Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 25. Mai 2016 - 4 Sa 1620/15
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 11.09.2015 – 2 Ca 678/15 L – teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.557,53 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
aus 332,15 € seit dem 16.02.2015,
aus weiteren 332,15 € seit dem 16.03.2015,
aus weiteren 332,14 € seit dem 16.04.2015,
aus weiteren 332,15 € seit dem 16.05.2015,
aus weiteren 332,15 € seit dem 16.06.2015,
aus weiteren 332,15 € seit dem 16.07.2015
und aus weiteren 332,13 € seit dem 18.08.2015
zu zahlen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 1/5 und die Beklagte 4/5.
Die Revision wird zugunsten der Beklagten zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten im Wesentlichen über Arbeitsentgeltansprüche und diesbezüglich über die Frage, ob die Bestimmungen des Mindestlohngesetzes auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung fanden.
3Die Beklagte betreibt private Pflegedienste in M und Umgebung. Die Klägerin wurde zum 11.10.2008 auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 13.10.2008, hinsichtlich dessen Einzelheiten auf Aktenblatt 6 bis 11 verwiesen wird, als Betreuungskraft eingestellt. Sie war zuletzt für jeweils 9,5 Stunden als Nachtwache tätig und hat dabei in einem nicht vorgetragenen Anteil Bereitschaftsdienst geleistet. Mit Änderungsvertrag vom 28.11.2011 haben die Parteien folgendes vereinbart:
4„ . . .
5§ 3 Tätigkeit
6Ab dem 01.02.2011 wird die sozialversicherungspflichtige Tätigkeit von Teilzeit in eine geringfügig entlohntes Beschäftigungsverhältnis (400-€-Grenze) umgewandelt.
7§ 6 Arbeitszeit
8Die regelmäßige monatliche Arbeitszeit richtet sich nach den Vorgaben der Einsatzleitung.
9§ 7 Vergütung
10Ab dem 01.02.2011 erhält Frau T für ihre Tätigkeit in der Betreuung eine Stundenvergütung pro geleisteter Arbeitszeit in Höhe von 6,65 € (Betrag in Worten: sechsfünfundsechzig). Pro geleisteter Schlafwache (9,5 Stunden) erhält der Arbeitnehmer eine Vergütung von 47,50 € (siebenundvierzigfünfzig).
11Sollte sich die Auftragslage ändern, so erhält Frau T, nach Genehmigung durch die Geschäftsführung, die Möglichkeit wieder in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu wechseln.
12Alle anderen Vereinbarungen des Arbeitsvertrages bleiben unverändert.
13. . . “
14Die Klägerin verrichtete in den Monaten Januar bis Juli 2015 mit Ausnahme des Monats März 2015 (sieben Nachtwachen), in dem die Klägerin zweitweise arbeitsunfähig erkrankt war, jeweils zehn Nachtwachen und erhielt dafür eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 475,35 € (für März 2015: 475,36 und für Juli 2015, 475,37 €). Im Monat August 2015 leistete die Klägerin entsprechend der dienstplanmäßigen Einteilung sieben Nachtwachen, wofür die Beklagte ihr 332,74 € brutto zahlte.
15Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde zum 31.12.2015 beendet. Im Rahmen eines Verfügungsverfahrens, das beim Arbeitsgericht Hamm unter dem Aktenzeichen 4 Ga 17/15 L geführt wurde, schlossen sie am 20.10.2015 einen Vergleich mit folgendem Inhalt:
16- 17
1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch eine von der Antragsgegnerin noch in diesem Monat auszusprechende und zuzustellende ordentliche fristgerechte betriebsbedingte Kündigung mit dem 31.12.2015 enden wird.
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2. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist wird die Antragstellerin von ihrer Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt.
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3. Die Parteien sind sich darüber einig, dass Urlaubsansprüche vollständig erfüllt sind.
- 20
4. Die Monate Oktober, November und Dezember 2015 werden abgerechnet auf der Basis einer Vergütung von 450,00 EUR brutto pro Monat.
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5. Als Abfindung gemäß der §§ 9, 10 KSchG für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt die Antragsgegnerin an die Antragstellerin einen Betrag von 300,00 EUR brutto.
- 22
6. Mit Erfüllung der Bedingungen dieses Vergleichs sind die wechselseitigen finanziellen Ansprüche der Parteien erledigt, mit Ausnahme der Ansprüche, die Gegenstand des derzeit beim LAG Hamm anhängigen Verfahrens sind mit dem Aktenzeichen 2 Ca 678(15 L –Arbeitsgericht Hamm-.
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7. Damit ist der Rechtsstreit 4 Ga 17/15 L erledigt.
Nach der am 31.12.2014 außer Kraft getretenen „Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche“ galt seit 01.08.2010 u.a. für das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen ein branchenbezogenes Mindestentgelt in Höhe von zuletzt 9,00 € je Stunde. Nach § 1 Abs. 3 der Verordnung war diese anwendbar für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit überwiegend pflegerischen Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI.
25Die nachfolgenden „Zweiten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche“ (2. PflegeArbbV), die grundsätzlich am 01.01.2015 in Kraft getreten ist, enthält u.a. folgende Regelungen:
26„ . . .
27§ 1 Geltungsbereich
28(1) . . .
29(2) Diese Verordnung gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie gilt nicht für:
301. Auszubildende nach dem Berufsbildungsgesetz sowie
312. Pflegeschülerinnen und Pflegeschüler.
32(3) Diese Verordnung gilt nicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Pflegebetriebe in folgenden Bereichen:
331. in der Verwaltung,
342. in der Haustechnik,
353. in der Küche,
364. in der hauswirtschaftlichen Versorgung,
375. in der Gebäudereinigung,
386. im Bereich des Empfangs- und des Sicherheitsdienstes,
397. in der Garten- und Geländepflege,
408. in der Wäscherei sowie
419. in der Logistik
42(4) Abweichend von Absatz 2 gilt diese Verordnung für Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne des Absatzes 3, soweit sie im Rahmen der von ihnen auszuübenden Tätigkeiten in nicht unerheblichem Umfang gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern tagesstrukturierend, aktivierend, betreuend oder pflegend tätig werden, insbesondere als:
431. Alltagsbegleiterinnen und –begleiter,
442. Betreuungskräfte von Menschen mit dementiellen Erkrankungen oder
453. Assistenzkraft.
46(5) Für Betreuungskräfte von Menschen mit erheblichem Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung (§ 87b des Elften Buches Sozialgesetzbuch) und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Absatz 4 ist dieser Verordnung ab dem 1. Oktober 2015 anzuwenden.
47(6) . . .
48§ 2 Mindestentgelt
49(1) Das Mindestentgelt beträgt im Gebiet der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein
50- ab dem 1. Januar 2015: 9,40 Euro je Stunde,
51- ab dem 1. Januar 2016: 9,75 Euro je Stunde,
52- ab dem 1. Januar 2017: 10,20 Euro je Stunde.
53. . . “
54Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Beklagte sei verpflichtet, die von ihr geleisteten Nachtwachen nach dem Mindestlohngesetz zu vergüten. Die 2. PflegeArbbV finde auf ihr Arbeitsverhältnis erst ab dem 01.10.2015 Anwendung. Bezogen auf die monatlich verrichteten zehn Nachtwachen schulde die Beklagte ihr daher ein Bruttoentgelt in Höhe von monatlich 807,50 € bei insgesamt 95 Arbeitsstunden. Bereits seit vielen Jahren habe sich das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis dahin konkretisiert, dass sie monatlich zehn Nachtwachen leiste. Daher habe sie auch im Monat August Anspruch darauf gehabt, in diesem Umfang beschäftigt zu werden.
55Die Klägerin hat beantragt,
561. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Januar 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 09.02.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2015;
572. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Februar 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 06.03.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2015;
583. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat März 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 09.04.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.04.2015;
594. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat April 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 08.05.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2015;
605. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Mai 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 15.06.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2015;
616. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Juni 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 15.07.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2015;
627. die Beklagte zu verurteilen, sie für den Monat Juli 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 17.08..2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.08.2015
638. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie fortlaufend ab dem Monat August 2015 mit monatlich zehn Nachwachen zu beschäftigen.
64Die Beklagte hat beantragt,
65die Klage abzuweisen.
66Die Beklagte hat vorgetragen, das Mindestlohngesetz finde auf das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin keine Anwendung. Vielmehr sei die 2. PflegeArbbV als lex specialis einschlägig. Der dort geregelte Mindestlohn gelte für die Klägerin jedoch erst ab dem 01.10.2015. Sie sei vorwiegend in der hauswirtschaftlichen Versorgung tätig, daneben werde sie in nicht unerheblichem Umfang auch gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern tagestrukturierend, aktivierend, betreuend oder pflegend tätig. Daher sei § 1 Abs. 4 2. PflegeArbbV einschlägig, so dass nach § 1 Abs. 5 2. PflegeArbbV die Verordnung mit Wirkung ab dem 01.10.2015 auf die Klägerin anwendbar sei. Eine solche Auslegung sei auch nach Art. 4 GG i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 WRV verfassungsrechtlich geboten.
67Das Arbeitsgericht Hamm hat die Klage durch Urteil vom 11.09.2015 in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung führt das Arbeitsgericht aus, für den Monat August 2015 stehe der Klägerin ein Anspruch schon deshalb nicht zu, weil die Vergütung für diesen Monat gemäß Ziffer 4.1 des Arbeitsvertrages vom 13.10.2008 erst zum 15.09.2015 fällig werde. Auch für die Monate Januar bis Juli 2015 habe sie aber wegen der Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 MiLoG keinen Anspruch auf Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 MiLoG. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die 2. PflegeArbbV zu ihren Gunsten erst ab dem 01.10.2015 Anwendung finde. Die 2. PflegeArbbV setze allein voraus, dass der territoriale sowie der betrieblich-fachliche Geltungsbereich eröffnet sei, was unstreitig der Fall sei. Die Vergütungsvereinbarung sei auch nicht sittenwidrig, weil ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht feststellbar sei. Soweit die Klägerin Feststellung begehre, dass die Beklagte verpflichtet sei, sie auch zukünftig in zehn Nachtwachen zu beschäftigen, bestehe dafür keine Anspruchsgrundlage. Die Parteien hätten im Änderungsvertrag vom 28.01.2011 vereinbart, dass sich die regelmäßige monatliche Arbeitszeit nach den Vorgaben der Einsatzleitung richte. Damit hätten sie entsprechend § 12 Abs. 1 TzBfG vereinbart, dass die Klägerin Arbeit auf Abruf leiste. Da eine bestimmte wöchentliche oder tägliche Arbeitszeit nicht festgelegt worden sei, betrage gemäß § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit mindestens zehn Stunden, sodass die Klägerin im August 2015 vertragsgerecht beschäftigt worden sei. Eine nachträgliche einvernehmliche Änderung der vertraglichen Vereinbarung vom 28.01.2011 dahin, dass sie pro Monat zehn Nachtschichten im Bereitschaftsdienst zu erbringen habe, sei nicht vorgetragen. Selbst wenn sie nach der Vertragsänderung im Jahr 2011 jeden Monat zu zehn Nachtschichten eingeteilt gewesen sei, deute dies noch nicht auf eine ausdrückliche oder konkludente Vertragsänderung hin. Eine Konkretisierung der Arbeitszeit sei ebenfalls nicht ersichtlich. Es fehle jedenfalls an einem dem Arbeitgeber zurechenbaren Verhalten, aufgrund dessen die Klägerin darauf habe schließen können, dauerhaft oberhalb der Grenze des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG beschäftigt zu werden.
68Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf ABl. 89 – 95 Bezug genommen.
69Die Klägerin hat gegen das ihr am 15.09.2015 zugestellte Urteil mit am 14.10.2015 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.
70Die Klägerin trägt vor, rechtsirrig gehe das Arbeitsgericht davon aus, dass § 1 Abs. 2 MiLoG auf ihr Arbeitsverhältnis keine Anwendung finde. § 1 Abs. 3 MiLoG setze voraus, dass die Branchenmindestlöhne die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht unterschritten. Außerdem etabliere § 2 2. PflegeArbbV gerade keinen Branchenmindestlohn, denn nach § 1 Abs. 3 2. PflegeArbbV seien eine Vielzahl von Arbeitsbereichen ganz und nach § 1 Abs. 5 2. PflegeArbbV weitere Arbeitsverhältnisse, darunter auch ihres, zeitlich befristet bis zum 30.09.2015 ausgenommen. Ihr Mindestlohnanspruch scheitere auch nicht an der Übergangsregelung gemäß § 24 Abs. 1 MiLoG, denn für sie sei die 2. PflegeArbbV erst ab dem 01.10.2015 verbindlich i.S.v. § 24 Abs. 1 MiLoG. Somit habe sie Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 € für die Zeit ab dem 01.01.2015. Hinsichtlich des Lohns für den Monat August 2015 hätte das Arbeitsgericht den Anspruch allenfalls als derzeit unbegründet abweisen dürfen. Im Übrigen stehe ihr der Anspruch zu, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergebe. Schließlich habe sie Anspruch darauf, ab Monat August 2015 mit monatlich zehn Nachtwachen beschäftigt zu werden. Dazu habe sie als Rechtstatsache vorgetragen, dass sich ihr Arbeitsverhältnis dementsprechend konkretisiert habe. Dies hätte das Gericht als unbestritten der Entscheidungsfindung zugrunde legen müssen. Jedenfalls leiste sie keine Arbeit auf Abruf.
71Die Klägerin beantragt,
721. das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 11.09.2015, AZ: 2 Ca 678/15 L, abzuändern und
73a.)
74die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Januar 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen abzüglich am 09.02.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2015,
75b.)
76die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Februar 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen abzüglich am 06.03.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2015,
77c.)
78die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat März 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen abzüglich am 09.04.2015 gezahlter 475,36 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.04.2015,
79d.)
80die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat April 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen abzüglich am 08.05.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2015,
81e.)
82die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Mai 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen abzüglich am 15.06.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2015,
83f.)
84die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Juni 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen abzüglich am 15.07.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2015,
85g.)
86die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Juli 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen abzüglich am 17.08..2015 gezahlter 475,37 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.08.2015,
87h.)
88festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie fortlaufend ab dem Monat August 2015 mit monatlich zehn Nachwachen zu beschäftigen,
89i.)
90die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat August 2015 807,50 € brutto abzüglich gezahlter 332,74 € brutto zu zahlen.
91Die Beklagte beantragt,
92die Berufung zurückzuweisen.
93Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und trägt ergänzend vor, die Berufung sei schon unzulässig, weil die Zahlungsanträge nicht hinreichend bestimmt seien. Die Klägerin hätte die erbrachten Nettozahlungen berücksichtigen müssen, Brutto- und Nettobeträge könnten nicht gegenseitig verrechnet werden. Mit Rücksicht auf die vereinbarte Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2015 unter gleichzeitiger Freistellung sei auch der Antrag auf Beschäftigung mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Jedenfalls sei die Berufung aber unbegründet. Hinsichtlich des Anspruchs auf Zahlung vom 8,50 € brutto je geleisteter Arbeitsstunde fehle es an einer Anspruchsgrundlage, da § 1 Abs. 2 MiLoG keine Anwendung finde. Nach § 1 Abs. 3 MiLoG gehe das 2. PflegeArbbV den Regelungen des MiLoG vor. Dass die 2. PflegeArbbV für die Klägerin erst ab dem 01.10.2015 Anwendung fände, ändere nichts an dem Vorrang der diesbezüglichen Regelungen als lex specialis. Vielmehr könne die Klägerin bis zum 30.09.2015 weder den gesetzlichen Mindestlohn noch jenen nach der 2. PflegeArbbV verlangen. Dies entspreche dem gesetzgeberischen Willen und sei nicht zu beanstanden. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass sich die Pflegebranche von anderen Wirtschaftszweigen wesentlich unterscheide. Dies sei der Grund dafür, weshalb der Gesetzgeber mit Blick auf den gesetzlichen Mindestlohn in den §§ 10 bis 13 AEntG Sondervorschriften erlassen habe. Der überwiegende Anteil der Pflegeplätze werde von kirchlichen Leistungsanbietern gestellt. Mit Blick auf den dritten Weg habe der Gesetzgeber daher für die Pflegebranche eine besondere rechtliche Grundlage für die Einführung des Mindestlohnes schaffen müssen, weil dieser anderenfalls wegen eines offenkundigen Verstoßes gegen Art. 4 GG i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 WRV verfassungswidrig gewesen wäre. Daher habe der Gesetzgeber auf die sogenannte Kommissionsregelung des § 12 AEntG zurückgreifen müssen. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Feststellung, dass sie verpflichtet sei, diese mit monatlich zehn Nachtwachen zu beschäftigen. Die Voraussetzungen für eine Konkretisierung des Arbeitsverhältnisses lägen nicht vor. Selbst wenn man davon ausgehe, dass sie seit dem Jahr 2011 ausschließlich in der Nachtschicht tätig gewesen sei, reiche dies nicht aus, um eine Konkretisierung der Arbeitspflicht in zeitlicher Hinsicht zu begründen. Jedenfalls mangele es am Umstandsmoment. Die Klägerin habe keine Umstände vorgetragen, aus denen geschlossen werden könne, dass sie sie in Zukunft nur noch im Rahmen der Nachwache eingesetzen werde.
94Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die zu Protokoll genommenen Erklärungen der Parteien ergänzend Bezug genommen.
95Entscheidungsgründe
96Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 11.09.2015 ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet.
97Die Berufung der Klägerin ist aber nur teilweise begründet.
981. Soweit die Klägerin auch in zweiter Instanz Feststellung beantragt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie ab dem Monat August 2015 monatlich mit zehn Nachwachen zu beschäftigen, ist die Klage unzulässig. Nachdem die Parteien im Verfügungsverfahren 4 Ga 17/15 L im Termin am 20.10.2015 sich im Wege des Vergleichs letztlich auf eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2015 verständigt haben, fehlt es ersichtlich an dem gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse. Dieses folgt auch nicht aus den bis zur Beendigung noch anfallenden Vergütungsansprüchen. Bis einschließlich August 2015 sind die Arbeitsentgeltansprüche der Klägerin ohnehin Gegenstand des Berufungsverfahrens. Etwaige Ansprüche der Klägerin für den Monat September 2015 sind durch die Ausgleichsklausel in Ziffer 6 des Vergleichs erledigt und ihre Ansprüche für die Monate Oktober bis Dezember 2015 haben in Ziffer 4 des Vergleichs eine ausdrückliche Regelung erfahren.
99Im Übrigen sind die Anträge der Klägerin zulässig. Sie sind insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO. Zwar ist die gewählte Form der Antragstellung ungewöhnlich und lässt unter Berücksichtigung der Fälligkeitsvereinbarung in Ziffer 4.1 Abs. 2 des Arbeitsvertrags der Parteien vom 13.10.2008 einen nachvollziehbaren Sinn nicht erkennen. Gleichwohl lässt sich die Höhe der von der Klägerin verfolgten Zahlungsforderungen unter Anwendung der Grundrechenarten unschwer ermitteln und ist damit nicht unbestimmt. Insbesondere war die Klägerin nicht gehalten, anstatt der abgerechneten Bruttobezüge die von der Beklagten angewiesenen Nettobeträge bei ihren Zahlungsforderungen in Abzug zu bringen. Der Sache nach macht die Klägerin ausschließlich noch nicht abgerechnete Bruttodifferenzen geltend, für die naturgemäß keine Nettozahlungen erfolgt sind. Dass sie bei Zahlung des von ihr geforderten gesetzlichen Mindestlohns in den gesetzlichen Sozialversicherungen beitragspflichtig wird, ist erst bei der Nachberechnung der Vergütungsdifferenzen von der Beklagten entsprechend zu berücksichtigen.
100Auch über die im Berufungsverfahren beantragte Differenzvergütung für den Monat August 2015 kann in der Sache entschieden werden. Zwar hat die Klägerin den im Schriftsatz vom 27.08.2016 angekündigten Antrag Ziff. 9, der ihren Vergütungsanspruch für diesen Monat zum Gegenstand hatte, ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 11.09.2015 nicht gestellt. Es kann aber nicht angenommen werden, dass der Rechtsstreit insoweit noch in erster Instanz anhängig ist. Ausweislich der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils wollte das Arbeitsgericht ein Schlussurteil erlassen und hat sich unnötigerweise sogar ausdrücklich mit den Vergütungsansprüchen der Klägerin für den Monat August 2015 befasst. Die Kammer geht insoweit von einer stillschweigend erklärten Teilklagerücknahme aus, was innerhalb der mündlichen Verhandlung nach § 269 Abs. 2 Satz 2 ZPO ohne Einreichung eines Schriftsatzes möglich ist (zu den weiteren Anforderungen: LAG Köln, Urteil vom 20.02.2015 – 4 Sa 573/14 – juris). Der in der Berufungsinstanz gestellte Antrag erweist sich danach als sachdienliche Klageerweiterung i.S.v. § 533 ZPO.
1012. Soweit die Klägerin für die Monate Januar bis Juli 2015 für jeweils zehn Tage und für den Monat August 2015 für weitere sieben Tage jeweils für 9,5 Arbeitsstunden eine Vergütung auf Basis des gesetzlichen Mindestlohns verlangt, ist die Berufung begründet. Der Anspruch folgt aus § 1 Absätze 1 und 2 Satz 1 MiLoG. Daraus errechnet sich zugunsten der Klägerin unter Berücksichtigung der seitens der Beklagten bereits geleisteten Zahlungen ein Differenzanspruch in Höhe von zusammengerechnet 2.557,53 € brutto.
102Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zahlung des Mindestlohns nach § 1 Abs. 1 sind erfüllt, denn zwischen den Parteien bestand unstreitig bis zum 31.12.2015 ein Arbeitsverhältnis und somit hatte die Beklagte als Arbeitsentgelt gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 ab dem 01.01.2015 für jede geleistete Zeitstunde an die Klägerin einen Bruttolohn in Höhe von 8,50 € zu zahlen.
103Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten steht § 1 Abs. 3 MiLoG i.V.m. den Bestimmungen der zweiten Pflegearbeitsbedingungenverordnung dem nicht entgegen.
104Die Kammer hat schon erhebliche Zweifel, ob die Klägerin tatsächlich zu der in § 1 Abs. 4 2. PflegeArbbB bezeichneten Personengruppe zählt. Zwar hat die Beklagte, den Wortlaut der Rechtsverordnung wiedergebend, behauptet, die Tätigkeit der Klägerin sei in nicht unerheblichem Umfang davon geprägt gewesen, gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern tagesstrukturierend, aktivierend, betreuend oder pflegend tätig zu werden und die Klägerin ist dem auch nicht entgegengetreten. Andererseits ist diese unstreitig zumindest seit dem Jahr 2011 ausschließlich als Nachtwache für die Beklagte tätig, was den angeblichen „tagesstrukturierenden“ Pflegetätigkeiten ersichtlich entgegensteht.
105Letztlich kann dies dahinstehen. Zwar ist die 2. PflegeArbbV auf Grundlage von § 11 AEntG als Rechtsverordnung erlassen worden. § 1 Abs. 3 MiLoG enthält jedoch entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts keine „Bereichsausnahme“, sondern bestimmt lediglich, dass die in § 1 Abs. 3 MiLoG in Bezug genommenen Branchenmindestlöhne Vorrang haben, soweit ihre Höhe „die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet“. Selbst wenn man also annehmen würde, dass die 2. PflegeArbbV bereits zum 01.01.2015 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien einwirkte, was wegen des Wortlauts des § 1 Abs. 5 2. PflegeArbbV schon schwer zu begründen wäre, würde dies jedenfalls nicht dazu führen, dass der Anspruch der Klägerin auf den gesetzlichen Mindestlohn unterschritten werden darf. § 1 Abs. 3 MiLoG bezweckt lediglich, dass andere Rechtsgrundlagen, welche einen verbindlichen Mindestlohn etablieren, Vorrang vor den Bestimmungen des Mindestlohngesetzes haben, sofern diese den gesetzlichen Mindestlohn erreichen oder überschreiten (ErfK/Franzen, 16. Auflage 2016, § 1 MiLoG Rn. 21). Soweit dies nicht der Fall ist, weil bestimmte Arbeitnehmergruppen ganz oder zum Teil (etwa zeitlich beschränkt) vom persönlichen Geltungsbereich der branchenspezifischen Mindestlohnregelung ausgenommen sind, gilt für die ausgenommenen Arbeitnehmer der allgemeine Mindestlohn (Lembke, NZA 2016, 1, 3 f). § 1 Abs. 3 MiLoG will sicherstellen, dass in seinem Anwendungsbereich für jedes Arbeitsverhältnis ein Mindestlohnregime zur Anwendung kommt (Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, 2015, § 1 Rn. 177). Im Übrigen kann eine bloße Negativregelung ohnehin keine den gesetzlichen Mindestlohn verdrängende Branchenregelung darstellen (Riechert/Nimmerjahn a.a.O. Rn. 182).
106Der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 und 2 MiLoG steht auch nicht die Übergangsregelung in § 24 Abs. 1 MiLoG entgegen. Zwar handelt es sich, wie bereits dargelegt, bei den Bestimmungen der 2. PflegeArbbV um eine Rechtsverordnung auf Grundlage des § 11 AEntG, auf den § 24 Abs. 1 Satz 2 MiLoG verweist. Allerdings setzt § 24 Abs. 1 Satz 1 MiLoG voraus, dass die abweichenden Regelungen gerade auch das in Frage stehende Arbeitsverhältnis erfassen Riechert/Nimmerjahn, § 24 MiLoG Rn. 28). Allein aus dem Umstand, dass nach Maßgabe des § 1 Abs. 5 2. PflegeArbbV für bestimmte Arbeitnehmergruppen das Branchenmindestentgelt erst ab dem 01.10.2015 gilt, folgt noch nicht, dass bis dahin sich die arbeitsvertragliche Individualvereinbarung gegenüber den Bestimmungen des Mindestlohngesetzes durchsetzt. Auch wenn man annimmt, dass die 2. PflegeArbbV zugunsten der Klägerin ab dem 01.10.2015 greift, können für die Zeit davor keine wie auch immer gearteten Rechtsfolgen zu Gunsten oder zu Lasten der Klägerin aus der 2. PflegeArbbV abgeleitet werden. § 1 Abs. 5 2. PflegeArbbV ordnet die Anwendbarkeit der zweiten Pflegearbeitsbedingungenverordnung ab dem 1.10.2015 an. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass ihre Bestimmungen in der Zeit davor auf den fraglichen Personenkreis nicht anwendbar sind.
107Etwas anderes folgt auch nicht aus einer aus Artikel 4 GG i.V.m. 140 GG und 137 WRV abzuleitenden verfassungskonformen Auslegung. Auch die Beklagte macht nicht geltend, dass die Einführung eines Mindestlohns in der Pflegebranche gegen höherrangiges Recht verstößt und dafür ist auch nichts ersichtlich. Dies gilt auch dann, wenn man mit ihr annimmt, dass rechtstatsächlich überwiegend kirchliche Träger Arbeitgeber für die erfassten Pflegeberufe sind. Wenn die Einführung von Mindestlöhnen auch zu Lasten der kirchlichen Arbeitgeber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dann kann die Beklagte aber nicht aus dem Umstand, dass die 2. PflegeArbbV (ebenso wie die Vorgängerregelung) nur bestimmte Berufsgruppen dem persönlichen Geltungsbereich unterwirft, ein verfassungsrechtliches Gebot ableiten, für die nicht erfassten Arbeitnehmergruppen unter Außerachtlassung des gesetzlichen Mindestlohns bis zur Grenze des Lohnwuchers nach § 138 BGB einzelvertraglich ein geringeres Arbeitsentgelt zuzulassen.
108Nach alledem hat die Klägerin seit dem 01.01.2015 gegen die Beklagte aus § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG einen Anspruch auf Zahlung von 8,50 € brutto für jede geleistete Zeitstunde. Dass sie im Rahmen der ihr übertragenen Nachtwachen in nicht unwesentlichem Umfang Bereitschaftsdienst geleistet hat, steht dieser Annahme nicht entgegen (vgl. BAG, Urteil vom 19.11.2014 – 5 AZR 1101/12 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB).
109Die Klägerin kann die Zahlung von Mindestlohn auch für die im Monat März 2015 infolge ihrer Arbeitsunfähigkeit ausgefallenen drei Nachtwachen verlangen. Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG, aber aus §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 1 EFZG und dem diesen Bestimmungen zu Grunde liegenden Entgeltausfallprinzip (BAG, Urteil vom 18.11.2015 – 5 AZR 761/13 = NZA 2016, 828 ff. zum Mindestlohn nach der (1.) PflegeArbbV; BAG, Urteil vom 13.05.2015 – 10 AZR 495/14 = NZA 2015, 1127 ff. zum TV Mindestlohn für pädagogisches Personal).
110Nach alledem hat die Klägerin gemäß § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG für die Monate Januar bis einschließlich Juli 2015 Anspruch auf Zahlung von jeweils 807,50 € (10 Nachtwachen x 9,5 Zeitstunden x 8,50€). Im Monat August 2015 hat sie sieben Nachwachen geleistet, sodass ihr dafür ein Vergütungsanspruch in Höhe von 565,25 € zusteht. Dies ergibt in der Summe für den streitgegenständlichen Zeitraum einen Bruttobetrag von 6.217,75 €. Hiervon abzuziehen sind die unstreitig erfolgten Bruttozahlungen in Höhe von insgesamt 3.660,22 €, sodass die Beklagte in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung dazu zu verurteilen war, an die Klägerin die Differenz von 2.557,53 € brutto zu zahlen.
111Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 2 Ziffer 1, 288 Abs. 1 BGB i.V.m. Ziffer 4.1 Abs. 2 des Arbeitsvertrags vom 13.10.2008. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin für den Monat August 2015 keinen Zinsantrag gestellt hat, sodass ihr insoweit nach § 308 Abs. 1 ZPO auch keine Zinsen zugesprochen werden konnten.
