Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 20. Juli 2016 - 4 Sa 427/15
Tenor
I. Die Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 5.8.2015 - 3 Ca 2262/14 - werden zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat 58 % und die Beklagte 42 % der erstinstanzlichen Kosten zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 75 % dem Kläger und zu 25 % der Beklagten auferlegt.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung. Darüber hinaus begehrt der Kläger von der Beklagten die Entfernung von Abmahnungen aus seiner Personalakte.
- 2
Der am … 1959 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 04.08.1997 beschäftigt, wobei er überwiegend die Tätigkeit eines Lkw-Fahrers ausübte.
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Unter dem Datum vom 12.06.2012 erteilte die Beklagte dem Kläger zwei Abmahnungen. Eine weitere Abmahnung erteilte sie ihm mit Schreiben vom 12.12.2014. Wegen des Inhalts dieser Abmahnungen wird auf Bl. 31 bis 34 d. A. sowie auf Bl. 37 f. d. A. Bezug genommen.
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Nach Aushändigung des Abmahnungsschreibens vom 12.12.2014 fand zwischen den Geschäftsführern der Beklagten, ihrem Prokuristen und dem Kläger ein Gespräch statt. Gegenstand dieses Gesprächs war die vom Kläger am Vortrag, dem 11.12.2014 erbrachte Arbeitszeit. Der Kläger hatte an dem betreffenden Tag den Auftrag ausgeführt, bei der B. bestimmte Teile abzuholen und mit dem Lkw zur Beklagten zu transportieren. Der Kläger benötigte hierfür den Zeitraum von 7.30 Uhr bis 11.00 Uhr, also insgesamt ca. 3 ½ Stunden. Aus den Aufzeichnungen des Fahrtenschreibers ergibt sich, dass das vom Kläger geführte Fahrzeug von ca. 8.15 Uhr bis 10.35 Uhr stand. Als der Kläger am 12.12.2014 auf die von ihm benötigte Zeit für die Durchführung des betreffenden Auftrages, für den die Beklagte rund 1 ½ Stunden veranschlagt hatte, angesprochen wurde, gab er zunächst an, er habe im Stau gestanden. Nachdem ihm daraufhin der Fahrtenschreiber vorgelegt wurde, erklärte er, er habe noch Staplerarbeiten vor Ort durchführen müssen. Sodann wurde ihm vorgehalten, dass die Vorbereitung der Fracht bereits am 10.12.2014 erfolgt sei, als der Kläger zur Vorbesprechung und Einteilung der Fahrten bei der B. gewesen sei. Daraufhin räumte der Kläger ein, dass er seine Frühstückspause von 15 Minuten auf etwa 45 Minuten ausgeweitet habe.
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Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 12.12.2014 sowohl "außerordentlich und mit sofortiger Wirkung" als auch vorsorglich ordentlich zum nächst möglichen Termin.
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Gegen diese Kündigung richtet sich die vom Kläger am 17.12.2014 beim Arbeitsgericht eingereichte Klage. Mit klageerweiternden Schriftsatz vom 27.02.2016 hat der Kläger die Beklagte auf Entfernung der ihm erteilten Abmahnungen aus der Personalakte in Anspruch genommen.
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Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 05.08.2015 (Bl. 88 bis 95 d. A.).
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Der Kläger hat beantragt:
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1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12.12.2014 nicht zum 12.12.2014 beendet wurde.
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2. Für den Fall des Obsiegens zu Ziffer 1:
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Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsschutzprozesses als Fahrer weiter zu beschäftigen bzw. zu beschäftigen.
- 12
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnungen vom 12.06.2012 und 12.12.2014 zu widerrufen und aus der Personalakte zu entfernen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 05.08.2015 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 12.12.2014 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30.06.2015 fortbestanden hat. Darüber hinaus hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, die Abmahnung vom 12.06.2012 (Betreten des Firmengeländes/Entnahme von Firmeneigentum (Rohrschelle), Bl. 31 f. d. A.) sowie die Abmahnung vom 12.12.2014 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 9 bis 18 dieses Urteils (= Bl. 95 bis 104 d. A.) verwiesen.
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Gegen das dem Kläger am 07.09.2015 und der Beklagten am 08.09.2015 zugestellte Urteil haben der Kläger am 25.09.2015 und die Beklagte am 06.10.2015 Berufung eingelegt. Der Kläger hat seine Berufung am 26.10.2015, die Beklagte ihre Berufung innerhalb der ihr mit Beschluss vom 20.10.2015 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 30.11.2015 begründet.
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Der Kläger macht zur Begründung seiner Berufung im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung aufgelöst worden. Der gegen ihn von Seiten der Beklagten erhobene Vorwurf eines Arbeitszeitbetruges sei unberechtigt. Ihm könne einzig und allein vorgehalten werden, seine Pausen zu sehr ausgedehnt zu haben. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass ihm am 11.12.2014 nach Rückkehr zum Betrieb der Beklagten keinerlei Arbeiten übertragen worden seien. Insoweit sei der behauptete Verstoß ohne jegliche Relevanz für das Arbeitsverhältnis. Auch die weitere Abmahnung vom 12.06.2012 sei aus seiner Personalakte zu entfernen. Eine Zueignungsabsicht hinsichtlich des weiterhin auf dem Betriebsgelände befindlichen Materials der Beklagten habe zu keinem Zeitpunkt bestanden.
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Der Kläger beantragt,
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unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wie folgt zu erkennen:
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1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien durch die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12.12.2014 nicht zum 12.12.2014 beendet wurde,
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2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsschutzprozesses als Fahrer weiter zu beschäftigen bzw. zu beschäftigen,
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3. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnungen vom 12.06.201 und 12.12.2014 zu widerrufen und aus der Personalakte zu entfernen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
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Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen vor, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei das Arbeitsverhältnis bereits durch die streitbefangene außerordentliche Kündigung aufgelöst worden. Indem der Kläger am 12.12.2014 im Rahmen des mit ihm geführten Gesprächs die von ihm am Vortag unstreitig eigenmächtig überzogene Pausenzeit auch auf Nachfrage nicht offengelegt und hierzu mehrfach wahrheitswidrige Erklärungsversuche geliefert habe, liege ein mit der fehlerhaften Dokumentation der abgeleisteten Arbeitszeit vergleichbarer Fall, mithin ein Fall des Arbeitszeitbetruges vor. Dass der Kläger hierbei vorsätzlich gehandelt habe, sei bereits daraus ersichtlich, dass er mehrfach falsche Erklärungsversuche abgegeben habe. Die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung sei fehlerhaft. Dies insbesondere deshalb, weil die dem Kläger im Vorfeld erteilten Abmahnungen nicht berücksichtigt worden seien. Darüber hinaus gehe die Auffassung des Arbeitsgerichts fehl, wonach die weitere Abmahnung vom 12.06.2012 (wegen des Sachverhalts vom 21..05.2012) deshalb aus der Personalakte des Klägers zu entfernen sei, weil sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalte. Der Kläger sei außerhalb seiner Tätigkeit als Lkw-Fahrer nicht berechtigt gewesen, das Firmengelände zu betreten. Überdies sei der Kläger mit der betreffenden Abmahnung nicht wegen des Verdachts des Diebstahls von Firmeneigentum, sondern wegen des Versuchs des Diebstahls von Firmeneigentum abgemahnt worden. Nichts anderes besage der Wortlaut des betreffenden Abmahnungsschreibens.
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Die Beklagte beantragt,
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das erstinstanzliche Urteil teilweise abzuändern und (sinngemäß) die Klage insgesamt abzuweisen mit Ausnahme des Klageantrages des Klägers, die Abmahnung vom 12.12.2014 aus seiner Personalakte zu entfernen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
- 30
Zur Darstellung aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die in zweiter Instanz zu den Akten gereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
- 31
Sowohl die Berufung des Klägers als auch die Berufung der Beklagten sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die beiden somit insgesamt zulässigen Rechtsmittel haben in der Sache jedoch keinen Erfolg.
II.
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1. Die gegen die außerordentliche Kündigung vom 12.12.2014 gerichtete Kündigungsschutzklage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden.
- 33
Ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB, der zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung berechtigt, ist nach der gesetzlichen Definition gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt - ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles - (überhaupt) geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Sodann ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, d. h. ob es dem Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis zu dem gemäß § 626 Abs. 1 BGB relevanten Zeitpunkt fortzusetzen.
- 34
Der Kläger hat unstreitig die Beklagte im Rahmen des mit ihm am 12.12.2014 geführten Gesprächs mehrfach über den Umfang der von ihm am Vortag geleisteten Arbeitszeit zu täuschen versucht. So hat der Kläger auf den Vorhalt bezüglich der ungewöhnlich langen Zeit von ca. 3,5 Stunden für die Durchführung eines Transportauftrages zunächst unstreitig wahrheitswidrig erklärt, er habe im Stau gestanden. Nachdem ihm daraufhin der Fahrtenschreiber vorgelegt wurde, aus dem sich ergab, dass der vom Kläger geführte Lkw zwischen 8.15 Uhr und 10.35 Uhr nicht bewegt worden war, gab er an, er habe noch Staplerarbeiten vor Ort durchführen müssen. Auch diese Erklärung entsprach nicht der Wahrheit, da sich die vom Kläger zu transportierenden Armaturen an dem betreffenden Tag unstreitig bereits im transportfertigen Zustand befunden hatten. Hiermit konfrontiert räumte der Kläger schließlich ein, seine Frühstückspause, die üblicherweise von 9.00 Uhr bis 9.15 Uhr dauert, eigenmächtig auf ca. 45 Minuten ausgeweitet zu haben. Aber auch diese Aussage vermag die ca. 140-minütige Standzeit des Lkw nicht zu erklären. Selbst dann nämlich, wenn der Kläger - wie von ihm zugestanden - eine Frühstückspause von (lediglich) 45 Minuten eingelegt hat, verbleiben immer noch 95 Minuten bezüglich derer er eine Erklärung darüber schuldig geblieben ist, was er in dieser Zeit getan hat.
- 35
Dieses Verhalten des Klägers, insbesondere die wahrheitswidrigen Behauptungen, im Stau gestanden bzw. Staplerarbeiten durchgeführt zu haben, stellt zweifellos eine schwerwiegende Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar, die grundsätzlich geeignet ist, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu rechtfertigen. Es ist allgemein anerkannt, dass vorsätzliche Falschangaben des Arbeitnehmers über die von ihm erbrachte Arbeitszeit regelmäßig einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB bilden (vgl. KR-Fischermeier, 11. Aufl., § 626 BGB, Rz. 460, m. w. N.).
- 36
Die vorzunehmende Interessenabwägung führt jedoch zu dem Ergebnis, dass es der Beklagten zumutbar war, das Arbeitsverhältnis noch bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist von vorliegend 6 Monaten fortzusetzen. Zugunsten des Klägers ist neben seinem fortgeschrittenen Lebensalter von fast 56 Jahren bei Kündigungsausspruch insbesondere die langjährige Betriebszugehörigkeit von 17 Jahren zu berücksichtigen. Zugunsten der Beklagten fällt jedoch ins Gewicht, dass durch das Fehlverhalten des Klägers ein erheblicher Vertrauensverlust entstanden ist. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit des Klägers als Lkw-Fahrer unstreitig anhand des Fahrtenschreibers kontrollierbar ist. Überdies wurde der Kläger von der Beklagten unstreitig nicht ausschließlich als Lkw-Fahrer eingesetzt, sondern auch mit anderen Aufgaben betraut. Es ist der Beklagten auch zuzugeben, dass das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die dem Kläger im Jahr 2012 erteilten Abmahnungen nicht beanstandungsfrei verlaufen ist. Diesbezüglich ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich hierbei - bezogen auf das Fehlverhalten des Klägers vom 12.12.2014 - nicht um einschlägige Abmahnungen handelt. Eine Einschlägigkeit setzt voraus, dass das abgemahnte Fehlverhalten auf der gleichen Ebene liegt wie der Kündigungsvorwurf, d. h. dass die Pflichtverletzungen unter einem einheitlichen Kriterium zusammengefasst werden können (vgl. zum Ganzen: KR-Fischermeier, a. a. O., Rz. 295, m. w. N.). Dies ist vorliegend hinsichtlich der Abmahnungen aus dem Jahr 2012, die den Vorwurf einer Eigentumsverletzung beinhaltet und dem Kündigungsvorwurf der vorsätzlichen Falschangabe erbrachten Arbeitszeit nicht der Fall. Allein der Umstand, dass die Pflichtverletzungen sämtlich geeignet sind, Vermögensinteressen der Beklagten zu beeinträchtigen, reicht nicht aus, eine Einschlägigkeit der Abmahnungen zu bejahen. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände überwog (noch) das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gegenüber dem Interesse der Beklagten an dessen sofortiger Beendigung.
- 37
2. Die Klage erweist sich jedoch insoweit als unbegründet, als sie sich gegen die von der Beklagten hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung richtet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch diese Kündigung mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30.06.2015 aufgelöst worden.
- 38
Die ordentliche Kündigung ist durch verhaltensbedingte Gründe i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt und daher sozial gerechtfertigt.
- 39
Der Kläger hat in erheblicher Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem er am 12.12.2014 versucht hat, die Beklagte durch vorsätzliche Falschangaben über den Umfang der von ihm am Vortag geleisteten Arbeitszeit zu täuschen. Dieses Fehlverhalten ist - wie bereits ausgeführt - grundsätzlich sogar geeignet, einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung zu bilden.
- 40
Die Beklagte war nicht gehalten, dem Kläger zunächst lediglich eine Abmahnung zu erteilen. Eine solche ist nämlich jedenfalls dann entbehrlich, wenn es - wie vorliegend - um schwere Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar war und deren Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. Der Kläger konnte nicht davon ausgehen, dass ein derart gravierendes Fehlverhalten (vorsätzliche Falschangaben über den Umfang erbrachter Arbeitszeit) von der Beklagten hingenommen wird.
- 41
Das Ergebnis der stets vorzunehmenden Interessenabwägung steht der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung ebenfalls nicht entgegen. Auch wenn man zugunsten des Klägers dessen lange Betriebszugehörigkeit sowie sein fortgeschrittenes Lebensalter berücksichtigt, so überwiegt das Interesse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zu beenden gegenüber dem Interesse des Klägers, das Arbeitsverhältnis auch darüber hinaus noch fortzusetzen. Dies ergibt sich daraus, dass infolge des erheblichen Fehlverhaltens des Klägers das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus das erforderliche Vertrauen der Beklagten in die Redlichkeit des Klägers zerstört ist.
- 42
3. Da die gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Kündigungsschutzklage demnach abzuweisen ist, erweist sich auch der Antrag des Klägers auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bestandsschutzstreits als unbegründet.
- 43
4. Soweit der Kläger im Berufungsverfahren die gegen die zweite Abmahnung vom 12.06.2012 (Materiallager, Bl. 33 f. d. A.) gerichtete Klage weiter verfolgt, so hat sein Rechtsmittel keinen Erfolg.
- 44
a) Der Antrag ist zulässig, bedarf allerdings der Auslegung. Nach dem Wortlaut des Antrags verlangt der Kläger neben der Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte auch deren "Widerruf". Das soll aber ersichtlich lediglich das Entfernungsverlangen unterstreichen und kein eigenständiges Begehren darstellen. Bei einem individualrechtlich erstrebten Abmahnungsentfernungsanspruch ist der mit dem Klageantrag verlangte "Widerruf und Entfernung" der Abmahnung regelmäßig als einheitlicher Anspruch auf Beseitigung der durch die Abmahnung erfolgten Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zu verstehen. Nur wenn der Klagebegründung entnommen werden kann, der Kläger begehre neben einer Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte auch den Widerruf bestimmter, darin enthaltener Äußerungen, kann ein Antrag auf Widerruf der Abmahnung in diesem Sinne auszulegen sein (BAG v. 04.12.2013 - 7 ABR 7/12 - AP Nr. 13 zu § 78 BetrVG 1972). Im vorliegenden Streitfall bestehen jedoch diesbezüglich keine Anhaltspunkte.
- 45
Der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien infolge ordentlicher Kündigung aufgelöst ist, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Ihr fehlt insbesondere - trotz zwischenzeitlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses - nicht das für jeden Klage erforderliche Rechtschutzbedürfnis (BAG v. 14.09.1994 - 5 AZR 632/93 - AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung).
- 46
b) Die Klage ist jedoch infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht begründet.
- 47
Es ist zwar anerkannt, dass die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Rechte und Pflichten begründen kann. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen führt aber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Regelfall zu dem Ergebnis, dass dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte nicht mehr zusteht. Etwas anderes kann dann gelten, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden kann. Dafür ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig (BAG v. 19.04.2012 - 2 AZR 233/11 - AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung; BAG v. 14.09.1994 - 5 AZR 632/93 - AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung; LAG Rheinland-Pfalz v. 12.12.2012 - 8 Sa 379/12 -, zitiert nach juris; LAG München v. 08.07.2009 - 11 Sa 54/09 -, zitiert nach juris; LAG Hamm v. 16.10.2015 - 17 Sa 1222/15 - zitiert nach juris; LAG Sachsen v. 14.01.2014 - 1 Sa 266/13 - zitiert nach juris). Entsprechende Gründe hat der Kläger nicht vorgetragen.
III.
- 48
Nach alledem war zu entscheiden wie geschehen.
- 49
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.
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Urteil einreichenLandesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 20. Juli 2016 - 4 Sa 427/15 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.
(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.
(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.
(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.
(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn
- 1.
in Betrieben des privaten Rechts - a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt, - b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat, - 2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts - a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt, - b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.
(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Tenor
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Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 30. November 2011 - 16 TaBV 75/10 - wird zurückgewiesen.
-
Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 30. November 2011 - 16 TaBV 75/10 - teilweise aufgehoben.
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Die Arbeitgeberin wird verpflichtet, die Abmahnung vom 13. Januar 2010 gegenüber dem Beteiligten zu 3. aus dessen Personalakte zu entfernen.
-
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3. zurückgewiesen.
Gründe
- 1
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A. Die Beteiligten streiten über die Berechtigung einer dem Betriebsratsvorsitzenden erteilten Abmahnung sowie in diesem Zusammenhang über Feststellungs- und Unterlassungsansprüche.
- 2
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Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin betreibt ein psychiatrisches und psychosomatisches Fachkrankenhaus. In diesem ist der zu 1. beteiligte 15-köpfige Betriebsrat gebildet, dessen freigestellter Vorsitzender der Beteiligte zu 3. ist.
