Landesarbeitsgericht Düsseldorf Beschluss, 25. Okt. 2016 - 8 TaBV 62/16
Tenor
1.Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 16.06.2016 - Az. 2 BV 9/16 - abgeändert.
Dem Arbeitgeber wird aufzugeben, den Betriebsrat entsprechend § 4 Ziffer 1 der Betriebsvereinbarung zu Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung zu Gesprächen einzuladen, die disziplinarische Maßnahmen Arbeitnehmern zum Gegenstand haben.
2.Die Rechtsbeschwerde zugunsten des Arbeitgebers wird zugelassen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Beteiligten streiten darüber, ob der antragstellende Betriebsrat zu allen Personalgesprächen einzuladen ist, die disziplinarische Maßnahmen von Arbeitnehmern zum Gegenstand haben.
4Beim zu 2) beteiligten Arbeitgeber handelt es sich um ein Berufsförderungswerk mit etwa 300 Mitarbeitern. Er schloss mit dem Betriebsrat unter dem 01.08.2002 eine "Rahmenbetriebsvereinbarung zur Unternehmens,- Organisations- und Personalentwicklung" (im Folgenden RBV). Deren § 4 Ziffer 4.1. lautet:
5"Zu Gesprächen, die im Rahmen des Prozesses zur Unternehmens- Organisations- und Personalentwicklung zwischen Geschäftsleitung, Abteilungsleitung und den Arbeitnehmern stattfinden, in denen es sich um disziplinarische (arbeitsrechtliche) Maßnahmen handelt, wird der Betriebsrat gleichzeitig zu Gesprächen eingeladen.
6Unter disziplinarischen Maßnahmen verstehen wir:
7?Ermahnungen
8?Abmahnungen
9?Verwarnungen
10?Kündigungsbegehren
11?Versetzung
12Der Mitarbeiter kann arbeitsrechtlich so entscheiden, dass er dieses Gespräch ohne Beteiligung eines Betriebsratsmitgliedes führen möchte.
13Bei Nichtbeachtung der ordnungsgemäßen Einladung des Betriebsrates und des Arbeitnehmers hat das Gespräch keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen."
14Wegen der weiteren Einzelheiten der Rahmenbetriebsvereinbarung wird auf Blatt 5 ff. der Akte Bezug genommen. In einer "Verfahrensregelung zur Einhaltung des § 4.1 der RBV �" vom 12.12.2002 heißt es weiter:
15"Bei MitarbeiterInnengesprächen entsprechend dem § 4.1 o.g. Rahmenbetriebsvereinbarung erfolgte die Einladung der Betroffenen und des Betriebsrates vereinbarungsgemäß gleichzeitig.
16Der Betriebsrat informiert die Betroffenen über ihr Recht auf Gesprächsführung ohne Beteiligung des Betriebsrates.
17Wenn die Betroffenen die Nichtbeteiligung des Betriebsrates ausdrücklich wünschen, erklären diese ihren Willen durch Unterzeichnung eines entsprechenden Vordrucks.
18Eine Zweitschrift der Erklärung verbleibt beim Betriebsrat.
19Die Originalerklärung händigen die Betroffenen dem Arbeitgebervertreter zu Beginn des Gesprächstermins aus."
20Seit diesem Zeitpunkt verfuhren die Beteiligten bei jährlich etwa 20 Mitarbeitergesprächen nach diesen Vorgaben. Inhalt und Anlass des bevorstehenden Gesprächs teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat nicht mit. In Einzelfällen lehnten Arbeitnehmer die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds am Gespräch ab. Beschwerden über das praktizierte Verfahren aus Kreisen der Belegschaft gab es nicht.
21Mit Schreiben vom 21.10.2015 teilte der Arbeitgeber mit, § 4 Ziffer 4.1 RBV verstoße gegen das verfassungsrechtlich zugesicherte Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer. Es stehe allein diesen zu, über die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zu entscheiden, ein Automatismus der Einladung durch den Arbeitgeber sei rechtswidrig. Dementsprechend unterließ der Arbeitgeber ab diesem Zeitpunkt weitere Einladungen des Betriebsrats zu Personalgesprächen und informierte ihn über deren Durchführung und Ergebnis nicht. Den betroffenen Arbeitnehmern teilt er allerdings mit, dass diese nach Wunsch ein Mitglied des Betriebsrats zum anstehenden Personalgespräch hinzuziehen können.
22Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens hat der Betriebsrat die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Rückkehr zum bis 2015 praktizierten Vorgehen gefordert und sich zur Begründung auf einen Durchführungsanspruch aus § 77 Abs. 1 BetrVG berufen. Der Wirksamkeit der RBV stünden datenschutzrechtliche Aspekte nicht entgegen. § 4 Ziffer 4.1 RBV bezwecke, den Mitarbeitern in Personalgesprächen effektive Unterstützung durch den Betriebsrat zu gewähren, wenn sie ihn denn wollten. Betroffene Arbeitnehmer würden häufig ihre Rechte aus §§ 81, 82 BetrVG nicht kennen. Das seit 2002 gelebte Verfahren habe überdies den Vorteil, dass der Arbeitgeber gerade nicht erkenne, ob die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einem Personalgespräch auf ausdrücklichen Wunsch des Arbeitnehmers erfolge oder er die Teilnahme des Betriebsrats nur nicht abgelehnt habe.
23Der Betriebsrat hat beantragt,
24der Antragsgegnerin aufzugeben, den Betriebsrat entsprechend § 4 Ziffer 1 der Betriebsvereinbarung zur Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung zu Gesprächen einzuladen, die disziplinarische Maßnahmen von Arbeitnehmern zum Gegenstand haben.
25Der Arbeitgeber hat beantragt,
26den Antrag zurückzuweisen.
27Er hat zur Begründung seine bereits vorgerichtlich geäußerte Rechtsauffassung wiederholt und vertieft. Es stelle bereits einen unzulässigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eines Arbeitnehmers dar, wenn der Betriebsrat von einem ihn betreffenden Personalgespräch auch nur Kenntnis erlange. Abgesehen davon ginge der Antrag des Betriebsrats zu weit. Allenfalls könne das Gremium verlangen, über Gespräche informiert zu werden, die im Rahmen des Prozesses zu Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung stattfänden. Die Rahmenbetriebsvereinbarung gelte nicht generell für alle Personalgespräche.
28Mit Beschluss vom 16.06.2016 hat das Arbeitsgericht den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen, weil ein Einladungsanspruch nicht in allen Fallgestaltungen einschränkungslos bestehe. § 4 Ziffer 4.1 RBV beziehe sich nicht auf alle Personalgespräche, sondern nur auf solche, die im Rahmen des Prozesses der Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung stattfänden.
29Gegen den ihm am 04.07.2016 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts hat der Betriebsrat mit einem am 11.07.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit einem weiteren, am 09.08.2016 eingegangenen Schriftsatz auch begründet.
30Der Betriebsrat hält die angefochtene Entscheidung für rechtsfehlerhaft. Das Arbeitsgericht habe nicht den eigentlichen Streit der Beteiligten über die Vereinbarkeit von § 4 Ziffer 4.1 RBV mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht entschieden, sondern in die Bestimmung eine inhaltliche Beschränkung hineingelesen, die dem unstreitigen Verständnis der Beteiligten vom Inhalt der RBV widerspreche. Es sei immer klar gewesen und auch so praktiziert worden, dass der Betriebsrat zu jedem anstehenden Personalgespräch wegen einer disziplinarischen Maßnahme einzuladen war. Das Arbeitsgericht habe den Beteiligten "Steine statt Brot" gegeben. Wie wichtig in der Sache die Beachtung von § 4 Ziffer 4.1 RBV sei, zeige ein Fall vom 30.06.2016, in dem eine Lehrkraft so kurzfristig zu einem Personalgespräch bestellt worden sei, dass er in diesem Moment nicht mehr an die Möglichkeit der Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds gedacht habe. Das Vorgehen des Arbeitgebers lege den Schluss nahe, dass es ihm weniger um das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Arbeitnehmer gehe, sondern um das Draußenvorhalten des Betriebsrats.
31Der Betriebsrat beantragt,
32den Beschluss des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 16.06.2016 Az. 2 BV 9/16 abzuändern und dem Antragsgegner aufzugeben, den Betriebsrat entsprechend § 4 Ziffer 1 der Betriebsvereinbarung zu Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung zu Gesprächen einzuladen, die disziplinarische Maßnahmen Arbeitnehmern zum Gegenstand haben.
33Der Arbeitgeber beantragt,
34die Beschwerde des Betriebsrats zurückzuweisen.
35Der Arbeitgeber verteidigt den Beschluss des Arbeitsgerichts unter ergänzender Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. Das Gericht sei zu Recht von einem unzulässigen Globalantrag ausgegangen, da § 4 Ziffer 4.1 Teilnahmerechte des Betriebsrats eben nur für bestimmte Personalgespräche in einem bestimmten Rahmen regele. Dass der Betriebsrat in der Vergangenheit daneben überobligatorisch zu weiteren Gesprächen eingeladen worden sei, ändere daran nichts. Abgesehen davon sei § 4 Ziffer 4.1 RBV rechtswidrig, weil er das in den §§ 81 ff. BetrVG verfasste Recht des Arbeitnehmers auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds in ein Widerspruchsrecht umwandele. Dies wiege umso schwerer, als in der Vergangenheit der Betriebsrat entschieden habe, welches Mitglied am Personalgespräch teilnehmen solle. Der vom Betriebsrat geschilderte Fall des Herrn Q. belege die dem Arbeitgeber unterstellten Absichten nicht. Dieser sei keinesfalls absichtlich überrumpelt worden, sondern habe die Einladung zum Personalgespräch krankheitsbedingt verspätet erhalten. Als dies offenbar geworden sei, habe man sich auf einen zweiten Gesprächstermin verständigt, an dem dann auch der Betriebsrat teilgenommen habe.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
37II.1.
38Die Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig. Sie ist an sich gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 87 Abs. 2 iVm 66 Abs. 1 Satz 1, 89 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.
392.
40Die Beschwerde des Betriebsrats ist auch begründet. Der Betriebsrat kann gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG iVm § 4 Ziffer 4.1 RBV verlangen, zu allen Personalgesprächen eingeladen zu werden, die disziplinarische Maßnahmen von Arbeitnehmern zum Gegenstand haben.
41a.
42Dem Anspruch des Betriebsrats steht nicht entgegen, dass dieser auch ein Recht auf Einladungen zu Personalgesprächen geltend macht, die außerhalb des Regelungsbereiches der RBV stattfinden. Die Auslegung der RBV ergibt, dass von § 4 Ziffer 4.1 sämtliche Personalgespräche wegen disziplinarischer Maßnahmen umfasst sind.
43aa.
44Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge oder Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen verfolgte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen sowie die von den Betriebsparteien praktizierte Handhabung der Betriebsvereinbarung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (st. Rspr. des BAG, zuletzt etwa Beschluss vom 24.04.2013 - 7 ABR 71/11, DB 2013, 1913; Urteile vom 18.10.2011 - 1 AZR 376/10, juris; vom 27.07.2010 - 1 AZR 67/09, DB 2010, 2455).
45bb.
46Nach diesen Grundsätzen findet die vom Arbeitgeber behauptete Zweiteilung der Personalgespräche wegen disziplinarischer Maßnahmen in der RBV keinen Niederschlag:
47(1)Nach seinem Wortlaut verweist § 4 Ziffer 4.1 auf Gespräche, die "im Rahmen des Prozesses zur Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung" stattfinden, aber zugleich "disziplinarische Maßnahmen" wie Ermahnungen, Abmahnungen, Verwarnungen, Kündigungsbegehren oder Versetzungen zum Inhalt haben. Eine solche "disziplinarische Maßnahme" dürfte immer mit einem Fehlverhalten des Arbeitnehmers im Zusammenhang stehen. Die Kammer vermag sich nicht vorzustellen, wie dann die von der RBV offensichtlich gewollte Schnittmenge mit dem Prozess der "Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung" aussehen sollte, wenn sämtliche der drei vorstehenden Bereiche von der disziplinarischen Maßnahme kumulativ betroffen sein sollen. Träfe die vom Arbeitgeber vorgenommene Interpretation zu, verhaltensbedingte Personalmaßnahmen seien nicht durch die Unternehmensentwicklung bedingt und daher nicht Gegenstand der RBV, bliebe faktisch kein Anwendungsbereich von § 4 Ziffer 4.1 RBV übrig. Das können die Betriebsparteien nicht gewollt haben. Systematisch lässt sich dieser Widerspruch nur auflösen, in dem man entweder einen sehr weiten Begriff der Unternehmens- und Organisationsentwicklung zugrunde legte (indem man disziplinarische Maßnahmen als Mittel zur Verbesserung der Gesamtleistungsfähigkeit der Belegschaft auffasst, die der Erreichung des Unternehmenszwecks dient, vgl. § 2 RBV), oder den sicher gegebenen Bezug disziplinarischer Maßnahmen zur Personalentwicklung ausreichen lässt. So oder so determiniert dieser Begriff - disziplinarische (arbeitsrechtliche) Maßnahmen - die Reichweite von § 4 Ziffer 4.1 RBV.
48(2)Sähe man das anders, bliebe keine praktisch handhabbare Regelung übrig. Wann der Betriebsrat sich auf § 4 Ziffer 4.1 RBV berufen könnte, wäre nicht justitiabel. Deren erkennbarer Sinn und Zweck, Mitarbeiter an für sie nachteiligen Gesprächen nach Möglichkeit nicht ohne einen kompetenten und zur Verschwiegenheit verpflichteten Unterstützer teilnehmen zu lassen, soweit der Mitarbeiter dies nicht ablehnt, liefe leer. Tatsächlich spricht auch nichts dafür, dass die Beteiligten die Bestimmung jemals so restriktiv verstanden haben, wie der Arbeitgeber dies jetzt tut. Der Betriebsrat ist in der Vergangenheit unstreitig zu allen Personalgesprächen wegen disziplinarischer Maßnahmen eingeladen worden. Dass dies durchgehend ohne Bezug zu § 4 Ziffer 4.1 RBV auf freiwilliger Basis erfolgt sein soll, findet in der bis 2015 gelebten Praxis keinen Anhalt. Der Arbeitgeber hat nicht vorgetragen, eine solche Einschätzung jemals dem Betriebsrat kundgetan zu haben. Demgegenüber hat der Betriebsrat erstinstanzlich ein Einladungsschreiben an die Mitarbeiterin Engelskirchen zu einem Personalgespräch am 27.06.2014 vorgelegt, in dem wegen der Beteiligung eines Betriebsratsmitglieds ausdrücklich auf die RBV hingewiesen worden ist.
49b.
50§ 4 Ziffer 4.1 RBV ist nicht wegen Verletzung des Rechts der Arbeitnehmer auf informationelle Selbstbestimmung unwirksam. Soweit die Bestimmung in geringfügiger Weise das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter tangiert, erfolgt dies in Verfolgung eines legitimen Zwecks und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
51aa.
52Gemäß § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG haben die Betriebsparteien beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen das aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer zu beachten. Dieses gewährleistet Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Die Zuordnung eines konkreten Rechtsschutzbegehrens zu den verschiedenen Aspekten des Persönlichkeitsrechts richtet sich vor allem nach der Art der Persönlichkeitsgefährdung. Außerhalb des absoluten Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Es kann deshalb durch verfassungsgemäße Gesetze eingeschränkt werden. Derartige Regelungen können auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen enthalten. Der Gesetzgeber genügt insoweit seiner Pflicht, die Arbeitnehmer als Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Grundrechte durch privatautonome Regelungen zu bewahren, indem er die Betriebsparteien in § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verpflichtet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen. Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugunsten schützenswerter Belange eines anderen Grundrechtsträgers richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser verlangt eine Regelung, die geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Den Betriebsparteien dürfen zur Zielerreichung keine anderen, gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkende Mittel zur Verfügung stehen. Eine Regelung ist verhältnismäßig im engeren Sinn, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (Grundsätze nach BAG, Beschlüsse vom 15.04.2014 - 1 ABR 2/13 (B), NZA 2014, 551; vom 26.08.2008 - 1 ABR 16/07, NZA 2008, 1187; LAG Hamm, Urteil vom 16.10.2015 - 17 Sa 1222/15, LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 62).
53bb.
54Diesen Vorgaben hält § 4 Ziffer 4.1 RBV stand.
55(1)Mit der obligatorischen Einladung des Betriebsrats wird in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Mitarbeiters eingegriffen, mit dem der Arbeitgeber ein Personalgespräch bezüglich einer disziplinarischen Maßnahme führen möchte. Wird dem Betriebsrat auch der Inhalt des Gesprächs nicht mitgeteilt, so weiß er doch um dessen Existenz und darum, dass der betroffene Mitarbeiter in den Augen des Arbeitgebers hierzu Veranlassung gegeben hat. Schon das mag der Arbeitnehmer als peinlich empfinden und sich deshalb gerade wünschen, dass niemand - auch nicht der Betriebsrat - hiervon Kenntnis erhält. Abgesehen davon überantwortet § 4 Ziffer 4.1 dem Mitarbeiter eine Handlungsobliegenheit, wenn er die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds am Personalgespräch verhindern möchte.
56(2)§ 4 Ziffer 4.1 RBV verfolgt den Zweck, eine Disparität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem für den Mitarbeiter unangenehmen Personalgespräch durch obligatorische Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds soweit als möglich zu vermeiden. Die Bestimmung dient dem Schutz des Mitarbeiters, der das Gespräch zu führen hat. Sie verbessert die Rechtsstellung des Betroffenen, weil sie verhindert, dass dieser aus Unkenntnis, Scham oder der Befürchtung eines "schlechten Eindrucks" beim Arbeitgeber von einer aktiven Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds absieht, auf die im Übrigen nur in den von §§ 81 ff. BetrVG genannten Fällen ein Rechtsanspruch besteht; davon wird bei weitem nicht jedes Personalgespräch abgedeckt, welches auf Initiative des Arbeitgebers geführt wird und in dem es um eine disziplinarische Maßnahme geht (vgl. etwa die Einschränkungen und Differenzierung in BAG, Beschluss vom 16.11.2004 - 1 ABR 52/03, NZA 2005, 416). Zugleich bietet die von § 4 Ziffer 4.1 RBV geschaffenen Konstellation den Vorteil, dass nicht erkennbar ist, ob der Mitarbeiter ein Betriebsratsmitglied auch aktiv hinzugezogen hätte oder sich gegen dessen Teilnahme nur schlicht nicht gewehrt hat.