112Soweit die Klägerin unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Annahmeverzugs nach § 615 Satz 1, 611 Abs. 1, 293 ff. BGB für den Monat August 2015 eine Vergütung für weitere drei Nachtwachen verlangt, war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann insoweit auf die zutreffenden rechtlichen Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen werden (§§ 69 Abs. 2 ArbGG), wobei dahinstehen kann, ob die Parteien durch den Änderungsvertrag vom 28.01.2011 ein Abrufarbeitsverhältnis im Sinne von § 12 TzBfG begründet haben. Jedenfalls haben sie mit diesem Änderungsvertrag die ursprünglich nach Ziffer 6.2 des Arbeitsvertrags vom 13.10.2008 mit durchschnittlich 40 Wochenstunden vereinbarte Arbeitszeit abgeändert und in ein geringfügig entlohntes Beschäftigungsverhältnis umgewandelt, wobei die regelmäßige monatliche Arbeitszeit sich „nach den Vorgaben der Einsatzleitung“ richten sollte. Eine Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin monatlich mit zehn Nachtwachen zu beschäftigen, kann daraus nicht abgeleitet werden. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin auch nicht aus einer sogenannten Konkretisierung. Zwar wird in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelegentlich angenommen, dass sich bestimmte Arbeitsbedingungen nach langjähriger gleichförmiger Übung „konkretisieren“ können. Ungeachtet der Frage, ob man diesem Rechtsansatz beitreten kann, ist jedenfalls anerkannt, dass für die sogenannte Konkretisierung nicht der bloße Zeitablauf genügt, sondern besondere weitere Umstände hinzutreten müssen, aufgrund derer der Arbeitnehmer erkennen kann und darauf vertrauen darf, dass diese Übung auch zukünftig beibehalten bleiben soll (vgl. BAG, Urteil vom 17.05.2011 – 9 AZR 201/10 = AP Nr. 12 zu § 106 GewO; BAG, Urteil vom 13.03.2007 – 9 AZR 433/06 = AP Nr. 26 zu § 307 BGB). Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass die Klägerin derartige Umstände nicht vorgetragen hat. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte ihrem diesbezüglichen Vortrag nicht ausdrücklich entgegengetreten ist. Unschlüssiger Sachvortrag einer Partei wird nicht allein dadurch zu einer unstreitigen „Rechtstatsache“, dass die Gegenseite davon absieht, die fehlende Schlüssigkeit zu rügen. Ein Anspruch der Klägerin darauf, im August 2015 im Rahmen von zehn Nachtwachen beschäftigt zu werden, war nicht gegeben. Der darauf basierende Vergütungsanspruch für weitere drei Nachtwachen war daher unbegründet.
113Nach alledem war die erstinstanzliche Entscheidung nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen teilweise abzuändern und im Übrigen die weitergehende Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
114Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
115Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zugunsten der Beklagten zuzulassen.
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Urteil einreichenLandesarbeitsgericht Hamm Urteil, 25. Mai 2016 - 4 Sa 1620/15 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin. Der Streitwert wird auf 6.632,55 EUR festgesetzt.
1
T a t b e s t a n d:
2Mit der am 18.05.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen und später erweiterten Klage begehrt die Klägerin restliche Arbeitsvergütung für die Zeit bis August 2015 einschließlich sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie mit monatlich zehn Nachtwachen zu beschäftigen.
3Die Klägerin ist für die Beklagte seit dem 11.10.2008 tätig. Die Beklagte betreibt verschiedene private Pflegedienste in M und Umgebung.
4Im Arbeitsvertrag vom 13.10.2008 (Bl. 6 ff. d. GA) heißt es – soweit von Interesse – wie folgt:„…
51. Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses/Tätigkeit
61. Frau … T wird mit Wirkung vom 11.10.2008 als Betreuungskraft eingestellt. …
74. Vergütung
84.1. Der Arbeitnehmer erhält für seine Tätigkeit in der Betreuung eine Stundenvergütung pro geleisteter Arbeitszeit in Höhe von 7,50 Euro … Nach sechs Monaten erhöht sich die Stundenvergütung auf 8,00 Euro… Pro geleisteter Nachtwache erhält der Arbeitnehmer eine Vergütung von 64,00 Euro …
9Die Vergütung ist zahlbar jeweils zum 15. des Folgemonats auf ein von dem Arbeitnehmer eingerichtetes Girokonto im Inland. …“
10Im Änderungsvertrag vom 28.01.2011 (Bl. 4 d. GA) heißt es – soweit von Interesse – wie folgt:
11„§ 3 Tätigkeit
12Ab dem 01.02.2011 wird die sozialversicherungspflichtige Tätigkeit von Teilzeit in eine geringfügig entlohntes Beschäftigungsverhältnis (400-€-Grenze) umgewandelt.
13§ 6 Arbeitszeit
14Die regelmäßige monatliche Arbeitszeit richtet sich nach den Vorgaben der Einsatzleitung.
15§ 7 Vergütung
16Ab dem 01.02.2011 erhält Frau T für ihre Tätigkeit in der Betreuung eine Stundenvergütung pro geleisteter Arbeitszeit in Höhe von 6,65 € … Pro geleisteter Schlafwache (9,5 Stunden) erhält der Arbeitnehmer eine Vergütung von 47,50 €
17…
18Sollte sich die Auftragslage ändern, so erhält Frau T, nach Genehmigung durch die Geschäftsführung, die Möglichkeit wieder in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu wechseln.
19Alle anderen Vereinbarungen des Arbeitsvertrages bleiben unverändert.“
20Entsprechend der Vereinbarung zum Änderungsvertrag vom 28.01.2011 hat die Klägerin jedenfalls seit Januar 2015 bis Juli 2015 einschließlich pro Monat zehn Nacht- wachen Bereitschaftsdienst absolviert und dafür pro geleisteter Nachtwache einen Bruttobetrag von 36,20 EUR erhalten, zuzüglich Nachtarbeitszuschläge in Höhe von 25 bzw. 40 %. Die Bruttovergütung betrug von Januar bis Juli 2015 monatlich 475,35 EUR.
21Für August 2015 ist eine Vergütung noch nicht gezahlt worden; die Klägerin erklärt, sie sei für August 2015 lediglich für sieben Nachtwachen eingeteilt gewesen. Aus dem Dienstplan für September 2015 ergebe sich, dass sie lediglich fünf Nachtwachen absolvieren solle und zusätzlich vier Tage Urlaub nehme.
22In der 2. Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche vom 27.09.2014, in Kraft getreten am 01.01.2015 und ergangen entsprechend § 11 AEntG, heißt es – soweit von Interesse – wie folgt:
23„…
24§ 1 Geltungsbereich
25(1) Diese Verordnung gilt für Pflegebetriebe. …
26(2) Diese Verordnung gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie gilt nicht für: …
27(4) Abweichend von Absatz 3 gilt diese Verordnung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne des Absatzes 3, soweit sie im Rahmen der von ihnen auszuübenden Tätigkeiten in nicht unerheblichem Umfang gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern tagesstrukturierend, aktivierend, betreuend oder pflegend tätig werden, insbesondere als:
281. Altersbegleiterinnen und Begleiter,
292. Betreuungskräfte von Menschen mit demenziellen Erkrankungen oder
303. Assistenzkraft
31(5) Für Betreuungskräfte von Menschen mit erheblichem Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung … und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Absatz 4 ist diese Verordnung ab dem 01.Oktober 2015 anzuwenden. …
32§ 2 Mindestentgelt
33(1) Das Mindestentgelt beträgt im Gebiet der Länder … Nordrhein-Westfalen …
34- ab dem 01. Januar 2015: 9,40 € je Stunde …
35(2) Das nach Absatz 1 maßgebliche Mindestentgelt ist für Zei- ten des Bereitschaftsdienstes gemäß nachstehender Grundsätze zu zahlen. Bereitschaftsdienste im Sinne dieser Verordnung leisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung mindestens
3675 % beträgt. Sie sind im Dienstplan zu hinterlegen. Zum Zwecke der Entgeltberechnung kann die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit auf der Grundlage einer kollektivrechtlichen oder einer schriftlichen arbeitsvertraglichen Regelung mit mindestens 25 % als Arbeitszeit bewertet werden. Leistet die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer in einem Kalendermonat mehr als acht Bereitschaftsdienste, so ist die Zeit eines jeden über acht Bereitschaftsdienste hinausgehenden Bereitschaftsdienstes zusätzlich mit mindestens 15 % als Arbeitszeit zu bewerten. Umfasst die Arbeitsleistung innerhalb des Bereitschaftsdienstes mehr als 25 %, ist die darüber hinausgehende Arbeitsleistung zusätzlich mit dem Mindestentgelt nach Absatz 1 zu vergüten.
37(4) Von dieser Verordnung nicht erfasst werden Zeiten der Rufbereitschaft. …“
38Die Klägerin meint, sie habe – da die 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung noch nicht gelte – Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 EUR pro Stunde. Dies entspreche einer Monatsvergütung von 807,50 EUR brutto. Gezahlt worden seien lediglich 475,35 EUR bzw. 475,36 EUR brutto pro Monat für die Zeit bis Juli 2015 einschließlich. Für August sei eine Zahlung noch nicht erfolgt.
39Da die Beklagte sie, die Klägerin, im August weniger als zehn Nachtschichten eingesetzt hat, obwohl dies Gegenstand der arbeitsvertraglichen Vereinbarung gewesen sei und die Beklagte bereits im Dienstplan für September 2015 mitgeteilt habe, sie werde lediglich für neun Tage vergütet (fünf Schichten + vier Urlaubstage), habe sie auch Anspruch auf die Feststellung, künftig mit zehn Nachtschichten betraut zu werden. Dies ergebe sich aus dem Arbeitsvertrag sowie entsprechender jahrelanger Praxis in der Vergangenheit.
40Die Klägerin beantragt,
411. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Januar 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 09.02.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2015;
422. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Februar 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 06.03.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2015;
433. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat März 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 09.04.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.04.2015;
444. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat April 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 08.05.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2015;
455. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Mai 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 15.06.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2015;
466. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Juni 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 15.07.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2015;
477. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Juli 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 17.08..2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.08.2015;
488. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin fortlaufend ab dem Monat August 2015 mit monatlich zehn Nachwachen zu beschäftigen.
49Die Beklagte beantragt,
50die Klage abzuweisen.
51Sie meint, eine Anspruchsgrundlage für eine Mindestvergütung von 8,50 EUR pro Stunde sei nicht erkennbar. Das Mindestlohngesetz gelte wegen der Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 MiLoG nicht. Aufgrund des Arbeitnehmerentsendegesetzes existiere für die Pflegebranche ein Branchenmindestlohn nach der 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung. Somit sei das Mindestlohngesetz insoweit nicht anwendbar. Eine andere Auslegung verbiete sich auch aus verfassungsrechtlichen Gründen unter Berücksichtigung von Art. 4 GG i.V. mit Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 WRV, da der Mindestlohn in der Pflegebranche – anders als in anderen Wirtschaftszweigen – jedenfalls auch auf den sogenannten „dritten Weg“ zustande gekommen sei. Bei Nichtanwendung des § 1 Abs. 3 MiLoG auf den Fall sei das Gericht verpflichtet, ein Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht einzuleiten.
52Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie die Terminsprotokolle.
53E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
54Die Leistungs- und Feststellungsklage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Dies ergibt sich aus Folgendem:
55I. Soweit die Klägerin Vergütung für August 2015 in Höhe von 807,50 EUR brutto begehrt, steht ihr dieser Anspruch (noch) nicht zu, denn die Vergütung für August 2015 wird erst fällig am 15.09.2015. Dies ergibt sich aus Ziffer 4.1 des Arbeitsvertrages vom 13.10.2008, der durch den Änderungsvertrag vom 28.01.2011 nicht modifiziert worden ist.
56II. Soweit die Klägerin restliche Vergütung für die Zeit von Januar bis Juli 2015 auf Basis von 8,50 EUR brutto pro geleisteter Arbeitsstunde begehrt, hat sie darauf ebenfalls keinen Anspruch.
57Zwar bestimmt § 1 Abs. 2 MiLoG, dass die Höhe des Mindestlohns ab dem 01.01.2015 brutto 8,50 EUR je Zeitstunde beträgt. Die Kammer geht auch davon aus, dass „Zeitstunde“ i.S. von § 1 Abs. 2 MiLoG auch Bereitschaftsdienste umfasst, da der Wille des Gesetzgebers, Bereitschaftsdienste anders zu behandeln als Vollarbeitszeit, im Gesetz keinerlei Niederschlag gefunden hat (vgl. insoweit zur 1. Pflege- arbeitsbedingungenverordnung BAG, Urteil v. 19.11.2014 – 5 AZR 1101/12).
58Zur Überzeugung der Kammer gilt § 1 Abs. 2 MiLoG jedoch für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht wegen der Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 MiLoG. Nach dieser Vorschrift gehen die Regelungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes und der auf ihrer Grundlage erfassten Rechtsverordnungen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht unterschreitet. Dies ist zur Überzeugung der Kammer der Fall. Denn der Branchenmindestlohn für die Pflegebranche beträgt ab Januar 2015 9,40 EUR je Stunde, ist somit also höher als der gesetzliche Mindestlohn. Eine Anwendung von § 1 Abs. 2 MiLoG kommt somit bereits nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 MiLoG nicht in Betracht.
59Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung zugunsten der Klägerin wegen der Bereichsausnahme in § 1 Abs. 4 u. Abs.
605 der Verordnung erst ab dem 01.10.2015 Anwendung finden wird. Denn die 2. PflegeArbbV stellt eine gesetzliche Grundlage dar (vgl. BAG, Beschluss vom 22.7.2014 -1 ABR 96/12 zur 1. PflegeArbbV) und setzt allein voraus, dass der territoriale sowie betrieblich- fachliche Geltungsbereich eröffnet ist (so BAG, Beschluss vom 22.7.2014, a.a.O.), was hier unstreitig der Fall ist.
61Dies führt zwar im Ergebnis dazu, dass die Klägerin aufgrund ihrer gegenüber der Beklagten zu erbringenden Tätigkeit praktisch für die Zeit vom 01.01. bis 30.09.2015 keinen gesetzlichen Mindestlohn nach Mindestlohngesetz bzw. Rechtsverordnung
62i.V. mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz verlangen kann. Dies ist jedoch rechtlich nicht zu beanstanden, zumal eine Überprüfung der Vergütungsvereinbarung nach den Grundsätzen des § 138 BGB weiterhin erfolgen kann (vgl. dazu statt aller BAG, Urteil v. 17.12.2014 – 5 AZR 663/13; LAG Düsseldorf, Urteil v. 19.08.2014 – 8 Sa 764/13; zur Ausbildungsvergütung BAG, Urteile v. 17.03.2015 – 9 AZR 732/13 und BAG, Urteil v. 26.03.2013 – 3 AZR 89/11).
63Aus Sicht der Kammer ist die Vergütungsvereinbarung im Arbeitsvertrag aus 2011 nicht „sittenwidrig“. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleis- tung ist nicht feststellbar. Dies ergibt sich auch unter Berücksichtigung der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien noch nicht anwendbaren, für die Branche aber schon geltenden 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung. Danach kann – anders als bei der 1. Pflegearbeitsbedingungenverordnung – die Zeit des Bereitschaftsdienstes mit mindestens 25 % des Branchenmindestlohns pro Stunde vergütet werden, sofern die weiteren Voraussetzungen des § 2 Absatz 2 PflegearbbV erfüllt sind. Daraus ergibt sich für 2015 ein Stundenentgelt von 2,35 EUR brutto jedenfalls für die ersten 8 Nachtschichten. Unter Berücksichtigung einer täglichen Arbeitszeit von 9,5 Stunden ergibt sich ein Tagessatz von 22,33 EUR brutto. Der von der Beklagten gezahlte Tagessatz in Höhe von 36,20 EUR brutto zuzüglich Nachtzuschläge liegt deutlich höher.
64Welche Vergütungsansprüche die Klägerin ab dem 01.10.2015 gegenüber der Be- klagten geltend machen kann, ist nicht (mehr) im Streit. Dies wird ggf. in einem Folgeprozess unter Berücksichtigung der dann anwendbaren Vorschrift des § 2 Abs. 1 der PflegearbbV zu prüfen sein.
65III. Soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie auch zukünftig in zehn Nachtwachen zu beschäftigen, besteht aus der Sicht der Kammer insoweit keine Anspruchsgrundlage. Die Parteien haben im Änderungsvertrag vom 28.01.2011 vereinbart, dass die regelmäßige monatliche Arbeitszeit sich nach den Vorgaben der Einsatzleitung richtet. Damit haben sie entsprechend § 12
66Abs. 1 TzBfG vereinbart, dass die Klägerin ihre Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf). Eine bestimmte wöchentliche oder tägliche Arbeitszeit ist nicht festgelegt worden. Dementsprechend beträgt gem. § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit mindestens zehn Stunden. Entsprechend wurde die Klägerin im August 2015 beschäftigt; der Dienstplan für September 2015 sieht insgesamt 9 Schichten a 9,50 Stunden vor. Der Einsatz der Klägerin erfolgte bzw. erfolgt entsprechend § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG.
67Dass die Parteien die vertragliche Vereinbarung vom 28.01.2011 später einvernehmlich oder konkludent dahingehend abgeändert haben, dass die Klägerin pro Monat zehn Nachtschichten Bereitschaftsdienst erbringt, ist von der Klägerin nicht vorgetragen und auch für die Kammer nicht ersichtlich. Selbst wenn – wie die Klägerin behauptet – sie nach Vertragsänderung im Jahr 2011 jeden Monat zu zehn Nachtschichten eingeteilt worden sein sollte, deutet dies nicht auf eine ausdrückliche oder konkludente Vertragsänderung hin. Insoweit fehlt auch jeglicher substantiierter Vortrag der Klägerin.
68Eine Konkretisierung der Arbeitszeit –so sie überhaupt in Betracht kommen sollte- auf 10 Nachtwachen pro Monat ist ebenfalls nicht ersichtlich. Unabhängig davon, ob das insoweit erforderliche Zeitmoment gegeben ist, fehlt es jedenfalls am Umstandsmoment, also einem dem Arbeitgeber zurechenbares Verhalten, aufgrund dessen die Klägerin darauf schließen konnte, künftig und dauerhaft oberhalb der Grenze des § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG beschäftigt zu werden (vgl. zur Konkretisierung hinsichtlich des Arbeitsortes durch zurechenbares Verhalten des Arbeitgebers: BAG, Urteile vom 13.6.2012 -10 AZR 296/11 und 13.3.2007 -9 AZR 433/06; zur Verteilung der Arbeitszeit auf einzelne Wochenarbeitstage vgl. BAG, Urteil vom 15.9.2009 -9 AZR 757/08). Eine Konkretisierung auf eine bestimmte –höhere- Anzahl von Arbeitsstunden in Abweichung von § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG tritt jedenfalls nicht allein dadurch ein, dass der Arbeitnehmer längere Zeit in derselben Weise eingesetzt wurde. Zum reinen Zeitablauf müssen besondere Umstände hinzutreten, die erkennen lassen, dass der Arbeitgeber sich verpflichten wollte, über den gesetzlich bestimmten Arbeitszeitrahmen bei Arbeit auf Abruf die Arbeitnehmerin darüber hinaus dauerhaft zu beschäftigen. Solche Umstände hat die Klägerin nicht vorgetragen.
69IV. Demgemäß war zu entscheiden, wie geschehen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V. mit § 91 ZPO. Als Streitwert war ein Betrag von 6.632,55 EUR festzusetzen unter Berücksichtigung einer von der Klägerin begehrten Vergütungsdifferenz von Januar bis Juli 2015, der begehrten Vergütung für August 2015 (807,50 EUR) sowie der Feststellung für die Zukunft (5.000,00 EUR abzüglich 30 %).
(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.
(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.
(1) Als Abfindung ist ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen.
(2) Hat der Arbeitnehmer das fünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens fünfzehn Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu fünfzehn Monatsverdiensten, hat der Arbeitnehmer das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens zwanzig Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu achtzehn Monatsverdiensten festzusetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer in dem Zeitpunkt, den das Gericht nach § 9 Abs. 2 für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses festsetzt, das in der Vorschrift des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch über die Regelaltersrente bezeichnete Lebensalter erreicht hat.
(3) Als Monatsverdienst gilt, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet (§ 9 Abs. 2), an Geld und Sachbezügen zusteht.
(1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.
(2) Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:
- 1.
Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen; - 2.
kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch; - 3.
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen; - 4.
Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen; - 5.
Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: - a)
in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel, - b)
in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung, - c)
in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie - d)
in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
- 6.
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.
(3) Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden kann, werden bei den Kriterien der in Absatz 2 genannten Bereiche berücksichtigt.
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.
(1) Es besteht keine Staatskirche.
(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.
(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.
(5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.
(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.
(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.
(8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.
(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Oktober 2022 brutto 12 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.
(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet.
(1) Arbeitgeber und Arbeitnehmer können vereinbaren, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf). Die Vereinbarung muss eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen. Wenn die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, gilt eine Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Wenn die Dauer der täglichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, hat der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers jeweils für mindestens drei aufeinander folgende Stunden in Anspruch zu nehmen.
(2) Ist für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach Absatz 1 Satz 2 eine Mindestarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 25 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit zusätzlich abrufen. Ist für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach Absatz 1 Satz 2 eine Höchstarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 20 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit weniger abrufen.
(3) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Zeitrahmen, bestimmt durch Referenzstunden und Referenztage, festzulegen, in dem auf seine Aufforderung hin Arbeit stattfinden kann. Der Arbeitnehmer ist nur zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt und die Arbeitsleistung im Zeitrahmen nach Satz 1 zu erfolgen hat.
(4) Zur Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist die maßgebende regelmäßige Arbeitszeit im Sinne von § 4 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes die durchschnittliche Arbeitszeit der letzten drei Monate vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit (Referenzzeitraum). Hat das Arbeitsverhältnis bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit keine drei Monate bestanden, ist der Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs die durchschnittliche Arbeitszeit dieses kürzeren Zeitraums zugrunde zu legen. Zeiten von Kurzarbeit, unverschuldeter Arbeitsversäumnis, Arbeitsausfällen und Urlaub im Referenzzeitraum bleiben außer Betracht. Für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen zur Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall finden Anwendung.
(5) Für die Berechnung der Entgeltzahlung an Feiertagen nach § 2 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes gilt Absatz 4 entsprechend.
(6) Durch Tarifvertrag kann von Absatz 1 und von der Vorankündigungsfrist nach Absatz 3 Satz 2 auch zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden, wenn der Tarifvertrag Regelungen über die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit und die Vorankündigungsfrist vorsieht. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen über die Arbeit auf Abruf vereinbaren.
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.
(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Oktober 2022 brutto 12 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.
(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin. Der Streitwert wird auf 6.632,55 EUR festgesetzt.
1
T a t b e s t a n d:
2Mit der am 18.05.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen und später erweiterten Klage begehrt die Klägerin restliche Arbeitsvergütung für die Zeit bis August 2015 einschließlich sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie mit monatlich zehn Nachtwachen zu beschäftigen.
3Die Klägerin ist für die Beklagte seit dem 11.10.2008 tätig. Die Beklagte betreibt verschiedene private Pflegedienste in M und Umgebung.
4Im Arbeitsvertrag vom 13.10.2008 (Bl. 6 ff. d. GA) heißt es – soweit von Interesse – wie folgt:„…
51. Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses/Tätigkeit
61. Frau … T wird mit Wirkung vom 11.10.2008 als Betreuungskraft eingestellt. …
74. Vergütung
84.1. Der Arbeitnehmer erhält für seine Tätigkeit in der Betreuung eine Stundenvergütung pro geleisteter Arbeitszeit in Höhe von 7,50 Euro … Nach sechs Monaten erhöht sich die Stundenvergütung auf 8,00 Euro… Pro geleisteter Nachtwache erhält der Arbeitnehmer eine Vergütung von 64,00 Euro …
9Die Vergütung ist zahlbar jeweils zum 15. des Folgemonats auf ein von dem Arbeitnehmer eingerichtetes Girokonto im Inland. …“
10Im Änderungsvertrag vom 28.01.2011 (Bl. 4 d. GA) heißt es – soweit von Interesse – wie folgt:
11„§ 3 Tätigkeit
12Ab dem 01.02.2011 wird die sozialversicherungspflichtige Tätigkeit von Teilzeit in eine geringfügig entlohntes Beschäftigungsverhältnis (400-€-Grenze) umgewandelt.
13§ 6 Arbeitszeit
14Die regelmäßige monatliche Arbeitszeit richtet sich nach den Vorgaben der Einsatzleitung.
15§ 7 Vergütung
16Ab dem 01.02.2011 erhält Frau T für ihre Tätigkeit in der Betreuung eine Stundenvergütung pro geleisteter Arbeitszeit in Höhe von 6,65 € … Pro geleisteter Schlafwache (9,5 Stunden) erhält der Arbeitnehmer eine Vergütung von 47,50 €
17…
18Sollte sich die Auftragslage ändern, so erhält Frau T, nach Genehmigung durch die Geschäftsführung, die Möglichkeit wieder in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu wechseln.
19Alle anderen Vereinbarungen des Arbeitsvertrages bleiben unverändert.“
20Entsprechend der Vereinbarung zum Änderungsvertrag vom 28.01.2011 hat die Klägerin jedenfalls seit Januar 2015 bis Juli 2015 einschließlich pro Monat zehn Nacht- wachen Bereitschaftsdienst absolviert und dafür pro geleisteter Nachtwache einen Bruttobetrag von 36,20 EUR erhalten, zuzüglich Nachtarbeitszuschläge in Höhe von 25 bzw. 40 %. Die Bruttovergütung betrug von Januar bis Juli 2015 monatlich 475,35 EUR.
21Für August 2015 ist eine Vergütung noch nicht gezahlt worden; die Klägerin erklärt, sie sei für August 2015 lediglich für sieben Nachtwachen eingeteilt gewesen. Aus dem Dienstplan für September 2015 ergebe sich, dass sie lediglich fünf Nachtwachen absolvieren solle und zusätzlich vier Tage Urlaub nehme.
22In der 2. Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche vom 27.09.2014, in Kraft getreten am 01.01.2015 und ergangen entsprechend § 11 AEntG, heißt es – soweit von Interesse – wie folgt:
23„…
24§ 1 Geltungsbereich
25(1) Diese Verordnung gilt für Pflegebetriebe. …
26(2) Diese Verordnung gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie gilt nicht für: …
27(4) Abweichend von Absatz 3 gilt diese Verordnung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne des Absatzes 3, soweit sie im Rahmen der von ihnen auszuübenden Tätigkeiten in nicht unerheblichem Umfang gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern tagesstrukturierend, aktivierend, betreuend oder pflegend tätig werden, insbesondere als:
281. Altersbegleiterinnen und Begleiter,
292. Betreuungskräfte von Menschen mit demenziellen Erkrankungen oder
303. Assistenzkraft
31(5) Für Betreuungskräfte von Menschen mit erheblichem Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung … und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Absatz 4 ist diese Verordnung ab dem 01.Oktober 2015 anzuwenden. …
32§ 2 Mindestentgelt
33(1) Das Mindestentgelt beträgt im Gebiet der Länder … Nordrhein-Westfalen …
34- ab dem 01. Januar 2015: 9,40 € je Stunde …
35(2) Das nach Absatz 1 maßgebliche Mindestentgelt ist für Zei- ten des Bereitschaftsdienstes gemäß nachstehender Grundsätze zu zahlen. Bereitschaftsdienste im Sinne dieser Verordnung leisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung mindestens
3675 % beträgt. Sie sind im Dienstplan zu hinterlegen. Zum Zwecke der Entgeltberechnung kann die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit auf der Grundlage einer kollektivrechtlichen oder einer schriftlichen arbeitsvertraglichen Regelung mit mindestens 25 % als Arbeitszeit bewertet werden. Leistet die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer in einem Kalendermonat mehr als acht Bereitschaftsdienste, so ist die Zeit eines jeden über acht Bereitschaftsdienste hinausgehenden Bereitschaftsdienstes zusätzlich mit mindestens 15 % als Arbeitszeit zu bewerten. Umfasst die Arbeitsleistung innerhalb des Bereitschaftsdienstes mehr als 25 %, ist die darüber hinausgehende Arbeitsleistung zusätzlich mit dem Mindestentgelt nach Absatz 1 zu vergüten.
37(4) Von dieser Verordnung nicht erfasst werden Zeiten der Rufbereitschaft. …“
38Die Klägerin meint, sie habe – da die 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung noch nicht gelte – Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 EUR pro Stunde. Dies entspreche einer Monatsvergütung von 807,50 EUR brutto. Gezahlt worden seien lediglich 475,35 EUR bzw. 475,36 EUR brutto pro Monat für die Zeit bis Juli 2015 einschließlich. Für August sei eine Zahlung noch nicht erfolgt.
39Da die Beklagte sie, die Klägerin, im August weniger als zehn Nachtschichten eingesetzt hat, obwohl dies Gegenstand der arbeitsvertraglichen Vereinbarung gewesen sei und die Beklagte bereits im Dienstplan für September 2015 mitgeteilt habe, sie werde lediglich für neun Tage vergütet (fünf Schichten + vier Urlaubstage), habe sie auch Anspruch auf die Feststellung, künftig mit zehn Nachtschichten betraut zu werden. Dies ergebe sich aus dem Arbeitsvertrag sowie entsprechender jahrelanger Praxis in der Vergangenheit.
40Die Klägerin beantragt,
411. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Januar 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 09.02.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2015;
422. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Februar 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 06.03.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2015;
433. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat März 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 09.04.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.04.2015;
444. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat April 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 08.05.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2015;
455. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Mai 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 15.06.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2015;
466. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Juni 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 15.07.2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2015;
477. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Juli 2015 807,50 EUR brutto zu zahlen, abzüglich am 17.08..2015 gezahlter 475,35 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.08.2015;
488. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin fortlaufend ab dem Monat August 2015 mit monatlich zehn Nachwachen zu beschäftigen.
49Die Beklagte beantragt,
50die Klage abzuweisen.
51Sie meint, eine Anspruchsgrundlage für eine Mindestvergütung von 8,50 EUR pro Stunde sei nicht erkennbar. Das Mindestlohngesetz gelte wegen der Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 MiLoG nicht. Aufgrund des Arbeitnehmerentsendegesetzes existiere für die Pflegebranche ein Branchenmindestlohn nach der 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung. Somit sei das Mindestlohngesetz insoweit nicht anwendbar. Eine andere Auslegung verbiete sich auch aus verfassungsrechtlichen Gründen unter Berücksichtigung von Art. 4 GG i.V. mit Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 WRV, da der Mindestlohn in der Pflegebranche – anders als in anderen Wirtschaftszweigen – jedenfalls auch auf den sogenannten „dritten Weg“ zustande gekommen sei. Bei Nichtanwendung des § 1 Abs. 3 MiLoG auf den Fall sei das Gericht verpflichtet, ein Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht einzuleiten.
52Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie die Terminsprotokolle.
53E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
54Die Leistungs- und Feststellungsklage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Dies ergibt sich aus Folgendem:
55I. Soweit die Klägerin Vergütung für August 2015 in Höhe von 807,50 EUR brutto begehrt, steht ihr dieser Anspruch (noch) nicht zu, denn die Vergütung für August 2015 wird erst fällig am 15.09.2015. Dies ergibt sich aus Ziffer 4.1 des Arbeitsvertrages vom 13.10.2008, der durch den Änderungsvertrag vom 28.01.2011 nicht modifiziert worden ist.
56II. Soweit die Klägerin restliche Vergütung für die Zeit von Januar bis Juli 2015 auf Basis von 8,50 EUR brutto pro geleisteter Arbeitsstunde begehrt, hat sie darauf ebenfalls keinen Anspruch.
57Zwar bestimmt § 1 Abs. 2 MiLoG, dass die Höhe des Mindestlohns ab dem 01.01.2015 brutto 8,50 EUR je Zeitstunde beträgt. Die Kammer geht auch davon aus, dass „Zeitstunde“ i.S. von § 1 Abs. 2 MiLoG auch Bereitschaftsdienste umfasst, da der Wille des Gesetzgebers, Bereitschaftsdienste anders zu behandeln als Vollarbeitszeit, im Gesetz keinerlei Niederschlag gefunden hat (vgl. insoweit zur 1. Pflege- arbeitsbedingungenverordnung BAG, Urteil v. 19.11.2014 – 5 AZR 1101/12).
58Zur Überzeugung der Kammer gilt § 1 Abs. 2 MiLoG jedoch für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht wegen der Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 MiLoG. Nach dieser Vorschrift gehen die Regelungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes und der auf ihrer Grundlage erfassten Rechtsverordnungen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht unterschreitet. Dies ist zur Überzeugung der Kammer der Fall. Denn der Branchenmindestlohn für die Pflegebranche beträgt ab Januar 2015 9,40 EUR je Stunde, ist somit also höher als der gesetzliche Mindestlohn. Eine Anwendung von § 1 Abs. 2 MiLoG kommt somit bereits nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 MiLoG nicht in Betracht.
59Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung zugunsten der Klägerin wegen der Bereichsausnahme in § 1 Abs. 4 u. Abs.
605 der Verordnung erst ab dem 01.10.2015 Anwendung finden wird. Denn die 2. PflegeArbbV stellt eine gesetzliche Grundlage dar (vgl. BAG, Beschluss vom 22.7.2014 -1 ABR 96/12 zur 1. PflegeArbbV) und setzt allein voraus, dass der territoriale sowie betrieblich- fachliche Geltungsbereich eröffnet ist (so BAG, Beschluss vom 22.7.2014, a.a.O.), was hier unstreitig der Fall ist.
61Dies führt zwar im Ergebnis dazu, dass die Klägerin aufgrund ihrer gegenüber der Beklagten zu erbringenden Tätigkeit praktisch für die Zeit vom 01.01. bis 30.09.2015 keinen gesetzlichen Mindestlohn nach Mindestlohngesetz bzw. Rechtsverordnung
62i.V. mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz verlangen kann. Dies ist jedoch rechtlich nicht zu beanstanden, zumal eine Überprüfung der Vergütungsvereinbarung nach den Grundsätzen des § 138 BGB weiterhin erfolgen kann (vgl. dazu statt aller BAG, Urteil v. 17.12.2014 – 5 AZR 663/13; LAG Düsseldorf, Urteil v. 19.08.2014 – 8 Sa 764/13; zur Ausbildungsvergütung BAG, Urteile v. 17.03.2015 – 9 AZR 732/13 und BAG, Urteil v. 26.03.2013 – 3 AZR 89/11).
63Aus Sicht der Kammer ist die Vergütungsvereinbarung im Arbeitsvertrag aus 2011 nicht „sittenwidrig“. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleis- tung ist nicht feststellbar. Dies ergibt sich auch unter Berücksichtigung der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien noch nicht anwendbaren, für die Branche aber schon geltenden 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung. Danach kann – anders als bei der 1. Pflegearbeitsbedingungenverordnung – die Zeit des Bereitschaftsdienstes mit mindestens 25 % des Branchenmindestlohns pro Stunde vergütet werden, sofern die weiteren Voraussetzungen des § 2 Absatz 2 PflegearbbV erfüllt sind. Daraus ergibt sich für 2015 ein Stundenentgelt von 2,35 EUR brutto jedenfalls für die ersten 8 Nachtschichten. Unter Berücksichtigung einer täglichen Arbeitszeit von 9,5 Stunden ergibt sich ein Tagessatz von 22,33 EUR brutto. Der von der Beklagten gezahlte Tagessatz in Höhe von 36,20 EUR brutto zuzüglich Nachtzuschläge liegt deutlich höher.
64Welche Vergütungsansprüche die Klägerin ab dem 01.10.2015 gegenüber der Be- klagten geltend machen kann, ist nicht (mehr) im Streit. Dies wird ggf. in einem Folgeprozess unter Berücksichtigung der dann anwendbaren Vorschrift des § 2 Abs. 1 der PflegearbbV zu prüfen sein.
65III. Soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie auch zukünftig in zehn Nachtwachen zu beschäftigen, besteht aus der Sicht der Kammer insoweit keine Anspruchsgrundlage. Die Parteien haben im Änderungsvertrag vom 28.01.2011 vereinbart, dass die regelmäßige monatliche Arbeitszeit sich nach den Vorgaben der Einsatzleitung richtet. Damit haben sie entsprechend § 12
66Abs. 1 TzBfG vereinbart, dass die Klägerin ihre Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf). Eine bestimmte wöchentliche oder tägliche Arbeitszeit ist nicht festgelegt worden. Dementsprechend beträgt gem. § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit mindestens zehn Stunden. Entsprechend wurde die Klägerin im August 2015 beschäftigt; der Dienstplan für September 2015 sieht insgesamt 9 Schichten a 9,50 Stunden vor. Der Einsatz der Klägerin erfolgte bzw. erfolgt entsprechend § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG.
67Dass die Parteien die vertragliche Vereinbarung vom 28.01.2011 später einvernehmlich oder konkludent dahingehend abgeändert haben, dass die Klägerin pro Monat zehn Nachtschichten Bereitschaftsdienst erbringt, ist von der Klägerin nicht vorgetragen und auch für die Kammer nicht ersichtlich. Selbst wenn – wie die Klägerin behauptet – sie nach Vertragsänderung im Jahr 2011 jeden Monat zu zehn Nachtschichten eingeteilt worden sein sollte, deutet dies nicht auf eine ausdrückliche oder konkludente Vertragsänderung hin. Insoweit fehlt auch jeglicher substantiierter Vortrag der Klägerin.
68Eine Konkretisierung der Arbeitszeit –so sie überhaupt in Betracht kommen sollte- auf 10 Nachtwachen pro Monat ist ebenfalls nicht ersichtlich. Unabhängig davon, ob das insoweit erforderliche Zeitmoment gegeben ist, fehlt es jedenfalls am Umstandsmoment, also einem dem Arbeitgeber zurechenbares Verhalten, aufgrund dessen die Klägerin darauf schließen konnte, künftig und dauerhaft oberhalb der Grenze des § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG beschäftigt zu werden (vgl. zur Konkretisierung hinsichtlich des Arbeitsortes durch zurechenbares Verhalten des Arbeitgebers: BAG, Urteile vom 13.6.2012 -10 AZR 296/11 und 13.3.2007 -9 AZR 433/06; zur Verteilung der Arbeitszeit auf einzelne Wochenarbeitstage vgl. BAG, Urteil vom 15.9.2009 -9 AZR 757/08). Eine Konkretisierung auf eine bestimmte –höhere- Anzahl von Arbeitsstunden in Abweichung von § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG tritt jedenfalls nicht allein dadurch ein, dass der Arbeitnehmer längere Zeit in derselben Weise eingesetzt wurde. Zum reinen Zeitablauf müssen besondere Umstände hinzutreten, die erkennen lassen, dass der Arbeitgeber sich verpflichten wollte, über den gesetzlich bestimmten Arbeitszeitrahmen bei Arbeit auf Abruf die Arbeitnehmerin darüber hinaus dauerhaft zu beschäftigen. Solche Umstände hat die Klägerin nicht vorgetragen.
69IV. Demgemäß war zu entscheiden, wie geschehen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V. mit § 91 ZPO. Als Streitwert war ein Betrag von 6.632,55 EUR festzusetzen unter Berücksichtigung einer von der Klägerin begehrten Vergütungsdifferenz von Januar bis Juli 2015, der begehrten Vergütung für August 2015 (807,50 EUR) sowie der Feststellung für die Zukunft (5.000,00 EUR abzüglich 30 %).
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.
(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Oktober 2022 brutto 12 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.
(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet.
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.
(1) Es besteht keine Staatskirche.
(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.
(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.
(5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.
(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.
(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.
(8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.
(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales beruft eine ständige Kommission, die über Empfehlungen zur Festlegung von Arbeitsbedingungen nach § 12a Absatz 2 beschließt.
(2) Die Kommission wird für die Dauer von fünf Jahren berufen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann die Dauer der Berufung verlängern, wenn die Kommission bereits Beratungen über neue Empfehlungen begonnen, jedoch noch keinen Beschluss über diese Empfehlungen gefasst hat. Die neue Berufung erfolgt in diesem Fall unverzüglich nach der Beschlussfassung, spätestens jedoch drei Monate nach Ablauf der fünfjährigen Dauer der Berufung.
(3) Die Kommission besteht aus acht Mitgliedern. Die Mitglieder nehmen ihre Tätigkeit in der Kommission ehrenamtlich wahr. Sie sind an Weisungen nicht gebunden.
(4) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales benennt acht geeignete Personen als ordentliche Mitglieder sowie acht geeignete Personen als deren Stellvertreter unter Berücksichtigung von Vorschlägen vorschlagsberechtigter Stellen. Vorschlagsberechtigte Stellen sind
- 1.
Tarifvertragsparteien in der Pflegebranche, wobei - a)
in der Pflegebranche tarifzuständige Gewerkschaften oder Zusammenschlüsse von Gewerkschaften sowie - b)
in der Pflegebranche tarifzuständige Vereinigungen von Arbeitgebern oder Zusammenschlüsse von Vereinigungen von Arbeitgebern
- 2.
die Dienstnehmerseite und die Dienstgeberseite paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber in der Pflegebranche festlegen, wobei - a)
die Dienstnehmerseite sowie - b)
die Dienstgeberseite
(5) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales fordert innerhalb einer von ihm zu bestimmenden angemessenen Frist zur Abgabe von Vorschlägen auf. Nach Fristablauf zugehende Vorschläge sind nicht zu berücksichtigen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales prüft die Vorschläge und kann verlangen, dass für die Prüfung relevante Umstände innerhalb einer von ihm zu bestimmenden angemessenen Frist mitgeteilt und glaubhaft gemacht werden. Nach Fristablauf mitgeteilte oder glaubhaft gemachte Umstände sind nicht zu berücksichtigen.
(6) Überschreitet die Zahl der Vorschläge die Zahl der auf die jeweilige in Absatz 4 Satz 2 genannte Gruppe entfallenden Sitze in der Kommission, entscheidet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, welchen Vorschlägen zu folgen ist. Bei dieser Entscheidung sind zu berücksichtigen
- 1.
im Falle mehrerer Vorschläge von in der Pflegebranche tarifzuständigen Gewerkschaften oder Zusammenschlüssen von Gewerkschaften: deren Repräsentativität, - 2.
im Falle mehrerer Vorschläge von in der Pflegebranche tarifzuständigen Vereinigungen von Arbeitgebern oder Zusammenschlüssen von Vereinigungen von Arbeitgebern: die Abbildung der Vielfalt von freigemeinnützigen, öffentlichen und privaten Trägern sowie gleichermaßen die Repräsentativität der jeweiligen Vereinigung bzw. des jeweiligen Zusammenschlusses.
- 1.
Mitglieder des Zusammenschlusses sind und nach der Art ihrer Mitgliedschaft tarifgebunden sein können oder - 2.
Mitglieder der diesem Zusammenschluss angehörenden Vereinigungen von Arbeitgebern sind und nach der Art ihrer Mitgliedschaft sowie der Mitgliedschaft der jeweiligen Vereinigung von Arbeitgebern tarifgebunden sein können.
(7) Scheidet ein ordentliches Mitglied oder ein Stellvertreter aus, benennt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine andere geeignete Person. War das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit der Benennung des ausgeschiedenen ordentlichen Mitglieds oder des Stellvertreters dem Vorschlag einer vorschlagsberechtigten Stelle oder, im Falle eines gemeinsamen Vorschlags nach Absatz 4 Satz 3, vorschlagsberechtigter Stellen gefolgt, so erfolgt auch die neue Benennung unter Berücksichtigung deren Vorschlags. Schlägt die Stelle oder schlagen die Stellen innerhalb einer von dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu bestimmenden angemessenen Frist keine geeignete Person vor, so entscheidet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales über die Benennung. Absatz 5 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(8) Klagen gegen die Benennung von Mitgliedern durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales haben keine aufschiebende Wirkung.
(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.
(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,
- a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist, - b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt, - c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder - d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.
(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft - a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen, - b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder - c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
- 3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.
(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.
(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.
(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.
(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.
(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.
(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.
(1) Die Klage kann ohne Einwilligung des Beklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden.
(2) Die Zurücknahme der Klage und, soweit sie zur Wirksamkeit der Zurücknahme erforderlich ist, auch die Einwilligung des Beklagten sind dem Gericht gegenüber zu erklären. Die Zurücknahme der Klage erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung eines Schriftsatzes. Der Schriftsatz ist dem Beklagten zuzustellen, wenn seine Einwilligung zur Wirksamkeit der Zurücknahme der Klage erforderlich ist. Widerspricht der Beklagte der Zurücknahme der Klage nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes, so gilt seine Einwilligung als erteilt, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.
(3) Wird die Klage zurückgenommen, so ist der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen; ein bereits ergangenes, noch nicht rechtskräftiges Urteil wird wirkungslos, ohne dass es seiner ausdrücklichen Aufhebung bedarf. Der Kläger ist verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, soweit nicht bereits rechtskräftig über sie erkannt ist oder sie dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind. Ist der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und wird die Klage daraufhin zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen; dies gilt auch, wenn die Klage nicht zugestellt wurde.
(4) Das Gericht entscheidet auf Antrag über die nach Absatz 3 eintretenden Wirkungen durch Beschluss. Ist einem Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligt worden, hat das Gericht über die Kosten von Amts wegen zu entscheiden.
(5) Gegen den Beschluss findet die sofortige Beschwerde statt, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag übersteigt. Die Beschwerde ist unzulässig, wenn gegen die Entscheidung über den Festsetzungsantrag (§ 104) ein Rechtsmittel nicht mehr zulässig ist.
(6) Wird die Klage von neuem angestellt, so kann der Beklagte die Einlassung verweigern, bis die Kosten erstattet sind.
Tenor
Die Berufungen der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 25.04.2014 und das Ergänzungsurteil vom 04.07.2014 (19 Ca 7209/13) werden zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten darum, ob das zwischen ihnen seit 1999 bestehende Arbeitsverhältnis der 52 Jahre alten, verheirateten Klägerin, die Mutter von 7 Kindern ist und bei der Beklagten als Verwaltungsfachangestellte mit einer Eingruppierung in die EG 6/6 + TVöD beschäftigt war, durch eine außerordentlichen Kündigung vom 28.08.2013 und eine weitere am 22.10.2013 ausgesprochene Kündigung „gemäß § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unter Berücksichtigung der Kündigungsfristen des § 34 Abs. 1 TVöD zum 30.06.2014“ (Bl. 49 d. A.) beendet worden ist.
3Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens, wegen der erstinstanzlichen Prozessgeschichte und wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 3 ArbGG auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 25.04.2014 (Bl. 148 ff d. A.) und des Ergänzungsurteils vom 04.07.2014 (Bl. 206 d. A.) Bezug genommen. Bezug genommen wird ferner auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen, insbesondere der vom 25.04.2014 (Bl. 145/146 d. A.).
4Das Arbeitsgericht hat zunächst mit Urteil vom 25.04.2014 Folgendes entschieden:
5- 6
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 28.08.2013 nicht aufgelöst wurde und aufgelöst wird.
- 8
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 10
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- 12
4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 9.352,92 € festgesetzt.
Nachdem das erstinstanzliche Gericht zunächst mit Schreiben vom 29.04.2014 (Bl. 161 d. A.) darauf hingewiesen hatte, dass auf Grund der Verhandlung vom 25.04.2014 die Kammer nur über den Antrag aus der Klageschrift (Kündigung vom 28.08.2013) und nicht über den zwar angekündigten, aber versehentlich nicht gestellten Antrag aus der Klageerweiterung vom 25.10.2013 (Kündigung vom 22.10.2013) entschieden habe und das am 25.04.2014 verkündete Urteil daher lediglich ein Teilurteil sei, es im Hinblick auf die Klageabweisung desweiteren dahin zu korrigieren sei, dass sich die Abweisung im Übrigen nur auf den Antrag aus der Klageschrift vom 06.09.2013 beziehe und beabsichtigt sei, das Urteil dementsprechend gemäß § 319 ZPO zu berichtigen, schrieb das erstinstanzliche Gericht an die Parteien mit weiterem Schreiben vom 02.05.2014, dass nach nochmaliger eingehender Prüfung davon auszugehen sei, dass es sich vorliegend nicht um einen Fall des § 319 ZPO handeln dürfte, sondern der Antrag aus der Klageerweiterung vom 25.10.2013 versehentlich übergangen worden sei, so dass das Urteil gemäß § 321 ZPO auf Antrag, der binnen 2 Wochen ab Zustellung des Urteils gestellt werden müsse, ergänzt werden könne. Entsprechend Vorgehen werde angeregt.
14Nachdem die Prozessbevollmächtigten der Klägerin sich zunächst mit einer Berichtigung nach § 319 ZPO einverstanden erklärt hatten, hat die Beklagte dem mit Schriftsatz vom 06.05.2014, auf den Bezug genommen wird (Bl. 170/171 d. A.), widersprochen. Nachdem die Klägerin am 13.05.2015 klageerweiternd den Weiterbeschäftigungsantrag angekündigt hatte (Bl. 172 d. A.) sowie die Beklagte mit Schriftsatz vom 04.06.2014 (Bl. 178 – 180 d. A.) ihre Rechtsauffassung vertiefend begründet hatte, dass kein Fall des § 321 ZPO vorliege, stellte die Klägerin mit am 10.06.2014 eingegangenem Schriftsatz von diesem Tage den Antrag, dass Urteil gemäß § 321 ZPO zu ergänzen (Bl. 381/382 d. A.).
15Das Urteil vom 25.04.2014 wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 27.05.2014 zugestellt (Bl. 174a d. A.). Der Beklagten wurde es am 03.06.2014 zugeleitet. Die Berufungsschrift der Beklagten ging am 30.06.2014 ein. Ihre Berufung wurde nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 03.09.2014 am 03.09.2014 begründet.
16Das Ergänzungsurteil vom 04.07.2014 wurde der Beklagten am 28.07.2014 zugestellt, ihre Berufungsschrift ging am 08.08.2014 ein. Die Berufungsbegründungsfrist lief bis zum 28.10.2014. Am 28.10.2014 wurde vom Faxgerät des Landesarbeitsgerichts die erste Seite der Berufungsbegründung vom 27.10.2014 ausgedruckt (Bl. 304 d. A.). Ein unterschriebener Schriftsatz mit der Berufungsbegründung vom selben Tage trägt den Eingangsstempel des Landesarbeitsgerichts vom 29.10.2014. Vom 28. bis zum 30.10.2014 war das zentrale Faxgerät des Landesarbeitsgerichts Köln gestört. Wegen der Einzelheiten dazu wird auf den Vermerk der Verwaltung des Landesarbeitsgerichts vom 04.11.2014 nebst Anlagen Bezug genommen (Bl. 340/341 d. A.). Nach entsprechender Information und Anregung, vorsorglich einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen, nahm die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 04.11.2014 zu der Angelegenheit Stellung, legte insbesondere dar, dass der Schriftsatz vom 27.10.2014 bereits um 10.22 Uhr von der Angestellten Frau L gefaxt worden sei und die Übertragung auch mit OK bestätigt worden sei und sich dieses auf alle 17 gesendeten Seiten bezogen habe. Sie legte ferner dar und stellte durch entsprechendes Zeugnis unter Beweis, dass noch am selben Tage vorsorglich das unterschriebene Original des Schriftsatzes um 15.40 Uhr von Herrn T bei der Pforte des Landesarbeitsgerichts einem älteren grauhaarigen Herrn übergeben worden sei und dieser dabei nochmals darauf hingewiesen worden sei, dass es sich um eine Fristsache für denselben Tag handele. Dieser Herr habe zugesichert, den Schriftsatz weiterzuleiten.
17Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 14.11.2014 Bezug genommen. Die Klägerin hat das darin enthaltene Vorbringen der Beklagten nicht bestritten.
18Beide Parteien verfolgen in der Berufungsinstanz ihr Prozessziel im Wesentlichen mit Rechtsausführungen weiter. Deshalb wird auf die jeweiligen Berufungsbegründungen und Berufungserwiderungen sowie auf die weiteren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Weitere Einzelheiten zum Tatsachenvorbringen der Parteien werden im Zusammenhang mit den Entscheidungsgründen festgestellt.
19Hinsichtlich des Verfahrens 4 Sa 573/14 beantragt die Beklagte,
20das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 25.04.2014– 19 Ca 7209/13 – teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen,
21sowie hinsichtlich des Verfahrens 4 Sa 745/154,
22das Ergänzungsurteil des Arbeitsgerichts Köln vom 04.07.2014 – 19 Ca 7209/13 abzuändern und die Klage abzuweisen.
23Die Klägerin beantragt,
24die Berufungen zurückzuweisen.
25Wegen des Übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätzen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
26Die erkennende Kammer hat in der mündlichen Verhandlung vom 20.02.2015 nach Stellung der Anträge die Verfahren hinsichtlich der Berufungen gegen das erste Urteil und gegen das Ergänzungsurteil zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
27E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
28Die Berufungen der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 25.04.2014 und das Ergänzungsurteil des Arbeitsgerichts Köln vom 04.07.2014 sind zwar beide zulässig, jedoch nicht begründet.
29A) Beide Berufungen sind form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden.
30Dieses gilt auch für die Berufung der Beklagten gegen das Ergänzungsurteil. Zwar war am Tage des Ablaufs der bis zum 28.10.2014 verlängerten Berufungsbegründungsfrist – wie sich aus dem Vermerk der Verwaltung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 04.11.2014 (Bl. 340 d. A.) ergibt – das zentrale Faxgerät der Poststelle gestört. Am Nachmittag des 28.10.2014 wurde eine Weiterleitung auf ein Multifunktionsgerät mit Faxanschluss eingerichtet. Soweit dieses Faxgerät gerade besetzt war, konnte indes eine Weiterleitung (automatisch bis zu 5 weitere Versuche) nicht erfolgen. Durch die eingerichtete Weiterleitung konnten allerdings nicht die Faxe, die bis zur Einrichtung der Weiterleitung eingegangen sind, ausgedruckt werden. Diese blieben aber in dem Gerät gespeichert. Im Verfahren 4 Sa 745/14 ist am 30.10. um 09:55 Uhr auf dem Faxgerät M straße das Fax mit der Berufungsbegründung ausgedruckt worden. Ausweislich des Faxzeitstempels des sendenden Faxgerätes ist das Fax aber schon am 28.10.2014 um 10:43 Uhr abgesandt worden. Ausweislich des Faxauftragsprotokolls (Bl. 341 d. A.) bestand das Fax aus 17 Seiten. Nach Reparatur des Faxgerätes in der zentralen Poststelle ist dort am 30.10.2014 um 11:36 Uhr die erste Seite dieses Faxes ausgedruckt worden. Sie entspricht der ersten Seite der auch später mehrfach zugegangenen Berufungsbegründung. Aufgrund der gleichen Seitenzahl, der Übereinstimmung mit der ersten Seite des Schreibens und der annähernd gleichen Uhrzeit hinsichtlich des Zeitstempels des sendenden Faxgerätes und des empfangenden Faxgerätes besteht entsprechend dem genannten Vermerk bereits eine sehr große Wahrscheinlichkeit, dass das Schreiben vom 27.10.2014 bereits am 28.10.2014 insgesamt per Fax eingegangen ist. Diese hohe Wahrscheinlichkeit wird für die Kammer zur Gewissheit und zur vollen, zweifelsfreien Überzeugung dadurch, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten einen in seiner Echtheit nicht bestrittenen Sendebericht zu den Akten gereicht haben (Bl. 368 d. A.), der ebenfalls für gesendete 17 Seiten ein „OK“ als Ergebnis berichtet. Dem entspricht auch die eidesstattliche Versicherung von Frau L (Bl. 373 d. A.), die als Assistenzkraft die Fax-Übersendung des Schriftsatzes vom 27.10.2014 besorgte.
31Unabhängig davon ist auch der gesamte diesbezügliche Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 14.11.2014 (Bl. 346 – 348 d. A.) von der Klägerin nicht bestritten worden.
32Es steht damit der vollen Überzeugung der Kammer fest, dass der Inhalt der Berufungsbegründungsschrift vom 27.10.2014 mittels Telefax vollständig durch elektrische Signale vom Sendegerät des kommunalen Arbeitgeberverbandes zum Empfangsgerät des Landesarbeitsgerichts übermittelt wurde, wenn es auch in Folge technischer Störungen nicht vollständig und fehlerfrei ausgedruckt wurde. Dementsprechend ist von einem im Zeitpunkt der Telefaxübermittlung erfolgten Eingang des Schriftsatzes auszugehen (BGH 05.09.2006 – VI ZB 7/06). Dieser Eingang wahrte die Berufungsbegründungsfrist.
33Dahinstehen kann damit, dass in jedem Fall der auf Anregung des Gerichts vorsorglich von der Beklagten gestellte Wiedereinsetzungsantrag begründet wäre.
34Insgesamt waren mithin beide Berufungen zulässig.
35B. Sie hatten jedoch in der Sache keinen Erfolg.
36I. Soweit die Beklagte hinsichtlich des Ergänzungsurteils des Arbeitsgerichts die Auffassung vertritt, ein solche hätte nicht ergehen dürfen, da die Voraussetzungen deshalb nicht vorgelegen hätten, weil der ursprünglich mit der Klageerweiterung vom 25.10.2013 (Bl. 47 d. A.) mit Eingang am selben Tage beim Arbeitsgericht rechtshängig gemachte Kündigungsschutzantrag im Hinblick auf die Kündigung vom 22.10.2013 in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2014 – unstreitig – nicht zu Protokoll gestellt worden ist und weil der im Ergänzungsurteil als Antrag zu 2. wiedergegebene Weiterbeschäftigungsantrag überhaupt erst nach dem ersten Urteil klageerweiternd erhoben worden ist, so gilt Folgendes:
371. Nach § 321 ZPO ist das Urteil durch nachträgliche Entscheidung zu ergänzen, wenn ein nach dem ursprünglich festgestellten oder nachträglich berichtigten Tatbestand von einer Partei geltend gemachter Haupt- oder Nebenanspruch ganz oder teilweise übergangen worden ist. Die Entscheidung durch ein Ergänzungsurteil setzt voraus, dass die nachträgliche Entscheidung binnen einer zweiwöchigen Frist, die mit der Zustellung des Urteils beginnt, durch Einreichung einer Schriftsatzes beantragt wird – was im vorliegenden Fall erfüllt ist. § 321 Abs. 1 ZPO spricht von einem geltend gemachten (Haupt- oder Neben-)Anspruch. Er spricht nicht von einem Klageantrag. Soweit ersichtlich, liegt höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, ob dieses eine Antragstellung in der mündlichen Verhandlung voraussetzt oder ob es ausreicht, dass ein entsprechender Anspruch rechtshängig ist, nicht vor. Nach Der Wortlaut des Gesetzes spricht dafür, dass die Vorschrift dahingehend auszulegen ist, dass ein Anspruch bereits dann geltend gemacht ist, wenn er – in demselben Verfahren - rechtshängig ist:
38An anderen Stellen spricht die ZPO nämlich dann, wenn ein gestellter Antrag gemeint ist, auch ausdrücklich von „Antrag“ oder „beantragen“, so zum Beispiel in § 308 ZPO, § 308 a ZPO. Demgegenüber sprechen mehrere Normen der ZPO von dem Geltendmachen eines Anspruchs, wobei aus dem Normzusammenhang klar ist, dass damit nicht die Antragstellung in der mündlichen Verhandlung gemeint sein kann, so zum Beispiel§ 786 a ZPO, § 305 a ZPO („der in der Klage geltend gemachte Anspruch“),§ 5 ZPO („mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche“), § 265 ZPO,§ 769 b ZPO, § 605 a ZPO, § 688 ZPO, § 257 ZPO, § 145 ZPO und § 717 ZPO.
39Zum Normzweck führt die Beklagte führt zwar zu Recht an, dass § 321 ZPO davon ausgeht, dass ein Gericht einen geltend gemachten Anspruch versehentlich übergangen hat. Sie weist auch zu Recht darauf hin, dass das Arbeitsgericht ohne Antragstellung nicht über den Anspruch hätte entscheiden dürfen (§ 308 ZPO). Dieses Letztere schließt aber ein Versehen nicht aus. Die Nach Ihrem Wortlaut enthält die Norm ein „Versehen“ gar nicht als Tatbestandsmerkmal. Das Gesetz spricht überhaupt nicht von einem Versehen. Nichts spricht dagegen, dass sich das nach allgemeiner Meinung erforderliche Versehen auch darauf beziehen kann, dass das Gericht in der mündlichen Verhandlung nicht erkannt hat, dass ein Prozessbevollmächtigter einen Antrag (versehentlich) nicht gestellt hat und deshalb das Gericht versehentlich auch nicht seiner dementsprechenden Hinweispflicht aus § 139 ZPO nachgekommen ist, mit der Folge, dass es auch bei der Verkündung versehentlich nicht bemerkt hat, dass der Antrag nicht gestellt wurde.
