Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 16. Okt. 2015 - 17 Sa 1222/15
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 27.05.2015 – 5 Ca 24/15 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 12.03.2015 nicht beendet worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 68 %, die Beklagte zu 32 %.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht drei Abmahnungen erteilte und ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch arbeitgeberseitige Kündigung beendet ist.
3Der 1956 geborene, verheiratete Kläger, Vater zweier erwachsener Kinder, war seit dem 01.10.1989 als Busfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Er erzielte zuletzt ein Bruttomonatsentgelt von 3.000,00 €. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Spartentarifvertrag für Nahverkehrsbetriebe (TV-N NW) vom 25.05.2011 Anwendung.
4Die Beklagte schloss mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat am 20.08.2014 eine Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MiX RIBAS und die Zahlung einer Leistungsprämie (Bl. 6 bis 11 d.A.). Nach der Präambel unterstützt der Einsatz des MiX RIBAS- Systems den Fahrer, bei einfachster Handhabung sicher, umweltbewusst und kostensparend zu fahren.
5§ 2 der Betriebsvereinbarung (BV) lautet wie folgt:
6Zielsetzung
7Mit dem Einsatz von RIBAS und der Zahlung einer Leistungsprämie werden folgende Ziele verfolgt:
8- 9
Entlastung des Fahrers
- 10
Erhöhung der persönlichen Zufriedenheit
- 11
Erhöhung der Kundenzufriedenheit
- 12
Verringerung der CO2 Emission
- 13
Verringerung des Verkehrslärms
- 14
Erhöhung der Verkehrssicherheit
- 15
Reduzierung der Energiekosten
- 16
Reduzierung des Materialverschleißes.
In § 3 BV trafen die Parteien folgende Regelung:
18RIBAS Funktionsweise
19Das von MiX Telematics entwickelte RIBAS-Display wird mit einer Kabelverbindung an den Bordcomputer, FM Communicator, angeschlossen. Das Display wird in der Fahrerkabine im Sichtfeld des Fahrers, z.B. A Säule montiert. Werden vom Fahrer die im System hinterlegten Grenzwerte überschritten, informiert ihn darüber eine Warnleuchte des RIBAS-Displays. Jedes Symbol korrespondiert mit einer Überschreitung:
20R = zu hochtourige Fahrweise (over Revving)
21I = Leerlaufzeitüberschreitungen (excessive Idling)
22B = scharfes Bremsen (harsh Braking)
23A = überhöhte Beschleunigung (harsh Acceleration)
24S = Geschwindigkeitsüberschreitungen (over Speeding)
25Neben dem Aufleuchten der jeweiligen LED ertönt für jedes Ereignis eine Sekunde lang ein Signalton. Jede LED leuchtet für die Dauer des Ereignisses, blinkt dann 15 Sekunden lang und schaltet danach ab. So liefert das RIBAS-Display dem Fahrer Information zu Ereignissen in Echtzeit in optischer und akustischer Form. Fahrzeug- und Fahrerereignisse werden vom FM Communicator aufgezeichnet und zur Berichterstattung und Analyse an FM-Web, dem internetbasierten Informationsportal für Fuhrparkmanager von MiX Telematics, weitergeleitet.
26Fahrer, die mit ihrer Einwilligung an dem personalisierten Berichts- und Prämiensystem nach §§ 6, 7 BV teilnehmen, erhalten gemäß § 5 BV wöchentlich einen persönlichen Detailbericht, der ihnen eine detaillierte und konkrete Rückmeldung ihrer Fahrleistung, bezogen auf die wirtschaftliche Fahrweise der letzten Woche, gibt. Zusätzlich erhalten sie den gleichen Bericht mit einer kumulativen Auswertung vom Beginn des jeweiligen Monats bis zum letzten Tag des aktuellen Wochenberichts.
27Fahrer, die nicht am personalisierten Berichts- und Prämiensystem teilnehmen, erhalten gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 BV für die Anmeldung an das RIBAS-System einen anonymisierten Schlüssel. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 BV bleibt die Pflicht zur generellen Teilnahme am RIBAS-System im Sinne des § 4 Abs. 1 BV unberührt.
28Gemäß § 10 Satz 3 BV gilt Folgendes:
29Schulung
30Arbeitnehmer erhalten, bevor sie zum ersten Mal ein mit dem RIBAS-System ausgerüstetes Fahrzeug führen, durch die zuständige Führungskraft eine Einweisung über die Funktionalitäten des RIBAS-Systems. Wird bei den monatlichen Auswertungen seitens des Arbeitnehmers, dessen Führungskraft oder im Rahmen der Fahrerweiterbildung durch die Fahrschule festgestellt, dass bei der Anwendung des RIBAS-Systems noch Verbesserungspotential vorhanden ist, kann von beiden Seiten eine weitere Schulung angeregt und vereinbart werden. Wird im Rahmen des monatlichen Berichtswesens festgestellt, dass im anonymisierten Fahrerdatenbestand in Einzelfällen eine erhebliche Überschreitung der in § 4 Abs. 1 aufgeführten Grenzwerte in Bezug auf die im jeweiligen Betrieb durchschnittlichen Überschreitungen der Grenzwerte erkennbar sind, hat der Arbeitgeber, in vorheriger Abstimmung mit dem Betriebsrat, das Recht die jeweiligen Datensätze zu personalisieren, um gegebenenfalls Schulungsmaßnahmen zu veranlassen.
31Gemäß § 11 BV ist das Bundesdatenschutzgesetz einzuhalten und stellt der Arbeitgeber sicher, dass dieses Gesetz von allen Führungskräften und Arbeitnehmern sowie externen Stellen (z.B.: Kinzle) eingehalten wird.
32In einer Sitzung vom 22.07.2013 fanden die Betriebsparteien ausweislich des Ergebnisprotokolls (Bl. 195 bis 196 d.A.) Übereinstimmung dahingehend, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen aufgrund der RIBAS-Auswertungen ausgeschlossen sind.
33Der von der Beklagten zuvor zu einem Entwurf der BV beteiligte Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW führte mit Schreiben vom 17.03.2014 (Bl. 189 bis 192 d.A.) u.a. Folgendes aus:
34Die Teilnahme der Fahrdienstmitarbeiter am Bewertungs- und Prämiensystem und der damit verbunden Auswertung und Nutzung ihrer Daten ist nach den vorstehenden Ausführungen für die Zielerreichung der Kraftstoffreduzierung beim Betrieb der Kraftomnibusse der C AG nicht zwingend erforderlich. Neben einer freiwilligen Teilnahme der Fahrer, die eine personenbezogene Datenauswertung ermöglicht, kann auch eine stichprobenartige Kontrolle zunächst im Hinblick auf den anonymisierten Fahrerdatenbestand in Betracht kommen. Wird insofern im Einzelfall eine besondere oder anhaltend unwirtschaftliche Fahrweise identifiziert, kann in Abstimmung mit dem Betriebsrat die Möglichkeit einer Personifizierung des betroffenen Fahrers mit der Zielsetzung weiterer Schulungsmaßnahmen erwogen werden.
35Es ist daher zu empfehlen, dass die C AG die Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat entsprechend modifiziert. Über das Ergebnis der Umsetzung dieser Empfehlung bitte ich mich zu unterrichten.
36Am 01.09.2014 trat die Betriebsvereinbarung in ihrer endgültigen Fassung in Kraft.
37Mit Schreiben vom 05.11.2014 (Bl. 194 d.A.) teilte der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit auf ein Schreiben der Beklagten vom 15.10.2014 (Bl. 193 d.A.) mit, dass er es begrüße, dass entsprechend seiner Empfehlung nach der Betriebsvereinbarung nunmehr die Möglichkeit der Anonymisierung der Fahrerdaten bestehe.
38Gemäß § 1 gilt die Betriebsvereinbarung auch für den Kläger. Er erteilte keine Zustimmung zur Teilnahme am personalisierten Berichts- und Prämiensystem.
39Ihm wurde am 27.08.2012 der anonymisierte Schlüssel zur Nutzung übergeben. Er schickte das ihm übersandte Empfangsbekenntnis nicht zurück. Auf Veranlassung der Beklagten fand am 14.10.2014 ein Gespräch statt, in dem er mitteilte, dass er in einem Gespräch mit seinem Teamleiter den Eindruck gewonnen habe, er könne wählen, ob er an dem System teilnehmen wolle.
40Am 30.10.2014 fand ein weiteres Gespräch statt, an dem neben dem Kläger der Fachbereichsleiter Personal und Bildung N und der Leiter des Omnibusbetriebs T teilnahmen. Sie erläuterten ihm das RIBAS-System und die Art und Weise, wie der Datenschutz beachtet wird. Sie wiesen auf die Beteiligung des Landesdatenschutzbeauftragten hin und forderten ihn auf, den RIBAS-Schlüssel ab sofort zu nutzen.
41Nach einer Schulung zum Umgang mit dem RIBAS-System hatte der Kläger bis zum 14.12.2014 Urlaub bzw. Freizeitausgleich. Am 15.12. und 16.12.2014 nutzte er den RIBAS-Schlüssel nicht.
42Mit Schreiben vom 18.12.2014 (Bl. 4, 5 d.A.) mahnte ihn die Beklagte ab und teilte mit, dass sie zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen erwarte, dass er sich vor jeder Fahrt im RIBAS-System anmelde. Bei Übergabe der Abmahnung wurde ihm angeboten, noch einmal eine Einweisung in das System zu erhalten. Er nahm das Angebot nicht an.
43Anschließend war er bis zum 02.01.2015 arbeitsunfähig krank.
44In der Zeit vom 03.01. bis 09.01.2015 nutzte er das System an sechs Arbeitstagen. Ab dem 12.01.2015 verwendete er den anonymen Schlüssel an elf Arbeitstagen nicht.
45Am 30.01.2015 führte er ein Gespräch mit seinem Teamleiter T1, in dem er erklärte, er wolle sich zu der Angelegenheit nicht äußern und sie gerichtlich klären lassen.
46Mit Schreiben vom 05.02.2015 (Bl. 69 d.A.) erteilte die Beklagte ihm eine weitere Abmahnung wegen unterlassener Anmeldung zum RIBAS-System. Die Abmahnung wurde ihm am 12.02.2015 persönlich übergeben und gleichzeitig erläutert, die Beklagte erwarte von ihm die Einhaltung des Verfahrens unabhängig von einer gerichtlichen Klärung seiner Auffassung, an diesem System nicht teilnehmen zu müssen. Er wurde auf die Gefährdung des Bestandes seines Arbeitsverhältnisses hingewiesen.
47Am 19., 20. und 21.02.2015 unterließ er es erneut, den RIBAS-Schlüssel einzusetzen.
48Mit Schreiben vom 26.02.2015 (Bl. 70 d.A.) erteilte ihm die Beklagte eine dritte Abmahnung. Mit Schreiben vom gleichen Tag forderte sie ihn noch einmal eindringlich auf, sich vor jedem Dienstantritt im RIBAS-System anzumelden. Die Schreiben gingen dem Kläger am 04.03.2015 zu.
49Am 05.03. und 06.03.2015 verrichtete er seinen Dienst, ohne sich in dem System anzumelden.
50Mit Schreiben vom 10.03.2015 (Bl. 77 bis 81 d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu ihrer Absicht an, das zu dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis verhaltensbedingt außerordentlich, hilfsweise außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres, mithin zum 30.09.2015 zu kündigen. Am 11.03.2015 (Bl. 82 d.A.) erteilte der Betriebsrat seine Zustimmung sowohl zu der beabsichtigten außerordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung sowie zu der beabsichtigten außerordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung mit einer sozialen Auslauffrist zum 30.09.2015.
51Mit Schreiben vom 12.03.2015 (Bl. 28 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich zum 13.03.2015 und hilfsweise außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum 30.09.2015. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 12.03.2015 zu.
52Mit seiner am 06.01.2015 bei dem Arbeitsgericht Bochum eingegangenen Klage begehrt er die Verpflichtung der Beklagten zur Entfernung der Abmahnung vom 18.12.2014 aus seiner Personalakte.
53Mit Klageerweiterung vom 22.02.2015, am 02.03.2015 bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangen, verfolgt er einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 05.02.2015 aus der Personalakte.
54Mit Klageerweiterung vom 09.03.2015, bei dem Arbeitsgericht Bochum am 11.03.2015 eingegangen, wendet er sich gegen die Abmahnung vom 26.02.2015.
55Mit Klageerweiterung vom 12.03.2015, am selben Tag bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangen, begehrt er die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12.03.2015 nicht aufgelöst wird.
56Er hat vorgetragen:
57Eine Pflicht zur Teilnahme an dem RIBAS-System durch Nutzung des anonymisierten Schlüssels bestehe nicht. Die Betriebsvereinbarung sei unwirksam. Entsprechend sei er zu Unrecht abgemahnt worden.
58Nach dem Bundesdatenschutzgesetz bedürfe die Erhebung personenbezogener Daten seiner Einwilligung. Er habe diese Einwilligung nicht erteilt.
59Zwar sei das Begehren der Beklagten, Energiekosten zu sparen, legitim. Die Erhebung von Daten in diesem Zusammenhang sei jedoch nicht zwingend erforderlich. Die Daten könnten durchaus Erkenntnisse im Hinblick auf die Ursachen des Energieverbrauchs liefern. Mit der Datenerhebung sei jedoch auch eine persönliche Kontrolle des einzelnen Fahrers verbunden, der einen erhöhten Energieverbrauch z.B. durch bestimmte Verkehrsereignisse nicht erläutern könne. Auch bei den anonymisierten Fahrern könnten die Daten durch Hinzuziehung des Dienstplanes personalisiert werden. So könne ein Verhaltensprofil erstellt werden.
60Der zentrale Server, auf dem die Daten gespeichert würden, befinde sich bei der Firma MiX Telematix in London. Der Datenschutzbeauftragte habe dort keinen Zugriff.
61Ihm sei unbekannt, wie viele Mitarbeiter bei der Beklagten Zugriff zu den Daten hätten. Im Übrigen sei es unerheblich, welche Mitarbeiter die Daten einsehen könnten. Es reiche schon aus, dass die Beklagte in der Lage sei, durch ihre Beauftragten die Personalisierung trotz seiner fehlenden Einwilligung vorzunehmen.
62Er habe dem Betriebsrat nicht das Mandat erteilt, über sein informationelles Selbstbestimmungsrecht zu verfügen. Die Betriebsvereinbarung greife in sein Persönlichkeitsrecht ein.
63In den Gesprächen mit der Beklagten habe er darauf hingewiesen, er wolle gerichtlich überprüfen lassen, ob er zum Einsatz des anonymisierten Schlüssels verpflichtet sei. Nach gerichtlicher Entscheidung zugunsten der Beklagten hätte er ihrer Weisung Folge geleistet.
64Die Erhebung seiner Daten sei auch nicht erforderlich gewesen, um die Daten eines vorhergehenden oder nachfolgenden Fahrers verlässlich zuordnen zu können. Anlässlich einer Schulung im Januar 2014 habe ein Referent darauf hingewiesen, dass durch das Ein- und Ausschalten der Zündung die Daten einem gesteckten Datenschlüssel zugeordnet und nur diejenigen Daten gemessen würden, die nach dem Einschalten der Zündung erhoben worden seien.
65Die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist nicht gewahrt. Selbst wenn er sich zu Unrecht geweigert hätte, den RIBAS-Schlüssel zu betätigen, so habe die Kündigungserklärungsfrist mit seiner Erklärung begonnen, er bediene den Schlüssel bis zu einer gerichtlichen Klärung nicht.
66Das Festhalten an seinem Arbeitsverhältnis sei der Beklagte zuzumuten. Durch seine fehlende Mitwirkung an der Datenerfassung habe sie keine erheblichen Nachteile erlitten. Es werde auch bestritten, dass ein nachfolgender Fahrer Nachteile erlitten habe.
67Das System könne auch ohne ihn bestehen, da die Beklagte nach eigenen Angaben seit Einführung bereits 365.000 Liter Dieselkraftstoff eingespart habe.
68Im Übrigen habe er nicht schuldhaft gehandelt, sondern habe sich in einem durchaus gut begründeten und vertretbaren Verbotsirrtum befunden.
69Der Kläger hat beantragt,
70- 71
1. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 aus der Personalakte zu entfernen,
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2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 12.03.2015 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
74die Klage abzuweisen.
75Sie hat die ausgesprochene Kündigung und die Abmahnungen als wirksam verteidigt ausgeführt:
76Es hätten sich weniger als 10 % der bei ihr beschäftigten Fahrer gegen eine Teilnahme an dem Prämiensystem entschieden.
77Auch diese Arbeitnehmer seien verpflichtet, einen anonymisierten Schlüssel zu benutzen. Werde dieser nicht eingesetzt, werde die Auswertung aus technischen Gründen automatisch dem nachfolgenden Fahrer zugerechnet. Das System benötige für die Messung und Zurechnung der Daten zu einem Fahrer einen Start- und Endpunkt. Die Ergebnisse des nachfolgenden Fahrers seien zwingend falsch, wenn nicht nur seine eigene Fahrleistung erfasst werde. Die Firma TL habe das RIBAS-System bereits in anderen Unternehmen erfolgreich eingesetzt.
78Die Daten des Klägers würden grundsätzlich anonymisiert. Nur ausnahmsweise würden die Datensätze in Abstimmung mit dem Betriebsrat personalisiert, wenn erhebliche Überschreitungen der Grenzwerte im Vergleich zu den durchschnittlichen Ergebnissen erkennbar seien. Es werde dann lediglich geprüft, ob Schulungsmaßnahmen zu veranlassen seien.
79Es erfolge auch keine minutengenaue Auswertung der Fahrsituationen. Es würden lediglich Durchschnittswerte wiedergegeben, wie sich aus dem Bewertungsbericht für die Zeit vom 05.04.2015 bis zum 11.04.2015 (Bl. 68 d.A.) ergebe.
80Die Erfahrungen mit dem System aus den ersten Monaten zeigten, dass in erheblichen Maße Dieselkraftstoff eingespart worden, dass die Kundenzufriedenheit aufgrund der vorausschauenden Fahrweise gestiegen sei und sogar Fahrpläne besser eingehalten würden. Nach Einschätzung der Fahrer und Führungskräfte sei die Verkehrssicherheit gestiegen.
81Der Kläger habe beharrlich gegen seine Verpflichtung verstoßen und hätte sich bis zu einer gerichtlichen Entscheidung mit dem anonymisierten Schlüssel in dem System anmelden müssen.
82Eine Weiterbeschäftigung sei ihr unzumutbar. Der Kläger sei gewarnt gewesen und habe die Konsequenzen seiner Weigerung in Kauf genommen.
83Mit Urteil vom 27.05.2015 hat das Arbeitsgericht Bochum die Beklagte verurteilt, die Abmahnungen vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 aus der Personalakte zu entfernen, und hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 12.03.2015 aufgelöst worden ist.
84Es hat ausgeführt:
85Die Abmahnungen seien aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, da sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung seines Verhaltens beruhten. Er habe keine Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis verletzt.
86Er habe sich nicht bei Fahrtbeginn durch Nutzung des anonymisierten Schlüssels anmelden müssen.
87Die Betriebsparteien hätten mit Abschluss der Betriebsvereinbarung die ihnen nach § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG obliegende Pflicht verletzt, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.
88Die Regelung in der Betriebsvereinbarung, auch diejenigen Fahrer, die nicht am Prämiensystem teilnähmen, fortlaufend zu überwachen, sei nicht erforderlich.
89Die Beklagte könne die unter § 2 BV genannten Ziele auch erreichen, wenn sie die Fahrer, die sich gegen die Teilnahme an dem Prämiensystem entschieden hätten, nicht überwache. Sie hätte als milderes Mittel dafür Sorge tragen müssen, dass Aufzeichnungen der Fahrdaten nur in den Zeiträumen erfolgten, in denen am Prämiensystem teilnehmende Fahrer ihre Schlüssel nutzten. Sie hätte ein System einsetzen müssen, dass die Daten nicht fortlaufend erfasse.
90Soweit sie darauf verweise, „auffällige Fahrer“ könnten durch die Überwachung einer Schulung zugeführt werden, hätte es ein milderes Mittel dargestellt, regelmäßig ohne entsprechende Leistungskontrolle vorbeugende Schulungen bei sämtlichen Mitarbeitern durchzuführen. Eine Dauerüberwachung der Mitarbeiter sei entbehrlich.
91Es sei auch nicht erforderlich, dass die Daten ohne zeitliche Begrenzung gespeichert würden.
92Insgesamt sei der Eingriff in das Grundrecht des Klägers unverhältnismäßig.
93Aus diesem Grunde seien auch die Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen.
94Darüber hinaus enthielten die Abmahnungen vom 05.02.2015 und 26.02.2015 unrichtige Tatsachenbehauptungen. Die Beklagte habe darauf hingewiesen, dass die Daten auf einem anonymen Account abgespeichert würden und nicht zuzuordnen seien. Wie sich aus § 10 BV ergebe, sei dieser Hinweis unzutreffend.