- 3
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Am 4. Dezember 2009 informierte die bei der Arbeitgeberin beschäftigte Arbeitnehmerin L die Geschäftsleitung anhand eines Formblatts „Meldung über ein besonderes Vorkommnis“ darüber, dass sie gesehen habe, wie der Hausmeister Herr B am 2. Dezember 2009 einen Heimbewohner beschimpft und den rechten Arm zu einem Schlag erhoben habe, der Heimbewohner aber - da er sich geduckt habe - nicht getroffen worden sei. Wegen dieser Meldung wandte sich Herr B an den Betriebsrat. Am 9. Dezember 2009 führte der Betriebsratsvorsitzende gemeinsam mit einem weiteren Betriebsratsmitglied - dem vormals Beteiligten zu 4., dessen Arbeitsverhältnis mittlerweile beendet und das Verfahren insoweit eingestellt ist - ein Gespräch mit Frau L. Mit Schreiben vom selben Tag teilte Frau L der Geschäftsleitung mit:
-
„…
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ich möchte Sie über den Besuch der Betriebsratsmitglieder Herr V und Herr F berichten und mich gleichzeitig über die Art und Weise des Umgangs mit mir bei Ihnen beschweren.
-
Um ca. 10.00 Uhr kamen Herr V und Herr F auf Wohnbereich 1, um mit mir ein Gespräch zu führen. Herr V schickte die beiden diensthabenden Pfleger … und … aus dem Dienstzimmer, wodurch alles für mich einen verhörartigen Charakter bekam. Ich das auch sofort gesagt und beschrieben, dass es mir nicht gut geht. Herr V spielte es herunter. Mir wurde ein schlechtes Gewissen eingeredet, ich sollte die Satzstellung und Formulierungen überdenken oder sollte eine Zeichnung mit Datum und Unterschrift anfertigen.
-
Herr F zeichnete auch etwas vor, das ich unterzeichnen sollte, wenn ich es für richtig hielt. Habe mich geweigert, hatte nach dem Gespräch so ein schuldiges, schlechtes Gefühl.
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Herr V versuchte sein Anliegen runterzuspielen Zitat: ‚… A, kann ich mich darauf verlassen, dass es beim Abwehren bleibt, was Du gesehen hast. Ich muss nämlich noch ein Schreiben für … aufsetzen:‘ Das waren seine Worte.
-
Überlege, es bedarf doch nur der Formulierung. Ich habe auf mein Schreiben vom 4.12.09 verwiesen… Beide sind dann gegangen.
-
…“
- 4
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Zu dieser Beschwerde äußerten sich der Betriebsratsvorsitzende und das Betriebsratsmitglied mit einem Schreiben an die Geschäftsleitung vom 16. Dezember 2009. Das Schreiben lautet auszugsweise:
-
„…
-
die Beschwerde von Frau L vom 09.12.09 hat uns sehr überrascht. Unsere Erinnerung an den Ablauf des Gespräches vom 09.12.09 unterscheidet sich erheblich von der Schilderung der Kollegin L.
-
Unsere Absicht war es, uns von Frau L den zugrunde liegenden Sachverhalt bezüglich des Vorfalls vom 02.12.09 zwischen Herrn B und dem Bewohner, Herrn …, aus Ihrer Sicht erläutern zu lassen, nachdem Herr B uns seine Sichtweise geschildert hatte.
-
Das unsere Bemühungen um Sachaufklärung evtl. missverstanden wurden, macht uns betroffen.
-
…“
- 5
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Mit Schreiben vom 13. Januar 2010 erteilte die Arbeitgeberin dem Betriebsratsvorsitzenden (ebenso wie mit einem weiteren Schreiben dem vormals zu 4. beteiligten Betriebsratsmitglied) eine „Abmahnung“ mit folgendem Wortlaut:
-
„…
-
Von unserem Angebot, ein gemeinsames Gespräch zu führen, haben Sie keinen Gebrauch gemacht. Wie bereits angekündigt, mahnen wir Sie hiermit wegen des Vorfalls vom 09.12.2009 - Frau L - ausdrücklich ab.
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Nach den glaubhaften Bekundungen von Frau L, denen Sie im Wesentlichen nicht widersprochen haben, haben Sie in unzulässiger Weise versucht, Frau L zu veranlassen, ihre Beobachtungen zu dem Vorfall am 02.12.2009 - B/… - zugunsten des Herrn B zu korrigieren. Auch als BR-Vorsitzender und freigestelltes BR-Mitglied sind Sie an Gesetz und Recht gebunden, darüberhinaus besteht auch die Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen anderer Arbeitnehmer weiter. Nach dem von Frau L bekannt gemachten Gesprächsverlauf besteht für uns der dringende Verdacht, dass Sie auch aus strafrechtlicher Sicht in unzulässiger Weise versucht haben, Druck auf Frau L auszuüben, um diese zu veranlassen, ihre tatsächlichen Wahrnehmungen anders darzustellen, als wie sie sie wahrgenommen hat. Dies ist eine schwerwiegende Verletzung auch Ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen. Sie haben damit auch gegen das Rücksichtnahme- und Übermaßverbot verstoßen.
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Wir mahnen Sie deshalb ab und weisen daraufhin, dass wir uns für den Fall einer Wiederholung vorbehalten, das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis auch außerordentlich zu kündigen.
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…“
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Der Betriebsrat hat mit dem beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren - soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Bedeutung - die Feststellung begehrt, dass die Abmahnung vom 13. Januar 2010 unwirksam sei und eine Behinderung und Störung der Arbeit des Betriebsrats sowie des Betriebsratsvorsitzenden darstelle. Nachdem das Landesarbeitsgericht den Betriebsratsvorsitzenden (ebenso wie das weitere Mitglied des Betriebsrats) am Verfahren beteiligt hat, hat dieser im Beschwerdeverfahren gleichlautende Feststellungen begehrt und darüber hinaus - ebenso wie der Betriebsrat hilfsweise - von der Arbeitgeberin die Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte sowie die Verpflichtung verlangt, es künftig zu unterlassen, gegenüber Betriebsratsmitgliedern Abmahnungen für Handlungen zu erteilen, die als Mandatsausübung anzusehen seien. Der Betriebsrat und der Betriebsratsvorsitzende haben die Auffassung vertreten, ihre Ansprüche seien im Beschlussverfahren zu verfolgen. Die Abmahnung vom 13. Januar 2010 sei betriebsverfassungswidrig. Sie ziele auf eine Störung und Behinderung der Arbeit des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. in seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender.
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Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. haben - soweit für die Rechtsbeschwerde von Interesse - beantragt
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festzustellen, dass
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1. die Abmahnung des Beteiligten zu 3. vom 13. Januar 2010 unwirksam ist und
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2. sowohl eine Behinderung und Störung der Arbeit des Betriebsrats als auch der Arbeit des Beteiligten zu 3. ist,
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sowie beim Landesarbeitsgericht außerdem - der Betriebsrat hilfsweise und der Beteiligte zu 3. unbedingt -,
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3. die Arbeitgeberin zu verpflichten, die Abmahnung vom 13. Januar 2010 gegenüber dem Beteiligten zu 3. zurückzunehmen und aus dessen Personalakte zu entfernen,
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4. die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, gegenüber Mitgliedern des Betriebsrats individualrechtliche Abmahnungen für Handlungen zu erteilen, die als Betätigung des Betriebsratsmandats anzusehen sind.
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Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen; der Antragserweiterung in der Beschwerdeinstanz hat sie widersprochen. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, es fehle dem Betriebsrat an der Antragsbefugnis. In der berechtigten Abmahnung des Betriebsratsvorsitzenden wegen der Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflichten liege keine Störung oder Behinderung der Arbeit des Betriebsrats oder seiner Mitglieder.
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Das Arbeitsgericht hat die - bei ihm allein anhängigen Anträge zu 1. und zu 2. - als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Betriebsrat verfolge diese Anträge in der nicht zulässigen Verfahrensart des Beschlussverfahrens. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerden des Betriebsrats und des Betriebsratsvorsitzenden - auch hinsichtlich der Anträge zu 3. und zu 4. - zurückgewiesen. Mit ihren Rechtsbeschwerden verfolgen der Betriebsrat und der Betriebsratsvorsitzende ihre Anträge weiter. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde und führt in ihrer Rechtsbeschwerdeerwiderung ua. aus: „… ganz unabhängig von der offenen Frage, ob der Antragserweiterung ein entsprechender Beschluss des“ Betriebsrats „überhaupt zu Grunde liegt“.
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B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsratsvorsitzenden hat hinsichtlich des Antrags zu 3. Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
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I. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats gegen den seine Hauptanträge zu 1. und zu 2. abweisenden arbeitsgerichtlichen Beschluss im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Anträge sind bereits unzulässig. Auch die Hilfsanträge zu 3. und zu 4. hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der mit einer zulässigen Antragserweiterung in der Beschwerdeinstanz angebrachte Hilfsantrag zu 3. ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der Hilfsantrag zu 4. ist unzulässig.
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1. Der Betriebsrat verfolgt sämtliche Anträge in der zutreffenden Verfahrensart des Beschlussverfahrens. Anders als das Arbeitsgericht - hinsichtlich der Anträge zu 1. und zu 2. - hat das Landesarbeitsgericht die Frage der Verfahrensart nicht problematisiert. Zu Recht hat es im Beschlussverfahren entschieden. Bei den vier erhobenen Ansprüchen des Betriebsrats handelt es sich um „Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz“ iSv. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, bei denen nach § 2a Abs. 2, § 80 Abs. 1 ArbGG das Beschlussverfahren stattfindet. Der Betriebsrat beruft sich auf seine Rechte als Träger der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung. Es geht ihm um Feststellungen der Rechtsbeziehungen zwischen den Betriebsparteien und um betriebsverfassungsrechtliche (Leistungs-)Ansprüche. Eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit entfällt nicht schon deshalb, weil es in diesem Zusammenhang um eine dem Betriebsratsvorsitzenden als Arbeitnehmer erteilte Abmahnung geht. Entscheidend ist, ob sich das Verfahren auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner bezieht. Das ist hier der Fall. Ein Urteilsverfahren könnte der Betriebsrat mangels Parteifähigkeit gar nicht betreiben. Nur im Beschlussverfahren ist er nach § 10 Satz 1 Halbs. 2 ArbGG beteiligtenfähig.
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2. Die (Haupt-)Anträge zu 1. und zu 2. sind unzulässig.
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a) Allerdings fehlt es dem Betriebsrat für diese Anträge nicht an der erforderlichen Antragsbefugnis iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG.
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aa) Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter antragsbefugt iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG, wenn er eigene Rechte geltend macht. Ebenso wie die Prozessführungsbefugnis im Urteilsverfahren dient die Antragsbefugnis im Beschlussverfahren dazu, Popularklagen auszuschließen. Im Beschlussverfahren ist die Antragsbefugnis gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner kollektivrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint (vgl. BAG 5. März 2013 - 1 ABR 75/11 - Rn. 17; 21. August 2012 - 3 ABR 20/10 - Rn. 26 mwN; 17. Juni 2009 - 7 ABR 96/07 - Rn. 9).
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bb) Danach ist der Betriebsrat für die Hauptanträge antragsbefugt. Er stützt beide Feststellungsbegehren auf eine (behauptete) Störung und Behinderung seiner Arbeit. Nach seinem Vorbringen in der Antragsbegründung nimmt er Bezug auf die Schutzbestimmung des § 78 Satz 1 BetrVG, der er - jedenfalls auch - eine gremienschutzbezogene Intention beimisst. Damit macht er ein eigenes Recht geltend. Es erscheint nicht „auf der Hand liegend“ ausgeschlossen, die begehrten Feststellungen auf § 78 Satz 1 BetrVG zu stützen.
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b) Der Feststellungsantrag zu 1. ist aber unzulässig, weil er nicht die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO erfüllt.
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aa) Nach dem im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 256 Abs. 1 ZPO kann die gerichtliche Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses beantragt werden, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an einer entsprechenden alsbaldigen richterlichen Entscheidung hat(vgl. zB BAG 24. April 2007 - 1 ABR 27/06 - Rn. 15, BAGE 122, 121). Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO ist jedes durch die Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Dabei sind einzelne Rechte und Pflichten ebenso Rechtsverhältnisse wie die Gesamtheit eines einheitlichen Schuldverhältnisses. Kein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO sind dagegen abstrakte Rechtsfragen, bloße Elemente eines Rechtsverhältnisses oder rechtliche Vorfragen. Die Klärung solcher Fragen liefe darauf hinaus, ein Rechtsgutachten zu erstellen. Das ist den Gerichten verwehrt (vgl. BAG 18. Januar 2012 - 7 ABR 73/10 - Rn. 35 mwN, BAGE 140, 277). So ist etwa die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts kein zulässiger Gegenstand einer Feststellungsklage (vgl. BAG 1. Juli 2009 - 4 AZR 261/08 - Rn. 21 mwN, BAGE 131, 176).
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bb) Die begehrte Feststellung, dass die Abmahnung vom 13. Januar 2010 unwirksam ist, betrifft kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Der Antrag ist auf die Feststellung der Unwirksamkeit einer Erklärung gerichtet. Der Sache nach erstrebt der Betriebsrat mit ihm die rechtliche Begutachtung einer Vorfrage für einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.
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c) Der Feststellungsantrag zu 2. ist unzulässig, weil er bereits nicht hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist. Zudem liegt auch ihm kein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO zugrunde.
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aa) Nach der im Beschlussverfahren entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Antragsschrift die bestimmte Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Das ist erforderlich, um zu klären, worüber das Gericht entscheidet und wie der objektive Umfang der Rechtskraft einer Sachentscheidung iSv. § 322 Abs. 1 ZPO ist(vgl. BAG 12. Januar 2011 - 7 ABR 94/09 - Rn. 14 mwN).
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bb) Diesem Erfordernis wird der Antrag zu 2. nicht gerecht. Würde ihm stattgegeben, bliebe unklar, worin genau die „Behinderung“ und „Störung“ der Arbeit des Betriebsrats und seines Vorsitzenden durch die Abmahnung vom 13. Januar 2010 liegt.
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cc) Außerdem betrifft der Antrag zu 2. kein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. Er zielt auf die Feststellung, dass eine bestimmte Maßnahme der Arbeitgeberin eine Behinderung und Störung der Arbeit des Betriebsrats und seines Vorsitzenden ist. Damit umfasst er die Dokumentation einer Tatsache und deren rechtliche Bewertung, die allenfalls mögliche Vorfragen oder Elemente von Leistungs- und Unterlassungsansprüchen sein können. Es ist aber nicht Aufgabe der Feststellungsklage oder des Feststellungsantrags, Vorfragen etwa für eine künftige Leistungs- oder Unterlassungsklage zu klären (vgl. dazu zB BAG 5. Oktober 2000 - 1 ABR 52/99 - zu B II 2 der Gründe mwN).
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3. Der damit zur Entscheidung anfallende Hilfsantrag zu 3. ist zulässig, aber unbegründet.
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a) Der Betriebsrat hat diesen - echten - Eventualantrag erstmals in der Beschwerdeinstanz angebracht. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt darin keine unzulässige Antragserweiterung.
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aa) Nach § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 81 Abs. 3 ArbGG kann ein Antrag im Beschlussverfahren(auch) noch in der Beschwerdeinstanz geändert werden. In der Erweiterung des Streit- oder Verfahrensgegenstands eines anhängigen Verfahrens liegt grundsätzlich eine Antragsänderung. Gemäß § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 81 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 ArbGG ist eine Änderung des Antrags zulässig, wenn die übrigen Beteiligten zustimmen, die Zustimmung wegen rügeloser Einlassung der Beteiligten als erteilt gilt oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Nach § 81 Abs. 3 Satz 3 ArbGG ist die Entscheidung, dass eine Änderung des Antrags nicht vorliegt oder zugelassen wird, unanfechtbar. An eine Nichtzulassung der Antragsänderung durch das Beschwerdegericht wegen einer von diesem nicht angenommenen Sachdienlichkeit ist das Rechtsbeschwerdegericht dagegen nicht gebunden. Im Übrigen ist für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Antragsänderung § 264 ZPO auch im Beschlussverfahren entsprechend anwendbar, selbst wenn dies in § 81 Abs. 3 ArbGG nicht ausdrücklich ausgesprochen ist(so bereits BAG 14. Januar 1983 - 6 ABR 39/82 - zu II 2 der Gründe, BAGE 41, 275; vgl. auch BAG 10. März 2009 - 1 ABR 93/07 - Rn. 24, BAGE 130, 1; 26. Juli 2005 - 1 ABR 16/04 - zu B II 1 b der Gründe; 29. Juni 2004 - 1 ABR 32/99 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 111, 191). § 264 Nr. 2 ZPO bestimmt, dass ua. dann keine Klageänderung vorliegt, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache erweitert wird.
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bb) Danach ist der Hilfsantrag zu 3. selbst dann zulässig, wenn er keine nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Antragserweiterung darstellen sollte. Es spricht bereits manches dafür, dass der Betriebsrat aufgrund desselben Tatsachenkomplexes lediglich eine andere Rechtsfolge begehrt (Entfernung der Abmahnung und nicht Feststellung ihrer Unwirksamkeit) und demnach seinen Antrag lediglich iSv. § 264 Nr. 2 ZPO erweitert. Jedenfalls wäre die Antragsänderung sachdienlich iSv. § 81 Abs. 3 Satz 1 ArbGG. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht die Sachdienlichkeit der von ihm angenommenen Antragsänderung mit der Erwägung verneint, in der Abmahnung vom 13. Januar 2010 liege keine Beeinträchtigung iSd. § 78 BetrVG und ohnehin sei der Betriebsrat für einen individualrechtlichen Beseitigungsanspruch nicht antragsbefugt. Damit hat es die Sachdienlichkeit zu Unrecht danach beurteilt, ob der geänderte Antrag Aussicht auf Erfolg hat. Jedenfalls die Frage der Antragsbefugnis und die Begründetheit des mit der Antragserweiterung angebrachten Begehrens sind für dessen Sachdienlichkeit nicht maßgeblich. Vorliegend dient der Antrag zu 3. - so man in ihm eine Antragsänderung iSv. § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 81 Abs. 3 ArbGG sieht - dazu, den Streitstoff der Beteiligten im Rahmen des anhängigen Verfahrens vollständig auszuräumen und insbesondere zu klären, welche Ansprüche dem Betriebsrat im Zusammenhang mit Abmahnungen zustehen, die Betriebsratsmitgliedern erteilt wurden. Ohne Zulassung der Antragserweiterung würde ein neues Verfahren der Beteiligten herausgefordert. Auch ist mit dem Antrag zu 3. kein völlig neuer Streitstoff zur Beurteilung und Entscheidung gestellt. Vielmehr geht es - wie bereits bei den Hauptanträgen - um die Rechtmäßigkeit der Abmahnung vom 13. Januar 2010 sowie um Fragen der Antragsbefugnis des Betriebsrats.