40Im Übrigen liegen die Voraussetzungen des § 321 Abs. 1 vor. Gemäß dem Tatbestand des ersten Urteils hatte die Klägerin ihr Kündigungsschutzbegehren im Hinblick auf die Kündigung vom 22.10.2013 erweitert (Seite 4 des Urteils vom 25.04.2014, Bl. 151 d. A.).
412. Nähme man entgegen dem zuvor Gesagten nicht einen Fall des§ 321 ZPO an, so wäre bei dem Urteil vom 25.04.2014 von einem Teilurteil auszugehen. Ein Teilurteil ist ein Endurteil, das nicht über den ganzen Rechtsstreit, sondern nur über einen individualisierbaren, selbständig zur Verbescheidung geeigneten, größenmäßig bestimmten Teil des teilbaren Streitgegenstandes entscheidet. Ein entsprechender Wille muss in der Entscheidung selbst oder wenigstens in den Begleitumständen zum Ausdruck kommen (vgl. Zöller/Vollkommer § 301 ZPO Rn. 1). Dabei muss das Gericht nicht ausdrücklich hervorheben, dass es lediglich über einen Teil des Verfahrensgegenstandes vorab entscheiden will. Der Wille muss aber in der Entscheidung selbst oder wenigstens in den Begleitumständen zum Ausdruck kommen, weil sonst der Umfang der Rechtskraft im Unklaren bliebe (BGH 12.01.1999 – VI ZR 77/98 – Rn. 7).
42Auch dieses wäre, wäre im Gegensatz zum Vorgesagten kein Versehen anzunehmen, entsprechend dem Inhalt des Urteils vom 25.04.2014 gegeben, denn es wird schon im Tatbestand klar, dass ein weiterer Kündigungsschutzantrag hinsichtlich der Kündigung vom 22.10.2013 anhängig war. Es wird demgegenüber aber nur der Antrag hinsichtlich der Kündigung vom 28.08.2013 im Tatbestand wiedergegeben.
433. Soweit man bei dem Tenor zu 2. („im Übrigen wird die Klage abgewiesen“) bei isolierter Betrachtung daran denken könnte, dass die Klage hinsichtlich des Kündigungsschutzbegehrens bezüglich der Kündigung vom 22.10.2013 abgewiesen werden sollte, ergibt eine Auslegung des Urteils zweifelsfrei, dass dieses nicht der Fall war. Dies ergibt sich schon aus der in dem Tatbestand aufgenommenen Formulierung: „In der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2014 ist versehentlich nur der Antrag aus der Klageschrift und nicht auch der Antrag aus der Klageerweiterung vom 15.10.2013 zu Protokoll gestellt worden. Daher hat die Kammer auch nur über die Klage vom 06.09.2013 und demnach über die Kündigung vom 28.08.2013 entschieden“. Auch aus den Entscheidungsgründen wird klar, dass die Klageabweisung den sogenannten „Schleppnetzantrag“ betrifft, der mit der ursprünglichen Klage hinsichtlich der Kündigung vom 28.08.2013 verbunden war. Dieser wird als unzulässig abgewiesen. Die Auslegung ergibt damit eindeutig, dass nur über einen Teil des anhängigen Rechtsstreits und gerade nicht über den Teil entschieden werden sollte, der die Kündigung vom 22.10.2013 betraf.
444. Soweit die Beklagte meint, das Arbeitsgericht hätte nicht mehr über den erst nach dem ersten Urteil gestellten Weiterbeschäftigungsantrag entscheiden dürfen, so ist diese Auffassung jedenfalls dann unzutreffend, wenn man bei dem ersten Urteil von einem Teilurteil ausgeht. Es hätte selbstverständlich noch die Klage erweitert werden dürfen.
45Ob die Klage noch zwischen einem ersten und einem Ergänzungsurteil erweitert werden darf, ist der ZPO nicht zu entnehmen und – soweit ersichtlich – auch weder in der Rechtswissenschaft noch in der Rechtsprechung bislang erörtert worden. Die Kammer sieht jedoch insofern keine Bedenken.
46Dieses Letztere kann jedoch dahinstehen. Denn das Arbeitsgericht hat über den Weiterbeschäftigungsantrag entschieden. Die Berufung der Beklagten wendet sich dagegen, die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Mit der Verteidigung des erstinstanzlichen Urteils und dem uneingeschränkt gestellten Antrag, die Berufung zurückzuweisen, wäre in der Berufungsinstanz ein möglicher Fehler des Arbeitsgerichts geheilt. Das ergibt sich als argumentum a maiore ad minus daraus, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (Nachweise bei Zöller/Vollkommer, § 308 ZPO Rn. 7) selbst im Falle einer Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts ultra petita gemäß § 308 ZPO eine Heilung durch nachträgliche Genehmigung stattfindet, wenn der Kläger, dem mehr zugesprochen wurde als er im ersten Rechtszug beantragt hatte, im Berufungsrechtszug beantragt, das Rechtsmittel des Beklagten zurückzuweisen. Denn im Sich-zu-eigen-machen der gegen § 308 verstoßenden Entscheidung liegt eine noch in der Berufungsinstanz mögliche Klageerweiterung. Diese wäre auch sachdienlich.
47Nach Auffassung der erkennenden Kammer liegt insoweit allerdings allenfalls ein einfacher Verfahrensverstoß vor (der Antrag wurde tatsächlich gestellt), welcher eine materielle Entscheidung des Berufungsgerichts über den nunmehr ihm angefallenen Antrag nicht verbietet. Vielmehr ist eine Zurückverweisung wegen des Mangels unzulässig (§ 68 ArbGG).
48II. Die Kündigungen der Beklagten haben das Arbeitsverhältnis nicht beendet.
491. Erstinstanzlich hat die Beklagte nach Erlass des Urteils vom 25.04.2014 hierzu die Auffassung vertreten, dadurch, dass der Antrag hinsichtlich der zweiten Kündigung in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht vom 25.04.2015 nicht gestellt worden sei, sei er nicht mehr rechtshängig, so dass ein Fall des § 7 KSchG vorliege.
50Dieses trifft nicht zu:
51a) Die Rechtshängigkeit hat durch das versehentliche Nichtstellen des Antrages nicht geendet. Zwar hätte die Rechtskraft geendet, wenn man wie hier davon ausgeht, dass ein Fall des § 321 ZPO vorliegt, und die Klägerin nicht innerhalb der Frist des § 321 Abs. 2 ZPO die Ergänzung des Urteils beantragt hätte (vgl. statt vieler mit Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung auch des BAG wiederum Zöller/Vollkommer § 321 ZPO Rn. 8). Die Frist wurde aber – wie oben bereits gesagt – gewahrt.
52b) Eine Klagerücknahme lag in dem Nichtstellen des zweiten Kündigungsschutzantrages nicht.
53Zwar braucht eine Klagerücknahme nicht ausdrücklich zu erfolgen, vielmehr kann sie auch aus dem Verhalten eines Klägers geschlossen werden. Dem entspricht es, dass Prozesshandlungen grundsätzlich auch durch schlüssiges Verhalten vorgenommen werden können. Jedoch muss die stillschweigende Klagerücknahme unmissverständlich und unzweifelhaft sein (BSG 21.11.1969 – XII RJ 400/68 – Rn. 18). Eine stillschweigende Rücknahme kommt aber nur in Betracht, wenn nach dem gesamten Umständen zweifelsfrei ist, dass mit der Antragsbeschränkung bzw. dem Nichtstellen des Antrags das bisherige Klagebegehren fallengelassen werden sollte (BSG 27.06.2006 – B 2 U 9/05 R).
54Im vorliegenden Fall gibt es außer dem schlichten Nichtstellen des Antrages keinerlei Hinweise aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2014 darauf, dass mit dem Nichtstellen des Antrages stillschweigend eine Klagerücknahme erklärt werden sollte. Auch die nach den gesamten Umständen mit zu berücksichtigende Interessenlage der Klägerin spricht unzweifelhaft dagegen. Es ist also nicht unmissverständlich und unzweifelhaft, dass die Klage zurückgenommen werden sollte. Eine Klagerücknahme liegt nicht vor.
55Damit ergibt sich insgesamt, dass der Anspruch hinsichtlich der zweiten Kündigung noch rechtshängig war, als das Arbeitsgericht durch Ergänzungsurteil darüber entschied. Dementsprechend ist die Fiktionswirkung des § 7 KSchG bis heute nicht eingetreten. Der Kündigungsschutzantrag hinsichtlich der zweiten Kündigung fällt ebenso wie der Weiterbeschäftigungsantrag der erkennenden Kammer zur Entscheidung an.
562. Jedenfalls im Ergebnis hat das Arbeitsgericht zutreffend entschieden.
57a) Hinsichtlich der Feststellungen des Arbeitsgerichts zur subjektiven Seite der Klägerin kann die Kammer indes die Würdigung des Arbeitsgerichts nicht teilen.
58aa) Das Arbeitsgericht hat zum Vorsatz der Klägerin Folgendes ausgeführt:
59„Vorliegend ist die Kammer der Überzeugung, dass die Klägerin zumindest bedingt vorsätzlich den bei der Beklagten bestehenden Irrtum über die Fehlerhaftigkeit des Arbeitszeitkontos ausnutzte. Dass die Klägerin tatsächlich nicht gemerkt haben will, dass sich auf ihrem Arbeitszeitkonto für eine 37-Stunden-Woche ungewöhnlich viele Überstunden ansammelten, hält die Kammer für wenig glaubhaft. Eine alltäglich ein- und ausstempelnde Arbeitnehmerin hat sehr genau im Blick, wie sich ihr Stundensaldo entwickelt, die Arbeitszeit-Erfassungssysteme zeigen dies schließlich an. Auch die Stundenaufstellungen weisen deutlich die Sollarbeitszeit aus. Schließlich ist die wöchentliche Differenz von sieben Sollstunden derart groß – sie machen gut 20 Prozent der wöchentlich zu erbringenden Arbeitszeit aus -, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass die Klägerin den Fehler nicht bemerkt haben will“.
60bb) Für die nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderliche richterliche „Überzeugung“ ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung und allgemeiner Meinung ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit ausreichend, der den Zweifeln schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. z. B. BAG 28.02.1991 – 2 AZR 335/90).
61Es ist unstreitig, dass die Klägerin die monatlichen Salden zur Kenntnis genommen hat. Die Klägerin hat vorgetragen hat, sie habe lediglich auf den Gesamtsaldo geachtet (Bl. 77 d. A.).
62Soweit das Arbeitsgericht weiter darauf abhebt, dass die Stundenaufstellungen deutlich die Sollarbeitszeit auswiesen, so ist dieses – soweit Stundenaufstellungen vorliegen (sie liegen nur hinsichtlich der 3, am 10.12.2012, 10.06.2013 und 04.07.2013 gestellten Übertragungsanträge vor, Anlage B 15 = Bl. 130 ff. d. A.) - zutreffend. Daraus kann jedoch nach Auffassung der Kammer nicht mit hinreichender Gewissheit geschlossen werden, dass die Klägerin auch diese im System eingepflegten Sollzeiten zur Kenntnis genommen hat. Vielmehr entspricht es der Lebenserfahrung der Kammer, das nicht wenige Menschen bei Abrechnungen, Kontoauszügen, Rechnungsbelegen und Ähnlichem nur auf die Endsumme bzw. die Salden achten und sich mit den Details nicht weiter beschäftigen, solange die Salden bzw. die Endsummen für sie akzeptabel erscheinen. Dass die Klägerin tatsächlich die in den monatlichen Belegen ausgewiesenen Sollzeiten zur Kenntnis genommen hat, lässt sich jedenfalls nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen.
63Die Positivsalden der Klägerin waren auch nicht so exorbitant hoch, dass mit der hinreichenden Gewissheit (Überzeugung und nicht nur Wahrscheinlichkeit) davon ausgegangen werden könnte, dass die Klägerin den Fehler, der darin lag, dass die Beklagte ein Sollarbeitszeit von 30 Stunden statt – wie richtig gewesen wäre – 37 Stunden hinterlegt hatte, positiv bemerkt hat. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass trotz mehrfacher Rügen der Klägerin die Beklagte nicht vorgetragen hat, in welcher Höhe in jedem Monat ein positiver Saldo ausgewiesen war und der Klägerin zur Kenntnisnahme vorlag. Allerdings hat die Beklagte die von der Klägerin ausgefüllten 3 Formulare zur Korrektur der Zeiterfassung vorgelegt. Diesen lagen jeweils die Auszüge für die jeweiligen Monate aus der Buchungsübersicht bei. Daraus lässt sich entnehmen, dass im Monat Oktober 2012 der Saldo insgesamt 29.37 (Bl. 131 d. A.) betrug und mithin ein Überhang über den normalerweise zu übertragenden 20 Stunden von 09.37 Stunden (Bl. 131 d. A.) bestand. Für den Monat Mai 2013 (Bl. 133) war ein Saldo von 25.31 Stunden ausgewiesen, mithin ein Überhang von 05.31 Stunden. Schließlich war für Juli 2013 (Bl. 135 d. A.) ein Saldo von 34.12 Stunden und mithin ein Überhang von 14.12 Stunden ausgewiesen. Für sich genommen erscheinen diese Salden der Kammer nicht als so hoch, dass man mit voller Gewissheit (Überzeugung) davon ausgehen könnte, dass der Klägerin der Fehler konkret bewusst geworden ist, der darin lag, dass die Beklagte zu geringe Sollarbeitszeiten eingegeben hatte.
64Dagegen, dass der Klägerin dieses bewusst war, spricht vielmehr gerade die Tatsache, dass die Klägerin die Übertragungsanträge gestellt hat. Für die Übertragung ist die Genehmigung der Leiterin der Meldehalle erforderlich. Die Übertragung wird von der Mitarbeiterin G dann eingepflegt. Die Mitarbeiterin G ist für das Einpflegen der erforderlichen Daten in das Arbeitszeitsystem zuständig, so dass für die Klägerin davon auszugehen war, dass diese auch die Sollarbeitszeiten einpflegte. Dass die Leiterin der Meldehalle für die Genehmigung zuständig war und Frau G für die Eintragung der Arbeitszeiten, ergibt sich aus dem von diesen unterschriebenen bzw. abgezeichneten Formularen (Bl. 130 ff. d. A.). Wenn aber den Übertragungsanträgen die entsprechenden Buchungsübersichten beilagen, die die Sollarbeitszeiten auswiesen, so musste aus der Sicht der Klägerin – ihre Kenntnis von dem Fehler unterstellt – eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass bei dem Einpflegen des Überhanges entsprechend den Anträgen die fehlerhafte Sollarbeitszeit auffallen werde. Unterstellt, die Klägerin hätte den Fehler tatsächlich bemerkt und diesen Fehler bewusst ausnutzen wollen, so hätte es sich ihr aufgedrängt, dass gerade durch die Geltendmachung der Übertragung die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass der Fehler auffiele. Berücksichtigt man, dass der zu übertragende Überhang eher geringfügig erscheint, dann muss das Stellen der Übertragungsanträge – bei unterstellter Kenntnis des Fehlers durch die Klägerin – als höchst unvernünftig erscheinen. Das Stellen der Übertragungsanträge begründet mithin relevante Zweifel an dem Erkennen des Fehlers durch die Klägerin, die für die Kammer die auch nach einem praktischen Maßstab nicht so zu überwinden sind, dass ihnen „Schweigen geboten“ werden müsste. Die Kammer kann daher jedenfalls auf der Basis der unstreitigen Tatsachen nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die Klägerin den Fehler positiv bemerkt hat.
65Vor diesem Hintergrund ist auch die zwischen den Parteien streitige, von der Beklagte behauptete Einlassung der Klägerin am 2. Tag der Anhörung zu würdigen: „Ich habe Mitte des Jahres gemerkt, dass mit der AZE etwas nicht stimmen kann. Immer so viel Plus. Ich habe gedacht, dass ich unbedingt meine Buchungsübersichten kontrollieren muss“.
66Das kann im Zusammenhang mit der von der Beklagten selbst referierten Erklärung des anwesenden Personalratsmitglieds M , seiner Meinung nach habe die Klägerin gemerkt, dass die AZE nicht stimmen könne, sich dann aber nicht „getraut“ der Dienststelle etwas zu sagen (Bl. 9 d. A.), nicht zu der Überzeugung vom Vorliegen eines sogenannten dolus eventualis ausreichen. Damit ist nämlich noch nicht gesagt, dass die Klägerin den Fehler bemerkt hat. Sie hat ausweislich ihrer Erklärung allenfalls das Gefühl gehabt, dass etwas nicht stimmen könne, dass sie ihre Buchungsübersichten kontrollieren müsse.
67Wiederum sprechen die noch im Juli 2013 eingereichten Korrekturanträge gegen eine volle Überzeugung, dass die Klägerin den konkreten Fehler erkannt hat. Sie sprechen auch dagegen, dass die Klägerin im Sinne eines dolus eventualis es billigend in Kauf genommen hat, dass ein Fehler zu Lasten der Beklagten vorliege. Nach den für die Abgrenzung des Eventualvorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit gebrauchten Kriterien liegt der Unterschied darin, dass die handelnde Person beim Eventualvorsatz die Folge hinnimmt und sich mit dem Risiko abfindet, somit Folge und Risiko billigend in Kauf nimmt, während sie bei bewusster Fahrlässigkeit auf das Nichtvorliegen der Tatumstände und das Ausbleiben des Erfolges vertraut. Im vorliegenden Fall hieße dieses Letztere, dass sie trotz des Gefühls, dass „irgendetwas nicht stimmt“ und dass sie kontrollieren müsse, weiter darauf vertraut hat, dass schon alles in Ordnung sei, ohne tatsächlich zu kontrollieren. Die Kammer kann nicht die im oben genannten Sinne hinreichende Überzeugung gewinnen, dass es nicht so gewesen sei.
68Aus diesem Grunde liegt nach Auffassung der erkennenden Kammer bereits kein Kündigungsgrund im Sinne des § 626 BGB und kein verhaltensbedingter Kündigungsgrund „an sich“ im Sinne des § 1 KSchG vor.
69b) Selbst wenn man jedoch insoweit von einem Eventualvorsatz ausginge, so teilt die erkennende Kammer im Ergebnis die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts:
70aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitnehmer eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf des Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalles unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitnehmer sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in der Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. z. B. BAG 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 -). Dies gilt grundsätzlich auch für Störungen im Vertrauensbereich (vgl. BAG a. a. O.).
71bb) Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen ist zu Gunsten der Klägerin zunächst Folgendes zu berücksichtigen: Sie war bei Ausspruch der Kündigung bereits 52 Jahre alt. Nach ihrem Vortrag ist sie noch 3 von 7 Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Auch wenn man die Unterhaltspflichten außen vor lässt, so ist zu berücksichtigen, dass eine 52 Jahre alte Verwaltungsangestellte, die aus verhaltensbedingten Gründen aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden ist, kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat. Zudem war die Klägerin 14 Jahre bei der Beklagten beanstandungsfrei beschäftigt.
72Es ist auch davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer entsprechenden Abmahnung sich das Geschehene zu Herzen nehmen wird und ähnliche Verstöße in Zukunft nicht mehr zu besorgen sind.
73Es handelt sich auch nicht um eine so schwere Pflichtverletzung, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich und für die Klägerin erkennbar ausgeschlossen war:
74Der Fall liegt im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten in wesentlichen Punkten anders als die üblichen Fälle des Arbeitszeitbetruges, in denen das Bundesarbeitsgericht regelmäßig zur Wirksamkeit einer Kündigung ohne vorherige Abmahnung gelangt ist. So betraf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.04.2005 (2 AZR 255/04) einen Stempelkartenmissbrauch. Dazu hat das Bundesarbeitsgericht (a. a. O. Rn. 33) darauf hingewiesen, dass es sich um einen Verstoß gegen eine Verpflichtung handelte, die abgeleistete, vom Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll kontrollierbare Arbeitszeit korrekt zu stempeln. Dabei – so das Bundesarbeitsgericht – kommt es entscheidend auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch an. Überträgt der Arbeitgeber – so das Bundesarbeitsgericht weiter – den Nachweis der täglich bzw. monatlich geleisteten Arbeitszeit dem Arbeitnehmer selbst (Selbstaufzeichnung) und füllt der Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel ebenfalls einen schweren Vertrauensbruch dar (BAG a. a. O.). Einen besonders schweren Vertrauensbruch hat das Bundesarbeitsgericht insbesondere deshalb gesehen, weil der dortige Kläger einen Arbeitskollegen veranlasste, an seiner Stelle zum Arbeitsende die Zeiterfassung für ihn abzustempeln. Unter solchen Umständen hat das Bundesarbeitsgericht bei einer 10-jährigen Betriebszugehörigkeit ohne Beanstandungen auch schon einen einmaligen Fall ausreichen lassen, ohne Abmahnung zu kündigen – dies angesichts der im konkreten Fall vorliegenden erschwerenden Umstände (Rn. 37). Das Bundesarbeitsgericht hat mithin gerade darauf abgehoben, dass ein Vertrauensbruch in einem Bereich vorliegt, in dem der Arbeitnehmer seine Mitwirkungspflichten missbraucht, die gerade deshalb bestehen, weil der Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll die Arbeitszeit kontrollieren kann. Es hat ferner darauf abgehoben und dieses ersichtlich als besonders erschwerend angesehen, dass ein weiterer Arbeitnehmer veranlasst wurde bei diesem Vertrauensbruch mitzuwirken.
75Ganz ähnlich setzte das Bundesarbeitsgericht die Akzente in der Entscheidung vom 24.11.2005 (2 AZR 39/05). Auch dort wurde wieder hervorgehoben, dass ein Verstoß gegen die Verpflichtung vorliegt, die abgeleistete, vom Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll kontrollierbare Arbeitszeit korrekt zu stempeln. Die Kontrollfunktion der Stempeluhr werde außer Kraft gesetzt und dem Arbeitgeber vorgespielt, der betreffende Arbeitnehmer habe sich zum fraglichen Zeitpunkt jedenfalls auf dem Betriebsgelände befunden (Rn. 21). In der Interessenabwägung wird dementsprechend darauf abgehoben, dass der Pflichtverstoß einen sensiblen Bereich betrifft und eine fehlende Sanktion die Gefahr der Nachahmung durch Arbeitnehmer verursachen kann. Das Bundesarbeitsgericht hat mithin hier wiederum im Wesentlichen darauf abgehoben, dass in einem sensiblen Bereich der Arbeitgeber die Kontrollfunktionen überlistet, die der Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeit installiert (auch hier wurde wieder ein Kollege eingesetzt, um die Stempelkarte zu stempeln). Zudem hat das Bundesarbeitsgericht darauf abgehoben, dass eine fehlende Sanktion die Gefahr der Nachahmung durch andere Arbeitnehmer verursachen könne.
76In der Entscheidung vom 09.06.2011 (2 AZR 381/10 - wiederum Missbrauch einer Stempeluhr) hob das Bundesarbeitsgericht erneut darauf ab, dass sich der Pflichtverstoß in einem vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierenden Bereich vollzieht. Der Arbeitgeber müsse auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit der am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer vertrauen können. Übertrage er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und fülle der Arbeitnehmer die zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stelle dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Nicht anders zu bewerten sei es, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet sei, die geleistete Arbeitszeit mit Hilfe eines Arbeitsplatzrechners in einer elektronischen Zeiterfassung zu dokumentieren und er hierbei vorsätzlich falsche Angaben mache. In der Interessenabwägung und der Prüfung des Abmahnungserfordernisses hat das Bundesarbeitsgericht wiederum darauf abgehoben, dass es sich um ein auf Heimlichkeit angelegtes, vorsätzliches und systematisches Fehlverhalten handelte.
77Hier liegen die Umstände anders:
78Das Arbeitsgericht hat schon zu Recht darauf hingewiesen, dass die Ursache dafür, dass der Klägerin zu viel Gutstunden gutgeschrieben wurden und sie diese abfeiern konnte, zu einem bedeutenden Teil in der Verantwortung der Beklagten liegt, die trotz zweier Verlängerungen über ein Jahr hinweg den Gleichlauf von vereinbarter Arbeitszeit und vom Arbeitszeiterfassungssystem nicht überprüfte – dies obwohl die Klägerin die ursprünglich nur befristete Arbeitszeiterhöhung zweimal verlängerte und auch dreimal Übertragungen der monatlich 20 Stunden überschreitenden Überstunden in den Folgemonat beantragte.
79Das Arbeitsgericht hat desweiteren zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Wiederholungsgefahr nicht besteht. Besonders ist aber dabei hervorzuheben, dass hier, anders als bei dem typischen Arbeitszeitbetrug, der durch Einschaltung von Kollegen bei dem Abstempeln der Stempelkarte oder schlicht durch Falscheintragung in Formulare oder elektronische Erfassungseinrichtungen leicht durchführbar ist und bei fehlender Sanktion in der Tat leicht zur Nachahmung verführen kann, eine solche Nachahmung – weil die Ursache im Bereich der Beklagten liegt – nur sehr unwahrscheinlich, wenn nicht ganz ausgeschlossen ist. Die Beklagte kann künftig unrichtigen Arbeitszeiterfassungen problemlos entgegenwirken, indem sie die Arbeitszeiterfassung entsprechend der vereinbarten Stundenzahl korrekt einrichtet und gegebenenfalls durch entsprechende Organisation dafür sorgt, dass dieses in bestimmten Zeitabständen kontrolliert wird.
80Ganz wesentlich aber ist, dass die Klägerin selbst nicht durch aktives Täuschungsverhalten oder Überwinden von Kontrolleinrichtungen des Arbeitgebers zu dem unzutreffenden Arbeitszeitplus beigetragen hat.
81Auch handelt es sich hier nicht, im Gegensatz zu einem Zeiterfassungssystem, um eine grobe Pflichtverletzung in einem „sensiblen Bereich“.
82Soweit die Beklagte (Bl. 283 d. A.) in der Berufungsbegründung unter Hinweis auf das Bundesarbeitsgericht betont, generell müsse der Arbeitgeber sich auf korrekte Dokumentation der Arbeitszeit verlassen können, so ist dieses zwar richtig, hier hat aber nicht die Klägerin etwas falsch dokumentiert. Sie hat nicht falsch abgestempelt, sondern eine Erfüllungsgehilfin der Beklagten hat das Stundensoll falsch eingetragen. Das Zitat des Bundesarbeitsgerichts betrifft hingegen die Dokumentation der Arbeitszeit durch den Arbeitnehmer selbst.
83Ebenso zu Unrecht weist die Beklagte darauf hin (durch Fettdruck), dass in der Präambel der Dienstvereinbarung geregelt ist, dass die Dienstvereinbarung der Gestaltung der Arbeitszeit dient. Denn die Eintragung der Sollarbeitszeit ist überhaupt nicht Sache des Arbeitnehmers, sondern die der Beklagten. Die Eintragung der Sollarbeitszeit hat nichts mit der eigenverantwortlichen Gestaltung der Arbeitszeit zu tun. Dementsprechend beruft sich die Beklagte auch zu Unrecht darauf, dass den Mitarbeitern durch die Gleitzeit Eigenverantwortung bei der Gestaltung der Arbeitszeit eingeräumt wird und ihnen dadurch auch ein besonderes arbeitgeberseitiges Vertrauen entgegengebracht wird. Dieses Vertrauen hat die Klägerin nicht verletzt. Es geht hier nicht um die eigenverantwortliche Gestaltung der Arbeitszeit, sondern schlicht darum, dass die Beklagte eine falsche Sollarbeitszeit eingetragen hat. Das besondere Vertrauen in die eigenverantwortliche Gestaltung im Sinne der Dienstvereinbarung bezieht sich auf die auch in der Dienstvereinbarung geregelte Dokumentationspflicht der Arbeitnehmer hinsichtlich der geleisteten Arbeitszeit durch korrekte Zeiterfassung.
84Auch soweit die Mitarbeiter mit Schreiben vom 14.01.2010 aufgefordert wurden, die monatlichen Buchungsübersichten eigenverantwortlich zu kontrollieren und Unstimmigkeiten spätestens eine Woche nach Erhalt zu klären, führt dieses – ohnehin geraume Zeit zurückliegende – Schreiben nicht zu einer anderen Bewertung des Sachverhalts. Es geht hier auch nicht um die Verletzung von Kontrollpflichten, sondern darum, ob erkannte oder jedenfalls vermutete Unrichtigkeiten gemeldet wurden. Das besondere Vertrauen, von dem in der Dienstvereinbarung die Rede ist, und von dem auch das Bundesarbeitsgericht spricht, bezieht sich nicht auf Kontrollpflichten des Arbeitnehmers, sondern darauf, vom Arbeitgeber eingerichtete Kontrolleinrichtungen nicht zu überlisten oder zu missbrauchen.
85Zu Unrecht wendet sich die Beklagte auch gegen die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts, dass sie eine Mitverantwortung dadurch trage, dass sie über ein Jahr hin die Richtigkeit der eingetragenen Sollarbeitszeit nicht überprüft habe, obwohl Gelegenheit und Anlass dazu bestanden habe. Ihre Auffassung, weshalb keine Veranlassung zu einer weiteren Überprüfung auf Grund der zweimaligen Verlängerung bestanden habe, begründet die Beklagte auch nicht nachvollziehbar. Es geht nicht darum, ob eine neue Eintragung erforderlich gewesen wäre, sondern darum, ob überhaupt gelegentlich überprüft wird, ob die Eintragungen richtig sein. Die Kammer legt allerdings Wert darauf, dass es nach ihrer Auffassung nicht auf die Frage ankommt, ob „Verantwortung“ im Sinne von Vorwerfbarkeit gegenüber der Beklagten vorliegt, sondern allein darauf, dass die Ursache des Ganzen hier aus dem Bereich der Beklagten stammt und nicht die Klägerin von sich aus aktiv die Arbeitszeit so manipuliert hat, dass das unzutreffende Saldo ausgewiesen wurde.