57(3)Die Regelung ist geeignet und erforderlich. In Anbetracht des den Betriebsparteien zukommenden Beurteilungsspielraums und ihrer Einschätzungsprärogative hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen und der Folgen der von ihnen gesetzten Regeln (vgl. BAG, Urteil vom 22.03.2005 - 1 AZR 49/04, NZA 2005, 773) ist nicht in Frage zu stellen, dass die Beteiligten bei Abschluss der RBV in Jahre 2002 in der Regelung von § 4 Ziffer 4.1 ein probates Mittel zur Verbesserung der Gesprächssituation von Mitarbeitern gesehen haben, denen eine disziplinarische Maßnahme droht. Es erschließt sich der Kammer auch nicht, welches mildere Mittel die Beteiligten hätten wählen sollen, wenn man die Beseitigung der in oben (2) genannten Hindernisse, die bei einer Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zum Gespräch auf Eigeninitiative des Mitarbeiters bestehen, sicherstellen möchte.
58(4)§ 4 Ziffer 4.1 RBV ist verhältnismäßig im engeren Sinne. Die mit der Regelung im Sinne von oben (2) verbundene Besserstellung der Mitarbeiter wiegt schwerer als die hinzunehmenden Einschränkungen. Das Recht der Arbeitnehmer auf informationelle Selbstbestimmung ist nur in einem Randbereich tangiert. Der Betroffene kann lediglich nicht verhindern, dass dem Betriebsrat der Umstand eines anstehenden Personalgesprächs an sich bekannt gemacht wird. Das erscheint aber nicht bedeutsam, weil dem Betriebsrat gemäß § 80 Abs. 2 BetrVG so oder so umfassende Informationsrechte zu den persönlichen Verhältnissen der Mitarbeiter zur Absicherung seiner aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG folgenden Überwachungspflichten zustehen, die im Einzelfall Vorrang vor einem Vertraulichkeitsinteresse des Arbeitnehmers genießen (vgl. etwa LAG Niedersachsen, Urteil vom 22.01.2007 - 11 Sa 614/06, NZA-RR 2007, 585). Zudem ist zu berücksichtigen, dass das BetrVG im Hinblick auf von § 4 Ziffer 4.1 RBV ja auch erfasste Versetzungen und Kündigungen in §§ 99, 102 sogar fordert, dass dem Betriebsrat der komplette Lebenssachverhalt zur in Aussicht genommenen Maßnahme vom Arbeitgeber zu unterbreiten ist. Vorliegend erfährt der Betriebsrat gegen den Willen des Mitarbeiters nichts, abgesehen davon, dass überhaupt ein Gespräch stattfinden soll und damit eine wie auch immer geartete disziplinarische Maßnahme im Raum steht. Der Arbeitnehmer wird auch nicht etwa von der Anwesenheit eines Betriebsratsmitglieds im Personalgespräch überrascht, sondern vom Betriebsrat aktiv über die Systematik und den Inhalt des § 4 Ziffer 4.1 RBV informiert. Der Mitarbeiter kann nicht nur bestimmen, ob der Betriebsrat dem Gespräch beiwohnt, sondern auch welches Mitglied dies tut. Die Verfahrensregelung führt zu einem gewissen zeitlichen Vorlauf im Vorfeld eines Termins, der zu dessen Vorbereitung genutzt werden kann. Dass weder das Stattfinden des Personalgesprächs noch dessen Inhalt und Ergebnis vom Betriebsrat Dritten gegenüber offenbart werden darf, ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus der RBV, folgt aber aus §§ 99 Abs. 1 Satz 3, 102 Abs. 2 Satz 5 BetrVG, § 3 Abs. 7 BDSG (vgl. hierzu BAG, Beschluss vom 12.08.2009 - 7 ABR 15/08, NZA 2009, 1218) bzw. einer zumindest analogen Anwendung des § 82 Abs. 2 Satz 3 BetrVG. Schließlich ist auf die Regelung des letzten Absatzes von § 4 Ziffer 4.1 RBV hinzuweisen, der eine effektive Absicherung der Einladungspflicht des Betriebsrats bewirkt, indem er die Konsequenzlosigkeit eines ohne Beachtung der Vorgaben des § 4 Ziffer 4.1 RBV durchgeführten Personalgesprächs wegen einer beabsichtigten disziplinarischen Maßnahme vorsieht. Eine Abmahnung etwa könnte aus diesem Grunde individualrechtlich unwirksam sein.
59c.
60§ 4 Ziffer 4.1 RBV verstößt auch nicht gegen anderweitige gesetzliche Vorgaben. Betriebsverfassungsrechtliche Bestimmungen, die im Hinblick auf die die Arbeitnehmer begünstigende Regelung der Betriebsparteien Sperrwirkung entfalten könnten, sind nicht ersichtlich. Sie steht auch in Einklang mit dem BDSG. Dabei spielt vorliegend keine maßgebliche Rolle, ob es sich bei den hier durch die Einladung des Betriebsrats zum Personalgespräch übermittelten Daten überhaupt um personenbezogene Daten im Sinne von § 32 Abs. 1, 2 BDSG handelt. Entscheidend ist vielmehr, dass § 4 Abs. 1 BDSG eine Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten für zulässig erklärt, wenn eine Rechtsvorschrift dies erlaubt. Zu diesen Rechtsvorschriften gehören auch Betriebsvereinbarungen, soweit sie den Vorgaben von § 75 Abs. 2 BetrVG genügen (BAG, Beschluss vom 15.04.2014 - 1 ABR 2/13 (B), NZA 2014, 551). Das letzteres der Fall ist, ergibt sich aus den Erwägungen unter oben b..
613.
62Das Gericht hat den für die Entscheidung des Verfahrens maßgeblichen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung beigemessen und deshalb die Rechtsbeschwerde für den Arbeitgeber gemäß §§ 92 Abs. 1, 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
63RECHTSMITTELBELEHRUNG
64Gegen diesen Beschluss kann von dem Arbeitgeber
65R E C H T S B E S C H W E R D E
66eingelegt werden.
67Gegen diesen Beschluss ist für den Betriebsrat ein Rechtsmittel nicht gegeben.
68Die Rechtsbeschwerde muss
69innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
70nach der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses schriftlich oder in elektronischer Form beim
71Bundesarbeitsgericht
72Hugo-Preuß-Platz 1
7399084 Erfurt
74Fax: 0361-2636 2000
75eingelegt werden.
76Die Rechtsbeschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
771.Rechtsanwälte,
782.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
793.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
80In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Rechtsbeschwerdeschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
81Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
82Bezüglich der Möglichkeit elektronischer Einlegung der Rechtsbeschwerde wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I Seite 519) verwiesen.
83* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
8485
Am 03.02.2017 erging folgender Berichtigungsbeschluss:
8687
wird der Tenor des Beschlusses vom 25.10.2016 zu Ziffer 1. dahingehend geändert, dass es im zweiten Absatz statt "aufzugeben" "aufgegeben" heißt.
88G r ü n d e :
89Es handelt sich um einen offensichtlichen Schreibfehler, der gemäß § 319 ZPO jederzeit auch von Amts wegen durch das Gericht zu berichtigen ist.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Düsseldorf Beschluss, 25. Okt. 2016 - 8 TaBV 62/16
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Urteil einreichenLandesarbeitsgericht Düsseldorf Beschluss, 25. Okt. 2016 - 8 TaBV 62/16 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, auch soweit sie auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen, führt der Arbeitgeber durch, es sei denn, dass im Einzelfall etwas anderes vereinbart ist. Der Betriebsrat darf nicht durch einseitige Handlungen in die Leitung des Betriebs eingreifen.
(2) Betriebsvereinbarungen sind von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen. Sie sind von beiden Seiten zu unterzeichnen; dies gilt nicht, soweit Betriebsvereinbarungen auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen. Werden Betriebsvereinbarungen in elektronischer Form geschlossen, haben Arbeitgeber und Betriebsrat abweichend von § 126a Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dasselbe Dokument elektronisch zu signieren. Der Arbeitgeber hat die Betriebsvereinbarungen an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen.
(3) Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.
(4) Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar und zwingend. Werden Arbeitnehmern durch die Betriebsvereinbarung Rechte eingeräumt, so ist ein Verzicht auf sie nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig. Die Verwirkung dieser Rechte ist ausgeschlossen. Ausschlussfristen für ihre Geltendmachung sind nur insoweit zulässig, als sie in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung vereinbart werden; dasselbe gilt für die Abkürzung der Verjährungsfristen.
(5) Betriebsvereinbarungen können, soweit nichts anderes vereinbart ist, mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.
(6) Nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung gelten ihre Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.
(1) Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über dessen Aufgabe und Verantwortung sowie über die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs zu unterrichten. Er hat den Arbeitnehmer vor Beginn der Beschäftigung über die Unfall- und Gesundheitsgefahren, denen dieser bei der Beschäftigung ausgesetzt ist, sowie über die Maßnahmen und Einrichtungen zur Abwendung dieser Gefahren und die nach § 10 Abs. 2 des Arbeitsschutzgesetzes getroffenen Maßnahmen zu belehren.
(2) Über Veränderungen in seinem Arbeitsbereich ist der Arbeitnehmer rechtzeitig zu unterrichten. Absatz 1 gilt entsprechend.
(3) In Betrieben, in denen kein Betriebsrat besteht, hat der Arbeitgeber die Arbeitnehmer zu allen Maßnahmen zu hören, die Auswirkungen auf Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer haben können.
(4) Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über die aufgrund einer Planung von technischen Anlagen, von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen oder der Arbeitsplätze vorgesehenen Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf seinen Arbeitsplatz, die Arbeitsumgebung sowie auf Inhalt und Art seiner Tätigkeit zu unterrichten. Sobald feststeht, dass sich die Tätigkeit des Arbeitnehmers ändern wird und seine beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung seiner Aufgaben nicht ausreichen, hat der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer zu erörtern, wie dessen berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten den künftigen Anforderungen angepasst werden können. Der Arbeitnehmer kann bei der Erörterung ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen.
(1) Der Arbeitnehmer hat das Recht, in betrieblichen Angelegenheiten, die seine Person betreffen, von den nach Maßgabe des organisatorischen Aufbaus des Betriebs hierfür zuständigen Personen gehört zu werden. Er ist berechtigt, zu Maßnahmen des Arbeitgebers, die ihn betreffen, Stellung zu nehmen sowie Vorschläge für die Gestaltung des Arbeitsplatzes und des Arbeitsablaufs zu machen.
(2) Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass ihm die Berechnung und Zusammensetzung seines Arbeitsentgelts erläutert und dass mit ihm die Beurteilung seiner Leistungen sowie die Möglichkeiten seiner beruflichen Entwicklung im Betrieb erörtert werden. Er kann ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen. Das Mitglied des Betriebsrats hat über den Inhalt dieser Verhandlungen Stillschweigen zu bewahren, soweit es vom Arbeitnehmer im Einzelfall nicht von dieser Verpflichtung entbunden wird.
(1) Gegen die das Verfahren beendenden Beschlüsse der Arbeitsgerichte findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht statt.
(2) Für das Beschwerdeverfahren gelten die für das Berufungsverfahren maßgebenden Vorschriften sowie die Vorschrift des § 85 über die Zwangsvollstreckung entsprechend, soweit sich aus den §§ 88 bis 91 nichts anderes ergibt. Für die Vertretung der Beteiligten gilt § 11 Abs. 1 bis 3 und 5 entsprechend. Der Antrag kann jederzeit mit Zustimmung der anderen Beteiligten zurückgenommen werden; § 81 Abs. 2 Satz 2 und 3 und Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden.
(3) In erster Instanz zu Recht zurückgewiesenes Vorbringen bleibt ausgeschlossen. Neues Vorbringen, das im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür nach § 83 Abs. 1a gesetzten Frist nicht vorgebracht wurde, kann zurückgewiesen werden, wenn seine Zulassung nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Beschlussverfahrens verzögern würde und der Beteiligte die Verzögerung nicht genügend entschuldigt. Soweit neues Vorbringen nach Satz 2 zulässig ist, muss es der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung, der Beschwerdegegner in der Beschwerdebeantwortung vortragen. Wird es später vorgebracht, kann es zurückgewiesen werden, wenn die Möglichkeit es vorzutragen vor der Beschwerdebegründung oder der Beschwerdebeantwortung entstanden ist und das verspätete Vorbringen nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und auf dem Verschulden des Beteiligten beruht.
(4) Die Einlegung der Beschwerde hat aufschiebende Wirkung; § 85 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, auch soweit sie auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen, führt der Arbeitgeber durch, es sei denn, dass im Einzelfall etwas anderes vereinbart ist. Der Betriebsrat darf nicht durch einseitige Handlungen in die Leitung des Betriebs eingreifen.
(2) Betriebsvereinbarungen sind von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen. Sie sind von beiden Seiten zu unterzeichnen; dies gilt nicht, soweit Betriebsvereinbarungen auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen. Werden Betriebsvereinbarungen in elektronischer Form geschlossen, haben Arbeitgeber und Betriebsrat abweichend von § 126a Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dasselbe Dokument elektronisch zu signieren. Der Arbeitgeber hat die Betriebsvereinbarungen an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen.
(3) Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.
(4) Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar und zwingend. Werden Arbeitnehmern durch die Betriebsvereinbarung Rechte eingeräumt, so ist ein Verzicht auf sie nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig. Die Verwirkung dieser Rechte ist ausgeschlossen. Ausschlussfristen für ihre Geltendmachung sind nur insoweit zulässig, als sie in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung vereinbart werden; dasselbe gilt für die Abkürzung der Verjährungsfristen.
(5) Betriebsvereinbarungen können, soweit nichts anderes vereinbart ist, mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.
(6) Nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung gelten ihre Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.
(1) Betriebsteile gelten als selbständige Betriebe, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 erfüllen und
- 1.
räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder - 2.
durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind.
(2) Betriebe, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 nicht erfüllen, sind dem Hauptbetrieb zuzuordnen.
Tenor
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Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 11. August 2011 - 2 TaBV 5/11 - aufgehoben.
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Die Sache wird zur neuen Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Gründe
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A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die zu 1. beteiligte Arbeitgeberin und der zu 2. beteiligte Gesamtbetriebsrat durch Gesamtbetriebsvereinbarung wirksam die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats bestimmt haben. Das wird von den beiden bei der Arbeitgeberin gebildeten Betriebsräten, dem für die Region Nord gebildeten Beteiligten zu 3. (Betriebsrat Nord) und dem für die Region Süd gebildeten Beteiligten zu 4. (Betriebsrat Süd) unterschiedlich beurteilt. Während der Betriebsrat Süd ebenso wie die Arbeitgeberin und der Gesamtbetriebsrat von der Wirksamkeit der Gesamtbetriebsvereinbarung ausgeht, hält der Betriebsrat Nord sie für unwirksam.
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Die Arbeitgeberin bietet Softwareprodukte und sonstige Dienstleistungen für europäische Banken an. Sie ist nicht tarifgebunden. Bei ihr werden jedoch kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die Tarifverträge der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie angewandt. Die Unternehmenszentrale liegt in M. Bei der Arbeitgeberin sind 321 Arbeitnehmer beschäftigt. Davon arbeiten am Standort M 192 und am Standort N 15 Arbeitnehmer. Am Standort F sind 91, am Standort H 16 und am Standort K sieben Arbeitnehmer tätig. Die bestehende Betriebsratsstruktur ist auf der Basis einer am 1. Oktober 2003 in Kraft getretenen Betriebsvereinbarung (BV 2003) entstanden. Danach sind „Betriebsteile abweichend von § 4 Absatz 1 BetrVG“ zusammengefasst. Alle Standorte südlich von F wählen den Betriebsrat Süd, alle Standorte in und nördlich von F den Betriebsrat Nord. Der Betriebsrat Nord hat sieben, der Betriebsrats Süd neun Mitglieder. Der Gesamtbetriebsrat besteht aus vier Mitgliedern.
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Die Arbeitgeberin ist standortübergreifend organisiert. Die Entscheidungen über den Abschluss von Betriebsvereinbarungen werden im Wesentlichen in der Zentrale in M getroffen. Auf Anregung der Arbeitgeberin sind in der Vergangenheit Betriebsvereinbarungen mit beiden Betriebsräten weitgehend inhaltsgleich oder ähnlich abgeschlossen worden. Trotz der Ähnlichkeiten gibt es auch Unterschiede; so hat beispielsweise der Betriebsrat Nord in der Betriebsvereinbarung über ein neues Entgeltsystem durchgesetzt, dass im Fall von Streitigkeiten eine paritätische Kommission tagt. Im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit der Arbeitgeberin kam es wiederholt zu gemeinsamen Tagungen beider Betriebsräte, um eine Angleichung der unterschiedlichen Positionen herbeizuführen. Auch die Verhandlungen über Mehrarbeit werden von der Personalabteilung in M mit dem jeweils zuständigen Betriebsrat geführt. Einstellungen und Entlassungen werden grundsätzlich nur über die Geschäftsleitung in Zusammenarbeit mit der Personalabteilung vorgenommen. Der - zumindest früher - in F ansässige Herr A führt zusammen mit einem Vertreter der Personalabteilung regelmäßig Monatsgespräche mit dem Betriebsrat Nord in F. Dabei unterrichtet er diesen sowohl über wirtschaftliche Angelegenheiten als auch über organisatorische Änderungen.