95Weiterhin habe die beweisbelastete Beklagte nicht unter Beweis gestellt, dass ihre Behauptung in den Abmahnungen, die Vorgehensweise sei mit dem Landesdatenschutzbeauftragten abgesprochen, zutreffend sei.
96Die Kündigung vom 12.03.2015 sei sozial ungerechtfertigt, da die Beklagte einen Kündigungsgrund im Sinne des § 1 KSchG nicht dargelegt habe.
97Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf Blatt 106 bis 114 der Akte verwiesen.
98Gegen das ihr am 08.06.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.06.2015 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese am 07.08.2015 eingehend begründet.
99Sie rügt das erstinstanzliche Urteil als fehlerhaft und führt aus:
100Es sei erneut darauf hinzuweisen, dass die einem Fahrerschlüssel zugeordneten Daten und das Dienstplanprogramm technisch und organisatorisch getrennt seien. Nur unter Einschaltung der Personalabteilung und mit Zustimmung des Betriebsrates sei die Personalisierung der Daten zulässig.
101Diese würden kontinuierlich aufgezeichnet und an einen Server der Firma L1 in einem Rechenzentrum in London übermittelt und dort gespeichert. Sie habe mit der Firma L1 eine Vereinbarung über die Auftragsdatenverarbeitung geschlossen, die den Vorgaben des § 11 Bundesdatenschutzgesetz entspreche. Auch in Großbritannien gelte europarechtliches Datenschutzrecht. Das Rechenzentrum sei zertifiziert.
102Die gespeicherten Daten würden 12 Monate nach der Aufzeichnung gesperrt. Diese Speicherdauer sei notwendig, um Nachfragen im Zusammenhang mit der Prämienvergabe beantworten zu können. Seien die Daten gesperrt, habe sie keinen Zugriff mehr. Aus rechtlichen Gründen würden sie bis zu weiteren neun Jahren auf einem externen Datenmedium gespeichert.
103Nach Angaben des Herstellers sei es technisch nicht möglich, die erhobenen Daten auf dem Server bzw. dem Speicher zu sortieren und nur die Daten von am Prämiensystem teilnehmenden Mitarbeitern zu speichern. Entsprechend sei auch keine getrennte Aufzeichnung möglich.
104Zwar sei es möglich, durch Unterbrechung des Zündkontaktes die Datenzuschreibung auf den nachfolgenden Fahrer zu verhindern. Allerdings beanspruche dieser Vorgang etwa zwei Minuten und führe zu erhöhten Emissionen.
105Die Betriebsvereinbarung stelle eine ergänzende Vereinbarung im Sinne von § 6 der Rahmenbetriebsvereinbarung über die Einführung von EDV-Systemen und bereits bestehenden EDV-Systemen vom 01.10.1996 dar.
106Der Kläger habe keine arbeitsrechtlichen Sanktionen im Falle ungünstiger Daten zu besorgen, da die Betriebsparteien festgehalten hätten, dass arbeitsrechtliche Sanktionen infolge der erhobenen Daten nicht zulässig seien.
107Ein Abgleich zwischen den Dienstplänen und den erhobenen Daten sei nicht allgemein möglich. Die Dienstpläne der Fahrer würden nicht allgemein veröffentlicht.
108Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichtes seien theoretische Schulungen und ein Fahrtraining nicht so wirksam wie die Teilnahme am RIBAS-System, das sofort in der Situation ein Feedback gebe. Das zeige sich auch darin, dass sie zwar seit vielen Jahren regelmäßig alle Fahrer schule, nach Einführung des RIBAS-Systems dennoch deutliche Verbesserungen festzustellen seien.
109Die Ziele der Betriebsvereinbarung seien auch nur erreichbar, wenn alle Mitarbeiter die Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Fahrweise nutzten. Durch optische und akustische Signale werde der Fahrer aufmerksam gemacht und veranlasst, seine Fahrweise zu optimieren. Die Wirksamkeit der Maßnahme wäre beeinträchtigt, nähmen nur Arbeitnehmer teil., die ausdrücklich in die personalisierte Datenerhebung eingewilligt hätten.
110Die Eingriffsintensität sei geringer als bei einer Videoüberwachung. Es würden nur Maschinendaten erhoben. Persönlichkeitsrelevante Merkmale wie Verhalten gegenüber Kunden und anderen Verkehrsteilnehmern, Pünktlichkeit, Gesprächsverhalten während der Fahrt blieben außen vor. Es sei nicht möglich, ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen.
111Die Belastung der einzelnen Fahrer sei gering, da das System im Wesentlichen zur Selbstkontrolle anhalte. Die Fremdkontrolle greife nur ausnahmsweise ein. Unter gewöhnlichen Umständen würden die anonym erhobenen Daten nicht personalisiert.
112Entsprechend habe der Landesdatenschutzbeauftragte die Betriebsvereinbarung für wirksam angesehen.
113Auch die erteilten Abmahnungen seien wirksam. Die Abmahnungen vom 05.02.2015 und 26.02.2015 enthielten keine unzutreffenden Angaben zum Sachverhalt.
114Die Kündigung sei als außerordentliche, fristlose Kündigung wirksam, da es der Kläger beharrlich abgelehnt habe, den Schlüssel zu benutzen, statt die Angelegenheit zunächst rechtlich klären zu lassen. Die Kündigung sei zumindest als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gerechtfertigt.
115Die Beklagte beantragt,
116das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 27.05.2015
117– Az: 5 Ca 24/15 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
118Der Kläger beantragt,
119die Berufung zurückzuweisen.
120Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und führt ergänzend aus:
121Es könne dahinstehen, ob das Dienstplanprogramm und das RIBAS-System technisch getrennt gefahren würden. Die Mitarbeiter der Beklagten, die Zugriff auf beide Systeme hätten, könnten eine Zuordnung vornehmen. Das ergebe sich aus dem eigenen Vortrag der Beklagten.
122Er bestreite, dass die erforderliche Datensicherheit im Rechenzentrum in London gegeben sei und nach 12 Monaten die Daten gelöscht würden.
123Es müsse technisch möglich sein, die erhobenen Daten der anonymisierten Fahrer und der Teilnehmer an dem Prämiensystem getrennt zu speichern und unterschiedlich zu behandeln. Sei dies nicht möglich, dürfe die Beklagte das System nicht verwenden.
124Für die Entscheidung sei unmaßgeblich, ob er konkreten Anlass habe zu befürchten, sie werde die Regeln zur Personalisierung seiner Daten nicht einhalten. Maßgeblich sei, dass sie in der Lage sei, die Personalisierung vorzunehmen.
125Die Betätigung des RIBAS-Schlüssels durch die Mitarbeiter, die nicht am Prämiensystem teilnähmen, sei nicht erforderlich. Der Datenfluss könne, wie die Beklagte eingeräumt habe, durch Unterbrechung des Zündkontaktes beendet werden.
126Die Schulung der Mitarbeiter, die nicht an dem Prämienverfahren teilnähmen, sei zu Recht von dem erstinstanzlichen Gericht als mildere Maßnahme beurteilt worden.
127Die Abmahnungen vom 05.02. und 26.02.2015 seien entgegen der Auffassung der Beklagten auch deshalb rechtswirksam, weil sie zu Unrecht ausgeführt habe, seine Daten seien nicht zuzuordnen, und zu Unrecht darauf verwiesen habe, der Landesdatenschutzbeauftragte sei beteiligt worden. Das habe sie jedenfalls in der ersten Instanz nicht schlüssig vorgetragen.
128Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
129Entscheidungsgründe
130A.
131Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 b, c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte und form- sowie fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum ist im Wesentlichen begründet.
132I.
133Die zulässige Kündigungsschutzklage ist teilweise begründet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis hat durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 12.03.2015 mit sozialer Auslauffrist am 30.09.2015 geendet.
1341. Die Kündigung ist nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
135a. Die Beklagte hat schlüssig dargelegt, den bei ihr bestehenden Betriebsrat mit Schreiben vom 10.03.2015 von ihrer Absicht unterrichtet zu haben, das zu dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2015 kündigen zu wollen. Sie hat ihn zutreffend über die Sozialdaten des Klägers (Alter, Beschäftigungszeit, Unterhaltspflichten) informiert. Durch Hinweis auf die Beschäftigungsdauer und Kennzeichnung der hilfsweise auszusprechenden Kündigung als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist hat sie klargestellt, dass der Kläger nicht ordentlich kündbar ist. Die Kündigungsgründe hat sie im Einzelnen unter Darstellung der erteilten Abmahnungen beschrieben und ihre Interessenabwägung detailliert begründet.
136b. Das Anhörungsverfahren war mit der Zustimmung des Betriebsrats vom 11.03.2015 sowohl zu der fristlosen Kündigung als auch zu der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist vor Kündigungsausspruch am 12.03.2015 beendet.
137Der Kläger hat den Vortrag nicht bestritten.
1382. Die Beklagte hat die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
139Wie sich aus der Betriebsratsanhörung ergibt, hat sie ihren Kündigungsentschluss nicht – wie vom Kläger angenommen – auf seine Weigerung am 30.01.2015 gestützt, sich mit einem Schlüssel zu dem RIBAS-System anzumelden. Sie hat auf den Nichtgebrauch des Schlüssels am 05.03.2015 und 06.03.2015 abgestellt.
140Bei Beginn der Kündigungserklärungsfrist am 06.03.2015 endete sie am 20.03.2015. Die Kündigungserklärung ging dem Kläger am 12.03.2015 zu.
1413. Die außerordentliche fristlose Kündigung ist jedoch nicht im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB durch Tatsachen gerechtfertigt, aufgrund derer es der Beklagten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfall und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar war, das Arbeitsverhältnis wenigstens für die Dauer der sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum Quartalsende entsprechend der längsten Kündigungsfrist nach § 20 Abs. 4 TV-N NRW fortzuführen.
142Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung ist in zwei Stufen zu prüfen. Zunächst müssen Tatsachen vorliegen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zu bilden. Im zweiten Schritt ist festzustellen, ob unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls eine weitere Beschäftigung zumutbar ist (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 - Rdnr. 16, BAGE 134, 349).
143a. Ein an sich zur fristlosen Kündigung berechtigender wichtiger Grund ist gegeben, da sich der Kläger beharrlich geweigert hat, seiner Verpflichtung aus § 4 Abs. 2 BV nachzukommen, sich trotz Ablehnung der Teilnahme an dem Prämiensystem mit einem anonymisierten Schlüssel anzumelden.
144aa. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BV erhalten Fahrer, die nicht an dem personalisierten Berichts- und Prämiensystem teilnehmen, für die Anmeldung an das RIBAS-System einen anonymisierten Schlüssel. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 BV bleibt die Pflicht zur generellen Teilnahme an diesem System bestehen, auch wenn der Fahrer seine Zustimmung zur Datenerhebung im personalisierten System nicht erteilt.
145Der Kläger hat diese Verpflichtung am 05.03.2015 und 06.03.2015 nicht erfüllt.
146bb. Die sich aus der Betriebsvereinbarung ergebende Pflicht ist mit höherrangigem Recht vereinbart.
147(1) Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist.
148(a) Die Beklagte erhebt, verarbeitet und nutzt automatisiert die erhobenen Daten im Sinne des § 3 Abs. 3, 4, 5 Bundesdatenschutzgesetz, indem sie die nach § 3 BV ermittelten Durchschnittswerte nach § 6 Abs. 2 BV der Berechnung der Monatsprämie zugrunde legt und in Einzelfällen bei erheblichen Überschreitungen der Werte in Bezug auf die im jeweiligen Betrieb durchschnittlichen Überschreitungen der Grenzwerte nach Abstimmung mit dem Betriebsrat die anonym erhobenen Daten personalisiert, um gegebenenfalls Schulungsmaßnahme zu veranlassen, § 10 Satz 3 BV.
149(b) Es handelt sich um persönliche Daten im Sinne des § 3 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz, nämlich um Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmbaren Person.
150Die Daten beziehen sich auf das Fahrverhalten des Fahrers, damit auf seine Leistung, die Art und Weise der Erfüllung seiner Hauptpflicht aus dem Arbeitsvertrag.
151Der Kläger ist als betroffene Person auch bestimmbar. Der Betroffene ist bestimmbar, wenn er mithilfe weiterer verfügbarer Erkenntnisse identifiziert werden kann, und zwar mit angemessenem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft, wie aus § 3 Abs. 6 Bundesdatenschutzgesetz folgt (Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand 2015, § 3 BDSG Rdnr. 3).
152Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass der Anonymisierungsschutz ohne großen Aufwand durch Hinzuziehung der Dienstpläne aufgehoben werden kann.
153(2) Gemäß § 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten zulässig, wenn das Bundesdatenschutzgesetz oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet oder der Betroffene eingewilligt hat.
154Der Kläger hat seine Einwilligung nicht erteilt. Eine Erlaubnis folgt jedoch aus der Betriebsvereinbarung.
155(a) Als Rechtsvorschrift im Sinne des § 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz ist auch eine Betriebsvereinbarung anzusehen (BAG 15.04.2014 – 1 ABR 2/13 (B) - Rdnr. 49, NZA 2014, 541; ErfK/Franzen, 16. Aufl., § 4 BDSG Rdnr. 2; Wybitul, NZA 2014, 225).
156Hier erlaubt die Betriebsvereinbarung die Erhebung anonymer Daten, die im Ausnahmefall auch personalisiert werden dürfen.
157(b) Die nach § 87 Abs. 1, 6 BetrVG von den Betriebsparteien abgeschlossene Betriebsvereinbarung ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht unwirksam. Sie verstößt nicht gegen § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.
158Danach haben Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben demnach bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung das aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht zu beachten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Die Zuordnung eines konkreten Rechtschutzbegehrens zu den verschiedenen Aspekten des Persönlichkeitsrechts richtet sich vor allem nach der Persönlichkeitsrechtsgefährdung. Außerhalb des absoluten Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Es kann deshalb durch verfassungsgemäße Gesetze eingeschränkt werden. Derartige Regelungen können auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen enthalten. Der Gesetzgeber genügt insoweit seiner Pflicht, die Arbeitnehmer als Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Grundrechte durch privatautonome Regelungen zu bewahren, indem er die Betriebsparteien in § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verpflichtet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen (BAG 15.04.2014 a.a.O. Rdnr. 40).
159Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugunsten schützenswerter Belange eines anderen Grundrechtsträgers richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser verlangt eine Regelung, die geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Den Betriebsparteien dürfen zur Zielerreichung keine anderen, gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Eine Regelung ist verhältnismäßig im engeren Sinn, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (BAG 15.04.2014 a.a.O. Rdnr. 41).
160Nach diesen Grundsätzen beeinträchtigt die Erhebung von Leistungsdaten bei dem Kläger, die nur ausnahmsweise personalisiert werden, sein allgemeines Persönlichkeitsrecht in Form des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung nicht in unverhältnismäßiger Weise.
161(aa) Das Gericht geht zu seinen Gunsten davon aus, dass das RIBAS-System in sein Persönlichkeitsrecht eingreift. Es ist zwar nicht wie bei einer Taschenkontrolle seine Privatsphäre unmittelbar betroffen (vgl. zur Taschenkontrolle BAG 15.04.2015 a.a.O. Rdnr. 43). Es wird aber sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung berührt. Die Selbstbestimmungsfreiheit ist Teil des nach Artikel 2 Abs. 1 GG geschützten Bereichs (Richardi, BetrVG, 14. Aufl., § 75 BetrVG Rdnr. 46; Beck OK BGB/Bamberger § 12 BGB Rdnr. 93).
162Solange die Daten des Klägers anonymisiert sind, unterliegt er keiner Leistungskontrolle. Wird dieser Schutz bei überdurchschnittlich negativen Werten aufgehoben, ist naturgemäß eine Leistungskontrolle gegeben. Im Regelfall bleibt er anonym. Zu seinem Selbstbestimmungsrecht gehört auch die Entscheidung, sich während der Fahrtätigkeit nicht dauernd von akustischen und optischen Signalen beeinflussen zu lassen, sich nicht ständig vergegenwärtigen zu müssen, dass überdurchschnittlich negative Werte zu einer tatsächlichen Leistungskontrolle führen können.
163(bb) Die Regelung, dass auch Fahrer, die nicht an dem Prämiensystem teilnehmen, durch Benutzung eines anonymen Schlüssels die Datenerhebung nach dem RIBAS-System auslösen müssen und dass unter bestimmten Voraussetzungen ihre Daten personalisiert werden, ist geeignet, den erstrebten Erfolg zu fördern, wobei den Betriebsparteien ein Beurteilungsspielraum zukommt (BAG 29.06.2004 – 1 ABR 21/03 - Rdnr. 18).
164Nach der Präambel zu der BV ist es Ziel der Betriebsparteien, die Fahrökonomie zu steigern und den Fahrer bei einfacher Handhabung zu unterstützen, sicher, umweltbewusst und kostensparend seine Tätigkeit auszuführen. Diese allgemeine Zielsetzung ist in § 2 BV konkretisiert worden. Erstrebt wird die Entlastung des Fahrers bei höherer persönlicher Zufriedenheit, die Steigerung der Kundenzufriedenheit, die Verringerung ökologischer Beeinträchtigungen wie CO 2- Emissionen und Verkehrslärm sowie die Reduzierung von Energiekosten und Materialverschleiß.
165Dass es sich dabei um legitime, im Interesse der Beklagten, der Beschäftigten und der Allgemeinheit liegende Ziele handelt, hat der Kläger nicht in Abrede gestellt.
166Das RIBAS-System ist auch geeignet, diese Ziele zu erreichen.
167Es fördert die Selbstkontrolle der Fahrer. Nach § 3 BV wird das RIBAS-Display mit einer Kabelverbindung an den Bordcomputer angeschlossen und vermittelt dem Fahrer akustische und optische Signale, aus denen er unmittelbar schließen kann, ob er zu hochtourig fährt, Leerlaufzeiten überschreitet, zu scharf bremst, zu stark beschleunigt oder vorgeschriebene Geschwindigkeiten überschreitet. Er kann unmittelbar reagieren und seine Fahrweise anpassen. Durch die Signale wird er immer wieder zu einer Selbstkontrolle stimuliert.
168Die Aufzeichnung und Speicherung der Daten im Sinne einer Berichterstattung fördert den Leistungsvergleich der Fahrer untereinander. Gemäß § 5 Abs. 1 BV erhalten die Fahrer, die an dem Berichts- und Prämiensystem teilnehmen, einen persönlichen Detailbericht. Der Leiter des Betriebs erhält nach § 5 Abs. 2 BV einen Fahrerbewertungsbericht, der gemäß § 5 Abs. 3 BV anonymisiert allen Fahrern im Aufenthaltsraum durch Aushang zur Kenntnis gegeben wird. Auch die Fahrer, die nur anonym teilnehmen, haben damit die Möglichkeit, ihren persönlichen Fahrstil anhand der Ergebnisse der Kollegen zu reflektieren.
169Das RIBAS-System ermöglicht es der Beklagten zum anderen, im Ausnahmefall unter den Voraussetzungen des § 10 Satz 3 BV auf das Fahrverhalten der nicht an dem Prämiensystem teilnehmenden Fahrer durch Schulungsmaßnahmen einzuwirken, überhaupt erst einmal einen Schulungsbedarf festzustellen.
170Dass die Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem erstrebten Ziel förderlich sind, zeigt die Tatsache, dass ab dem 01.09.2014 bis April 2015 bereits 365.000 Liter Dieselkraftstoff eingespart wurden. Die Behauptung der Beklagten, die erstrebte vorausschauende Fahrweise ohne starkes Beschleunigen oder Bremsen sei für die Fahrgäste angenehm und diene der Verkehrssicherheit, ist lebensnah und nachvollziehbar.
171(cc) Die Erhebung der Daten auch bei Fahrern wie dem Kläger, grundsätzlich anonym, im Einzelfall personalisiert, ist entgegen seiner Auffassung auch erforderlich.
172Eine Maßnahme ist dann erforderlich, wenn andere, gleich wirksame und das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers weniger einschränkende Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen (BAG 15.04.2013 a.a.O. Rdnr. 46). Die Betriebsparteien haben auch hier einen Beurteilungsspielraum (BAG 29.06.2004 a.a.O. Rdnr. 19).
173Die Kammer teilt die Auffassung der Beklagten, dass die Anordnung von Schulungsmaßnahmen bei sämtlichen Fahrern ohne die Kontrolle durch das RIBAS-System nicht gleich wirksam ist. Schulungsmaßnahmen vermitteln theoretische Kenntnisse, die jedoch der Umsetzung in der Praxis bedürfen. Zwar kann ein praktisches Fahrtraining als Begleitmaßnahme die Möglichkeit eröffnen, Erlerntes anzuwenden und erste Erfahrungen zu sammeln. Gleichwohl verfestigt sich Erlerntes erst dann, wenn es hier den Fahrstil so prägt, dass ökologisches und ökonomisches Fahren zur Selbstverständlichkeit wird, keiner Reflektion mehr bedarf. Das erfordert ständiges Üben und ein kontinuierliches Feedback, das den Fahrern im Alltagsbetrieb durch die optischen und akustischen Signale des RIBAS-Systems ständig gegeben wird. Auch die nicht an dem Prämiensystem teilnehmenden Fahrer werden durch die Vereinbarung in § 4 Abs. 2 Satz 2, Satz 4 BV zur Selbstkontrolle angehalten. Durch den Aushang von Berichten nach § 5 Abs. 3 BV erhalten sie die mangels Vorliegens eigener konkreter Daten die eingeschränkte, aber gleichwohl zu nutzende Möglichkeit, ihren Fahrstil in Bezug zu dem Gesamtergebnis zu setzen.