86Sofern die Beklagte sich (Bl. 284 d. A.) darauf beruft, dass die Meldehallenleiterin keine Informationen über die in der Arbeitszeiterfassung hinterlegten Sollarbeitszeiten hatte, so ist darauf hinzuweisen, dass jedenfalls – wie auch die Beklagte ausführt – Frau G Kenntnis der Sollarbeitszeit hatte. An Frau G aber liefen die jeweiligen Übertragungsanträge – wie oben bereits ausgeführt. Im Übrigen hat die Klägerin bestritten, dass die Meldehallenleiterin keine Kenntnis von den Sollarbeitszeiten hatte. Es lässt sich indes nichts dafür feststellen, dass die Klägerin selbst positiv davon ausgehen konnte, dass die Meldehallenleiterin, die sie, die Klägerin, mehrfach aufgefordert hat, ihre Plusstunden abzubauen und die auch entsprechende Anträge genehmigte, die Sollarbeitszeiten nicht kannte. Das im Übrigen Frau G – worauf die Beklagte Wert legt – die jeweiligen Anwesenheitszeiten der Klägerin nicht kannte, weil sie nicht „vor Ort“ war, so ist dieses Argument nicht nachvollziehbar. Es geht nicht darum, dass die Anwesenheitszeiten der Klägerin falsch gewesen wären, sondern es geht um die Sollarbeitszeiten. Diese kannte Frau G
87Soweit die Beklagte schließlich darauf hinweist, die Klägerin habe den Verstoß zunächst nicht eingeräumt und erst auf beharrliches Befragen eingeräumt, dass mit ihrer Arbeitszeiterfassung etwas nicht in Ordnung war, so kann dieses nicht durchschlagend zu Lasten der Klägerin berücksichtigt werden. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin bis heute nicht eingeräumt hat, dass sie erkannt hatte, wo tatsächlich der Fehler lag und positiv wusste, dass der Saldo zu Unrecht bestand. Sie hat eben nur eingeräumt, dass ihr der Gedanke gekommen sei, dass etwas nicht stimme. Dazu wurde bereits oben zum Vorsatz alles Erforderliche gesagt.
88Auch soweit die Beklagte sich schließlich darauf beruft, dass die Klägerin Übertragungsanträge eingereicht habe, so spricht – wie oben ausgeführt – dieses gerade gegen einen Vorsatz der Klägerin, nämlich dafür, dass der Klägerin tatsächlich nicht positiv bewusst war, dass ihr der ausgewiesene Saldo nicht zustehe.
89Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
90RECHTSMITTELBELEHRUNG
91Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
92Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.
Klageänderung, Aufrechnungserklärung und Widerklage sind nur zulässig, wenn
- 1.
der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und - 2.
diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 zugrunde zu legen hat.
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.
(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Oktober 2022 brutto 12 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.
(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet.
(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates bestimmen, dass die von der nach § 12 errichteten Kommission vorgeschlagenen Arbeitsbedingungen nach § 5 Nr. 1 und 2 auf alle Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die unter den Geltungsbereich einer Empfehlung nach § 12a Absatz 2 fallen, Anwendung finden.
(2) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat bei seiner Entscheidung nach Absatz 1 neben den in § 1 genannten Gesetzeszielen die Sicherstellung der Qualität der Pflegeleistung sowie den Auftrag kirchlicher und sonstiger Träger der freien Wohlfahrtspflege nach § 11 Abs. 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch zu berücksichtigen.
(3) Vor Erlass einer Rechtsverordnung gibt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den in den Geltungsbereich der Rechtsverordnung fallenden Arbeitgebern und Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sowie den Parteien von Tarifverträgen, die zumindest teilweise in den fachlichen Geltungsbereich der Rechtsverordnung fallen, und paritätisch besetzten Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber in der Pflegebranche festlegen, Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab dem Tag der Bekanntmachung des Entwurfs der Rechtsverordnung.
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.
(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Oktober 2022 brutto 12 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.
(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet.
(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer den Mindestlohn
- 1.
zum Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit, - 2.
spätestens am letzten Bankarbeitstag (Frankfurt am Main) des Monats, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde,
(2) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehenden und auf einem schriftlich vereinbarten Arbeitszeitkonto eingestellten Arbeitsstunden spätestens innerhalb von zwölf Kalendermonaten nach ihrer monatlichen Erfassung durch bezahlte Freizeitgewährung oder Zahlung des Mindestlohns auszugleichen, soweit der Anspruch auf den Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden nach § 1 Absatz 1 nicht bereits durch Zahlung des verstetigten Arbeitsentgelts erfüllt ist. Im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitgeber nicht ausgeglichene Arbeitsstunden spätestens in dem auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgenden Kalendermonat auszugleichen. Die auf das Arbeitszeitkonto eingestellten Arbeitsstunden dürfen monatlich jeweils 50 Prozent der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht übersteigen.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für Wertguthabenvereinbarungen im Sinne des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Satz 1 gilt entsprechend für eine im Hinblick auf den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vergleichbare ausländische Regelung.
(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates bestimmen, dass die von der nach § 12 errichteten Kommission vorgeschlagenen Arbeitsbedingungen nach § 5 Nr. 1 und 2 auf alle Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die unter den Geltungsbereich einer Empfehlung nach § 12a Absatz 2 fallen, Anwendung finden.
(2) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat bei seiner Entscheidung nach Absatz 1 neben den in § 1 genannten Gesetzeszielen die Sicherstellung der Qualität der Pflegeleistung sowie den Auftrag kirchlicher und sonstiger Träger der freien Wohlfahrtspflege nach § 11 Abs. 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch zu berücksichtigen.
(3) Vor Erlass einer Rechtsverordnung gibt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den in den Geltungsbereich der Rechtsverordnung fallenden Arbeitgebern und Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sowie den Parteien von Tarifverträgen, die zumindest teilweise in den fachlichen Geltungsbereich der Rechtsverordnung fallen, und paritätisch besetzten Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber in der Pflegebranche festlegen, Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab dem Tag der Bekanntmachung des Entwurfs der Rechtsverordnung.
(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.
(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.
(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Oktober 2022 brutto 12 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.
(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet.
Tenor
-
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 28. November 2012 - 4 Sa 48/12 - wird zurückgewiesen.
-
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über Differenzvergütung und dabei insbesondere darüber, ob das Mindestentgelt nach § 2 der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (Pflegearbeitsbedingungenverordnung - PflegeArbbV) vom 15. Juli 2010 (BAnz. 2010 Nr. 110 S. 2571) auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen ist.
- 2
-
Die 1954 geborene Klägerin war vom 1. Juli bis zum 29. Oktober 2010 bei der Beklagten, die einen privaten Pflegedienst betreibt, als Pflegehelferin beschäftigt. Arbeitsort war das Haus der Katholischen Schwesternschaft V e.V. in S.
-
„§ 1
Der Arbeitnehmer wird mit der Wirkung vom 01.07.2010 als Pflegehelferin für die Rudu Pflege und Betreuung an der Pflegestelle VS für Sr. E, Sr. U und Sr. C unbefristet eingestellt.
Er ist nach jeweiliger näherer Weisung des Arbeitgebers verpflichtet, Pflege- und sonstige Dienstleistungen für die pflegebedürftigen Personen zu erbringen. Die Dienstleistungen erfolgen in der Regel in dem Haus der Pflegebedürftigen.
…
§ 3
1.
Der Arbeitnehmer erhält ein Festlohn von € 1.685,85 brutto monatlich. (nur gültig für die o.b.a. Personen)
2.
Es ist wird eine Arbeitszeit von 204 Rudu - Einsätzen abzüglich der 24 Urlaubstage sind 180 Rudu-Einsätzen / Arbeitstagen p/Jahr der vereinbart.
3.
Der Arbeitnehmer ist jedoch auf Anweisung der Arbeitgebers verpflichtet, Mehr- und Überarbeit zu leisten.
4.
Rudu wird berechnet nach Pflegemodulen / Pflegezeiten dabei wird der Mindeslohn anzuwenden, Hauswirtschaftliche Tätigkeit, Bereitschaft und Anwesenheit gesondert Ruhezeiten und Pausen werden nicht vergütet. (siehe Stellenbeschreibung)
Fahrtzeiten und Fahrtkosten werden nicht vergütet.
…“
- 4
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Die Klägerin leistete im Streitzeitraum August bis Oktober 2010 Rund- um-die-Uhr-Dienste vom 6. August, 21:00 Uhr, bis zum 20. August, 12:00 Uhr, vom 2. September, 21:00 Uhr, bis zum 16. September, 12:00 Uhr, und vom 30. September, 21:00 Uhr, bis zum 15. Oktober, 12:00 Uhr. Dabei bewohnte sie im Haus der Schwesternschaft ein Zimmer in unmittelbarer Nähe zu den zu betreuenden Schwestern. Von diesen leiden Sr. E und Sr. U an Demenz und sind an den Rollstuhl gebunden. Sr. C kam am 15. August 2010 ins Krankenhaus und verstarb dort. Neben Pflegeleistungen oblagen der Klägerin auch Tätigkeiten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung der Schwestern (wie zB Zubereiten von Frühstück und Abendessen, Geschirr spülen, Wechseln und Waschen von Wäsche). Täglich von 11:45 bis 12:45 Uhr nahmen die Pflegebedürftigen am gemeinsamen Mittagessen der Schwesternschaft, von 17:50 bis 18:50 Uhr am Gottesdienst teil.
- 5
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Mit der am 19. November 2010 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin ua. geltend gemacht, während der Rund-um-die-Uhr-Dienste durchgehend gearbeitet zu haben. Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV sei zudem nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Bereitschaftsdienst zu zahlen.
- 6
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Die Klägerin hat zuletzt - soweit die Klage in die Revisionsinstanz gelangt ist - sinngemäß beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.198,59 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 670,53 Euro seit dem 16. September 2010, aus 696,03 Euro seit dem 16. Oktober 2010 und aus 832,03 Euro seit dem 16. November 2010 zu zahlen.
- 7
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die Klägerin habe nicht rund um die Uhr gearbeitet, sondern arbeitstäglich mindestens vier Stunden Pause nehmen können. Sie habe in der Zeit von 21:00 bis 06:30 Uhr allenfalls Rufbereitschaft gehabt und nachts schlafen können. Zudem sei Bereitschaftsdienst nicht mit dem Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV zu entlohnen.
- 8
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Das Arbeitsgericht hat die Klage - soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist - abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin der Klage auf der Basis von 22 mit dem Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV zu vergütenden Stunden je Arbeitstag im Rund-um-die-Uhr-Dienst stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur weiteren Vergütungszahlung nebst Zinsen verurteilt. Die Klage ist in dem noch anhängigen Umfang begründet. Das folgt aus § 2 Abs. 1 PflegeArbbV.
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I. Streitgegenständlich ist in der Revisionsinstanz aufgrund der beschränkten Revisionseinlegung der Beklagten und mangels Anschlussrevision der Klägerin die Differenzvergütung, die sich aus der Differenz zwischen der arbeitsvertraglich vereinbarten Vergütung und dem Mindestentgelt von - im Streitzeitraum - 8,50 Euro je Stunde nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV ergeben kann. Das sind auf der Basis von 22 Arbeitsstunden je Arbeitstag - rechnerisch unstreitig - für den Monat August 2010 670,53 Euro brutto, für den Monat September 2010 696,03 Euro brutto und für den Monat Oktober 2010 832,03 Euro brutto.
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II. Die Klägerin hat Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst. Das ergibt die Auslegung der Norm, die die arbeitsvertragliche Vergütungsabrede in der Entgelthöhe korrigiert.
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1. Die PflegeArbbV ist wirksam (vgl. BAG 22. Juli 2014 - 1 ABR 96/12 - Rn. 17 ff.; zur Verfassungsmäßigkeit entsprechender Verordnungen siehe auch BAG 16. April 2014 - 4 AZR 802/11 - Rn. 17 ff.). Das stellt die Beklagte nicht in Frage. Für eine (erneute) Prüfung der Wirksamkeit der PflegeArbbV besteht von Amts wegen kein Anlass (vgl. BAG 10. September 2014 - 10 AZR 959/13 - Rn. 21 f.).
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2. Der Geltungsbereich der PflegeArbbV ist eröffnet. Das steht zwischen den Parteien außer Streit. Das Landesarbeitsgericht hat zudem festgestellt, dass die Beklagte einen Pflegebetrieb iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 PflegeArbbV betreibt und die Klägerin mit der arbeitsvertraglich vereinbarten Pflege und Betreuung der Schwestern E, U und C überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI erbrachte, § 1 Abs. 3 Satz 1 PflegeArbbV.
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3. Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist „je Stunde“ festgelegt. Damit knüpft die Norm - entsprechend den Gepflogenheiten der Tarifpartner und auch vieler Arbeitsvertragsparteien, als Entgelt einen bestimmten Euro-Betrag in Relation zu einer bestimmten Zeiteinheit (zumeist Stunde oder Monat, bisweilen auch Tag, Woche, Jahr) bzw. dem Umfang der in einer bestimmten Zeiteinheit zu leistenden Arbeit festzusetzen - an die „vergütungspflichtige Arbeitszeit“ an. Dieser Begriff hat zwar insofern eine gewisse Unschärfe, als die Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach § 611 Abs. 1 BGB allein für die „Leistung der versprochenen Dienste“ besteht und damit unabhängig ist von der arbeitszeitrechtlichen Einordnung der Zeitspanne, während derer der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringt(BAG 19. September 2012 - 5 AZR 678/11 - Rn. 15 mwN, BAGE 143, 107). Er hat sich aber zur Unterscheidung von Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne, zeitlichem Umfang der zu vergütenden Arbeit und Arbeitszeit im Sinne der Mitbestimmungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes eingebürgert (vgl. Wank RdA 2014, 285). Die Anknüpfung des Mindestlohns an die vergütungspflichtige Arbeitszeit bestätigt § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV, der die Fälligkeit des Mindestentgelts „für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit“ regelt.
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4. Damit ist das Mindestentgelt in der Pflegebranche zu zahlen für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit bzw. - präziser - für alle Stunden, während derer der Arbeitnehmer innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit die gemäß § 611 Abs. 1 BGB geschuldete Arbeit erbringt oder, was im Streitfall nicht erheblich ist, aufgrund gesetzlicher Entgeltfortzahlungstatbestände von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung befreit ist. § 2 PflegeArbbV stellt weder auf die Art der Tätigkeit(§ 11 Abs. 1 iVm. § 5 Nr. 1 AEntG), noch auf die Intensität der Arbeit (Vollarbeit, Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst) ab. Ist der Anwendungsbereich der PflegeArbbV eröffnet, weil der Arbeitnehmer in einem Pflegebetrieb überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI zu erbringen hat, muss deshalb das Mindestentgelt auch für die nicht pflegerischen (Zusammenhangs-)Tätigkeiten (wie zB im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) und für alle Formen von Arbeit gezahlt werden.
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Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst sind nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1a ArbZG (zur gesetzeshistorischen Entwicklung aufgrund von Vorgaben des Unionsrechts, vgl. BAG 11. Juli 2006 - 9 AZR 519/05 - Rn. 42, BAGE 119, 41), sondern vergütungspflichtige Arbeit iSv. § 611 Abs. 1 BGB. Denn dazu zählt nicht nur jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient, sondern auch eine vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder eine Pause (§ 4 ArbZG) noch Freizeit hat (BAG 20. April 2011 - 5 AZR 200/10 - Rn. 21 mwN, BAGE 137, 366). Diese Voraussetzung ist bei der Arbeitsbereitschaft, die gemeinhin umschrieben wird als Zeit wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung (vgl. ErfK/Wank 15. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 21), und dem Bereitschaftsdienst gegeben. In beiden Fällen muss sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (innerhalb oder außerhalb des Betriebs) bereithalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen. Bei der Arbeitsbereitschaft hat der Arbeitnehmer von sich aus tätig zu werden, beim Bereitschaftsdienst „auf Anforderung“ (BAG 12. Dezember 2012 - 5 AZR 918/11 - Rn. 19; vgl. zum Ganzen auch: Baeck/Deutsch 3. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 33 ff.; Schliemann 2. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 16 ff., jeweils mwN). Zwar kann für diese Sonderformen der Arbeit eine gesonderte Vergütungsregelung getroffen und ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit vorgesehen werden (BAG 20. April 2011 - 5 AZR 200/10 - Rn. 32, BAGE 137, 366). Von dieser Möglichkeit hat aber der Verordnungsgeber im Bereich der Pflege weder in § 2 noch in den übrigen Bestimmungen der PflegeArbbV Gebrauch gemacht. Deshalb ist es unerheblich, ob arbeitsvertraglich für den Bereitschaftsdienst eine geringere Vergütung vereinbart werden sollte. In einer solchen Auslegung wäre der - sprachlich gänzlich missglückte - § 3 Nr. 4 Arbeitsvertrag wegen Verstoßes gegen § 2 PflegeArbbV unwirksam, § 134 BGB.
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5. Danach schuldet die Beklagte jedenfalls für die vom Landesarbeitsgericht angesetzten 22 Stunden pro Arbeitstag das Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV. Denn die Klägerin musste sich, so sie keine Vollarbeit leistete, auch nach dem Vorbringen der Beklagten rund um die Uhr bei oder jedenfalls in der Nähe der zu pflegenden Schwestern aufhalten, um bei Bedarf tätig werden zu können. Sie durfte die in § 1 Arbeitsvertrag bezeichnete Pflegestelle nicht verlassen. Ob die Klägerin in der Zeit von 11:45 bis 12:45 Uhr und 17:50 bis 18:50 Uhr tatsächlich Pausen im Rechtssinne hatte, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Die diesbezügliche Wertung des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin nicht angegriffen.
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Soweit die Beklagte die Zeit von 21:00 bis 06:30 Uhr als Rufbereitschaft bewertet wissen will, verkennt sie, dass eine solche nicht schon dann vorliegt, wenn die Arbeit nur „auf Zuruf“ (hier: der Pflegebedürftigen) aufgenommen werden muss. Rufbereitschaft setzt - in Abgrenzung zum Bereitschaftsdienst - vielmehr voraus, dass der Arbeitnehmer nicht gezwungen ist, sich am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, sondern - unter freier Wahl des Aufenthaltsorts - lediglich jederzeit erreichbar sein muss, um auf Abruf des Arbeitgebers die Arbeit alsbald aufnehmen zu können (EuGH 3. Oktober 2000 - C-303/98 - [Simap] Rn. 50, Slg. 2000, I-07963; BAG 11. Juli 2006 - 9 AZR 519/05 - Rn. 41, BAGE 119, 41; Baeck/Deutsch 3. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 48 ff.; ErfK/Wank 15. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 30; Schliemann 2. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 28 ff., jeweils mwN). Dass die Klägerin berechtigt gewesen wäre, des Nachts die in § 1 Arbeitsvertrag genannte Pflegestelle zu verlassen und eigenen Interessen nachzugehen, hat die Beklagte nicht behauptet. Ob die Klägerin, wie die Beklagte vorbringt, nachts (durch-)schlafen konnte, ist für die Einordnung als Bereitschaftsdienst ohne Belang.
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Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe die Zeit von 13:00 bis 15:00 Uhr („Mittagsruhe“ der zu pflegenden Schwestern) unter Übergehen von - in der Revisionsbegründung nicht näher konkretisierten - Beweisangeboten zu Unrecht nicht als Pause bewertet, greift nicht durch. Nach § 4 ArbZG sind - nicht zur Arbeitszeit zählende und nicht nach § 611 Abs. 1 BGB zu vergütende - Pausen im Voraus feststehende Unterbrechungen der Arbeit, in denen der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten hat und frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann(BAG 23. September 1992 - 4 AZR 562/91 - zu I 2 der Gründe; 16. Dezember 2009 - 5 AZR 157/09 - Rn. 10; Baeck/Deutsch 3. Aufl. § 4 ArbZG Rn. 9; ErfK/Wank 15. Aufl. § 4 ArbZG Rn. 1; Schliemann 2. Aufl. § 4 ArbZG Rn. 6, jeweils mwN). Unstreitig musste die Klägerin aber auch während der „Mittagsruhe“ an der Pflegestelle anwesend sein, um bei Bedarf jederzeit die Arbeit aufnehmen zu können.
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6. Die Anzahl der im Streitzeitraum geleisteten Dienste ist unstreitig. Auch im Übrigen hat die Revision die vom Landesarbeitsgericht festgestellte Höhe der Differenzvergütung in rechnerischer Hinsicht nicht angegriffen.
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III. Zinsen auf die Differenzvergütung stehen der Klägerin jeweils ab dem 16. des Folgemonats zu, § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 BGB iVm. § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV.
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IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Müller-Glöge
Laux
Biebl
Rainer Rehwald
Dirk Pollert
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.
(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Oktober 2022 brutto 12 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.
(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet.
Tenor
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1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 8. Mai 2013 - 6 Sa 1274/12 - aufgehoben.
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2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Vergütung in der durch die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) vom 15. Juli 2010 (BAnz. 2010 Nr. 110 S. 2571) bestimmten Höhe.
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Die Beklagte betreibt einen privaten Pflegedienst mit häuslicher Kranken-, Alten- und Familienpflege. Sie bietet auch eine Rund-um-die-Uhr-Pflege an, bei der eine Pflegekraft bei den „Pflegeklienten“ wohnt und ihnen täglich bis zu 24 Stunden zur Pflege und Betreuung zur Verfügung steht.
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Die 1952 geborene Klägerin war bei der Beklagten vom 26. August 2009 bis zum 31. Oktober 2011 als Pflegehelferin in der häuslichen Pflege beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 21./26. August 2009 (im Folgenden Arbeitsvertrag 2009) war zunächst eine Jahresarbeitszeit vereinbart (§ 2 Nr. 3). Dafür erhielt die Klägerin ein Monatsentgelt von 1.300,00 Euro brutto. Ferner waren die Zahlung einer Prämie iHv. 300,00 Euro brutto nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens einem Jahr sowie Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit vorgesehen (§ 5 Nr. 3 und Nr. 6 Arbeitsvertrag 2009). In einer Änderungsvereinbarung vom 9. Dezember 2010 (im Folgenden Änderungsvertrag 2010) vereinbarten die Parteien eine durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit von 182 Stunden monatlich. Dafür erhielt die Klägerin ein - verstetigtes - Bruttomonatsgehalt von 1.547,00 Euro. Für den Einsatz in der „Rund-um-Pflege vor Ort“ bestimmt § 4 Nr. 1 Änderungsvertrag 2010 in Verbindung mit der Anlage 2 ua.:
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„Regeln für das Arbeitszeitkonto:
1.
Das für den Arbeitnehmer bei H quartalsweise (= für jedes Kalendervierteljahr) geführte Arbeitszeitkonto wird in dieser Zeit mit der geleisteten Arbeit entlastet. Die für das Arbeitsverhältnis maßgebliche regelmäßige monatliche Arbeitszeit beträgt - ausschließlich der Pausen - 182 Stunden. Die je Quartal zu leistende Arbeitszeit beträgt also 546 Arbeitsstunden.
2.
Sofern dem Arbeitnehmer bei einem Pflegebedürftigen eine „Rund-um-Pflege“ vor Ort obliegt, wird diese Tätigkeit auf dem Arbeitszeitkonto je Arbeitstag mit acht Stunden zzgl. einer „Pauschale Ruf-/ Bereitschaft“ mit einem zusätzlichen Betrag von 3,25 Stunden entlastet. Mit dieser Entlastung um weitere 3,25 Stunden je Arbeitstag werden Arbeitsbereitschaftsdienst, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft - einschließlich ggf. dabei geleisteter Arbeit - abgegolten.
3.
Außerdem erhält der Arbeitnehmer bei einer „Rund-um-Pflege“ vor Ort einen (Nacht-)Zuschlag in Höhe von pauschal Euro 6,40 (brutto). Mit diesem weiteren zusätzlichen Entgelt werden geleisteter Arbeitsbereitschaftsdienst, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft - einschließlich ggf. dabei geleisteter Arbeit - vergütet.“
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In dieser „Rund-um-Pflege vor Ort“ war die Klägerin vom 1. August 2010 bis zum 31. Oktober 2011 an insgesamt 232 Tagen (einschließlich Zeiten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) eingesetzt. Bei den in diesem Zeitraum zuhause zu Pflegenden überwog jeweils die für die Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI erforderliche Zeit diejenige, die für die hauswirtschaftliche Versorgung in den Bereichen des § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI erforderlich war.
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Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin mit der am 19. Dezember 2011 eingereichten und der Beklagten am 27. Dezember 2011 zugestellten Klage für die Zeit vom 1. August 2010 bis zum 31. Oktober 2011 unter Berufung auf § 2 Abs. 1 PflegeArbbV Differenzvergütung unter Einschluss von Zeiten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für 24 Stunden pro Einsatztag in der Rund-um-die-Uhr-Pflege verlangt. Darauf lässt sie sich die erhaltene monatliche Grundvergütung von 1.300,00 Euro brutto bzw. 1.547,00 Euro brutto anrechnen, nicht jedoch sonstige in den Gehaltsabrechnungen unter „Überstundenpauschale“, „Überstundengrundvergütung“, „Nachtbereitschaft“, „Sonntagszuschlag“, „Feiertagszuschlag“ und „Fahrten Wohnung/Arbeit“ ausgewiesene Zahlungen. Die Klägerin hat geltend gemacht, der persönliche Anwendungsbereich der PflegeArbbV sei bereits dann eröffnet, wenn die pflegerischen Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI die Pflege in den Bereichen der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI überwiegen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 25.757,23 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. Dezember 2011 zu zahlen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der persönliche Anwendungsbereich der PflegeArbbV sei nicht eröffnet, weil die pflegerischen Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI die Gesamttätigkeiten der Klägerin bei der Rund-um-die-Uhr-Pflege und -Betreuung nicht überwögen.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat Anspruch auf weitere Vergütung für die Zeit vom 1. August 2010 bis zum 31. Oktober 2011 auf der Grundlage der PflegeArbbV. Der persönliche Geltungsbereich der PflegeArbbV ist eröffnet. In welcher Höhe der Klägerin Differenzvergütung für die streitgegenständlichen Einsätze in der Rund-um-die-Uhr-Pflege zusteht, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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I. Die Beklagte betreibt unstreitig einen Pflegebetrieb iSv. § 1 Abs. 2 PflegeArbbV. In einem solchen fand die PflegeArbbV im Zeitraum 1. August 2010 bis 31. Dezember 2014 Anwendung auf alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI erbringen, § 1 Abs. 3 Satz 1 PflegeArbbV.
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1. Der Wortlaut dieser Norm erfordert, dass pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI mehr als die Hälfte der Arbeitszeit des Beschäftigten in einem Pflegebetrieb ausfüllen („überwiegend … erbringen“). Nicht unter die PflegeArbbV fallen damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zwar in einem Pflegebetrieb arbeiten, aber - wie etwa Beschäftigte in der Verwaltung oder Reinigungskräfte - überhaupt keine pflegerischen Tätigkeiten verrichten, oder Beschäftigte, die zwar pflegerische Tätigkeiten ausüben, aber nicht überwiegend in den in § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI aufgeführten Bereichen der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität. Damit nimmt die PflegeArbbV diejenigen Pflegekräfte aus ihrem Anwendungsbereich aus, die überwiegend pflegerische Tätigkeiten in den Bereichen der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI (Einkaufen, Kochen, Reinigung der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen) verrichten(vgl. BT-Drs. 17/2844 S. 8).
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2. Bei der ambulanten Rund-um-die-Uhr-Pflege übt die Pflegekraft typischerweise - bezogen auf die Vollarbeit - nicht arbeitszeitlich überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI aus, sondern - sofern nicht auch pflegerische Tätigkeiten in den Bereichen der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI anfallen - betreut und beobachtet den Pflegebedürftigen, verbunden mit der Bereitschaft, bei Bedarf weitere Pflegeleistungen zu erbringen. Folgte man der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, es müsse arbeitszeitlich überwiegend Vollarbeit in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI geleistet werden, liefe die PflegeArbbV im Bereich der Rund-um-die-Uhr-Pflege weitgehend leer. Denn es wird kaum vorkommen, dass in der ambulanten Pflege mehr als zwölf Stunden Vollarbeit mit der Grundpflege eines Pflegebedürftigen anfallen. Anhaltspunkte dafür, die ambulante Rund-um-die-Uhr-Pflege habe generell aus dem Anwendungsbereich der PflegeArbbV ausgenommen werden sollen, bestehen jedoch nicht. Vielmehr trifft das Ziel des Verordnungsgebers, mit der PflegeArbbV einen „Baustein (…) zur Aufwertung der Pflege insgesamt“ zu schaffen und „der Gefahr einer abwärts gerichteten Lohnentwicklung und damit einem Wettbewerb zu Lasten der Qualität der Pflege und damit der Pflegebedürftigen zu begegnen“ (BT-Drs. 17/2844 S. 2) für diese „erweiterte“ ambulante Pflege in demselben Maße zu wie für die herkömmliche Form, bei der der Pflegebedürftige ausschließlich zum Zwecke tatsächlicher Pflegeverrichtungen für eine bestimmte Zeitspanne zuhause aufgesucht wird.
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3. Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen(BAG 19. November 2014 - 5 AZR 1101/12 - Rn. 15 ff.). Deshalb gebietet es der systematische Zusammenhang, das Merkmal des überwiegenden Erbringens pflegerischer Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI nicht auf die Vollarbeit in diesem Bereich zu verengen, sondern auch Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu berücksichtigen. Denn diese Sonderformen der Arbeit, bei denen sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (innerhalb oder außerhalb des Betriebs) bereithalten muss, um im Bedarfsfalle die Arbeit von sich aus (Arbeitsbereitschaft) oder „auf Anforderung“ (Bereitschaftsdienst) aufzunehmen, sind sowohl arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1a ArbZG, als auch vergütungspflichtige Arbeit iSv. § 611 Abs. 1 BGB(BAG 19. November 2014 - 5 AZR 1101/12 - Rn. 16 mwN).
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4. Danach ist bei der ambulanten Pflege Rund-um-die-Uhr der persönliche Anwendungsbereich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 PflegeArbbV eröffnet, wenn die Vollarbeit in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI die pflegerische Tätigkeit in den Bereichen des § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI überwiegt und sich die Pflegekraft im Übrigen beim Pflegebedürftigen bereithalten muss, bei Bedarf weitere Pflegeleistungen in der Grundpflege zu erbringen(zur Rechtslage ab dem 1. Januar 2015 vgl. § 1 Abs. 2 bis Abs. 6 der Zweiten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche - 2. PflegeArbbV - vom 27. November 2014).