- 4
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Als der Betriebsrat Nord am 26. April 2006 gewählt wurde, gab es für sieben Betriebsratsmitglieder nur sieben Wahlbewerber. Bei den Wahlen im Jahre 2010 gab es lediglich eine Liste mit neun Kandidaten. Von den gewählten sieben Mitgliedern legte - während des vorliegenden Verfahrens - ein Mitglied am 20. Juni 2011 sein Amt nieder. Der Betriebsratsvorsitzende wurde am 1. August 2011 65 Jahre alt. Ein weiteres Betriebsratsmitglied ging ab dem 1. Oktober 2011 in die Freistellungsphase der Altersteilzeit.
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Am 27. Oktober 2009 übersandte die Personalleiterin der Arbeitgeberin an den Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats, der zugleich Vorsitzender des Betriebsrats Süd ist, den Entwurf einer Betriebsvereinbarung zur Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats mit der Bitte um Zustimmung des Gesamtbetriebsrats. Dazu holte der Betriebsrat Süd mit Zustimmung der Arbeitgeberin ein Rechtsgutachten der Rechtsanwältin B ein. Dieses kam am 30. Oktober 2009 zu dem Ergebnis, dass rechtlich keine Bedenken bestünden. Gleichzeitig wurden darin Änderungsvorschläge zum Entwurf der Arbeitgeberin gemacht. Das Gutachten und die Änderungsvorschläge übersandte der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats und des Betriebsrats Süd am 5. November 2009 an die Personalleiterin und am 10. November 2009 an den Betriebsrat Nord. Am selben Tage teilte der Vorsitzende des Betriebsrats Nord dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats und des Betriebsrats Süd mit, der Betriebsrat Nord nehme mit Erstaunen zur Kenntnis, dass Gutachten eingeholt würden, ohne dass der Gesamtbetriebsrat hierzu einen Beschluss gefasst habe; das bisherige Vorgehen werde vom Betriebsrat Nord so nicht gebilligt.
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Am 13. November 2009 fanden weitere Verhandlungen zwischen dem Gesamtbetriebsrat und der Arbeitgeberin über den Inhalt der geplanten Betriebsvereinbarung statt. Dabei machte die Arbeitgeberseite ua. das Zugeständnis, dass für den unternehmenseinheitlichen Betriebsrat die Zahl der Betriebsratsmitglieder elf statt der gesetzlich vorgeschriebenen neun Betriebsratsmitglieder betragen solle. Noch am selben Tage übersandte der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats den abschließenden Entwurf der Betriebsvereinbarung per E-mail an die weiteren Mitglieder des Gesamtbetriebsrats und lud sie zu einer Sitzung für Montag, den 23. November 2009 in M ein. Am 16. November 2009 beschloss der Betriebsrat Nord die Benennung eines Sachverständigen zur rechtlichen Beurteilung des Entwurfs und teilte dies mit E-mail vom selben Tage der Arbeitgeberin mit. Die Arbeitgeberin lehnte dies mit E-mail vom 20. November 2009 ab.
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Am 23. November 2009 beschloss der Gesamtbetriebsrat - mit den Stimmen der beiden vom Betriebsrat Süd entsandten Mitglieder gegen die Stimmen der beiden vom Betriebsrat Nord entsandten Mitglieder - den Abschluss der Betriebsvereinbarung zur Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats entsprechend dem in der Ladung vorgesehenen Entwurf. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats unterzeichnete die arbeitgeberseitig zu diesem Zeitpunkt bereits unterzeichnete Gesamtbetriebsvereinbarung.
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Die Gesamtbetriebsvereinbarung (GesBV) lautet auszugsweise wie folgt:
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„…
Präambel
Die Parteien sind sich darüber einig, dass eine effektive Zusammenarbeit zwischen der Geschäftsführung und den Arbeitnehmervertretungen und damit eine sachgerechte Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer nur möglich ist, wenn die Struktur der Arbeitnehmervertretung an die Entscheidungsabläufe im Unternehmen … angepasst wird. Da ein Großteil der Entscheidungen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten zentral auf Unternehmensebene gefällt wird, vereinbaren die Parteien gemäß §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 a), Abs. 2 BetrVG die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats. Dadurch wird gewährleistet, dass alle im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer effektiv und professionell vertreten werden.
§ 1 Unternehmenseinheitlicher Betriebsrat
Im Unternehmen … wird ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat gebildet. Er löst die bestehenden Regionenbetriebsräte ‚Nord’ und ‚Süd’ und den Gesamtbetriebsrat ab. Auf den unternehmenseinheitlichen Betriebsrat finden die Vorschriften über die gesetzlichen Rechte und Pflichten des Betriebsrats sowie die Rechtsstellung ihrer Mitglieder Anwendung. Der unternehmenseinheitliche Betriebsrat wird von allen Beschäftigten … nach den Vorschriften des BetrVG gewählt.
Die nach dieser BV gebildete betriebsverfassungsrechtliche Organisationsstruktur gilt als ein Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn.
§ 2 Ermittlung von Schwellenwerten
Bei der Beurteilung der Frage ob eine Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG vorliegt wird ausnahmsweise auf die Anzahl der Mitarbeiter in den bisherigen Regionen Nord (H, K, F) bzw. Süd (N, M) abgestellt, sofern von der Betriebsänderung nur Mitarbeiter einer Region betroffen sind und diese nicht auf einer Gesamtplanung beruht.
§ 3 Organisatorisches
An den einzelnen Standorten werden aufgrund der zu betreuenden Mitarbeiter entsprechende Betriebsratsbüros zur Verfügung gestellt, sofern ein Betriebsratsmitglied an dem betreffenden Standort seinen Dienstsitz hat.
§ 4 Größe des Gremiums
Für die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats 2010 wird die Anzahl der Betriebsratsmitglieder abweichend von § 9 BetrVG auf 11 Mitglieder festgelegt.
…
§ 6 Eingliederung eines Betriebes
Wird ein Betrieb oder Betriebsteil in das Unternehmen eingegliedert, nimmt der unternehmenseinheitliche Betriebsrat das Mandat auch für diesen Betrieb oder Betriebsteil wahr. Wenn durch die Eingliederung mit Ablauf von 24 Monaten, vom Tage der Wahl des unternehmenseinheitlichen Betriebsrats an gerechnet, die Zahl der im Unternehmen regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer um die Hälfte, mindestens aber um fünfzig, gestiegen oder gesunken ist, findet eine Neuwahl des unternehmenseinheitlichen Betriebsrats statt.
§ 7 Erste Wahl des unternehmenseinheitlichen Betriebsrats
Die erstmalige Wahl des unternehmenseinheitlichen Betriebsrats findet nach In-Kraft-Treten dieser Betriebsvereinbarung zum Zeitpunkt der turnusmäßigen Betriebsratswahl im Frühjahr 2010 statt.
Der … Gesamtbetriebsrat bestellt zu diesem Zweck einen Wahlvorstand, der die Wahl unverzüglich einleitet und durchführt.
…
§ 9 Inkrafttreten und Geltungsdauer
Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterschrift in Kraft und kann mit einer Frist von 6 Monaten zum Ende einer Amtsperiode des unternehmenseinheitlichen Betriebsrats gekündigt werden. Die Kündigung bedarf der Schriftform.
Eine Nachwirkung wird ausgeschlossen. Nach seiner Beendigung gilt die gesetzlich vorgesehene betriebsverfassungsrechtliche Organisation. …
§ 10 Schlussbestimmungen
Die Betriebsvereinbarung vom 1.10.2003 zu den Regionenbetriebsräten wird einvernehmlich ohne Nachwirkung abgelöst.
Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Sollte eine Bestimmung in dieser Vereinbarung ganz oder teilweise unwirksam sein oder werden, so wird die Gültigkeit der übrigen Bestimmungen hiervon nicht berührt. Die Vertragsparteien verpflichten sich, an die Stelle der unwirksamen Bestimmung eine dieser möglichst nahe kommende wirksame Bestimmung zu setzen. Dasselbe gilt für den Fall einer vertraglichen Lücke.
…“
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Bereits am 18. November 2009 setzte der Betriebsrat Nord die Neuwahlen zu diesem Betriebsrat auf den 10. März 2010 an. Am 22. Dezember 2009 leitete auch der Betriebsrat Süd Neuwahlen für diesen Betriebsrat ein. Beide Wahlen fanden wie geplant im Frühjahr 2010 statt und wurden nicht angefochten.
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Aufgrund eines Beschlusses in der Sitzung des Gesamtbetriebsrats am 4. November 2010 kam es am 5. November 2010 zur Unterzeichnung einer Protokollnotiz zur Betriebsvereinbarung vom 23. November 2009. Darin heißt es:
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„…
wird folgende Änderung der Betriebsvereinbarung zur Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates vom 23.11.2009 abgeschlossen:
§ 7 Erste Wahl des unternehmenseinheitlichen Betriebsrats
Entfällt ersatzlos
§ 9 Inkrafttreten und Geltungsdauer
Absatz 1 wird wie folgt geändert:
Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterschrift in Kraft. Für die Kündigung dieser Betriebsvereinbarung gilt die gesetzliche Kündigungsfrist. Sofern ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat besteht, beträgt die Kündigungsfrist 6 Monate zum Ende der Amtszeit. Die Kündigung bedarf der Schriftform.
Alle übrigen Regelungen dieser Betriebsvereinbarung bleiben unverändert bestehen.“
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Im Hinblick auf den vom Betriebsrat Nord vertretenen Rechtsstandpunkt hat die Arbeitgeberin das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet, um die Frage zu klären, ob ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat zu wählen ist. Sie hat die GesBV vom 23. November 2009 idF der Protokollnotiz vom 5. November 2010 für wirksam gehalten. Der Gesamtbetriebsrat sei zum Abschluss der GesBV berechtigt gewesen. Ein „Vetorecht“ des Betriebsrats Nord bestehe nicht. Dass sie kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung Tarifverträge anwende, stehe der GesBV nicht entgegen. Die GesBV diene einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer. Wegen der im Wesentlichen einheitlichen Entscheidungsfindung auf Arbeitgeberseite sei auch ein einheitliches Gremium auf Arbeitnehmerseite angebracht. Der unternehmenseinheitliche Betriebsrat könne auch deshalb besser arbeiten, weil er zB einen Betriebsausschuss bilden könne, was zur Professionalisierung der Vertretung der Arbeitnehmer beitrage. Zudem erleichtere die GesBV die Bildung von Betriebsräten, weil aufgrund der Umstände beim Betriebsrat Nord nicht sichergestellt werden könne, dass sich genug Kandidaten für eine Betriebsratsarbeit über die gesamte Wahlperiode fänden.
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Die Arbeitgeberin hat zuletzt beantragt
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festzustellen, dass durch die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 23. November 2009 in Verbindung mit der Änderung vom 4. November 2010 wirksam die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats bestimmt wurde.
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Der Gesamtbetriebsrat und der Betriebsrat Süd haben sich diesem Antrag angeschlossen.
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Der Betriebsrat Nord hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
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Er ist der Auffassung, die Ladung zur Sitzung am 23. November 2009 sei nicht ordnungsgemäß gewesen, da die Gesamtbetriebsratsmitglieder sich nicht richtig auf die Beschlussfassung hätten vorbereiten können. Zudem sei für den Abschluss derartiger Betriebsvereinbarungen nicht der Gesamtbetriebsrat zuständig, sondern es seien dies die Einzelbetriebsräte, die eine einheitliche Betriebsvereinbarung abschließen könnten. Jedenfalls stehe einem Betriebsrat im Hinblick darauf, dass er bei der Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats seine Existenz verliere, ein Vetorecht zu. Da die Arbeitgeberin Tarifverträge anwende, komme nach § 3 Abs. 2 BetrVG der Abschluss einer Betriebsvereinbarung nicht in Betracht. Schließlich diene die abgeschlossene GesBV weder einer sachgerechten Vertretung der Arbeitnehmer noch der Erleichterung der Bildung von Betriebsräten. Das Interesse der Arbeitgeberin an einer einheitlichen Entscheidungsfindung und dem einheitlichen Abschluss von Betriebsvereinbarungen sei unerheblich, da es um die sachgerechte Vertretung von Arbeitnehmerinteressen gehe. Auch in der Region Nord gebe es genug Interessenten, die bereit seien, für den Betriebsrat zu kandidieren.
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Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihm auf die Beschwerde der Arbeitgeberin entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Betriebsrat Nord die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
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B. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts ist aufzuheben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, da den Beteiligten Gelegenheit zu geben ist, weiter zum Vorliegen der Voraussetzungen für die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 BetrVG vorzutragen. Die Sache ist nicht aus anderen Gründen entscheidungsreif.
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I. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
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1. Gegen die rechtliche Existenz des Betriebsrats Nord bestehen keine Bedenken. Seine Wahl im Frühjahr 2010 wurde nicht angefochten. Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der Wahl bestehen nicht (vgl. zu den strengen Anforderungen an die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl BAG 21. September 2011 - 7 ABR 54/10 - Rn. 26 mwN, BAGE 139, 197). Dabei kann dahinstehen, ob die Wahl noch auf der Grundlage der BV 2003 durchgeführt werden durfte. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, läge lediglich eine Verkennung des Betriebsbegriffs vor, die zwar eine Anfechtung der Wahl rechtfertigt, regelmäßig aber nicht die Nichtigkeit der Wahl zur Folge hat (BAG 21. September 2011 - 7 ABR 54/10 - Rn. 26 mwN, aaO).
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2. Auch wenn die Zahl der Betriebsratsmitglieder des Betriebsrats Nord unter die gesetzliche Grenze abgesunken sein sollte, bestünde dieser weiter. Rechtsfolge des Absinkens der Mitgliederzahl des Betriebsrats wäre, dass nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG Neuwahlen anzusetzen wären. Der Betriebsrat bliebe aber nach § 22 BetrVG bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses der Neuwahlen im Amt. Das gilt auch, wenn sich die Neuwahlen verzögern (Fitting 26. Aufl. § 22 Rn. 11 mwN).
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II. Die Rechtsbeschwerde ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Der Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig. Eine abschließende Entscheidung über die Begründetheit des Antrags ist aufgrund der bislang getroffenen Feststellungen nicht möglich. Vielmehr ist den Beteiligten Gelegenheit zu geben, noch weiter zum Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Vereinbarung über die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats vorzutragen.
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1. Der Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig. Wie die gebotene Auslegung des Antrags ergibt, ist dieser ungeachtet seines etwas abweichenden Wortlauts auf eine Entscheidung iSv. § 18 Abs. 2 BetrVG gerichtet. Nach dieser Bestimmung kann bei Zweifeln darüber, ob eine betriebsratsfähige Organisationseinheit vorliegt, ua. der Arbeitgeber eine Entscheidung des Arbeitsgerichts beantragen. Damit eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, die Betriebsratsfähigkeit einer Organisationseinheit unabhängig von einer konkreten Betriebsratswahl gerichtlich mit Bindungswirkung klären zu lassen. Die gesetzliche Regelung stellt dabei klar, dass die Betriebsratsfähigkeit einer Organisationseinheit als Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO anzusehen ist. Das Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG klärt damit die für zahlreiche betriebsverfassungsrechtliche Fragestellungen bedeutsame Vorfrage, welche Organisationseinheit als der Betrieb anzusehen ist, in dem ein Betriebsrat zu wählen ist und in dem er seine Beteiligungsrechte wahrnehmen kann(vgl. BAG 9. Dezember 2009 - 7 ABR 38/08 - Rn. 18). Organisationseinheiten in diesem Sinne sind auch solche, für die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 BetrVG ein Betriebsrat zu wählen ist.
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2. Über die Begründetheit des Antrags kann der Senat noch nicht entscheiden. Sie hängt davon ab, ob für die GesBV vom 23. November 2009 idF der Protokollnotiz vom 5. November 2010 die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst a, Abs. 2 BetrVG festgelegten Voraussetzungen vorliegen. Dies lässt sich noch nicht abschließend beurteilen.
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a) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 BetrVG kann durch Betriebsvereinbarung für Unternehmen mit mehreren Betrieben die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats bestimmt werden, wenn dies die Bildung von Betriebsräten erleichtert oder einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer dient. Das ist verfassungsgemäß (vgl. zur Befugnis der Tarifvertragsparteien, abweichende Betriebsverfassungsstrukturen zu vereinbaren, BAG 29. Juli 2009 - 7 ABR 27/08 - Rn. 16 ff., BAGE 131, 277; 13. März 2013 - 7 ABR 70/11 - Rn. 32).
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b) § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a iVm. Abs. 2 BetrVG legt die tatbestandlichen Voraussetzungen fest, unter denen durch Betriebsvereinbarung ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat gebildet werden kann. Liegen diese nicht vor, ist eine Betriebsvereinbarung über die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats unwirksam. Das Gesetz lässt Abweichungen von der gesetzlichen Betriebsverfassung nicht voraussetzungslos zu (vgl. BAG 13. März 2013 - 7 ABR 70/11 - Rn. 35).
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aa) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alt. 2 iVm. Abs. 2 BetrVG ist die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats durch Betriebsvereinbarung möglich, wenn sie einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer dient.
