet nicht geeignet sind, eine Indizwirkung nach § 22 AGG zu begründen.

44

aa) Selbst wenn der Kläger der einzige schwerbehinderte Arbeitnehmer in der Vergleichsgruppe der teilzeitbeschäftigten Kuriere gewesen sein sollte, ließe sich hieraus allein kein Indiz iSd. § 22 AGG ableiten. Dieser Umstand lässt nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Schluss darauf zu, dass die Schwerbehinderung des Klägers Teil des Motivbündels der Beklagten war. Es besteht zumindest ein gleich hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass ausschließlich andere Motive ausschlaggebend waren, wobei es sich insoweit nicht um sachlich gerechtfertigte Motive handeln muss. Die bloße ungünstigere Behandlung eines Beschäftigten weist für sich genommen nicht darauf hin, dass diese im Zusammenhang mit einem bestimmten Merkmal iSv. § 1 AGG steht. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die einen Bezug zu diesem Merkmal aufweisen.

45

bb) Auch wenn der Kläger am 14. Mai 2013 fehlerhaft dahin informiert worden sein sollte, dass keine Stundenaufstockungen zu erwarten seien, und wenn die Beklagte ihn nicht vorab über ihren Entschluss unterrichtet haben sollte, die wöchentliche Arbeitszeit von teilzeitbeschäftigten Kurieren anzuheben, lässt dies für sich genommen ebenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Schluss darauf zu, dass die Schwerbehinderung des Klägers mitursächlich für seine Benachteiligung war. Allein das Bemühen, einen Beschäftigten gar nicht erst auf die gewünschte Maßnahme hoffen zu lassen bzw. bei ihm nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, andere Arbeitnehmer seien begünstigt worden, lässt für sich betrachtet nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den erforderlichen Zusammenhang zwischen der Benachteiligung und einem Merkmal iSv. § 1 AGG schließen, sondern nur darauf, diesen Beschäftigten nicht begünstigen zu wollen und Problemen mit ihm möglichst aus dem Wege zu gehen.

46

b) Sollte das Landesarbeitsgericht bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis gelangen, dass Indizien bewiesen sind, die nach § 22 AGG eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung vermuten lassen, wird es sodann zu prüfen haben, ob die Beklagte dargelegt und bewiesen hat, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist, weil ausschließlich andere als die in § 1 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX genannten Gründe, hier: die Schwerbehinderung des Klägers, zu dessen ungünstigerer Behandlung geführt haben.

47

3. Sofern das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Beklagte den Kläger „wegen“ seiner Schwerbehinderung benachteiligt hat, wird es zu prüfen haben, ob diese Benachteiligung auch kausal für den von ihm geltend gemachten Schaden ist. Dabei wird es Folgendes zu beachten haben:

48

Streiten die Parteien - wie hier - darüber, ob der Arbeitgeber nach § 15 Abs. 1 AGG zum Ersatz eines Vermögensschadens in Form entgangenen Gewinns(§ 252 BGB), hier: entgangenen Arbeitsentgelts, verpflichtet ist, hat der/die Anspruchsteller/in die Darlegungs- und Beweislast für die haftungsausfüllende Kausalität. Diese, dem/der Anspruchsteller/in im Rahmen von § 15 Abs. 1 AGG obliegende Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität wird durch § 22 AGG nicht abgeändert(vgl. BAG 11. August 2016 - 8 AZR 406/14 - Rn. 105; 20. Juni 2013 - 8 AZR 482/12 - Rn. 52 f.; 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - Rn. 78 f.). Danach muss der/die Anspruchsteller/in darlegen und ggf. beweisen, dass seine/ihre Schlechterstellung - eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes unterstellt - auch tatsächlich zu einem Schaden geführt hat bzw. führen wird. Dies wäre im vorliegenden Verfahren aber nur dann anzunehmen, wenn andernfalls alle Voraussetzungen für eine vertragliche Aufstockung der Wochenarbeitszeit des Klägers vorgelegen hätten, wenn also die Anhebung der wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers ausschließlich deshalb unterblieben wäre, weil die Beklagte bei der Vergabe der Wochenarbeitsstunden nach einem Grund iSv. § 1 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, hier: der Schwerbehinderung, differenziert hätte. Ähnliche Überlegungen werden für die Situation eines abgelehnten Bewerbers (vgl. BAG 11. August 2016 - 8 AZR 406/14 - aaO; 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - Rn. 78) und in dem Fall angestellt, dass ein befristeter Vertrag nicht verlängert oder nicht entfristet wird (BAG 20. Juni 2013 - 8 AZR 482/12 - aaO). Dem Kläger käme im Rahmen von § 15 Abs. 1 AGG aber eine Beweiserleichterung zugute, wenn nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder Wahrscheinlichkeit für eine vertragliche Aufstockung seiner Wochenarbeitszeit bei diskriminierungsfreiem Vorgehen der Beklagten bestünde(vgl. BGH 23. April 2012 - II ZR 163/10 - Rn. 64, BGHZ 193, 110).

49

4. Im Hinblick auf den auf Feststellung gerichteten Hilfsantrag zu 4. wird das Landesarbeitsgericht ggf. zu beachten haben, dass der hiermit verfolgte Anspruch nur bestehen kann für Zeiten, für die dem Kläger ein Entgelt- oder Entgeltschutzanspruch zusteht und dass vor diesem Hintergrund unter Umständen nur eine Feststellung dem Grunde nach in Betracht kommt.

        

    Schlewing    

        

    Winter    

        

    Vogelsang    

        

        

        

    Wein    

        

    F. Rojahn    

                 

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 5. Oktober 2010 - 13 Sa 488/10 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Urteils des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 5. Oktober 2010 - 13 Sa 488/10 - klarstellend wie folgt neu gefasst wird:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. Januar 2010 - 11 Ca 7932/09 - teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von 2.700,00 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Die Anschlussrevision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 5. Oktober 2010 - 13 Sa 488/10 - wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben Kläger und Beklagte je zur Hälfte zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch des Klägers wegen einer Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung bei einer Bewerbung.

2

Der Kläger war nach dem Abschluss der Berufsausbildung zum Elektroinstallateur ua. als Pförtner und Fahrer von Oktober 1987 bis Dezember 1990 tätig. In den Folgejahren arbeitete er ua. als Monteur, legte die Meisterprüfung als Elektroinstallateur ab und arbeitete als Haushandwerker und Fahrer von Juli 1999 bis Dezember 2006. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 60.

3

Am 18. März 2004 hatte das Bundesministerium des Innern (BMI) mit der Hauptschwerbehindertenvertretung des BMI, der Hauptschwerbehindertenvertretung des Bundesgrenzschutzes (BGS), den jeweiligen Hauptpersonalräten, der Schwerbehindertenvertretung des BMI, dem Personalrat des BMI und der Gleichstellungsbeauftragten eine „Rahmenvereinbarung zur Integration schwerbehinderter und diesen gleichgestellten behinderten Menschen im Bundesministerium des Innern und den Behörden seines Geschäftsbereichs (einschließlich BGS) gemäß § 83 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch (SGB IX)“(im Folgenden: Rahmenintegrationsvereinbarung) geschlossen. In dieser Rahmenvereinbarung ist ua. das Folgende geregelt:

        

1. Präambel

        

(1) Schwerbehinderte Menschen im Bundesministerium des Innern und den Behörden seines Geschäftsbereichs (einschl. BGS)1 sind wie alle anderen Beschäftigten leistungsfähig und leistungsbereit. ...