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5. Diese Voraussetzung lag bei den streitgegenständlichen Einsätzen vor. Bei den von der Klägerin in der Rund-um-die-Uhr-Pflege betreuten Pflegebedürftigen hat unstreitig jeweils die Vollarbeit in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI diejenige in den Bereichen der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI zeitlich überwogen. Selbst wenn die Klägerin außerhalb der Pflege iSv. § 14 Abs. 4 SGB XI „nur“ betreuend und beaufsichtigend tätig gewesen sein sollte, stellt die Beklagte nicht in Abrede, dass sich die Klägerin bei den „Pflegeklientinnen“ auf- und bereithalten musste, um bei Bedarf von sich aus erforderliche weitere Pflegeleistungen in der Grundpflege zu erbringen. Damit erbrachte sie Arbeitsbereitschaft in dem von § 1 Abs. 3 Satz 1 PflegeArbbV genannten Bereich.
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II. Über die Höhe der Differenzvergütung nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei wird im erneuten Berufungsverfahren Folgendes zu beachten sein:
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1. Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist „je Stunde“ festgelegt. Damit knüpft die Norm an die „vergütungspflichtige Arbeitszeit“ an. Es ist deshalb für alle Stunden, während derer der Arbeitnehmer innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit die gemäß § 611 Abs. 1 BGB geschuldete Arbeit erbringt, zu zahlen. Ist der Anwendungsbereich der PflegeArbbV eröffnet, muss das Mindestentgelt auch für die nicht grundpflegerischen Zusammenhangstätigkeiten und für alle Formen von Arbeit - also auch Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst - gezahlt werden. Entgegenstehende vertragliche Abreden sind unwirksam (BAG 19. November 2014 - 5 AZR 1101/12 - Rn. 14 ff.).
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Ob die Klägerin für tatsächlich geleistete Arbeit - nachdem sie unstreitig nicht 24 Stunden pro Arbeitstag Vollarbeit erbrachte - in dem von ihr begehrten Umfang das Mindestentgelt beanspruchen kann, hängt davon ab, ob sie arbeitstäglich 24 Stunden neben der Vollarbeit zu Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst eingesetzt war. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt, ob die Klägerin nach den Vorgaben der Beklagten verpflichtet war, sich durchgehend und ausnahmslos an der Pflegestelle bereitzuhalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen. Ferner wird das Landesarbeitsgericht - ggf. nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien - festzustellen haben, ob der Klägerin Gelegenheit gegeben wurde, Pausen im Rechtssinne (zum Begriff BAG 25. Februar 2015 - 5 AZR 886/12 - Rn. 21 mwN) zu nehmen, es also Phasen gab, in denen sie sich nicht zur Arbeit bereithalten musste und in freier Nutzung des Zeitraums eigenen Interessen nachgehen konnte.
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2. In der Klageforderung enthalten sind nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch Zeiten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Diese erfasst § 2 PflegeArbbV nicht. Gegenstand einer auf einen Kommissionsvorschlag (§ 12 AEntG) erlassenen Rechtsverordnung (§ 11 AEntG) wie der PflegeArbbV können nach § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG nur Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze, und damit Regelungen über die Vergütung für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden sein(vgl. - zum TV Mindestlohn für pädagogisches Personal - BAG 13. Mai 2015 - 10 AZR 495/14 - Rn. 26 mwN). Zudem fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass die PflegeArbbV Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall schaffen sollte.
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Ein Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung in Höhe des Mindestentgelts nach § 2 PflegeArbbV kann sich aber aus § 3 Abs. 1 iVm. § 4 Abs. 1 EFZG und dem diesen Bestimmungen zugrunde liegenden Entgeltausfallprinzip ergeben. Denn dieses verlangt, das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV als Geldfaktor in die Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs einzustellen(vgl. BAG 13. Mai 2015 - 10 AZR 495/14 - Rn. 29).
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3. Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erhielt die Klägerin neben der Grundvergütung weitere Leistungen. Ob und in welchem Umfang mit diesen der Mindestentgeltanspruch der Klägerin erfüllt worden ist, richtet sich danach, ob die vom Arbeitgeber erbrachten (Zusatz-)Leistungen die Normzwecke der PflegeArbbV, nämlich der Gefahr einer abwärts gerichteten Lohnentwicklung und damit einem Wettbewerb zu Lasten der Qualität der Pflege und der Pflegebedürftigen zu begegnen sowie die Pflege insgesamt aufzuwerten (vgl. BT-Drs. 17/2844 S. 2), sichert (zur Anrechnung von Leistungen bei einem Mindestlohntarifvertrag vgl. BAG 16. April 2014 - 4 AZR 802/11 - Rn. 37 ff., BAGE 148, 68).
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a) Der Mindestentgeltspruch der Klägerin ist durch Nachtarbeitszuschläge nicht erfüllt worden.
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§ 6 Abs. 5 ArbZG gewährt Nachtarbeitnehmern(§ 2 Abs. 5 ArbZG), die während der Nachtzeit (§ 2 Abs. 3 ArbZG) Nachtarbeit (§ 2 Abs. 4 ArbZG) leisten, einen Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen. Dieser gesetzlichen Verpflichtung ist die Beklagte durch die Zahlung eines Zuschlags als von ihr gewählter Schuldnerleistung (vgl. BAG 5. September 2002 - 9 AZR 202/01 - zu A II 1 der Gründe, BAGE 102, 309) nachgekommen. Der PflegeArbbV kann nicht entnommen werden, dass mit dem Mindestentgelt von - im Streitzeitraum - 8,50 Euro je Stunde zugleich ein Ausgleich iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG für geleistete Nachtarbeit geregelt ist(ähnlich zum Mindestlohntarifvertrag für die Branche Abfallwirtschaft BAG 16. April 2014 - 4 AZR 802/11 - Rn. 50 ff., BAGE 148, 68). Auch bestimmt die PflegeArbbV nicht die Anrechnung des Ausgleichs nach § 6 Abs. 5 ArbZG auf das Mindestentgelt.
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b) Soweit die Beklagte Zuschläge für Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit leistete, sind diese auf das Mindestentgelt anzurechnen. Derartige Zuschläge sind Arbeitsentgelt und erfüllen die Zwecke der PflegeArbbV. Deren § 2 legt das Mindestentgelt unabhängig von der Anzahl der zu leistenden Stunden und unabhängig von den Tagen, an denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist, fest. Die Norm nimmt damit keine Rücksicht darauf, ob übermäßig lange Arbeit oder Arbeit an Sonn- und Feiertagen für die Beschäftigten mit besonderen Erschwernissen verbunden ist. Einen gesonderten Zuschlag für Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit sieht die PflegeArbbV ebenso wenig wie das ArbZG vor.
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c) Arbeitgeberbeiträge zu vermögenswirksamen Leistungen iSd. Fünften VermBG können nicht auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV angerechnet werden. Wegen der erheblichen Bindungsdauer der angelegten Gelder fehlt es an aktuellen Vorteilen für die Beschäftigten. Vermögenswirksame Leistungen dienen der langfristigen Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand und sind keine unmittelbare Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeit (vgl. BAG 19. August 2015 - 5 AZR 500/14 - Rn. 39 mwN). Sie sind damit nicht geeignet, die Zwecke der PflegeArbbV zu erfüllen.
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d) Sollte die Beklagte im Streitzeitraum die in § 5 Nr. 3 Arbeitsvertrag 2009 vorgesehene Prämie von 300,00 Euro brutto gezahlt haben, findet eine Anrechnung auf den Mindestentgeltanspruch im Monat der Leistung der Prämie statt, ggf. - bei einem „Überschuss“ - auch im Folgemonat, in dem das Mindestentgelt fällig wird (§ 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV). Denn die Prämie ist nach dem Arbeitsvertrag der Parteien Teil der Vergütung für die zu leistende Arbeit und erfüllt die Zwecke der PflegeArbbV, welche ihrerseits die Anrechnung von Prämien auf das Mindestentgelt nicht ausschließt.
- 27
-
e) Die Erstattung von Fahrtkosten erfüllt nicht den Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV, wenn es sich dabei um echten Aufwendungsersatz handelt. Ein solcher ist keine Gegenleistung für die Arbeitsleistung. Zur Abgrenzung zum „verschleierten Arbeitsentgelt“ kann das Einkommensteuerrecht herangezogen werden. Aufwendungsersatz, der dem Arbeitnehmer steuerrechtlich nur brutto zufließen kann, ist zumindest indiziell „unecht“ (vgl. zur entsprechenden Problematik bei § 10 Abs. 4 AÜG: BAG 13. März 2013 - 5 AZR 294/12 - Rn. 34 ff.; 19. Februar 2014 - 5 AZR 700/12 - Rn. 57).
- 28
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4. Der Anspruch der Klägerin auf Differenzvergütung ist nicht verfallen.
- 29
-
Nach § 4 PflegeArbbV verfallen die Ansprüche auf das Mindestentgelt, wenn sie nicht innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Fällig wird das Mindestentgelt zum 15. des Monats, der auf den Monat folgt, für den das Mindestentgelt zu zahlen ist, § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV.
- 30
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Somit hat die Klägerin das Mindestentgelt für die Monate August 2010 bis August 2011 mit Schreiben vom 31. August 2011 und für die Monate September und Oktober 2011 mit der der Beklagten am 27. Dezember 2011 zugestellten Klage rechtzeitig geltend gemacht.
- 31
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5. Bei der Zinsentscheidung wird das Landesarbeitsgericht zu beachten haben, dass - anders als vom Arbeitsgericht tituliert - der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Prozesszinsen (§ 291 BGB) erst ab dem Tag nach Zustellung besteht (BAG 13. Mai 2015 - 10 AZR 495/14 - Rn. 36 mwN).
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Müller-Glöge
Biebl
Volk
Reinders
Ilgenfritz-Donné
Tenor
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1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 4. Juni 2014 - 16 Sa 20/14 - wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass ein Zinsanspruch der Klägerin in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 720,70 Euro brutto erst seit dem 6. September 2013 besteht.
-
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
- 1
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Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen.
- 2
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Die Klägerin war vom 1. Februar 2008 bis zum 31. März 2013 bei der Beklagten als pädagogische Mitarbeiterin mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 33,5 Stunden beschäftigt. Das vertraglich vereinbarte Bruttomonatsgehalt betrug 1.546,15 Euro. Auf das Arbeitsverhältnis fanden weder kraft beiderseitiger Tarifbindung noch aufgrund vertraglicher Bezugnahme Tarifverträge Anwendung.
- 3
-
Die Beklagte beschäftigt ca. 50 Mitarbeiter und erbringt in ihrem Betrieb in H im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch. Nach einem mit der Bundesagentur für Arbeit geschlossenen „Vertrag über die Durchführung von Maßnahmen nach § 102 Abs. 1 Nr. 1a Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III) in vergleichbaren Einrichtungen nach § 35 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX)“ vom 6./8. Juli 2011 erfüllt sie die Kriterien als vergleichbare Einrichtung der beruflichen Rehabilitation iSv. § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Jedenfalls bis März 2014 führte sie eine Maßnahme zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben nach § 117 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB III(bis 31. März 2012: § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB III) in ihren barrierefreien Räumlichkeiten in der M in H unter Einsatz von 2 bis 3 Mitarbeitern durch. Sonstige Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten und Dritten Sozialgesetzbuch wurden von den übrigen Mitarbeitern im etwa 500 m entfernten Hauptgebäude der Beklagten erbracht.
- 4
-
Mit der am 1. August 2012 in Kraft getretenen „Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch“ vom 17. Juli 2012 (MindestlohnVO) erklärte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gemäß § 7 AEntG in der im Zeitraum vom 20. April 2009 bis zum 15. August 2014 geltenden Fassung die Rechtsnormen des Tarifvertrags zur Regelung des Mindestlohns für pädagogisches Personal vom 15. November 2011 für allgemein anwendbar. In der MindestlohnVO heißt es auszugsweise:
-
„§ 1
Zwingende Arbeitsbedingungen
Die in der Anlage zu dieser Verordnung aufgeführten Rechtsnormen des Tarifvertrags zur Regelung des Mindestlohns für pädagogisches Personal vom 15. November 2011 (…) finden auf alle unter seinen Geltungsbereich fallenden und nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Anwendung, wenn der Betrieb oder die selbständige Betriebsabteilung überwiegend Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch durchführt; ausgenommen sind Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation im Sinne des § 35 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch. Die Rechtsnormen des Tarifvertrags gelten auch für Arbeitsverhältnisse zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im Geltungsbereich der Verordnung beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen.“
- 5
-
Der TV Mindestlohn enthält ua. folgende Regelungen:
-
„§ 1
Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt
…
2.
sachlich für Betriebe oder selbständige Betriebsabteilungen von Trägern der beruflichen Bildung, soweit diese Betriebe oder selbständigen Betriebsabteilungen überwiegend Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch des Sozialgesetzbuches erbringen. Ausgenommen sind die Träger der beruflichen Rehabilitation behinderter Menschen;
…
§ 2
Regelungsgegenstände
1.
Dieser Tarifvertrag regelt ausschließlich die Mindeststundenvergütung und den jährlichen Urlaubsanspruch. Für andere Regelungsgegenstände ist die Vereinbarung eines tariflichen Anspruchs aus diesem Tarifvertrag ausdrücklich nicht gewollt.
2.
Für die Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer günstigere Regelungen bleiben unberührt.
§ 3
Entgelt
1.
Die Mindeststundenvergütung (brutto) beträgt - abhängig vom Einsatzort - mindestens
12,60 €
(Berlin, Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Baden-Württemberg, Bayern)
11,25 €
(Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen).
…
§ 4
Urlaub
Die Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer haben unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes Anspruch auf Jahresurlaub; Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr. Unter Zugrundelegung einer 5-Tage-Woche beträgt der Urlaubsanspruch 26 Arbeitstage; der volle Urlaubsanspruch entsteht erstmalig nach einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis von sechs Monaten.“
- 6
-
Die Beklagte nahm eine Nachberechnung des Entgelts der Klägerin für die Monate August 2012 bis März 2013 auf Basis der Mindeststundenvergütung von 12,60 Euro brutto vor und erbrachte Nachzahlungen für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden und Urlaubsstunden in Höhe von insgesamt 993,25 Euro brutto. Aufgrund von Arbeitsunfähigkeit oder von Feiertagen ausgefallene Arbeitszeit berücksichtigte sie dabei nicht.
- 7
-
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, gemäß §§ 2, 3 EFZG stehe ihr die Mindeststundenvergütung nach § 3 TV Mindestlohn auch für Arbeitsstunden zu, die wegen Krankheit oder aufgrund von Feiertagen ausgefallen sind. Der TV Mindestlohn finde auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung, da die Beklagte in ihrem Betrieb in H überwiegend Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch erbringe. Die Durchführung von beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen für behinderte Menschen sei im Betrieb der Beklagten von weit untergeordneter Bedeutung. Ausgehend von einer Gesamtzahl von 1.174,94 Arbeits- oder Urlaubsstunden oder wegen Arbeitsunfähigkeit oder Feiertagen ausgefallener Stunden ergebe sich für den Zeitraum 1. August 2012 bis 31. März 2013 unter Anrechnung erhaltener Zahlungen ein Differenzanspruch in Höhe von 1.129,94 Euro brutto.
- 8
-
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.129,94 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. September 2013 zu zahlen.
- 9
-
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der TV Mindestlohn finde keine Anwendung, da es sich bei dem Betrieb in H um eine Einrichtung iSv. § 35 Abs. 1 SGB IX handele. Im Übrigen sei die Mindeststundenvergütung nach § 3 TV Mindestlohn nur für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden zu zahlen, nicht aber im Krankheitsfall oder an Feiertagen.
- 10
-
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich der wegen Arbeitsunfähigkeit oder aufgrund von Feiertagen ausgefallenen Arbeitsstunden in Höhe von 720,70 Euro brutto stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin eine vollständige Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
- 11
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Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat Anspruch auf eine weitere Entgeltzahlung für die infolge Arbeitsunfähigkeit oder aufgrund von Feiertagen ausgefallenen Arbeitsstunden in der vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen Höhe.
- 12
-
I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, verlangt sie im Weg der abschließenden Gesamtklage (vgl. zu den Anforderungen BAG 19. März 2014 - 7 AZR 480/12 - Rn. 11 f.) Differenzvergütungsansprüche für den Zeitraum 1. August 2012 bis 31. März 2013. Über den Umfang der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und die Höhe der hieraus für diesen Zeitraum resultierenden Vergütungsansprüche hat das Landesarbeitsgericht bereits rechtskräftig entschieden. Die Anzahl der im Streitzeitraum angefallenen vergütungspflichtigen Krankheits- und Feiertagsstunden ist ebenso wie die Höhe und Berechnung des monatlich gezahlten und anrechenbaren Entgelts festgestellt und steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Die Entscheidung des Senats hängt damit allein von der Frage ab, ob diese wegen Arbeitsunfähigkeit oder Feiertagen ausgefallenen Arbeitsstunden in Höhe der Mindeststundenvergütung nach § 3 TV Mindestlohn zu vergüten sind oder ob die Beklagte nur die geringere vertraglich vereinbarte Vergütung zu zahlen hat. Mit der Entscheidung des Senats ist abschließend geklärt, welche Vergütung die Klägerin für den Zeitraum 1. August 2012 bis 31. März 2013 noch zu beanspruchen hat.
- 13
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II. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gemäß § 2 Abs. 1 sowie § 3 Abs. 1 iVm. § 4 Abs. 1 EFZG auch für die wegen eines Feiertags und Arbeitsunfähigkeit ausgefallenen Arbeitsstunden Anspruch auf eine Vergütung in Höhe der in § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn bestimmten Mindeststundenvergütung.
- 14
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1. Es besteht kein Anlass, den Rechtsstreit nach § 98 Abs. 6 ArbGG in der seit dem 16. August 2014 geltenden Fassung auszusetzen (vgl. zu den Voraussetzungen: BAG 7. Januar 2015 - 10 AZB 109/14 -; 10. September 2014 - 10 AZR 959/13 - Rn. 17 ff.). Vorliegend kommt es zwar entscheidungserheblich auf die Wirksamkeit der nach § 7 AEntG aF ergangenen MindestlohnVO an, da sich ein Anspruch auf die Mindeststundenvergütung nach § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn mangels Tarifbindung der Parteien und fehlender arbeitsvertraglicher Grundlage nur aus § 1 MindestlohnVO ergeben kann und der Klageantrag unter diesen Voraussetzungen begründet ist(vgl. unten II. 3.). Doch haben weder die Parteien Sachvortrag gehalten, der ernsthafte Zweifel (vgl. zu diesem Maßstab BAG 7. Januar 2015 - 10 AZB 109/14 - Rn. 17 ff. mwN) an der Wirksamkeit der MindestlohnVO wecken könnte, noch sind dem Senat von Amts wegen solche Zweifel bekannt.
- 15
-
2. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin für die aufgrund von Arbeitsunfähigkeit oder wegen Feiertagen ausgefallenen Arbeitsstunden ergibt sich nicht unmittelbar aus § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn iVm. § 1 MindestlohnVO, § 8 Abs. 1 AEntG aF.
- 16
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a) Entgegen der Auffassung der Revision unterfielen die Parteien allerdings dem Geltungsbereich der MindestlohnVO und des TV Mindestlohn.
- 17
-
aa) Gemäß § 1 Nr. 2 TV Mindestlohn gilt dieser Tarifvertrag sachlich für Betriebe oder selbständige Betriebsabteilungen von Trägern beruflicher Bildung, soweit diese Betriebe oder selbständigen Betriebsabteilungen überwiegend Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem SGB II oder dem SGB III erbringen. Ausgenommen sind Träger der beruflichen Rehabilitation. § 1 MindestlohnVO knüpft hieran an und nimmt - orientiert am Wortlaut von § 6 Abs. 9 Satz 2 AEntG aF - Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation iSd. § 35 Abs. 1 SGB IX von der Anwendungserstreckung aus.
- 18
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bb) Die Beklagte erbringt als Träger beruflicher Bildung in ihrem Betrieb in H überwiegend Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem SGB II und SGB III. Dies ist vom Landesarbeitsgericht festgestellt und steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Betrieb nicht als Einrichtung der beruflichen Rehabilitation iSv. § 35 Abs. 1 SGB IX von der Erstreckung des TV Mindestlohn ausgenommen. Zwar handelt es sich um eine vergleichbare Einrichtung iSd. § 35 Abs. 1 SGB IX. Die bloße Anerkennung als solche Einrichtung genügt jedoch nicht. Entscheidend ist vielmehr, ob dort überwiegend Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation für Menschen mit Behinderung durchgeführt werden. Dies ergibt eine Auslegung der Vorschrift (vgl. zu den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zB BAG 11. Juni 2013 - 1 ABR 32/12 - Rn. 31, BAGE 145, 211).
- 19
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(1) Nach dem Wortlaut von § 1 Satz 1 Halbs. 1 MindestlohnVO, § 1 Nr. 2 Satz 1 TV Mindestlohn kommt es für die Eröffnung des Geltungsbereichs des Tarifvertrags und der Verordnung zunächst darauf an, ob überwiegend Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen im Tarifsinn durchgeführt werden. Die Normen knüpfen mit dieser Formulierung an das nach der Rechtsprechung zur Branchenzuordnung von Mischbetrieben maßgebliche Überwiegensprinzip an (vgl. zuletzt zB BAG 10. September 2014 - 10 AZR 959/13 - Rn. 37). § 1 Satz 1 Halbs. 2 MindestlohnVO stellt hingegen nach seinem Wortlaut zunächst allein darauf ab, ob es sich um eine Einrichtung iSd. § 35 Abs. 1 SGB IX handelt. Gleiches gilt für § 1 Nr. 2 Satz 2 TV Mindestlohn, wonach „Träger“ der beruflichen Rehabilitation vom sachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags ausgenommen sind. Dies könnte für die Auffassung der Revision sprechen, dass die Anerkennung als entsprechende Einrichtung alleinige Tatbestandsvoraussetzung für die Ausnahme vom Anwendungsbereich bzw. der Erstreckung ist. Einer solchen Annahme stehen aber der Gesamtzusammenhang der Regelung und ihr Sinn und Zweck entgegen.
- 20
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(2) § 1 Satz 1 Halbs. 2 MindestlohnVO steht in unmittelbarem grammatikalischen Zusammenhang zum vorangestellten Halbsatz 1 und kann deshalb nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr legt diese enge Verknüpfung das Verständnis nahe, dass der zweite Halbsatz das Überwiegensprinzip voraussetzt. Bestätigt wird dies durch die systematische Anknüpfung des § 1 MindestlohnVO an § 6 AEntG in der im Streitzeitraum maßgeblichen Fassung. § 1 MindestlohnVO wiederholt wörtlich die Regelung des § 6 Abs. 9 AEntG aF. § 6 AEntG aF stellt für alle im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung in den Absätzen 2 bis 9 erfassten Branchen auf das Überwiegensprinzip ab. Mit der generellen Anwendung des Überwiegensprinzips auf Arbeitgeber mit Sitz im In- und Ausland wird dabei auch unionsrechtlichen Bedenken gegen die frühere Fassung von § 1 Abs. 4 AEntG Rechnung getragen(vgl. EuGH 25. Oktober 2001 - C-49/98 ua. - Rn. 82 f., Slg. 2001, I-7831). Dass vor diesem Hintergrund für die Herausnahme der Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation etwas anderes gelten sollte, lässt sich deshalb alleine aus dem Wortlaut nicht herleiten.
- 21
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(3) Sinn und Zweck des § 1 Satz 1 MindestlohnVO und die Systematik der Verordnung und des TV Mindestlohn gebieten ein am Überwiegensprinzip orientiertes Verständnis. Durch das Überwiegensprinzip soll sichergestellt werden, dass auch branchenfremde Nebentätigkeiten und Mischbetriebe den Mindestlohnregelungen der §§ 3 - 9 AEntG aF unterliegen, wenn die von § 4 AEntG aF erfassten branchenbezogenen Dienstleistungen im jeweiligen Betrieb überwiegen. Die Arbeitnehmer eines Betriebs sollen dann in den Genuss der Mindestlohnregelungen kommen und deren Schutz unterfallen, wenn im Betrieb arbeitszeitlich überwiegend solche Arbeiten erbracht werden, bei denen das öffentliche Interesse eine Erstreckung der Rechtsnormen eines Tarifvertrags iSv. § 7 Abs. 1 AEntG aF gebietet. Mit dieser Zielsetzung wäre es nicht in Einklang zu bringen, wenn alleine die Anerkennung eines Betriebs als Einrichtung iSd. § 35 Abs. 1 SGB IX die Anwendung der Mindestlohnregelungen zu sperren vermag, obwohl arbeitszeitlich überwiegend durch die Arbeitnehmer allgemeine Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem SGB II und dem SGB III erbracht werden. Eine am Zweck der Regelung orientierte Begründung für eine Ausnahme von diesem Prinzip ist weder dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz noch der MindestlohnVO zu entnehmen. Auch die Beklagte hat nicht begründen können, warum die Beschäftigten nicht dem Schutz der Verordnung unterfallen sollen, wenn im Betrieb nur in untergeordnetem Umfang Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation durchgeführt werden.
- 22
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(4) Damit fallen Betriebe oder selbständige Betriebsabteilungen, in denen überwiegend Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem SGB II und dem SGB III erbracht werden, zunächst nach § 1 Satz 1 Halbs. 1 MindestlohnVO grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Verordnung. Werden hingegen arbeitszeitlich überwiegend andere Tätigkeiten erbracht, ist deren Geltungsbereich bereits unabhängig von der Ausnahmeregelung nach Halbsatz 2 nicht eröffnet. Erbringen der Betrieb oder die selbständige Betriebsabteilung überwiegend Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem SGB II und dem SGB III und ist die Einrichtung als eine der beruflichen Rehabilitation iSd. § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB IX anerkannt, bedarf es der weiteren Prüfung, ob überwiegend Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, die der beruflichen Rehabilitation iSd. SGB IX zuzuordnen sind, durchgeführt werden. Ist dies der Fall, scheidet eine Anwendung des TV Mindestlohn aus. Andernfalls findet dieser auf alle Arbeitnehmer des Betriebs oder der selbständigen Betriebsabteilung Anwendung.
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(5) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Anwendungsbereich der Verordnung nach § 1 Satz 1 Halbs. 2 MindestlohnVO nicht vor. Im Betrieb in H wurden im Streitzeitraum nur in geringem, deutlich unterhälftigem Umfang Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation für Menschen mit Behinderung durchgeführt.
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b) Aus § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn iVm. § 1 MindestlohnVO ergibt sich kein unmittelbarer tariflicher Mindestlohnanspruch für Arbeitszeit, die wegen eines Feiertags oder aufgrund von Arbeitsunfähigkeit ausgefallen ist. Hiervon geht das Landesarbeitsgericht zutreffend aus. Die Ansprüche der Klägerin auf Vergütung tatsächlich geleisteter Arbeitsstunden und für Zeiten des Urlaubs im Streitzeitraum hat die Beklagte nach Maßgabe des TV Mindestlohn erfüllt.
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aa) § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn legt eine „Mindeststundenvergütung“ fest, § 4 die Höhe des Jahresurlaubsanspruchs „unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts“. Ausdrückliche Regelungen zur Entgeltfortzahlung an Feiertagen oder bei Arbeitsunfähigkeit enthält der TV Mindestlohn nicht. Zwar ließe sich unter den Begriff der „Mindeststundenvergütung“ auch die Vergütung solcher Stunden fassen, für die dem Grunde nach ein Vergütungsanspruch besteht, unabhängig davon, ob die Vergütung eine Gegenleistung für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung ist oder ausnahmsweise aufgrund anderer Rechtsgrundlagen auch für Zeiten ohne Arbeitsleistung zu erbringen ist. Gegen eine solche Auslegung des TV Mindestlohn spricht jedoch der Umstand, dass nach § 2 Nr. 1 Satz 1 TV Mindestlohn tariflich „ausschließlich“ die Mindeststundenvergütung und der jährliche Urlaubsanspruch geregelt werden sollen und für andere Regelungsgegenstände nach § 2 Nr. 1 Satz 2 TV Mindestlohn die „Vereinbarung eines tariflichen Anspruchs“ von den Tarifvertragsparteien ausdrücklich nicht gewollt ist. Dies schließt die Annahme eines Entgeltfortzahlungsanspruchs für Feiertage oder Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit auf der Grundlage von § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn mangels Regelung der Anspruchsvoraussetzungen aus. Der TV Mindestlohn nimmt auch nicht im Sinne einer Rechtsgrundverweisung auf die Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes Bezug.
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bb) Dieses Verständnis wird bestätigt durch eine Betrachtung im Kontext der Normen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Die Vereinbarung des TV Mindestlohn erfolgte durch die Tarifvertragsparteien ersichtlich mit dem Ziel, diesen Tarifvertrag nach § 7 Abs. 1 AEntG aF durch Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland erstrecken zu lassen. Eine solche Erstreckung ist auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien erfolgt. Gegenstand einer erstreckungsfähigen tariflichen Regelung können nach § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG ua. Mindestentgeltsätze und nach § 5 Satz 1 Nr. 2 AEntG die Dauer des Erholungsurlaubs und das Urlaubsentgelt sein. Der Begriff der „Mindestentgeltsätze“ iSd. § 5 Satz 1 Nr. 1 und auch des § 2 Nr. 1 AEntG ist dabei einheitlich auszulegen, und zwar unabhängig davon, ob ein innerstaatlicher Sachverhalt oder ein Sachverhalt mit Auslandsbezug zu entscheiden ist(BAG 18. April 2012 - 4 AZR 168/10 (A) - Rn. 16, BAGE 141, 173). International zwingend sind im Rahmen von Bestimmungen über Branchenmindestlöhne aber zunächst nur Regelungen über die Vergütung für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden (vgl. zu Art. 34 EGBGB BAG 12. Januar 2005 - 5 AZR 617/01 - zu VIII der Gründe, BAGE 113, 149). Nicht zu den international zwingenden Rechtsnormen iSv. Art. 34 EGBGB gehören demgegenüber § 2 EFZG und § 615 BGB(BAG 18. April 2012 - 10 AZR 200/11 - Rn. 13, BAGE 141, 129; 12. Januar 2005 - 5 AZR 279/01 - zu IX 1 der Gründe). § 3 EFZG ist nur dann eine Eingriffsnorm, wenn der Arbeitnehmer deutschem Sozialversicherungsrecht unterliegt(BAG 18. April 2012 - 10 AZR 200/11 - Rn. 18, aaO). Vor diesem Hintergrund hätte es deutlicher Anhaltspunkte im Tarifvertrag bedurft, um anzunehmen, dass die Tarifvertragsparteien weiter gehende Regelungen schaffen wollten, obwohl diese nur teilweise auf tarifliche Außenseiter und Arbeitgeber mit Sitz im Ausland hätten erstreckt werden können. Derartige Hinweise sind dem TV Mindestlohn jedoch nicht zu entnehmen.