174Die Beklagte hat die Möglichkeit, monatlich festzustellen, ob im anonymisierten Datenbestand in Einzelfällen eine erhebliche Überschreitung der in § 4 Abs. 1 BV aufgeführten Grenzwerte in Bezug auf den Durchschnitt vorliegt, und kann diese Fahrer nach vorheriger Aufhebung der Anonymisierung mit Zustimmung des Betriebsrats gezielt einer Schulungsmaßnahme zuführen. Sie kann ihnen die Defizite konkret aufzeigen, so die Motivation steigern, sich (erneut) schulen zu lassen.
175Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob es technisch möglich ist, das RIBAS-System auch zu nutzen, wenn nur die an dem Prämiensystem beteiligten Fahrer den Schlüssel benutzen, um das System zu starten.
176(dd) Die dem Kläger auferlegte Pflicht, mit einem anonymisierten Schlüssel an der Datenerhebung teilzunehmen, sowie die Regelung zur Aufhebung des Datenschutzes sind angemessen.
177Angemessen ist die Regelung, wenn sie verhältnismäßig im engeren Sinne erscheint. Es bedarf hier einer Gesamtabwägung zwischen der Intensität des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe. Die Grenze der Zumutbarkeit darf nicht überschritten werden. Die erforderliche Rechtsgüterabwägung kann nicht ab-strakt vorgenommen werden. Vielmehr sind jeweils die Gesamtumstände maßgeblich. Dabei ist für die Angemessenheit einer grundrechtsbeschränkenden Maßnahme die Eingriffsintensität mitentscheidend. Es ist bedeutsam, wie viele Personen wie intensiven Beeinträchtigungen ausgesetzt sind und ob diese Personen hierfür einen Anlass gegeben haben. Das Gewicht der Beeinträchtigung hängt auch davon ab, ob die Betroffenen als Personen anonym bleiben, welche Umstände und Inhalte der Kommunikation erfasst werden können und welche Nachteile den Grundrechtsträgern aus der Überwachungsmaßnahme drohen oder von ihnen nicht ohne Grund befürchtet werden. Relevant ist auch, ob die Überwachungsmaßnahmen in einer Privatwohnung oder in Betriebs- und Geschäftsräumen stattfinden und ob und in welcher Zahl unverdächtige Dritte mit betroffen sind (BAG 29.06.2004 a.a.O. Rdnr. 20).
178Die Intensität der Beeinträchtigung hängt ferner maßgeblich von der Dauer und der Art der Überwachungsmaßnahme ab. Das als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedarf unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung eines besonderen Schutzes. Es ist vor allem deshalb gefährdet, weil mit dieser Technik Informationen über bestimmte Personen grundsätzlich unbegrenzt speicherbar und jederzeit abrufbar sind und mit anderen Datensammlungen zu einem Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden können, ohne dass der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann. Diese technischen Möglichkeiten sind geeignet, bei den betroffenen Personen einen psychischen Anpassungsdruck zu erzeugen (BAG 29.06.2004 a.a.O. Rdnr. 21).
179Hier findet die Datenerhebung allein am Arbeitsplatz des Klägers statt. Der Kernbereich seiner Lebensführung ist nicht betroffen. Anders als bei einer Videoüberwachung muss er sich nicht bei jeder Bewegung kontrollieren, wird nicht seine Körpersprache bei der Arbeit oder in der Kommunikation mit Vorgesetzten, Kollegen oder Fahrgästen aufgezeichnet. Es werden lediglich Fahrzeugdaten erhoben, die Indikatoren für eine erwünschte bzw. unerwünschte Fahrweise sind.
180Dem Kläger ist zuzugestehen, dass z.B. scharfes Bremsen oder eine starke Beschleunigung der Verkehrssituation geschuldet sein können, ohne dass er die Möglichkeit hat, sich zu rechtfertigen. Allerdings sind die Auffälligkeiten nur dann von Bedeutung, wenn sie zu erheblich über dem Durchschnitt liegenden Messwerten führen. Da auch andere Fahrer Verkehrssituation zu bewältigen haben, in denen sie zur Verkehrssicherheit die RIBAS-Vorgaben außer Acht lassen müssen, fließen solche Ausnahmesituationen in die Gesamtbetrachtung ein.
181Im Übrigen zeigt der von der Beklagten vorgelegte Bericht über die Fahrerbewertung (Bl. 68 d.A.), dass keine situationsgebundenen Einzel- oder Detaildaten ausgewertet werden.
182Zu berücksichtigen ist ferner, dass anders als bei einer Torkontrolle oder bei einer Videoüberwachung die bei dem Kläger erhobenen Daten grundsätzlich anonym bleiben. Die Beklagte darf die Anonymisierung auch nicht nach Gutdünken aufheben, da sie sich zuvor mit dem Betriebsrat abzustimmen hat, der damit die Interessen des Betroffenen wahren kann und muss. Nach dem Willen der Betriebsparteien ist die Personalisierung der Daten an eine erhebliche, nicht die bloße Überschreitung der durchschnittlichen Werte gebunden.
183Dass sie in dieser Ausnahmeregelung mit der Formulierung „eine erhebliche Überschreitung“ einen unbestimmten Rechtsbegriff verwendet haben, begegnet keinen Bedenken. Unbestimmte Rechtsbegriffe werden regelmäßig in Normen, auch in Betriebsvereinbarungen verwendet. Dass sie im Streitfall erst im Zuge der Anwendung durch die Gerichte konkretisiert werden, ist darin angelegt. Hier ist zu berücksichtigen, dass sich zunächst die Betriebsparteien darüber verständigen müssen, dass erhebliche Überschreitungen vorliegen. Wann sie erheblich sind, lässt sich im Übrigen unter Berücksichtigung der Regelungen in §§ 2, 3, 4 Abs. 1, 6 BV mit herkömmlichen juristischen Methoden bestimmen.
184Dem Kläger ist zuzugestehen, dass die Personalisierung seiner Daten ohne großen Aufwand möglich ist und deshalb auch missbräuchlich durch Unbefugte erfolgen kann. Die Betriebsvereinbarung kann jedoch nur den Schutzstandard festlegen, schützt aber nicht gegen Pflichtverletzungen durch andere Beschäftigte. Ansonsten könnte die Beklagte überhaupt keine Daten zur Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erheben, da sie regelmäßig zweckwidrig verwendet werden können, selbst wenn sie korrekte, den Anforderungen des Datenschutzes entsprechende Regelungen z.B. zu Zugriffsrechten trifft.
185Bei der Würdigung der Eingriffsqualität der den Kläger betreffenden Regelungen ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine dauerhafte Datenerhebung und -nutzung handelt. Dabei ist jedoch von entscheidender Bedeutung, dass er selbst bei Aufhebung der Anonymisierung keine arbeitsrechtlichen Sanktionen zu besorgen hat, sondern lediglich zu Schulungsmaßnahmen veranlasst werden kann. Die Betriebsvereinbarung enthält keine Regelungen zu Sanktionen. Die Betriebsparteien haben in dem Ergebnisprotokoll vom 22.07.2013 darüber hinaus festgehalten, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen aufgrund der RIBAS-Auswertungen ausgeschlossen sind.
186In die Gesamtabwägung hat des Weiteren einzufließen, dass es nicht nur im wirtschaftlichen Interesse der Beklagten, sondern im ökologischen Interesse der Allgemeinheit liegt, alle Fahrer im öffentlichen Nahverkehr zu einem sicheren, umweltbewussten und kostensparenden Fahrstil zu veranlassen.
187(3) Die Betriebsvereinbarung ist nicht unwirksam, weil sie keine Regelung zur Dauer der Speicherung der erhobenen Daten enthält.
188Treffen die Betriebsparteien keine Regelung, gilt § 35 Abs. 2 Nr. 3 Bundesdatenschutzgesetz. Die Daten sind zu löschen bzw. gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 1 Bundesdatenschutzgesetz zu sperren, wenn ihre Kenntnis für die Erfüllung des Zwecks der Speicherung nicht mehr erforderlich ist.
189Hier werden die Daten ein Jahr nach ihrer Aufzeichnung für den Zugriff durch die Beklagte gesperrt und nur noch im Hinblick auf Verjährungsfristen und Aufbewahrungsfristen nach der Abgabenordnung – bezogen auf die gezahlten Prämien – extern aufbewahrt.
190(4) Die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung wird auch nicht durch die Auftragsvereinbarung extern durch die Firma L1 berührt. Die Auftragsverarbeitung ist gemäß § 11 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz grundsätzlich erlaubt. Die Beklagte trägt die Verantwortung für die Wahrung der gesetzlichen Vorschriften, wie sich auch aus § 11 BV ergibt. Der Kläger kann im Einzelfall seine Rechte aus §§ 6, 7 Bundesdatenschutzgesetz geltend machen.
191(bb) Seine Pflichtverletzungen sind besonders schwerwiegend, weil er sich wiederholt und beharrlich geweigert hat, den anonymisierten Schlüssel zu nutzen. Die Beklagte hat ihm in einem Gespräch am 30.10.2014 die Betriebsvereinbarung zur Information vorgelegt. Sie hat ihm angeboten, ihm die technischen Hintergründe des RIBAS-Systems zu erläutern. Er ist in 2014 im Umgang mit dem System geschult worden. Die Beklagte hat mit ihm am 30.01.2015 erneut ein Gespräch geführt und ihn auf seine Verpflichtung zur Schlüsselnutzung hingewiesen. Weder die Aufklärung noch die Gespräche noch die erteilten drei Abmahnungen konnten ihn davon abhalten, auch am 05.03. und 06.03.2015 das RIBAS-System nicht zu starten.
192(cc) Er hat vorsätzlich gehandelt, da er sich nicht in einem unverschuldeten Rechtsirrtum befand.
193Entschuldbar ist ein Rechtsirrtum über die Rechtslage dann, wenn sie objektiv zweifelhaft ist und der Arbeitnehmer sie sorgfältig geprüft und sich zuverlässig erkundigt hat (BAG 31.01.1985 – 2 AZR 486/83 - Rdnr. 41, NZA 1986, 138). Seine bloße Rechtsüberzeugung reicht nicht aus. Seine Rechtsauffassung muss auf einer bestimmten Gesetzeslage bzw. der bisherigen Rechtsprechung oder bei zweifelhafter Rechtslage auf der Auskunft einer geeigneten neutralen Stelle beruhen.
194Hier ist die Rechtslage zweifelhaft, wie die erstinstanzliche Entscheidung und das Ergebnis des Berufungsverfahrens zeigen. Der Kläger hat zwar auf seine Rechtsüberzeugung hingewiesen, jedoch nicht dargelegt, dass ihm sein Prozessbevollmächtigter nach sorgfältiger Prüfung erklärt hat, er habe im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung keine Verpflichtung, den anonymisierten Schlüssel einzusetzen.
195b. Nach der Interessenabwägung war es der Beklagten jedoch zuzumuten, die soziale Auslauffrist zu wahren.
196Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes oder ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und or-dentliche Kündigung anzusehen, wenn sie schon geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen (BAG 10.06.2010 a.a.O. Rdnr. 34).
197aa. Die Beklagte hat den Kläger dreimal ohne Erfolg abgemahnt. Eine weitere Abmahnung hätte seine Weigerungshaltung nicht beeinflusst, da er nachhaltig an seiner Rechtsauffassung festgehalten hat, den Schlüssel nicht benutzten zu müssen. Eine Verhaltensänderung konnte bei Kündigungsausspruch nicht erwartet werden.
198bb. Bei Würdigung der beiderseitigen Interessen war es der Beklagten nicht zuzumuten, dauerhaft an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten. Das hätte bedeutet, dass der Kläger trotz der unmittelbaren und zwingenden Geltung der wirksamen Betriebsvereinbarung, § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, die sich für ihn ergebenden Pflichten nicht zu erfüllen hätte. Ihr Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegt sein Interesse an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes. Die Kammer hat berücksichtigt, dass das langjährige Arbeitsverhältnis bis in das Jahr 2014 nicht durch Abmahnungen wegen Pflichtverletzungen des Klägers belastet war, mag die Kommunikation zwischen den Parteien schon längere Zeit gestört gewesen sein, wie die Beklagte dem Betriebsrat in der Anhörung berichtet hat. Das von ihr angesprochene Misstrauen des Klägers gegen seine Arbeitgeberin zeigt sich auch in seiner Sorge, sie könne die erhobenen Daten missbrauchen. Diese Sorge ist zwar nachvollziehbar, musste ihn jedoch nicht zwingend veranlassen, seine Pflicht nicht zu erfüllen. Er hätte unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Prüfung, die er bereits durch Klage gegen die ihm erteilten Abmahnungen eingeleitet hatte, den anonymisierten Schlüssel verwenden können. Hätte ihn die Beklagte nach Personalisierung seiner Fahrdaten aufgefordert, an einer Schulungsmaßnahme teilzunehmen, hätte er diese Weisung gerichtlich angreifen können. Er war nicht schutzlos gestellt.
199Gleichwohl war es der Beklagten im Hinblick auf eine Zusammenarbeit, die über mehr als zwei Jahrzehnte reibungslos verlaufen ist, zuzumuten, die soziale Auslauffrist einzuhalten.
200(1) Eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ist nicht durch § 20 Abs. 6 TV-N ausgeschlossen. Schon der Wortlaut der Bestimmung schließt lediglich eine Kündigung ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes aus, nicht aber die Kündigung aus wichtigem Grund mit sozialer Auslauffrist. Ein solches Verständnis widerspricht nicht dem Sinn und Zweck des tariflichen Sonderkündigungsschutzes. Durch ihn sollen länger Beschäftigte, ältere Arbeitnehmer, die im Allgemeinen weniger schnell einen Zugang zu dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden, einen besonderen Arbeitsplatzschutz erhalten (BAG 13.05.2015 – 2 AZR 531/14 - Rdnr. 31, BB 2015, 2682).
201Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen muss zugunsten des Arbeitnehmers eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende soziale Auslauffrist eingehalten werden, wenn das pflichtwidrige Verhalten bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde. Ansonsten wirkte sich der besondere Sonderkündigungsschutz zum Nachteil des Arbeitnehmers aus (BAG 13.05.2015 a.a.O. Rdnr. 44). Allerdings wird bei Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Die Pflichtverletzung muss einerseits so gravierend sein, dass sie im Grundsatz auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnte. Andererseits muss es dem Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zumutbar sein, dennoch die (fiktive) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Ist etwa die Gefahr einer Wiederholung des Pflichtverstoßes für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist auszuschließen, aber nicht darüber hinaus, kann ausnahmsweise gerade der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dazu führen, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist besteht (BAG 13.05.2015 a.a.O. Rdnr. 45; 21.06.2001 – 2 AZR 325/00 - Rdnr. 38, ZTR 2002, 81; 13.04.2000 – 2 AZR 259/99 - Rdnr. 37, EZA § 626 BGB n.F. Nr. 180).
202Nach Auffassung der Kammer war es der Beklagten im Hinblick auf die langjährige Beschäftigung und das Alter des Klägers zuzumuten, für die Dauer eines halben Jahres, jedoch nicht auf Dauer, bei ihm auf die Datenerhebung zu verzichten. Wie sich in der mündlichen Verhandlung herausgestellt hat, lässt es sich durch Unterbrechung der Zündung vermeiden, dass seine Fahrdaten einem anderen Busfahrer zugeschrieben werden, wenn er den Schlüssel nicht benutzt. Nach Angaben der Beklagten sind etwa zwei Minuten aufzuwenden, um die Zündung des Busses auszustellen und ihn neu zu starten. Zu Recht weist sie darauf hin, dass der Neustart zu höheren Emissionen führt, die aber für einen überschaubaren Zeitraum hinzunehmen sind. Nennenswerte Störungen des Busfahrplanes sind bei einer maximal zweiminütigen Unterbrechung nicht ernsthaft zu besorgen.
203II.
204Die auf Entfernung der Abmahnung vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 gerichtete Leistungsklage ist zulässig, aber unbegründet.
205a. Ein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte ist aus §§ 242, 1004 BGB i.V.m. Art. 1, 2 GG dann gegeben, wenn die Abmahnung ungerechtfertigt ist, d.h., wenn sie pauschale Vorwürfe enthält und inhaltlich zu unbestimmt ist, wenn sie auf unzutreffenden oder nicht beweisbaren Tatsachen beruht, sie unverhältnismäßig, das Rügerecht verwirkt, die Grenzen des vertraglichen Rügerechtes durch unangemessene Formulierungen überschritten ist, der Arbeitgeber eine unzutreffende rechtliche Würdigung vorgenommen hat oder kein schutzwürdiges Interesse an dem Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr hat.
206Der Anspruch besteht jedoch nur im bestehenden Arbeitsverhältnis. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch auf Entfernung selbst einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte. Ein Anspruch ist nur ausnahmsweise dann gegeben, wenn objektive Anhaltspunkte dafür gegeben sind, eine Abmahnung könne dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden (BAG 19.04.2012 – 2 AZR 233/11 - Rdnr. 51, NZA 2012, 1449).
207Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat mit dem 30.09.2015 geendet. Der Kläger hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass ihm die angegriffenen Abmahnungen zukünftig noch zum Nachteil gereichen können.
208Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.11.2010 (9 AZR 573/09, BAGE 136, 156) führt zu keinem anderen Ergebnis.
209Das Bundesarbeitsgericht hat dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer ein aus § 241 Abs. 2 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG folgendes Recht auf Einsicht in die Personalakte zugebilligt, ohne dass der Arbeitnehmer ein konkretes berechtigtes Interesse darlegen muss. Es hat betont, dass es bei der Einsichtnahme um einen den Beseitigungs- bzw. Korrekturanspruch vorgelagerten Transparenzschutz hinsichtlich des fremdgeschaffenen und zeitlich aufbewahrten Meinungsbildes über den Arbeitnehmer geht, und hat ausgeführt, das sei aufgrund der geringeren Anspruchstiefe etwas anderes als das Verlangen nach Beseitigung der Grundlagen dieses Bildes. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses berühre deshalb nicht das Recht auf eine Einsicht in die Personalakte (BAG 16.11.2010 a.a.O. Rdnr. 42).
210Aus dem Recht auf Akteneinsichtnahme auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgt demnach ein Beseitigungsanspruch erst und nur dann, wenn eine konkrete Gefährdungslage besteht, also die Abmahnung dem Arbeitnehmer noch schaden kann (LAG Sachsen 14.01.2014 – 1 Sa 266/13 - Rdnr. 23, ZTR 2014, 294; LAG Rheinland-Pfalz 11.12.2014 – 8 Sa 379/12 - Rdnr. 21, 23).
211B.
212Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs.6 ArbGG, 92 Abs. 1 ZPO.
213Die Zulassung der Revision rechtfertigt sich aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 16. Okt. 2015 - 17 Sa 1222/15
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Urteil einreichenLandesarbeitsgericht Hamm Urteil, 16. Okt. 2015 - 17 Sa 1222/15 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnungen vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 aus der Personalakte zu entfernen.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch Kündigung vom 12.03.2015 aufgelöst worden ist.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Der Streitwert wird auf 14.000 € festgesetzt.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer aus verhaltensbedingten Gründen erklärten außerordentlichen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist sowie um einen Anspruch auf Entfernung von 3 Abmahnungen aus der Personalakte.
3Der 1956 geborene Kläger ist seit dem 01.10.1989 bei der Beklagten als Busfahrer mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 3.000 € beschäftigt.
4Die Beklagte schloss mit dem bei der Beklagten bestehenden Betriebsrat unter dem 20.08.2014 (Bl. 6 ff. der GA) eine Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS und die Zahlung einer Leistungsprämie ab. Ziel der Einführung des RIBAS-Systems soll es gemäß § 2 der Betriebsvereinbarung sein, durch vorausschauendes Fahren die Fahrer zu entlasten, die persönliche Zufriedenheit und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, CO2-Emissionen, Verkehrslärm, Energiekosten und Materialverschleiß zu verringern und die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
5Auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS und die Zahlung einer Leistungsprämie wurde bei der Beklagten das RIBAS-System eingeführt, mit dem die Daten während der Fahrt des jeweiligen Buses in mannigfaltiger Hinsicht erfasst und verarbeitet werden. Nach § 3 der Betriebsvereinbarung werden mit dem System hochtourige Fahrweisen, Leerlaufzeitüberschreitungen, scharfes Bremsen, überhöhte Beschleunigung, Geschwindigkeitsüberschreitungen erfasst und ausgewertet.