        

(2) Mit dieser Rahmenintegrationsvereinbarung werden die Maßnahmen und Möglichkeiten aufgezeigt, die die beruflichen Chancen und die konkreten Arbeitsbedingungen dieser Kolleginnen und Kollegen in der Dienststelle weiter verbessern sollen. ...

        

(3) Alle beteiligten Stellen und Personen sind verpflichtet, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten und im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der vorhandenen Möglichkeiten den Anliegen der schwerbehinderten Menschen verständnisvoll, sach- und behindertengerecht zu begegnen. Soweit der Dienststelle vom Gesetzgeber ein Ermessensspielraum zugestanden wird, sollte dieser im Interesse der schwerbehinderten Beschäftigten möglichst großzügig gehandhabt werden.

                 
        

2. Ziele

        

(1) Nach Art. 3 Abs. 3 GG unterliegen behinderte Menschen dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Die Dienststelle wahrt die Rechte der schwerbehinderten Beschäftigten und berücksichtigt ihre Belange bei allen Maßnahmen, von denen sie berührt sind.

        

(2) Schwerbehinderte Beschäftigte dürften bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme, insbesondere bei der Begründung des Dienst-, Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnisses, beim beruflichen Aufstieg oder bei einer Kündigung nicht wegen ihrer Schwerbehinderung benachteiligt werden. ...

                 
        

4. Personalmanagement

        

…       

        

4.2.4 Einstellung

        

…       

        

(3) Hinsichtlich der sonstigen Eignung, insbesondere der beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten, gilt uneingeschränkt das Leistungsprinzip im Wettbewerb mit anderen nichtbehinderten Bewerbern.

        

…       

        

(5) Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber sind zu Auswahlverfahren zuzulassen, es sei denn, dass sie nach den vorgelegten Unterlagen für eine Verwendung auf Grund bestehender Ausbildungs- oder Prüfungsvoraussetzungen offensichtlich nicht geeignet erscheinen. Von einer Einladung zum Auswahlverfahren ist abzusehen, wenn zwischen Zentralabteilung, Schwerbehindertenvertretung und Gleichstellungsbeauftragter Einvernehmen besteht, dass die Bewerberin oder der Bewerber für den freien Arbeitsplatz nicht in Betracht kommt. Der Personalrat ist vor dieser Entscheidung anzuhören.

        

…       

        

(7) Die Verpflichtung zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen wird durch andere gesetzliche Verpflichtungen zur bevorzugten Einstellung und Beschäftigung bestimmter Personengruppen nicht berührt (§ 122 SGB IX).

        

…       

        

12 Schlussbestimmungen und Inkrafttreten

        

...     

        

(2) Rechtsvorschriften und tarifliche Regelungen werden durch diese Vereinbarung nicht berührt.“

4

Die dem Bundesministerium des Innern unterstellte B schrieb am 13. März 2009 eine Stelle als Pförtner/in, Wächter/in aus. In der Ausschreibung heißt es:

        

„...   

        

Die B hat zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen Dienstposten für Tarifbeschäftigte im Sachbereich 37 (Zentraler Dienst) für den Pförtner- und Wachdienst zu besetzen und sucht deshalb

        

eine Pförtnerin/Wächterin bzw. einen Pförtner/Wächter.

        

Die Tätigkeit ist mit der Entgeltgruppe 3 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) bewertet.

        

Das Aufgabengebiet beinhaltet:

        

•       

Kontrolle des ein- und ausgehenden Personenverkehrs sowie des ein- und ausfahrenden Kfz-Verkehrs einschließlich Kontrolle der entsprechenden Ausweise sowie der Berechtigung zum Aufenthalt in der Liegenschaft

        

•       

Empfang und Anmeldung von Besuchern, Erteilen von Auskünften

        

•       

Bestreifung des Geländes der Liegenschaft F

                 
        

Anforderungen:

        

•       

Bereitschaft zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung in Form eines Regeldienstes rund um die Uhr (Früh-, Spät- und Nachtdienst)

        

•       

gepflegtes Erscheinungsbild, überzeugendes und sicheres Auftreten sowie gute Umgangsformen

        

•       

körperliche Eignung

        

•       

gute Deutschkenntnisse in Wort und Schrift

        

•       

Erfahrungen oder Ausbildung im Bereich des Wach- und Sicherheitsdienstes vorteilhaft

        

•       

Bereitschaft zum Führen einer Schusswaffe

        

•       

Führungszeugnis ohne Eintrag (braucht in der Bewerbung noch nicht vorgelegt werden!)

                 
        

Eine Besetzung mit Teilzeitkräften ist grundsätzlich möglich. Bereitschaft zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung gemäß den dienstlichen Erfordernissen wird vorausgesetzt.

        

Die B ist bestrebt, den Frauenanteil zu erhöhen. Bewerbungen von Frauen sind besonders erwünscht. Bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung werden Frauen nach Maßgabe des Bundesgleichstellungsgesetzes bevorzugt berücksichtigt.

        

Im Rahmen der Stellenbesetzungen werden die Gleichstellungsbeauftragte und die Vertrauensperson der Schwerbehinderten beteiligt. Schwerbehinderte werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt, es wird ein Mindestmaß an körperlicher Eignung verlangt.

        

...“   

5

Mit Schreiben vom 16. März 2009 bewarb sich der Kläger um die ausgeschriebene Stelle. Auszugsweise lautet die Bewerbung des Klägers wie folgt:

        

„Ich bin 43 Jahre alt und habe ausreichend Berufserfahrung im Fahr- und Pfortendienst inclusive Personen- und Zugangskontrolle. Durch diese Berufserfahrung und meine bisherigen Qualifikationen fühle ich mich bestens geeignet, die von Ihnen ausgeschriebene Stelle ideal zu besetzen.

        

Bereits bei meiner Tätigkeit als Fahrer/Pförtner beim S in Be, habe ich die Hauptaufgaben in diesem Arbeitsbereich frühzeitig kennen gelernt. Durch meine langjährige Berufserfahrung verfüge ich über umfangreiche Kenntnisse in der Personen- und Fahrzeugkontrolle sowie in der mündlichen bzw. telefonischen Auskunftserteilung und als Lotse bezüglich der Besuchereinweisung vor Ort innerhalb der Liegenschaften. Aufgaben, wie die Zustellung und Beförderung der Post, sowie der Personentransport im städtischen und ländlichen Bereich, gehörten auch zu meinen täglichen Schwerpunktaufgaben. Ich bin im Besitz aller Führerscheinklassen.

        

Wörter, wie Diskretion, Verlässlich- und Pünktlichkeit sind keinesfalls fremd für mich, genauso wie ein gepflegtes Äußeres und ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Loyalität. Meine vorhandene Schwerbehinderung mit einem GdB von 60 würde mich weder körperlich noch geistig für die geforderten Aufgaben in Ihrem Hause einschränken, so dass ich gerne meine Fähig- und Fertigkeiten bei Ihnen einbringen würde.

        

Der von Ihnen beschriebene Arbeitseinsatz im Schichtdienst kommt meiner derzeitigen Lebenssituation entgegen.“

6

Zu den dem Bewerbungsschreiben beigefügten Unterlagen gehörte ua. auch eine Kopie des Schwerbehindertenausweises des Klägers. Auf dem Ausweis ist maschinenschriftlich ein GdB von 50 befristet bis März 2007 und handschriftlich ein GdB von 60 seit dem 29. Juni 2004 mit einem eingestempelten Gültigkeitsdatum bis Januar 2022 vermerkt.