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(1) Bei der Prüfung, ob die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats sachdienlich ist, ist von besonderer Bedeutung, wo die mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen im Betrieb getroffen werden. Der Gesetzgeber des Betriebsverfassungsreformgesetzes hat es im Jahr 2001 als Problem angesehen, dass einem Betriebsrat, der organisatorisch orientiert an den Betriebsformen der siebziger Jahre ist, heute häufig nicht mehr der Personalleiter „seines Betriebes“ als Verhandlungsleiter gegenübersteht (BT-Drucks. 14/5741 S. 23). Der Betriebsrat müsse jedoch dort arbeiten, wo die wichtigen Entscheidungen im Betrieb getroffen werden (BT-Drucks. 14/5741 S. 26). Der Gesetzgeber ist deshalb davon ausgegangen, dass sich die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats insbesondere dort anbietet, wo die Entscheidungskompetenzen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten zentral auf Unternehmensebene angesiedelt sind (BT-Drucks. 14/5741 S. 34). Insoweit sind für die sachgerechte Bildung von Arbeitnehmervertretungen die organisatorischen Vorgaben des Arbeitgebers maßgeblich. Sie sind nicht nur für die gesetzlichen, sondern ebenso bei den gewillkürten Vertretungsstrukturen von Bedeutung. An ihnen darf sich bei der Schaffung einer betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit die maßgebliche Regelung orientieren (vgl. BAG 21. September 2011 - 7 ABR 54/10 - Rn. 43, BAGE 139, 197, für Zusammenfassung mehrerer Betriebe nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BetrVG durch Tarifvertrag).
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(2) Bei der Beurteilung der Sachdienlichkeit eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats sind allerdings noch weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Insbesondere ist von Bedeutung, ob durch die mit der Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats häufig verbundenen größeren räumlichen Entfernungen der Kontakt zwischen den Arbeitnehmern und der sie repräsentierenden Betriebsvertretung unangemessen erschwert wird. Die Nähe und wechselseitige Erreichbarkeit war für den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Betriebsverfassung erkennbar ein wesentlicher Gesichtspunkt. So gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG ein Betriebsteil dann als selbstständiger Betrieb, wenn er die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllt und räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt ist. Der Zweck dieser Regelung besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Senats darin, den Arbeitnehmern von Betriebsteilen eine effektive Vertretung durch einen eigenen Betriebsrat zu ermöglichen, wenn wegen der räumlichen Trennung des Hauptbetriebs von dem Betriebsteil die persönliche Kontaktaufnahme so erschwert ist, dass der Betriebsrat des Hauptbetriebs die Interessen der Arbeitnehmer in dem Betriebsteil nicht mit der nötigen Intensität und Sachkunde wahrnehmen kann und sich die Arbeitnehmer nur unter erschwerten Bedingungen an den Betriebsrat wenden können (BAG 7. Mai 2008 - 7 ABR 15/07 - Rn. 26 mwN). Auch liegen die Mitbestimmungsrechte grundsätzlich bei den örtlichen Betriebsräten und nur dann beim unternehmenseinheitlichen Gesamtbetriebsrat, wenn eine Regelung nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe möglich ist (§ 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Schließlich gestaltet sich auch die Durchführung von Sprechstunden des Betriebsrats (§ 39 Abs. 1 BetrVG) und von Betriebsversammlungen (§§ 42, 43 BetrVG) bei großen räumlichen Entfernungen deutlich schwieriger.
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(3) Die Betriebsparteien haben daher bei der Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 BetrVG nicht nur den Umstand zentralisierter unternehmerischer Entscheidungen, sondern auch den Grundsatz der Ortsnähe zu berücksichtigen.
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bb) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alt. 1 iVm. Abs. 2 BetrVG kann durch Betriebsvereinbarung zudem dann ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat gewählt werden, wenn die Bildung von Betriebsräten erleichtert wird. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn anderenfalls die Gefahr besteht, dass in einzelnen Betrieben oder Betriebsteilen gar kein Betriebsrat gewählt wird (vgl. Fitting § 3 Rn. 29 mwN). Die Bestimmung dient dabei dem Zweck, „weiße Flecken“ auf der Betriebsverfassungslandkarte zu vermeiden. Allerdings ist die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats dann vom Zweck der Regelung nicht mehr gedeckt, wenn die Erleichterung der Bildung von Betriebsräten ohne Weiteres bereits durch eine Zusammenfassung von Betrieben nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b iVm. Abs. 2 BetrVG erreicht werden kann und sich demgegenüber die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats als ersichtlich weniger sachgerechte Lösung darstellt. Bei der Wahl zwischen den sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b BetrVG ergebenden Möglichkeiten haben die Betriebsparteien ebenfalls den Grundsatz der Ortsnähe zu berücksichtigen.
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cc) Bei der Frage, ob sie von den sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ergebenden Möglichkeiten Gebrauch machen wollen, kommt den Betriebsparteien ein Einschätzungsspielraum hinsichtlich des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen sowie ein Beurteilungs- und ein Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung einer Regelung zu. Dies ist von den Gerichten bei der Überprüfung einer entsprechenden Regelung zu beachten (vgl. zu einer tariflichen Regelung BAG 13. März 2013 - 7 ABR 70/11 - Rn. 38). Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers können die Vertragsparteien vor Ort angesichts der Vielgestaltigkeit der zu regelnden Sachverhalte die Sachgerechtigkeit von unternehmensspezifischen Arbeitnehmervertretungsstrukturen besser beurteilen als staatliche Stellen (BT-Drucks. 14/5741 S. 33). Beim Abschluss einer Betriebsvereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 2 BetrVG ist es daher zunächst Sache der Betriebsparteien, zu beurteilen, ob und ggf. in welcher Weise das gesetzliche Repräsentationsmodell ersetzt werden soll. Dies erfordert zum einen die Einschätzung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine vom gesetzlichen Modell abweichende Arbeitnehmervertretungsstruktur vorliegen, sowie zum anderen die Beurteilung, in welcher Weise von der durch das Gesetz eröffneten Regelungsmöglichkeit Gebrauch gemacht werden soll (vgl. BAG 29. Juli 2009 - 7 ABR 27/08 - Rn. 27, BAGE 131, 277). Ob die Betriebsparteien hierbei die gesetzlichen Vorgaben eingehalten oder überschritten haben, unterliegt allerdings im Streitfall der gerichtlichen Überprüfung (vgl. zu einer tariflichen Regelung BAG 13. März 2013 - 7 ABR 70/11 - Rn. 32 mwN).
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c) Den Beteiligten ist Gelegenheit zu geben, unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Vorgaben noch weiter vorzutragen. Das Landesarbeitsgericht hat zwar zutreffend ausgeführt, der Umstand, dass die beteiligungspflichtigen Entscheidungen im Wesentlichen in M getroffen würden, spreche für eine sachgerechte Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen durch einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat. Zu Unrecht hat es seine Prüfung aber auf ausschließlich diesen Gesichtspunkt beschränkt. Insbesondere hat es weder geprüft noch gewürdigt, dass durch die bundesweite Zusammenfassung räumlich sehr weit auseinander liegender, betriebsratsfähiger Betriebe die wechselseitige Erreichbarkeit von Arbeitnehmern und ihrem Repräsentativorgan ersichtlich erheblich erschwert wird. Das Landesarbeitsgericht wird daher den Beteiligten Gelegenheit zu geben haben, auch zu diesem Gesichtspunkt noch näher vorzutragen. Es wird ggf. auch zu prüfen haben, ob durch die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats die Bildung eines Betriebsrats erleichtert wird und ob sich dies gegenüber der bisherigen Zusammenfassung mehrerer Betriebe als ersichtlich weniger sachgerechte Lösung darstellt.
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d) Die Zurückverweisung ist nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die GesBV vom 23. November 2009 idF der Protokollnotiz vom 5. November 2010 aus anderen Gründen unwirksam wäre. Die GesBV ist formell wirksam. Der Gesamtbetriebsrat war für ihren Abschluss zuständig. Der Betriebsrat Nord hatte kein Vetorecht. Die mögliche Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen der GesBV führt nicht zu ihrer Gesamtnichtigkeit.
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aa) Der Beschluss des Gesamtbetriebsrats zum Abschluss der GesBV in der Fassung der Protokollnotiz ist formell wirksam. Dabei kann letztlich dahingestellt bleiben, ob - wofür entgegen der Auffassung des Betriebsrats Nord vieles spricht - die Ladung zur Sitzung des Gesamtbetriebsrats am 23. November 2009 ordnungsgemäß war. Denn jedenfalls haben die Betriebsparteien mit der Protokollnotiz vom 5. November 2010 die GesBV konstitutiv bestätigt. Dass dem Abschluss der Protokollnotiz kein wirksamer Beschluss des Gesamtbetriebsrats zugrunde gelegen habe, hat der Betriebsrat Nord nicht behauptet. Hierfür gibt es auch keine Anhaltspunkte. Der konstitutive Charakter der Protokollnotiz ergibt sich aus ihrer Auslegung.
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(1) Betriebsvereinbarungen - und damit auch Gesamtbetriebsvereinbarungen - sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wegen ihres normativen Charakters wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut und dem dadurch vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt der Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (vgl. etwa BAG 14. März 2012 - 7 AZR 147/11 - Rn. 49 mwN). Diese Grundsätze gelten auch für die Auslegung von Protokollnotizen zu Betriebsvereinbarungen (vgl. BAG 9. Dezember 1997 - 1 AZR 330/97 - zu II 2 a der Gründe).
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(2) Für den konstitutiven Charakter der Protokollnotiz spricht vorliegend schon ihr Wortlaut. Die Betriebsparteien haben ausdrücklich festgelegt, dass die Regelungen der alten Betriebsvereinbarung ansonsten „unverändert bestehen“ bleiben. Für einen entsprechenden Willen spricht auch der Ablauf der Geschehnisse. Die GesBV vom 23. November 2009 sah bereits für das Jahr 2010 die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats vor. Dazu kam es nicht. Daher konnte der rechtliche Bestand der GesBV zweifelhaft erscheinen. Es war daher sinnvoll, derartige Zweifel durch eine konstitutive Regelung zu beseitigen.
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bb) Der Gesamtbetriebsrat war für den Abschluss der Betriebsvereinbarung über einen einheitlichen Betriebsrat im Unternehmen nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zuständig. Es handelt sich um eine Angelegenheit, die das Gesamtunternehmen betrifft und die nicht durch die einzelnen Betriebsräte „innerhalb ihrer Betriebe“ geregelt werden kann (ebenso Fitting § 3 Rn. 72; Franzen GK-BetrVG 9. Aufl. § 3 Rn. 40; DKKW-Trümner 13. Aufl. § 3 Rn. 168; Richardi in Richardi BetrVG 13. Aufl. § 3 Rn. 79). Etwas anderes folgt entgegen der Ansicht des Betriebsrats Nord auch nicht aus der Verwendung des Begriffs „Betriebsvereinbarung“ in § 3 Abs. 2 BetrVG; diesen Begriff verwendet das Betriebsverfassungsgesetz - wie zB § 47 Abs. 4 BetrVG zeigt - auch für Gesamtbetriebsvereinbarungen. Auch § 50 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, wonach der Gesamtbetriebsrat den Einzelbetriebsräten nicht übergeordnet ist, steht der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung über die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nicht entgegen. Die Vorschrift stellt lediglich klar, dass der Gesamtbetriebsrat dem örtlichen Betriebsrat bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben keine Weisungen erteilen kann.
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cc) Entgegen der Auffassung des Betriebsrats Nord hat dieser gegen den Abschluss einer Betriebsvereinbarung über einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat nicht deshalb ein Vetorecht, weil durch diese seine erneute Errichtung bei der nächsten Betriebsratswahl verhindert wird. Eine planwidrige Regelungslücke, die es gebieten würde, den Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung über die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats von der Zustimmung der einzelnen Betriebsräte abhängig zu machen, liegt nicht vor (aA Richardi in Richardi BetrVG § 3 Rn. 80). Allerdings kann die Ablehnung einzelner, im Gesamtbetriebsrat wegen § 47 Abs. 7 BetrVG „in der Minderheit“ befindlicher Betriebsräte gegenüber der Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats sowie insbesondere die hierfür gegebene Begründung bei der Würdigung, ob die gesetzlichen Errichtungsvoraussetzungen vorliegen, zu berücksichtigen sein.
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dd) Der Abschluss der hier maßgeblichen Gesamtbetriebsvereinbarung ist auch nicht tariflich gesperrt.
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(1) Nach § 3 Abs. 2 BetrVG kann eine Regelung durch eine Betriebsvereinbarung nur getroffen werden, wenn keine tarifliche Regelung besteht und auch kein anderer Tarifvertrag gilt. Damit soll erreicht werden, dass für einen Arbeitgeber, in dessen Unternehmen Tarifverträge über Entgelte oder sonstige Arbeitsbedingungen gelten, auch für Vereinbarungen über betriebsverfassungsrechtliche Organisationsstrukturen der Tarifvertrag das maßgebliche Regelungsinstrument ist (BT-Drucks. 14/5741 S. 34). Nach der gesetzlichen Regelung ist daher der Abschluss einer Betriebsvereinbarung bereits dann ausgeschlossen, wenn im Unternehmen irgendeine Frage tarifvertraglich geregelt ist (vgl. zu der im Schrifttum geäußerten Kritik an dieser weitreichenden Beschränkung die Nachweise bei Fitting § 3 Rn. 66). Die Regelungssperre des § 3 Abs. 2 BetrVG setzt allerdings eine normative Geltung der tariflichen Regelung iSv. § 4 Abs. 1 TVG voraus. Eine einzelvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag genügt nicht. Ein Tarifvertrag „gilt“ nur dann, wenn er normativ, also unmittelbar und zwingend iSv. § 4 Abs. 1 TVG wirkt(ebenso Fitting § 3 Rn. 68; Franzen GK-BetrVG § 3 Rn. 38; Spinner/Wiesenecker FS Löwisch S. 375, 384; aA DKKW-Trümner § 3 Rn. 165).
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(2) Hiernach gibt es vorliegend keine tarifliche Regelung, die dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung nach § 3 Abs. 2 BetrVG entgegenstünde. Die Arbeitgeberin ist nicht tarifgebunden, sondern wendet die Tarifverträge der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie nur aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme an.
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ee) Eine mögliche Unwirksamkeit sonstiger Bestimmungen der GesBV, die nicht - wie § 1 GesBV - unmittelbar die Bildung des unternehmenseinheitlichen Betriebsrats betreffen, sondern andere Fragen regeln, führt nicht zur Gesamtunwirksamkeit der Betriebsvereinbarung. Das gilt insbesondere für § 4 und § 6 GesBV.
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(1) Rechtlich bedenklich erscheint insbesondere § 4 GesBV, der die Zahl der Betriebsratsmitglieder auf elf Mitglieder festlegt und damit von der gesetzlichen Mitgliederzahl abweicht, die bei 321 Arbeitnehmern nach § 9 Satz 1 BetrVG lediglich neun beträgt. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 BetrVG erlaubt zwar die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats auch durch Betriebsvereinbarung. § 3 Abs. 4 BetrVG ermöglicht zudem Regelungen über den Zeitpunkt der erstmaligen Wahl des so gebildeten Betriebsrats. Weitere Abweichungen kommen allenfalls nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG in Betracht. Diese Bestimmung gilt nach § 3 Abs. 2 BetrVG aber nicht für Regelungen durch Betriebsvereinbarung. Nach § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG gelten die durch Betriebsvereinbarung gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten als Betriebe iSd. Gesetzes. Damit sind für sie auch die gesetzlich vorgesehenen Mitgliederzahlen maßgeblich.
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(2) Dahinstehen kann ebenfalls, ob die generalisierende Regelung in § 6 GesBV, wonach der unternehmenseinheitliche Betriebsrat in jedem Fall der Eingliederung eines Betriebs unabhängig von dessen Größe und Struktur für dessen Belegschaft zuständig werden soll, rechtlichen Bedenken begegnet.
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(3) Hier hätte eine mögliche Unwirksamkeit von § 4 oder § 6 GesBV nicht die Unwirksamkeit der gesamten GesBV zur Folge.
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(a) Ist eine Betriebsvereinbarung teilweise unwirksam, folgt daraus die Gesamtunwirksamkeit in der Regel nur, wenn der verbleibende Teil ohne die unwirksamen Regelungen keine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält. Anderenfalls kommt es für die isolierte Weitergeltung der wirksamen Teile auf einen möglicherweise entgegenstehenden Willen der Betriebsparteien regelmäßig nicht an. Dies folgt aus dem Normcharakter einer Betriebsvereinbarung, der es ebenso wie bei Tarifverträgen und Gesetzen gebietet, im Interesse der Kontinuität und Rechtsbeständigkeit einer gesetzten Ordnung diese soweit aufrechtzuerhalten, wie sie auch ohne den unwirksamen Teil Ordnungsfunktionen entfalten kann. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Regelungen einer Betriebsvereinbarung keine normative Außenwirkung haben, sondern lediglich Verfahrensfragen im Verhältnis der Betriebsparteien zueinander regeln. In diesen Fällen ist eine Betriebsvereinbarung insgesamt unwirksam, wenn sie ohne die unwirksame Regelung nicht abgeschlossen worden wäre (vgl. BAG 21. Januar 2003 - 1 ABR 9/02 - zu B III 2 der Gründe).
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(b) Hier kann dahingestellt bleiben, welche Kriterien anzulegen sind. Die GesBV stellt auch ohne die problematischen Regelungen in § 4 und § 6 GesBV eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung dar. Sollte es auf den hypothetischen Willen der Betriebsparteien ankommen, so ergibt sich aus der salvatorischen Klausel in § 10 GesBV, dass diese auch ohne die möglicherweise unwirksamen Regelungen in § 4 und/oder § 6 GesBV abgeschlossen worden wäre.
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Linsenmaier
Kiel
Zwanziger
Willms
Busch
(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.
(2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben die Selbständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.
(2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben die Selbständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 27.05.2015 – 5 Ca 24/15 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 12.03.2015 nicht beendet worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 68 %, die Beklagte zu 32 %.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht drei Abmahnungen erteilte und ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch arbeitgeberseitige Kündigung beendet ist.
3Der 1956 geborene, verheiratete Kläger, Vater zweier erwachsener Kinder, war seit dem 01.10.1989 als Busfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Er erzielte zuletzt ein Bruttomonatsentgelt von 3.000,00 €. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Spartentarifvertrag für Nahverkehrsbetriebe (TV-N NW) vom 25.05.2011 Anwendung.