6Bei Abweichungen von dem im System hinterlegten Normwerten wird der Fahrer während der Fahrt durch akustische Signale über die Grenzüberschreitungen informiert. Ferner wird dem Fahrer durch Aufleuchten entsprechender LED-Lampen in Form einer kleinen Ampel kenntlichgemacht, ob seine Fahrweise optimal ist (rot-gelb- grün). Zugleich werden diese Daten an einen zentralen Server übermittelt.
7Die Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer der Beklagten, deren Arbeitseinsatz auf Fahrzeugen erfolgt, die mit dem System ausgerüstet sind. Der Kläger ist auf einem derartigen Fahrzeug eingesetzt.
8Der Kläger entschied sich, die in der Betriebsvereinbarung unter § 6 und § 7 geregelten Prämien nicht in Anspruch zu nehmen. Fahrer, die an dem personalisierten Berichts- und Prämiensystem nicht teilnehmen wollen, erhalten nach der Betriebsvereinbarung einen anonymisierten Schlüssel, mit dem sie sich an das RIBAS-System anzumelden haben.
9Die in den Bussen der Beklagten eingebauten Systeme erfassen fortlaufend die Daten, auch wenn ein sog. „RIBAS-Schlüssel“ nicht gesteckt wird. Meldet sich ein Fahrer bei Beginn seiner Fahrt nicht mit seinem Schlüssel an, werden die Daten automatisch dem nachfolgenden Fahrer zugeordnet.
10Die aufgezeichneten Daten können, wenn man einen zeitlichen Abgleich mit dem Dienstplan vornimmt, auch den eigentlich anonymisierten Fahrern konkret zugeordnet werden.
11Unter § 10 der Betriebsvereinbarung ist geregelt, dass für den Fall, dass im anonymisierten Fahrerdatenbestand in Einzelfällen eine erhebliche Überschreitung der in § 4 Abs.1 aufgeführten Grenzwerte in Bezug auf die im jeweiligen Betrieb durchschnittlichen Überschreitungen der Grenzwerte erkennbar ist, der Arbeitgeber in vorheriger Abstimmung mit dem Betriebsrat das Recht hat, die jeweiligen Datensätze zu personalisieren und ggf. Schulungsmaßnahmen zu veranlassen.
12Unter dem 18.12.2014 erhielt der Kläger eine Abmahnung (Bl. 4 f. der GA), in der ihm vorgeworfen wird, gegen § 4 der Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS verstoßen zu haben, weil er am 15.12. und 16.12.2014 nicht den RIBAS-Schlüssel gesteckt hat.
13In der Zeit vom 03.01. bis 09.01.2015 benutzte der Kläger das System an sechs Arbeitstagen.
14Mit Abmahnung vom 05.02.2015 wird dem Kläger vorgeworfen, in der Zeit vom 12.01.-15.01.15, in der Zeit vom 17.01-20.01.2015 und in der Zeit vom 22.01.-24.01.2015 sich während der Dienste nicht am MIX-RIBAS-System angemeldet zu haben (Bl. 20 f. der GA).
15In der Abmahnung vom 05.02.2015 heißt es wörtlich:
16„Die Anmeldung mit einem anonymen Schlüssel hat hingegen zur Folge, dass die Daten auf einem anonymen Account abgespeichert werden und damit nicht zuordbar gemacht werden. Die gesamte Vorgehensweise zum Umgang mit dem MIX-RIBAS-System, insbesondere auch die anonymisierte Teilnahme am MIX-RIBAS-System wurde mit dem Landesdatenschutzbeauftragten des Landes NRW vor Inbetriebnahme des Systems im Unternehmen zum 01.09.2014 abgestimmt.“
17Mit Abmahnschreiben vom 26.02.2015 wird dem Kläger vorgeworfen, sich am 19., 20. Und 21.02.2015 während der Dienste nicht am MIX-RIBAS-System angemeldet zu haben (Bl. 24 f. der GA).
18In der Abmahnung vom 26.02.2015 heißt es wörtlich:
19„Die Anmeldung mit einem anonymen Schlüssel hat hingegen zur Folge, dass die Daten auf einem anonymen Account abgespeichert werden und damit nicht zuordbar gemacht werden. Die gesamte Vorgehensweise zum Umgang mit dem MIX-RIBAS-System, insbesondere auch die anonymisierte Teilnahme am MIX-RIBAS-System wurde mit dem Landesdatenschutzbeauftragten des Landes NRW vor Inbetriebnahme des Systems im Unternehmen zum 01.09.2014 abgestimmt“
20Am 05.03. und 06.03.2015 meldete sich der Kläger bei Fahrtantritt nicht beim RIBAS-System an.
21Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 10.03.2015 zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist an. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung am 11.03.2015 zu.
22Mit Schreiben vom 12.03.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich zum 13.03.2015, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist von 6 Monaten.
23Mit seiner Klage vom 05.01.2015 begehrt der Kläger die Entfernung der Abmahnung vom 18.12.2014 aus seiner Personalakte, mit Klageerweiterung vom 05.02.2015 die Entfernung der Abmahnung vom 05.02.2015 und mit Klageerweiterung vom 09.03.2015 die Entfernung der Abmahnung vom 26.02.2015 aus seiner Personalakte. Der Kläger wendet sich mit Klageerweiterung vom 12.03.2015, bei Gericht eingegangen am gleichen Tage, der Beklagten am 13.03.2015 zugestellt, gegen die Rechtmäßigkeit der Kündigung vom 12.03.2015.
24Der Kläger ist der Ansicht, die Abmahnungen seien zu Unrecht erfolgt, da er nicht verpflichtet gewesen sei, am RIBAS-System teilzunehmen.
25Nach § 4a BDSG bedürfe es für die Erhebung personenbezogener Daten einer Einwilligung des Klägers. Diese habe der Kläger nicht erteilt. Nach § 29 LDSG dürften gespeicherte Daten nicht zu Zwecken der Verhaltens- und Leistungskontrolle genutzt werden.
26Die Betriebsvereinbarung über die Einführung des RIBAS-Systems sei unwirksam, da sie einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung darstelle. Das System erstelle über jeden Fahrer ein Charakterprofil und erhebe damit personenbezogene Daten, deren Erhebung und Speicherung den Kläger in seinen Grundrechten verletze. Es handele sich um eine nicht gerechtfertigte Dauerüberwachung auf Vorrat. Darüber hinaus seien die bei Überschreitung der Normwerte akustischen und optischen Hinweise auch von Fahrgästen wahrnehmbar und würden den Fahrer im Fahrbetrieb nachhaltig stören. Schließlich sei zu befürchten, dass aufgrund der durch die Überwachung ermittelten Daten auch Abmahnungen und Kündigungen ausgesprochen würden. Eine Regelung in der Betriebsvereinbarung, dass Entsprechendes ausgeschlossen sein soll, gebe es nicht.
27Nach Ansicht des Klägers hätte es der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit oblegen, nur die Daten zu erheben und zu verwerten, die in dem Zeitraum anfallen, wenn durch die Fahrer, die am Prämiensystem teilnehmen, der Schlüssel gesteckt wird und die Datenerhebung endet, wenn er ihn wieder zieht.
28Mangels Vorliegen eines Pflichtverstoßes sei auch die Kündigung vom 12.03.2015 sozial nicht gerechtfertigt. Darüber hinaus sei der Ausspruch einer Kündigung, bevor über die Frage der Wirksamkeit der Weisung, die im Zusammenhang mit der Abmahnung geklärt wird, nicht entschieden ist, rechtsmissbräuchlich.
29Der Kläger ist der Ansicht, die Frist des § 626 BGB sei nicht eingehalten. Die Frist des § 626 BGB habe mit der Äußerung des Klägers nach der ersten Abmahnung zu laufen begonnen, den Schlüssel auch zukünftig nicht nutzen zu werden.
30Der Kläger beantragt unter Klagerücknahme im Übrigen,
31- 32
1. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 aus der Personalakte zu entfernen.
- 34
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 12.03.2015 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte beantragt,
36die Klage abzuweisen.
37Die Beklagte ist der Ansicht, der Ausspruch der streitgegenständlichen Abmahnungen und der Kündigung sei wegen der Verstöße gegen § 4 der Betriebsvereinbarung gerechtfertigt. Der Kläger sei gemäß § 4 der Betriebsvereinbarung und aufgrund entsprechender Weisungen seines Vorgesetzten verpflichtet gewesen, am RIBAS-System teilzunehmen. Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei verhältnismäßig.
38Die Betriebsvereinbarung sei wirksam.
39Die Beklagte behauptet, der Landesdatenschutzbeauftragte habe keine Einwendungen gegen die Betriebsvereinbarung erhoben. Es sei darauf hinzuweisen, dass den Auswertungen keine minutengenauen Fahrsituationen zugeordnet werden können, sondern nur Durchschnittswerte angegeben werden. Darüber hinaus sei der Datenschutz gewahrt. Neben den Projektverantwortlichen gebe es Zugriffsrechte für 5 Mitarbeiter der Fahrschule, allerdings mit Zugriff nur auf ihre eigenen Fahrschuldaten. Darüber hinaus könnten – auf Aufforderung durch einen der Zugriffsberechtigten der Beklagten- die Support-Mitarbeiter des Systemanbieters im Rahmen von Auftragsdatenverarbeitung Zugriff nehmen. Sämtliche Zugriffsberechtigte seien auf die Einhaltung des Bundesdatenschutzgesetzes verpflichtet.
40§ 29 LSDG NRW finde nur auf Behörden und Einrichtungen des öffentlichen Rechts Anwendung. § 4 BDSG erlaube die Erhebung und Nutzung von Daten, wenn eine Betriebsvereinbarung entsprechendes regele.
41Schon der Eingriff in Persönlichkeitsrechte des Klägers sei minimal, da keine Daten über die persönlichen Verhältnisse des Klägers erfasst würden. Die in § 2 der Betriebsvereinbarung dargestellten Ziele würden einen legitimen Zweck verfolgen. Das System sei auch in seiner konkreten Anwendung angemessen. Die Verwendung eines anonymisierten Schlüssels sei erforderlich, damit die nachfolgenden Fahrer eine korrekte Auswertung erhielten. Eine Zuordnung der anonymen Daten zu einem Fahrer sei nur der Ausnahmefall und diene der Anordnung von Nachschulungen, zu der die Beklagte qua Direktionsrecht sowieso jederzeit berechtigt wäre. Eine vorbeugende Fahrschulung ohne konkrete Anhaltspunkte sei nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand möglich.
42Die hartnäckige Weigerung des Klägers, am RIBAS-System teilzunehmen, stelle einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Der Arbeitnehmer dürfe sich nicht über eine unbillige Ausübung des Direktionsrechtes hinwegsetzen mit der Maßgabe, zunächst eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Die Nichtverwendung des Schlüssels stelle einen schweren Pflichtverstoß dar. Aufgrund der Nichtverwendung des Schlüssels seien die Ergebnisse des nachfolgenden Fahrers falsch, weil sie nicht nur seine Fahrleistung enthalten. Eine ordnungsgemäße und faire Teilnahme würde den Kollegen des Klägers damit unmöglich gemacht. Die Weiterbeschäftigung des Klägers sei daher unzumutbar.
43Die Frist des § 626 BGB sei gewahrt. Eine eindeutige und unmissverständliche Erklärung des Klägers, der Weisung nicht zu folgen, habe der Kläger im Gespräch am 30.01.2015 nicht abgegeben.
44Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst den entsprechenden Anlagen verwiesen.
45E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
46Die Klage ist zulässig und begründet.
47I.
48Die dem Kläger mit Schreiben vom 18.12.2014 erteilte Abmahnung ist aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, da der Kläger keine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Die Abmahnung beruht insoweit auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers.
491.
50Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (st. Rspr., vgl. zB BAG , Urteil vom 19.07.2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 13 mwN, juris).
512.
52Die Abmahnung vom 18.12.2014 beruht auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers. Der Kläger hat keine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt.
53Insbesondere war der Kläger nicht verpflichtet, gemäß § 4 der Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS sich bei Fahrtbeginn an das System anzumelden.
54a) Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung war seitens der erkennenden Kammer zu prüfen, ob die Betriebsparteien mit den in der Betriebsvereinbarung geregelten Aufzeichnungen die ihnen nach § 75 Abs.2 Satz 1 BetrVG obliegende Pflicht verletzt haben, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.
55Außerhalb des absoluten Kernbereiches privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Es kann deshalb durch verfassungsgemäße Gesetze eingeschränkt werden. Derartige Regelungen können auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen enthalten. Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes zugunsten schützenswerter Belange eines anderen Grundrechtsträgers richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BAG, Beschluss vom 15.04.2014 – 1 ABR 2/13, juris).
56Regelungen der Betriebsparteien über eine Überwachung der Arbeitsleistung müssen mit höherrangigem Recht vereinbar sein. Die Betriebsparteien haben nach § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Pflicht, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben daher insbesondere das in Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht zu beachten.
57a) Das als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedarf dabei unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03, juris). Die mit der elektronischen Datenverarbeitung grundsätzlich verbundenen technischen Möglichkeiten, Einzelangaben über eine Person unbegrenzt zu speichern sowie jederzeit abzurufen, sind geeignet, bei den betroffenen Personen einen psychischen Anpassungsdruck zu erzeugen, durch den sie in ihrer Freiheit, ihr Handeln aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu gestalten, wesentlich gehemmt werden (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03, juris) .
58b) Außerhalb des absoluten Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Diese besteht aus der Gesamtheit der Normen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind. In das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann daher insbesondere durch verfassungsgemäße Gesetze eingegriffen werden. Zu den Normen, die das Persönlichkeitsrecht einschränken können, gehören auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03, BAGE 111, 173, zu B I 2 c der Gründe mwN).
59c) Eingriffe der Betriebsparteien in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer müssen durch schutzwürdige Belange anderer Grundrechtsträger gerechtfertigt sein. Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestimmt sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser Grundsatz konkretisiert die den Betriebsparteien nach § 75 Abs.2 BetrVG auferlegte Verpflichtung (BAG, Beschluss vom 15.04.2014 – 1 ABR 2/13 (B), juris; BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d der Gründe mwN). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist entgegen einer im Schrifttum an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes geäußerten Kritik (vgl. Ehmann Anm. BAG 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 41) dogmatisch geboten. Er stellt einen tauglichen Maßstab zur Überprüfung von Betriebsvereinbarungen dar. Betriebsvereinbarungen sind wegen ihrer nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbaren und zwingenden Wirkung Akte innerbetrieblicher privater Normsetzung (BAG, Urteil vom 12. Dezember 2006 - 1 AZR 96/06 - Rn. 16, AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 94 = EzA BetrVG 2001 § 88 Nr. 1). Beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen werden die Betriebsparteien und die - die Zustimmung einer Betriebspartei ersetzende - Einigungsstelle als Normgeber tätig. Indem § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Arbeitgeber und Betriebsrat verpflichtet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen, “implantiert” die Bestimmung die sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ergebenden Bindungen der staatlichen Gewalt in das Betriebsverfassungsrecht (Bender Anm. BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 2). Der Gesetzgeber genügt seiner Pflicht, die einzelnen Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Grundrechte durch privatautonome Regelungen zu bewahren, indem er den Betriebsparteien eine Schutzpflicht hinsichtlich der freien Entfaltung der Persönlichkeit auferlegt (BAG, Urteil vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO, zu B I 2 a der Gründe). Daher ist es gerechtfertigt und geboten, Regelungen in Betriebsvereinbarungen, welche Rechte der betroffenen Arbeitnehmer, insbesondere deren Handlungsfreiheit beschränken oder ihnen Pflichten auferlegen, an dem auch für den Gesetzgeber geltenden Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen. Dieser ist dementsprechend auch maßgeblich, wenn durch eine dauerhafte Leistungsüberwachung durch Aufzeichnung von Daten in das Recht der Arbeitnehmer auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird. Eine ausschließlich schuldrechtliche Betrachtung wird dem normativen Charakter von Betriebsvereinbarungen nicht gerecht.
60d) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die von den Betriebsparteien bzw. der Einigungsstelle getroffene Regelung geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d der Gründe; vgl. auch BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 - und - 1 BvR 11 BvR 1254/07 - Rn. 163, NJW 2008, 1505).
61aa) Geeignet ist die Regelung, wenn mit ihrer Hilfe der erstrebte Zweck gefördert werden kann. Dabei steht den Betriebsparteien und der Einigungsstelle - ebenso wie in einer vergleichbaren Situation dem Gesetzgeber - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d aa der Gründe).
62bb) Erforderlich ist die Regelung, wenn kein anderes, gleich wirksames und das Persönlichkeitsrecht weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung steht. Auch insoweit haben Betriebsparteien und Einigungsstelle einen gewissen Beurteilungsspielraum (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d bb der Gründe).
63cc) Angemessen ist eine Regelung, wenn sie als im engeren Sinn verhältnismäßig erscheint. Um das festzustellen, bedarf es einer Gesamtabwägung der Intensität des Eingriffs und des Gewichts der ihn rechtfertigenden Gründe (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d cc der Gründe mwN; vgl. auch BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 - und - 1 BvR 11 BvR 1254/07 - Rn. 168, NJW 2008, 1505). Diese Abwägung kann nicht abstrakt vorgenommen werden. So gehen weder das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum oder das durch Art. 10 Abs. 1 GG gewährleistete Briefgeheimnis stets dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vor noch genießt dieses umgekehrt jederzeit Vorrang. Maßgeblich sind vielmehr die Gesamtumstände (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO). Für die Schwere des Eingriffs ist insbesondere von Bedeutung, wie viele Personen wie intensiv den Beeinträchtigungen ausgesetzt sind. Das Gewicht der Beeinträchtigung hängt ua. davon ab, ob die Betroffenen als Personen anonym bleiben, welche Umstände und Inhalte der Kommunikation erfasst werden und welche Nachteile den Grundrechtsträgern aus der Überwachungsmaßnahme drohen oder von ihnen nicht ohne Grund befürchtet werden (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO; BVerfG 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98 - und - 1 BvR 1084/99 - BVerfGE 109, 279, 353, zu C II 3 b ee (4) (a) der Gründe; vgl. auch BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 - und - 1 BvR 11 BvR 1254/07 - Rn. 80, NJW 2008, 1505) . Die Intensität der Beeinträchtigung hängt ferner maßgeblich von der Dauer und Art der Überwachungsmaßnahme ab (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO). Von erheblicher Bedeutung ist, ob der Betroffene einen ihm zurechenbaren Anlass für die Datenerhebung geschaffen hat - etwa durch eine Rechtsverletzung - oder ob diese anlasslos erfolgt. Auch die “Persönlichkeitsrelevanz” der erfassten Informationen ist zu berücksichtigen. Die Heimlichkeit einer in Grundrechte eingreifenden Ermittlungsmaßnahme erhöht das Gewicht der Freiheitsbeeinträchtigung. Den Betroffenen kann hierdurch vorheriger Rechtsschutz faktisch verwehrt und nachträglicher Rechtsschutz erschwert werden (vgl. BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 - und - 1 BvR 11 BvR 1254/07 - aaO, Rn. 77 - 79).“
64e) Hieran gemessen hält die Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS einer Rechtmäßigkeitsprüfung nicht stand.
65aa) Die Regelung in der Betriebsvereinbarung, auch diejenigen Fahrer, die nicht am Prämiensystem teilnehmen, fortlaufend zu überwachen, ist nicht erforderlich.
66Die Beklagte kann die unter § 2 genannten Ziele auch erreichen, wenn sie die Fahrer, die nicht am Prämiensystem teilnehmen möchten, nicht überwacht. Insoweit hätte es der Beklagten oblegen, als milderes Mittel dafür Sorge zu tragen, dass Aufzeichnungen über die Fahrdaten nur in den Zeiträumen erfolgen, wenn ein am Prämiensystem teilnehmender Fahrer seinen Schlüssel steckt. Dies bedeutet, dass es der Beklagten oblegen hätte, ein System einzusetzen, dass Daten nicht unabhängig von der Nutzung eines Schlüssels unabhängig fortlaufend erfasst, sondern ein System, dass seine Aufnahmetätigkeit erst bei Stecken eines Schlüssels aufnimmt und bei Entfernen des Schlüssels entsprechend wieder beendet.
67Soweit die Beklagte ergänzend darauf verwiesen hat, „auffällige Fahrer“ durch die Überwachung einer entsprechenden Schulung zuführen zu können, hätte es ein milderes Mittel dargestellt, regelmäßig ohne entsprechende Leistungskontrolle vorbeugende Schulungen bei sämtliche den Mitarbeiter durchzuführen. Hierzu bedarf es einer Dauerüberwachung der Mitarbeiter nicht.