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b) Der Zulässigkeit der Antragserweiterung in der Beschwerdeinstanz steht nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin in ihrer Rechtsbeschwerdeerwiderung eine entsprechende Beschlussfassung des Betriebsrats in Frage gestellt hat. Zur Einlegung eines Rechtsmittels - auch einer Beschwerde, mit der ggf. eine Antragserweiterung und -änderung verfolgt wird - gegen eine den Betriebsrat beschwerende Entscheidung durch einen Verfahrensbevollmächtigten bedarf es prinzipiell keiner gesonderten Beschlussfassung des Betriebsrats. Nach den auch im Beschlussverfahren geltenden Vorschriften des § 81 ZPO iVm. § 46 Abs. 2 ArbGG ermächtigt die einmal erteilte Prozessvollmacht im Außenverhältnis in den zeitlichen Grenzen des § 87 ZPO zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen einschließlich der Einlegung von Rechtsmitteln(vgl. BAG 6. Dezember 2006 - 7 ABR 62/05 - Rn. 12 mwN; 16. November 2005 - 7 ABR 12/05 - Rn. 17 mwN, BAGE 116, 192; 9. Dezember 2003 - 1 ABR 44/02 - zu B I 1 c der Gründe, BAGE 109, 61; 11. September 2001 - 1 ABR 2/01 - zu B I der Gründe). § 81 ZPO ermächtigt damit grundsätzlich ebenso zu einer - nicht selten auf einen rechtlichen Hinweis des Gerichts ohnehin angezeigten - Modifikation oder Änderung der Antragstellung, selbst wenn sie wie vorliegend erst in der Beschwerdeinstanz erfolgt. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - mit einer Antragsabwandlung und -erweiterung sachdienliche Anträge gestellt und keine gänzlich anderen, mit dem eingeleiteten Verfahren nicht mehr im Zusammenhang stehende Verfahrensgegenstände eingebracht werden.
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c) Der Antrag ist zulässig.
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aa) Er bedarf allerdings der Auslegung. Nach dem Wortlaut des Antrags verlangt der Betriebsrat neben der Entfernung der Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus der Personalakte des Beteiligten zu 3. auch deren „Rücknahme“. Das soll aber ersichtlich lediglich das Entfernungsverlangen unterstreichen und kein eigenständiges Begehren darstellen. Bei einem individualrechtlich erstrebten Abmahnungsentfernungsanspruch wird die mit dem Klageantrag verlangte „Rücknahme und Entfernung“ der Abmahnung regelmäßig als einheitlicher Anspruch auf Beseitigung der durch die Abmahnung erfolgten Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts verstanden. Nur wenn der Klagebegründung entnommen werden kann, der Kläger begehre neben einer Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte beispielsweise den Widerruf darin enthaltener Äußerungen, kann ein Antrag auf Rücknahme der Abmahnung in diesem Sinne auszulegen sein (vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 15 mwN, BAGE 142, 331). Dies gilt auch für den hier im Beschlussverfahren verfolgten Abmahnungs„rücknahme“antrag. Im vorliegenden Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betriebsrat neben der Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte seines Vorsitzenden einen weitergehenden Anspruch auf Widerruf von Äußerungen verfolgt.
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bb) Der Betriebsrat ist antragsbefugt iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG. Er macht den Abmahnungsentfernungsanspruch als - nach seiner Auffassung aus § 78 BetrVG folgendes - eigenes Recht geltend. Es erscheint nicht von vornherein als aussichtslos, den streitbefangenen Anspruch auf diese kollektivrechtliche Schutzbestimmung zu stützen. Ob das vom Betriebsrat verfolgte Recht tatsächlich besteht, ist eine Frage der Begründetheit.
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d) Der Antrag ist unbegründet. Entgegen der Ansicht des Betriebsrats kann der geltend gemachte Anspruch nicht auf § 78 Satz 1 BetrVG gestützt werden.
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aa) Zu Gunsten des Betriebsrats kann unterstellt werden, dass die Abmahnung vom 13. Januar 2010 seinem Vorsitzenden zu Unrecht erteilt worden ist und der Betriebsrat - und sein Vorsitzender - damit in der Ausübung ihrer Tätigkeit entgegen § 78 Satz 1 BetrVG gestört oder behindert worden sind. Jedenfalls trägt § 78 Satz 1 BetrVG die vom Betriebsrat erstrebte Rechtsfolge nicht.
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(1) Allerdings ist der Betriebsrat vom Schutz des § 78 Satz 1 BetrVG erfasst. Zwar dürfen nach dem Wortlaut von § 78 Satz 1 BetrVG die „Mitglieder“ ua. des Betriebsrats in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. § 78 Satz 1 BetrVG schützt aber(auch) den Betriebsrat als Gremium (vgl. BAG 12. November 1997 - 7 ABR 14/97 - zu B 1 der Gründe). Die Norm bezweckt einen Schutz der Tätigkeit der Betriebsverfassungsorgane und ihrer Mitglieder. Dies folgt deutlich aus der Gesetzesbegründung, wonach der Schutzbereich des § 78 BetrVG gegenüber dem der Vorgängerregelung des § 53 BetrVG 1952 - in der der Betriebsrat genannt war - erweitert und nicht beschränkt werden sollte. In der Gesetzesbegründung heißt es (BT-Drucks. VI/1786 S. 47):
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„Die Schutzbestimmung des § 78 entspricht im wesentlichen § 53 des geltenden Rechts. Sie dehnt jedoch ihren Geltungsbereich auf die Mitglieder aller nach dem Betriebsverfassungsgesetz möglichen Institutionen aus, da insoweit eine gleiche Schutzbedürftigkeit besteht.“
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Dass der Betriebsrat als Gremium geschützt wird, zeigt außerdem ein systematischer Vergleich mit § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, nach dem die Behinderung und Störung der Tätigkeit ua. „des Betriebsrats“ strafbewehrt ist.
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(2) Auch ist der Begriff der Behinderung in § 78 Satz 1 BetrVG umfassend zu verstehen. Er erfasst jede unzulässige Erschwerung, Störung oder gar Verhinderung der Betriebsratsarbeit. Ein Verschulden oder eine Behinderungsabsicht des Störers ist nicht erforderlich (vgl. BAG 20. Oktober 1999 - 7 ABR 37/98 - zu B I 2 b bb der Gründe mwN).
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bb) Es muss aber letztlich nicht entschieden werden, ob eine Behinderung der Betriebsratsarbeit in dem Umstand liegen kann, dass der Arbeitgeber ein Betriebsratsmitglied unzulässig abmahnt. Jedenfalls folgt aus § 78 Satz 1 BetrVG kein Anspruch des Betriebsrats auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte eines seiner Mitglieder.
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(1) Eine Rechtsfolge ist in § 78 Satz 1 BetrVG nicht ausdrücklich geregelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht dem Betriebsrat bei einer Störung oder Behinderung seiner Arbeit durch den Arbeitgeber ein Unterlassungsanspruch zu. Ein solcher Anspruch folgt aus dem Zweck der Vorschrift, die Erfüllung von Betriebsratsaufgaben zu sichern (vgl. BAG 12. November 1997 - 7 ABR 14/97 - zu B 2 der Gründe mwN). Auch kann im Einzelfall etwa eine Zutrittsverweigerung durch die Arbeitgeberin eine unzulässige Behinderung der Amtstätigkeit des Betriebsrats darstellen und einen Anspruch des Betriebsrats nach § 78 Satz 1 BetrVG auf Duldung des Zutritts begründen(vgl. BAG 20. Oktober 1999 - 7 ABR 37/98 - zu B I 2 b bb der Gründe mwN). Im Schrifttum wird ebenso ganz überwiegend angenommen, dass aus § 78 BetrVG Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungsansprüche des Betriebsrats und seiner Mitglieder folgen können(vgl. DKKW-Buschmann 13. Aufl. § 78 Rn. 22 und 39; ErfK/Kania 14. Aufl. § 78 BetrVG Rn. 5; Fitting 26. Aufl. § 78 Rn. 13 und 25; Kreutz GK-BetrVG 10. Aufl. § 78 Rn. 38 f.; Thüsing in Richardi BetrVG 14. Aufl. § 78 Rn. 16; Schaub/Koch ArbR-HdB 15. Aufl. § 230 Rn. 26; aA Heinze DB 1983 Beilage Nr. 9, 15).
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(2) Der Betriebsrat hat jedoch keinen aus § 78 Satz 1 BetrVG folgenden Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte eines Betriebsratsmitglieds. Hierbei handelt es sich um ein höchstpersönliches Recht des betroffenen Betriebsratsmitglieds. Personalakten - auch von Betriebsratsmitgliedern - sind eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse eines Mitarbeiters betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen (vgl. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 18 mwN, BAGE 142, 331). Entsprechend kann der Betriebsrat - wie sich mittelbar aus § 83 BetrVG ergibt - nicht die Vorlage der gesamten Personalakte verlangen(vgl. BAG 20. Dezember 1988 - 1 ABR 63/87 - zu B II 1 b der Gründe, BAGE 60, 311). Würde man dem Betriebsrat ein eigenständiges Recht auf „Bereinigung“ der Personalakte zuerkennen, tangierte dies das durch Art. 1 und Art. 2 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Betriebsratsmitglieds. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht dient in erster Linie dem Schutz ideeller Interessen, insbesondere dem Schutz des Wert- und Achtungsanspruchs der Persönlichkeit (vgl. BGH 1. Dezember 1999 - I ZR 49/97 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 143, 214). Insoweit stehen dem Träger des Persönlichkeitsrechts Ansprüche zu und nicht einem dritten Gremium. Dem Betriebsrat kommt kein - im Wege der Rechtsfortbildung anzunehmendes - kollektivrechtlich begründetes Recht zu, hinter dem die Individualrechte der Betriebsratsmitglieder zurückzutreten hätten. Es besteht schließlich kein unabweisbares Bedürfnis für eine richterliche Rechtsfortbildung zur Begründung eines Abmahnungsentfernungsanspruchs des Betriebsrats. Der Betriebsrat ist im Fall einer Störung oder Behinderung seiner Tätigkeit verfahrensrechtlich nicht rechtlos gestellt. Er kann dem mit Unterlassungsbegehren - ggf. auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes - begegnen.
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4. Der Hilfsantrag zu 4., mit dem der Betriebsrat die Verpflichtung der Arbeitgeberin zu einem näher bezeichneten Unterlassen begehrt, ist unzulässig. Zwar hat das Landesarbeitsgericht die von ihm hierin gesehene Antragserweiterung und -änderung als sachdienlich und damit zulässig erachtet (§ 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 81 Abs. 3 Satz 1 ArbGG). Auch ist diese Entscheidung nach § 81 Abs. 3 Satz 3 ArbGG unanfechtbar. Die Zulässigkeit des Antrags scheitert ferner nicht am Fehlen der Antragsbefugnis des Betriebsrats iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG. Der Betriebsrat stützt den geltend gemachten Unterlassungsanspruch auf die Schutzbestimmung des § 78 BetrVG. Damit macht er eine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition geltend. Hingegen ist der Antrag nicht hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
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a) Ein Unterlassungsantrag muss - bereits aus rechtsstaatlichen Gründen - eindeutig erkennen lassen, was vom Schuldner verlangt wird. Nur wenn die danach gebotenen Verhaltensweisen hinreichend erkennbar sind, kann eine der materiellen Rechtskraft zugängliche Sachentscheidung ergehen. Eine Entscheidung, die eine Unterlassungspflicht ausspricht, muss grundsätzlich zur Zwangsvollstreckung geeignet sein. Die Prüfung, welche Verhaltensweisen der Schuldner unterlassen soll, darf nicht durch eine ungenaue Antragsformulierung und einen dem entsprechenden gerichtlichen Titel aus dem Erkenntnis- in das Zwangsvollstreckungsverfahren verlagert werden. Genügt ein Antrag - ggf. nach einer vom Gericht vorzunehmenden Auslegung - diesen Anforderungen nicht, ist er als unzulässig abzuweisen (vgl. BAG 14. September 2010 - 1 ABR 32/09 - Rn. 14 mwN; 17. März 2010 - 7 ABR 95/08 - Rn. 13 mwN, BAGE 133, 342).
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b) Danach ist der Hilfsantrag zu 4. nicht hinreichend bestimmt. Er ließe für die Arbeitgeberin als in Anspruch genommene Beteiligte bei einer dem Antrag stattgebenden Entscheidung nicht eindeutig erkennen, was von ihr verlangt wird. Die Formulierung „Handlungen …, die als Betätigung des Betriebsratsmandats anzusehen sind“ ist vage und interpretationsbedürftig. Sie lässt mangels näherer Beschreibung nicht annähernd erkennen, um welche Sachverhalte es dem Betriebsrat geht. Auch unter Hinzuziehung der Antragsbegründung ergibt sich nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit, was Gegenstand des Unterlassungsbegehrens ist. Die Prüfung, welche Maßnahmen der Schuldner zu unterlassen hat, darf aber grundsätzlich nicht in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden.
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II. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsratsvorsitzenden ist teilweise unbegründet. Hinsichtlich der Anträge zu 1., 2. und 4. hat das Landesarbeitsgericht die Beschwerde im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Bezogen auf den Antrag zu 3. ist die Rechtsbeschwerde begründet. Der Betriebsratsvorsitzende hat einen - im Beschlussverfahren zu prüfenden - Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus seiner Personalakte.
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1. Der Betriebsratsvorsitzende verfolgt seine Anträge in der zulässigen Verfahrensart des Beschlussverfahrens.
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a) Die Anträge zu 1., 2. und 4. beziehen sich auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner und betreffen damit eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit iSd. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, in der nach § 2a Abs. 2, § 80 Abs. 1 ArbGG das Beschlussverfahren stattfindet.
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b) Das gilt ebenso für den Antrag zu 3. Bei diesem Antrag scheidet seine Verfolgung im Beschlussverfahren auch nicht deshalb aus, weil neben der kollektivrechtlichen Rechtsposition des Antragstellers als Betriebsratsvorsitzender seine individualrechtliche Rechtsposition als Arbeitnehmer betroffen ist.
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aa) Nach § 48 Abs. 1 ArbGG gelten ua. für die Zulässigkeit der Verfahrensart die §§ 17 bis 17b des Gerichtsverfassungsgesetzes(GVG) - mit bestimmten Maßgaben - entsprechend. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. In entsprechender Geltung des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG kommt damit den Gerichten für Arbeitssachen ggf. eine verfahrensüberschreitende Sachentscheidungskompetenz zu. Diese setzt voraus, dass Gegenstand des Verfahrens ein einheitlicher Streitgegenstand im Sinne eines einheitlichen prozessualen Anspruchs ist. Liegt hingegen eine Mehrheit prozessualer Ansprüche vor, ist für jeden dieser Ansprüche die Verfahrensart gesondert zu prüfen (vgl. - zur Rechtswegzuständigkeit - BGH 27. November 2013 - III ZB 59/13 - Rn. 14 mwN).
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bb) Bei der kollektivrechtlichen und der individualrechtlichen Rechtsposition des mit dem Antrag zu 3. verfolgten Verlangens handelt es sich nicht um zwei Streit- oder Verfahrensgegenstände. Nach dem für den Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess einschließlich des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens geltenden sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den konkret gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt (vgl. zB BAG 8. Dezember 2010 - 7 ABR 69/09 - Rn. 16 mwN). Vorliegend verlangt der Betriebsratsvorsitzende von der Arbeitgeberin, die Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus seiner Personalakte zu entfernen. Ausgehend von seinem Tatsachenvortrag kommen als Anspruchsgrundlagen kollektiv- oder individualrechtliche Regelungen in Frage. Es liegt damit eine Anspruchskonkurrenz - und keine objektive Anspruchshäufung - vor.
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2. Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht den Anträgen zu 1., 2. und 4. nicht stattgegeben. Ungeachtet von Fragen der Antragsbefugnis nach § 81 Abs. 1 ArbGG und der(subjektiven) Antragserweiterung in der Beschwerdeinstanz nach § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 81 Abs. 3 ArbGG sind die Anträge - wie bereits ausgeführt - unzulässig. Dem Feststellungsantrag zu 1. liegt kein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO zugrunde. Das gilt ebenso für den - ohnehin nicht hinreichend iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmten - Feststellungsantrag zu 2. Der Unterlassungsantrag zu 4. entspricht nicht dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
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3. Hingegen ist der zulässige Antrag zu 3. begründet. Das hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
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a) Der Antrag ist zulässig.
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aa) Er bedarf aber der Auslegung. Ebenso wie beim antragstellenden Betriebsrat umfasst er (nur) das Verlangen einer Abmahnungsentfernung. Auch beim antragstellenden Betriebsratsvorsitzenden bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er neben der Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte einen weitergehenden Anspruch auf Widerruf von Äußerungen verfolgt. In diesem Verständnis ist der Antrag zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
- 53
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bb) Der Betriebsratsvorsitzende ist antragsbefugt iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG. Er berühmt sich in seiner Funktion als Betriebsratsmitglied eines eigenen Rechts, dessen Bestehen nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.
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cc) Die in dem Antrag liegende - subjektive - Antragserweiterung in der Beschwerdeinstanz ist als Antragsänderung sachdienlich und damit trotz Widerspruchs der Arbeitgeberin zulässig, § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 81 Abs. 3 ArbGG.
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(1) Beteiligte an einem Beschlussverfahren können - auch erst im Laufe des Verfahrens - grundsätzlich einen eigenen Sachantrag stellen, sofern sie antragsbefugt sind. Die Stellung eines (neuen) Sachantrags ist unter den Voraussetzungen des § 81 Abs. 3 ArbGG als Antragsänderung auch erstmals in der Beschwerdeinstanz zulässig(vgl. BAG 31. Januar 1989 - 1 ABR 60/87 - zu B II 2 b der Gründe).
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(2) Die Voraussetzungen des § 81 Abs. 3 ArbGG liegen vor. Die Antragsänderung war sachdienlich. Der Streit der Beteiligten kann mit ihr - endgültig - beigelegt und ein weiteres Verfahren vermieden werden, ohne dass ein völlig neuer Streitstoff in das Verfahren eingeführt worden ist.
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b) Der Antrag ist begründet. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob der Betriebsratsvorsitzende nach § 78 Satz 1 und Satz 2 BetrVG von der Arbeitgeberin verlangen kann, die Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus seiner Personalakte zu entfernen. Der streitbefangene Anspruch folgt jedenfalls aus einer entsprechenden Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine Prüfung dieses - individualrechtlichen - Anspruchs kann (auch) im vorliegenden Beschlussverfahren erfolgen. Nach § 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG ist die Sache in der zulässigen Verfahrensart des Beschlussverfahrens unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden.