4Die Beklagte schloss mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat am 20.08.2014 eine Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MiX RIBAS und die Zahlung einer Leistungsprämie (Bl. 6 bis 11 d.A.). Nach der Präambel unterstützt der Einsatz des MiX RIBAS- Systems den Fahrer, bei einfachster Handhabung sicher, umweltbewusst und kostensparend zu fahren.
5§ 2 der Betriebsvereinbarung (BV) lautet wie folgt:
6Zielsetzung
7Mit dem Einsatz von RIBAS und der Zahlung einer Leistungsprämie werden folgende Ziele verfolgt:
8- 9
Entlastung des Fahrers
- 10
Erhöhung der persönlichen Zufriedenheit
- 11
Erhöhung der Kundenzufriedenheit
- 12
Verringerung der CO2 Emission
- 13
Verringerung des Verkehrslärms
- 14
Erhöhung der Verkehrssicherheit
- 15
Reduzierung der Energiekosten
- 16
Reduzierung des Materialverschleißes.
In § 3 BV trafen die Parteien folgende Regelung:
18RIBAS Funktionsweise
19Das von MiX Telematics entwickelte RIBAS-Display wird mit einer Kabelverbindung an den Bordcomputer, FM Communicator, angeschlossen. Das Display wird in der Fahrerkabine im Sichtfeld des Fahrers, z.B. A Säule montiert. Werden vom Fahrer die im System hinterlegten Grenzwerte überschritten, informiert ihn darüber eine Warnleuchte des RIBAS-Displays. Jedes Symbol korrespondiert mit einer Überschreitung:
20R = zu hochtourige Fahrweise (over Revving)
21I = Leerlaufzeitüberschreitungen (excessive Idling)
22B = scharfes Bremsen (harsh Braking)
23A = überhöhte Beschleunigung (harsh Acceleration)
24S = Geschwindigkeitsüberschreitungen (over Speeding)
25Neben dem Aufleuchten der jeweiligen LED ertönt für jedes Ereignis eine Sekunde lang ein Signalton. Jede LED leuchtet für die Dauer des Ereignisses, blinkt dann 15 Sekunden lang und schaltet danach ab. So liefert das RIBAS-Display dem Fahrer Information zu Ereignissen in Echtzeit in optischer und akustischer Form. Fahrzeug- und Fahrerereignisse werden vom FM Communicator aufgezeichnet und zur Berichterstattung und Analyse an FM-Web, dem internetbasierten Informationsportal für Fuhrparkmanager von MiX Telematics, weitergeleitet.
26Fahrer, die mit ihrer Einwilligung an dem personalisierten Berichts- und Prämiensystem nach §§ 6, 7 BV teilnehmen, erhalten gemäß § 5 BV wöchentlich einen persönlichen Detailbericht, der ihnen eine detaillierte und konkrete Rückmeldung ihrer Fahrleistung, bezogen auf die wirtschaftliche Fahrweise der letzten Woche, gibt. Zusätzlich erhalten sie den gleichen Bericht mit einer kumulativen Auswertung vom Beginn des jeweiligen Monats bis zum letzten Tag des aktuellen Wochenberichts.
27Fahrer, die nicht am personalisierten Berichts- und Prämiensystem teilnehmen, erhalten gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 BV für die Anmeldung an das RIBAS-System einen anonymisierten Schlüssel. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 BV bleibt die Pflicht zur generellen Teilnahme am RIBAS-System im Sinne des § 4 Abs. 1 BV unberührt.
28Gemäß § 10 Satz 3 BV gilt Folgendes:
29Schulung
30Arbeitnehmer erhalten, bevor sie zum ersten Mal ein mit dem RIBAS-System ausgerüstetes Fahrzeug führen, durch die zuständige Führungskraft eine Einweisung über die Funktionalitäten des RIBAS-Systems. Wird bei den monatlichen Auswertungen seitens des Arbeitnehmers, dessen Führungskraft oder im Rahmen der Fahrerweiterbildung durch die Fahrschule festgestellt, dass bei der Anwendung des RIBAS-Systems noch Verbesserungspotential vorhanden ist, kann von beiden Seiten eine weitere Schulung angeregt und vereinbart werden. Wird im Rahmen des monatlichen Berichtswesens festgestellt, dass im anonymisierten Fahrerdatenbestand in Einzelfällen eine erhebliche Überschreitung der in § 4 Abs. 1 aufgeführten Grenzwerte in Bezug auf die im jeweiligen Betrieb durchschnittlichen Überschreitungen der Grenzwerte erkennbar sind, hat der Arbeitgeber, in vorheriger Abstimmung mit dem Betriebsrat, das Recht die jeweiligen Datensätze zu personalisieren, um gegebenenfalls Schulungsmaßnahmen zu veranlassen.
31Gemäß § 11 BV ist das Bundesdatenschutzgesetz einzuhalten und stellt der Arbeitgeber sicher, dass dieses Gesetz von allen Führungskräften und Arbeitnehmern sowie externen Stellen (z.B.: Kinzle) eingehalten wird.
32In einer Sitzung vom 22.07.2013 fanden die Betriebsparteien ausweislich des Ergebnisprotokolls (Bl. 195 bis 196 d.A.) Übereinstimmung dahingehend, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen aufgrund der RIBAS-Auswertungen ausgeschlossen sind.
33Der von der Beklagten zuvor zu einem Entwurf der BV beteiligte Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW führte mit Schreiben vom 17.03.2014 (Bl. 189 bis 192 d.A.) u.a. Folgendes aus:
34Die Teilnahme der Fahrdienstmitarbeiter am Bewertungs- und Prämiensystem und der damit verbunden Auswertung und Nutzung ihrer Daten ist nach den vorstehenden Ausführungen für die Zielerreichung der Kraftstoffreduzierung beim Betrieb der Kraftomnibusse der C AG nicht zwingend erforderlich. Neben einer freiwilligen Teilnahme der Fahrer, die eine personenbezogene Datenauswertung ermöglicht, kann auch eine stichprobenartige Kontrolle zunächst im Hinblick auf den anonymisierten Fahrerdatenbestand in Betracht kommen. Wird insofern im Einzelfall eine besondere oder anhaltend unwirtschaftliche Fahrweise identifiziert, kann in Abstimmung mit dem Betriebsrat die Möglichkeit einer Personifizierung des betroffenen Fahrers mit der Zielsetzung weiterer Schulungsmaßnahmen erwogen werden.
35Es ist daher zu empfehlen, dass die C AG die Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat entsprechend modifiziert. Über das Ergebnis der Umsetzung dieser Empfehlung bitte ich mich zu unterrichten.
36Am 01.09.2014 trat die Betriebsvereinbarung in ihrer endgültigen Fassung in Kraft.
37Mit Schreiben vom 05.11.2014 (Bl. 194 d.A.) teilte der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit auf ein Schreiben der Beklagten vom 15.10.2014 (Bl. 193 d.A.) mit, dass er es begrüße, dass entsprechend seiner Empfehlung nach der Betriebsvereinbarung nunmehr die Möglichkeit der Anonymisierung der Fahrerdaten bestehe.
38Gemäß § 1 gilt die Betriebsvereinbarung auch für den Kläger. Er erteilte keine Zustimmung zur Teilnahme am personalisierten Berichts- und Prämiensystem.
39Ihm wurde am 27.08.2012 der anonymisierte Schlüssel zur Nutzung übergeben. Er schickte das ihm übersandte Empfangsbekenntnis nicht zurück. Auf Veranlassung der Beklagten fand am 14.10.2014 ein Gespräch statt, in dem er mitteilte, dass er in einem Gespräch mit seinem Teamleiter den Eindruck gewonnen habe, er könne wählen, ob er an dem System teilnehmen wolle.
40Am 30.10.2014 fand ein weiteres Gespräch statt, an dem neben dem Kläger der Fachbereichsleiter Personal und Bildung N und der Leiter des Omnibusbetriebs T teilnahmen. Sie erläuterten ihm das RIBAS-System und die Art und Weise, wie der Datenschutz beachtet wird. Sie wiesen auf die Beteiligung des Landesdatenschutzbeauftragten hin und forderten ihn auf, den RIBAS-Schlüssel ab sofort zu nutzen.
41Nach einer Schulung zum Umgang mit dem RIBAS-System hatte der Kläger bis zum 14.12.2014 Urlaub bzw. Freizeitausgleich. Am 15.12. und 16.12.2014 nutzte er den RIBAS-Schlüssel nicht.
42Mit Schreiben vom 18.12.2014 (Bl. 4, 5 d.A.) mahnte ihn die Beklagte ab und teilte mit, dass sie zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen erwarte, dass er sich vor jeder Fahrt im RIBAS-System anmelde. Bei Übergabe der Abmahnung wurde ihm angeboten, noch einmal eine Einweisung in das System zu erhalten. Er nahm das Angebot nicht an.
43Anschließend war er bis zum 02.01.2015 arbeitsunfähig krank.
44In der Zeit vom 03.01. bis 09.01.2015 nutzte er das System an sechs Arbeitstagen. Ab dem 12.01.2015 verwendete er den anonymen Schlüssel an elf Arbeitstagen nicht.
45Am 30.01.2015 führte er ein Gespräch mit seinem Teamleiter T1, in dem er erklärte, er wolle sich zu der Angelegenheit nicht äußern und sie gerichtlich klären lassen.
46Mit Schreiben vom 05.02.2015 (Bl. 69 d.A.) erteilte die Beklagte ihm eine weitere Abmahnung wegen unterlassener Anmeldung zum RIBAS-System. Die Abmahnung wurde ihm am 12.02.2015 persönlich übergeben und gleichzeitig erläutert, die Beklagte erwarte von ihm die Einhaltung des Verfahrens unabhängig von einer gerichtlichen Klärung seiner Auffassung, an diesem System nicht teilnehmen zu müssen. Er wurde auf die Gefährdung des Bestandes seines Arbeitsverhältnisses hingewiesen.
47Am 19., 20. und 21.02.2015 unterließ er es erneut, den RIBAS-Schlüssel einzusetzen.
48Mit Schreiben vom 26.02.2015 (Bl. 70 d.A.) erteilte ihm die Beklagte eine dritte Abmahnung. Mit Schreiben vom gleichen Tag forderte sie ihn noch einmal eindringlich auf, sich vor jedem Dienstantritt im RIBAS-System anzumelden. Die Schreiben gingen dem Kläger am 04.03.2015 zu.
49Am 05.03. und 06.03.2015 verrichtete er seinen Dienst, ohne sich in dem System anzumelden.
50Mit Schreiben vom 10.03.2015 (Bl. 77 bis 81 d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu ihrer Absicht an, das zu dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis verhaltensbedingt außerordentlich, hilfsweise außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres, mithin zum 30.09.2015 zu kündigen. Am 11.03.2015 (Bl. 82 d.A.) erteilte der Betriebsrat seine Zustimmung sowohl zu der beabsichtigten außerordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung sowie zu der beabsichtigten außerordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung mit einer sozialen Auslauffrist zum 30.09.2015.
51Mit Schreiben vom 12.03.2015 (Bl. 28 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich zum 13.03.2015 und hilfsweise außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum 30.09.2015. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 12.03.2015 zu.
52Mit seiner am 06.01.2015 bei dem Arbeitsgericht Bochum eingegangenen Klage begehrt er die Verpflichtung der Beklagten zur Entfernung der Abmahnung vom 18.12.2014 aus seiner Personalakte.
53Mit Klageerweiterung vom 22.02.2015, am 02.03.2015 bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangen, verfolgt er einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 05.02.2015 aus der Personalakte.
54Mit Klageerweiterung vom 09.03.2015, bei dem Arbeitsgericht Bochum am 11.03.2015 eingegangen, wendet er sich gegen die Abmahnung vom 26.02.2015.
55Mit Klageerweiterung vom 12.03.2015, am selben Tag bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangen, begehrt er die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12.03.2015 nicht aufgelöst wird.
56Er hat vorgetragen:
57Eine Pflicht zur Teilnahme an dem RIBAS-System durch Nutzung des anonymisierten Schlüssels bestehe nicht. Die Betriebsvereinbarung sei unwirksam. Entsprechend sei er zu Unrecht abgemahnt worden.
58Nach dem Bundesdatenschutzgesetz bedürfe die Erhebung personenbezogener Daten seiner Einwilligung. Er habe diese Einwilligung nicht erteilt.
59Zwar sei das Begehren der Beklagten, Energiekosten zu sparen, legitim. Die Erhebung von Daten in diesem Zusammenhang sei jedoch nicht zwingend erforderlich. Die Daten könnten durchaus Erkenntnisse im Hinblick auf die Ursachen des Energieverbrauchs liefern. Mit der Datenerhebung sei jedoch auch eine persönliche Kontrolle des einzelnen Fahrers verbunden, der einen erhöhten Energieverbrauch z.B. durch bestimmte Verkehrsereignisse nicht erläutern könne. Auch bei den anonymisierten Fahrern könnten die Daten durch Hinzuziehung des Dienstplanes personalisiert werden. So könne ein Verhaltensprofil erstellt werden.
60Der zentrale Server, auf dem die Daten gespeichert würden, befinde sich bei der Firma MiX Telematix in London. Der Datenschutzbeauftragte habe dort keinen Zugriff.
61Ihm sei unbekannt, wie viele Mitarbeiter bei der Beklagten Zugriff zu den Daten hätten. Im Übrigen sei es unerheblich, welche Mitarbeiter die Daten einsehen könnten. Es reiche schon aus, dass die Beklagte in der Lage sei, durch ihre Beauftragten die Personalisierung trotz seiner fehlenden Einwilligung vorzunehmen.
62Er habe dem Betriebsrat nicht das Mandat erteilt, über sein informationelles Selbstbestimmungsrecht zu verfügen. Die Betriebsvereinbarung greife in sein Persönlichkeitsrecht ein.
63In den Gesprächen mit der Beklagten habe er darauf hingewiesen, er wolle gerichtlich überprüfen lassen, ob er zum Einsatz des anonymisierten Schlüssels verpflichtet sei. Nach gerichtlicher Entscheidung zugunsten der Beklagten hätte er ihrer Weisung Folge geleistet.
64Die Erhebung seiner Daten sei auch nicht erforderlich gewesen, um die Daten eines vorhergehenden oder nachfolgenden Fahrers verlässlich zuordnen zu können. Anlässlich einer Schulung im Januar 2014 habe ein Referent darauf hingewiesen, dass durch das Ein- und Ausschalten der Zündung die Daten einem gesteckten Datenschlüssel zugeordnet und nur diejenigen Daten gemessen würden, die nach dem Einschalten der Zündung erhoben worden seien.
65Die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist nicht gewahrt. Selbst wenn er sich zu Unrecht geweigert hätte, den RIBAS-Schlüssel zu betätigen, so habe die Kündigungserklärungsfrist mit seiner Erklärung begonnen, er bediene den Schlüssel bis zu einer gerichtlichen Klärung nicht.
66Das Festhalten an seinem Arbeitsverhältnis sei der Beklagte zuzumuten. Durch seine fehlende Mitwirkung an der Datenerfassung habe sie keine erheblichen Nachteile erlitten. Es werde auch bestritten, dass ein nachfolgender Fahrer Nachteile erlitten habe.
67Das System könne auch ohne ihn bestehen, da die Beklagte nach eigenen Angaben seit Einführung bereits 365.000 Liter Dieselkraftstoff eingespart habe.
68Im Übrigen habe er nicht schuldhaft gehandelt, sondern habe sich in einem durchaus gut begründeten und vertretbaren Verbotsirrtum befunden.
69Der Kläger hat beantragt,
70- 71
1. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 aus der Personalakte zu entfernen,
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2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 12.03.2015 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
74die Klage abzuweisen.
75Sie hat die ausgesprochene Kündigung und die Abmahnungen als wirksam verteidigt ausgeführt:
76Es hätten sich weniger als 10 % der bei ihr beschäftigten Fahrer gegen eine Teilnahme an dem Prämiensystem entschieden.
77Auch diese Arbeitnehmer seien verpflichtet, einen anonymisierten Schlüssel zu benutzen. Werde dieser nicht eingesetzt, werde die Auswertung aus technischen Gründen automatisch dem nachfolgenden Fahrer zugerechnet. Das System benötige für die Messung und Zurechnung der Daten zu einem Fahrer einen Start- und Endpunkt. Die Ergebnisse des nachfolgenden Fahrers seien zwingend falsch, wenn nicht nur seine eigene Fahrleistung erfasst werde. Die Firma TL habe das RIBAS-System bereits in anderen Unternehmen erfolgreich eingesetzt.
78Die Daten des Klägers würden grundsätzlich anonymisiert. Nur ausnahmsweise würden die Datensätze in Abstimmung mit dem Betriebsrat personalisiert, wenn erhebliche Überschreitungen der Grenzwerte im Vergleich zu den durchschnittlichen Ergebnissen erkennbar seien. Es werde dann lediglich geprüft, ob Schulungsmaßnahmen zu veranlassen seien.
79Es erfolge auch keine minutengenaue Auswertung der Fahrsituationen. Es würden lediglich Durchschnittswerte wiedergegeben, wie sich aus dem Bewertungsbericht für die Zeit vom 05.04.2015 bis zum 11.04.2015 (Bl. 68 d.A.) ergebe.
80Die Erfahrungen mit dem System aus den ersten Monaten zeigten, dass in erheblichen Maße Dieselkraftstoff eingespart worden, dass die Kundenzufriedenheit aufgrund der vorausschauenden Fahrweise gestiegen sei und sogar Fahrpläne besser eingehalten würden. Nach Einschätzung der Fahrer und Führungskräfte sei die Verkehrssicherheit gestiegen.
81Der Kläger habe beharrlich gegen seine Verpflichtung verstoßen und hätte sich bis zu einer gerichtlichen Entscheidung mit dem anonymisierten Schlüssel in dem System anmelden müssen.