68Darüber hinaus ist der Umstand, dass Daten über die Leistung der Mitarbeiter erfasst werden und nach der Betriebsvereinbarung ohne zeitliche Begrenzung gespeichert werden, ebenfalls nicht erforderlich. Denn zur Überwachung des Fahrverhaltens der nicht am Prämiensystem teilnehmenden Fahrer würde es genügen, die Daten für einen äußerst kurzen Zeitraum aufzuzeichnen und auszuwerten.
69Der Beklagten hätten nach dem Vorstehenden gleichwirksame Steuerungselemente zur Verfügung gestanden, welche nicht bzw. weniger die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer verletzen.
70f) Aufgrund des nicht verhältnismäßigen Eingriffs in das Grundrecht des Klägers war dieser nicht verpflichtet, sich bei Beginn seiner Fahrt in das RIBAS-System anzumelden. Mangels Pflichtverletzung ist die Abmahnung daher aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
71II.
72Die Abmahnungen vom 05.02.2015 und 26.02.2015 sind aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, da sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalten und auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Klägers beruhen.
73Aus den unter den zu Ziffer I. dargestellten Gründen war der Kläger nicht verpflichtet, am RIBAS-System teilzunehmen, da der mit der Teilnahme am System verbundene Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unverhältnismäßig ist. Demgemäß kann dem Kläger keine Pflichtverletzung zur Last gelegt werden.
74Darüber hinaus enthalten die Abmahnungen vom 05.02.2015 und 26.02.2015 unrichtige Tatsachenbehauptungen.
75So heißt es in den Abmahnungen, dass die Daten auf einem anonymen Account abgespeichert werden und damit nicht zuordbar gemacht werden. Dass dies unzutreffend ist, ergibt sich bereits aus § 10 der Betriebsvereinbarung. Bei Überschreitung der Grenzwerte ist es dem Arbeitgeber nach § 10 der Betriebsvereinbarung möglich, die jeweiligen anonymen Datensätze zu personalisieren. Ungeachtet dessen ist es dem Arbeitgeber durch Abgleich der erfassten anonymen Daten mit dem Dienstplan des jeweiligen Fahrers aufgrund eines Vergleiches der Anfangs- und Endzeit möglich, die „anonym“ erfassten Daten einem bestimmten Fahrer zuzuordnen. Die Darstellung in der Abmahnung, die Daten würden durch Speicherung in einem anonymen Account damit nicht zuordbar gemacht, ist vor diesem Hintergrund unzutreffend.
76Weiter heißt es in den Abmahnungen, die Vorgehensweise zum Umgang mit dem RIBAS-System sei mit dem Landesdatenschutzbeauftragten des Landes NRW abgestimmt. Der Kläger hat dies bestritten. Die beweisbelastete Beklagte hat nicht unter Beweis gestellt, dass diese Behauptung in den Abmahnungen zutreffend ist. Insofern ist zu Lasten der Beklagten zu unterstellen, dass eine entsprechende Abstimmung nicht stattgefunden hat.
77Die Abmahnungen können auch aus diesem Grund keinen Bestand haben.
78III.
79Die aus verhaltensbedingten Gründen erklärte Kündigung vom 12.03.2015 ist sozial nicht gerechtfertigt.
801.
81Der Kläger hat rechtzeitig innerhalb der dreiwöchigen Frist nach Zugang der Kündigung Klage beim Arbeitsgericht erhoben, §§ 4,7,13 Abs.1 KSchG.
822.
83Das Kündigungsschutzgesetz ist nach §§ 1 Abs. 1, 23 Abs.1 KSchG anwendbar, da der Kläger seit dem 01.10.1989 bei der Beklagten beschäftigt ist und in dem Betrieb der Beklagten zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung mehr als 10 vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer beschäftigt waren.
843.
85Die Beklagte hat einen Kündigungsgrund im Sinne von § 1 KSchG nicht dargelegt.
86Soweit sich die Beklagte als Kündigungsgrund darauf berufen hat, der Kläger habe am 05.03.2015 und 06.03.2015 gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen, indem er am RIBAS-System nicht teilgenommen hat, rechtfertigt dieser Vorwurf eine Kündigung nicht. Denn aus den unter Ziffer I. dargestellten Gründen war der Kläger nicht verpflichtet, am RIBAS-System teilzunehmen.
87Darüber hinaus wäre die Kündigung auch unverhältnismäßig. Die Abmahnungen vom 05.02. und 26.02.2015 haben bereits aus formellen Gründen wegen unrichtiger Tatsachendarstellung keinen Bestand. Selbst wenn man unterstellt, der Kläger wäre verpflichtet gewesen, am RIBAS-System teilzunehmen, würde der Ausspruch einer Kündigung eines seit dem Jahre 1989 beschäftigten Arbeitnehmers nach nur einer vorausgegangen Abmahnung eine unverhältnismäßige Maßnahme darstellen.
88IV.
89Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte als im Rechtsstreit unterliegende Partei, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.
90Der im Urteil nach § 61 Abs.1 ArbGG festzusetzende Streitwert entspricht einem Vierteljahreseinkommen bezüglich des Kündigungsschutzantrages nach § 42 Abs.3 Satz 1 GKG und einem Bruttomonatsentgelt für die erste Abmahnung und jeweils 1/3 einer Bruttomonatsvergütung für die zweite und dritte Abmahnung.
(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.
(2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben die Selbständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern.
(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.
(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn
- 1.
in Betrieben des privaten Rechts - a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt, - b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat, - 2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts - a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt, - b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.
(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnungen vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 aus der Personalakte zu entfernen.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch Kündigung vom 12.03.2015 aufgelöst worden ist.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Der Streitwert wird auf 14.000 € festgesetzt.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer aus verhaltensbedingten Gründen erklärten außerordentlichen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist sowie um einen Anspruch auf Entfernung von 3 Abmahnungen aus der Personalakte.
3Der 1956 geborene Kläger ist seit dem 01.10.1989 bei der Beklagten als Busfahrer mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 3.000 € beschäftigt.
4Die Beklagte schloss mit dem bei der Beklagten bestehenden Betriebsrat unter dem 20.08.2014 (Bl. 6 ff. der GA) eine Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS und die Zahlung einer Leistungsprämie ab. Ziel der Einführung des RIBAS-Systems soll es gemäß § 2 der Betriebsvereinbarung sein, durch vorausschauendes Fahren die Fahrer zu entlasten, die persönliche Zufriedenheit und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, CO2-Emissionen, Verkehrslärm, Energiekosten und Materialverschleiß zu verringern und die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
5Auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS und die Zahlung einer Leistungsprämie wurde bei der Beklagten das RIBAS-System eingeführt, mit dem die Daten während der Fahrt des jeweiligen Buses in mannigfaltiger Hinsicht erfasst und verarbeitet werden. Nach § 3 der Betriebsvereinbarung werden mit dem System hochtourige Fahrweisen, Leerlaufzeitüberschreitungen, scharfes Bremsen, überhöhte Beschleunigung, Geschwindigkeitsüberschreitungen erfasst und ausgewertet.
6Bei Abweichungen von dem im System hinterlegten Normwerten wird der Fahrer während der Fahrt durch akustische Signale über die Grenzüberschreitungen informiert. Ferner wird dem Fahrer durch Aufleuchten entsprechender LED-Lampen in Form einer kleinen Ampel kenntlichgemacht, ob seine Fahrweise optimal ist (rot-gelb- grün). Zugleich werden diese Daten an einen zentralen Server übermittelt.
7Die Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer der Beklagten, deren Arbeitseinsatz auf Fahrzeugen erfolgt, die mit dem System ausgerüstet sind. Der Kläger ist auf einem derartigen Fahrzeug eingesetzt.
8Der Kläger entschied sich, die in der Betriebsvereinbarung unter § 6 und § 7 geregelten Prämien nicht in Anspruch zu nehmen. Fahrer, die an dem personalisierten Berichts- und Prämiensystem nicht teilnehmen wollen, erhalten nach der Betriebsvereinbarung einen anonymisierten Schlüssel, mit dem sie sich an das RIBAS-System anzumelden haben.
9Die in den Bussen der Beklagten eingebauten Systeme erfassen fortlaufend die Daten, auch wenn ein sog. „RIBAS-Schlüssel“ nicht gesteckt wird. Meldet sich ein Fahrer bei Beginn seiner Fahrt nicht mit seinem Schlüssel an, werden die Daten automatisch dem nachfolgenden Fahrer zugeordnet.
10Die aufgezeichneten Daten können, wenn man einen zeitlichen Abgleich mit dem Dienstplan vornimmt, auch den eigentlich anonymisierten Fahrern konkret zugeordnet werden.
11Unter § 10 der Betriebsvereinbarung ist geregelt, dass für den Fall, dass im anonymisierten Fahrerdatenbestand in Einzelfällen eine erhebliche Überschreitung der in § 4 Abs.1 aufgeführten Grenzwerte in Bezug auf die im jeweiligen Betrieb durchschnittlichen Überschreitungen der Grenzwerte erkennbar ist, der Arbeitgeber in vorheriger Abstimmung mit dem Betriebsrat das Recht hat, die jeweiligen Datensätze zu personalisieren und ggf. Schulungsmaßnahmen zu veranlassen.
12Unter dem 18.12.2014 erhielt der Kläger eine Abmahnung (Bl. 4 f. der GA), in der ihm vorgeworfen wird, gegen § 4 der Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS verstoßen zu haben, weil er am 15.12. und 16.12.2014 nicht den RIBAS-Schlüssel gesteckt hat.
13In der Zeit vom 03.01. bis 09.01.2015 benutzte der Kläger das System an sechs Arbeitstagen.
14Mit Abmahnung vom 05.02.2015 wird dem Kläger vorgeworfen, in der Zeit vom 12.01.-15.01.15, in der Zeit vom 17.01-20.01.2015 und in der Zeit vom 22.01.-24.01.2015 sich während der Dienste nicht am MIX-RIBAS-System angemeldet zu haben (Bl. 20 f. der GA).
15In der Abmahnung vom 05.02.2015 heißt es wörtlich:
16„Die Anmeldung mit einem anonymen Schlüssel hat hingegen zur Folge, dass die Daten auf einem anonymen Account abgespeichert werden und damit nicht zuordbar gemacht werden. Die gesamte Vorgehensweise zum Umgang mit dem MIX-RIBAS-System, insbesondere auch die anonymisierte Teilnahme am MIX-RIBAS-System wurde mit dem Landesdatenschutzbeauftragten des Landes NRW vor Inbetriebnahme des Systems im Unternehmen zum 01.09.2014 abgestimmt.“
17Mit Abmahnschreiben vom 26.02.2015 wird dem Kläger vorgeworfen, sich am 19., 20. Und 21.02.2015 während der Dienste nicht am MIX-RIBAS-System angemeldet zu haben (Bl. 24 f. der GA).
18In der Abmahnung vom 26.02.2015 heißt es wörtlich:
19„Die Anmeldung mit einem anonymen Schlüssel hat hingegen zur Folge, dass die Daten auf einem anonymen Account abgespeichert werden und damit nicht zuordbar gemacht werden. Die gesamte Vorgehensweise zum Umgang mit dem MIX-RIBAS-System, insbesondere auch die anonymisierte Teilnahme am MIX-RIBAS-System wurde mit dem Landesdatenschutzbeauftragten des Landes NRW vor Inbetriebnahme des Systems im Unternehmen zum 01.09.2014 abgestimmt“
20Am 05.03. und 06.03.2015 meldete sich der Kläger bei Fahrtantritt nicht beim RIBAS-System an.
21Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 10.03.2015 zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist an. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung am 11.03.2015 zu.
22Mit Schreiben vom 12.03.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich zum 13.03.2015, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist von 6 Monaten.
23Mit seiner Klage vom 05.01.2015 begehrt der Kläger die Entfernung der Abmahnung vom 18.12.2014 aus seiner Personalakte, mit Klageerweiterung vom 05.02.2015 die Entfernung der Abmahnung vom 05.02.2015 und mit Klageerweiterung vom 09.03.2015 die Entfernung der Abmahnung vom 26.02.2015 aus seiner Personalakte. Der Kläger wendet sich mit Klageerweiterung vom 12.03.2015, bei Gericht eingegangen am gleichen Tage, der Beklagten am 13.03.2015 zugestellt, gegen die Rechtmäßigkeit der Kündigung vom 12.03.2015.
24Der Kläger ist der Ansicht, die Abmahnungen seien zu Unrecht erfolgt, da er nicht verpflichtet gewesen sei, am RIBAS-System teilzunehmen.
25Nach § 4a BDSG bedürfe es für die Erhebung personenbezogener Daten einer Einwilligung des Klägers. Diese habe der Kläger nicht erteilt. Nach § 29 LDSG dürften gespeicherte Daten nicht zu Zwecken der Verhaltens- und Leistungskontrolle genutzt werden.
26Die Betriebsvereinbarung über die Einführung des RIBAS-Systems sei unwirksam, da sie einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung darstelle. Das System erstelle über jeden Fahrer ein Charakterprofil und erhebe damit personenbezogene Daten, deren Erhebung und Speicherung den Kläger in seinen Grundrechten verletze. Es handele sich um eine nicht gerechtfertigte Dauerüberwachung auf Vorrat. Darüber hinaus seien die bei Überschreitung der Normwerte akustischen und optischen Hinweise auch von Fahrgästen wahrnehmbar und würden den Fahrer im Fahrbetrieb nachhaltig stören. Schließlich sei zu befürchten, dass aufgrund der durch die Überwachung ermittelten Daten auch Abmahnungen und Kündigungen ausgesprochen würden. Eine Regelung in der Betriebsvereinbarung, dass Entsprechendes ausgeschlossen sein soll, gebe es nicht.
27Nach Ansicht des Klägers hätte es der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit oblegen, nur die Daten zu erheben und zu verwerten, die in dem Zeitraum anfallen, wenn durch die Fahrer, die am Prämiensystem teilnehmen, der Schlüssel gesteckt wird und die Datenerhebung endet, wenn er ihn wieder zieht.
28Mangels Vorliegen eines Pflichtverstoßes sei auch die Kündigung vom 12.03.2015 sozial nicht gerechtfertigt. Darüber hinaus sei der Ausspruch einer Kündigung, bevor über die Frage der Wirksamkeit der Weisung, die im Zusammenhang mit der Abmahnung geklärt wird, nicht entschieden ist, rechtsmissbräuchlich.
29Der Kläger ist der Ansicht, die Frist des § 626 BGB sei nicht eingehalten. Die Frist des § 626 BGB habe mit der Äußerung des Klägers nach der ersten Abmahnung zu laufen begonnen, den Schlüssel auch zukünftig nicht nutzen zu werden.
30Der Kläger beantragt unter Klagerücknahme im Übrigen,
31- 32
1. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 aus der Personalakte zu entfernen.
- 34
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 12.03.2015 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte beantragt,
36die Klage abzuweisen.
37Die Beklagte ist der Ansicht, der Ausspruch der streitgegenständlichen Abmahnungen und der Kündigung sei wegen der Verstöße gegen § 4 der Betriebsvereinbarung gerechtfertigt. Der Kläger sei gemäß § 4 der Betriebsvereinbarung und aufgrund entsprechender Weisungen seines Vorgesetzten verpflichtet gewesen, am RIBAS-System teilzunehmen. Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei verhältnismäßig.
38Die Betriebsvereinbarung sei wirksam.
39Die Beklagte behauptet, der Landesdatenschutzbeauftragte habe keine Einwendungen gegen die Betriebsvereinbarung erhoben. Es sei darauf hinzuweisen, dass den Auswertungen keine minutengenauen Fahrsituationen zugeordnet werden können, sondern nur Durchschnittswerte angegeben werden. Darüber hinaus sei der Datenschutz gewahrt. Neben den Projektverantwortlichen gebe es Zugriffsrechte für 5 Mitarbeiter der Fahrschule, allerdings mit Zugriff nur auf ihre eigenen Fahrschuldaten. Darüber hinaus könnten – auf Aufforderung durch einen der Zugriffsberechtigten der Beklagten- die Support-Mitarbeiter des Systemanbieters im Rahmen von Auftragsdatenverarbeitung Zugriff nehmen. Sämtliche Zugriffsberechtigte seien auf die Einhaltung des Bundesdatenschutzgesetzes verpflichtet.
40§ 29 LSDG NRW finde nur auf Behörden und Einrichtungen des öffentlichen Rechts Anwendung. § 4 BDSG erlaube die Erhebung und Nutzung von Daten, wenn eine Betriebsvereinbarung entsprechendes regele.
41Schon der Eingriff in Persönlichkeitsrechte des Klägers sei minimal, da keine Daten über die persönlichen Verhältnisse des Klägers erfasst würden. Die in § 2 der Betriebsvereinbarung dargestellten Ziele würden einen legitimen Zweck verfolgen. Das System sei auch in seiner konkreten Anwendung angemessen. Die Verwendung eines anonymisierten Schlüssels sei erforderlich, damit die nachfolgenden Fahrer eine korrekte Auswertung erhielten. Eine Zuordnung der anonymen Daten zu einem Fahrer sei nur der Ausnahmefall und diene der Anordnung von Nachschulungen, zu der die Beklagte qua Direktionsrecht sowieso jederzeit berechtigt wäre. Eine vorbeugende Fahrschulung ohne konkrete Anhaltspunkte sei nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand möglich.
42Die hartnäckige Weigerung des Klägers, am RIBAS-System teilzunehmen, stelle einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Der Arbeitnehmer dürfe sich nicht über eine unbillige Ausübung des Direktionsrechtes hinwegsetzen mit der Maßgabe, zunächst eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Die Nichtverwendung des Schlüssels stelle einen schweren Pflichtverstoß dar. Aufgrund der Nichtverwendung des Schlüssels seien die Ergebnisse des nachfolgenden Fahrers falsch, weil sie nicht nur seine Fahrleistung enthalten. Eine ordnungsgemäße und faire Teilnahme würde den Kollegen des Klägers damit unmöglich gemacht. Die Weiterbeschäftigung des Klägers sei daher unzumutbar.
43Die Frist des § 626 BGB sei gewahrt. Eine eindeutige und unmissverständliche Erklärung des Klägers, der Weisung nicht zu folgen, habe der Kläger im Gespräch am 30.01.2015 nicht abgegeben.
44Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst den entsprechenden Anlagen verwiesen.
45E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
46Die Klage ist zulässig und begründet.
47I.
48Die dem Kläger mit Schreiben vom 18.12.2014 erteilte Abmahnung ist aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, da der Kläger keine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Die Abmahnung beruht insoweit auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers.
491.
50Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (st. Rspr., vgl. zB BAG , Urteil vom 19.07.2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 13 mwN, juris).
512.
52Die Abmahnung vom 18.12.2014 beruht auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers. Der Kläger hat keine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt.
53Insbesondere war der Kläger nicht verpflichtet, gemäß § 4 der Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS sich bei Fahrtbeginn an das System anzumelden.
54a) Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung war seitens der erkennenden Kammer zu prüfen, ob die Betriebsparteien mit den in der Betriebsvereinbarung geregelten Aufzeichnungen die ihnen nach § 75 Abs.2 Satz 1 BetrVG obliegende Pflicht verletzt haben, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.
55Außerhalb des absoluten Kernbereiches privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Es kann deshalb durch verfassungsgemäße Gesetze eingeschränkt werden. Derartige Regelungen können auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen enthalten. Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes zugunsten schützenswerter Belange eines anderen Grundrechtsträgers richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BAG, Beschluss vom 15.04.2014 – 1 ABR 2/13, juris).
56Regelungen der Betriebsparteien über eine Überwachung der Arbeitsleistung müssen mit höherrangigem Recht vereinbar sein. Die Betriebsparteien haben nach § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Pflicht, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben daher insbesondere das in Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht zu beachten.
57a) Das als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedarf dabei unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03, juris). Die mit der elektronischen Datenverarbeitung grundsätzlich verbundenen technischen Möglichkeiten, Einzelangaben über eine Person unbegrenzt zu speichern sowie jederzeit abzurufen, sind geeignet, bei den betroffenen Personen einen psychischen Anpassungsdruck zu erzeugen, durch den sie in ihrer Freiheit, ihr Handeln aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu gestalten, wesentlich gehemmt werden (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03, juris) .
58b) Außerhalb des absoluten Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Diese besteht aus der Gesamtheit der Normen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind. In das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann daher insbesondere durch verfassungsgemäße Gesetze eingegriffen werden. Zu den Normen, die das Persönlichkeitsrecht einschränken können, gehören auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03, BAGE 111, 173, zu B I 2 c der Gründe mwN).