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aa) Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 13 mwN, BAGE 142, 331).
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bb) Danach kann der Betriebsratsvorsitzende als Arbeitnehmer verlangen, dass die Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus seiner Personalakte entfernt wird. Die Abmahnung ist bereits inhaltlich unbestimmt. Sie erschöpft sich in - von der Arbeitgeberin getroffenen - rechtlichen Wertungen des Verhaltens des Betriebsratsvorsitzenden während des Gesprächs mit der Arbeitnehmerin L am 9. Dezember 2009. Im Text der Abmahnung sind keine konkreten Tatsachen - zum konkreten Gesprächsverlauf oder zu getätigten Äußerungen - angegeben. Für den abgemahnten Betriebsratsvorsitzenden ist damit nicht ersichtlich, auf welche Tatsachen und welchen Sachverhalt die Arbeitgeberin ihre formulierten Vorwürfe stützt, er habe „in unzulässiger Weise versucht, Frau L zu veranlassen, ihre Beobachtungen zu dem Vorfall am 02.12.2009 - B/… - zugunsten des Herrn B zu korrigieren“ und es bestehe „der dringende Verdacht“, er habe „aus strafrechtlicher Sicht in unzulässiger Weise versucht …, Druck auf Frau L auszuüben, um diese zu veranlassen, ihre tatsächlichen Wahrnehmungen anders darzustellen, als wie sie sie wahrgenommen hat“. Bei einer derartigen „Abmahnung“ ist es dem Abgemahnten gar nicht möglich, sein Verhalten einzurichten und zu erkennen, bei welchen Handlungen er im Wiederholungsfall mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen muss.
-
Linsenmaier
Kiel
Schmidt
Busch
Strippelmann
Die Mitglieder des Betriebsrats, des Gesamtbetriebsrats, des Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung, des Wirtschaftsausschusses, der Bordvertretung, des Seebetriebsrats, der in § 3 Abs. 1 genannten Vertretungen der Arbeitnehmer, der Einigungsstelle, einer tariflichen Schlichtungsstelle (§ 76 Abs. 8) und einer betrieblichen Beschwerdestelle (§ 86) sowie Auskunftspersonen (§ 80 Absatz 2 Satz 4) dürfen in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. Sie dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung.
Tenor
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. August 2010 - 2 Sa 634/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses sowie über die Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers.
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Die Beklagte ist ein international tätiges IT-Beratungs- und Systemintegrationsunternehmen mit ca. 2000 Mitarbeitern in Deutschland. Der Kläger ist Jurist. Von Dezember 1999 bis November 2000 nahm er erfolgreich an einem Qualifikationsprogramm „Applikationsentwickler Client-Server“ teil. Wenige Wochen vor dem Ende dieses Programms besuchte ein Bereichsleiter der Beklagten den Kurs und forderte die Teilnehmer auf, sich bei dieser zu bewerben. Auf seine Bewerbung hin wurde der Kläger zum 1. Dezember 2000 von der Beklagten als Organisationsprogrammierer eingestellt. Zu seinen vertraglichen Aufgaben gehörte ua. die „Programmierung von Anwendersoftware“ und die „Beratung in Organisations- und Systemfragen“.
- 3
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Der Kläger wurde zunächst im B-Projekt PPC eingesetzt und mit der Konzepterstellung, einer Projektassistenz sowie dem Erstellen eines Handbuchs beauftragt. Nach Abschluss des Projekts war er weiter für den Kunden B im Projekt „Produkt Qualitätsmanagement“ bis zu dessen Ende im Herbst 2004 tätig. Zwischenzeitlich wurde die Abteilung „TA Applications Consulting und Development“, in der der Kläger beschäftigt war, aufgelöst. Deshalb sollte er ab Mai 2005 im Bereich Programmierung eingesetzt werden. Zu diesem Zweck wurde ihm zunächst ein Skript zum Selbststudium überlassen. Eine beabsichtigte zweimonatige Schulung in der Filiale P scheiterte. Danach sollte der Kläger sich in ein bestimmtes Securitysystem einarbeiten. Hierzu nahm er an mindestens zwei Schulungen teil. Im August 2006 wurde er im Projekt „B-Atlas“ eingesetzt. Im März 2007 sollte er im Programmierbereich tätig werden, löste aber die ihm gestellte Aufgabe nicht.
- 4
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Im Mai 2007 initiierte der Kläger zusammen mit Kollegen eine Betriebsversammlung zur (erstmaligen) Wahl eines Betriebsrats.
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Am 20. Juni 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich wegen Arbeitsverweigerung.
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Am 10. Oktober 2007, einen Tag vor der Betriebsratswahl, schickte der Kläger eine E-Mail an 20 Mitarbeiter der Beklagten, in der er ua. ausführte:
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„Wie Ihr vielleicht wisst, wurde ich am 20.6. fristlos gekündigt, es wurden zwar kein Gründe angegeben, aber es liegt natürlich auf der Hand, dass man mit dieser Maßnahme den Betriebsrat verhindern wollte.“
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Wegen dieser E-Mail kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 23. Oktober 2007 erneut außerordentlich. Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der Kündigungen vom 20. Juni und 23. Oktober 2007 rechtskräftig fest und verurteilte die Beklagte, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Organisationsprogrammierer weiterzubeschäftigen.
- 7
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Am 31. Januar 2008 mahnte die Beklagte den Kläger mit der Begründung ab, er habe gegenüber einem Mitarbeiter erklärt, man müsse sie - die Beklagte - in allen Belangen „hart anfassen“. Mit einer Abmahnung vom 5. Februar 2008 wurde ihm vorgeworfen, er habe sich nicht acht Stunden täglich auf einen Arbeitseinsatz vorbereitet. Mit einer weiteren Abmahnung vom 19. Februar 2008 rügte die Beklagte die fehlende Bereitschaft des Klägers, seine Programmiererfähigkeiten gutachterlich untersuchen zu lassen.
- 8
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Am 4. März 2008 erstellte ein IT-Sachverständiger nach zwei Gesprächen mit dem Kläger ein Gutachten über dessen Qualifikations- und Kenntnisstand im Bereich der Softwareentwicklung. Er kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht über die erforderliche fachliche Qualifikation verfüge, um eine Tätigkeit als Organisationsprogrammierer zu erbringen.
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Die Beklagte hörte den bei ihr bestehenden Betriebsrat am 6. März 2008 zu einer außerordentlichen fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist an. Der Personalausschuss des Betriebsrats stimmte den beabsichtigten Kündigungen zu. Mit Schreiben vom 10. März 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise außerordentlich mit einer Auslauffrist zum 30. Juni 2008. Zugleich erteilte sie dem Kläger Hausverbot.
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Nach Auslaufen des nachwirkenden Kündigungsschutzes als Bewerber zur Betriebsratswahl hörte die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 16. April 2008 zu einer ordentlichen Kündigung des Klägers aus personen- und verhaltensbedingten Gründen an. Der Vorsitzende des Personalausschusses teilte am 17. April 2008 die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung mit. Am gleichen Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2008.
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Zum 30. April 2008 schied einer der beiden bei der Beklagten beschäftigten Juristen aufgrund einer Eigenkündigung vom Januar 2008 aus. Spätestens zum 1. Oktober 2008 stellte die Beklagte einen Juristen neu ein.
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Am 13. Oktober 2008 wollte der Kläger als Ersatzmitglied an einer außerhalb des Betriebs stattfindenden Sitzung des Betriebsrats teilnehmen. Der Vorsitzende verweigerte ihm dies. Da der Kläger nicht freiwillig gehen wollte, rief er die Polizei zu Hilfe. Hierzu nahm der Kläger am 7. November 2008 nach Aufforderung durch die Beklagte wie folgt Stellung:
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„Da Sie zweifellos nicht das Hausrecht über die Gaststätte ... ausüben, besteht kein Anlass, zu Ihrem Schreiben näher Stellung zu nehmen.
Einen besseren Beweis als Ihr Schreiben, dass der m Betriebsrat unternehmensgesteuert, unternehmensdominiert und unternehmensbestimmt ist und dass Sie ihn lediglich als Hilfsorgan ansehen, hätten Sie gar nicht liefern können.“
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In einem Schreiben vom 27. November 2008 wiederholte der Kläger den Vorwurf, der Betriebsrat sei von der Beklagten nicht unabhängig. Die Beklagte forderte ihn am 3. Dezember 2008 auf, diese Äußerung zurückzunehmen und den Betriebsfrieden zukünftig nicht mehr zu stören.
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Mit einem als „Abmahnung und Aufforderung zum Widerruf“ überschriebenen Schreiben vom 23. Dezember 2008 rügte die Beklagte den Kläger wegen seiner Äußerung in der E-Mail vom 10. Oktober 2007 und forderte ihn auf, gegenüber den Empfängern dieser Mail bis 9. Januar 2009 seine Äußerung zu widerrufen, andernfalls behalte sie sich arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zum Ausspruch einer Kündigung vor. Nachdem die Beklagte den Betriebsrat zu einer weiteren außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung angehört und der Personalausschuss mitgeteilt hatte, dass dagegen keine Einwände bestünden, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 21. Januar 2009 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Mit Schreiben vom 11. Februar 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis ein weiteres Mal außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin, nachdem der Personalausschuss auch dagegen keine Einwände erhoben hatte.
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Mit Schreiben vom 7. April 2009 erklärte die Beklagte die Anfechtung des Arbeitsverhältnisses, weil der Kläger nicht programmieren könne und ihm diese Fähigkeit bereits bei Abschluss des Vertrags gefehlt habe.
- 16
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Der Kläger hat mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage geltend gemacht, sämtliche Kündigungen seien unwirksam. Er habe zu keiner Zeit die Arbeit verweigert. Die ihm gestellten Aufgaben seien jedoch zu schwierig und die angebotenen Schulungen für ihn als Anfänger nicht geeignet gewesen. Ein Fachfremder könne in einer einjährigen Schulung das Programmieren nicht lernen. Die Beklagte habe bei seiner Einstellung gewusst, dass er lediglich eine Qualifizierungsmaßnahme von einem Jahr absolviert habe. Trotz seiner unzureichenden Kenntnisse habe sie ihn eingestellt und fünf Jahre lang ohne Programmiertätigkeiten beschäftigt. Nach Ablauf der Probezeit könne sie sich deshalb nicht mehr auf unzulängliche Kenntnisse berufen. Er könne weiterhin in einem der Tätigkeitsbereiche eingesetzt werden, in dem er jahrelang gearbeitet habe. Auch sei während der Kündigungsfrist die Stelle eines Juristen zur Nachbesetzung frei gewesen, die ihm habe übertragen werden können.
- 17
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Im Übrigen sei er ordentlich unkündbar gewesen. Bei Ausspruch der Kündigung vom 17. April 2008 habe ihm der nachwirkende Kündigungsschutz als Ersatzmitglied zugestanden. In den Betriebsratssitzungen am 28. oder 29. Februar, 29. März und 28. April 2008 seien ordentliche Betriebsratsmitglieder verhindert gewesen. Gleichwohl sei er nicht geladen worden.
- 18
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Die Abmahnungen vom 31. Januar, 5. Februar, 26. Februar und 23. Dezember 2008 seien unwirksam und deshalb zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.
-
Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt
-
1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 10. März 2008 nicht beendet worden ist;
2.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 17. April 2008 nicht zum 30. September 2008 beendet worden ist;
3.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 21. Januar 2009 noch durch die hilfsweise ausgesprochene Kündigung von diesem Tage zum 30. Juni 2009 beendet worden ist;
4.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 11. Februar 2009 noch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung von diesem Tage zum 30. Juni 2009 beendet worden ist;
5.
die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen;
6.
die Beklagte zu verurteilen, die ihm mit Schreiben vom 31. Januar 2008, 5. Februar 2008, 26. Februar 2008 und 23. Dezember 2008 erteilten Abmahnungen zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.
-
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise
-
für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigungen vom 10. März und 17. April 2008 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2, § 10 Abs. 1 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, die jedoch 8.042,28 Euro brutto nicht übersteigen sollte, zum 30. September 2008 aufzulösen.
- 21
-
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 17. April 2008 sei aus verhaltensbedingten und personenbedingten Gründen gerechtfertigt. Entweder habe der Kläger trotz Abmahnungen die Arbeit verweigert oder er sei nicht in der Lage, zu programmieren. Seine ursprüngliche Tätigkeit könne er nicht mehr ausüben, seine Abteilung sei bereits 2005 aufgelöst worden. Eine Weiterbeschäftigung im Rahmen von Projekten sei nicht möglich. Sämtliche Projekte seien abgeschlossen, es gebe nur noch freie Stellen als Programmierer. Für eine Tätigkeit im Bereich Business fehle dem Kläger die notwendige Qualifikation. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger auf der frei gewordenen Juristenstelle, einer Beförderungsstelle, weiterzubeschäftigen. Die Position habe zunächst nicht nachbesetzt werden sollen. Erst Anfang Juli 2008 habe sie entschieden, wieder einen Juristen einzustellen. Die Kündigung vom 21. Januar 2009 sei begründet, weil der Kläger trotz Abmahnung und Aufforderung mit Fristsetzung die beleidigenden Äußerungen in seiner E-Mail vom 10. Oktober 2007 nicht widerrufen habe. Die Kündigung vom 11. Februar 2009 beruhe auf dem Vorwurf, der Betriebsrat sei unternehmensgesteuert. Die Anfechtung sei wirksam. Bei der Fähigkeit zu programmieren handele es sich um eine verkehrswesentliche Eigenschaft. In jedem Fall sei das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Es sei zerrüttet. Der Kläger habe sie anlässlich der letzten Betriebsratswahl erheblich diskreditiert.
- 22
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Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.
-
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 10. März 2008 weder fristlos noch mit einer sozialen Auslauffrist aufgelöst worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine noch rechtshängigen Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zu Recht zurückgewiesen. Die Kündigung vom 17. April 2008 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2008 aus personenbedingten Gründen iSd. § 1 Abs. 2 KSchG rechtswirksam beendet.
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I. Die Kündigung vom 17. April 2008 ist aus Gründen in der Person des Klägers iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.
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1. Zum Zeitpunkt der Kündigung vom 17. April 2008 bestand zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis.
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a) Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist, wie das Landesarbeitsgericht mangels Revision der Beklagten rechtskräftig festgestellt hat, durch die Kündigung vom 10. März 2008 nicht aufgelöst worden.
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b) Das Arbeitsverhältnis ist von der Beklagten mit ihrem Schreiben vom 7. April 2009 nicht wirksam - und dann rückwirkend zum März 2008 - angefochten worden. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht das Vorliegen eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft nach § 119 Abs. 2 BGB verneint.
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aa) Fehlt einem Vertragspartner die fachliche Qualifikation, die dem Vertrag von den Parteien ersichtlich zugrunde gelegt worden ist, kann dies zu einer Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB berechtigen.
- 30
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bb) Der Beklagten war bei der Einstellung des Klägers bekannt, dass dieser nur für ein Jahr an dem Qualifizierungsprogramm „Applikationsentwickler Client-Server“ teilgenommen hatte. Es fehlt deshalb an einem schlüssigen Vortrag dahin, dass sie die Kenntnisse, die sie mittlerweile beim Kläger als erforderlich ansieht, schon bei Vertragsschluss gefordert und zur Voraussetzung des Arbeitsvertrags gemacht hat.
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cc) Auf die Frage, ob die Beklagte die Anfechtung unverzüglich iSd. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB erklärt hat, kommt es nicht mehr an.
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2. Die Kündigung vom 17. April 2008 ist durch Gründe in der Person des Klägers bedingt.
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a) Das Landesarbeitsgericht hat mit Bezug auf das Gutachten des IT-Sachverständigen zum Qualifikations- und Kenntnisstand des Klägers im Bereich der Softwareentwicklung angenommen, dass diesem die wesentlichen Grundlagen des Programmierens fehlten und er sich die notwendigen Kenntnisse nur durch eine zweijährige Ausbildung hätte aneignen können. Diese Feststellungen greift die Revision nicht an.
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b) Aufgrund dieses in einem vertretbaren Zeitraum nicht zu behebenden Mangels an Programmierkenntnissen des Klägers lag zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung eine erhebliche Störung des Arbeitsverhältnisses der Parteien vor (vgl. dazu BAG 16. Februar 1989 - 2 AZR 299/88 - zu B der Gründe, BAGE 61, 131; KR/Griebeling 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 271 ff.). Der Umstand, dass dieser Mangel in den ersten Jahren des Bestehens des Arbeitsverhältnisses nicht zum Tragen kam, weil der Kläger zunächst vertragsgemäß anderweitig beschäftigt worden war, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das Fehlen von Kenntnissen für die vertraglich gleichermaßen geschuldete Tätigkeit als Organisationsprogrammierer hat die Beklagte mit dem mehrjährigen anderweitigen Einsatz nicht „gebilligt“.
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c) Die weitere Feststellung des Landesarbeitsgerichts, die Störung des Arbeitsverhältnisses könne nicht durch eine anderweitige Beschäftigung des Klägers beseitigt werden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Zwar bestand die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit des Klägers nicht allein im Programmieren, sondern auch in der Beratung. Auch wurde er jahrelang nicht als Programmierer beschäftigt. Ein Mangel von Programmierkenntnissen des Klägers rechtfertigt deshalb für sich allein noch nicht die Annahme, die Beklagte könne ihn nicht mehr vertragsgerecht beschäftigen. Das Landesarbeitsgericht ist jedoch nach Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, der Kläger habe nicht mehr wie zuvor in Projekten ohne Programmiertätigkeit beschäftigt werden können. Die bisherigen Projekte seien ausgelaufen. Künftig werde es solche nicht mehr in gleicher Weise wie bisher geben. Tätigkeiten wie die Administration von Hard- und Software und die Durchführung von Schulungsveranstaltungen würden von den Programmierern miterledigt. Eine Umorganisation von Arbeitsplätzen sei nicht möglich, weil mittlerweile alle Mitarbeiter Programmierkenntnisse haben müssten. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten wie bisher gebe es für den Kläger nicht. Freie Arbeitsplätze gebe es nur noch im Bereich Programmierung. Der Kläger hat sich gegen diese Beweiswürdigung nicht gewandt.
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bb) Die Beklagte musste den Kläger auch nicht auf der Stelle des ausgeschiedenen Juristen weiterbeschäftigen. Das Landesarbeitsgericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgegangen, zum Zeitpunkt der Kündigung habe für die Beklagte nicht festgestanden, dass die Stelle eines Juristen zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung stehen würde. Nach den glaubhaften Aussagen der Zeugen B und R sei eine Nachbesetzung der frei gewordenen Stelle zunächst nicht vorgesehen gewesen. Erst nach Ausspruch der Kündigung im Juli 2008 habe sich die Situation geändert.