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3. Der Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung an Feiertagen und bei Arbeitsunfähigkeit in Höhe der Mindeststundenvergütung des § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn ergibt sich aus § 2 Abs. 1 sowie § 3 Abs. 1 iVm. § 4 Abs. 1 EFZG und dem diesen Bestimmungen zugrunde liegenden Entgeltausfallprinzip.
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a) Die Klägerin hat dem Grunde nach gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung für 148,25 Arbeitsstunden, die durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit im Zeitraum 1. August 2012 bis 31. März 2013 ausgefallen sind. Gemäß § 2 Abs. 1 EFZG hat sie im selben Zeitraum dem Grunde nach Anspruch auf Entgeltfortzahlung für 42 Arbeitsstunden, die feiertagsbedingt ausgefallen sind. Dies steht zwischen den Parteien nicht im Streit.
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b) Die Höhe der Entgeltfortzahlungsansprüche ergibt sich für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit aus § 4 Abs. 1 EFZG und für Feiertage aus § 2 Abs. 1 EFZG. Das hiernach grundsätzlich maßgebliche Entgeltausfallprinzip verlangt, den Mindestlohn nach § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn als Geldfaktor in die Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs einzustellen(im Ergebnis ebenso zur PflegeArbbV vom 15. Juli 2010 BAG 19. November 2014 - 5 AZR 1101/12 - Rn. 15; vgl. auch zum MiLoG zuletzt zB Greiner/Strippelmann BB 2015, 949, 950 f.). Weder legt der TV Mindestlohn eine abweichende Bemessungsgrundlage iSv. § 4 Abs. 4 EFZG fest noch ist der Anwendungsbereich des Entgeltfortzahlungsgesetzes durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz oder unionsrechtliche Vorschriften eingeschränkt.
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aa) Nach § 2 Abs. 1 EFZG hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Arbeitszeit, die infolge eines gesetzlichen Feiertags ausfällt, das Arbeitsentgelt zu zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte(vgl. dazu zuletzt zB BAG 15. Mai 2013 - 5 AZR 139/12 -). Hiervon darf gemäß § 12 EFZG nicht zuungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden.
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bb) Für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gilt nach § 4 Abs. 1 EFZG ein modifiziertes Entgeltausfallprinzip(BAG 16. Juli 2014 - 10 AZR 242/13 - Rn. 16). Der Arbeitnehmer soll grundsätzlich diejenige Vergütung erhalten, die er nach der für ihn maßgeblichen Arbeitszeit erzielt hätte, wenn er nicht arbeitsunfähig krank geworden wäre, sondern gearbeitet hätte. § 4 Abs. 1a EFZG schränkt dies - hier nicht relevant - hinsichtlich des Entgelts für Überstunden und für Aufwendungsersatzleistungen ein. § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG erlaubt, durch Tarifvertrag eine von § 4 Abs. 1, Abs. 1a und Abs. 3 EFZG abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festzulegen. Im Übrigen sind auch die Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes zur Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zwingend (§ 12 EFZG).
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cc) Der TV Mindestlohn regelt keine von der gesetzlichen Regelung abweichende Bemessungsgrundlage für die Höhe des im Krankheitsfall fortzuzahlenden Arbeitsentgelts iSv. § 4 Abs. 4 EFZG. Vielmehr enthält der Tarifvertrag - wie oben dargelegt - weder dem Grunde noch der Höhe nach Bestimmungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Aus der bloßen Nichtregelung kann auch nicht darauf geschlossen werden, dass die Tarifvertragsparteien eine abweichende Bemessungsgrundlage iSv. § 4 Abs. 4 EFZG schaffen wollten. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob eine Tarifregelung wirksam ist, die ausdrücklich bestimmt, dass der Tariflohn nicht für Ausfallzeiten nach § 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 EFZG zu leisten ist.
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dd) Ebenso wenig modifiziert das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für seinen Anwendungsbereich die national und teilweise auch international zwingenden (vgl. dazu BAG 18. April 2012 - 10 AZR 200/11 - BAGE 141, 129) Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Ausdrückliche Regelungen fehlen und ein solcher Regelungswille lässt sich auch weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzesbegründung entnehmen. Anhaltspunkte dafür benennt auch die Revision nicht. Entgegen der Auffassung der Beklagten setzt sich der Senat damit nicht in Widerspruch zu den Entscheidungen des Fünften Senats vom 12. Januar 2005 (- 5 AZR 279/01 - zu IX der Gründe und - 5 AZR 617/01 - zu VIII und IX der Gründe, BAGE 113, 149). Beide haben sich - soweit hier von Interesse - ausschließlich mit der Frage befasst, welche Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber von der Bürgenhaftung nach § 1a AEntG aF(jetzt § 14 AEntG)erfasst werden. Für Ansprüche aus Annahmeverzug nach § 615 BGB und für Verzugszinsen wegen verspäteter Lohnzahlung durch den Arbeitgeber wurde eine solche Haftung verneint. Die Frage, in welcher Höhe der Arbeitgeber selbst Entgeltfortzahlung nach § 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 iVm. § 4 Abs. 1 EFZG zu leisten hat, behandeln diese Entscheidungen nicht.
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ee) Eine andere Sichtweise ist auch unionsrechtlich nicht geboten. Die Bestimmungen der „Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen“ (Entsende-RL) dienen der Koordination der Gesetze der Mitgliedstaaten, um einen Kern zwingender Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz festzulegen, das im Aufnahmemitgliedstaat von Arbeitgebern zu gewährleisten ist, die Arbeitnehmer dorthin entsenden. Die Richtlinie hat jedoch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht den materiell-rechtlichen Inhalt dieser zwingenden Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz harmonisiert. Ihr Inhalt kann daher von den Mitgliedstaaten unter Beachtung der Verträge und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts frei bestimmt werden (EuGH 7. November 2013 - C-522/12 - [Isbir] Rn. 33 mwN). Damit scheidet die Annahme aus, dass durch die Entsende-RL außerhalb des Gegenstands der Richtlinie bestehende nationale Regelungen über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen harmonisiert oder begrenzt werden sollten. Selbst wenn daher nach zwingendem nationalem Recht in Teilbereichen der Entgeltfortzahlung eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitgebern mit Sitz im Inland gegenüber Arbeitgebern mit Sitz im Ausland bestehen sollte und dies - was im Hinblick auf die verschiedenen Entgeltfortzahlungssysteme in anderen Mitgliedsländern keineswegs zwingend ist - zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnte, hätte dies nicht die Unanwendbarkeit der zwingenden Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes zur Folge.
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c) Hätte die Klägerin in den noch streitgegenständlichen 148,25 Krankheits- und 42 Feiertagsstunden gearbeitet, wäre ihr nach § 3 Nr. 1 TV Mindestlohn ein Stundensatz von 12,60 Euro brutto gezahlt worden. Dieser ist der Höhe nach dem Entgeltfortzahlungsanspruch zugrunde zu legen. Ein Rückgriff auf die niedrigere vertragliche Vergütung scheidet nach § 12 EFZG aus. Danach ergibt sich für den Zeitraum 1. August 2012 bis 31. März 2013 ein weiterer Vergütungsanspruch der Klägerin in unstreitiger Höhe von 720,70 Euro brutto.
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4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 Satz 1, § 288 Abs. 1 BGB. Er besteht - anders als vom Landesarbeitsgericht angenommen - allerdings erst ab dem Tag nach Zustellung der Klage (BAG 15. November 2000 - 5 AZR 365/99 - zu III der Gründe, BAGE 96, 228) und damit ab dem 6. September 2013.
- 37
-
III. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
-
Linck
Brune
W. Reinfelder
D. Schumann
W. Guthier
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.
(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Oktober 2022 brutto 12 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.
(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet.
(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.
(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.
(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.
(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.
(1) Arbeitgeber und Arbeitnehmer können vereinbaren, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf). Die Vereinbarung muss eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen. Wenn die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, gilt eine Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Wenn die Dauer der täglichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, hat der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers jeweils für mindestens drei aufeinander folgende Stunden in Anspruch zu nehmen.
(2) Ist für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach Absatz 1 Satz 2 eine Mindestarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 25 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit zusätzlich abrufen. Ist für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nach Absatz 1 Satz 2 eine Höchstarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber nur bis zu 20 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit weniger abrufen.
(3) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Zeitrahmen, bestimmt durch Referenzstunden und Referenztage, festzulegen, in dem auf seine Aufforderung hin Arbeit stattfinden kann. Der Arbeitnehmer ist nur zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt und die Arbeitsleistung im Zeitrahmen nach Satz 1 zu erfolgen hat.
(4) Zur Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist die maßgebende regelmäßige Arbeitszeit im Sinne von § 4 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes die durchschnittliche Arbeitszeit der letzten drei Monate vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit (Referenzzeitraum). Hat das Arbeitsverhältnis bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit keine drei Monate bestanden, ist der Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs die durchschnittliche Arbeitszeit dieses kürzeren Zeitraums zugrunde zu legen. Zeiten von Kurzarbeit, unverschuldeter Arbeitsversäumnis, Arbeitsausfällen und Urlaub im Referenzzeitraum bleiben außer Betracht. Für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen zur Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall finden Anwendung.
(5) Für die Berechnung der Entgeltzahlung an Feiertagen nach § 2 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes gilt Absatz 4 entsprechend.
(6) Durch Tarifvertrag kann von Absatz 1 und von der Vorankündigungsfrist nach Absatz 3 Satz 2 auch zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden, wenn der Tarifvertrag Regelungen über die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit und die Vorankündigungsfrist vorsieht. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen über die Arbeit auf Abruf vereinbaren.
Tenor
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 7. Januar 2010 - 17 Sa 1151/09 - wird zurückgewiesen.
-
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
- 1
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Die Parteien streiten über die Pflicht der Beklagten, den Kläger an beweglichen Ferientagen von der Arbeitspflicht, hilfsweise der Unterrichtspflicht freizustellen, sowie um die Feststellung, dass die Musik- und Kunstschule der Beklagten eine öffentliche Schule iSd. § 6 Abs. 2 Satz 1 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen ist.
- 2
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Die Parteien verbindet seit dem 1. April 1986 ein Arbeitsverhältnis. Die Beklagte beschäftigt den Kläger als Musiklehrer für die Fächer Gitarre und Elementarunterricht an ihrer Musik- und Kunstschule in B (MKS).
- 3
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Der Unterricht an der MKS, der als Klassen-, Gruppen- oder Einzelunterricht erteilt wird, erfolgt vierstufig. Während den Schülern in der Grundstufe eine musikalische Grundbildung vermittelt wird, liegt der Schwerpunkt in der Unter-, Mittel- und Oberstufe auf Instrumental-, Vokal- und Ensemblefächern. Die MKS bietet zudem in allen Stufen Ergänzungsfächer und Projekte verschiedener Art an.
-
Unter dem 6. Dezember 1985 schlossen die Parteien einen Formulararbeitsvertrag, der ua. folgende Regelungen vorsieht:
-
„§ 2
Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961, dem Bezirks-Zusatztarifvertrag zum BAT (BZT-A/NW) vom 05.10.1961 und den diese Tarifverträge ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in ihrer jeweils geltenden Fassung. Daneben sind die für Angestellte der Stadt B jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge anzuwenden. Außerdem gelten die Richtlinien der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände über die Vergütung der im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrer und Leiter von Musikschulen von 12.01.1973.
…
Die Dienstanweisung für Lehrkräfte der Musik- und Kunstschule und die Schulordnung sind ebenfalls Bestandteil des Arbeitsvertrages.
…
§ 4
Die Pflichtstundenzahl beträgt 28 Unterrichtsstunden wöchentlich.
§ 5
Für den Erholungsurlaub gelten die Regelungen für Lehrer an allgemeinbildenden Schulen.
...
§ 7
Die Lehrkraft ist verpflichtet, entsprechend den Aufgaben der Musik- und Kunstschule über die reine Unterrichtstätigkeit hinaus
a)
zur Übernahme von Vertretungen im Rahmen des Zumutbaren,
b)
zur Mitarbeit an Schulveranstaltungen,
c)
zur Teilnahme an Lehrerkonferenzen, Arbeitsgemeinschaften, Prüfungen und Musizierfreizeiten der Schüler,
d)
zu einem jährlich stattfindenden Vorspiel mit den eigenen Schülern,
e)
zur eigenen Fortbildung und Weiterbildung durch Teilnahme an Kursen und Tagungen.“
-
In der Folgezeit waren die Parteien uneins, wie die wöchentliche Pflichtstundenzahl zu berechnen sei. Insbesondere stritten sie über die Berechtigung der Beklagten, dem Kläger zum Ausgleich der an Schulferientagen ausfallenden Unterrichtsstunden (sog. Ferienüberhang) weitere Unterrichtsstunden zuzuweisen. Unter dem 30. November 1999 schlossen die Parteien vor dem Arbeitsgericht (- 5 Ca 2500/99 -) einen gerichtlichen Vergleich, der ua. Folgendes vorsieht:
-
„1.
Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Kläger arbeitsvertraglich seit dem 01.08.1999 verpflichtet ist, außerhalb der Schulferien zum Ausgleich des sogenannten Ferienüberhangs wöchentlich 1 Stunde ... abzuleisten. Darüber hinausgehende Unterrichtsverpflichtungen zum Ausgleich des Ferienüberhangs bestehen nicht und werden auch künftig nicht angeordnet. Die Parteien werden eine entsprechende Ergänzung des Arbeitsvertrages unterzeichnen.
2.
Die Parteien sind weiter darüber einig, dass der Kläger arbeitsvertraglich seit dem 01.08.1999 verpflichtet ist, als Ausgleich für die Differenz zwischen der einzelvertraglichen und der tarifvertraglichen wöchentlichen Unterrichtsverpflichtung 1 Stunde ... abzuleisten. Darüber hinausgehende Verpflichtungen zum Ausgleich der Differenz zwischen der einzelvertraglich geschuldeten und der tarifvertraglich festgeschriebenen wöchentlichen Pflichtstundenzahl bestehen nicht und werden auch künftig nicht angeordnet. Dies gilt auch, soweit die tarifvertragliche Arbeitszeit künftig erhöht werden sollte. Die Parteien werden eine entsprechende Ergänzung des Arbeitsvertrages unterzeichnen.“
-
Dem Vergleichsabschluss lag ein „Berechnungsvordruck Ausgleich Schulferienüberhang“ zugrunde. In diesem heißt es ua. wie folgt:
-
„1.
Berechnung der Ferientage/Schultage/jährlichen Arbeitstage der Musikschullehrer ...
1.1
Berechnung der auszugleichenden Ferientage
1.1.1
Ferientage ohne Samstage, Sonn- und Feiertage
Weihnachten ab 01.01.
4 Tage
Ostern
13 Tage
Pfingsten
1 Tag
Sommer
32 Tage
Herbst
5 Tage
Weihnachten bis 31.12.
5 Tage
60 Tage“
- 7
-
Die in dem Vordruck ebenfalls vorgesehene Zeile „‚bewegliche’ Ferientage 4 Tage“ ist handschriftlich gestrichen, die Summe der Tage handschriftlich von 64 Tagen auf 60 Tage korrigiert.
-
Im Jahr 2000 beschloss das Leitungsgremium der MKS, den Musiklehrern vier bewegliche Ferientage pro Schuljahr zu gewähren. In der „Arbeitsanweisung für die Lehrkräfte der Musik- und Kunstschule“ vom 1. September 2005 (Arbeitsanweisung aF) finden sich hierzu folgende Regelungen:
-
„Präambel
Die pädagogischen ... Mitarbeiter ... stehen in einem Arbeitsverhältnis zur Stadt B, das geregelt wird durch den Bundes-Angestelltentarifvertrag ... und durch den jeweiligen Arbeitsvertrag. ...
…
Darüber hinaus regelt die nachstehende Arbeitsanweisung pädagogisch fachliche und organisatorische Arbeitsabläufe ...
…
6. Ferienregelung
Für die MKS gilt grundsätzlich die Ferienregelung der allgemeinbildenden Schulen. Die beweglichen Ferientage werden ... unter Berücksichtigung der in B meistgenutzten Regelung der beweglichen Ferientage festgelegt. Die MA werden informiert, sobald die Regelung für die MKS getroffen werden kann.“
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Der vom Ministerium für Schule, Jugend und Kinder Nordrhein-Westfalen (Schulministerium NRW) herausgegebene Runderlass „Ordnung der Ferien und Termine für die Aushändigung der Halbjahreszeugnisse“ vom 26. Juni 2003 (ABl. NRW S. 234, BASS 12 - 65 Nr. 1) sah für die Schuljahre 2003/2004 bis 2009/2010 entweder drei oder vier bewegliche Ferientage vor.
- 10
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Am 17. Dezember 2008 teilte der Leiter der MKS dem Lehrerkollegium während einer Hauptkonferenz mit, den Lehrkräften fortan keine beweglichen Ferientage gewähren zu wollen.
-
Mit Schreiben vom 17. Juni 2009 unterrichtete die Beklagte den bei ihr gebildeten Personalrat von ihrer Absicht, Nr. 6 der Arbeitsanweisung aF wie folgt zu ändern:
-
„6. Ferienregelung
Für die MKS gilt grundsätzlich die Ferienregelung der allgemeinbildenden Schulen. Bewegliche Ferientage werden nicht gewährt.“
- 12
-
Auf die Aufforderung der Beklagten, seine Beteiligungsrechte wahrzunehmen, erklärte der Personalrat mit Schreiben vom 23. Juni 2009, der beabsichtigten Änderung nicht zuzustimmen, im Übrigen aber auf ein weiteres Verfahren nach dem Landespersonalvertretungsgesetz zu verzichten.
- 13
-
Am 7. Juli 2009 änderte die Beklagte die Arbeitsanweisung in Nr. 6, die fortan die gegenüber dem Personalrat angekündigte Fassung hat (Arbeitsanweisung nF).
- 14
-
Der Kläger ist der Rechtsauffassung, die Beklagte sei arbeitsvertraglich verpflichtet, ihn über den gesetzlich und tarifvertraglich geregelten Erholungsurlaub hinaus an vier beweglichen Ferientagen im Schuljahr von jeder Arbeitsverpflichtung, hilfsweise von der Verpflichtung, Unterricht zu erteilen, freizustellen. Die Arbeitsanweisung bestehe in der alten Fassung fort, da die Beklagte sie nicht wirksam geändert habe. Zum einen habe sie das nach dem LPVG NRW vorgeschriebene Verfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt, zum anderen fehle es an einer den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entsprechenden Bekanntmachung der Änderung. Der von ihm erhobene Anspruch finde darüber hinaus in dem Vergleich vom 30. November 1999 seine Rechtfertigung. Ferner habe sich durch die jahrelange Gewährung beweglicher Ferientage eine betriebliche Übung gebildet, die die Beklagte nicht wirksam beseitigt habe. Schließlich folge sein Anspruch aus den Ferienbestimmungen nach § 7 Abs. 2 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2005 (SchulG NRW) sowie den dazu erlassenen Ferienordnungen in ihrer jeweiligen Fassung. Denn die MKS sei eine öffentliche Schule iSd. § 6 Abs. 2 Satz 1 SchulG NRW.
-
Der Kläger hat zunächst verlangt, die Beklagte zu verurteilen, ihn an vier kalendarisch bestimmten Tagen, hilfsweise an vier von der Beklagten zu bestimmenden Tagen von der Verpflichtung zur Unterrichtserteilung freizustellen. Außerdem hat er begehrt, ihn in jedem Schuljahr an vier Unterrichtstagen „zum Zwecke der Gewährung von beweglichen Ferientagen freizustellen“. Sodann hat er die Klage erweitert und beantragt festzustellen, dass die MKS eine öffentliche Schule iSv. § 6 Abs. 2 Satz 1 SchulG NRW ist. Schließlich hat er hilfsweise die Gewährung von vier beweglichen Ferientagen verlangt und deren zeitliche Lage in das Ermessen des Gerichts gestellt. Die zeitliche Lage der von ihm begehrten Ferientage hat er in der ersten und zweiten Instanz mehrfach geändert. Vor dem Landesarbeitsgericht hat er zuletzt beantragt
-
1.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn schuljährlich für vier bewegliche Ferientage freizustellen, und
2.
festzustellen, dass die Musik- und Kunstschule der Stadt B eine öffentliche Schule im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 SchulG NRW ist.
- 16
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, für das Klagebegehren fehle es an einer Rechtsgrundlage. Der Vergleich der Parteien vom 30. November 1999 regele allein die Schulferienzeit, ohne Festlegungen hinsichtlich der beweglichen Ferientage zu treffen. Die Ferienordnung des Landes Nordrhein-Westfalen gelte nicht für die MKS; denn diese sei keine Schule im Sinne des SchulG NRW.
-
Das Arbeitsgericht hat der Klage insoweit stattgegeben, als es die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger für das Jahr 2008/2009 zwei weitere bewegliche Ferientage zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. In der Revisionsinstanz hat er den zuletzt vor dem Landesarbeitsgericht gestellten Klageantrag zu 1. mit dem Inhalt neu gefasst festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn an beweglichen Ferientagen, deren Anzahl für öffentliche Schulen im Land Nordrhein-Westfalen festgesetzt wird, vollständig von der Arbeitspflicht, hilfsweise von der Unterrichtspflicht freizustellen.
Entscheidungsgründe
- 18
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Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts, soweit dieses die Klage abgewiesen hat, im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
- 19
-
I. Die Klage ist zulässig.
- 20
-
1. Der in der Revisionsinstanz neu gefasste Feststellungsantrag zu 1. begegnet keinen durchgreifenden prozessrechtlichen Bedenken.
- 21
-
a) Die Änderungen, die der Klageantrag zu 1. seit der Erhebung der Klage erfahren hat, haben auf die Zulässigkeit der Klage keinen Einfluss.
- 22
-
aa) Soweit der Klageantrag zu 1. in zeitlicher Hinsicht in der Berufungsinstanz erweitert worden ist, hat der Senat die hierin liegende Klageänderung nicht auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen.
- 23
-
(1) Mit dem Klageantrag zu 1. hat der Kläger vor dem Arbeitsgericht beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm für das Schuljahr 2009/2010 für die Tage 15. und 16. Februar 2010, den 12. April 2010 sowie den 26. Mai 2010 bewegliche Ferientage zu gewähren, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, ihm vier bewegliche, in das Ermessen des Gerichts gestellte Ferientage für das Schuljahr 2009/2010 zu gewähren. In der Folgezeit hat er an anderen Tagen Freistellung begehrt. In der Berufungsinstanz hat er den Antrag geändert und die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn schuljährlich für vier bewegliche Ferientage freizustellen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, diesen zuletzt gestellten Sachantrag zu bescheiden, unterliegt nicht der Überprüfung durch den Senat. Gemäß § 533 Nr. 2 ZPO ist eine Klageänderung im Berufungsverfahren zulässig, wenn sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. Dies sind nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen.
- 24
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(2) Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 533 ZPO vorliegen, ist in der Revisionsinstanz nicht zu überprüfen, wenn das Berufungsgericht - wie hier das Landesarbeitsgericht - in der Sache über den erweiterten Streitgegenstand entschieden hat(vgl. BAG 21. April 2009 - 3 AZR 285/07 - Rn. 20, AP BetrAVG § 1 Beamtenversorgung Nr. 20). Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 268 ZPO(vgl. BGH 25. Oktober 2007 - VII ZR 27/06 - Rn. 9, NJW-RR 2008, 262). Danach findet eine Anfechtung der Entscheidung, dass eine Änderung der Klage nicht vorliege oder dass die Änderung zuzulassen sei, nicht statt. Nach dem Zweck des Berufungsrechts dient die Berufungsinstanz in erster Linie der Fehlerkontrolle der erstinstanzlichen Entscheidung. § 533 ZPO verhindert deshalb, dass sich das Berufungsgericht im Rahmen neuer Streitgegenstände mit neuem Streitstoff befassen und hierzu eine Sachentscheidung treffen muss. Dieser Zweck kann nicht mehr erreicht werden, wenn das Berufungsgericht über die Klageänderung sachlich entschieden hat. Dabei spielt es keine Rolle, ob es zu einer Sachentscheidung gelangt ist, weil es die Voraussetzungen des § 533 ZPO bejaht oder dessen Anwendbarkeit im Einzelfall verneint hat.
- 25
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bb) Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz davon abgesehen hat, gegen die Beklagte einen Leistungstitel zu erwirken, und sein Klagebegehren nunmehr mit einem Feststellungsantrag verfolgt, gilt Entsprechendes. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Feststellungsantrag zu 1. hindert den Senat daran, die Antragsänderung an den zivilprozessualen Vorgaben des § 533 ZPO zu messen(§ 268 ZPO entsprechend).
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cc) Der Kläger hat den Feststellungsantrag zu 1. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sprachlich neu gefasst. Dies ist in prozessrechtlicher Hinsicht unbedenklich. Er hat sein Klagebegehren verdeutlicht, ohne sein Klagebegehren seinem Inhalt nach zu ändern.
- 27
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b) Der Kläger hat ein rechtliches Interesse daran, durch das Gericht feststellen zu lassen, ob die Beklagte verpflichtet ist, ihn an beweglichen Ferientagen, deren Anzahl für öffentliche Schulen im Land Nordrhein-Westfalen festgesetzt wird, vollständig von der Arbeitspflicht, hilfsweise von der Unterrichtspflicht freizustellen (§ 256 Abs. 1 ZPO).
- 28
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aa) Eine allgemeine Feststellungsklage braucht sich nicht notwendig auf das gesamte Rechtsverhältnis zu erstrecken. Der Kläger kann sie auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 139/08 - Rn. 20, BAGE 132, 195). So liegt der Fall hier. Die von dem Kläger begehrte Feststellung bezieht sich lediglich auf einzelne Tage während des Schuljahres. Ob und gegebenenfalls welche arbeitsvertraglichen Pflichten den Kläger an diesen Tagen treffen, ist zwischen den Parteien streitig.
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bb) Der grundsätzlich geltende Vorrang der Leistungsklage (vgl. BAG 11. Dezember 2001 - 9 AZR 435/00 - zu I der Gründe, EzA ZPO § 256 Nr. 59) steht der Zulässigkeit des Feststellungsantrags nicht entgegen. Der Vorrang der Leistungsklage dient dem Zweck, Rechtsstreitigkeiten prozesswirtschaftlich sinnvoll zu erledigen (vgl. BAG 15. März 2005 - 9 AZR 142/04 - zu III 1 der Gründe, BAGE 114, 80). Danach ist eine Feststellungsklage zulässig, wenn mit ihr eine sachgerechte, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Überlegungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen (vgl. BAG 16. Dezember 2008 - 9 AZR 985/07 - Rn. 19, BAGE 129, 72).
- 30
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Diese Voraussetzungen liegen vor. Das der Vollstreckung nicht zugängliche Feststellungsurteil ist geeignet, den rechtlichen Konflikt der Parteien endgültig zu lösen und weitere Prozesse zu vermeiden. Zwischen den Parteien besteht Streit, ob dem Kläger bewegliche Ferientage zustehen; die Ausgestaltung der Leistungspflichten der Beklagten steht nicht im Streit.
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2. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist auch der Feststellungsantrag zu 2. zulässig.
- 32
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a) Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, die von dem Kläger begehrte Feststellung habe eine abstrakte Rechtsfrage zum Inhalt, die nicht auf die Klärung konkreter Rechte und Pflichten zwischen den Prozessparteien gerichtet sei.
- 33
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b) Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, dass der Klageantrag zu 2. die Voraussetzungen einer Zwischenfeststellungsklage erfüllt (§ 256 Abs. 2 ZPO).
- 34
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Nach § 256 Abs. 2 ZPO kann die Klagepartei bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, durch Erweiterung des Klageantrags beantragen, dass ein Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt wird. § 256 Abs. 2 ZPO ermöglicht die Ausdehnung der Rechtskraft auch auf das dem Klagebegehren vorgreifliche Rechtsverhältnis und die tragenden Entscheidungsgründe. Die Vorgreiflichkeit ersetzt das ansonsten für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse (BAG 18. September 2007 - 9 AZR 672/06 - Rn. 13, BAGE 124, 80). So ist es hier. Der Kläger stützt den mit dem Feststellungsantrag zu 1. verfolgten Anspruch ua. auf die Ferienbestimmungen nach § 7 Abs. 2 SchulG NRW. Diese gelten lediglich für Schulen iSd. § 6 Abs. 2 Satz 1 SchulG. Die Vorfrage, ob die MKS zu den Schulen im genannten Sinne gehört, ist damit einer gerichtlichen Feststellung im Wege der Zwischenfeststellungsklage zugänglich.
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II. Die Klage ist nicht begründet. Dies gilt sowohl für den Feststellungsantrag zu 1., den der Kläger in Form eines Haupt- und Hilfsantrags gestellt hat, als auch für den Feststellungsantrag zu 2.
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1. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Kläger an beweglichen Ferientagen, deren Anzahl für öffentliche Schulen im Land Nordrhein-Westfalen festgesetzt wird, vollständig von der Arbeitspflicht freizustellen. Für das Feststellungsbegehren, das der Kläger mit dem Feststellungsantrag zu 1. in der Hauptsache verfolgt, fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Der Hauptantrag könnte nur Erfolg haben, wenn der Kläger - über den Anspruch auf Erholungsurlaub hinaus - Freistellung in der Weise verlangen könnte, dass er an beweglichen Ferientagen von der Unterrichtsverpflichtung zu befreien sei und die Beklagte auch gehindert wäre, den Kläger an diesen Tagen zur Leistung sonstiger Arbeit heranzuziehen. Es fehlt bereits an der ersten Voraussetzung. Dem Kläger steht ein Anspruch auf bewegliche Ferientage nicht zu.
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a) Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 6. Dezember 1985 rechtfertigt das Klagebegehren nicht. Die Parteien haben die Frage, ob und gegebenenfalls wie viele bewegliche Ferientage dem Kläger zustehen, im Arbeitsvertrag nicht geregelt.