59c) Eingriffe der Betriebsparteien in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer müssen durch schutzwürdige Belange anderer Grundrechtsträger gerechtfertigt sein. Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestimmt sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser Grundsatz konkretisiert die den Betriebsparteien nach § 75 Abs.2 BetrVG auferlegte Verpflichtung (BAG, Beschluss vom 15.04.2014 – 1 ABR 2/13 (B), juris; BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d der Gründe mwN). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist entgegen einer im Schrifttum an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes geäußerten Kritik (vgl. Ehmann Anm. BAG 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 41) dogmatisch geboten. Er stellt einen tauglichen Maßstab zur Überprüfung von Betriebsvereinbarungen dar. Betriebsvereinbarungen sind wegen ihrer nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbaren und zwingenden Wirkung Akte innerbetrieblicher privater Normsetzung (BAG, Urteil vom 12. Dezember 2006 - 1 AZR 96/06 - Rn. 16, AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 94 = EzA BetrVG 2001 § 88 Nr. 1). Beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen werden die Betriebsparteien und die - die Zustimmung einer Betriebspartei ersetzende - Einigungsstelle als Normgeber tätig. Indem § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Arbeitgeber und Betriebsrat verpflichtet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen, “implantiert” die Bestimmung die sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ergebenden Bindungen der staatlichen Gewalt in das Betriebsverfassungsrecht (Bender Anm. BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 2). Der Gesetzgeber genügt seiner Pflicht, die einzelnen Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Grundrechte durch privatautonome Regelungen zu bewahren, indem er den Betriebsparteien eine Schutzpflicht hinsichtlich der freien Entfaltung der Persönlichkeit auferlegt (BAG, Urteil vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO, zu B I 2 a der Gründe). Daher ist es gerechtfertigt und geboten, Regelungen in Betriebsvereinbarungen, welche Rechte der betroffenen Arbeitnehmer, insbesondere deren Handlungsfreiheit beschränken oder ihnen Pflichten auferlegen, an dem auch für den Gesetzgeber geltenden Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen. Dieser ist dementsprechend auch maßgeblich, wenn durch eine dauerhafte Leistungsüberwachung durch Aufzeichnung von Daten in das Recht der Arbeitnehmer auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird. Eine ausschließlich schuldrechtliche Betrachtung wird dem normativen Charakter von Betriebsvereinbarungen nicht gerecht.
60d) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die von den Betriebsparteien bzw. der Einigungsstelle getroffene Regelung geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d der Gründe; vgl. auch BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 - und - 1 BvR 11 BvR 1254/07 - Rn. 163, NJW 2008, 1505).
61aa) Geeignet ist die Regelung, wenn mit ihrer Hilfe der erstrebte Zweck gefördert werden kann. Dabei steht den Betriebsparteien und der Einigungsstelle - ebenso wie in einer vergleichbaren Situation dem Gesetzgeber - ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d aa der Gründe).
62bb) Erforderlich ist die Regelung, wenn kein anderes, gleich wirksames und das Persönlichkeitsrecht weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung steht. Auch insoweit haben Betriebsparteien und Einigungsstelle einen gewissen Beurteilungsspielraum (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d bb der Gründe).
63cc) Angemessen ist eine Regelung, wenn sie als im engeren Sinn verhältnismäßig erscheint. Um das festzustellen, bedarf es einer Gesamtabwägung der Intensität des Eingriffs und des Gewichts der ihn rechtfertigenden Gründe (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - BAGE 111, 173, zu B I 2 d cc der Gründe mwN; vgl. auch BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 - und - 1 BvR 11 BvR 1254/07 - Rn. 168, NJW 2008, 1505). Diese Abwägung kann nicht abstrakt vorgenommen werden. So gehen weder das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum oder das durch Art. 10 Abs. 1 GG gewährleistete Briefgeheimnis stets dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vor noch genießt dieses umgekehrt jederzeit Vorrang. Maßgeblich sind vielmehr die Gesamtumstände (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO). Für die Schwere des Eingriffs ist insbesondere von Bedeutung, wie viele Personen wie intensiv den Beeinträchtigungen ausgesetzt sind. Das Gewicht der Beeinträchtigung hängt ua. davon ab, ob die Betroffenen als Personen anonym bleiben, welche Umstände und Inhalte der Kommunikation erfasst werden und welche Nachteile den Grundrechtsträgern aus der Überwachungsmaßnahme drohen oder von ihnen nicht ohne Grund befürchtet werden (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO; BVerfG 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98 - und - 1 BvR 1084/99 - BVerfGE 109, 279, 353, zu C II 3 b ee (4) (a) der Gründe; vgl. auch BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 - und - 1 BvR 11 BvR 1254/07 - Rn. 80, NJW 2008, 1505) . Die Intensität der Beeinträchtigung hängt ferner maßgeblich von der Dauer und Art der Überwachungsmaßnahme ab (BAG, Beschluss vom 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO). Von erheblicher Bedeutung ist, ob der Betroffene einen ihm zurechenbaren Anlass für die Datenerhebung geschaffen hat - etwa durch eine Rechtsverletzung - oder ob diese anlasslos erfolgt. Auch die “Persönlichkeitsrelevanz” der erfassten Informationen ist zu berücksichtigen. Die Heimlichkeit einer in Grundrechte eingreifenden Ermittlungsmaßnahme erhöht das Gewicht der Freiheitsbeeinträchtigung. Den Betroffenen kann hierdurch vorheriger Rechtsschutz faktisch verwehrt und nachträglicher Rechtsschutz erschwert werden (vgl. BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 - und - 1 BvR 11 BvR 1254/07 - aaO, Rn. 77 - 79).“
64e) Hieran gemessen hält die Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MIX RIBAS einer Rechtmäßigkeitsprüfung nicht stand.
65aa) Die Regelung in der Betriebsvereinbarung, auch diejenigen Fahrer, die nicht am Prämiensystem teilnehmen, fortlaufend zu überwachen, ist nicht erforderlich.
66Die Beklagte kann die unter § 2 genannten Ziele auch erreichen, wenn sie die Fahrer, die nicht am Prämiensystem teilnehmen möchten, nicht überwacht. Insoweit hätte es der Beklagten oblegen, als milderes Mittel dafür Sorge zu tragen, dass Aufzeichnungen über die Fahrdaten nur in den Zeiträumen erfolgen, wenn ein am Prämiensystem teilnehmender Fahrer seinen Schlüssel steckt. Dies bedeutet, dass es der Beklagten oblegen hätte, ein System einzusetzen, dass Daten nicht unabhängig von der Nutzung eines Schlüssels unabhängig fortlaufend erfasst, sondern ein System, dass seine Aufnahmetätigkeit erst bei Stecken eines Schlüssels aufnimmt und bei Entfernen des Schlüssels entsprechend wieder beendet.
67Soweit die Beklagte ergänzend darauf verwiesen hat, „auffällige Fahrer“ durch die Überwachung einer entsprechenden Schulung zuführen zu können, hätte es ein milderes Mittel dargestellt, regelmäßig ohne entsprechende Leistungskontrolle vorbeugende Schulungen bei sämtliche den Mitarbeiter durchzuführen. Hierzu bedarf es einer Dauerüberwachung der Mitarbeiter nicht.
68Darüber hinaus ist der Umstand, dass Daten über die Leistung der Mitarbeiter erfasst werden und nach der Betriebsvereinbarung ohne zeitliche Begrenzung gespeichert werden, ebenfalls nicht erforderlich. Denn zur Überwachung des Fahrverhaltens der nicht am Prämiensystem teilnehmenden Fahrer würde es genügen, die Daten für einen äußerst kurzen Zeitraum aufzuzeichnen und auszuwerten.
69Der Beklagten hätten nach dem Vorstehenden gleichwirksame Steuerungselemente zur Verfügung gestanden, welche nicht bzw. weniger die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer verletzen.
70f) Aufgrund des nicht verhältnismäßigen Eingriffs in das Grundrecht des Klägers war dieser nicht verpflichtet, sich bei Beginn seiner Fahrt in das RIBAS-System anzumelden. Mangels Pflichtverletzung ist die Abmahnung daher aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
71II.
72Die Abmahnungen vom 05.02.2015 und 26.02.2015 sind aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, da sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalten und auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Klägers beruhen.
73Aus den unter den zu Ziffer I. dargestellten Gründen war der Kläger nicht verpflichtet, am RIBAS-System teilzunehmen, da der mit der Teilnahme am System verbundene Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unverhältnismäßig ist. Demgemäß kann dem Kläger keine Pflichtverletzung zur Last gelegt werden.
74Darüber hinaus enthalten die Abmahnungen vom 05.02.2015 und 26.02.2015 unrichtige Tatsachenbehauptungen.
75So heißt es in den Abmahnungen, dass die Daten auf einem anonymen Account abgespeichert werden und damit nicht zuordbar gemacht werden. Dass dies unzutreffend ist, ergibt sich bereits aus § 10 der Betriebsvereinbarung. Bei Überschreitung der Grenzwerte ist es dem Arbeitgeber nach § 10 der Betriebsvereinbarung möglich, die jeweiligen anonymen Datensätze zu personalisieren. Ungeachtet dessen ist es dem Arbeitgeber durch Abgleich der erfassten anonymen Daten mit dem Dienstplan des jeweiligen Fahrers aufgrund eines Vergleiches der Anfangs- und Endzeit möglich, die „anonym“ erfassten Daten einem bestimmten Fahrer zuzuordnen. Die Darstellung in der Abmahnung, die Daten würden durch Speicherung in einem anonymen Account damit nicht zuordbar gemacht, ist vor diesem Hintergrund unzutreffend.
76Weiter heißt es in den Abmahnungen, die Vorgehensweise zum Umgang mit dem RIBAS-System sei mit dem Landesdatenschutzbeauftragten des Landes NRW abgestimmt. Der Kläger hat dies bestritten. Die beweisbelastete Beklagte hat nicht unter Beweis gestellt, dass diese Behauptung in den Abmahnungen zutreffend ist. Insofern ist zu Lasten der Beklagten zu unterstellen, dass eine entsprechende Abstimmung nicht stattgefunden hat.
77Die Abmahnungen können auch aus diesem Grund keinen Bestand haben.
78III.
79Die aus verhaltensbedingten Gründen erklärte Kündigung vom 12.03.2015 ist sozial nicht gerechtfertigt.
801.
81Der Kläger hat rechtzeitig innerhalb der dreiwöchigen Frist nach Zugang der Kündigung Klage beim Arbeitsgericht erhoben, §§ 4,7,13 Abs.1 KSchG.
822.
83Das Kündigungsschutzgesetz ist nach §§ 1 Abs. 1, 23 Abs.1 KSchG anwendbar, da der Kläger seit dem 01.10.1989 bei der Beklagten beschäftigt ist und in dem Betrieb der Beklagten zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung mehr als 10 vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer beschäftigt waren.
843.
85Die Beklagte hat einen Kündigungsgrund im Sinne von § 1 KSchG nicht dargelegt.
86Soweit sich die Beklagte als Kündigungsgrund darauf berufen hat, der Kläger habe am 05.03.2015 und 06.03.2015 gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen, indem er am RIBAS-System nicht teilgenommen hat, rechtfertigt dieser Vorwurf eine Kündigung nicht. Denn aus den unter Ziffer I. dargestellten Gründen war der Kläger nicht verpflichtet, am RIBAS-System teilzunehmen.
87Darüber hinaus wäre die Kündigung auch unverhältnismäßig. Die Abmahnungen vom 05.02. und 26.02.2015 haben bereits aus formellen Gründen wegen unrichtiger Tatsachendarstellung keinen Bestand. Selbst wenn man unterstellt, der Kläger wäre verpflichtet gewesen, am RIBAS-System teilzunehmen, würde der Ausspruch einer Kündigung eines seit dem Jahre 1989 beschäftigten Arbeitnehmers nach nur einer vorausgegangen Abmahnung eine unverhältnismäßige Maßnahme darstellen.
88IV.
89Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte als im Rechtsstreit unterliegende Partei, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.
90Der im Urteil nach § 61 Abs.1 ArbGG festzusetzende Streitwert entspricht einem Vierteljahreseinkommen bezüglich des Kündigungsschutzantrages nach § 42 Abs.3 Satz 1 GKG und einem Bruttomonatsentgelt für die erste Abmahnung und jeweils 1/3 einer Bruttomonatsvergütung für die zweite und dritte Abmahnung.
(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.
(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.
(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn
- 1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat, - 2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt, - 3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, - 4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder - 5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.
(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.
(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn
- 1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder - 2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder - 3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.
(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.
(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Tenor
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1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.
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2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:
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Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.
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3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
- 1
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
- 2
-
Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.
- 3
-
Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.
- 4
-
Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.
- 5
-
Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.
- 6
-
Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.
- 7
-
Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.
- 8
-
Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.
- 9
-
Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.
- 10
-
Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.
-
Die Klägerin hat beantragt
-
1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;
2.
die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.
- 12
-
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.
-
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
- 14
-
Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.
- 16
-
I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).
- 17
-
II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).
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III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.
- 19
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1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.
- 20
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a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.
- 21
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b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.
- 22
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c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.
- 23
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aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).
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bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.
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2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.
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a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).
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b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.
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c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).
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d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).
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e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).
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f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.
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3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.
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a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.
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b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).
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c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).
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aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).
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bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).
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cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).
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d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.
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aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.
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bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.
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(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.
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(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.
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cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.
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(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.
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(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.
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(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.
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(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.
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(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.
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(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.
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(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.
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(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).
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(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.
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(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.
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(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.
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(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.
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(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.
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B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.
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C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.
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Kreft
Schmitz-Scholemann
Berger
Torsten Falke
Bartz
Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine öffentliche Stelle ist zulässig, wenn sie zur Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgabe oder in Ausübung öffentlicher Gewalt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, erforderlich ist.
(1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:
- 1.
Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb; - 2.
Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage; - 3.
vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit; - 4.
Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte; - 5.
Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie die Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einzelne Arbeitnehmer, wenn zwischen dem Arbeitgeber und den beteiligten Arbeitnehmern kein Einverständnis erzielt wird; - 6.
Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen; - 7.
Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften; - 8.
Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt ist; - 9.
Zuweisung und Kündigung von Wohnräumen, die den Arbeitnehmern mit Rücksicht auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vermietet werden, sowie die allgemeine Festlegung der Nutzungsbedingungen; - 10.
Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung; - 11.
Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte, einschließlich der Geldfaktoren; - 12.
Grundsätze über das betriebliche Vorschlagswesen; - 13.
Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit; Gruppenarbeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn im Rahmen des betrieblichen Arbeitsablaufs eine Gruppe von Arbeitnehmern eine ihr übertragene Gesamtaufgabe im Wesentlichen eigenverantwortlich erledigt; - 14.
Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird.
(2) Kommt eine Einigung über eine Angelegenheit nach Absatz 1 nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.
(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.
(2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben die Selbständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.
(2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben die Selbständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern.
Wird das Recht zum Gebrauch eines Namens dem Berechtigten von einem anderen bestritten oder wird das Interesse des Berechtigten dadurch verletzt, dass ein anderer unbefugt den gleichen Namen gebraucht, so kann der Berechtigte von dem anderen Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann er auf Unterlassung klagen.
(1) Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, auch soweit sie auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen, führt der Arbeitgeber durch, es sei denn, dass im Einzelfall etwas anderes vereinbart ist. Der Betriebsrat darf nicht durch einseitige Handlungen in die Leitung des Betriebs eingreifen.
(2) Betriebsvereinbarungen sind von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen. Sie sind von beiden Seiten zu unterzeichnen; dies gilt nicht, soweit Betriebsvereinbarungen auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen. Werden Betriebsvereinbarungen in elektronischer Form geschlossen, haben Arbeitgeber und Betriebsrat abweichend von § 126a Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dasselbe Dokument elektronisch zu signieren. Der Arbeitgeber hat die Betriebsvereinbarungen an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen.
(3) Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.
(4) Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar und zwingend. Werden Arbeitnehmern durch die Betriebsvereinbarung Rechte eingeräumt, so ist ein Verzicht auf sie nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig. Die Verwirkung dieser Rechte ist ausgeschlossen. Ausschlussfristen für ihre Geltendmachung sind nur insoweit zulässig, als sie in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung vereinbart werden; dasselbe gilt für die Abkürzung der Verjährungsfristen.
(5) Betriebsvereinbarungen können, soweit nichts anderes vereinbart ist, mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.
(6) Nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung gelten ihre Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.
Tenor
-
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juni 2014 - 4 Sa 35/14 - aufgehoben.
-
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
- 2
-
Die Beklagte betreibt im Landkreis L mehrere Krankenhäuser. Die im Jahre 1952 geborene Klägerin war bei ihr seit April 1991 als Reinigungskraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Regelungen des TVöD Anwendung.
- 3
-
Zwischen den Parteien kam es zu Auseinandersetzungen über ihre beiderseitigen Rechte und Pflichten. Im Juni 2013 erteilte die Beklagte der Klägerin zwei Abmahnungen. Diese sind Gegenstand eines weiteren Rechtsstreits der Parteien.
- 4
-
Am 11. September 2013 gab es ein Gespräch zwischen der Klägerin und ihrer Vorgesetzten. Der Inhalt im Einzelnen ist zwischen den Parteien streitig gewesen.
- 5
-
Mit Schreiben vom 19. September 2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum Ablauf des 31.03.2014“.
- 6
-
Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist, die auf Gründe in ihrem Verhalten gestützt sei, sei aufgrund des ihr zustehenden besonderen Kündigungsschutzes nach § 34 Abs. 2 TVöD ausgeschlossen. Zudem liege kein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor. Im Übrigen sei auch der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden.
- 7
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Die Klägerin hat beantragt
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1.
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19. September 2013 nicht beendet wird, sondern unverändert über den 31. März 2014 hinaus fortbesteht;
2.
die Beklagte zu verpflichten, sie zu unveränderten Bedingungen als Reinigungskraft über den 31. März 2014 hinaus weiterzubeschäftigen.
- 8
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die Kündigung sei unter allen rechtlichen Gesichtspunkten wirksam. Der wichtige Grund für eine außerordentliche Kündigung liege im Verhalten der Klägerin. Diese habe in dem Gespräch am 11. September 2013 ihrer Vorgesetzten eine Ohrfeige angedroht. Außerdem habe sie in Aussicht gestellt, dass ihr Sohn die Vorgesetzte ohrfeigen werde, falls sie selbst dazu nicht in der Lage sei. Die Auslauffrist habe sie, die Beklagte, ausschließlich aus sozialen Gründen gewährt. Den Betriebsrat habe sie ordnungsgemäß angehört.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, dem Feststellungsantrag mit dem Tenor, „dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19.09.2013 nicht mit Ablauf der sozialen Auslauffrist zum 31.03.2014 endet“. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage gegen die Kündigung vom 19. September 2013 nicht stattgeben. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Ob die Kündigung wirksam ist, steht noch nicht fest.
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A. Die Revision ist zulässig. Sie ist ordnungsgemäß innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 ArbGG begründet worden.
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I. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision müssen gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angegeben werden. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts in einer Weise verdeutlichen, die Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennen lässt. Die Revisionsbegründung hat sich deshalb mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils gezielt auseinanderzusetzen (BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 15; 10. April 2014 - 2 AZR 741/13 - Rn. 10). Dadurch soll ua. sichergestellt werden, dass der Revisionskläger das angefochtene Urteil auf das Rechtsmittel hin überprüft und die Rechtslage genau durchdenkt. Die Kritik des angefochtenen Urteils soll außerdem zur richtigen Rechtsfindung beitragen. Die Darstellung anderer Rechtsansichten ohne Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung (BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 15).
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II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Beklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts und setzt sich mit dem angefochtenen Urteil in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise auseinander. Sie legt dar, aus welchen Gründen sie die das Berufungsurteil tragenden Erwägungen für rechtsfehlerhaft hält.
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1. Die Beklagte macht geltend, eine Auslauffrist könne entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bei einer außerordentlichen Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers zumindest dann gewährt werden, wenn das zum Anlass der Kündigung genommene Verhalten objektiv eine fristlose Kündigung rechtfertige. Das Landesarbeitsgericht habe dagegen ausschließlich subjektive Elemente geprüft. Damit rügt die Beklagte eine fehlerhafte Anwendung von § 626 Abs. 1 BGB.
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2. Ferner beanstandet die Beklagte, das Landesarbeitsgericht sei zu Unrecht zu der Einschätzung gelangt, sie habe auf ihr Recht, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen, verzichtet. Es habe dabei den Umstand, dass sie ausdrücklich eine „soziale“ Auslauffrist gewährt habe, nicht bedacht. Zudem habe es den zugunsten der Klägerin bestehenden allgemeinen Beschäftigungsanspruch nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt. Die Beklagte rügt damit in der Sache Rechtsfehler bei der Anwendung der §§ 133, 157 BGB.
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B. Die Revision ist begründet. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts war zulässig (I.). Das Landesarbeitsgericht durfte auf der Basis seiner bisherigen Feststellungen nicht annehmen, die Kündigung vom 19. September 2013 habe das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst (II.). Ob die Kündigung wirksam ist, steht noch nicht fest (III.).
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I. Die Revision ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht deshalb unbegründet, weil die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts unzulässig gewesen wäre.
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1. Eine Berufungsbegründung muss gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 11. November 2014 - 3 AZR 404/13 - Rn. 18; 12. August 2014 - 3 AZR 492/12 - Rn. 88).
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2. Die Berufungsbegründung der Beklagten entspricht diesen Anforderungen. Sie zeigt ausreichend deutlich auf, in welchen Punkten die Beklagte das erstinstanzliche Urteil für fehlerhaft hält.