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d) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene abschließende Interessenabwägung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dieses wesentliche Umstände oder erhebliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen hätte.
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II. Die Kündigung vom 17. April 2008 ist nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Das Landesarbeitsgericht hat die ausführliche Unterrichtung des Betriebsrats vom 16. April 2008 zu Recht als hinreichend angesehen. Die Revision rügt auch das nicht.
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III. Die Kündigung vom 17. April 2008 verstößt nicht gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Der Kläger genoss keinen besonderen Kündigungsschutz.
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1. Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG besteht für Ersatzmitglieder des Betriebsrats solange, wie sie ein zeitweilig verhindertes ordentliches Mitglied vertreten. Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG besteht für die Dauer eines Jahres nach dem Ende ihrer Tätigkeit als Ersatzmitglied(vgl. BAG 5. November 2009 - 2 AZR 487/08 - Rn. 26, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 64; 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - Rn. 23, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 5). Dieser nachwirkende Kündigungsschutz tritt allerdings nur ein, wenn das Ersatzmitglied in der Vertretungszeit konkrete Betriebsratsaufgaben tatsächlich wahrgenommen hat. Der nachwirkende Schutz soll die unabhängige, pflichtgemäße Ausübung des Betriebsratsamts dadurch gewährleisten, dass er den Arbeitgeber nach dem Amtsende ein Jahr lang hindert, eine Kündigung des früheren Betriebsratsmitglieds ohne wichtigen Grund auszusprechen. Das Gesetz setzt darauf, dass sich in dieser Zeit eine mögliche Verärgerung des Arbeitgebers über die Amtsgeschäfte des Betriebsratsmitglieds deutlich legt und dieses deshalb während seiner aktiven Zeit unbefangen agieren lässt. Einer solchen „Abkühlungsphase“ bedarf es nicht, wenn das Ersatzmitglied während der Zeit, in der es vertretungshalber nachgerückt war, weder an Sitzungen des Betriebsrats teilgenommen noch sonstige Betriebsratstätigkeiten ausgeübt hat. Es hat dann dem Arbeitgeber keinen Anlass zu möglichen negativen Reaktionen auf seine Amtsausübung gegeben und bedarf deshalb keines besonderen Schutzes (BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3; 5. November 2009 - 2 AZR 487/08 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 65 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 64).
- 42
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2. Hiernach stand dem Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung ein besonderer Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 KSchG nicht zu.
- 43
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a) Ein Fall des § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG liegt nicht vor. Der Kläger war bei Kündigungsausspruch am 17. April 2008 nicht in den Betriebsrat nachgerückt.
- 44
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b) Ebenso wenig sind die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG gegeben. Zwar war der Kläger als erstes Ersatzmitglied für ein verhindertes reguläres Mitglied Ende Februar und Ende März 2008 in den Betriebsrat nachgerückt, soweit er nicht seinerseits wegen des Ausspruchs der Kündigung vom 10. März 2008 objektiv verhindert war. Ist ein ordentliches Mitglied verhindert, rückt das betreffende Ersatzmitglied in den Betriebsrat „automatisch“ nach, unabhängig davon, ob es selbst oder etwa der Betriebsratsvorsitzende vom Verhinderungsfall Kenntnis hat (BAG 8. September 2011 - 2 AZR 388/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 25 Nr. 3). Der Kläger hat jedoch auch als nachgerücktes Ersatzmitglied keinerlei Betriebsratstätigkeit erbracht. An den Ende Februar und Ende März 2008 durchgeführten Betriebsratssitzungen hat er schon deshalb nicht teilgenommen, weil er nicht geladen worden war. Selbst wenn dies darauf beruht haben sollte, dass der Betriebsratsvorsitzende die Nachrückregelung des § 25 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG bewusst ignoriert hat, ändert das nichts daran, dass der Kläger an den Sitzungen des Gremiums tatsächlich nicht teilgenommen und auch sonstige Betriebsratsaufgaben nicht wahrgenommen hat. Bloß fiktive, in Wirklichkeit aber unterbliebene Tätigkeiten des Ersatzmitglieds lösen den nachwirkenden Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht aus.
- 45
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Etwas anderes käme allenfalls dann in Betracht, wenn die Beklagte den Fehler in der Amtsführung des Betriebsratsvorsitzenden bewusst veranlasst oder mit diesem kollusiv zusammengewirkt hätte (vgl. BAG 4. August 1975 - 2 AZR 266/74 - zu III 6 der Gründe, BAGE 27, 209). Dafür fehlt es an Anhaltspunkten.
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IV. Die Kündigung vom 17. April 2008 ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 612a BGB iVm. § 134 BGB unwirksam.
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1. Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme nicht deshalb benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Als „Maßnahme“ im Sinne des Gesetzes kommt auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht. Sie kann sich als eine Benachteiligung wegen einer zulässigen Rechtsausübung des Arbeitnehmers darstellen. Das Maßregelungsverbot ist aber nur dann verletzt, wenn zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Grund, dh. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme gewesen sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur der äußere Anlass für die Maßnahme war (BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 384/10 - Rn. 38, EzA BEEG § 18 Nr. 1).
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2. Nach diesen Grundsätzen kann hier ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nicht festgestellt werden. Es ist nicht erkennbar, dass etwa die Inanspruchnahme betriebsverfassungsrechtlicher Rechte durch den Kläger der tragende Grund für die Kündigung vom 17. April 2008 war. Bereits ab dem Jahr 2005, also längere Zeit vor der Initiierung der Betriebsversammlung, wurden Schulungsmaßnahmen durchgeführt, um den Kläger mit Programmierungsaufgaben beschäftigen zu können. Längere Zeit nach der Betriebsversammlung, Ende Februar 2008, erstellte der IT-Sachverständige das Gutachten, das dem Kläger einen nicht ausreichenden Qualifikations- und Kenntnisstand in der Softwareentwicklung bescheinigt und inhaltlich von ihm selbst nicht für falsch gehalten wird. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, die Aktivitäten des Klägers im Zusammenhang mit dem Anstoß zu einer Betriebsversammlung und Betriebsratswahl seien der tragende Grund für die Kündigung vom 17. April 2008.
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V. Die weiteren Feststellungsanträge sind unbegründet. Sie setzen sämtlich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses über den 30. September 2008 hinaus voraus.
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VI. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig beendet.
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VII. Der Antrag des Klägers, die vier näher bezeichneten Abmahnungen zurückzunehmen und aus seiner Personalakte zu entfernen, ist unbegründet. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat ein Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch mehr auf Entfernung selbst einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte. Ein solcher Anspruch kann nur ausnahmsweise gegeben sein, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, eine Abmahnung könne dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden. Entsprechende Gründe hat der Kläger nicht dargelegt.
-
VIII. Der Kläger hat die Kosten der erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
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Kreft
Rachor
Eylert
Frey
Grimberg
(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.
(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn
- 1.
in Betrieben des privaten Rechts - a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt, - b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat, - 2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts - a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt, - b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.
(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 11.07.2012 - AZ: 4 Ca 693/12 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Parteien streiten im vorliegenden Berufungsverfahren noch über einen Anspruch des Klägers auf Entfernung einer Abmahnung aus seiner Personalakte.
- 2
Der Kläger war seit 2010 bei der Beklagten als Abteilungsleiter beschäftigt. Mit Schreiben vom 12.03.2012 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, hinsichtlich deren Inhalts auf Bl. 13 d. A. Bezug genommen wird, und kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13.03.2012 ordentlich zum 15.04.2012.
- 3
Der Kläger hat beantragt,
- 4
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 13.03.2012 nicht mit dem 15.04.2012 sein Ende finden wird, sondern darüber hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;
- 5
2. die Beklagte weiter zu verurteilen, die Abmahnung vom 12.03.2012 aus der Personalakte zu entfernen und an den dortigen Vorwürfen nicht festzuhalten.
- 6
Die Beklagte hat beantragt,
- 7
die Klage abzuweisen.
- 8
Zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 11.07.2012 (Bl. 49-51 d. A.) Bezug genommen.
- 9
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 11.07.2012 insgesamt abgewiesen und in den Entscheidungsgründen u. a. ausgeführt, bezüglich der begehrten Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte habe der Kläger kein rechtlich geschütztes Interesse mehr, da das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 13.03.2012 zum 15.04.2012 geendet habe.
- 10
Gegen das ihm am 23.07.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.08.2012 Berufung eingelegt und diese am Montag, dem 24.09.2012 begründet.
- 11
Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts bestehe seinerseits nach wie vor ein rechtlich geschütztes Interesse daran, dass das Abmahnungsschreiben aus seiner Personalakte entfernt werde. Nach der Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes durch das Gesetz zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften vom 14.08.2009 bestehe ein besonderes Rechtsschutzinteresse für das Löschen personenbezogener Daten. Dies gelte, wie sich aus der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 18.07.2011 - 10 Ta 1325/11 - ergebe, auch bezüglich unberechtigter Abmahnungen. Auch habe das BAG in seiner Entscheidung vom 16.11.2010 - 9 AZR 573/09 - auf die besonderen Rücksichtnahmepflichten im Hinblick auf die Ausstrahlungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hingewiesen und klargestellt, dass insoweit keine unrichtigen Daten, auch über den bereits entlassenen Arbeitnehmer, aufbewahrt werden dürften.
- 12
Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 21.09.2012 (Bl. 70 f. d. A.) sowie auf den Schriftsatz des Klägers vom 05.11.2012 (Bl. 94 f. d. A.) Bezug genommen.
- 13
Der Kläger beantragt,
- 14
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 12.03.2012 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
- 15
Die Beklagte beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Die Beklagte verteidigte das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 26.10.2012 (Bl. 86-88 d. A.), auf die Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
I.
- 18
Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
- 19
1. Die Klage ist zulässig. Ihr fehlt insbesondere - trotz zwischenzeitlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses - nicht das für jede Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (BAG v. 14.09.1994 - 5 AZR 632/93 - AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung).
- 20
2. Die Klage ist jedoch infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht begründet.
- 21
Es ist zwar anerkannt, dass die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Rechte und Pflichten begründen kann. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen führt aber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Regelfall zu dem Ergebnis, dass dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte nicht mehr zusteht. Etwas anderes kann dann gelten, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden kann. Dafür ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig (BAG v. 14.09.1994 - 5 AZR 632/93 - AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung; LAG München v. 08.07.2009 - 11 Sa 54/09 -, zitiert nach JURIS).
- 22
Nichts anderes ergibt sich aus den vom Kläger in seiner Berufungsschrift zitierten Entscheidungen. Das LAG Berlin-Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 18.07.2011 - 10 TA 1325/11 - zwar die Auffassung vertreten, dass auch im beendeten Arbeitsverhältnis einer Klage auf Entfernung einer Abmahnung nicht von vornherein die für eine Bewilligung von PKH erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht i. S. v. § 114 ZPO abgesprochen werden kann. Darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Entfernung eines Abmahnungsschreibens aus der Personalakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch besteht, hat das LAG Berlin-Brandenburg in der betreffenden Entscheidung indessen nicht befunden.
- 23
Die Entscheidung des BAG v. 16.11.2010 - 9 AZR 573/09 - (NZA 2011, 453) betrifft eine andere Fallkonstellation, nämlich einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Einsichtnahme in seine vom ehemaligen Arbeitgeber aufbewahrte Personalakte. Einen solchen Anspruch hat das BAG im Hinblick auf die nachwirkende arbeitgeberseitige Schutz- und Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes auf informationelle Selbstbestimmung bejaht. Gegenstand der Entscheidung war indessen nicht die Frage des Bestehens eines Anspruchs auf Entfernung eines Abmahnungsschreibens aus der Personalakte im beendeten Arbeitsverhältnis. Einen solchen hat das BAG vielmehr auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Persönlichkeitsrechts in seiner Entscheidung vom 14.09.1994 (5 AZR 632/93, AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung) unter III., 4. der Entscheidungsgründe ausdrücklich verneint.
- 24
Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus Folgendes:
- 25
Die Frage, ob der Beklagten gegen den Kläger aus dem im Abmahnungsschreiben vom 12.03.2012 geschilderten Sachverhalt Schadensersatzansprüche zustehen, kann in dem diesbezüglich zwischen den Parteien noch erstinstanzlich anhängigen Rechtsstreit geklärt werden. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte Dritten gegenüber Mitteilung von den Abmahnungen macht oder die Personalakte Dritten überlässt, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass er sich um Stellen im Öffentlichen Dienst bewirbt und ihm dort nahegelegt wird, sich mit der Vorlage der Personalakte seines bisherigen Arbeitgebers einverstanden zu erklären. Schließlich bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte Abmahnungen oder ihren Inhalt innerbetrieblich bekannt macht und dadurch die Ehre des Klägers verletzt. Ein Anspruch des Klägers auf Entfernung des Abmahnungsschreibens aus seiner Personalakte besteht somit nicht.
III.
- 26
Die Berufung des Klägers war daher mit sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
- 27
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72a ArbGG), wird hingewiesen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 27.05.2015 – 5 Ca 24/15 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 12.03.2015 nicht beendet worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 68 %, die Beklagte zu 32 %.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht drei Abmahnungen erteilte und ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch arbeitgeberseitige Kündigung beendet ist.
3Der 1956 geborene, verheiratete Kläger, Vater zweier erwachsener Kinder, war seit dem 01.10.1989 als Busfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Er erzielte zuletzt ein Bruttomonatsentgelt von 3.000,00 €. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Spartentarifvertrag für Nahverkehrsbetriebe (TV-N NW) vom 25.05.2011 Anwendung.
4Die Beklagte schloss mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat am 20.08.2014 eine Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MiX RIBAS und die Zahlung einer Leistungsprämie (Bl. 6 bis 11 d.A.). Nach der Präambel unterstützt der Einsatz des MiX RIBAS- Systems den Fahrer, bei einfachster Handhabung sicher, umweltbewusst und kostensparend zu fahren.
5§ 2 der Betriebsvereinbarung (BV) lautet wie folgt:
6Zielsetzung
7Mit dem Einsatz von RIBAS und der Zahlung einer Leistungsprämie werden folgende Ziele verfolgt:
8- 9
Entlastung des Fahrers
- 10
Erhöhung der persönlichen Zufriedenheit
- 11
Erhöhung der Kundenzufriedenheit
- 12
Verringerung der CO2 Emission
- 13
Verringerung des Verkehrslärms
- 14
Erhöhung der Verkehrssicherheit
- 15
Reduzierung der Energiekosten
- 16
Reduzierung des Materialverschleißes.
In § 3 BV trafen die Parteien folgende Regelung:
18RIBAS Funktionsweise
19Das von MiX Telematics entwickelte RIBAS-Display wird mit einer Kabelverbindung an den Bordcomputer, FM Communicator, angeschlossen. Das Display wird in der Fahrerkabine im Sichtfeld des Fahrers, z.B. A Säule montiert. Werden vom Fahrer die im System hinterlegten Grenzwerte überschritten, informiert ihn darüber eine Warnleuchte des RIBAS-Displays. Jedes Symbol korrespondiert mit einer Überschreitung:
20R = zu hochtourige Fahrweise (over Revving)
21I = Leerlaufzeitüberschreitungen (excessive Idling)
22B = scharfes Bremsen (harsh Braking)
23A = überhöhte Beschleunigung (harsh Acceleration)
24S = Geschwindigkeitsüberschreitungen (over Speeding)
25Neben dem Aufleuchten der jeweiligen LED ertönt für jedes Ereignis eine Sekunde lang ein Signalton. Jede LED leuchtet für die Dauer des Ereignisses, blinkt dann 15 Sekunden lang und schaltet danach ab. So liefert das RIBAS-Display dem Fahrer Information zu Ereignissen in Echtzeit in optischer und akustischer Form. Fahrzeug- und Fahrerereignisse werden vom FM Communicator aufgezeichnet und zur Berichterstattung und Analyse an FM-Web, dem internetbasierten Informationsportal für Fuhrparkmanager von MiX Telematics, weitergeleitet.
26Fahrer, die mit ihrer Einwilligung an dem personalisierten Berichts- und Prämiensystem nach §§ 6, 7 BV teilnehmen, erhalten gemäß § 5 BV wöchentlich einen persönlichen Detailbericht, der ihnen eine detaillierte und konkrete Rückmeldung ihrer Fahrleistung, bezogen auf die wirtschaftliche Fahrweise der letzten Woche, gibt. Zusätzlich erhalten sie den gleichen Bericht mit einer kumulativen Auswertung vom Beginn des jeweiligen Monats bis zum letzten Tag des aktuellen Wochenberichts.
27Fahrer, die nicht am personalisierten Berichts- und Prämiensystem teilnehmen, erhalten gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 BV für die Anmeldung an das RIBAS-System einen anonymisierten Schlüssel. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 BV bleibt die Pflicht zur generellen Teilnahme am RIBAS-System im Sinne des § 4 Abs. 1 BV unberührt.
28Gemäß § 10 Satz 3 BV gilt Folgendes:
29Schulung
30Arbeitnehmer erhalten, bevor sie zum ersten Mal ein mit dem RIBAS-System ausgerüstetes Fahrzeug führen, durch die zuständige Führungskraft eine Einweisung über die Funktionalitäten des RIBAS-Systems. Wird bei den monatlichen Auswertungen seitens des Arbeitnehmers, dessen Führungskraft oder im Rahmen der Fahrerweiterbildung durch die Fahrschule festgestellt, dass bei der Anwendung des RIBAS-Systems noch Verbesserungspotential vorhanden ist, kann von beiden Seiten eine weitere Schulung angeregt und vereinbart werden. Wird im Rahmen des monatlichen Berichtswesens festgestellt, dass im anonymisierten Fahrerdatenbestand in Einzelfällen eine erhebliche Überschreitung der in § 4 Abs. 1 aufgeführten Grenzwerte in Bezug auf die im jeweiligen Betrieb durchschnittlichen Überschreitungen der Grenzwerte erkennbar sind, hat der Arbeitgeber, in vorheriger Abstimmung mit dem Betriebsrat, das Recht die jeweiligen Datensätze zu personalisieren, um gegebenenfalls Schulungsmaßnahmen zu veranlassen.
31Gemäß § 11 BV ist das Bundesdatenschutzgesetz einzuhalten und stellt der Arbeitgeber sicher, dass dieses Gesetz von allen Führungskräften und Arbeitnehmern sowie externen Stellen (z.B.: Kinzle) eingehalten wird.