7

Im Rahmen des Auswahlverfahrens für die zu besetzende Stelle beteiligte das BMI seine Zentralabteilung, die Schwerbehindertenvertretung, die Gleichstellungsbeauftragte sowie den Personalrat. Zwischen diesen herrschte Einvernehmen darüber, dass der Kläger für die Stelle wegen offensichtlich fehlender Eignung nicht in Betracht komme. Von seiner Einladung zu einem Vorstellungsgespräch wurde deshalb abgesehen. Zu Vorstellungsgesprächen wurden neben fünf Männern auch fünf Frauen eingeladen. Ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen zum Bewerbungsverfahren bewarben sich auf die ausgeschriebene Stelle neben dem Kläger auch weitere schwerbehinderte bzw. gleichgestellte Bewerber, die ebenfalls nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurden.

8

Mit Schreiben vom 11. Mai 2009 teilte die B dem Kläger mit, dass man sich im Auswahlverfahren für eine Bewerberin entschieden habe.

9

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 29. Mai 2009 die B aufgefordert hatte, ihn bei der Besetzung der Stelle zu berücksichtigen, machte er mit Schreiben vom 18. Juni 2009 Entschädigungs- bzw. Schadensersatzansprüche iHv. sechs Monatsgehältern wegen der Nichteinstellung geltend. Dem trat die Beklagte mit Schreiben vom 10. Juli 2009 entgegen.

10

Mit seiner am 15. September 2009 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangenen und der Beklagten am 28. September 2009 zugestellten Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern der Entgeltgruppe 3, Stufe 2, des TVöD in Anspruch.

11

Der Kläger vertritt die Ansicht, die nicht erfolgte Einladung zum Vorstellungsgespräch sei ein Indiz dafür, dass er wegen seiner Behinderung benachteiligt worden sei. Da ihm die fachliche Eignung nicht offensichtlich gefehlt habe, wäre er einzuladen gewesen. Auf das Absehen von einer Einladung aufgrund Ziff. 4.2.4 Abs. 5 der Rahmenintegrationsvereinbarung vom 18. März 2004 könne sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen, da sonst § 82 SGB IX umgangen würde.

12

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.723,28 Euro zu zahlen.

13

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

14

Sie macht geltend, der Kläger habe im Bewerbungsverfahren seine Schwerbehinderteneigenschaft nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Außerdem seien wegen § 19 Haushaltsgesetz 2009 Versetzungsbewerber und wegen § 7 BGleiG bevorzugt Frauen zu berücksichtigen gewesen, da diese unterrepräsentiert gewesen seien. Der Kläger sei zudem deshalb nicht eingeladen worden, weil den Unterlagen kein Hinweis auf eine Sachkundeprüfung nach § 34a(Bewachungsgewerbe) GewO zu entnehmen gewesen sei. Vor allem habe eine Einladung zum Vorstellungsgespräch deshalb unterbleiben dürfen, weil nach Ziff. 4.2.4 Abs. 5 der Rahmenintegrationsvereinbarung vom 18. März 2004 Einvernehmen bestanden habe, dass der Kläger für den freien Arbeitsplatz nicht in Betracht komme. Jedenfalls treffe die Beklagte weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit.

15

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von 2.700,00 Euro verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger erstrebt mit seiner Anschlussrevision die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 5.723,28 Euro.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision der Beklagten ist unbegründet, während die Anschlussrevision des Klägers unzulässig ist.

17

A. Sein Urteil, mit dem es die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung von 2.700,00 Euro an den Kläger verurteilt hat, hat das Landesarbeitsgericht im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Kläger sei wegen eines Merkmals iSd. § 1 AGG, nämlich seiner Behinderung, benachteiligt worden(§ 7 Abs. 1 AGG). Dafür habe er mit der Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch (§ 82 SGB IX) ein ausreichendes Indiz vorgetragen. Die fachliche Eignung habe dem Kläger nicht offensichtlich gefehlt, da er das nach der Stellenausschreibung erforderliche Anforderungsprofil erfülle. Eine Sachkundeprüfung nach § 34a(Bewachungsgewerbe) GewO werde dort nicht verlangt. Die Beklagte habe die Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung nicht entkräftet. Insbesondere könne sie sich nicht erfolgreich darauf berufen, die am Einstellungsverfahren Beteiligten seien übereinstimmend der Auffassung gewesen, der Kläger sei offensichtlich nicht geeignet. Die Rahmenintegrationsvereinbarung sei nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, da mit ihr in unzulässiger Weise der Rechtsschutz schwerbehinderter Menschen beschnitten werde. Es werde mit Ziff. 4.2.4 Abs. 5 der Rahmenintegrationsvereinbarung der Eindruck erweckt, eine gerichtliche Überprüfung der Voraussetzungen einer offensichtlich fehlenden fachlichen Eignung sei nicht mehr möglich. Dies unterlaufe den allgemeinen Justizgewährungsanspruch. Auch § 15 Abs. 3 AGG sei zugunsten der Beklagten nicht einschlägig. Ob § 15 Abs. 3 AGG gegen EU-Richtlinien verstoße, könne dahinstehen, denn die Beklagte treffe jedenfalls der Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens. Die Beklagte habe an der Rahmenintegrationsvereinbarung selbst mitgewirkt. Sie hätte erkennen müssen, dass kollektiv-rechtliche Regelungen, die den Zugang zu den Gerichten beschneiden, verfassungswidrig sind.

18

In Anbetracht von Art und Schwere der Benachteiligung, ihrer Dauer, ihrer Folgen, des Anlasses und des Beweggrundes des Handelns, des Grades der Verantwortlichkeit und der Genugtuungsfunktion sowie der Notwendigkeit einer abschreckenden Wirkung der zuzusprechenden Entschädigung sei vorliegend eine solche in Höhe von 2.700,00 Euro angemessen.

19

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält nicht in allen Teilen der Begründung, wohl aber im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

20

B. Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.

21

I. Streitgegenstand ist ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen eines immateriellen Schadens (§ 15 Abs. 2 AGG) und nicht ein auf Ersatz eines Vermögensschadens gerichteter Schadensersatzanspruch (§ 15 Abs. 1 AGG). Zwar verwendet der Kläger zur Begründung der Klage wiederholt den Begriff „Schadensersatz“, jedoch macht er ausweislich der von ihm gegebenen Begründung keinen Schadensersatzanspruch geltend. Insbesondere kann der Klagebegründung nicht entnommen werden, dass der Kläger einen konkreten Verdienstausfall für einen bestimmten Zeitraum wegen unterbliebener Einstellung begehrt. Auch behauptet er nicht, er wäre als am besten geeigneter Bewerber von der Beklagten einzustellen gewesen. Mit der von ihm angegebenen Klageforderung von 5.723,28 Euro hat der Kläger ausdrücklich drei Monatsgehälter ersichtlich als Entschädigung iSv. § 15 Abs. 2 AGG gefordert.

22

II. Die Klage ist in Höhe des ausgeurteilten Betrags (2.700,00 Euro) begründet.

23

1. Die Beklagte hat bei der Besetzung der Stelle eines Pförtners/Wächters bzw. einer Pförtnerin/Wächterin im Frühjahr 2009 gegen das Verbot verstoßen, schwerbehinderte Beschäftigte wegen ihrer Behinderung zu benachteiligen (§ 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, §§ 7, 1 AGG). Der Kläger hat als benachteiligter schwerbehinderter Beschäftigter nach § 81 Abs. 2 SGB IX, § 15 Abs. 2 AGG Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld.