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a) Die Beklagte hat die Würdigung des Arbeitsgerichts, das Verhalten der Klägerin rechtfertige allenfalls eine ordentliche Kündigung, unter Darlegung ihrer eigenen Wertung infrage gestellt. Eine darüber hinausgehende Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil war in diesem Punkt nicht erforderlich. Das Arbeitsgericht hatte seine Auffassung seinerseits nicht näher begründet.
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b) Mit der weiteren Annahme des Arbeitsgerichts, es sei jedenfalls deshalb nur eine ordentliche Kündigung in Betracht gekommen, weil die Beklagte mit der Gewährung der Auslauffrist - ohne die Klägerin gleichzeitig freizustellen - zu verstehen gegeben habe, ihr sei deren Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ablauf der Frist zumutbar gewesen, hat sich die Beklagte ebenfalls hinreichend auseinandergesetzt. Sie hat eingewandt, der ihr insoweit entgegen gehaltene Wertungswiderspruch bestehe nicht. Das Arbeitsgericht habe nicht genügend berücksichtigt, dass sie die Auslauffrist lediglich aus sozialer Verantwortung, nicht aufgrund rechtlicher Verpflichtung gewährt habe.
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II. Die bisherigen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, die Kündigung der Beklagten vom 19. September 2013 sei unwirksam.
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1. Das Landesarbeitsgericht ist - unausgesprochen - davon ausgegangen, neben dem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG sei kein eigenständiger allgemeiner Feststellungsantrag in die Berufungsinstanz gelangt. Diese Würdigung begegnet keinen Bedenken. Das Arbeitsgericht hatte - ebenfalls unausgesprochen - den Feststellungsantrag bereits als einheitlichen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG ausgelegt und dementsprechend tenoriert. Dagegen hat die Klägerin keine Einwände erhoben.
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2. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers komme gegenüber Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnisse nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD ordentlich nicht kündbar seien, nicht in Betracht. Dies trifft nicht zu.
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a) Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD können die Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und die den Regelungen des Tarifgebiets West unterliegen, nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Die Klägerin erfüllte im Zeitpunkt der Kündigung die Voraussetzungen für den tariflichen Sonderkündigungsschutz.
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b) Mit dem Begriff „wichtiger Grund“ knüpft die tarifvertragliche Bestimmung an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an. Deren Verständnis ist deshalb auch für die Auslegung der Tarifnorm maßgebend (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 23; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 12; 26. November 2009 - 2 AZR 272/08 - Rn. 12, BAGE 132, 299).
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c) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann.
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aa) Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 25; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16).
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bb) Dabei gilt ein objektiver Maßstab. Nach § 626 Abs. 1 BGB bestimmt sich der wichtige Grund anhand des Vorliegens von Tatsachen(KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 109; HK-ArbR/Griebeling 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 58; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 22). Maßgeblich ist nicht, ob ein bestimmter Arbeitgeber meint, ihm sei die Einhaltung der Kündigungsfrist nicht zuzumuten, und ob er weiterhin hinreichendes Vertrauen in einen Arbeitnehmer hat. Es kommt darauf an, ob die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist dem Kündigenden aus der Sicht eines objektiven und verständigen Betrachters unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, BAGE 134, 349).
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cc) Der Arbeitgeber ist bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB nicht gezwungen, fristlos zu kündigen. Er kann die Kündigung grundsätzlich auch - etwa aus sozialen Erwägungen oder weil eine Ersatzkraft fehlt - unter Gewährung einer Auslauffrist aussprechen (BAG 13. April 2000 - 2 AZR 259/99 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 94, 228; 9. Februar 1960 - 2 AZR 585/57 - zu IV der Gründe, BAGE 9, 44). Ob die Gewährung einer Auslauffrist zu der Annahme berechtigt, dem Arbeitgeber sei die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der Frist auch objektiv zumutbar, ist unabhängig davon und nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. BAG 6. Februar 1997 - 2 AZR 51/96 - zu II 2 b der Gründe; 9. Februar 1960 - 2 AZR 585/57 - aaO). Für sich genommen erlaubt die Gewährung einer Auslauffrist, auf die das Landesarbeitsgericht allein abgestellt hat, einen solchen Schluss nicht.
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dd) Aus § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD folgt nichts anderes. Schon der Wortlaut der Bestimmung schließt lediglich eine Kündigung ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes aus, nicht aber eine Kündigung aus wichtigem Grund mit Auslauffrist. Ein solches Verständnis widerspricht nicht etwa dem Sinn und Zweck des tariflichen Sonderkündigungsschutzes. Durch ihn sollen länger beschäftigte ältere Arbeitnehmer, die im Allgemeinen weniger schnell Zugang zum Arbeitsmarkt finden, einen weiter gehenden Arbeitsplatzschutz erlangen (BeckOK TVöD/Eylert Stand 1. September 2014 TVöD-AT § 34 Rn. 24; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Stand März 2015 § 34 Rn. 656). Dieser Schutz wird bei Vorliegen eines wichtigen Grundes durch die Gewährung einer Auslauffrist in keiner Weise geschmälert.
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3. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe auf ein - mögliches - Recht zur außerordentlichen Kündigung verzichtet, ist ebenfalls nicht ohne Rechtsfehler.
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a) Der Arbeitgeber kann auf das Recht zum Ausspruch einer - außerordentlichen oder ordentlichen - Kündigung jedenfalls nach dessen Entstehen durch eine entsprechende Willenserklärung einseitig verzichten. Ein solcher Verzicht ist ausdrücklich oder konkludent möglich. So liegt im Ausspruch einer Abmahnung regelmäßig der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, dass er das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört ansieht, als dass er es nicht mehr fortsetzen könnte (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 11 f.; 6. März 2003 - 2 AZR 128/02 - zu B I 1 der Gründe). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn gemäß §§ 133, 157 BGB der Abmahnung selbst oder den Umständen zu entnehmen ist, dass der Arbeitgeber die Angelegenheit mit der Abmahnung nicht als „erledigt“ ansieht(BAG 13. Dezember 2007 - 6 AZR 145/07 - Rn. 24, BAGE 125, 208).
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b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe sich ihres - etwaigen - Rechts zur außerordentlichen Kündigung begeben, indem sie das Arbeitsverhältnis der Parteien unter Gewährung einer Auslauffrist gekündigt habe. Dabei hat es nicht alle relevanten Umstände in den Blick genommen.
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aa) Nach §§ 133, 157 BGB sind Willenserklärungen so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragspartner gerecht werdenden Ergebnis führt (BAG 22. Juli 2014 - 9 AZR 1066/12 - Rn. 13, BAGE 148, 349).
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bb) Die Auslegung von nichttypischen Willenserklärungen - etwa Kündigungsschreiben - obliegt vorrangig den Tatsachengerichten. Das Revisionsgericht kann die Auslegung nur daraufhin überprüfen, ob die Rechtsvorschriften über die Auslegung von Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt sind, ob dabei nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und ob das tatsächliche Vorbringen der Parteien vollständig verwertet oder ob eine gebotene Auslegung vollständig unterlassen worden ist (BAG 6. März 2003 - 2 AZR 128/02 - zu B I 2 a der Gründe).
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c) Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.
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aa) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass die Beklagte ausdrücklich eine außerordentliche Kündigung erklärt hatte. Dies spricht gegen ein Verständnis, sie habe auf eben dieses Recht zur außerordentlichen Kündigung verzichten wollen. Die Gewährung einer Auslauffrist besagt für sich genommen nichts anderes. Ihre Bezeichnung als „soziale Auslauffrist“ im Zusammenhang mit der Erklärung einer außerordentlichen Kündigung bestätigt vielmehr, dass die Beklagte ein - vermeintliches - Recht zur außerordentlichen Kündigung hat ausüben und nicht etwa hat aufgeben wollen.
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bb) Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte statt der ausdrücklich erklärten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist in Wirklichkeit eine - wegen Verstoßes gegen § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD allemal rechtsunwirksame - ordentliche Kündigung hätte aussprechen und insofern zugleich auf das nach dem Wortlaut der Erklärung gerade in Anspruch genommene Recht zur außerordentlichen Kündigung hätte verzichten wollen.
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III. Der Rechtsstreit ist nicht entscheidungsreif. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob die Kündigung vom 19. September 2013 wirksam ist. Es fehlt an erforderlichen Feststellungen. Die Sache war deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
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1. Es steht noch nicht fest, ob ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19. September 2013 gegeben war. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht konsequent - zu den Äußerungen der Klägerin in dem Gespräch mit ihrer Vorgesetzten am 11. September 2013 keine Feststellungen getroffen.
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a) Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegt auch im Verhältnis zu einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ordentlich nicht gekündigt werden kann, dann vor, wenn es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - objektiv - nicht zuzumuten ist, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. In diesem Fall wäre eine außerordentliche Kündigung auch dann gerechtfertigt, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen wäre (vgl. BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 5 b der Gründe; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 34 f., BAGE 118, 104; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 301b).
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b) Es kann nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass das von der Beklagten behauptete Verhalten der Klägerin einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt. Als solcher ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die erhebliche Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (vgl. BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19 f.; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 231 f.). Im Streitfall wird daher ggf. aufzuklären sein, ob und in welchem Zusammenhang es zu den behaupteten Äußerungen der Klägerin gekommen ist. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Streitfalls wird im Rahmen einer Abwägung der beiderseitigen Interessen zu prüfen sein, ob es der Beklagten aufgrund des Verhaltens der Klägerin - objektiv - unzumutbar war, sie auch nur bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.
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c) Denkbar ist ferner, dass ein pflichtwidriges Verhalten, das bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde, gerade wegen der infolge des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung langen Bindungsdauer einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung für den Arbeitgeber iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen kann(BAG 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - zu II 5 a der Gründe, BAGE 99, 331; 13. April 2000 - 2 AZR 259/99 - zu II 3 d cc der Gründe, BAGE 94, 228; offengelassen BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 16, 21). Zwar wirkt sich der Sonderkündigungsschutz insofern zum Nachteil für den Arbeitnehmer aus. Dies ist jedoch im Begriff des wichtigen Grundes gemäß § 626 Abs. 1 BGB angelegt. Dieser richtet sich nach der Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs muss in einem solchen Fall allerdings zugunsten des Arbeitnehmers zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingehalten werden. Der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber ordentlich nicht gekündigt werden kann, darf im Ergebnis nicht schlechter gestellt sein, als wenn er dem Sonderkündigungsschutz nicht unterfiele (BAG 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - zu II 5 b der Gründe; 13. April 2000 - 2 AZR 259/99 - aaO; 11. März 1999 - 2 AZR 427/98 - zu B II 3 b der Gründe).
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aa) Bei Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers wird eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Die Pflichtverletzung müsste einerseits so gravierend sein, dass sie im Grundsatz auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnte. Andererseits müsste es dem Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zumutbar sein, dennoch die (fiktive) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Wäre etwa die Gefahr einer Wiederholung des Pflichtverstoßes zwar für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist auszuschließen, nicht aber darüber hinaus (zu einer solchen Konstellation vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 29), könnte ausnahmsweise gerade der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dazu führen, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung - mit notwendiger Auslauffrist - bestünde (ebenso KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 301b; HaKo-Gieseler 5. Aufl. § 626 Rn. 80, 87; Linck/Scholz AR-Blattei SD 1010.7 Rn. 74; vgl. auch ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 49 aE; HWK/Sandmann 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 80).
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bb) Ist die Pflichtverletzung zwar nicht so schwerwiegend, dass sie „an sich“ als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht käme, könnte sie jedoch eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen, führte auch der Ausschluss der ordentlichen Kündigung regelmäßig nicht dazu, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung - mit notwendiger Auslauffrist - bestünde. Bei einem typischerweise nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers bedingen es vielmehr Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes, dass sich der Arbeitgeber von der freiwillig eingegangenen, gesteigerten Vertragsbindung nicht lösen kann (vgl. zur Problematik auch BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 20; ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 49 aE; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 301b).
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d) Im Streitfall sind auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen keine besonderen Umstände ersichtlich, die gerade deshalb eine außerordentliche Kündigung mit - insofern notwendiger - Auslauffrist rechtfertigen könnten, weil die ordentliche Kündigung für die Beklagte ausgeschlossen war.
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2. Der Senat kann nicht selbst beurteilen, ob die Kündigung vom 19. September 2013 nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist. Das Landesarbeitsgericht hat zur Anhörung des Betriebsrats bislang - aus seiner Sicht konsequent - keine Feststellungen getroffen.
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IV. Von der Zurückverweisung ist auch der als Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag zu verstehende Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung erfasst. Die Entscheidung über ihn ist abhängig von der Entscheidung über den Feststellungsantrag.
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Berger
Niemann
Rachor
A. Claes
Brossardt
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Tenor
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. August 2010 - 2 Sa 634/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses sowie über die Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers.
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Die Beklagte ist ein international tätiges IT-Beratungs- und Systemintegrationsunternehmen mit ca. 2000 Mitarbeitern in Deutschland. Der Kläger ist Jurist. Von Dezember 1999 bis November 2000 nahm er erfolgreich an einem Qualifikationsprogramm „Applikationsentwickler Client-Server“ teil. Wenige Wochen vor dem Ende dieses Programms besuchte ein Bereichsleiter der Beklagten den Kurs und forderte die Teilnehmer auf, sich bei dieser zu bewerben. Auf seine Bewerbung hin wurde der Kläger zum 1. Dezember 2000 von der Beklagten als Organisationsprogrammierer eingestellt. Zu seinen vertraglichen Aufgaben gehörte ua. die „Programmierung von Anwendersoftware“ und die „Beratung in Organisations- und Systemfragen“.
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Der Kläger wurde zunächst im B-Projekt PPC eingesetzt und mit der Konzepterstellung, einer Projektassistenz sowie dem Erstellen eines Handbuchs beauftragt. Nach Abschluss des Projekts war er weiter für den Kunden B im Projekt „Produkt Qualitätsmanagement“ bis zu dessen Ende im Herbst 2004 tätig. Zwischenzeitlich wurde die Abteilung „TA Applications Consulting und Development“, in der der Kläger beschäftigt war, aufgelöst. Deshalb sollte er ab Mai 2005 im Bereich Programmierung eingesetzt werden. Zu diesem Zweck wurde ihm zunächst ein Skript zum Selbststudium überlassen. Eine beabsichtigte zweimonatige Schulung in der Filiale P scheiterte. Danach sollte der Kläger sich in ein bestimmtes Securitysystem einarbeiten. Hierzu nahm er an mindestens zwei Schulungen teil. Im August 2006 wurde er im Projekt „B-Atlas“ eingesetzt. Im März 2007 sollte er im Programmierbereich tätig werden, löste aber die ihm gestellte Aufgabe nicht.
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Im Mai 2007 initiierte der Kläger zusammen mit Kollegen eine Betriebsversammlung zur (erstmaligen) Wahl eines Betriebsrats.
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Am 20. Juni 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich wegen Arbeitsverweigerung.
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Am 10. Oktober 2007, einen Tag vor der Betriebsratswahl, schickte der Kläger eine E-Mail an 20 Mitarbeiter der Beklagten, in der er ua. ausführte:
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„Wie Ihr vielleicht wisst, wurde ich am 20.6. fristlos gekündigt, es wurden zwar kein Gründe angegeben, aber es liegt natürlich auf der Hand, dass man mit dieser Maßnahme den Betriebsrat verhindern wollte.“
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Wegen dieser E-Mail kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 23. Oktober 2007 erneut außerordentlich. Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Kündigungen vom 20. Juni und 23. Oktober 2007 rechtskräftig fest und verurteilte die Beklagte, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Organisationsprogrammierer weiterzubeschäftigen.
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Am 31. Januar 2008 mahnte die Beklagte den Kläger mit der Begründung ab, er habe gegenüber einem Mitarbeiter erklärt, man müsse sie - die Beklagte - in allen Belangen „hart anfassen“. Mit einer Abmahnung vom 5. Februar 2008 wurde ihm vorgeworfen, er habe sich nicht acht Stunden täglich auf einen Arbeitseinsatz vorbereitet. Mit einer weiteren Abmahnung vom 19. Februar 2008 rügte die Beklagte die fehlende Bereitschaft des Klägers, seine Programmiererfähigkeiten gutachterlich untersuchen zu lassen.
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Am 4. März 2008 erstellte ein IT-Sachverständiger nach zwei Gesprächen mit dem Kläger ein Gutachten über dessen Qualifikations- und Kenntnisstand im Bereich der Softwareentwicklung. Er kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht über die erforderliche fachliche Qualifikation verfüge, um eine Tätigkeit als Organisationsprogrammierer zu erbringen.
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Die Beklagte hörte den bei ihr bestehenden Betriebsrat am 6. März 2008 zu einer außerordentlichen fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist an. Der Personalausschuss des Betriebsrats stimmte den beabsichtigten Kündigungen zu. Mit Schreiben vom 10. März 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise außerordentlich mit einer Auslauffrist zum 30. Juni 2008. Zugleich erteilte sie dem Kläger Hausverbot.
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Nach Auslaufen des nachwirkenden Kündigungsschutzes als Bewerber zur Betriebsratswahl hörte die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 16. April 2008 zu einer ordentlichen Kündigung des Klägers aus personen- und verhaltensbedingten Gründen an. Der Vorsitzende des Personalausschusses teilte am 17. April 2008 die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung mit. Am gleichen Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2008.
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Zum 30. April 2008 schied einer der beiden bei der Beklagten beschäftigten Juristen aufgrund einer Eigenkündigung vom Januar 2008 aus. Spätestens zum 1. Oktober 2008 stellte die Beklagte einen Juristen neu ein.
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Am 13. Oktober 2008 wollte der Kläger als Ersatzmitglied an einer außerhalb des Betriebs stattfindenden Sitzung des Betriebsrats teilnehmen. Der Vorsitzende verweigerte ihm dies. Da der Kläger nicht freiwillig gehen wollte, rief er die Polizei zu Hilfe. Hierzu nahm der Kläger am 7. November 2008 nach Aufforderung durch die Beklagte wie folgt Stellung:
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„Da Sie zweifellos nicht das Hausrecht über die Gaststätte ... ausüben, besteht kein Anlass, zu Ihrem Schreiben näher Stellung zu nehmen.
Einen besseren Beweis als Ihr Schreiben, dass der m Betriebsrat unternehmensgesteuert, unternehmensdominiert und unternehmensbestimmt ist und dass Sie ihn lediglich als Hilfsorgan ansehen, hätten Sie gar nicht liefern können.“
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In einem Schreiben vom 27. November 2008 wiederholte der Kläger den Vorwurf, der Betriebsrat sei von der Beklagten nicht unabhängig. Die Beklagte forderte ihn am 3. Dezember 2008 auf, diese Äußerung zurückzunehmen und den Betriebsfrieden zukünftig nicht mehr zu stören.
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Mit einem als „Abmahnung und Aufforderung zum Widerruf“ überschriebenen Schreiben vom 23. Dezember 2008 rügte die Beklagte den Kläger wegen seiner Äußerung in der E-Mail vom 10. Oktober 2007 und forderte ihn auf, gegenüber den Empfängern dieser Mail bis 9. Januar 2009 seine Äußerung zu widerrufen, andernfalls behalte sie sich arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zum Ausspruch einer Kündigung vor. Nachdem die Beklagte den Betriebsrat zu einer weiteren außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung angehört und der Personalausschuss mitgeteilt hatte, dass dagegen keine Einwände bestünden, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 21. Januar 2009 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Mit Schreiben vom 11. Februar 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis ein weiteres Mal außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin, nachdem der Personalausschuss auch dagegen keine Einwände erhoben hatte.
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Mit Schreiben vom 7. April 2009 erklärte die Beklagte die Anfechtung des Arbeitsverhältnisses, weil der Kläger nicht programmieren könne und ihm diese Fähigkeit bereits bei Abschluss des Vertrags gefehlt habe.
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Der Kläger hat mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage geltend gemacht, sämtliche Kündigungen seien unwirksam. Er habe zu keiner Zeit die Arbeit verweigert. Die ihm gestellten Aufgaben seien jedoch zu schwierig und die angebotenen Schulungen für ihn als Anfänger nicht geeignet gewesen. Ein Fachfremder könne in einer einjährigen Schulung das Programmieren nicht lernen. Die Beklagte habe bei seiner Einstellung gewusst, dass er lediglich eine Qualifizierungsmaßnahme von einem Jahr absolviert habe. Trotz seiner unzureichenden Kenntnisse habe sie ihn eingestellt und fünf Jahre lang ohne Programmiertätigkeiten beschäftigt. Nach Ablauf der Probezeit könne sie sich deshalb nicht mehr auf unzulängliche Kenntnisse berufen. Er könne weiterhin in einem der Tätigkeitsbereiche eingesetzt werden, in dem er jahrelang gearbeitet habe. Auch sei während der Kündigungsfrist die Stelle eines Juristen zur Nachbesetzung frei gewesen, die ihm habe übertragen werden können.