32In einer Sitzung vom 22.07.2013 fanden die Betriebsparteien ausweislich des Ergebnisprotokolls (Bl. 195 bis 196 d.A.) Übereinstimmung dahingehend, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen aufgrund der RIBAS-Auswertungen ausgeschlossen sind.
33Der von der Beklagten zuvor zu einem Entwurf der BV beteiligte Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW führte mit Schreiben vom 17.03.2014 (Bl. 189 bis 192 d.A.) u.a. Folgendes aus:
34Die Teilnahme der Fahrdienstmitarbeiter am Bewertungs- und Prämiensystem und der damit verbunden Auswertung und Nutzung ihrer Daten ist nach den vorstehenden Ausführungen für die Zielerreichung der Kraftstoffreduzierung beim Betrieb der Kraftomnibusse der C AG nicht zwingend erforderlich. Neben einer freiwilligen Teilnahme der Fahrer, die eine personenbezogene Datenauswertung ermöglicht, kann auch eine stichprobenartige Kontrolle zunächst im Hinblick auf den anonymisierten Fahrerdatenbestand in Betracht kommen. Wird insofern im Einzelfall eine besondere oder anhaltend unwirtschaftliche Fahrweise identifiziert, kann in Abstimmung mit dem Betriebsrat die Möglichkeit einer Personifizierung des betroffenen Fahrers mit der Zielsetzung weiterer Schulungsmaßnahmen erwogen werden.
35Es ist daher zu empfehlen, dass die C AG die Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat entsprechend modifiziert. Über das Ergebnis der Umsetzung dieser Empfehlung bitte ich mich zu unterrichten.
36Am 01.09.2014 trat die Betriebsvereinbarung in ihrer endgültigen Fassung in Kraft.
37Mit Schreiben vom 05.11.2014 (Bl. 194 d.A.) teilte der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit auf ein Schreiben der Beklagten vom 15.10.2014 (Bl. 193 d.A.) mit, dass er es begrüße, dass entsprechend seiner Empfehlung nach der Betriebsvereinbarung nunmehr die Möglichkeit der Anonymisierung der Fahrerdaten bestehe.
38Gemäß § 1 gilt die Betriebsvereinbarung auch für den Kläger. Er erteilte keine Zustimmung zur Teilnahme am personalisierten Berichts- und Prämiensystem.
39Ihm wurde am 27.08.2012 der anonymisierte Schlüssel zur Nutzung übergeben. Er schickte das ihm übersandte Empfangsbekenntnis nicht zurück. Auf Veranlassung der Beklagten fand am 14.10.2014 ein Gespräch statt, in dem er mitteilte, dass er in einem Gespräch mit seinem Teamleiter den Eindruck gewonnen habe, er könne wählen, ob er an dem System teilnehmen wolle.
40Am 30.10.2014 fand ein weiteres Gespräch statt, an dem neben dem Kläger der Fachbereichsleiter Personal und Bildung N und der Leiter des Omnibusbetriebs T teilnahmen. Sie erläuterten ihm das RIBAS-System und die Art und Weise, wie der Datenschutz beachtet wird. Sie wiesen auf die Beteiligung des Landesdatenschutzbeauftragten hin und forderten ihn auf, den RIBAS-Schlüssel ab sofort zu nutzen.
41Nach einer Schulung zum Umgang mit dem RIBAS-System hatte der Kläger bis zum 14.12.2014 Urlaub bzw. Freizeitausgleich. Am 15.12. und 16.12.2014 nutzte er den RIBAS-Schlüssel nicht.
42Mit Schreiben vom 18.12.2014 (Bl. 4, 5 d.A.) mahnte ihn die Beklagte ab und teilte mit, dass sie zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen erwarte, dass er sich vor jeder Fahrt im RIBAS-System anmelde. Bei Übergabe der Abmahnung wurde ihm angeboten, noch einmal eine Einweisung in das System zu erhalten. Er nahm das Angebot nicht an.
43Anschließend war er bis zum 02.01.2015 arbeitsunfähig krank.
44In der Zeit vom 03.01. bis 09.01.2015 nutzte er das System an sechs Arbeitstagen. Ab dem 12.01.2015 verwendete er den anonymen Schlüssel an elf Arbeitstagen nicht.
45Am 30.01.2015 führte er ein Gespräch mit seinem Teamleiter T1, in dem er erklärte, er wolle sich zu der Angelegenheit nicht äußern und sie gerichtlich klären lassen.
46Mit Schreiben vom 05.02.2015 (Bl. 69 d.A.) erteilte die Beklagte ihm eine weitere Abmahnung wegen unterlassener Anmeldung zum RIBAS-System. Die Abmahnung wurde ihm am 12.02.2015 persönlich übergeben und gleichzeitig erläutert, die Beklagte erwarte von ihm die Einhaltung des Verfahrens unabhängig von einer gerichtlichen Klärung seiner Auffassung, an diesem System nicht teilnehmen zu müssen. Er wurde auf die Gefährdung des Bestandes seines Arbeitsverhältnisses hingewiesen.
47Am 19., 20. und 21.02.2015 unterließ er es erneut, den RIBAS-Schlüssel einzusetzen.
48Mit Schreiben vom 26.02.2015 (Bl. 70 d.A.) erteilte ihm die Beklagte eine dritte Abmahnung. Mit Schreiben vom gleichen Tag forderte sie ihn noch einmal eindringlich auf, sich vor jedem Dienstantritt im RIBAS-System anzumelden. Die Schreiben gingen dem Kläger am 04.03.2015 zu.
49Am 05.03. und 06.03.2015 verrichtete er seinen Dienst, ohne sich in dem System anzumelden.
50Mit Schreiben vom 10.03.2015 (Bl. 77 bis 81 d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu ihrer Absicht an, das zu dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis verhaltensbedingt außerordentlich, hilfsweise außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres, mithin zum 30.09.2015 zu kündigen. Am 11.03.2015 (Bl. 82 d.A.) erteilte der Betriebsrat seine Zustimmung sowohl zu der beabsichtigten außerordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung sowie zu der beabsichtigten außerordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung mit einer sozialen Auslauffrist zum 30.09.2015.
51Mit Schreiben vom 12.03.2015 (Bl. 28 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich zum 13.03.2015 und hilfsweise außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum 30.09.2015. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 12.03.2015 zu.
52Mit seiner am 06.01.2015 bei dem Arbeitsgericht Bochum eingegangenen Klage begehrt er die Verpflichtung der Beklagten zur Entfernung der Abmahnung vom 18.12.2014 aus seiner Personalakte.
53Mit Klageerweiterung vom 22.02.2015, am 02.03.2015 bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangen, verfolgt er einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 05.02.2015 aus der Personalakte.
54Mit Klageerweiterung vom 09.03.2015, bei dem Arbeitsgericht Bochum am 11.03.2015 eingegangen, wendet er sich gegen die Abmahnung vom 26.02.2015.
55Mit Klageerweiterung vom 12.03.2015, am selben Tag bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangen, begehrt er die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12.03.2015 nicht aufgelöst wird.
56Er hat vorgetragen:
57Eine Pflicht zur Teilnahme an dem RIBAS-System durch Nutzung des anonymisierten Schlüssels bestehe nicht. Die Betriebsvereinbarung sei unwirksam. Entsprechend sei er zu Unrecht abgemahnt worden.
58Nach dem Bundesdatenschutzgesetz bedürfe die Erhebung personenbezogener Daten seiner Einwilligung. Er habe diese Einwilligung nicht erteilt.
59Zwar sei das Begehren der Beklagten, Energiekosten zu sparen, legitim. Die Erhebung von Daten in diesem Zusammenhang sei jedoch nicht zwingend erforderlich. Die Daten könnten durchaus Erkenntnisse im Hinblick auf die Ursachen des Energieverbrauchs liefern. Mit der Datenerhebung sei jedoch auch eine persönliche Kontrolle des einzelnen Fahrers verbunden, der einen erhöhten Energieverbrauch z.B. durch bestimmte Verkehrsereignisse nicht erläutern könne. Auch bei den anonymisierten Fahrern könnten die Daten durch Hinzuziehung des Dienstplanes personalisiert werden. So könne ein Verhaltensprofil erstellt werden.
60Der zentrale Server, auf dem die Daten gespeichert würden, befinde sich bei der Firma MiX Telematix in London. Der Datenschutzbeauftragte habe dort keinen Zugriff.
61Ihm sei unbekannt, wie viele Mitarbeiter bei der Beklagten Zugriff zu den Daten hätten. Im Übrigen sei es unerheblich, welche Mitarbeiter die Daten einsehen könnten. Es reiche schon aus, dass die Beklagte in der Lage sei, durch ihre Beauftragten die Personalisierung trotz seiner fehlenden Einwilligung vorzunehmen.
62Er habe dem Betriebsrat nicht das Mandat erteilt, über sein informationelles Selbstbestimmungsrecht zu verfügen. Die Betriebsvereinbarung greife in sein Persönlichkeitsrecht ein.
63In den Gesprächen mit der Beklagten habe er darauf hingewiesen, er wolle gerichtlich überprüfen lassen, ob er zum Einsatz des anonymisierten Schlüssels verpflichtet sei. Nach gerichtlicher Entscheidung zugunsten der Beklagten hätte er ihrer Weisung Folge geleistet.
64Die Erhebung seiner Daten sei auch nicht erforderlich gewesen, um die Daten eines vorhergehenden oder nachfolgenden Fahrers verlässlich zuordnen zu können. Anlässlich einer Schulung im Januar 2014 habe ein Referent darauf hingewiesen, dass durch das Ein- und Ausschalten der Zündung die Daten einem gesteckten Datenschlüssel zugeordnet und nur diejenigen Daten gemessen würden, die nach dem Einschalten der Zündung erhoben worden seien.
65Die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist nicht gewahrt. Selbst wenn er sich zu Unrecht geweigert hätte, den RIBAS-Schlüssel zu betätigen, so habe die Kündigungserklärungsfrist mit seiner Erklärung begonnen, er bediene den Schlüssel bis zu einer gerichtlichen Klärung nicht.
66Das Festhalten an seinem Arbeitsverhältnis sei der Beklagte zuzumuten. Durch seine fehlende Mitwirkung an der Datenerfassung habe sie keine erheblichen Nachteile erlitten. Es werde auch bestritten, dass ein nachfolgender Fahrer Nachteile erlitten habe.
67Das System könne auch ohne ihn bestehen, da die Beklagte nach eigenen Angaben seit Einführung bereits 365.000 Liter Dieselkraftstoff eingespart habe.
68Im Übrigen habe er nicht schuldhaft gehandelt, sondern habe sich in einem durchaus gut begründeten und vertretbaren Verbotsirrtum befunden.
69Der Kläger hat beantragt,
70- 71
1. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 aus der Personalakte zu entfernen,
- 72
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 12.03.2015 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
74die Klage abzuweisen.
75Sie hat die ausgesprochene Kündigung und die Abmahnungen als wirksam verteidigt ausgeführt:
76Es hätten sich weniger als 10 % der bei ihr beschäftigten Fahrer gegen eine Teilnahme an dem Prämiensystem entschieden.
77Auch diese Arbeitnehmer seien verpflichtet, einen anonymisierten Schlüssel zu benutzen. Werde dieser nicht eingesetzt, werde die Auswertung aus technischen Gründen automatisch dem nachfolgenden Fahrer zugerechnet. Das System benötige für die Messung und Zurechnung der Daten zu einem Fahrer einen Start- und Endpunkt. Die Ergebnisse des nachfolgenden Fahrers seien zwingend falsch, wenn nicht nur seine eigene Fahrleistung erfasst werde. Die Firma TL habe das RIBAS-System bereits in anderen Unternehmen erfolgreich eingesetzt.
78Die Daten des Klägers würden grundsätzlich anonymisiert. Nur ausnahmsweise würden die Datensätze in Abstimmung mit dem Betriebsrat personalisiert, wenn erhebliche Überschreitungen der Grenzwerte im Vergleich zu den durchschnittlichen Ergebnissen erkennbar seien. Es werde dann lediglich geprüft, ob Schulungsmaßnahmen zu veranlassen seien.
79Es erfolge auch keine minutengenaue Auswertung der Fahrsituationen. Es würden lediglich Durchschnittswerte wiedergegeben, wie sich aus dem Bewertungsbericht für die Zeit vom 05.04.2015 bis zum 11.04.2015 (Bl. 68 d.A.) ergebe.
80Die Erfahrungen mit dem System aus den ersten Monaten zeigten, dass in erheblichen Maße Dieselkraftstoff eingespart worden, dass die Kundenzufriedenheit aufgrund der vorausschauenden Fahrweise gestiegen sei und sogar Fahrpläne besser eingehalten würden. Nach Einschätzung der Fahrer und Führungskräfte sei die Verkehrssicherheit gestiegen.
81Der Kläger habe beharrlich gegen seine Verpflichtung verstoßen und hätte sich bis zu einer gerichtlichen Entscheidung mit dem anonymisierten Schlüssel in dem System anmelden müssen.
82Eine Weiterbeschäftigung sei ihr unzumutbar. Der Kläger sei gewarnt gewesen und habe die Konsequenzen seiner Weigerung in Kauf genommen.
83Mit Urteil vom 27.05.2015 hat das Arbeitsgericht Bochum die Beklagte verurteilt, die Abmahnungen vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 aus der Personalakte zu entfernen, und hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 12.03.2015 aufgelöst worden ist.
84Es hat ausgeführt:
85Die Abmahnungen seien aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, da sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung seines Verhaltens beruhten. Er habe keine Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis verletzt.
86Er habe sich nicht bei Fahrtbeginn durch Nutzung des anonymisierten Schlüssels anmelden müssen.
87Die Betriebsparteien hätten mit Abschluss der Betriebsvereinbarung die ihnen nach § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG obliegende Pflicht verletzt, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.
88Die Regelung in der Betriebsvereinbarung, auch diejenigen Fahrer, die nicht am Prämiensystem teilnähmen, fortlaufend zu überwachen, sei nicht erforderlich.
89Die Beklagte könne die unter § 2 BV genannten Ziele auch erreichen, wenn sie die Fahrer, die sich gegen die Teilnahme an dem Prämiensystem entschieden hätten, nicht überwache. Sie hätte als milderes Mittel dafür Sorge tragen müssen, dass Aufzeichnungen der Fahrdaten nur in den Zeiträumen erfolgten, in denen am Prämiensystem teilnehmende Fahrer ihre Schlüssel nutzten. Sie hätte ein System einsetzen müssen, dass die Daten nicht fortlaufend erfasse.
90Soweit sie darauf verweise, „auffällige Fahrer“ könnten durch die Überwachung einer Schulung zugeführt werden, hätte es ein milderes Mittel dargestellt, regelmäßig ohne entsprechende Leistungskontrolle vorbeugende Schulungen bei sämtlichen Mitarbeitern durchzuführen. Eine Dauerüberwachung der Mitarbeiter sei entbehrlich.
91Es sei auch nicht erforderlich, dass die Daten ohne zeitliche Begrenzung gespeichert würden.
92Insgesamt sei der Eingriff in das Grundrecht des Klägers unverhältnismäßig.
93Aus diesem Grunde seien auch die Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen.
94Darüber hinaus enthielten die Abmahnungen vom 05.02.2015 und 26.02.2015 unrichtige Tatsachenbehauptungen. Die Beklagte habe darauf hingewiesen, dass die Daten auf einem anonymen Account abgespeichert würden und nicht zuzuordnen seien. Wie sich aus § 10 BV ergebe, sei dieser Hinweis unzutreffend.
95Weiterhin habe die beweisbelastete Beklagte nicht unter Beweis gestellt, dass ihre Behauptung in den Abmahnungen, die Vorgehensweise sei mit dem Landesdatenschutzbeauftragten abgesprochen, zutreffend sei.
96Die Kündigung vom 12.03.2015 sei sozial ungerechtfertigt, da die Beklagte einen Kündigungsgrund im Sinne des § 1 KSchG nicht dargelegt habe.
97Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf Blatt 106 bis 114 der Akte verwiesen.
98Gegen das ihr am 08.06.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.06.2015 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese am 07.08.2015 eingehend begründet.
99Sie rügt das erstinstanzliche Urteil als fehlerhaft und führt aus:
100Es sei erneut darauf hinzuweisen, dass die einem Fahrerschlüssel zugeordneten Daten und das Dienstplanprogramm technisch und organisatorisch getrennt seien. Nur unter Einschaltung der Personalabteilung und mit Zustimmung des Betriebsrates sei die Personalisierung der Daten zulässig.
101Diese würden kontinuierlich aufgezeichnet und an einen Server der Firma L1 in einem Rechenzentrum in London übermittelt und dort gespeichert. Sie habe mit der Firma L1 eine Vereinbarung über die Auftragsdatenverarbeitung geschlossen, die den Vorgaben des § 11 Bundesdatenschutzgesetz entspreche. Auch in Großbritannien gelte europarechtliches Datenschutzrecht. Das Rechenzentrum sei zertifiziert.
102Die gespeicherten Daten würden 12 Monate nach der Aufzeichnung gesperrt. Diese Speicherdauer sei notwendig, um Nachfragen im Zusammenhang mit der Prämienvergabe beantworten zu können. Seien die Daten gesperrt, habe sie keinen Zugriff mehr. Aus rechtlichen Gründen würden sie bis zu weiteren neun Jahren auf einem externen Datenmedium gespeichert.
103Nach Angaben des Herstellers sei es technisch nicht möglich, die erhobenen Daten auf dem Server bzw. dem Speicher zu sortieren und nur die Daten von am Prämiensystem teilnehmenden Mitarbeitern zu speichern. Entsprechend sei auch keine getrennte Aufzeichnung möglich.
104Zwar sei es möglich, durch Unterbrechung des Zündkontaktes die Datenzuschreibung auf den nachfolgenden Fahrer zu verhindern. Allerdings beanspruche dieser Vorgang etwa zwei Minuten und führe zu erhöhten Emissionen.
105Die Betriebsvereinbarung stelle eine ergänzende Vereinbarung im Sinne von § 6 der Rahmenbetriebsvereinbarung über die Einführung von EDV-Systemen und bereits bestehenden EDV-Systemen vom 01.10.1996 dar.
106Der Kläger habe keine arbeitsrechtlichen Sanktionen im Falle ungünstiger Daten zu besorgen, da die Betriebsparteien festgehalten hätten, dass arbeitsrechtliche Sanktionen infolge der erhobenen Daten nicht zulässig seien.
107Ein Abgleich zwischen den Dienstplänen und den erhobenen Daten sei nicht allgemein möglich. Die Dienstpläne der Fahrer würden nicht allgemein veröffentlicht.
108Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichtes seien theoretische Schulungen und ein Fahrtraining nicht so wirksam wie die Teilnahme am RIBAS-System, das sofort in der Situation ein Feedback gebe. Das zeige sich auch darin, dass sie zwar seit vielen Jahren regelmäßig alle Fahrer schule, nach Einführung des RIBAS-Systems dennoch deutliche Verbesserungen festzustellen seien.
109Die Ziele der Betriebsvereinbarung seien auch nur erreichbar, wenn alle Mitarbeiter die Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Fahrweise nutzten. Durch optische und akustische Signale werde der Fahrer aufmerksam gemacht und veranlasst, seine Fahrweise zu optimieren. Die Wirksamkeit der Maßnahme wäre beeinträchtigt, nähmen nur Arbeitnehmer teil., die ausdrücklich in die personalisierte Datenerhebung eingewilligt hätten.
110Die Eingriffsintensität sei geringer als bei einer Videoüberwachung. Es würden nur Maschinendaten erhoben. Persönlichkeitsrelevante Merkmale wie Verhalten gegenüber Kunden und anderen Verkehrsteilnehmern, Pünktlichkeit, Gesprächsverhalten während der Fahrt blieben außen vor. Es sei nicht möglich, ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen.
111Die Belastung der einzelnen Fahrer sei gering, da das System im Wesentlichen zur Selbstkontrolle anhalte. Die Fremdkontrolle greife nur ausnahmsweise ein. Unter gewöhnlichen Umständen würden die anonym erhobenen Daten nicht personalisiert.
112Entsprechend habe der Landesdatenschutzbeauftragte die Betriebsvereinbarung für wirksam angesehen.
113Auch die erteilten Abmahnungen seien wirksam. Die Abmahnungen vom 05.02.2015 und 26.02.2015 enthielten keine unzutreffenden Angaben zum Sachverhalt.
114Die Kündigung sei als außerordentliche, fristlose Kündigung wirksam, da es der Kläger beharrlich abgelehnt habe, den Schlüssel zu benutzen, statt die Angelegenheit zunächst rechtlich klären zu lassen. Die Kündigung sei zumindest als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gerechtfertigt.
115Die Beklagte beantragt,
116das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 27.05.2015
117– Az: 5 Ca 24/15 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
118Der Kläger beantragt,
119die Berufung zurückzuweisen.
120Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und führt ergänzend aus:
121Es könne dahinstehen, ob das Dienstplanprogramm und das RIBAS-System technisch getrennt gefahren würden. Die Mitarbeiter der Beklagten, die Zugriff auf beide Systeme hätten, könnten eine Zuordnung vornehmen. Das ergebe sich aus dem eigenen Vortrag der Beklagten.
122Er bestreite, dass die erforderliche Datensicherheit im Rechenzentrum in London gegeben sei und nach 12 Monaten die Daten gelöscht würden.
123Es müsse technisch möglich sein, die erhobenen Daten der anonymisierten Fahrer und der Teilnehmer an dem Prämiensystem getrennt zu speichern und unterschiedlich zu behandeln. Sei dies nicht möglich, dürfe die Beklagte das System nicht verwenden.
124Für die Entscheidung sei unmaßgeblich, ob er konkreten Anlass habe zu befürchten, sie werde die Regeln zur Personalisierung seiner Daten nicht einhalten. Maßgeblich sei, dass sie in der Lage sei, die Personalisierung vorzunehmen.
125Die Betätigung des RIBAS-Schlüssels durch die Mitarbeiter, die nicht am Prämiensystem teilnähmen, sei nicht erforderlich. Der Datenfluss könne, wie die Beklagte eingeräumt habe, durch Unterbrechung des Zündkontaktes beendet werden.
126Die Schulung der Mitarbeiter, die nicht an dem Prämienverfahren teilnähmen, sei zu Recht von dem erstinstanzlichen Gericht als mildere Maßnahme beurteilt worden.
127Die Abmahnungen vom 05.02. und 26.02.2015 seien entgegen der Auffassung der Beklagten auch deshalb rechtswirksam, weil sie zu Unrecht ausgeführt habe, seine Daten seien nicht zuzuordnen, und zu Unrecht darauf verwiesen habe, der Landesdatenschutzbeauftragte sei beteiligt worden. Das habe sie jedenfalls in der ersten Instanz nicht schlüssig vorgetragen.
128Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
129Entscheidungsgründe
130A.
131Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 b, c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte und form- sowie fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum ist im Wesentlichen begründet.
132I.
133Die zulässige Kündigungsschutzklage ist teilweise begründet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis hat durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 12.03.2015 mit sozialer Auslauffrist am 30.09.2015 geendet.
1341. Die Kündigung ist nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
135a. Die Beklagte hat schlüssig dargelegt, den bei ihr bestehenden Betriebsrat mit Schreiben vom 10.03.2015 von ihrer Absicht unterrichtet zu haben, das zu dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2015 kündigen zu wollen. Sie hat ihn zutreffend über die Sozialdaten des Klägers (Alter, Beschäftigungszeit, Unterhaltspflichten) informiert. Durch Hinweis auf die Beschäftigungsdauer und Kennzeichnung der hilfsweise auszusprechenden Kündigung als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist hat sie klargestellt, dass der Kläger nicht ordentlich kündbar ist. Die Kündigungsgründe hat sie im Einzelnen unter Darstellung der erteilten Abmahnungen beschrieben und ihre Interessenabwägung detailliert begründet.
136b. Das Anhörungsverfahren war mit der Zustimmung des Betriebsrats vom 11.03.2015 sowohl zu der fristlosen Kündigung als auch zu der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist vor Kündigungsausspruch am 12.03.2015 beendet.
137Der Kläger hat den Vortrag nicht bestritten.
1382. Die Beklagte hat die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
139Wie sich aus der Betriebsratsanhörung ergibt, hat sie ihren Kündigungsentschluss nicht – wie vom Kläger angenommen – auf seine Weigerung am 30.01.2015 gestützt, sich mit einem Schlüssel zu dem RIBAS-System anzumelden. Sie hat auf den Nichtgebrauch des Schlüssels am 05.03.2015 und 06.03.2015 abgestellt.
140Bei Beginn der Kündigungserklärungsfrist am 06.03.2015 endete sie am 20.03.2015. Die Kündigungserklärung ging dem Kläger am 12.03.2015 zu.
1413. Die außerordentliche fristlose Kündigung ist jedoch nicht im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB durch Tatsachen gerechtfertigt, aufgrund derer es der Beklagten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfall und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar war, das Arbeitsverhältnis wenigstens für die Dauer der sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum Quartalsende entsprechend der längsten Kündigungsfrist nach § 20 Abs. 4 TV-N NRW fortzuführen.
142Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung ist in zwei Stufen zu prüfen. Zunächst müssen Tatsachen vorliegen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zu bilden. Im zweiten Schritt ist festzustellen, ob unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls eine weitere Beschäftigung zumutbar ist (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 - Rdnr. 16, BAGE 134, 349).
143a. Ein an sich zur fristlosen Kündigung berechtigender wichtiger Grund ist gegeben, da sich der Kläger beharrlich geweigert hat, seiner Verpflichtung aus § 4 Abs. 2 BV nachzukommen, sich trotz Ablehnung der Teilnahme an dem Prämiensystem mit einem anonymisierten Schlüssel anzumelden.
144aa. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BV erhalten Fahrer, die nicht an dem personalisierten Berichts- und Prämiensystem teilnehmen, für die Anmeldung an das RIBAS-System einen anonymisierten Schlüssel. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 BV bleibt die Pflicht zur generellen Teilnahme an diesem System bestehen, auch wenn der Fahrer seine Zustimmung zur Datenerhebung im personalisierten System nicht erteilt.
145Der Kläger hat diese Verpflichtung am 05.03.2015 und 06.03.2015 nicht erfüllt.
146bb. Die sich aus der Betriebsvereinbarung ergebende Pflicht ist mit höherrangigem Recht vereinbart.
147(1) Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist.
148(a) Die Beklagte erhebt, verarbeitet und nutzt automatisiert die erhobenen Daten im Sinne des § 3 Abs. 3, 4, 5 Bundesdatenschutzgesetz, indem sie die nach § 3 BV ermittelten Durchschnittswerte nach § 6 Abs. 2 BV der Berechnung der Monatsprämie zugrunde legt und in Einzelfällen bei erheblichen Überschreitungen der Werte in Bezug auf die im jeweiligen Betrieb durchschnittlichen Überschreitungen der Grenzwerte nach Abstimmung mit dem Betriebsrat die anonym erhobenen Daten personalisiert, um gegebenenfalls Schulungsmaßnahme zu veranlassen, § 10 Satz 3 BV.
149(b) Es handelt sich um persönliche Daten im Sinne des § 3 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz, nämlich um Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmbaren Person.
150Die Daten beziehen sich auf das Fahrverhalten des Fahrers, damit auf seine Leistung, die Art und Weise der Erfüllung seiner Hauptpflicht aus dem Arbeitsvertrag.
151Der Kläger ist als betroffene Person auch bestimmbar. Der Betroffene ist bestimmbar, wenn er mithilfe weiterer verfügbarer Erkenntnisse identifiziert werden kann, und zwar mit angemessenem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft, wie aus § 3 Abs. 6 Bundesdatenschutzgesetz folgt (Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand 2015, § 3 BDSG Rdnr. 3).
152Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass der Anonymisierungsschutz ohne großen Aufwand durch Hinzuziehung der Dienstpläne aufgehoben werden kann.
153(2) Gemäß § 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten zulässig, wenn das Bundesdatenschutzgesetz oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet oder der Betroffene eingewilligt hat.
154Der Kläger hat seine Einwilligung nicht erteilt. Eine Erlaubnis folgt jedoch aus der Betriebsvereinbarung.
155(a) Als Rechtsvorschrift im Sinne des § 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz ist auch eine Betriebsvereinbarung anzusehen (BAG 15.04.2014 – 1 ABR 2/13 (B) - Rdnr. 49, NZA 2014, 541; ErfK/Franzen, 16. Aufl., § 4 BDSG Rdnr. 2; Wybitul, NZA 2014, 225).
156Hier erlaubt die Betriebsvereinbarung die Erhebung anonymer Daten, die im Ausnahmefall auch personalisiert werden dürfen.
157(b) Die nach § 87 Abs. 1, 6 BetrVG von den Betriebsparteien abgeschlossene Betriebsvereinbarung ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht unwirksam. Sie verstößt nicht gegen § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.
158Danach haben Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben demnach bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung das aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht zu beachten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Die Zuordnung eines konkreten Rechtschutzbegehrens zu den verschiedenen Aspekten des Persönlichkeitsrechts richtet sich vor allem nach der Persönlichkeitsrechtsgefährdung. Außerhalb des absoluten Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Es kann deshalb durch verfassungsgemäße Gesetze eingeschränkt werden. Derartige Regelungen können auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen enthalten. Der Gesetzgeber genügt insoweit seiner Pflicht, die Arbeitnehmer als Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Grundrechte durch privatautonome Regelungen zu bewahren, indem er die Betriebsparteien in § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verpflichtet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen (BAG 15.04.2014 a.a.O. Rdnr. 40).
159Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugunsten schützenswerter Belange eines anderen Grundrechtsträgers richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser verlangt eine Regelung, die geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Den Betriebsparteien dürfen zur Zielerreichung keine anderen, gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Eine Regelung ist verhältnismäßig im engeren Sinn, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (BAG 15.04.2014 a.a.O. Rdnr. 41).
160Nach diesen Grundsätzen beeinträchtigt die Erhebung von Leistungsdaten bei dem Kläger, die nur ausnahmsweise personalisiert werden, sein allgemeines Persönlichkeitsrecht in Form des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung nicht in unverhältnismäßiger Weise.
161(aa) Das Gericht geht zu seinen Gunsten davon aus, dass das RIBAS-System in sein Persönlichkeitsrecht eingreift. Es ist zwar nicht wie bei einer Taschenkontrolle seine Privatsphäre unmittelbar betroffen (vgl. zur Taschenkontrolle BAG 15.04.2015 a.a.O. Rdnr. 43). Es wird aber sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung berührt. Die Selbstbestimmungsfreiheit ist Teil des nach Artikel 2 Abs. 1 GG geschützten Bereichs (Richardi, BetrVG, 14. Aufl., § 75 BetrVG Rdnr. 46; Beck OK BGB/Bamberger § 12 BGB Rdnr. 93).
162Solange die Daten des Klägers anonymisiert sind, unterliegt er keiner Leistungskontrolle. Wird dieser Schutz bei überdurchschnittlich negativen Werten aufgehoben, ist naturgemäß eine Leistungskontrolle gegeben. Im Regelfall bleibt er anonym. Zu seinem Selbstbestimmungsrecht gehört auch die Entscheidung, sich während der Fahrtätigkeit nicht dauernd von akustischen und optischen Signalen beeinflussen zu lassen, sich nicht ständig vergegenwärtigen zu müssen, dass überdurchschnittlich negative Werte zu einer tatsächlichen Leistungskontrolle führen können.
163(bb) Die Regelung, dass auch Fahrer, die nicht an dem Prämiensystem teilnehmen, durch Benutzung eines anonymen Schlüssels die Datenerhebung nach dem RIBAS-System auslösen müssen und dass unter bestimmten Voraussetzungen ihre Daten personalisiert werden, ist geeignet, den erstrebten Erfolg zu fördern, wobei den Betriebsparteien ein Beurteilungsspielraum zukommt (BAG 29.06.2004 – 1 ABR 21/03 - Rdnr. 18).
164Nach der Präambel zu der BV ist es Ziel der Betriebsparteien, die Fahrökonomie zu steigern und den Fahrer bei einfacher Handhabung zu unterstützen, sicher, umweltbewusst und kostensparend seine Tätigkeit auszuführen. Diese allgemeine Zielsetzung ist in § 2 BV konkretisiert worden. Erstrebt wird die Entlastung des Fahrers bei höherer persönlicher Zufriedenheit, die Steigerung der Kundenzufriedenheit, die Verringerung ökologischer Beeinträchtigungen wie CO 2- Emissionen und Verkehrslärm sowie die Reduzierung von Energiekosten und Materialverschleiß.
165Dass es sich dabei um legitime, im Interesse der Beklagten, der Beschäftigten und der Allgemeinheit liegende Ziele handelt, hat der Kläger nicht in Abrede gestellt.
166Das RIBAS-System ist auch geeignet, diese Ziele zu erreichen.
167Es fördert die Selbstkontrolle der Fahrer. Nach § 3 BV wird das RIBAS-Display mit einer Kabelverbindung an den Bordcomputer angeschlossen und vermittelt dem Fahrer akustische und optische Signale, aus denen er unmittelbar schließen kann, ob er zu hochtourig fährt, Leerlaufzeiten überschreitet, zu scharf bremst, zu stark beschleunigt oder vorgeschriebene Geschwindigkeiten überschreitet. Er kann unmittelbar reagieren und seine Fahrweise anpassen. Durch die Signale wird er immer wieder zu einer Selbstkontrolle stimuliert.
168Die Aufzeichnung und Speicherung der Daten im Sinne einer Berichterstattung fördert den Leistungsvergleich der Fahrer untereinander. Gemäß § 5 Abs. 1 BV erhalten die Fahrer, die an dem Berichts- und Prämiensystem teilnehmen, einen persönlichen Detailbericht. Der Leiter des Betriebs erhält nach § 5 Abs. 2 BV einen Fahrerbewertungsbericht, der gemäß § 5 Abs. 3 BV anonymisiert allen Fahrern im Aufenthaltsraum durch Aushang zur Kenntnis gegeben wird. Auch die Fahrer, die nur anonym teilnehmen, haben damit die Möglichkeit, ihren persönlichen Fahrstil anhand der Ergebnisse der Kollegen zu reflektieren.
169Das RIBAS-System ermöglicht es der Beklagten zum anderen, im Ausnahmefall unter den Voraussetzungen des § 10 Satz 3 BV auf das Fahrverhalten der nicht an dem Prämiensystem teilnehmenden Fahrer durch Schulungsmaßnahmen einzuwirken, überhaupt erst einmal einen Schulungsbedarf festzustellen.
170Dass die Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem erstrebten Ziel förderlich sind, zeigt die Tatsache, dass ab dem 01.09.2014 bis April 2015 bereits 365.000 Liter Dieselkraftstoff eingespart wurden. Die Behauptung der Beklagten, die erstrebte vorausschauende Fahrweise ohne starkes Beschleunigen oder Bremsen sei für die Fahrgäste angenehm und diene der Verkehrssicherheit, ist lebensnah und nachvollziehbar.
171(cc) Die Erhebung der Daten auch bei Fahrern wie dem Kläger, grundsätzlich anonym, im Einzelfall personalisiert, ist entgegen seiner Auffassung auch erforderlich.
172Eine Maßnahme ist dann erforderlich, wenn andere, gleich wirksame und das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers weniger einschränkende Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen (BAG 15.04.2013 a.a.O. Rdnr. 46). Die Betriebsparteien haben auch hier einen Beurteilungsspielraum (BAG 29.06.2004 a.a.O. Rdnr. 19).
173Die Kammer teilt die Auffassung der Beklagten, dass die Anordnung von Schulungsmaßnahmen bei sämtlichen Fahrern ohne die Kontrolle durch das RIBAS-System nicht gleich wirksam ist. Schulungsmaßnahmen vermitteln theoretische Kenntnisse, die jedoch der Umsetzung in der Praxis bedürfen. Zwar kann ein praktisches Fahrtraining als Begleitmaßnahme die Möglichkeit eröffnen, Erlerntes anzuwenden und erste Erfahrungen zu sammeln. Gleichwohl verfestigt sich Erlerntes erst dann, wenn es hier den Fahrstil so prägt, dass ökologisches und ökonomisches Fahren zur Selbstverständlichkeit wird, keiner Reflektion mehr bedarf. Das erfordert ständiges Üben und ein kontinuierliches Feedback, das den Fahrern im Alltagsbetrieb durch die optischen und akustischen Signale des RIBAS-Systems ständig gegeben wird. Auch die nicht an dem Prämiensystem teilnehmenden Fahrer werden durch die Vereinbarung in § 4 Abs. 2 Satz 2, Satz 4 BV zur Selbstkontrolle angehalten. Durch den Aushang von Berichten nach § 5 Abs. 3 BV erhalten sie die mangels Vorliegens eigener konkreter Daten die eingeschränkte, aber gleichwohl zu nutzende Möglichkeit, ihren Fahrstil in Bezug zu dem Gesamtergebnis zu setzen.