24

a) Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Der Kläger ist als Bewerber „Beschäftigter“ im Sinne des AGG. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG gelten als Beschäftigte auch Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis. Für den Bewerberbegriff kommt es dabei weder auf die objektive Eignung (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12) noch auf die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung an. An der subjektiven Ernsthaftigkeit bestehen unabhängig davon keine Zweifel. Das Fehlen einer solchen würde auch nur zum Einwand treuwidrigen Verhaltens des Bewerbers führen (vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/11 -).

25

b) Die Beklagte ist als „Arbeitgeber“ passiv legitimiert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Absatz 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeitgeber ist also derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 370/09 - AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11). Dies trifft auf die Beklagte aufgrund der Stellenausschreibung zu.

26

2. Der Kläger hat seinen Anspruch innerhalb der Fristen des § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht.

27

a) Die Ablehnung der Bewerbung wurde dem Kläger mittels Schreibens der B vom 11. Mai 2009 mitgeteilt. Mit Schreiben vom 18. Juni 2009 machte der Kläger Entschädigungs- bzw. Schadensersatzansprüche geltend. Damit hat er die Zweimonatsfrist für die schriftliche Geltendmachung nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG gewahrt. Unerheblich ist, ob der Kläger sein Schreiben vom 18. Juni 2009 unterschrieben hat. Das Schriftformgebot des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG verlangt nicht die gesetzliche Schriftform nach § 126 Abs. 1 BGB, ausreichend ist vielmehr die Textform nach § 126b BGB(vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3). Für die Textform nach § 126b BGB muss zwar - neben der Nennung der Person des Erklärenden - der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden. Hierzu genügt aber eine Grußformel oder die Nennung des Namens am Textende (vgl. MüKoBGB/Einsele 6. Aufl. § 126b BGB Rn. 6; Palandt/Ellenberger BGB 71. Aufl. § 126b Rn. 5). Diesen Erfordernissen genügt das Schreiben vom 18. Juni 2009 mit der Grußformel am Textende unter Namensnennung. Nicht erforderlich war, dass der Kläger die Entschädigungsforderung bezifferte (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12).

28

b) Die am 15. September 2009 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangene Klage, die der Beklagten am 28. September 2009 zugestellt wurde, hat die Frist des § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt. Sie wurde innerhalb von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs erhoben. Für die Fristwahrung genügte gemäß § 167 ZPO der Eingang der Klage beim Arbeitsgericht, weil deren Zustellung demnächst erfolgte(vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6, zu § 611a BGB aF).

29

3. Die vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatsachen lassen einen Verstoß der Beklagten gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX vermuten.

30

a) Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG. § 15 Abs. 2 AGG enthält nur eine Rechtsfolgenregelung, jedoch ist für die Voraussetzungen des Anspruchs auf § 15 Abs. 1 AGG zurückzugreifen. Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang (vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerwGE 139, 135; BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21).

31

b) Der Kläger hat eine Benachteiligung im Hinblick auf seine Behinderung erfahren.

32

aa) Der Begriff der Behinderung im Sinne von § 1 AGG, wegen der gemäß § 7 AGG Beschäftigte nicht benachteiligt werden dürfen, entspricht den gesetzlichen Definitionen in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 3 BGG(vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 31). Auf einen bestimmten Grad der Behinderung kommt es nicht an (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15). Der Kläger, für den seit dem 10. April 2003 ein Grad der Behinderung von 50 und seit dem 29. Juni 2004 ein Grad der Behinderung von 60, dh. eine Schwerbehinderung, festgestellt ist, unterfällt dem Behindertenbegriff des § 1 AGG.

33

bb) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Der Kläger erfuhr eine weniger günstige Behandlung als die eingestellte Bewerberin. Weniger günstig war auch die Behandlung des Klägers im Vergleich mit den zu Vorstellungsgesprächen eingeladenen Bewerbern/innen. Ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung, insbesondere bei einer Einstellung und Beförderung, liegt bereits vor, wenn der Beschäftigte - wie hier der Kläger - nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgenommen wird. Die Benachteiligung liegt in der Versagung einer Chance (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21).

34

cc) Der Kläger und die letztlich eingestellte Bewerberin befanden sich auch in einer vergleichbaren Situation.

35

Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt voraus, dass der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, denn vergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13). Für das Vorliegen einer Benachteiligung ist es erforderlich, dass eine Person, die an sich für die Tätigkeit geeignet wäre, nicht ausgewählt oder schon nicht in Betracht gezogen wurde. Könnte auch ein objektiv ungeeigneter Bewerber immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen, stünde dies nicht im Einklang mit dem Schutzzweck des AGG. Das AGG will vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen, nicht eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers sanktionieren. Die objektive Eignung ist also keine ungeschriebene Voraussetzung der Bewerbereigenschaft, sondern Kriterium der „vergleichbaren Situation“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG(vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12).

36

Grundsätzlich ist für die objektive Eignung nicht auf das formelle Anforderungsprofil, welches der Arbeitgeber erstellt hat, abzustellen, sondern auf die Anforderungen, die der Arbeitgeber an einen Stellenbewerber stellen durfte. Zunächst ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber über den der Stelle zugeordneten Aufgabenbereich und die dafür geforderten Qualifikationen des Stelleninhabers frei entscheiden darf. Durch das Stellen von Anforderungen an den Bewerber, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt gedeckt sind, darf er allerdings die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des AGG de facto beseitigen (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13). Diese Grundsätze gelten allerdings bei der Besetzung von Stellen öffentlicher Arbeitgeber nur eingeschränkt. Während der private Arbeitgeber im Rahmen der oben dargelegten Grundsätze frei ist, welche Anforderungen er in seiner Stellenausschreibung an Bewerber stellt und ob er dann bei seiner Auswahlentscheidung von einzelnen dieser geforderten Qualifikationen abweicht, hat der öffentliche Arbeitgeber Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten. Hiernach besteht nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung Anspruch auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Öffentliche Ämter in diesem Sinne sind nicht nur Beamtenstellen, sondern auch Stellen, die mit Arbeitern und Angestellten besetzt werden. Art. 33 Abs. 2 GG dient zum einen dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes, dessen fachliches Niveau und rechtliche Integrität gewährleistet werden sollen(sog. Bestenauslese), zum anderen trägt er dem berechtigten Interesse des Bewerbers an seinem beruflichen Fortkommen Rechnung. Art. 33 Abs. 2 GG begründet ein grundrechtsgleiches Recht auf rechtsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl und auf deren Durchführung anhand der in der Regelung - hier der Stellenausschreibung - genannten Auswahlkriterien(sog. Bewerbungsverfahrensanspruch; vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - aaO).

37

Die in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Gesichtspunkte der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung sind die allein maßgeblichen Kriterien für die Bewerberauswahl; andere Kriterien sind nicht zulässig. Allerdings bestimmt Art. 33 Abs. 2 GG nicht, auf welchen Bezugspunkt sich diese Kriterien beziehen. Dies folgt erst aus dem Anforderungsprofil, welches als Funktionsbeschreibung des Dienstpostens objektiv die Kriterien bestimmt, die der künftige Stelleninhaber erfüllen muss. Über die Einrichtung und nähere Ausgestaltung von Dienstposten entscheidet grundsätzlich der Dienstherr nach seinen organisatorischen Bedürfnissen und Möglichkeiten. Es obliegt daher auch seinem organisatorischen Ermessen, wie er einen Dienstposten zuschneiden will und welche Anforderungen demgemäß der Bewerberauswahl zugrunde zu legen sind. Erst aus diesem Zuschnitt des zu vergebenden Amtes oder Dienstpostens werden daher die Anforderungen bestimmt, an denen konkurrierende Bewerber zu messen sind (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13).