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Im Übrigen sei er ordentlich unkündbar gewesen. Bei Ausspruch der Kündigung vom 17. April 2008 habe ihm der nachwirkende Kündigungsschutz als Ersatzmitglied zugestanden. In den Betriebsratssitzungen am 28. oder 29. Februar, 29. März und 28. April 2008 seien ordentliche Betriebsratsmitglieder verhindert gewesen. Gleichwohl sei er nicht geladen worden.
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Die Abmahnungen vom 31. Januar, 5. Februar, 26. Februar und 23. Dezember 2008 seien unwirksam und deshalb zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.
-
Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt
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1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 10. März 2008 nicht beendet worden ist;
2.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 17. April 2008 nicht zum 30. September 2008 beendet worden ist;
3.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 21. Januar 2009 noch durch die hilfsweise ausgesprochene Kündigung von diesem Tage zum 30. Juni 2009 beendet worden ist;
4.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 11. Februar 2009 noch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung von diesem Tage zum 30. Juni 2009 beendet worden ist;
5.
die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen;
6.
die Beklagte zu verurteilen, die ihm mit Schreiben vom 31. Januar 2008, 5. Februar 2008, 26. Februar 2008 und 23. Dezember 2008 erteilten Abmahnungen zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.
-
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise
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für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigungen vom 10. März und 17. April 2008 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2, § 10 Abs. 1 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, die jedoch 8.042,28 Euro brutto nicht übersteigen sollte, zum 30. September 2008 aufzulösen.
- 21
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 17. April 2008 sei aus verhaltensbedingten und personenbedingten Gründen gerechtfertigt. Entweder habe der Kläger trotz Abmahnungen die Arbeit verweigert oder er sei nicht in der Lage, zu programmieren. Seine ursprüngliche Tätigkeit könne er nicht mehr ausüben, seine Abteilung sei bereits 2005 aufgelöst worden. Eine Weiterbeschäftigung im Rahmen von Projekten sei nicht möglich. Sämtliche Projekte seien abgeschlossen, es gebe nur noch freie Stellen als Programmierer. Für eine Tätigkeit im Bereich Business fehle dem Kläger die notwendige Qualifikation. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger auf der frei gewordenen Juristenstelle, einer Beförderungsstelle, weiterzubeschäftigen. Die Position habe zunächst nicht nachbesetzt werden sollen. Erst Anfang Juli 2008 habe sie entschieden, wieder einen Juristen einzustellen. Die Kündigung vom 21. Januar 2009 sei begründet, weil der Kläger trotz Abmahnung und Aufforderung mit Fristsetzung die beleidigenden Äußerungen in seiner E-Mail vom 10. Oktober 2007 nicht widerrufen habe. Die Kündigung vom 11. Februar 2009 beruhe auf dem Vorwurf, der Betriebsrat sei unternehmensgesteuert. Die Anfechtung sei wirksam. Bei der Fähigkeit zu programmieren handele es sich um eine verkehrswesentliche Eigenschaft. In jedem Fall sei das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Es sei zerrüttet. Der Kläger habe sie anlässlich der letzten Betriebsratswahl erheblich diskreditiert.
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Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 10. März 2008 weder fristlos noch mit einer sozialen Auslauffrist aufgelöst worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine noch rechtshängigen Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zu Recht zurückgewiesen. Die Kündigung vom 17. April 2008 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2008 aus personenbedingten Gründen iSd. § 1 Abs. 2 KSchG rechtswirksam beendet.
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I. Die Kündigung vom 17. April 2008 ist aus Gründen in der Person des Klägers iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.
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1. Zum Zeitpunkt der Kündigung vom 17. April 2008 bestand zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis.
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a) Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist, wie das Landesarbeitsgericht mangels Revision der Beklagten rechtskräftig festgestellt hat, durch die Kündigung vom 10. März 2008 nicht aufgelöst worden.
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b) Das Arbeitsverhältnis ist von der Beklagten mit ihrem Schreiben vom 7. April 2009 nicht wirksam - und dann rückwirkend zum März 2008 - angefochten worden. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht das Vorliegen eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft nach § 119 Abs. 2 BGB verneint.
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aa) Fehlt einem Vertragspartner die fachliche Qualifikation, die dem Vertrag von den Parteien ersichtlich zugrunde gelegt worden ist, kann dies zu einer Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB berechtigen.
- 30
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bb) Der Beklagten war bei der Einstellung des Klägers bekannt, dass dieser nur für ein Jahr an dem Qualifizierungsprogramm „Applikationsentwickler Client-Server“ teilgenommen hatte. Es fehlt deshalb an einem schlüssigen Vortrag dahin, dass sie die Kenntnisse, die sie mittlerweile beim Kläger als erforderlich ansieht, schon bei Vertragsschluss gefordert und zur Voraussetzung des Arbeitsvertrags gemacht hat.
- 31
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cc) Auf die Frage, ob die Beklagte die Anfechtung unverzüglich iSd. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB erklärt hat, kommt es nicht mehr an.
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2. Die Kündigung vom 17. April 2008 ist durch Gründe in der Person des Klägers bedingt.
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a) Das Landesarbeitsgericht hat mit Bezug auf das Gutachten des IT-Sachverständigen zum Qualifikations- und Kenntnisstand des Klägers im Bereich der Softwareentwicklung angenommen, dass diesem die wesentlichen Grundlagen des Programmierens fehlten und er sich die notwendigen Kenntnisse nur durch eine zweijährige Ausbildung hätte aneignen können. Diese Feststellungen greift die Revision nicht an.
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b) Aufgrund dieses in einem vertretbaren Zeitraum nicht zu behebenden Mangels an Programmierkenntnissen des Klägers lag zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung eine erhebliche Störung des Arbeitsverhältnisses der Parteien vor (vgl. dazu BAG 16. Februar 1989 - 2 AZR 299/88 - zu B der Gründe, BAGE 61, 131; KR/Griebeling 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 271 ff.). Der Umstand, dass dieser Mangel in den ersten Jahren des Bestehens des Arbeitsverhältnisses nicht zum Tragen kam, weil der Kläger zunächst vertragsgemäß anderweitig beschäftigt worden war, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das Fehlen von Kenntnissen für die vertraglich gleichermaßen geschuldete Tätigkeit als Organisationsprogrammierer hat die Beklagte mit dem mehrjährigen anderweitigen Einsatz nicht „gebilligt“.
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c) Die weitere Feststellung des Landesarbeitsgerichts, die Störung des Arbeitsverhältnisses könne nicht durch eine anderweitige Beschäftigung des Klägers beseitigt werden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Zwar bestand die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit des Klägers nicht allein im Programmieren, sondern auch in der Beratung. Auch wurde er jahrelang nicht als Programmierer beschäftigt. Ein Mangel von Programmierkenntnissen des Klägers rechtfertigt deshalb für sich allein noch nicht die Annahme, die Beklagte könne ihn nicht mehr vertragsgerecht beschäftigen. Das Landesarbeitsgericht ist jedoch nach Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, der Kläger habe nicht mehr wie zuvor in Projekten ohne Programmiertätigkeit beschäftigt werden können. Die bisherigen Projekte seien ausgelaufen. Künftig werde es solche nicht mehr in gleicher Weise wie bisher geben. Tätigkeiten wie die Administration von Hard- und Software und die Durchführung von Schulungsveranstaltungen würden von den Programmierern miterledigt. Eine Umorganisation von Arbeitsplätzen sei nicht möglich, weil mittlerweile alle Mitarbeiter Programmierkenntnisse haben müssten. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten wie bisher gebe es für den Kläger nicht. Freie Arbeitsplätze gebe es nur noch im Bereich Programmierung. Der Kläger hat sich gegen diese Beweiswürdigung nicht gewandt.
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bb) Die Beklagte musste den Kläger auch nicht auf der Stelle des ausgeschiedenen Juristen weiterbeschäftigen. Das Landesarbeitsgericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgegangen, zum Zeitpunkt der Kündigung habe für die Beklagte nicht festgestanden, dass die Stelle eines Juristen zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung stehen würde. Nach den glaubhaften Aussagen der Zeugen B und R sei eine Nachbesetzung der frei gewordenen Stelle zunächst nicht vorgesehen gewesen. Erst nach Ausspruch der Kündigung im Juli 2008 habe sich die Situation geändert.
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d) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene abschließende Interessenabwägung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dieses wesentliche Umstände oder erhebliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen hätte.
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II. Die Kündigung vom 17. April 2008 ist nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Das Landesarbeitsgericht hat die ausführliche Unterrichtung des Betriebsrats vom 16. April 2008 zu Recht als hinreichend angesehen. Die Revision rügt auch das nicht.
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III. Die Kündigung vom 17. April 2008 verstößt nicht gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Der Kläger genoss keinen besonderen Kündigungsschutz.
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1. Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG besteht für Ersatzmitglieder des Betriebsrats solange, wie sie ein zeitweilig verhindertes ordentliches Mitglied vertreten. Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG besteht für die Dauer eines Jahres nach dem Ende ihrer Tätigkeit als Ersatzmitglied(vgl. BAG 5. November 2009 - 2 AZR 487/08 - Rn. 26, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 64; 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - Rn. 23, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 5). Dieser nachwirkende Kündigungsschutz tritt allerdings nur ein, wenn das Ersatzmitglied in der Vertretungszeit konkrete Betriebsratsaufgaben tatsächlich wahrgenommen hat. Der nachwirkende Schutz soll die unabhängige, pflichtgemäße Ausübung des Betriebsratsamts dadurch gewährleisten, dass er den Arbeitgeber nach dem Amtsende ein Jahr lang hindert, eine Kündigung des früheren Betriebsratsmitglieds ohne wichtigen Grund auszusprechen. Das Gesetz setzt darauf, dass sich in dieser Zeit eine mögliche Verärgerung des Arbeitgebers über die Amtsgeschäfte des Betriebsratsmitglieds deutlich legt und dieses deshalb während seiner aktiven Zeit unbefangen agieren lässt. Einer solchen „Abkühlungsphase“ bedarf es nicht, wenn das Ersatzmitglied während der Zeit, in der es vertretungshalber nachgerückt war, weder an Sitzungen des Betriebsrats teilgenommen noch sonstige Betriebsratstätigkeiten ausgeübt hat. Es hat dann dem Arbeitgeber keinen Anlass zu möglichen negativen Reaktionen auf seine Amtsausübung gegeben und bedarf deshalb keines besonderen Schutzes (BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 5. November 2009 - 2 AZR 487/08 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 64).
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2. Hiernach stand dem Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung ein besonderer Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 KSchG nicht zu.
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a) Ein Fall des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG liegt nicht vor. Der Kläger war bei Kündigungsausspruch am 17. April 2008 nicht in den Betriebsrat nachgerückt.
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b) Ebenso wenig sind die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG gegeben. Zwar war der Kläger als erstes Ersatzmitglied für ein verhindertes reguläres Mitglied Ende Februar und Ende März 2008 in den Betriebsrat nachgerückt, soweit er nicht seinerseits wegen des Ausspruchs der Kündigung vom 10. März 2008 objektiv verhindert war. Ist ein ordentliches Mitglied verhindert, rückt das betreffende Ersatzmitglied in den Betriebsrat „automatisch“ nach, unabhängig davon, ob es selbst oder etwa der Betriebsratsvorsitzende vom Verhinderungsfall Kenntnis hat (BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3). Der Kläger hat jedoch auch als nachgerücktes Ersatzmitglied keinerlei Betriebsratstätigkeit erbracht. An den Ende Februar und Ende März 2008 durchgeführten Betriebsratssitzungen hat er schon deshalb nicht teilgenommen, weil er nicht geladen worden war. Selbst wenn dies darauf beruht haben sollte, dass der Betriebsratsvorsitzende die Nachrückregelung des § 25 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG bewusst ignoriert hat, ändert das nichts daran, dass der Kläger an den Sitzungen des Gremiums tatsächlich nicht teilgenommen und auch sonstige Betriebsratsaufgaben nicht wahrgenommen hat. Bloß fiktive, in Wirklichkeit aber unterbliebene Tätigkeiten des Ersatzmitglieds lösen den nachwirkenden Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht aus.
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Etwas anderes käme allenfalls dann in Betracht, wenn die Beklagte den Fehler in der Amtsführung des Betriebsratsvorsitzenden bewusst veranlasst oder mit diesem kollusiv zusammengewirkt hätte (vgl. BAG 4. August 1975 - 2 AZR 266/74 - zu III 6 der Gründe, BAGE 27, 209). Dafür fehlt es an Anhaltspunkten.
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IV. Die Kündigung vom 17. April 2008 ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 612a BGB iVm. § 134 BGB unwirksam.
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1. Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme nicht deshalb benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Als „Maßnahme“ im Sinne des Gesetzes kommt auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht. Sie kann sich als eine Benachteiligung wegen einer zulässigen Rechtsausübung des Arbeitnehmers darstellen. Das Maßregelungsverbot ist aber nur dann verletzt, wenn zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Grund, dh. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme gewesen sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur der äußere Anlass für die Maßnahme war (BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 384/10 - Rn. 38, EzA BEEG § 18 Nr. 1).
- 48
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2. Nach diesen Grundsätzen kann hier ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nicht festgestellt werden. Es ist nicht erkennbar, dass etwa die Inanspruchnahme betriebsverfassungsrechtlicher Rechte durch den Kläger der tragende Grund für die Kündigung vom 17. April 2008 war. Bereits ab dem Jahr 2005, also längere Zeit vor der Initiierung der Betriebsversammlung, wurden Schulungsmaßnahmen durchgeführt, um den Kläger mit Programmierungsaufgaben beschäftigen zu können. Längere Zeit nach der Betriebsversammlung, Ende Februar 2008, erstellte der IT-Sachverständige das Gutachten, das dem Kläger einen nicht ausreichenden Qualifikations- und Kenntnisstand in der Softwareentwicklung bescheinigt und inhaltlich von ihm selbst nicht für falsch gehalten wird. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, die Aktivitäten des Klägers im Zusammenhang mit dem Anstoß zu einer Betriebsversammlung und Betriebsratswahl seien der tragende Grund für die Kündigung vom 17. April 2008.
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V. Die weiteren Feststellungsanträge sind unbegründet. Sie setzen sämtlich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses über den 30. September 2008 hinaus voraus.
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VI. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig beendet.
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VII. Der Antrag des Klägers, die vier näher bezeichneten Abmahnungen zurückzunehmen und aus seiner Personalakte zu entfernen, ist unbegründet. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat ein Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch mehr auf Entfernung selbst einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte. Ein solcher Anspruch kann nur ausnahmsweise gegeben sein, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, eine Abmahnung könne dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden. Entsprechende Gründe hat der Kläger nicht dargelegt.
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VIII. Der Kläger hat die Kosten der erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
-
Kreft
Rachor
Eylert
Frey
Grimberg
(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.
(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 11.07.2012 - AZ: 4 Ca 693/12 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Parteien streiten im vorliegenden Berufungsverfahren noch über einen Anspruch des Klägers auf Entfernung einer Abmahnung aus seiner Personalakte.
- 2
Der Kläger war seit 2010 bei der Beklagten als Abteilungsleiter beschäftigt. Mit Schreiben vom 12.03.2012 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, hinsichtlich deren Inhalts auf Bl. 13 d. A. Bezug genommen wird, und kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13.03.2012 ordentlich zum 15.04.2012.
- 3
Der Kläger hat beantragt,
- 4
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 13.03.2012 nicht mit dem 15.04.2012 sein Ende finden wird, sondern darüber hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;
- 5
2. die Beklagte weiter zu verurteilen, die Abmahnung vom 12.03.2012 aus der Personalakte zu entfernen und an den dortigen Vorwürfen nicht festzuhalten.
- 6
Die Beklagte hat beantragt,
- 7
die Klage abzuweisen.
- 8
Zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 11.07.2012 (Bl. 49-51 d. A.) Bezug genommen.
- 9
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 11.07.2012 insgesamt abgewiesen und in den Entscheidungsgründen u. a. ausgeführt, bezüglich der begehrten Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte habe der Kläger kein rechtlich geschütztes Interesse mehr, da das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 13.03.2012 zum 15.04.2012 geendet habe.
- 10
Gegen das ihm am 23.07.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.08.2012 Berufung eingelegt und diese am Montag, dem 24.09.2012 begründet.
- 11
Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts bestehe seinerseits nach wie vor ein rechtlich geschütztes Interesse daran, dass das Abmahnungsschreiben aus seiner Personalakte entfernt werde. Nach der Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes durch das Gesetz zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften vom 14.08.2009 bestehe ein besonderes Rechtsschutzinteresse für das Löschen personenbezogener Daten. Dies gelte, wie sich aus der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 18.07.2011 - 10 Ta 1325/11 - ergebe, auch bezüglich unberechtigter Abmahnungen. Auch habe das BAG in seiner Entscheidung vom 16.11.2010 - 9 AZR 573/09 - auf die besonderen Rücksichtnahmepflichten im Hinblick auf die Ausstrahlungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hingewiesen und klargestellt, dass insoweit keine unrichtigen Daten, auch über den bereits entlassenen Arbeitnehmer, aufbewahrt werden dürften.
- 12
Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 21.09.2012 (Bl. 70 f. d. A.) sowie auf den Schriftsatz des Klägers vom 05.11.2012 (Bl. 94 f. d. A.) Bezug genommen.
- 13
Der Kläger beantragt,
- 14
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 12.03.2012 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
- 15
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigte das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 26.10.2012 (Bl. 86-88 d. A.), auf die Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
I.
- 18
Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
- 19
1. Die Klage ist zulässig. Ihr fehlt insbesondere - trotz zwischenzeitlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses - nicht das für jede Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (BAG v. 14.09.1994 - 5 AZR 632/93 - AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung).
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2. Die Klage ist jedoch infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht begründet.
- 21
Es ist zwar anerkannt, dass die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Rechte und Pflichten begründen kann. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen führt aber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Regelfall zu dem Ergebnis, dass dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte nicht mehr zusteht. Etwas anderes kann dann gelten, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden kann. Dafür ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig (BAG v. 14.09.1994 - 5 AZR 632/93 - AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung; LAG München v. 08.07.2009 - 11 Sa 54/09 -, zitiert nach JURIS).
- 22
Nichts anderes ergibt sich aus den vom Kläger in seiner Berufungsschrift zitierten Entscheidungen. Das LAG Berlin-Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 18.07.2011 - 10 TA 1325/11 - zwar die Auffassung vertreten, dass auch im beendeten Arbeitsverhältnis einer Klage auf Entfernung einer Abmahnung nicht von vornherein die für eine Bewilligung von PKH erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht i. S. v. § 114 ZPO abgesprochen werden kann. Darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Entfernung eines Abmahnungsschreibens aus der Personalakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch besteht, hat das LAG Berlin-Brandenburg in der betreffenden Entscheidung indessen nicht befunden.
- 23
Die Entscheidung des BAG v. 16.11.2010 - 9 AZR 573/09 - (NZA 2011, 453) betrifft eine andere Fallkonstellation, nämlich einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Einsichtnahme in seine vom ehemaligen Arbeitgeber aufbewahrte Personalakte. Einen solchen Anspruch hat das BAG im Hinblick auf die nachwirkende arbeitgeberseitige Schutz- und Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes auf informationelle Selbstbestimmung bejaht. Gegenstand der Entscheidung war indessen nicht die Frage des Bestehens eines Anspruchs auf Entfernung eines Abmahnungsschreibens aus der Personalakte im beendeten Arbeitsverhältnis. Einen solchen hat das BAG vielmehr auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Persönlichkeitsrechts in seiner Entscheidung vom 14.09.1994 (5 AZR 632/93, AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung) unter III., 4. der Entscheidungsgründe ausdrücklich verneint.
- 24
Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus Folgendes:
- 25
Die Frage, ob der Beklagten gegen den Kläger aus dem im Abmahnungsschreiben vom 12.03.2012 geschilderten Sachverhalt Schadensersatzansprüche zustehen, kann in dem diesbezüglich zwischen den Parteien noch erstinstanzlich anhängigen Rechtsstreit geklärt werden. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte Dritten gegenüber Mitteilung von den Abmahnungen macht oder die Personalakte Dritten überlässt, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass er sich um Stellen im Öffentlichen Dienst bewirbt und ihm dort nahegelegt wird, sich mit der Vorlage der Personalakte seines bisherigen Arbeitgebers einverstanden zu erklären. Schließlich bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte Abmahnungen oder ihren Inhalt innerbetrieblich bekannt macht und dadurch die Ehre des Klägers verletzt. Ein Anspruch des Klägers auf Entfernung des Abmahnungsschreibens aus seiner Personalakte besteht somit nicht.
III.
- 26
Die Berufung des Klägers war daher mit sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
- 27
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72a ArbGG), wird hingewiesen.
(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.
(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,
- a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist, - b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt, - c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder - d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.
(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft - a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen, - b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder - c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
- 3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.
(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.
(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.
(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.
(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.
(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.
(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.
(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn
- 1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.
(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.
(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.
(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.
(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.