82Eine Weiterbeschäftigung sei ihr unzumutbar. Der Kläger sei gewarnt gewesen und habe die Konsequenzen seiner Weigerung in Kauf genommen.
83Mit Urteil vom 27.05.2015 hat das Arbeitsgericht Bochum die Beklagte verurteilt, die Abmahnungen vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 aus der Personalakte zu entfernen, und hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 12.03.2015 aufgelöst worden ist.
84Es hat ausgeführt:
85Die Abmahnungen seien aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, da sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung seines Verhaltens beruhten. Er habe keine Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis verletzt.
86Er habe sich nicht bei Fahrtbeginn durch Nutzung des anonymisierten Schlüssels anmelden müssen.
87Die Betriebsparteien hätten mit Abschluss der Betriebsvereinbarung die ihnen nach § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG obliegende Pflicht verletzt, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.
88Die Regelung in der Betriebsvereinbarung, auch diejenigen Fahrer, die nicht am Prämiensystem teilnähmen, fortlaufend zu überwachen, sei nicht erforderlich.
89Die Beklagte könne die unter § 2 BV genannten Ziele auch erreichen, wenn sie die Fahrer, die sich gegen die Teilnahme an dem Prämiensystem entschieden hätten, nicht überwache. Sie hätte als milderes Mittel dafür Sorge tragen müssen, dass Aufzeichnungen der Fahrdaten nur in den Zeiträumen erfolgten, in denen am Prämiensystem teilnehmende Fahrer ihre Schlüssel nutzten. Sie hätte ein System einsetzen müssen, dass die Daten nicht fortlaufend erfasse.
90Soweit sie darauf verweise, „auffällige Fahrer“ könnten durch die Überwachung einer Schulung zugeführt werden, hätte es ein milderes Mittel dargestellt, regelmäßig ohne entsprechende Leistungskontrolle vorbeugende Schulungen bei sämtlichen Mitarbeitern durchzuführen. Eine Dauerüberwachung der Mitarbeiter sei entbehrlich.
91Es sei auch nicht erforderlich, dass die Daten ohne zeitliche Begrenzung gespeichert würden.
92Insgesamt sei der Eingriff in das Grundrecht des Klägers unverhältnismäßig.
93Aus diesem Grunde seien auch die Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen.
94Darüber hinaus enthielten die Abmahnungen vom 05.02.2015 und 26.02.2015 unrichtige Tatsachenbehauptungen. Die Beklagte habe darauf hingewiesen, dass die Daten auf einem anonymen Account abgespeichert würden und nicht zuzuordnen seien. Wie sich aus § 10 BV ergebe, sei dieser Hinweis unzutreffend.
95Weiterhin habe die beweisbelastete Beklagte nicht unter Beweis gestellt, dass ihre Behauptung in den Abmahnungen, die Vorgehensweise sei mit dem Landesdatenschutzbeauftragten abgesprochen, zutreffend sei.
96Die Kündigung vom 12.03.2015 sei sozial ungerechtfertigt, da die Beklagte einen Kündigungsgrund im Sinne des § 1 KSchG nicht dargelegt habe.
97Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf Blatt 106 bis 114 der Akte verwiesen.
98Gegen das ihr am 08.06.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.06.2015 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese am 07.08.2015 eingehend begründet.
99Sie rügt das erstinstanzliche Urteil als fehlerhaft und führt aus:
100Es sei erneut darauf hinzuweisen, dass die einem Fahrerschlüssel zugeordneten Daten und das Dienstplanprogramm technisch und organisatorisch getrennt seien. Nur unter Einschaltung der Personalabteilung und mit Zustimmung des Betriebsrates sei die Personalisierung der Daten zulässig.
101Diese würden kontinuierlich aufgezeichnet und an einen Server der Firma L1 in einem Rechenzentrum in London übermittelt und dort gespeichert. Sie habe mit der Firma L1 eine Vereinbarung über die Auftragsdatenverarbeitung geschlossen, die den Vorgaben des § 11 Bundesdatenschutzgesetz entspreche. Auch in Großbritannien gelte europarechtliches Datenschutzrecht. Das Rechenzentrum sei zertifiziert.
102Die gespeicherten Daten würden 12 Monate nach der Aufzeichnung gesperrt. Diese Speicherdauer sei notwendig, um Nachfragen im Zusammenhang mit der Prämienvergabe beantworten zu können. Seien die Daten gesperrt, habe sie keinen Zugriff mehr. Aus rechtlichen Gründen würden sie bis zu weiteren neun Jahren auf einem externen Datenmedium gespeichert.
103Nach Angaben des Herstellers sei es technisch nicht möglich, die erhobenen Daten auf dem Server bzw. dem Speicher zu sortieren und nur die Daten von am Prämiensystem teilnehmenden Mitarbeitern zu speichern. Entsprechend sei auch keine getrennte Aufzeichnung möglich.
104Zwar sei es möglich, durch Unterbrechung des Zündkontaktes die Datenzuschreibung auf den nachfolgenden Fahrer zu verhindern. Allerdings beanspruche dieser Vorgang etwa zwei Minuten und führe zu erhöhten Emissionen.
105Die Betriebsvereinbarung stelle eine ergänzende Vereinbarung im Sinne von § 6 der Rahmenbetriebsvereinbarung über die Einführung von EDV-Systemen und bereits bestehenden EDV-Systemen vom 01.10.1996 dar.
106Der Kläger habe keine arbeitsrechtlichen Sanktionen im Falle ungünstiger Daten zu besorgen, da die Betriebsparteien festgehalten hätten, dass arbeitsrechtliche Sanktionen infolge der erhobenen Daten nicht zulässig seien.
107Ein Abgleich zwischen den Dienstplänen und den erhobenen Daten sei nicht allgemein möglich. Die Dienstpläne der Fahrer würden nicht allgemein veröffentlicht.
108Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichtes seien theoretische Schulungen und ein Fahrtraining nicht so wirksam wie die Teilnahme am RIBAS-System, das sofort in der Situation ein Feedback gebe. Das zeige sich auch darin, dass sie zwar seit vielen Jahren regelmäßig alle Fahrer schule, nach Einführung des RIBAS-Systems dennoch deutliche Verbesserungen festzustellen seien.
109Die Ziele der Betriebsvereinbarung seien auch nur erreichbar, wenn alle Mitarbeiter die Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Fahrweise nutzten. Durch optische und akustische Signale werde der Fahrer aufmerksam gemacht und veranlasst, seine Fahrweise zu optimieren. Die Wirksamkeit der Maßnahme wäre beeinträchtigt, nähmen nur Arbeitnehmer teil., die ausdrücklich in die personalisierte Datenerhebung eingewilligt hätten.
110Die Eingriffsintensität sei geringer als bei einer Videoüberwachung. Es würden nur Maschinendaten erhoben. Persönlichkeitsrelevante Merkmale wie Verhalten gegenüber Kunden und anderen Verkehrsteilnehmern, Pünktlichkeit, Gesprächsverhalten während der Fahrt blieben außen vor. Es sei nicht möglich, ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen.
111Die Belastung der einzelnen Fahrer sei gering, da das System im Wesentlichen zur Selbstkontrolle anhalte. Die Fremdkontrolle greife nur ausnahmsweise ein. Unter gewöhnlichen Umständen würden die anonym erhobenen Daten nicht personalisiert.
112Entsprechend habe der Landesdatenschutzbeauftragte die Betriebsvereinbarung für wirksam angesehen.
113Auch die erteilten Abmahnungen seien wirksam. Die Abmahnungen vom 05.02.2015 und 26.02.2015 enthielten keine unzutreffenden Angaben zum Sachverhalt.
114Die Kündigung sei als außerordentliche, fristlose Kündigung wirksam, da es der Kläger beharrlich abgelehnt habe, den Schlüssel zu benutzen, statt die Angelegenheit zunächst rechtlich klären zu lassen. Die Kündigung sei zumindest als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gerechtfertigt.
115Die Beklagte beantragt,
116das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 27.05.2015
117– Az: 5 Ca 24/15 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
118Der Kläger beantragt,
119die Berufung zurückzuweisen.
120Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und führt ergänzend aus:
121Es könne dahinstehen, ob das Dienstplanprogramm und das RIBAS-System technisch getrennt gefahren würden. Die Mitarbeiter der Beklagten, die Zugriff auf beide Systeme hätten, könnten eine Zuordnung vornehmen. Das ergebe sich aus dem eigenen Vortrag der Beklagten.
122Er bestreite, dass die erforderliche Datensicherheit im Rechenzentrum in London gegeben sei und nach 12 Monaten die Daten gelöscht würden.
123Es müsse technisch möglich sein, die erhobenen Daten der anonymisierten Fahrer und der Teilnehmer an dem Prämiensystem getrennt zu speichern und unterschiedlich zu behandeln. Sei dies nicht möglich, dürfe die Beklagte das System nicht verwenden.
124Für die Entscheidung sei unmaßgeblich, ob er konkreten Anlass habe zu befürchten, sie werde die Regeln zur Personalisierung seiner Daten nicht einhalten. Maßgeblich sei, dass sie in der Lage sei, die Personalisierung vorzunehmen.
125Die Betätigung des RIBAS-Schlüssels durch die Mitarbeiter, die nicht am Prämiensystem teilnähmen, sei nicht erforderlich. Der Datenfluss könne, wie die Beklagte eingeräumt habe, durch Unterbrechung des Zündkontaktes beendet werden.
126Die Schulung der Mitarbeiter, die nicht an dem Prämienverfahren teilnähmen, sei zu Recht von dem erstinstanzlichen Gericht als mildere Maßnahme beurteilt worden.
127Die Abmahnungen vom 05.02. und 26.02.2015 seien entgegen der Auffassung der Beklagten auch deshalb rechtswirksam, weil sie zu Unrecht ausgeführt habe, seine Daten seien nicht zuzuordnen, und zu Unrecht darauf verwiesen habe, der Landesdatenschutzbeauftragte sei beteiligt worden. Das habe sie jedenfalls in der ersten Instanz nicht schlüssig vorgetragen.
128Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
129Entscheidungsgründe
130A.
131Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 b, c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte und form- sowie fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum ist im Wesentlichen begründet.
132I.
133Die zulässige Kündigungsschutzklage ist teilweise begründet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis hat durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 12.03.2015 mit sozialer Auslauffrist am 30.09.2015 geendet.
1341. Die Kündigung ist nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
135a. Die Beklagte hat schlüssig dargelegt, den bei ihr bestehenden Betriebsrat mit Schreiben vom 10.03.2015 von ihrer Absicht unterrichtet zu haben, das zu dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2015 kündigen zu wollen. Sie hat ihn zutreffend über die Sozialdaten des Klägers (Alter, Beschäftigungszeit, Unterhaltspflichten) informiert. Durch Hinweis auf die Beschäftigungsdauer und Kennzeichnung der hilfsweise auszusprechenden Kündigung als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist hat sie klargestellt, dass der Kläger nicht ordentlich kündbar ist. Die Kündigungsgründe hat sie im Einzelnen unter Darstellung der erteilten Abmahnungen beschrieben und ihre Interessenabwägung detailliert begründet.
136b. Das Anhörungsverfahren war mit der Zustimmung des Betriebsrats vom 11.03.2015 sowohl zu der fristlosen Kündigung als auch zu der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist vor Kündigungsausspruch am 12.03.2015 beendet.
137Der Kläger hat den Vortrag nicht bestritten.
1382. Die Beklagte hat die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
139Wie sich aus der Betriebsratsanhörung ergibt, hat sie ihren Kündigungsentschluss nicht – wie vom Kläger angenommen – auf seine Weigerung am 30.01.2015 gestützt, sich mit einem Schlüssel zu dem RIBAS-System anzumelden. Sie hat auf den Nichtgebrauch des Schlüssels am 05.03.2015 und 06.03.2015 abgestellt.
140Bei Beginn der Kündigungserklärungsfrist am 06.03.2015 endete sie am 20.03.2015. Die Kündigungserklärung ging dem Kläger am 12.03.2015 zu.
1413. Die außerordentliche fristlose Kündigung ist jedoch nicht im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB durch Tatsachen gerechtfertigt, aufgrund derer es der Beklagten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfall und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar war, das Arbeitsverhältnis wenigstens für die Dauer der sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum Quartalsende entsprechend der längsten Kündigungsfrist nach § 20 Abs. 4 TV-N NRW fortzuführen.
142Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung ist in zwei Stufen zu prüfen. Zunächst müssen Tatsachen vorliegen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zu bilden. Im zweiten Schritt ist festzustellen, ob unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls eine weitere Beschäftigung zumutbar ist (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 - Rdnr. 16, BAGE 134, 349).
143a. Ein an sich zur fristlosen Kündigung berechtigender wichtiger Grund ist gegeben, da sich der Kläger beharrlich geweigert hat, seiner Verpflichtung aus § 4 Abs. 2 BV nachzukommen, sich trotz Ablehnung der Teilnahme an dem Prämiensystem mit einem anonymisierten Schlüssel anzumelden.
144aa. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BV erhalten Fahrer, die nicht an dem personalisierten Berichts- und Prämiensystem teilnehmen, für die Anmeldung an das RIBAS-System einen anonymisierten Schlüssel. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 BV bleibt die Pflicht zur generellen Teilnahme an diesem System bestehen, auch wenn der Fahrer seine Zustimmung zur Datenerhebung im personalisierten System nicht erteilt.
145Der Kläger hat diese Verpflichtung am 05.03.2015 und 06.03.2015 nicht erfüllt.
146bb. Die sich aus der Betriebsvereinbarung ergebende Pflicht ist mit höherrangigem Recht vereinbart.
147(1) Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist.
148(a) Die Beklagte erhebt, verarbeitet und nutzt automatisiert die erhobenen Daten im Sinne des § 3 Abs. 3, 4, 5 Bundesdatenschutzgesetz, indem sie die nach § 3 BV ermittelten Durchschnittswerte nach § 6 Abs. 2 BV der Berechnung der Monatsprämie zugrunde legt und in Einzelfällen bei erheblichen Überschreitungen der Werte in Bezug auf die im jeweiligen Betrieb durchschnittlichen Überschreitungen der Grenzwerte nach Abstimmung mit dem Betriebsrat die anonym erhobenen Daten personalisiert, um gegebenenfalls Schulungsmaßnahme zu veranlassen, § 10 Satz 3 BV.
149(b) Es handelt sich um persönliche Daten im Sinne des § 3 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz, nämlich um Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmbaren Person.
150Die Daten beziehen sich auf das Fahrverhalten des Fahrers, damit auf seine Leistung, die Art und Weise der Erfüllung seiner Hauptpflicht aus dem Arbeitsvertrag.
151Der Kläger ist als betroffene Person auch bestimmbar. Der Betroffene ist bestimmbar, wenn er mithilfe weiterer verfügbarer Erkenntnisse identifiziert werden kann, und zwar mit angemessenem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft, wie aus § 3 Abs. 6 Bundesdatenschutzgesetz folgt (Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand 2015, § 3 BDSG Rdnr. 3).
152Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass der Anonymisierungsschutz ohne großen Aufwand durch Hinzuziehung der Dienstpläne aufgehoben werden kann.
153(2) Gemäß § 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten zulässig, wenn das Bundesdatenschutzgesetz oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet oder der Betroffene eingewilligt hat.
154Der Kläger hat seine Einwilligung nicht erteilt. Eine Erlaubnis folgt jedoch aus der Betriebsvereinbarung.
155(a) Als Rechtsvorschrift im Sinne des § 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz ist auch eine Betriebsvereinbarung anzusehen (BAG 15.04.2014 – 1 ABR 2/13 (B) - Rdnr. 49, NZA 2014, 541; ErfK/Franzen, 16. Aufl., § 4 BDSG Rdnr. 2; Wybitul, NZA 2014, 225).
156Hier erlaubt die Betriebsvereinbarung die Erhebung anonymer Daten, die im Ausnahmefall auch personalisiert werden dürfen.
157(b) Die nach § 87 Abs. 1, 6 BetrVG von den Betriebsparteien abgeschlossene Betriebsvereinbarung ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht unwirksam. Sie verstößt nicht gegen § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.
158Danach haben Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben demnach bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung das aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht zu beachten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Die Zuordnung eines konkreten Rechtschutzbegehrens zu den verschiedenen Aspekten des Persönlichkeitsrechts richtet sich vor allem nach der Persönlichkeitsrechtsgefährdung. Außerhalb des absoluten Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung garantiert. Es kann deshalb durch verfassungsgemäße Gesetze eingeschränkt werden. Derartige Regelungen können auch die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen Betriebsvereinbarungen enthalten. Der Gesetzgeber genügt insoweit seiner Pflicht, die Arbeitnehmer als Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Grundrechte durch privatautonome Regelungen zu bewahren, indem er die Betriebsparteien in § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verpflichtet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen (BAG 15.04.2014 a.a.O. Rdnr. 40).
159Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugunsten schützenswerter Belange eines anderen Grundrechtsträgers richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser verlangt eine Regelung, die geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Den Betriebsparteien dürfen zur Zielerreichung keine anderen, gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Eine Regelung ist verhältnismäßig im engeren Sinn, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (BAG 15.04.2014 a.a.O. Rdnr. 41).
160Nach diesen Grundsätzen beeinträchtigt die Erhebung von Leistungsdaten bei dem Kläger, die nur ausnahmsweise personalisiert werden, sein allgemeines Persönlichkeitsrecht in Form des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung nicht in unverhältnismäßiger Weise.
161(aa) Das Gericht geht zu seinen Gunsten davon aus, dass das RIBAS-System in sein Persönlichkeitsrecht eingreift. Es ist zwar nicht wie bei einer Taschenkontrolle seine Privatsphäre unmittelbar betroffen (vgl. zur Taschenkontrolle BAG 15.04.2015 a.a.O. Rdnr. 43). Es wird aber sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung berührt. Die Selbstbestimmungsfreiheit ist Teil des nach Artikel 2 Abs. 1 GG geschützten Bereichs (Richardi, BetrVG, 14. Aufl., § 75 BetrVG Rdnr. 46; Beck OK BGB/Bamberger § 12 BGB Rdnr. 93).