38

Mit der Bestimmung eines Anforderungsprofils für die zu vergebende Stelle legt der Dienstherr die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest; an ihm werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber gemessen (vgl. BVerfG 8. Oktober 2007 - 2 BvR 1846/07 - BVerfGK 12, 284). Der öffentliche Arbeitgeber hat im Anforderungsprofil die formalen Voraussetzungen, fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie außerfachlichen Kompetenzen zu beschreiben, die ein Bewerber für eine erfolgreiche Bewältigung der künftigen Tätigkeit benötigt und die dementsprechend der leistungsbezogenen Auswahl zugrunde zu legen sind (vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerwGE 139, 135). Aufgrund des Anforderungsprofils sollen einerseits geeignete Bewerber gefunden, andererseits ungeeignete Bewerber schon im Vorfeld der eigentlichen Auswahlentscheidung aus dem Kreis der in das engere Auswahlverfahren einzubeziehenden Bewerber ausgeschlossen werden. Mit der Festlegung des Anforderungsprofils wird ein wesentlicher Teil der Auswahlentscheidung vorweggenommen. Zugleich bestimmt der öffentliche Arbeitgeber mit dem Anforderungsprofil den Umfang seiner der eigentlichen Auswahlentscheidung vorgelagerten verfahrensrechtlichen Verpflichtung nach § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX(vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - aaO).

39

Für die Dauer des Auswahlverfahrens bleibt der Arbeitgeber an das in der veröffentlichten Stellenbeschreibung bekannt gegebene Anforderungsprofil gebunden (vgl. BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).

40

Unter Beachtung dieser Grundsätze bestehen unter Zugrundelegung des Anforderungsprofils in der Stellenausschreibung vom 13. März 2009 an der objektiven Eignung des Klägers für die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle keine Zweifel. Die Beklagte hat mit ihrer Ausschreibung eine Pförtnerin/Wächterin bzw. einen Pförtner/Wächter gesucht und dazu ein Anforderungsprofil aufgestellt, wonach die Bereitschaft zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung, ein gepflegtes Erscheinungsbild, ein überzeugendes und sicheres Auftreten, gute Umgangsformen, körperliche Eignung, gute Deutschkenntnisse in Wort und Schrift, die Bereitschaft zum Führen einer Schusswaffe und ein Führungszeugnis ohne Eintrag verlangt wurde. Erfahrungen oder eine Ausbildung im Bereich des Wach- und Sicherheitsdienstes waren nach dem Anforderungsprofil nicht vorausgesetzt, sondern nur vorteilhaft. Fachliche Voraussetzungen werden mit dem Anforderungsprofil nicht aufgestellt. Der Kläger hatte in der Vergangenheit bereits als Pförtner gearbeitet und ausweislich seines Bewerbungsschreibens umfangreiche Kenntnisse im Bereich von Personen- und Fahrzeugkontrollen. Im Hinblick auf die vom Kläger in der Vergangenheit verrichteten Tätigkeiten und ausweislich der Angaben des Klägers im Bewerbungsschreiben ist auch von seiner körperlichen Eignung auszugehen. Auch die Beklagte zieht diese nicht in Zweifel. Dass der Kläger zum Zeitpunkt der Bewerbung keine Sachkundeprüfung nach § 34a Abs. 1 Satz 5 GewO abgelegt hatte, ist im Hinblick auf das verbindliche Anforderungsprofil der Beklagten nicht relevant. Auch ist davon auszugehen, dass der Kläger die Anforderungen im Erscheinungsbild und Auftreten erfüllt, zumal etwaige Defizite in diesen Bereichen nur in einem Vorstellungsgespräch hätten festgestellt werden können.

41

c) Die Beklagte behandelte den Kläger auch wegen seiner Behinderung weniger günstig.

42

aa) Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch sie motiviert ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32 zu § 3 Abs. 1 AGG). Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund, dh. die Behinderung, das ausschließliche Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Ausreichend ist vielmehr, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat. Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3).

43

bb) Hinsichtlich der Kausalität zwischen Nachteil und dem verpönten Merkmal ist in § 22 AGG eine Beweislastregelung getroffen, die sich auch auf die Darlegungslast auswirkt. Der Beschäftigte genügt danach seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist. Durch die Verwendung der Wörter „Indizien“ und „vermuten“ bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass es hinsichtlich der Kausalität zwischen einem der in § 1 AGG genannten Gründe und einer ungünstigeren Behandlung genügt, Hilfstatsachen vorzutragen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität zulassen, die aber die Annahme rechtfertigen, dass die Kausalität gegeben ist. Liegt eine Vermutung für die Benachteiligung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat(BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3).

44

cc) Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von einem Bewerber vorgetragenen oder unstreitigen Tatsachen eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten lassen, ist nur beschränkt revisibel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene Überzeugung bzw. Nichtüberzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen einer Behinderung und einem Nachteil kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sie möglich, in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3).

45

dd) Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht zunächst angenommen, als ein Indiz für einen Kausalzusammenhang stelle sich die unterlassene Einladung zum Vorstellungsgespräch dar.

46

Unterlässt es der öffentliche Arbeitgeber entgegen § 82 Satz 2 SGB IX, den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, so ist dies eine geeignete Hilfstatsache nach § 22 AGG(vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerwGE 139, 135; BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).

47

Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass die Pflicht, den Kläger zum Vorstellungsgespräch einzuladen, nicht aufgrund der Ausnahmevorschrift des § 82 Satz 3 SGB IX wegen offensichtlich fehlender fachlicher Eignung entfallen war.

48

Ein schwerbehinderter Bewerber muss bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Selbst wenn sich der öffentliche Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet hat, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl komme, muss er den schwerbehinderten Bewerber nach dem Gesetzesziel einladen. Der schwerbehinderte Bewerber soll den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können. Wird ihm diese Möglichkeit genommen, liegt darin eine weniger günstige Behandlung als sie das Gesetz zur Herstellung gleicher Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern für erforderlich hält. Der Ausschluss aus dem weiteren Bewerbungsverfahren ist eine Benachteiligung, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung steht (BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).

49

Auch für die Frage, ob dem Bewerber die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, ist im öffentlichen Dienst auf die veröffentlichte Stellenbeschreibung abzustellen (vgl. BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1), denn mit dem veröffentlichten Anforderungsprofil bestimmt der öffentliche Arbeitgeber den Umfang seiner verfahrensrechtlichen Verpflichtung nach § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX(vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerwGE 139, 135).

50

Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dem Kläger habe die fachliche Eignung nicht offensichtlich gefehlt, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger erfüllt die Anforderungen der Stellenbeschreibung, die keine besonderen Anforderungen an Fähigkeiten und Kenntnisse stellt. Auch die Beklagte behauptet nicht, der Kläger erfülle eine oder mehrere Anforderungen der veröffentlichten Stellenbeschreibung nicht. Auf eine fehlende Sachkundeprüfung nach § 34a Abs. 1 Satz 5 GewO kann sich die Beklagte nicht erfolgreich berufen, da in der Stellenausschreibung eine solche nicht verlangt wird.