174Die Beklagte hat die Möglichkeit, monatlich festzustellen, ob im anonymisierten Datenbestand in Einzelfällen eine erhebliche Überschreitung der in § 4 Abs. 1 BV aufgeführten Grenzwerte in Bezug auf den Durchschnitt vorliegt, und kann diese Fahrer nach vorheriger Aufhebung der Anonymisierung mit Zustimmung des Betriebsrats gezielt einer Schulungsmaßnahme zuführen. Sie kann ihnen die Defizite konkret aufzeigen, so die Motivation steigern, sich (erneut) schulen zu lassen.
175Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob es technisch möglich ist, das RIBAS-System auch zu nutzen, wenn nur die an dem Prämiensystem beteiligten Fahrer den Schlüssel benutzen, um das System zu starten.
176(dd) Die dem Kläger auferlegte Pflicht, mit einem anonymisierten Schlüssel an der Datenerhebung teilzunehmen, sowie die Regelung zur Aufhebung des Datenschutzes sind angemessen.
177Angemessen ist die Regelung, wenn sie verhältnismäßig im engeren Sinne erscheint. Es bedarf hier einer Gesamtabwägung zwischen der Intensität des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe. Die Grenze der Zumutbarkeit darf nicht überschritten werden. Die erforderliche Rechtsgüterabwägung kann nicht ab-strakt vorgenommen werden. Vielmehr sind jeweils die Gesamtumstände maßgeblich. Dabei ist für die Angemessenheit einer grundrechtsbeschränkenden Maßnahme die Eingriffsintensität mitentscheidend. Es ist bedeutsam, wie viele Personen wie intensiven Beeinträchtigungen ausgesetzt sind und ob diese Personen hierfür einen Anlass gegeben haben. Das Gewicht der Beeinträchtigung hängt auch davon ab, ob die Betroffenen als Personen anonym bleiben, welche Umstände und Inhalte der Kommunikation erfasst werden können und welche Nachteile den Grundrechtsträgern aus der Überwachungsmaßnahme drohen oder von ihnen nicht ohne Grund befürchtet werden. Relevant ist auch, ob die Überwachungsmaßnahmen in einer Privatwohnung oder in Betriebs- und Geschäftsräumen stattfinden und ob und in welcher Zahl unverdächtige Dritte mit betroffen sind (BAG 29.06.2004 a.a.O. Rdnr. 20).
178Die Intensität der Beeinträchtigung hängt ferner maßgeblich von der Dauer und der Art der Überwachungsmaßnahme ab. Das als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedarf unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung eines besonderen Schutzes. Es ist vor allem deshalb gefährdet, weil mit dieser Technik Informationen über bestimmte Personen grundsätzlich unbegrenzt speicherbar und jederzeit abrufbar sind und mit anderen Datensammlungen zu einem Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden können, ohne dass der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann. Diese technischen Möglichkeiten sind geeignet, bei den betroffenen Personen einen psychischen Anpassungsdruck zu erzeugen (BAG 29.06.2004 a.a.O. Rdnr. 21).
179Hier findet die Datenerhebung allein am Arbeitsplatz des Klägers statt. Der Kernbereich seiner Lebensführung ist nicht betroffen. Anders als bei einer Videoüberwachung muss er sich nicht bei jeder Bewegung kontrollieren, wird nicht seine Körpersprache bei der Arbeit oder in der Kommunikation mit Vorgesetzten, Kollegen oder Fahrgästen aufgezeichnet. Es werden lediglich Fahrzeugdaten erhoben, die Indikatoren für eine erwünschte bzw. unerwünschte Fahrweise sind.
180Dem Kläger ist zuzugestehen, dass z.B. scharfes Bremsen oder eine starke Beschleunigung der Verkehrssituation geschuldet sein können, ohne dass er die Möglichkeit hat, sich zu rechtfertigen. Allerdings sind die Auffälligkeiten nur dann von Bedeutung, wenn sie zu erheblich über dem Durchschnitt liegenden Messwerten führen. Da auch andere Fahrer Verkehrssituation zu bewältigen haben, in denen sie zur Verkehrssicherheit die RIBAS-Vorgaben außer Acht lassen müssen, fließen solche Ausnahmesituationen in die Gesamtbetrachtung ein.
181Im Übrigen zeigt der von der Beklagten vorgelegte Bericht über die Fahrerbewertung (Bl. 68 d.A.), dass keine situationsgebundenen Einzel- oder Detaildaten ausgewertet werden.
182Zu berücksichtigen ist ferner, dass anders als bei einer Torkontrolle oder bei einer Videoüberwachung die bei dem Kläger erhobenen Daten grundsätzlich anonym bleiben. Die Beklagte darf die Anonymisierung auch nicht nach Gutdünken aufheben, da sie sich zuvor mit dem Betriebsrat abzustimmen hat, der damit die Interessen des Betroffenen wahren kann und muss. Nach dem Willen der Betriebsparteien ist die Personalisierung der Daten an eine erhebliche, nicht die bloße Überschreitung der durchschnittlichen Werte gebunden.
183Dass sie in dieser Ausnahmeregelung mit der Formulierung „eine erhebliche Überschreitung“ einen unbestimmten Rechtsbegriff verwendet haben, begegnet keinen Bedenken. Unbestimmte Rechtsbegriffe werden regelmäßig in Normen, auch in Betriebsvereinbarungen verwendet. Dass sie im Streitfall erst im Zuge der Anwendung durch die Gerichte konkretisiert werden, ist darin angelegt. Hier ist zu berücksichtigen, dass sich zunächst die Betriebsparteien darüber verständigen müssen, dass erhebliche Überschreitungen vorliegen. Wann sie erheblich sind, lässt sich im Übrigen unter Berücksichtigung der Regelungen in §§ 2, 3, 4 Abs. 1, 6 BV mit herkömmlichen juristischen Methoden bestimmen.
184Dem Kläger ist zuzugestehen, dass die Personalisierung seiner Daten ohne großen Aufwand möglich ist und deshalb auch missbräuchlich durch Unbefugte erfolgen kann. Die Betriebsvereinbarung kann jedoch nur den Schutzstandard festlegen, schützt aber nicht gegen Pflichtverletzungen durch andere Beschäftigte. Ansonsten könnte die Beklagte überhaupt keine Daten zur Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erheben, da sie regelmäßig zweckwidrig verwendet werden können, selbst wenn sie korrekte, den Anforderungen des Datenschutzes entsprechende Regelungen z.B. zu Zugriffsrechten trifft.
185Bei der Würdigung der Eingriffsqualität der den Kläger betreffenden Regelungen ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine dauerhafte Datenerhebung und -nutzung handelt. Dabei ist jedoch von entscheidender Bedeutung, dass er selbst bei Aufhebung der Anonymisierung keine arbeitsrechtlichen Sanktionen zu besorgen hat, sondern lediglich zu Schulungsmaßnahmen veranlasst werden kann. Die Betriebsvereinbarung enthält keine Regelungen zu Sanktionen. Die Betriebsparteien haben in dem Ergebnisprotokoll vom 22.07.2013 darüber hinaus festgehalten, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen aufgrund der RIBAS-Auswertungen ausgeschlossen sind.
186In die Gesamtabwägung hat des Weiteren einzufließen, dass es nicht nur im wirtschaftlichen Interesse der Beklagten, sondern im ökologischen Interesse der Allgemeinheit liegt, alle Fahrer im öffentlichen Nahverkehr zu einem sicheren, umweltbewussten und kostensparenden Fahrstil zu veranlassen.
187(3) Die Betriebsvereinbarung ist nicht unwirksam, weil sie keine Regelung zur Dauer der Speicherung der erhobenen Daten enthält.
188Treffen die Betriebsparteien keine Regelung, gilt § 35 Abs. 2 Nr. 3 Bundesdatenschutzgesetz. Die Daten sind zu löschen bzw. gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 1 Bundesdatenschutzgesetz zu sperren, wenn ihre Kenntnis für die Erfüllung des Zwecks der Speicherung nicht mehr erforderlich ist.
189Hier werden die Daten ein Jahr nach ihrer Aufzeichnung für den Zugriff durch die Beklagte gesperrt und nur noch im Hinblick auf Verjährungsfristen und Aufbewahrungsfristen nach der Abgabenordnung – bezogen auf die gezahlten Prämien – extern aufbewahrt.
190(4) Die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung wird auch nicht durch die Auftragsvereinbarung extern durch die Firma L1 berührt. Die Auftragsverarbeitung ist gemäß § 11 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz grundsätzlich erlaubt. Die Beklagte trägt die Verantwortung für die Wahrung der gesetzlichen Vorschriften, wie sich auch aus § 11 BV ergibt. Der Kläger kann im Einzelfall seine Rechte aus §§ 6, 7 Bundesdatenschutzgesetz geltend machen.
191(bb) Seine Pflichtverletzungen sind besonders schwerwiegend, weil er sich wiederholt und beharrlich geweigert hat, den anonymisierten Schlüssel zu nutzen. Die Beklagte hat ihm in einem Gespräch am 30.10.2014 die Betriebsvereinbarung zur Information vorgelegt. Sie hat ihm angeboten, ihm die technischen Hintergründe des RIBAS-Systems zu erläutern. Er ist in 2014 im Umgang mit dem System geschult worden. Die Beklagte hat mit ihm am 30.01.2015 erneut ein Gespräch geführt und ihn auf seine Verpflichtung zur Schlüsselnutzung hingewiesen. Weder die Aufklärung noch die Gespräche noch die erteilten drei Abmahnungen konnten ihn davon abhalten, auch am 05.03. und 06.03.2015 das RIBAS-System nicht zu starten.
192(cc) Er hat vorsätzlich gehandelt, da er sich nicht in einem unverschuldeten Rechtsirrtum befand.
193Entschuldbar ist ein Rechtsirrtum über die Rechtslage dann, wenn sie objektiv zweifelhaft ist und der Arbeitnehmer sie sorgfältig geprüft und sich zuverlässig erkundigt hat (BAG 31.01.1985 – 2 AZR 486/83 - Rdnr. 41, NZA 1986, 138). Seine bloße Rechtsüberzeugung reicht nicht aus. Seine Rechtsauffassung muss auf einer bestimmten Gesetzeslage bzw. der bisherigen Rechtsprechung oder bei zweifelhafter Rechtslage auf der Auskunft einer geeigneten neutralen Stelle beruhen.
194Hier ist die Rechtslage zweifelhaft, wie die erstinstanzliche Entscheidung und das Ergebnis des Berufungsverfahrens zeigen. Der Kläger hat zwar auf seine Rechtsüberzeugung hingewiesen, jedoch nicht dargelegt, dass ihm sein Prozessbevollmächtigter nach sorgfältiger Prüfung erklärt hat, er habe im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung keine Verpflichtung, den anonymisierten Schlüssel einzusetzen.
195b. Nach der Interessenabwägung war es der Beklagten jedoch zuzumuten, die soziale Auslauffrist zu wahren.
196Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes oder ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und or-dentliche Kündigung anzusehen, wenn sie schon geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen (BAG 10.06.2010 a.a.O. Rdnr. 34).
197aa. Die Beklagte hat den Kläger dreimal ohne Erfolg abgemahnt. Eine weitere Abmahnung hätte seine Weigerungshaltung nicht beeinflusst, da er nachhaltig an seiner Rechtsauffassung festgehalten hat, den Schlüssel nicht benutzten zu müssen. Eine Verhaltensänderung konnte bei Kündigungsausspruch nicht erwartet werden.
198bb. Bei Würdigung der beiderseitigen Interessen war es der Beklagten nicht zuzumuten, dauerhaft an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten. Das hätte bedeutet, dass der Kläger trotz der unmittelbaren und zwingenden Geltung der wirksamen Betriebsvereinbarung, § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, die sich für ihn ergebenden Pflichten nicht zu erfüllen hätte. Ihr Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegt sein Interesse an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes. Die Kammer hat berücksichtigt, dass das langjährige Arbeitsverhältnis bis in das Jahr 2014 nicht durch Abmahnungen wegen Pflichtverletzungen des Klägers belastet war, mag die Kommunikation zwischen den Parteien schon längere Zeit gestört gewesen sein, wie die Beklagte dem Betriebsrat in der Anhörung berichtet hat. Das von ihr angesprochene Misstrauen des Klägers gegen seine Arbeitgeberin zeigt sich auch in seiner Sorge, sie könne die erhobenen Daten missbrauchen. Diese Sorge ist zwar nachvollziehbar, musste ihn jedoch nicht zwingend veranlassen, seine Pflicht nicht zu erfüllen. Er hätte unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Prüfung, die er bereits durch Klage gegen die ihm erteilten Abmahnungen eingeleitet hatte, den anonymisierten Schlüssel verwenden können. Hätte ihn die Beklagte nach Personalisierung seiner Fahrdaten aufgefordert, an einer Schulungsmaßnahme teilzunehmen, hätte er diese Weisung gerichtlich angreifen können. Er war nicht schutzlos gestellt.
199Gleichwohl war es der Beklagten im Hinblick auf eine Zusammenarbeit, die über mehr als zwei Jahrzehnte reibungslos verlaufen ist, zuzumuten, die soziale Auslauffrist einzuhalten.
200(1) Eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ist nicht durch § 20 Abs. 6 TV-N ausgeschlossen. Schon der Wortlaut der Bestimmung schließt lediglich eine Kündigung ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes aus, nicht aber die Kündigung aus wichtigem Grund mit sozialer Auslauffrist. Ein solches Verständnis widerspricht nicht dem Sinn und Zweck des tariflichen Sonderkündigungsschutzes. Durch ihn sollen länger Beschäftigte, ältere Arbeitnehmer, die im Allgemeinen weniger schnell einen Zugang zu dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden, einen besonderen Arbeitsplatzschutz erhalten (BAG 13.05.2015 – 2 AZR 531/14 - Rdnr. 31, BB 2015, 2682).
201Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen muss zugunsten des Arbeitnehmers eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende soziale Auslauffrist eingehalten werden, wenn das pflichtwidrige Verhalten bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde. Ansonsten wirkte sich der besondere Sonderkündigungsschutz zum Nachteil des Arbeitnehmers aus (BAG 13.05.2015 a.a.O. Rdnr. 44). Allerdings wird bei Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Die Pflichtverletzung muss einerseits so gravierend sein, dass sie im Grundsatz auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnte. Andererseits muss es dem Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zumutbar sein, dennoch die (fiktive) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Ist etwa die Gefahr einer Wiederholung des Pflichtverstoßes für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist auszuschließen, aber nicht darüber hinaus, kann ausnahmsweise gerade der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dazu führen, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist besteht (BAG 13.05.2015 a.a.O. Rdnr. 45; 21.06.2001 – 2 AZR 325/00 - Rdnr. 38, ZTR 2002, 81; 13.04.2000 – 2 AZR 259/99 - Rdnr. 37, EZA § 626 BGB n.F. Nr. 180).
202Nach Auffassung der Kammer war es der Beklagten im Hinblick auf die langjährige Beschäftigung und das Alter des Klägers zuzumuten, für die Dauer eines halben Jahres, jedoch nicht auf Dauer, bei ihm auf die Datenerhebung zu verzichten. Wie sich in der mündlichen Verhandlung herausgestellt hat, lässt es sich durch Unterbrechung der Zündung vermeiden, dass seine Fahrdaten einem anderen Busfahrer zugeschrieben werden, wenn er den Schlüssel nicht benutzt. Nach Angaben der Beklagten sind etwa zwei Minuten aufzuwenden, um die Zündung des Busses auszustellen und ihn neu zu starten. Zu Recht weist sie darauf hin, dass der Neustart zu höheren Emissionen führt, die aber für einen überschaubaren Zeitraum hinzunehmen sind. Nennenswerte Störungen des Busfahrplanes sind bei einer maximal zweiminütigen Unterbrechung nicht ernsthaft zu besorgen.
203II.
204Die auf Entfernung der Abmahnung vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 gerichtete Leistungsklage ist zulässig, aber unbegründet.
205a. Ein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte ist aus §§ 242, 1004 BGB i.V.m. Art. 1, 2 GG dann gegeben, wenn die Abmahnung ungerechtfertigt ist, d.h., wenn sie pauschale Vorwürfe enthält und inhaltlich zu unbestimmt ist, wenn sie auf unzutreffenden oder nicht beweisbaren Tatsachen beruht, sie unverhältnismäßig, das Rügerecht verwirkt, die Grenzen des vertraglichen Rügerechtes durch unangemessene Formulierungen überschritten ist, der Arbeitgeber eine unzutreffende rechtliche Würdigung vorgenommen hat oder kein schutzwürdiges Interesse an dem Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr hat.
206Der Anspruch besteht jedoch nur im bestehenden Arbeitsverhältnis. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch auf Entfernung selbst einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte. Ein Anspruch ist nur ausnahmsweise dann gegeben, wenn objektive Anhaltspunkte dafür gegeben sind, eine Abmahnung könne dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden (BAG 19.04.2012 – 2 AZR 233/11 - Rdnr. 51, NZA 2012, 1449).
207Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat mit dem 30.09.2015 geendet. Der Kläger hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass ihm die angegriffenen Abmahnungen zukünftig noch zum Nachteil gereichen können.
208Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.11.2010 (9 AZR 573/09, BAGE 136, 156) führt zu keinem anderen Ergebnis.
209Das Bundesarbeitsgericht hat dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer ein aus § 241 Abs. 2 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG folgendes Recht auf Einsicht in die Personalakte zugebilligt, ohne dass der Arbeitnehmer ein konkretes berechtigtes Interesse darlegen muss. Es hat betont, dass es bei der Einsichtnahme um einen den Beseitigungs- bzw. Korrekturanspruch vorgelagerten Transparenzschutz hinsichtlich des fremdgeschaffenen und zeitlich aufbewahrten Meinungsbildes über den Arbeitnehmer geht, und hat ausgeführt, das sei aufgrund der geringeren Anspruchstiefe etwas anderes als das Verlangen nach Beseitigung der Grundlagen dieses Bildes. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses berühre deshalb nicht das Recht auf eine Einsicht in die Personalakte (BAG 16.11.2010 a.a.O. Rdnr. 42).
210Aus dem Recht auf Akteneinsichtnahme auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgt demnach ein Beseitigungsanspruch erst und nur dann, wenn eine konkrete Gefährdungslage besteht, also die Abmahnung dem Arbeitnehmer noch schaden kann (LAG Sachsen 14.01.2014 – 1 Sa 266/13 - Rdnr. 23, ZTR 2014, 294; LAG Rheinland-Pfalz 11.12.2014 – 8 Sa 379/12 - Rdnr. 21, 23).
211B.
212Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs.6 ArbGG, 92 Abs. 1 ZPO.
213Die Zulassung der Revision rechtfertigt sich aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.
(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn
- 1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.
(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.
(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.
(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.
(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.