162Solange die Daten des Klägers anonymisiert sind, unterliegt er keiner Leistungskontrolle. Wird dieser Schutz bei überdurchschnittlich negativen Werten aufgehoben, ist naturgemäß eine Leistungskontrolle gegeben. Im Regelfall bleibt er anonym. Zu seinem Selbstbestimmungsrecht gehört auch die Entscheidung, sich während der Fahrtätigkeit nicht dauernd von akustischen und optischen Signalen beeinflussen zu lassen, sich nicht ständig vergegenwärtigen zu müssen, dass überdurchschnittlich negative Werte zu einer tatsächlichen Leistungskontrolle führen können.
163(bb) Die Regelung, dass auch Fahrer, die nicht an dem Prämiensystem teilnehmen, durch Benutzung eines anonymen Schlüssels die Datenerhebung nach dem RIBAS-System auslösen müssen und dass unter bestimmten Voraussetzungen ihre Daten personalisiert werden, ist geeignet, den erstrebten Erfolg zu fördern, wobei den Betriebsparteien ein Beurteilungsspielraum zukommt (BAG 29.06.2004 – 1 ABR 21/03 - Rdnr. 18).
164Nach der Präambel zu der BV ist es Ziel der Betriebsparteien, die Fahrökonomie zu steigern und den Fahrer bei einfacher Handhabung zu unterstützen, sicher, umweltbewusst und kostensparend seine Tätigkeit auszuführen. Diese allgemeine Zielsetzung ist in § 2 BV konkretisiert worden. Erstrebt wird die Entlastung des Fahrers bei höherer persönlicher Zufriedenheit, die Steigerung der Kundenzufriedenheit, die Verringerung ökologischer Beeinträchtigungen wie CO 2- Emissionen und Verkehrslärm sowie die Reduzierung von Energiekosten und Materialverschleiß.
165Dass es sich dabei um legitime, im Interesse der Beklagten, der Beschäftigten und der Allgemeinheit liegende Ziele handelt, hat der Kläger nicht in Abrede gestellt.
166Das RIBAS-System ist auch geeignet, diese Ziele zu erreichen.
167Es fördert die Selbstkontrolle der Fahrer. Nach § 3 BV wird das RIBAS-Display mit einer Kabelverbindung an den Bordcomputer angeschlossen und vermittelt dem Fahrer akustische und optische Signale, aus denen er unmittelbar schließen kann, ob er zu hochtourig fährt, Leerlaufzeiten überschreitet, zu scharf bremst, zu stark beschleunigt oder vorgeschriebene Geschwindigkeiten überschreitet. Er kann unmittelbar reagieren und seine Fahrweise anpassen. Durch die Signale wird er immer wieder zu einer Selbstkontrolle stimuliert.
168Die Aufzeichnung und Speicherung der Daten im Sinne einer Berichterstattung fördert den Leistungsvergleich der Fahrer untereinander. Gemäß § 5 Abs. 1 BV erhalten die Fahrer, die an dem Berichts- und Prämiensystem teilnehmen, einen persönlichen Detailbericht. Der Leiter des Betriebs erhält nach § 5 Abs. 2 BV einen Fahrerbewertungsbericht, der gemäß § 5 Abs. 3 BV anonymisiert allen Fahrern im Aufenthaltsraum durch Aushang zur Kenntnis gegeben wird. Auch die Fahrer, die nur anonym teilnehmen, haben damit die Möglichkeit, ihren persönlichen Fahrstil anhand der Ergebnisse der Kollegen zu reflektieren.
169Das RIBAS-System ermöglicht es der Beklagten zum anderen, im Ausnahmefall unter den Voraussetzungen des § 10 Satz 3 BV auf das Fahrverhalten der nicht an dem Prämiensystem teilnehmenden Fahrer durch Schulungsmaßnahmen einzuwirken, überhaupt erst einmal einen Schulungsbedarf festzustellen.
170Dass die Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem erstrebten Ziel förderlich sind, zeigt die Tatsache, dass ab dem 01.09.2014 bis April 2015 bereits 365.000 Liter Dieselkraftstoff eingespart wurden. Die Behauptung der Beklagten, die erstrebte vorausschauende Fahrweise ohne starkes Beschleunigen oder Bremsen sei für die Fahrgäste angenehm und diene der Verkehrssicherheit, ist lebensnah und nachvollziehbar.
171(cc) Die Erhebung der Daten auch bei Fahrern wie dem Kläger, grundsätzlich anonym, im Einzelfall personalisiert, ist entgegen seiner Auffassung auch erforderlich.
172Eine Maßnahme ist dann erforderlich, wenn andere, gleich wirksame und das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers weniger einschränkende Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen (BAG 15.04.2013 a.a.O. Rdnr. 46). Die Betriebsparteien haben auch hier einen Beurteilungsspielraum (BAG 29.06.2004 a.a.O. Rdnr. 19).
173Die Kammer teilt die Auffassung der Beklagten, dass die Anordnung von Schulungsmaßnahmen bei sämtlichen Fahrern ohne die Kontrolle durch das RIBAS-System nicht gleich wirksam ist. Schulungsmaßnahmen vermitteln theoretische Kenntnisse, die jedoch der Umsetzung in der Praxis bedürfen. Zwar kann ein praktisches Fahrtraining als Begleitmaßnahme die Möglichkeit eröffnen, Erlerntes anzuwenden und erste Erfahrungen zu sammeln. Gleichwohl verfestigt sich Erlerntes erst dann, wenn es hier den Fahrstil so prägt, dass ökologisches und ökonomisches Fahren zur Selbstverständlichkeit wird, keiner Reflektion mehr bedarf. Das erfordert ständiges Üben und ein kontinuierliches Feedback, das den Fahrern im Alltagsbetrieb durch die optischen und akustischen Signale des RIBAS-Systems ständig gegeben wird. Auch die nicht an dem Prämiensystem teilnehmenden Fahrer werden durch die Vereinbarung in § 4 Abs. 2 Satz 2, Satz 4 BV zur Selbstkontrolle angehalten. Durch den Aushang von Berichten nach § 5 Abs. 3 BV erhalten sie die mangels Vorliegens eigener konkreter Daten die eingeschränkte, aber gleichwohl zu nutzende Möglichkeit, ihren Fahrstil in Bezug zu dem Gesamtergebnis zu setzen.
174Die Beklagte hat die Möglichkeit, monatlich festzustellen, ob im anonymisierten Datenbestand in Einzelfällen eine erhebliche Überschreitung der in § 4 Abs. 1 BV aufgeführten Grenzwerte in Bezug auf den Durchschnitt vorliegt, und kann diese Fahrer nach vorheriger Aufhebung der Anonymisierung mit Zustimmung des Betriebsrats gezielt einer Schulungsmaßnahme zuführen. Sie kann ihnen die Defizite konkret aufzeigen, so die Motivation steigern, sich (erneut) schulen zu lassen.
175Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob es technisch möglich ist, das RIBAS-System auch zu nutzen, wenn nur die an dem Prämiensystem beteiligten Fahrer den Schlüssel benutzen, um das System zu starten.
176(dd) Die dem Kläger auferlegte Pflicht, mit einem anonymisierten Schlüssel an der Datenerhebung teilzunehmen, sowie die Regelung zur Aufhebung des Datenschutzes sind angemessen.
177Angemessen ist die Regelung, wenn sie verhältnismäßig im engeren Sinne erscheint. Es bedarf hier einer Gesamtabwägung zwischen der Intensität des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe. Die Grenze der Zumutbarkeit darf nicht überschritten werden. Die erforderliche Rechtsgüterabwägung kann nicht ab-strakt vorgenommen werden. Vielmehr sind jeweils die Gesamtumstände maßgeblich. Dabei ist für die Angemessenheit einer grundrechtsbeschränkenden Maßnahme die Eingriffsintensität mitentscheidend. Es ist bedeutsam, wie viele Personen wie intensiven Beeinträchtigungen ausgesetzt sind und ob diese Personen hierfür einen Anlass gegeben haben. Das Gewicht der Beeinträchtigung hängt auch davon ab, ob die Betroffenen als Personen anonym bleiben, welche Umstände und Inhalte der Kommunikation erfasst werden können und welche Nachteile den Grundrechtsträgern aus der Überwachungsmaßnahme drohen oder von ihnen nicht ohne Grund befürchtet werden. Relevant ist auch, ob die Überwachungsmaßnahmen in einer Privatwohnung oder in Betriebs- und Geschäftsräumen stattfinden und ob und in welcher Zahl unverdächtige Dritte mit betroffen sind (BAG 29.06.2004 a.a.O. Rdnr. 20).
178Die Intensität der Beeinträchtigung hängt ferner maßgeblich von der Dauer und der Art der Überwachungsmaßnahme ab. Das als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedarf unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung eines besonderen Schutzes. Es ist vor allem deshalb gefährdet, weil mit dieser Technik Informationen über bestimmte Personen grundsätzlich unbegrenzt speicherbar und jederzeit abrufbar sind und mit anderen Datensammlungen zu einem Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden können, ohne dass der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann. Diese technischen Möglichkeiten sind geeignet, bei den betroffenen Personen einen psychischen Anpassungsdruck zu erzeugen (BAG 29.06.2004 a.a.O. Rdnr. 21).
179Hier findet die Datenerhebung allein am Arbeitsplatz des Klägers statt. Der Kernbereich seiner Lebensführung ist nicht betroffen. Anders als bei einer Videoüberwachung muss er sich nicht bei jeder Bewegung kontrollieren, wird nicht seine Körpersprache bei der Arbeit oder in der Kommunikation mit Vorgesetzten, Kollegen oder Fahrgästen aufgezeichnet. Es werden lediglich Fahrzeugdaten erhoben, die Indikatoren für eine erwünschte bzw. unerwünschte Fahrweise sind.
180Dem Kläger ist zuzugestehen, dass z.B. scharfes Bremsen oder eine starke Beschleunigung der Verkehrssituation geschuldet sein können, ohne dass er die Möglichkeit hat, sich zu rechtfertigen. Allerdings sind die Auffälligkeiten nur dann von Bedeutung, wenn sie zu erheblich über dem Durchschnitt liegenden Messwerten führen. Da auch andere Fahrer Verkehrssituation zu bewältigen haben, in denen sie zur Verkehrssicherheit die RIBAS-Vorgaben außer Acht lassen müssen, fließen solche Ausnahmesituationen in die Gesamtbetrachtung ein.
181Im Übrigen zeigt der von der Beklagten vorgelegte Bericht über die Fahrerbewertung (Bl. 68 d.A.), dass keine situationsgebundenen Einzel- oder Detaildaten ausgewertet werden.
182Zu berücksichtigen ist ferner, dass anders als bei einer Torkontrolle oder bei einer Videoüberwachung die bei dem Kläger erhobenen Daten grundsätzlich anonym bleiben. Die Beklagte darf die Anonymisierung auch nicht nach Gutdünken aufheben, da sie sich zuvor mit dem Betriebsrat abzustimmen hat, der damit die Interessen des Betroffenen wahren kann und muss. Nach dem Willen der Betriebsparteien ist die Personalisierung der Daten an eine erhebliche, nicht die bloße Überschreitung der durchschnittlichen Werte gebunden.
183Dass sie in dieser Ausnahmeregelung mit der Formulierung „eine erhebliche Überschreitung“ einen unbestimmten Rechtsbegriff verwendet haben, begegnet keinen Bedenken. Unbestimmte Rechtsbegriffe werden regelmäßig in Normen, auch in Betriebsvereinbarungen verwendet. Dass sie im Streitfall erst im Zuge der Anwendung durch die Gerichte konkretisiert werden, ist darin angelegt. Hier ist zu berücksichtigen, dass sich zunächst die Betriebsparteien darüber verständigen müssen, dass erhebliche Überschreitungen vorliegen. Wann sie erheblich sind, lässt sich im Übrigen unter Berücksichtigung der Regelungen in §§ 2, 3, 4 Abs. 1, 6 BV mit herkömmlichen juristischen Methoden bestimmen.
184Dem Kläger ist zuzugestehen, dass die Personalisierung seiner Daten ohne großen Aufwand möglich ist und deshalb auch missbräuchlich durch Unbefugte erfolgen kann. Die Betriebsvereinbarung kann jedoch nur den Schutzstandard festlegen, schützt aber nicht gegen Pflichtverletzungen durch andere Beschäftigte. Ansonsten könnte die Beklagte überhaupt keine Daten zur Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erheben, da sie regelmäßig zweckwidrig verwendet werden können, selbst wenn sie korrekte, den Anforderungen des Datenschutzes entsprechende Regelungen z.B. zu Zugriffsrechten trifft.
185Bei der Würdigung der Eingriffsqualität der den Kläger betreffenden Regelungen ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine dauerhafte Datenerhebung und -nutzung handelt. Dabei ist jedoch von entscheidender Bedeutung, dass er selbst bei Aufhebung der Anonymisierung keine arbeitsrechtlichen Sanktionen zu besorgen hat, sondern lediglich zu Schulungsmaßnahmen veranlasst werden kann. Die Betriebsvereinbarung enthält keine Regelungen zu Sanktionen. Die Betriebsparteien haben in dem Ergebnisprotokoll vom 22.07.2013 darüber hinaus festgehalten, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen aufgrund der RIBAS-Auswertungen ausgeschlossen sind.
186In die Gesamtabwägung hat des Weiteren einzufließen, dass es nicht nur im wirtschaftlichen Interesse der Beklagten, sondern im ökologischen Interesse der Allgemeinheit liegt, alle Fahrer im öffentlichen Nahverkehr zu einem sicheren, umweltbewussten und kostensparenden Fahrstil zu veranlassen.
187(3) Die Betriebsvereinbarung ist nicht unwirksam, weil sie keine Regelung zur Dauer der Speicherung der erhobenen Daten enthält.
188Treffen die Betriebsparteien keine Regelung, gilt § 35 Abs. 2 Nr. 3 Bundesdatenschutzgesetz. Die Daten sind zu löschen bzw. gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 1 Bundesdatenschutzgesetz zu sperren, wenn ihre Kenntnis für die Erfüllung des Zwecks der Speicherung nicht mehr erforderlich ist.
189Hier werden die Daten ein Jahr nach ihrer Aufzeichnung für den Zugriff durch die Beklagte gesperrt und nur noch im Hinblick auf Verjährungsfristen und Aufbewahrungsfristen nach der Abgabenordnung – bezogen auf die gezahlten Prämien – extern aufbewahrt.
190(4) Die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung wird auch nicht durch die Auftragsvereinbarung extern durch die Firma L1 berührt. Die Auftragsverarbeitung ist gemäß § 11 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz grundsätzlich erlaubt. Die Beklagte trägt die Verantwortung für die Wahrung der gesetzlichen Vorschriften, wie sich auch aus § 11 BV ergibt. Der Kläger kann im Einzelfall seine Rechte aus §§ 6, 7 Bundesdatenschutzgesetz geltend machen.
191(bb) Seine Pflichtverletzungen sind besonders schwerwiegend, weil er sich wiederholt und beharrlich geweigert hat, den anonymisierten Schlüssel zu nutzen. Die Beklagte hat ihm in einem Gespräch am 30.10.2014 die Betriebsvereinbarung zur Information vorgelegt. Sie hat ihm angeboten, ihm die technischen Hintergründe des RIBAS-Systems zu erläutern. Er ist in 2014 im Umgang mit dem System geschult worden. Die Beklagte hat mit ihm am 30.01.2015 erneut ein Gespräch geführt und ihn auf seine Verpflichtung zur Schlüsselnutzung hingewiesen. Weder die Aufklärung noch die Gespräche noch die erteilten drei Abmahnungen konnten ihn davon abhalten, auch am 05.03. und 06.03.2015 das RIBAS-System nicht zu starten.
192(cc) Er hat vorsätzlich gehandelt, da er sich nicht in einem unverschuldeten Rechtsirrtum befand.
193Entschuldbar ist ein Rechtsirrtum über die Rechtslage dann, wenn sie objektiv zweifelhaft ist und der Arbeitnehmer sie sorgfältig geprüft und sich zuverlässig erkundigt hat (BAG 31.01.1985 – 2 AZR 486/83 - Rdnr. 41, NZA 1986, 138). Seine bloße Rechtsüberzeugung reicht nicht aus. Seine Rechtsauffassung muss auf einer bestimmten Gesetzeslage bzw. der bisherigen Rechtsprechung oder bei zweifelhafter Rechtslage auf der Auskunft einer geeigneten neutralen Stelle beruhen.
194Hier ist die Rechtslage zweifelhaft, wie die erstinstanzliche Entscheidung und das Ergebnis des Berufungsverfahrens zeigen. Der Kläger hat zwar auf seine Rechtsüberzeugung hingewiesen, jedoch nicht dargelegt, dass ihm sein Prozessbevollmächtigter nach sorgfältiger Prüfung erklärt hat, er habe im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung keine Verpflichtung, den anonymisierten Schlüssel einzusetzen.
195b. Nach der Interessenabwägung war es der Beklagten jedoch zuzumuten, die soziale Auslauffrist zu wahren.
196Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes oder ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und or-dentliche Kündigung anzusehen, wenn sie schon geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen (BAG 10.06.2010 a.a.O. Rdnr. 34).
197aa. Die Beklagte hat den Kläger dreimal ohne Erfolg abgemahnt. Eine weitere Abmahnung hätte seine Weigerungshaltung nicht beeinflusst, da er nachhaltig an seiner Rechtsauffassung festgehalten hat, den Schlüssel nicht benutzten zu müssen. Eine Verhaltensänderung konnte bei Kündigungsausspruch nicht erwartet werden.