51

Dem Landesarbeitsgericht ist jedoch nicht dahin zu folgen, dass Ziff. 4.2.4 Abs. 5 Satz 2 der Rahmenintegrationsvereinbarung wegen § 7 Abs. 2 AGG unwirksam ist. Vielmehr ergibt sich im Wege der Auslegung, dass die Rahmenintegrationsvereinbarung keine zuungunsten des schwerbehinderten Bewerbers von § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX abweichende Regelung enthält. Weder nach § 82 Satz 3 SGB IX noch nach Ziff. 4.2.4 Abs. 5 der Rahmenintegrationsvereinbarung durfte eine Einladung des Klägers zum Vorstellungsgespräch unterbleiben.

52

Das Landesarbeitsgericht hat Ziff. 4.2.4 Abs. 5 Satz 2 der Rahmenintegrationsvereinbarung zu Unrecht entnommen, abweichend von § 82 Satz 3 SGB IX sei dort der Beklagten die Befugnis eingeräumt, von einer Einladung zum Vorstellungsgespräch abzusehen, wenn zwischen Zentralabteilung, Schwerbehindertenvertretung und Gleichstellungsbeauftragter Einvernehmen besteht, dass der Bewerber für den freien Arbeitsplatz nicht in Betracht kommt.

53

Nach Ziff. 4.2.4 Abs. 5 Satz 1 der Rahmenintegrationsvereinbarung sind schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber zu Auswahlverfahren zuzulassen, es sei denn, dass sie nach den vorgelegten Unterlagen für eine Verwendung aufgrund bestehender Ausbildungs- und Prüfungsvoraussetzungen offensichtlich nicht geeignet erscheinen. Damit knüpft Ziff. 4.2.4 Abs. 5 Satz 1 der Rahmenintegrationsvereinbarung an die bestehende Rechtslage nach § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX an. Die die Rahmenintegrationsvereinbarung abschließenden Parteien gehen vom gesetzlichen Regel-/Ausnahmeverhältnis aus. Die Einladung zum Vorstellungsgespräch/Die Zulassung zum Auswahlverfahren ist der Regelfall, der Ausschluss wegen offensichtlicher Nichteignung die Ausnahme. Dabei wird auch die gesetzliche Terminologie der offensichtlich fehlenden Eignung aufgegriffen, sodass davon auszugehen ist, dass die Vertragsparteien den gesetzlichen Begriff der offensichtlich fehlenden fachlichen Eignung aus § 82 Satz 3 SGB IX zugrunde gelegt und dieses Begriffsverständnis zum Inhalt der Rahmenintegrationsvereinbarung gemacht haben. Damit ist die Eignung am veröffentlichten Stellenprofil zu messen. Die in der Rahmenintegrationsvereinbarung angesprochenen Ausbildungs- und Prüfungsvoraussetzungen können daher nur dann maßgeblich sein, wenn diese in das veröffentlichte Stellenprofil Eingang gefunden haben.

54

Ziff. 4.2.4 Abs. 5 Satz 2 der Rahmenintegrationsvereinbarung schränkt dies nicht ein, sondern soll den gesetzlich bestehenden Schutz vielmehr erweitern. Zwar ist nach Satz 2 von einer Einladung zum Auswahlverfahren abzusehen, wenn zwischen Zentralabteilung, Schwerbehindertenvertretung und Gleichstellungsbeauftragter Einvernehmen besteht, dass der Bewerber für den freien Arbeitsplatz nicht in Betracht kommt. Diese Regelung ist aber nicht so zu verstehen, dass auch bei Nichtvorliegen einer offensichtlichen Nichteignung aufgrund eines Einvernehmens der genannten Stellen von einer Einladung zum Auswahlverfahren/Vorstellungsgespräch abgesehen werden darf. Schon in Abs. 2 der Präambel der Rahmenintegrationsvereinbarung ist ausgeführt, dass mit dieser die beruflichen Chancen und konkreten Arbeitsbedingungen in der Dienststelle „weiter verbessert“ werden sollen. In Ziff. 2 Abs. 1 Satz 2 der Rahmenintegrationsvereinbarung ist ausgeführt, dass die Dienststelle die Rechte der schwerbehinderten Beschäftigten wahrt und bei allen Maßnahmen deren Belange berücksichtigt. Hieraus ergibt sich, dass der gesetzliche Mindestschutz des § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX nicht unterschritten, sondern durch die Rahmenintegrationsvereinbarung ein höheres Schutzniveau gewährleistet werden soll. Vor allem ergibt sich dies aus deren Ziff. 12 Abs. 2. Dort ist ausdrücklich geregelt, dass Rechtsvorschriften und tarifliche Regelungen durch die Rahmenintegrationsvereinbarung nicht berührt werden. Dadurch haben die Vertragsparteien zum Ausdruck gebracht, dass ein Abweichen von gesetzlichen Vorschriften zuungunsten Schwerbehinderter - unabhängig davon, inwieweit dies überhaupt rechtlich zulässig wäre - nicht beabsichtigt ist. Damit kommt es auch nach der Rahmenintegrationsvereinbarung für die Frage der offensichtlich fehlenden fachlichen Eignung auf das veröffentlichte Anforderungsprofil an. Von einer Einladung zum Vorstellungsgespräch darf nach Ziff. 4.2.4 Abs. 5 Satz 2 der Rahmenintegrationsvereinbarung deshalb nur dann abgesehen werden, wenn zusätzlich zur offensichtlich vorliegenden fehlenden Eignung Einvernehmen zwischen Zentralabteilung, Schwerbehindertenvertretung und Gleichstellungsbeauftragter über diese Nichteignung besteht. Da dem Kläger aber die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlte, war der Kläger auch nach den Regeln der Rahmenintegrationsvereinbarung einzuladen.

55

ee) Eine Pflichtverletzung nach § 82 Satz 2 SGB IX ist als Indiz im Sinne von § 22 AGG nur dann geeignet, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung des Bewerbers bekannt gewesen ist oder sich der Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen diese Kenntnis hätte verschaffen können. Andernfalls ist der Pflichtenverstoß dem Arbeitgeber nicht zuzurechnen (vgl. BAG 18. November 2008 - 9 AZR 643/07 - AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19). Es obliegt dem abgelehnten Bewerber deshalb darzulegen, dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung bekannt gewesen ist oder er sich aufgrund der Bewerbungsunterlagen diese Kenntnis jedenfalls hätte verschaffen können.

56

Dies hat der Kläger getan. Er hatte die Beklagte auf die bestehende Schwerbehinderteneigenschaft in seinem Bewerbungsschreiben hingewiesen. Dort heißt es, dass ihn die „vorhandene Schwerbehinderung mit einem GdB von 60“ weder körperlich noch geistig für die Aufgaben einschränkt. Auch die Beklagte hatte den Kläger im Bewerbungsverfahren als schwerbehinderten Menschen geführt, wie sich aus den von ihr vorgelegten Unterlagen zur Erfassung der Bewerber ergibt.

57

ff) Die Beklagte hat die Vermutung der Benachteiligung des Klägers wegen dessen Behinderung nicht widerlegt.

58

Wenn die festgestellten Tatsachen eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber nach § 22 AGG die Beweislast dafür, dass eine solche Benachteiligung nicht vorlag. Der Arbeitgeber muss das Gericht davon überzeugen, dass die Benachteiligung nicht (auch) auf der Behinderung beruht. Damit muss er Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung geführt haben (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10), und in seinem Motivbündel weder die Behinderung als negatives noch die fehlende Behinderung als positives Kriterium enthalten war.