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b) Der Kläger stützt sein Feststellungsbegehren ohne Erfolg auf Nr. 6 der Arbeitsanweisung aF.
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aa) Gemäß Nr. 6 der Arbeitsanweisung aF legt die Beklagte die beweglichen Ferientage unter Berücksichtigung der örtlichen Gepflogenheiten fest.
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bb) Die Arbeitsanweisung in der zitierten Fassung ist für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht maßgeblich. Sie wurde mit Wirkung zum 7. Juli 2009 durch die Regelung Nr. 6 der Arbeitsanweisung nF abgelöst, der zufolge bewegliche Ferientage nicht gewährt werden.
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(1) Die Beklagte war befugt, die Arbeitsanweisung unter dem 7. Juli 2009 zu ändern.
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(a) Nr. 6 der Arbeitsanweisung aF enthält keine rechtsgeschäftliche Abrede zwischen den Parteien, die es der Beklagten verwehrt, die Weisung einseitig zu ändern. Die Beklagte legte die beweglichen Ferientage in Ausübung des ihr als Arbeitgeberin zustehenden Direktionsrechts fest. Rechtsgeschäftliche Ansprüche des Klägers entstanden deshalb durch den Erlass der Arbeitsanweisung nicht.
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(aa) Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Die Regelung in § 106 Satz 1 GewO trägt der Gegebenheit Rechnung, dass Arbeitsverträge nur eine rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht festlegen können(BAG 13. März 2007 - 9 AZR 433/06 - Rn. 47, AP BGB § 307 Nr. 26). Das Direktionsrecht als „Wesensmerkmal eines jeden Arbeitsverhältnisses“ (BAG 23. September 2004 - 6 AZR 567/03 - Rn. 17, BAGE 112, 80) ermöglicht es dem Arbeitgeber, diese rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht des Arbeitnehmers im Einzelnen nach zeitlicher Verteilung, Art und Ort unter Beachtung billigen Ermessens festzulegen (vgl. BAG 15. September 2009 - 9 AZR 757/08 - Rn. 52, BAGE 132, 88).
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(bb) Die Auslegung der Arbeitsanweisung ergibt entgegen der Ansicht der Revision, dass die Beklagte von ihrem Weisungsrecht Gebrauch machte, ohne Ansprüche des Klägers zu begründen.
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Der Wortlaut der Arbeitsanweisung ist nicht eindeutig. Er lässt offen, ob die Beklagte mit dem Erlass der Arbeitsanweisung klarstellen wollte, dass ihr als Inhaberin des Direktionsrechts die Befugnis zukomme, bewegliche Ferientage festzulegen, oder ob sie sich gegenüber den Lehrkräften verpflichten wollte, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen.
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Der systematische Zusammenhang, in den die Arbeitsanweisung eingebettet ist, spricht deutlich gegen die Ansicht der Revision. Nr. 6 der Arbeitsanweisung ist Teil einer mehrseitigen „Arbeitsanweisung für die Lehrkräfte der Musik- und Kunstschule“. Sie beinhaltet Weisungen, mit denen ein Arbeitgeber typischerweise die von dem Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung konkretisiert. Dies gilt insbesondere für die in der Arbeitsanweisung enthaltenen Bestimmungen bezüglich der Arbeitszeit (Nr. 3 Buchst. a bis c, Nr. 6, 7, 11), dem Ort der Arbeitsleistung (Nr. 3 Buchst. d, Nr. 8) und dem Inhalt der geschuldeten Tätigkeit (Nr. 1, 2, 3 Buchst. b und c, Nr. 4 bis 6, 9 bis 15). Derlei Weisungen beinhalten - ohne das Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte - nicht das Angebot des Arbeitgebers an die Arbeitnehmer, sich dem Inhalt der Anweisung entsprechend rechtsgeschäftlich binden zu wollen.
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In dieselbe Richtung weisen Sinn und Zweck der Arbeitsanweisung. Ausweislich der Präambel war es Ziel der Arbeitsanweisung, die pädagogisch fachlichen und organisatorischen Arbeitsabläufe zu regeln. Dies erfordert, die dort niedergelegten Weisungen für eine zukünftige Abänderung offenzuhalten. Die Konkretisierung der Arbeitsabläufe gestaltet den Pflichtenkreis der Lehrkräfte aus, ohne ihnen Rechtspositionen einzuräumen, die über die im Arbeits- und Tarifvertrag bestimmten Rechte hinausgehen. Folgte man der Ansicht der Revision, dann käme es stets durch bloßen Zeitablauf zu einer Verfestigung des Status quo. Die Erstarkung von Arbeitszeitfestlegungen oder Arbeitszuweisungen zu vertraglichen Rechten ist jedoch mit der gesetzlichen Regelung des Weisungsrechts in § 106 GewO nicht vereinbar; denn dort wird dem Arbeitgeber das Recht zugewiesen, nach billigem Ermessen, jederzeit innerhalb der Grenzen des Arbeits- oder Tarifvertrags Inhalt und Zeit der Arbeitsleistung näher zu bestimmen. Daraus folgt: Der Umstand, dass Weisungen längere Zeit unverändert geblieben sind, bindet den Arbeitgeber nicht. Dieser Umstand ist allenfalls im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen.
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(b) Durch die mehrere Jahre währende gleichmäßige Handhabung der Nr. 6 Arbeitsanweisung aF ist die Beklagte nicht gehindert, die darin enthaltenen Weisungen mit Wirkung für die Zukunft zu ändern (§ 242 BGB, § 106 GewO).
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Arbeitspflichten können sich nach längerer Zeit auf bestimmte Arbeitsbedingungen konkretisieren. Dazu genügt jedoch nicht schon der bloße Zeitablauf. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer der Arbeitnehmer erkennen kann und darauf vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden soll (BAG 13. März 2007 - 9 AZR 433/06 - Rn. 50, AP BGB § 307 Nr. 26). Die Beklagte hat dem Kläger zwar in den Jahren 2000 bis 2008 bewegliche Ferientage gewährt. Umstände, aus denen er hätte entnehmen können, die Beklagte werde auch in Zukunft so verfahren, hat der Kläger nicht vorgetragen. Im Übrigen sind sie nicht ersichtlich.
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(2) Die Änderung der Arbeitsanweisung ist entgegen der Ansicht der Revision nicht formunwirksam. Die Revision verkennt den Rechtscharakter der Arbeitsanweisung, wenn sie meint, die Beklagte habe die für die Änderung von Satzungen geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften beachten müssen.
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(a) Nach § 125 Satz 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft, welches der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt, nichtig. Gleiches gilt im Zweifel, wenn die Form durch Rechtsgeschäft bestimmt wurde (§ 125 Satz 2 BGB).
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(b) Für die Änderung der Arbeitsanweisung bestanden weder gesetzliche noch rechtsgeschäftliche Formvorschriften.
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(aa) Die öffentlich-rechtlichen Vorschriften über Satzungen sind auf die von der Beklagten erlassene Arbeitsanweisung nicht anzuwenden. Denn die Arbeitsanweisung ist keine Satzung iSd. § 7 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Juli 1994 (GO NRW). Es fehlt bereits an einer für Satzungen kennzeichnenden Regelung, die ihrem Inhalt nach darauf gerichtet ist, subjektive Rechte von Normunterworfenen zu begründen, abzuändern oder aufzuheben (vgl. hierzu BayVGH 20. September 2000 - 3 N 00.2370 - zu II 1 der Gründe). Mit der Arbeitsanweisung hat die Beklagte nur das ihr nach § 106 GewO zustehende Weisungsrecht ausgeübt. Subjektive Rechtspositionen der beschäftigten Arbeitnehmer werden hierdurch nicht berührt (vgl. II 1 b bb (1) (a)).
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(bb) Rechtsgeschäftliche Formvorschriften hatte die Beklagte nicht zu beachten. Weder der Arbeitsvertrag noch die auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifverträge binden die Ausübung des Weisungsrechts an die Einhaltung einer bestimmten Form.
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(3) Entgegen der Ansicht der Revision war die Beklagte nicht gehalten, die geänderte Arbeitsanweisung bekannt zu machen.
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(a) Gemäß § 25 Abs. 1 der Hauptsatzung der Stadt B vom 5. August 2004 idF der Änderungssatzung vom 27. November 2008 (Hauptsatzung) sind öffentliche Bekanntmachungen, die durch Rechtsvorschriften vorgeschrieben sind, durch Veröffentlichung in den B Tageszeitungen „N“ und „W“ vorzunehmen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes vorgeschrieben ist.
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(b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Bekanntmachung der Arbeitsanweisung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Satz 1 GO NRW, wonach Satzungen öffentlich bekannt zu machen sind, liegen nicht vor. Die Arbeitsanweisung, die die Beklagte den an der MKS beschäftigten Lehrkräften erteilte, ist keine Satzung (vgl. II 1 b bb (2) (b) (aa)).
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(4) Die Beklagte änderte die Arbeitsanweisung, ohne Mitbestimmungsrechte des Personalrats zu verletzen. Entgegen der Ansicht der Revision war der Personalrat bei der Änderung nicht zu beteiligen.
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(a) Ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats ergibt sich nicht aus § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Personalvertretungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. Dezember 1974 (LPVG NRW). Danach hat der Personalrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen sowie über die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen. Die Voraussetzungen dieses Mitbestimmungstatbestands liegen nicht vor. Der Mitbestimmungstatbestand ist nur erfüllt, wenn durch die dienstliche Anordnung derjenige Zeitraum, in welchem der Beschäftigte seine Verpflichtung zur Dienstleistung zu erfüllen hat, nach Wochentag, Dauer und Uhrzeit fixiert wird (vgl. zur Einführung von Präsenztagen für Lehrer BVerwG 23. August 2007 - 6 P 7.06 - Rn. 31, PersR 2007, 476). Die Anordnung der Beklagten, zukünftig keine beweglichen Ferientage zu gewähren, legt die Anwesenheitspflicht der Lehrkräfte nicht nach Dauer und Uhrzeit fest.
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(b) Die Beklagte hatte den Personalrat auch nicht nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LPVG NRW zu beteiligen. Die Vorschrift gewährt dem Personalrat ein Mitbestimmungsrecht, wenn der Arbeitgeber unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen Überstunden oder Mehrarbeit anordnet. Zweck der Bestimmung ist es, die Beschäftigten vor übermäßiger zeitlicher Inanspruchnahme zu schützen (vgl. zu der inhaltsgleichen Vorschrift des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PersVG Sachsen-Anhalt BVerwG 22. Mai 2006 - 6 PB 15.05 - Rn. 7, Buchholz 251.92 SAPersVG § 65 Nr. 1). Das Mitbestimmungsrecht setzt eine dienstplangemäß oder betriebsüblich über die tarifliche bzw. vereinbarte regelmäßige Wochenarbeitszeit reichende Beanspruchung der Beschäftigten voraus. Der Wegfall der beweglichen Ferientage führt für sich genommen weder zu einer Überschreitung der arbeitsvertraglichen noch der tariflich bestimmten Wochenarbeitszeit.
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(c) Ebenso wenig ist der Mitbestimmungstatbestand des § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 LPVG NRW erfüllt. Danach unterliegen die Aufstellung des Urlaubsplans und die Festsetzung der zeitlichen Lage des Erholungsurlaubs für einzelne Beschäftigte unter den dort genannten Einschränkungen der Mitbestimmung durch den Personalrat. Die beweglichen Ferientage, die infolge der Änderung der Arbeitsanweisung wegfallen, waren kalendarisch nicht bestimmt. Der Mitbestimmungstatbestand ist selbst dann nicht erfüllt, wenn man zugunsten des Klägers den Wegfall der beweglichen Ferientage mit der Anordnung einer Urlaubssperre gleichstellt. Bestimmt der Arbeitgeber Zeiträume, in denen er Arbeitnehmern keinen Urlaub gewähren will, erfüllt dies nicht die Kriterien, die für eine Urlaubsplanung kennzeichnend sind. Denn die Anordnung dient nicht der Koordinierung der individuellen Urlaubswünsche der Beschäftigten (vgl. BVerwG 19. Januar 1993 - 6 P 19.90 - zu II der Gründe, BVerwGE 91, 343).
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(d) Die Änderung der Arbeitsanweisung ist auch nicht gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 LPVG NRW mitbestimmt. Danach unterliegt die Gestaltung des Entgelts innerhalb der Dienststelle der Mitbestimmung. Der Wegfall von beweglichen Ferientagen hat weder Einfluss auf die Zusammensetzung noch auf die Höhe der an diesen Tagen von der Beklagten zu zahlenden Arbeitsvergütung.
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(e) Selbst wenn man die Auffassung der Revision teilte, die Änderung der Arbeitsanweisung wäre mitbestimmungspflichtig, würde dies nach der vom Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung dem Feststellungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen.
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(aa) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat zum Betriebsverfassungsrecht den Rechtssatz aufgestellt, dass die tatsächlich durchgeführte Mitbestimmung zwar Wirksamkeitsvoraussetzung für Maßnahmen zum Nachteil des Arbeitnehmers ist. Maßnahmen zum Nachteil der Arbeitnehmer sind danach allerdings nur solche, die bereits bestehende Rechtspositionen der Arbeitnehmer beeinträchtigen. Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten führt nicht dazu, dass sich individualrechtliche Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer ergäben, die zuvor noch nicht bestanden. Bei Nichtbeachtung der Mitbestimmung durch den Arbeitgeber erhält der Arbeitnehmer daher keinen Erfüllungsanspruch auf Leistungen, welche die bestehende Vertragsgrundlage übersteigen (BAG 9. November 2010 - 1 AZR 147/09 - Rn. 23, PersR 2011, 176).
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(bb) Die vom Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts entwickelte Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung ist auch auf den Streitfall anzuwenden. Wird zugunsten des Klägers unterstellt, die Beklagte habe Mitbestimmungsrechte des Personalrats verletzt, so folgt daraus noch kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Gewährung beweglicher Ferientage; denn es wird nicht in schon entstandene Rechte eingegriffen.
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c) Der Vergleich, den die Parteien am 30. November 1999 vor dem Arbeitsgericht schlossen, rechtfertigt den vom Kläger erhobenen Anspruch nicht. Die vergleichsweise Einigung hat den zwischen den Parteien zum damaligen Zeitpunkt streitigen Ferienüberhang, nicht hingegen die von dem Kläger im Streitfall begehrten Ferientage zum Gegenstand. Die Auslegung des Vergleichs durch das Landesarbeitsgericht ist zutreffend.
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aa) Gemäß Nr. 1 Satz 1 des Vergleichs ist der Kläger zum Ausgleich des sogenannten Ferienüberhangs verpflichtet, außerhalb der Schulferien wöchentlich eine Stunde abzuleisten. Darüber hinausgehende Unterrichtsverpflichtungen zum Ausgleich des Ferienüberhangs sollten nicht bestehen und künftig nicht angeordnet werden (Nr. 1 Satz 2 des Vergleichs). Des Weiteren vereinbarten die Parteien unter Nr. 2 Satz 1 des Vergleichs, der Kläger sei verpflichtet, als Ausgleich für die Differenz zwischen der einzelvertraglichen und der tarifvertraglichen wöchentlichen Unterrichtsverpflichtung eine Stunde abzuleisten. Darüber hinausgehende Verpflichtungen zum Ausgleich der Differenz zwischen der einzelvertraglich geschuldeten und der tarifvertraglich festgeschriebenen wöchentlichen Pflichtstundenzahl sollten nicht bestehen und künftig nicht angeordnet werden (Nr. 2 Satz 2 des Vergleichs).
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bb) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Vergleich verhalte sich nicht zu der Frage, ob dem Kläger bewegliche Ferientage zustünden. Der Vergleich regele Fragen des Ferienüberhangs. Die Parteien seien bei Abschluss des Vergleichs von 60 Schulferientagen ausgegangen, ohne die beweglichen Ferientage einzubeziehen.
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cc) Der Senat braucht nicht darüber zu befinden, ob die Auslegung eines Vergleichs durch das Berufungsgericht der vollständigen revisionsgerichtlichen Prüfung unterliegt oder aber das Revisionsgericht in der Überprüfung des Auslegungsergebnisses beschränkt ist (vgl. zum Streitstand etwa BAG 8. März 2006 - 10 AZR 349/05 - Rn. 32, BAGE 117, 218). Denn das von dem Landesarbeitsgericht gefundene Auslegungsergebnis hält auch einer vollständigen Kontrolle durch den Senat stand.
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(1) Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (§ 157 BGB). Gemäß § 133 BGB ist ausgehend vom objektiven Wortlaut der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG 15. September 2009 - 9 AZR 757/08 - Rn. 43, BAGE 132, 88).
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(2) Nach diesen Grundsätzen ist das von dem Landesarbeitsgericht gefundene Auslegungsergebnis nicht zu beanstanden. Die Regelung, auf die sich die Parteien unter Nr. 1 des Vergleichs verständigten, betrifft allein Fragen des sog. Ferienüberhangs, nicht aber Fragen der beweglichen Ferientage.
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(a) Der Begriff Ferienüberhang bezeichnet den Teil der Schulferien, der den tariflichen Jahresurlaub übersteigt (vgl. BAG 13. Dezember 2001 - 6 AZR 127/00 - zu B I 2 b cc der Gründe, ZTR 2002, 323). Es ist ein Überhang an Freizeit, der durch die unterrichtsfreie Zeit in den Schulferien entsteht und der nicht durch Urlaub oder anderweitigen Arbeitseinsatz ausgefüllt wird. Demgegenüber fallen unter den Begriff der beweglichen Ferientage die Tage während der Schulferien, die nach § 3 Abs. 5 Satz 2 des Hamburger Abkommens zur Berücksichtigung örtlicher Verhältnisse zugelassen werden können.
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(b) Ausweislich des Wortlauts von Nr. 1 des Vergleichs verständigten sich die Parteien auf die im Vergleich aufgeführten Klauseln „zum Ausgleich des Ferienüberhangs“. Einen deutlichen Hinweis auf den Regelungswillen der Parteien liefert zudem der „Berechnungsvordruck Ausgleich Schulferienüberhang“, den der Kläger zu den Akten gereicht hat. Der Vordruck weist als Summe der Ferientage 60 und nicht 64 Tage aus. Die Differenz beruht auf der handschriftlichen Streichung der Zeile „‚bewegliche’ Ferientage 4 Tage“. Hätten die Parteien die Frage der beweglichen Ferientage in dem Vergleich regeln wollen, hätten sie diese bei der Berechnung der Ferientage berücksichtigen müssen.
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d) Der Kläger stützt sein Feststellungsbegehren ferner ohne Erfolg auf die Ferienordnung NRW. Diese findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung.
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aa) Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 SchulG NRW sieht die Ferienordnung neben den landesweiten Ferien bewegliche Ferientage vor, über deren Termine die Schulkonferenz entscheiden kann.
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bb) Die Ferienordnung ist weder originär noch kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden.
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(1) Die Ferienordnung, die das für das Schulwesen zuständige Ministerium (§ 128 Abs. 2 SchulG NRW) erlässt, gilt - wie das SchulG NRW im Allgemeinen - für Schulen iSd. SchulG NRW. Dies sind gemäß § 6 Abs. 1 SchulG NRW Bildungsstätten, die unabhängig vom Wechsel der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schülerinnen und Schüler nach Lehrplänen Unterricht in mehreren Fächern erteilen. Schulen iSd. der öffentlich-rechtlichen Schulgesetze der Länder sind dadurch gekennzeichnet, dass an ihnen Unterricht in verschiedenen Fächern und Stufen erteilt wird, der nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch und didaktisch aufeinander abgestimmt ist (vgl. BAG 12. September 1996 - 5 AZR 104/95 - zu II 1 der Gründe, BAGE 84, 124). Der Unterricht soll zu staatlich anerkannten Schulabschlüssen führen (vgl. BAG 24. Juni 1992 - 5 AZR 384/91 - zu II 2 b aa der Gründe, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 61 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 46). Städtische Musikschulen wie die MKS gehören in der Regel nicht zu den Schulen iSd. § 6 Abs. 1 SchulG NRW(vgl. zum Bereich des Tarifrechts BAG 15. Mai 1997 - 6 AZR 170/96 - zu 2 der Gründe, ZTR 1998, 75). Denn an ihnen werden keine allgemein- oder berufsbildenden Fächer unterrichtet, die für den Schulbegriff konstitutiv sind (vgl. BayVGH 15. Juni 1994 - 7 B 92.438 - zu 2 der Gründe, NVwZ-RR 1995, 38; siehe ferner aus dem öffentlich-rechtlichen Schrifttum Hemmrich in von Münch/Kunig GG 5. Aufl. Art. 7 Rn. 4 f.; Gröschner in Dreier GG 2. Aufl. Art. 7 Rn. 24; Robbers in v. Mangoldt/Klein/Starck GG 6. Aufl. Art. 7 Rn. 52). Für die Musikschulen besteht kein Schulzwang. Es gibt regelmäßig - anders als bei den allgemeinbildenden Schulen - auch keine förmlichen Abschlüsse. Der Unterricht ist meist nur fachbezogen und im Regelfalle weniger reglementiert. Sie sind deshalb auch nicht in der Schulstruktur, die § 10 SchulG NRW beschreibt, aufgeführt.
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(2) Die Parteien haben die Anwendung der Ferienordnung weder vereinbart, noch folgt die Anwendung aus Nr. 6 der Arbeitsanweisung aF. Nr. 6 der Arbeitsanweisung aF ist durch Nr. 6 der Arbeitsanweisung nF abgelöst worden (vgl. II 1 b bb). Die neugefasste Arbeitsanweisung sieht vor, dass die Beklagte bewegliche Ferientage nicht gewährt.
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e) Die Regelungen über Erholungsurlaub für Lehrer an allgemeinbildenden Schulen verhelfen dem Klageantrag nicht zum Erfolg.
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aa) Gemäß § 5 des Arbeitsvertrags richten sich die Ansprüche des Klägers auf Erholungsurlaub nach den Regelungen für Lehrer an allgemeinbildenden Schulen.
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bb) Der Kläger macht nicht Erholungsurlaub, sondern bewegliche Ferientage geltend, die über den Erholungsurlaub, wie ihn Lehrer an allgemeinbildenden Schulen erhalten, hinausgehen. Die von den Parteien in Bezug genommenen Bestimmungen sind deshalb bereits ihrer Rechtsfolge nach nicht geeignet, das Klagebegehren zu stützen. Davon ist das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen.
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Der Anspruch auf Erholungsurlaub, der Lehrern an allgemeinbildenden Schulen zusteht, und die beweglichen Ferientage, auf die der Kläger Anspruch erhebt, sind ihrem Inhalt nach wesentlich zu unterscheiden. Der Rechtsbegriff Erholungsurlaub bezeichnet die vollständige Freistellung eines Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht für einen bestimmten zukünftigen Zeitraum (vgl. BAG 11. Juli 2006 - 9 AZR 535/05 - Rn. 20, AuA 2007, 52). Der Erlass des Schulministeriums NRW vom 26. Juni 2003 sah für die Schuljahre 2003/2004 bis 2009/2010 entweder drei oder vier bewegliche Ferientage vor. An beweglichen Ferientagen ist der Arbeitnehmer lediglich von der Unterrichtspflicht, nicht aber von anderen Arbeitspflichten befreit (vgl. BAG 13. Februar 1996 - 9 AZR 79/95 - zu II 1 der Gründe, BAGE 82, 161). Auch die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien spiegeln dieses Regelungsverständnis. Nach § 4 des Arbeitsvertrags beträgt die Pflichtstundenzahl 28 Unterrichtsstunden pro Woche. Dieser Teil der von dem Kläger geschuldeten Arbeitsleistung kann entfallen, wenn die Beklagte beschließt, den Musikschülern während der Ferien keinen Unterricht anzubieten. Davon unberührt bleiben die arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers, die in § 7 des Arbeitsvertrags bestimmt sind. Danach ist er - unabhängig von etwaigen Ferienzeiten - unter den dort genannten Voraussetzungen ua. verpflichtet, Vertretungen zu übernehmen, an Schulveranstaltungen mitzuarbeiten, an Lehrerkonferenzen, Arbeitsgemeinschaften, Prüfungen und Musizierfreizeiten der Schüler mitzuwirken sowie an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Die Rechtsfolgen, die der Begriff der beweglichen Ferientage umschreibt, bleiben damit hinter den Rechtsfolgen des Erholungsurlaubs zurück.
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f) Entsprechendes gilt für die tariflichen Bestimmungen, auf die die Parteien in § 2 des Arbeitsvertrags Bezug genommen haben. Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes regeln Urlaubsansprüche, nicht jedoch Ansprüche auf bewegliche Ferientage. Gegen die zutreffenden Ausführungen des Landesarbeitsgerichts erhebt die Revision keine Einwände.
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g) Auch die Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes rechtfertigen das Feststellungsbegehren des Klägers nicht. Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihm bewegliche Ferientage zu gewähren. Zwar ist der Kläger gehalten, den Erholungsurlaub innerhalb der Schulferien in Anspruch zu nehmen. Daraus folgt aber nicht, dass alle Tage der Schulferien arbeitsfreie Urlaubstage sein müssen. Das zeigt schon der Umstand, dass die Anzahl der nach § 3 Abs. 1 BUrlG zu gewährenden Urlaubstage 24 Werktage beträgt und die Anzahl der Schulferientage die Anzahl dieser Mindesturlaubstage um ein Mehrfaches übersteigt.
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h) Ein Anspruch auf bewegliche Ferientage folgt schließlich nicht aus den Grundsätzen, die die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur betrieblichen Übung entwickelt hat.
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aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe die für eine betriebliche Übung nötigen besonderen Umstände nicht vorgetragen. Mit der vollständigen Freistellung von der Arbeitsleistung begehre der Kläger eine übertarifliche Leistung. Als Beschäftigter des öffentlichen Dienstes habe er davon ausgehen müssen, dass die Beklagte ihm nur die Leistungen gewähren wolle, zu denen sie rechtlich verpflichtet sei.
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bb) Diese rechtlichen Erwägungen halten einer uneingeschränkten Prüfung durch das Revisionsgericht stand. Daher kann offenbleiben, ob das Auslegungsergebnis, zu dem das Landesarbeitsgericht gelangt ist, einer vollständigen oder lediglich einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (offengelassen zB von BAG 17. November 2009 - 9 AZR 765/08 - Rn. 28, AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 88 = EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 12).
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(1) Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen dürfen, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Das als Vertragsangebot zu wertende Verhalten des Arbeitgebers wird von den Arbeitnehmern angenommen, indem sie die Leistung widerspruchslos entgegennehmen. Der Zugang der Annahmeerklärung ist nach § 151 Satz 1 BGB entbehrlich. Durch die betriebliche Übung entstehen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend für die Entstehung des Anspruchs ist nicht der Verpflichtungswille des Arbeitgebers. Maßgeblich ist, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste (für die st. Rspr. BAG 17. November 2009 - 9 AZR 765/08 - Rn. 23 f., AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 88 = EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 12). Für die Annahme einer betrieblichen Übung genügt es nicht, dass der Arbeitgeber tatsächliche Leistungen erbringt. Geht der Arbeitnehmer davon aus, eine gewährte Leistung stehe ihm aus einem anderen Rechtsgrund als betrieblicher Übung zu, darf er nicht auf ein darüber hinausgehendes Angebot des Arbeitgebers schließen, die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zu seinen Gunsten zu ändern (vgl. BAG 19. Januar 2010 - 9 AZR 246/09 - Rn. 56, EzA TVG § 4 Bewachungsgewerbe Nr. 4).
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(2) Die für eine betriebliche Übung erforderlichen besonderen tatsächlichen Umstände sind nicht ersichtlich. Die nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts sind für den Senat nach § 559 Abs. 2 ZPO bindend. Der Kläger nimmt zudem an, die Beklagte sei sowohl aufgrund der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Ferienordnung für die öffentlichen Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen als auch aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom 30. November 1999 verpflichtet, ihn an den geltend gemachten Tagen von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freizustellen. Unter diesen Umständen konnte er nicht davon ausgehen, die Beklagte wolle ihm gegenüber eine freiwillige Leistung erbringen, indem sie ihm in den Jahren 2000 bis 2008 an bestimmten Tagen keine Arbeitsaufgaben zuwies.
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i) Ein Anspruch auf die weitere Gewährung von beweglichen Ferientagen ergibt sich schließlich nicht aus der Verpflichtung der Beklagten, bei der Verteilung der Arbeitszeit nach § 106 Satz 1 GewO billiges Ermessen auszuüben. Die von der Beklagten getroffene Bestimmung, die Arbeitszeit ohne Berücksichtigung beweglicher Ferientage zu verteilen und damit die Anzahl der innerhalb der tariflichen Arbeitszeit zu leistenden Unterrichtsstunden zu erhöhen, ist jedenfalls nicht so schwer ermessensfehlerhaft, dass sie nach § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB unverbindlich und nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch das Gericht im Sinne des Verlangens des Klägers zu ersetzen wäre. Die Beklagte hat sich gemäß dem Protokoll der Hauptkonferenz der Musik- und Kunstschule vom 17. Dezember 2008 zur Rechtfertigung der Änderung der Unterrichtszeiten ua. auf entsprechende Wünsche von Schülern, Eltern und unterrichtswilligen Honorarkräften berufen und auf erhebliche Ausfälle von Kursgebühren hingewiesen, die an beweglichen Ferientagen entstehen. Das sind beachtliche Sachgründe, die ein dienstliches Interesse an der Änderung der Arbeitszeitverteilung begründen. Entgegenstehende überwiegende Interessen des Klägers sind nicht erkennbar.
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2. Der Hilfsantrag ist ebenfalls nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Kläger an beweglichen Ferientagen, deren Anzahl für öffentliche Schulen im Land Nordrhein-Westfalen festgesetzt wird, von der Unterrichtspflicht freizustellen. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf bewegliche Ferientage (vgl. II 1).
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3. Auch mit dem Feststellungsantrag zu 2. ist der Kläger nicht erfolgreich. Die Musik- und Kunstschule der Stadt B ist keine öffentliche Schule im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 SchulG NRW(vgl. II 1 d bb (1)).
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III. Der Kläger hat die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
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Düwell
Krasshöfer
Suckow
Pielenz
Kranzusch
Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
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mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder - 2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.