198bb. Bei Würdigung der beiderseitigen Interessen war es der Beklagten nicht zuzumuten, dauerhaft an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten. Das hätte bedeutet, dass der Kläger trotz der unmittelbaren und zwingenden Geltung der wirksamen Betriebsvereinbarung, § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, die sich für ihn ergebenden Pflichten nicht zu erfüllen hätte. Ihr Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegt sein Interesse an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes. Die Kammer hat berücksichtigt, dass das langjährige Arbeitsverhältnis bis in das Jahr 2014 nicht durch Abmahnungen wegen Pflichtverletzungen des Klägers belastet war, mag die Kommunikation zwischen den Parteien schon längere Zeit gestört gewesen sein, wie die Beklagte dem Betriebsrat in der Anhörung berichtet hat. Das von ihr angesprochene Misstrauen des Klägers gegen seine Arbeitgeberin zeigt sich auch in seiner Sorge, sie könne die erhobenen Daten missbrauchen. Diese Sorge ist zwar nachvollziehbar, musste ihn jedoch nicht zwingend veranlassen, seine Pflicht nicht zu erfüllen. Er hätte unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Prüfung, die er bereits durch Klage gegen die ihm erteilten Abmahnungen eingeleitet hatte, den anonymisierten Schlüssel verwenden können. Hätte ihn die Beklagte nach Personalisierung seiner Fahrdaten aufgefordert, an einer Schulungsmaßnahme teilzunehmen, hätte er diese Weisung gerichtlich angreifen können. Er war nicht schutzlos gestellt.
199Gleichwohl war es der Beklagten im Hinblick auf eine Zusammenarbeit, die über mehr als zwei Jahrzehnte reibungslos verlaufen ist, zuzumuten, die soziale Auslauffrist einzuhalten.
200(1) Eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ist nicht durch § 20 Abs. 6 TV-N ausgeschlossen. Schon der Wortlaut der Bestimmung schließt lediglich eine Kündigung ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes aus, nicht aber die Kündigung aus wichtigem Grund mit sozialer Auslauffrist. Ein solches Verständnis widerspricht nicht dem Sinn und Zweck des tariflichen Sonderkündigungsschutzes. Durch ihn sollen länger Beschäftigte, ältere Arbeitnehmer, die im Allgemeinen weniger schnell einen Zugang zu dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden, einen besonderen Arbeitsplatzschutz erhalten (BAG 13.05.2015 – 2 AZR 531/14 - Rdnr. 31, BB 2015, 2682).
201Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen muss zugunsten des Arbeitnehmers eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende soziale Auslauffrist eingehalten werden, wenn das pflichtwidrige Verhalten bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde. Ansonsten wirkte sich der besondere Sonderkündigungsschutz zum Nachteil des Arbeitnehmers aus (BAG 13.05.2015 a.a.O. Rdnr. 44). Allerdings wird bei Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Die Pflichtverletzung muss einerseits so gravierend sein, dass sie im Grundsatz auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnte. Andererseits muss es dem Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zumutbar sein, dennoch die (fiktive) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Ist etwa die Gefahr einer Wiederholung des Pflichtverstoßes für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist auszuschließen, aber nicht darüber hinaus, kann ausnahmsweise gerade der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dazu führen, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist besteht (BAG 13.05.2015 a.a.O. Rdnr. 45; 21.06.2001 – 2 AZR 325/00 - Rdnr. 38, ZTR 2002, 81; 13.04.2000 – 2 AZR 259/99 - Rdnr. 37, EZA § 626 BGB n.F. Nr. 180).
202Nach Auffassung der Kammer war es der Beklagten im Hinblick auf die langjährige Beschäftigung und das Alter des Klägers zuzumuten, für die Dauer eines halben Jahres, jedoch nicht auf Dauer, bei ihm auf die Datenerhebung zu verzichten. Wie sich in der mündlichen Verhandlung herausgestellt hat, lässt es sich durch Unterbrechung der Zündung vermeiden, dass seine Fahrdaten einem anderen Busfahrer zugeschrieben werden, wenn er den Schlüssel nicht benutzt. Nach Angaben der Beklagten sind etwa zwei Minuten aufzuwenden, um die Zündung des Busses auszustellen und ihn neu zu starten. Zu Recht weist sie darauf hin, dass der Neustart zu höheren Emissionen führt, die aber für einen überschaubaren Zeitraum hinzunehmen sind. Nennenswerte Störungen des Busfahrplanes sind bei einer maximal zweiminütigen Unterbrechung nicht ernsthaft zu besorgen.
203II.
204Die auf Entfernung der Abmahnung vom 18.12.2014, 05.02.2015 und 26.02.2015 gerichtete Leistungsklage ist zulässig, aber unbegründet.
205a. Ein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte ist aus §§ 242, 1004 BGB i.V.m. Art. 1, 2 GG dann gegeben, wenn die Abmahnung ungerechtfertigt ist, d.h., wenn sie pauschale Vorwürfe enthält und inhaltlich zu unbestimmt ist, wenn sie auf unzutreffenden oder nicht beweisbaren Tatsachen beruht, sie unverhältnismäßig, das Rügerecht verwirkt, die Grenzen des vertraglichen Rügerechtes durch unangemessene Formulierungen überschritten ist, der Arbeitgeber eine unzutreffende rechtliche Würdigung vorgenommen hat oder kein schutzwürdiges Interesse an dem Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr hat.
206Der Anspruch besteht jedoch nur im bestehenden Arbeitsverhältnis. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch auf Entfernung selbst einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte. Ein Anspruch ist nur ausnahmsweise dann gegeben, wenn objektive Anhaltspunkte dafür gegeben sind, eine Abmahnung könne dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden (BAG 19.04.2012 – 2 AZR 233/11 - Rdnr. 51, NZA 2012, 1449).
207Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat mit dem 30.09.2015 geendet. Der Kläger hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass ihm die angegriffenen Abmahnungen zukünftig noch zum Nachteil gereichen können.
208Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.11.2010 (9 AZR 573/09, BAGE 136, 156) führt zu keinem anderen Ergebnis.
209Das Bundesarbeitsgericht hat dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer ein aus § 241 Abs. 2 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG folgendes Recht auf Einsicht in die Personalakte zugebilligt, ohne dass der Arbeitnehmer ein konkretes berechtigtes Interesse darlegen muss. Es hat betont, dass es bei der Einsichtnahme um einen den Beseitigungs- bzw. Korrekturanspruch vorgelagerten Transparenzschutz hinsichtlich des fremdgeschaffenen und zeitlich aufbewahrten Meinungsbildes über den Arbeitnehmer geht, und hat ausgeführt, das sei aufgrund der geringeren Anspruchstiefe etwas anderes als das Verlangen nach Beseitigung der Grundlagen dieses Bildes. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses berühre deshalb nicht das Recht auf eine Einsicht in die Personalakte (BAG 16.11.2010 a.a.O. Rdnr. 42).
210Aus dem Recht auf Akteneinsichtnahme auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgt demnach ein Beseitigungsanspruch erst und nur dann, wenn eine konkrete Gefährdungslage besteht, also die Abmahnung dem Arbeitnehmer noch schaden kann (LAG Sachsen 14.01.2014 – 1 Sa 266/13 - Rdnr. 23, ZTR 2014, 294; LAG Rheinland-Pfalz 11.12.2014 – 8 Sa 379/12 - Rdnr. 21, 23).
211B.
212Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs.6 ArbGG, 92 Abs. 1 ZPO.
213Die Zulassung der Revision rechtfertigt sich aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Der Betriebsrat hat folgende allgemeine Aufgaben:
- 1.
darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden; - 2.
Maßnahmen, die dem Betrieb und der Belegschaft dienen, beim Arbeitgeber zu beantragen; - 2a.
die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern, insbesondere bei der Einstellung, Beschäftigung, Aus-, Fort- und Weiterbildung und dem beruflichen Aufstieg, zu fördern; - 2b.
die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit zu fördern; - 3.
Anregungen von Arbeitnehmern und der Jugend- und Auszubildendenvertretung entgegenzunehmen und, falls sie berechtigt erscheinen, durch Verhandlungen mit dem Arbeitgeber auf eine Erledigung hinzuwirken; er hat die betreffenden Arbeitnehmer über den Stand und das Ergebnis der Verhandlungen zu unterrichten; - 4.
die Eingliederung schwerbehinderter Menschen einschließlich der Förderung des Abschlusses von Inklusionsvereinbarungen nach § 166 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und sonstiger besonders schutzbedürftiger Personen zu fördern; - 5.
die Wahl einer Jugend- und Auszubildendenvertretung vorzubereiten und durchzuführen und mit dieser zur Förderung der Belange der in § 60 Abs. 1 genannten Arbeitnehmer eng zusammenzuarbeiten; er kann von der Jugend- und Auszubildendenvertretung Vorschläge und Stellungnahmen anfordern; - 6.
die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer im Betrieb zu fördern; - 7.
die Integration ausländischer Arbeitnehmer im Betrieb und das Verständnis zwischen ihnen und den deutschen Arbeitnehmern zu fördern, sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Betrieb zu beantragen; - 8.
die Beschäftigung im Betrieb zu fördern und zu sichern; - 9.
Maßnahmen des Arbeitsschutzes und des betrieblichen Umweltschutzes zu fördern.
(2) Zur Durchführung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz ist der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu unterrichten; die Unterrichtung erstreckt sich auch auf die Beschäftigung von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen, und umfasst insbesondere den zeitlichen Umfang des Einsatzes, den Einsatzort und die Arbeitsaufgaben dieser Personen. Dem Betriebsrat sind auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen; in diesem Rahmen ist der Betriebsausschuss oder ein nach § 28 gebildeter Ausschuss berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. Zu den erforderlichen Unterlagen gehören auch die Verträge, die der Beschäftigung der in Satz 1 genannten Personen zugrunde liegen. Soweit es zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist, hat der Arbeitgeber ihm sachkundige Arbeitnehmer als Auskunftspersonen zur Verfügung zu stellen; er hat hierbei die Vorschläge des Betriebsrats zu berücksichtigen, soweit betriebliche Notwendigkeiten nicht entgegenstehen.
(3) Der Betriebsrat kann bei der Durchführung seiner Aufgaben nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber Sachverständige hinzuziehen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Muss der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz beurteilen, gilt insoweit die Hinzuziehung eines Sachverständigen als erforderlich. Gleiches gilt, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf einen ständigen Sachverständigen in Angelegenheiten nach Satz 2 einigen.
(4) Für die Geheimhaltungspflicht der Auskunftspersonen und der Sachverständigen gilt § 79 entsprechend.
(1) In Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben; er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen. Bei Einstellungen und Versetzungen hat der Arbeitgeber insbesondere den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz und die vorgesehene Eingruppierung mitzuteilen. Die Mitglieder des Betriebsrats sind verpflichtet, über die ihnen im Rahmen der personellen Maßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 bekanntgewordenen persönlichen Verhältnisse und Angelegenheiten der Arbeitnehmer, die ihrer Bedeutung oder ihrem Inhalt nach einer vertraulichen Behandlung bedürfen, Stillschweigen zu bewahren; § 79 Abs. 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.
(2) Der Betriebsrat kann die Zustimmung verweigern, wenn
- 1.
die personelle Maßnahme gegen ein Gesetz, eine Verordnung, eine Unfallverhütungsvorschrift oder gegen eine Bestimmung in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung oder gegen eine gerichtliche Entscheidung oder eine behördliche Anordnung verstoßen würde, - 2.
die personelle Maßnahme gegen eine Richtlinie nach § 95 verstoßen würde, - 3.
die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass infolge der personellen Maßnahme im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer gekündigt werden oder sonstige Nachteile erleiden, ohne dass dies aus betrieblichen oder persönlichen Gründen gerechtfertigt ist; als Nachteil gilt bei unbefristeter Einstellung auch die Nichtberücksichtigung eines gleich geeigneten befristet Beschäftigten, - 4.
der betroffene Arbeitnehmer durch die personelle Maßnahme benachteiligt wird, ohne dass dies aus betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen gerechtfertigt ist, - 5.
eine nach § 93 erforderliche Ausschreibung im Betrieb unterblieben ist oder - 6.
die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass der für die personelle Maßnahme in Aussicht genommene Bewerber oder Arbeitnehmer den Betriebsfrieden durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigung, stören werde.
(3) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so hat er dies unter Angabe von Gründen innerhalb einer Woche nach Unterrichtung durch den Arbeitgeber diesem schriftlich mitzuteilen. Teilt der Betriebsrat dem Arbeitgeber die Verweigerung seiner Zustimmung nicht innerhalb der Frist schriftlich mit, so gilt die Zustimmung als erteilt.
(4) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen, die Zustimmung zu ersetzen.
Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine öffentliche Stelle ist zulässig, wenn sie zur Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgabe oder in Ausübung öffentlicher Gewalt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, erforderlich ist.
(1) Der Arbeitnehmer hat das Recht, in betrieblichen Angelegenheiten, die seine Person betreffen, von den nach Maßgabe des organisatorischen Aufbaus des Betriebs hierfür zuständigen Personen gehört zu werden. Er ist berechtigt, zu Maßnahmen des Arbeitgebers, die ihn betreffen, Stellung zu nehmen sowie Vorschläge für die Gestaltung des Arbeitsplatzes und des Arbeitsablaufs zu machen.
(2) Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass ihm die Berechnung und Zusammensetzung seines Arbeitsentgelts erläutert und dass mit ihm die Beurteilung seiner Leistungen sowie die Möglichkeiten seiner beruflichen Entwicklung im Betrieb erörtert werden. Er kann ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen. Das Mitglied des Betriebsrats hat über den Inhalt dieser Verhandlungen Stillschweigen zu bewahren, soweit es vom Arbeitnehmer im Einzelfall nicht von dieser Verpflichtung entbunden wird.
(1) Die Pflicht zur Information der betroffenen Person gemäß Artikel 13 Absatz 3 der Verordnung (EU)
- 1.
eine Weiterverarbeitung analog gespeicherter Daten betrifft, bei der sich der Verantwortliche durch die Weiterverarbeitung unmittelbar an die betroffene Person wendet, der Zweck mit dem ursprünglichen Erhebungszweck gemäß der Verordnung (EU) 2016/679 vereinbar ist, die Kommunikation mit der betroffenen Person nicht in digitaler Form erfolgt und das Interesse der betroffenen Person an der Informationserteilung nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere mit Blick auf den Zusammenhang, in dem die Daten erhoben wurden, als gering anzusehen ist,- 2.
im Fall einer öffentlichen Stelle die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgaben im Sinne des Artikels 23 Absatz 1 Buchstabe a bis e der Verordnung (EU) 2016/679 gefährden würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen, - 3.
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen, - 4.
die Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche beeinträchtigen würde und die Interessen des Verantwortlichen an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen oder - 5.
eine vertrauliche Übermittlung von Daten an öffentliche Stellen gefährden würde.
(2) Unterbleibt eine Information der betroffenen Person nach Maßgabe des Absatzes 1, ergreift der Verantwortliche geeignete Maßnahmen zum Schutz der berechtigten Interessen der betroffenen Person, einschließlich der Bereitstellung der in Artikel 13 Absatz 1 und 2 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Informationen für die Öffentlichkeit in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache. Der Verantwortliche hält schriftlich fest, aus welchen Gründen er von einer Information abgesehen hat. Die Sätze 1 und 2 finden in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 4 und 5 keine Anwendung.
(3) Unterbleibt die Benachrichtigung in den Fällen des Absatzes 1 wegen eines vorübergehenden Hinderungsgrundes, kommt der Verantwortliche der Informationspflicht unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände der Verarbeitung innerhalb einer angemessenen Frist nach Fortfall des Hinderungsgrundes, spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen, nach.
(1) Die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) ist nur zulässig, soweit sie
- 1.
zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, - 2.
zur Wahrnehmung des Hausrechts oder - 3.
zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke
- 1.
öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen, wie insbesondere Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen, oder - 2.
Fahrzeugen und öffentlich zugänglichen großflächigen Einrichtungen des öffentlichen Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs
(2) Der Umstand der Beobachtung und der Name und die Kontaktdaten des Verantwortlichen sind durch geeignete Maßnahmen zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkennbar zu machen.
(3) Die Speicherung oder Verwendung von nach Absatz 1 erhobenen Daten ist zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen überwiegen. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Für einen anderen Zweck dürfen sie nur weiterverarbeitet werden, soweit dies zur Abwehr von Gefahren für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist.
(4) Werden durch Videoüberwachung erhobene Daten einer bestimmten Person zugeordnet, so besteht die Pflicht zur Information der betroffenen Person über die Verarbeitung gemäß den Artikeln 13 und 14 der Verordnung (EU) 2016/679. § 32 gilt entsprechend.
(5) Die Daten sind unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen einer weiteren Speicherung entgegenstehen.
(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.
(2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben die Selbständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern.
(1) Gegen den das Verfahren beendenden Beschluß eines Landesarbeitsgerichts findet die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Beschluß des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 92a Satz 2 zugelassen wird. § 72 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. In den Fällen des § 85 Abs. 2 findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(2) Für das Rechtsbeschwerdeverfahren gelten die für das Revisionsverfahren maßgebenden Vorschriften sowie die Vorschrift des § 85 über die Zwangsvollstreckung entsprechend, soweit sich aus den §§ 93 bis 96 nichts anderes ergibt. Für die Vertretung der Beteiligten gilt § 11 Abs. 1 bis 3 und 5 entsprechend. Der Antrag kann jederzeit mit Zustimmung der anderen Beteiligten zurückgenommen werden; § 81 Abs. 2 Satz 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Die Einlegung der Rechtsbeschwerde hat aufschiebende Wirkung. § 85 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, sind jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen.
(2) Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Erfolgt der Berichtigungsbeschluss in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.
(3) Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, findet sofortige Beschwerde statt.