59

Für die Frage, welche Tatsachen geeignet sind, die Vermutung der Benachteiligung zu widerlegen, sind die Besonderheiten des Bewerbungsverfahrens für ein öffentliches Amt iSv. Art. 33 Abs. 2 GG(vgl. BAG 18. November 2008 - 9 AZR 643/07 - AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19) und die gesetzlichen Regelungen des SGB IX zu beachten. Für den nach § 22 AGG möglichen Nachweis, dass für die Nichteinladung eines Bewerbers entgegen § 82 Satz 2 SGB IX ausschließlich andere Gründe als die Behinderung erheblich waren, können nur solche Gründe herangezogen werden, die nicht die fachliche Eignung betreffen. Hierfür enthält die in § 82 Satz 3 SGB IX geregelte Ausnahme mit dem Erfordernis der „offensichtlichen“ Nichteignung eine abschließende Regelung. Sie prägt auch die Anforderungen, die bei Verstößen im Bewerbungsverfahren bei auf die fachliche Eignung bezogenen Erwägungen für den Gegenbeweis zugrunde zu legen wären. Dies entspricht dem Schutzzweck des § 7 Abs. 1 AGG iVm. § 82 Satz 2 SGB IX, der das Recht schwerbehinderter Menschen und der ihnen gleichgestellten behinderten Menschen auf ein benachteiligungsfreies Bewerbungsverfahren schützt(vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerwGE 139, 135). Die Widerlegung der infolge der Verletzung des § 82 Satz 2 SGB IX vermuteten Kausalität setzt daher den Nachweis voraus, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fachliche Eignung des Bewerbers berühren, wenn nicht sowieso bereits eine offensichtlich fehlende fachliche Eignung iSd. § 82 Satz 3 SGB IX vorgelegen und deshalb die Einladung entbehrlich gemacht hat. Dies folgt aus dem insoweit abschließenden Charakter des § 82 Satz 3 SGB IX. Der öffentliche Arbeitgeber darf daher von der Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers im Hinblick auf die fachliche Eignung nur dann absehen, wenn er vorab ein diskriminierungsfreies und sachlich gerechtfertigtes Anforderungsprofil erstellt hat (vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - aaO) und der Bewerber dieses offensichtlich nicht erfüllt.

60

Für eine mögliche Widerlegung der Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung ist auch die in § 122 SGB IX getroffene Regelung zu beachten, wonach die Verpflichtungen zur bevorzugten Einstellung und Beschäftigung bestimmter Personenkreise nach anderen Gesetzen den Arbeitgeber nicht von der Verpflichtung zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nach den besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen entbinden. Die Vorschrift regelt das Verhältnis der Regelungen des SGB IX über die Einstellung und Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen zu entsprechenden rechtlichen Verpflichtungen für andere besonders schutzbedürftige Personen (vgl. FKS-SGB IX-Faber 2. Aufl. § 122 Rn. 1). § 122 SGB IX stellt klar, dass sich der Arbeitgeber nicht dadurch von seinen Verpflichtungen zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen entlasten kann, dass er auf seine gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber anderen schutzbedürftigen Personen verweist(vgl. Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 122 Rn. 3). Die Regelung spricht zwar nur von „Beschäftigung“ schwerbehinderter Menschen - im Gegensatz zur „Einstellung und Beschäftigung“ der anderen Personenkreise - jedoch ist der Begriff „Beschäftigung“ nach Sinn und Zweck der Norm weit zu verstehen. Er umfasst daher auch die Besetzung von Arbeitsplätzen und die Einstellung von Arbeitnehmern (vgl. Trenk-Hinterberger aaO Rn. 5; Faber aaO Rn. 4; Lampe GK-SGB IX Stand Januar 2012 § 122 Rn. 12; Masuch in Hauck/Noftz SGB IX Stand November 2011 K § 122 Rn. 4). Damit konkretisiert § 122 SGB IX das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG(vgl. Masuch aaO). Ob § 122 SGB IX eine Vorrangregelung zugunsten Schwerbehinderter darstellt(dagegen: ErfK/Rolfs 12. Aufl. § 122 SGB IX Rn. 1; Knittel SGB IX Kommentar 5. Aufl. § 122 Rn. 3; aA Düwell in LPK-SGB IX 2. Aufl. § 122 Rn. 6), kann dahinstehen. Jedenfalls folgt aus § 122 SGB IX das Verbot, die Pflichten gegenüber schwerbehinderten Menschen aus Anlass von Verpflichtungen gegenüber anderen Personen zu missachten(vgl. Trenk-Hinterberger aaO Rn. 10; Masuch aaO Rn. 6; Faber aaO Rn. 6). Das hat zur Folge, dass der öffentliche Arbeitgeber nicht mit der Begründung, allein die Förderung anderer Personenkreise habe seine Entscheidung motiviert und die Behinderung sei daher in keiner Weise ein Kriterium für den Ausschluss eines schwerbehinderten Bewerbers vom Vorstellungsgespräch gewesen, den Entlastungsbeweis nach § 22 AGG führen kann.

61

Zunächst kann sich die Widerlegung der Benachteiligungsvermutung nicht aus einer besseren Eignung der tatsächlich eingestellten Bewerberin ergeben. Denn die bessere Eignung schließt die Benachteiligung nicht aus. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG. Danach ist selbst dann eine Entschädigung zu leisten, wenn der schwerbehinderte Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Im Übrigen bewirken Fragen der fachlichen Eignung keine Entlastung des Arbeitgebers nach § 22 AGG, weil § 82 Satz 3 AGG insoweit eine abschließende Regelung enthält(vgl. oben).

62

Die Einlassung der Beklagten, ausschlaggebend für die Nichteinladung des Klägers sei gewesen, dass sie § 19 Haushaltsgesetz 2009 und § 7 Bundesgleichstellungsgesetz(BGleiG) zu beachten hatte, ist nicht geeignet nachzuweisen, dass die Einladung aufgrund von nicht diskriminierenden Umständen unterblieben ist. In § 19 Haushaltsgesetz 2009, wonach freie Planstellen und Stellen vorrangig mit Bediensteten zu besetzen sind, die bei anderen Behörden der Bundesverwaltung wegen Aufgabenrückgangs oder wegen Auflösung der Behörde nicht mehr benötigt werden, ist eine Verpflichtung zur bevorzugten Einstellung und Beschäftigung eines bestimmten Personenkreises iSv. § 122 SGB IX getroffen. Diese entbindet die Beklagte nicht von ihrer Verpflichtung nach § 82 Satz 2 SGB IX(vgl. oben). Gleiches gilt für die in §§ 7, 8, 9 BGleiG und die dort zugunsten von Frauen getroffenen Regelungen(vgl. Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 122 Rn. 7; FKS-SGB IX-Faber 2. Aufl. § 122 Rn. 5). § 7 BGleiG ordnet an, dass bei der Besetzung von Arbeitsplätzen in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, zu Vorstellungsgesprächen oder besonderen Auswahlverfahren mindestens ebenso viele Frauen wie Männer einzuladen sind, welche die in der Ausschreibung vorgegebene Qualifikation aufweisen, sofern Bewerbungen von Frauen in ausreichender Zahl vorliegen. Damit war die Beklagte nach § 122 SGB IX aufgefordert, sowohl ihre Einladungspflicht nach § 7 BGleiG als auch nach § 82 Satz 2 SGB IX zu erfüllen. Die Beklagte kann sich nicht durch einen Verweis auf ihre Pflicht zur Frauenförderung gegenüber dem schwerbehinderten Bewerber entlasten.

63

4. Ein Ausschluss der Haftung der Beklagten folgt nicht aus der Haftungsprivilegierung des § 15 Abs. 3 AGG. Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte bei der Anwendung der Rahmenintegrationsvereinbarung grob fahrlässig gehandelt hat, wie vom Landesarbeitsgericht angenommen. Vorliegend ist bereits der Anwendungsbereich des § 15 Abs. 3 AGG nicht eröffnet.

64

Nach § 15 Abs. 3 AGG ist der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Unabhängig davon, ob eine Integrationsvereinbarung nach § 83 SGB IX eine kollektivrechtliche Vereinbarung im Sinne von § 15 Abs. 3 AGG darstellt und unabhängig von der Frage der Europarechtswidrigkeit des § 15 Abs. 3 AGG(offengelassen: BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - BAGE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1) kommt eine Anwendung von § 15 Abs. 3 AGG nach Sinn und Zweck deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger durch die falsche Anwendung der nicht diskriminierenden kollektivrechtlichen Regelung - nämlich der Rahmenintegrationsvereinbarung - benachteiligt worden ist(vgl. Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 15 Rn. 63; Däubler/Bertzbach-Deinert 2. Aufl. § 15 AGG Rn. 89a). Denn Grund für die in § 15 Abs. 3 AGG enthaltene Privilegierung ist, dass der Arbeitgeber für die Folgen einer diskriminierenden kollektivrechtlichen Vereinbarung, die er anwendet, nicht(allein) verantwortlich sein soll. Die falsche Anwendung einer diskriminierungsfreien Kollektivvereinbarung wird von § 15 Abs. 3 AGG dagegen nicht erfasst.

65

5. Der Ausschluss des Klägers vom Vorstellungsgespräch lässt sich auch nicht mit einer Förderung von Frauen nach §§ 7 ff. BGleiG als positive Maßnahme nach § 5 AGG rechtfertigen.

66

Zwar ermöglicht § 5 AGG kompensatorische Maßnahmen, um bestehende Nachteile wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes auszugleichen. Soweit dabei aber mit der Förderung einer Gruppe von Merkmalsträgern nach § 1 AGG zugleich eine Zurücksetzung einer anderen Gruppe verbunden ist, sind gesetzliche Konkurrenzregelungen zu beachten. Im Falle von schwerbehinderten bzw. diesen gleichgestellten Menschen hat der Gesetzgeber in § 122 SGB IX eine solche Konkurrenzregelung getroffen, die eine Zurücksetzung dieser Gruppe zugunsten einer anderen Gruppe von Merkmalsträgern nach § 1 AGG ausschließt(vgl. MüKoBGB/Thüsing 6. Aufl. § 5 AGG Rn. 13; Schleusener/Suckow/Voigt-Voigt AGG 3. Aufl. Rn. 14; Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 5 Rn. 4). In der Rahmenintegrationsvereinbarung wird hierauf in Ziff. 4.2.4 Abs. 7 Bezug genommen. Eine Förderung von Frauen unter Missachtung der Regelungen der §§ 81, 82 SGB IX ist folglich ausgeschlossen.

67

6. Das Landesarbeitsgericht hat die dem Kläger zustehende angemessene Entschädigung in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise mit 2.700,00 Euro bemessen.

68

a) § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Höhe der Entschädigung ein. Bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Zu diesen zählen etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalles. Ferner ist der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, sodass die Höhe auch danach zu bemessen ist, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entschädigung geeignet sein muss, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu haben und in jedem Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss (BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - BAGE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1).

69

Da die Höhe der Entschädigung von einem Beurteilungsspielraum abhängt, ist die Bemessung des Entschädigungsanspruchs grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters (vgl. BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - BAGE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1). Die Festsetzung der angemessenen Entschädigung obliegt demnach nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Dabei ist revisionsrechtlich zu überprüfen, ob das Urteil das Bemühen um eine angemessene Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erkennen lässt und ob es gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - aaO).

70

b) Zwischen den Parteien war in den Tatsacheninstanzen nicht streitig, dass der Kläger auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, sodass die Entschädigungshöhe nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG auf maximal drei Monatsgehälter begrenzt ist. Der Kläger hat seine Klageforderung hieran ausgerichtet und drei Monatsgehälter á 1.907,76 Euro (Entgeltgruppe 3, Stufe 2 TVöD Bund) gefordert. Dies hat das Landesarbeitsgericht beachtet und im Übrigen Art und Schwere des Verstoßes, Folgen und Bedeutung für den Kläger und das Nichtvorliegen eines Wiederholungsfalles zutreffend gewürdigt und auf dieser Grundlage - revisionsrechtlich nicht zu beanstanden - etwa die Hälfte der vom Kläger begehrten Entschädigung für angemessen erachtet.

71

C. Die Anschlussrevision des Klägers ist unzulässig. Die Revisionsbegründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen.

72

I. Die Anschlussrevision ist zwar in der Anschlussschrift vom 4. Februar 2011 begründet worden (§ 554 Abs. 3 ZPO). Für den notwendigen Inhalt dieser Begründung gelten dieselben Grundsätze wie für die Begründung der Revision. So müssen gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG, § 554 Abs. 3 Satz 2, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angegeben werden. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts in einer Weise verdeutlichen, die Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennen lässt. Die Revisionsbegründung hat sich deshalb mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils auseinanderzusetzen. Dadurch soll ua. sichergestellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte des Revisionsklägers das angefochtene Urteil auf das Rechtsmittel hin überprüft und die Rechtslage genau durchdenkt. Die Revisionsbegründung soll durch ihre Kritik an dem angefochtenen Urteil außerdem zur richtigen Rechtsfindung durch das Revisionsgericht beitragen (BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 346/10 - NZA 2011, 878; 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - BAGE 130, 119 - AP BUrlG § 7 Nr. 39 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 15). Die bloße Darstellung anderer Rechtsansichten ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung (vgl. BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 346/10 - aaO; 13. Oktober 2009 - 9 AZR 875/08 - AP ArbGG 1979 § 72 Nr. 54).

73

II. Diesen Anforderungen wird die Begründung der Anschlussrevision nicht gerecht.

74

Das Landesarbeitsgericht hat dargelegt, aus welchen Gründen es dem Kläger eine Entschädigung iHv. von 2.700,00 Euro zugesprochen hat.

75

Die Anschlussschrift setzt sich insoweit mit den Entscheidungsgründen des Landesarbeitsgerichts nicht auseinander. Zunächst wiederholt der Kläger nur bereits in den Vorinstanzen geäußerte Rechtsauffassungen in zusammengefasster Form, denen das Landesarbeitsgericht in weiten Teilen gefolgt war. Zur Entschädigungshöhe ist in der Anschlussschrift lediglich ausgeführt, diese müsse angemessen und geeignet sein, eine abschreckende Wirkung haben und im Verhältnis zu dem erlittenen Schaden stehen. Erstmals macht der Kläger in der Anschlussrevision geltend, es könne nicht gesagt werden, ob der Kläger auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht hätte eingestellt werden müssen, weshalb von drei Monatsgehältern als Entschädigungsleistung auszugehen sei. Es wird nicht erläutert, worin der Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts liegen soll, dem der Gesetzgeber als Tatsachengericht bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung einen Beurteilungsspielraum eingeräumt hat, und in welcher Weise das Landesarbeitsgericht diesen Beurteilungsspielraum verkannt bzw. gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen haben soll.

76

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Schuckmann    

        

    Mallmann    

                 

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

(2) Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.